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German Pages 232 Year 2008
Personalmanagement für Ingenieure von
Werner Volkert und
Prof. Dr.Thomas Steinkamp Fachhochschule Osnabrück
OldenbourgVerlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2009 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D -81671 München Telefon: (089) 4 50 51- 0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Dr. Rolf Jäger Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58440-0
Vorwort Technologie ist zunehmend weltweit für Unternehmen gleichermaßen verfügbar – der Unterschied im Unternehmenserfolg geht auf die für das Unternehmen tätigen Menschen mit ihrem Wissen, Können und Wollen zurück. Aus diesem Befund folgt, dass das Personalmanagement in Unternehmen vor großen Herausforderungen steht. Personalmanagement wird zum integrativen Bestandteil der Unternehmenspolitik. Dies bedeutet auch, dass Personalmanagementaufgaben nicht nur von Personalabteilungen bearbeitet, sondern zunehmend in die Linie verlagert und den Fachvorgesetzten übertragen werden. Auf diesen Zuwachs an Aufgaben und Verantwortung sind die direkten Vorgesetzten, die zumeist Fachspezialisten sind, von ihrer Ausbildung her jedoch häufig nur unzureichend vorbereitet. Die Ausbildungskonzepte der Hochschulen tragen diesen geänderten Anforderungsprofilen der Fachkräfte erst ansatzweise Rechnung. Häufig wird das Thema Personalmanagement hier entweder aus der Perspektive der Unternehmensführung und des General Managements betrachtet oder aber die operativ instrumentelle Ebene in den Fokus gestellt. Nicht selten wird dabei der arbeitsrechtliche Rahmen vernachlässigt, der jedoch in Deutschland die Handlungsspielräume der betrieblichen Personalarbeit deutlich beeinflusst. Das vorliegende Buch basiert auf den Erfahrungen, die wir sowohl mit Studierenden des Ingenieurwesens als auch mit Ingenieuren, die bereits Personalverantwortung tragen, gemacht haben. Wir haben dabei nicht das Ziel verfolgt, einzelne Instrumente und Methoden des Personalmanagements in den Vordergrund zu stellen, da hier in den jeweiligen Betrieben entsprechende Politiken, Verfahrensmodelle und Instrumente eingeführt sind. Ziel war es auch nicht, den vorhandenen arbeitsrechtlichen Lehrbüchern ein weiteres hinzuzufügen. Wir haben vielmehr im Sinne einer integrierenden Betrachtung versucht, arbeitsrechtliche Grundlagen mit den betriebswirtschaftlichen Fragestellungen des Personalmanagements zusammenzuführen und dabei auch die Doppelrolle des Ingenieurs einerseits als Linienmanager und Vertreter der Unternehmensleitung und andererseits als Arbeitnehmer mit dem Unternehmen z.T. entgegenstehenden Interessen zu berücksichtigen. Das Buch wendet sich primär an Ingenieure, also Nichtjuristen und Nichtkaufleute, auch wenn die eher betriebswirtschaftlichen Sichtweisen für den Juristen nützlich sein können und auch Kaufleute, die ihr Studium nicht auf das Personalmanagement ausgerichtet haben, als Linienmanager einer Fachabteilung vor den gleichen Problemen wie der Ingenieur stehen. Im Interesse der Lesbarkeit für einen weder juristisch noch personalwissenschaftlich vorgebildeten Personenkreis haben wir sehr bewusst auf einen zu akademischen Sprachgebrauch und den für eine wissenschaftliche Abhandlung üblichen Fußnotenapparat verzichtet. Auch die unter Juristen beliebten Meinungsstreite sind zugunsten der in der Rechtsprechung der
VI
Vorwort
Arbeitsgerichtsbarkeit, vertretenen Ansichten vernachlässigt, da diese im Zweifelsfall ohnehin das letzte Wort hat. Gleichwohl geht unser Anliegen über die Vermittlung checklistenorientiertes Rezeptwissens hinaus. Der in diesem Buch angestrebten Einführung in das grundsätzliche arbeitsrechtliche und betriebswirtschaftliche Denken kann die weiterführende Beschäftigung mit einzelnen Themen anhand der Literaturhinweise in Kapitel 16 erfolgen. Die für das Personalmanagement relevanten Gesetze sind im Internet über die Website www.gesetze-im-internet.de verfügbar. Es verbessert das Verständnis, die in diesem Buch behandelten Rechtsvorschriften auf dieser Seite nachzulesen. Osnabrück/Lingen (Ems), September 2008 Werner Volkert
Thomas Steinkamp
Inhalt Vorwort
V
1
Human Ressourcen im betrieblichen Wertschöpfungsprozess
1
1.1 1.1.1 1.1.2
Die Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses ............................................................1 Personal als Kostenfaktor............................................................................................2 Personal als Investitionsgut (Humankapital)...............................................................3
1.2
Aufgaben des Personalmanagements ..........................................................................4
2
Grundlagen des Rechts
2.1
Recht und Moral – Unterschiede und Funktionen ......................................................7
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3
Recht und Gerechtigkeit............................................................................................10 Die Aufgabe der Gesetze...........................................................................................10 Öffentliches Recht und Privates Recht......................................................................11 Die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes ............................................................14
3
Das Arbeitsrecht als Rechtsgebiet – Grundlagen des Arbeitsrechts
3.1
Gesetze und Verordnungen .......................................................................................15
3.2
Tarifverträge ..............................................................................................................17
3.3
Betriebsvereinbarungen.............................................................................................21
4
Die Personalbeschaffung
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3
Das Arbeitsverhältnis als Vertrag..............................................................................26 Parteien des Arbeitsvertrags......................................................................................27 Vertragsschluss..........................................................................................................28 Der Arbeitsvertrag als besonderer Vertragstyp .........................................................30
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Die Stellenausschreibung ..........................................................................................32 Stellenbeschreibung und Anforderungsprofil ...........................................................33 Vertragsaspekte der Stellenausschreibung ................................................................35 Diskriminierung und Benachteiligungsverbote.........................................................38
4.3 4.3.1 4.3.2
Das Auswahlverfahren ..............................................................................................40 Gang des Auswahlverfahrens....................................................................................40 Fragerechte – Antwortpflichten.................................................................................45
7
15
25
VIII
Inhalt
4.3.3 4.3.4
Fehlverhalten im Auswahlverfahren ......................................................................... 48 Kosten des Auswahlverfahrens ................................................................................. 50
4.4
Auswahl- und Einstellungsverfahren und Betriebsverfassung ................................. 50
4.5
Auswahl- und Einstellungsverfahren und Schwerbehindertenvertretung................. 51
5
Das Arbeitsverhältnis
5.1
Der Vertrag als Verhandlungsergebnis ..................................................................... 53
5.2
Der anzuwendende Rechtsrahmen – Internationale Mobilität und Arbeitsverträge . 54
5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.3.8
Der Inhalt des Arbeitsvertrags im Einzelnen ............................................................ 57 Tarifanwendungsklauseln ......................................................................................... 57 Ort der Arbeitsleistung.............................................................................................. 58 Art der Arbeitsleistung.............................................................................................. 59 Vergütung.................................................................................................................. 59 Arbeitszeit ................................................................................................................. 61 Kündigungsfristen ..................................................................................................... 63 Verjährungs- und Ausschlussfristen ......................................................................... 63 Sonstige Inhalte von Arbeitsverträgen ...................................................................... 64
5.4
Formulararbeitsverträge ............................................................................................ 65
5.5
Form des Arbeitsvertrags .......................................................................................... 66
5.6
Der Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen .............................................. 68
6
Personaleinsatz
6.1
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers........................................................................ 69
6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3
Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung.......................................................................... 71 Übertragene Aufgaben .............................................................................................. 71 Art der Arbeitsleistung.............................................................................................. 72 Der Arbeitsort............................................................................................................ 75
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5
Arbeitszeit ................................................................................................................. 78 Flexibilisierung des Personaleinsatzes in der regelmäßigen Arbeitszeit .................. 78 Mehr- und Überstunden ............................................................................................ 81 Gesetzliche Beschränkungen des Weisungsrechts zur Arbeitszeit ........................... 82 Betriebsverfassungsrechtliche Beschränkungen des Weisungsrechts ...................... 85 Erholungsurlaub ........................................................................................................ 86
7
Führung
7.1 7.1.1 7.1.2
Funktionen der Führung............................................................................................ 89 Sachlich-formale Funktion der Führung ................................................................... 89 Personenbezogene Funktion der Führung................................................................. 90
7.2 7.2.1
Führung und Macht ................................................................................................... 91 Organisationsbezogene Machtquellen ...................................................................... 91
53
69
89
Inhalt
IX
7.2.2 7.2.3 7.2.4
Personenbezogene Machtquellen ..............................................................................92 Machtquellenportfolio ...............................................................................................93 Machtdynamik...........................................................................................................94
7.3 7.3.1 7.3.2
Führung und Motivation............................................................................................95 Inhaltstheorien ...........................................................................................................96 Prozesstheorien der Motivation...............................................................................100
7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4
Theorien des Führungsprozesses.............................................................................103 Eigenschaftstheorien der Führung...........................................................................103 Verhaltensorientierte Führungstheorien ..................................................................104 Situationsorientierte Ansätze...................................................................................108 Management by … ..................................................................................................112
7.5
Führung und Organisationen im Wandel ................................................................115
8
Vergütung und Lohn
8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6 8.1.7
Komponenten von Vergütungssystemen.................................................................118 Anforderungen.........................................................................................................119 Leistung ...................................................................................................................119 Qualifikation............................................................................................................121 Markt .......................................................................................................................121 Soziale Gesichtspunkte............................................................................................121 Erfolg.......................................................................................................................122 Unzulässige Differenzierungsgesichtspunkte..........................................................122
8.2
Gratifikationen und Sonderzahlungen.....................................................................122
8.3
Übertarifliche bzw. freiwillige Leistungen und Tarifsteigerungen.........................123
8.4
Freiwillige Leistungen – Gesamtzusage und Betriebliche Übung ..........................123
8.5
Vergütung und Betriebsverfassung .........................................................................125
8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.6.4 8.6.5 8.6.6 8.6.7 8.6.8
Vergütung ohne Arbeit............................................................................................126 Erholungsurlaub ......................................................................................................126 Feiertage ..................................................................................................................127 Sonderurlaub............................................................................................................127 Kurzfristige Verhinderung aus persönlichen Gründen............................................127 Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit.......................................................................128 Mutterschutz ............................................................................................................130 Annahmeverzug des Arbeitgebers...........................................................................130 Unmöglichkeit der Arbeitsleistung (Betriebsrisiko) ...............................................132
8.7 8.7.1 8.7.2
Vergütung und Arbeitskampf..................................................................................133 Voraussetzungen zulässiger Arbeitskämpfe............................................................134 Auswirkungen auf das einzelne Arbeitsverhältnis ..................................................137
9
(Leistungs-)Beurteilung
9.1
Zwecke der Leistungsbeurteilung ...........................................................................139
117
139
X
Inhalt
9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4
Verfahren der Leistungsbeurteilung........................................................................ 141 Summarische Verfahren.......................................................................................... 141 Analytische Verfahren ............................................................................................ 142 360 Grad Beurteilung.............................................................................................. 144 Beurteilungstendenzen und Beurteilungsfehler ...................................................... 144
10
Personalakte und Personaldaten
10.1
Inhalte der Personalakte .......................................................................................... 147
10.2
Personaldatenschutz ................................................................................................ 151
10.3
Personaldatenverarbeitung und Mitbestimmung .................................................... 152
11
Rechte am Arbeitsergebnis
11.1
Gegenständliche Arbeitsergebnisse ........................................................................ 153
11.2
Geistige Leistungen................................................................................................. 153
11.3
Geschmacksmuster.................................................................................................. 155
11.4
Erfindungen............................................................................................................. 156
11.5
Technische Verbesserungsvorschläge..................................................................... 157
12
Folgen von Pflichtverletzungen
12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5 12.1.6
Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers .................................................................. 159 Fehlerhafte Arbeitsleistung als Gegenstand des Mitarbeitergesprächs................... 159 Abmahnung ............................................................................................................. 161 Erfüllungsansprüche des Arbeitgebers.................................................................... 162 Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber....................................... 162 Haftung des Arbeitnehmers ggü. anderen Arbeitnehmern desselben Betriebs....... 166 Haftung des Arbeitnehmers ggü. Dritten ................................................................ 166
12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4
Pflichtverletzungen des Arbeitgebers ..................................................................... 168 Erfüllungsansprüche des Arbeitnehmers und die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts .......................................................................................... 168 Schadenersatzansprüche.......................................................................................... 169 Haftungserleichterungen ......................................................................................... 171 Haftungsverschärfungen ......................................................................................... 171
13
Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
13.1
Einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ......................................... 173
13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5
Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung ................................ 175 Kündigungsfristen ................................................................................................... 176 Kündigungserklärung.............................................................................................. 176 Soziale Rechtfertigung der Kündigung................................................................... 177 Beteiligung des Betriebsrats.................................................................................... 184 Rechtsschutz gegen ordentliche Kündigungen ....................................................... 186
147
153
159
173
Inhalt
XI
13.3
Arbeitnehmerseitige ordentliche Kündigung ..........................................................187
13.4
Außerordentliche Kündigung ..................................................................................187
13.5 13.5.1 13.5.2 13.5.3
Sonderformen der Personalfreisetzung ...................................................................189 Massenentlassung ....................................................................................................189 Betriebsänderungen – Interessenausgleich und Sozialplan.....................................190 Beendigung befristeter Arbeitsverträge...................................................................192
13.6
Arbeitszeugnis .........................................................................................................193
14
Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang
14.1
Der Tatbestand des Betriebsübergangs ...................................................................197
14.2
Die Folgen des Betriebsübergangs ..........................................................................200
15
Rechtsschutz
203
16
Weiterführende Literatur
207
Stichwortverzeichnis
197
213
1
Human Ressourcen im betrieblichen Wertschöpfungsprozess
1.1
Die Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses
Unternehmen sind umweltoffene arbeitsteilig organisierte Wirtschaftseinheiten, in denen unter Einsatz von Gütern (Produktionsfaktoren) Sachgüter oder Dienstleistungen erstellt, vermittelt oder abgesetzt werden. Im Austauschprozess mit anderen Unternehmen, privaten oder öffentlichen Haushalten fließen Ressourcen wie Arbeit, Kapital, Ideen, Rohstoffe etc. in das Unternehmen, werden dort einem Leistungserstellungsprozess zugeführt und fließen dann in Form von Sachgütern, Dienstleistungen oder Finanzmitteln wieder ab. Die Aufgabe der Unternehmensführung besteht darin, die Aufgaben und Handlungen im Unternehmen und die Beziehungen zu seinen Austauschpartnern so zu gestalten und zu steuern, dass ein kontinuierlicher Ressourcenstrom von der Umwelt zum Unternehmen und vom Unternehmen zur Umwelt aufrechterhalten wird. Unternehmen erfüllen dabei keinen Selbstzweck, sondern werden gegründet und geführt, damit sie instrumentell für die Verfolgung und Erreichung weiterer Ziele sind. In einfachen betriebswirtschaftlichen Betrachtungen geht man davon aus, dass der Unternehmenszweck darin besteht, zur Einkommensmaximierung der Eigentümer beizutragen. Hierzu werden auf Beschaffungsmärkten verschiedene Ressourcen erworben, diese in einem güterwirtschaftlichen Prozess zu einem Ergebnis (Sachgut, Dienstleistung) verarbeitet, das dann wiederum auf Absatzmärkten in Geldeinnahmen umgesetzt wird. Die erzielten Einnahmen sind Teil des finanzwirtschaftlichen Prozesses, der damit endet, dass die Einnahmen zu einem Teil dem Vermögen der Inhaber zufließen und zu einem anderen Teil dazu genutzt werden, auf den Beschaffungsmärkten erneut Ressourcen zu erwerben, um den güterwirtschaftlichen Prozess dann so zu gestalten und fortzusetzen, dass sich das eingesetzte Kapital maximal verzinst. Das gelingt nur dann, wenn die Faktoren Kapital, bestehend aus Werkstoffen und Betriebsmitteln, und Arbeit, als personengebundene Leistung, möglichst effizient kombiniert werden.
2
1 Human Ressourcen im betrieblichen Wertschöpfungsprozess
Kernaufgabe ist damit nicht allein die Logistik, also die rechtzeitige und ausreichende Bereitstellung materieller Faktoren der Leistungserstellung, sondern vor allem die Verfügbarkeit der notwendigen Menge an Personen mit den benötigten Qualifikationen, die den güterwirtschaftlichen und den finanzwirtschaftlichen Prozess fortführt, damit die Wertschöpfungskette nicht abbricht. Somit setzt jede arbeitsteilige Organisation eine systematische Beschäftigung mit dem Produktionsfaktor Arbeit voraus. Es muss Personalmanagement betrieben werden.
1.1.1
Personal als Kostenfaktor
Personal wird häufig als Kostenfaktor betrachtet. Das scheint insofern auch angebracht, als die Personalkosten einen wesentlichen Teil des betrieblichen Aufwands darstellen, deren Anteil sich zukünftig auch noch steigern wird, je mehr der Anteil an produktbezogenen Dienstleistungen zunehmen wird. Schon heute beträgt das Verhältnis von Personalkosten zu Kapitalkosten, also den Kosten, die für die Investitionen in Gebäude, Anlagen und Maschinen erforderlich sind, in den edv-bezogenen Dienstleistungsbranchen 9:1, im Bereich der Automobilindustrie 2:1. Kostensenkungen verbessern das Ergebnis des Wertschöpfungsprozesses. Personalkosten können deshalb von Überlegungen nicht ausgenommen sein, Kosten zu senken. Die Entscheidung über die Fertigungstiefe, also die Entscheidung darüber, welche Teile der Wertschöpfungskette im eigenen Betrieb und folglich mit eigenem Personal erstellt und welche Produkte bzw. Leistungen von anderen (Unternehmen) zugeliefert werden sollen, ist immer auch dadurch motiviert, eigene Personalkosten einzusparen. Typische Bereiche, in denen komplexe Vorleistungen auf den Beschaffungsmärkten von Dritten endgültig oder zeitlich befristet erworben und in den betrieblichen Wertschöpfungsprozess integriert werden, sind: – – – – – – – – –
Gebäude und Grundstücke Fahrzeuge und Geräte Sicherheit, Werksschutz Kantine Handwerkerleistungen Spezialanfertigung von Maschinen Serienprodukte Unternehmensberatung (Steuern, Recht, Unternehmensorganisation, EDV) Schulung, Ausbildung
Diese Kosten einer von außen zugelieferten Leistung stehen aber weniger exakt fest, als gemeinhin angenommen wird. Bekannt sind in etwa die für die eingekauften Leistungen zu zahlenden Preise. Dritte können Leistungen vor allem dann günstiger bereitstellen, wenn Mengenvorteile Rationalisierungseffekte erlauben (economies of scale) und Wertschöpfungsprozesse aufgrund des besseren Know-how und Spezialisierung effizienter organisiert werden können. Oft wird auch nur ein Lohngefälle zwischen verschiedenen Branchen oder Regionen ausgenutzt.
1.1 Die Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses
3
Weniger transparent sind die Kosten, die beim bestellenden Betrieb dadurch entstehen, dass das Leistungen aufnehmende Unternehmen die Anforderungen an die Zulieferung nach wie vor formulieren und die Zulieferung in die eigene Wertschöpfungskette integrieren muss. Des Weiteren entstehen Kosten für die notwendige Planung der Zusammenarbeit und die Kontrolle des Zulieferers. Diese zu berücksichtigenden Kosten werden als Transaktionskosten bezeichnet. Bei Outsourcing müssen diese Transaktionskosten zu dem Preis, der an den Auftragnehmer gezahlt wird, hinzugerechnet werden. In die Entscheidung muss auch der Aspekt einbezogen werden, dass der Zulieferer bei komplexen Leistungen wie etwa der Lieferung ganzer Baugruppen notwendig relativ weitgehenden, möglicherweise unerwünschten Einblick in das Know-how seiner Abnehmer bekommt, die ja ihrerseits am Markt als Konkurrenten auftreten. Im die Vorleistung beziehenden Unternehmen selbst wird dagegen in Bezug auf die Zulieferung kein eigenes Wissen und Know-how aufgebaut; es besteht eine dauerhafte Abhängigkeit vom Zulieferer.
1.1.2
Personal als Investitionsgut (Humankapital)
Die Betrachtung des Personals als Kostenfaktor ist geprägt von den Verhältnissen des Industriebetriebes des frühen 20. Jahrhunderts. Die ganz überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter wurde in der Produktion eingesetzt. Handlungsspielräume und Entscheidungsnotwendigkeiten bestanden dort ebenso wenig wie die Notwendigkeit, mit Nicht-Werksangehörigen zu kommunizieren. Die arbeitenden Personen waren relativ austauschbar. Der Fokus der Bemühungen galt dem Erhalt und der Verbesserung des Anlagevermögens, also der Produktionsmaschinen und Anlagen. Diese Sichtweise hat sich zunächst durch die wachsende Bedeutung der produktnahen Dienstleistungen und des Dienstleistungssektors gewandelt. Dienstleistungen sind gekennzeichnet durch einen Gütererstellungsprozess in engem Zusammenwirken mit dem Kunden. Die Phase des Verkaufs ist von der Gütererstellung kaum zu trennen; Dienstleistungen sind nicht lagerfähig. Die Folge sind hohe Handlungsspielräume und Eigenverantwortung der für den Betrieb handelnden Personen. Eine Lenkung des Arbeitsprozesses durch intensive Aufsicht und Weisungen ist nicht mehr möglich. Die Wertschöpfung wird im Schwerpunkt nicht mehr durch eine intelligente Kombination von Maschinen mit menschlicher (körperlicher) Arbeitskraft erwirtschaftet. Maschinen und Anlagen verlieren an Bedeutung, das Kapital des Unternehmens ist das Wissen, Können und Wollen der Mitarbeiter. Hiervon hängt der Erfolg zunehmend ab. Auch der industrielle Sektor nähert sich in Bezug auf die Arbeitsweise des Personals und die Bedeutung des Faktors Arbeit dem Dienstleistungssektor an. Die Selbstständigkeit der Mitarbeiter, auch in der klassischen Produktion, nimmt zu, der güterwirtschaftliche Prozess wird um Dienstleistungen ergänzt. Vielfach werden Produkte in Zusammenarbeit mit den Abnehmern entwickelt und ergänzende Dienstleistungen bei der Einführung und dem Betrieb von neuen Produktionsanlagen angeboten. Personal wird deshalb allgemein nicht mehr nur als Kostenfaktor, sondern als wesentliche investive Ressource gesehen (Humankapital). Die Sichtweise auf das Personal hat sich damit fundamental verändert. Je mehr Maschinen und Produktions- und Verwaltungsprozesse (durch Standard EDV) sich angleichen, desto bedeutender wird das Personal als Erfolgsfaktor.
4
1 Human Ressourcen im betrieblichen Wertschöpfungsprozess
Mit dem Bedeutungszuwachs im Unternehmen wandeln sich auch die Einstellungen der Menschen zu ihrer Arbeit. Ihre Ansprüche an den in Form von Arbeit verbrachten Teil des Lebens steigen. Persönliche Ziele wie Selbstverwirklichung, berufliche Entfaltungsmöglichkeiten, persönliche Partizipation sowie Erhalt und Steigerung des individuellen Arbeitsmarktwertes haben an Bedeutung gewonnen. Damit wächst auch die Rolle des Personalmanagements. Die Aufgabe hat nunmehr deutlich größere Dimension als die reine Personalverwaltung. Die Pflege des an Menschen gebundenen Kapitals des Betriebs ist nicht weniger bedeutend als die Pflege des Anlagevermögens. Personalkosten werden also nicht nur als Aufwand gesehen, sondern ins Verhältnis zu der Leistung gesetzt, die das Personal erbringt. Aufgabe des Personalmanagements ist es, das Personal so zu beschaffen und einzusetzen, dass es einen möglichst großen Beitrag zur Wertschöpfung leisten kann.
1.2
Aufgaben des Personalmanagements
Da jedes Unternehmen mindestens in einem Kernbereich Leistungen selbst und mit eigenem Personal erstellt, hat jedes Unternehmen notwendig auch ein mehr oder weniger ausgeprägtes, mehr oder weniger professionelles, schlechtes oder gutes Personal- oder Human Resource Management, auch wenn dies nicht ausdrücklich als solches bezeichnet wird. Die Aufgabenbereiche des Personalmanagements sind: – – – – – – – –
Personalbedarfsplanung Personalbeschaffung Personaleinsatz (-planung) Personalservice, Entgeltabrechnung Personalbeurteilung Personalentwicklung Personalfreisetzung sowie die personale Lenkung des Personals (Personalführung)
Innerhalb des Betriebes sind an den Prozessen des Personalmanagements ab einer bestimmten Größenordnung verschiedene Personen beteiligt, die zusammenarbeiten müssen: –
–
Der Fachvorgesetzte kann den qualitativen und quantitativen Personalbedarf für den ihm unterstellten Aufgabenbereich (Abteilung, Arbeitsgruppe, Fachbereich) am besten einschätzen. Die Personalverantwortlichen (Personalleiter o.Ä.) haben den Gesamtüberblick über das betriebliche Personal, das besondere Know-how für die Abwicklung spezifisch personalbezogener Aufgaben (Ausschreibung, Einstellung, Personalentwicklung, Freisetzung) und vertreten die personalstrategischen Gesamtinteressen des Unternehmens gegenüber den Egoismen der Fachabteilungen.
1.2 Aufgaben des Personalmanagements –
– –
5
Der Betriebsrat vertritt die Interessen der Beschäftigten gegenüber dem Unternehmen. Die Personalverantwortlichen halten den Kontakt zum Betriebsrat, soweit die Unternehmensleitung sich dies nicht vorbehalten hat. Mit dem Betriebsrat eng verbunden ist die von den behinderten Beschäftigten gewählte Schwerbehindertenvertretung. Weitere relevante Beteiligte sind die nach verschiedenen Gesetzen zu bestellenden Beauftragten, deren Tätigkeitsfelder Aufgaben des Personalmanagements berühren. Zu denken ist an die Fachkraft für Arbeitssicherheit, den Datenschutzbeauftragten, die Gleichstellungsbeauftragte usw. Ihre Arbeitsweise ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht an Weisungen von Fachvorgesetzten gebunden sind und meist direkt der Betriebsleitung oder Unternehmensleitung berichten bzw. dort unter Umgehung der Unternehmenshierarchie ein Vortragsrecht haben.
Zurzeit wird in zahlreichen Unternehmen eine Umgestaltung der personalmanagementbezogenen Dienstleistungsmodelle vorgenommen. Man versucht hierdurch der Beobachtung gerecht zu werden, dass der Beitrag des Human Resource Managements bei der Entwicklung und Umsetzung von Unternehmensstrategien zunehmend wichtiger wird. Aktuelle Personaldienstleistungsmodelle orientieren sich dabei häufig an Businesspartner-Modellen. Entsprechend werden dann ‚HR Shared Service Centers’ eingerichtet, die für die administrative Abwicklung sämtlicher standardisierter Personaldienstleistungen, wie z. B. der Lohn- und Gehaltsabrechnung, zuständig sind. Diese können ihrerseits wiederum bestimmte administrative Prozesse, die z. B. mit dem Wechsel von Wohnort, Krankenkasse etc. verbunden sind, auf den einzelnen Mitarbeiter in einem intranetbasierten Selfservice verlagern. Die Beratung der Linienführungskräfte in personalbezogenen Angelegenheiten erfolgt dann über sog. ‚HR Businesspartner’. Neben der Beratung haben sie die Aufgabe, die Personalpolitik und die Personalstrategie des Unternehmens in die Linie hineinzutragen und dort umzusetzen. Die Personalstrategien selbst werden in Absprache mit den Businesspartnern, der Unternehmensleitung und evtl. auch mit Hilfe Externer in ‚Centers of Expertise’ entwickelt.
2
Grundlagen des Rechts
Im Personalwesen spielen in Deutschland rechtliche Rahmenbedingungen eine deutlich größere Rolle als in anderen Teilen Europas oder gar in den USA. Die Regulierung der Arbeitsbedingungen durch Rechtsvorschriften wird auch für Wachstumsprobleme der deutschen Wirtschaft verantwortlich gemacht. Dies mag aus einer rein kostenorientierten Sichtweise heraus richtig sein. Personalkosten sind aufgrund der Regulierung des deutschen Arbeitsmarktes nicht kurzfristig, sondern immer nur langfristig beeinflussbar. Wer den Vorteil kurzfristiger Personalkostensenkungen will, wird auch dafür einen höheren Preis zu zahlen haben, als er vermutet. Der Aufbau von Humankapital ist nur langfristig möglich, der Kapitalbestand aber durch Orientierung an kurzfristigen Ertragszielen sehr schnell verspielt. Um Vorteile und Nachteile rechtlicher Regulierung des deutschen Arbeitsmarktes bewerten zu können, sind einige Bemerkungen zu den Grundlagen des Rechts und den mitteleuropäischen Vorstellungen von Gerechtigkeit notwendig.
2.1
Recht und Moral – Unterschiede und Funktionen
Recht steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Staates und des individuellen Eigentums. Bei den noch heute bestehenden Jäger- und Sammlergesellschaften ist keine staatliche Organisation erkennbar. Abgesehen von wenigen Gegenständen des persönlichen Bedarfs besteht auch keine Vorstellung von Eigentum. Es dürfte bei unseren unter ähnlichen Bedingungen lebenden steinzeitlichen Vorfahren nicht anders gewesen sein. Im Zuge der neolithischen Revolution wurden jedoch Gruppen von Menschen sesshaft und betrieben Ackerbau. Diese Lebensform führte zu einem höheren Organisationsgrad der Gesellschaft und sie ermöglicht vor allem die Akkumulation von Vorräten und langlebigen Gebrauchsgegenständen. Damit stellte sich erstmals in der Menschheitsgeschichte die Frage, wer über diese Vorräte verfügen und sie ggf. verteilen durfte. Träger des Eigentums waren in dieser Phase ursprünglich Verwandtschaftssysteme, auch als Clans zu bezeichnen. Für das Verhalten innerhalb des Clans wurden Normen unmittelbar aus den Naturerscheinungen des Umfeldes abgeleitet. Nach den Vorstellungen der Menschen war es für das Überleben des Clans entscheidend, dass alle Angehörigen sich im Einklang mit diesen Normen verhielten. Für die Interpretation der Naturerscheinungen und deren Bezug zum Verhalten der einzelnen Mitglieder des Clans entwickelten einzelne Mitglieder ein Expertenwissen, das sie zu verbindlichen Aussagen über Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit von Verhalten einzelner Personen berechtigte. Religion, Sitte und Moral bildeten aber nach wie
8
2 Grundlagen des Rechts
vor eine unauflösliche Einheit und ordneten das tägliche Leben. Die Aussagen der Experten wurden von den Beteiligten ohne weiteres als richtig (= gerecht) empfunden. Konflikte zwischen den Clans wurden von diesen selbst je nach Nähe friedlich auf dem Verhandlungsweg oder mit Gewalt gelöst. In der Folgezeit gewann die Rolle der Experten bzw. „Priester“ an Bedeutung, indem sie die Distribution der erwirtschafteten Güter, später auch deren Produktion an sich zogen. Die Verwandtschaftsgruppen verloren damit ihre Rolle als Versorgungsträger an die Priesterkaste. In der Produktion entwickelte sich eine differenziertere Arbeitsteilung und Spezialisierung insbesondere im handwerklichen Bereich. Damit wurde eine Individualisierung der Gesellschaft, also die Bildung kleinerer familiärer Einheiten eingeleitet mit der Folge, dass auch Eigentum nicht mehr dem Clan als solchem, sondern Individuen zugeordnet werden konnte. Die Entstehung von persönlichem Eigentum machte Sachwerte mobil und erzeugte Bedarf an Regeln für dessen Übertragung unter Lebenden und im Todesfall. Aufgrund dieser Entwicklung entstand ab 3000 v.Chr. in dem in dieser Hinsicht am weitesten entwickelten Mesopotamien erstmals ein Bedarf an einem besonderen Entscheidungssystem für Fragen, die der einzelne in der Gemeinschaft nicht ohne Berücksichtigung aller anderen beantworten konnte. Aus dem Konglomerat von Religion, Moral und Sitte differenzierten sich erste als Recht anzusehende Normen in Bezug auf besonders gravierende Störungen der Gemeinschaft und für mit der Übertragung und Nutzung von Eigentum verbundene Standardprobleme. Mit dem Prozess der Ausdifferenzierung von Recht aus Sitte und Moral ist untrennbar die Entwicklung staatlicher Strukturen verbunden, die die Einhaltung der Rechtsnormen überwachen und Konflikte verbindlich entscheiden. Eine Konfliktlösung in Bezug auf Themen wie Kapitaldelikte, schwere Körperverletzungen und Inzestdelikte im Wege des großen Palavers aller Clanangehörigen wäre in den Stadtgesellschaften Mesopotamiens schon aufgrund der Anzahl der beteiligten Personen ausgeschlossen gewesen. Mit der Auflösung der Verwandtschaftsgruppen als Träger der sozialen Ordnung mussten für die Aufrechterhaltung des sozialen Miteinanders ja absolut notwendige Verbote mit anderen Verfahren als der Gruppenverhandlung durchgesetzt werden. Auf Normverstöße bzgl. Sitte und Moral reagierte die Gemeinschaft weiterhin selbst mit durchaus empfindlichen Sanktionen, z. B. mit sozialer Ausgrenzung und Ächtung. Meinungsverschiedenheiten über Rechtsnormen wurden dagegen durch eine neutrale Instanz beendet, die eine für die Beteiligten verbindliche Entscheidung traf, falls diese sich nicht einigen konnten. Der entscheidende Unterschied zwischen aus der Moral abgeleiteten Verhaltensregeln und Sitten einerseits und dem Recht andererseits lag also in der Externalisierung der verbindlichen Konfliktentscheidung durch eine am Konflikt selbst nicht beteiligte staatliche Instanz, die ihre Herrschaftsrolle ihrerseits zu Beginn stets durch religiöse Ableitung, später vornehmlich durch Recht legitimierte und ihre streitschlichtende Funktion als Teil ihrer Herrschaftsgewalt ausübte. Allerdings hätte Recht ohne die Entwicklung von Schrift nicht entstehen können. Nur die Schrift ermöglicht, einen Anpassungsmechanismus zur Konfliktlösung wirklich zuverlässig zu verbalisieren und auch über den einzelnen Konflikt hinaus Verfahrensregeln zu institutionalisieren. Gesellschaften, die nicht über Schrift verfügen, kennen nur Moral und Sitte, kein
2.1 Recht und Moral – Unterschiede und Funktionen
9
Recht. Die Verfahrensregeln zur Konfliktlösung müssen anlassbezogen jeweils neu geschaffen werden. In der griechisch-römischen Antike ist das Recht in seinen Funktionen erstmals voll ausgebildet. Diese Funktionen umfassen: 1. 2. 3.
Ordnung für soziale Standardsituationen/Konflikte Gerechtigkeit Sicherung von Herrschaft
Erst in sehr viel jüngerer Zeit ist als weitere Funktion des Rechts im europäisch geprägten Denken die Begrenzung ebendieser Herrschaft zur Sicherung der Freiheit des Staatsbürgers gegenüber der Staatsgewalt hinzugekommen. Die Ordnungsfunktion des Rechts hat sich über einen langen Zeitraum auf Kosten von Moral und Sitte weiterentwickelt, immer weitere Lebensbereiche dem Recht unterworfen und einen ersten Höhepunkt im Zeitalter des Absolutismus erreicht. Mit dem Liberalismus und der industriellen Revolution wurde der Geltungsanspruch des Rechts ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert immer weiter zurückgedrängt. Dem Recht wurde die Aufgabe zugewiesen, solche ethischen Mindeststandards verbindlich zu machen, die für das Gemeinschaftsleben absolut unerlässlich sind. Innerhalb der Möglichkeiten rechtmäßigen Verhaltens verbleibt damit ein weites Spektrum von Dingen, die man tut oder besser lässt, obwohl sie nicht verboten sind. Die Auswahl der Regelungsbereiche und das Ausmaß von Verrechtlichung sind erkennbar abhängig vom kulturellen Umfeld der Gesellschaft und dessen Dynamik. Je stabiler die sozioökonomische Lage in einer von homogenen Moralvorstellungen geprägten Gesellschaft ist, desto weniger Recht ist notwendig. Die Moralvorstellungen werden von Menschen „freiwillig“ befolgt. Soziale Ausgrenzungsmechanismen reichen aus, um Mindeststandards eines geordneten Gemeinschaftslebens durchzusetzen. Je weniger homogen die Moralvorstellungen sind, desto weniger wirken nichtrechtliche Sanktionsmechanismen und desto mehr müssen für das Zusammenleben notwendige Normen als Bestandteil des Rechts staatlich durchgesetzt werden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts geht der Trend dahin, immer weitere Lebensbereiche nicht mehr der Selbstregulation der Gesellschaft durch Normen im Bereich von Moral und Sitte zu überlassen, sondern rechtlichen Standards zu unterwerfen. Ursache ist einerseits das Abhandenkommen eines gemeinsamen Grundkanons von ethischen und moralischen Vorstellungen, wozu auch die Dynamik der Globalisierung ihren Beitrag leistet. Da persönliche Freiheit nicht ohne Rücksicht auf die Freiheit des Mitmenschen ausgelebt werden kann, regeln im Sinne der Kant´schen Vorstellung von der Funktion des Rechts als Koordinator von Freiheitsausübung zurzeit 25.000 bis 30.000 verschiedene Rechtsnormen unser Leben. Ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass Sitte und Moral mit ihren außerrechtlichen Normierungen weiterhin eine erhebliche Rolle spielen. Solche nichtrechtlichen Normen gelten in jeder sozialen Organisation, sind also auch in Betrieben verbreitet. Allerdings variieren diese Regeln je nach gesellschaftlicher Gruppe und man kann sich diesen zur Not durch Wechsel der Gruppenzugehörigkeit entziehen.
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2 Grundlagen des Rechts
2.2
Recht und Gerechtigkeit
2.2.1
Die Aufgabe der Gesetze
Wie hängen Recht und Gerechtigkeit zusammen? Ist Gerechtigkeit von Gesetzen messbar oder wenigstens nachprüfbar? Gibt es einen vorgegebenen Maßstab für die Richtigkeit von Recht? Entsteht Recht durch Bewusstsein und Erkenntnis oder ist es nur Folge seiner Existenz und Anerkennung? Die typische Juristenantwort gilt auch hier: „Es kommt drauf an.“ Schon die für identische Probleme je nach Rechtssystem ganz unterschiedlichen Lösungsansätze (sogar innerhalb des westeuropäischen Kulturkreises) zeigen, dass sich nicht jede rechtliche Regelung unmittelbar aus höherer Erkenntnis ergeben kann. Viele praktische Fragen können so oder so gelöst werden. In dem einen Land muss man zum Notar, um ein Grundstück zu kaufen, in einem anderen Land geht es per Handschlag, in einem dritten Land werden zum Handschlag zwei männliche Zeugen gebraucht. Die Fragen, woraus Gesetze abzuleiten sind und ob es ungerechte Gesetze geben kann, wurden schon in der Antike gestellt. In der Folgezeit haben die Rechtsphilosophen die Vorstellung vertreten, dass Recht aus natürlichen Vorgaben, aus der Natur Gottes oder der Natur des Menschen, jedenfalls aus einer dem Menschen vorgelagerten, von diesem nicht veränderbaren Grundnorm abgeleitet werden muss. Die Moral bestimmte demnach den Inhalt des Rechts. Diese Idee wurde im 19. Jahrhundert von der Idee des sog. Positivismus verdrängt: Gesetz und Recht stehen nach dieser Sichtweise prinzipiell nicht im Gegensatz. Jedes Gesetz ist unabhängig von seinem konkreten Inhalt Recht, ohne dass sich die Frage nach einer höheren Legitimation von Recht und Gesetz stellt. Gesetze sind deshalb ohne Rücksicht auf ihren Inhalt schon dann verbindlich, wenn sie nach den dafür jeweils gesetzten Verfahrensregeln ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Allein das ist entscheidend. Viele Juristen sind nach den Erfahrungen der faschistischen und stalinistischen Diktaturen gegenüber dem Positivismus skeptisch geworden. Berühmtester Vertreter ist der führende sozialdemokratische Rechtspolitiker der Weimarer Republik Gustav Radbruch, der 1946 die Formel aufgestellt hat: Gesetze, die Gerechtigkeit offensichtlich nicht anstreben bzw. nicht verwirklichen können, sind nicht verbindlich. Die Juristen sind sich heute jedenfalls darüber einig, dass die formale Legitimation des Gesetzes allein nicht ausreicht, um Recht entstehen zu lassen. Rechtsvorschriften können nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren geschaffen werden, müssen aber zusätzlich inhaltlich der Idee der Gerechtigkeit verpflichtet sein. In einem demokratischen Gemeinwesen sollte es deshalb kein ungerechtes Recht geben können, unbeantwortet bleibt aber die Frage, was Gerechtigkeit eigentlich ist. Gerechtigkeit ist nach unseren heutigen, auf Aristoteles zurückgehenden Vorstellungen eng mit dem Streben nach Gleichheit verbunden. Unter Gleichheit versteht Aristoteles einen Zustand der Ausgewogenheit bzw. die Mitte zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig. Im Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern gilt, dass die Belastungen (z. B. mit Steuern) der Leistungsfähigkeit (dem Vermögen) des Bürgers entsprechen sollen. Umgekehrt sollen die vom Staat vergebenen Vergünstigungen in ausgewogenem Verhältnis zu den Verdiensten des Staatsbürgers stehen. (Es ging in Athen nicht um Sozialhilfe, sondern um die Vergabe
2.2 Recht und Gerechtigkeit
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von Ehrenämtern.) Gerechtigkeit in Bezug auf Belastung und Vergünstigung wird im Vergleich der Staatsbürger durch den Grundsatz der Proportionalität hergestellt, d. h., wer weniger leistungsfähig ist, wird steuerlich entsprechend der Minderung der Leistungsfähigkeit entlastet. Wer größeren Schaden für die Gemeinschaft angerichtet hat, wird stärker belastet, d. h. bestraft. Diese austeilende Gerechtigkeit stellt die Gleichbehandlung der Staatsbürger durch den Staat sicher. Auch im Verhältnis der Staatsbürger untereinander kann sich das Problem der Gerechtigkeit stellen. Diese regeln ihre Angelegenheiten untereinander durch den Vertrag. Grundsätzlich geht Aristoteles davon aus, dass beim gegenseitigen Vertrag der Staatsbürger Leistung und Gegenleistung in einem von den Parteien als angemessen empfundenem Verhältnis stehen werden. Wenn der Käufer bereit ist einen hohen Preis für Durchschnittsware zu zahlen, wird er dafür seine Gründe haben. Es ist davon auszugehen, dass ihm die Sache den vereinbarten Preis wert ist. Wenn aber keine bewusste Entscheidung des Käufers vorliegt, weil sich z. B. der gekaufte Prachtsklave entgegen den Anpreisungen des Verkäufers als kränklich und renitent erweist, muss nach Aristoteles der Richter die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung durch ausgleichende Gerechtigkeit wiederherstellen. Dass nicht nur Täuschung durch den Verkäufer oder schlichte Irrtümer die Vertragsgerechtigkeit stören können, sondern auch asymmetrische Verhandlungspositionen der Vertragschließenden zu unausgewogenen, disproportionalen Verhandlungsergebnissen führen können, ist erst im Lauf des 19. Jahrhunderts explizit formuliert worden. Nach heutigem Gerechtigkeitsverständnis ist Recht nur dann gerecht, wenn es die typischen zu ungerechten Verträgen führenden asymmetrischen Verhandlungspositionen ausgleicht, noch bevor die Schwelle zum Wucher und zur Sittenwidrigkeit überschritten wird. Schon 1898 hat der Jurist Otto von Giercke in Bezug auf das 1900 in Kraft tretende bürgerliche Gesetzbuch ausgeführt: „Wenn das moderne Recht hier den Grundsatz der Vertragsfreiheit durchführt, so kann doch auch hier nicht willkürliche, sondern nur vernünftige Freiheit gemeint sein: Freiheit, die kraft ihrer sittlichen Zweckbestimmung Maß in sich trägt, Freiheit, die zugleich Gebundenheit ist. Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen, wird sie zum Mittel der Unterdrückung des Einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht. Das Gesetz, welches mit rücksichtslosem Formalismus aus der freien rechtsgeschäftlichen Bewegung die gewollten oder als gewollt anzunehmenden Folgen entspringen lässt, bringt unter dem Schein einer Friedensordnung das bellum omnium contra omnes in legale Formen. Mehr als je hat heute auch das Privatrecht den Beruf, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesamtheit gegen die Selbstsucht des Einzelnen zu schützen.“
2.2.2
Öffentliches Recht und Privates Recht
Die schon bei Aristoteles angelegte Differenzierung zwischen Gerechtigkeit im Verhältnis des Staates zu seinen Staatsbürgern einerseits und dem Verhältnis der Staatsbürger untereinander, führt dazu, dass bei der Gesamtheit der Rechtsvorschriften zwischen dem sog. öffent-
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2 Grundlagen des Rechts
lichen Recht und dem sog. Privatrecht oder Zivilrecht unterschieden werden muss. Beide Rechtsgebiete folgen wegen der Unterscheidung von austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit ganz unterschiedlichen Prinzipien: Das öffentliche Recht umfasst das Staatsrecht, das Strafrecht und das Verwaltungsrecht (einschließlich Steuerrecht und Sozialrecht). Der Staat setzt im öffentlichen Recht für das Handeln der Staatsbürger einen verbindlichen Ordnungsrahmen. Rechtliche Verbote und Gebote werden vom Staat aktiv unter Gleichbehandlung aller Betroffenen durchgesetzt. Diese können sich nicht aussuchen, ob sie sich an den Ordnungsrahmen des öffentlichen Rechts halten wollen. Wird die Geschwindigkeit auf einer Straße auf 50 km/h beschränkt, ist das die verbindliche Höchstgeschwindigkeit, auch wenn sich die Autofahrer darüber einigen, dass 70 km/h eine prima Geschwindigkeit ist. Der Staat trägt auch die Verantwortung dafür, dass die von ihm erlassenen Vorschriften eingehalten und die Interessen der Allgemeinheit oder auch einzelner Staatsbürger nicht beeinträchtigt werden. Verbotenes Verhalten wird deshalb unterbunden oder mit Strafen und Bußgeldern, ggf. auch durch Entzug von erteilten Genehmigungen sanktioniert. Beispiele sind das Strafrecht, die Straßenverkehrsordnung oder zahlreiche Vorschriften für gewerbliche Tätigkeit, insbesondere im Bereich des Umweltschutzes. Es geht durchweg um Bereiche, in denen verbindliche staatliche Vorgaben schon deshalb notwendig sind, weil die Zahl der Beteiligten zu groß bzw. die zu koordinierenden Interessen zu vielfältig sind, insbesondere weil vor allem Belange der Allgemeinheit betroffen sind. Wo allerdings die genaue Grenze zwischen staatlich vorgegebenem Ordnungsrahmen und privater Freiheit zu verlaufen hat, ist eine politische Entscheidung, die aus den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen folgt. Der Gebrauch von Freiheit durch das einzelne Individuum wird durch das öffentliche Recht also zugunsten der Interessen der Allgemeinheit beschränkt. Trotzdem dient das öffentliche Recht auch der Freiheitssicherung der Staatsbürger, indem in den Gesetzen die Voraussetzungen genau beschrieben sind, unter denen der Staat im Einzelfall Freiheiten einschränken und Freiheit eben nicht begrenzen darf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Im Sozialstaat tritt der Staat zusätzlich als Leistungserbringer (Schule, Hochschule, Jugendhilfe, Sozialhilfe) auf. In diesen Bereichen wird typischerweise Grundlagenarbeit geleistet, die den Individuen die Ausübung von Freiheit überhaupt erst ermöglicht. Der Staat gleicht damit unterschiedliche Ausgangspositionen der Freiheitsausübung aktiv aus. Die Beschäftigung von Personal ist durch zahlreiche Gesetze im Interesse der Allgemeinheit reguliert. Hervorzuheben sind z. B.: – – – – –
Beschäftigungsverbote für Jugendliche, Schwangere und für Mütter unmittelbar nach der Geburt Höchstgrenzen der Arbeitszeit, Verbot der Sonntagsarbeit Unfallverhütungsvorschriften, Bestimmungen für den Umgang mit gefährlichen Stoffen und die Durchführung gefährlicher Arbeiten Pflichtteilnahme an Kranken-, Renten-, Pflege und Arbeitslosenversicherung Verbot der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zu Dumpingpreisen in der Bauwirtschaft
Es handelt sich um Vorschriften des öffentlichen Rechts.
2.2 Recht und Gerechtigkeit
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Im privaten Recht oder Zivilrecht gilt dagegen kein verbindlicher Ordnungsrahmen, es herrscht die sog. Privatautonomie. Wie die Individuen ihre private Freiheit mit konkreten anderen Individuen koordinieren, wird grundsätzlich ihnen selbst überlassen, wenn nur der staatlich vorgegebene Ordnungsrahmen gewahrt bleibt. Verbindliche Vorschriften sind im Privatrecht deshalb die Ausnahme und betreffen wie z. B. der Beurkundungszwang bei Eheschließung und Grundstückgeschäften oder die Schriftform von Testamenten meist nur die formale Seite, nicht den Inhalt von Rechtsgeschäften. In Bezug auf den Inhalt von Verabredungen Privater werden durch dem Zivilrecht zuzurechnende Gesetze typischerweise nur Regelungsvorschläge unterbreitet, von denen die Beteiligten abweichen können, wenn sie meinen, dass die gesetzliche Regelung ihren Interessen nicht gerecht wird. In vielen Fällen verhandeln die Beteiligten aber nicht auf Augenhöhe (s. o. v. Giercke). Die Verhandlungspositionen sind aufgrund der Marktbedingungen asymmetrisch, so dass zum Schutz der schwächeren Individuen Mindeststandards festgelegt werden, die als einseitig zwingendes Recht nur durch bessere Regelungen ersetzt aber nicht unterschritten werden dürfen. Beispiele sind Schutzvorschriften für Verbraucher (Gewährleistungsrecht beim Kauf, Finanzierungsgeschäfte, Haustürkauf), Wohnungsmietverträge, Pflichtteilsansprüche für Kinder im Erbrecht. Allerdings setzt der Staat im Privatrecht anders als im öffentlichen Recht diese Mindeststandards im Einzelfall nicht aktiv durch. Dies muss jeder Betroffene (Verbraucher, Mieter etc.) selbst tun: „wo kein Kläger, da kein Richter“. Wer also Mindeststandards nicht einfordert und den Gang zum Gericht scheut, muss in Kauf nehmen, dass er schlechter behandelt wird, als vorgesehen. Wie weit der Staat mit der Vorgabe von Mindeststandards zugunsten schwächerer Marktteilnehmer geht, ist ebenfalls eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse. Die gesamte Privatrechtsentwicklung des 20. Jahrhundert ist davon gekennzeichnet, den im Bürgerlichen Gesetzbuch ursprünglich nicht einmal im Ansatz enthaltenen Schutz des Schwächeren nachzubessern. Das gilt auch für das Arbeitsrecht. Die Situation desjenigen, der eine Beschäftigung sucht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist eine der klassischen Verhandlungslagen, die von Asymmetrie gekennzeichnet sind. Nur in jeweils kurzen Zeiträumen ist die Marktlage vorteilhaft für den Arbeitnehmer gewesen. Selten war es so, dass der Arbeitsuchende zwischen verschiedenen Arbeitsangeboten hat auswählen können. Die bessere Verhandlungsposition hat fast immer der Arbeitgeber. Seit geraumer Zeit gelten auch im Arbeitsrecht verbindliche Mindeststandards, z. B. in den Bereichen – Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – Erholungsurlaub, – Kündigung, die bei Arbeitsverträgen eingehalten werden müssen. Auch hier gilt aber, wie im übrigen privaten Recht (auch Zivilrecht genannt), dass es am Ende dem Betroffenen, also z. B. dem Arbeitnehmer selbst überlassen ist, seine Rechte geltend zu machen. Der Staat nimmt dem Arbeitnehmer das Vorgehen gegen eine rechtswidrige Kündigung oder die Durchsetzung des vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnfortzahlungsanspruchs nicht ab. Insofern bleibt die Privatautonomie als wesentliches Kennzeichen des Zivilrechts gewahrt.
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2.2.3
2 Grundlagen des Rechts
Die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes
Die Grundsätze der austeilenden und ausgleichenden Gerechtigkeit und der Gedanke der Gleichheit bestimmen die Gerechtigkeitsvorstellungen sowohl in der Gesetzgebung selbst als auch in der Anwendung der Gesetze durch Juristen und Gerichte. Gleiches soll gleich, Ungleiches ungleich behandelt werden. Wenn gleichwohl drei Juristen zu einem Problem fünf verschiedene Meinungen vertreten, liegt das daran, dass weder Aristoteles noch andere Philosophen einen archimedischen Punkt für die Bewertung von Gleichheit und Ungleichheit und Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit bieten. Sind alle Menschen als Menschen gleich oder gibt es Menschen, Barbaren und Sklaven und rechtfertigt das Unterschiede in der Gewährung von Rechten? Aristoteles hat darin (noch) kein Problem gesehen, heute gehen wir selbstverständlich von der Gleichheit aller Menschen aus. Ob Umstände, Personen, Sachen etc. als gleich betrachtet werden oder wegen der Unterschiede als ungleich, hängt wesentlich vom eigenen Standpunkt und der daraus folgenden Sichtweise und der Bewertung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede ab. Äpfel und Birnen sind sowohl gleich (Obst, Familie der Rosengewächse, Vitaminträger) als auch ungleich (Form, Geschmack). Ob die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede für die Entscheidung wesentlich sind, hängt vom Standpunkt des Betrachters, von seinen Interessen, den Umständen und anderen Faktoren ab. Juristen halten sich viel darauf zugute, Wesentliches vom Unwesentlichen unterscheiden zu können – ihre Entscheidung weicht aber oft genug vom Empfinden des Normalbürgers ab und wird deshalb von diesem nicht verstanden und auch nicht nachvollzogen. Auch der Grad der Freiwilligkeit beim Abschluss eines Vertrages, insbesondere eines Arbeitsvertrags wird schon von den Beteiligten, erst recht aber von Außenstehenden bzw. von Juristen sehr unterschiedlich eingeschätzt. Auch im Wandel der Zeiten können sich die Ansichten erheblich ändern. In sehr vielen Fällen führt ein Blick ins Gesetz unmittelbar zur Lösung und es gibt keine wirklichen Meinungsverschiedenheiten. Das Gesetz passt genau auf den Fall. Oder etwa nicht? Die Arbeitsweise der Juristen orientiert sich daran, dass das Gesetz ein willkürfreies System schafft, das Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt. Aus diesem Grund gibt aber fast jeder Fall Anlass darüber nachzudenken, ob sich bestimmte Aspekte nicht so vom Standardfall des Gesetzes unterscheiden, dass die gesetzliche Lösung u. U. nicht mehr passt. Dann sucht der Jurist nach Parallelfällen, nach ähnlichen Interessenlagen, die der Gesetzgeber an anderer Stelle geregelt hat, die Schlüsse auf einen anderen Lösungsweg zulassen. Einfallstore für Meinungsverschiedenheiten sind auch Begriffe wie „gute Sitten“, „Rechtsempfinden aller billig und gerecht Denkenden“, „wichtiger Grund“, „Unzumutbarkeit“. Der Gesetzgeber verwendet häufig solche offenen, interpretationsbedürftigen Begriffe, die von Juristen als sog. unbestimmte Rechtsbegriffe angesehen werden, deren konkreter Inhalt durch Auslegung ermittelt werden muss. Dabei kann es vorkommen, dass sich im Laufe der Jahre die Interpretation eines bestimmten Begriffes und die Entscheidung einschlägiger Fälle vollkommen ändern, obwohl der Gesetzeswortlaut nicht geändert worden ist. Dies macht Rechtsvorschriften zu einem hochflexiblen Instrument der Regulierung von Konflikten, löst aber bei Nichtjuristen Misstrauen gegenüber der Vorhersehbarkeit von Entscheidungen aus.
3
Das Arbeitsrecht als Rechtsgebiet – Grundlagen des Arbeitsrechts
3.1
Gesetze und Verordnungen
Das Arbeitsrecht ist als Rechtsgebiet eine relativ junge Erscheinung. Erst mit der Industrialisierung und der Etablierung stark arbeitsteiliger Produktionsformen ergab sich eine wesentliche Zahl von Personen, die nicht aufgrund ihrer Einbindung in mehr oder weniger paternalistische Strukturen (Leibeigene in der Landwirtschaft, Gesellen im Handwerk), sondern auf der Basis individueller Regelungen in eine fremde (Betriebs-)Organisation eingebunden Dienste leisten. Die freien Kräfte des Marktes führten binnen kurzer Zeit zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Form extremer Arbeitszeiten bei nicht existenzsichernden Löhnen und Kinderarbeit. Die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen wurde staatlicherseits beschränkt, als deutlich wurde, dass aus den industrialisierten Bezirken Preußens keine körperlich tauglichen Rekruten zum Militär mehr eingezogen werden konnten. Beschäftigungsverbote für Kinder, Jugendliche und Schwangere sind folgerichtig der Beginn eines zur Wahrung der Gemeinschaftsinteressen vom Staat gesetzten Ordnungsrahmens. Dieser Ordnungsrahmen ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts ständig erweitert worden. Das so entstandene Rechtsgebiet des Arbeitsschutzrechts ist öffentliches Recht. Weder Unternehmer noch Beschäftigte können sich über diese Vorschriften hinwegsetzen. Die Einhaltung der Vorschriften wird (nicht immer mit der wünschenswerten Konsequenz) vom Staat kontrolliert und durchgesetzt. Festgestellte Verstöße werden mit Strafen oder Bußgeldern geahndet. Produktionsanlagen, die den Vorschriften nicht entsprechen, können vom Staat stillgelegt werden. Im Bereich der Unfallverhütung und der Vorbeugung vor Berufskrankheiten sind die Berufsgenossenschaften als öffentlich-rechtlich organisierte Versicherungsträger zwar keine unmittelbar staatliche Einrichtung, trotzdem sind sie aber befugt, den schutzrechtlichen Ordnungsrahmen im einzelnen Betrieb durchzusetzen. Ob ein Arbeitsverhältnis überhaupt begonnen oder beendet werden soll und welchen Inhalt es im Einzelnen hat, ist dagegen nach wie vor grundsätzlich dem freien Willen der Beteiligten überlassen. Das Recht der Arbeitsverhältnisse ist Teil des Privatrechts. Wegen des sozialen Ungleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gibt es heute zahlreiche
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3 Das Arbeitsrecht als Rechtsgebiet – Grundlagen des Arbeitsrechts
gesetzliche Vorschriften über privatrechtliche Mindeststandards, die zusammengefasst als Arbeitsverhältnisrecht oder Individualarbeitsrecht bezeichnet werden. An den Arbeitnehmerstatus knüpfen auch zahlreiche sozialrechtliche Vorschriften (z. B. Versicherungspflicht in Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-, Pflege-, Unfallversicherung) an. Regelungsinstrumentarium für das Arbeitsschutzrecht und die Mindestanforderungen an den Inhalt der Arbeitsverhältnisse sind vor allem Gesetze. Neben den vom Bundestag und den Länderparlamenten geschaffenen Gesetzen ist internationales Recht zu beachten: Der EUVertrag regelt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EUV) und verbietet geschlechtsbezogene Entgeltdifferenzierung (Art. 141 EUV). Die EU kann Verordnungen erlassen, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar gelten (Art. 141 Abs. 2 EUV), z. B. die Freizügigkeitsverordnung. Daneben wird die EU durch Richtlinien tätig, die die Mitgliedsstaaten verpflichten, ihr nationales Recht binnen bestimmter Fristen anzupassen (z. B. Gleichstellungsrichtlinie, Betriebsübergangsrichtlinie). Weiterhin sind Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Sozialcharta zu beachten. Die Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht liegt in der Bundesrepublik Deutschland beim Bund (Art. 74 I Nr. 12 GG). Die Bundesländer können Gesetze nur erlassen, soweit der Bund von seiner Regelungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat (z. B. in Bezug auf Weiterbildung und Bildungsurlaub). Alle Gesetze werden vom Bundestag bzw. den Landesparlamenten beschlossen. Um die Gesetze von Detailregelungen zu entlasten und schneller auf Entwicklungen reagieren zu können, regeln die Parlamente im Gesetz in vielen Fällen nur die Grundsätze und überlassen der Regierung die Regelung von Einzelheiten durch Rechtsverordnungen. Eine Rechtsverordnung der Regierung ist ohne eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Internationales Recht, Gesetze und Verordnungen sind Rechtsnormen, weil sie für eine unbestimmte Vielzahl von Anwendungsfällen gelten. Sie definieren einen Soll-Zustand und enthalten auch Regelungen über die Folgen von Abweichungen (das unterscheidet sie von den technischen DIN Normen). Seit 1959 bestehen Planungen für ein Arbeitsgesetzbuch, das die außerordentlich verstreut geregelte Materie zusammenfasst und übersichtlich regeln soll. Da die politische Ausrichtung eines solchen Gesetzgebungsvorhabens heftigst umstritten ist, gibt es bis heute kein Arbeitsgesetzbuch. Das führt dazu, dass in bestimmten Bereichen, in denen auf Regelungen trotz der Untätigkeit des Gesetzgebers nicht verzichtet werden kann, die Arbeitsgerichte im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung die notwendigen Regeln aufgestellt und die gesetzgeberische Lücke geschlossen haben. Das gilt z. B. für weite Bereiche des Arbeitskampfrechts. Die Praxis kann mit den vom Bundesarbeitsgericht geschaffenen Regeln offenbar gut leben, so dass der Druck auf den Gesetzgeber, die Materie durch Gesetz zu regeln nicht allzu groß ist.
3.2 Tarifverträge
3.2
17
Tarifverträge
Da der Staat bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund der herrschenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht bereit war, die eindeutig asymmetrische Verhandlungsposition der Arbeiter im Arbeitsvertragsrecht durch Vorgabe von Mindeststandards zu stärken, waren die Arbeiter gezwungen, ihre Lage durch eigene Maßnahmen zu verbessern. Die evidente Unterlegenheit des einzelnen Arbeiters konnte dann gemildert werden, wenn sich die Arbeiter zu größeren Gruppen zusammenschlossen. Die Arbeitsverweigerung ganzer Belegschaften war durchaus geeignet, die Unternehmerseite zu Kompromissen bei Arbeitszeit, Entlohnung etc. zu veranlassen. Die Verstetigung der Organisation der Arbeiter führte anknüpfend an die handwerklichen Gesellenvereine zur Bildung von Gewerkschaften für bestimmte Berufsgruppen, die mit den Vertretern der Arbeitgeber Vereinbarungen über die Gestaltung der Arbeitsverträge schlossen (Tarifverträge). Die Gewerkschaften wurden 1933 nach der nationalsozialistischen Machtergreifung aufgelöst. Gewerkschaftliche Betätigung war verboten. Der Interessengegensatz von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wurde von den Nationalsozialisten, die von einer Arbeitnehmer und Arbeitgeber umfassenden Volksgemeinschaft ausgingen, geleugnet. Auch in den Betrieben wurde das Führerprinzip eingeführt. Die Arbeitnehmer schuldeten dem Unternehmer als Führer uneingeschränkten Gehorsam, der Führer seiner Gefolgschaft Schutz und Fürsorge. Bei der Wiedergründung von Gewerkschaften im Jahre 1945 wurde das Berufsverbandprinzip als Organisationsgrundlage aufgegeben. Es entstanden im Bereich des Deutschen Gewerkschaftsbundes große Industriegewerkschaften, die ihre Zuständigkeit nach Branchen statt nach Ausbildungsberufen abgrenzten. Hierdurch standen den Arbeitgebern nicht mehr verschiedene, sondern im Bereich des Deutschen Gewerkschaftsbundes nur jeweils eine, daneben nur die wenig bedeutsamen kleineren Gewerkschaften außerhalb des DGB gegenüber. In den neunziger Jahren schlossen sich verschiedene kleinere Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund zu Großgewerkschaften zusammen. Hervorzuheben ist die Bildung der Gewerkschaft Ver.di für den öffentlichen Dienst und den privaten Dienstleistungssektor unter Integration der Deutschen Angestelltengewerkschaft, die dem Deutschen Gewerkschaftsbund nicht angehörte, aber gerade in den Dienstleistungsbranchen eine erhebliche Bedeutung hatte. In jüngerer Zeit ist ein Trend zur Bildung kleiner Spezialberufsverbände durch solche Arbeitnehmergruppen festzustellen, die aufgrund ihrer Stellung im Betrieb ein hohes Drohpotenzial aufweisen (Lokführer, Piloten, Ärzte) und deshalb für ihre Mitglieder Tarifverträge mit relativ günstigeren Beschäftigungsbedingungen durchsetzen können als die für die Masse der Beschäftigten zuständigen Großgewerkschaften. Der Tarifvertrag ist heute als Instrument der Formulierung von Mindeststandards für Arbeitsbedingungen anerkannt und gesetzlich geregelt. Tarifverträge gelten in 39% der Betriebe und erfassen noch 70% aller Beschäftigten. Sie sind deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung. Der Tarifvertrag ist gem. § 1, 2 TVG ein Vertrag zwischen einzelnen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden einerseits und einer Gewerkschaft andererseits. Das TVG erkennt nicht jede Vereinigung von Arbeitnehmern, die Tarifverträge abschließen möchte, als Gewerkschaft an. Eine Koalition (Gewerkschaft oder Arbeitgeberverband) i. S. des TVG bzw. Art 9 III GG setzt voraus:
18 – – – – – –
3 Das Arbeitsrecht als Rechtsgebiet – Grundlagen des Arbeitsrechts Eine auf Dauer angelegte Vereinigung auf der Basis freiwilliger Mitgliedschaft mit organisierter Willensbildung Einen Zusammenschluss als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber gerade als solcher Zum Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Gegnerunabhängigkeit Demokratische Binnenstruktur Tarifabschlussbereitschaft
Soziale Mächtigkeit, also Größe und Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der Arbeitgeberseite ist keine Voraussetzung für die Anerkennung als Koalition i. S. des Grundgesetzes und den Schutz gewerkschaftlicher Betätigung ihrer Mitglieder, wohl aber Voraussetzung für die Möglichkeit einer Arbeitnehmerkoalition, rechtmäßig zum Streik aufzurufen. Auf der Arbeitgeberseite kann ein einzelner Arbeitgeber oder ein Arbeitgeberverband Partei eines Tarifvertrages sein. Arbeitgeberverbände sind ähnlich wie Gewerkschaften nach Branchen (Metall, Chemie, Bau, Personenbeförderung, Bewachungsgewerbe usw.) organisiert. Die Differenzierung zwischen einzelnen Branchen geht aber deutlich weiter als auf der Gewerkschaftsseite. Darüber hinaus sind die Verbandsgebiete regional aufgeteilt, so dass z. T. auch innerhalb einer Branche für ein Bundesland mehrere Arbeitgeberverbände bestehen. Für das Zustandekommen und den Inhalt von Tarifverträgen gilt der Grundsatz der Tarifautonomie. Die Tarifvertragsparteien sind für den Inhalt der Tarifverträge selbst verantwortlich. Der Staat bzw. die jeweilige Regierung darf den konkreten Inhalt tarifvertraglicher Vereinbarungen nicht durch Gesetze verbindlich vorschreiben und muss sich auch in Arbeitskämpfen neutral verhalten. Politische Äußerungen über wünschenswerte Inhalte (z. B. Mahnung zu Lohnzurückhaltung) sind für die Tarifvertragsparteien nicht verbindlich. Ein Tarifvertrag mit einem Arbeitgeberverband erfasst stets mehrere Unternehmen in einer Teilfläche der Bundesrepublik. Er wird deshalb auch als Flächentarifvertrag bezeichnet. Aus Arbeitgebersicht wird gegen den Flächentarifvertrag eingewandt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse einer Branche so differenziert sein können, dass die wirtschaftlichen Folgen eines Tarifvertrages von einem Teil der Mitglieder des Arbeitgeberverbandes nicht bewältigt werden können. Arbeitgeberverbände fordern aus diesem Grund die Abkehr vom Flächentarifvertrag, indem durch sog. Öffnungsklauseln ermöglicht wird für einzelne Betriebe bzw. Unternehmen vom Tarifvertrag abweichende (d. h. für die Arbeitnehmer schlechtere) Inhalte zu vereinbaren. Weitgehende Öffnungsklauseln von Flächentarifverträgen verwischen den Unterschied des mit einem Arbeitgeberverband geschlossenen Tarifvertrags zu dem mit einem einzigen Arbeitgeber geschlossenen Haustarifvertrag. Solche unternehmensspezifischen Tarifverträge sind für große Unternehmen mit einer hohen Zahl von Beschäftigten sinnvoll. Je kleiner das betroffene Unternehmen und je schwieriger dessen wirtschaftliche Lage, desto weniger wird die Belegschaft in der Lage sein, aus ihrem kollektiven Handeln Druck gegenüber dem Unternehmen zu erzeugen, um Tarifforderungen durchzusetzen. Für die Gewerkschaften problematisch ist, dass es die Belegschaft selbst sein kann, die einen Tarifvertrag ablehnt, weil ihr der Erhalt der Arbeitsplätze trotz Lohneinbußen wertvoller erscheint als Entlassung und Arbeitslosigkeit. Verweigern sich die Gewerkschaften andererseits den Öffnungsklauseln,
3.2 Tarifverträge
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kann dies den Austritt von Arbeitgebern aus ihrem Verband provozieren, so dass der Flächentarifvertrag für immer weniger in seinem regionalen Bereich arbeitende Beschäftigte gilt. Schon jetzt gibt es insbesondere im Dienstleistungssektor und in den neuen Bundesländern Branchen, in denen die Mitgliedschaft eines Arbeitgebers in einem tarifvertragsschließenden Verband eher die Ausnahme ist. Ein Tarifvertrag enthält einerseits Verpflichtungen, die nur zwischen den Vertragsparteien, also der jeweiligen Gewerkschaft und dem Arbeitgeber (-verband) eine Rolle spielen (§ 1 TVG). Hervorzuheben ist vor allem die Friedenspflicht. Während der Laufzeit eines Tarifvertrags dürfen weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften Arbeitskampfmaßnahmen zu Fragen organisieren, die in dem Tarifvertrag geregelt sind. Andererseits enthält der Tarifvertrag sog. normative Regelungen über – – –
Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen (Individualnormen), Bestimmungen, die betriebliche Fragen betreffen (Betriebsnormen) oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen (betriebsverfassungsrechtliche Normen).
Die Individualnormen des Tarifvertrags wirken auf die erfassten Arbeitsverhältnisse ähnlich wie ein Gesetz oder eine Verordnung. Ändert sich der Tarifvertrag, ändert sich automatisch der Inhalt der von ihm erfassten Arbeitsverhältnisse. Eine Lohnerhöhung wird von der Lohnbuchhaltung des Arbeitgebers umgesetzt, ohne dass dies von Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch extra durch Änderung des Arbeitsvertrags vereinbart werden müsste. Während das Gesetz oder die Rechtsverordnung automatisch für alle Arbeitsverhältnisse gilt, wirken sich Tarifverträge jedoch nur für solche Arbeitsverhältnisse aus, bei denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an den Tarifvertrag gebunden sind, weil sie als Arbeitgeber den Tarifvertrag selbst abgeschlossen haben oder dem abschließenden Arbeitgeberverband angehören bzw. als Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft sind, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Insbesondere Arbeitgeber könnten versuchen, die Bindung an einen nicht mehr ihren Interessen entsprechenden Tarifvertrag durch Austritt aus dem Arbeitgeberverband zu beenden. Das ist jedoch nicht möglich. Der Tarifvertrag gilt gem. § 3 TVG sowohl bei Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband als auch bei Austritt des Arbeitnehmers aus der Gewerkschaft für das Arbeitsverhältnis weiter, bis er durch Ende der vereinbarten Laufzeit oder Kündigung durch Arbeitgeber(verband) oder Gewerkschaft endet. Nach einer Kündigung gilt der Tarifvertrag noch für alle bis zum Ende der Kündigungsfrist neu eingestellten Arbeitnehmer, wenn sie Gewerkschaftsmitglied sind. Er gilt für bereits bestehende Arbeitsverhältnisse, wenn bisher gewerkschaftslose Arbeitnehmer vor Ablauf der Kündigungsfrist der Gewerkschaft beitreten. Auch mit dem Ende des Tarifvertrags aufgrund Zeitablaufs oder Ablaufs der Kündigungsfrist tritt kein rechtloser Zustand ein. Gem. § 4 Abs. 5 TVG gelten die normativen Regelungen des Tarifvertrags weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Sie erfassen allerdings nicht mehr die nach Ende des Tarifvertrags neu abgeschlossenen Arbeitsverträge, gelten also nicht mehr für neu eingestellte Mitarbeiter und nicht für Mitarbeiter, die erst nach Ende des Tarifvertrags der Gewerkschaft beitreten. Gesichert bleibt durch die sog. Nachwirkung der Tarifverträge nur der Status quo der Arbeitsverträge. Die betroffenen Arbeitnehmer nehmen an der Produktivitätsentwicklung und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung
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3 Das Arbeitsrecht als Rechtsgebiet – Grundlagen des Arbeitsrechts
nicht mehr teil. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen kann nur durch einen neuen Tarifvertrag oder durch individuelle Vertragsverhandlungen der einzelnen Arbeitnehmer durchgesetzt werden. Tarifverträge gelten ausnahmsweise unabhängig von Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften wie Gesetze oder Verordnungen für alle Arbeitsverhältnisse, wenn sie gem. § 5 TVG von der Bundesregierung für allgemein verbindlich erklärt worden sind. Das ist z. B. in den Branchen Bau, Handel und Verlagswesen, sowie Postdienste der Fall. Voraussetzung ist nach § 5 Abs. 1 TVG – – –
–
der Antrag einer Tarifvertragspartei, die Zustimmung eines Ausschusses aus je drei Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, im Tarifgebiet eine Beschäftigung von mehr als 50% der vom Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer durch tarifgebundene Unternehmen und Erforderlichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung im öffentlichen Interesse oder die Behebung eines sozialen Notstands.
Der Tarifvertrag hat wie das Gesetz die Aufgabe Mindeststandards für die Beschäftigungsbedingungen zu sichern. Vom Tarifvertrag können die Mitglieder der Gewerkschaften und die tarifgebundenen Arbeitgeber deshalb gem. § 4 Abs. 3 TVG abweichen, wenn das entweder im Tarifvertrag vorgesehen ist (Öffnungsklausel) oder die Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers erfolgt, also übertarifliche Leistungen des Arbeitgebers z. B. in Bezug auf Lohn, Urlaub, Kündigungsfristen vereinbart werden. Die Bewertung, ob eine einzelvertragliche Regelung günstiger ist, erfordert einen Vergleich des einzelnen Arbeitsvertrags mit dem Tarifvertrag. Dabei werden einzelne Themenbereiche zu sog. Sachgruppen zusammengefasst. Verglichen werden jeweils Regelungen zur Arbeitszeit, zum Lohn und zu den Kündigungsfristen. Eine gegenüber dem Tarifvertrag kürzere Kündigungsfrist kann nicht durch eine höhere Entlohnung, sondern nur durch spezifische im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehende Vergünstigungen kompensiert werden. Die Gesamtmaterie der Beziehungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird üblicherweise nicht in einem Tarifvertrag geregelt, sondern auf mehrere Tarifverträge aufgeteilt: –
–
Im sog. Manteltarifvertrag werden Grundsatzangelegenheiten wie z. B. Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, Urlaubsdauer, Bewertung von Bereitschaftsdienstzeiten, Kündigungsfristen vereinbart. Solche Tarifverträge sind auf eine längere Laufzeit angelegt. Die Höhe der Vergütung dagegen wird in Vergütungstarifverträgen mit kürzerer Laufzeit festgelegt. Sowohl Regelungen der Manteltarifverträge als auch der Vergütungstarifverträge haben erhebliche Auswirkungen auf die Personalkosten.
Tarifverträge erfassen meist nicht Personal, das in herausgehobener Stellung tätig ist. Ist im Arbeitsvertrag ein Entgelt vereinbart, das oberhalb der höchsten tariflichen Vergütung liegt, gilt der Tarifvertrag nicht mehr. Der Arbeitnehmer ist außertariflicher Angestellter. Abgesehen vom öffentlichen Dienst wächst der Hochschulabsolvent als Arbeitnehmer meist innerhalb weniger Jahre aus dem Vergütungsgefüge der Tarifverträge hinaus und muss dann seine
3.3 Betriebsvereinbarungen
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Interessen als außertariflicher Angestellter gegenüber dem Arbeitgeber allein vertreten. Arbeitnehmer mit akademischer Qualifikation sind wegen ihrer ursprünglich deutlich arbeitgebernahen Stellung im Betrieb zunächst nicht die Zielgruppe gewerkschaftlicher Bemühungen gewesen. Den Gewerkschaften ist es trotz der zunehmenden Akademisierung der Beschäftigungsstruktur überwiegend nicht gelungen, die Arbeitsbedingungen der Hochschulabsolventen über den Berufsanfänger hinaus systematisch in die Vergütungstarifverträge und damit in die Geltung der Tarifverträge überhaupt einzubeziehen. Statt es im Falle fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bei den gesetzlichen Mindeststandards zu belassen oder ausführliche Sonderregelungen in die Arbeitsverträge aufzunehmen, können es sich die Beteiligten auch leichter machen und vereinbaren, dass bestimmte Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind. Die Geltung der Tarifvertragsregelung folgt dann aber nicht aus dem Normgeltungsanspruch des Tarifvertrags, sondern aus dem freien Willen, aus der Privatautonomie von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. So kann bei den außertariflichen Angestellten und bei den Arbeitnehmern verfahren werden, für die der Tarifvertrag wegen fehlender Gewerkschaftszugehörigkeit nicht gilt. Da dem Arbeitgeber die Gewerkschaftszugehörigkeit seiner Arbeitnehmer meist nicht bekannt ist und er danach auch nicht fragen darf, wird meist auch in den Arbeitsverträgen für tariflich erfasste Tätigkeiten vorsorglich die Geltung bestimmter Tarifverträge standardmäßig vereinbart. Ähnlich verfahren rund 55% der Arbeitgeber, die wegen fehlender Zugehörigkeit zu einem Arbeitgeberverband nicht unmittelbar tarifgebunden sind. Über die einzelvertragliche Vereinbarung gewinnen Tarifverträge deshalb auch für einen erheblichen Teil der nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse Bedeutung; letztlich sind nur 15% aller Beschäftigten in Deutschland von Tarifverträgen unberührt.
3.3
Betriebsvereinbarungen
Nicht alle Aspekte des Arbeitsverhältnisses können im Tarifvertrag geregelt werden, auch wenn sie für den Arbeitsalltag und damit für den Arbeitnehmer von großer Bedeutung sind. Seit 1920 existieren Mitarbeitervertretungen, die bei zahlreichen betrieblichen Fragen zu beteiligen sind. Auf der Unternehmensebene sind die Arbeitnehmer aufgrund des MitbestG seit 1976 in den großen Unternehmen in den Aufsichtsräten, im Vorstand der Aktiengesellschaften durch einen Arbeitsdirektor vertreten. Diese Ebene der Mitbestimmung verfolgt weniger das Ziel des individuellen Schutzes des einzelnen Arbeitnehmers vor Überlegenheit des Arbeitgebers, sondern gesellschaftspolitische Ziele der Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital. § 1 BetrVG sieht vor, dass in Betrieben (d. h. einer organisatorischen, mit Personalentscheidungskompetenz ausgestatteten Einheit zur Verwirklichung eines arbeitstechnischen Zwecks mit Betriebsmitteln) mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten, davon drei wählbaren Personen, Betriebsräte gewählt werden. Es besteht keine Pflicht zur Einrichtung eines Betriebsrats. Die Initiative zur erstmaligen Wahl eines Betriebsrats geht von einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft oder drei wahlberechtigten Mitarbeitern des Betriebs aus, § 17 Abs. 3 BetrVG. Eher patriarchalisch geführte Unternehmen scheuen z. T. die Ein-
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3 Das Arbeitsrecht als Rechtsgebiet – Grundlagen des Arbeitsrechts
richtung eines Betriebsrats, weil über den Betriebsrat eine Einflussnahme der Gewerkschaft auf unternehmerische Entscheidungen befürchtet und eine Beteiligung der Mitarbeiter an unternehmerischen Entscheidungen nicht gewünscht wird. Dies ist eine eher kurzsichtige Betrachtungsweise. Die Existenz eines Betriebsrats bietet die Möglichkeit, aus Betroffenen Beteiligte zu machen und das Personal in die Unternehmensentscheidungen einzubinden. Das ist Voraussetzung für die Erhaltung und Mehrung des Humankapitals des Unternehmens. Wer auf Betriebsräte verzichten will, sollte adäquate oder bessere Beteiligungsmechanismen anbieten können. Für die Mitarbeiter ist die Existenz eines Betriebsrats Voraussetzung für die Ausübung der Beteiligungsrechte nach dem BetrVG. Für leitende Angestellte, also Mitarbeiter, die zu selbstständigen Personalentscheidungen befugt sind, besteht mit den Sprecherausschüssen eine eigenständige Interessenvertretung gegenüber dem Arbeitgeber. Arbeitgeber und Betriebsrat sind zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Sie wirken dabei mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und mit den Arbeitgebervereinigungen zusammen (§ 2 BetrVG). Die Tätigkeit der Betriebsratsmitglieder ist ehrenamtlich. Sie werden von der Arbeitsleistung befreit bzw. von der Arbeit freigestellt. Die Vergütung wird weitergezahlt (Lohnausfallprinzip). Die betriebsübliche Gehaltsentwicklung ist sicherzustellen (§ 17 Abs. 4 BetrVG). Betriebsratsmitglieder genießen besonderen Kündigungsschutz. Die ordentliche Kündigung der Mitglieder des Betriebsrats ist gem. § 15 KSchG nur bei einer Betriebsstilllegung zulässig. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sind abgestuft und reichen vom bloßen Anspruch auf Unterrichtung (§§ 80 Abs. 2, 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) bis zu Maßnahmen, die vom Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Betriebsrats (§ 99 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) durchgeführt werden können. Arbeitgeber und Betriebsrat können gem. § 77 Abs. 2 BetrVG sog. Betriebsvereinbarungen abschließen. Es handelt sich um einen Vertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Ähnlich wie ein Tarifvertrag kann auch die Betriebsvereinbarung normative Bestimmungen enthalten. Solche Regelungen gelten für die einzelnen Arbeitsverhältnisse gem. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend. Mit dem Abschluss der Betriebsvereinbarung bzw. deren Änderung ändert sich automatisch der Inhalt der betroffenen Arbeitsverhältnisse, ohne dass die Arbeitsverträge ausdrücklich angepasst werden müssen. Durch die Betriebsvereinbarung werden üblicherweise z. B. Fragen der Arbeitszeitsysteme des Betriebs, zusätzliche Vergütungsleistungen, Urlaubsfragen, Leistungen des Betriebs im sozialen Bereich, Fragen von Fort- und Weiterbildung, aber auch der Verzicht des Arbeitgebers auf betriebsbedingte Kündigungen geregelt. Wie bei Tarifverträgen stellt sich die Frage des Verhältnisses der Betriebsvereinbarung zu Gesetzen und Verordnungen. Betriebsvereinbarungen dürfen wie Tarifverträge Abweichungen vorsehen, die für den Arbeitnehmer vorteilhaft sind, also oberhalb der gesetzlichen Mindeststandards liegen. Schwieriger ist das Verhältnis der Betriebsvereinbarung zum Tarifvertrag. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG begründet eine sog. Tarifsperre. Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Der Betriebsrat hat weder die Funktion noch die Unabhängigkeit einer Gewerkschaft und soll nicht in Bereichen konkurrieren, die von den Gewerkschaften durch Tarifvertrag abgedeckt sind, es sei denn die Tarifvertragsparteien würden dies ausnahmsweise durch eine betriebliche Öffnungsklausel
3.3 Betriebsvereinbarungen
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(§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG) gestatten. Andererseits muss die Betriebsvereinbarung stärker als der Tarifvertrag auch die individuellen Rechte der einzelnen Arbeitnehmer respektieren, da sich der betroffene Arbeitnehmer der Geltung der Betriebsvereinbarung anders als beim Tarifvertrag nicht entziehen kann. Die Bindung an einen Tarifvertrag kann ggf. durch Austritt aus der Gewerkschaft verhindert oder aufgelöst werden. Bei einer Betriebsvereinbarung ist das nur durch Austritt aus dem Betrieb, also meist durch Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses möglich. Dem Betriebsrat stehen für die Durchsetzung der Belegschaftsinteressen in Bezug auf Betriebsvereinbarungen keine gewerkschaftlichen Druckmittel zur Verfügung. Eine Betriebsvereinbarung kann nicht mit einer Arbeitsniederlegung der Belegschaft erzwungen werden. Maßnahmen des Arbeitskampfes sind zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber gem. § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG unzulässig. Gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Betriebsrat mit der Unternehmensleitung verhandeln. In Bereichen zwingender Mitbestimmung (vgl. § 87 Abs. 1 BetrVG) kann der Arbeitgeber oder der Betriebsrat die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) anrufen. Deren Entscheidung ersetzt gem. § 87 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die nicht zustande gekommene Betriebsvereinbarung.
4
Die Personalbeschaffung
Integraler Bestandteil der Unternehmensplanung ist die Personalbedarfsplanung. Die Personalbedarfsplanung prognostiziert einen Soll-Personalbestand und stellt diesem einen festgestellten oder ebenfalls prognostizierten Ist-Personalbestand mit dem Ziel gegenüber, Maßnahmen zur Angleichung sowohl in qualitativer als auch quantitativer, zeitlicher oder räumlicher Sicht einzuleiten. Zu den Maßnahmen gehören vor allem Personalbeschaffung, Personalentwicklung und Personalversetzung bzw. -freisetzung. Ziele der Personalbedarfsplanung sind neben der Wirtschaftlichkeit (nicht zu viel Personal), die Leistungssicherung (genügend Personal) und auch die Anpassungs- und Innovationsfähigkeit (z. B. Flexibilität im Einsatz). Zur quantitativen Personalplanung werden häufig Methoden eingesetzt, die – auf Basis von Erfahrungs- oder Vergleichswerten – ausgehend von der zu erbringenden Leistungsmenge den Personalbedarf nicht nur im produktiven, sondern auch im administrativen und Leitungsbereich vorhersagen. Neben diesen summarischen Verfahren werden auch analytische Verfahren eingesetzt, die auf Basis von zumeist sehr kleinschrittigen Arbeits- und Zeitstudien einzelner Verrichtungen den Personalbedarf ermitteln. Im Idealfall wird die Personalbedarfsplanung direkt aus der Unternehmensstrategie abgeleitet und mit ihr abgestimmt. Die Dynamik des Wirtschaftslebens erschwert jedoch häufig eine verlässliche Unternehmensplanung, so dass oft von Seiten des Personalmanagements Anpassungsmaßnahmen getroffen werden müssen, um kurzfristig Personal zu beschaffen oder freizusetzen. Von daher gibt es auch Ansätze, die eine eher ressourcenorientierte Personalbedarfsplanung favorisieren: Statt den Personalbedarf aus der Strategie abzuleiten, soll die Strategie dem Personal folgen. Es wird qualifiziert Personal beschafft, für das dann wertschöpfende Aufgaben definiert werden. Interaktive Absätze der Personalbedarfsplanung verknüpfen beide Ideen, in dem sie nicht nur reaktiv den Personalbestand den Entwicklungen des Marktes folgen sondern auch gleichzeitig fragen, welche weiteren bzw. neuen Aufgaben mit dem vorhandenen Personal realisiert werden können. Wird ein Personalbedarf festgestellt, sind Mitarbeiter zu beschaffen, die über die entsprechenden Qualifikationen verfügen. Grundsätzlich kann die Beschaffung innerhalb oder außerhalb des Unternehmens erfolgen. Bei der internen Beschaffung greift man auf die vorhandene Belegschaft zurück und versucht die Bedarfslücke durch Mehrarbeit (Überstunden), Urlaubsverschiebungen, Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu schließen. Diese Maßnahmen verlangen keine Änderung der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse.
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4 Die Personalbeschaffung
Interne Beschaffung kann z. B. auch durch Versetzung, durch Personalentwicklung mit verbundener Karriereplanung oder durch eine interne Stellenausschreibung erfolgen. Mit diesen Maßnahmen kann eine Änderung des Beschäftigungsverhältnisses verbunden sein. Die externe Beschaffung kann über den Abschluss neuer Arbeitsverträge oder durch Personalüberlassung erfolgen. Hier gewinnen die Zeitarbeit, Leiharbeit und das Personalleasing an Bedeutung. Des Weiteren können Dienst-, Werklieferungs- oder Werkverträge abgeschlossen werden. Ob es sich empfiehlt, Stellen intern oder doch extern zu besetzten, ist nicht eindeutig entscheidbar und ist häufig auch eine Frage der Unternehmensphilosophie. Dabei gibt es empirische Befunde, die die These stützen, dass weniger erfolgreiche Unternehmen eher extern und erfolgreiche eher intern rekrutieren. Auf jeden Fall ist der Betriebsrat gem. § 92 BetrVG von der Personalplanung zu unterrichten; gem. § 92a BetrVG kann er Vorschläge zur Beschäftigungssicherung machen und gem. § 93 BetrVG verlangen, dass zu besetzende Arbeitsplätze betriebsintern ausgeschrieben werden. Für eine interne Besetzung spricht, dass das Auswahlrisiko relativ gering ist, da man den Bewerber kennt, ebenso spart man Kosten und Zeit bei der Bewerberansprache, zudem erhält man Personen, die das Unternehmen kennen. Dadurch, dass man Karriereperspektiven aufzeigen kann, reduziert sich das Fluktuationsrisiko zu Lasten des eigenen Unternehmens, was wiederum die Personalstruktur stabilisiert. Vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels und eines damit verbundenen Wettbewerbs der Arbeitgeber auf dem externen Arbeitsmarkt wächst die Bedeutung der internen Rekrutierung. Gleichwohl setzt diese immer eine einmal vorgelagerte externe Rekrutierung voraus. Eine externe Besetzung verspricht größere Auswahlmöglichkeiten, man reduziert evtl. Weiterbildungs- bzw. Qualifizierungsaufwand, wenn man passgenau besetzen kann. Bewerber, die aus anderen Unternehmen kommen, sind weniger betriebsblind und können zudem Informationen aus anderen Unternehmen mitbringen, was sich wiederum als innovationsförderlich erweisen kann. Insgesamt trägt die externe Personalbeschaffung zu einer Flexibilisierung der Personalstruktur bei. Ziel der externen Personalbeschaffung ist die Begründung eines Arbeitsverhältnisses und der Abschluss eines Arbeitsvertrags.
4.1
Das Arbeitsverhältnis als Vertrag
Die externe Personalbeschaffung erfolgt auf dem Arbeitsmarkt. Die Handlungsfreiheit der Nachfrager und Anbieter auf dem Arbeitsmarkt ist als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 GG und als Teil der Berufsfreiheit durch Art. 12 GG geschützt. Aufgrund der Privatautonomie der Beteiligten gibt es keinen unmittelbaren Zwang, eine Arbeit bei einem bestimmten Arbeitgeber anzunehmen bzw. als Arbeitgeber eine bestimmte Person einzustellen. Das Arbeitsverhältnis kommt durch die freie Entscheidung der Beteiligten zustande. Der Vertrag ist auch im Arbeitsrecht das Werkzeug, mit dem die beteiligten Indivi-
4.1 Das Arbeitsverhältnis als Vertrag
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duen ihre Handlungsfreiheit koordinieren und verbindlich Pflichten regeln und eingehen. Das Arbeitsverhältnis wird deshalb auch als Arbeitsvertrag bezeichnet.
4.1.1
Parteien des Arbeitsvertrags
Allgemeine Regelungen zum Abschluss von Verträgen und zur Bewältigung von Problemen der Vertragsdurchführung enthält das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Voraussetzung für den Abschluss eines Vertrags ist, dass auf beiden Seiten des Vertrags eine rechtsfähige Person beteiligt ist. Nicht Rechtsfähige können keine Rechte haben und auch keine Verpflichtungen eingehen. Auf der Arbeitnehmerseite ist das Kriterium unproblematisch. Aufgrund der für den Arbeitsvertrag charakteristischen Verpflichtung, persönlich Dienste zu leisten, kann ein Arbeitnehmer nur eine natürliche Person sein. Natürliche Personen sind gem. § 1 BGB immer rechtsfähig; ihre Rechtsfähigkeit beginnt mit der Geburt. Rechtsfähigkeit allein bedeutet jedoch zunächst nur, dass die Person Träger von Rechten ist und mit Verpflichtungen belastet werden kann. Für selbstständiges Handeln im Rechtsverkehr ist aber über die Rechtsfähigkeit hinaus Geschäftsfähigkeit erforderlich. Für das Arbeitsrecht bedeutsam, jedoch abgesehen von den geringfügigen Schülerjobs nur noch im Bereich der Berufsausbildungsverträge relevant, ist die beschränkte Geschäftsfähigkeit von Jugendlichen (§§ 106, 113 BGB). Volle Geschäftsfähigkeit tritt gem. § 2 BGB mit der Vollendung des 18. Lebensjahres (Volljährigkeit) ein. Arbeitgeber können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein. Letztere sind z. B. Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 13 GmbHG) und Aktiengesellschaften (§ 1 AktG). Auch die Körperschaften des öffentlichen Rechts wie Bund, Länder und Gemeinden sind juristische Personen und damit rechtsfähig. Gesellschaften des Handelsrechts wie die Offene Handelsgesellschaft (§ 124 HGB) oder Kommanditgesellschaft (§§ 161 Abs. 2, 124 HGB) können unter ihrem Namen im Rechtsverkehr auftreten und Verträge abschließen. Die juristischen Personen werden im Arbeitsrecht auch als Unternehmen bezeichnet. Da eine juristische Person als solche nicht handeln kann, wird sie bei der Abgabe von rechtlich relevanten Erklärungen gesetzlich durch ihre Organe (Vorstand, Geschäftsführer) vertreten. Die gesetzlichen Vertreter ihrerseits können sich durch andere Personen vertreten lassen, die im Namen der juristischen Person rechtlich relevante Erklärungen abgeben. So kann ein Projektleiter oder Bauleiter ohne weiteres vom Unternehmen ermächtigt werden, für das Unternehmen Verträge, also auch Arbeitsverträge abzuschließen. Wichtig ist allerdings, dass gegenüber dem Verhandlungspartner deutlich wird, dass er nicht für sich selbst, sondern für das Unternehmen handelt. Überschreitet der Vertreter seine Vollmacht, kommt ein Vertrag mit dem vertretenen Unternehmen nur zustande, wenn das „vertretene“ Unternehmen den Vertrag genehmigt. Lehnt das Unternehmen die Genehmigung ab, haftet der Vertreter gegenüber dem Vertragspartner persönlich. Eine Sonderstellung unter den Vertretern nimmt der Prokurist ein. Die Prokura berechtigt gem. § 49 HGB bis auf Grundstücksgeschäfte zur Vornahme aller für das (Handels)Geschäft erforderlichen Rechtsgeschäfte (also auch zum Abschluss von Arbeitsverträgen). Der Um-
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4 Die Personalbeschaffung
fang der Prokura kann nicht mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. Abgeschlossene Verträge bleiben für das Unternehmen verbindlich, auch wenn der Prokurist dabei seine durch unternehmensinterne Regelung begrenzten Kompetenzen überschritten hat. Eine Schadenersatzpflicht des Prokuristen besteht nur intern gegenüber dem Arbeitgeber. Die juristische Person, also das Unternehmen, kann aus mehreren Betrieben bestehen. Im Unterschied zum Unternehmen als Ganzem ist der einzelne Betrieb nicht rechtsfähig, er stellt nur eine unternehmensinterne Organisationseinheit dar, mit der ein bestimmter arbeitstechnischer Zweck verfolgt wird. Arbeitgeber ist deshalb immer das Unternehmen, es sei denn der Betrieb wird organisatorisch verselbstständigt und im Rahmen eines Konzerns einer eigenen juristischen Person zugeordnet. Mehrere Unternehmen können in einem Konzern verbunden sein. Das hat jedoch keine wesentlichen arbeitsvertragsrechtlichen Konsequenzen.
4.1.2
Vertragsschluss
Um einen Wechsel von Eigentum zu vollziehen, einander Dienste zu leisten oder ganz allgemein Interessen verbindlich durch einen Vertrag zu koordinieren, müssen die natürlichen und juristischen Personen ihre Vorstellungen bzw. ihr Wollen in einem ersten Schritt gegenüber anderen juristischen und natürlichen (Ziel)Personen artikulieren. Das BGB bezeichnet diesen Vorgang als Willenserklärung (vgl. z. B. § 116 ff. BGB). Es geht von einem Modell aus, bei dem ein Vertragspartner einem potenziellen Vertragspartner ein vollständiges Angebot unterbreitet, das alle notwendigen Aspekte eines Vertragsschlusses enthält, so dass dieser mit einem einfachen „ja“ antworten kann. Zu Teilaspekten, zu denen im Angebot nichts Ausdrückliches gesagt wird, schließt das Gesetz selbst mit seinen Regelungsangeboten die Lücke. Im Angebot über einen Vertrag muss also nichts zur Bewältigung von Leistungsstörungen oder Gewährleistungsansprüchen gesagt werden. Wer ein Angebot abgibt, ist nach Zugang der Willenserklärung bei einem potenziellen Vertragspartner an dieses Angebot gebunden. Wenn der Empfänger des Angebots einverstanden ist, nimmt er das Angebot an und gibt dies durch eine entsprechende Willenserklärung gegenüber dem Anbieter zu erkennen. Allein der Partner des Vertrags hat es in der Hand, auf das Angebot vorbehaltlos einzugehen und damit den Vertrag zustande kommen zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass im Geschäftsverkehr auch die Möglichkeit bestehen muss, unverbindlicher mit potenziellen Vertragspartnern in Verhandlungskontakt zu kommen. Die Stellenanzeige unter der Rubrik Stellenangebote in der Zeitung stellt deshalb noch keine Willenserklärung i. S. eines verbindlichen Vertragsangebots dar; somit ist ausgeschlossen, dass allein die Erklärung eines Bewerbers, die Stelle anzunehmen, dazu führt, dass eine Arbeitsvertrag abgeschlossen ist. Voraussetzung für eine Willenserklärung ist also auch, dass der Erklärende tatsächlich ein rechtlich verbindliches Angebot zum Vertragsschluss unterbreiten möchte. Die Stellenanzeige ist nur als Aufforderung an Interessenten zu verstehen, ihrerseits eine Interessenbekundung oder auch ein Angebot abzugeben und damit in Vertragsverhandlungen einzutreten. Ist der Empfänger einer ein Vertragsangebot enthaltenden Willenserklärung nicht einverstanden, wird er das Angebot entweder ablehnen – dann kommt kein Vertrag zustande - oder seinerseits formulieren, wie ein Vertrag inhaltlich aussehen sollte. In diesem Fall gilt die
4.1 Das Arbeitsverhältnis als Vertrag
29
Willenserklärung als Ablehnung des Angebots bei gleichzeitigem Gegenangebot. Das Spiel von Angebot und Ablehnung bei gleichzeitigem Gegenangebot kann sich so lange fortsetzen, bis es zu einer einfachen Annahmeerklärung einer Partei kommt. Wird ein befristetes Angebot nicht rechtzeitig angenommen, gilt die verspätete Annahme ebenfalls als neues Angebot; § 147 BGB. Im praktischen Leben wird außerhalb der einfachen Alltagsgeschäfte meist nicht nach dem Modell des BGB verfahren. Um komplexe Rechtsbeziehungen zu gestalten, wird die Gesamtthematik im Rahmen der Verhandlungen in Teilaspekte zerlegt, die ausgehandelt werden. Alle Teilergebnisse werden am Ende zu einer Gesamtregelung zusammengefügt. Auf diese Weise wird ein Vertragsentwurf entwickelt. Wird abschließend festgestellt, dass über dessen Inhalt Konsens besteht, wird der Vertrag abgeschlossen. Fehler und Irrtümer können sich schon bei der Willensbildung selbst oder danach bei der Äußerung des Willens durch die Willenserklärung ergeben. Schließlich kann es auch vorkommen, dass der Erklärungsempfänger von einem verbindlichen Angebot ausgeht, obwohl der Erklärende kein verbindliches Angebot abgeben wollte. In allen Fällen entspricht die dem Empfänger zugehende Erklärung nicht dem eigentlichen Willen des Absenders. Zum Schutz des Erklärungsempfängers, der die fehlende Übereinstimmung von Willen und Erklärung nicht erkennen kann, sind die Erklärungen mit dem Inhalt maßgeblich, den der Empfänger nach seinen Vorstellungen und dem objektiven Erklärungsinhalt zugrunde legen durfte. Anwendungsfälle sind die immer wieder auftretenden Fälle von Missverständnissen und unklaren Formulierungen, die von der einen Seite eindeutig gemeint, von der anderen Seite aber aus nachvollziehbaren Gründen anders verstanden werden. Wenn einem Ingenieur für ein in Dänemark auszuführendes Projekt ein Gehalt in Kronen angeboten wird, stellt sich die Frage, ob der Ingenieur von tschechischen Kronen ausgehen kann oder dänische Kronen vereinbart werden sollen. Eine allgemeingültige Antwort ist nicht möglich. Es kommt auf alle Umstände des Einzelfalls an. Hat der Erklärungsempfänger das Angebot angenommen, ist der Vertrag zunächst wirksam. Hat sich der Erklärende über den Inhalt der Erklärung geirrt oder wollte er eigentlich gar keine Willenserklärung abgeben, kann er die Willenserklärung gem. § 119 BGB anfechten. Ein sog. Kalkulations- oder Motivationsirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung. Bei einem solchen Irrtum stimmen Wille und Erklärung des Anbieters überein. Der Arbeitgeber wollte tatsächlich ein Gehalt von 5.000 € zahlen, weil er davon ausgegangen ist, es mit einem besonders leistungsfähigen Bewerber zu tun zu haben. Dass der Bewerber sich nach Einstellung als nicht leistungsfähig entpuppt und deshalb überbezahlt ist, betrifft nur die Motivation des Arbeitgebers zur Willenserklärung, nicht die Willenserklärung selbst. Ist die Willenserklärung wegen des Irrtums angefochten worden, muss der Anbieter einen zustande gekommenen Vertrag nicht mehr erfüllen. Er muss aber dem Erklärungsempfänger Schadensersatz leisten. Der Erklärungsempfänger wird so gestellt, als habe es die Vertragsverhandlungen nicht gegeben. Der Vertrag muss selbstverständlich auch dann nicht erfüllt werden, wenn der Wille des Vertragspartners durch arglistige Täuschung oder Drohung beeinflusst worden und aus diesem Grund angefochten worden ist; § 123 BGB. Wenn die Beteiligten übersehen haben, dass ihre Willenserklärungen gar nicht übereinstimmen, eine Einigung also gar nicht vorliegt, kommt gem. § 155 BGB ein Vertrag nur zustan-
30
4 Die Personalbeschaffung
de, wenn anzunehmen ist, dass die Beteiligten den Vertrag auch ohne die Regelung zu dem spezifischen Bereich geschlossen hätten, in dem ein Dissens vorliegt.
4.1.3
Der Arbeitsvertrag als besonderer Vertragstyp
Neben Regeln des Allgemeinen Teils und des allgemeinen Schuldrechts, die u.a. das zustande kommen von Verträgen und typische Abwicklungsprobleme unabhängig von deren konkretem Inhalt regeln, enthält das BGB im Besonderen Teil des Schuldrechts auch differenzierte Regeln für einzelne Vertragstypen. Der Arbeitsvertrag bildet dabei einen Unterfall des sog. Dienstvertrags. Ein Arbeitsvertrag setzt deshalb immer voraus, dass Gegenstand des Vertrags die Leistung von Diensten ist. Schuldet die eine Seite dagegen die Herstellung oder Veränderung einer Sache oder eines anderen durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführenden Erfolgs (§ 631 Abs 2 BGB) wird ein Werkvertrag geschlossen. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Vertragstypen besteht in der Verteilung des Erfolgsrisikos. Beim Werkvertrag ist die Vergütung allein davon abhängig, dass ein bestimmtes Arbeitsergebnis erzielt wird. Der Auftragnehmer erhält keine Vergütung, wenn es ihm nicht gelingt, den vertraglich vereinbarten Erfolg herbeizuführen. Ob der geschuldete Erfolg überhaupt und mit dem kalkulierten Aufwand zu erreichen ist, steht erst nachträglich, nämlich bei Fertigstellung des Werkes fest. Der Schuldner eines Werkvertrags geht damit ein unternehmerisches Risiko ein. Der Auftraggeber darf ihm auch nicht vorschreiben, mit welchen Arbeitsmethoden oder mit welchem Personaleinsatz die Leistung erbracht oder die Sache hergestellt werden soll. Wenn nach dem Willen der Parteien der Ersteller einer Leistung in diesem Sinne das Erfolgsrisiko tragen soll, liegt kein Dienstvertrag und damit auch kein Arbeitsvertrag vor. Der Schuldner eines Werkvertrags wird grundsätzlich selbstständig tätig und auch als Werkunternehmer bezeichnet. In der Praxis wird der Werkunternehmer natürlich versuchen sein Risiko zu minimieren, indem Leistungen im Stundenlohn gegen Nachweis abgerechnet werden. Genauso wird die Selbstständigkeit in Frage gestellt, wenn Ort und Zeit der Leistung durch den Auftraggeber genau festgelegt werden oder der Nachweis bestimmter Zertifizierungen und die Einhaltung bestimmter Verfahren vertraglich vorgeschrieben wird. Trotzdem liegt das Risiko der Leistungserstellung allein beim Werkhersteller. Die Vergütung ist absolut erfolgsabhängig. Der Dienstvertrag verpflichtet nur zur Leistung von Diensten. Die Dienstleistung ist nicht durch eine fassbare Erfolgsdimension, sondern allein durch eine zeitliche Dimension gekennzeichnet. Die vertraglich geschuldete Leistung wird als eine durchzuführende Tätigkeit beschrieben. Natürlich verfolgt der Auftraggeber mit der Tätigkeit ein bestimmtes Ziel und hat Vorstellungen vom Ergebnis der geleisteten Dienste. Ob mit der Art oder dem zeitlichen Umfang der vom Dienstnehmer zu leistenden Tätigkeit das Ziel erreicht werden kann, ist jedoch allein Risiko des Auftraggebers, nicht des Dienstleistenden. Aus diesem Grund sind Dienstverträge die typische Vertragsform, wenn Leistungen zu erbringen sind, in deren Erstellung der Auftraggeber eingebunden ist, indem er Informationen bereitstellt, Vorleistungen erbringt oder auch begleitend zur fremden Leistung eigene Leistungen beisteuert. Typi-
4.1 Das Arbeitsverhältnis als Vertrag
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sche Dienstverträge sind Verträge mit Anwälten, Steuer- und Unternehmensberatern, sowie mit EDV- Beratern. Dienstverträge werden dann zu Arbeitsverträgen, wenn die Dienste in persönlicher Abhängigkeit, d. h. weisungsgebunden und in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert geleistet werden. Das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit leistet somit innerhalb der Gruppe der Dienstverträge die Abgrenzung des Arbeitnehmers zum selbstständigen Dienstleister und zu den ebenfalls nicht als Arbeitnehmer, sondern auf der Grundlage eines selbstständigen Dienstvertrages nach § 611 BGB tätigen Geschäftsführern von GmbHs oder Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften. Diese Personen unterliegen als Unternehmensorgane nicht unmittelbar den Weisungen der Gesellschafter und sind aus diesem Grund keine Arbeitnehmer. Sie sind von den leitenden Angestellten zu unterscheiden, die zwar für den Arbeitgeber eigenständige Personalentscheidungen treffen dürfen, dabei aber im Rahmen von Arbeitsverträgen tätig werden. Persönliche Abhängigkeit ist nicht gleichbedeutend mit wirtschaftlicher Abhängigkeit. Der Millionenerbe ist wirtschaftlich unabhängig, kann aber trotzdem Arbeitnehmer sein. Der für einen Großkunden tätige Grafiker oder Webdesigner ist wirtschaftlich von diesem Auftraggeber abhängig, wird dadurch allein aber nicht zum Arbeitnehmer. Der Geschäftsführer einer GmbH ist auf das Einkommen aus dieser Tätigkeit angewiesen, wird aber wegen seiner formalen Stellung als Unternehmensorgan nicht als Arbeitnehmer angesehen. Die Weisungsgebundenheit als Merkmal persönlicher Abhängigkeit ist in manchen Arbeitsverhältnissen relativ aufgelockert. Der Fußballprofi wird nach allgemeiner Ansicht in einem Angestelltenverhältnis, also im Rahmen eines Arbeitsvertrags beschäftigt. Gleichwohl ist es mit der Möglichkeit des Arbeitgebers, während eines Spiels auf das Arbeitsverhalten des Fußballers durch Weisungen Einfluss zu nehmen, nicht weit her. Auch sonst genießen hochrangige Spezialisten (EDV-Experten, Investmentbanker, Chefärzte usw.) weitgehende inhaltliche Freiräume, weil der Arbeitgeber mangels Fachkompetenz gar nicht in der Lage ist, den Inhalt ihrer Tätigkeit durch Weisungen im Detail zu steuern. Entscheidend ist aber, dass auch in diesen Fällen immer noch ein Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Ort, Zeitpunkt und Dauer der Tätigkeit besteht. Die fehlenden Handlungsspielräume des zur Dienst- bzw. Arbeitsleistung verpflichteten Vertragspartners in Bezug auf die Modalitäten der Arbeitsleistung machen deutlich, dass eine abhängige Beschäftigung mit Eingliederung in eine betriebliche Organisation vorliegt, der sich der Beschäftigte in seinen Dispositionen fügen muss. Der selbstständige Dienstleister hat unternehmerische Freiräume und entscheidet im Großen und Ganzen selbst, wann er seine Leistungen für welchen Auftraggeber erbringt. Termine können vom Auftraggeber nicht einseitig vorgegeben werden. Sie werden zwischen Besteller der Leistung und dem Dienstleister auf gleicher Augenhöhe abgestimmt. Erst die grundsätzliche Verpflichtung, ohne Rücksicht auf persönliche Interessen und Vorlieben, je nach Ansage des Arbeitgebers u. U. höchst unterschiedliche konkrete Tätigkeiten zu Zeiten und an Orten, die vor allem dem Interesse des Arbeitgebers entsprechen, leisten zu müssen, macht aus dem selbstständigen Dienstleister einen Arbeitnehmer.
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4 Die Personalbeschaffung
Der Versuch der Arbeitgeberseite, in den 1990er Jahren Tätigkeiten, insbesondere den Absatz der Produkte aus dem Betrieb auszulagern und bisher als Arbeitnehmer Beschäftigte als selbstständige Unternehmer zu beauftragen, hat zu einer Präzisierung der Abgrenzung von Werkunternehmern bzw. selbstständigen Dienstleistern und abhängigen Arbeitnehmern geführt. Entscheidend sind auch hier die Verteilung des unternehmerischen Risikos und die Handlungsspielräume der beauftragten Personen. Sobald vertraglich geregelt ist, dass sich der „Unternehmer“ für den Auftraggeber über einen wesentlichen Teil der möglichen Arbeitszeit bereithalten und Aufträge des ausgliedernden Unternehmens sofort ausführen muss, werden dem „Unternehmer“ keine nennenswerten Handlungsspielräume mehr belassen. Sobald die Chance nicht gegeben ist, mit den vom bisherigen Arbeitgeber überlassenen Arbeitsmitteln (z. B. LKW) für neue Kunden – auch derselben Branche und in Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber – tätig zu werden, liegt nur der Schein einer Selbstständigkeit vor. Die betroffenen Personen bleiben Arbeitnehmer des Unternehmens. Der Arbeitgeber haftet für den Lohnsteuerabzug vom Lohn, die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung und muss auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zahlen. Schließlich setzt ein Dienst- und Arbeitsvertrag gem. § 611 Abs. 1 BGB noch voraus, dass eine Vergütung gezahlt wird. Unentgeltliche Dienstleistungen können nur im Rahmen anderer Vertragstypen geleistet werden; es handelt sich dann aber in keinem Fall um Dienstverträge i. S. von § 611 BGB. Der unentgeltlich beschäftigte Praktikant schließt deshalb keinen Arbeitsvertrag, sondern einen Ausbildungsvertrag, in dessen Rahmen der „Arbeitgeber“ sich zwar zur Dienstleistung Ausbildung verpflichtet, aber kein Entgelt zahlt. Für den Begriff des Arbeitsvertrags wird nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden. Die ursprüngliche Differenzierung zwischen Arbeitern (körperliche Arbeit) und Angestellten (vorwiegend geistige Arbeit) ist in den gesetzlichen arbeitsrechtlichen Regelungen aufgegeben. Die Tarifverträge haben diese Entwicklung nachvollzogen bzw. werden dies in absehbarer Zeit tun.
4.2
Die Stellenausschreibung
Der Zugang zum Arbeitsmarkt erfolgt zumeist über –
– – – –
Stellenangebote o in Printmedien o im Internet o durch Aushänge (am Werkstor, an „Schwarzen Brettern“), Postwurfsendungen etc. die Bundesagentur für Arbeit Studierenden- und Absolventenmessen (Campus Recruiting) Personalberater (Headhunter) Auswertung von Initiativbewerbungen
4.2 Die Stellenausschreibung
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Mit der Entscheidung für einen Rekrutierungsweg erfolgt bereits die erste Weichenstellung für das weitere Auswahlverfahren. Die Bewerberansprache hat sicherzustellen, dass sich möglichst viele Personen bewerben (so dass man später auch auswählen kann und nicht jeden nehmen muss), wobei sich aber nur solche Personen bewerben sollten, die auch geeignet sind (so dass das Risiko, eine Fehlentscheidung zu treffen, verringert wird). Die Bewerberansprache hat somit sowohl eine Akquisitions- als auch eine Selektionsfunktion zu erfüllen. Es empfiehlt sich daher, die Bewerber zielgruppenspezifisch anzusprechen. Ingenieure werden am ehesten über die ‚VDI-Nachrichten’ rekrutiert, Geistes- und Sozialwissenschaftler über ‚Die Zeit’. Der akademisch gebildete Nachwuchs wird zunehmend bereits in den Hochschulen angesprochen. Produktionshelfer und Facharbeiter werden über Anzeigen in regionalen Tageszeitungen, über Aushänge oder die Bundesagentur für Arbeit gewonnen. Bei ausgewiesen Spezialisten oder Führungskräften greift man auf die Dienste von (privaten) Personalvermittlern zurück, wobei auch die Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Fachvermittlungsdienste für qualifizierte Fach- und Führungskräfte unterhält, die eine gezielte Bewerberansprache ermöglichen. Auch ein direktes Ansprechen von Mitarbeitern anderer Unternehmen ist grundsätzlich möglich. Ein generelles Verbot der Kontaktaufnahme zu Beschäftigten anderer Unternehmen mit dem Zweck, ihnen eine attraktive Stelle anzubieten, wäre mit der auch für den Arbeitsmarkt geltenden Wettbewerbsfreiheit nicht vereinbar. Die Grenzen eines fairen Wettbewerbs werden jedoch überschritten, wenn planmäßig und systematisch Personal abgeworben wird oder das eigentliche Ziel der Abwerbung darin besteht, von Know-how und Geschäftsgeheimnissen zu profitieren. Der von rechtswidrigen Abwerbungsversuchen betroffene Unternehmer kann Unterlassung der Abwerbung und Schadensersatz verlangen und hat u. U. zusätzlich einen Anspruch darauf, dass abgeworbene Mitarbeiter von dem abwerbenden Unternehmen nicht beschäftigt werden (der abgeschlossene Arbeitsvertrag bleibt gültig, das abwerbende Unternehmen muss dem abgeworbenen Mitarbeiter die vereinbarte Vergütung zahlen). Aufgrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels wird die Personalansprache zunehmend professionalisiert. Das Personalmarketing sucht neue Wege und Formen, um Mitarbeiter für Unternehmen zu gewinnen und auch zu halten. Nicht zuletzt aufgrund der Kosten von Stellenanzeigen in Printmedien (je nach Auflage und Verbreitungsgebiet liegen die Seitenpreise schnell bei 50.000 €) entwickelt sich das Online-Recruiting zum führenden Medium der Personalbeschaffung. Nahezu alle großen Unternehmen nutzen Jobbörsen im Internet oder veröffentlichen Stellenangebote auf ihrer Homepage.
4.2.1
Stellenbeschreibung und Anforderungsprofil
Stellenanzeigen sollen über das Unternehmen, den Arbeitsplatz mit seinen Aufgaben und Anforderungen und über den Bewerbungsvorgang informieren. Die Aufgabenbeschreibung und das damit verbundene Anforderungsprofil werden von den Fachvorgesetzten meistens in Zusammenarbeit mit den Personalreferenten erstellt. Bei der Aufgabenbeschreibung kommt es darauf an, ein realistisches Bild von der Arbeit und den damit verbundenen Aufgaben zu vermitteln. Je präziser die Aufgaben beschrieben wer-
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4 Die Personalbeschaffung
den, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, auch geeignete Bewerber zu gewinnen. Beschönigende Aufgabenbeschreibungen haben möglicherweise einen erhöhten Akquisitionseffekt, führen aber in der Regel dazu, dass sich die Bewerber im Verlauf des weiteren Verfahrens oder bei der späteren Beschäftigung getäuscht fühlen, was dann in der Regel zu Unzufriedenheit und eingeschränkter Leistungsbereitschaft oder Kündigung führt. Neben den Aufgaben sind die erforderlichen fachlichen Qualifikationen zu beschreiben. Dazu werden Eigenschaften und Kompetenzen benannt, von denen man weiß oder zumindest annimmt, dass sie für eine erfolgreiche Bewältigung der Arbeitsaufgaben nützlich oder erforderlich sind. Manche Qualifikationsanforderungen lassen sich sehr präzise beschreiben (Schweißer mit einem Schweißnachweis entsprechend DIN EN 287-1, Fahrer mit dem Führerschein C1E, Informatiker mit umfassenden Kenntnissen in Java J2ME‚ Vertriebler mit verhandlungssicherem Spanisch) und tragen dazu bei, den Bewerberpool auch auf dem Wege der Selbstselektion zu konzentrieren. Andere Qualifikationsanforderungen bleiben jedoch eher diffus (engagiert, belastbar, kontakt- und abschlussstark) und eröffnen große Interpretationsspielräume sowohl auf Seiten der Bewerber als auch auf Seiten der Unternehmen, wobei auch die Wirkungen diffus sind. Entweder fühlen sich die Bewerber (zu unrecht) angesprochen, weil sie sich in ihrem Selbstbild als belastbar wahrnehmen, oder sie fühlen sich (zu unrecht) abgeschreckt, weil sie Angst vor Überforderung haben, ohne jedoch genau zu wissen, welche Erwartungen das Unternehmen mit „Belastbarkeit“ verbindet. Statt einen Katalog von unpräzisen Qualifikationsanforderungen zu formulieren, ist es günstiger, in der Stellenanzeige (nicht in der internen Stellenbeschreibung) einige wenige präzisere Anforderungen zu benennen (wie z. B. Bereitschaft zu wechselnden, mehrwöchigen Arbeitseinsätzen an verschiedenen Betriebsstandorten in Deutschland, Bereitschaft zur Schichtarbeit und Wochenendarbeit etc.) Ebenso können Qualifikationsanforderungen beschrieben werden indem man sie mit einer erwünschten Berufsbiografie verbindet, der eine gewisse Vorhersagequalität für den Erfolg auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz zugeschrieben wird. Hierbei können Erfahrungen in Tätigkeitsbereichen, Branchen, Ländern sowie in der Ergebnis- und Personalverantwortung thematisiert werden. Unberücksichtigt bleibt in den Anforderungsprofilen meist, dass in einer betrieblichen Organisation alle Mitarbeiter in einem sozialen Kontext tätig werden, der auch für den individuellen Leistungserfolg von herausragender Bedeutung ist. Für die „richtige“ Stellenbesetzung ist deshalb von zentraler Bedeutung, dass die ausgewählte Person zu dem sozialen Umfeld passt, in dem sie tätig werden soll. Dieses in einem Anforderungsprofil einer Stellenausschreibung mit abzubilden ist jedoch sehr schwierig und bleibt somit Aufgabe der Personalauswahl und der Personalführung.
4.2 Die Stellenausschreibung
4.2.2
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Vertragsaspekte der Stellenausschreibung
Förderung der Teilzeitarbeit Im Zuge der Vorbereitung der Stellenausschreibung ist zu bedenken, dass Arbeitsplätze nach § 7 Abs. 1 TzBfG auch als Teilzeitarbeitsplätze ausgeschrieben werden müssen, wenn sie dafür geeignet sind. Hinweise für die Sichtweise des Gesetzes in Bezug auf die Eignung von Arbeitsplätzen für Teilzeitarbeit ergeben sich aus § 8 Abs. 4 TzBfG: Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit bereits eingestellter Arbeitnehmer zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein betrieblicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Solche Voraussetzungen werden eher in kleineren Betrieben gegeben sein. In größeren Betrieben ist die Arbeitsorganisation ohnehin schon so komplex, dass Teilzeitarbeit auch eines hohen Anteils von Mitarbeitern nicht weiter ins Gewicht fällt. Auch die Wahrnehmung von Führungsaufgaben spricht nicht grundsätzlich gegen die Möglichkeit von Teilzeitarbeit. Entgegen der noch verbreiteten kritischen Sicht der Arbeitgeber, lohnt es sich durchaus, die positiven betriebswirtschaftlichen Aspekte von Teilzeitbeschäftigung in den Blick zu nehmen. Vor allem zählen hierzu die Möglichkeiten eines flexibleren Arbeitseinsatzes, der den Ansprüchen der betrieblichen Abläufe bzw. den Wünschen der Kunden angepasst ist. Auf diesem Weg können Überbelastung bzw. Nichtauslastung vermieden und z. B. Urlaubsvertretungen leichter sichergestellt werden. Beobachtungen zeigen zudem, dass Teilzeitbeschäftigte produktiver sind; sie arbeiten intensiver und konzentrierter. Darüber hinaus haben sie weniger Fehlzeiten, nicht zuletzt deswegen, weil sie Behördengänge und Arztbesuche leichter in die arbeitsfreie Zeit legen können. Auch unter dem Gesichtspunkt des Wissensmanagements birgt die Beschäftigung von mehreren qualifizierten Mitarbeitern auf einem Arbeitsplatz zahlreiche Vorteile. So wird u. a. mehr personengebundenes Know-how in das Unternehmen hineingetragen, das arbeitsplatzbezogen geteilt wird. Der Ausfall einer Person durch Urlaub, Krankheit oder Fluktuation wirkt sich damit nicht so gravierend auf die Leistungsbereitschaft des Unternehmens aus. Des weiteren trägt Teilzeitarbeit zu der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Gerade vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels können Unternehmen durch das Angebot von Teilzeitbeschäftigungsmodellen ihre Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen und Mitarbeiter durch das Angebot familienfreundlicher Arbeitszeiten an das Unternehmen binden bzw. für das Unternehmen gewinnen. Flexiblere Arbeitszeitmodelle gewinnen auch im Zuge der Forderung nach Work-Life-Balance, die zunehmend von qualifizierten Mitarbeitern gestellt wird, an Bedeutung. Im Bereich der weniger qualifizierten Dienstleistungen kann die Aufspaltung zahlreicher Vollzeitstellen in Teilzeitarbeitsplätze unterhalb der Sozialversicherungsgrenze in Kombination mit Arbeit auf Abruf gem. § 12 TzBfG von den Unternehmen als bewusste Strategie zur Senkung von Personalnebenkosten genutzt und ein gesellschaftlich eher weniger erwünschter Sektor von Teilzeitarbeit geschaffen worden.
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4 Die Personalbeschaffung
Befristung des Arbeitsverhältnisses Ist absehbar, dass der Arbeitskräftebedarf nur vorübergehender Natur ist, ist es sinnvoll, schon in der Ausschreibung zum Ausdruck zu bringen, dass keine Dauerstelle zu besetzen ist, sondern ein befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen werden soll. Der Arbeitgeber vermeidet mit einem befristeten Arbeitsvertrag, bei Verringerung des Personalbedarfs Personalfreisetzungsverfahren einzuleiten, die aufwendig sind und die Belegschaft verunsichern. Damit das Kündigungsschutzrecht nicht umgangen wird, sind Arbeitsverträge mit „Verfallsdatum“ seit jeher nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig gewesen. Befristete Arbeitsverträge dürfen gem. § 14 Abs. 1 TzBefG nur abgeschlossen werden, wenn für die Befristung ein sachlicher Grund besteht. Die Vorschrift nennt Regelbeispiele, bei denen die Befristung immer zulässig ist. Der Katalog ist jedoch nicht abschließend. Es sind weitere sachliche Gründe für Befristungen von Arbeitsverträgen denkbar. Als sachlichen Grund erkennt § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBefG an, dass ein Personalbedarf nur vorübergehend besteht. Das setzt eine exakte Prognose voraus, wie sich der Personalbedarf in der Zukunft entwickeln wird. Es muss nachgewiesen werden, dass der Personalbedarf mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückgehen wird. Eine bloße Unsicherheit über die Entwicklung der Auftragslage reicht nicht aus, den Kündigungsschutz auszuhebeln. Vorübergehender Personalbedarf besteht vor allem bei Auftragsspitzen, im Saisongeschäft, bei zeitlich begrenzten Sonderereignissen wie Messen und Schlussverkäufen. Die Befristung muss sich aus dem Arbeitsvertrag selbst durch Nennung des Datums (…bis zum 15.6.2008) oder des Zeitraums der Beschäftigung (…für sechs Wochen), anhand von kalendermäßig feststehenden Ereignissen (….bis zum Schluss des Sommersemesters) oder durch die Benennung eines Befristungszwecks (….saisonbedingte Mehrarbeiten, …für den Räumungsverkauf) ergeben. Problematisch kann der Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen für die personelle Verstärkung bei der Bearbeitung von Projekten sein. Die Tendenz geht dahin, dass Unternehmen nach Möglichkeit versuchen, eine zahlenmäßig kleine dauerhaft beschäftigte Kernbelegschaft für die Durchführung von Projekten befristet zu ergänzen. Zulässig ist das aber nur bei Vorliegen der negativen Beschäftigungsprognose. Ein Unternehmen, dessen Geschäft gerade darin besteht, ständig Projekte zu bearbeiten (z. B. Unternehmensberatungen) wird die negative Beschäftigungsprognose nur im Ausnahmefall leisten können, weil erfahrungsgemäß nach Beendigung eines Projekts andere Projekte eine Beschäftigung erfordern. Leichter ist der Nachweis des Wegfalls des Personalbedarfs, wenn ein einmaliges, herausragendes Projekt mit besonderem Personalbedarf durchzuführen ist oder wenn Spezialisten wegen der besonderen fachlichen Anforderungen eines bestimmten Projekts einzustellen sind. Ein vorübergehender Bedarf wird auch dann befriedigt, wenn ein Mitarbeiter gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBefG zur Vertretung eines auf Zeit ausfallenden anderen Mitarbeiters beschäftigt wird. Die Gründe sind Krankheit, Beurlaubung oder Ähnliches. Vertretung während Mutterschutzfristen, Elternzeiten oder anderen Freistellungen für die Betreuung eines Kindes ist spezialgesetzlich in § 21 BEEG geregelt. Der zur Vertretung eingestellte Arbeitnehmer muss nicht direkt den ausgefallenen Arbeitnehmer ersetzen. Ein innerbetrieblicher Ringtausch ist zulässig. Der Vertretungszeitraum muss auch nicht den gesamten Zeitraum des Ausfalls des vertretenen Mitarbeiters umfassen, sondern kann später beginnen und vorher aufhören. Der Arbeitgeber entscheidet, in welcher Form er den Personalausfall kom-
4.2 Die Stellenausschreibung
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pensieren will und hat auch bei einem einheitlichen Ausfallgrund wie lang andauernder Krankheit oder Elternzeit alle Dispositionsmöglichkeiten. Ein Risiko besteht für den Arbeitgeber darin, dass das befristete Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers sich ohne weiteres in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wandelt, wenn die vertretene Person endgültig aus dem Betrieb ausscheidet. Für den Arbeitgeber ist in diesen Fällen die sog. kalendermäßige Befristung anstelle der Zweckbefristung günstiger. Ein sachlicher Grund kann sich nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBefG aus der Eigenart der Arbeitsleistung ergeben. Gemeint sind Tätigkeiten, für die Personen üblicherweise nicht auf Dauer, sondern nur befristet eingestellt werden, vornehmlich im künstlerischen Bereich oder im Profisport. Die Befristungsgründe des Anschlusses an die Ausbildung und zur Erprobung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 5 TzBefG) sollen dem Arbeitgeber den Entschluss zur Einstellung erleichtern, weil in beiden Fällen kein Risiko besteht, einen weniger geeigneten Mitarbeiter dauerhaft beschäftigen zu müssen. Das Probearbeitsverhältnis eignet sich, um Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum als der tarifvertraglich zulässigen Probezeit kennen zu lernen, die je nach Qualifikationsstufe nur vier Wochen bis sechs Monate beträgt. Oft kann die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters erst nach einer längeren, die mögliche Probezeit überschreitenden Zeit der Einarbeitung sichtbar werden bzw. zuverlässig beurteilt werden. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBefG rechtfertigen in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung, wenn der Arbeitnehmer selbst ohne Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit aus freien Stücken einen befristeten Vertrag wünscht. Den in § 14 Abs. 2 und 2a TzBefG geregelten Befristungsmöglichkeiten liegen dagegen keine sachlichen Gründe zugrunde. Sie sind Ergebnis des Versuchs Arbeitgeber durch sog. Deregulierung zur Einrichtung von Arbeitsplätzen zu ermuntern, um auf diesem Wege Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Erfahrungen aus dem Bereich der Zeitarbeit belegen durchaus, dass die zeitlich begrenzte Beschäftigung in einem Betrieb die Chancen des Arbeitnehmers erhöht, über den vorgesehenen Endtermin hinaus und unter Umständen auch dauerhaft weiterbeschäftigt zu werden. Die zweijährige Befristungsmöglichkeit eines Arbeitsverhältnisses soll die Hemmungen des Arbeitgebers abbauen, bei einer sich abzeichnenden Verbesserung der Auftragslage zusätzliches Personal einzustellen. Diese Hemmungen mögen dann besonders groß sein, wenn zusätzliches Personal zum Überschreiten der alten Kleinbetriebsschwelle von zehn in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern und damit zur Anwendbarkeit des KSchG geführt hätte. Die befristeten Einstellungen erledigen sich dagegen durch Zeitablauf von selbst; die Schwellenwerte für die Anwendung des KSchG werden wieder unterschritten und der Arbeitgeber hat für weitere Kündigungen relativ freie Hand. § 14 Abs. 2 TzBefG steht allen Unternehmen zur Verfügung. § 14 Abs. 2a TzBefG betrifft nur Unternehmen in der Gründungsphase. Der junge Start-Up-Unternehmer ist ohnehin mit hohen Risiken belastet. Die sachlich nicht eingegrenzte Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge soll den Optimismus der Gründer beflügeln, Personal für den erwarteten Aufschwung einzustellen und Risiken begrenzen, falls sich der erwartete Geschäftserfolg nicht einstellt. Für die Beschäftigung wissenschaftlicher Mitarbeiter an Hochschulen und Forschungseinrichtungen enthält das WissZeitVG noch weitergehende Befristungsmöglichkeiten. Bei der Befristung geht der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon aus, dass die Verringerung des Beschäftigungsbedarfs sicher eintreten wird. § 21 TzBefG ermög-
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4 Die Personalbeschaffung
licht es, auch ungewisse künftige Ereignisse beim Abschluss des Arbeitsvertrags zu berücksichtigen. Soll der Bestand des Arbeitsverhältnisses von einer Bedingung abhängig gemacht werden, ist immer ein sachlicher Grund erforderlich, der nicht vom Willen des Arbeitgebers beeinflusst werden kann, sondern in objektiven Umständen bestehen muss. Steht noch nicht fest, dass das Unternehmen den Zuschlag für einen Auftrag der öffentlichen Hand bekommt, kann ein Arbeitsvertrag unter die Bedingung gestellt werden, dass dem Unternehmen der Zuschlag erteilt wird. Auch wenn die Durchführung eines Projekts von einer Förderung durch die Öffentliche Hand abhängig ist, wäre jedenfalls nach Abgabe der Antragsunterlagen die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung für den Fall zulässig, dass die Förderung nicht zustande kommt. Denkbar ist aber auch, dass gerade der Arbeitnehmer ein Interesse daran hat, nur dann für den Arbeitgeber tätig zu sein, wenn bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sind und bei Nichterfüllung dieser Bedingungen kurzfristig für ein anderes Engagement frei sein möchte.
4.2.3
Diskriminierung und Benachteiligungsverbote
Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität spielen für die Möglichkeit, die im Arbeitsvertrag vorgesehene Tätigkeit zu leisten, in aller Regel keine Rolle. § 7 Abs. 1 AGG untersagt die Benachteiligung eines Arbeitnehmers wegen eines dieser in § 1 AGG genannten Gründe. Vorschriften zur Verhinderung von Diskriminierungen und Benachteiligungen dürfen nicht erst nach Abschluss eines Arbeitsvertrags gelten, sondern müssen auch die Anbahnungsphase erfassen, um die Betroffenen wirksam zu schützen. Das AGG gilt deshalb gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Auszubildende und ausdrücklich gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch für Bewerberinnen und Bewerber um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz und auch nach der Beendigung des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses. Trotzdem sind Konstellationen denkbar, in denen die in § 1 AGG genannten Aspekte für die zu besetzende Stelle von Bedeutung sind. Wenn Europäer oder Afrikaner, Deutsche oder Roma, Frauen oder Männer, Moslems, Christen oder Ungläubige, Behinderte oder Nichtbehinderte, alte oder junge Menschen, Homo- oder Heterosexuelle für die ausgeschriebene Stelle nicht in Frage kommen, ist das gemäß §§ 8 - 10 AGG ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die Grundregel lautet: – – – –
Das jeweilige persönliche Merkmal muss eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen, diese muss auf die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung zurückzuführen sein, die Anforderung muss angemessen und der Differenzierungszweck muss rechtmäßig sein.
In der Praxis der Personalbeschaffung ist in Stellenanzeigen noch durchaus die Fokussierung auf ein bestimmtes Geschlecht (Schlossermeister oder Sekretärin) zu beobachten. Meist
4.2 Die Stellenausschreibung
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handelt es sich nicht um eine böswillige Diskriminierung, sondern eher um eine versehentliche Offenbarung der Einschätzung des potenziellen Bewerberkreises durch den Arbeitgeber. Nach wie vor werden bestimmte Berufe mit Männern assoziiert, andere Tätigkeiten sind typischen Frauenberufen zugeordnet. Ernsthafter Gegenstand des Anforderungsprofils kann allerdings nur in seltenen Fällen ein bestimmtes Geschlecht sein. Zulässig ist die gezielte Beschränkung auf ein Geschlecht z. B. dann, wenn bestimmte Arbeiten aus rechtlichen Gründen an ein bestimmtes Geschlecht gebunden sind. So dürfen Sicherheitskontrollen auf Flughäfen, in öffentlichen Einrichtungen etc. in Bezug auf Frauen nur von weiblichem Personal vorgenommen werden. Also muss der Personalbestand ein Minimum an Frauen umfassen, so dass gezielt nach weiblichem Personal gesucht werden darf. Auch ein Fußballverein darf gezielt nach Spielern suchen und muss nicht geschlechtsneutral für Spielerinnen und Spieler ausschreiben, weil aufgrund der Bestimmungen des Deutschen Fußballbundes nur Männer als Lizenzspieler beschäftigt werden können. Für Trainer und Manager gilt das nicht. Zwar könnte der Verein die eigene Erfahrung als Lizenzspieler zum Auswahlkriterium erheben und damit den Bewerberkreis auf männliche Personen einengen, es wäre aber keine angemessene Anforderung, da die tägliche Praxis zeigt, dass der persönliche Erfolg als Lizenzspieler nicht mit dem Erfolg als Trainer oder Manager korreliert. Unangemessen wäre die Nichtberücksichtigung von Bewerberinnen z. B. auch dann, wenn ein Betrieb auf fehlende geschlechtergetrennte Toiletten oder Umkleideräume verweist. Die Probleme werden sich in den meisten Fällen organisatorisch oder baulich lösen lassen. § 9 AGG räumt den Kirchen, Religionsgemeinschaften und ihren Einrichtungen, sowie Vereinigungen zur Pflege von Religion oder Weltanschauung (z. B. politische Parteien) das Recht ein, Religion und Weltanschauung zum Gegenstand des Anforderungsprofils zu machen, wenn das nach der Art der Tätigkeit oder im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen Vereinigung eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Die Regelung läuft darauf hinaus, dass eine Übereinstimmung der Religion und der Weltanschauung mit der Kirche usw. als Arbeitgeber um so eher gefordert werden darf, je exponierter die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb ist. Von den übrigen Arbeitnehmern darf loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des jeweiligen Selbstverständnisses des Arbeitgebers erwartet werden; die Forderung nach vollständiger weltanschaulicher Übereinstimmung wäre von § 9 AGG nicht mehr gedeckt. Von praktischer Bedeutung sind auch Anforderungen der Arbeitgeber an das Lebensalter der Bewerberinnen und Bewerber. § 10 AGG regelt differenziert die Einbeziehung des Lebensalters in das Anforderungsprofil. Die Anforderung an das Alter muss objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein. Für die Personalrekrutierung sind bedeutsam die Festlegung eines Mindestalters oder einer Mindestdauer an Berufserfahrung (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 AGG) und die Festlegung eines Höchstalters (§ 10 Abs. 3 Nr. 3 AGG) bedeutsam. Ein Mindestalter aber auch ein Höchstalter kann z. B. beim Zugang zu Ausbildungsplätzen eine Rolle spielen. Da eine produktive Leistung erst nach Ablauf einer von Vorkenntnissen und Anspruch des jeweiligen Arbeitsplatzes abhängigen Einsatzdauer erbracht wird, ist es auch zulässig, eine angemessene Beschäftigungszeit vor Eintritt in den Ruhestand sicherzustellen und Personen nicht zu berücksichtigen, die aufgrund ihres Alters wegen der kurzen verbleibenden Beschäftigungsdauer keine angemessene Leistung mehr erbringen können.
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4 Die Personalbeschaffung
Für Schwerbehinderte gilt nach wie vor zusätzlich § 81 Abs. SGB Neuntes Buch. Die Vorschrift verbietet die Benachteiligung schwerbehinderter Personen und verweist wegen der Folgen auf das AGG. Arbeitgeber mit mehr als 20 Arbeitsplätzen müssen gem. § 71 Abs. 1 SGB Neuntes Buch auf 5% der Arbeitsplätze Schwerbehinderte beschäftigen. Wird die Quote nicht erreicht, ist gem. § 77 SGB Neuntes Buch eine sog. Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zu zahlen. Sie beträgt je nach dem Ausmaß der Nichtbeschäftigung Schwerbehinderter 105 € bis 260 € jährlich für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz. Die Mittel aus der Ausgleichsabgabe werden von den Integrationsämtern für die Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben verwendet.
4.3
Das Auswahlverfahren
Bereits durch die Stellenausschreibung, die Stellenbeschreibung und die Festlegung des Anforderungsprofils wird der Kreis der für eine Einstellung in Frage kommenden Personen beschränkt. In der Regel werden sich mehrere Personen bewerben, so dass eine Auswahl unter den eingegangenen Bewerbungen erfolgen muss. Die Bewerbungen werden unter Beachtung der Diskriminierungsverbote mit dem Anforderungsprofil darauf abgeglichen, ob die Mindestanforderungen erfüllt sind. Soweit Auswahlrichtlinien eingeführt sind, muss sich der Arbeitgeber an diese halten. In Betrieben über 500 Mitarbeitern kann der Betriebsrat gem. § 95 Abs. 2 BetrVG die Aufstellung solcher Richtlinien verlangen. In Betrieben mit weniger als 500 Mitarbeitern kann der Betriebsrat Richtlinien nicht erzwingen, der Arbeitgeber benötigt aber für ihre Einführung die Zustimmung des Betriebsrats; § 95 Abs. 1 BetrVG.
4.3.1
Gang des Auswahlverfahrens
Güte des Auswahlverfahrens Die Güte einer Personalauswahl hängt von zahlreichen Parametern ab. Zentrales Kriterium ist die Validität eines Verfahrens. Die Validität gibt an, wie gut ein Verfahren geeignet ist, den späteren Berufserfolg vorherzusagen. Die einzelnen Instrumente und Methoden, die im Rahmen einer Personalauswahl eingesetzt werden, verfügen über unterschiedliche hohe Validitäten. Grafologische Analysen des Schriftbildes scheinen weniger valide als Interviews, die wiederum über eine geringere Validität verfügen als Testverfahren (Assessment Center, Psychologische Tests, Arbeitsproben). Die Validität eines Verfahrens ist umso wichtiger, je weniger Geeignete sich unter den Bewerbern befinden und je geringer die Selektionsquote ist, d. h. je größer der Anteil der Personen ist, die man ablehnen kann. In den letzten Jahren gewinnt die Soziale Validität des Auswahlverfahrens an Bedeutung. Hierunter versteht man die Akzeptabilität des Verfahrens für den Bewerber. Die Bewerber
4.3 Das Auswahlverfahren
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sollen ein Auswahlverfahren als fair empfinden, so dass sie sowohl im Falle der Ablehnung als auch bei der Annahme ein positives Gefühl gegenüber dem Arbeitgeber haben. Dies trägt zum einen dazu bei, die Attraktivität des Arbeitgebers auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, und fördert im Falle einer Beschäftigung das Commitment gegenüber dem Unternehmen. Um ein Auswahlverfahren sozial valide zu gestalten, ist es zunächst wichtig, dass ein Bewerber sowohl über den Ablauf des Verfahrens als auch über die erfolgskritischen Anforderungen informiert wird. Ebenso sollte er jederzeit einen kompetenten Ansprechpartner im Unternehmen haben, der ihn über den Stand und den weiteren Gang des Verfahrens informieren kann. Darüber hinaus sollte es selbstverständlich sein, dass der Bewerber respektvoll behandelt wird. Alle am Auswahlverfahren beteiligten Personen sollten ihm vorgestellt werden. Ebenso sollten ihm die eingesetzten Verfahren und die dabei berücksichtigten Bewertungsregeln erläutert werden. Ein Feedbackgespräch über das Abschneiden im Verfahren mit der Erläuterung der Gründe für die Annahme beziehungsweise für die Ablehnung gehört zu einem sozial validen Verfahren ebenso dazu. Verfahrensschritte Auswahlverfahren verlaufen in der Regel mehrstufig. Meistens sind daran mehrere Personen beteiligt. Je nach Politik und Größe des Unternehmens erfolgen die ersten Schritte des Verfahrens durch das Personalmanagement und erst im weiteren Verlauf wird die Fachabteilung hinzugezogen. Die schriftlichen Bewerbungsunterlagen bestehen in der Regel aus einem Anschreiben, einem Lebenslauf, einem Lichtbild und (Arbeits)Zeugnissen. Üblich ist eine schriftliche Bewerbung, die auch elektronisch – dann zumeist als PDFDokument – eingereicht werden kann. Mit Eingang der Bewerbung sollte der Bewerber eine Eingangsbestätigung bekommen, in der das weitere Verfahren und der damit verbundene Zeitplan geschildert wird. Dokumentenanalyse Die Dokumentenanalyse ist der erste Schritt der Personalauswahl. Obwohl die Kriterien nur sehr vage formuliert werden können, scheint die erste Hürde des Verfahrens mit dem Gesamteindruck, den die Bewerbungsmappe macht, verbunden zu sein. Hier wird geprüft ob die Unterlagen vollständig und aktuell sind und ob die Form der ausgeschriebenen Stelle angemessen ist. (So sind andere Anforderungen an die Bewerbungsunterlagen eines Produktionshelfers zu stellen als an die eines Designers). Aus dem Gesamteindruck wird häufig auch auf das Interesse des Bewerbers an der ausgeschriebenen Stelle geschlossen. Eine genauere Analyse wird dem Anschreiben gewidmet. Hier wird u. a. erwartet, dass der Bewerber sich mit der ausgeschriebenen Stelle auseinandergesetzt hat, indem er sein persönliches Qualifikationsprofil auf die mit der Stelle verbundenen Anforderungen bezieht. Je besser ihm dies gelingt, desto größer sind die Chancen im Verfahren zu bleiben. Häufig zeichnen sich jedoch Anschreiben durch eine unverbindliche Phraseologie aus, die als Textbausteine aus der einschlägigen Ratgeberliteratur oder der Software zur Erstellung von Bewerbungen stammen. Diese Anschreiben rufen nicht selten Aversionen beim Adressaten hervor.
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4 Die Personalbeschaffung
Das Bewerbungsschreiben mit den beigefügten Unterlagen ist letztlich Teil einer Verhandlungssituation in der der Bewerber, die Gegenseite zu einem „Vertragsabschluss“ über die Aufnahme in die nächste Auswahlstufe veranlassen möchte. Die Auswahlstufe „Gestaltung der Bewerbung“ überstehen daher häufig nur Bewerbungen, die eine angemessene Gegenleistung für die Aufmerksamkeit des Auswählenden bieten. Die formale Gestaltung wird als Indiz dafür genommen, in welchem Umfang der Bewerber die ungeschriebenen Regeln und die Bedeutung dieser Stelle dieses Unternehmens kennt und ob er den angemessenen Aufwand für die Gegenleistung Aufmerksamkeit des Personalchefs richtig einschätzt. Wer nicht das Mindestmaß an Aufwand für eine Bewerbung erkennen lässt, wird aus der Perspektive des Auswählenden ebenfalls keinen Aufwand durch Befassung mit der Bewerbung in der nächsten Stufe verdienen – unabhängig davon, ob er geeignet ist. Der Lebenslauf bildet für die meisten Personaler gemeinsam mit den Zeugnissen das aussagekräftigste Dokument in den Bewerbungsunterlagen. Beim Lebenslauf wird geschaut, inwieweit die zur Disposition stehende Beschäftigung mit der bisherigen schulischen und beruflichen Entwicklung kompatibel ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass die berufliche Vergangenheit, einschließlich Schule, Berufsausbildung und akademischer Ausbildung einen hohen Vorhersagewert für die Qualität der weiteren Arbeit hat. In diesem Zusammenhang wird auch der berufliche Karriereverlauf interpretiert. Eine vertikal ansteigende Karriereentwicklung wird häufig als Indiz für das Potenzial des Bewerbers gesehen, sich ebenso weiter zu entwickeln. Der in der Bewerbung ausgedrückt Wunsch, das Unternehmen zu wechseln, wird interpretiert als Motivation, die Karrierechancen wahrzunehmen, die so beim aktuellen Arbeitgeber nicht gegeben sind. Inwieweit die vergangene Karriereentwicklung allein auf die Leistungen des Bewerbers zurückgeführt werden kann, ist nicht immer ersichtlich. Vielleicht hat der Bewerber lediglich profitiert von einem guten Team, einer guten Konjunktur, einem wohlwollenden Chef, der verständnisvoll Fehler ausgebügelt und damit Katastrophen verhindert hat. Ein längeres Verweilen auf einer Karrierestufe kann auch bedeuten, dass kein Potenzial mehr für weitere Karriereschritte besteht, oder dass bereits bei der aktuellen Position eine Überforderung eingetreten ist. Dies beschreibt das sog. „Peter-Prinzip“. Danach steigen, wenn genügend Hierarchiestufen und Zeit vorhanden sind, Mitarbeiter bis zu der Stufe auf, wo sie sich als unfähig erweisen. Da es selten ein „Downward-Movement“ gibt, verharren sie dann auch dort. Dies bedeutet in der Schlussfolgerung auch, dass nach einer gewissen Zeit alle Stellen mit Mitarbeitern besetzt sind, die inkompetent sind. Wichtig ist vielen Auswählenden auch ein erkennbares Motiv und biografisches Leitbild. So erregt bei ihnen ein häufiger Arbeitgeberwechsel eher Misstrauen. Für konservative Personalleiter sind dabei neue berufliche Herausforderung, Arbeitslosigkeit aufgrund bevorstehender oder eingetretener Insolvenz des Arbeitgebers ehrbare Motive während Gehaltsaufbesserung, Chef statt Knecht sein zu dürfen, Familienzusammenführung, Streit mit dem bisherigen Arbeitgeber (gar von Kündigung bedroht?) eher unehrbar sind. Während diese einfachen Interpretationsschemata in der Vergangenheit evtl. eine (nicht nachgewiesene) prognostische Validität hatten, ist diese aufgrund zunehmend diskontinuierlicher werdenden beruflichen Biografien nicht mehr ohne weiteres gegeben. Berufliche Laufbahnen werden zukünftig durch Brüche gekennzeichnet sein, in denen sich Phasen der Beschäftigung mit Phasen der Qualifizierung, der Erwerbslosigkeit und der beruflichen Um-
4.3 Das Auswahlverfahren
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orientierung ablösen. Man spricht von Patchwork-Karrieren. Rasante Entwicklungen in Unternehmen und Technologien, die Auflösung von Geschäftsbereichen, Änderungen in der Wertschöpfungsstruktur und Innovationssprünge treffen immer direkter auch den einzelnen Arbeitnehmer. Projektbezogene und befristete Beschäftigung entwickeln sich zunehmend zum Regelarbeitsverhältnis. Schließlich wird auf die „Lückenlosigkeit“ des Lebenslaufs Wert gelegt, die dahin gehend interpretiert wird, dass der Bewerber nichts zu verbergen hat (z.B. kritische Beschäftigungsverhältnisse, Erwerbslosigkeit, Haftstrafen). Insgesamt ist festzustellen, dass es keine zuverlässigen und bewährten Kriterien für die Lebenslaufanalyse und -interpretation gibt. Häufig entscheidet das Bauchgefühl, ob ein Bewerber diese Hürde nimmt. Nicht selten scheitern an dieser Hürde – ungerechtfertigt – geeignete Bewerber, was die Güte des Verfahrens einschränkt. Neben der Analyse des Lebenslaufs ist die Zeugnisbeurteilung ein weiterer wichtiger Schritt im Auswahlverfahren. Sie zeigt im einfachsten Fall, ob die erforderlichen formalen Qualifikationen, die mit einer Stelle verbunden werden, erfüllt sind. Die Schul-, Ausbildungs- und Hochschulzeugnisse liefern darüber hinaus gerade aufgrund der meist langfristigen Beobachtungszeit ein verlässliches Bild über das Leistungsvermögen der Bewerber, dem auch Hinweise auf besondere Stärken entnommen werden können. Inwieweit jedoch Kriterien wie die Fächerwahl in der Schule oder die Studiendauer eine zusätzliche Prognosekraft für die berufliche Bewährung haben, ist zweifelhaft. Die Auswertung der Arbeitszeugnisse und Referenzen nimmt mit zunehmender Berufserfahrung der Bewerber an Bedeutung zu. Den Arbeitszeugnissen ist vor allem zu entnehmen, welche beruflichen Tätigkeiten durchgeführt worden sind. Ebenso geben Arbeitszeugnisse Hinweise auf das Leistungsverhalten des Bewerbers und auf sein soziales Verhalten im Unternehmen. Häufig hängt jedoch die Qualität des Arbeitszeugnisses von der nicht immer gegebenen Kompetenz des Vorgesetzten ab, Arbeitszeugnisse zu schreiben. Eine Interpretation von scheinbaren, versteckten Hinweisen, die deutlich über die qualifizierenden Standardformulierungen hinausgehen, ist daher nicht immer angebracht. Bewerbungen ist üblicherweise ein Foto des Bewerbers beigelegt. Obwohl immer wieder behauptet wird, das Bild sei nicht bedeutsam und auch nicht darüber entscheidend, ob ein Bewerber im Verfahren bleibt, zeigen Untersuchungen, dass die Bewerbungsfotos einen Einfluss auf die Entscheidungsfindungen haben. Für Bewerber bedeutet dies, dass sie ihr Foto professionell entsprechend dem jeweils in den einschlägigen Ratgebern beschriebenen aktuellen Trends anfertigen lassen sollten. Die Dokumentenanalyse führt zu einer Klassifikation der Bewerbungen, wobei die Anzahl der Personen, die zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, von der zur Verfügung stehenden personalen Kapazität abhängt, die ein Unternehmen für diese Stufe vorsieht. Oft ist es so, dass unabhängig von der Anzahl der eingegangenen Bewerbungen schon im Voraus die maximale Anzahl der Personen feststeht, die im Verfahren bleiben. Selbstverständlich wird bei der Entscheidung über den Kreis der zu den Vorstellungsgesprächen einzuladenden Personen auch Rücksicht genommen auf Interventionen betriebsinterner und -externer Für-
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4 Die Personalbeschaffung
sprecher, die Schwerbehindertenvertretung, die Gleichstellungsbeauftragte. Dies führt dazu, dass immer wieder Personen gegen den eigentlichen Willen des Auswählenden in Folgestufen des Auswahlverfahrens aufgenommen werden Die Bewerbungsgespräche bilden dann in den meisten Fällen die zweite Stufe der Personalauswahl. Interviews Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten wie Bewerbungsgespräche (Interviews) durchgeführt werden können. Sie können als Einzel- oder Gruppen-Interview mit einem oder mehreren Interviewern stattfinden. Die Gesprächsführung kann dabei zwischen frei (plaudernd) oder strukturiert (anhand einer Frageliste) variieren und das Gespräch kann so gesteuert werden, dass es von den Bewerben als eher entspannt oder fordernd und stressend empfunden wird. In der Einschätzung der Personalverantwortlichen bilden die Bewerberinterviews das zentrale Instrument der Personalauswahl und entsprechend ist ihr Gewicht bei der Urteilsfindung. Gleichwohl zeigt eine Reihe von empirischen Untersuchungen, dass die Güte der Interviews bezüglich der Vorhersage einer beruflichen Bewährung eher schwach ausgeprägt ist. Die Bedeutung und Güte der Interviews stehen somit im krassen Gegensatz zueinander. Es gibt zahlreiche Gründe für die geringe Vorhersagekraft der Auswahlgespräche. So ist es offensichtlich so, dass die Urteilsfindung über die Annahme bzw. Ablehnung eines Bewerbers innerhalb der ersten Minuten fällt. Als bedeutsam für den ersten positiven Eindruck haben sich pünktliches Eintreffen und ordentliche Kleidung (wobei es den Tipp gibt, zum Bewerbungsgespräch den Dresscode einzuhalten, der für den unmittelbaren Vorgesetzten im Unternehmen gültig ist) sowie enthusiastisches Auftreten und ein lebendiger Augenkontakt erwiesen. Nicht selten ist es auch so, dass Interviewer „clones“ und „Spiegelbilder“ ihrer Selbst bevorzugen. Dies hängt damit zusammen, dass die Sympathie, die man für eine Person empfindet, auch von den gemeinsamen Elementen im Leben abhängt: gleiches Land, gleicher Geburtsort, gleiche Universität, gleiches Studium, Fan des gleichen Fußballvereins etc. Nach dem der erste Eindruck gebildet wurde, wird das weitere Gespräch häufig nur unter dem Gesichtspunkt weitergeführt, dieses Urteil zu bestätigen. Dies trägt dazu bei, dass die im Gespräch vom Bewerber gegebenen Informationen unzureichend aufgenommen und bei ablehnender Grundtendenz negative Informationen deutlich überbewertet werden. Eingeschränkt wird die Güte der Gespräche auch dadurch, dass die Interviews unstrukturiert geführt werden, was auch dazu beiträgt, dass der größte Teil der Gesprächszeit vom Interviewer beansprucht wird und auch der Anforderungsbezug der Fragen eingeschränkt ist. Darüber hinaus können wenig strukturierte Gespräche nur schlecht miteinander verglichen werden, was wiederum eine Reihung der Bewerber erschwert. Um die Güte der Interviews zu verbessern sind eine Reihe von Vorschlägen zur Gestaltung der Verfahren gemacht worden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie verschiedene Interviewelemente miteinander verbinden. So wird u. a. vorgeschlagen, das Interview von einem Personalreferenten, einer
4.3 Das Auswahlverfahren
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Führungskraft aus der Fachabteilung und einer Führungskraft einer anderen Abteilung gemeinsam nach festen Regievorgaben führen zu lassen: Der Personalreferent eröffnet das Gespräch, er skizziert den Ablauf des Verfahrens und stellt das Unternehmen, die Stelle und die Aufgaben vor (ca. 5 Min.). Danach hat der Bewerber Gelegenheit, sich selbst vorzustellen und seinen persönlichen und beruflichen Hintergrund und seine Motivation, sich um die Stelle zu bewerben zu erläutern (ca. 5 Min.). Die Interviewer bewerten ihren Eindruck auf einer Skala mit anforderungsbezogenen Dimensionen. In einem weiteren Gesprächsabschnitt stellt dann die Führungskraft der Fachabteilung den Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen realistisch dar und stellt spezifische Fragen zu Erfahrungen und Fachkenntnissen (ca. 10. Min.). Die spezifischen Fachkenntnisse werden mit einer Checkliste, die in der Fachabteilung erarbeitet wurde, festgehalten. Im Anschluss daran übernimmt die Führungskraft der anderen Abteilung die Gesprächsführung (ca. 10 Min.) Hier geht es um allgemeine über die spezifisch fachlichen hinausgehenden Fragen der Qualifikation und Erfahrung. Ebenso können hier Fragen zu standardisierten komplexen Entscheidungssituationen gestellt werden, die Auskunft über die Wertorientierung und damit zur Passung hinsichtlich der Organisationskultur geben können. Die Interviewer halten ihren Eindruck auch diesbezüglich auf vorgegebenen Skalen fest. Der Personalreferent schließt dann das Gespräch ab, indem er dem Bewerber Gelegenheit für seine Fragen gibt, das Gespräch zusammenfasst und über den weiteren Verlauf des Verfahrens informiert (5 Min.). Im Anschluss an die Interviewrunden mit mehreren Bewerbern tragen die Interviewer ihre Eindrücke zusammen. Dadurch, dass die Interviews standardisierte Elemente enthalten haben, können die Bewerber besser verglichen werden. Das während der Interviews von den Interviewern individuell schriftlich durchgeführte Rating auf vorgegebenen anforderungsbezogenen Skalen erleichtert zum einen den anforderungsbezogen Vergleich der Kandidaten und trägt zum anderen dazu bei, dass diese Eindrücke auch in der Beratung der Interviewer kommuniziert werden und nicht gruppendynamischen Befindlichkeiten zum Opfer fallen.
4.3.2
Fragerechte – Antwortpflichten
Dem Interesse des Arbeitgebers an maximaler Transparenz des Bewerbers steht das Interesse des Bewerbers entgegen, die Stelle zu bekommen. Er wird deshalb nach Möglichkeit die Eigenschaften oder Motive zu verbergen versuchen, die von dem vermuteten Anforderungsprofil oder den vermuteten eigentlichen Auswahlkriterien abweichen. Das Interesse des Bewerbers an informationeller Selbstbestimmung und Respektierung seiner Privatsphäre durch den Arbeitgeber ist durch Art. 2 GG geschützt. Die offensichtlich nicht kompatiblen Ziele der Beteiligten und die daraus resultierenden Konflikte schlagen sich in der Rechtsprechung nieder zu den Vorgaben: – – –
Offenbarungspflichten des Bewerbers auch ohne Frage des Arbeitgebers, Fragerechte des Arbeitgebers, Zulässigkeit von Fragen und Rechte des Bewerbers bei unzulässigen Fragen.
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4 Die Personalbeschaffung
Der Bewerber muss von sich aus, also auch ohne konkrete Frage des Arbeitgebers alle Umstände offen legen, die die Erfüllung des Arbeitsvertrags unmöglich machen oder von ausschlaggebender Bedeutung für den Arbeitsplatz sind, wie z. B.: – – –
–
Bevorstehende Verbüßung einer Freiheitsstrafe bevorstehender Entzug von Lizenzen (Fahrerlaubnis, Pilotenschein, ärztliche Approbation), die für die auszuübende Tätigkeit notwendig sind Umstände, Krankheiten oder Behinderungen, die die Eignung erheblich herabsetzen, z. B. Vorstrafen unabhängig vom konkreten Delikt bei Bewerbung um herausgehobene Position, Narkolepsie (unvorhersehbare, nicht beherrschbare Schlafattacken) bei Omnibusfahrer, Lokführer, Leitwartenmitarbeiter Beschäftigungsverbote mit Auswirkung für die zu leistende Arbeit (z. B. § 14 oder §§ 22 – 24 JArbSchG; § 42 InfektionsschutzG). Eine Offenbarungspflicht besteht dagegen nicht für Beschäftigungsverbote von Schwangeren nach § 4 MuSchG.
Der Arbeitgeber darf alle Fragen stellen, an denen im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse besteht, das das Interesse des Bewerbers an der Geheimhaltung seiner Privatsphäre überwiegt. Generell zulässig sind Fragen nach der fachlichen Qualifikation, der Ausbildung, dem beruflichen Werdegang, der zuletzt ausgeübten Tätigkeit. Generell unzulässig sind alle Fragen nach Umständen, die nach den Diskriminierungsverboten des AGG für die Auswahlentscheidung unerheblich sind, also Fragen nach anerkannter Schwerbehinderung, Konfession, Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder Partei oder nach dem Verhalten bei der letzten Bundestagswahl sowie Fragen nach bestehender Schwangerschaft, Regelung der Kinderbetreuung oder Familienplanung. Zulässig sind auch Fragen, die der Klärung der Motivation für die Bewerbung und den Arbeitgeberwechsel dienen. Andere Fragen, z. B. nach Vorstrafen und Gesundheitszustand, sind nur zulässig, wenn ein Zusammenhang mit der konkreten zu verrichtenden Tätigkeit besteht. Problematisch sind in diesem Zusammenhang Fragen zum letzten Einkommen. Ein bisheriges niedriges Einkommen kann verhandlungstaktisch für den Bewerber von Nachteil sein, weil der Arbeitgeber das zum Anlass nehmen kann, bei der Gehaltsfestlegung unterhalb des von ihm geplanten Maximums zu bleiben. Eine deutliche Einkommenssteigerung ist andererseits für die Klärung der Motivation des Bewerbers nicht relevant, da eine Gehaltsverbesserung Standardmotiv bei freiwilligem Stellenwechsel ist. Dagegen gibt ein freiwilliger Stellenwechsel ohne Gehaltsverbesserung oder gar mit Einkommensverlust Anlass, sich im Auswahlverfahren intensiver um die Motivation der Bewerbung zu kümmern. Ob das angebotene Einkommen niedriger ist als das bisherige Einkommen oder gleich, darf daher gefragt werden. Auch die privaten Vermögensverhältnisse oder das Einkommen und Vermögen des Ehepartners können in allgemeiner Form eine Rolle für die Personalauswahl spielen, weil es auf bestimmten Arbeitsplätzen einen Unterschied ausmachen kann, ob zur persönlichen Selbstverwirklichung oder auch aus ökonomischer Notwendigkeit gearbeitet wird. Überschuldung
4.3 Das Auswahlverfahren
47
ist immer relevant für Arbeitsplätze, die korruptionsgefährdet sind oder bei denen ein schwer zu überwachender Zugriff auf Betriebsvermögen besteht. Schwierig einzuordnen sind all die Fragen, die nicht von unmittelbarer Relevanz für die Stelle sind, aber einen allgemeinen Eindruck über die Persönlichkeit des Bewerbers vermitteln oder der Schaffung und Aufrechterhaltung einer entspannten Gesprächsatmosphäre dienen. Zulässige Fragen muss der Bewerber wahrheitsgemäß beantworten. Bei unzulässigen Fragen würde ein Recht, die Antwort zu verweigern, dem Bewerber nicht helfen. Der Arbeitgeber würde die Weigerung als Indiz dafür nehmen, dass der Bewerber eignungsmindernde Aspekte zu verbergen hat. Die Rechtsprechung gesteht dem Bewerber in solchen Situationen das Recht einer falschen Antwort zu. Auch bei der zulässigen Frage nach Vorstrafen dürfen solche Vorstrafen verschwiegen werden, die nicht in ein polizeiliches Führungszeugnis aufgenommen werden. Das sind z. B. gem. § 32 Abs. 2 Nr. 3 BZRG alle Jugendstrafen bis zu zwei Jahren auf Bewährung, bei Verurteilungen nach Erwachsenenstrafrecht gem. § 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG Geldstrafen unter 91 Tagessätzen und Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten. Unterhalb dieser Grenzen bewegen sich in aller Regel die Strafen z. B. bei erstmaliger Verurteilung wegen Straßenverkehrsdelikten, aber auch bei wirtschaftlich unbedeutenden Eigentums- und Vermögensdelikten. Informationen kann der Arbeitgeber auch im Rahmen von psychologischen oder medizinischen Eignungsuntersuchungen zu gewinnen suchen. Aufwendige (ärztliche) Einzeluntersuchungen wird der Arbeitgeber schon im Kosteninteresse auf die Personen beschränken, die er tatsächlich einstellen will. Bewerber sind nicht verpflichtet, an solchen Untersuchungen teilzunehmen, werden dann aber auch meist aus dem Auswahlverfahren ausscheiden. Die Bandbreite der möglichen Untersuchungsformen ist groß. Auch ein hinreichend langer Personalfragebogen lässt tiefe Einblicke in Charakter und Seelenleben des Ausfüllenden zu und kann ohne besonderen Aufwand bei einer großen Zahl von Bewerbungen eingesetzt und einfach ausgewertet werden. Ein Test von Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit für technisches Personal oder eine Überprüfung der Gedächtnisleistung mag noch harmlos erscheinen. Trotzdem ist schon der Versuch, aus einer größeren Zahl von Bewerbungen mittels Testverfahren diejenigen herauszufiltern, die besonders viel versprechende Testwerte aufweisen, im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Teilnehmer rechtlich bedenklich, weil sie schon vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses genötigt werden, mehr Informationen über sich preiszugeben als in einem klassischen Vorstellungsgespräch. Für den Arbeitgeber ist die zusätzliche Information ein Gewinn, weil sich die Informationsgrundlage seiner Auswahlentscheidung dramatisch verbessert. Zulässig sind solche Tests in jedem Fall nur, wenn und soweit ein konkreter Bezug zur auszuübenden Tätigkeit besteht. Psychologische oder ärztliche Untersuchungen dürfen deshalb zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers von vornherein nur die Persönlichkeitsstrukturen und gesundheitlichen Umstände betreffen, die für die auszuübende Tätigkeit relevant sind. Der Schutz der Arbeitnehmerdaten ist umso strenger, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen. Untersuchungen dürfen nur von solchen Personen durchgeführt und ausgewertet werden, die z. B. als Ärzte oder Psychologen zur Wahrung des Berufsgeheimnisses besonders verpflichtet sind. Einzelne Daten dürfen nur mit Einwilligung des Untersuchten an den
48
4 Die Personalbeschaffung
Arbeitgeber weitergegeben werden. Der Arbeitgeber erhält ansonsten nur Auskunft über das Gesamtergebnis der Untersuchung, also ob die untersuchte Person für die auszuübende Tätigkeit geeignet ist oder nicht. Um die Qualität bei der Personalauswahl sicherzustellen und zu verbessern, hat das Deutsche Institut für Normung die DIN 33430 verabschiedet. Sie dient auch als Leitfaden für die Planung und Durchführung von Eignungsbeurteilungen, als Maßstab für die Bewertung externer Angebote im Rahmen berufsbezogener Eignungsfeststellungen und als Schutz der Bewerber vor unsachgemäßer oder missbräuchlicher Anwendung von Auswahlverfahren und Eignungsbeurteilungen.
4.3.3
Fehlverhalten im Auswahlverfahren
Fehlverhalten des Bewerbers – falsche Antworten, unzulässiges Verschweigen Stellt sich nach der Einstellung heraus, dass ein Bewerber eine zulässige Frage falsch beantwortet hat, kann der Arbeitgeber entweder versuchen, das Arbeitsverhältnis zu kündigen (dazu s. u. S. 177) oder den Abschluss des Arbeitsvertrags gem. § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung anfechten. Anders als bei der Kündigung ist der Arbeitsvertrag bei der Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Da die erbrachte Arbeitsleistung vom Arbeitgeber nicht mehr an den Arbeitnehmer zurückgegeben werden kann, darf der Arbeitnehmer die Vergütung für die geleistete Arbeit behalten. Für die Vergangenheit geht man von einem sog. faktischen Arbeitsverhältnis aus. Im Unterschied zur Kündigung, kommt es aber bei der Anfechtung des Arbeitsvertrags auf eine soziale Rechtfertigung der Maßnahme des Arbeitgebers nicht an. Auch die für die Kündigung bestehenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen bei der Anfechtung nicht, so dass der Arbeitnehmer im Fall der Anfechtung deutlich weniger geschützt ist als im Kündigungsverfahren. Zusätzlich schuldet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Schadensersatz gem. §§ 282, 242 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB oder § 823 BGB i. V. m § 263 StGB (Betrug). Dieser umfasst die Kosten eines neuen Stellenbesetzungsverfahrens (Stellenanzeige, Personalberatung) und – wenn der Arbeitnehmer seine Stelle bereits angetreten hatte – den erneuten Aufwand für die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters (z. B. Kosten für Schulungen). Fehlverhalten des Arbeitgebers – Verstoß gegen Diskriminierungsverbote Verstößt der Arbeitgeber bei der Personalauswahl gegen die §§ 6-10 AGG, hat die benachteiligte Person einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 15 AGG erfüllt sind und insbesondere auch ein Verschulden des Arbeitgebers vorliegt. Daran kann es fehlen, wenn ein Personalberater die Stellenanzeige formuliert hat oder z. B. der Betriebsrat der Einstellung unter Verstoß gegen das AGG nicht zustimmt. § 15 Abs. 6 AGG schließt allerdings einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags aus. Vollen Schadensersatz muss der Arbeitgeber leisten, wenn die übergangene Person aufgrund ihrer besseren Qualifikation eingestellt worden wäre. In einem ersten Schritt muss die be-
4.3 Das Auswahlverfahren
49
nachteiligte Person darlegen und ggf. beweisen, dass sie überhaupt benachteiligt worden ist. Das ist bei der Nichteinstellung evident, es sei denn, der Arbeitgeber hat trotz Ausschreibung auf eine Stellenbesetzung ganz verzichtet. In einem zweiten Schritt sind Anforderungsprofil der Ausschreibung und das Profil der übergangenen Person abzugleichen. Sobald die übergangene Person das Anforderungsprofil erfüllt, muss der Arbeitgeber darstellen und ggf. beweisen, in welcher Weise die tatsächlich eingestellte Person dem Anforderungsprofil entspricht und woraus sich deren bessere Qualifikation ergibt. Im dritten Schritt muss dargelegt und ggf. bewiesen werden, dass die Benachteiligung aus einem vom AGG verbotenen Grund erfolgte. Da die benachteiligte Person keinen Zugang zu den internen Informationen des Unternehmens hat, muss sie gem. § 22 AGG, nur Indizien darlegen und beweisen, aus denen sich schließen lässt, dass die Benachteiligung auf einem der in § 1 AGG genannten Aspekte beruht. Ist das der Fall, wird die Beweislast umgekehrt, d. h. der betroffene Arbeitgeber entgeht dem Schadenersatzanspruch nur dann, wenn er seinerseits darlegen und vor allem beweisen kann, dass nicht diskriminiert wurde oder die unterschiedliche Behandlung aus einem nach § 8 - 10 AGG zulässigen Grund erfolgt ist. Die Beweislastumkehr nach § 22 AGG ist vor allem für den Fall von Bedeutung, dass sich weder Diskriminierung noch Nichtdiskriminierung beweisen lassen. Im Normalfall erhielte die benachteiligte Person keinen Schadensersatz, weil sie die Voraussetzungen ihres Anspruchs nicht beweisen kann. Die Beweislastumkehr verschiebt das Risiko der Nichtbeweisbarkeit auf den Arbeitgeber. Wenn nicht zu beweisen ist, dass das Stellenbesetzungsverfahren trotz geschlechtsspezifischer Ausschreibung geschlechtsneutral verlaufen ist, muss der Arbeitgeber Schadensersatz leisten. Ein zur Beweislastumkehr führendes Diskriminierungsindiz ist z. B. ein nicht geschlechtsneutrales Anforderungsprofil in der Stellenanzeige. Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall seinerseits darlegen und ggf. beweisen, dass § 8 AGG die geschlechtsspezifische Ausschreibung deckt oder dass das Auswahlverfahren diskriminierungsfrei abgelaufen ist, indem z. B. entgegen der Formulierung der Stellenanzeige, Frauen zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sind. Um die Beweislastumkehr zu vermeiden, muss schon das entwickelte Anforderungsprofil daraufhin überprüft werden, ob aus ihm abgeleitet werden kann, dass bestimmte Personen aus in § 1 AGG genannten Gründen nicht für die Stellenbesetzung in Frage kommen. In der Praxis der Stellenanzeigen werden diskriminierende Anforderungen oft auch in dem Teil versteckt, der das Unternehmen oder die Aufgabe vorstellt: „Wir sind ein junges Team“. Die Betonung der Jugendlichkeit der Belegschaft kann ein Indiz dafür sein, dass ältere Bewerber weniger erwünscht sind bzw. für weniger geeignet gehalten werden. Der Schadensersatz besteht in einer Geldleistung an den diskriminierten Bewerber, die die erlittenen materiellen Nachteile kompensiert. Zu ersetzen sind z. B. vergebliche Aufwendungen für Reisekosten, ein Verdienstausfall für die Zeit des Vorstellungsgesprächs, der Wert eines nutzlos aufgewendeten Urlaubstags und die Differenz des derzeitigen Einkommens zu dem bei Einstellung auf der ausgeschriebenen Stelle erzielten Einkommens. In vielen Fällen wird sich belegen lassen, dass die diskriminierte Person im Ergebnis zu Recht nicht eingestellt worden ist, weil der eingestellte Bewerber dem Anforderungsprofil besser entspricht. Gerade das Auswahlkriterium der Kompatibilität der Person mit dem vorhandenen Team,
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4 Die Personalbeschaffung
bietet ein von dem nicht eingestellten Bewerber nur schwer zu widerlegendes Spektrum an Argumentationsmöglichkeiten. Die Aussichten auf Ersatz des durch Nichteinstellung entstandenen Schadens sind in der Praxis nicht allzu groß. Unabhängig von einem nachgewiesen materiellen Schaden hat die benachteiligte Person jedoch gem. § 15 Abs. 2 AGG schon wegen der in der erlittenen Diskriminierung liegenden Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des hierin liegenden immateriellen Schadens. § 15 Abs. 2 AGG schafft einen pauschalierten, vom Verschulden des Arbeitgebers unabhängigen Schmerzensgeldanspruch von bis zu drei Monatsgehältern (der ausgeschriebenen Stelle), selbst wenn die benachteiligte Person auch bei korrektem Verfahren nicht eingestellt worden wäre. Das Schmerzensgeld der oder des Bestqualifizierten wird dagegen nach Art und Schwere des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot bemessen und so hoch festgelegt, dass sich aus dem Risiko einer Zahlungsverpflichtung eine abschreckende Wirkung bzw. im Gegenzug ein besonderer Anreiz ergibt, unzulässige Diskriminierungen zu unterlassen. Die aus den Vereinigten Staaten bekannten astronomischen Summen werden in der deutschen Rechtsprechungspraxis allerdings kaum erreicht werden. Auch wenn die Höhe des Schmerzensgeldes nicht begrenzt ist, werden die Ansprüche die Proportionalität zu Schmerzensgeldansprüchen z. B. wegen schwerer Körperschäden wahren müssen. Die Höchstgrenze von drei Monatsgehältern im Fall der im Ergebnis zutreffenden Nichtberücksichtigung der Bewerbung gibt ebenfalls einen Anhaltspunkt für die Höhe der möglichen Schmerzensgelder. Der Anspruch muss innerhalb einer Ausschlussfrist (dazu siehe Seite 63) von zwei Monaten (§ 15 Abs. 4 AGG) ab dem Zugang der Ablehnung gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden, falls tarifvertraglich keine andere Frist festgelegt worden ist. Der nicht geltend gemachte Anspruch ist nach Ablauf der Ausschlussfrist erloschen.
4.3.4
Kosten des Auswahlverfahrens
Die Kosten der Bewerbung (Erstellung der Unterlagen, Porto) trägt der Bewerber. Wird er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, hat er aufgrund § 670 BGB Anspruch auf Ersatz von Reisekosten, wenn die Erstattung von Reisekosten nicht spätestens mit der Einladung durch den Arbeitgeber ausdrücklich ausgeschlossen wird.
4.4
Auswahl- und Einstellungsverfahren und Betriebsverfassung
Der Betriebsrat ist in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern gem. § 99 BetrVG vor jeder Einstellung zu unterrichten. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Beteiligung am einzelnen Auswahlverfahren etwa durch Teilnahme eines Vertreters an Vorstellungsgesprächen. Eine über die Beteiligungsrechte nach dem BetrVG hinausgehende frühzeitige Einbindung des Betriebsrats in die Auswahlentscheidung kann im
4.5 Auswahl- und Einstellungsverfahren und Schwerbehindertenvertretung
51
Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Unternehmen und Betriebsrat sinnvoll sein. Der Vorteil für den Arbeitgeber besteht darin, dass Konflikte im Einstellungsverfahren deutlich früher erkannt werden und ein Konsens noch vor der Einleitung des formellen Mitbestimmungsverfahrens erzielt werden kann. Dem Betriebsrat sind die Bewerbungsunterlagen vorzulegen und die Personaldaten aller Bewerber mitzuteilen. Falls Anlass besteht, ist der Betriebsrat über Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu unterrichten. Mitzuteilen ist auch der zu besetzende Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung. Gem. § 99 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung innerhalb einer Woche verweigern. Versäumt er die Frist oder äußert er sich nicht, gilt die Zustimmung als erteilt. Die Zustimmung darf nur aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründen verweigert werden. Für die Einstellung besonders relevant sind – – – – –
Nichtbeachtung von höherrangigen Vorschriften (z. B. Beschäftigungsverbote) Nichtbeachtung von Auswahlrichtlinien unbefristete Neueinstellung unter Nichtberücksichtigung gleich geeigneter befristet beschäftigter Arbeitnehmer Nichtdurchführung einer nach § 93 BetrVG erforderlichen internen Ausschreibung Besorgnis, die einzustellende Person werde den Betriebsfrieden stören.
Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung kann gem. § 99 Abs. 3 BetrVG auf Antrag des Arbeitgebers durch eine Entscheidung des Arbeitsgerichts ersetzt werden, wenn die Entscheidung entweder überhaupt nicht auf einen der in § 99 BetrVG genannten Gründe gestützt ist oder die grundsätzlich zulässigen Gründe nicht durch beweisbare Tatsachen belegt werden können. Vor der Zustimmung oder Ersetzung der Zustimmung durch gerichtliche Entscheidung darf die Einstellung nicht umgesetzt, die einzustellende Person also nicht beschäftigt werden. Ein trotz Zustimmungsverweigerung abgeschlossener Arbeitsvertrag bleibt aber wirksam. Die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats bezieht sich trotz des Begriffs „Einstellung“ nicht auf den Abschluss des Arbeitsvertrags, sondern nur auf die Eingliederung in den Betrieb. Ist die Einstellung aus sachlichen Gründen dringend geboten, kann der Arbeitgeber gemäß § 100 Abs. 1 BetrVG die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb vorläufig durchführen. Das Abwicklungsrisiko ist für den Arbeitgeber – für den Fall, dass die Zustimmung nicht durch gerichtliche Entscheidung ersetzt wird, – allerdings erheblich. Auch wird sich kaum ein Arbeitnehmer auf einen Arbeitsvertrag einlassen, der unter der auflösenden Bedingung einer Bestätigung der Zustimmungsverweigerung durch das Arbeitsgericht steht.
4.5
Auswahl- und Einstellungsverfahren und Schwerbehindertenvertretung
Zu beachten sind schließlich die Sonderrechte der Schwerbehindertenvertretung. Die Arbeitgeber sind gem. § 81 Abs. 1 SGB Neuntes Buch verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze
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4 Die Personalbeschaffung
mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, ist diese unter Darlegung der Gründe mit ihr zu erörtern. Dabei wird auch der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unterbleibt, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung ausdrücklich ablehnt.
5
Das Arbeitsverhältnis
5.1
Der Vertrag als Verhandlungsergebnis
Grundlage der Beschäftigung als Arbeitnehmer ist der Arbeitsvertrag. Nach § 105 GewO sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf Inhalt und Form des Arbeitsvertrags frei. Das Arbeitsverhältnis stellt, wenn es nicht lediglich um einen kurzfristigen, einfachen Minijob geht, schon wegen der angestrebten Dauer eine komplexe Rechtsbeziehung dar, die immer einige Regelungen erfordert, die sich unmittelbar weder aus dem Gesetz noch aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen ergeben und Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien voraussetzen. Selbst bei einfachen Tätigkeiten muss z. B. vereinbart werden, wann das Arbeitsverhältnis beginnen soll und welchen zeitlichen Umfang an Leistung der Arbeitnehmer schuldet. In anderen Materien, z.B. in Bezug auf die Höhe der Vergütung hält das Gesetz eine Auffangregelung (§ 612 BGB) für den Fall bereit, dass die Parteien nichts vereinbaren. Wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Festlegung z. B. der konkreten Vergütung nicht Dritten (d. h. in der Praxis dem Arbeitsrichter) überlassen wollen, tun sie gut daran, diesen oder ähnliche Regelungspunkte selbst in die Hand zu nehmen. Eine grundsätzliche Frage ist es auch, ob der Arbeitsvertrag z. B. in Bezug auf Arbeitsort und Arbeitsaufgabe eher allgemeine, offene Regelungen oder konkretere Festlegungen enthalten soll. Erstere sind eher im Interesse des Arbeitgebers, letztere können notwendig sein, um besondere Interessen des Arbeitnehmers abzusichern (zu den Einzelheiten s. u. S. 57 ff.). Auch wenn – wie oben festgestellt – Arbeitnehmer und Arbeitgeber strukturell nicht auf Augenhöhe verhandeln, heißt das nicht, dass überhaupt keine Verhandlungen stattfinden. Gerade wenn Gesetze und Tarifverträge Mindeststandards für Arbeitsbedingungen setzen, muss sich nicht jeder Arbeitnehmer mit diesen Mindeststandards zufrieden geben, wenn seine individuelle Verhandlungsposition bessere Ergebnisse ermöglicht. Je weniger austauschbar die persönliche berufliche Qualifikation ist, desto eher ist es möglich, über den Verhandlungsweg zu Arbeitsbedingungen zu kommen, die über den Mindeststandard hinausgehen. Das gilt insbesondere für berufserfahrenes Personal mit einer akademischen Qualifikation. Mit der Qualifikation wird häufig für den Arbeitnehmer die Zahl der möglichen Alternativen steigen, so dass er im Idealfall auf den konkreten Vertragsabschluss nicht angewiesen ist. Umgekehrt kann eine ideale Passung von Anforderungsprofil und Bewerberprofil für den Arbeitgeber so hochgradig interessant sein, dass ein Abschluss eines Vertrags mit einem anderen Bewerber selbst als „second best“ Lösung wenig attraktiv ist. Voraussetzung für einen für beide Seiten erfolgreichen Verhandlungsprozess ist allerdings, dass beide
54
5 Das Arbeitsverhältnis
Beteiligten ihre jeweiligen Interessen bewusst und vollständig ermittelt haben und dass die Verhandlung insbesondere von Arbeitgeberseite nicht als Machtdemonstration genutzt wird. Zwar stehen sich die Verhandlungsziele von Arbeitgeber und Arbeitnehmer entgegen, weil der Arbeitgeber die beste Person zu den geringsten Kosten, der Arbeitnehmer seine Qualifikation aber bestmöglich vermarkten will. Beide Parteien erreichen ihre Ziele aber nur dann, wenn es ihnen gelingt, ihre Interessen durch einen Arbeitsvertrag zu verbinden und während des Arbeitsverhältnisses die konstruktive Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten. Voraussetzung für eine ergebnisorientierte Verhandlungsführung bei einer langfristigen und persönlichen Beziehung wie bei einem Arbeitsvertrag ist auf beiden Seiten Glaubwürdigkeit und Vertrauen, Verständnis für die Situation der anderen Seite und aber auch der Mut, einen Arbeitsvertrag nicht zu schließen, wenn das Scheitern der Arbeitsbeziehung absehbar ist. Das Arbeitsverhältnis ist unter den auf Dauer angelegten Rechtsbeziehungen einer besonderen Änderungsdynamik ausgesetzt, deren Einzelheiten unmöglich bei Abschluss des Arbeitsvertrags vorhergesehen werden können. Eine Verhandlungssituation ergibt sich nicht nur zu Beginn des Arbeitsverhältnisses, sondern auch immer wieder während des laufenden Arbeitsverhältnisses. Das betrifft nicht nur die Höhe der Vergütung („Hey Chef, ich brauch mehr Geld“), sondern auch Veränderungen des Arbeitszeitvolumens, der konkreten Arbeitsaufgaben, Eröffnung von Entwicklungsperspektiven und Karrierepfaden etc.
5.2
Der anzuwendende Rechtsrahmen – Internationale Mobilität und Arbeitsverträge
Durchaus nicht selbstverständlich ist, dass für einen Arbeitsvertrag, der in Deutschland geschlossen wird, deutsches Arbeitsrecht und ein deutscher Tarifvertrag gelten. Arbeitsverhältnisse gewinnen immer häufiger einen internationalen Bezug, indem deutsche Staatsangehörige einen Arbeitsvertrag mit einem ausländischen Arbeitgeber mit oder ohne Firmensitz im Inland schließen, ausländische Arbeitnehmer im Rahmen eines Arbeitsvertrages mit einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber tätig werden oder ausländische Unternehmen mit eigenem Personal Leistungen in Deutschland erbringen. Art. 27 Abs. 1 EGBGB überlässt die Wahl des maßgeblichen Rechts den Vertragsparteien. Die Rechtswahlfreiheit ist Teil der Privatautonomie. Da es für einen deutschen Arbeitnehmer und einen deutschen Arbeitgeber möglich wäre, die maßgeblichen Vorschriften z. B. des französischen Arbeitsrechts abzuschreiben und individuell zur Grundlage der Rechtsbeziehung zu machen, ist es konsequent, dass aufgrund Art. 27 EGBGB der Einfachheit halber vertraglich die Geltung z. B. des gesamten französischen Zivilrechts oder auch die Geltung einzelner Normen daraus vereinbart werden kann. Es ist gem. Art. 27 Abs. 1 EGBGB auch möglich eine einmal getroffene Rechtswahl zu ändern. Die Wahl einer bestimmten Rechtsordnung kann ausdrücklich erfolgen oder als stillschweigende Wahl aus Indizien abzuleiten sein. Anhaltspunkte können die gemeinsame fremde Staatsangehörigkeit, die Vertragssprache, die vereinbarte Währung der Vergütung oder ein vereinbarter Gerichtsstand sein.
5.2 Der anzuwendende Rechtsrahmen – Internationale Mobilität und Arbeitsverträge
55
Art. 34 EGBGB nimmt von der Möglichkeit der Rechtswahl von vornherein sog. Eingriffsnormen aus. Es handelt sich um die Normen des deutschen (Privat-)Rechts, die auch bei internationalen Bezügen eines Arbeitsverhältnisses zwingend gelten sollen. Diese sind entweder ausdrücklich durch Gesetz festgelegt (z. B. § 7 AEntG) oder müssen anhand der einzelnen Vorschrift durch Auslegung geklärt werden. Art. 34 EGBGB erfasst nicht alle zwingenden deutschen Rechtsnormen, sondern nur die Normen, die wenigstens auch im Interesse des Gemeinwohls stehen. Eine restriktive Auslegung ist notwendig, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Ein wesentlicher Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Eingriffsnorm ist, dass der Staat auf ihre Nichteinhaltung mit Bußgeldern oder Strafen reagiert. Daneben kann es durchaus Normen geben, die für Inlandssachverhalte zwingend gelten, bei denen aber nur Interessen der Vertragsparteien betroffen sind, so dass sie bei einem internationalen Bezug des Sachverhalts ihren zwingenden Charakter verlieren und grundsätzlich zur Disposition stehen. Als Eingriffsnorm i. S. von Art. 34 EGBGB werden z. B. das Schwerbehindertenrecht und die Kündigungsverbote nach dem MuSchG angesehen. Begrenzt ist die freie Rechtswahl außerdem durch Art. 6 EGBGB, wenn die anzuwendende ausländische Rechtsnorm zu einem Ergebnis führt, das mit deutschem Recht, insbesondere den Grundrechten offensichtlich unvereinbar ist. Ausländische Dienstboten dürfen bei einer Tätigkeit in Deutschland für Fehlleistungen nicht mit körperlicher Züchtigung bestraft werden, auch wenn für das Dienstverhältnis das Recht des Heimatstaates gilt und dieses Recht die Züchtigung zulässt. Art. 27 Abs. 3 EGBGB schränkt die Folgen der Wahl eines ausländischen Rechts für reine Inlandssachverhalte ein. Wenn die Auslandsberührung sich auf die Vereinbarung einer fremden Rechtsordnung als Grundlage des Arbeitsverhältnisses beschränkt, geht das zwingende inländische Recht dem vereinbarten ausländischen Recht nicht nur mit seinen Eingriffsnormen, sondern vollständig vor. Die fremde Staatsangehörigkeit einer der Vertragsparteien reicht als einziger Anknüpfungspunkt für Auslandsberührung und damit vollständige Rechtswahlfreiheit nicht aus. Die Rechtswahl ersetzt bei Inlandssachverhalten das deutsche Recht durch die Vorschriften der gewählten Rechtsordnung nur, soweit das deutsche Recht dispositiv ist. Zwingendes inländisches Recht sind die zahlreichen Normen des Privatrechts, die Mindeststandards für Arbeitsverträge regeln, aber auch Tarifverträge, wenn sie für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Auch Normen des öffentlichen Rechts sind von Art. 27 Abs. 3 EGBGB betroffen, soweit sie Vorschriften für Arbeitsverträge enthalten. Ein in Deutschland lebender indischer Staatsangehöriger kann mit seinem deutschen Arbeitgeber im Arbeitsvertrag also indisches Recht wählen, es bleibt aber für die Kündigung aufgrund Art. 27 Abs. 3 EGBGB beim Schriftformerfordernis nach § 623 BGB (zwingendes deutsches Recht), auch wenn indisches Recht die mündliche Kündigung erlauben sollte. Auch die Kündigungsfristen können durch die Vereinbarung ausländischen Rechts nicht verkürzt werden. In allen Fällen echter Auslandsberührung ist in den Grenzen von Art. 6 und 34 EGBGB eine Rechtswahl und damit eine Vereinbarung ausländischen Arbeitsrechts möglich. Das gilt auch für den Fall, dass ein von einem deutschen Unternehmen in Deutschland beschäftigter deutscher Staatsangehöriger für das Unternehmen im Ausland tätig werden soll. Haben die Vertragsparteien weder ausdrücklich noch stillschweigend eine Rechtswahl getroffen, regelt Art. 30 Abs. 2 EGBGB für Arbeitsverhältnisse mit Auslandsberührung, welche Rechtsord-
56
5 Das Arbeitsverhältnis
nung gelten soll. Gem. Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB gilt primär das Recht des Staates, in dem gewöhnlich die Arbeit zu verrichten ist, d. h. in dem der Arbeitsort liegt. Errichtet ein deutsches Unternehmen im Ausland eine Anlage, wird das lokal angeworbene Personal (Ortskräfte) danach i. d. R. auf der Basis des ausländischen Arbeitsrechts tätig. Für das im deutschen Inland für das Projekt angeworbene und eingestellte oder im Unternehmen bereits beschäftigte (Stamm-)Personal gilt weiter deutsches Arbeitsrecht, auch wenn es im Rahmen des Projekts z. T. längerfristig im Ausland vor Ort tätig ist. Eine vorübergehende Entsendung zur Arbeit in einen anderen Staat ändert gem. Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 2. Halbs. EGBGB an der Geltung des Rechts des Arbeitsortes und an der Lokalisierung des Arbeitsortes nämlich nichts. „Vorübergehend“ können auch sehr langfristige Auslandseinsätze sein, da es keine starre Frist gibt. Endgültig ist das Verlassen des Arbeitsortes des Heimatlandes erst ab dem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass es zu einer Rückkehr nicht mehr kommen wird. Gem. § 4 SGB Viertes Buch bleibt es für ein deutsches, von Entsendung betroffenes Arbeitsverhältnis bei der Sozialversicherungspflicht. Ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitgeber des Heimatstaates ist im übrigen keine zwingende Voraussetzung, um sozialversicherungsrechtlich von einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt auszugehen. Auf diese Weise kann z. B. eine deutsche Renten- und Krankenversicherung vom im Ausland tätigen Arbeitnehmer fortgesetzt werden. Ist ein gewöhnlicher Arbeitsort nicht einem Staat zuzuordnen (z. B. Piloten, Flugbegleiter, international tätige Berater) gilt gem. Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB das Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat. Um auch ganz besondere Sachverhalte berücksichtigen zu können, gelten die Bestimmungen eines anderen Staates, wenn das Arbeitsverhältnis zu diesem Staat eine engere Beziehung aufweist. Auch bei einer zulässigen Vereinbarung ausländischen Arbeitsrechts werden die Auswirkungen dieser Rechtswahl über Art. 34 EGBGB hinaus durch Art. 30 Abs. 1 EGBGB beschränkt. Dem Arbeitnehmer darf nicht der Schutz der zwingenden Vorschriften des Rechts entzogen werden, das ohne Rechtswahl auf den Arbeitsvertrag anzuwenden wäre. Welches Recht für das Arbeitsverhältnis gilt, steht damit nicht von vornherein fest. Während Art. 27 Abs. 3 EGBGB klarstellt, dass bei fehlendem Auslandsbezug zwingendes deutsches Arbeitsrecht überhaupt nicht ausgehebelt werden kann, liegt im Fall von Art. 30 Abs. 1 EGBGB ein Auslandsbezug vor, der eine deutsches Recht abbedingende Rechtswahl grundsätzlich rechtfertigt. Die Entscheidung, ob dem Arbeitnehmer aufgrund der Rechtswahl „Schutz entzogen“ wird, macht dann neben der Feststellung, welches Recht tatsächlich gewählt worden ist, zusätzlich die Beurteilung erforderlich, welches Recht gem. Art. 30 Abs. 2 EGBGB ohne die Rechtswahl gegolten hätte und ob das gewählte Recht geringere Vertragsstandards vorsieht als das ohne Wahl geltende. Der Günstigkeitsvergleich wird nicht pauschal vorgenommen (z. B. deutsches gegen britisches Arbeitsrecht), sondern wird für die jeweilige Sachfrage und die damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Regelungen angestellt. (Deutsche und britische Mindesturlaubsregelungen bzw. deutsche und britische Kündigungsschutzvorschriften) Das Ergebnis ist durchaus offen. Nicht immer setzt das deutsche Arbeitsrecht das höchste Schutzniveau, auch wenn es in der Gesamtwirkung im Ruf steht, den Arbeitnehmerschutz überzubetonen.
5.3 Der Inhalt des Arbeitsvertrags im Einzelnen
57
Im Streitfall muss ein Gericht darüber entscheiden, welches Arbeitsrecht anzuwenden ist. Bei Auslandsbezug ist eine Vereinbarung über den Gerichtsstand zulässig und zur verbindlichen Klärung wenigstens dieser Frage auch empfehlenswert. Bei fehlendem Auslandsbezug bleibt ohnehin die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig. Sonderregelungen bestehen für die Beschäftigung aus dem Ausland nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer. Aufgrund der Entsendung gilt gem. Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB als Arbeitsort weiterhin ein Ort im Heimatstaat oder der dortige Sitz des Arbeitgebers und damit das Arbeitsrecht des Heimatstaates. Deutsches öffentliches Recht gilt, soweit es die Tätigkeit als solche erfasst. Deutsche Sicherheitsbestimmungen, Arbeitszeithöchstgrenzen usw. sind aufgrund Art. 34 EGBGB von ausländischen entsandten Arbeitnehmern bei einer Tätigkeit in Deutschland einzuhalten. Arbeitsentgelte nach Deutschland entsandter Personen sind jedoch gem. § 4 SGB Viertes Buch sozialversicherungsfrei. Die Einzelheiten einer Entsendung von Arbeitnehmern nach Deutschland regelt das eine Richtlinie der EU umsetzende AEntG. § 1 AEntG ordnet die Verbindlichkeit u. a. der Regelungen eines gem. § 5 Abs. 4 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über Mindestentgeltsätze, Überstundensätze, Dauer des Erholungsurlaubs, Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld für die Arbeitsverhältnisse entsandter Arbeitnehmer im Bauhaupt- und Baunebengewerbe an. Auf diese Weise wird u. a. das deutsche Baugewerbe vor Konkurrenz durch ausländische Firmen geschützt, die allein aufgrund des Lohngefälles und niedrigerer Sozialbeiträge günstiger anbieten können. § 7 AEntG gilt für alle Branchen einschließlich des Baugewerbes und korrespondiert mit Art. 34 EGBGB. Die Vorschrift erklärt die für das Arbeitsverhältnis geltenden deutschen Vorschriften über die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, den bezahlten Mindestjahresurlaub, die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze, die Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen, die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Hygiene am Arbeitsplatz, die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen auch für die Arbeitsverhältnisse entsandter Arbeitnehmer verbindlich zu Eingriffsnormen i. S. von Art. 34 EGBGB und damit zu zwingendem Recht. Gem. § 7 Abs. 2 AEntG sind auch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge bis auf die Regelungen zu Mindesturlaub, Mindestentgelten und Überstunden zwingendes Recht i. S. von Art. 34 EGBGB, wenn sie zu den in § 7 Abs. 1 AEntG genannten Materien Bestimmungen enthalten.
5.3
Der Inhalt des Arbeitsvertrags im Einzelnen
5.3.1
Tarifanwendungsklauseln
Zwingende gesetzliche und tarifliche Regelungen gelten für den Arbeitsvertrag und sind nicht Verhandlungsergebnis. Werden sie im Vertrag wiederholt, ist das überflüssig und vor allem dann eine Quelle von Missverständnissen, wenn die Gesetzeslage oder der Tarifvertrag
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5 Das Arbeitsverhältnis
sich geändert haben, der Vertragstext aber nicht angepasst worden ist. Als von den Vertragsparteien selbst vereinbartes „Gesetz“ der Rechtsbeziehung kann und muss der Vertrag nur regeln, was von Normen nicht abschließend geregelt ist oder was Gesetz und Tarifvertrag den Vertragsparteien zur Regelung überlassen. Dazu gehört allerdings auch die Möglichkeit, bessere als die gesetzlichen Mindestbedingungen für die Beschäftigung vorzusehen. Ist der Arbeitgeber als Mitglied eines Arbeitgeberverbandes oder Partner eines Haustarifvertrags tarifgebunden, wird er in allen Arbeitsverträgen vorsehen, dass der jeweils anzuwendende Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis gilt. Der Inhalt des Tarifvertrags muss im Arbeitsvertrag dann nicht wiederholt werden. Für Gewerkschaftsmitglieder gilt der Tarifvertrag aufgrund seiner normativen Wirkung auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ohnehin (s. o. S. 17). Trotzdem ist es sinnvoll im Arbeitsvertrag den anzuwendenden Tarifvertrag zu nennen. Der Arbeitgeber weiß nicht, ob der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist und darf ihn auch nicht danach fragen. Er muss also sicherheitshalber bei der Vertragsgestaltung davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer keiner Gewerkschaft angehört. Für Nichtgewerkschaftsmitglieder hat der Verweis auf einen Tarifvertrag den Charakter einer sog. Gleichstellungsabrede. Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren damit, dass der Arbeitnehmer als Nichtgewerkschaftsmitglied zu denselben Arbeitsbedingungen wie Gewerkschaftsmitglieder tätig wird. Auf Tarifverträge kann auch Bezug nehmen, wer als Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist. Eine Bezugnahme auf einzelne Tarifverträge ist schließlich auch dann möglich, wenn in der Branche zwar Tarifverträge gelten, der Arbeitnehmer aber als sog. außertariflicher Arbeitnehmer z. B. wegen der erreichten Vergütungshöhe vom Geltungsbereich der Tarifverträge aber nicht (mehr) erfasst ist. Wenn die Geltung von Tarifverträgen vereinbart wird, reicht es aus, im Arbeitsvertrag nur die Punkte ausführlicher zu formulieren, in denen außertarifliche Leistungen oder aufgrund von Öffnungsklauseln abweichende Regelungen vereinbart werden.
5.3.2
Ort der Arbeitsleistung
§ 106 GewO überlässt die Bestimmung des Ortes der Arbeitsleistung dem billigen Ermessen des Arbeitgebers. § 2 Abs. 4 NachwG geht offensichtlich davon aus, dass im Arbeitsvertrag ein Ort der Arbeitsleistung festgelegt wird. Falls die Arbeitsleistung an verschiedenen Orten zu erbringen ist, soll wenigstens dies festgehalten werden. Die Formulierung des Arbeitsvertrags engt die Handlungsspielräume des Arbeitgebers bei der Ausübung des Ermessens ein und will deshalb überlegt sein. Arbeitsvertraglich festgelegt wird üblicherweise ein geografischer Ort, eine politische Gemeinde oder ein Betrieb des Unternehmens, nie ein konkreter Arbeitsplatz innerhalb eines Betriebes. Wenn ein Betrieb an mehreren geografischen Orten Betriebsteile hat, wird der Arbeitgeber den Betrieb als Arbeitsort bezeichnen wollen. Umgekehrt kann der Arbeitnehmer gerade in diesem Fall ein Interesse daran haben, die Tätigkeit in einem bestimmten Betriebsteil durch Bezeichnung des geografischen Ortes vertraglich festzuschreiben, wenn er z. B. wegen ungünstiger Verkehrsverbindungen zu dem in einem anderen Ort gelegenen Betriebsteil dort nicht arbeiten möchte. Der Betrieb bzw. der vereinbarte geografische Ort bleibt Arbeitsort auch dann, wenn z. B. Montagearbeiten auf Baustellen außerhalb des Betriebsgeländes
5.3 Der Inhalt des Arbeitsvertrags im Einzelnen
59
durchzuführen sind. Mit Personen, die ständig im Außendienst tätig sind, wird ein definiertes regionales Gebiet vereinbart werden. Soll oder will der Arbeitnehmer Leistungen ganz oder teilweise von zu Hause aus erbringen, liegt sog. Telearbeit vor. Arbeitsort ist dann nicht der Betrieb, sondern die Wohnung. Dies muss vertraglich festgelegt werden. In diesem Fall sind auch Kosten für Einrichtung und Betrieb des häuslichen Arbeitsplatzes und der Telekommunikation vertraglich zu regeln. Tarifverträge haben sich in vielen Fällen bereits der Telearbeit angenommen und bieten einen normativen Rahmen.
5.3.3
Art der Arbeitsleistung
Gem. § 106 GewO kann der Arbeitgeber den Inhalt der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen (s. u. Seite 71 ff.) bestimmen. § 2 Abs. 5 NachwG geht davon aus, dass im Arbeitsvertrag die zu verrichtende Tätigkeit in kurzer Form beschrieben oder charakterisiert ist. Dem Arbeitgeber ist daran gelegen, möglichst flexibel zu bleiben und offene Formulierungen zu verwenden, wenigstens aber sich einseitige Änderungen vorzubehalten. Der Arbeitnehmer, der sich auf eine Stelle beworben hat, die bestimmte Tätigkeiten zum Inhalt hat, wird eher Wert darauf legen, dass ihn Festlegungen des Vertrags vor einseitigen Änderungen schützen, vor allem dann, wenn die bei der Bewerbung in Aussicht gestellte Tätigkeit mit besonderen Entwicklungschancen verbunden ist. Je konkreter die auszuübende Tätigkeit beschrieben ist, desto mehr ist der Arbeitgeber in der Ausübung seines Weisungsrechts eingeschränkt und desto sicherer bleibt es bei der ursprünglichen Arbeitsaufgabe. Besteht Änderungsbedarf und kann sich der Arbeitnehmer mit dem Vorschlag des Arbeitgebers anfreunden, ist eine einvernehmliche Änderung des Vertrags immer noch möglich. Ein Wechsel der Tätigkeit ist vom Arbeitgeber einseitig nur durch Änderungskündigung des Arbeitsvertrags zu erzwingen, die begründet sein will. Risiken birgt eine zu enge Festlegung der Tätigkeit für den Arbeitnehmer, wenn die Arbeitsaufgabe und damit sein Arbeitsplatz durch die technische Entwicklung oder Outsourcingentscheidungen wegfällt. Üblich sind eher pauschale Aussagen wie „als kaufmännischer Angestellter“, „als Mitarbeiter in der Produktion“, „als Werkzeugmacher“ oder Ähnliches. Wenn der Tarifvertrag für die Eingruppierung bestimmte Tätigkeiten oder Tätigkeitsgruppen zusammenfasst, bietet es sich an, die dafür gefundenen Formulierungen zu übernehmen. Die Bezeichnung der Arbeitsaufgabe im Arbeitsvertrag sollte nicht den Detaillierungsgrad einer Stellenbeschreibung annehmen. Es liegt weder im Interesse des Arbeitnehmers noch des Arbeitgebers, wenn bei jeder noch so marginalen Aufgabenänderung ein Änderungsvertrag abgeschlossen werden muss.
5.3.4
Vergütung
Die Vergütung ist im Arbeitsverhältnis die Hauptleistung des Arbeitgebers als Gegenleistung für die erhaltene Arbeit. Soweit sich deren Elemente und Höhe aus einem Tarifvertrag ergeben und außertarifliche Leistungen nicht verhandelt werden sollen oder können, ist im Vertrag nichts zu regeln. Soll nicht nach einem Tarifvertrag vergütet werden, weil der nicht tarifgebundene Arbeitgeber ein eigenes Vergütungssystem anwenden oder eine übertarifliche
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5 Das Arbeitsverhältnis
oder außertarifliche Vergütung gewähren will, ist eine individuelle Bestimmung des Gehalts notwendiges Kernstück des Arbeitsvertrags. In größeren Unternehmen können für den außertariflichen Bereich Vergütungsrichtlinien entwickelt worden sein, auf die aber nur dann Bezug genommen werden kann, wenn diese zuverlässig dokumentiert sind. Ist keine Vergütung vereinbart, schuldet der Arbeitgeber eine Vergütung, wenn die Leistung den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist. Ist die konkrete Höhe der Vergütung nicht vereinbart, schuldet der Arbeitgeber gem. § 612 BGB die übliche Vergütung. Bestehen ein Tarifvertrag oder hausinterne Richtlinien, ist die übliche Vergütung die sich bei Anwendung dieser Bestimmungen ergebende Vergütung. Auch wenn im Arbeitsvertrag eine konkrete Vergütung vereinbart ist, darf die übliche Vergütung nicht beliebig unterschritten werden. Vergütungsabreden sind gem. § 138 Abs. 2 BGB nichtig, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen. Das ist ganz sicher dann der Fall, wenn für die geleistete Arbeit, z. B. während einer Probezeit, gar keine Vergütung gezahlt wird oder wenn ein der Begriff längerfristiges „Praktikum“ eine Arbeitsleistung verdecken soll. Ein auffälliges Missverhältnis wird auch dann angenommen, wenn die vereinbarte Vergütung nur zwei Drittel des Tariflohns oder weniger beträgt. In all diesen Fällen enthält der Arbeitsvertrag keine wirksame Vergütungsvereinbarung, so dass zugunsten des Arbeitnehmers § 612 BGB eingreift und die übliche – also die tarifliche – Vergütung zu zahlen ist. Geschuldet wird als Vergütung in der Regel ein Geldbetrag, der gem. § 107 Abs. 1 GewO in Euro zu berechnen und auszuzahlen ist. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO lässt Sachbezüge bzw. Naturalleistungen anstelle einer Vergütung in Geld nur zu, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. § 107 Abs. 2 Satz 2 5 GewO schützt die freie Verfügung des Arbeitnehmers über die in Geld ausgezahlte Vergütung, indem der Verkauf von Waren an den Arbeitnehmer gegen Anrechnung auf das Arbeitsentgelt nur zu den durchschnittlichen Selbstkosten des Arbeitgebers erfolgen darf. Vom Arbeitgeber finanzierte Käufe des Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber sind unzulässig. Mindestens der nach Maßgabe von § 850 ZPO unpfändbare Betrag des Einkommens muss zwingend in Geld ausgezahlt werden. Sachleistungen statt Geld sind für den Arbeitnehmer vor allem dann von Interesse, wenn das Steuerrecht wie z. B. bei der Pauschalversteuerung privat genutzter Dienstwagen den zufließenden geldwerten Vorteil unterbewertet und ein Teil des realen Wertes der Sachleistung dadurch unversteuert bleibt. Ein ähnlicher Effekt tritt in Bezug auf die Sozialversicherungsbeiträge ein. Die Sachleistung führt bei gleicher Bruttobelastung des Arbeitgebers zu einem höheren Nettoeffekt beim Arbeitnehmer als die Auszahlung des für die Sachleistung aufgewendeten Betrages in bar. Verbreitete Sachleistungen sind: – – – –
Dienstwagen auch zur privaten Nutzung Mobiltelefon auch zur privaten Nutzung Deputate (Bier, Spirituosen in Brauerei und Brennerei, Zigaretten in Tabakindustrie) Aktienoptionen (bei Führungskräften)
Der im Arbeitsvertrag vereinbarte bzw. aus dem Tarifvertrag übernommene Geldbetrag ist der Bruttobetrag. Vom Bruttobetrag werden die Lohn- und Einkommensteuer sowie der Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung abgezogen. Diese Beträge führt der Arbeitgeber
5.3 Der Inhalt des Arbeitsvertrags im Einzelnen
61
zusammen mit dem Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge an die gesetzliche Krankenkasse bzw. an das für den Arbeitnehmer zuständige Finanzamt ab. An den Arbeitnehmer wird nur der Nettobetrag ausgezahlt. Einzelne Komponenten der in Geld geschuldeten Vergütung können sowohl sozialversicherungsbeitragsfrei als auch nicht steuerpflichtig sein; andere Komponenten sind beitragsfrei, müssen aber versteuert werden. Der hohe Grad an Differenzierung soll der Einzelfallgerechtigkeit dienen, ist aber vor allem ein Beitrag zur Steigerung der Personalverwaltungskosten. Zahlungsweise (heute in aller Regel bargeldlos) und Fälligkeitstermine der Vergütung ergeben sich meist schon aus den Tarifverträgen, so dass die Verweisungsklausel ausreicht. Sind Tarifverträge nicht anwendbar und wird nichts geregelt, gilt § 614 Satz 2 BGB. Eine nach Monaten bemessene Vergütung wird dann nach Abschluss des jeweiligen Monats, also nachträglich gezahlt. Wer etwas anderes will, muss das ausdrücklich vereinbaren.
5.3.5
Arbeitszeit
Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers besteht in der Arbeitsleistung. Da Gegenstand des Arbeitsvertrags nicht ein Erfolg oder ein bestimmtes Leistungsergebnis, sondern nur eine in Zeitdauer bemessene Leistung ist, muss in jedem Arbeitsvertrag die Dauer der geschuldeten Arbeitszeit vereinbart werden, die die Gegenleistung für die vom Arbeitgeber zu zahlende Vergütung darstellt. Vollzeitarbeit In den Tarifverträgen ist die Arbeitszeit eines sog. Vollzeitarbeitnehmers festgelegt. Anknüpfungspunkt der Arbeitszeit ist oft die Kalenderwoche. Arbeitgeberseitig besteht ein erhebliches Interesse an möglichst flexiblen Arbeitszeitstrukturen. Die Referenzperiode des Vollzeitarbeitsverhältnisses kann ein Tag, eine Woche, ein Monat oder ein Kalenderjahr sein. Über ein Jahr hinausgehende Bezugsperioden sind auch unter dem Gesichtspunkt „Worklife-balance“ ein interessanter Ansatz, die Lebensarbeitszeit auf die verschiedenen Altersphasen differenziert zu verteilen, meist aber mit Vorleistungen des Arbeitnehmers verbunden, die z. B. gegen die Insolvenz des Arbeitgebers abgesichert werden müssen. Da die konkrete Dauer der tariflich festgelegten Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten stets Gegenstand von Änderungsbestrebungen ist, wird in Arbeitsverträgen im Bereich der Tarifbindung oft keine konkrete Stundenzahl festgeschrieben, sondern vereinbart, dass der Arbeitnehmer als Vollzeitbeschäftigter eingestellt wird. Einzelvertraglich kann bei Tarifbindung nur eine kürzere als die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit, keine längere Arbeitszeit vereinbart werden. vor. Wird über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus gearbeitet, entstehen Mehr- bzw. Überstunden (dazu unten S. 81). Nicht tarifgebundene Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit einzelvertraglich ausdrücklich oder durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag festlegen. Tarifgebundene Arbeitgeber könnten mit Arbeitnehmern, die nicht Gewerkschaftsmitglied sind, längere Arbeitszeiten als tariflich vorgesehen vereinbaren, würden damit aber einen hohen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt schaffen.
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5 Das Arbeitsverhältnis
Teilzeitarbeit Die Erosion des Leitbildes vom vollzeitbeschäftigten männlichen Arbeitnehmer führt dazu, dass das Arbeitszeitvolumen ein zunehmend wichtigerer Verhandlungsgegenstand ist. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in Deutschland beträgt ca. 21% der Gesamtbeschäftigten mit steigender Tendenz. Teilzeitarbeitsverhältnisse sind vereinbart, wenn die regelmäßige Wochenarbeitszeit hinter derjenigen vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer zurückbleibt; § 2 TzBfG. Im Arbeitsvertrag kann das mit einer konkreten, die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit unterschreitenden Wochen- oder Jahresarbeitszeit ausgedrückt werden. Die Definition der von einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens zu erbringende Arbeitszeit, erlaubt es aber auch, Teilzeitarbeitsverhältnisse als Bruchteil eines Vollzeitarbeitsverhältnisses oder mit einer Quote in Bezug auf das tarifliche Vollzeitarbeitsverhältnis (3/4, 0,75) darzustellen. Über das AGG hinausgehend regeln §§ 4 und 19 TzBfG, dass Teilzeitbeschäftigte aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit z. B. bei der Bemessung der Vergütung und bei der Beteiligung an Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung nicht benachteiligt werden dürfen. Die Initiative zur Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen kann vom Arbeitgeber ausgehen, wenn Vollzeitarbeitsplätze in mehrere Teilzeitarbeitsplätze geteilt werden, z. B. um Kostenvorteile gegenüber sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu realisieren. Innerhalb der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse wird die Initiative eher von der Arbeitnehmerseite ausgehen, meist um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicher zu stellen. Für Vollzeitbeschäftigte besteht nach sechs Monaten Beschäftigung ein Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung; es sei denn betriebliche Gründe stehen entgegen; § 8 TzBfG. Bei Teilzeitarbeitsverhältnissen, insbesondere bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen muss die konkrete Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage und die Lage der Arbeitsstunden innerhalb eines Arbeitstages verhandelt werden. Sonderformen der Teilzeitbeschäftigung sind mit der Arbeit auf Abruf, § 12 TzBfG und dem Job-Sharing; § 13 TzBfG gesetzlich geregelt. Wenn der Arbeitnehmer ein Interesse daran hat, Arbeit nur zu bestimmten Zeitpunkten oder Zeiträumen zu leisten, Teilzeitarbeit z. B. auf bestimmte Wochentage zu konzentrieren oder immer nur vormittags zu arbeiten, kann es sinnvoll sein, das vertraglich festzuschreiben, um sich so wirksam vor einseitigen Änderungsverlangen zu schützen. Der Arbeitgeber ist auf Festschreibungen nicht angewiesen, da er gem. § 106 GewO den Zeitpunkt der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen kann. Für ihn besteht deshalb regelmäßig kein Anlass, durch vertragliche Vereinbarungen Handlungsspielräume in Bezug auf die Zeit der Arbeitsleistung aufzugeben. Üblich ist eine derartige Festlegung in der Praxis deshalb auch nicht. Erholungsurlaub Arbeitszeitrelevant ist schließlich der Erholungsurlaub. Aus § 2 BUrlG ergibt sich ein Mindesturlaub von vier Wochen jährlich. Die Tarifverträge gehen hierüber meist deutlich hinaus. Wer außerhalb einer bestehenden Tarifbindung mehr als den gesetzlichen Mindesturlaub beanspruchen will, muss dies vertraglich regeln.
5.3 Der Inhalt des Arbeitsvertrags im Einzelnen
5.3.6
63
Kündigungsfristen
Sowohl die arbeitgeberseitige als auch die arbeitnehmerseitige ordentliche Kündigung sind nach § 622 BGB an die Einhaltung von Kündigungsfristen gebunden, damit sich der Vertragspartner auf die Beendigung des Vertrags einstellen kann. Für die arbeitgeberseitige Kündigung kann von den gesetzlichen Regelungen durch Tarifvertrag abgewichen werden. Dies drückt sich vor allem in der Vereinbarung verlängerter arbeitgeberseitiger Kündigungsfristen (günstige Abweichung) oder der Beschränkung der Kündigung zu bestimmten Terminen im Jahr (Quartal, Halbjahr; für die arbeitnehmerseitige Kündigung eine ungünstige Abweichung) aus. § 622 Abs. 5 BGB lässt zu, dass Kleinbetriebe einzelvertraglich kürzere als die gesetzlichen Kündigungsfristen schriftlich vereinbaren können. In einem Tarifvertrag geregelte ungünstige Abweichungen von § 622 BGB können gem. § 622 Abs. 4 BGB auch von dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und auch für nicht kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft an den Tarifvertrag gebundene Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbart werden. Die Arbeitgeber haben bezüglich der verschiedenen Beschäftigtengruppen Interesse an unterschiedlichen Kündigungsregelungen. Bei Personal niedriger Qualifikationsstufen steht die Möglichkeit im Vordergrund, kurzfristig und flexibel auf Auslastungsschwankungen reagieren zu können. Je wichtiger die Person und deren Know-how für den Betrieb ist, desto größer wird das Interesse des Arbeitgebers sein, sich gegen kurzfristiges Abwandern abzusichern und längere Kündigungsfristen zu vereinbaren. Einzelvertraglich kann zugunsten des Arbeitnehmers von § 622 BGB ohne weiteres abgewichen werden. Für die Kündigung des Arbeitnehmers darf jedoch gem. § 622 Abs. 6 BGB keine längere Kündigungsfrist als für die arbeitgeberseitige Kündigung vorgesehen werden.
5.3.7
Verjährungs- und Ausschlussfristen
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (Vergütung, Schadensersatz, Arbeitszeugnis etc.) unterliegen gem. § 195 BGB der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren, beginnend jeweils zum Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Diese Frist ist relativ lang, so dass sich gerade bei einer höheren Fluktuationsrate des Personals Schwierigkeiten bei der Klärung der Ansprüche ergeben können oder Unterlagen unangemessen lange archiviert werden müssen. Es ist andererseits auch im Interesse des Arbeitnehmers, dass schneller als vor Ablauf von drei Jahren Klarheit herrscht, ob er noch mit Forderungen des Arbeitgebers rechnen muss. Die Verjährung von Ansprüchen kann von den Vertragsparteien ohne weiteres abweichend vom BGB geregelt werden. Viele Tarifverträge nehmen sich der Problematik an, belassen es in Bezug auf die Verjährung aber bei der gesetzlichen Regelung und führen zusätzlich für die Geltendmachung von Ansprüchen eine gegenüber der Verjährung deutlich verkürzte Ausschlussfrist (oft drei oder sechs Monate) ein. Fehlt im Tarifvertrag eine solche Bestimmung, kann sie Verhandlungsgegenstand in Bezug auf den Arbeitsvertrag sein. Zwischen der Verjährungsfrist und der Ausschlussfrist bestehen wesentliche Unterschiede:
64 –
–
5 Das Arbeitsverhältnis Der Lauf der Verjährungsfrist wird gem. § 203 BGB durch Verhandlungen mit dem Anspruchsgegner gehemmt, d. h., die Frist wird angehalten und läuft nicht weiter. Der Zeitraum der Verhandlungen wird nicht auf die Verjährungsfrist angerechnet, so dass bei zwei Jahre dauernden Verhandlungen die Verjährung erst nach fünf Jahren eintritt. Der endgültige Fristablauf kann gem. § 204 BGB nur durch Erhebung der Klage beim Gericht verhindert werden. Ob ein Anspruch bei Klageerhebung schon verjährt war oder nicht, wird vom Gericht aber nur geprüft, wenn sich der Beklagte (das kann der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber sein) ausdrücklich auf die Verjährung des Anspruchs beruft. Zur Wahrung der Ausschlussfrist reicht es für den Gläubiger aus, den Anspruch gegenüber dem Schuldner überhaupt geltend zu machen. Tarifverträge sehen oft vor, dass dies schriftlich zu geschehen hat. Mehr als ein solches Schreiben, ggf. zu versenden als eingeschriebener Brief, ist in Bezug auf die Ausschlussfrist nicht zu tun. Die Einhaltung einer Ausschlussfrist wird vom Gericht immer von Amts wegen geprüft. Erkennt das Gericht, dass eine tarifliche oder vertragliche Ausschlussfrist versäumt wurde, wird die Klage abgewiesen, ohne dass der Beklagte auf den Ablauf der Ausschlussfrist ausdrücklich aufmerksam machen muss.
Ausschluss- und Verjährungsfristen bestehen nebeneinander. Wer den Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht hat, hat damit nur die Ausschlussfrist gewahrt. Reagiert die andere Seite nicht oder zerschlagen sich Verhandlungen, muss der Lauf der Verjährungsfrist durch Erhebung der Klage unterbrochen werden.
5.3.8
Sonstige Inhalte von Arbeitsverträgen
Arbeitsverträge enthalten verbreitet Regelungen zu weiteren Problemkreisen: Nebentätigkeit Wegen der Begrenzung der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten durch das ArbZG hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, dass seine Arbeitnehmer nur in begrenztem Umfang weitere Beschäftigungsverhältnisse eingehen. Gelegentlich können durch eine Zweitbeschäftigung auch andere berechtigte Interessen des Arbeitgebers berührt sein (Geheimhaltung, Wettbewerb). Auf der anderen Seite ist das Interesse der Arbeitnehmer an einem Zweitjob durch Art. 12 GG (Berufsfreiheit) geschützt. Bei Teilzeitbeschäftigung kann ein zweites Beschäftigungsverhältnis notwendig sein, um überhaupt ein für den Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erzielen. Arbeitsverträge enthalten regelmäßig die Klausel, dass Nebentätigkeiten vor ihrer Aufnahme dem Arbeitgeber anzuzeigen sind und unterlassen werden müssen, wenn schutzwürdige oder wichtige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Konkurrenz zum Arbeitgeber Während des Arbeitsverhältnisses besteht ein Wettbewerbsverbot des Arbeitnehmers. Er darf nach § 60 HGB ohne Einwilligung des Arbeitgebers weder auf eigene noch auf fremde Rechnung in dem Gebiet Geschäfte machen, in dem er seinem Arbeitgeber durch Wettbewerb schadet. Nach Arbeitsschluss erbrachte „nebenberufliche“ Handwerksleistungen sind
5.4 Formulararbeitsverträge
65
nicht nur meist Schwarzarbeit, sondern immer auch als Verstoß gegen den Arbeitsvertrag problematisch. Dem Interesse des Arbeitgebers, sich bei Beendigung des Arbeitsvertrags vor der Mitnahme von internem Know-how und Abwerbung von Kunden zu schützen, kann durch nachlaufende Wettbewerbsverbote nach § 74 a HGB Rechnung getragen werden, die aber stets schriftlich vereinbart werden müssen. Verschwiegenheit Die Pflicht zur Verschwiegenheit bedeutet, dass im Betrieb erlangte Informationen über betriebliche Angelegenheiten nicht Dritten offenbart werden dürfen. Die Verschwiegenheitspflicht wird in die meisten Arbeitsverträge ausdrücklich aufgenommen, obwohl sie sich schon unmittelbar aus § 241 BGB ergibt. Häufig wird auch bestimmt, dass über den Inhalt des Arbeitsvertrags gegenüber anderen Betriebsangehörigen Stillschweigen zu wahren ist. Damit soll vor allem verhindert werden, dass sich die außertariflich vergüteten Mitarbeiter offen über die konkrete Höhe ihrer Gehälter austauschen können. Bei den nach Tarif vergüteten Mitarbeitern ist die Höhe der Vergütung meist schon aus der wahrgenommenen Aufgabe in Verbindung mit den Eingruppierungsregeln des Tarifvertrags erkennbar. Bestechlichkeit und Bestechung Fordern und Versprechen, Annahme und Vergabe von Vorteilen (Geld, Sachleistungen, Dienstleistungen) im geschäftlichen Verkehr als Gegenleistung für Bevorzugung bei Bezug von Waren und Leistungen im Wettbewerb sind als Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr im Inland und im Ausland gem. § 299 StGB strafbar und deshalb auch ohne ausdrücklich vertragliche Regelung eine Verletzung des Arbeitsvertrags. Die besondere Bedeutung des Verbots wird durch ausdrückliche Aufnahme in den Arbeitsvertrag unterstrichen.
5.4
Formulararbeitsverträge
In der Regel wird der Arbeitgeber den Text des Arbeitsvertrags formulieren, weil er in vielen Fällen über die besseren Kenntnisse in Bezug auf die Vertragsgestaltung verfügt und weil er bei Beschäftigung mehrerer Personen ein Interesse daran hat, die abgeschlossenen Arbeitsverträge zu standardisieren. Sobald Regelungen nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sind, sondern vom Arbeitgeber vorformuliert sind, gelten die § 305 ff. BGB über die Einführung allgemeiner Geschäftsbedingungen in Verträgen. Der Arbeitnehmer wird, weil er nicht Unternehmer in eigener Sache ist, als Verbraucher i. S. von § 13 BGB angesehen. Der Arbeitgeber ist, wenn es sich nicht um Einstellung von Mitarbeitern für private Zwecke handelt (Butler, Gesellschafterin, Gärtner usw.), stets Unternehmer i. S. von § 13 BGB. Die §§ 305 ff. BGB gelten gem. § 310 BGB deshalb nicht erst, wenn einseitig formulierte Vertragsbedingungen in mehr als drei Fällen verwendet werden sollen, sondern schon dann, wenn sie der Arbeitgeber nur einmal verwenden will und der Arbeitnehmer auf die vom Arbeitgeber vorformulierter Bedingungen keinen Einfluss nehmen konnte. Einflussnahme setzt nicht voraus, dass die end-
66
5 Das Arbeitsverhältnis
gültige Regelung gegenüber einem ursprünglichen Entwurf verändert worden ist. Es reicht aus, dass über die Regelung konkret verhandelt worden ist – und sei es ohne Ergebnis. Taktisch kann es günstiger sein, problematische Klauseln in vorgelegten Formularen nicht anzusprechen, statt sich vergeblich um eine Änderung zu bemühen. Für nicht ausdrücklich besprochene Klauseln gilt das Verbraucherschutzrecht mit den wesentlichen Folgen: – – –
–
Überraschende Klauseln werden nicht Vertragsbestandteil (§ 305 c Abs. 1 BGB). Zweifel bei mehrdeutigen Klauseln gehen zu Lasten des Arbeitgebers (§ 305 c Abs. 2 BGB). Es findet keine vertragserhaltende Auslegung (§ 306 BGB) statt, d. h., die unzulässige Klausel wird gestrichen und nicht im Wege der Auslegung des hypothetischen Willens der Vertragsschließenden durch eine gerade noch zulässige Klausel ersetzt. Es gilt dann in vollem Umfang ausschließlich die gesetzliche Regelung. Allgemeine Geschäftsbedingungen, die vom Gesetz abweichende oder das Gesetz ergänzende Regelungen enthalten, sind unwirksam, wenn sie den Verbraucher unangemessen benachteiligen, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar sind oder sich aus der Natur des Vertrags ergebende wesentliche Rechte und Pflichten so einschränken, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 BGB); dies bezieht sich nicht auf Inhalt der Arbeitsverpflichtung und Vergütung und auch nicht auf Klauseln, die auf Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung verweisen. Als benachteiligende Klauseln sind in Arbeitsverträgen unwirksam: o Ein einseitiger Änderungsvorbehalte des Verwenders der Geschäftsbedingungen in Bezug auf die von ihm zu erbringende Leistung (§ 308 Nr. 4 BGB), o Der Vorbehalt des Wechsels des Vertragspartners (§ 309 Nr. 10 BGB), o Die Vereinbarung besonderer Formen von Erklärungen über die einfache Schriftform hinaus und die Vereinbarung besonderer Zugangserfordernisse (§ 309 Nr. 13 BGB), wie z. B. Kündigung nur durch eingeschriebenen Brief.
5.5
Form des Arbeitsvertrags
Eine besondere Form ist für unbefristete Arbeitsverträge gesetzlich nicht vorgeschrieben. Der grundsätzlich mögliche mündliche Arbeitsvertrag hat den erheblichen Nachteil, dass sein Inhalt im Streitfall nur schwer zu beweisen ist. Gerade weil Arbeitsverträge auf längere Dauer angelegt sind, sollte die Schriftform Standard sein. Deshalb sehen schon die Tarifverträge in der Regel vor, dass der Arbeitsvertrag schriftlich abzuschließen ist. Selbst bei nicht tarifgebundenen und kleineren inhabergeführten Unternehmen sind mit Handschlag abgeschlossene mündliche Arbeitsverträge seit langem unüblich. Ob es sinnvoll ist, bereits die Arbeit aufzunehmen und den Arbeitsvertrag erst später schriftlich abzufassen, müssen die Beteiligten selbst entscheiden. Die Schriftform ist gem. § 126 Abs. 2 BGB bei Abschluss eines Vertrages nur eingehalten, wenn entweder Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Ausfertigung jeweils eigenhändig unterzeichnet haben oder wenn jeder der Beteiligten eine Ausfertigung des Vertrages eigenhändig unterzeichnet und diese dem anderen Teil übergibt, so dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer
5.5 Form des Arbeitsvertrags
67
über ein jeweils von der anderen Seite unterschriebenes Exemplar verfügen. Die Unterschrift muss den Vertragstext erkennbar abschließen (Unter- nicht Oberschrift!). Mehrere Blätter der Vertragsurkunde müssen jeweils einzeln unterschrieben oder körperlich mindestens durch eine Heftklammer verbunden sein, falls sich ihr Zusammenhang nicht zweifelsfrei ergibt. Die elektronische Form ist bei arbeitsrechtlichen Erklärungen gem. § 126 Abs. 3 BGB immer dann möglich, wenn sie nicht ausdrücklich untersagt ist. Gem. § 126a BGB müssen die Vertragsparteien dann einem gleich lautenden elektronischen Dokument ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem SignaturG versehen. Ein unter Verstoß gegen ein tarifvertragliches Schriftformgebot abgeschlossener Arbeitsvertrag ist im Interesse des Arbeitnehmers gleichwohl gültig. Soll das Arbeitsverhältnis befristet sein oder bei Eintritt einer Bedingung ohne Kündigung enden, muss gem. § 14 Abs. 4 TzBefG wenigstens diese Befristungsabrede schriftlich vereinbart werden. Die elektronische Form ist möglich, da vom TzBfG nicht ausdrücklich untersagt. Im Bereich der kurzfristigen Aushilfen dürfte die Neigung nach wie vor groß sein, es bei einem mündlichen Vertrag zu belassen. Gerade da aber ist es für den Arbeitgeber absolut notwendig, wenigstens die Befristung schriftlich zu vereinbaren. Nimmt der Mitarbeiter vor schriftlichem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags die Arbeit auf, wird damit ein mündlicher und – weil die für die Befristung ja gem. § 14 Abs. 4 TzBefG notwendige Schriftform nicht eingehalten wurde – unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen. Um das von vornherein zu vermeiden, darf der Arbeitgeber den befristet zu beschäftigenden Arbeitnehmer erst nach Abschluss des schriftlichen Vertrags die Arbeit aufnehmen lassen. Der aufgrund vorzeitiger Arbeitsaufnahme zustande gekommene unbefristete Arbeitsvertrag endet allerdings dann, wenn der Mitarbeiter den ihm nach Arbeitsaufnahme vorgelegten befristeten Arbeitsvertrag unterschreibt. Es ist ohne weiteres zulässig, im gegenseitigen Einvernehmen einen unbefristeten Arbeitsvertrag in einen befristeten Vertrag umzuwandeln, wenn die Voraussetzungen des TzBefG für einen befristeten Vertrag gegeben sind. Der Arbeitgeber ist beim Übergang von einem unbefristeten auf einen befristeten Arbeitsvertrag aber auf das Wohlwollen oder die Unkenntnis des Arbeitnehmers angewiesen, um zu einer ordnungsgemäßen Befristung zu kommen. Er kann die Befristungsabrede nicht mehr einseitig durchsetzen. Andernfalls bleibt dem Arbeitgeber nur der Weg der Kündigung. Schriftliche Arbeitsverträge können durchaus mündlich geändert werden. Selbst die Klausel, dass Änderungen des Arbeitsvertrags nur schriftlich möglich sind, verhindert mündliche Änderungen nicht. Eine solche Schriftformabrede könnte nämlich noch durch mündliche Vereinbarung aufgehoben werden. Eine mündliche Änderung beinhaltet dann zunächst die Streichung der Schriftformklausel und in einem zweiten Schritt die inhaltliche Änderung selbst. Mündliche Vertragsänderungen werden zuverlässig nur durch eine sog. doppelte Schriftformklausel verhindert, wonach der Verzicht auf die Schriftform als Änderung des Vertrages schriftlich vereinbart werden muss.
68
5 Das Arbeitsverhältnis
5.6
Der Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen
Um die Beweisschwierigkeiten bei mündlichen Arbeitsverträgen zu beheben, bestimmt das auf eine Richtlinie der Europäischen Union zurückgehende Nachweisgesetz, dass die wesentlichen Vertragsbedingungen außer für Aushilfen mit einer Beschäftigungsdauer von höchstens einem Monat für alle Arbeitnehmer innerhalb des ersten Monats nach Beschäftigungsbeginn vom Arbeitgeber schriftlich niederzulegen, vom Arbeitgeber zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen sind. Der vom Arbeitgeber erteilte Nachweis verändert den Inhalt eines mündlich abgeschlossenen Arbeitsvertrags nicht. Die mündliche Vereinbarung bleibt nach wie vor gültig und wird durch die schriftliche Dokumentation der vereinbarten Bedingungen nicht ersetzt. Es gilt das gesprochene Wort. Der unwidersprochene schriftliche Nachweis verändert aber für den Streitfall die Beweislast in Bezug auf den Inhalt des mündlichen Arbeitsvertrags. Derjenige, der sich darauf berufen will, dass der Nachweis der Arbeitsbedingungen die mündliche Vereinbarung nicht zutreffend wiedergibt, muss dies unabhängig von der sonst gegebenen Beweislastverteilung in vollem Umfang beweisen. Wenn bei Abschluss des mündlichen Arbeitsvertrags keine Zeugen anwesend waren, die sich auch an Details der Verhandlungen erinnern, ist es kaum möglich, den Inhalt des mündlichen Vertrags zu beweisen. Das kann sich sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken, so dass dieser den erteilten Nachweis genau prüfen sollte. Ein vor Aufnahme der Beschäftigung schriftlich fixierter, an den Katalog des § 2 NachwG angelehnter Arbeitsvertrag schafft für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von Beginn des Arbeitsverhältnisses an die Gewissheit, dass alle relevanten Punkte einvernehmlich geregelt sind. Ein solcher Arbeitsvertrag enthält: 1. 2. 3. 4.
Namen und Anschriften der Vertragsparteien, den Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses, bei befristeten Arbeitsverhältnissen die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses, den vorgesehenen Arbeitsort oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll, einen Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann, 5. kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit, 6. Angaben zur Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts und deren Fälligkeit, 7. die vereinbarte Arbeitszeit, 8. die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs, 9. die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und 10. einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die Tarifverträge. Defizite des Arbeitsvertrags gegenüber diesem Katalog machen die Erteilung eines schriftlichen Nachweises gem. § 1 NachweisG erforderlich.
6
Personaleinsatz
6.1
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der betriebliche Wertschöpfungsprozess macht es erforderlich, die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer nach Ort, Zeit und konkretem Inhalt aufeinander abzustimmen und die zugelieferten Waren und Leistungen in diesen Prozess zu integrieren. Je komplexer die betriebliche Organisation ist, desto schwieriger wird diese Integrations- und Organisationsleistung. Zwar wird der Arbeitgeber versuchen, einen erheblichen Teil dieser Organisationsleistung sich selbst organisierenden Strukturen zu überlassen. Trotzdem bleibt das Recht unverzichtbar, verbindlich zu entscheiden, welche konkrete Tätigkeit von dem einzelnen Arbeitnehmer an welchem Ort, zu welcher Zeit zu verrichten ist. Das Weisungsrecht ist als einseitiges Recht des Arbeitgebers, Einzelheiten der geschuldeten Arbeitsleistung zu bestimmen, auch Ausdruck der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb. Gerade in der Möglichkeit des Arbeitgebers, kurzfristig über Arbeitsleistung disponieren zu können, liegen das Charakteristikum und der Vorteil des Arbeitsvertrags für den Unternehmer im Unterschied zu anderen Verträgen, mit denen Ressourcen für den Wertschöpfungsprozess beschafft werden. Mit dem selbstständigen Unternehmer werden durch Pflichtenhefte oder Leistungsbeschreibungen genau festgelegte Leistungen für bestimmte Liefertermine vereinbart. Der Selbstständige muss nach Vertragsschluss keine andere Leistung liefern und muss auch keine nachträglichen Änderungen des Liefertermins akzeptieren. Mit eigenen Mitarbeitern können dagegen der Wertschöpfungsprozess und unternehmerische Prioritäten kurzfristig verändert werden. Seine Rechtsgrundlage findet das Weisungsrecht des Arbeitgebers in § 106 GewO. Das Weisungsrecht wird begrenzt durch – – – –
den Arbeitsvertrag zwingende gesetzliche oder tarifvertragliche Normen, Betriebsvereinbarungen und Beteiligungsrechte des Betriebsrats und § 106 GewO/§ 315 BGB (billiges Ermessen)
Mit vertraglichen Regelungen über Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung kann der Arbeitgeber das ihm zustehende Weisungsrecht weitgehend zugunsten des Arbeitnehmers einschränken. In der Praxis ist das jedoch nur bei einer verschwindenden Minderheit der Arbeitnehmer der Fall (s. o. S. 53).
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6 Personaleinsatz
Zwingende gesetzliche Normen müssen bei der Ausübung des Weisungsrechts immer beachtet werden. Solche Regelungen finden sich vor allem im öffentlichen Recht. Dabei geht es nicht nur um den Arbeitnehmer selbst oder andere Arbeitnehmer des Betriebs schützende Vorschriften wie das ArbZG, die ArbeitsstättenVO oder die Unfallverhütungsvorschriften (z. B. Schutzkleidung), sondern auch um Normen, die die Interessen der Allgemeinheit wahren, z. B. in Bezug auf die Verhütung von Umweltschäden (z. B. GefahrstoffVO, KreislaufwirtschaftsG, BundesimmissionschutzG), Gefahren im Straßenverkehr (StVO) oder auch den Weltfrieden (KriegswaffenkontrollG, Ausfuhrverbote in „Schurkenstaaten“ nach dem AußenwirtschaftsG). Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften können von staatlichen Behörden und Gerichten regelmäßig als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet werden. Weisungen, die den Arbeitnehmer veranlassen sollen, sich ordnungswidrig zu verhalten oder gar strafbar zu machen, sind unwirksam. Der Arbeitnehmer muss sich im eigenen Interesse weigern, solche Weisungen zu befolgen. Auch das Privatrecht kann zwingende Normen enthalten, die das Weisungsrecht einschränken, z. B. wenn § 12 TzBfG bei Arbeit auf Abruf bestimmte Vorlauffristen für den Arbeitseinsatz vorsieht. In diesen Fällen entscheidet der Arbeitnehmer, ob er sich der Weisung entsprechend verhalten will oder sich auf die seinem Schutz dienende gesetzliche Regelung beruft. Ein Weisungsrecht im eigentlichen Sinn ist dann jedoch nicht mehr gegeben. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer lediglich bitten, den Vorschlag anzunehmen, der Arbeitnehmer kann dem Arbeitgeber entgegenkommen und der Bitte entsprechen. Zwingende tarifliche, das Weisungsrecht einschränkende Regelungen sind, z. B. in Bezug auf Arbeitszeit (Ruhepausen) verbreitet. Auch aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben sich Beschränkungen des Weisungsrechts, indem für Weisungen im Bereich der in § 87 Abs. 1 BetrVG genannten Materien die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich ist. Statt einer Beteiligung im Einzelfall kann der Arbeitgeber die Frage generell durch eine Betriebsvereinbarung gem. § 77 BetrVG regeln. Außerhalb des Katalogs von § 87 Abs. 1 BetrVG kann das Weisungsrecht aufgrund freiwilliger Betriebsvereinbarungen gem. § 88 BetrVG eingeschränkt sein. Betroffen sind vor allem zusätzliche Maßnahmen im Bereich der Unfallverhütung und Gesundheitsfürsorge, sowie des betrieblichen Umweltschutzes. Weisungsrechten sind schließlich durch die Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 Abs 1 Satz 1 BetrVG) Grenzen gesetzt. Im Betriebsverfassungsgesetz finden sich weitere, das Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber prägende und das einseitige Weisungsrecht relativierende Regelungen zu Mitwirkungs- und Beschwerderechten des Arbeitnehmers, die – auch wenn ein Betriebsrat nicht besteht – ein Mindestmaß an Partizipation des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb gewährleisten. Die Regelungen gehen darauf zurück, dass der Arbeitgeber bei der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses an die Wertentscheidungen des Grundgesetzes gebunden ist und die Menschenwürde als zentrales Grundrecht (Art. 1 GG) respektieren muss. Die Menschenwürde schließt es aus, den Menschen als bloßes Objekt anzusehen und als den Maschinen oder Anlagen ähnlichen Produktionsfaktor zu behandeln. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über Aufgabe, Verantwortung, Art der Tätigkeit und Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs zu unterrichten, insbesondere über Unfall- und
6.2 Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung
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Gesundheitsgefahren und deren Verhütung. Das gleiche gilt bei Veränderungen im Arbeitsbereich des Arbeitnehmers. Informiert wird auch über Veränderungen aufgrund von Planungen oder vorgesehenen arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen. Der Arbeitgeber ist auch verpflichtet die Weiterentwicklung von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten mit dem Arbeitnehmer zu erörtern, wenn feststeht, dass diese aufgrund von Veränderungen des Arbeitsplatzes nicht ausreichen; § 81 BetrVG. Der Arbeitnehmer muss in betrieblichen Angelegenheiten von den jeweils zuständigen Personen angehört werden. Er darf Stellung nehmen zu ihn betreffenden Maßnahmen des Arbeitgebers und darf Vorschläge machen, kann verlangen, dass die Entgeltabrechnung erläutert wird und die Beurteilung seiner Leistungen, sowie die Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Betrieb erörtert werden; § 82 BetrVG. Er darf seine Personalakten einsehen; § 83 BetrVG. Er kann sich bei den zuständigen Stellen beschweren; der Arbeitgeber muss über die Behandlung der Beschwerde bescheiden; § 84 BetrVG. Innerhalb dieses Handlungsrahmens beschränkt § 106 Satz 1 GewO das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch den Grundsatz des billigen Ermessens. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer grundsätzlich alle Weisungen erteilen, die er für die Erfüllung der Dienstleistungsverpflichtung des Arbeitnehmers aus seiner Sicht für erforderlich hält. Er muss aber alle wesentlichen Umstände der Entscheidungssituation beachten, den Gleichbehandlungsgrundsatz wahren, die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen und dabei auch Wertentscheidungen des Grundgesetzes (Menschenwürde, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Willkürverbot) angemessen einbeziehen. Gem. § 106 Satz 2 GewO ist auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
6.2
Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung
6.2.1
Übertragene Aufgaben
Die übertragenen Aufgaben müssen sich im Rahmen des Arbeitsvertrags halten. Das ist angesichts der üblicherweise weiten Formulierung in Arbeitsverträgen nur selten ein Problem. Die Entscheidung des Arbeitgebers, welche konkreten Aufgaben mit welchen Zielen und Prioritäten zu erledigen sind, gehört zum absoluten Kernbereich des Weisungsrechts . Bei der Zuweisung von Aufgaben muss der Arbeitgeber nach Möglichkeit die Grundrechte der Arbeitnehmer, insbesondere die Glaubens- und Gewissensfreiheit respektieren. Im Rahmen der Ausübung des billigen Ermessens ist es ein wesentlicher und in die Entscheidung einzubeziehender Umstand, wenn der Arbeitnehmer eine bestimmte Arbeitsaufgabe nicht mit seinen religiösen Überzeugungen (z. B. Entwicklung eines Latexersatzstoffes für Kondome) oder seinem Gewissen (z. B. Entwicklung eine Oberflächenbeschichtung, die Panzer für Radar unsichtbar macht – Tarnkappe) vereinbaren kann. Bestehen organisatorisch gleichwertige Alternativen, muss der Arbeitgeber dem Mitarbeiter den Glaubens- oder Gewissenskonflikt ersparen und ihn mit anderen Aufgaben beschäftigen. Bei der Abwägung spielt auch
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6 Personaleinsatz
eine Rolle, ob der Gewissenskonflikt schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags vorhersehbar war. Besteht ein Arbeitsverhältnis längere Zeit, ist es wahrscheinlich, dass Bedarf besteht, den ursprünglichen Aufgabenbestand zu ändern. Die Ursachen für die Zuweisung anderer Arbeitsaufgaben sind vielfältig: – – – – – – – – –
Wegfall von Aufgaben Entstehen neuer Aufgaben Veränderungen der Betriebsabläufe aufgrund von Reorganisation Personalentwicklungsmaßnahmen (Job Rotation/Job Enlargement/Job Enrichment) Korruptionsprävention Veränderung der Anforderungen an die Arbeitsleistung Fachliche oder persönliche Überforderung des Arbeitnehmers mit der zugewiesenen Aufgabe Schwierigkeiten im sozialen Kontext des Arbeitsplatzes (mit Kunden oder Kollegen) Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz
Ein vollständiger oder überwiegender Wechsel der Aufgaben innerhalb der vom Arbeitsvertrag gezogenen Grenzen ist eine Versetzung. Eine Veränderung des Arbeitsortes im Betrieb muss damit nicht verbunden sein. Eine Versetzung in diesem Sinn liegt aber auch vor, wenn bei unverändertem Arbeitsort der Arbeitsbereich durch Entzug bzw. Zuweisung von Teilfunktionen in einem Ausmaß verändert wird, so dass die Gesamttätigkeit von einem fachkundigen unvoreingenommen Beobachter als andere Tätigkeit angesehen würde. Für Mitarbeiter, die mit regelmäßig wechselnden Projekten beschäftigt sind, ist der Beginn eines neuen Projekts nach Beendigung eines alten Projekts keine neue Arbeitsaufgabe i. S. einer Versetzung. Dagegen wäre der Wechsel eines bisher für die Buchstaben A bis K zuständigen Personalreferenten zu den Buchstaben L bis Z als Versetzung anzusehen. Die Versetzung berührt erheblich die Interessen des Mitarbeiters. Sie macht oft die Einarbeitung in neue Aufgaben erforderlich. Das ist, auch wenn die Tätigkeit sich innerhalb des erlernten Berufs hält, immer mit Unsicherheit und Anstrengung verbunden. Selbst bei gleicher Bezahlung gibt es in jedem Betrieb eine soziale Hierarchie der Abteilungen und Aufgaben. Bestimmte Arbeitsbereiche sind Karrierebeschleuniger, andere Arbeitsbereiche sind eher ein Abstellgleis und bedeuten definitiv das Ende aller Aufstiegsmöglichkeiten. Auch die Veränderung des unmittelbaren sozialen Umfelds, – neue Kollegen, neue Vorgesetzte, ggf. andere Kunden – will bewältigt werden. Weil die Interessen des Mitarbeiters so erheblich betroffen sind, macht § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Versetzung von der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats abhängig.
6.2.2
Art der Arbeitsleistung
Die Arbeitsleistung im weiteren Sinn betreffen Weisungen des Arbeitgebers, die sich auf die allgemeine Ordnung im Betrieb bzw. das Verhalten von Arbeitnehmern im Betrieb beziehen (Ordnungsverhalten). Sie bedürfen gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr 6 BetrVG der Mitbe-
6.2 Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung
73
stimmung des Betriebsrats und werden meist in Betriebsvereinbarungen nach § 77 BetrVG geregelt. Typische Materien sind: – – – – – – –
Raucher- und Nichtraucherschutz Alkoholverbote Schutz vor sexueller Belästigung Nichtdienstliche Internetnutzung Kleidungsvorschriften, Namensschilder an Kleidung Torkontrollen, Durchsuchung von Taschen Technische Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen (z. B. auch Zugangskontrollsysteme)
Besteht kein Betriebsrat, legt der Arbeitgeber die Regeln allein nach billigem Ermessen fest. Auch wenn der Betriebsrat einer Regelung zugestimmt hat, hat der Arbeitgeber die Grenzen billigen Ermessens einzuhalten. Nichtraucherschutz darf nicht zu menschenunwürdiger Behandlung der Raucher ausarten. Regelungen über Kleidung (Kopftuch) und Outfit (Ohrschmuck beim Mann, Tattoo und Piercing) können Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter berühren und bedürfen einer Rechtfertigung durch entsprechend gewichtige Interessen des Unternehmens. Andererseits besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers darauf, seine religiösen Überzeugungen oder seine Persönlichkeit auf Kosten des Arbeitgebers zu entfalten. Fingierte Beratungsgespräche zur Qualitätssicherung der Kundenberatung, das Mithören der Gespräche im Call-Center durch Vorgesetzte oder der Einsatz von Detektiven als Testkäufer zur Prüfung der Ehrlichkeit der Kassiererinnen (Mystery Research) sind von § 87 Abs 1 BetrVG nicht erfasst, da die Kontrolle zwar verdeckt stattfindet, aber nicht durch technische Einrichtungen erfolgt. Verdeckten Kontrollen (auch durch technische Hilfsmittel) sind jedoch durch Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde der Arbeitnehmer Grenzen gezogen. Ein allgemeines Ausspionieren der Mitarbeiter ist unzulässig. Verdeckte, dem Mitarbeiter nicht erkennbare Kontrollen setzen immer ein hinreichend gewichtiges Interesse des Arbeitgebers voraus, z. B. überdurchschnittlichen Schwund im Warenlager oder Auftauchen von Unterlagen von Entwicklungsprojekten bei der Konkurrenz und einen konkreten Verdacht gegen einzelne Mitarbeiter voraus. Sie müssen sich auf das zur Sachverhaltsaufklärung Notwendige beschränken. Ermittlungsmethoden, die den Arbeitnehmer zu einem Verstoß gegen den Arbeitsvertrag verleiten sollen (agent provocateur), sind nicht erlaubt. Von der zustimmungspflichtigen Regelung des Ordnungsverhaltens zu unterscheiden sind Weisungen, die die Arbeitsleistung selbst, also das Arbeitsverhalten betreffen. Der Arbeitgeber hat ein umfassendes Weisungsrecht in Bezug auf die zu verfolgenden Ziele, die Prioritäten und das sachliche Ergebnis der Arbeitsleistung, da es in diesen Fragen um den Kernbereich der unternehmerischen Betätigung geht. Sein Weisungsrecht umfasst auch: – –
Die Form der Meldung am Telefon Die Gestaltung des Schriftverkehrs (Unterschrift des Sachbearbeiters mit Vor- und Nachnamen)
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6 Personaleinsatz Die Dokumentation der Tätigkeit (Zeitaufschreibungen für Kostenrechnung, Zuordnung zu bestimmten Projekten) Verhalten ggü. Kunden
In diesen Fragen hat der Betriebsrat keine Beteiligungsrechte. Persönliche Rechte und Interessen der Arbeitnehmer sind nicht betroffen, so dass es hier allein auf die Vorstellungen des Arbeitgebers ankommt. In Bezug auf die konkrete Arbeitsleistung ist allerdings als gesetzliche Schranke das ArbSchG relevant, dass den Arbeitgeber verpflichtet, bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen Lebens und Gesundheitsgefährdungen nach Möglichkeit auszuschließen und bei seinen Maßnahmen den Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Bei der Übertragung von Aufgaben auf Beschäftigte hat der Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten zu berücksichtigen, ob die Beschäftigten in der Lage sind, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Aufgabenerfüllung zu beachtenden Bestimmungen und Maßnahmen einzuhalten. Zu besonders gefährlichen Arbeitsbereichen dürfen nur Beschäftigte Zugang haben, die vorher über die Gefahren und die Schadensverhütung unterrichtet worden sind. Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit zu unterweisen. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Die Unterweisung muss bei der Einstellung, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, der Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten erfolgen. Gefährliche Tätigkeiten dürfen ohne Unterweisung nicht durchgeführt werden. Fragen der Arbeitssicherheit bilden ein Betätigungsfeld für den Betriebsrat in Form der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei Regelungen über Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Nach § 89 BetrVG hat der Betriebsrat durch Anregung, Beratung und Auskunft die zuständigen Stellen bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren zu unterstützen und sich gegenüber dem Arbeitgeber dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung durchgeführt werden. Aufwendungen in den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind dem Verdacht ausgesetzt, bloße Belastungen ohne betriebswirtschaftlichen Effekt zu sein. Das Gegenteil ist richtig. Niedrige Unfallraten korrelieren offensichtlich mit einer hohen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bzw. der jeweiligen Volkswirtschaft. Nach Studien der ILO erzeugen hochwertige Arbeitsplätze hochwertige Produkte. Die Unfallraten in Deutschland (646 Todesfälle aufgrund von Arbeitsunfällen – incl. Wegeunfälle, d. h. Unfälle im Straßenverkehr–, 2.591 Todesfälle infolge einer Berufskrankheit) zeigen allerdings, dass sich der Fokus der Gesundheitsvorsorge in den Betrieben von der reinen Unfallverhütung zur allgemeinen Prävention verschieben wird. Die Steigerung der Produktivität und die damit einhergehende Verdichtung der Arbeitsbelastung fordert ihren Preis weniger in Form von Unfällen als psychischen Belastungen und psychosomatischen Reaktionen, denen es vorzubeugen gilt.
6.2 Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung
6.2.3
75
Der Arbeitsort
Die Integration des Arbeitnehmers in den Wertschöpfungsprozess des Betriebs erfordert eine Festlegung, an welchem Ort die Leistung erbracht werden soll. Ort im Sinne einer arbeitsvertraglichen Regelung ist normalerweise nur der Betrieb als Ganzes. Arbeitsverträge pflegen nicht zu regeln, an welchem Platz im Betrieb die Leistung zu erbringen ist. Diese Festlegung bleibt Gegenstand des Weisungsrechts nach § 106 GewO, das auch hier nur dann im Sinne billigen Ermessens ausgeübt wird, wenn auf die Interessen des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht genommen worden ist. Voraussetzung für die Weisung an den Arbeitnehmer, die Arbeit an einem ganz bestimmten Ort zu verrichten ist, dass dieser Ort den durch ArbStättVO öffentlich-rechtlich gesetzten Mindeststandards entspricht. Soll die Arbeit an einem Ort verrichtet werden, der den Vorgaben der ArbStättVO nicht entspricht, ist die Weisung unwirksam, kann der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung verweigern (zu den Folgen für die Vergütung s. u. S. 168). Die zuständige Behörde, meist das Gewerbeaufsichtsamt, kann die Benutzung von Arbeitststätten untersagen, die der ArbStättVO nicht entsprechen. Die ArbStättVO definiert Standards für das Bereitstellen und Ausgestalten (Einrichten) sowie für das Benutzen und Instandhalten (Betreiben) von Arbeitsstätten, um die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen und Unfälle zu verhüten. Einzelheiten regelt eine umfangreiche Anlage zu § 3 Abs 1 ArbStättVO. Ausnahmen können von der Gewerbeaufsichtsbehörde gem. § 3 Abs. 3 ArbStättVO genehmigt werden, wenn die Vorschriften der ArbStättVO zu einer unverhältnismäßigen Härte führen würde und die Abweichung mit dem Schutz der Beschäftigten vereinbar ist. Bei der Beurteilung sind die Belange kleinerer Betriebe besonders zu berücksichtigen. Damit stehen die Anforderungen der ArbStättVO für einen erheblichen Sektor der Wirtschaft unter einem faktischen Finanzierbarkeitsvorbehalt in dem Sinne, dass leicht suboptimale Verhältnisse geduldet werden. Verstoßen Arbeitgeber gegen die ArbStättVO, kann dies für sich nicht mit einem Bußgeld geahndet werden. Erst wenn einer vollziehbaren konkreten Anordnung der Aufsichtsbehörde nicht entsprochen wird, Missstände zu beheben, kann ein Bußgeldverfahren eingeleitet werden. Arbeitsstätten müssen den hygienischen Anforderungen entsprechend gereinigt werden, Sicherheitseinrichtungen (z. B. Feuerlöscher) müssen regelmäßig gewartet und auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft werden, Fluchtwege und Notausgänge müssen freigehalten werden. Der Arbeitgeber muss schließlich Erste-Hilfe-Mittel und -Einrichtungen (Verbandskasten und Sanitätsraum) bereithalten. Arbeitsräume müssen eine ausreichende Grundfläche und eine in Abhängigkeit von der Grundfläche ausreichende lichte Höhe aufweisen, so dass die Beschäftigten ihre Arbeit ohne Beeinträchtigung ihrer Sicherheit, Gesundheit und ihres Wohlbefindens verrichten können. Besondere Regelungen gelten Toiletten- und Pausenräumen (§ 6 ArbStättVO). Bei mehr als zehn Beschäftigten ist ein Pausenraum oder –bereich einzurichten, es sei denn die Beschäftigten finden in ihren (Büro-)Räumen gleichwertige Bedingungen vor. Im Interesse der Schwerbehinderten ist der barrierefreie Zugang zu Arbeitsplätzen, Waschgelegenheiten und Toiletten als Standard vorgesehen. Auch der Nichtraucherschutz ist Anliegen der ArbStättVO. Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um nicht rauchende Mitarbeiter vor den Gesundheitsgefahren durch Ta-
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6 Personaleinsatz
bakrauch zu schützen und dafür erforderlichenfalls Rauchverbote zu erlassen. Ausnahmen gelten für Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr. Rauchverbote in Gaststätten, wie sie einige Bundesländer eingeführt haben, beruhen nicht auf § 5 ArbStättVO. Während die Mindeststandards der ArbStättVO Schaden von den Mitarbeitern abwenden sollen, verbleibt ein breiter Handlungsspielraum für den Arbeitgeber, durch die Gestaltung der Arbeitsräume und der Arbeitsumgebung die Produktivität der Mitarbeiter zu fördern. Die Wirkungen von Farbe, Licht und Schall sind wissenschaftlich belegt und können ohne weiteres auch in der Arbeitswelt umgesetzt werden. Die Ausgestaltung der Arbeitsplätze bedeutet zwar einen Aufwand, ist aber eine von vielen Möglichkeiten, den Mitarbeitern Wertschätzung zu demonstrieren, und ist damit nicht Geldverschwendung, sondern sinnvolle Investition in Humankapital. Im Rahmen von § 80 BetrVG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass u. a. die Vorschriften der ArbStättVO eingehalten werden und kann Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber beantragen. Der Unterrichtungsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG erfasst auch die Gestaltung von Arbeitsplätzen. Anlass kann z. B. ein Umzug des Betriebs oder die Errichtung neuer Betriebsgebäude sein. Der Betriebsrat hat aber in Bezug auf die Arbeitsplatzgestaltung kein Mitbestimmungsrecht. Ob ein Großraumbüro oder Einzelbüros mit oder ohne großzügige Kommunikationszonen errichtet werden, entscheidet letztlich der Arbeitgeber allein. Das gilt auch für die Entscheidung, welcher Mitarbeiter an welchem konkreten Ort zu arbeiten hat. Der Arbeitgeber wird bei seinen Entscheidungen neben den funktionalen Notwendigkeiten (der Lagerarbeiter wird zwangsläufig in räumlichem Zusammenhang mit dem Lager arbeiten müssen) auch persönliche Belange (Behinderungen, Allergien, Nichtraucherschutz, Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten und Animositäten) berücksichtigen. Nicht jede oder jeder mag ihr oder sein Büro mit jedem oder jeder teilen und wenn es die Produktivität hebt, ist der Arbeitgeber gut beraten, auf Wünsche der Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen. Ansonsten gehört gerade das Büro und seine Ausstattung (Einzelzimmer – Mehrpersonenarbeitsraum, zwei Fenster – drei Fenster; Eckzimmer, Grad der Transparenz für Dritte, Standard- oder Designermöbel, erste Etage oder oberstes Stockwerk) zum Bereich der innerbetrieblichen Status- und Machtsymbole, die gern als nichtmonetäre Anreize eingesetzt werden, aber eben nicht Mittel von Demütigung und Schikane sein dürfen. Hinter einem Wechsel des räumlichen Arbeitsplatzes eines Arbeitnehmers kann sich allerdings eine zustimmungsbedürftige Versetzung i. S. von § 99 BetrVG verbergen. Wird ein Betrieb an einen anderen Standort verlagert, muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung an dem neuen Standort erbringen, wenn der Arbeitsvertrag nicht den geografischen Ort, sondern den Betrieb als solchen als Arbeitsort festlegt. Bleibt in einem solchen Fall auch die Arbeitsaufgabe identisch, liegt keine Versetzung vor. Eine mitbestimmungsbedürftige Versetzung ist dagegen immer gegeben, wenn ein Mitarbeiter innerhalb eines Ortes von einem Betrieb eines Unternehmens in einen anderen Betrieb wechseln soll, weil dabei notwendig neue Arbeitsaufgaben übertragen werden, auch wenn die Tätigkeit selbst die gleiche bleibt. Der Betrieb bildet die äußerste Grenze der durch Weisung des Arbeitgebers gem. § 106 GewO übertragbaren Aufgaben.
6.2 Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung
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Auf bestimmten Arbeitsplätzen ist es die Regel, dass die Arbeitsleistung im Wesentlichen außerhalb des Betriebsgeländes zu verrichten ist. Das gilt für alle Arbeiten, die notwendig ortsgebunden beim Kunden stattfinden, und betrifft z. B. Bau- und Montagearbeiten, Errichten, Einfahren und Warten von Anlagen, einen großen Teil der Beratungstätigkeiten und alle überregionalen Transporte von Gütern und Personen. Auch Mitarbeitern, die in der Regel innerhalb eines Betriebs tätig sind, wird Mobilität abverlangt, indem Messen, Seminare und Schulungen zu besuchen oder Besprechungstermine in anderen Betrieben des Unternehmens, bei anderen Unternehmen, Behörden oder Kunden wahrzunehmen sind. § 106 GewO gibt dem Arbeitgeber das Recht, die erforderlichen Dienstreisen – ggf. auch kurzfristig – anzuordnen. Auch hierbei sind die berechtigten Belange der Mitarbeiter in die Entscheidung einzubeziehen, ob die Dienstreise notwendig ist, zu welchem Zeitpunkt sie stattfindet und welcher von mehreren in Betracht kommenden Mitarbeitern die Dienstreise zu unternehmen hat. Relevant sind besonders familiäre Belange, auf die in angemessenem Umfang Rücksicht zu nehmen ist. Die betrieblichen Belange fallen gegenüber privaten Interessen stärker ins Gewicht, wenn der Arbeitnehmer Tätigkeiten übernommen hat, die nach allgemeiner Erfahrung in erheblichem Umfang mit Dienstreisen verbunden sind. Problematisch sind Dienstreisen zu Orten, die mit besonderen gesundheitlichen Risiken (Tropen) verbunden sind oder vor deren Aufsuchen das Auswärtige Amt wegen der Sicherheitslage warnt. Hier hat das Interesse des Arbeitnehmers an Erhalt von Leben und Gesundheit Vorrang. Ein einseitiges Weisungsrecht kann der Arbeitgeber nicht ausüben. Er ist auf die Zustimmung der Mitarbeiter angewiesen, deren Freiwilligkeit allerdings fraglich ist, wenn der Auftrag zur Existenzsicherung des Betriebs die Auslandsreise erfordert. Auch wenn längerfristige und häufige Dienstreisen Mitarbeiter durchaus erheblich belasten können, ist kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vorgesehen. Besteht allerdings ein längerfristiger Bedarf einen Mitarbeiter an einem anderen Ort einzusetzen, kann sich hinter der vorgeblichen Dienstreise eine Veränderung der Arbeitsaufgaben verbergen, die als Versetzung der Mitbestimmung unterliegt. Bei der sog. Telearbeit wird der Ort der Arbeitsleistung aus dem Betrieb an einen vom Arbeitnehmer gewählten Ort, meist seine Wohnung, verlagert. Obwohl die Bezeichnung es suggeriert, ist eine Online-Verbindung zum Arbeitgeber nicht notwendige Voraussetzung. Die moderne Telekommunikation hat die Einbindung in die betriebliche Kommunikationsinfrastruktur aber so unabhängig von der körperlichen Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb gemacht, dass immer weitere Tätigkeiten für eine wenigstens teilweise Auslagerung an häusliche Arbeitsplätze in Frage kommen. (Nur der Flurfunk entgeht dem Telearbeiter und die Ausbreitung von Telearbeit will auch nicht recht zu der Schaffung von innerbetrieblichen „Kommunikationsinseln“ passen). Für den Arbeitgeber ist Telearbeit attraktiv, weil möglicherweise Kosten der betrieblichen Infrastruktur gespart werden können. Mitarbeiter haben Interesse an Telearbeit, weil Arbeitszeit und Anforderungen der Familie flexibler aufeinander abgestimmt werden können und Zeit- und Geldaufwand für den Weg zur Arbeit entfallen. Von den Gewerkschaften ist Telearbeit bislang eher kritisch gesehen worden, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie die Organisation gemeinsamer Interessen der Belegschaft erschwert. Telearbeit ist aus diesem Grund häufig tariflich geregelt und zum Schutz der Mitarbeiter vor
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6 Personaleinsatz
sich selbst an bestimmte Voraussetzungen gebunden (angemessene häusliche Arbeitsumgebung, Dauer der Erreichbarkeit und der Möglichkeit zum ungestörten Arbeiten, Übernahme von Kosten der häuslichen Infrastruktur durch den Arbeitgeber). Regelungsbedürftig sind aber z. B. auch Fragen des Datenschutzes, wenn vertrauliche betriebliche Daten in einer privaten Arbeitsumgebung wirklich vertraulich bleiben sollen. Die Übergänge zur Heimarbeit sind fließend, wenn auch Telearbeiter eindeutig Arbeitnehmer sind, während Heimarbeiter mangels Eingliederung in den Betrieb nicht als Arbeitnehmer, im Hinblick auf ihre persönliche Abhängigkeit aber nicht als einfache Selbstständige, sondern als arbeitnehmerähnliche Personen angesehen werden.
6.3
Arbeitszeit
6.3.1
Flexibilisierung des Personaleinsatzes in der regelmäßigen Arbeitszeit
Die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers besteht darin, dem Arbeitgeber Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen und diese Zeit nach Weisung des Arbeitgebers zu nutzen. Der Arbeitsvertrag legt üblicherweise nur eine in einem bestimmten Zeitraum zu leistende Arbeitszeit fest, ohne die konkrete Lage der Arbeitszeit in dem Verrichtungszeitraum zu fixieren. Wann genau die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit zu leisten ist, stellt § 106 GewO grundsätzlich in das billige Ermessen des Arbeitgebers. Betriebswirtschaftlicher Rationalität entspricht es, die Arbeitskraft möglichst zeitnah zum Absatz der Erzeugnisse einzusetzen. Das ist bei allen Dienstleistungen augenfällig, da diese typischerweise nicht lagerfähig sind. Arbeitskraft wird in diesen Fällen genau dann benötigt, wenn Leistungen nachgefragt werden und ist überflüssig, wenn eine solche Nachfrage nicht besteht. Werden lagerfähige Güter produziert, ist der Zusammenhang vergleichsweise entkoppelt, aber immer noch vorhanden, da ein hoher Lagerbestand wegen der damit verbundenen Kapitalbindung unerwünscht ist. Aus Unternehmenssicht ist es deshalb anzustreben, dass nicht nur die Zulieferung von Waren und Leistungen Externer just-in-time erfolgt, sondern auch die Arbeitszeit der eigenen Mitarbeiter möglichst konzentriert dann einzusetzen, wenn der Betrieb Arbeitsleistung benötigt. Die Interessen der Arbeitnehmer sind damit nicht ohne weiteres kompatibel. Der Arbeitnehmer ist außerhalb des Betriebes in ein soziales System von Familie, Freundschaften und vielfältigen Organisationen eingebunden, das ebenso wie der Betrieb Zeitanforderungen stellt und diese Forderungen zu ganz bestimmten Zeitpunkten befriedigt wissen will. Arbeitszeitentscheidungen des Arbeitgebers können das Familienleben, die Möglichkeiten der Kinderbetreuung, die Teilnahme am sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben, die Ausübung von Sportarten sowie die Mitwirkung in Vereinen, Bürgerinitiativen und Parteien deutlich beeinträchtigen oder auch einfach nur mit dem persönlichen Biorhythmus kollidieren. Dauer und Lage der Arbeitszeit sind immer auch gesundheitsrelevant. Billiges Ermessen gem. § 106 GewO erfordert, die Interessen des Arbeitnehmers angemessen einzubeziehen.
6.3 Arbeitszeit
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Schwankungen im Arbeitskräftebedarf können am flexibelsten dadurch aufgefangen werden, dass die Arbeitsleistung der vorhandenen Mitarbeiter dem Bedarf entsprechend erhöht oder reduziert wird. Der Vorteil für den Arbeitgeber besteht vor allem darin, dass kein neues Personal eingestellt werden muss und Einarbeitungs- und Integrationskosten für Neueingestellte entfallen. Die vorhandenen, aufeinander eingespielten Mitarbeiter versprechen die höchste mögliche Produktivität. Eine Erhöhung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten oder bei zurückgehendem Bedarf, der Übergang Vollzeitbeschäftigter zur Teilzeitarbeit bzw. weitere Reduzierung der regelmäßigen Arbeitszeit schon Teilzeitbeschäftigter macht aber immer eine Anpassung des Arbeitsvertrags notwendig. Diese Maßnahmen eignen sich deshalb nicht für kurzfristige Schwankungen, sondern nur für mittelfristige Veränderungen des Personalbedarfs. Im Fall von Personalüberhang ist die dauerhafte Reduzierung der Arbeitszeit durch Übergang zur Teilzeitbeschäftigung ein Mittel, den Personalabbau sozialverträglich zu gestalten und die Option offen zuhalten, bei entsprechender Geschäftsentwicklung die Gesamtarbeitszeit der Belegschaft durch Rückkehr zu Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen ohne zusätzliche Integrationskosten für neue Mitarbeiter zu erhöhen. Die kurzfristige Flexibilität des Personaleinsatzes hängt vor allem von dem Arbeitszeitsystem des jeweiligen Betriebes ab. Innerhalb eines Betriebes können je nach betrieblichen Notwendigkeiten durchaus unterschiedliche Arbeitszeitsysteme eingesetzt werden. Arbeitszeitmodelle lassen sich unterscheiden nach dem Grad Zeitautonomie des Arbeitnehmers und dem Aufwand der Kontrolle in Bezug auf die Erfüllung der zeitlichen Arbeitsverpflichtung. Feste Zeiten des Arbeitsbeginns und des Arbeitsendes für festgelegte Wochentage sind wegen ihrer Starre und Undifferenziertheit ein überholtes Arbeitszeitverteilungsmodell, das allerdings für den Arbeitnehmer den Vorzug hat, dass die Freizeit zuverlässig geplant werden kann. Der Arbeitgeber kann die Einhaltung der Arbeitszeit ohne jeden technischen Aufwand überwachen. Ein solches System setzt eine eher homogene Arbeitszeitverpflichtung der Belegschaft oder wenigstens einer größeren, gut abgrenzbaren Gruppe der Belegschaft voraus. Für jeden in Teilzeit beschäftigten Mitarbeiter sind bei fester Arbeitszeit Sonderregelungen notwendig. Bei zunehmendem Anteil von Teilzeitbeschäftigten geht der Vorteil der Einfachheit des Systems schnell verloren. Schichtarbeit steht der festen Arbeitszeit nahe, da für die Angehörigen einer Schicht keine Zeitautonomie besteht. Die Arbeitszeit beginnt für alle Angehörigen einer Schicht gleichzeitig und endet auch für alle zum gleichen Zeitpunkt. Variabel ist allenfalls die Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer konkreten Schicht. Möglich ist ein Wechsel der Schichtzuordnung jedoch nur, wenn sich aus einer anderen Schicht ein adäquater Tauschpartner findet. Schichtarbeit dient der besseren Auslastung des Anlagevermögens bzw. objektiven Notwendigkeiten, wenn insbesondere verfahrenstechnische Anlagen im kontinuierlichen Betrieb gefahren oder Dienstleistungen ohne jede Unterbrechung (z. B. Krankenhäuser) erbracht werden müssen. Arbeit nach Dienstplan begrenzt die Zeitautonomie des Arbeitnehmers ebenfalls deutlich, lässt aber eine flexiblere Berücksichtigung individueller Interessen zu. Die Arbeit muss in dem vom Plan vorgesehenen Zeitpunkt aufgenommen und darf nicht vorher beendet werden. Arbeitsbeginn und -ende können nach den betrieblichen Erfordernissen für einzelne Personen flexibel festgelegt werden, so dass auch bei – im Laufe eines Tages oder einer Woche –
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6 Personaleinsatz
stark wechselndem Personalbedarf zu den jeweiligen Stoßzeiten immer genügend Personal arbeitet. Arbeit nach Dienstplan ist für den Dienstleistungssektor charakteristisch. Tausch von Dienstzeiten ist möglich; die zahlreichen Variablen der Dienstpläne lassen es zu, auf persönliche Belange des Arbeitnehmers einzugehen. Eine Variante der Arbeit nach Dienstplan sind sog. Funktionszeiten. In diesem System wird der Dienstplan nicht von Vorgesetzten für die Mitarbeiter erstellt, sondern den Mitarbeitern einer Organisations- oder Funktionseinheit kollektive Zeitautonomie in dem Sinn eingeräumt, dass im Wege der gegenseitigen Absprache sichergestellt wird, dass stets Personal in aufgabengerechtem Umfang arbeitet. Arbeit auf Abruf steht der Arbeit nach Dienstplan nahe, denn es wird nicht kontinuierlich zu gleich bleibenden Zeiten, sondern je nach Bedarf an wechselnden Tagen und zu unterschiedlichen Zeiten gearbeitet. Gem. § 12 Abs. 1 TzBfG muss der Arbeitsvertrag eine bestimmte wöchentliche oder tägliche Arbeitszeit vorsehen. Der Arbeitgeber muss die konkrete Lage der Arbeitszeit gem. § 12 Abs. 2 TzBfG mindestens vier Tage im voraus ankündigen. In einem Tarifvertrag kann gem. § 12 Abs. 3 TzBfG eine kürzere Vorlauffrist vereinbart werden. Begrenzte Zeitautonomie wird dem Arbeitnehmer bei Arbeitszeitsystemen gewährt, die Arbeitsaufnahme und Arbeitsende außerhalb von sog. Kernzeiten in das Ermessen des Beschäftigten stellen. Der Arbeitgeber kann jedoch aus dienstlichen Gründen auch außerhalb der Kernzeit Arbeitsleistung fordern und sich durch Weisung gem. § 106 GewO durchsetzen. Für solche sog. Gleitzeitsysteme ist charakteristisch, dass eine vereinbarte regelmäßige wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit unterschritten und überschritten werden kann, so dass zum Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraums Minderzeiten und Mehrzeiten entstehen. Mehrzeiten können in späteren Abrechnungszeiträumen durch Minderzeiten abgebaut werden, Minderzeiten müssen durch Erwirtschaftung eines Zeitguthabens wieder ausgeglichen werden. Das Volumen der Akkumulation von Minderzeiten und Mehrzeiten ist üblicherweise begrenzt. Über das Maximum hinausgehende Zeitguthaben werden nicht in die folgende Zeitabrechnungsperiode übertragen, sondern entweder gestrichen oder als Überstunden behandelt. Individueller Beginn und Ende der Arbeit, sowie die Verwaltung der Minder- und Mehrzeiten machen ein Zeiterfassungs- und Zeitabrechnungssystem notwendig, das sinnvollerweise edv-basiert ist. Gleitzeitsysteme können gut mit Funktionszeitsystemen verbunden werden. Kernzeiten können so festgelegt werden, dass in den Zeiten wesentlicher Kundennachfrage Anwesenheitspflicht herrscht. Gleitzeit- Kernzeitsysteme führen je nach Verhältnis von Kernzeit zu Gleitzeit zu einer begrenzten Flexibilität des Personaleinsatzes und zu einem deutlichen Zuwachs an Zeitautonomie des Arbeitnehmers. Überstunden entstehen nicht, solange das übertragbare Zeitguthaben nicht überschritten wird. Bei Vertrauensarbeitszeit wird eine regelmäßige wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit oder eine Jahresarbeitszeit vereinbart. Der Arbeitgeber verzichtet auf jegliche Kontrolle der geleisteten Arbeitszeit. Im Fokus steht die Übertragung von Aufgaben, mit denen nur gedanklich ein bestimmter Zeitaufwand assoziiert wird. Abweichungen des tatsächlichen Arbeitsaufwandes bleiben ohne Folgen. Minderzeiten gegenüber der vertraglichen Arbeitszeit müssen nicht nachgearbeitet werden, Mehrstunden bleiben ohne besondere Vergütung. Erfahrungen mit der Vertrauensarbeitszeit zeigen, dass von den Arbeitnehmern tendenziell über
6.3 Arbeitszeit
81
das vertraglich vereinbarte Volumen hinaus unbezahlte Mehrstunden geleistet werden, da die Mitarbeiter nicht in den Ruf geraten wollen, die Vertrauensarbeitszeit zu Lasten des Betriebs zur Ausweitung ihrer Freizeit zu nutzen. Andererseits ist auch bei Vertrauensarbeitszeit eine Dokumentation der tatsächlichen Arbeitsstunden notwendig, damit der Arbeitgeber nachweisen kann, dass bei den individuellen Arbeitszeiten das Arbeitszeitgesetz eingehalten worden ist. Geeignet ist die Vertrauensarbeitszeit vor allem für hochgradig autonome Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung bzw. im Management, bei denen man von einer hohen Eigenmotivation der Mitarbeiter ausgeht, so dass eine dem Arbeitgeber unmittelbar zugängliche Erfassung von Arbeitszeiten als Ausdruck von Kontrolle eher kontraproduktiv wäre.
6.3.2
Mehr- und Überstunden
Arbeitskraftmehrbedarf kann auch dadurch gedeckt werden, dass die vorhandenen Mitarbeiter sog. Mehr- oder Überstunden leisten, also über die individuell vertraglich vereinbarte Zeit hinaus arbeiten, ohne dass der Arbeitsvertrag auf Dauer geändert wird. Mehrstunden liegen vor, wenn Teilzeitbeschäftigte auf Veranlassung des Arbeitgebers länger arbeiten, als das im individuellen Arbeitsvertrag vorgesehen ist. Überstunden entstehen dann, wenn der Arbeitgeber Teilzeit- bzw. Vollzeitbeschäftigte über die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinaus Arbeit leisten lässt. Abgesehen von der Hilfeleistung in Notfällen sind Arbeitnehmer zu einer solchen vorübergehenden Überschreitung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nur verpflichtet, wenn dies im Arbeitsvertrag oder im Tarifvertrag vorgesehen ist. In der Regel enthalten die Tarifverträge die notwendigen Bestimmungen. Für Überstunden (nicht für Mehrstunden) sehen die Tarifverträge zusätzlich zum normalen Lohn eine erhöhte Vergütung vor (Überstundenzuschläge). Die Kosten für Überstunden liegen damit bei den vom Tarifvertrag erfassten Tätigkeitsbereichen stets über den Kosten einer Arbeitsstunde innerhalb der Normalarbeitszeit. Dies beteiligt die betroffenen Arbeitnehmer einerseits am Produktivitätsvorteil des Arbeitgebers, soll andererseits aber auch den Druck auf den Arbeitgeber erhöhen, im Interesse des Arbeitsmarktes zusätzliches Personal zu beschäftigen. Nicht zu verkennen ist, dass Mehrarbeit und Überstunden eine attraktive Möglichkeit zusätzlichen Einkommens der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sind. Die Belegschaften lehnen Überstunden weniger geschlossen ab als Gewerkschaften. Ist die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden oder Kurzarbeit arbeits- oder tarifvertraglich grundsätzlich gegeben, hat der Arbeitgeber bei der Auswahl der Mitarbeiter billiges Ermessen gem. § 106 GewO auszuüben. Den betrieblichen Belangen (welche Mitarbeiter kommen nach ihrer Qualifikation für die in Überstunden zu leistende Tätigkeit überhaupt in Frage) stehen die Interessen der Mitarbeiter am Zusatzverdienst gegenüber (jeder möchte mal, warum immer die gleichen) bzw. das Interesse, eben nicht von Überstunden betroffen zu werden (die Familie möchte mal wieder … oder die Überstunden kollidieren mit dem lang ersehnten Stadionbesuch). Im außertariflichen Bereich kann je nach Position in der betrieblichen Hierarchie die Leistung von Überstunden zum „guten Ton“ gehören, ohne dass diese Mehrleistung im Einzelnen abgerechnet wird. Grundsätzlich könnten die betroffenen Mitarbeiter sich weigern, werden dies aufgrund der von ihnen erwarteten besonderen Identifikation mit dem Betrieb bzw.
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6 Personaleinsatz
Unternehmen nicht tun. Diese Überstunden sind ein Beispiel dafür, dass gesetzliche Mindeststandards die Arbeitnehmerseite nicht davon entlasten, diese auch persönlich geltend zu machen. Eine indirekte Gratifikation ergibt sich nur dann, wenn die Höhe des zeitlichen Einsatzes bei leistungs- und erfolgsabhängigen Komponenten in der Vergütung berücksichtigt wird.
6.3.3
Gesetzliche Beschränkungen des Weisungsrechts zur Arbeitszeit
Die Ausübung des Ermessens in Bezug auf die Arbeitszeit ist öffentlich-rechtlich durch das Arbeitszeitgesetz eingeschränkt. Das Arbeitszeitrecht zählt zu den ältesten gesetzlichen Interventionen des Staates zum Schutz der Arbeitnehmer und dient gem. § 1 Nr. 1 ArbZG dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten, gem. § 1 Nr. 2 ArbZG durch Arbeitsverbote an Sonn- und Feiertagen auch der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer. Die Einhaltung des Gesetzes wird gem. § 17 ArbZG von der Aufsichtsbehörde überwacht. Verstöße können gem. § 22 ArbZG, mit einem Bußgeld zu Lasten des Arbeitgebers geahndet werden, auch wenn der Arbeitnehmer die zulässige Arbeitszeit freiwillig überschritten hat. Das Arbeitszeitgesetz gibt damit den Handlungsrahmen für die Festlegung der individuellen Arbeitszeiten vor. Arbeitszeit ist gem. § 2 Abs. 1 ArbZG die Zeit vom Beginn der Arbeit bis zum Ende der Arbeit. Ruhepausen werden von dieser Zeit abgezogen. Nach sechs Stunden Arbeitszeit ist gem. § 4 Satz 3 ArbZG eine Ruhepause einzulegen. Umstritten war in der Vergangenheit die Beurteilung von Zeiten des Bereitschaftsdienstes und der Arbeitsbereitschaft. Bereitschaftsdienst bedeutet, dass der Arbeitnehmer sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten muss, um bei Bedarf Arbeiten zu verrichten. Diese Zeiten sind nach einer Entscheidung des EuGH vollständig Arbeitszeit (9.9.2003, NZA 2003, S. 1019). Bei bloßer Arbeitsbereitschaft muss sich der Arbeitnehmer nicht an einem bestimmten Ort aufhalten, sondern nur erreichbar und in der Lage sein, innerhalb einer festgelegten Zeit die Arbeit aufzunehmen. Arbeitszeiten sind in diesem Fall nur die Zeiten, in denen tatsächlich gearbeitet wird. Die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit durch Zeiten der Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienste setzt neben der tarifvertraglichen Regelung gem. § 7 Abs. 7 ArbZG die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers voraus, die mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen werden kann. § 3 ArbZG beschränkt verbindlich die höchstmögliche zu leistende Arbeitszeit auf – –
acht Stunden täglich oder zehn Stunden täglich, aber im Durchschnitt von 24 Wochen oder sechs Monaten nur acht Stunden werktäglich (also Montag bis Sonnabend).
Arbeitszeitrechtlich sind feste Arbeitszeiten an sechs Tagen in der Woche bis zu acht Stunden täglich (das entspricht einer 48 Stunden Woche) kein Problem. Je flexibler aber der zeitliche Einsatz der Arbeitskräfte erfolgt und je ungleichmäßiger die Verteilung der Arbeitszeit im Jahresverlauf ist, desto kritischer kann die Einhaltung des gesetzlichen Arbeitszeitrahmens werden. Nach Beendigung der Arbeitszeit ist gem. § 5 ArbZG eine ununterbrochene
6.3 Arbeitszeit
83
Ruhezeit von mindestens elf Stunden einzuhalten. Für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Gastronomie, Hotellerie, Verkehrsbetriebe, Rundfunk, Landwirtschaft und Viehhaltung gelten Sonderregelungen. Nachtarbeit und Arbeit in Wechselschicht sind aus medizinischer Sicht besonders bedenklich, da sie z.T. entgegen des tageszeitbezogenen Verlaufs der physiologischen und psychologischen Leistungsbereitschaft (Circadianrhythmik) erfolgen, und sind deshalb besonders reguliert. Nachtzeit ist gem. § 2 Abs. 3 ArbZG die Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr, in Bäckereien und Konditoreien von 22 Uhr bis 5 Uhr. Nachtarbeitnehmer sind gem. § 2 Abs. 5 ArbZG alle Arbeitnehmer, die in Wechselschicht normalerweise Nachtarbeit zu leisten haben oder an mindestens 48 Tagen im Jahr mehr als zwei Stunden zur Nachtzeit arbeiten. Gem. § 6 Abs. 1 ArbZG ist die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeiter nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen. Um die Belastungen durch Schichtarbeit möglichst gering zu halten, sollte der Schichtplan u.a. so gestaltet sein, dass die Anzahl der aufeinander folgenden Nachschichten möglichst gering ist (max. drei Nachtschichten ), dass möglichst viele Wochenenden frei gehalten werden, dass eine physiologisch günstige Schichtfolge gewählt wird (z. B. Früh-, Spät-, Frei-, Früh-, Nacht-, Frei-Schichten), wobei an maximal fünf Arbeitstage hintereinander gearbeitet werden soll. Die Schichtplanung an sich sollte übersichtlich und langfristig sein, so dass die sozialen Kontakte zuverlässig koordiniert werden können. Die werktägliche Arbeitszeit der Nachtarbeiter darf gem. § 6 Abs. 2 ArbZG acht Stunden nicht überschreiten. Eine Verlängerung auf zehn Stunden ist möglich, muss aber innerhalb kurzer Zeiträume ausgeglichen werden (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 ArbZG). Es besteht Anspruch der Arbeitnehmer auf regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen (§ 6 Abs. 3 ArbZG) und ggf. ein Anspruch auf Beschäftigung auf einem Tagesarbeitsplatz (§ 6 Abs. 4 ArbZG). Soweit kein Tarifvertrag besteht, hat der Nachtarbeitnehmer gem. § 6 Abs. 5 ArbZG einen gesetzlichen Anspruch auf zusätzliche freie Tage oder eine zusätzliche Vergütung (Nachtzuschlag). Die Arbeitszeitregulierung durch das ArbZG wird flexibilisiert, indem es § 7 ArbZG den Tarifvertragsparteien ermöglicht, durch Tarifvertrag abweichende Regelungen zu treffen. Hintergrund ist die sog. Richtigkeitsgewähr, die Vereinbarungen der Tarifpartner zugeschrieben wird. Die Tarifvertragsparteien kennen die spezifischen Bedingungen der jeweiligen Branche und die Arbeitnehmerseite ist aufgrund der kollektiven Vertretung in der Lage, ihre Interessen in Bezug auf die Gestaltung der Arbeitszeiten zu wahren. Trotzdem gewährt das ArbZG den Tarifpartnern nicht volle Handlungsfreiheit. Die möglichen Abweichungen betreffen im Wesentlichen den Umgang mit Zeiten der Arbeitsbereitschaft oder des Bereitschaftsdienstes, Ruhepausen und Ruhezeiten sowie die Ausgleichszeiträume für Überschreitungen des Acht-Stunden-Arbeitstages. Weitergehende Spielräume sind nur in der Landwirtschaft, in Krankenbehandlung, Alten-, Kranken- und Tierpflege, dem öffentlichen Dienst und für die kirchlichen Arbeitgeber vorgesehen. Statt die Arbeitszeitfragen selbst abweichend vom ArbZG zu regeln, können Tarifverträge gem. § 7 Abs. 2a ArbZG auch vorsehen, dass die Spielräume vor Ort von Arbeitgeber und Betriebsrat durch Betriebsvereinbarung ausgefüllt werden. Abweichende tarifvertragliche
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6 Personaleinsatz
Regelungen können in Betrieben eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers gem. § 7 Abs. 3 ArbZG durch Betriebsvereinbarung übernommen, durch Tarifvertrag der Betriebsvereinbarung überlassene Spielräume ebenfalls genutzt werden. Wenn kein Betriebsrat besteht, kann eine vom ArbZG abweichende tarifvertragliche Regelung auch schriftlich in den einzelnen Arbeitsvertrag übernommen werden. Beschäftigungsverbote bestehen gem. § 9 ArbZG für Sonn- und Feiertage. § 10 ArbZG regelt zahlreiche Ausnahmen. Jedoch müssen individuell gem. § 11 Abs. 1 ArbZG mindestens 15 Sonntage im Jahr beschäftigungsfrei bleiben. Bei Beschäftigung an Sonntagen muss gem. § 11 Abs. 3 ArbZG innerhalb von zwei Wochen ein Ersatzruhetag gewährt werden. Die Regelung gewährleistet, dass über die in § 5 ArbZG geregelten Ruhezeiten hinaus bei kontinuierlicher Beschäftigung ganze Pausentage eingelegt werden. § 12 ArbZG lässt durch Tarifvertrag Abweichungen von § 11 ArbZG zu. Auch hier können die Tarifvertragsparteien Handlungsspielräume der Regelung durch Betriebsvereinbarung überlassen. Auch bei fehlender Tarifbindung des Arbeitgebers sind Betriebsvereinbarungen zulässig. Fehlt ein Betriebsrat werden Abweichungen einzelvertraglich schriftlich vereinbart. § 14 Abs. 1 ArbZG lässt in besonderen Fällen jeweils vorübergehende Abweichungen vom ArbZG zu. Verlängerte Arbeitszeiten für die gesamte Belegschaft sind möglich in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen der Betroffenen eintreten. Gem. § 14 Abs. 2 ArbZG darf eine verhältnismäßig geringe Zahl von Arbeitnehmern über den gesetzlichen Zeitrahmen hinaus mit Arbeiten beschäftigt werden, deren Nichterledigung das Arbeitsergebnis gefährden oder unverhältnismäßigen Schaden zur Folge haben würde. Im Unterschied zu § 14 Abs. 1 ArbZG beschränkt sich diese Ausnahme nicht auf unvorhersehbare und unbeeinflussbare Gegebenheiten. Weil nur eine geringe Zahl von Arbeitnehmern betroffen ist, sind auch geplante Verlängerungen der Arbeitszeit verantwortbar. Weitergehende Ausnahmen gelten für Forschung und Lehre, Pflege und Betreuung von Personen sowie Behandlung und Pflege von Tieren. Es bleibt aber gem. § 14 Abs. 3 ArbZG in all diesen Fällen dabei, dass im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen 48 Stunden pro Woche nicht überschritten werden dürfen. Zeitüberschreitungen sind nur an einzelnen Tagen zulässig, langfristig muss die Höchstarbeitszeit gewahrt werden. Um auf weitere Umstände des Einzelfalls flexibel eingehen zu können, kann die Aufsichtsbehörde – in der Regel das Gewerbeaufsichtsamt – auf Antrag des Arbeitgebers gem. § 15 ArbZG weitere Ausnahmen zulassen und z. B. für Bau- und Montagestellen oder zur Erreichung zusätzlicher Freischichten in kontinuierlichen Schichtbetrieben längere tägliche Arbeitszeiten bewilligen. Auch bei diesen Ausnahmeregelungen muss die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden im Verlauf eines halben Jahres eingehalten werden. Die Flexibilisierung durch Ausnahmegenehmigung erleichtert die betriebliche Organisation, erhöht aber nicht die zulässige Jahresarbeitszeit. Die Genehmigung weiterer Ausnahmen ist z. B. für Bau- und Montagestellen oder für Saisonbetriebe möglich.
6.3 Arbeitszeit
6.3.4
85
Betriebsverfassungsrechtliche Beschränkungen des Weisungsrechts
Der Betriebsrat hat bei der Festlegung von Arbeitszeiten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen. Generelle Voraussetzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 BetrVG ist dabei ein kollektiver Bezug der Maßnahme des Arbeitgebers. Ausschließlich einzelfallbezogene Weisungen unterliegen nicht der Mitbestimmung. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hindert den Arbeitgeber also nicht, z. B. einen einzelnen Mitarbeiter aufzufordern, unter Verlängerung seiner üblichen Arbeitszeit eine bestimmte Arbeit zu Ende zu bringen und dafür im Betrieb zu bleiben. Sind allerdings mehrere Mitarbeiter betroffen, ist dies schon ein gewichtiges Indiz für einen kollektiven Bezug. Auch wenn Einzelweisungen mehrfach wiederholt werden (wiederkehrende Überstunden eines Arbeitnehmers) oder Strukturentscheidungen getroffen werden, die zwar zur Zeit nur für einen Mitarbeiter zutreffen, aber auch für andere Mitarbeiter relevant sein können, wird von einem kollektiven Bezug der Maßnahme ausgegangen,. Arbeitszeitrelevante Mitbestimmungstatbestände sind – –
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Lage der Pausen und die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG; Verlängerung und Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit (= Überstunden und Kurzarbeit); § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
Umstritten ist, inwieweit der Betriebsrat bei der Ausübung von Mitbestimmungsrechten unternehmerische Grundentscheidungen respektieren muss. Die konkreten Betriebszeiten und damit auch die Arbeitszeiten der Mitarbeiter können mit dem besonderen Profil des Betriebs zusammenhängen. Eine Discothek ist eher im Nachtbetrieb sinnvoll, ein Tanzcafé in einem Kurort wird normalerweise um 22.00 Uhr schließen. Art. 12 GG gewährleistet die Berufsfreiheit des Unternehmers unter Einschluss der unternehmerischen Grundsatzentscheidungen. In diesen Freiheitsspielraum des Unternehmers darf das BetrVG durch Einführung von Mitbestimmungsrechten nicht eingreifen. Die Möglichkeit, nach Erweiterung der Ladenschlusszeiten ein Kaufhaus länger als bisher geöffnet zu halten, ist vom Bundesarbeitsgericht jedoch nicht als eine dem § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vorgelagerte mitbestimmungsfreie unternehmerische Grundsatzentscheidung angesehen worden. Allerdings muss der Betriebsrat bei seiner Entscheidung wegen des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit auf unternehmerische Belange Rücksicht nehmen und darf z. B. die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens durch Verweigerung der Anpassung an die herrschenden Markbedingungen nicht gefährden. Überstunden ordnet der Arbeitgeber an, wenn die Zahl der vertraglich vereinbarten und nach der betrieblichen Arbeitszeitregelung in einer bestimmten Zeitperiode zu leistenden Arbeitsstunden eines Vollzeitbeschäftigten überschritten werden soll. Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten ist ebenso wenig mitbestimmungspflichtig, wie der Hinweis an einen Beschäftigten, im Rahmen der Gleitzeit dienstlichen Notwendigkeiten zu entsprechen und die Arbeit bis zum Ende der Gleitzeit fortzusetzen. Je kürzer die Referenzperiode für die zu leistende Arbeitsmenge ist, desto eher kommt es zu zustimmungspflichtigen Überstunden. Ein Ar-
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6 Personaleinsatz
beitszeitsystem mit Zeitautonomie für die Beschäftigten kann dagegen Überstunden weitgehend vermeiden, weil nur Arbeitsleistung außerhalb der durch Zeitautonomie eingeräumten Handlungsspielräume als Überstunden anzusehen ist. Auf die Höhe der Vergütung für Überstunden erstreckt sich die Mitbestimmung nicht. Übersteigt das Arbeitszeitangebot die betrieblichen Möglichkeiten, Mitarbeiter zu beschäftigen, kann die betriebsübliche Arbeitszeit auch verkürzt werden. Bedeutend ist für den Arbeitnehmer weniger der Verzicht des Arbeitgebers auf seine Arbeitsleistung, sondern der mit Kurzarbeit verbundene Einkommensverlust. Anordnung von Kurzarbeit setzt deshalb auch bei Zustimmung des Betriebsrats voraus, dass die Möglichkeit von Kurzarbeit einzel- oder tarifvertraglich vorgesehen ist.
6.3.5
Erholungsurlaub
Gesamtvolumen und (jahres)zeitliche Verteilung der verfügbaren Arbeitszeit werden schließlich durch den Erholungsurlaub beeinflusst. Der Mindesturlaub beträgt gemäß § 3 BUrlG 24 Werktage. Da auch Sonnabende Werktage sind, ergibt sich ein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen. Tarifvertraglich und einzelvertraglich kann und wird zugunsten der Arbeitnehmer abgewichen. Tarifverträge sehen bis zu 30 Urlaubstage auf der Basis der Fünftage Woche vor. Schwerbehinderte und Jugendliche haben Zusatzurlaub. Die Mindeststandards des BUrlG gelten auch für (geringfügige) Teilzeitarbeitsverhältnisse. Urlaub kann vom Arbeitnehmer nicht einseitig genommen, er muss durch den Arbeitgeber gewährt werden. Mit einer Selbstbeurlaubung verletzt der Arbeitnehmer schwerwiegend seine vertragliche Leistungspflicht. Die Urlaubsgewährung steht jedoch nicht im Ermessen des Arbeitgebers. § 7 BUrlG regelt als Spezialvorschrift zu § 106 GewO die anzuwendenden Kriterien und stärkt die rechtliche Position des Arbeitnehmers. Dieser hat einen Anspruch auf Gewährung von Urlaub zu dem von ihm gewünschten Termin, wenn dem nicht dringende betriebliche Belange oder unter sozialen Gesichtspunkten vorrangige Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. Dringende betriebliche Belange können es erfordern, dass Urlaub zu einer bestimmten Zeit nicht genommen wird. Einfache Personalengpässe oder Störungen des Betriebsablaufs können die Ablehnung eines Urlaubsantrags für sich noch nicht rechtfertigen. Dringende betriebliche Gründe liegen erst dann vor, wenn sie ein erhebliches Ausmaß erreichen. Zum Ende größerer Projekte werden z. B. oft dringende betriebliche Gründe für die Ablehnung von Erholungsurlaubswünschen gegeben sein, weil fachlich kompetentes Personal am Ende einer Projektphase unverzichtbar ist, um den Projekterfolg sicherzustellen. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass es Sache des Arbeitgebers ist, sich darauf einzustellen, dass seine Mitarbeiter nicht ganzjährig zur Verfügung stehen. Urlaubswünsche anderer Mitarbeiter stehen der Urlaubsgewährung nicht von vornherein entgegen. Auf die Koordination der verschiedenen Urlaubswünsche kommt es erst dann an, wenn die Gesamtabwesenheit diverser Arbeitnehmer aufgrund Erholungsurlaubs zu einem Personalengpass und zu erheblichen Störungen führen würde, die als dringende betriebliche Gründe anzuerkennen sind. Erst nachdem in einem ersten Schritt dringende betriebliche dem
6.3 Arbeitszeit
87
Urlaub entgegenstehende Gründe festgestellt sind, findet eine Auswahl unter verschiedenen Urlaubsgesuchen statt. Vorrangig sind dabei die Urlaubswünsche von Eltern während der Schulferien, von Verheirateten oder eingetragenen Lebenspartnern, um überhaupt einen gemeinsamen Urlaub zu ermöglichen. Auf bereits gebuchte Reisen muss der Arbeitgeber aus rechtlicher Sicht bei der Auswahl keine Rücksicht nehmen, wenn der Urlaubstermin nicht vorher mit ihm abgestimmt worden ist. Dringende betriebliche Belange können es andererseits erfordern, dass Urlaub zu einer bestimmten Zeit genommen wird, obwohl der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen Urlaub zu einem anderen Zeitpunkt bevorzugt. Die dringenden betrieblichen Belangen bestehen in dem Interesse des Arbeitgebers, Zeiten prioritär für die Gewährung von Urlaub zu nutzen, in denen Arbeitnehmer ohnehin nicht beschäftigt werden können, sei es weil die Produktion wegen technischer Umrüstungen unterbrochen werden muss, sei es dass bei einer Häufung von Brückentagen die Heizkosten außer Verhältnis zur Produktivität der wenigen zur Arbeit erscheinenden Mitarbeiter stehen. In diesen Fällen können für die betroffenen Betriebsteile Werksferien eingeführt werden mit der Folge, dass während dieses Zeitraums Urlaub genommen werden muss und außerhalb dieser Zeit nur noch der verbleibende Resturlaub zur Verfügung steht. Ein uneingeschränkter Urlaubsanspruch besteht ausnahmsweise gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 BUrlG im Anschluss an medizinische Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen. Die Urlaubsgewährung ist eine Willenserklärung i. S. von § 130 BGB. Mit dem Zugang ist sie wirksam und kann nicht mehr widerrufen werden. Eine Aufhebung der Urlaubsgewährung oder ein Rückruf aus dem Urlaub ist nur im gegenseitigen Einvernehmen möglich. Erholungsurlaub ist ein wesentliches Element des Gesundheitsschutzes. Es reicht nicht aus, die Wochenarbeitszeit im Jahresdurchschnitt zu begrenzen. Regelmäßig wiederkehrende längere arbeitsfreie Erholungspausen sind aus arbeitsmedizinischer Sicht erforderlich, um die Arbeitsfähigkeit langfristig zu erhalten. Auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist die Pflege der Arbeitsfähigkeit von Belang, um einen vorzeitigen Eintritt des Rentenfalls zu vermeiden. Neben der rein physischen Erholung von körperlicher Anstrengung spielt vor dem Hintergrund der Veränderungen der Arbeitswelt die psychische Regeneration eine besondere Rolle. Die mit dem Urlaub verfolgten Erholungszwecke treten nicht kurzfristig, sondern erst ab einer Urlaubsdauer von zwei Wochen ein. § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG spricht die Regel aus, dass der Urlaub zusammenhängend zu gewähren ist. Dabei ist an den gesamten vierwöchigen Mindesturlaub gedacht. § 7 Abs. 2 Satz 1 und 2 BUrlG lassen es jedoch zu, dass aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen, der Erholungsurlaub aufgeteilt wird. Dabei muss mindestens ein Urlaubsteil zwölf aufeinander folgende Werktage umfassen. Der Erholungszweck wird durch § 8 BUrlG gesichert, indem eine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit untersagt ist. Erwerbsarbeit, die mit dem Urlaubszweck vereinbar ist, wie z. B. die Leitung einer Studienreise oder stundenweiser Golfunterricht, darf aufgenommen werden. Bei einem Verstoß gegen § 8 BUrlG werden arbeitsvertragliche Pflichten verletzt. Der Arbeitgeber hat gegen den Arbeitnehmer einen Unterlassungsanspruch, wird in der Praxis aber meist versuchen, das Arbeitsverhältnis wegen eines Verstoßes gegen § 8 BUrlG zu kündigen. Dem Urlaubszweck widersprechende Tätigkeiten, die unentgeltlich
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6 Personaleinsatz
geleistet werden, wie z. B. handwerkliche Leistungen auf der Baustelle des Nachbarn, bleiben von § 8 BUrlG unberührt. Auch mit Erholung unvereinbares Freizeitverhalten (ausschweifende Diskothekenbesuche, Sport ohne hinreichende Vorbereitung, anstrengende Fernreisen, möglicherweise in gesundheitliche Risikogebiete) oder sonst ungesundes Verhalten (langes Sonnenbaden, überlange Autofahrten, Jet-Lag beim Wechsel von Zeitzonen, Genuss ungewohnter Speisen und Getränke) ist zwar eigentlich unvernünftig, aber urlaubsrechtlich erlaubt. Der Gesetzgeber sichert einen Mindeststandard an Erholungsmöglichkeiten, überlässt es aber im Fall des Urlaubs der freien Entfaltung der Persönlichkeit, ob der Urlaub wirklich zur Regeneration der Arbeitskraft genutzt wird. Anders als bei der Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften ist der Arbeitgeber auch nicht dafür verantwortlich, dass der Mitarbeiter tatsächlich den Mindesturlaub nimmt. Das BUrlG enthält keine Sanktionen, für den Fall, dass ein Mitarbeiter keinen Urlaub nimmt. Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden. Aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen kann der Urlaub ins folgende Urlaubsjahr übertragen werden, muss dann aber in den ersten drei Monaten gewährt und genommen werden. Nicht genommener Urlaub verfällt. Ein langfristiges Ansparen von Urlaubstagen ist nach dem BUrlG nicht möglich. Arbeitsrechtliche Konsequenzen hat der Verfall von Urlaub nicht. Ein Anspruch auf Abgeltung in Geld besteht gem. § 7 Abs. 4 BUrlG nur, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Resturlaubsansprüche bestehen. Dem Arbeitnehmer günstige Abweichungen vom BUrlG sind durch Tarifvertrag, aber auch durch den individuellen Arbeitsvertrag möglich. Das kann die Zahl der Urlaubstage, die Möglichkeit längerfristiger Akkumulation von Urlaubsguthaben o. ä. betreffen. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs 1 Nr. 5 BetrVG bestehen für die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie für die Urlaubsgewährung im Einzelfall, wenn der Arbeitgeber den Wünschen des Arbeitnehmers nicht folgen will.
7
Führung
Führung und Motivation betreffen alle sozialen Beziehungen. Sie sind somit keine spezifischen Themen des Personalmanagements. Gleichwohl haben diese Themen eine besondere Bedeutung, weil sie einerseits eng mit der Unternehmensführung im Bereich der Gestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation und andererseits eng mit den Bereichen Personalauswahl, Personalentwicklung und Gestaltung von Vergütungssystemen verbunden sind, die wiederum zu den zentralen Aufgabenbereichen des Personalmanagements gehören.
7.1
Funktionen der Führung
Bei der Führung können zwei Funktionen unterschieden werden: Die sachlich-formale Führungsfunktion und die personenbezogene Führungsfunktion.
7.1.1
Sachlich-formale Funktion der Führung
Die sachlich-formale Führungsfunktion ist eng mit der Aufgabenteilung im Unternehmen und der damit oft verbundenen hierarchischen Aufgabenteilung verbunden. Sie besteht darin, die Ziele des Unternehmens umzusetzen. Die Führungskraft hat zu entscheiden, wer was, wie, wann und bis wann zu tun hat. Bei komplexeren und/oder umfangreicheren Aufgaben, die nicht von einer Person allein bewältigt werden können, werden Teilaufgaben auf mehrere Mitarbeiter verteilt. Hierbei werden Aufgaben schrittweise in immer kleinere Aufgaben untergliedert, die dann auf mehrere Mitarbeiter verteilt werden. Auf diese Weise entstehen hierarchische Strukturen. Das Grundmodul einer Hierarchie besteht aus einer Führungskraft auf der jeweils höheren Ebene und einem Mitarbeiter auf der jeweils niedrigeren Ebene. Die Anzahl der Mitarbeiter, die einer Führungskraft zugeordnet sind, nennt man Leitungsspanne. Sie hängt von der Unterschiedlichkeit und Komplexität der Aufgaben ab. Im Bereich einfacher gleichartiger Tätigkeiten, wie sie häufig im Bereich der Serienfertigung zu finden sind, sind bis zu 25 Mitarbeiter einer Führungskraft zugeordnet, während bei anspruchsvollen Aufgaben, wie es sie z. B. in der Konstruktion und Entwicklung gibt, eine Führungskraft für drei bis fünf Mitarbeiter verantwortlich ist. In der Regel bestehen Organisationen aus mehreren Hierarchieebenen, insofern sind alle Führungskräfte wiederum Mitarbeiter einer übergeordneten Führungskraft. Die Untergliede-
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7 Führung
rung einer Organisation folgt nicht ausschließlich technokratischen Regeln, sondern ist meistens auch Ausdruck der Unternehmenspolitik. Durch die Aufgabenteilung werden spezifische Verhaltenserwartungen an die jeweiligen Mitarbeiter gestellt. Die Aufgabe der personenbezogenen Führung besteht nun darin, sicherzustellen, dass diese Verhaltenserwartungen auch erfüllt werden (können). Dazu ist es zum einen erforderlich, die Qualifikation und das Leistungsvermögen mit den Aufgabenanforderungen abzustimmen, sei es dadurch, dass die Aufgaben an das Leistungsvermögen der Mitarbeiter angepasst werden, oder dadurch, dass der Mitarbeiter entsprechend ausgewählt (Personalauswahl) oder qualifiziert wird (Personalentwicklung). Es geht somit darum, eine Passung zwischen Mitarbeiter und Aufgabe herzustellen. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darüber hinaus darin, die Teilaufgaben im Sinne der Unternehmenspolitik zu koordinieren, die Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter zusammenzutragen, zusammenzufassen und an die nächst höhere Hierarchieebene weiterzuleiten. Die sachlich-formalen Führungsfunktionen werden in Organisationen häufig durch formale bürokratische Regelwerke unterstützt. Hierzu zählen u. a. Organigramme, Stellenbeschreibungen, Verfahrensanweisung, Workflow-Software bzw. Managementinformationssysteme, Berichtswesen und Formulare bzw. Bildschirmmasken, die bestimmte Eintragungen verlangen.
7.1.2
Personenbezogene Funktion der Führung
Die Annahme, dass die Mitarbeiter mit dem Beitritt in das Unternehmen die Unternehmensziele und -zwecke voll und ganz teilen, so dass die zugeteilten Aufgaben stets im Sinne der Unternehmensziele erfüllt werden, trifft nicht zu. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Mitarbeiter primär über eigene, nicht unbedingt mit dem Unternehmensziel kompatible Interessen und Ziele verfügen, die sie auch während der Arbeit in Unternehmen verfolgen (möchten). Die Aufgabe der personenbezogenen Führung besteht darin, die Ansprüche des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern verbindlich zu machen. Sie muss hierbei die hierarchische Unternehmensstruktur an sich wie auch die eigene Funktion als Führungskraft im Besonderen, sowohl argumentativ legitimieren wie auch de facto durchsetzen. Da verschiedene Mitarbeiter wiederum unterschiedliche Ziele haben, sind Konflikte zwischen den Mitarbeitern nahe liegend. Aufgabe der Führungskraft ist es Konfliktmanagement zwischen den Mitarbeitern zu betreiben, indem sie rechtzeitig Konfliktfälle identifiziert, Konflikte offen anspricht und Unterstützung bei der Regulierung anbietet. Führung hat somit sowohl die Interessen der Organisation als auch die Interessen der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Hieraus ergeben sich zwei Ziele, an denen Führungskräfte auch gemessen werden: Die Leistungen und die Zufriedenheit der Mitarbeiter.
7.2 Führung und Macht
7.2
91
Führung und Macht
Führung setzt die Möglichkeit voraus, auf Einstellungen und Handlungen anderer Personen einwirken zu können. Grundlage für dieses Einwirken können bildet Macht. Führung hat immer etwas mit Machtausübung zu tun. Notwendige Voraussetzung jeder Machtausübung sind Machtquellen. Auf sie kann sich die Führungskraft bei ihrer Einflussnahme auf den Mitarbeiter stützen. Diese Machtquellen sind zum einen mit der Organisation und zum anderen mit der Person der Führungskraft verbunden. Aber nicht nur die Führungskräfte verfügen über Macht, sondern auch die Mitarbeiter. Macht ist also relativ. Sie ist nur durch die Differenz zwischen Führer und Geführtem wirksam.
7.2.1
Organisationsbezogene Machtquellen
Institutionsbezogene Machtquellen sind direkt an die Zugehörigkeit zu einer Organisation gebunden. Sie verlieren ihre Wirkung, sobald eine Person die Organisation verlässt. Allein schon die Zugehörigkeit zu einer Organisation verleiht einer Person Macht. Sie kann im Namen und im Auftrag der Organisation handeln. Sie kann von anderen das verlangen, was für das Unternehmen „gut" ist. Ihre Ansprüche werden legitimiert durch die ökonomische Bedeutung des Unternehmens, die Unternehmensphilosophie, die Unternehmensziele und die Führungsgrundsätze. Insbesondere auch die informellen, kulturellen und wertmäßigen Eigenheiten einer Organisation können Macht verleihen, in dem sie dazu beitragen, bestimmte Erwartungen und Ansprüche zu legitimieren. So scheint es legitim zu sein, von einem Mitarbeiter zu erwarten, sich formell zu kleiden, wenn dies zur Unternehmenskultur gehört. Andere institutionsbezogene Machtquellen ergeben sich aus Sachzwängen. Hierzu zählen auch die formalen organisatorischen Regelungen der Ablauforganisationen. Eine Beschaffung wird nur dann durchgeführt, wenn der Kostenstellenverantwortliche gegengezeichnet hat; nur Mitarbeiter ab einer definierten Hierarchiestufe dürfen Business-Class fliegen. Auch technologische Erfordernisse können Macht stiftend sein. Der Umgang mit gefährlichen Gütern erfordert das Tragen von Sicherheitskleidung. Ein Hochofen kann nur im kontinuierlichen Schichtbetrieb gefahren werden und verlangt eine entsprechende Personaleinsatzplanung. Ebenso wirkt die Position, die eine Person innerhalb eines Unternehmens hat, als Machtquelle. Aufgrund der übergeordneten hierarchischen Personen ist eine Person berechtigt, ein bestimmtes Verhalten von ihren Mitarbeitern zu verlangen. Sie kann Anweisungen erteilen, Aufgaben vergeben und die Art und Weise, wie die Aufgaben zu erledigen sind, vorschreiben. Nicht selten hängt die Macht in einem Unternehmen neben der hierarchischen Position auch von der (politischen) Bedeutung einzelner Abteilungen oder Projekte innerhalb eines Unternehmens ab. Ein Abteilungsleiter im Vertrieb hat eventuell mehr Macht als ein Abteilungsleiter des Rechnungswesens; aus der Mitarbeit in einem Projektteam zur Neuentwicklung eines Produktes kann evtl. mehr Macht abgeleitet werden als aus Mitarbeit in einem Projekt zur Abfallvermeidung.
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7 Führung
Oft ist mit einer Position innerhalb eines Betriebes auch das formale Recht verbunden, zu belohnen und zu bestrafen. Belohnung und Bestrafung haben das Ziel, gewünschte Verhaltensweisen zu stärken und unerwünschte Verhaltensweisen abzubauen. Der Umfang und die Intensität der Belohnung und Bestrafung sind entscheidend von der hierarchischen Position abhängig, die eine Führungskraft im Unternehmen einnimmt. Leistungsbeurteilungssysteme und die daraus abgeleiteten Maßnahmen sind verbreitete Belohnungs- und Bestrafungsinstrumente. Um einen Mitarbeiter zu veranlassen, weiter wie bisher zu handeln oder bestimmte erwünschte Verhaltensweisen häufiger zu zeigen, kann die Führungskraft ihn belohnen. Als Belohnung können sehr unterschiedliche Mittel eingesetzt werden. Immaterielle Belohnungen können durch das Aussprechen eines Lobes oder der Verleihung von Auszeichnungen (bester Verkäufer des Monats) geschehen. Ebenso kann die Gewährung größerer Handlungsspielräume bei der Arbeitszeitgestaltung, bei der Aufgabengestaltung und bei Entscheidungsbefugnissen belohnenden Charakter haben. Materielle Belohnungen können in Prämienzahlungen, in Höhergruppierungen in den Gehaltsklassen und in Beförderungen und erweiterten Sozialleistungen bestehen. Es können bessere, modernere Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden (PDA, Mobiltelefone oder höhenverstellbare Schreibtische und Bürosessel mit Armlehnen und Wippfunktion). Zum Teil haben diese materiellen Belohnungen auch den Charakter von Statussymbolen (eigene Visitenkarten, eigener Parkplatz, neutraler Firmenwagen für die Privatnutzung). Um zu verhindern, dass ein Mitarbeiter (weiterhin) ein bestimmtes Verhalten zeigt, das nicht erwünscht ist, kann ihn die Führungskraft bestrafen. Bestrafung in Form von Verwarnungen, Verweisen und Geldbußen sind auf der Basis einer tarifvertraglichen Regelung bzw. einer Betriebsvereinbarung zulässig, aber in modernen Unternehmen unüblich. Strafen haben in aller Regel die Form des Entzuges von Belohnungen: Entzug von Prämien oder sonstigen Vergünstigungen, Entzug oder Einschränkung von Verantwortung, Zuordnung zu unliebsamen Aufgaben. Im Rahmen von Arbeitskämpfen gibt es zudem das Machtmittel der Aussperrung. Eine weitere positionsbezogene Machtquelle ist das Wissen der Führungskraft um organisationsbezogene bzw. personelle Angelegenheiten, die nicht allen Mitarbeitern bekannt sind. So kennt die Führungskraft evtl. genauere Ziele und die Rahmenbedingungen der Zielerreichung, während die Mitarbeiter darüber im Unklaren sind. Diesen Informationsvorsprung nennt man Informationsmacht.
7.2.2
Personenbezogene Machtquellen
Die personenbezogenen Machtquellen sind direkt an die Person der Führungskraft gebunden. Sie beruhen auf den kognitiven und emotionalen Fähigkeiten der Person. Diese verfügt über sie unabhängig von einer Organisationszugehörigkeit. Sie kann sich auf diese Machtquellen auch dann stützen, wenn sie nicht mehr für eine oder in einer Organisation tätig ist. Die kognitionsbezogene Machtquelle zielt ebenfalls auf die Informationsmacht. Hier geht es jedoch um das Wissen, über das die Führungskraft unabhängig von ihrer Position im Unternehmen verfügt. Es handelt sich hier um allgemeines, berufliches oder fachbezogenes Wis-
7.2 Führung und Macht
93
sen und Können. Die Führungskraft kann dadurch Einfluss ausüben, weil sie über ein Mehr an Wissen als die Mitarbeiter verfügt. Sie kann dieses Wissen ihren Mitarbeitern mitteilen oder ihnen vorenthalten. Hierdurch gewinnt sie Macht. Durch die zunehmende Spezialisierung und die verkürzten Halbwertzeiten des Wissens verliert diese Machtquelle zunehmend an Bedeutung. Manche Führungskräfte zeichnen sich durch eine charismatische Ausstrahlung aus. Diese geht oft einher mit Willens- und Überzeugungsstärke. Einer charismatischen Führungskraft gelingt es, Mitarbeiter mitzureißen und sie im Hinblick auf neue und herausfordernde Ziele zu motivieren. Hiermit verbindet sich nicht selten der Eindruck der Mitarbeiter, dass die Führungskraft etwas vorlebt, wofür es sich lohnt zu leben. Die Führungskraft wird als Vorbild angesehen. Die emotionsbezogene Macht wird durch das Streben der Mitarbeiter aufgebaut, so zu sein wie die Führungskraft. Je stärker dieser Wunsch der Mitarbeiter ist, desto stärker ist die Identifikationsmacht der Führungskraft.
7.2.3
Machtquellenportfolio
Kennzeichnend für das Führungsverhalten einer Führungskraft ist ihr Einsatz der verschiedenen Machtquellen. Stützt sich eine Führungskraft bei ihren Anweisungen ausschließlich auf die Gepflogenheiten im Unternehmen, führt sie also hauptsächlich auf Basis der institutionellen Machtquelle, so ist zu erwarten, dass ihre Führungstätigkeit eher einen verwaltenden als einen gestaltenden Charakter hat. Eine solche Einstellung ist jedoch für eine innovationsorientierte Unternehmensführung nicht geeignet, da Innovationen häufig ein Durchbrechen von Gepflogenheiten und Routinen verlangen. Steuert die Führungskraft das Mitarbeiterverhalten dagegen vornehmlich durch Belohnung und Bestrafung, besteht die Gefahr, dass sich das Handeln der Mitarbeiter allein auf den Erhalt von Belohnung bzw. auf das Vermeiden von Bestrafung ausrichtet. Die Orientierung an Organisationszielen oder eine Identifikation mit dem Unternehmen kommt nicht zustande. Belohnungen führen zwar zu einer kurzfristigen Zufriedenheit der Mitarbeiter aber nicht zu einer langfristigen Steigerung der Zufriedenheit und der Leistung. Auch mit Bestrafungen kann man keine Steigerung der Leistung erreichen, sondern lediglich kurzfristigen Gehorsam. Stützt sich die Führungskraft hauptsächlich auf ihre Identifikationsmacht, so besteht die Gefahr einer zu starken Bindung der Mitarbeiter an diese Person. Ein Wechsel in der Führung wird erschwert. Solche charismatischen Führungspersonen bewähren sich jedoch besonders in Situationen der Neu- und Umstrukturierung und in Krisensituationen, da es ihnen leicht gelingt, den Mitarbeitern Perspektiven aufzuzeigen. Eine Führungskraft sollte versuchen, ihre Führung auf verschiedene Machtquellen aufzubauen, um eine Vielzahl von Handlungsoptionen zu erhalten. Nur so kann es ihr gelingen, den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Situationen gerecht zu werden. Die Stärke der Macht einer Führungskraft hängt jedoch nicht nur von den Möglichkeiten ihres Zugriffs auf bestimmte Machtquellen ab; die Wirkung der Machtquellen wird vielmehr durch die Mitarbeiter relativiert.
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7.2.4
7 Führung
Machtdynamik
Eine Machtquelle ist nur dann wirksam, wenn sie vom Mitarbeiter akzeptiert wird. So verliert der Hinweis auf die Gepflogenheiten im Unternehmen (Legitimationsmacht) sofort an Kraft, wenn sich ein Mitarbeiter darüber hinwegsetzt und sich konsequent anders verhält. So kann der Hinweis, dass es „Stil des Hauses“ ist, Krawatten zu tragen, leicht mit der Antwort „Ist mir doch egal“ entkräftet werden. Die Machtquellen einer Führungskraft sind gegenüber einem Mitarbeiter darüber hinaus auch nur insoweit wirksam, wie der Mitarbeiter von der Führungskraft abhängig ist. Diese Abhängigkeit kann darin bestehen, dass der Weg zu Dingen und Funktionen, die der Mitarbeiter schätzt (Aufgaben, Beförderung, Prämien), nur über die Führungskraft führt (Belohnungs- und Bestrafungsmacht). Wenn sich der Mitarbeiter auch über eine andere Quelle Zugang zu dem erstrebten Gut verschaffen kann (z. B. durch Mentoren oder Seilschaften), verliert die Machtquelle an Bedeutung. Auch die Androhung einer Kündigung wird bedeutungslos, wenn der Mitarbeiter bereits eine andere evtl. sogar attraktivere Alternative auf dem Arbeitsmarkt gefunden hat. Die Abhängigkeit kann aber auch darin bestehen, dass der Mitarbeiter den Wunsch hat, von seiner Führungskraft gemocht und geschätzt zu werden (Identifikationsmacht) ; ist ihm jedoch das persönliche Verhältnis unwichtig, bleibt diese Machtquelle wirkungslos. Die Abhängigkeit von der Führungskraft ist umso größer, je weniger der Mitarbeiter über Gegenmacht verfügt. Über Gegenmacht verfügt der Mitarbeiter dann, wenn er selber über Güter verfügt, die von der Führungskraft benötigt oder begehrt werden. Wenn z. B. ein Mitarbeiter der einzige Spezialist auf einem Gebiet in der Abteilung ist, ist die Führungskraft von seiner Leistung abhängig. Dieser Mitarbeiter verfügt dann über einen hohen Grad an Gegenmacht (Expertenmacht). In modernen Organisationen, die sich am Markt nur durch schnelle qualitativ hochwertige Arbeit behaupten können, verfügen potenziell alle leistungstragenden Mitarbeiter mit der Möglichkeit der Leistungsverweigerung (nicht termingerechte, fehlerhafte und nicht ausreichende Aufgabenerfüllung) über eine ausgeprägte Gegenmacht. Diese Tatsache berücksichtigend entwickeln sich Führungskonzeptionen, die die Möglichkeit des Führens der Führungskraft durch den Mitarbeiter (Führung des Chefs) systematisch berücksichtigen. Hierbei kann zwischen einer mitarbeiterinitiierten ‚Führung von Unten’ und einer vorgesetzteninitiierten „Führung von Unten“ unterschieden werden. – Bei der mitarbeiterinitiierten Führung des Vorgesetzten versucht der Mitarbeiter vorwiegend interaktiv durch argumentative Stärke und Freundlichkeit Einfluss zu nehmen. Der in der Managementliteratur geprägte Begriff vom „Intrapreneur“, d. h. dem Unternehmer (Entrepreneur) im Unternehmen, spiegelt diese Form der Einflussnahme und ggf. auch den Widerstand nach oben wider und erwartet solche Handlungen auch vom Mitarbeiter, wenn sie im Interesse des Unternehmens erfolgen. – Bei der vorgesetzteninitiierten Führung von Unten wird dieses Machtpotenzial der Mitarbeiter sogar strukturell verankert, in dem die Führungskraft den Mitarbeitern Einflusskompetenzen systematisch einräumt. Häufig erfolgt dies dadurch, dass der Mitarbeiter zum Fachpromotor eines Aufgabenbereichs gemacht wird und dort alle erforderlichen
7.3 Führung und Motivation
95
Entscheidungen selbstständig treffen kann, während der Vorgesetzte die Rolle des Machtpromotors übernimmt und mit Hilfe seiner Macht, die er aus einer hierarchischen Position schöpft, dafür Sorge trägt, dass die Mitarbeiter optimale Arbeitsbedingungen haben und ihre inhaltlichen Vorstellungen im Unternehmen umsetzen können. Neben der "Führung von Unten" beschäftigt man sich in modernen Führungsansätzen besonders auch mit dem machtbezogenen Taktieren innerhalb einer Organisation. Das systematisch abwägende Einsetzen von Taktiken auch zur Durchsetzung von Eigeninteressen jenseits der Organisationsziele wird als Mikropolitik bezeichnet. Zu den mikropolitischen Techniken gehören u. a .des bewusste Zurückhalten von Informationen, das Bilden von Koalitionen und Seilschaften, Impression Management, das Erzeugen von Handlungsdruck sowie künstlicher Krisen etc. Diese Überlegungen zeigen, dass Führungskräfte einer ständigen sozialen Machtdynamik ausgesetzt sind. Hiervon sind besonders Führungskräfte der mittleren Hierarchieebenen betroffen, da sie einem permanenten Konflikt ausgesetzt sind: So wird von ihnen von der übergeordneten Ebene ein hoher Grad an Verantwortungsübernahme verlangt, obwohl ihre Einflussmöglichkeiten gegenüber ihren Mitarbeitern nicht nur eingeschränkt sind, sondern ständig neu erworben werden müssen. Die hiermit verbundene Gefahr des Kontrollverlustes und das Gefühl, den Mitarbeitern ausgeliefert zu sein, ist ein permanenter Stressfaktor, der mit der Rolle der Führungskraft unmittelbar verbunden ist.
7.3
Führung und Motivation
Führung hat die Aufgabe, Mitarbeiter zu veranlassen, im Sinne der Unternehmensziele zu handeln. Bei der personenbezogenen Führung hat die Führungskraft sicherzustellen, dass Mitarbeiter ihre Leistungsfähigkeit auch im Sinne der Aufgabenstellung einsetzen. Die Mitarbeiter müssen bereit, d. h. motiviert sein, Handlungen entsprechend der Aufgabenstellung aufzunehmen, durchzuführen und erfolgreich zu beenden. Motivationstheorienerklären, warum bzw. wozu eine Handlung aufgenommen und mit welcher Intensität und Dauer sie durchgeführt wird. Die Stärke der Motivation, d. h. die Intensität des Dranges, eine Handlung auszuführen, hängt zum einen davon ab, inwieweit das Ergebnis der Handlung für die jeweilige Person wertvoll ist. Der Wert des Handlungsergebnisses wird als Valenz bezeichnet. Zum anderen hängt die Stärke der Motivation von der Erwartung ab, ob die Handlung tatsächlich auch zu dem erstrebten wertvollen Handlungsergebnis führt. Es gibt unterschiedliche Motivationstheorien, sie tragen dazu bei, Führungshandlungen in ihrer Effektivität und Effizienz zu steigern. Die sog. Inhaltstheorien betrachten das motivationale Geschehen unter der Perspektive der Valenz, die sog. Prozesstheorien unter der Perspektive der Erwartung.
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7 Führung
7.3.1
Inhaltstheorien
Das Handeln von Menschen wird durch Bedürfnisse hervorgerufen. Das Handeln soll diese Bedürfnisse befriedigen. Die zugrunde liegenden Bedürfnisse werden auch als Motive bezeichnet. Die Inhaltstheorien beschreiben die Inhalte und Strukturen der Bedürfnisse. Hierdurch ermöglichen sie Aussagen darüber, wann welche Handlungsergebnisse tatsächlich zu Bedürfnisbefriedigung beitragen können. Handlungsergebnisse, die ein Bedürfnis befriedigen können, besitzen für die Personen eine positive Valenz. Die Inhaltstheorien geben Hinweise darauf, wann die Führungskraft welche Handlungsanreize schaffen muss, damit die Mitarbeiter ihre Bedürfnisse befriedigen können. Dabei gilt es, ein erwünschtes Arbeitsverhalten mit den Handlungsergebnissen so zu verbinden, dass ein zugrunde liegendes Bedürfnis befriedigt wird. Zu den populärsten Inhaltstheorien der Motivation gehört die Bedürfnispyramide von Maslow. Nach Maslow hat ein mit einem Bedürfnis verbundenes Handlungsergebnis nicht immer, sondern nur dann Valenzcharakter, wenn das jeweilige Bedürfnis unbefriedigt ist. Sobald das Bedürfnis befriedigt ist, verliert ein damit verbundenes Handlungsergebnis seinen Valenzcharakter. Dies bedeutet, dass eine Führungskraft mit dem Angebot von bestimmten Handlungsergebnissen einen Mitarbeiter nur dann motivieren kann, wenn er ein diesbezüglich unbefriedigtes Bedürfnis hat. Maslow unterscheidet zwischen verschiedenen Bedürfnisarten, die er fünf Inhaltsklassen, die in einer hierarchischen Struktur zueinander stehen, zuordnet. Mit dieser hierarchischen Anordnung ist die Annahme verbunden, dass die Befriedigung eines Bedürfnisses auf einer niedrigeren Stufe das Bedürfnis auf der jeweils nächsthöheren Stufe aktiviert. Dieses Bedürfnis gilt es dann als nächstes zu befriedigen. Die Bedürfnisse der ersten vier Hierarchiestufen sind nach Maslow Defizitbedürfnisse. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass Soll-Ist-Abweichungen ausgeglichen werden können. Im Arbeitskontext gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Bedürfnisse der einzelnen Inhaltsklassen zu befriedigen. –
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Physiologische Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Sexualität, Schlaf) können im Arbeitsverhältnis tlw. durch Entgelt, Urlaub, ärztliche Betreuung, Werkswohnung etc. befriedigt werden. Sicherheitsbedürfnisse (Bedürfnis nach Schutz vor Willkür, vor Drohung und Entbehrung) können durch einen sicheren Arbeitsplatz, geregeltes Einkommen, Alters- und Sozialvorsorge befriedigt werden. Bedürfnisse nach sozialer Bindung (Bedürfnis nach Freundschaft, Gesellschaft und Gruppenzugehörigkeit, Liebe) können durch Kommunikation am Arbeitsplatz und durch Einbeziehung in Arbeitsgruppen und betriebliche Freizeitgruppen befriedigt werden. Bedürfnisse nach Selbstachtung, nach Respekt, nach Status und Würde können durch verbale und materielle Anerkennung, durch das Erlangen eines bestimmten Status, eines Titels oder durch Bereitstellung eines Dienstfahrzeuges befriedigt werden.
Den Defizitbedürfnissen stellt Maslow das zentrale Bedürfnis nach Selbstverwirklichung gegenüber. Dieses Bedürfnis bezeichnet er als Wachstumsbedürfnis. Das Wachstumsbedürfnis zeichnet sich dadurch aus, dass kein Sollwert vorgegeben werden kann, denn das Bedürf-
7.3 Führung und Motivation
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nis nach Selbstverwirklichung bezieht sich auf „...die Tendenz, das zu aktualisieren, was man an Möglichkeiten besitzt." Diese Neigung kann als das Verlangen beschrieben werden, „... alles zu werden, was man fähig ist zu werden". Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, das sich in die einzelnen Bedürfnisse nach Selbstständigkeit, nach Selbstentfaltung, nach Selbstverantwortung und Selbsterfüllung aufteilt, kann durch Mitbestimmung bei der Arbeit, durch herausfordernde Aufgaben, durch Selbstverantwortung bei der Arbeitsgestaltung, durch Weiterbildung und Aufstiegsmöglichkeiten angesprochen werden. Nach Maslow muss die Führungskraft, wenn sie einen Mitarbeiter motivieren will, dessen individuelle Bedürfniskonstellation berücksichtigen. Dabei ist zu erwarten, dass Mitarbeiter einer Abteilung oder Arbeitsgruppe unterschiedliche Bedürfnisse haben. Dies bedeutet, dass sie auch mit unterschiedlichen Handlungsanreizen motiviert werden müssen. Des Weiteren besagt das Modell, dass sich der Stellenwert der Motivklassen im Laufe der Zeit wandelt und zwar so, dass die Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung immer stärker in den Vordergrund rücken. Die Führungskraft muss für den einzelnen Mitarbeiter die Handlungsanreize dem individuellen Entwicklungsstand anpassen. Das Motivationsmodell von Maslow legt nahe, dass Führungshandeln, wenn es wirkungsvoll sein soll, ein personenbezogenes, individuelles Handeln sein muss. Führungskräfte die eine individualisierte Führung praktizieren, müssen sich häufig der Kritik stellen, dass sie ungleich behandeln, was dann als ungerecht bezeichnet wird, oder dass sie personenbezogene Maßstäbe im Zeitverlauf variieren, was dann nicht selten als sprunghaft bezeichnet wird. Das Modell von Maslow ist nicht unkritisiert geblieben. Die Kritik stellt zum einen heraus, dass eine Klassifikation der Bedürfnisse in fünf Bedürfnisklassen nicht unbedingt eindeutig vorzunehmen sei. Zum anderen könne auch die Reihenfolge der Hierarchiestufen nicht in dieser Allgemeingültigkeit angenommen werden. Darüber hinaus sei es schwer, die einzelnen Bedürfnisse präzise zu beschreiben. So nehmen andere Wissenschaftler wie z. B. Alderfer zunächst weniger Bedürfnisgruppen an, wodurch ein Teil der Abgrenzungsproblematik vermieden wird. Alderfer unterscheidet nur noch zwischen drei Bedürfnisgruppen: Existenzbedürfnisse (physiologische Grundbedürfnisse), Beziehungsbedürfnisse (Bedürfnisse nach sozialem Kontakt) und Wachstumsbedürfnisse (Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung). Ähnlich wie Maslow ordnet Alderfer diese Bedürfnisse in eine Hierarchie, auf deren unterster Stufe das Bedürfnis nach Existenz gefolgt von dem Bedürfnis nach sozialem Kontakt und auf der obersten Stufe das Bedürfnis nach Wachstum steht. Auch Alderfer geht wie Maslow davon aus, dass die Befriedigung eines Bedürfnisses auf einer Stufe ein Bedürfnis auf der nächst höheren Stufe weckt (Befriedigungs-Progressions-Hypothese), wobei jedoch das Wachstumsbedürfnis nicht abschließend befriedigt werden kann, so dass Handlungen, die auf eine Befriedigung des Wachstumsbedürfnisses zielen, zu einem noch stärkeren Anstieg des Wachstumsbedürfnisses führen können. Dies bedeutet, dass, ähnlich wie bei Maslow, die Mitarbeiter stetig neue Ansprüche und Erwartungen an eine Führungskraft stellen und auf ihre Erfüllung drängen. Die Führungskraft kann sich noch so bemühen, das „Jammern auf hohem Niveau“ kann nicht abgebaut werden. Im Unterschied und in Ergänzung zu Maslow, der lediglich davon ausgeht, dass ein Bedürfnis nur dann Valenzcharakter annimmt, wenn das nächst niedrigere Bedürfnis befriedigt ist, nimmt Alderfer an, dass ein Bedürfnis auch dann aktiviert wird, wenn das nächst höhere
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7 Führung
Bedürfnis unbefriedigt bleibt, d. h. frustriert wird: Man weicht dann auf die Bedürfnisse aus, bei der eine leichtere Befriedigung zu erreichen ist (Frustrations-Regressions-Hypothese). Hierdurch kann Alderfer erklären, dass auch schon befriedigte Bedürfnisse durchaus noch Valenzcharakter haben. Das eigentlich unbefriedigte Bedürfnis bleibt aber erhalten, es wird nicht ersetzt. Für die Führungskraft bedeutet dies, dass sie erkennen muss, ob nicht manche Wünsche der Mitarbeiter nur darauf zurückzuführen sind, dass bestimmte Bedürfnisse auf einer höheren Ebene nicht befriedigt werden. So kann der Wunsch nach mehr Entgelt nicht nur darin begründet sein, dass man seinen Lebensstandard erhalten und absichern will, sondern auch darin, dass der Wunsch nach einem anspruchsvolleren Arbeitsinhalt nicht befriedigt wird. Um diesen Mitarbeiter dauerhaft zu motivieren, wäre es sinnvoller, anstatt immer höhere Entgeltzahlungen zu leisten, die Arbeitsinhalte anspruchsvoller zu gestalten. McClelland geht davon aus, dass der Mensch seine Bedürfnisse lernt. Durch monetäre oder nicht-monetäre Belohnungen bzw. Bestrafungen erlernen Menschen bestimmte grundlegende Bedürfniskonstellationen, die letztlich auch ihr Arbeitsverhalten bestimmen. Zu den dabei erworbenen Schlüsselbedürfnissen zählt McClelland die Bedürfnisse Leistung, soziale Zugehörigkeit und Macht. Diese Bedürfnisse sind bei jedem Menschen, jedoch in jeweils unterschiedlichen Konstellationen ausgeprägt, vorhanden. Die Tendenz eine bestimmte Handlung durchzuführen hängt davon ab, wie stark ein Bedürfnis ausgeprägt ist und wie hoch die erwartete Wahrscheinlichkeit ist, dass diese Handlung auch zu einem Ergebnis führt, dem die Person einen bestimmten Wert (Valenz) beimisst. Die Aufgabe der Führungskraft besteht nun darin, den Personen solche Aufgaben zu übertragen, die ihrer Bedürfniskonstellation am besten entsprechen, so dass sie hier ihre Leistungsstärken zeigen können. So sollten Personen, deren Leistungsmotiv stark ausgeprägt ist, bevorzugt mit mittelschweren Aufgaben betraut werden, bei denen sie regelmäßig Feed-back erhalten, so dass sie ihre Leistung kontinuierlich messen und verbessern können. Nicht selten ist bei diesen Personen, das Machtmotiv nicht stark ausgeprägt, so dass sie auch nicht das Bedürfnis haben, auf andere Einfluss zu nehmen, weshalb man sie daher auch nicht mit der Übertragung von Führungs- und Leitungsaufgaben überfordern darf. Untersuchungen geben Hinweise darauf, dass erfolgreiche Führungskräfte oft über ein stark ausgeprägtes Machtbedürfnis und ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsbedürfnis verfügen. Andere Aufgabenkontexte (verwaltende Tätigkeiten) scheinen prädestiniert für Personen mit hohem Anschlussmotiv zu sein. Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Konzepten, die den Valenzcharakter von Situationen über die Annahme zugrunde liegender Bedürfnisse bestimmt haben, fragt Herzberg direkt nach diesen Bedürfnissen. In verschiedenen empirischen Studien hat er Mitarbeiter gebeten, solche Situationen aufzuzählen, die sich bei ihnen mit Zufriedenheit verbinden, und solche zu benennen, die bei ihnen Unzufriedenheit hervorrufen. Auf diese Weise hat er eine Sammlung von Situationen, die mit positiven Gefühlen, und eine Sammlung von Situationen, die mit negativen Gefühlen verbunden werden, erhalten. Das Bemerkenswerte dieser Studien ist, dass in beiden Aufzählungen grundsätzlich unterschiedliche Situationen geschildert werden. Aus dieser Beobachtung folgert Herzberg, dass man im Zusammenhang mit Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation grundsätzlich zwischen zwei Faktorengruppen zu unterscheiden hat.
7.3 Führung und Motivation
99
In Zusammenhang mit Zufriedenheit werden vor allem solche Situationen genannt, die mit folgendem Inhalt verbunden werden: Leistung erbringen, Anerkennung erhalten, interessante Arbeitsaufträge bekommen, vorankommen und Verantwortung übernehmen. Diese Faktoren, die Zufriedenheit vermitteln, bezeichnet Herzberg als Motivatoren. In der Aufstellung der Situationen, die mit Unzufriedenheit verbunden werden, finden sich folgende Faktoren: Unternehmenspolitik und -administration, Personalführung, Beziehung zu Vorgesetzten und Kollegen, Gehalt und Arbeitsbedingungen. Diese Faktoren nennt Herzberg Hygienefaktoren. Wenn man versucht, sie positiv zu beeinflussen, dann gelingt es evtl. Unzufriedenheit zu verhindern bzw. abzubauen. Es gelingt aber hierdurch nicht Zufriedenheit zu schaffen. Vielmehr ist es erforderlich, erst die Unzufriedenheit zu beseitigen, um die Grundlage zur Schaffung von Zufriedenheit herzustellen. Die Führungskraft muss sich also zunächst um die Hygienefaktoren kümmern, um Unzufriedenheit zu vermeiden, und soll sich erst wenn dies gelungen ist, um die Herstellung von Motivationsbedingungen bemühen, die Zufriedenheit schaffen können. Der Einsatz von Motivatoren ist nur dann sinnvoll, wenn die Hygienebedingungen erfüllt sind, da die Motivatoren das Fehlen der Hygienebedingungen nicht ersetzen können. Die Untersuchungen Herzbergs machen deutlich, dass z. B. eine Erhöhung des Arbeitsentgeltes dazu beitragen kann, Unzufriedenheit zu vermeiden, jedoch kann man hierdurch keine Zufriedenheit schaffen. Diese ist schwerpunktmäßig nur durch eine anspruchsvolle Gestaltung der Arbeit zu erreichen. Hackman und Oldham zeigen in ihrem Modell der Arbeitsgestaltung welche Aspekte bei einer motivierenden Arbeitsgestaltung berücksichtigt werden sollen: –
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Die Arbeit soll als sinnvoll erlebt werden können. Hierzu ist erforderlich, dass die Tätigkeit eine Vielfalt unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person anspricht, so dass die Person vielfältig gefordert ist. Darüber hinaus müssen die Tätigkeiten einen ganzheitlichen Charakter haben, d. h. die Arbeit muss ein identifizierbaren Anfang und ein definiertes sichtbares Ende haben, so dass sie auch von anderen als ein zusammenhängendes Ganzes erkannt wird. Zudem sollte die Tätigkeit als bedeutungsvoll wahrgenommen werden können. Arbeiter, die Lötverbindungen herstellen, erleben ihre Arbeit als bedeutsamer, wenn sie wissen, dass das entsprechende Bauelement in einen Rauchmelder eingebaut wird und dass es von der Qualität der Lötverbindung abhängt, ob Leben gerettet werden können, als wenn sie nicht wissen, was mit dem geschieht, was sie produzieren. Man soll für die Arbeit Verantwortlichkeit empfinden können. Hierzu ist es erforderlich, dass man autonom über die Art und Weise, wie man die Arbeit plant und erledigt, entscheiden kann. Wird einem die Arbeit bis ins Detail vorgeschrieben, kann man keine Verantwortung übernehmen. Man soll Rückmeldung über die Ergebnisse seiner Arbeit erhalten. Die Tätigkeit ist so zu gestalten, dass sie klare und direkte Rückkopplung darüber ermöglicht, ob sie gut und effizient verrichtet wurde.
Die motivierenden Effekte der Arbeitsgestaltung kommen nur dann zum Tragen, wenn auch auf Seiten der angesprochenen Person die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
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7 Führung
Die aufgabenentsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten müssen vorhanden sein, damit die Vielfältigkeit der Arbeitsmerkmale zur Herausforderung und nicht zu demotivierender Überforderung führt. Ebenso muss das Wachstumsbedürfnis der Person aktiviert sein. Nur dann werden die Potenziale zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung auch erkannt und genutzt werden. Und nicht zuletzt sind auch die Hygienefaktoren wie z. B. angemessene Vergütung, Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie entspannte Beziehungen zu Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern relevant. Diese personenbezogene Relativierung des Modells zeigt deutlich die Grenzen einer objektiven Beschreibung und einer allgemeingültigen Handlungsanweisung für motivierendes Führungsverhalten. Bei der Motivierung der Mitarbeiter kommt es darauf an, solche Handlungsanreize zu geben, die aus Sicht der Mitarbeiter dazu geeignet sind, die jeweils aktualisierten Bedürfnisse zu befriedigen. Insofern sind auch Ansätze des Job Enrichments , bei denen der Arbeitsumfang um Tätigkeiten auf höherem Anforderungsniveau erweitert wird, oder die Einrichtung teilautonomer Arbeitsgruppen, bei denen den Mitarbeiter auch Organisations- und Planungs-, Instandhaltungs- sowie Kontrollaufgaben übertragen werden, in ihrer häufig behaupteten motivationalen Wirkung nur bei solchen Mitarbeitern sinnvoll, die über eine entsprechende Bedürfniskonstellation verfügen. Da diese ‚Neuen Formen der Arbeitsgestaltung’ jedoch vielfältige Vorteile im Hinblick auf die organisationale Flexibilität haben (lean production), ist es angebracht, bei der Personalauswahl insbesondere solche Personen zu identifizieren und einzustellen, die die neuen Anforderungen als persönlichkeitsbildende Herausforderungen interpretieren.
7.3.2
Prozesstheorien der Motivation
Die Prozesstheorien betrachten das motivationale Geschehen unter der Erwartungsperspektive. Sie untersuchen die kognitiven Prozesse, die in einer Person den Vorgang der Motivation auslösen und steuern. Prozesstheorien machen dabei nicht nur Aussagen darüber, welche Handlungen aufgegriffen werden, sondern auch darüber, mit welcher Anstrengung sie durchgeführt werden. Die Prozesstheorien gehen davon aus, dass eine Person aufgrund der Erwartung, dass ein bestimmtes Verhalten zu einem bestimmten Ergebnis führt, ihren Kräfteeinsatz bezüglich dieses Verhaltens kalkuliert. Dabei wird ein ökonomisches Entscheidungsmodell unterstellt: Der Mensch wählt und führt nur solche Handlungen aus, von denen er annimmt, dass der damit verbundene Nutzen für ihn möglichst groß ist. Das Motivationsmodell von Vroom kann als Grundmodell der Prozesstheorien der Motivation betrachtet werden. Es besagt, dass die Bereitschaft einer Person, eine Handlung aufzugreifen und sich anzustrengen, davon abhängt, ob diese Handlung tatsächlich auch zu dem Handlungsergebnis führt und ob das Handlungsergebnis auch erstrebenswert ist. Vroom unterscheidet dabei zwischen Handlungsergebnissen auf zwei Ebenen: Die Ergebnisse auf der ersten Ebene (HE1) sind die direkten Ergebnisse der Handlung, sie stellen für die handelnde Person an sich keinen Wert dar. Ihren Wert bekommen sie erst dadurch, dass durch sie ein
7.3 Führung und Motivation
101
Handlungsergebnis auf der zweiten Ebene erreicht wird. Nur dieses Handlungsergebnis (HE2) ist für die Person direkt mit einer bestimmten Wertigkeit, Valenz, verbunden. Um zu bestimmen, mit welcher Anstrengung, Kraft bzw. Intensität, eine Person eine Handlung durchführt, muss der gesamte Motivationsprozess rückwärts betrachtet werden. Dabei ist zunächst die Valenz des Handlungsergebnisses 2, zu bestimmen. Diese kann einen Wert von -1 (= unbedingt zu vermeiden) über 0 (= gleichgültig) bis +1 (= unbedingt anzustreben) annehmen. Als nächstes ist die Instrumentalität des Handlungsergebnisses 1 in Bezug auf das Handlungsergebnis 2 zu schätzen. Die Instrumentalität (I) gibt die Enge des Zusammenhangs zwischen dem Eintreffen des Handlungsergebnisses 1 und dem Eintreffen des Handlungsergebnisses 2 an. Der Wert kann ebenfalls zwischen -1 (= mit dem Handlungsergebnis 1 kann man auf keinen Fall das Handlungsergebnis 2 erreichen), 0 (= Handlungsergebnis 1 und Handlungsergebnis 2 treten völlig unabhängig von einander auf) und +1 (= mit dem Handlungsergebnis 1 erzielt man mit Sicherheit auch das Handlungsergebnis 2) liegen. Das Handlungsergebnis 1, das über keinen Wert an sich verfügt, erhält seine Valenz aus der Instrumentalität, die es im Hinblick auf das Handlungsergebnis 2 hat. Die Valenz (V) errechnet sich in dem sog. Valenzmodell. Valenz (HE1) = I x Valenz (HE2) Um Aussagen darüber zu machen, mit welcher Kraft, Anstrengung und Intensität jemand bemüht ist, eine Handlung durchzuführen, die zu dem Handlungsergebnis 1 führt, formuliert Vroom das sog. Kraftmodell. Hierzu ist zunächst die Erwartung zu bestimmen, die jemand darüber hat, dass eine Handlung auch zu dem Handlungsergebnis 1 führt. Die Erwartung (E) kann einen Wert zwischen 0 und +1 einnehmen. Der Erwartungswert 0 bedeutet, dass die Handlung nicht zum Handlungsergebnis 1 führen wird, und der Erwartungswert 1 bedeutet, dass eine Handlung immer zum Handlungsergebnis 1 führen wird. Das Kraftmodell errechnet sich dann folgendermaßen: Kraft (H) = E x V (HE1) Setzt man nun das Valenzmodell in das Kraftmodell ein, dann ergibt sich das Gesamtmodell: K (H)= E x (I x V (HE2)) Wie das folgende Beispiel zeigt, gibt das Motivationsmodell von Vroom verschiedene Hinweise zur Steigerung der Mitarbeitermotivation: Wenn ein Vertriebsingenieur sich um einen Kunden bemüht, damit er mit diesem einen Vertrag abschließen kann (HE1), so erhält er hierfür manchmal eine Sonderprovision von seinem Arbeitgeber (HE2). Unterstellt man, dass der Ingenieur gerne über ein hohes Einkommen verfügen möchte, dann bedeutet dies bei Vroom, dass das Einkommen eine hohe Valenz für ihn hat (z. B. V (HE2) = 0,8 ). Es besteht dann eine Instrumentalität (I) zwischen einem Vertragsabschluss und dem Einkommen des Verkäufers (z. B. I = 0,4). Durch diese positive Instrumentalität erhält der Vertragsabschluss ebenfalls eine Valenz. Entsprechend dem Valenzmodell beträgt diese:
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7 Führung Valenz (HE1) = I x Valenz (HE2) = 0,8 x 0,4 = 0,32.
Der Vertriebsingenieur hat die Erwartung E, dass seine Verkaufsbemühungen nicht selten zu einem Vertragsabschluss führen (z. B. E = 0,3). Dann errechnet sich die Anstrengungsbereitschaft des Verkäufers entsprechend dem Kraftmodell wie folgt: K (H) = E x (I x V (HE2)) = 0,3 x (0,8 x 0,4) = 0,096 Dieser Wert ist relativ gering und deutet auf eine geringe verkaufsbezogenen Anstrengung hin, wenn man bedenkt, dass er bei 1,00 hätte liegen können. Das Modell von Vroom gibt nun Hinweise, wie man die Anstrengungsbereitschaft des Vertriebsingenieurs erhöhen kann. Dies kann dadurch geschehen, dass man die Valenz von HE2 erhöht. Da das Einkommen bereits eine hohe Valenz hat, scheint dies nicht besonders vielversprechend. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Instrumentalität zwischen Vertragsabschluss und Prämienzahlung zu erhöhen. Dies kann dadurch geschehen, dass die Prämienzahlung nicht vom Geschäftsergebnis am Ende des Jahres und von der Stimmung des Arbeitgebers abhängt, sondern indem ein fester Schlüssel definiert wird, z. B. dass für jeden Vertragsabschluss eine Prämie gezahlt wird. In diesem Fall würde die Instrumentalität I = 1,0 betragen. Die Valenz des Handlungsergebnisses 1 würde dann von V (HE1) = 0,32 auf V (HE1) = 0,8 ansteigen. Die resultierende Anstrengungsbereitschaft würde von K = 0,096 auf K = 0,24 ansteigen, sich also mehr als verdoppeln. Ein weiterer Ansatzpunkt besteht darin, die Erwartung des Vertriebsingenieurs zu steigern, so dass seine Verkaufsbemühungen auch zum Vertragsabschluss führen. Dies kann man, indem man im Bewusstsein des Ingenieurs die Erwartung stärker verankert, dass es hauptsächlich von seinem Bemühen abhängt, ob es zu einem Vertragsabschluss kommt. Man kann diese Erwartung aber nicht nur subjektiv über Wahrnehmungsveränderungen, sondern auch objektiv steigern, in dem man z. B. den Mitarbeiter an einem Verkaufstraining teilnehmen lässt und ihn so zu einer höheren Abschlussquote befähigt. Angenommen, die Maßnahmen haben gefruchtet, so dass der Vertriebsingenieur die Erwartung, dass sein Verkaufsverhalten zu einem Vertragsabschluss führt, sich von E = 0,3 auf E = 0,5 erhöht, dann bedeutet dies, dass sich auch die Anstrengungsbereitschaft nahezu verdoppelt. Durch die beiden Maßnahmen, die Erhöhung der Instrumentalität und die Steigerung der Erwartung, kann sich die Verkaufsanstrengung des Verkäufers von K = 0,096 auf K = 0,4 steigern, sich also vervierfachen. Das Motivationsmodell von Vroom ist häufig wegen der Mathematisierung des Motivationsgeschehens kritisiert worden, gleichwohl zeigt das Motivationsmodell der Führungskraft, an welchen Variablen sie ansetzen kann, um Mitarbeiter zu motivieren: Die Führungskraft muss die Erwartung des Mitarbeiters erhöhen, so dass seine Handlungen tatsächlich zu dem Handlungsergebnis HE1 führen. Darüber hinaus muss er die Instrumentalität des Handlungsergebnisses HE1 in Bezug auf das Handlungsergebnis HE2 herstellen. Und nicht zuletzt muss er solche Handlungsergebnisse HE2 in Aussicht stellen, die eine möglichst hohe Valenz für den Mitarbeiter haben.
7.4 Theorien des Führungsprozesses
7.4
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Theorien des Führungsprozesses
Neben einer Vielzahl von Einzelaspekten, Aufgaben und Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit Führung betrachtet und diskutiert werden, gibt es verschiedene Versuche, diese einzelnen Aspekte in Führungstheorien zu integrieren. Um jedoch die daraus resultierende Komplexität bewältigen zu können, werden in diesen Ansätzen wiederum einzelne Aspekte in den Vordergrund gestellt und besonders intensiv betrachtet. Erst in der Zusammenschau der Einzeltheorien erhält man ein differenziertes Bild vom Führungsprozess. Im Folgen sollen drei große Gruppen von Theorien des Führungsprozesses näher betrachtet werden: – – –
Die Eigenschaftstheorien setzen bei der Person der Führungskraft an, die verhaltensorientierten Theorien thematisieren das Führungsverhalten, die situativen Theorien untersuchen die unterschiedlichen Wirkungen des Führungsverhaltens in Abhängigkeit von der Situation.
All diesen Theoriekonzepten ist der Versuch gemeinsam, das inhaltlich spezifizierte Wissen über das vielschichtige Phänomen Führung zu erweitern und Führungskräften, Anleitungen zur Gestaltung von Führung zu geben.
7.4.1
Eigenschaftstheorien der Führung
Die Eigenschaftstheorien stellen die Person der Führungskraft in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Alle Fragen, die im Zusammenhang mit Führung auftreten, insbesondere auch die Leistung der Mitarbeiter, werden auf die Person der Führungskraft reduziert. Die zentrale Aussage lautet: „Es kommt auf die Führungskraft an.“ Hierhinter steht die Annahme, dass sich eine Führungskraft durch besondere Eigenschaften auszeichnet, die sie dazu prädestiniert, Führungsaufgaben zu übernehmen. Die eigenschaftsorientierten Untersuchungen konzentrieren sich darauf, diese Eigenschaften herauszufinden und zu benennen. Hierzu werden die Eigenschaften von Führungskräften mit denen von Nichtführungskräften, von guten, effektiven Führungskräften mit denen von weniger guten, ineffektiven Führungskräften oder Führungskräften auf höheren Hierarchieebenen mit denen von Führungskräften auf niedrigen Ebenen verglichen. In den verschiedensten Studien, die zu dieser Frage durchgeführt worden sind, wurden insgesamt mehrere hundert Eigenschaften benannt. Jedoch konnte sich kein einheitlicher Eigenschaftskatalog durchsetzen. Es gelingt aber durch Bündelung, Gruppen relevanter Eigenschaften zu identifizieren: Intelligenz, aufgabenbezogenes Wissen, Kreativität, Selbstsicherheit, Kontaktfähigkeit, Initiative und Dominanz. Gegen die Benennung der relevanten Führungseigenschaften werden verschiedene Einwände geltend gemacht. So wird kritisiert, dass bei diesen Untersuchungen nicht berücksichtigt wird, dass eine Führungskraft meistens auch Mitarbeiter einer ihm übergeordneten Führungskraft ist. Und wenn als Kriterium für den Führungserfolg die erreichte hierarchische Position der Führungskraft genommen wird, wird meistens übersehen, dass diese nicht nur alleine von der Führungskraft, sondern auch von situativen Bedingungen abhängig ist. Entsprechend hat sich dann auch mittlerweile die Auf-
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7 Führung
fassung durchgesetzt, dass der Führungserfolg sich nicht ausschließlich über die Person der Führungskraft, sondern auch situativ vermittelt. Gleichwohl ist es aber durchaus sinnvoll, im Zusammenhang mit der Personalauswahl und Personalselektion nach solchen Personen zu suchen, die über die genannten Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Liste der relevanten Eigenschaften nicht als abgeschlossen gelten kann, sondern entsprechend der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung bisher weniger beachtete Eigenschaften an Bedeutung gewinnen. So scheinen heute Eigenschaften und Fähigkeiten in den Vordergrund zu rücken, die übergreifendes ganzheitliches Denken und auch ethische und moralische Grundsätze betreffen.
7.4.2
Verhaltensorientierte Führungstheorien
Kern der verhaltensorientierten Führungstheorien ist die Annahme, dass sich unterschiedliche Verhaltensweisen der Führungskräfte auch in einem unterschiedlichen Ergebnis (Führungserfolg) niederschlagen. Entsprechend versuchen die verhaltensorientierten Führungstheorien zunächst typische Führungsverhaltensweisen zu beschreiben, um dann in einem weiteren Schritt Empfehlungen über erfolgreiche und geeignete Führungsverhaltensweisen zu geben. Eindimensionale Ansätze Zu der gängigsten Kategorisierung von Führungsverhalten gehört das Begriffspaar autoritärkooperativ. Diese Beschreibungsdimension findet sich in verschiedenen Führungsansätzen z. T. mit anderen Bezeichnungen wieder. So tritt das Begriffspaar autoritär-partizipativ, absolutistisch-demokratisch, direktiv-kooperativ, autoritär-liberal oder autoritär-demokratisch auf. Dabei werden autoritäre bzw. kooperative Führungsverhaltensweisen als Charakterisierung der Endpunkte eines bipolaren Kontinuums gesehen. Ein Führungsverhalten kann somit als eher autoritär bzw. als eher demokratisch bezeichnet werden. Ein eher autoritäres Führungsverhalten stützt sich auf Befehl und Gehorsam. Die Führungskraft trifft alle Entscheidungen alleine und setzt ihre Positionsmacht ein, um diese durchzusetzen. Kooperatives Führungsverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass die Führungskraft nicht darauf beharrt, Entscheidungen alleine zu treffen und durchzusetzen, sondern den Mitarbeitern ein hohes Maß an Mitentscheidungs- und Mitspracherechten einräumt. Autoritäres und kooperatives Führungsverhalten unterscheiden sich entsprechend durch den Grad der Beteiligung von Mitarbeitern an der Entscheidungsfindung. Obwohl empirische Untersuchungen nicht immer den Beleg dafür geben, so weisen doch einige theoretische Überlegungen auf die relative Überlegenheit eines eher kooperativen Führungsstils hin. So kann vermutet werden, dass ein kooperativer Führungsstil es den Geführten ermöglicht, ihre individuellen Vorstellungen, Bedürfnisse und Ziele bei der Entscheidungsfindung einzubringen, so dass die Leistungserfüllung gleichzeitig auch zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse beiträgt. Darüber hinaus fördert die Möglichkeit der Entscheidungsbeteiligung die Identifikation mit der Aufgabe, was wiederum dazu beiträgt, dass die Bedürfnisse nach Selbstwertschätzung und Selbstverwirklichung befriedigt werden.
7.4 Theorien des Führungsprozesses
105
Neben den motivatorisch bedeutsamen Konsequenzen eines kooperativen Führungsstils gibt es auch einige Hinweise auf die sachliche Überlegenheit. So kann angenommen werden, dass eine kooperative Entscheidungsfindung dazu beiträgt, dass zum einen die Mitarbeiter besser informiert sind und zum anderen, dass auch die Expertise und Kreativität aller Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung einfließen. Darüber hinaus kann vermutet werden, dass durch die Machtteilung ein Klima entsteht, in dem Konflikte offen angesprochen und konstruktiv gelöst werden, so dass im Sinne des Problemlösens qualitativ bessere Lösungen gefunden werden. Menschenbild und Führungsstil Untersucht man nun die Frage, welche Führungskräfte eher einen autoritären bzw. eher einen kooperativen Führungsstil wählen, dann gibt es Hinweise darauf, dass das zugrunde liegende Menschenbild der Führungskräfte diesbezüglich eine nicht unerhebliche Rolle spielt. McGregor unterscheidet zwischen zwei grundlegenden Menschenbildern, die er als Theorie Y bzw. als Theorie X bezeichnet. Die Theorie X geht davon aus, dass der Mensch eine angeborene Abneigung gegenüber Arbeit empfindet. Er ist passiv und außengelenkt. Er kann nur durch Drohungen und Anreize zum Arbeiten gebracht werden. Von daher ist es dann auch folgerichtig, ihm strenge Vorgaben zu machen und seine Kompetenzen auf das jeweils für die Aufgabenerfüllung benötigte Maß zu reduzieren. Ein autonomes Handeln und Urteilen verbunden mit einer entsprechenden Beteiligung an der Entscheidungsfindung ist nicht erwünscht. Die Theorie Y geht davon aus, dass der Mensch die Arbeit als eine wichtige Quelle der Selbstverwirklichung und Zufriedenheit empfindet. Er entwickelt Eigeninitiative und seine Handlungen unterliegen der Selbstkontrolle. Der Mensch kann sich mit den Zielen der Organisation identifizieren. Externe Kontrolle wird dadurch unnötig. Die wichtigsten Arbeitsanreize sind die Befriedigung der Ich-Bedürfnisse und das Streben nach Selbstverwirklichung. Die Theorien X und Y führen zu einem Prozess der Selbstverstärkung im Sinne sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Auf einen anderen Aspekt der Prägung von Führung und Führungskultur machen Kets de Vries und Miller aufmerksam. Sie zeigen, dass die psychische Verfassung der Führungskräfte, deren Führungsverhalten bestimmt, und legen dar, dass nicht nur die Menschenbilder, sondern insbesondere auch die pathologischen Vorstellungen der Führungskräfte ihr Verhalten gegenüber den Mitarbeitern bestimmen und darüber hinaus auch die Organisationskultur nachhaltige prägen. Insgesamt identifizierten sie fünf pathologische Stile (Wahne): –
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Der Verfolgungswahn ist verbunden mit Misstrauen und Überempfindlichkeit gegenüber den Ereignissen und Personen in der organisationalen Umwelt. Die Führungskräfte haben „Fight- and Flight“-Fantasien, mit denen sie die Umwelt in Freund und Feind unterteilen. Hieraus resultiert ein repressives, autoritatives und Kreativität unterdrückendes Führungsverhalten. Der Hilflosigkeitswahn entspringt einer depressiven Grundstruktur mit dem Gefühl der Ohnmächtigkeit gegenüber der Welt. Solche Führungskräfte geben häufig Verantwortung an Mitarbeiter (oder aber auch Unternehmensberater) ab und entwickeln ausgepräg-
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7 Führung te Verwaltungskulturen mit deutlichen Hierarchisierungs- und Bürokratisierungstendenzen. Beim Großartigkeitswahn verfügt die Führungskraft über eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur. Sie inszeniert sich selbst und spielt sich deutlich in den Vordergrund. Ihre Beziehungen zu den Mitarbeitern sind stark emotionalisiert, wobei diese entweder idealisiert oder abgewertet werden. In den Organisationseinheiten bildet die Führungskraft den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Dabei zeigt sie geringe Selbstdisziplin was auch dazu beiträgt, dass eine verbindliche Abstimmung mit anderen Organisationseinheiten und dem Unternehmensumfeld in der Regel nicht stattfindet. Der Kontrollwahn verbindet sich mit perfektionistisch und pedantisch ausgerichteten Führungskräften. Sie erwarten von ihren Mitarbeitern Unterordnung gegenüber ihren eigenen Vorstellungen und Meinungen und ordnen sich aber genauso ihrer eigenen Führung unter. In ihren Organisationseinheiten forcieren sie Routinetätigkeiten und bauen eine Kontrollkultur mit innovations- und spontaneitätseinschränkenden Ritualisierungen auf. Der Abkopplungswahn zeigt sich bei schizoiden Persönlichkeiten. Sie können aus ihrer Umwelt keinerlei Befriedigung mehr erhalten. Dies trägt zur zunehmenden sozialen Distanzierung bei. Sie haben keine Freude und bauen keine persönlichen Kontakte auf. In den Organisationseinheiten entsteht ein Führungsvakuum, in dem sich informelle Strukturen bilden, die untereinander um die Vorherrschaft und um die formale Macht kämpfen.
Zweidimensionale Führungskonzepte Eine ebenfalls weit verbreitete Form der Beschreibung von Führung ist die Unterscheidung zwischen den Dimensionen Mitarbeiterorientierung und Aufgabenorientierung. Diese Dimensionen werden als von einander unabhängig angesehen. Es ist somit möglich, dass ein Führungsverhalten sich sowohl durch eine hohe Aufgabenorientierung als auch durch eine hohe Mitarbeiterorientierung auszeichnen kann. Die Dimension Mitarbeiterorientierung bezieht sich auf den Umgang der Führungskraft mit den zwischenmenschlichen Aspekten des Arbeitsprozesses. Ein hoher Wert auf der Dimension Mitarbeiterorientierung beschreibt ein Führungsverhalten, bei dem die Führungskraft Rücksicht auf die Gefühle und Wünsche ihrer Mitarbeiter nimmt. Die Führungskraft kümmert sich um die persönlichen Belange ihrer Mitarbeiter, sie erkundigt sich nach diesen und sorgt sich um deren persönliche Wohlbefinden. Dabei ist sie leicht ansprechbar und geht auf die Wünsche der Mitarbeiter ein. Die Führungskraft betont die Leistung der einzelnen Mitarbeiter als Teil der Gruppenleistung. Dabei stärkt sie das Selbstvertrauen ihrer Mitarbeiter und regt sie zur Selbstständigkeit an. Sie schafft ein Klima der Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens. Die Dimension Aufgabenorientierung bezieht sich auf den Umgang der Führungskraft mit den leistungsbezogenen Aspekten des Arbeitsgeschehens. Ein hoher Wert auf der Dimension Aufgabenorientierung kennzeichnet ein Führungsverhalten, bei dem die Führungskraft die optimale Erfüllung der Leistungsziele in den Vordergrund stellt. Sie sieht in Planung, Entscheidung, Organisation und Kontrolle ihre Hauptaufgaben. Sie gibt ständig Anordnungen und macht Vorschriften, wobei sie die Arbeitsziele für jeden Mitarbeiter genau definiert. Sie drängt stets auf gute Leistungen und hohe Produktivität.
7.4 Theorien des Führungsprozesses
107
Da die Dimensionen Mitarbeiterorientierung und Aufgabenorientierung unabhängig voneinander gedacht sind, bietet es sich an, typische Kombinationen als Führungsstile näher zu betrachten. Diesen Ansatz verfolgen Blake und Mouton mit ihrem „Managerial-GridModell“. Sie haben die beiden Dimensionen in je neun Abstufungen unterteilt, wodurch ihnen eine numerische Charakterisierung von fünf typischen Führungsalternativen möglich ist: – Der Führungsstil 1,1 (niedrige Aufgabenorientierung, niedrige Mitarbeiterorientierung) entspricht eher einem Ausharren der Führungskraft. Er kann wohl kaum als ausgeprägte Führungsform bezeichnet werden, denn die Führungskraft akzeptiert die Entscheidungen anderer, hat keine eigene Meinung und ergreift nicht Partei. Darüber hinaus ist sie nicht in der Lage, eine befriedigende soziale Beziehung zwischen den Mitarbeitern herzustellen, wodurch diese gleichgültig und desinteressiert werden. – Der Führungsstil 1,9 (niedrige Aufgabenorientierung, hohe Mitarbeiterorientierung) ist durch das Bestreben der Führungskraft gekennzeichnet, Zuneigung und Zustimmung zu erhalten. Sie orientiert ihr Handeln an den sozialen Bedürfnissen der Mitarbeiter und pflegt eine freundliche und entspannte Atmosphäre. Sie übernimmt die Meinungen und Vorstellungen anderer, ohne dabei ihre eigene durchzusetzen. Sie ist bemüht, jedem zu helfen, und treibt keinen an, was sich entsprechend auch in einem gemütlichen Arbeitstempo niederschlägt. Unpünktlichkeit und lange Arbeitszeiten mit geringer Arbeitsintensität sind typische Erscheinungen in derartig geführten Gruppen. – Der Führungsstil 9,1 (hohe Aufgabenorientierung, niedrige Mitarbeiterorientierung) ist durch das Bestreben der Führungskraft charakterisiert, zu herrschen und zu kontrollieren. Die Führungskraft plant und kontrolliert den Arbeitsvollzug für die Mitarbeiter. Sie treibt sich und andere an, wobei sie keine Rücksicht auf zwischenmenschliche Beziehungen nimmt. Es besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter die Führungskraft ablehnen, da sie Initiativen unterdrückt und kein Feingefühl für menschliche Bedürfnisse entwickelt. – Der Führungsstil 5,5 (mittlere Aufgabenorientierung, mittlere Mitarbeiterorientierung) ist durch das Bemühen der Führungskraft gekennzeichnet, beliebt zu sein und dazuzugehören. Die Führungskraft zeigt ein mittelmäßiges Interesse für humane und sachliche Ziele. Sie vertritt die Auffassung, dass die Erfordernisse der Sachaufgabe mit den individuellen Wünschen der Mitarbeiter nur selten in Einklang zu bringen sind. Hierdurch sieht sich die Führungskraft zur ständigen Kompromissbildung genötigt. Sie verfolgt daher nur Entscheidungen, die sie für durchführbar hält, ihr Engagement ist nicht besonders ausgeprägt. Trotzdem gelingt es ihr, ein relativ gutes und gleichmäßiges Arbeitstempo sicherzustellen. Bei Fehlern zeigt sie sich zunächst nachsichtig und greift erst im Wiederholungsfalle stärker ein. Dieser Führungsstil findet sowohl bei der Unternehmensleitung wie auch bei den Mitarbeitern Zustimmung, obwohl er nur mit mittelmäßigen Leistungen verbunden ist. – Der Führungsstil 9,9 (hohe Aufgabenorientierung, hohe Mitarbeiterorientierung) ist durch das Bestreben der Führungskraft gekennzeichnet, bedeutsame Beiträge zu liefern. Hierzu entwickelt sie ein maximales Interesse sowohl für die Leistungsziele als auch für die Bedürfnisse der Mitarbeiter. Die Führungskraft geht davon aus, dass sowohl Leistungs- wie auch Selbstverwirklichungsziele der Mitarbeiter in Einklang zu bringen sind. Die Führungskraft setzt auf Teamarbeit und legt Wert auf gemeinsam getroffene
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7 Führung und getragene Entscheidungen. Sie versucht, die Ursache von Konflikten herauszufinden und die Folgen zu beseitigen. Anregungen und Kritik der Mitarbeiter werden gehört und, so sie überzeugend sind, auch umgesetzt. Die Führungskraft ist engagiert und reißt andere dadurch mit. Hohe Leistungen und Zufriedenheit der Mitarbeiter sind mit diesem Führungsstil verbunden. Blake und Mouton sehen den Führungsstil 9,9 als den erstrebenswertesten Führungsstil an. Sie entwickeln daraufhin ein spezielles Training, um Führungskräfte dazu zu befähigen, sich den 9,9-Führungsstil anzueignen. Damit vertreten sie die Auffassung, dass die Führungskraft ihr Führungsverhalten frei wählen kann. Das jeweilige Führungsverhalten ist nicht durch Persönlichkeitsmerkmale oder grundlegende Überzeugungen festgelegt, sondern Ergebnis eines rationalen Entscheidungsprozesses.
Die uneingeschränkte Empfehlung der Verhaltenskombination 9,9 als einzig richtigen Führungsstil ist jedoch nicht ohne Kritik geblieben. Dabei wird eingewendet, dass diese absoluten Empfehlungen nicht sinnvoll sein können, da der Führungserfolg auch durch verschiedenste situative Variablen beeinflusst werde, die es auch zu berücksichtigen gilt.
7.4.3
Situationsorientierte Ansätze
Die situativen Führungstheorien berücksichtigen systematisch den relativierenden Einfluss der Situation auf den Erfolg eines spezifischen Führungsverhaltens. Die situative Führungstheorie von Hersey und Blanchard Hersey und Blanchard nehmen an, dass der Erfolg eines bestimmten Führungsverhaltens von dem aufgabenbezogenen Reifegrad der Mitarbeiter abhängig ist. Die aufgabenbezogene Reife der Mitarbeiter wird durch ihre individuelle Motivation (Einsatzbereitschaft, Engagement, Zutrauen, Selbstsicherheit) und durch ihre Qualifikation (Wissen, Fähigkeiten, Erfahrungen) im Hinblick auf die Durchführung einer spezifischen Aufgabe bestimmt. Hersey und Blanchard unterscheiden vier unterschiedliche Reifegrade. Nach der Auffassung von Hersey und Blanchard muss sich die Führungskraft bei der Wahl ihres Führungsverhaltens an der aufgabenbezogenen Reife des Mitarbeiters orientieren. Das Führungsverhalten beschreiben sie mit den bekannten Dimensionen Mitarbeiterorientierung und Aufgabenorientierung. Entsprechend der aufgabenbezogenen Reife des Mitarbeiters empfehlen Hersey und Blanchard folgendes Führungsverhalten: –
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Bei geringerer Reife (niedrige Motivation, niedrige Qualifikation) trifft die Führungskraft alle Entscheidungen alleine und sagt seinen Mitarbeitern genau was, wie, wann und wo etwas zu tun ist (autoritärer Führungsstil). Bei mäßiger Reife (hohe Motivation, niedrige Qualifikation) entscheidet die Führungskraft ebenfalls alleine, wobei sie jedoch versucht, ihre Anweisungen durch sachliche und ausführliche Begründungen zu ergänzen, um die Mitarbeiter von der Notwendigkeit und Richtigkeit ihrer Entscheidung zu überzeugen (integrierender Führungsstil). Bei höherer Reife (niedrige Motivation, hohe Qualifikation) entscheiden Führungskraft und Mitarbeiter gemeinsam. Die Führungskraft kümmert sich verstärkt um die Mitarbei-
7.4 Theorien des Führungsprozesses
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ter, um hierdurch ihre Leistungsbereitschaft zu wecken und ihr Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stützen (partizipativer Führungsstil). Bei vollkommener Reife (hohe Motivation, hohe Qualifikation) delegiert die Führungskraft alle Aufgaben nahezu vollständig. Ihre Führungsaktivitäten beschränken sich auf das Vorgeben von Zielen und gelegentliche Kontrollen (delegativer Führungsstil).
An dem Modell von Hersey und Blanchard wird kritisiert, dass es autoritär eingestellten Führungskräften eine Argumentationsbasis bietet, in dem sie ihr autoritäres Führungsverhalten jederzeit mit der fehlenden aufgabenbezogenen Reife der Mitarbeiter legitimieren können. Darüber hinaus scheint es wichtig zu sein, neben der aufgabenbezogenen Reife der Mitarbeiter noch weitere situative Faktoren zu berücksichtigen. Das Entscheidungsorientierte Modell von Vroom und Yetton Wie auch Hersey und Blanchard gehen Vroom und Yetton von der Annahme aus, dass der Erfolg eines Führungsverhaltens von der jeweiligen Situation abhängt. In ihrem Modell betrachten sie daher eine Vielzahl von Situationstypen, wobei sie der Führungskraft Hilfestellung anbieten, je nach Situation das richtige Führungsverhalten zu wählen. Das Führungsverhalten, das den Führungskräften dabei zur Verfügung steht, beschreiben Vroom und Yetton auf der Dimension autoritär – kooperativ. Das Führungsverhalten entspricht somit spezifischen Entscheidungsstilen: Dabei gibt es die autoritären Entscheidungen AI und AII, die beratenden Entscheidungen BI und BII und die kooperative Gruppenentscheidung K. Bevor sich die Führungskraft für einen Entscheidungsstil entscheiden kann, muss sie Kriterien für eine gute Entscheidung definieren. Vroom und Yetton unterscheiden zwischen drei Gütekriterien: die Entscheidungsqualität, die Mitarbeiterakzeptanz und die Entscheidungszeit. – Das Gütekriterium Entscheidungsqualität spricht die sachliche Richtigkeit einer Entscheidung an. Dabei wird gefragt, wie gut eine Entscheidung durchdacht ist, inwieweit die verfügbaren Informationen berücksichtigt worden sind und inwieweit diese Entscheidung dazu beiträgt, dass das Organisationsziel erreicht wird. Die Bewertung der Entscheidungsqualität erfolgt dabei ohne Rücksicht auf die Gefühle der Personen, die von dieser Entscheidung betroffen sind. – Das Gütekriterium Mitarbeiterakzeptanz zielt auf die Motiviertheit der Mitarbeiter, eine Entscheidung auch umzusetzen. Mit diesem Kriterium berücksichtigen Vroom und Yetton die Tatsache, dass eine Entscheidung aus formaler Sicht noch so gut sein kann, dass sie aber immer dann zum Scheitern verurteilt ist, wenn sie nicht von den Mitarbeitern getragen wird. Die Führungskraft hat also auch zu berücksichtigen, dass die Mitarbeiter das Entscheidungsergebnis akzeptieren und auch bereit sind, die entsprechenden Handlungen durchzuführen. – Das Kriterium Entscheidungszeit berücksichtigt den Tatbestand, dass Entscheidungsprozesse Zeit verbrauchen und somit Kosten verursachen. Diese Kosten gilt es zu reduzieren. Das Kriterium Entscheidungszeit ist ein untergeordnetes: Erst wenn sichergestellt ist, dass die formale Qualität der Entscheidung und die Akzeptanz der Entscheidung durch die Mitarbeiter gewährleistet ist, dann gilt es, das Führungsverhalten zu wählen, das mit dem geringsten zeitlichen Aufwand verbunden ist. Autoritäre AI-
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7 Führung Entscheidungen verbrauchen am wenigsten Zeit, die gruppenbezogenen Entscheidungen BII und K verbrauchen die meiste Zeit.
Die Führungskraft muss nun unter Berücksichtigung der Entscheidungsstile einerseits und der Gütekriterien andererseits eine Situationsanalyse durchführen. Diese Situationsanalyse wird dabei so durchgeführt, dass Fragen zur Diagnose der Situation gestellt werden. Durch die Zugrundelegung spezifischer Regeln führen diese Fragen zu der Empfehlung eines bestimmten Entscheidungsstils. Die Regeln sind dabei so formuliert, dass sie bei Vorlage spezifischer situativer Bedingungen bestimmte Führungsstile ausschließen. Die Regeln sind sehr einfach und auch einleuchtend. Insgesamt werden sieben Regeln definiert, von denen drei die Qualität und vier die Akzeptanz der Entscheidung betreffen: –
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Als erstes gilt es festzustellen, ob die Qualität der Entscheidung überhaupt wichtig ist. Die Qualität einer Entscheidung ist immer dann von Bedeutung, wenn es verschiedene Lösungsmöglichkeiten gibt, von denen eine Lösung vermutlich sachlich besser als eine andere ist. Wenn es jedoch egal ist, welche Lösung gewählt wird, da alle Lösungsalternativen gleichwertig sind (wenn also ohne Qualitätsverlust zwischen den einzelnen Lösungsansätzen gelost werden kann), ist die Qualität nicht wichtig. Wenn die Qualität wichtig ist, gilt es zu fragen, ob die Führungskraft auch über alle Informationen verfügt, die notwendig sind, um eine sachlich richtige Entscheidung zu treffen. Verfügt sie selber nicht über die erforderlichen Kenntnisse, dann ist auf jeden Fall der Führungsstil AI zu vermeiden. Denn aufgrund des mangelnden Wissens würde eine autoritäre Alleinentscheidung AI das Erreichen einer qualitativ hochwertigen Entscheidung verhindern. Wenn darüber hinaus das Problem nicht strukturiert ist, d. h., wenn die Führungskraft nicht weiß, welche notwendigen Informationen fehlen bzw. wie eventuell fehlende Informationen gefunden bzw. beschafft werden können, dann gilt es, die autoritären Entscheidungen AI und AII und auch die beratende Entscheidung BI zu vermeiden. Denn aufgrund der mangelnden Kenntnisse über den Lösungsvorgang wäre eine qualitativ hochwertige Lösung ausgeschlossen. Bei komplexen Problemen bewähren sich daher immer Gruppenlösungen also BII und K, da sie den direkten Informationsaustausch aller Beteiligten ermöglichen und damit die Wahrscheinlichkeit der Ideenvielfalt erhöhen. Eine Gruppenentscheidung K gilt es aber auf jeden Fall zu vermeiden, wenn die Qualität einer Entscheidung wichtig ist, aber die Mitarbeiter nicht im Sinne der Organisationsziele handeln würden. Es gilt also immer zu fragen, ob sich die Mitarbeiter dafür einsetzen, dass die Lösung des Problems möglichst gut gelingt, und zu prüfen, ob die Mitarbeiter nicht evtl. eine sachlich richtige Lösung vermeiden wollen, da diese im Gegensatz zu ihren eigenen Interessen steht.
Weitere vier Fragen und Regeln zentrieren sich auf die Akzeptanzsicherung der Entscheidung. Diese Regeln gehen davon aus, dass die Situationsdiagnose erbracht hat, dass die Akzeptanz wichtig ist, d. h., dass die Güte der Ausführung bzw. der Umsetzung einer Entscheidung von den Mitarbeitern abhängig ist. Die Akzeptanz muss immer dann sichergestellt sein, wenn die Mitarbeiter eine Entscheidung auch umsetzen müssen.
7.4 Theorien des Führungsprozesses –
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Wenn gleichzeitig angenommen wird, dass eine autoritäre, anordnende AI-Entscheidung der Führungskraft nicht akzeptiert werden würde, gilt es auch, eine autoritäre Entscheidung AII zu vermeiden, denn auch diese Entscheidung schließt ein Mitspracherecht der Mitarbeiter aus. Wenn die Gefahr besteht, dass es unter den Mitarbeitern zu Konflikten über die bevorzugte Lösung kommen kann, dann gilt es zudem auch, den beratenden Führungsstil BI zu vermeiden und unbedingt eine kooperative Gruppenlösung im Sinne von BII oder K anzustreben. Nur wenn die vom Problem betroffenen und wahrscheinlich miteinander streitenden Mitarbeiter zusammengebracht werden, gelingt es, dass die Konfliktparteien ihre Streitpunkte klären und auflösen können. Die Konfliktlösung oder Regelung ist notwendig, damit die Mitarbeiter bei der Durchführung der Entscheidung den notwendigen Einsatz zeigen. Wenn die Akzeptanz wichtig ist und eine AI-Entscheidung nicht akzeptiert wird, die Mitarbeiter jedoch die Organisationsziele teilen, dann gilt es, auf keinen Fall AI, AII, BI und BII zu wählen, sondern auf jeden Fall die Gruppenlösung K anzustreben. Denn es gilt, dass Verfahrensweisen, die Mitarbeitern Mitentscheidungsmöglichkeiten bieten, die Akzeptanz der Entscheidung wesentlich erhöhen, ohne dass deswegen eine schlechtere Entscheidung zustande kommt. Wird in dem vorliegenden Fall eine andere als eine Gruppenentscheidung getroffen, geht die Führungskraft das Risiko ein, dass sich der Akzeptanzgrad bei den Mitarbeitern verringert, so dass die Mitarbeiter eventuell den notwendigen Einsatz vermissen lassen. Wenn die Akzeptanz wichtig ist, eine AI-Entscheidung aber nicht akzeptiert wird und zudem die Qualität der Entscheidung nicht wichtig ist, dann gilt es ebenfalls, auf AI-, AII-, BI- und BII- Entscheidung zu verzichten und eine kooperative Gruppenlösung anzustreben.
Vroom und Yetton können mit den einzelnen diagnostischen Fragen 128 unterschiedliche Situationen beschreiben. Um diese Fragen in eine überschaubare Form zu bringen, haben sie sie unter Berücksichtigung der entsprechenden Regeln zu einem Entscheidungsbaum komprimiert. Der Entscheidungsbaum ist so aufgebaut, dass letztlich noch 14 empirisch bedeutsame Situationen unterschieden werden, für die dann die Empfehlungen gegeben werden, wie die Entscheidungen herbeigeführt werden sollen. Während man den anderen Führungstheorien eine zu starke Simplifizierung vorwirft, kritisiert man an dem Führungsmodell von Vroom und Yetton, dass es zu komplex ist. Praktiker beklagen zudem, dass sie sich durch die so strikte Vorgabe von Entscheidungsvorschriften, gegängelt fühlten, so dass ihnen kein Freiraum mehr bleibt. Darüber hinaus wird bemängelt, dass die Frage der Zielsetzung an sich nicht angesprochen wird; vielmehr geht das Modell davon aus, dass es fest vorgegebene Ziele gibt, die es gilt in den nachfolgenden Schritten umzusetzen.
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7.4.4
7 Führung
Management by …
Neben den bisher angesprochenen Führungstheorien, die die personelle Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter betreffen, gibt es eine Reihe von Führungskonzepten, die eine Empfehlung für eine systematische Abstimmung sämtlicher Führungsprozesse in einem Unternehmen geben. Diese Konzepte werden unter der Formulierung „Management by ..“ diskutiert. Sie alle verfolgen das Ziel, Hinweise auf eine effektive und erfolgreiche Unternehmensführung zu geben. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Ansatzpunktes und der Methoden. Zu den bekanntesten Modellen gehören die Konzepte Management by Delegation, Management by Exception und Management by Objectives. Management by Delegation Management by Delegation (Führung durch Delegation von Aufgaben) ist ein Führungsmodell, das in jeder arbeitsteiligen Organisation eingesetzt werden kann. Die Idee des Managements by Delegation beruht auf dem Prinzip einer möglichst weitgehenden dezentralen Entscheidungsfindung. Die Entscheidungsbefugnisse sollen soweit wie möglich delegiert werden: Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie anfallen und wo die Sach- und Fachkompetenz am größten ist. Ziel ist es, die Führungskräfte von den jeweiligen Routineaufgaben zu entlasten. Dies erfordert, dass der Entscheidungs- und Verantwortungsspielraum auf der jeweils niedrigeren Hierarchiestufe erhöht wird. Im Rahmen des Managements by Delegation erhält jeder Mitarbeiter einen eindeutig definierten Aufgabenbereich, in dem er selbstständig handeln und entscheiden kann. Für diesen Aufgabenbereich trägt er die volle Handlungsverantwortung und ist auch mit den entsprechenden Entscheidungskompetenzen ausgestattet. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, Ziele zu setzen, Aufgabenschwerpunkte zu bestimmen und Kontrollen durchzuführen. Voraussetzung für Management by Delegation ist ein sorgfältig ausgearbeitetes System von Stellenbeschreibungen. In diesen Stellenbeschreibungen werden exakt abgegrenzte Delegationsbereiche beschrieben. Hierzu gehört auch die Auflistung aller nicht delegierbaren Aufgaben. Die wichtigste Voraussetzung für die Einführung eines Management-by-Delegation-Systems ist die Delegationsbereitschaft des Vorgesetzten und die Delegationsfähigkeit der Mitarbeiter: So kommt es zunächst darauf an, die Schwere und die Anforderungen der zu delegierenden Aufgaben mit den Können und Leistungsvermögen der Mitarbeiter abzustimmen. Dabei sollten nicht nur uninteressante Routinearbeiten, sondern auch herausfordernde Aufgaben delegiert werden. Während die Mitarbeiter ihre Verantwortung wahrnehmen müssen und nicht aus Angst vor Fehlentscheidungen, die ihnen übertragenen Aufgaben an die Führungskraft zurückdelegieren dürfen, müssen die Führungskräfte darauf achten, nicht in den Kompetenzbereich ihrer Mitarbeiter hineinzuentscheiden (durchzuregieren). In beiden Fällen würde das Delegationsprinzip ausgehebelt werden. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann es nicht nur zur Entlastung der jeweiligen Führungskräfte kommen, sondern auch zu einer Steigerung der Motivation der Mitarbeiter, da sie Gelegenheit zu eigenverantwortlichem Handeln in ihrem Aufgabenbereich haben. Dies
7.4 Theorien des Führungsprozesses
113
kann von einer Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und einer Nivellierung der sozialen Distanz zwischen Mitarbeiter und Führungskraft begleitet werden. Mit dem Einsatz des Managements by Delegation sind jedoch einige Probleme verbunden. So kann es auf organisatorischer Ebene leicht zu einer Überorganisation kommen, wenn zu viele detaillierte Stellenbeschreibungen erstellt werden. Die gesamte Organisation kann unflexibel werden. Diese Versteinerungstendenzen treten dann besonders häufig auf, wenn die Führungskräfte aus Angst vor Kontrollverlust verstärkt Ausnahmeregeln einsetzen. Durch das Verbot des Durchregierens kann es zu suboptimalen Einzelentscheidungen kommen. Dieses Risiko besteht besonders dann, wenn die delegierten Aufgaben nicht mit der Kompetenz der Mitarbeiter abgestimmt sind, so dass sie durch erhöhte Verantwortung und den Leistungsdruck überfordert werden. Es besteht die Gefahr von Minderleistungen und permanenten Misserfolgserlebnissen. Management by Exception Je umfassender eine Führungskraft delegiert, desto notwendiger wird es, eine Regelung hinsichtlich der Ausnahmen, bei denen von der Delegation abgewichen wird, zu treffen. Management by Exception (Führung nach dem Ausnahmeprinzip) setzt genau an diesem Punkt ein. Die Idee des Management by Exception belässt das Delegationsprinzip unberührt, solange nicht unvorhergesehenen Ereignisse bzw. gravierende Probleme den normalen Rahmen sprengen. Die Führungskraft greift nur dann in einen Entscheidungsprozess ein, wenn außerordentliche Abweichungen vom angestrebten Ziel auftreten. Management by Exception sieht eine klare Definition von Normal- und Ausnahmefällen vor. Hierzu ist es erforderlich, dass die Führungskraft Vorgabewerte für einen Normalbereich, einen Toleranzbereich und einen Ausnahmebereich gibt. Diese Vorgabewerte sollten dabei möglichst quantitativ formuliert werden. Bei Abweichungen die innerhalb des Toleranzbereichs liegen wird die höhere Instanz nicht informiert; dann entscheidet der Mitarbeiter selber. Bei außergewöhnlichen Abweichungen, die außerhalb des Toleranzbereiches liegen, muss die übergeordnete Instanz informiert werden, und diese muss dann auch entscheiden. Genau in dem Bereich der Grenzziehung zwischen Ausnahmefall und Normalabweichung zeigt sich die Problematik dieses Management-Ansatzes in der Praxis. Wird die Grenze zu eng gezogen, gibt es zu viele Ausnahmefälle und der Vorteil der Entlastung der Führungskraft entfällt. Wird dagegen die Grenze zu weit gezogen, kann es eventuell zur Überforderung des Mitarbeiters kommen, so dass dieser eventuell nicht mehr den Überblick hat; Störungen können auftreten, ohne dass die Führungskraft etwas davon erfährt. Vorteile des Management by Exception sind sicherlich neben der Entlastung der Führungskräfte bei Routinetätigkeiten vor allem, das sehr schnell krisenhafte Entwicklungen innerhalb eines Unternehmens gesehen werden: Führungskräfte werden sofort auf Probleme aufmerksam gemacht. Generell muss jedoch gesagt werden, dass in diesem Management-Modell die Kreativität und die Initiative zumindest tendenziell den Führungskräften vorbehalten bleibt. Durch eine enge Definition des Normalbereichs kann die Gefahr der Rückdelegation erhöht werden. Die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Verantwortungsübernahme wird hierdurch reduziert. Dass nur negative Zielabweichungen an die Führungskraft zurückgemeldet werden, kann sich negativ auf die Mitarbeitermotivation niederschlagen, die nur „Unangeneh-
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7 Führung
mes“ nach oben melden dürfen, und somit nur selten dafür ein Lob bekommen. Hieraus resultiert das Risiko, dass Mitarbeiter Zielabweichungen nicht an die Führungskraft weiterleiten, um Kritik bzw. schlechte Beurteilungen zu vermeiden. Es empfiehlt sich daher, die Mitarbeiter an den Entscheidungen darüber, was Ausnahmefälle sind, zu beteiligen. Darüber hinaus sollten auch positive Abweichungen an die Führungskräfte systematisch zurückgemeldet werden, so dass auf der einen Seite auch die Möglichkeit der lobenden Rückkoppelung erfolgen kann und zum anderen aber auch die Planungsdaten entsprechend korrigiert werden können. Management by Objectives Im Unterschied zu der starken Verfahrensorientierung der bis jetzt genannten Führungskonzepte steht beim Management by Objectives die Zielorientierung im Vordergrund. Dabei liegen dem Management by Objectives zwei Ideen zugrunde: Die eine besteht in der Überzeugung, dass Unternehmensziele in konkrete, zeitlich überschaubare operative Ziele heruntergebrochen werden müssen, damit sie zur Handlungssteuerung eingesetzt werden können. Die andere Idee berücksichtigt die Tatsache, dass Unternehmen ständigen Wandlungsprozessen unterworfen sind, die eine regelmäßige Überprüfung der Unternehmensziele erfordern. Beim Management by Objectives wird ein mehrstufiger Zielbildungsprozess durchgeführt. Hierbei werden die jeweiligen Teilziele auf einer Hierarchiestufe jeweils von der Führungskraft und den nachgeordneten Mitarbeitern erarbeitet. Die Führungskraft hat die Aufgabe zu überprüfen, dass die einzelnen Teilziele in einem widerspruchsfreien Zusammenhang stehen. So wird sichergestellt, dass jedes Teilziel einen Beitrag zur Erreichung des obersten Zieles leistet. Die Ziele werden für eine Periode vereinbart. Jeder Mitarbeiter entscheidet aber alleine, auf welchem Weg er das vereinbarte Ziel erreichen will. Durch die Beteiligung der Mitarbeiter an der Zielformulierung wird zum einen eine erhöhte Realitätsnähe erreicht. Voraussetzung ist jedoch, dass die jeweiligen Vorgesetzten bereit sind, die Ziele gemeinsam mit den Mitarbeitern zu vereinbaren. Eine autoritäre Zielfestlegung von Seiten der Führungskräfte würde diesen Informationsvorsprung des Modells konterkarieren. Am Ende dieser Periode erfolgt eine Leistungskontrolle anhand von Soll/Ist-Vergleichen. Führungskraft und Mitarbeiter diskutieren Zielabweichungen. Ein Ergebnis dieser Soll-IstVergleiche kann zum einen in der Revision der Ziele bestehen und zum anderen in einer Veränderung des Arbeitsverhaltens des Mitarbeiters. Voraussetzung für ein effektives Funktionieren des Management by Objectives ist ein Informationssystem, das einen regelmäßigen mitarbeiterbezogenen Soll-Ist-Vergleich ermöglicht. Je häufiger Rückkoppelungen durchgeführt werden, desto sensibler verhält sich das gesamte System gegenüber Abweichungen. Das Management by Objectives verhindert durch die geforderte Zieltransparenz gegenläufiges Arbeiten. Darüber hinaus wird durch die relativ rasche Möglichkeit der Zieländerung ein hoher Flexibilitätsgrad für die Organisation erreicht. Bei der Bewertung des Modells muss jedoch berücksichtigt werden, dass das Management by Objectives schwerpunktmäßig mit quantitativen Zielsetzungen arbeitet, obwohl heutzutage immer stärker qualitative Ziele in den Vordergrund rücken.
7.5 Führung und Organisationen im Wandel
7.5
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Führung und Organisationen im Wandel
Wie bereits angesprochen, unterliegen Organisationen einem ständigen Wandel. Je dynamischer sich Märkte und Technologien ändern, desto notwendiger wird eine rasche Veränderung der Organisationen. Dies bedeutet, dass auch die Führungsaufgaben einem Wandlungsprozess unterzogen sind. Starre Organisationskonzepte mit detaillierten Stellenbeschreibungen werden flexibleren Organisationskonzepten weichen. Für die Führung bedeutet dies, dass sie lernen muss, mit unscharfen und sich ständig ändernden Vorgaben umzugehen. Sie darf diese Unklarheit aber nicht als Verunsicherung an die Mitarbeiter weitergeben, sondern muss versuchen, die Mitarbeiter zu Beteiligten des Wandlungsprozesses machen. Sie muss den Mitarbeitern Gestaltungsspielräume anbieten, und ihnen Hilfestellung geben, diese Handlungsspielräume so zu nutzen, dass die Organisation flexibel agieren und reagieren, sich entwickeln kann.
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Vergütung und Lohn
Die Vergütung ist ein wesentlicher Faktor der Personalkosten. Die Summe der Vergütungen und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung (ca. 9 % Rentenversicherung, ca. 3 % Arbeitslosenversicherung, ca. 6 % Kranken- und Pflegeversicherung und ca. 1,2 % Unfallversicherung) wird erhöht durch weitere Aufwendungen, die betriebswirtschaftlich der Beschäftigung von Personal zuzurechnen sind. Zu berücksichtigen sind: – – – – – – – – – – – – – – –
Vermögenswirksame Leistungen Tarifurlaub Bezahlte Ausfallzeiten Schwerbehinderte Betriebsarzt, Arbeitssicherheit Arbeitskleidung Betriebsverfassung und Mitbestimmung Aus- und Weiterbildung Essenzuschuss, Kantinenbetrieb Fahrtkostenzuschuss, Job-Ticket Betriebskindergarten, Betriebssport soziale Betreuung (Sucht etc.) Zusatzversicherungen betriebliche Altersversorgung Ehemaligenbetreuung
Der Arbeitgeber schuldet eine Vergütung als Gegenleistung dafür, dass der Arbeitnehmer ihm für eine bestimmte Zeit seine Arbeitskraft zur Nutzung zur Verfügung stellt. In dieser Zeit hat der Arbeitnehmer eine durchschnittlichen Anforderungen entsprechende Leistung zu erbringen. Das Interesse des Arbeitgebers geht dahin, die Kapitalrendite zu steigern und für seinen finanziellen Einsatz und sein finanzielles Risiko einen möglichst hohen Gegenwert zu erhalten. Die Steigerung der Kapitalrendite kann dadurch erfolgen, dass die Vergütung, die ausgezahlt wird, möglichst gering gehalten wird. Hiermit verbindet sich unmittelbar die Frage der Vergütungsgerechtigkeit: Ist die Verteilung des erwirtschafteten Ertrags zwischen Kapital und Arbeit gerecht, d.h. proportional zu den eingebrachten Leistungen? Wie hoch sollte der Ertragsanteil sein, der als Vergütung ausgezahlt wird? Diese Verteilungsfrage ist aber nicht nur aus einzelwirtschaftlicher Perspektive, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive von Bedeutung, da sie ja auch das gesamtwirtschaftliche Gefüge mit den Faktoren wie soziale Sicherungssysteme, (Voll-) Beschäftigung und Wirtschaftswachstum betrifft. In einem weiteren Schritt betrifft die Ver-
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8 Vergütung und Lohn
gütungsgerechtigkeit die Regeln für die Verteilung des für die Vergütung zur Verfügung stehenden Anteils an die einzelnen Arbeitnehmer(gruppen). Ein als allgemein verbindlich anerkanntes Gerechtigkeitsmaß gibt es nicht. Es existieren eine Reihe unterschiedlicher Gerechtigkeitskonzeptionen, die je nach situativen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konstellationen in einem politischen Prozess abgewogen und gewichtet werden und sich in den Komponenten von Vergütungssystemen widerspiegeln. Unabhängig davon besteht das subjektive Gerechtigkeitsempfinden. Im Sinne der Gerechtigkeitstheorie von Adams wird Gerechtigkeit dann empfunden, wenn der im Arbeitskontext eingebrachte „Input“ wie Anstrengung, Qualifikation, Erfahrung etc. und der dafür erhaltene „Output“ wie Entlohnung, Anerkennung, sozialer Status etc. als ausgeglichen, d.h. proportional empfunden wird. Aufgrund der unterschiedlichen Dimensionalität kann die InputOutput-Relation nicht direkt verglichen werden, sondern nur in Bezug auf die Input-OutputRelation, also die Proportionalität von Einsatz und Ertrag einer Vergleichsperson. Als Vergleichspersonen werden gleichgeschlechtliche Personen auf gleicher Hierarchieebene präferiert. Dabei werden Personen mit einer längeren Dauer der Betriebszugehörigkeit eher zum Vergleich herangezogen. Mit steigender Höhe in der Hierarchieebene und größer werdenden Professionalität werden eher Personen außerhalb der Organisation zum Vergleich herangezogen. Entspricht dabei die eigene Input-Output-Relation derjenigen der Vergleichsperson wird Gerechtigkeit empfunden; ist dies nicht der Fall, wird Ungerechtigkeit empfunden. Ungerechtigkeit wird sowohl für den Fall der eigenen Besserstellung wie auch für den Fall der eigenen Schlechterstellung empfunden. In beiden Fällen kann die Person das Gleichgewicht wieder herstellen, indem sie die Qualität bzw. die Quantität der eigenen Arbeit erhöht oder senkt. Ebenso stehen ihr Möglichkeiten der „psychischen Anpassung“ zur Verfügung, sie kann die Wahrnehmung der Situation verzerren oder sich eine andere Vergleichsperson heranziehen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Sie kann aber auch darauf bestehen, dass die Vergleichsperson ihr Leistungsverhalten ändert bzw. dass ihre Vergütung angepasst wird. Die Gleichgewichtstheorie macht deutlich, dass Lohngerechtigkeit immer subjektiv ist und von der jeweils gewählten Vergleichsperson abhängt. Dies bedeutet auch, dass bei betrieblichen Maßnahmen zur Herstellung eines Gefühls der Lohngerechtigkeit die Offenlegung der Leistungsbeurteilungen oder der Vergütungen weniger zielführend sind als die Standardisierung der Arbeitsbedingungen für definierte Beschäftigtengruppen wie z. B. Arbeitskleidung, Bürogröße, Rechnerausstattung, Dienstwagen etc.
8.1
Komponenten von Vergütungssystemen
Nahezu alle Vergütungssysteme differenzieren nach den Dimensionen Anforderungen, Leistung, und Qualifikation.
8.1 Komponenten von Vergütungssystemen
8.1.1
119
Anforderungen
Eine Vergütungsdifferenzierung nach den Anforderungen eines Arbeitsplatzes ist unabhängig von der individuellen Leistung und basiert auf den unterschiedlichen Beiträgen der einzelnen Tätigkeiten zur erzielten betrieblichen Wertschöpfung. Die Differenzierung nach den Anforderungen eines Arbeitsplatzes ist die Basis sämtlicher Vergütungssysteme. In jedem Betrieb gibt es schwierigere und einfachere Aufgaben, große Herausforderungen und wenig anspruchsvolle Tätigkeiten. Die Differenzierung nach Anforderungen stimmt gut mit der Grundtypik des Arbeitsvertrags überein, da sie den Grundsatz in vollem Umfang wahrt, dass Vergütung für eine in Zeit bemessene Arbeitsleistung gezahlt wird. Die Vergütungsdifferenzierung folgt dem Grundsatz, dass Arbeiten mit höheren Anforderungen höher zu entlohnen sind als Arbeiten mit niedrigeren Anforderungen. Die Bestimmung anhand der Anforderungen erfordert eine Arbeitsplatz- bzw. Tätigkeitsbewertung. Etabliert sind analytische Bewertungssysteme, die für die einzelnen Bewertungsdimensionen Punkte vergeben, deren Summe zu einer Wertzahl führt. Den Wertzahlen werden bestimmte Vergütungssummen zugeordnet. Summarische Verfahren bringen die verschiedenen Tätigkeiten anhand der festgestellten Anforderungen in eine Rangfolge. Das Ergebnis ist ein Tätigkeitskatalog. Den einzelnen Tätigkeiten können der Rangfolge entsprechend verschiedene Vergütungshöhen zugeordnet werden. In beiden Fällen erfolgt die Bewertung der Tätigkeit anhand der Kriterien – – – –
oder – – – –
erforderliches Können, Belastung, Verantwortung, Arbeitsbedingungen, Fachkompetenz, Dispositionsbefugnis, Problemlösungsbefugnis, Verantwortung.
Oft liegen nur vorübergehend Anforderungen vor, die nicht im Grundgehalt berücksichtigt sind, aber eine höhere Vergütung rechtfertigen können. Solche Belastungen können durch Zulagen und Zuschläge bei der Vergütung berücksichtigt werden. Typische tarifvertraglich geregelte Fälle von vorübergehenden, vergütungswirksamen Belastungen sind: – – –
Überstunden Arbeit zu ungünstigen Zeiten (Nachts, Feiertags, im Schichtbetrieb) Besondere Erschwernisse, Gefahren, schmutzige und ekelerregende Arbeiten
8.1.2
Leistung
Die Leistungsdifferenzierung folgt aus dem Interesse des Arbeitgebers, für die Vergütung in quantitativer oder qualitativer Hinsicht mehr als eine durchschnittliche Leistung zu bekommen. Auch aus Arbeitnehmersicht können Leistungselemente ein Mehr an Verteilungsge-
120
8 Vergütung und Lohn
rechtigkeit gewährleisten, weil auf gleichwertigen Arbeitsplätzen der Beitrag des Leistungsträgers zur Wertschöpfung höher ist als der des Minderleisters, ersterer also einen höheren Anteil am verfügbaren Personalkostenbudget verdient hat. Um wirksam zu sein, müssen Leistungskomponenten eines Vergütungssystems den Zusammenhang zwischen individueller Anstrengung und erzielter Vergütung erlebbar machen. Es müssen also spürbare Auswirkungen auf die Vergütung bestehen. Das ist erst dann gewährleistet, wenn mehr als 5% des Vergütungsbudgets des Unternehmens nach Leistungsgesichtspunkten verteilt werden. Unterhalb dieser Schwelle verbleiben nur Mitnahmeeffekte ohne Anreizwirkung. Darüber hinaus muss das persönliche Leistungsergebnis messbar und vom Arbeitnehmer beeinflussbar sein. –
–
–
–
Die Akkordvergütung setzt stabile, planbare Arbeitsverhältnisse voraus, aus denen sich ein Normaufwand für eine Leistungseinheit ableiten lässt. Eine über dem Normwert liegende Ist-Leistung erhöht die Vergütung. Die geschuldete Arbeitszeit bleibt unverändert. Es wird nur die in der definierten Arbeitszeit erbrachte Menge beeinflusst und das erzielbare Arbeitseinkommen erhöht. Die reine Akkordvergütung gefährdet in der Regel Qualitätsziele. Dem kann der Arbeitgeber dadurch begegnen, dass die höchstmögliche Einkommenssteigerung und damit die für den Arbeitnehmer interessante Produktionssteigerung begrenzt wird. Die Prämienvergütung ist offen für die Einbeziehung weitergehender Ziele als der Arbeitsmenge. In Betracht kommen Einsparziele (z. B. Energieverbrauch, Verschleiß), Auslastungsziele (Nutzungszeiten) und vor allem Qualitätsziele (Ausschussquote). Die Pensumvergütung sieht eine definierte Soll-Leistung, die im Voraus zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart worden ist, vor, die sich an der Standardleistung orientiert und sich zumeist auf mehrere Monate bezieht. In diesem Zeitraum wird ein konstantes Entgelt gezahlt. Die Entgeltbandvergütung bezieht die Leistung in Arbeitsbereichen ein, die sich einer quantitativen Messung entziehen. Den einzelnen Vergütungsgruppen (Katalogverfahren) sind keine festen Werte, sondern von-bis-Beträge zugeordnet. Für die einzelnen einer Vergütungsgruppe zugeordneten Mitarbeiter werden die konkreten Gehälter innerhalb dieser Spannweite (Entgeltband) aufgrund einer Beurteilung des Vorgesetzten festgesetzt. Die für die Beurteilung maßgeblichen Merkmale müssen dabei transparent und nachvollziehbar im Voraus festgelegt sein. Vergütungsrelevante Merkmale können sein. o Arbeitsergebnisse o Komponenten des Arbeitsverhaltens z. B. ! Führungsverhalten ! Kooperationsfähigkeit Die Merkmale sind zu gewichten und die Zahl der Beurteilungsstufen ist festzulegen (in der Praxis hat es sich bewährt mehr als drei und nicht mehr als sieben Stufen einzuführen). Die Positionierung im Entgeltband aufgrund einer Beurteilung erlaubt auch für komplexere Arbeitsaufgaben, bei denen Ergebnisse sich nicht durch Zählen und Messen oder statistische Verfahren feststellen lassen, eine leistungsabhängige Gehaltsdifferenzierung.
8.1 Komponenten von Vergütungssystemen
8.1.3
121
Qualifikation
Die Berücksichtigung der persönlichen Qualifikation wird zunehmend in Vergütungssystemen berücksichtigt. Die Vergütungsdifferenzierung erfolgt auf Basis der vom Arbeitnehmer angebotenen Qualifikation. Im Qualifikationslohn werden Qualifikationselemente, die der Arbeitnehmer für die Erfüllung seiner aktuellen Tätigkeit nicht benötigt, die aber in der Zukunft evtl. bedeutsam werden können, lohnwirksam. Hierdurch wird die Weiterbildungsbereitschaft und ein kontinuierliches qualifizierendes Lernen der Mitarbeiter gefördert, auf die ein Unternehmen angewiesen ist, um zukünftigen technologischen und arbeitsorganisatorischen Entwicklungen begegnen zu können.
8.1.4
Markt
Marktgerechte Vergütung ist Konsequenz der Tatsache, dass der Preis des Faktors Arbeit nicht allein durch den Arbeitgeber als Nachfrager bestimmt wird. Arbeitskräfte werden auf einem Markt akquiriert, so dass sich der für Arbeit zu entrichtende Preis nach dem Verhältnis des Gesamtangebots zur Gesamtnachfrage richtet. Der Markt ist damit ein wesentlicher Parameter zur Bestimmung der absoluten Vergütungshöhe. Eine marktgerechte Vergütung ist Mindestvoraussetzung, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu binden. Müssen aufgrund von Arbeitskräftemangel auf Teilsegmenten des Arbeitsmarkts an einzelne Mitarbeiter vergleichsweise hohe Gehälter gezahlt werden, können innerbetrieblich Spannungen entstehen, weil die Gehaltsunterschiede nicht in das System aus Anforderungen und Leistung passen. Innerbetrieblicher Frieden kann nicht selten nur dadurch wieder hergestellt werden, dass die übrigen Gehälter an die zwar marktgerechten, aber relativ zu hohen Gehälter herangeführt werden. Dass an verschiedenen Orten Deutschlands unterschiedliche Vergütungsniveaus bestehen, ist dagegen eher unproblematisch, da die Referenzgruppe der Mitarbeiter, anhand derer die Vergütung beurteilt wird, regional ist und auch die Arbeitsmärkte für das Gros des Personals weniger international sind, als die öffentliche Diskussion suggeriert.
8.1.5
Soziale Gesichtspunkte
Soziale Gesichtspunkte entkoppeln den Zusammenhang von individueller Produktivität, Anforderung und Vergütung und werden deshalb grundsätzlich für systemwidrig gehalten. Selbst im öffentlichen Dienst wird der zusätzliche Bedarf aufgrund von Familienstand und Kinderzahl im Gehalt nicht mehr berücksichtigt. Trotzdem spielen soziale Erwägungen eine Rolle. Üblicherweise steigen Vergütungen mit dem Lebensalter (jedenfalls außerhalb der unmittelbaren Produktion). Dies wird durch Produktivitätsvorteile aufgrund wachsender Berufserfahrung gerechtfertigt.
122
8.1.6
8 Vergütung und Lohn
Erfolg
Neben Grundvergütung und leistungsorientierten Elementen finden sich häufig auch erfolgsabhängige Komponenten. Hierbei wird an die Mitarbeiter ein bestimmtes Budget für den Fall ausgeschüttet, dass definierte Ergebnisziele des Unternehmens (Umsatz, Gewinn) erreicht werden. Eine Beziehung zwischen Unternehmensergebnis und individuellem Beitrag bzw. individueller Leistung ist nicht herstellbar. Auch wenn die Mitarbeiter das Beste geben, können Marktbedingungen verhindern, dass sich die Anstrengungen in den gewünschten Unternehmensergebnissen niederschlagen. Andererseits erhalten auch Mitarbeiter eine erfolgsorientierte Vergütung, deren Beitrag zum Unternehmenserfolg eher kontraproduktiv war. Die erfolgsabhängige Komponente ist also keine Form der Leistungsvergütung, sondern eher ein unter Finanzierbarkeitsvorbehalt gestellter Teil der Grundvergütung. Die Ergebnisbeteiligung ist aber als indirekter Leistungsanreiz ein Mittel, die Verantwortung für das Gesamtunternehmen, die Identifikation mit den Unternehmenszielen und die Bindung an das Unternehmen zu erhöhen und zwar entsprechend der Stellung in der Betriebshierarchie. Das bedeutet, dass der Anteil der Erfolgsbeteiligung am Einkommen bei geringem Gesamteinkommen niedrig ist, bei außertariflichen oder leitenden Angestellten dagegen deutlich höher sein kann, weil diese aufgrund ihrer Stellung im Betrieb auch einen engeren Bezug zum Gesamtergebnis haben und aufgrund der absoluten Höhe ihres Einkommens auch das Risiko von Einkommensschwankungen besser tragen können.
8.1.7
Unzulässige Differenzierungsgesichtspunkte
Das AGG verbietet die Ungleichbehandlung wegen der in § 1 AGG genannten Aspekte nicht nur bei der Einstellung. Eine Diskriminierung ist durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG ausdrücklich auch für die Arbeitsentgelte untersagt. Für die Entgelthöhe spielen deshalb Alter, Geschlecht, Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung oder sexuelle Identität keine Rolle. Eine Rechtfertigung von Differenzierung aufgrund der §§ 8-10 AGG ist nicht möglich.
8.2
Gratifikationen und Sonderzahlungen
Das Vergütungssystem wird durch zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers aus besonderem Anlass abgerundet. Verbreitete Anlässe für Gratifikationen und Sonderzahlungen sind Weihnachten, Urlaub und Jahrestage der Beschäftigung im Unternehmen (Jubiläen). Im Zuge der Bestrebungen, Personalkosten zu senken hat die wirtschaftliche Bedeutung der leistungsunabhängigen Gratifikationen abgenommen. Sonderzahlungen können reinen Entgeltcharakter haben, aber neben der Belohnung für vergangene Leistungen auch der Personalbindung für die Zukunft dienen. Hat sich der Arbeitgeber die Rückforderung für den Fall der arbeitnehmerseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorbehalten, geht von solchen Sonderzahlungen ein Anreiz für den Arbeitnehmer
8.3 Übertarifliche bzw. freiwillige Leistungen und Tarifsteigerungen
123
aus, das Unternehmen nicht aus eigener Initiative zu verlassen. Da der Rückforderungsvorbehalt in der Regel als Vertragsbedingung vom Arbeitgeber gestellt ist, ist er nur zulässig, soweit er mit § 307 BGB vereinbar ist. Geringfügige Gratifikationen bis 100 € können überhaupt nicht zurückgefordert werden. Gratifikationen bis zur Höhe eines Monatsgehalts binden den Arbeitnehmer bis zum 31.3. des Folgejahres. Gratifikationen von bis zu zwei Monatsgehältern sind zurückzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis bis zum auf den 31.3. des Folgejahres folgenden Kündigungstermin aufgibt.
8.3
Übertarifliche bzw. freiwillige Leistungen und Tarifsteigerungen
Enthält der Arbeitsvertrag über die Regelungen des Tarifvertrages hinausgehende Leistungen des Arbeitgebers, stellt sich die Frage, ob ein übertarifliches Vergütungsniveau bei Tarifsteigerungen vollständig erhalten bleibt oder mit den Tarifsteigerungen verrechnet werden kann. Sollen außertarifliche Leistungen immer zusätzlich zum jeweils geltenden Tarifvertrag erbracht werden, muss dies aus den jeweiligen Arbeitsverträgen eindeutig hervorgehen. Ist dies nicht der Fall, sind außertarifliche Leistungen nicht vor faktischer Entwertung geschützt. Der Arbeitgeber kann aus Anlass von Tariferhöhungen die übertariflichen Leistungen mit den Tariferhöhungen verrechnen, so dass sich für ihn keine Erhöhung der Personalkosten und für die Mitarbeiter kein realer Gehaltszuwachs ergibt. Im Ergebnis ist nur ein höherer Anteil der Vergütung tarifvertraglich abgesichert, was lediglich für neu eingestellte Mitarbeiter von Interesse ist. Freiwillige Leistungen ohne Bezug zum einzelnen Arbeitsvertrag sind Sozial- und Freizeiteinrichtungen von Betrieb, Unternehmen oder Konzern. Hierzu zählen Werkswohnungen, Betriebskindergärten, Sportanlagen und -einrichtungen, soziale Betreuungsdienste, Werksbusse für den Transport zum Arbeitsplatz u. Ä. Diese Einrichtungen sind betriebswirtschaftlich Teil der Personalkosten. Werden die Leistungen an die Mitarbeiter unter Marktpreisen abgegeben, können sie als geldwerte Vorteile steuerrelevant werden. Auf ihren Erhalt besteht jedoch kein individueller Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers. Sie sind nicht Gegenstand der einzelnen Arbeitsverträge, sondern beruhen auf kollektiven Regelungen insbesondere auf Betriebsvereinbarungen.
8.4
Freiwillige Leistungen – Gesamtzusage und Betriebliche Übung
Vergütungen und sonstige Leistungen des Arbeitgebers sind üblicherweise im Rahmen des einzelnen Arbeitsvertrags bzw. durch Tarifverträge oder arbeitsvertragliche Gleichstellungsabreden fixiert. Sollen systematisch übertarifliche Leistungen gewährt werden, wird dies in der Regel in den Arbeitsverträgen selbst ausdrücklich geregelt. Entschließt sich der Arbeit-
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8 Vergütung und Lohn
geber zu irgendeinem Zeitpunkt – möglicherweise auch nur ein Mal – außertarifliche Leistungen zu erbringen, wäre es jedoch zu aufwendig, mit allen vorhandenen Mitarbeitern schriftliche Änderungsverträge abzuschließen. Der Arbeitgeber gibt die zusätzlichen Leistungen stattdessen oft durch Aushang, firmeninternes Rundschreiben oder interne E-Mail bekannt. In der als Gesamtzusage bezeichneten Mitteilung an die Belegschaft liegt eine Willenserklärung, die eine Änderung der Arbeitsverträge anbietet. Die Mitarbeiter müssen das Angebot nicht ausdrücklich annehmen. Da der Arbeitgeber ausdrücklich oder stillschweigend auf die ausdrückliche Annahme des Angebots verzichtet hat, kommen die Vertragsänderungen gem. § 151 BGB auch ohne Annahme des Angebots zustande. Zusätzliche Leistungen aufgrund einer Gesamtzusage können einmalige Leistungen betreffen, aber durchaus auch dauerhaft wirken. Da sie die Arbeitsverträge ändern, können sie im Fall dauerhafter Leistungen vom Arbeitgeber nur zurückgenommen werden, wenn er sich bei Erteilung der Gesamtzusage den Widerruf vorbehalten hat („Diese Leistung ist jederzeit widerruflich.“). Gerade im Bereich freiwilliger zusätzlicher Leistungen wird der Arbeitgeber meist eine auf Dauer wirkende Gesamtzusage vermeiden und z. B. über ein Weihnachtsgeld jährlich neu entscheiden wollen. Werden Verhaltensweisen des Arbeitgebers aber ohne Vorbehalt regelmäßig wiederholt und die gewährten Leistungen damit üblich, kann eine solche betriebliche Übung vom Arbeitnehmer als ein Angebot zur dauerhaften Änderung des Arbeitsvertrags verstanden werden, so dass der Arbeitgeber auch in Zukunft verpflichtet ist, diese Leistungen zu gewähren. Die aufgrund eines einmaligen Entschlusses („ab heute für immer“) regelmäßig wiederholte, vorbehaltlose Leistung des Arbeitgebers ist als Willenserklärung i. S. eines Angebots zur Änderung der Arbeitsverträge anzusehen, das ebenso wie die Gesamtzusage gem. § 151 BGB zur Änderung der Arbeitsverträge führt. Ausgenommen sind nur geringfügige Leistungen und Annehmlichkeiten wie Arbeitsbefreiung am Geburtstag, Betriebsausflüge, Arbeitseinschränkungen zum Karneval, zum örtlichen Volksfest, zu bedeutenden Sportereignissen usw., da in diesen Fällen kein rechtlicher Bindungswille des Arbeitgebers anzunehmen ist. Selbst wenn solche „guten Taten“ mehrfach vorgekommen sind, bleiben die Arbeitsverträge unverändert und es kann kein Anspruch der Belegschaft auf Wiederholung entstehen. Für den Arbeitgeberist die Beendigung einer einmal entstandenen betrieblichen Übung schwierig. Hat er sich den Widerruf vorbehalten, kann er von diesem Recht im Rahmen von § 315 BGB nach billigem Ermessen Gebrauch machen. Möglich ist es auch, die betriebliche Übung durch eine Betriebsvereinbarung abzulösen, die zwar für einzelne Arbeitnehmer zu verminderten Leistungen führen kann, insgesamt gesehen aber nicht weniger „wert“ sein darf als die bisherige Leistung der Summe der Einzelverträge (kollektiver Vergleich). Schließlich kann der Arbeitgeber versuchen eine neue, abweichende betriebliche Übung zu etablieren, der aufmerksame Arbeitnehmer jedoch unter Hinweis auf die bestehenden Arbeitsverträge widersprechen werden. Gegen den Willen der Arbeitnehmer kann eine betriebliche Übung nur durch sog. Änderungskündigung beseitigt werden, die im Anwendungsbereich des KSchG jedoch sozial gerechtfertigt sein muss (dazu unten S. 177). Will der Arbeitgeber eine einmal gegebene Gesamtzusage oder eine betriebliche Übung nicht mehr fortführen, können mit neu eingestellten Arbeitnehmern Arbeitsverträge geschlossen werden, in denen die aufgrund dauerhaft wirkender Gesamtzusage oder betrieblicher Übung
8.5 Vergütung und Betriebsverfassung
125
gewährten Vergünstigungen ausgeschlossen werden. Eine willkürliche und damit verbotene Ungleichbehandlung ist in diesem Fall nicht gegeben. Die betriebliche Übung erledigt sich dann im Zuge der natürlichen Fluktuation. Anderenfalls werden sowohl Gesamtzusage als auch betriebliche Übung auch mit neu eingestellten Mitarbeitern Gegenstand der individuellen Arbeitsverträge, ohne dass dies in den Arbeitsverträgen ausdrücklich festgehalten werden muss.
8.5
Vergütung und Betriebsverfassung
Besteht ein Tarifvertrag oder eine innerbetriebliche Vergütungsordnung ist der Betriebsrat gem. § 99 BetrVG vor Entscheidungen über die Eingruppierung, also die Zuordnung der Tätigkeit eines Mitarbeiters zu einer bestimmten Vergütungsgruppe, zu beteiligen. Da jeder Mitarbeiter ohnehin einen individuellen Anspruch auf zutreffende Eingruppierung hat, gehen von dem Beteiligungsrecht des Betriebsrats keine zusätzlichen arbeitnehmerschützenden Wirkungen aus. Außerhalb dieser Regelung kann der Betriebsrat in Bezug auf Vergütungen nur begrenzt tätig werden. Gem. § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, nur dann Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, wenn eine Öffnungsklausel im Tarifvertrag das zulässt und damit die Tarifsperre aufgehoben ist. Primärer Ansprech- und Verhandlungspartner der Arbeitgeber in Vergütungs- und anderen üblicherweise in Tarifverträgen geregelten Fragen sind die mit Streikrecht ausgestatteten Gewerkschaften und nicht die als Verhandlungspartner strukturell schwächeren Betriebsräte, weil diese gem. § 2 Abs. 1 BetrVG zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verpflichtet sind. Arbeitgeber können in den tarifüblichen Materien keine „Quasitarifverträge“ auf betrieblicher Ebene schließen und damit durch Druck auf den Betriebsrat Tarifverträge aushebeln und die für solche kollektive Regelungen berufenen Gewerkschaften ausbremsen. Das Verbot des § 77 Abs. 3 BetrVG gilt deshalb auch für solche Arbeitgeber, die wegen fehlender Mitgliedschaft im Arbeitgeberverbandselbst nicht tarifgebunden sind. Die Unzulässigkeit von Betriebsvereinbarungen in den tarifüblichen Materien der Vergütung sichert die Tarifautonomie. Soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, hat der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere in Bezug auf Entlohnungsgrundsätze und Entlohnungsmethoden. Die Vorschrift ist Spezialregelung gegenüber § 77 Abs. 3 BetrVG. Der Unterschied besteht darin, dass nach § 77 Abs. 3 BetrVG Betriebsvereinbarungen schon unzulässig sind, wenn eine tarifliche Regelung nicht besteht, die betroffene Problematik aber üblicherweise in Tarifverträgen geregelt ist. Im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen über Entlohnungsgrundsätze und Entlohnungsmethoden dagegen nur dann unzulässig, wenn die Tarifvertragsparteien die Materie tatsächlich geregelt haben. Wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, sind Betriebsvereinbarungen zu diesen Materien deshalb ohne weiteres zulässig. In allen anderen Fragen der Vergütung, insbesondere in Bezug auf die Gesamthöhe des vom Unternehmen für Vergütungen eingesetzten Budgets, besteht kein Mitbestimmungs-
126
8 Vergütung und Lohn
recht des Betriebsrats. Die Mitbestimmung bezieht sich auch nicht auf die Höhe der individuellen Vergütungen. Der Arbeitgeber allein entscheidet, – – – –
ob er über die tariflichen Vergütungen hinaus überhaupt Leistungen erbringen und welches Budget er insgesamt für welchen Personenkreis mit welchem Zweck
bereitstellen will. Das Mitbestimmungsrecht betrifft in dem vom Arbeitgeber gesetzten Rahmen nur die innerbetriebliche Verteilungsgerechtigkeit, also z. B. die Spreizung der Vergütungshöhe und die wesentlichen Grundsätze der Verteilung, insbesondere Leistungsmerkmale und das Verfahren der Leistungsermittlung. In Bezug auf die tarifgebundenen Mitarbeiter besteht im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Handlungsspielraum bezüglich übertariflicher Zuschläge und im Tarifvertrag nicht vorgesehener Leistungen wie Provisionen, Prämien, Gewinnbeteiligungen, Aktienoptionen, betriebliche Altersversorgung, Vergünstigungen beim Personaleinkauf und der Nutzung betrieblicher Einrichtungen, Arbeitgeberdarlehen, Fahrkostenzuschüsse, Job-Tickets. Für die außertariflichen Beschäftigten können die gesamten Gehaltsfindungsgrundsätze Gegenstand einer mitbestimmungspflichtigen Regelung sein. Da das Mitbestimmungsrecht nicht die Höhe des Dotierungsrahmens der außertariflichen Leistungen betrifft, sondern sich nur auf die Verteilungsgrundsätze und Verteilungsverfahren bezieht, greift zugunsten der Belegschaft § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nur dann, wenn aus Anlass von Erhöhungen der außertariflichen Leistungen durch den Arbeitgeber auch die Spielregeln der Verteilung geändert werden sollen. Verletzungen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats machen die Maßnahme des Arbeitgebers unwirksam. Der Arbeitgeber kann in einem solchen Fall erbrachte Leistungen zurückfordern. Wichtiger ist der umgekehrte Fall, dass Leistungen vom Arbeitnehmer nachgefordert werden können, wenn bei sich individuell nachteilig auswirkenden Veränderungen von betrieblichen Übungen oder Gesamtzusagen die notwendige Zustimmung des Betriebsrats nicht eingeholt worden ist.
8.6
Vergütung ohne Arbeit
Die Vergütung ist gem. § 611 BGB die Gegenleistung des Arbeitgebers für die Leistung von Diensten durch den Arbeitnehmer. Wird keine Arbeit geleistet, besteht kein Vergütungsanspruch. Grundsätzlich gilt die Regel: keine Arbeit – keine Vergütung. Dieser Grundsatz ist von zahlreichen Ausnahmen durchbrochen.
8.6.1
Erholungsurlaub
Während des Urlaubs ist gem. § 11 BUrlG ein Urlaubsentgelt in Höhe des durchschnittlichen Arbeitseinkommens der letzten 13 Wochen vor dem Urlaubsantritt zu zahlen. Die Materie ist
8.6 Vergütung ohne Arbeit
127
üblicherweise in Tarifverträgen detailliert geregelt. Das Urlaubsentgelt stellt sich vereinfacht gesehen als Weiterzahlung des üblichen Arbeitsentgelts während des Erholungsurlaubs dar. Es darf nicht verwechselt werden mit dem gesetzlich nicht geregelten Urlaubsgeld, das eine zusätzliche Gratifikation auf tariflicher, einzelvertraglicher oder freiwilliger Basis darstellt, die meist im Juli ausgezahlt wird und ähnlich wie Weihnachtsgeld einen saisonal bedingten Zusatzbedarf des Arbeitnehmers befriedigen soll.
8.6.2
Feiertage
§ 9 ArbZG verbietet die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Feiertagen. Das damit verbundene Lohnausfallrisiko wird durch § 2 EFZG beseitigt, indem der Arbeitgeber für aufgrund von gesetzlichen Feiertagen nicht geleistete Arbeit das Arbeitsentgelt zu zahlen hat, das der Arbeitnehmer ohne das Beschäftigungsverbot erzielt hätte.
8.6.3
Sonderurlaub
Sofern eine tarifvertragliche oder einzelvertragliche Regelung besteht, ist auch während des Sonderurlaubs die Vergütung zu zahlen. Natürlich kann eine Fortzahlung der Vergütung auch anlassbezogen vereinbart werden. Sonderurlaub unter Fortzahlung von Bezügen kann z. B. für die Weiterqualifizierung des Arbeitnehmers in einem Master-Studiengang gewährt werden.
8.6.4
Kurzfristige Verhinderung aus persönlichen Gründen
Feste Arbeitszeiten im Zehn- oder Zwölf-Stundentag einschließlich Samstag führten zur Zeit der Entstehung des BGB notwendig zu Kollisionen der Arbeitsverpflichtung mit Arbeitsunfähigkeit und anderen unabweisbaren gesetzlichen oder persönlichen Verpflichtungen des Arbeitnehmers. Da bei langfristigen Arbeitsverhältnissen kein Arbeitgeber erwarten kann, dass an jedem Arbeitstag auch Arbeit geleistet werden kann, löst § 616 BGB die Problematik zugunsten des Arbeitnehmers. Ein gewisser „Schwund“ der realen Arbeitsleistung gegenüber der vollen vertraglich vereinbarten Arbeitszeit ist als Betriebsrisiko vom Arbeitgeber einzuplanen und zu tragen. Der Anwendungsbereich des § 616 BGB hat sich dadurch reduziert, dass der Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit umfassend durch das EFZG geregelt ist und für die meisten übrigen Fälle Tarifverträge spezielle Vorschriften enthalten. Voraussetzung der Weiterzahlung von Entgelt nach § 616 Satz 1 BGB ist, dass der Arbeitnehmer an der Arbeitsleistung gehindert ist. Es muss eine Kollision mit einer anderen zeitlich gebundenen Verpflichtung bestehen, die der Arbeitnehmer nicht auflösen kann oder deren Auflösung ihm z. B. im Fall religiöser oder sittlicher Verpflichtungen nicht zuzumuten ist. Arzt-, Rechtsanwalts-, Notar-, Bank- und Behördentermine oder Handwerkerbesuche hindern nur, wenn keine Möglichkeit besteht, einen Termin außerhalb der Arbeitszeit zu vereinbaren. Flexible Arbeitszeitsysteme machen die unauflösbare Kollision von solchen Terminen mit der Pflicht zur Arbeitsleistung unwahrscheinlich.
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8 Vergütung und Lohn
Die anderweitige Verpflichtung muss ihren Grund in der Person des Arbeitnehmers haben. Objektive Gründe, die zum gleichen Zeitpunkt eine Vielzahl von Arbeitnehmern betreffen (Verspätungen oder Ausfall von ÖPNV, Verkehrschaos aufgrund von Schnee und Eis oder Baustellen), sind von § 616 BGB nicht erfasst. Als in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe werden andererseits auch Ereignisse anerkannt, die nicht den Arbeitnehmer selbst, sondern ihm nahe stehende Personen, insbesondere Familienangehörige, betreffen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift betrifft neben der eigenen Hochzeit die herausragenden Lebensereignisse wichtiger Bezugspersonen wie die Geburt der eigenen Kinder, deren Einschulungs- und Schulentlassungsfeiern, runde Geburtstage, Eheschließungsjubiläen, schwere Erkrankungen und Todesfälle naher Angehöriger, eingetragener Lebenspartner oder anderer nahe stehender Personen, denen gegenüber eine besondere soziale Verpflichtung des Arbeitnehmers besteht. Der Entgeltanspruch besteht nicht, wenn die zeitliche Kollision vom Arbeitnehmer verschuldet ist. Es gelten für die Feststellung des Verschuldens die gleichen Grundsätze wie in § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (s. u. S.128). Nach § 616 BGB setzt der Entgeltanspruch schließlich voraus, dass das Ereignis eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Zu bewerten ist das Verhältnis der Dauer der Verhinderung und Umfang und Dauer des Arbeitsverhältnisses. Bei schon lange Zeit bestehenden unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnissen können auch mehrere Tage noch als „nicht erheblich“ angesehen werden. Wird dieser Zeitrahmen jedoch überschritten, entfällt jeglicher Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Vergütungszahlung. Es muss für die gesamte notwendige Zeit Urlaub genommen werden. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen von kurzer Dauer können dagegen schon kurze Ausfallzeiten unverhältnismäßig sein, so dass kein Entgeltanspruch für die versäumte Arbeitszeit besteht.
8.6.5
Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit
Ein wesentlicher sozialer Mindeststandard für Arbeitsverhältnisse ist die Lohnfortzahlung bzw. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Anspruchsvoraussetzung ist zunächst gem. § 3 Abs. 3 EFZG, dass das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen bestanden hat. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG muss der Arbeitnehmer außer Stande sein, die ihm obliegende Arbeit durchzuführen, also arbeitsunfähig sein. Dabei kommt es auf die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete konkrete Leistung an. Eine Fußverletzung führt nicht notwendig zur Arbeitsunfähigkeit, wenn die geschuldete Tätigkeit am Schreibtisch stattfindet. Eine Verletzung des kleinen linken Fingers führt bei einem Violinisten zur Arbeitsunfähigkeit, bei den meisten anderen Tätigkeiten nicht. Die Arbeitsunfähigkeit muss auf eine Krankheit zurückzuführen sein. Krankheit ist jeder regelwidrige, der Heilbehandlung bedürftige körperliche oder geistige Zustand. Der morgendliche Kater nach übermäßigem Alkoholkonsum ist keine Krankheit, da er zwar ein regelwidriger körperlicher Zustand ist, jedoch in aller Regel keiner Heilbehandlung bedarf. Besteht in einem Betrieb ein absolutes Alkoholverbot, führt ein Restalkoholgehalt im Blut zum Zeitpunkt des Arbeitsantritts zur Arbeitsunfähigkeit, weil der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeit nicht verrichten darf. Entgeltfortzahlung kommt aber nicht in Betracht, weil der Restalkohol ohne Heilbehandlung abgebaut wird. Es liegt keine Erkrankung vor.
8.6 Vergütung ohne Arbeit
129
Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgeschlossen, wenn den Arbeitnehmer ein Verschulden an dem Entstehen der Krankheit und damit an der Arbeitsunfähigkeit trifft. Gem. § 276 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Der Arbeitnehmer würde seinen Lohnfortzahlungsanspruch nach dieser Vorschrift schon verlieren, wenn ihn an der Erkrankung ein leichtes Verschulden trifft. Der Arbeitnehmer ist gegenüber dem Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrags aber nicht zu einem Lebenswandel verpflichtet, der das Risiko von Erkrankungen so weit reduziert, dass nur noch für den Arbeitnehmer unvermeidbare, schicksalhafte Erkrankungen auftreten. Der Arbeitnehmer darf seine Freizeit nach eigenem Gutdünken gestalten. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG sanktioniert nur ein Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne eines Verschulden gegen sich selbst. Eine Krankheit schließt deshalb den Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann aus, wenn der Arbeitnehmer grob gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Beispiele sind der Rückfall nach einer Alkoholentzugsbehandlung, Verletzungen bei einer vom Arbeitnehmer provozierten Schlägerei oder aufgrund eines Unfalls bei einem Autorennen auf öffentlichen Straßen. Verletzungen bei der Teilnahme an verletzungsträchtigen bzw. sog. gefährlichen Sportarten (Boxen, Fallschirmspringen, Sporttauchen, Motorradrennen), beruhen nicht auf einem Verschulden gegen sich selbst, wenn der Arbeitnehmer sich durch eine sachgerechte Ausbildung auf die Ausübung der Sportart vorbereitet hat. Ein Massenphänomen ist die Lohnfortzahlung für Verletzungen bei „Trendsportarten“ ohnehin nicht; die meisten Verletzungen sind auf Allerweltssportarten wie Fußball und andere Mannschaftsballspiele zurückzuführen. Gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Unmittelbare Folgen hat die Verletzung dieser Pflicht nicht. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bleibt unberührt. Dauert die Erkrankung länger als drei Kalendertage, ist sie gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG durch Vorlage eines ärztliches Attest am darauf folgenden Arbeitstag zu belegen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG kann der Arbeitgeber die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung auch früher verlangen, muss dafür aber im Einzelfall besondere Gründe wie z. B. häufige Kurzerkrankungen unmittelbar vor oder nach Wochenenden oder Feiertagen vorweisen. Mit Zustimmung des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) ist auch eine allgemeine Regelung möglich, dass ein Attest früher als nach EFZG erforderlich vorzulegen ist. Nach dem sog. Beweis des ersten Anscheins ist die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit mit der Vorlage des Attestes nachgewiesen, auch wenn das Attest weder Befund (welche Regelwidrigkeiten hat der Arzt festgestellt) noch Diagnose (welchem systematischen Krankheitsbild ordnet der Arzt den Befund zu) enthält. Dieser Beweis des ersten Anscheins kann vom Arbeitgeber durch den Beweis von Indizien erschüttert werden, die gegen das Vorliegen einer Krankheit bzw. gegen Arbeitsunfähigkeit sprechen. Möglich wird dem Arbeitgeber der Beweis in der Regel durch Petzen von Kollegen oder durch öffentlich wahrnehmbares Verhalten des Arbeitnehmers. Wer als Handwerker krankgeschrieben ist, sollte es vermeiden auf der Baustelle des Nachbarn gesehen zu werden. Gilt der Beweis des ersten Anscheins nicht mehr, muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit beweisen. Das wird schwierig, wenn er – weil innerhalb der Dreitagefrist – einen Arzt nicht aufgesucht hat. War der Arbeitnehmer beim Arzt, bleibt meist nur die Möglich-
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8 Vergütung und Lohn
keit, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden und Befund und Diagnose gegenüber dem Arbeitgeber offenzulegen. Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit, kann er die Stichhaltigkeit des ärztlichen Attestes gem. § 275 SGB Fünftes Buch durch den Medizinischen Dienst der gesetzlichen Krankenkassen prüfen lassen. Der medizinische Dienst stellt fest, ob Arbeitsunfähigkeit gegeben ist und teilt das Ergebnis, nicht aber die Art der Krankheit dem Arbeitgeber mit (§ 277 SGB Fünftes Buch). Dieses Vorgehen setzt voraus, dass der Arbeitnehmer bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist. Private Krankenversicherungen sind zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts nicht verpflichtet und zu Auskünften gegenüber einem Arbeitgeber ohne Einwilligung des Versicherten auch nicht berechtigt. Bei Fortsetzungskrankheiten, d. h. von Zeiten der Arbeitsfähigkeit unterbrochene Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund derselben Erkrankung, ist der Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beschränkt. Da der Arbeitgeber die Diagnose nicht erfährt, ist er darauf angewiesen, den Mitteilungen der Krankenkasse über die Dauer des Entgeltfortzahlungszeitraums zu glauben. Nur wenn er den Beweis des ersten Anscheins durch entsprechende Indizien erschüttern kann, muss der Arbeitnehmer näheres zur Krankheit offen legen. Nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsfrist erhält der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Arbeitnehmer gem. §§ 44, 47 SGB Fünftes Buch Krankengeld von max. 90% des letzten Nettoentgeltes. Berücksichtigt wird nur das sozialversicherungspflichtige Entgelt; über der Beitragsbemessungsgrenze liegendes Einkommen ist ebenso wenig durch Krankengeld abgesichert, wie das Einkommen derjenigen, die sich für eine private Krankenversicherung entschieden haben, weil die Vergütung die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet und sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschieden sind. Das Risiko des Einkommensausfalls kann in diesen Fällen nur durch eine Krankentagegeldversicherung abgesichert werden. In Tarifverträgen wird häufig geregelt, dass der Arbeitgeber einen Zuschuss zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenkasse zahlt und damit dem Arbeitnehmer auch bei sechs Wochen überschreitenden Erkrankungen ein Einkommen in Höhe des letzten Nettoverdienstes sichert.
8.6.6
Mutterschutz
Schwangere dürfen gem. § 3 MuSchG in den letzten sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin und gem. § 6 MuSchG acht Wochen nach dem Entbindungstermin bzw. zwölf Wochen bei Früh- und Mehrlingsgeburten nicht beschäftigt werden. Für die Zeit der Beschäftigungsverbote erhalten die gesetzlich krankenversicherten Frauen gem. § 13 MuSchG Mutterschaftsgeld. Der Arbeitgeber zahlt gem. § 11 MuSchG die Differenz zum letzten Durchschnittsverdienst. Bei privat versicherten Müttern zahlt der Arbeitgeber die Vergütung weiter.
8.6.7
Annahmeverzug des Arbeitgebers
Trotz Nichtleistung von Arbeit behält der Arbeitnehmer gem. § 615 Satz 1 BGB seinen Vergütungsanspruch, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug ist.
8.6 Vergütung ohne Arbeit
131
§ 615 Satz 1 BGB bestimmt ausdrücklich, dass die nicht geleistete Arbeitszeit nicht nachgeholt werden muss. Der Arbeitgeber kommt als Gläubiger der Arbeitsleistung gem. § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Auf ein Verschulden kommt es nicht an. Voraussetzung des Vergütungsanspruchs ist jedoch ein ordnungsgemäßes Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Dieser muss gem. § 294 BGB die Leistung so anbieten, wie sie geschuldet wird: Im ungekündigten Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer seine Leistung durch Erscheinen am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise anbieten. Hat der Arbeitgeber, die Annahme der Arbeitsleistung abgelehnt (das kommt schon in der Kündigung hinreichend zum Ausdruck), genügt ein sog. wörtliches Angebot des Arbeitnehmers. § 295 BGB lässt es in einem solchen Fall für das Angebot genügen, dass der Schuldner seine Leistungsbereitschaft verbal erklärt; der Arbeitnehmer muss also nicht persönlich beim Arbeitgeber erscheinen. Vollkommen ohne Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer kommt der Arbeitgeber im Fall des § 296 BGB in Annahmeverzug, wenn dieser die Annahme der Arbeitsleistung nicht ablehnt, er es aber auch versäumt, in Ausübung seines Weisungsrechts nach § 106 GewO dem Arbeitnehmer eine konkrete Tätigkeit zu einer bestimmten Zeit und einen bestimmten Arbeitsort zuzuweisen. Ohne diese Handlungen kann der Arbeitnehmer keine Leistung erbringen. Nach Ablauf der Kündigungsfrist einer arbeitgeberseitigen Kündigung wird der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis als beendet betrachten. Versucht der Arbeitnehmer jedoch seinen Arbeitsplatz zu erhalten und geht gerichtlich gegen die Kündigung vor, führt die erfolgreiche Klage dazu, dass das Arbeitsverhältnis durch die arbeitgeberseitige Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Wiederaufnahme der Arbeit setzt der Vergütungsanspruch gem. § 615 BGB voraus, dass der Arbeitgeber auch während der Dauer des Rechtsstreits im Annahmeverzug gewesen ist. Die im Arbeitsverhältnis bestehenden Zuweisungen sind aufgrund der arbeitgeberseitigen Kündigung beendet und unwirksam. Der Arbeitnehmer kann deshalb ohne neue Ausübung des Weisungsrechts nicht wissen, was er wann und wo tun soll. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist täglich auszuüben, also auch dem Kalender nach bestimmt, so dass alle Voraussetzungen des § 296 BGB erfüllt sind. Die Folge ist, dass weder ein tatsächliches noch ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers notwendig sind, um den Annahmeverzug des Arbeitgebers herbeizuführen. Der Annahmeverzug setzt allerdings voraus, dass die Leistung überhaupt möglich ist. Die Regelungen des BGB über den Verzug sind auf den Fall zugeschnitten, dass die Leistung zwar nicht zum richtigen Zeitpunkt erbracht werden kann, zu einem späteren Zeitpunkt aber nachholbar ist. Kann die Leistung objektiv von keiner Person mehr erbracht werden, liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor, für den vom Fall des Verzuges abweichende Rechtsfolgen vorgesehen sind. Annahmeverzug des Arbeitgebers tritt deshalb dann nicht ein, wenn der Arbeitnehmer selbst nicht leistungsfähig und leistungsbereit ist. Leistungsfähigkeit fehlt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig ist bzw. aufgrund betriebsinterner (Restalkohol bei absolutem Alkoholverbot) oder allgemeiner, öffentlich-rechtlicher Vorschriften (Fehlen oder Verlust von Aufenthalts-, Arbeits-, Fahrerlaubnis, ärztlicher Approbation) die geschuldete Tätigkeit nicht verrichten darf.
132
8 Vergütung und Lohn
Während des Annahmeverzuges hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung in gleicher Höhe, als wenn er gearbeitet hätte. Für entgangene Sachbezüge ist Schadensersatz in Geld zu leisten. Nach § 615 Satz 2 BGB werden auf den Anspruch ersparte Aufwendungen (z. B. Fahrtkosten für den Weg zum Arbeitsplatz) und ein tatsächlich erzielter anderweitiger Verdienst angerechnet. Der Gedanke der Schadensminderungspflicht findet seinen Ausdruck in der Regelung, dass auch ein Verdienst angerechnet wird, den zu erzielen der Arbeitnehmer böswillig unterlassen hat. Böswilligkeit setzt keine Absicht voraus, den Arbeitgeber zu schädigen. Böswillig handelt aber, wer eine ihm bekannte Gelegenheit zu zumutbarer Arbeit nicht aufgreift. Besondere Anstrengungen, Arbeit zu finden, werden dabei ebenso wenig verlangt, wie eine Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit. Der Arbeitnehmer muss sich nicht aktiv um einen neuen Arbeitsplatz kümmern, solange er davon ausgeht, dass er auf seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren wird. Die Unzumutbarkeit einer Arbeit kann sich aus der Art der Arbeit, den damit verbundenen Arbeitsbedingungen oder der Person des möglichen Arbeitgebers ergeben. Die Schwelle der Unzumutbarkeit ist im Rahmen von § 615 BGB deutlich höher als im Sozialrecht bei der Möglichkeit angebotene Arbeit abzulehnen, um Arbeitslosigkeit zu beenden. Der Arbeitnehmer, der seinen Arbeitgeber in Annahmeverzug gesetzt hat, ist nicht verpflichtet, dessen Interesse an einer Reduzierung des Vergütungsanspruchs durch Aufnahme inadäquater Arbeit zu wahren. Das stellt sich im Sozialrecht anders dar, weil es darum geht, dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einer zügigen Wiederaufnahme von Arbeit statt Verlängerung der Leistungsgewährung Nachdruck zu verleihen.
8.6.8
Unmöglichkeit der Arbeitsleistung (Betriebsrisiko)
Beim Annahmeverzug des Arbeitgebers kann die Arbeitsleistung prinzipiell durchaus erbracht werden, bei der Unmöglichkeit ist dies nicht mehr der Fall. Die Arbeitsleistung kann unmöglich sein, aufgrund – –
–
technischer Störungen (Ausfall der Heizung im Winter, Brand, Rohrleitungsbruch), rechtlicher Hindernisse (Stilllegung der Produktionsanlage durch behördliche Anordnung, Verweigerung der Zustimmung zur Eingliederung des Arbeitnehmers durch den Betriebsrat) oder aufgrund Störungen der Logistikkette (fehlende Zulieferteile oder Rohstoffe, überfüllte Auslieferungslager).
Gem. § 275 Abs. 1 BGB wird der Arbeitnehmer infolge der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Seine Rechte als Gläubiger der Vergütung folgen aus §§ 275 Abs. 4, 326 Abs.2 BGB. Ist der Arbeitgeber für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung allein oder überwiegend verantwortlich, hat er also vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt (vgl. § 276 BGB), behält der Arbeitnehmer den Vergütungsanspruch, obwohl er die Arbeit nicht mehr zu leisten braucht. Er muss sich aber gem. § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Nichtleistung an Aufwendungen erspart hat, durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft tatsächlich erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Der Vergütungsanspruch wird also wie beim Annahmeverzug des Arbeitgebers gemindert.
8.7 Vergütung und Arbeitskampf
133
§ 615 Satz 3 BGB dehnt die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der Vergütung auf den Fall aus, dass die Unmöglichkeit weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu vertreten ist, also zufällig eintritt. Es wäre unangemessen, dem Arbeitnehmer in einem solchen Fall um den Vergütungsanspruch zu bringen, da er den Betriebsablauf nicht organisiert und deshalb keinerlei Vorsorge für den Fall von Störungen treffen kann. Der Arbeitgeber darf den Gewinn behalten und soll deshalb auch das Betriebsrisiko tragen. Der Arbeitnehmer wird damit rechtlich anderen Zulieferern gleichgestellt, deren Vergütungsanspruch für z. B. gelieferte Waren auch davon unabhängig ist, ob die Produktionsanlagen noch existieren oder betriebsfähig sind, auf denen die Vorprodukte weiterverarbeitet werden sollten. Für die Höhe des Vergütungsanspruchs verweist § 615 Satz 3 BGB auf Satz 1 und 2 der Vorschrift. Es gelten die gleichen Regeln wie beim Annahmeverzug. Die Vergütungsansprüche dürfen bei nicht vom Arbeitgeber verschuldeter Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nach der Rechtsprechung des BAG (9.3.1983 NJW 1983, S. 2159) nicht zur Insolvenz des betroffenen Unternehmens führen. In einem solchen Fall reduzieren sich die Vergütungsansprüche auf einen Umfang, der die Insolvenz vermeidet. Eine weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer verschuldete Unmöglichkeit der Arbeitsleistung tritt auch ein, wenn die Logistikkette durch streikbedingte Produktionsstörungen bei Zulieferern gestört wird. Ist die Stilllegung des Betriebs Folge eines Arbeitskampfes in einem anderen Betrieb, besteht entgegen dem Wortlaut des § 615 Satz 3 BGB kein Vergütungsanspruch, weil die Betriebsstörung der Arbeitnehmersphäre zugerechnet wird (s. u. S. 137f.). Hat der Arbeitnehmer die Störung allein oder überwiegend verschuldet entfällt der Vergütungsanspruch, weil zu seinen Gunsten weder § 615 BGB noch § 326 BGB eingreifen.
8.7
Vergütung und Arbeitskampf
Die Folgen eines Arbeitskampfes für die Arbeitsverhältnisse sind gesetzlich nicht geregelt. Das Arbeitskampfrecht wäre ein Kernstück eines Arbeitsgesetzbuches. Ein politischer Konsens scheint in dieser Frage nicht möglich, so dass der Eindruck entsteht, als könnten die Kontrahenten mit dem gegenwärtigen Zustand eines im Wesentlichen durch richterliche Rechtsfortbildung geprägten Arbeitskampfrechts gut leben. Fest steht, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG das Recht der Koalitionen zu koalitionsgemäßer Betätigung einschließlich des Rechts zum Arbeitskampf und damit für die Koalitionen der Arbeitnehmerseite das Recht zum Streik, für die Arbeitgeberseite das Recht zur Aussperrung beinhaltet. Mit dem Streik verweigern die Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung, mit der Aussperrung weigert sich der Arbeitgeber, eine ihm angebotene Arbeitsleistung anzunehmen.
134
8.7.1
8 Vergütung und Lohn
Voraussetzungen zulässiger Arbeitskämpfe
Arbeitskämpfe bestehen in einer Störung der Arbeitsbeziehungen, die von einer Vielzahl von Arbeitnehmern oder von dem Arbeitgeber ausgeht. Arbeitskämpfe sind nur dann gegeben, wenn auf Arbeitnehmerseite nicht nur einzelne Personen die Arbeit niederlegen, sondern kollektiv die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung verweigert, also gestreikt wird. Solange die geschuldete Leistung wie beim „Bummelstreik“ oder „Dienst nach Vorschrift“ tatsächlich noch erbracht wird, findet kein Arbeitskampf statt. Es werden vielmehr u. U. arbeitsvertragliche Leistungspflichten individuell verletzt. Der Arbeitgeber führt einen Arbeitskampf, wenn er einer Mehrzahl von Arbeitnehmern trotz Beschäftigungsmöglichkeit die Beschäftigung und die Vergütungszahlung verweigert. Während die kollektive Störung der Arbeitsbeziehung durch die Arbeitnehmerseite früher grundsätzlich als Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten angesehen wurde, stellt der zulässige Arbeitskampf nach heutiger allgemeiner Ansicht aufgrund Art. 9 Abs. 3 GG ein grundsätzlich rechtmäßiges Verhalten dar. Da das Recht zum Arbeitskampf aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet wird, ist der Arbeitskampf ausschließlich zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen zulässig. Das Ziel des Arbeitskampfes muss sich deshalb auf Materien beziehen, die in einem Tarifvertrag geregelt werden können. Politische Streiks, die Druck auf den Gesetzgeber ausüben sollen sind von Art. 9 Abs. 3 GG nicht gedeckt und deshalb eine rechtswidrige Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Das gleiche gilt für Sympathiestreiks zur Unterstützung eines Arbeitskampfs in einer anderen Branche, denn es geht den Streikenden in so einem Fall nicht um die eigenen Arbeitsbedingungen. Arbeitskampfmaßnahmen sind auch nur insoweit zulässig, als Druck auf die andere Tarifvertragspartei ausgeübt wird. Straßenblockaden streikender LKWFahrer üben Druck nicht auf den Arbeitgeber, sondern auf die Allgemeinheit aus und sind deshalb rechtswidrig. Da das zulässige Ziel eines Arbeitskampfes ausschließlich darin besteht, die Gegenseite zum Abschluss eines Tarifvertrags zu veranlassen, bleiben Arbeitskampfmaßnahmen nicht tariffähiger Organisationen und der nicht von einer Organisation getragene Spontanstreik, auch „wilder Streik“ genannt, rechtswidrige Verletzungen des Arbeitsvertrags. Teilnehmer an sog. wilden Streiks ohne Gewerkschaftsbeteiligung verletzen ihre vertragliche Verpflichtung, Arbeit zu leisten. Dies stellt grundsätzlich einen Kündigungsgrund dar. Wilde Streiks können jedoch von Gewerkschaften übernommen und dadurch legalisiert werden. Wesentlicher Bestandteil der Tarifautonomie ist es, dass die Tarifvertragsparteien die Arbeitsbedingungen für einen gewissen Zeitraum verbindlich regeln. Die Vertragsparteien eines Tarifvertrags verpflichten sich mit dem Vertragsabschluss für die Dauer des Tarifvertrags, Arbeitskampfmaßnahmen zu unterlassen, die im Tarifvertrag geregelte Materien betreffen. Dem Tarifvertrag ist für seine Laufzeit eine Friedenspflicht immanent. Diese begrenzt auch die Möglichkeiten der Gewerkschaften wilde Streiks zu übernehmen. Die Friedenspflicht verbietet während der Laufzeit des Tarifvertrags auch kurzfristige Arbeitsniederlegungen, sog. Warnstreiks, die Tarifverhandlungen begleitend die Kampfbereitschaft der Arbeitnehmerseite demonstrieren sollen.
8.7 Vergütung und Arbeitskampf
135
Nach der Rechtsprechung des BAG (21.4.1971 BAGE S. 292, 306 ff.) sind grundsätzlich zulässige Arbeitskampfmaßnahmen aufgrund Art. 9 Abs. 3 GG dann nicht mehr rechtmäßig, wenn die Störung der Arbeitsbeziehungen unverhältnismäßig ist. Der Arbeitskampf muss zur Verfolgung rechtmäßiger Kampfziele geeignet und erforderlich sein. Die Art und Weise der Führung des Arbeitskampfes muss außerdem in einem angemessenen Verhältnis zu den – insbesondere wirtschaftlichen– Folgen für die Gegenseite und die Allgemeinheit stehen. Dass Arbeitskampfmaßnahmen geeignet sind, tarifpolitische Ziele durchzusetzen, steht in aller Regel außer Frage. Ein Arbeitskampf ist allerdings erst dann zur Durchsetzung tarifpolitischer Ziele erforderlich, wenn feststeht, dass eine Verständigung im Rahmen von Verhandlungen nicht zustande gekommen ist, die Verhandlungen also gescheitert sind. Der Streik gilt als ultima ratio, als das letzte Mittel zur Bewältigung von Tarifkonflikten. Eine Gewerkschaft darf deshalb unabhängig von einer tarifvertragliche Friedenspflicht einen Streik erst dann einleiten, wenn sie ihre Forderungen der Gegenseite mitgeteilt hat und Verhandlungen stattgefunden haben, es sei denn, dass die Arbeitgeberseite Verhandlungen über die Forderungen von vornherein abgelehnt hat. Die Gewerkschaft ist jedoch nicht gehindert, Verhandlungen schon nach kurzer Zeit und nach eher symbolischem Verlauf für gescheitert zu halten und erste Kampfmaßnahmen einzuleiten. Einer ausdrücklichen Erklärung, des Scheiterns der Verhandlungen gegenüber der Arbeitgeberseite bedarf es nicht. Eine solche Erklärung liegt schon im Streikaufruf selbst. Der Grundsatz der Proportionalität bzw. Angemessenheit der Gestaltung des Arbeitskampfes hat in der Vergangenheit vor allem für die Beurteilung der Zulässigkeit von Aussperrungen, also für Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeber eine Rolle gespielt. Das BAG geht davon aus, dass ein Interessenausgleich im Rahmen der Tarifautonomie nicht zustande kommen kann, wenn eine Seite aufgrund ihrer Überlegenheit die von der anderen Seite eingeleiteten Maßnahmen durch eigene Arbeitskampfmaßnahmen wirkungslos machen kann. Ein Funktionieren der Tarifautonomie setzt in etwa gleich starke Gegner, also Kampfparität voraus. Der Streik als gewerkschaftliche Kampfmaßnahme ist dabei unproblematisch, denn erst die Möglichkeit eines rechtmäßigen Streiks setzt die Arbeitnehmerseite überhaupt in die Lage, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Erst Existenz des Streikrechts stellt die Kampfparität zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite her. Sie kann das Gleichgewicht im Arbeitskampf auf keinem Fall stören. Aussperrungen durch die Arbeitgeber werden im Fall der sog. Angriffsaussperrung als unverhältnismäßige Störung der Kampfparität angesehen, da der Gewerkschaft ein von dieser nicht gewollter Arbeitskampf mit allen ökonomischen Folgen (Streikgeld für ausgesperrte Mitglieder) aufgezwungen wird. Aussperrungen sind deshalb in der Regel nur als Reaktion auf gewerkschaftliche Streiks in Gestalt der sog. Abwehraussperrung zulässig. Das BAG beschränkt zur Wahrung der Kampfparität zusätzlich die Möglichkeiten der Abwehraussperrung (10.6.1980 BAGE 33, S. 140, 174; 185, 195). Die Aussperrung muss auch als Reaktion auf einen Streik die Proportionen des Arbeitskampfes wahren. Unzulässig sind bundesweite Aussperrungen als Reaktion auf regionale Streiks oder mehrtägige Aussperrungen als Reaktion auf Arbeitsniederlegungen von kurzer Dauer (eine Stunde). Selbst dem planmäßigen Ausweiten eines Arbeitskampfes in den vom Tarifkonflikt betroffenen Betrieben werden durch den Grundsatz der Proportionalität von Kampfmaßnahmen Grenzen gezo-
136
8 Vergütung und Lohn
gen. Während die Gewerkschaft in der Regel zunächst versuchen wird, zur Schonung der Streikkasse einen Massenstreik zu vermeiden und nur eine kleine Zahl von Mitgliedern in Schlüsselbetrieben zum Streik aufzurufen, könnte die Arbeitgeberseite diese Strategie durchkreuzen und mit der Aussperrung von Arbeitnehmern die Gewerkschaften zu deutlich höheren Aufwendungen zwingen, weil nicht nur an die zum Streik aufgerufenen, sondern auch an die ausgesperrten Mitglieder Leistungen (Streikgeld) erbracht werden müssen. Werden jedoch weniger als 25% der Arbeitnehmer im Tarifgebiet zum Streik aufgerufen, dürfen nach dem BAG höchstens weitere 25% ausgesperrt werden. Werden bis zu 50% der Arbeitnehmer des Tarifgebiets zum Streik aufgerufen, dürfen höchstens 50% der Arbeitnehmer ausgesperrt werden. Sollen mehr als 50% der Arbeitnehmer des Tarifgebiets streiken, ist eine weitergehende Abwehraussperrung unzulässig. Nur unscharfe Konturen hat der Grundsatz der Proportionalität der Arbeitskampfmaßnahmen in Bezug auf Gemeinwohlbelange. Die Gewerkschaft ist verpflichtet auch während des Arbeitskampfes eine Mindestversorgung der Gesellschaft mit Basisdienstleistungen sicherzustellen. In der medizinischen Versorgung müssen nicht aufschiebbare Operationen und Behandlungen gewährleistet sein, Energie- und Wasserversorgung dürfen nur in engen Grenzen eingeschränkt werden. Die Einzelheiten sind wenig geklärt, weil die bisherigen Arbeitskämpfe in Deutschland dazu wenig Anlass gegeben haben. Unterhalb der Schwelle zum Arbeitskampf bleibt die sog. Stilllegung des Betriebs. Legt aufgrund eines Streikaufrufs der Gewerkschaft ein Teil der Belegschaft eines Betriebes die Arbeit nieder, gesteht das BAG dem streikbetroffenen Arbeitgeber das Recht zu, den Betrieb stillzulegen, auch wenn eine Fortsetzung des Betriebs technisch und organisatorisch möglich wäre (22.3.1994 BAGE 76, S. 196, 202). Die Nähe der Maßnahme zur Aussperrung ist unverkennbar. Es handelt sich nach dem BAG jedoch nicht um eine Arbeitskampfmaßnahme, weil der Arbeitgeber sich darauf beschränkt, das mit dem Streik verfolgte Ziel, nämlich die Stilllegung der Produktion zu akzeptieren. Der Gewerkschaft wird keine unproportionale Ausweitung des Arbeitskampfes aufgezwungen, denn mit der Zahlung von Streikunterstützung an die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer musste sie rechnen. Nachteile tragen allein die nicht organisierten Belegschaftsmitglieder, die für die Zeit der Betriebsstilllegung ihren Vergütungsanspruch verlieren und als Nichtgewerkschaftsmitglieder kein Streikgeld bekommen. Teil des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist schließlich das Gebot fairer Kampfführung. Die Teilnahme am Streik muss freiwillig sein. Arbeitswillige dürfen nicht gehindert werden, den Betrieb zu betreten und zu arbeiten. Es ist andererseits nicht unfair, dass der Arbeitgeber die Arbeitsbereitschaft durch besondere Prämien für Streikbrecher zu erhöhen versucht. Gewährt der Arbeitgeber für die Nichtteilnahme am Streik während des Arbeitskampfes besondere Leistungen, besteht für Streikteilnehmer kein Anspruch auf diese Leistungen. Es liegt auch keine gem. § 612a BGB verbotene Maßregelung vor, sondern eine zulässige Arbeitskampfmaßnahme, da der Arbeitgeber schließlich nicht gehindert wäre, neue Arbeitnehmer zur Aufrechterhaltung des Betriebes einzustellen. Wichtiger ist, dass auch im Fall eines Arbeitskampfes darauf Rücksicht genommen wird, dass Streik und Aussperrung nur eine Episode in der Rechtsbeziehung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellen. Auch während eines Arbeitskampfes müssen die Arbeitnehmer sich an den notwendigen Maßnahmen beteiligen,
8.7 Vergütung und Arbeitskampf
137
die einer Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Betriebes und einer schnellen Wiederaufnahme der Arbeit nach Ende des Arbeitskampfes dienen.
8.7.2
Auswirkungen auf das einzelne Arbeitsverhältnis
Die Verweigerung der geschuldeten Leistungen stellt in einem zulässigen Arbeitskampf keinen Vertragsbruch dar. Die Hauptpflichten eines Arbeitsvertrags sind während der Dauer von Arbeitskampfmaßnahmen suspendiert. Es besteht keine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung, aber auch keine Pflicht des Arbeitgebers, Vergütung zu zahlen. Alle übrigen Pflichten des Arbeitsverhältnisses (Schweigepflicht, Wettbewerbsverbot, Bestechlichkeitsverbot usw.) bleiben bestehen. Nach Beendigung des Streiks lebt das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten wieder auf. Ab diesem Zeitpunkt greift auch wieder das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB. Streikteilnehmer dürfen nicht mehr durch besondere Leistungen für Streikbrecher benachteiligt werden. Im Zuge eines Arbeitskampfes können sich Beschäftigungsprobleme für Mitarbeiter ergeben, die nicht selbst am Streik teilnehmen. Innerhalb des bestreikten Unternehmens kann der Betriebsablauf so gestört sein, dass er sich nicht mehr sinnvoll aufrechterhalten lässt, die Annahme der Arbeitsleistung der arbeitsbereiten Arbeitnehmer also unmöglich wird. Obwohl nach § 615 Satz 3 BGB der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt und bei Betriebsstörungen die Vergütung weiterzahlen müsste, wird er bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen von dieser Pflicht befreit, um die Kampfparität zu erhalten. Die streikbedingte Betriebsstörung findet ihre Ursache in der Arbeitnehmersphäre, der Arbeitgeber wird in dieser Lage von seinem Betriebsrisiko befreit. Störungen in der Logistikkette führen zu Betriebsstörungen auch in nicht bestreikten Unternehmen. Kann der Betrieb nicht mehr aufrechterhalten werden, gilt grundsätzlich auch hier § 615 Satz 3 BGB. Die Vergütungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer hängen davon ab, ob die Störung noch dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zuzurechnen ist oder ob durch die Verpflichtung zur Vergütungszahlung trotz Unmöglichkeit der Arbeitsleistung die Kampfparität gestört wird. Wenn das betroffene Unternehmen demselben Arbeitgeberverband angehört, der in die Arbeitskampfmaßnahmen verwickelt ist, oder einem Verband, der mit diesem Arbeitgeberverband eng verbunden ist, oder wenn es um einen Pilotabschluss geht, der in dem betroffenen Betrieb übernommen werden soll, werden die betroffenen Arbeitnehmer vom Erfolg des Arbeitskampfes profitieren. Die Störung wird deshalb der Arbeitnehmersphäre zugerechnet und der Vergütungsanspruch entfällt. Fernwirkungen eines Arbeitskampfes in unbeteiligte Branchen sind dagegen weiterhin Bestandteil des Risikos des Arbeitgebers. Melden sich Mitarbeiter arbeitslos, die aufgrund von Arbeitskampfmaßnahmen nicht weiterarbeiten können, darf wegen der staatlichen Neutralitätspflicht die Kampfparität auch nicht durch Lohnersatzleistungen der Bundesagentur für Arbeit gestört werden. Die damit verbundenen Probleme regelt § 146 Abs. 3 SGB Drittes Buch. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht, wenn der Betrieb von dem umkämpften Tarifvertrag umfasst würde oder der Betrieb lediglich räumlich nicht umfasst ist, aber für den geltenden Tarifvertrag eine gleichartige Forderung erhoben wird und das Arbeitskampfergebnis voraussichtlich übernommen wird.
9
(Leistungs-)Beurteilung
Zunehmend häufiger setzen Unternehmen Leistungsbeurteilungsverfahren ein.
9.1
Zwecke der Leistungsbeurteilung
Vornehmlich dienen sie der Entscheidungsunterstützung im Bereich der Entgeltfindung und der Karriereplanung. Daneben werden sie auch als Feedback-Instrument für die Mitarbeitersteuerung eingesetzt, um individuelle Stärken und Schwächen zu identifizieren und zu kommunizieren und darauf aufbauend Platzierungsentscheidungen zu treffen oder die individuelle Personalentwicklungsplanung zu gestalten. Die Leistungsbeurteilungen dienen auch der Dokumentation für die Begründung personeller Entscheidung hinsichtlich rechtlicher oder tariflicher Anforderungen. Neben der Unterstützung bei mitarbeiterbezogen Entscheidungen, werden Leistungsbeurteilungen meistens in aggregierter Form auch zur Evaluation der Personalpolitik und der Feststellung des Grads der Zielerreichung eingesetzt. Dabei dienen sie sowohl zur Planung und Gestaltung der (Arbeits-)Organisation als auch zur Feststellung des Personal- und des Personalentwicklungsbedarfs. Und nicht zuletzt sind Leistungsbeurteilungen ein Machtmittel, um die betriebliche Autoritätsstruktur aufrecht zu erhalten. Bei der Einführung von Leistungsbeurteilungssystemen sind Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Die Aufstellung (und Änderung) allgemeiner Beurteilungsgrundsätze bedarf gem. § 94 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Soweit Leistungen mit technischen Einrichtungen erfasst werden sollen, ist das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beachten. Auch für die Festlegung der Parameter leistungsbezogener Entgelte als logischer Konsequenz von Leistungsbeurteilungen ist gem. § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats notwendig. Der einzelne Arbeitnehmer kann gem. § 82 Abs. 2 BetrVG verlangen, dass die Beurteilung seiner Leistungen und seine Entwicklungsperspektiven im Betrieb mit ihm erörtert werden. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Er kann zu Leistungsbeurteilungen, die Bestandteil der Personalakte sind, Erklärungen abgeben (§ 83 BetrVG). Leistungsbeurteilungen können auch Gegenstand einer Beschwerde nach § 84 BetrVG sein. Es gibt eine kaum zu überblickende Vielzahl von Beurteilungssystemen. Die Unterschiede sind erheblich und spiegeln die Schwierigkeiten, die mit Beurteilungen verbunden sind, wider. Beurteilungssysteme können sich auf unterschiedliche Beschreibungsebenen beziehen:
140 – – –
9 (Leistungs-)Beurteilung Sie können das Potenzial einer Person ansprechen und sind dann in der Nähe der Persönlichkeitsdiagnostik (Frau Schultheis ist belastbar), Sie können sich auf die Verhaltensebene beziehen (Frau Schultheis arbeitet auch unter Termindruck zuverlässig) und Sie können sich auf die Ergebnisebene fokussieren (Frau Schultheis hält Termine immer ein).
Häufig finden sich in Beurteilungssystemen alle drei Beschreibungsebenen. Die große Herausforderung besteht darin, die für das Unternehmen bedeutungsvollen Dimensionen zu identifizieren. Es muss in diesem Sinne eine begründbare (am besten empirisch belegte) Hypothesenkette vorliegen, die ausgehend von der Ergebnisebene sagt, dass definierte Ergebnisse an einem bestimmten Arbeitsplatz relevant sind, dass definierte Verhaltensweisen notwendig bzw. erwünscht sind, damit diese Ergebnisse erzielt werden, und dass definierte Persönlichkeitseigenschaften sich systematisch mit diesen Verhaltensweisen verbinden. Während der Aufbau einer solchen Kette noch bei sehr einfachen Aufgaben möglich scheint, ist dies bei komplexeren Aufgaben nur sehr schwer darstellbar. Z. T. bestehen schon unklare Vorstellungen über die mit einer Stelle verbundenen Aufgaben und die zu erzielenden Ziele. Zielvereinbarungen, die häufig auch in Verbindung mit Leistungsbeurteilungen eingeführt werden, geben hier häufig auch nur vage Anhaltspunkte. Oft ist es auch so, dass selbst ergebnisbezogene Ziele untereinander nicht kompatibel scheinen. So kann ein Vertriebsingenieur daran gemessen werden, möglichst viele Verträge für ein bestimmtes Produkt in einer Periode abzuschließen, gleichzeitig soll er langfristige Kundenbeziehungen aufbauen und dafür Sorge tragen, dass die Produktion gleichmäßig ausgelastet ist. Die Vorgabe, von einem Produkt eine bestimmte Menge zu verkaufen, kann dazu führen, dass die Kundenwünsche nicht ernst genommen werden und die Kunden in eine bestimmte Richtung beraten (gedrängt) werden, was mittelfristig dazu beitragen kann, dass die Kunden unzufrieden werden und sich einen anderen Lieferanten suchen, was dem Ergebnisziel Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen widerspricht. Eine vertragsabschlussfördernde Zusage, dass das Produkt kurzfristig geliefert werden kann, führt nicht selten zu Kapazitätsengpässen in der Produktion und widerspricht damit dem Ziel einer kontinuierlichen Produktionsauslastung. Für das reibungslose Funktionieren eines Unternehmens kommt es darauf an, dass nicht nur die (in der Stellenbeschreibung beschriebenen) Aufgaben erledigt werden, sondern darüber hinaus umfeldbezogenes Verhalten (Extra-Rollenverhalten) gezeigt wird. Hierzu zählt z. B. die Unterstützung von Kollegen, das in Kauf nehmen von Schwierigkeiten, die Höflichkeit im Umgang oder die freiwillige Übernahme von Aufgaben. Diese Verhaltensweisen werden meistens in nicht formalisierten Leistungsbeurteilungssystemen erfasst, weil sie nur schwer zu fassen sind. Die Leistungsbeurteilung kann sich auf objektive und subjektive Quellen stützen. Zu den objektiven Quellen gehören Daten wie produzierte Stückzahlen, erreichte Umsatzvolumina, gesenkte Ausschussquote oder die Anzahl der Beschwerden von Kunden oder Mitarbeitern. Häufig sind aber diese Ergebnisdaten nicht alleine auf das Verhalten der Mitarbeiter zurückzuführen, sondern werden auch von anderen Faktoren beeinflusst. Zu den subjektiven Quel-
9.2 Verfahren der Leistungsbeurteilung
141
len gehören die Selbstbeurteilungen und die Beurteilungen von Mitarbeitern, Kollegen, Führungskräften und Kunden. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Korrelation zwischen Urteilen, die auf Basis subjektiver und objektiver Urteile getroffen wurden, lediglich mittelmäßig hoch ausgeprägt ist. Die Güte eines Beurteilungsverfahrens lässt sich nicht generell, sondern nur zweckspezifisch bestimmen. Bei der Wahl eines Verfahrens ist somit zunächst sein Zweck zu bestimmen, danach sind die Kriterien der psychometrischen Validität (Misst man tatsächlich das, was man messen möchte?), der sozialen Validität (Wird das Verfahren auch von den Betroffenen akzeptiert?) und nicht zuletzt auch ökonomische Kriterien (Lohnt sich der Aufwand?) zu berücksichtigen.
9.2
Verfahren der Leistungsbeurteilung
Die Leistungsbeurteilung kann mit summarischen Verfahren, bei denen der Mitarbeiter pauschal beurteilt wird, ohne dass (bewusst) auf einzelne Beurteilungsmerkmale abgestellt wird, oder mit analytischen Verfahren erfolgen, bei denen das Gesamturteil auf Basis von Einzelmerkmalen gebildet wird.
9.2.1
Summarische Verfahren
Freie Verfahren Bei den summarischen Verfahren weisen die sog. freien Verfahren den geringsten Standardisierungsgrad auf. Es handelt sich bei ihnen um sprachliche Eindrucksschilderungen, die ein Beurteiler über eine zu beurteilende Person abgibt. Da bei diesen Verfahren weder die Beurteilungskriterien noch der Ablauf des Beurteilungsprozesses vorgeschrieben sind, kann der Beurteiler auf die individuellen Besonderheiten der zu beurteilenden Personen und ihrer spezifischen Situationen eingehen. Er kann dabei diejenigen Kriterien berücksichtigen und herausstellen, die er für relevant erachtet, da er sich keinem vorgegebenen Schema unterordnen muss. Aufgrund ihrer starken Einzelfallorientierung findet man freie Eindruckschilderungen sowohl in Arbeitszeugnissen als auch bei Referenzen und bei der Beurteilung von Führungskräften. Darüber hinaus werden sie im Rahmen der Personalentwicklung eingesetzt, um Mitarbeiter individuell zu beraten und zu fördern. Bei den freien Verfahren entsteht kein Konstruktionsaufwand, da dem Beurteiler freie Hand bei der Kriterienwahl gelassen wird. Dies kann sich jedoch als nachteilig erweisen, bedeutet dies doch, dass die Validität der Beurteilung ausschließlich von der Beurteilungskompetenz des Beurteilers abhängt. Außerdem lassen freie Beurteilungen aufgrund ihrer individuellen Gestaltung und der damit verbundenen geringen Kriterienübereinstimmung kaum einen Vergleich zwischen den Beurteilten zu, was jedoch häufig gewünscht wird. Eine Vergleichbarkeit freier Beurteilungen wird durch die Vorgabe von Beurteilungskriterien angestrebt. Dabei werden Beurteilungsdimensionen vorgegeben, an denen sich die Beurteilung orientieren soll (Persönlichkeitsmerkmale/Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten,
142
9 (Leistungs-)Beurteilung
Arbeitsverhalten, Arbeitsleistung, Sozial- und Führungsverhalten etc.). Die jeweilige Ausprägung der einzelnen Dimensionen wird vom Beurteiler sprachlich beschrieben, wodurch einerseits ein hoher Grad an Individuum-Orientierung ermöglicht wird, andererseits aber die angestrebte Vergleichbarkeit der Beurteilung nur begrenzt erreicht wird. Rangordnungsverfahren Zu den summarischen Verfahren gehören auch die Rangordnungsverfahren. Bei einfachen Rangreihungsverfahren werden die Beurteiler aufgefordert, eine Gruppe von zu beurteilenden Personen in eine Rangordnung zu bringen. Diese Verfahren werden schwerpunktmäßig durchgeführt, um eine Differenzierung zwischen den Beurteilten zu erreichen. Auch hier gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. – Bei den Concours-Verfahren werden die Personen in eine fortlaufende Rangfolge gebracht. Dabei wird häufig ein Abschälverfahren eingesetzt. Hierbei wird zuerst der erste Platz und dann der letzte Platz vergeben, dann folgt der zweite und der vorletzte usw. bis zum Schluss alle Rangplätze vergeben sind. – Beim Paarvergleichsverfahren wird jeder Mitarbeiter mit jedem anderen einer Gruppe bzgl. der Dimension besser vs. schlechter beurteilt, um dann anschließend (meistens unter Zuhilfenahme einer Matrix) durch Addition der Urteile die Rangplätze zu errechnen. Um eine höhere Transparenz in die Rangreihenbildung zu bringen, können in meist sehr aufwendigen Verfahren, die Personen jeweils bezogen auf einzelne Merkmale (z. B. Kompetenz, Fleiß, Arbeitsergebnis) in eine Rangreihe gebracht werden, um dann daraus den Gesamtrang zu errechnen. Kritisiert wird an Rangordnungsverfahren, dass durch die erzwungene Rangreihenbildung relativ geringe Unterschiede zwischen den zu Beurteilenden überbetont werden. Um diesem Vorwurf zu begegnen, kann den Beurteilern gestattet werden, Rangplätze mehrfach zu vergeben. Häufig werden dabei Quotenvorgaben gemacht, (meistens in Anlehnung an die Normalverteilungsfunktion), wie häufig Rangplätze vergeben werden können. Bei allen Rangordnungsverfahren bleibt der Nachteil, dass Mitarbeiter aus unterschiedlichen Gruppen nicht miteinander verglichen werden, da die Bezuggröße eine jeweils andere ist. Dies schränkt den Einsatzbereich dieser Verfahren merklich ein.
9.2.2
Analytische Verfahren
Um eine Standardisierung der Beurteilung einerseits und die Vergleichbarkeit über Gruppen hinweg andererseits zu erzielen, werden analytische Verfahren eingesetzt. Einstufungsverfahren Bei den Einstufungsverfahren erfolgt die Beurteilung zumeist mit mehrstufigen Skalen, deren Stufen numerisch oder verbal verankert sind. Da Einstufungsverfahren in der Durchführung mit einem relativ geringen Aufwand verbunden sind, sind sie im Bereich der Personalbeurteilung weit verbreitet. Ihre Aussagekraft hängt aber vor allem davon ab, wie gut es
9.2 Verfahren der Leistungsbeurteilung
143
gelingt, solche Skalen aufzunehmen, die tatsächlich eine Aussagekraft bzgl. des Leistungsverhaltens haben. Die Anwendung von Einstufungsverfahren weist auf ein weiteres Problem der Leistungsbeurteilung hin, das allgemein mit dem Oberbegriff ‚Beurteilungstendenzen’ verbunden wird. Bei der statistischen Auswertung von Leistungsbeurteilungen kann man Verteilungsauffälligkeiten beobachten, die nicht auf die Beurteilten, sondern auf die Beurteiler zurückzuführen sind. – die Skalen werden von den Beurteiler unterschiedlich verankert. So variiert der Mittelwert aller von ihnen vorgenommen Beurteilungen deutlich zwischen den Beurteilern. Dabei kann häufig eine ‚Tendenz zur Milde’ festgestellt werden, die sich darin zeigt, dass der statistische Mittelwert sich häufig zum positiven Ende der Skalen verschiebt. – Auch fällt eine ‚Tendenz zur Mitte’ auf, die sich darin besteht, dass die tatsächlich beobachteten Abstände zwischen Personen im Beurteilungsverfahren gestaucht werden. Es wird somit nicht genügend zwischen Personen differenziert. – Neben der mangelnden interpersonalen Differenzierung zeigt sich auch eine eingeschränkte intrapersonale Differenzierung, die sich darin ausdrückt, dass die Einstufungen auf unterschiedlichen Dimensionen, die als unabhängig voneinander gelten können, hoch miteinander korreliert sind. Die Beurteilungen überstrahlen sich wechselseitig. Dieser Effekt wird als ‚Halo-‚ oder ‚Hof-Effekt’ bezeichnet. Diesen Beurteilungstendenzen kann dadurch begegnet werden, dass den Beurteilern eine bestimmte Verteilung der Beurteilungsstufen vorgegeben und damit ein Zwang zur Differenzierung erzeugt wird. Kennzeichnungsverfahren Dem Ausgleich von Beurteilungstendenzen dienen auch Kennzeichnungsverfahren, bei denen die Ausprägungen einer Beurteilungsdimension nicht nur durch sprachliche Marker oder Zahlen verankert, sondern durch hierarchisch aufgebaute operationale verhaltensbezogene Einzelaussagen dargestellt sind, die in Satzform präsentiert werden. Der Beurteiler muss hierbei lediglich kennzeichnen, ob die jeweilige Aussage auf den Beurteilten zutrifft. Um Hof-Effekte zu vermeiden werden die Einzelaussagen, die zu unterschiedlichen Dimensionen gehören, gemischt präsentiert, und erst bei der Auswertung wieder zu Skalen zusammengeführt. Um Milde-Effekte zu vermeiden, kann eine spezielle Form von Kennzeichnungsverfahren, die sog. Wahlzwangverfahren, eingesetzt werden. Hierzu werden Aussagen gebildet, die einen ähnlichen positiven oder negativen Tenor haben, die aber einen unterschiedlichen Effekt im Hinblick auf den Beurteilungszweck haben. Diese Einzelaussagen werden thematisch gruppiert dargeboten, wobei dann der Beurteiler aus jeder Gruppe nur eine Aussage als für den zu Beurteilenden zutreffend kennzeichnen darf. Die Güte der Kennzeichnungsverfahren hängt neben dem Leistungsbezug vor allem davon ab, wie gut es gelingt, die Einzelaussagen hierarchisch zu fassen bzw. bei den Wahlzwangverfahren auch solche Aussagealternativen zu formulieren, die als gleichwertig wahrgenommen werden.
144
9 (Leistungs-)Beurteilung
Da die Beurteiler nicht wissen dürfen, zu welchen Dimensionen die Einzelaussagen gehören, ist die soziale Akzeptanz der Kennzeichnungsverfahren bei den Beurteilern nicht hoch. Da zudem der Konstruktionsaufwand für diese Verfahren erheblich ist, sind sie nicht weit verbreitet.
9.2.3
360 Grad Beurteilung
Ein weiterer Ansatz zur Steigerung der Güte der Beurteilung besteht darin, die Beurteilung durch mehrere Beurteiler vornehmen zu lassen. Hiermit wird zum einen die Erwartung verbunden, dass mehrere Beurteiler unterschiedliche Perspektiven haben, die zu einer differenzierteren Beurteilung beitragen, und zum anderen wird erwartet, dass das sich die Fehlertendenzen der einzelnen Beurteiler wechselseitig aufheben. Zurzeit kommen in Unternehmen zunehmend häufig 360º-Beurteilungsverfahren zum Einsatz. Waren diese Verfahren zunächst als Feedback-Verfahren im Rahmen der Führungskräfteentwicklung gedacht, werden sie heute auch im Kontext der Leistungsbeurteilung eingesetzt. Die Idee der 360º-Verfahren besteht darin, die zu Beurteilenden (Fokuspersonen) von allen Seiten zu beurteilen, also nicht nur von den Vorgesetzten, sondern auch von Kollegen, Mitarbeitern und Kunden. Die Beurteilung erfolgt zumeist schriftlich in standardisierter Form. Die Befragungsergebnisse werden der jeweiligen Fokusperson im Rahmen eines Feedbackgesprächs mitgeteilt. Durch dieses Feedback erhält die Fokusperson nicht nur Rückmeldung über ihren Leistungsstand, sondern auch über die Wirkung ihres Verhaltens bei unterschiedlichen Personen(gruppen). Das multiperspektivische Feedback und die dadurch angeregten Reflexionsprozesse werden als Katalysator für die weitere Entwicklung der Kompetenz und der Karriereentwicklung der Fokusperson gesehen. Dadurch dass das Beurteilungsgeschehen nun auch nicht mehr ausschließlich top-down verläuft, greifen die 360ºVerfahren substanziell in die Organisationskultur ein. Ihre Einführung ist daher von Maßnahmen der Organisationsentwicklung zu begleiten. Der Einsatz von 360º-Verfahren wird auch kritisch gesehen. So wird herausgestellt, dass nicht die Kompetenzentwicklung der Zielperson im Fokus steht, sondern eher ein machtpolitisches Interesse der Unternehmensleitung gegenüber den Führungskräften, die ja sonst eher nicht einer leistungsbezogenen Beurteilung unterliegen. Da diese machtpolitische Agenda alle beteiligten Personen kennen, werden die Führungskräfte als Fokuspersonen ‚Impression Management’ treiben und die von ihnen abhängigen Mitarbeiter im vorauseilenden Gehorsam eher milde Urteile abgeben. Beurteilungstendenzen können somit von den 360ºVerfahren nicht verhindert werden
9.2.4
Beurteilungstendenzen und Beurteilungsfehler
Beurteilungstendenzen und Beurteilungsfehler gehören zu jedem Beurteilungsvorgang dazu. Sie können nicht abschließend kompensiert und objektiviert werden. Beurteilungen entstammen immer der Interaktion zwischen Beurteiler und Beurteiltem.
9.2 Verfahren der Leistungsbeurteilung
145
Häufig sind auch beurteilende Vorgesetzte von den Folgen ihrer Beurteilung betroffen. Sie wissen, dass sich ihre Beurteilung auf die Motivation seiner Mitarbeiter auswirken kann. Sie wissen auch, dass sie selbst an der (beurteilten) Leistung seiner Mitarbeiter gemessen werden. Darüber hinaus stehen sie in der Zwickmühle, dass sie gute Mitarbeiter (evtl. durch kritische Beurteilungen) binden und schlechte wegloben können. Ebenso können sie Beurteilungen mit der direkten Absicht verfassen, Mitarbeiter zu schädigen oder zu begünstigen. Bei sehr flachen Hierarchien kommt es nicht selten vor, dass der beurteilende Vorgesetzte gar keine fachliche Beurteilung abgeben kann, weil ihm die fachliche Kompetenz fehlt, um die Art und Weise der Aufgabenerfüllen durch den Mitarbeiter einschätzen zu können. Neben diesen taktischen und einigermaßen bewussten Einflussnahmen auf die Beurteilung gibt es eine Reihe weiterer Fehlerquellen, die sich eher unbewusst in das Beurteilungsgeschehen einschleichen. Die Persönlichkeit des Beurteilers ist eine der zentralen Fehlerquellen. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Beurteiler ihre eigenen Fehler, Stärken und Schwächen unbewusst den Beurteilten unterstellen. Ebenso ist bekannt, dass sich Vorurteile (gegenüber Geschlecht, präferierte Sportarten, Aussehen etc.) genauso in der Beurteilung widerspiegeln wie Vorinformationen, die kritiklos übernommen werden. Wird ein Mitarbeiter als gut empfohlen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er (unabhängig von seiner Leistung) auch als gut beurteilt wird. Auch ist zu beobachten, dass die als gut empfohlenen Mitarbeiter, von ihren Vorgesetzten so geführt werden, dass sie in der Lage sind, ihre Arbeit tatsächlich gut zu erledigen. Ebenso ist bekannt, dass Sympathie eher zu positiven Wertungen führt und Antipathie eher zu negativen. Der Beurteiler passt sich in seinem Urteil dem anderer Personen(gruppen) an (Bezugspersoneneffekt). Auch gibt es Hinweise darauf, dass es verschiedene Beurteilertypen gibt. So gibt es u.a. Beurteiler, die sich nicht gerne festlegen wollen und von daher extremere Beurteilungen vermeiden. Andere gehen davon aus, dass gute Leistungen selbstverständlich sind, schöpfen die Beurteilungsskala nicht aus und geben eher mittlere und negative Beurteilungen. Das Beurteilungsgeschehen wird zudem durch Wahrnehmungseffekte überlagert. Häufig gilt, dass die zuletzt erbrachten Leistungen überbewertet werden, da sie im Gedächtnis des Beurteilers am stärksten präsent sind. Beurteilte können diesen Effekt nutzen, in dem sie sich umso mehr anstrengen, je näher der Beurteilungszeitpunkt kommt (Kurz vor dem Nikolausfest sind die Kinder besonders brav). Auch scheint die Tendenz zu bestehen, dass Mitarbeiter, die längere Zeit nicht befördert wurden, oftmals in ihrer Leistung auch unterschätzt werden. Dem entspricht auch die Beobachtung, dass Mitarbeiter auf höheren Hierarchieebenen besser beurteilt werden, als diejenigen auf unteren Ebenen. Es gibt vielfältige Bemühungen, die unterschiedlichen Beurteilungseffekte einzuschränken. Beurteilerschulungen, bei denen auf diese Effekte hingewiesen wird und das eigene Beurteilungsverhalten trainiert wird, sind sicherlich hilfreich, gleichwohl lösen sie das Problem der eingeschränkten Validität und Güte der Personalbeurteilung nicht.
10
Personalakte und Personaldaten
10.1
Inhalte der Personalakte
Schon aufgrund der Dauer der Rechtsbeziehung entsteht bei Anbahnung, Verlauf und Beendigung eines Arbeitsverhältnisses eine Vielzahl von auf die Person des Arbeitnehmers bezogenen Dokumenten, deren Aufbewahrung sowohl im Interesse des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers liegt. § 83 BetrVG geht offensichtlich davon aus, dass es Personalakten gibt, beschränkt sich aber darauf, ein Einsichtsrecht des Arbeitnehmers zu regeln. Eingehende Regelungen über Inhalt von und Umgang mit Personalakten finden sich nur in den Beamtengesetzen. Das BGB überlässt es dagegen der freien Entscheidung der Vertragsparteien, ob und wie sie die im Rahmen von Vertragsanbahnung, Vertragsdurchführung und -beendigung entstehenden Dokumente aufbewahren und sieht auch keine Besonderheiten für Arbeitsverhältnisse vor. Der Arbeitgeber ist deshalb nicht verpflichtet, überhaupt Personalakten zu führen. Nur in Ausnahmefällen besteht eine gesetzliche oder tarifvertragliche Pflicht, auf die Person des Arbeitnehmers bezogene Unterlagen, wie z. B. die Durchführung von Belehrungen über Sicherheitsbestimmungen oder ärztliche Vorsorgeuntersuchungen, aufzubewahren. Darüber hinaus sind lediglich solche Dokumente zu verwahren, die Eigentum des Arbeitnehmers sind, um sie auf Verlangen oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückgeben zu können. Die Form der Personalakte ist dem Arbeitgeber freigestellt. Er kann personenbezogene Unterlagen lose in einem Karton, geheftet in Akten, in Karteien oder auch digitalisiert in Dateien, zentral an einer Stelle oder aufgegliedert auf mehrere Orte aufbewahren. Unabhängig von Aufbewahrungsort und Bezeichnung sind alle Unterlagen, die den Mitarbeiter betreffen und mit dem Arbeitsverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen, Bestandteil der Personalakte, einschließlich der in Dateien gespeicherten Daten. Es kommt nicht auf die Bezeichnung als Personalakte oder die ausdrückliche Zuordnung zu einer Personalakte an. Die Personalakte ist oft in mehrere Teilakten gegliedert (Hauptband, Abwesenheit, Fortbildungen etc.). Zur Personalakte gehören z. B.: –
Personalbezogene Unterlagen und Vertragsunterlagen o Bewerbungsschreiben mit Anlagen (Schul- und Hochschulzeugnisse, Arbeitszeugnisse, Ausbildungszeugnisse, Zertifikate über Zusatzausbildung, Lebenslauf)
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–
–
– – – – – – – – – –
–
10 Personalakte und Personaldaten o Führungszeugnis o ausgefüllter Personalfragebogen o Ergebnisse ärztlicher Eignungsuntersuchungen und Eignungstests o Betriebsratsbeteiligung nach § 99 BetrVG o Arbeitsvertrag Kopien amtlicher Urkunden o Fahrerlaubnis und andere staatliche Erlaubnisse o Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis o Schwerbehindertenausweis o Familienstandsurkunden (Geburt, Heirat, Scheidung, Kinder) o Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse o Wehrdienstbescheinigung, Zivildienstbescheinigung Sozialversicherungs-, Steuer- und sonstige vergütungsrelevante Unterlagen o Anmeldung zur Krankenkasse o Nachweis der monatlichen Krankenkassenbeiträge o Sozialversicherungsausweis/Ausweis zur Versicherungsnummer o Unterlagen zu Zusatzversorgungskassen, soweit existent o Nachweis zur Anlage vermögenswirksamer Leistungen o Nachweis für Pflegeversicherung o Lohn- und Gehaltsbescheinigungen o Unterlagen zur Lohnsteuer Betriebliche Altersversorgung Arbeitgeberdarlehen und -beihilfen Dokumentation von Anwesenheit und Abwesenheit (Arbeitszeit, Urlaub, Krankheit, unentschuldigte Fehlzeiten) Nachweise und Zertifikate beruflicher Weiterqualifizierung Bescheinigungen über ärztliche Untersuchungen im Rahmen der Arbeitssicherheit Beurteilungen und Bewertungen Verwarnungen, Ermahnungen und Abmahnungen Werksschutzunterlagen (Sicherheitsüberprüfung) Sonstiger Schriftverkehr mit dem Mitarbeiter Arbeitsbeendigungspapiere o Aufhebungsvertrag o Kündigungsschreiben o Betriebsratsbeteiligung Arbeitszeugnis
Gem. § 83 BetrVG. kann der Arbeitnehmer allein oder mit einem Mitglied des Betriebsrats die Personalakte einsehen. Das Einsichtsrecht bezieht sich unabhängig von der Aufbewahrungsform und dem Aufbewahrungsort auf alle materiellen Bestandteile der Personalakte. Es würde seinen Zweck verfehlen, wenn für das Arbeitsverhältnis bedeutsame Dokumente für den Arbeitnehmer nicht erkennbar an anderer Stelle aufbewahrt würden. Eine Aufgliederung der Personalakte in Teilakten muss deshalb stets aus dem Hauptband hervorgehen, damit der Arbeitnehmer sein Einsichtsrecht nach § 83 BetrVG wahrnehmen kann. Geheimakten, Gift-
10.1 Inhalte der Personalakte
149
schränke o. Ä. sind deshalb unzulässig. Aufzeichnungen von Vorgesetzten über das Arbeitsund Ordnungsverhalten sind dagegen noch nicht Bestandteil der Personalakte, solange sie von den Vorgesetzten aufbewahrt werden. Sie dienen der Vorbereitung einer Beurteilung des Arbeitnehmers. Erst die Beurteilung selbst ist Bestandteil der Personalakte und vom Einsichtsrecht nach § 83 BetrVG umfasst. Auch Aufzeichnungen über Jahresgespräche mit Mitarbeitern und die dabei vereinbarten Ziele werden üblicherweise nicht als Teil der Personalakte dokumentiert. Transparenz für den Mitarbeiter wird dadurch hergestellt, dass die Zielvereinbarung und der wesentliche Gesprächsinhalt vom Vorgesetzten schriftlich festgehalten werden und der Mitarbeiter hiervon eine Kopie erhält. Eine –dauerhafte– Archivierung in der Personalakte würde die Akzeptanz der Zielvereinbarung als Instrument der Personalführung nachhaltig beeinträchtigen. Wenn sich der Arbeitgeber für die Aufbewahrung personalbezogener Dokumente und Daten entscheidet, ist er gem. § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils, also des Arbeitnehmers, verpflichtet. In diesem Rahmen hat der Arbeitgeber auch das aus Art. 2 GG abgeleitete Grundrecht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten, das zwar direkt nur ein Abwehrrecht gegenüber staatlichen Informationsansprüchen ist, aber als verfassungsrechtliche Wertentscheidung über Generalklauseln wie §§ 241, 242 BGB auch auf die Schuldverhältnisse zwischen Privatpersonen einwirkt. Aus § 241 Abs. 2 BGB folgt nicht, dass die Personalakte vollständig in dem Sinne sein muss, dass sämtliche im Verlauf des Arbeitsverhältnisses entstehenden Dokumente und Daten aufbewahrt bzw. gespeichert werden, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Die Freiheit des Arbeitgebers, keine Personalakten zu führen, umfasst auch die Entscheidung, nur einen Teil der Dokumente aufzubewahren, die Bestandteil einer Personalakte sein können und andere Dokumente zu vernichten. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB folgt jedoch ein Anspruch des Arbeitnehmers darauf, dass die Personalakte insgesamt ein zutreffendes Bild seiner Person vermittelt, also der Wahrheit entsprechen muss, so dass der Arbeitgeber sich nicht auf die Aufnahme dem Arbeitnehmer nachteiliger Dokumente in die Personalakte beschränken darf. Leistungsbeurteilungen, sowie alle dem Arbeitnehmer ungünstigen Unterlagen (Beschwerden, nachteilige Behauptungen und Bewertungen), dürfen nur nach Anhörung des Arbeitnehmers in die Personalakte aufgenommen werden. Aus dem Grundsatz der Wahrheit der Personalakte folgt, dass nur wesentliche, Arbeits- und Leistungsverhalten dauerhaft kennzeichnende Beschwerden Eingang in die Personalakte finden dürfen. Probleme im Kundenkontakt oder Konflikte mit Kollegen sollten sich in der Beurteilung durch den Vorgesetzten niederschlagen, nicht aber als Einzelfälle in der Personalakte dokumentiert werden, weil es letztlich vom Zufall abhängt, ob solche Probleme ihren Ausdruck in schriftlichen Dokumenten finden oder nur mündlich artikuliert worden sind. Die Dokumentation von Reibereien im Kollegenkreis in der Personalakte kann eine deutliche Ansprache im Rahmen eines Jahresgesprächs, einer Leistungsbeurteilung und die Wahrnehmung der Führungsaufgabe durch den Vorgesetzten nicht ersetzen. Abmahnungen und Missbilligungen gehören grundsätzlich in die Personalakte. Auch bei richtigem Grundsachverhalt dürfen sie nicht zur Personalakte
150
10 Personalakte und Personaldaten
genommen werden, wenn der Sachverhalt die schriftliche Rüge erkennbar nicht rechtfertigt, eine Abmahnung z. B. eine unverhältnismäßige Reaktion darstellt. Darf ein Schriftstück nicht in die Personalakte aufgenommen werden, kann der Arbeitnehmer analog § 1004 BGB die Entfernung des Schriftstücks aus der Personalakte verlangen. Auch ursprünglich zulässigerweise zur Personalakte genommene Schriftstücke mit nachteiligen Auswirkungen können durch Zeitablauf so an Relevanz verlieren, dass kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der weiteren Aufbewahrung der entsprechenden Dokumente als Teil der Personalakte besteht. So kann eine ursprünglich gerechtfertigte Abmahnung durch einwandfreies Verhalten bedeutungslos werden, wenn arbeitsrechtliche Konsequenzen nicht mehr auf die Abmahnung gestützt werden können. Auch in diesem Fall besteht analog § 1004 BGB ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung und Vernichtung der entsprechenden Schriftstücke. Enthält die Personalakte unrichtige Angaben hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Berichtigung gem. §§ 241 Abs. 2, 242 BGB in Verbindung mit Art. 2 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) bzw. § 823 Abs. 1 BGB. Das Bild des Arbeitnehmers kann nicht nur durch Aufnahme der Karriere wenig förderlicher Dokumente und falscher Tatsachen, sondern auch durch Nichtaufnahme günstiger Informationen und Dokumente verfälscht werden. Gem. § 83 Abs. 2 BetrVG kann der Arbeitnehmer die Aufnahme seiner Erklärung zum Inhalt in die Personalakte verlangen. Der Arbeitgeber muss Erklärungen des Arbeitnehmers zum Inhalt der Personalakte in diese aufnehmen. Der Arbeitnehmer soll die Möglichkeit haben, die Akte so zu vervollständigen, dass sich ein möglichst objektives Bild seiner Person ergibt. Für den Anspruch auf Aufnahme einer Erklärung des Arbeitnehmers muss der Inhalt der Personalakte nicht unrichtig sein. Die Erklärung muss sich auch nicht auf ein bestimmtes in der Personalakte enthaltenes Schriftstück beziehen. Der Arbeitnehmer hat durch das Recht zur Erklärung die Möglichkeit, in der Akte dokumentierte Sachverhalte zu kommentieren, Begleitumstände zu erklären und dadurch das aus den Akten zu gewinnende Bild seiner Person zu verändern. Mit der Aufnahme einer Gegendarstellung oder Erklärung ist für den Arbeitnehmer allerdings praktisch meist wenig gewonnen. Es steht im Ergebnis nur Aussage gegen Aussage und der Arbeitnehmer setzt sich dem Risiko aus, als Querulant zu erscheinen. Von höherer Relevanz ist, dass aus § 83 Abs. 2 BetrVG auch der Anspruch folgt, dass bestimmte Dokumente in die Personalakte aufgenommen werden, die das Bild des Arbeitnehmers betreffen und in Beziehung zum Arbeitsverhältnis stehen wie z. B. Zeugnisse und Bescheinigungen über Weiterqualifikation. Der Arbeitgeber muss bei der Entscheidung in diesem Fall zusätzlich Art. 3 GG beachten und darf Arbeitnehmer in vergleichbaren Fällen nicht willkürlich unterschiedlich behandeln, Dokumente also in einem Fall zur Personalakte nehmen, dies aber bei dem Kollegen ablehnen.
10.2 Personaldatenschutz
10.2
151
Personaldatenschutz
Die Pflicht zur Wahrung von Interessen des Vertragspartners § 241 Abs. 2 BGB umfasst auch, den Kreis der Personen möglichst klein zu halten, die Zugang zur Personalakte haben. Das sind grundsätzlich nur die mit der Personalsachbearbeitung betrauten Mitarbeiter, unter keinen Umständen die Fachvorgesetzten. Letztere können Personalakten nur dann einsehen, wenn sie an betriebsinternen Personalauswahlentscheidungen beteiligt sind. Auch innerhalb der Personalakte wird nach dem Grad der Schutzwürdigkeit der Interessen des Mitarbeiters differenziert. Zwar hat der Arbeitgeber ein schützenswertes Interesse daran, eine Mitteilung des Mitarbeiters über eine bestehende Alkoholabhängigkeit aufzubewahren. Diese Information muss aber nicht für Sachbearbeitung in Bezug auf Gehaltsabrechnung oder für Gewährung von Erholungsurlaub zur Verfügung stehen. Besonders sensible, z. B. den Gesundheitszustand betreffende Daten müssen deshalb innerhalb der Personalakte in einem verschlossenen Umschlag aufbewahrt werden, der nur von einem dazu Berechtigten geöffnet werden darf, wenn dazu Anlass besteht. Bei einem größeren Personalbestand ist es aus diesen Gründen auch sinnvoll, die Personalakte auf mehrere Teilakten aufzuteilen, damit die mit alltäglichen Arbeitsvorgängen befassten Mitarbeiter der Personalabteilung nur Zugriff auf die hierfür konkret benötigten Daten haben. Für die automatisierte Verarbeitung von Personaldaten durch private Arbeitgeber gelten §§ 27 ff. BDSG. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG ist das Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke zulässig, wenn es der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses mit dem Betroffenen dient. Die Vorschrift legitimiert die Verarbeitung der für die Begründung und Abwicklung des Arbeitsverhältnisses bzw. Maßnahmen des Personalmanagements unverzichtbaren Daten des Arbeitnehmers. Daten, die für das Arbeitsverhältnis in diesem Sinne irrelevant sind, dürfen gem. § 4 Abs. 1 BDSG nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Arbeitnehmers erhoben werden. § 4 Abs. 1 BDSG lässt die Verarbeitung von Daten über den in § 28 BDSG geregelten Umfang hinaus auch aufgrund einer Rechtsvorschrift zu. Ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gelten als Rechtsnorm in Sinne der Vorschrift und können den Katalog der elektronisch verarbeiteten Daten auch gegen den Willen einzelner Arbeitnehmer über § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG hinaus erweitern. Die Entwicklung von Dokumentenmanagementsystemen ermöglicht den Verzicht auf papierbasierte Personalakten im herkömmlichen Sinn, indem alle Dokumente, soweit nicht ohnehin als Datei vorhanden, digitalisiert und gespeichert werden. Vorteile liegen in der Einsparung von Raumkapazität für Akten, der besseren Auffindbarkeit von Dokumenten und dem vom Aufbewahrungsort unabhängigen gleichzeitigen Zugriff verschiedener Sachbearbeiter.
152
10.3
10 Personalakte und Personaldaten
Personaldatenverarbeitung und Mitbestimmung
Betriebsverfassungsrechtlich besteht kein allgemeines Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Erhebung, Speicherung und sonstige Verarbeitung von Personaldaten. Nur im Rahmen seiner Aufgabe gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Vorschriften durchgeführt werden, hat der Betriebsrat gem. § 80 Abs. 2 BetrVG Anspruch darauf, dass ihn der Arbeitgeber über Veränderungen im Bereich der Personaldatenverarbeitung rechtzeitig und umfassend informiert und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellt. Der Mitbestimmung unterliegt gem. § 94 Abs. 1 BetrVG der Inhalt von Personalfragebögen, mit denen systematisch Personaldaten erhoben werden. Die Mitbestimmung bezieht sich aber nur darauf, welche Fragen gestellt werden und welche Daten erhoben werden, nicht darauf, ob die Daten in der Folge papierbasiert oder elektronisch weiterverarbeitet werden. Eine Betriebsvereinbarung gem. § 77 BetrVG ist mit weitergehendem Inhalt auf freiwilliger Basis möglich. Personaldaten werden auch beim Betrieb von technischen Einrichtungen verarbeitet, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Solche Daten fallen z. B. dadurch an, dass der Zeitpunkt des Betretens und Verlassens des Betriebes oder auch der Kantine elektronisch erfasst wird, dass der Zugang zu Räumen oder Gebäude(abschnitte)n nur mit Magnetkarte oder Chip möglich ist und diese Daten gespeichert werden; dass der Log-in und der Log-out auf dem Server sowie sämtliche Bewegungen im Intranet und im Internet von den Servern protokolliert werden. In allen Fällen werden personenbezogene Daten von Mitarbeitern verarbeitet, da die Bewegungsdaten ohne Schwierigkeiten einzelnen Personen zugeordnet werden können. Sie sind zur Überwachung bestimmt, da sie geordnet und ausgewertet werden können. Für den Einsatz solcher Einrichtungen ist gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Es ist nicht notwendig, dass der Arbeitgeber die gewonnen Daten zur Einsatz- und Verhaltensbeurteilung einsetzen will. Es reicht aus, dass die technische Einrichtung für solche Zwecke geeignete Daten überhaupt erfassen soll. Soweit Mitarbeiter Daten allerdings eigenhändig über eine manuelle Schnittstelle eingeben, werden sie nicht durch technische Einrichtungen überwacht, auch wenn in den Folgeschritten Daten automatisiert verarbeitet werden. Erfassen Mitarbeiter z. B. den auf bestimmte Arbeitsvorgänge oder einzelne Projekte entfallenden Zeitaufwand selbst, indem sie die erforderlichen Daten eingeben, werden zwar personenbezogene Daten verarbeitet, mangels Erfassung durch eine technische Einrichtung besteht jedoch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
11
Rechte am Arbeitsergebnis
11.1
Gegenständliche Arbeitsergebnisse
Soweit der Arbeitnehmer mit seiner Tätigkeit Gegenstände produziert, stellt sich die Frage, wer Eigentümer dieser Gegenstände ist. Wird aus vom Arbeitgeber erworbenen, also im Eigentum des Unternehmens stehenden beweglichen Gegenständen eine neue Sache hergestellt, bleibt das Unternehmen gem. § 947 BGB Eigentümer. Entsteht eine neue bewegliche Sache durch Verarbeitung oder Umbildung von (Roh)Stoffen, wird gem. § 950 BGB deren Hersteller Eigentümer. Das Eigentum an den Ausgangsgegenständen bzw. -stoffen erlischt. I. S. der Vorschrift ist jedoch nicht derjenige Hersteller, der den neuen Gegenstand mit seinen Kräften tatsächlich geschaffen hat, also nicht der Arbeitnehmer. Als Hersteller gilt das Unternehmen, weil der Arbeitgeber den betrieblichen Herstellungsprozess organisiert.
11.2
Geistige Leistungen
Arbeitsergebnisse können auch in geistigen Leistungen bestehen. § 2 UrhG nennt als Beispiele u. a. – – – – –
Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme; Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden; Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden; Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen.
Für die Rechte an Arbeitsergebnissen in der Form einer geistigen Leistung ist zwischen der geistigen Leistung, also der Idee selbst, und dem körperlichen Gegenstand, in dem sich die geistige Leistung manifestiert, zu unterscheiden. Die CD, auf der eine Veröffentlichung oder ein Computerprogramm gespeichert ist, sowie das Papier für Baupläne und technische Zeichnungen sind und bleiben Eigentum des Arbeitgebers.
154
11 Rechte am Arbeitsergebnis
Wenn es sich bei dem Arbeitsergebnis um eine eigene geistige Schöpfung (vgl. § 2 UrhG) des Arbeitnehmers handelt, wird das Eigentum an dem körperlichen Gegenstand durch die Vorschriften des UrhG überlagert. Eine geistige Schöpfung setzt eine geistige Leistung von einem gewissen Gewicht voraus. Im Standardschriftverkehr mit Lieferanten und Kunden entstehen deshalb keine urheberrechtlich relevanten Werke. Schöpfer eines Werks ist auch nicht derjenige, der die körperliche Ausdrucksform hergestellt hat, also nicht der technische Zeichner, der eine Konstruktionszeichnung nach Vorgaben herstellt, sondern derjenige, der die in der Konstruktionszeichnung zum Ausdruck kommende Idee hatte und dem technischen Zeichner die Vorgaben für die Ausführung kommuniziert hat. Das Urheberrecht kennt keine den §§ 947, 950 BGB vergleichbare Vorschrift, so dass die Rechte an der Idee nicht durch Verbindung mit einem körperlichen Gegenstand, der dem Arbeitgeber gehört (Papier, Festplatte etc.), verloren gehen. Auch wenn Werke in Erfüllung der Leistungsverpflichtung aus einem Arbeitsvertrag entstanden sind, gilt gem. § 43 UrhG für den Umgang des Arbeitgebers mit dem Werk das UrhG. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Werke während oder außerhalb der Arbeitszeit entstanden sind. Entscheidend ist, dass eine arbeitsvertragliche Pflicht zur Herstellung bestanden hat. Das Urheberrecht schließt die Übertragung oder den Übergang des Urheberrechts als solchem aus, weil das Urheberpersönlichkeitsrecht Teil des unveräußerlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 GG) ist. Übertragen kann der Urheber deshalb nur die in den §§ 15 ff. UrhG beschriebenen Verwertungsrechte und das Nutzungsrecht nach Maßgabe von §§ 31 ff. UrhG. Die Einräumung von Nutzungsrechten muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch stillschweigend erfolgen. Je nach übertragener Arbeitsaufgabe kann ein Nutzungsrecht schon stillschweigend mit dem Arbeitsvertrag eingeräumt sein. Spätestens die vorbehaltlose Übergabe eines Werkes an den Arbeitgeber wird als Einräumung eines Nutzungsrechts angesehen. Ist in einem Arbeitsverhältnis die Entstehung von Werken zu erwarten, sind die Nutzungsrechte mit der vereinbarten Vergütung abgegolten. Wenn nichts anderes geregelt wird, muss der Arbeitgeber neben dem Arbeitsentgelt eine gesonderte Vergütung nur unter den Voraussetzungen des § 32a UrhG (sog. Bestsellerparagraph) leisten. Weitergehende Ansprüche setzen eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag voraus. Das Urheberrecht des Arbeitnehmers schützt gem. § 14 UrhG grundsätzlich vor Entstellungen oder anderen Beeinträchtigungen des geschaffenen Werkes. Gem. § 23 UrhG dürfen Werke nur mit Einwilligung des Urhebers bearbeitet und umgestaltet werden. Wird das Urheberrecht beeinträchtigt und werden damit die Interessen des Urhebers gefährdet, sind gem. § 14 UrhG die Interessen abzuwägen. Änderungen sind gem. § 38 Abs. 2 UrhG vom Werkschöpfer hinzunehmen, wenn sie dem eingeräumten Nutzungszweck entsprechen. Wird der Name des Urhebers genannt und das Werk entstellt, besteht zwar kein Unterlassungsanspruch gegen die Entstellung, wohl aber der aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht resultierende Anspruch, den Namen des Urhebers im Zusammenhang mit dem veränderten Werk nicht mehr zu nennen. Für die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses entstandenen geschützten Werke sind die für die betriebliche Verwendung notwendigen Änderungsbefugnisse stillschweigend eingeräumt, wenn der Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes regelt. Der Arbeitgeber darf deshalb ohne Zustimmung des Arbeitnehmers die Produktgestaltung zur Anpassung an technische Entwicklungen ändern. Auch darf der Vorstandsvorsitzende
11.3 Geschmacksmuster
155
den Entwurf seines Assistenten für eine Rede auf einer Bilanzpressekonferenz ohne dessen Zustimmung abwandeln. Die Änderungsbefugnisse können so weit gehen, dass der Arbeitgeber ein Werk vernichten darf, wenn seine berechtigten Interessen das erfordern. Will er es lediglich aussondern, um Lagerkosten zu sparen, darf er das Werk nicht ohne Zustimmung des Urhebers vernichten, sondern muss es diesem zur Übernahme anbieten. In manchen Fällen ist allerdings selbst das Recht, als Urheber genannt zu werden, mit dem Charakter des Werks als Arbeitsleistung nicht vereinbar. Der Ghostwriter oder Redenschreiber hat auf seinen Anspruch nach § 13 Satz 2 UrhG arbeitsvertraglich verzichtet, weil der Ghostwriter, wie die Bezeichnung nahelegt, eben unsichtbar bleiben soll. Urheberrechtlich schwächeren Schutz genießen Programmierer. Für Computerprogramme bestimmt § 69 b Abs. 1 UrhG, dass allein der Arbeitgeber die vermögensrechtlichen Befugnisse ausüben kann. Erhalten bleiben dem Programmentwickler nur die Urheberpersönlichkeitsrechte (Nennung des Namens des Programmierers). Urheberrechtlich für den Arbeitnehmer interessanter sind Werke, die er mit dem im Arbeitsverhältnis erworbenen Know-how schafft, die aber nicht Gegenstand der Arbeitsleistung sind. Denkbar sind durch Erlebnisse am Arbeitsplatz inspirierte, schriftstellerische Leistungen, aber auch Computerprogramme oder wissenschaftliche Darstellungen. An solchen Werken hat der Arbeitnehmer volles Urheberrecht. Er muss diese Werke, anders als Erfindungen (s. u. S.156), auch nicht dem Arbeitgeber zur vorrangigen Verwertung anbieten.
11.3
Geschmacksmuster
Ein Geschmacksmuster ist gem. § 1 GeschmMG die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt. Das Recht an in Erfüllung von Arbeitsaufgaben entstandenen Mustern steht gem. § 7 Abs. 2 GeschmMG allein dem Arbeitgeber zu, sofern sich aus dem Arbeitsvertrag nichts anderes ergibt. Geschmacksmuster können durch Eintragung in das Geschmacksmusterregister vor Nachahmung geschützt werden. Der Schutz beginnt anders als beim Urheberrecht nicht mit der Schaffung des Musters, sondern gem. § 27 GeschmMG erst mit der Eintragung. Der Entwerfer hat aus § 10 GeschmMG einen Anspruch, dass sein Name in der Anmeldung und im Registereintrag genannt wird, falls er arbeitsvertraglich nicht darauf verzichtet hat. Für eine Vergütung gilt das gleiche wie bei der Einräumung von Nutzungsrechten an urheberrechtlich geschützten Werken.
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11.4
11 Rechte am Arbeitsergebnis
Erfindungen
Die Mitarbeiter sind die geborenen Experten für die Verbesserung der Produkte und Dienstleistungen und die Prozesse, in denen diese Leistungen erzeugt werden. Das vorhandene Know-how wird in den Betrieben durch Qualitätszirkel und Regelungen zum betrieblichen Vorschlagswesen aktiviert. Ergebnis der Überlegungen der Mitarbeiter können Erfindungen sein. Für Mitarbeitererfindungen gilt das ArbnErfG, wenn es sich um eine sog. Diensterfindung handelt. Das sind gem. § 4 ArbnErfG Erfindungen, die während der Dauer des Dienstverhältnisses gemacht worden sind und aus der dem Arbeitnehmer obliegenden Tätigkeit entstanden sind oder die maßgeblich auf Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs beruhen. Es kommt nicht darauf an, ob die Erfindung während der Arbeitszeit oder in der Freizeit des Arbeitnehmers gemacht wurde. Der Arbeitnehmer ist in der Verwertung von Diensterfindungen nicht frei. Alle Diensterfindungen müssen dem Arbeitgeber schriftlich angezeigt werden; § 5 ArbnErfG. Der Arbeitgeber kann sich daraufhin gem. § 6 ArbnErfG entscheiden, die Erfindung beschränkt oder unbeschränkt in Anspruch zu nehmen oder freizugeben. Mit der unbeschränkten Inanspruchnahme gehen gem. § 7 ArbnErfG bis auf das Erfinderpersönlichkeitsrecht alle Rechte an der Erfindung auf den Arbeitgeber über. Der Arbeitgeber entscheidet in diesem Fall allein, ob die Erfindung durch Anmeldung von Schutzrechten gesichert werden soll. Der Arbeitnehmer kann die Erfindung nicht mehr selbst zum Patent anmelden. Der Arbeitgeber kann gem. § 17 ArbnErfG auch von der Schutzrechtsanmeldung absehen, um Betriebsgeheimnisse zu wahren. Folge der unbeschränkten Inanspruchnahme ist gem. § 9 ArbnErfG ein Anspruch des Arbeitnehmers auf angemessene Vergütung, der nicht erst mit einer Patentanmeldung durch den Arbeitgeber, sondern schon mit der Erklärung der unbeschränkten Inanspruchnahme entsteht. Erfindungen sind in der Regel nicht als Arbeitsleistung geschuldet und deshalb mit der arbeitsvertraglichen Vergütung auch nicht abgegolten. Der Vergütungsanspruch ist fällig, sobald die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Erfindung feststeht. Für die Höhe der Vergütung ist gem. § 9 Abs. 2 ArbnErfG die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Erfindung, d. h. der Erfindungswert und der Anteil des Arbeitnehmers bzw. des Betriebes am Zustandekommen der Erfindung, maßgeblich. Das Bundesministerium für Arbeit hat gem. § 11 ArbnErfG Richtlinien für die Ermittlung der Vergütungshöhe erlassen. Vom Arbeitgeber tatsächlich benutzte Erfindungen sind offensichtlich wirtschaftlich verwertbar. Eine Patentierung ist für sich dagegen noch kein Beleg der wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Wirtschaftlich nicht verwertbare Erfindungen führen deshalb nicht zu einem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers, auch wenn sie patentiert sind. Der Wert der benutzten Erfindung wird nach den Richtlinien des Bundesministeriums für Arbeit primär anhand der sog. Lizenzanalogie ermittelt, indem gefragt wird, zu welchem Preis eine Lizenz von einem freien Erfinder erworben werden müsste. Eine Alternative ist die Ermittlung des konkreten betrieblichen Nutzens beim Arbeitgeber. Notfalls kann der Wert auch durch freie Schätzung festgelegt werden. Die wirtschaftliche Verwertbarkeit ergibt sich auch aus der Benutzung der Erfindung durch andere Unternehmen auf der Basis einer Lizenz. Benutzt wird eine Erfindung auch dann, wenn sie nicht betrieblich genutzt wird, der Arbeitgeber sie aber durch ein (Sperr-)Patent schützt, um eine inhaltsgleiche oder
11.5 Technische Verbesserungsvorschläge
157
ähnliche Schutzrechtsanmeldung von Wettbewerbern zu verhindern. Ein sog. Vorratspatent, das dazu dient, eine Nutzung zu einem späteren Zeitpunkt offen zu halten, wird aktuell nicht betrieblich genutzt. Die Schutzrechtsanmeldung kann aber eine wirtschaftliche Verwertbarkeit der Erfindung belegen, so dass ein Erfindungswert besteht, der aber in der Regel nur durch freie Schätzung festgelegt werden kann. Unausgenutzte Verwertungsmöglichkeiten fließen bei der unbeschränkten Inanspruchnahme in die Berechnung des Erfindungswerts mit ein. Der Erfindungswert wird mit einem Anteilsfaktor multipliziert. Der Anteilsfaktor ist um so höher, je entfernter die Tätigkeit des Arbeitnehmers von Forschung und Entwicklung ist, je niedriger die Hierarchiestufe ist, in der der Arbeitnehmer tätig ist, je weniger der Arbeitgeber die Erfindungsarbeit unterstützt hat, je entfernter die Erfindungsaufgabe von den übertragenen Arbeitsaufgaben ist und je geringer der Anteil des Betriebes an dem Zustandekommen der Diensterfindung ist. Der Anteilsfaktor kann bei Mitarbeitern in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen Null sein, insbesondere wenn die Erwartung von Erfindungen bereits in die Höhe der Vergütung eingeflossen ist. Bei der beschränkten Inanspruchnahme erwirbt der Arbeitgeber nur ein Nutzungsrecht an der Erfindung. Er überlässt es damit dem Arbeitnehmer, ob dieser die Erfindung auf seine Kosten zur Patentierung anmeldet. Der Arbeitnehmer erhält auch in diesem Fall eine Erfindervergütung. Beim Erfindungswert bleiben vom Arbeitgeber unausgenutzte Verwertungsmöglichkeiten unberücksichtigt; es kommt nur auf den tatsächlichen Umfang der Verwertung durch den Arbeitgeber an. Erfindungen an denen der Arbeitgeber nicht interessiert ist, gibt er frei. Der Arbeitnehmer kann versuchen auf eigene Kosten Schutzrechte anzumelden und zu verwerten und erhält vom Arbeitgeber selbstverständlich keine Vergütung.
11.5
Technische Verbesserungsvorschläge
Eine Optimierung von Arbeitsabläufen kann erheblich zur Senkung von Kosten beitragen. Unternehmen sind bereit erhebliche Summen für Beratung bei Restrukturierungsvorhaben zu investieren. Im Zuge von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (Kai-Zen) wird von Mitarbeitern geradezu erwartet, dass sie Ideen für die technische und organisatorische Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse entwickeln. Nach § 20 Abs. 1 ArbnErfG hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Vergütung für technische Verbesserungsvorschläge, die dem Arbeitgeber eine ähnliche Vorzugsstellung gewähren wie ein gewerbliches Schutzrecht (Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster). Das ist dann der Fall, wenn der Vorschlag von Dritten nicht nachgeahmt werden kann, z. B. bei der Anwendung von Geheimverfahren oder der Verwendung von Erzeugnissen, die nicht analysiert werden können. Die Vergütung wird nach den gleichen Kriterien ermittelt, die für die beschränkte Inanspruchnahme einer Erfindung gelten. § 20 Abs. 2 ArbnErfG öffnet
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11 Rechte am Arbeitsergebnis
Handlungsspielräume für weitergehende Regelungen durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung. Technische Verbesserungsvorschläge unterhalb der in § 20 ArbnErfG genannten Schwelle und solche Vorschläge, die nicht die Technik betreffen, sondern organisatorischer Art sind, müssen vom Arbeitgeber nur vergütet werden, wenn ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder der jeweilige Arbeitsvertrag dies vorsieht. Eine Gratifikation wird ansonsten nur freiwillig im Einzelfall oder im Rahmen eines systematischen betrieblichen Vorschlagswesens gewährt.
12
Folgen von Pflichtverletzungen
12.1
Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
Da das Arbeitsverhältnis meist über eine längere Zeit andauert, ist es ausgeschlossen, dass dem Arbeitnehmer keinerlei Fehler bei der Ausführung der Arbeitsleistung unterlaufen. Der Arbeitnehmer ist zwar zu fehlerfreier Arbeit verpflichtet, gleichwohl ist eine Erfüllung dieser Pflicht über einen längeren Zeitraum hinweg mit grundlegenden menschlichen Verhaltensweisen nicht vereinbar und deshalb illusorisch. Finagles „Law of Dynamic Negatives“ gilt auch in der Arbeitswelt: „Wenn etwas schief gehen kann, dann wird es auch schief gehen – und das zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt“. Viele Fehler bleiben glücklicherweise ohne Folgen. Fehler können aber Schäden an Vermögen und Eigentum, leider auch an Körper und Gesundheit – – – –
des Arbeitnehmers selbst, des Arbeitgebers, der Kolleginnen und Kollegen oder dritter Personen
verursachen.
12.1.1
Fehlerhafte Arbeitsleistung als Gegenstand des Mitarbeitergesprächs
Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers sollten unmittelbar auch und gerade dann, wenn sie folgenlos geblieben sind und kein Schaden entstanden ist, ein Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter veranlassen. Mitarbeitergespräche sind die effizientesten Führungsmittel. Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeiter sich mehr Gespräche mit ihren Führungskräften wünschen und dass eine mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Vorgesetzten beklagen. Ein Grund für die wahrgenommene geringe Gesprächsbereitschaft der Vorgesetzten liegt evtl. darin, dass die Führungskräfte ihrerseits ihr tatsächliches Kommunikationsverhalten überschätzen und fälschlicherweise davon ausgehen, dass die Mitarbeiter kein ausgeprägtes Gesprächsinteresse haben.
160
12 Folgen von Pflichtverletzungen
In den Gesprächen sind die Mitarbeiter darüber zu informieren, welches Verhalten und welche Leistungen von ihnen erwartet werden und was beobachtet wurde. Diese Rückmeldungen sind mit dem Ziel zu geben, erwünschte Verhaltens- und Leistungstendenzen zu stärken bzw. unerwünschte Verhaltens- und Leistungstendenzen zu verhindern. In beiden Fällen erhalten die Mitarbeiter Zielklarheit und erfahren, dass ihre Arbeit nicht unbeobachtet bleibt und als bedeutsam wahrgenommen wird. Dieses Herausstellen der Leistungsverantwortlichkeit der Mitarbeiter hat in der Regel auch einen motivierenden Effekt (dazu s. o. S. 95ff.). Die Mitarbeitergespräche sollten sich stets auf veränderbares, beobachtbares und beschreibbares Verhalten beziehen. Durch pauschalisierende Aussagen ‚Sie haben gut gearbeitet’ oder ‚Ihre Leistungen sind ungenügend’ wird ein geringerer steuernder Einfluss genommen werden als durch eine Aussage wie ‚Am Ende der Woche ist der Status jedes Teilprojektes bei den jeweils verantwortlichen Teilprojektleitern zu erfragen und zu dokumentieren’. Kritikgespräche sind so führen, dass sie die Mitarbeiter nicht demotivieren oder verärgern. Dies erfordert eine gründliche Vorbereitung. Dabei gilt, dass ein Kritikgespräch nur dann geführt werden sollte, wenn die Führungskraft das nicht erwünschte Verhalten aus eigener Anschauung kennt und dies möglichst konkret beschreiben und belegen kann. Um den Erfolg eines Kritikgesprächs nicht zu gefährden, sind folgende Rahmenbedingungen und Spielregeln einzuhalten: – – – – –
Keine Kritik in Gegenwart Dritter Keine Kritik durch einen (beauftragten) Dritten („Sagen Sie mal ihrem Kollegen, dass er seine Termine einhalten soll.“) Keine indirekte, beiläufige Kritik („Das haben Sie auch schon mal besser gemacht.“) Keine erzwungene Selbstkritik des Mitarbeiters („Nun, was haben Sie den bei diesem Projekt wieder alles falsch gemacht?“) Keine Kritik am Telefon oder per E-Mail
Die Art und Weise der Gesprächsführung trägt erheblich zum Gelingen eines Kritikgesprächs bei. Selbstverständlich sollte die Führungskraft das Gespräch ‚auf Augenhöhe’ führen und sich hierfür Zeit nehmen. Die Führungskraft spricht den problematischen Sachverhalt sachlich und konkret an („Ich habe beobachtet, dass …). Im Anschluss daran ist mit dem Mitarbeiter zu klären, ob diese Beobachtung richtig war, womit festgestellt wird, dass der Anlass zur Kritik berechtigt ist. Wenn sich herausstellt, dass dies nicht der Fall ist, wird unmittelbar mit dem Mitarbeiter das zukünftige Arbeitsverhalten vereinbart und das Gespräch beendet. Erweist sich hingegen die Kritik als berechtigt, gibt der Vorgesetzte dem Mitarbeiter Gelegenheit, die Ursachen des Fehlverhaltens zu beschreiben und zu begründen. Die Führungskraft weist auf die Notwendigkeit der korrekten Arbeitsausführung hin und leitet dann zur Verabredung des weiteren Arbeitsverhaltens über, wobei er darauf zu achten hat, dass die Ziele und Termine präzise und eindeutig formuliert werden. Unstreitig soll im Kritikgespräch immer bleiben, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Erfüllung des Arbeitsvertrags durch fehlerfreie Arbeitsleistung hat.
12.1 Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
12.1.2
161
Abmahnung
In ernsteren Fällen, vor allem wenn es nicht um noch vertretbare „handwerkliche“ Mängel der Arbeitsleistung, sondern grundsätzlich um die Einstellung zur Arbeit und die Integration in die betrieblichen Notwendigkeiten geht, muss der Arbeitgeber in Erwägung ziehen, mit einer Abmahnung oder Missbilligung dem Mitarbeiter vor Augen zu führen, dass sein Verhalten arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann. Die Abmahnung hat die Funktion dem Arbeitnehmer die Vertragswidrigkeit seines Handelns aufzuzeigen (Rügefunktion) und ihm deutlich zu machen, dass er bei einer Wiederholung dieses Verhaltens mit einer Kündigung rechnen muss (Warnfunktion). Die Abmahnung muss deshalb – – – –
das beanstandete Verhalten konkret feststellen die damit verbundene Pflichtverletzung rügen den Arbeitnehmer zu künftigem vertragstreuen Verhalten auffordern für den Wiederholungsfall Sanktionen ankündigen.
Eine besondere Form ist nicht notwendig. Eine Abmahnung ist nicht dem Arbeitgeber oder leitenden Angestellten vorbehalten. Sie kann mündlich von jedem Vorgesetzten ausgesprochen werden. Damit im Streitfall die Tatsache der Abmahnung an sich und deren konkreter Inhalt nachgewiesen werden kann, ist eine schriftliche Abmahnung praktisch Standard. Nach der mündlichen Abmahnung wird in der Praxis nur gesucht, wenn eine Kündigung an der fehlenden Abmahnung zu scheitern droht. Die Pflichtverletzung, die Gegenstand der Abmahnung ist, muss für sich genommen nicht so gravierend sein, dass eine Kündigung gerechtfertigt ist. Die Abmahnung ist eine Maßnahme im Vorfeld der Kündigung und erfolgt nicht, um eine an sich zulässige Kündigung zu ersetzen, sondern eine künftige Kündigung vorzubereiten, weil die arbeitgeberseitige Kündigung zum Zeitpunkt der Abmahnung aufgrund des in der Abmahnung beanstandeten Verhaltens noch nicht gerechtfertigt ist. Aus dem Zusammenhang mit der Kündigung folgt aber auch, dass Gegenstand einer Abmahnung nur ein Verhalten sein kann, das wenigstens im Zusammenhang mit weiteren gleichartigen Pflichtverletzungen eine Kündigung rechtfertigt. Gerade die Erkenntnis, dass der Arbeitsalltag unter keinen Umständen frei von Pech und Pannen sein wird, zwingt dazu, die Abmahnung vorrangig dann einzusetzen, wenn die Einhaltung der jeweiligen Pflicht bzw. Spielregel wichtig, ein Lernfortschritt nicht erkennbar bzw. aufgrund der bisherigen Erfahrungen ohne Abmahnung mit dem Mitarbeiter nicht zu erwarten ist und deshalb die Wiederholungsgefahr erheblich ist. Unterhalb dieser Schwelle sind Abmahnungen eine unverhältnismäßige Reaktion und deshalb unzulässig. Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch darauf, dass unzulässige Abmahnungen unterbleiben und aus den Personalakten entfernt werden (s. o. S. 147). Aus der kündigungsvorbereitenden Funktion der Abmahnung folgt auch, dass sie unwirksam wird, wenn eine Kündigung nicht mehr auf sie gestützt werden kann. Wenn es nach Erteilung der Abmahnung nicht zu einem gleichartigen Pflichtverstoß gekommen ist, hat sie ihre Warnfunktion erfüllt. Zuverlässige Angaben zur Mindestzeit des Wohlverhaltens, die eine Abmahnung unwirksam macht, sind nicht möglich, weil diese Zeit von den Umständen des Einzelfalls, also von der verletzten Pflicht, sowie von Ausmaß und Tragweite des Pflichtverstoßes abhängen. Eine Richtschnur
162
12 Folgen von Pflichtverletzungen
ist die Frist von zwei Jahren. Innerhalb dieser Frist würden gleichartige Verstöße in der Regel eine Kündigung rechtfertigen, so dass kein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte besteht.
12.1.3
Erfüllungsansprüche des Arbeitgebers
Der Arbeitnehmer schuldet dem Arbeitgeber die Leistung von Arbeit u.a. zur rechten Zeit. Der Arbeitgeber hat gem. § 611 BGB einen Anspruch auf Erfüllung dieser Verpflichtung. Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsverpflichtung nicht erfüllt, weil er unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist, hängt der Erfüllungsanspruch des Arbeitgebers von dem gewählten Arbeitszeitsystem ab. Ist während fester Zeiten zu arbeiten, wird die Leistung des Arbeitnehmers durch einen konkreten Leistungstermin bestimmt. Wird der Termin versäumt, kann die Arbeit für die Vergangenheit nicht mehr erbracht werden. Sie gilt gem. § 275 Abs. 1 BGB als unmöglich. Die Arbeitsleistung muss vom Arbeitnehmer nicht nachgeholt werden, allerdings entfällt gem. § 326 Abs. 1 BGB auch der Anspruch auf Vergütung. Die rechtliche Regelung schließt selbstverständlich nicht aus, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf einigen, dass die Fehlzeiten nachgearbeitet werden. Im Rahmen von flexiblen Arbeitszeiten ist die zeitliche Lage der Arbeitszeit weniger exakt festgelegt, so dass hier der Erfüllungsanspruch des Arbeitgebers bei Nichterfüllung der Arbeitsverpflichtung grundsätzlich bestehen bleibt. Ein Erfüllungsanspruch besteht im Prinzip auch, wenn der Arbeitnehmer sich für die Zukunft weigert, vertragsgemäß zu arbeiten, indem er vor Ablauf einer Kündigungsfrist eine andere Beschäftigung aufnimmt. Letztlich nützt dieser Erfüllungsanspruch dem Arbeitgeber jedoch wenig, weil die Pflicht zur Arbeitsleistung gem. § 888 Abs. 3 ZPO nicht im Wege der Zwangsvollstreckung einseitig und gegen den Willen des Arbeitnehmers durchgesetzt werden kann.
12.1.4
Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber
Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers können zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers führen. Haftungsvoraussetzungen Das BGB unterscheidet zwischen der Haftung für die Verletzung vertraglicher Pflichten und sog. deliktischer Haftung für die Verletzung sog. absolut geschützter Rechtsgüter. Die vertragliche Haftung setzt einen Vertrag zwischen den Beteiligten voraus. Wer die vertraglich übernommenen Pflichten nicht erfüllt, muss seinem Vertragspartner den daraus entstandenen Schaden ersetzen. Der Vertragspartner muss sich auf die Erfüllung des Vertrages verlassen können. Die deliktische Haftung betrifft das Verhältnis von Personen, die nicht durch einen Vertrag verbunden sind. Bestimmte Rechtsgüter anderer Personen muss man in jedem Fall respektieren, auch wenn keine vertraglichen Beziehungen bestehen. Es handelt sich um Rechtsgüter, die wie das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben gegen Verletzungen durch jedermann geschützt sind und deshalb als absolute Rechte bezeichnet werden.
12.1 Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
163
Verletzungen dieser Rechte sind in vielen Fällen auch strafrechtlich relevant. Weil im Vertrag über die Respektierung absoluter Rechte hinausgehende Pflichten übernommen werden, geht der vertragliche Anspruch grundsätzlich weiter als der deliktische Schadenersatzanspruch: Wenn Schädiger und Geschädigter durch einen Vertrag verbunden sind, bleiben vertragliche und deliktische Haftungsansprüche nebeneinander bestehen. Unterschiede bestehen im Hinblick auf Ausschlussfristen und Verjährung, so dass es vorkommen kann, dass ein vertraglicher Schadenersatzanspruch nicht mehr durchgesetzt werden kann, der deliktische Haftungsanspruch aber noch zum Schadensersatz führt. Bei den vertraglichen Schadenersatzansprüchen ist zwischen der Verletzung von Hauptpflichten und Nebenpflichten zu unterscheiden. Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist die Leistung von Arbeit zur rechten Zeit am rechten Ort. Erfüllt der Arbeitnehmer diese Verpflichtung nicht, entfällt nicht nur der Anspruch auf die Vergütung (s.o.126). Der Arbeitgeber hat bei Nichterfüllung der Arbeitsverpflichtung gegen den Arbeitnehmer gem. §§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, 283, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Verschulden des Arbeitnehmers zusätzlich Anspruch auf Schadensersatz. Ein Schaden kann vor allem durch Aufwand für die kurzfristige Beschaffung von Ersatzpersonal entstehen, aber auch dadurch, dass der Arbeitgeber vertragliche Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden nicht zeitgerecht erfüllen kann und seinerseits Schadenersatzansprüchen der Kunden ausgesetzt ist. Der Arbeitnehmer haftet gem. §§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB aber auch für die Verletzung sog. Nebenpflichten. Voraussetzung der Haftung ist, dass der Arbeitnehmer als Schuldner der Arbeitsleistung eine arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft verletzt hat, die die Art und Weise der Ausführung der Arbeitsleistung betrifft. Der Arbeitnehmer muss u. a. – – – – – – – – –
Fehlerfrei arbeiten, Sicherheitsbestimmungen, Qualitätshandbücher, Ethikrichtlinien und das Strafgesetzbuch beachten, über Betriebsinterna Verschwiegenheit bewahren, Nebentätigkeiten anzeigen, Wettbewerb unterlassen und Sonstige Interessen des Arbeitgebers wahrnehmen.
Die deliktische Haftung regeln §§ 823 f. BGB. Voraussetzung der Haftung ggü. dem Arbeitgeber ist, dass der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft absolute Rechtsgüter des Arbeitgebers (vgl. § 823 Abs. 1 BGB), insbesondere Gesundheit, Eigentum oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht, verletzt oder gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, das den Schutz des Arbeitgebers bezweckt (§ 823 Abs. 2 BGB). Eine solche Vorschrift wäre z. B. das Verbot der Annahme von Schmiergeldern gem. § 299 StGB. Rechtswidrig handelt der Arbeitnehmer, wenn ihm nicht besondere Rechtfertigungsgründe wie z. B. die Notwehr zur Seite stehen. Voraussetzung der Haftung ist sowohl bei vertraglicher als auch bei deliktischer Haftung jeweils ein Verschulden des Arbeitnehmers. Bei Verletzung vertraglicher Pflichten hat der Arbeitnehmer gem. § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Vorsätzlich
164
12 Folgen von Pflichtverletzungen
handelt der Arbeitnehmer, wenn er seine Pflichten bewusst und gewollt verletzt. Fahrlässig handelt nach § 275 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Der Arbeitnehmer will in einem solchen Fall die Pflicht nicht bewusst verletzen; der Pflichtverstoß ergibt sich „aus Versehen“. Im Rahmen der deliktischen Haftung liegt gem. § 823 Abs. 1 BGB Verschulden ebenfalls dann vor, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Bei deliktischer Haftung muss der Arbeitgeber stets darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer Pflichten bzw. absolute Rechtsgüter verletzt hat und dass ihn daran ein Verschulden trifft. Für die vertraglichen Haftungsansprüche des Arbeitgebers verändert § 619a BGB die für vertragliche Schadenersatzansprüche allgemein geltende Beweislastregel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zugunsten des Arbeitnehmers dahingehend, dass der Arbeitgeber die volle Beweislast für seinen Schadenersatzanspruch trägt. In Bezug auf die Beweislastverteilung bestehen zwischen deliktischen und vertraglichen Ansprüchen gegen den Arbeitnehmer damit abweichend vom allgemeinen Vertragsrecht keine Unterschiede. Haftungsumfang Die Höhe des Schadensersatzanspruchs des Arbeitgebers ergibt sich sowohl für den vertraglichen als auch für den deliktischen Schadenersatzanspruch aus §§ 249 ff. BGB. Gem. § 249 Abs. 1 BGB hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestanden hätte. Soweit die Pflichtverletzungen zu Verletzungen einer Person oder Beschädigung von Sachen geführt haben, kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 BGB abweichend vom Grundsatz der sog. Naturalrestitution stets Schadensersatz in Geld verlangen. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer also nicht Gelegenheit geben, die beschädigte Maschine selbst zu reparieren. Soweit der Arbeitgeber infolge der Pflichtverletzung zusätzliche Aufwendungen in Geld hatte, sind diese Aufwendungen ebenso zu erstatten wie gem. § 252 BGB der z. B. infolge eines Produktionsstillstandes entgangene Gewinn. Die Schadenersatzpflicht umfasst gem. § 253 Abs. 2 BGB bei der Verletzung des Körpers, der Gesundheit und der sexuellen Selbstbestimmung auch ein Schmerzensgeld. Die Haftung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber reduziert sich gem. § 254 BGB, wenn den Arbeitgeber ein Mitverschulden am Schaden trifft, also nicht nur eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers den Schaden verursacht hat, sondern auch der Arbeitgeber nicht das Erforderliche getan hat, den Schaden zu verhindern, und selbst schuldhaft Pflichten verletzt hat. Die Beweislast für ein schadenersatzminderndes Mitverschulden des Arbeitgebers trägt der Arbeitnehmer. Für den Umfang der Haftung des Arbeitnehmers ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber die Verantwortung für die Organisation der betrieblichen Abläufe und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen trägt. Der Arbeitgeber hat dadurch maßgeblichen Einfluss auf den Umfang von Schadensrisiken. Der Arbeitgeber ist für Zeitdruck und Arbeitsstress, für Monotonie der Arbeitsbedingungen und Ermüdung durch äußere Einflüsse als wesentliche Schadensursachen in hohem Masse mitverantwortlich. Er hat schließlich auch die Möglichkeit, Schadensrisiken durch Abschluss einer Versicherung zu minimieren. Da der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt, wird der in § 254 BGB enthaltene Rechtsgedanke so angewandt, dass sich bei Schäden aufgrund betrieblicher Tätigkeit der Schadenersatzanspruch des
12.1 Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
165
Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer reduziert, auch wenn dem Arbeitgeber keine Verletzung konkreter Pflichten und damit kein direktes Mitverschulden in Bezug auf den Schaden angelastet werden kann: – –
– –
–
Der Arbeitnehmer schuldet bei leichtester Fahrlässigkeit keinen Schadensersatz. Der Arbeitgeber trägt seinen Schaden als Teil des Betriebsrisikos allein. Bei normaler Fahrlässigkeit teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Schaden. Für die vom Arbeitnehmer zu tragende Quote sind als Kriterien maßgeblich: o Gefahrgeneigtheit der Arbeit o Versicherbarkeit des Risikos für den Arbeitgeber o Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb o Höhe des Entgelts (enthält es eine Risikoprämie?) o absolute Höhe des Schadens o Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers o Persönliche Umstände des Arbeitnehmers (Dauer der Betriebszugehörigkeit, bisheriges Verhalten, Lebensalter, Familienverhältnisse). Der Haftungsanteil des Arbeitnehmers reduziert sich, wenn sein Verdienst in erheblichem Missverhältnis zum Schadensrisiko steht. Bei grober Fahrlässigkeit, wenn also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in erheblichem Maße verletzt und schon einfachste, jedermann einleuchtende Überlegungen nicht angestellt wurden, haftet der Arbeitnehmer grundsätzlich für den vollen Schaden. Die Haftung kann reduziert werden, wenn der Verdienst des Arbeitnehmers in erheblichem Missverhältnis zum Schadensrisiko steht. Bei gröbster Fahrlässigkeit und für vorsätzlich herbeigeführte Schäden haftet der Arbeitnehmer stets allein.
Eine generelle Haftungserleichterung sieht § 105 Abs. 2 SGB Siebtes Buch (Unfallversicherung) für den Fall vor, dass der Arbeitnehmer einen Personenschaden des Unternehmers verursacht, ihn also körperlich verletzt. Für den Unternehmer stellt sich die Verletzung als Arbeitsunfall dar; er hat die aus einem Arbeitsunfall folgenden Ansprüche gegen die zuständige Berufsgenossenschaft als Träger der Unfallversicherung. Im Todesfall haben seine Hinterbliebenen die im SGB vorgesehenen Ansprüche. Der sozialrechtliche Anspruch sperrt vollständig den Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Schadensersatz für den erlittenen Körperschaden. Sogar der Schmerzensgeldanspruch, für den kein direktes sozialversicherungsrechtliches Äquivalent besteht, kann gegenüber dem Arbeitnehmer nicht geltend gemacht werden. Im Interesse des Betriebsfriedens besteht ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch neben den sozialrechtlichen Ansprüchen des Verletzten gegen die Unfallversicherung nur dann, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich gehandelt hat oder der Arbeitsunfall in einem Wegeunfall besteht. Ob ein (Sach-)Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers gegen einen Arbeitnehmer tatsächlich durchgesetzt werden kann, hängt immer auch von wirtschaftlichen Überlegungen ab. Mit der Aufrechnung gem. § 387 BGB gegen den Vergütungsanspruch verfügt der Arbeitgeber zwar über eine günstige Möglichkeit auch kleine Schadenersatzansprüche zu realisieren. Andererseits sind die Wirkungen einer kleinlichen Regresspolitik auf die Motivation und Einsatzfreude der Belegschaft verheerend und schon mittelfristig teurer als der Verzicht auf
166
12 Folgen von Pflichtverletzungen
Schadenersatzansprüche. Andererseits ist die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs in Fällen von Schlamperei und fehlender Konzentration auf die Arbeit durchaus ein Mittel, die Belegschaft im Vorfeld einer Abmahnung oder Kündigung an ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen u. a. zu pfleglichem Umgang mit dem Betriebsvermögen zu erinnern.
12.1.5
Haftung des Arbeitnehmers ggü. anderen Arbeitnehmern desselben Betriebs
Aufgrund von Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers können Kollegen geschädigt werden, indem sie verletzt werden oder indem deren Eigentum beschädigt oder zerstört wird. Zwischen den Arbeitnehmern eines Betriebs bestehen keine vertraglichen Beziehungen, so dass eine Haftung nur auf der Grundlage von § 823 BGB infrage kommt. Die Haftung beschränkt sich außer im Fall von Vorsatz und bei Wegeunfällen auf Sachschäden, da die für den Arbeitsunfall vorgesehenen Ansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft) aufgrund § 105 Abs. 1 SGB Siebtes Buch die Schadenersatzansprüche gegen den Kollegen in Bezug auf Personenschäden einschließlich des Schmerzensgeldanspruchs sperren, um den Betriebsfrieden nicht mit Schadenersatzforderungen unter Kollegen zu belasten. Die gegenüber dem Arbeitgeber bei leichter oder mittlerer Fahrlässigkeit bestehenden Haftungsbeschränkungen greifen in Bezug auf Sachschäden der Kollegen nicht. Der Arbeitnehmer ist also tatsächlich Schadenersatzansprüchen der Kollegen ausgesetzt. Wenn der Schaden allerdings im Rahmen betrieblicher Tätigkeit, also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausführung der Arbeitsleistung entstanden ist, kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gem. § 257 BGB oder § 670 BGB Freistellung von den Schadenersatzansprüchen der Kollegen in dem Umfang verlangen, in dem nach den Grundsätzen der Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers ein Arbeitgeber den Schaden zu tragen hätte. Bei leichtester Fahrlässigkeit muss also der Arbeitgeber letztendlich den Sachschaden des geschädigten Kollegen tragen, bei normaler Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen dem Arbeitgeber und dem für den Schaden verantwortlichen Mitarbeiter geteilt. Diese Beteiligung des Arbeitgebers an der Schadenswiedergutmachung ist gerechtfertigt, weil er für die Arbeitsbedingungen verantwortlich ist und es letztlich vom Zufall abhängt, ob durch Pflichtverletzungen bei der Arbeitsleistung nur der Arbeitgeber oder Kollegen geschädigt werden. Das Haftungsrisiko für Sachschäden von Arbeitskollegen ist aus diesen Gründen überschaubar, da die Haftung üblicherweise nur Kleidung, Brille, Uhr und Aktentasche oder andere von den Kollegen in den Betrieb mitgebrachte Sachen betrifft. Der „Parkplatzrempler“ gegen das Auto des Kollegen ist über die Fahrzeughaftpflichtversicherung des eigenen Kraftfahrzeugs abgesichert, auch wenn er auf einem für die Allgemeinheit nicht zugänglichen Betriebsgelände passiert.
12.1.6
Haftung des Arbeitnehmers ggü. Dritten
Werden Dritte geschädigt, richtet sich die Haftung des Arbeitnehmers ebenfalls nach §§ 823 ff. BGB, weil den Arbeitnehmer und einen Dritten keine vertraglichen Beziehungen
12.1 Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
167
verbinden, auch wenn zwischen dem geschädigten Dritten und dem Arbeitgeber ein Vertrag besteht. Der Arbeitnehmer kommt mit Eigentum Dritter nicht nur bei Arbeiten in deren Haus, Wohnung oder Betriebsgelände, sondern auch auf dem eigenen Werksgelände oder in seinem Büro in Berührung. Sind Maschinen oder anderes Anlagevermögen gemietet oder geleast, ist nicht der Arbeitgeber Eigentümer, sondern der Vermieter oder der Leasinggeber. Sind Anlagen der finanzierenden Bank zur Sicherung eines Darlehens übereignet oder besteht bis zur endgültigen Zahlung ein Eigentumsvorbehalt des Lieferanten, liegt die gleiche Situation vor. Ist eine Arbeitsleistung außerhalb des Werksgeländes zu erbringen, können Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers Eigentum der Kunden oder auch Eigentum völlig Unbeteiligter beschädigen, die Gesundheit Dritter beeinträchtigen, Verletzungen oder auch Todesfälle von nicht dem Betrieb angehörenden Personen zur Folge haben. In allen Fällen trifft den Arbeitnehmer – wenn wenigstens Fahrlässigkeit gegeben ist –, die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB, weil absolut geschützte Rechtsgüter der Verletzten betroffen sind. Soweit zwischen dem Arbeitgeber und dem geschädigten Dritten vertragliche Beziehungen bestehen, haftet neben dem Arbeitnehmer auch der Arbeitgeber gem. §§ 280, 278 BGB für das Verschulden seiner Arbeitnehmer, da diese Erfüllungsgehilfen des Arbeitgebers für die Ausführung des Vertrags sind. In der Regel werden sich die Vertragspartner des Arbeitgebers an diesen als den finanzkräftigeren Schuldner halten, so dass der Arbeitnehmer Schadenersatzforderungen geschädigter Kunden eher nicht zu fürchten braucht. Anders ist das bei der Schädigung von Dritten, die in keiner Vertragsbeziehung zum Arbeitgeber stehen. Diesen gegenüber haftet der Arbeitgeber gem. § 831 BGB nicht, wenn er nachweisen kann, dass er bei der Auswahl oder Anleitung dieser Personen die erforderliche Sorgfalt beachtet hat oder wenn der Schaden auch bei Beachtung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. Diese sog. Exkulpierung wird dem Arbeitgeber in aller Regel gelingen, so dass der Geschädigte Dritte sich primär an den Arbeitnehmer halten wird, um Schadensersatz zu erhalten. Die gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Haftungsbeschränkungen bei Fahrlässigkeit und bei Personenschäden greifen gegenüber Dritten nicht. Es besteht ein voller Schadenersatzanspruch der nicht dem Betrieb angehörenden Person gegen den Arbeitnehmer, der nur durch konkretes Mitverschulden in der Form der schuldhaften Verletzung eigener Pflichten des Geschädigten gemindert wird. Der Grundsatz der Totalreparation des Schadens gilt selbst bei leichtester Fahrlässigkeit, so dass schon geringfügige Fehler zu erheblichen, auch die Existenz gefährdenden Schadenersatzbelastungen führen können. Selbst bei der Beschädigung geleaster oder als Kreditsicherheit an die Bank übereigneter Anlagegüter haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Leasinggeber oder der finanzierenden Bank in voller Höhe. Wenn der Schaden im Rahmen betrieblicher Tätigkeit entstanden ist, kann der Arbeitnehmer gem. § 257 BGB oder § 670 BGB wie bei Schadenersatzansprüchen von Kollegen vom Arbeitgeber Freistellung von den Schadenersatzansprüchen in dem Umfang verlangen, in denen nach den Grundsätzen der Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers ein Arbeitgeber den Schaden zu tragen hätte. Auch im Verhältnis zu Außenstehenden wird der Arbeitnehmer im Ergebnis also nicht schlechter gestellt, als wenn er den Arbeitgeber selbst geschädigt hätte. Das setzt aber voraus, dass der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wirtschaftlich realisierbar ist. Es bleibt für den betroffenen Arbeitnehmer das Risiko,
168
12 Folgen von Pflichtverletzungen
dass der Arbeitgeber insolvent wird und deshalb die im Verhältnis zum Dritten bestehende Haftung vom Arbeitnehmer nicht mehr an den Arbeitgeber weitergereicht werden kann.
12.2
Pflichtverletzungen des Arbeitgebers
Auch der Arbeitgeber ist nicht perfekt und macht Fehler. Während der Arbeitgeber auf Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers faktisch nur mit Sanktionen (Abmahnung oder Kündigung) oder Schadenersatzansprüchen reagieren kann, sind für den Arbeitnehmer arbeitsplatzerhaltende Reaktionen vorrangig. Erfüllt der Arbeitgeber seine vertraglichen Pflichten nicht, wird der Arbeitnehmer primär versuchen durchzusetzen, dass sich der Arbeitgeber vertragskonform verhält.
12.2.1
Erfüllungsansprüche des Arbeitnehmers und die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts
Der Arbeitnehmer hat neben dem Anspruch auf Vergütung und tatsächliche Beschäftigung als Hauptpflichten des Arbeitgebers einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Erfüllung der Nebenpflichten. Er kann also, insbesondere wenn noch kein Schaden entstanden ist, arbeitsgerichtlich gegen den Arbeitgeber vorgehen und ihn auf diese Weise zur Erfüllung zwingen. Möglich (und in der Regel wenigstens als Versuch zu empfehlen) ist die Beschwerde bei den zuständigen Personen nach § 82 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder gem. § 85 Abs. 1 BetrVG beim Betriebsrat, damit dieser seine Aufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wahrnehmen kann und die Einhaltung der zum Schutz der Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen überwacht. Der Arbeitnehmer ist zur Arbeitsleistung verpflichtet. §§ 611 ff. BGB begründen für den Arbeitgeber jedoch keine ausdrückliche Pflicht zur Abnahme der vom Arbeitnehmer angebotenen Dienstleistung. Zwar bleibt bei Nichtabnahme der Arbeitsleistung aufgrund des Annahmeverzugs des Arbeitgebers der Vergütungsanspruch bestehen. Trotzdem kann es für den Arbeitnehmer unbefriedigend sein, wenn seine Arbeitsleistung nicht abgerufen wird. Denkbar ist auch, dass die kontinuierliche Arbeit notwendig ist, um die Qualifikation überhaupt aufrechtzuerhalten. Der Arbeitnehmer kann deshalb vom Arbeitgeber gem. § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 2 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) verlangen, tatsächlich mit Aufgaben beschäftigt zu werden, die dem Arbeitsvertrag entsprechen. Die einseitige, nicht im Konsens erfolgende Freistellung von der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber ist nur gerechtfertigt, wenn im Ausnahmefall seitens des Arbeitgebers erhebliche Interessen zu wahren sind, z. B. weil im Vorfeld einer möglichen außerordentlichen Kündigung disziplinarische oder strafrechtliche Vorwürfe zu klären sind oder eine Beschäftigung dem Arbeitgeber wegen des Verhaltens des Mitarbeiters nicht zuzumuten ist, z. B. nach einem tätlichen Angriff auf den Arbeitgeber oder Vorgesetzte oder erheblichen Beleidigungen. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers kann gegen den Arbeitgeber sogar im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden.
12.2 Pflichtverletzungen des Arbeitgebers
169
Auch den vertraglichen Vergütungsanspruch kann der Arbeitnehmer selbstverständlich gerichtlich durchsetzen und durch Pfändung von Eigentum oder Forderungen des Arbeitgebers vollstrecken. Er kann aber auch seine Arbeitsleistung gem. § 273 BGB verweigern, weil der Arbeitgeber einen fälligen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllt. Hierbei kann es sich um rückständige Vergütung, um nicht erfüllte Nebenpflichten wie die Gewährleistung der Arbeitssicherheit, die Zuweisung eines angemessenen Arbeitsplatzes oder das Einschreiten gegen Mobbing, aber auch um nicht erfüllte Schadenersatzansprüche handeln. Bei der rechtmäßigen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts muss der Arbeitgeber gem. § 615 BGB die Vergütung für die ausgefallene Arbeitszeit zahlen, ohne dass die nicht geleistete Arbeitszeit nachgeholt wird, weil er in Bezug auf die Arbeitsleistung im Annahmeverzug ist. Einen speziellen Fall des Zurückbehaltungsrechts regelt § 14 AGG. Von Belästigung gem. § 3 Abs. 3 AGG und sexueller Belästigung gem. § 3 Abs. 4 AGG betroffene Arbeitnehmer sind berechtigt, die Arbeitsleistung unter Fortbestehen des Vergütungsanspruchs zu verweigern, wenn der Arbeitgeber keine oder nur offensichtlich ungeeignete Maßnahmen ergreift. Begrenzt wird das Zurückbehaltungsrecht allerdings durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Das Zurückhalten der Arbeitsleistung darf nicht zu einem unverhältnismäßigen Schaden beim Arbeitgeber führen. Für die Abwägung kommt es also auf den Umfang und die Bedeutung der vom Arbeitgeber nicht erfüllten Pflicht für den Arbeitnehmer an. Mehrmonatige Vergütungsrückstände muss der Arbeitnehmer jedenfalls ebenso wenig hinnehmen wie ernsthafte Sicherheitsmängel. Beschränkt sich der Verstoß gegen Sicherheitsbestimmungen darauf, dass Unfallverhütungsvorschriften nicht ausgehängt sind, ist die Verweigerung der Arbeitsleistung nicht zu rechtfertigen. Das Zurückbehaltungsrecht ist ein relativ weitgehendes Recht, durch dessen Ausübung erheblicher Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt wird. Es birgt aber auch gewisse Risiken, da seine unberechtigte Ausübung zum einen nicht zum Annahmeverzug des Arbeitgebers führt und zum anderen eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers darstellt, die gem. § 275 Abs. 1 und 4, 326 Abs. 1 BGB zum Verlust des Vergütungsanspruchs führt. Das Fernbleiben von der Arbeit kann darüber hinaus als Arbeitsverweigerung gewertet werden und zur arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Mit der Verweigerung der Arbeitsleistung unter Hinweis auf Pflichtverletzungen des Arbeitgebers wird der Konflikt notwendig auf eine Weise eskaliert, die gut überlegt sein will, gerade weil – abgesehen von den eindeutigen Fällen – die Begrenzung des Zurückbehaltungsrechts durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip und durch Treu und Glauben eindeutige Prognosen für den Ausgang eines Rechtsstreits verhindert.
12.2.2
Schadenersatzansprüche
Da auch der Arbeitgeber Fehler macht, die Schäden beim Arbeitnehmer herbeiführen, sind Schadenersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber möglich. Auch hier stehen vertragliche und deliktische Anspruchsgrundlagen nebeneinander und es ist zwischen der Verletzung von Haupt- und Nebenpflichten zu unterscheiden. Für Fehler von Vorgesetzten haftet der Arbeitgeber im Bereich der vertraglichen Haftung nach § 278 Satz 1 BGB wie für eigenes Verschulden, da Vorgesetzte oder Mitarbeiter der Personalabteilung in Bezug auf
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12 Folgen von Pflichtverletzungen
die spezifischen Arbeitgeberpflichten insbesondere aus § 106 GewO Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers sind. Deliktische Ansprüche bestehen gegenüber dem Arbeitgeber nur, wenn er selbst gehandelt oder Handeln pflichtwidrig unterlassen hat. Dabei kann ihm insbesondere eine Verletzung von Aufsichtspflichten und ein Organisationsverschulden angelastet werden. Im Übrigen haftet er für das Verhalten von Mitarbeitern nur im Rahmen von § 831 BGB. Zahlt der Arbeitgeber die Vergütung nicht zum vereinbarten Fälligkeitstermin, gerät er gem. § 286 Abs. 1 BGB in Verzug. Gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Mahnung des Arbeitnehmers nicht erforderlich. Die Folge ist gem. § 288 Abs. 1 BGB ein pauschalierter Schadenersatzanspruch in Form von Verzugszinsen von 5% Punkten über dem aufgrund § 247 Abs. 2 BGB von der Deutschen Bundesbank festgelegten Basiszinssatz. Weitergehende Schäden können dadurch entstehen, dass dem Arbeitnehmer für die Überziehung seines Kontos den Basiszinssatz zzgl. 5% übersteigende Überziehungszinsen berechnet werden, dass er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen kann und ihm z. B. Mietverträge oder Darlehensverträge gekündigt werden. Auch solche Schäden muss der Arbeitgeber als Verzugsschaden gem. § 288 Abs. 4 BGB ersetzen. Wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers besteht bei unzulässiger Freistellung von der Arbeit neben dem vertraglichen Schadenersatzanspruch nach § 280 BGB stets auch ein deliktischer Schadenersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB. Die unberechtigte Freistellung wird in der Regel beim Arbeitnehmer keinen materiellen Schaden verursachen, da die Vergütung schon aufgrund § 615 BGB gezahlt werden muss. Denkbar ist aber zumindest bei herausgehobenen Positionen im Management, dass für die mit der Freistellung verbundene Rufschädigung und Kränkung als Schadensersatz gem. § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld zu zahlen ist. Die vertraglichen Schadenersatzansprüche für Nebenpflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 611 BGB. Zahlreiche Nebenpflichten ergeben sich aus konkreten gesetzlichen Regelungen. Zu nennen sind neben den Vorschriften zur Arbeitssicherheit und Arbeitszeit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die Abführung der Lohnsteuer, der Erholungsurlaub, die Erteilung eines Arbeitszeugnisses (§ 109 GewO) oder die Gewährung von Freizeit zur Stellensuche (§ 629 BGB). Nebenpflichten begründet auch das AGG, schafft aber in § 15 AGG eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für Schadenersatzverpflichtungen. Weitere Nebenpflichten ergeben sich aus § 241 Abs. 2 BGB. Der Arbeitgeber ist deshalb verpflichtet, berechtigter- oder üblicherweise in den Betrieb mitgebrachtes Eigentum des Arbeitnehmers vor Verlust und Beschädigung zu schützen. Aufgrund § 241 Abs. 2 BGB, Art. 2 GG muss der Arbeitgeber einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Er muss Mobbing unterlassen, weil fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Verhaltensweisen der Anfeindung, Schikane und sozialen Ausgrenzung in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre und auch die Gesundheit des Betroffenen beeinträchtigen. Der Arbeitgeber haftet nach § 278 BGB für Mobbing von Vorgesetzten gegen ihnen unterstellte Mitarbeiter. Auch gegen erkanntes Mobbing unter gleichgeordneten Mitarbeitern muss er einschreiten. Voraussetzung der Haftung ist jeweils neben der Pflichtverletzung ein Verschulden des Arbeitgebers. In Bezug auf die Verletzung vertraglicher Pflichten hat der Arbeitgeber eigenes und das Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen gem. § 276 Abs. 1 BGB bei Vorsatz und Fahr-
12.2 Pflichtverletzungen des Arbeitgebers
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lässigkeit zu vertreten. Soweit Eigentum, Gesundheit und das allg. Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers betroffen sind tritt neben dem vertraglichen Schadenersatzanspruch grundsätzlich auch der deliktische Schadenersatzanspruch nach § 823 BGB, einschließlich des Anspruchs auf Schadensersatz für die fehlerhafte Auswahl oder mangelnde Aufsicht in Bezug auf Verrichtungsgehilfen gem. § 831 BGB. Der vertragliche Schadenersatzanspruch ist für den Arbeitnehmer wegen der Beweislastumkehr durch § 280 Abs. 1 BGB vorteilhafter. Der Arbeitnehmer muss nur beweisen, dass der Arbeitgeber bzw. sein Erfüllungsgehilfe arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt hat. Er muss nicht beweisen, dass die Pflichten schuldhaft verletzt worden sind. Es obliegt dem Arbeitgeber zu beweisen, dass ihn an der Pflichtverletzung kein Verschulden trifft, er also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Für vertragliche Ansprüche gelten allerdings häufig tarifvertraglich kurze Ausschlussfristen, innerhalb derer der Anspruch geltend gemacht werden muss, um den Anspruch nicht zu verlieren. Diese Ausschlussfristen gelten für deliktische Ansprüche meist nicht.
12.2.3
Haftungserleichterungen
Für vom Arbeitgeber im Rahmen betrieblicher Tätigkeit verschuldete Personenschäden schließt § 104 Abs. 1 SGB Siebtes Buch (Unfallversicherung) Schadenersatzansprüche einschließlich der Schmerzensgeldansprüche aus, soweit der Arbeitgeber nicht vorsätzlich gehandelt hat oder ein Wegeunfall vorliegt. Im Fall von Mobbing greift die Haftungserleichterung nicht, weil Mobbing als Gesamthandlung nicht zu einem Versicherungsfall in der Unfallversicherung führt. Auch wenn Mobbing die Gesundheit des Betroffenen angegriffen hat, liegt weder ein Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit vor. Mobbing kann also u. U. Schmerzensgeldansprüche gegen den Arbeitgeber begründen.
12.2.4
Haftungsverschärfungen
Sachschäden am Eigentum des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber in analoger Anwendung von § 670 BGB auch dann erstatten, wenn er keine Pflichten verletzt hat oder ihn an einer Pflichtverletzung kein Verschulden trifft. Voraussetzung ist, dass der Schaden nicht dem Lebensbereich des Arbeitnehmers, sondern dem Betätigungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen ist. Sachschäden, die im Verlauf der Arbeit zwangsläufig entstehen wie Abnutzung und Verschleiß von Kleidung, sind mit der Vergütung abgegolten. Es entsteht kein Anspruch. Außergewöhnliche Sachschäden dagegen, die im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung entstehen und mit denen der Arbeitnehmer nicht rechnen muss, gehören zur Sphäre des Arbeitgebers und sind von ihm im Rahmen seines Betriebsrisikos zu übernehmen. Zur Begründung wird auf den in § 670 BGB zum Ausdruck kommenden Gedanken zurückgegriffen, wonach der Auftraggeber die Aufwendungen ersetzen muss, die der Beauftragte zur Ausführung des Auftrags für erforderlich halten durfte. Erlittene Schäden sind als „unfreiwillige“ Aufwendungen in die Anwendung der Vorschrift eingeschlossen. Relevant ist die Erstattung von Sachschäden analog § 670 BGB für alle Fälle, in denen der Arbeitnehmer eigene Sachen im Interesse des Arbeitgebers besonderen Risiken aussetzt, ohne dass dies in
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12 Folgen von Pflichtverletzungen
der Höhe der Vergütung berücksichtigt ist. Beispiele sind der Fahrradkurier, der Aufträge mit eigenem Fahrrad ausführt oder der Arbeitnehmer, der für eine Dienstreise zur Zeitersparnis im Interesse des Arbeitgebers das eigene Auto benutzt. Auch wenn es sich um einen Aufwendungsersatzanspruch und nicht um einen Schadenersatzanspruch handelt, mindert sich der Anspruch bei Mitverschulden des Arbeitnehmers. Da der Arbeitgeber aber das Betriebsrisiko trägt, gelten für die Verteilung des Schadens die gleichen Grundsätze wie bei der Sachschadenshaftung des Arbeitnehmers ggü. dem Arbeitgeber.
13
Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
13.1
Einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Arbeitsverhältnisse enden einvernehmlich, – – –
wenn sie von vornherein (zulässig) befristet waren oder eine (zulässig) vereinbarte auflösende Bedingung eintritt oder ein Auflösungsvertrag (§ 623 BGB) geschlossen wird.
Als Arbeitgeber wird man versuchen, auf Schlüsselstellungen beschäftigtes Personal durch verlängerte Kündigungsfristen zu binden. Die Absicht des Arbeitgeberwechsels berechtigt den Arbeitnehmer nicht zur außerordentlichen arbeitnehmerseitigen Kündigung. Sind solche Arbeitnehmer aber zum Wechsel entschlossen und zum Bleiben auch durch verbesserte Konditionen nicht zu bewegen, ist das arbeitgeberseitige Beharren auf der Kündigungsfrist in der Regel nicht zielführend. In solchen Fällen ist ein Auflösungsvertrag notwendig, um das Ausscheiden des Arbeitnehmers zu einem früheren Zeitpunkt als dem nächstmöglichen Kündigungstermin zu ermöglichen, weil dieser z. B. eine andere Stelle kurzfristig antreten will. Auflösungsverträge können auch eingesetzt werden, um durch einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Unwägbarkeiten und Kosten eines Kündigungsverfahrens zu vermeiden. Muss aus betrieblichen Gründen Personal freigesetzt werden, kann im Rahmen von Auflösungsverträgen ein Anreiz gesetzt werden, den Arbeitsplatz freiwillig aufzugeben. Nachdem die Möglichkeiten eines frühzeitigen Rentenbezugs eingeschränkt und Abfindungen in Geld sowohl steuerpflichtig sind als auch Leistungsansprüche bei Arbeitslosigkeit reduzieren, sind die Mitnahmeeffekte bei solchen Aufhebungsverträgen erheblich. Auf das Arbeitgeberangebot werden in erster Linie diejenigen eingehen, die auf dem Arbeitsmarkt über Alternativen verfügen und einen hohen Teil der Abfindung als echtes zusätzliches Einkommen realisieren können. Das werden allerdings oft diejenigen sein, die der Arbeitgeber wegen ihres Leistungspotenzials lieber behalten hätte.
174
13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
In anderen Fällen wird ein Aufhebungsvertrag geschlossen, um die eigentlichen Gründe der Trennung zu verschleiern, insbesondere wenn eine arbeitgeberseitige auf das Verhalten des Arbeitnehmers gestützte Kündigung vermieden werden soll. Dem Arbeitnehmer erleichtert ein Aufhebungsvertrag die Stellensuche aber nur dann, wenn die wahren Gründe des Ausscheidens wirklich versteckt sind. Aufhebungsverträge, die das Arbeitsverhältnis zu ungewöhnlichen Daten mitten im Monat auflösen und mit dem Datum des Vortages unterschrieben worden sind, zwingen geradezu zu dem Schluss, dass eine arbeitgeberseitige außerordentliche, d. h. fristlose Kündigung vermieden werden sollte. Sinn macht ein kündigungsvermeidender Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer nur dann, wenn der Auflösungsvertrag auf einen Monatsschluss fällt und er bis dahin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt wird. Für den Arbeitgeber ist der Aufhebungsvertrag gegenüber der Kündigung attraktiv, weil für ihn sofort Rechtssicherheit besteht und die erheblichen Unwägbarkeiten eines Kündigungsschutzverfahrens wegfallen. Durch Vereinbarung der Freistellung von der Arbeitsleistung ist gewährleistet, dass untragbare Mitarbeiter, im Betrieb ab sofort nicht mehr präsent sind. Schließlich entfallen Verhandlungen mit dem Betriebsrat, da der Aufhebungsvertrag nicht der Mitbestimmung unterliegt. Es gibt also genügend Gründe für den Arbeitgeber wie für den Arbeitnehmer, die Entscheidung über die Trennung nicht in die Hände eines Dritten, d. h. der Arbeitsgerichtsbarkeit zu legen, sondern die Bedingungen des Ausscheidens individuell auszuhandeln. Von den Auflösungsverträgen sind Abwicklungsverträge zu unterscheiden. Bei diesen ist die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht Vertragsgegenstand. Der Arbeitnehmer nimmt die Kündigung hin. Geregelt werden nur Modalitäten des Ausscheidens wie Resturlaub, Freistellung von der Arbeit, Abfindung usw. Anders als der Arbeitsvertrag ist der Auflösungsvertrag gem. § 623 BGB nur gültig, wenn er schriftlich geschlossen wird. Die Schriftform ist gem. § 126 Abs. 2 BGB nur eingehalten, wenn entweder Arbeitgeber oder Arbeitnehmer eine Urkunde eigenhändig unterzeichnet haben oder wenn jeder der Beteiligten eine Ausfertigung eigenhändig unterzeichnet und dem anderen Teil übergibt, so dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer über ein jeweils von der anderen Seite unterschriebenes Exemplar verfügen. § 623 2.Halbs. BGB schließt die elektronische Form aus. Ein § 126 Abs. 2 BGB nicht entsprechender Auflösungsvertrag ist gem. § 125 Satz 1 BGB nichtig. Auflösungsverträge werden wie schon Arbeitsverträge meist nicht im Einzelnen ausgehandelt, sondern vom Arbeitgeber vorformuliert. Soweit die Bedingungen des Ausscheidens nicht individuell verhandelt worden sind, sondern vom Arbeitgeber in die Verhandlungen eingebracht und damit i. S. von § 305 Abs. 1 BGB gestellt sind, greifen auch beim Aufhebungsvertrag die Vorschriften über den Verbrauchervertrag gem. § 310 Abs. 3 Satz 1 BGB. Klauseln unterliegen schon bei einmaliger Verwendungsabsicht den Missbrauchsbeschränkungen. Überraschende Klauseln werden gem. § 305c Abs. 1 BGB in formularmäßigen Aufhebungsverträgen nicht Vertragsbestandteil. Es handelt sich um Regelungen, mit denen der Arbeitnehmer nicht zu rechnen braucht, weil zwischen den durch die Umstände bei Vertragsabschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt ein deutlicher Widerspruch besteht. Es werden alle Begleitumstände, insbesondere auch das äußere Erscheinungsbild des Aufhebungsvertrags, berücksichtigt. Die Vereinbarung von Ausschluss-
13.2 Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
175
fristen für Ansprüche aus dem Arbeitverhältnis wird allgemein nicht als überraschend angesehen, da Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen im Arbeitsverhältnis allgemein üblich und in vielen Tarifverträgen ohnehin vorgesehen sind. Die Bestätigung, dass keine weiteren Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bestehen (sog. Ausgleichsquittung), kann dagegen überraschend sein, wenn sie nicht wenigstens im Rahmen einer Abschlussbesprechung deutlich hervorgehoben wird.
13.2
Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
Da ein Konsens über die Beendigung eines auf Dauer angelegten Schuldverhältnisses nicht immer zustande kommt, sind Regeln notwendig, die es einer Seite erlauben, das Rechtsverhältnis einseitig, ohne oder auch gegen den Willen des Vertragspartners zu beenden. Die Rechtshandlung bzw. Willenserklärung, die ein Dauerrechtsverhältnis ohne Einverständnis des Vertragspartners beendet, ist die Kündigung. Die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmerseite hat dazu geführt, dass die Möglichkeiten der arbeitgeberseitigen Kündigung durch zahlreiche gesetzliche Vorschriften eingeengt sind. Während für den Abschluss des Arbeitsverhältnisses die Privatautonomie zu weitgehender Vertragsfreiheit führt, bildet die einseitige Beendigungsfreiheit für den Arbeitgeber die Ausnahme. Das deutsche Arbeitsrecht hat sich die für einen weitgehenden Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses entschieden. Das dient den individuellen Interessen der Beschäftigten am Erhalt des Arbeitsvertrags, aber auch der Bindung der Beschäftigten an den Betrieb und der Begrenzung der Fluktuation. Die Betonung des Bestandsschutzes geht zurück auf gesellschaftliche Grundentscheidungen und das in Deutschland tief verwurzelte Leitbild von der lebenslangen Beschäftigung in einem Unternehmen, dem im Gegenzug zur lebenslangen Beschäftigungsgarantie vom Arbeitnehmer Loyalität und Identifikation entgegengebracht wird. Dem entspricht es, das in vielen Branchen Arbeitgeberwechsel bei Bewerbern noch immer eher als Makel denn als positives Element gesehen werden. Die arbeitgeberseitige Kündigung wird deshalb als ultima ratio angesehen und nur dann zugelassen, wenn eine Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich ist. Auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist die vom Arbeitgeber betriebene Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nur dann sinnvoll, wenn Alternativen nicht mehr bestehen. Die Kündigung verursacht Aufwand und Kosten; im Fall der betriebsbedingten Kündigung sind zusätzlich negative Auswirkungen auf die Loyalität und Identifikation der verbliebenen Mitarbeiter die Regel. Entscheidend ist jedoch der mit dem Ausscheiden einhergehende Verlust von Humankapital. Es wird im Fall der arbeitgeberseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kaum gelingen, das Know-how des betroffenen Mitarbeiters auf andere Mitarbeiter zu übertragen; es geht in aller Regel mit dem Ausscheiden verloren.
176
13.2.1
13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
Kündigungsfristen
Den gesetzlichen Mindeststandard für Kündigungsfristen regelt § 622 BGB. Nach § 622 Abs. 1 BGB beträgt die Kündigungsfrist für ein Arbeitsverhältnis vier Wochen zum fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats. Innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ist während der Probezeit nach § 622 Abs. 3 BGB eine Kündigung mit einer Frist von zwei Wochen möglich. § 622 Abs. 2 BGB verlängert die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber abhängig von der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers. § 622 Abs. 4 BGB lässt abweichende Regelungen der Länge der Kündigungsfrist auch zu Lasten der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag zu. Verbreitet sind in Tarifverträgen Regelungen, die einerseits die Kündigungsfrist selbst verlängern, andererseits die Kündigung nur zu wenigen Terminen im Jahr, wie z. B. dem Quartalsschluss zulassen. Einzelvertraglich kann gem. § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BGB eine kürzere Kündigungsfrist mit vorübergehend eingestellten Aushilfen bei maximal dreimonatiger Beschäftigungsdauer vereinbart werden. Kleinbetriebe können generell einzelvertraglich gem. § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BGB kürzere als die in § 622 Abs. 1 und 2 BGB geregelten Kündigungsfristen vereinbaren; für sie gilt eine Mindestkündigungsfrist von vier Wochen. Sie können auf diese Weise vor allem die Verlängerung der Kündigungsfrist bei langer Beschäftigungsdauer vermeiden, um auf wirtschaftliche Schwierigkeiten schneller reagieren zu können. Längere als in § 622 BGB vorgesehene Kündigungsfristen sind einzelvertraglich ohne weiteres zulässig, wenn § 622 Abs. 6 BGB beachtet wird und die Kündigungsfrist des Arbeitnehmers nicht länger ist als die des Arbeitgebers. Problematisch ist die einzelvertragliche Übernahme von Kündigungsregeln aus Tarifverträgen, die teilweise günstiger sind als die gesetzliche Regelung, andererseits aber den Arbeitnehmer länger an das Unternehmen binden, wie z. B. die Beschränkung der Kündigung auf das Quartalsende. Während den Tarifvertragsparteien die ambivalente Abweichung von § 622 BGB gestattet ist, sind einzelvertraglich nur dem Arbeitnehmer günstige Abweichungen gestattet. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz erlaubt § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB, indem nicht tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien gestattet wird, die Kündigungsfristen desjenigen Tarifvertrags einzelvertraglich zu übernehmen, der bei beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden wäre.
13.2.2
Kündigungserklärung
Die Kündigung muss gem. § 623 BGB in jedem Fall schriftlich erklärt werden. Die Schriftform ist gem. § 126 Abs. 1 BGB nur eingehalten, wenn der Kündigende das Kündigungsschreiben eigenhändig unterzeichnet hat und dem anderen Teil übergibt. Eine Übermittlung der Kündigung per Telefax ist unwirksam, da das Fax keine Originalunterschrift trägt. § 623 2. Halbs. BGB schließt auch die elektronische Form für die Kündigungserklärung aus. Eine § 126 Abs. 2 BGB nicht entsprechende Kündigung ist gem. § 125 Satz 1 BGB nichtig. Wie jede Willenserklärung wird die Kündigung nur wirksam, wenn sie der anderen Seite zugegangen ist, also bei der Kündigung durch den Arbeitgeber so in den Einflussbereich des Arbeitnehmers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen konnte. Eine tatsächliche Kenntnis ist nicht erforderlich und zwar auch dann nicht, wenn der betroffene Mitarbeiter
13.2 Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
177
z. B. wegen Urlaub oder Krankheit längere Zeit keinen Zugang zu seinem häuslichen Briefkasten hat. Der Arbeitnehmer kann den Zugang auch nicht dadurch vereiteln, dass er sich weigert, das Kündigungsschreiben anzunehmen oder umzieht, ohne das dem Arbeitgeber mitzuteilen. Bei einer gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßende Zugangsvereitelung durch den Arbeitnehmer wird der Zugang unterstellt. Die Kündigung geht auch zu, wenn sie nicht von dem Arbeitnehmer selbst, sondern anderen z. B. im gleichen Haushalt wohnenden Personen als Empfangsboten angenommen wird. Weil es sich um eine einseitige rechtsgestaltende Willenserklärung handelt, ist die Kündigungserklärung mit dem Zugang wirksam, ohne dass eine weitere Mitwirkung des Erklärungsempfängers notwendig wäre. Die Kündigung kann nach Zugang nicht mehr zurückgenommen werden, auch wenn im Alltag die Rücknahme einer Kündigung z. B. durch Rückgabe und Vernichtung des Kündigungsschreibens verbreitet ist. Einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass das Arbeitsverhältnis trotz der Kündigung fortgesetzt werden soll, kommt immer ein neuer Arbeitsvertrag zustande, in dem u. a. vereinbart werden sollte, dass der Arbeitnehmer so gestellt wird, als sei das Arbeitsverhältnis nicht unterbrochen worden. Diese Vereinbarung ist relevant für alle Rechte, die von der Dauer der Beschäftigung abhängen, wie z. B. Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB. Die Kündigungserklärung muss nicht vom Arbeitgeber selbst abgegeben werden. Wenn sie nicht von einem gesetzlichen Vertreter oder Prokuristen ausgesprochen wird und der Unterzeichner keine Vollmachtsurkunde vorlegt, kann der betroffene Arbeitnehmer die Kündigung aus diesem Grunde gem. §§ 174 Satz 1, 121 Abs. 1 BGB zurückweisen. Die Kündigung ist dann unwirksam und muss formgerecht mit neuer Kündigungsfrist wiederholt werden. Die Kündigung muss nicht näher begründet werden, um wirksam zu sein. Das Gesetz sieht eine Begründung der Kündigung als Wirksamkeitsvoraussetzung nicht vor. Da eine Kündigungsschutzklage aber von der Begründung der Kündigung abhängt, muss der Arbeitgeber auf Verlangen seine Kündigungsgründe dem Arbeitnehmer mitteilen.
13.2.3
Soziale Rechtfertigung der Kündigung
Über die Kündigungsfristen hinaus, die bereits für sich die Belastungen durch den Verlust des Arbeitsplatzes mildern sollen, besteht ein differenziertes System des Kündigungsschutzes, das die arbeitgeberseitige Kündigung bestimmter Personen einschränkt bzw. die Kündigung vom Vorliegen und Nachweis bestimmter Kündigungsgründe abhängig macht. Personeller Kündigungsschutz Generell verboten ist die ordentliche Kündigung von Schwangeren und Müttern während der Schutzfrist (§ 9 MuSchG), von Arbeitnehmern in Elternzeit (§ 18 BEEG), von Abgeordneten der Landtage und des Bundestages (§ 2 Abs. 3 AbgeordnetenG), von Wehrpflichtigen ab der Zustellung des Einberufungsbescheides und Teilnehmern an Wehrübungen während der Übung (§ 2 Abs. 1 ArbplSchG), sowie der Auszubildenden nach Ablauf der Probezeit (§ 22 BBiG). Schwerbehinderten Personen kann gem. §§ 85, 91 SGB Neuntes Buch nur mit Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden. Ein Kündigungsverbot zugunsten von
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
Arbeitnehmervertretern nach dem BetrVG regelt § 15 KSchG. Ihnen kann außer im Fall der Stilllegung des Betriebes oder der Abteilung, in der sie beschäftigt sind, während der Zugehörigkeit zur Vertretung und während eines Übergangszeitraums nach Ausscheiden aus der Vertretung nicht gekündigt werden. Die Arbeitsverhältnisse aller anderen Personen können durch Kündigung beendet werden. Wegen der existenziellen Bedeutung von Erwerbsarbeit schränkt vor allem das KSchG das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung ein. Das KSchG gilt gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht, wenn im Betrieb regelmäßig fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt werden. Werden bis zu zehn Arbeitnehmer beschäftigt, gelten die Kündigungsschutzvorschriften des KSchG nicht für die Arbeitnehmer, die nach dem 31.12.2003 eingestellt worden sind. Werden mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, gilt das KSchG ohne Einschränkung. Mit seiner schwer verständlichen Formulierung versucht das Gesetz Übergangsprobleme bei der Erhöhung des Anwendungsschwellenwerts von mehr als fünf auf mehr als zehn in der Regel Beschäftigte zu bewältigen. Teilzeitarbeitsverhältnisse werden nach § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG in Vollzeitbruchteile umgerechnet. In Kleinbetrieben gilt aufgrund der Nichtanwendbarkeit des KSchG nur ein eingeschränkter Kündigungsschutz. Auch im Fall der Kündigung muss der Arbeitgeber jedoch aufgrund § 241 Abs. 2 BGB die Wertentscheidungen des Grundgesetzes respektieren und darf nicht jedes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht lassen. Die Kündigung darf deshalb nicht willkürlich sein, es muss einen irgendwie einleuchtenden Grund geben. Bei einer möglichen Auswahl unter mehreren Arbeitnehmern sind als soziale Grunddaten die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und bestehende Unterhaltspflichten zu berücksichtigen. Abweichungen sind bei anerkennenswerten betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründen gerechtfertigt. Bei der Auswahlentscheidung dürfen keine evidenten Fehler vorliegen. Auch wenn das KSchG wegen der Betriebsgröße grundsätzlich anwendbar ist, gelten seine Vorschriften für den einzelnen Mitarbeiter erst dann, wenn er in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate beschäftigt worden ist. Während der sechsmonatigen Wartezeit bleibt es bei dem Grundschutz, den jeder Arbeitnehmer auch im Kleinbetrieb genießt. Kündigungen während der Wartezeit werden nur auf Willkürfreiheit, Auswahlentscheidungen nur auf evidente Fehler überprüft. Die kündigungsschutzrechtliche Wartezeit kann mit einer arbeitsvertraglichen Probezeit i. S. von § 622 Abs. 3 BGB identisch sein. In vielen Fällen gilt jedoch eine kürzere Probezeit oder auf eine Probezeit wird verzichtet, weil der Mitarbeiter aus einem früheren Beschäftigungsverhältnis schon bekannt ist. In all diesen Fällen gelten zwar die gegenüber der Kündigung in der Probezeit längeren Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB, nicht aber der Kündigungsschutz nach dem KSchG. Materieller Kündigungsschutz Im personellen Anwendungsbereich des KSchG ist die arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung gem. § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung folgt nicht aus einer Betrachtung der Vergangenheit. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses dient nicht in der Vergangenheitsbewältigung und hat
13.2 Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
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keine Straffunktion. Die Kündigung kann nie zu einer Kompensation entstandenen Schadens führen, sondern bringt den Arbeitnehmer für die Zukunft um seinen Arbeitsplatz und erspart dem Arbeitgeber möglicherweise in der Zukunft weitere Probleme. Ihre soziale Rechtfertigung bezieht die Kündigung daraus, dass das Arbeitsverhältnis wegen der für die Zukunft vorhersehbaren Belastungen nicht weiter fortgesetzt werden kann (Prognoseprinzip). Die Kündigung muss dabei das letzte Mittel der Problembewältigung sein; andere Beschäftigungsmöglichkeiten, auch zu geänderten Bedingungen, müssen ausgeschlossen sein. (ultima ratio Prinzip) . Zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung lässt § 1 Abs. 2 KSchG Gründe zu, die – – –
in der Person des Arbeitnehmers (personenbedingt), in dem Verhalten des Arbeitnehmers (verhaltensbedingt) sind oder in dringenden betrieblichen, eine Weiterbeschäftigung ausschließenden Erfordernissen (betriebsbedingt) liegen.
In einem ersten Schritt wird geprüft, ob die vorgebrachten Kündigungsgründe überhaupt („an sich“) geeignet sind, eine Kündigung zu rechtfertigen. Darauf aufbauend kommt es in einem zweiten Schritt zu einer Abwägung, in der entschieden wird, ob die Kündigung aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers angemessen und billigenswert ist (Interessenabwägung). In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, ob mildere Mittel als die Beendigungskündigung in Betracht kommen. Personenbedingte Kündigung Der Grund für die personenbedingte Kündigung besteht darin, dass die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer nicht oder nicht in vollem Umfang erbracht werden kann. Die Gründe hierfür müssen in der Person des Arbeitnehmers liegen. Häufige Anwendungsfälle der personenbedingte Kündigung sind lang andauernde Erkrankung, häufige kurzfristige Erkrankung oder geminderte Leistungsfähigkeit aufgrund von Erkrankung. Als weitere Fälle der personenbedingten Kündigung kommt der Verlust von für die Berufsausübung notwendigen Lizenzen (Fahrerlaubnis, Fahrlehrererlaubnis, Personenbeförderungsschein, Approbation als Arzt etc.) in Frage. Die Prognose muss ergeben, dass mit Beseitigung der Hinderungsgründe für die Arbeitsleistung, also z. B. der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Abmahnung ist regelmäßig nicht erforderlich, da im Unterschied zur verhaltensbedingten Kündigung der Arbeitnehmer die in seiner Person liegenden Gründe nicht oder nur sehr begrenzt steuern und beeinflussen kann. Die anschließende Interessenabwägung muss ergeben, dass die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt sind. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn Folge der Leistungseinschränkung des Arbeitnehmers schwerwiegende Störungen des Arbeitsablaufs oder erhebliche wirtschaftliche Belastungen sind und eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ggf. zu veränderten Arbeitsbedingungen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KSchG) nicht besteht. Diese Voraussetzungen werden vor allem bei kleineren Betrieben gegeben sein, die insbesondere länger ausfallende Spezialisten kaum ersetzen können. Größere Betriebe werden entweder von vornherein eine Personalreserve vorhalten oder aufgrund der Dispositionsmög-
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
lichkeiten Lücken leichter schließen können. Wirtschaftliche Belastungen aufgrund von Entgeltfortzahlung fallen nur bei häufigen Erkrankungen mit wechselnder Diagnose ins Gewicht, weil auf diese Weise ein Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen deutlich überschritten werden kann. Die Gesamtabwägung muss ergeben, dass dem Arbeitgeber die Belastung durch die Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten ist. Dabei spielt auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers und die Größe des betroffenen Betriebes eine Rolle. Zugunsten des Arbeitnehmers wird berücksichtigt, ob die Ursache der Erkrankung auf die betriebliche Tätigkeit zurückzuführen ist, wie lange das Arbeitsverhältnis gedauert hat, wie es verlaufen ist und welche Chancen der Arbeitnehmer hat, eine neue Stelle zu finden. Aus diesem Grund sehen manche Tarifverträge auch vor, dass nach langjähriger Beschäftigung eine personenbedingte Kündigung ausgeschlossen ist. Eine vorausschauende Personalpolitik antizipiert die Leistungsabnahme von Arbeitnehmern in Folge von Überforderung, sinkender Motivation oder von Burnout. Hier gilt es herausfinden, welche Gründe für den Leistungsabfall verantwortlich sind, und dann entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Hierzu zählen Qualifizierungsmaßnahmen genauso wie Änderung des Arbeitsinhalts wie auch der Stellenwechsel innerhalb des Unternehmens. Bevor eine Kündigung in Erwägung gezogenen wird, sollte daher über die Möglichkeit eines ‚Downward Movement’ nachgedacht werden, also die Tätigkeit in einer Position mit weniger Kompetenzansprüchen, weniger Verantwortung und geringerem Leistungsdruck. Erkrankungen und Minderungen der Leistungsfähigkeit können den besonderen Kündigungsschutz wegen Schwerbehinderung nach sich ziehen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen, daher die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist und der Grad der Behinderung mindestens 30% beträgt (vgl. § 2 SGB Neuntes Buch). Der Kündigungsschutz setzt nicht voraus, das ein Verfahren zur Anerkennung als Schwerbehinderter bereits abgeschlossen ist, sondern nur, dass die Voraussetzungen des § 2 SGB Neuntes Buch tatsächlich vorliegen. Verhaltensbedingte Kündigung Auf das Verhalten gestützte Kündigungsgründe sind die Verletzung von Hauptpflichten des Arbeitnehmers wie Arbeitsverweigerung, Selbstbeurlaubung, unentschuldigtes Fehlen, erheblich unterdurchschnittliche Leistungen, wiederholtes Zuspätkommen oder von Nebenpflichten wie Verstoß gegen Alkoholverbot oder andere Ordnungsvorschriften, Beleidigung, Tätlichkeit ggü. Vorgesetzten und dem Arbeitgeber, Störung des Betriebsfriedens durch ausländerfeindliches Verhalten im Betrieb, unerlaubte Nebentätigkeit, Verrat von Betriebsgeheimnissen, Bestechlichkeit, Straftaten zu Lasten des Betriebs, unerlaubte private Nutzung von Internet, Telefon, Fotokopierer usw. Im Gegensatz zu den personenbedingten Gründen hat der Arbeitnehmer auf die Einhaltung der eingegangenen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen persönlichen Einfluss. Er kann sich frei entscheiden, die arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Aus dem Prognoseprinzip folgt, dass eine verhaltensbedingte Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn mit weiteren
13.2 Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
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gleichartigen Verstößen gegen Arbeitnehmerpflichten zu rechnen ist. Eine negative Prognose setzt in aller Regel voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bereits vergeblich zu vertragsgemäßem Verhalten angehalten worden ist und ihm die Folgen weiterer Pflichtverletzungen deutlich gemacht worden sind, er also wegen seines Verhaltens abgemahnt worden ist. In der Regel ist für die Kündigung nach Abmahnung auch ein Verschulden des Arbeitnehmers an der neuerlichen Pflichtverletzung notwendig. Die verhaltensbedingte Kündigung betrifft steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers. Daran fehlt es, wenn ihn am wiederholten Pflichtverstoß kein Verschulden trifft. Während kleinere Verfehlungen insbesondere im sog. Leistungsbereich das Vertrauensverhältnis der Vertragsparteien fast nie sofort und irreparabel zerstören, können gravierende Pflichtverletzungen vor allem im sog. Vertrauensbereich geeignet sein, dem Arbeitsverhältnis bereits beim ersten Verstoß die notwendige Vertrauensbasis unwiederbringlich zu entziehen. Sind die Pflichtverletzungen so erheblich, dass die notwendige Vertrauensbasis für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ohne Wiederherstellungsmöglichkeit entfällt, ergibt sich schon aus Art und Schwere der Pflichtverletzung die negative Prognose für die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das gilt z. B. für alle Fälle von Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers, bei denen die Möglichkeit des Zugriffs auf Betriebsvermögen dazu genutzt wird, sich selbst zu bereichern und zwar fast unabhängig vom Wert des Vermögensvorteils, den sich der Arbeitnehmer verschafft hat. Bei kleineren Problemen im Vertrauensbereich, ist es nicht möglich, sofort von der endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses und ohne Abmahnung von der Prognose auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr fortgesetzt werden kann. Auch bei der verhaltensbedingten Kündigung ist eine Abwägung der Interessen erforderlich, um die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im konkreten Einzelfall festzustellen. Die Position des Arbeitnehmers ist hier jedoch schwächer als bei der personenbedingten Kündigung, da ihn die Gründe der personenbedingten Kündigung oft schicksalhaft treffen, während er bei der verhaltensbedingten Kündigung den Kündigungsgrund eigenverantwortlich gesetzt hat, statt sich vertragstreu zu verhalten. Auch wenn zu Kündigung oder wenigstens Abmahnung berechtigende Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers nachweislich vorliegen, ist der Arbeitgeber selbstverständlich zu arbeitsrechtlichen Reaktionen nicht verpflichtet. Festgestellte Pflichtverletzungen können neben einem Personalgespräch (s. o. S. 159) auch Gelegenheit sein, sich als Arbeitgeber zu fragen, was den Arbeitnehmer dazu veranlasst hat, sich schädigend gegenüber dem Unternehmen zu verhalten. So kommt es häufig zu Delikten, weil es im Unternehmen keine eindeutigen Verhaltensvorschriften gibt. Auch das Fehlen von Kontrollsystemen fördert Verstöße. Unabhängig davon ist delinquentes Verhalten immer auch Ausdruck mangelnder Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Als Ursache hierfür wird häufig berichtet, dass sich die Mitarbeiter nicht ausreichend über die Unternehmenspolitik informiert fühlen und dass sie unsicher bezüglich ihrer berufliche Zukunft sind. Insofern ist von Seiten des Arbeitgebers schädigendes Mitarbeiterverhalten auch als Indikator für die Stimmung im Unternehmen zu sehen und nicht ausschließlich als Fehlverhalten einer individuellen Person. Bei seiner Entscheidung muss der Arbeitgeber jedoch zwischen dem Leistungsbereich und dem Vertrauensbereich differenzieren. Probleme im Leistungsbereich sind grundsätzlich
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
behebbar, wenn auf Seiten des Arbeitnehmers ein Mindestmaß an gutem Willen vorhanden ist. Gerade im Leistungsbereich bietet es sich auch an, eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit zu prüfen, die die erwarteten Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses vermeidet und den persönlichen Eigenschaften des Mitarbeiters besser Rechnung trägt (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KSchG). Auf diese Weise können auch Konflikte mit Vorgesetzten gelöst werden. Verlorenes Vertrauen des Arbeitgebers lässt sich dagegen in der Regel nicht durch den Wechsel des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz wieder herstellen. És ist zur Aufrechterhaltung der Unternehmenskultur im Gegenteil erforderlich, dass Verstöße im Vertrauensbereich Konsequenzen haben. Mitarbeiter müssen wissen, dass Ihnen Vertrauen entgegengebracht wird und dass dies auch nicht mit systematischen Kontrollen verbunden ist. Dieses System einer Vertrauenskultur lässt sich aber nur dann aufrechterhalten, wenn zufällig aufgedeckter Vertrauensmissbrauch auch für die anderen Mitarbeiter sichtbar Konsequenzen nach sich zieht. Betriebsbedingte Kündigung Die betriebsbedingte Kündigung ist der für den Arbeitnehmer am wenigsten einsichtige Kündigungsgrund, da ihn der Arbeitsplatzverlust trifft, obwohl er leistungsfähig und leistungswillig gewesen ist. Grundvoraussetzung der betriebsbedingten Kündigung ist eine unternehmerische Entscheidung, die Folgen für den betrieblichen Personalbedarf hat. Die unternehmerische Entscheidung ist von der Gewerbefreiheit des Unternehmers (Art. 12 GG) geschützt. Der Arbeitgeber ist rechtlich nicht gehindert primär und möglichst kurzfristig eine hohe Rendite anzustreben und diesem Ziel die Sicherung von Arbeitsplätzen unterzuordnen. Die betriebswirtschaftliche Rechtfertigung der unternehmerischen Entscheidung wird deshalb im Bereich des Kündigungsschutzes abgesehen von Fällen evidenter Willkür und Unvernunft gerichtlich nicht im Einzelnen überprüft, sondern akzeptiert und der weiteren rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt. Die betriebsbedingte Kündigung setzt weiterhin voraus, dass infolge der unternehmerischen Entscheidung das dringende betriebliche Erfordernis besteht, Personal freizusetzen. Das ist in Berücksichtigung des Prognoseprinzips nur dann der Fall, wenn zum dauerhaften Personalabbau keine Alternativen bestehen. Der Arbeitgeber muss freie oder zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werdende Arbeitsplätze in dem Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit b BetrVG anbieten, wenn diese Arbeitsplätze vergleichbare Anforderungen an die Qualifikation des Arbeitnehmers stellen wie der bisherige Arbeitsplatz. Das gleiche gilt, wenn die Qualifikation des Arbeitnehmers an die Anforderungen eines freien Arbeitsplatzes durch Umschulung oder Fortbildung angepasst werden kann (§ 1 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. BetrVG). Steht ein freier Arbeitsplatz einer niedrigeren Qualifikationsstufe zur Verfügung, muss dieser Arbeitsplatz dem Inhaber eines wegfallenden Arbeitsplatzes angeboten werden. Die dringenden betrieblichen Gründe für die Kündigung entfallen, wenn der Mitarbeiter bereit ist, zu veränderten Bedingungen weiter zu arbeiten (§ 1 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. BetrVG). Wenn schon durch diese Maßnahmen Personalfreisetzungen vermieden werden können, ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt.
13.2 Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
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Für die betriebsbedingte Kündigung ist es typisch, dass die möglichen Ersatzarbeitsplätze nicht ausreichen, um für alle wegfallenden Arbeitsplätze eine Beschäftigungsalternative anzubieten. In einem solchen Fall steht anders als bei der personen- bzw. verhaltensbedingten Kündigung die Person des betroffenen und zu kündigenden Arbeitnehmers nicht von vornherein fest. Je größer der Personalbestand des Betriebes ist desto mehr Arbeitnehmer kommen für die Umsetzung des Personalabbaus in Betracht. Weil die Interessenabwägung wegen der Freiheit und Nichtüberprüfbarkeit der unternehmerischen Entscheidung relativ schwach ausgeprägt ist, verlagert sich der Schwerpunkt des Kündigungsschutzes auf die Frage, welche von mehreren in Betracht kommenden Personen die Folgen des Arbeitsplatzverlustes am ehesten verkraften kann. Der Arbeitgeber muss gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG eine Auswahlentscheidung treffen und dabei soziale Gesichtspunkte berücksichtigen. Fehler in der Sozialauswahl führen zur Unwirksamkeit der jeweiligen Kündigung. Da ohnehin wegen der kündigungsrechtlichen Beschränkungen nicht mehr Personen gekündigt werden kann als unbedingt erforderlich, wird mit unwirksamen Kündigungen das Ziel verfehlt, Personalüberhang abzubauen und Personalaufwand auf das angestrebte Niveau zu senken. Um eine Auswahlentscheidung treffen zu können, ist in einem ersten Schritt der Kreis der in die Auswahl einzubeziehenden Personen zu ermitteln. Einbezogen sind grundsätzlich alle Arbeitnehmer deren Arbeitsplatz konkret wegfällt, mit Ausnahme der Arbeitnehmer, denen nicht ordentlich gekündigt werden kann. Darüber hinaus werden alle anderen Arbeitnehmer einbezogen, deren Arbeitsplatz zwar nicht wegfällt, aber vom Arbeitgeber durch Versetzung einem Arbeitnehmer übertragen werden könnte, dessen Arbeitsplatz wegfallen soll. Arbeitsplätze, die eine niedrigere oder höhere Qualifikation erfordern, werden nicht einbezogen, da die Sozialauswahl sonst zu Lasten der weniger qualifizierten Arbeitnehmer ginge. Das knappe Gut Arbeitsplatz wird nur unter den Arbeitnehmern verteilt, die vergleichbare Arbeitsplätze innehaben. Da der Betrieb weiterhin funktionsfähig bleiben muss, können soziale Gesichtspunkte nicht das einzige Auswahlkriterium sein. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG werden in die Sozialauswahl solche Arbeitnehmer nicht einbezogen, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Gemeint sind vor allem Leistungsträger oder Arbeitnehmer, in deren Qualifizierung der Arbeitgeber investiert hat, um ihnen verantwortungsvollere Aufgaben zu übertragen. Im Hinblick auf die Personalstruktur geht es nur um deren Sicherung, nicht Verbesserung. Eine Sanierung der Personalstruktur im Hinblick auf Alter, Qualifikation oder Leistungsbereitschaft ist im Zuge betriebsbedingter Kündigungen nicht möglich. Die verbleibenden Arbeitnehmer werden gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG anhand der sozialen Grunddaten – Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltsverpflichtung und Schwerbehinderung – verglichen und hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit in eine Reihenfolge gebracht. Gekündigt werden die Arbeitsverhältnisse der Personen mit der geringeren sozialen Schutzbedürftigkeit. Im Ergebnis wird die Kündigung diejenigen treffen, die zuletzt eingestellt wurden, jung und ledig bzw. kinderlos sind und trotz Behinderung gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
Das zum Ranking der von Personalfreisetzung betroffenen Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgegebene Verfahren ist für den Arbeitgeber mit hohen Unsicherheiten verbunden, weil die Bewertung der sozialen Schutzbedürftigkeit vom Arbeitsgericht anders gesehen werden kann. Prognosen über den Ausgang von Kündigungsschutzverfahren sind deshalb nur eingeschränkt möglich. § 1 Abs. 4 KSchG gestattet, durch Tarifvertrag oder Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG ein Verfahren für das Ranking der an der Sozialauswahl beteiligten Arbeitnehmer festzuschreiben. Solche Richtlinien laufen auf Punkteschemata hinaus, bei denen für die Erfüllung der sozialen Grunddaten Punkte vergeben werden. Dabei können die Grunddaten Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen auch weiter ausdifferenziert werden (z. B. Alter der Kinder). Das Ranking ergibt sich aus der Höhe der individuell erreichten Punktzahl. Die Auswahl und die Gewichtung der einzelnen Kriterien durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung kann gem. § 1 Abs. 4 KSchG gerichtlich nur auf grobe Fehler geprüft werden. Damit reduzieren sich die Unsicherheiten für den Arbeitgeber auf den überschaubaren Bereich der Anwendungsfehler beim Vollzug der Auswahlrichtlinie. Wenn z. B. bei einem Arbeitnehmer bei der Punktevergabe irrtümlich ein unterhaltsberechtigtes Kind nicht berücksichtigt wurde, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass gerade dieser Fehler dazu führt, dass genau für diesen Arbeitnehmer der Schwellenpunktwert unterschritten worden ist, ab dem keine Kündigung erfolgt.
13.2.4
Beteiligung des Betriebsrats
Der Arbeitgeber muss in Betrieben mit mehr als 20 regelmäßig Beschäftigten gem. § 102 Abs. 1 BetrVG vor Erklärung einer Kündigung immer den Betriebsrat anhören und ihm die aus seiner Sicht tragenden Gründe der beabsichtigten Kündigung miteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Der Betriebsrat kann gem. § 102 Abs. 2 BetrVG innerhalb einer Woche dem Arbeitgeber Bedenken mitteilen. Gründe und Motive für Bedenken sind nicht eingegrenzt. Alle denkbaren gegen eine Kündigung sprechenden Aspekte können vom Betriebsrat vorgetragen werden. Direkte Wirkungen gehen von Bedenken des Betriebsrats jedoch nicht aus. Der Arbeitgeber kann aber insbesondere bei einer verhaltensbedingten Kündigung durch eine Fürsprache des Betriebsrats bewogen werden, Milde walten zu lassen und von einer geplanten Kündigung abzusehen oder evtl. wenigstens den Kündigungstermin hinauszuschieben. Artikuliert sich der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist nicht, gilt die Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hiervon gehen für das weitere Verfahren vor allem psychologische Wirkungen aus. Ein Arbeitnehmer, für den sich offenbar nicht einmal seine Vertretung mehr einzusetzen bereit ist, wird das Arbeitsgericht schwerer davon überzeugen können, dass die ihn betreffende Kündigung sozial ungerechtfertigt ist. Der Betriebsrat kann über das Erheben von Bedenken hinausgehen und der Kündigung innerhalb der Wochenfrist gem. § 102 Abs. 3 BetrVG widersprechen. Der Widerspruch kann nur auf einen der in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend genannten Gründe gestützt werden und muss Tatsachen benennen, aus denen sich nach Ansicht des Betriebsrats der jeweilige Widerspruchsgrund ergibt. Ein allgemein gehaltenes Lamento über die Notlage des betroffenen Mitarbeiters reicht nicht aus. Der Widerspruch kann mit Fehlern bei der Sozialauswahl (§ 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG) oder mit einem Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie nach
13.2 Freisetzung durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung
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§ 95 BetrVG (§ 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG) begründet werden. Dies betrifft allein die betriebsbedingte Kündigung, weil nur bei dieser Kündigungsvariante Sozialauswahl notwendig ist bzw. Auswahlrichtlinien vorkommen. Die Begründung, dass Ersatzarbeitsplätze verfügbar sind (§ 102 Abs. 3 Nr. 3-5 BetrVG) kann dagegen auch gegenüber der personen- und grundsätzlich sogar der verhaltensbedingten Kündigung vorgebracht werden, wenn die zur verhaltensbedingten Kündigung führenden Gründe auf einem anderen verfügbaren Arbeitsplatz nicht relevant sind. Auch wenn der Widerspruch des Betriebsrats die Kündigung nicht verhindern kann und der Arbeitgeber bei seiner Kündigungsabsicht bleibt, gehen von dem fristgerechten und ordnungsgemäß begründeten Widerspruch doch wesentliche Wirkungen aus. Der Widerspruch sichert den Erhalt des Arbeitsplatzes bzw. des Arbeitseinkommens für die Dauer des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt. Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter auch nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Arbeitsgerichtsbarkeit über seine Kündigungsschutzklage weiterbeschäftigen und weiter bezahlen. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer darüber hinaus mit der Kündigung gem. § 102 Abs. 4 BetrVG eine Abschrift (Kopie) des Widerspruchsschreibens des Betriebsrats zuleiten, wenn er trotz des Widerspruchs des Betriebsrats kündigen will. Damit erhält der Arbeitnehmer Informationen, die er für den Kündigungsschutzprozess braucht, vor allem wenn er das Bestehen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vortragen will. Der von betriebsbedingter Kündigung betroffene Mitarbeiter weiß nur in kleineren Betrieben, welche vergleichbaren Arbeitsplätze durch Ausscheiden von Arbeitnehmern (Eigenkündigung, Rente, Auslauf befristeter Verträge) in zeitlichem Zusammenhang zum Kündigungstermin frei sein werden. Das wird für ihn vor allem wegen der Rollenverteilung im Kündigungsschutzprozess zum Problem. Der Arbeitgeber muss seine Personalplanung nicht von sich aus offenlegen, sondern kann abwarten, dass der Arbeitnehmer einzelne zur Weiterbeschäftigung verfügbare Arbeitsplätze benennt. Erst dann muss er erklären, warum eine Beschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers auf diesen Arbeitsplätzen nicht möglich ist. Da der Betriebsrat in seinem Widerspruchsschreiben die alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten benennen muss, erhält der Arbeitnehmer aus diesem Schreiben Material für seine Kündigungsschutzklage. Er wird durch die Kenntnis der im Betriebsratsschreiben genannten Beschäftigungsalternativen in die Lage versetzt, den Arbeitgeber zu zwingen, sich gegenüber dem Arbeitsgericht zu den einzelnen aufgezeigten Alternativen zu erklären. Der fristgerechte schriftliche Widerspruch aus den in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründen korrespondiert bis auf die Beanstandung der Sozialauswahl nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG mit den in § 1 Abs. 1 Satz 2 KSchG genannten Gründen und schafft damit in den Fällen eines Verstoßes gegen Auswahlrichtlinien oder einer alternativen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit einen eigenständigen Grund für die sog. absolute Sozialwidrigkeit der Kündigung. Praktisch ergibt sich kein wesentlicher zusätzlicher Schutz für den gekündigten Arbeitnehmer, weil § 1 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht ausschließt, dass im Rahmen der Interessenabwägung die Kündigung als sozial ungerechtfertigt angesehen wird, obwohl der Betriebsrat keinen Widerspruch erhoben hat. Da die Kündigung das letzte Mittel zur Bewältigung von Beschäftigungsproblemen ist, führen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen der Interessenabwägung immer dazu, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses Vorrang hat. Nichtexistenz eines Betriebsrats, Fehler des Betriebsrats im Beteiligungsverfahren,
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
selbst die ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung wirken sich damit für den Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren nicht nachteilig aus. Nur der Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 Satz. 1 BetrVG geht in einem solchen Fall verloren.
13.2.5
Rechtsschutz gegen ordentliche Kündigungen
Einspruch beim Betriebsrat Innerhalb einer Woche nach Zugang der Kündigung kann der Arbeitnehmer gem. § 3 KSchG Einspruch beim Betriebsrat einlegen. Der Betriebsrat hat zu versuchen, eine Verständigung mit dem Arbeitgeber herbeizuführen, wenn er den Einspruch für begründet hält, und auf Verlangen seine Stellungnahme schriftlich mitzuteilen. Die Vorschrift hat aufgrund des weitergehenden § 102 BetrVG in Betrieben mit mehr als 20 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern keine wesentliche praktische Bedeutung. Kündigungsschutzklage Der Arbeitnehmer kann gem. § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht Klage auf Feststellung (Kündigungsschutzklage) erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Diese Frist gilt für sämtliche Kündigungsschutzklagen, auch wenn das KSchG – wie z. B. bei Kleinbetrieben – sonst nicht anwendbar ist. Verspätete Klagen werden gem. § 5 KSchG nur zugelassen, wenn der Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert war, die Klage rechtzeitig zu erheben. Die relativ harten Bestimmungen über den Zugang der Kündigungserklärung und den damit verbundenen Fristbeginn, werden durch die Möglichkeit der Zulassung verspäteter Klagen gem. § 5 KSchG gemildert. Auch wenn die Kündigungsschutzklage gegen die ordentliche Kündigung wegen Sozialwidrigkeit der Kündigung erfolgreich ist, kann das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitnehmers gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG durch Urteil auflösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verurteilen. Die Abfindung beträgt i. d. R. ein Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr (§ 10 Abs. 1 KSchG) bis zu einem Maximum von zwölf Monatsgehältern bzw. bis zu 18 Monatsgehältern bei älteren Arbeitnehmern (vgl. § 10 Abs. 2 KSchG). Voraussetzungen für einen erfolgreichen Auflösungsantrag des Arbeitnehmers sind: – – – –
Der Antrag muss bis zum Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits gestellt sein. Die Kündigung muss wegen Sozialwidrigkeit unwirksam sein, daneben vorliegende Unwirksamkeitsgründe (z. B. Formfehler der Kündigung) schaden nicht. Das Arbeitsverhältnis muss bei Abschluss des Prozesses noch bestehen. Die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses darf dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten sein (infrage kommen durch Tatsachen begründete Zweifel, nach Abschluss des Verfahrens vom Arbeitgeber korrekt behandelt zu werden, zu befürchtende Spannungen mit Mitarbeitern, Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses durch Verhalten des Arbeitgebers nach der Kündigung).
13.3 Arbeitnehmerseitige ordentliche Kündigung
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Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG kann auch der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag stellen. Voraussetzungen sind: – – – –
Der Antrag muss bis zum Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits gestellt sein. Die Kündigung muss ausschließlich wegen Sozialwidrigkeit unwirksam sein; liegen daneben weitere Unwirksamkeitsgründe vor, kann der Antrag nicht gestellt werden. Das Arbeitsverhältnis muss bei Abschluss des Prozesses noch bestehen. Gründe müssen vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienende gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten lassen (strenger Maßstab, in Frage kommt z. B. die vollständige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses durch Verhalten des Arbeitnehmers).
Hat der Arbeitnehmer nach der Kündigung eine neue Beschäftigung gefunden, kann er sich für die Fortsetzung des neuen Arbeitsverhältnisses entscheiden und binnen einer Woche nach Rechtskraft des die Sozialwidrigkeit der Kündigung feststellenden Urteils gem. § 12 KSchG die Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses verweigern. Der Entgeltanspruch gegen den alten Arbeitgeber besteht in diesem Fall nur für die Zeit vom Kündigungstermin bis zum Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses. Die in § 12 Satz 4 KSchG vorgesehene Rechtsfolge entspricht § 615 BGB.
13.3
Arbeitnehmerseitige ordentliche Kündigung
Die ordentliche arbeitnehmerseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist insofern unproblematischer, weil die auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich angewiesene Seite die mit der Kündigung verbundenen Folgen selbst einschätzen und verantworten kann. Zum Schutz vor unbedachten Erklärungen legt § 623 BGB fest, dass auch die arbeitnehmerseitige Kündigung schriftlich erklärt werden muss. Eine elektronische Erklärung wird ausgeschlossen.
13.4
Außerordentliche Kündigung
Für die außerordentliche Kündigung gilt § 626 BGB. Das Kündigungsschutzgesetz enthält keine eigene Schutzregelung in Bezug auf die außerordentliche Kündigung. Die außerordentliche Kündigung ist sowohl als arbeitnehmerseitige als auch als arbeitgeberseitige Kündigung möglich. Der Unterschied zur ordentlichen Kündigung besteht darin, dass keine Kündigungsfrist einzuhalten ist, das Arbeitsverhältnis also mit dem Zugang der Kündigungserklärung aufgelöst ist. Deshalb berechtigen nur wichtige Gründe zur außerordentlichen Kündigung. Diese Gründe müssen so beschaffen sein, dass dem Kündigenden nicht einmal die Zusammenarbeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Wie bei der ordentlichen Kündigung hängt die Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung vom Prüfungsergebnis zweier Stufen ab:
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
In der ersten Stufe wird geprüft, ob die den Kündigungsgründen zugrunde liegenden Tatsachen „an sich“ als wichtige Gründe anzuerkennen sind. Ein wichtiger Grund für die arbeitnehmerseitige außerordentliche Kündigung ist z. B. die wiederholte Nichtzahlung der Vergütung. Wichtige Gründe für die arbeitgeberseitige außerordentliche Kündigung ergeben sich aus dem Personenbereich bei Verlust der vorausgesetzten Eignung für die Arbeit (z. B. Entzug der Fahrerlaubnis für Kraftfahrer, Verurteilung eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes wg. Totschlags zu einer Freiheitsstrafe), im Wesentlichen jedoch aus dem Verhaltensbereich: – – – – – – – – –
Verletzung der Arbeitspflicht durch beharrliche Arbeitsverweigerung (auch z. B. ausschweifende private Internet-Nutzung während der Arbeitszeit Verstöße gegen die betriebliche Ordnung mit Störung des Betriebsfriedens verbotswidriger Alkoholgenuss während der Arbeit Tätlichkeiten Beleidigungen Verstoß gegen Schweigepflicht (auch z. B. Information von Behörden oder Öffentlichkeit über Missstände im Betrieb) sexuelle Belästigungen Annahme von Schmiergeldern Diebstahl oder Betrug zu Lasten des Arbeitgebers
In einer zweiten Stufe werden die Interessen der Vertragsparteien unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls abgewogen. Grundlage der Abwägung ist auch bei der außerordentlichen Kündigung, dass die festgestellten Störungen des Arbeitsverhältnisses Auswirkungen in der Zukunft haben (Prognoseprinzip). Bei leichteren Verstößen im Vertrauensbereich und überhaupt bei allen Problemen im Leistungsbereich muss die Wiederholungsgefahr konkret belegt werden, um eine negative Prognose zu rechtfertigen. Das setzt meist eine vorangegangene Abmahnung voraus. Wenn die Pflichtverletzung für den Arbeitnehmer erkennbar, die Pflichtverletzung schwerwiegend und die Hinnahme des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen ist, kann auf eine vorherige Abmahnung verzichtet werden. Grobe Verstöße im Vertrauensbereich haben stets Auswirkung in der Zukunft, da sie das Vertrauen in die Vertragstreue der anderen Seite für die Zukunft unwiderbringlich erschüttern. Es darf schließlich keine anderweitige Möglichkeit bestehen die festgestellten Störungen zu bewältigen (ultima ratio Prinzip). Bei personenbedingten Gründen können Beschäftigungsalternativen im Betrieb den Arbeitsplatz erhalten. Die Regelalternative zur außerordentlichen Kündigung ist im Übrigen die fristgerechte ordentliche Kündigung, weil diese den Arbeitnehmer deutlich weniger in seinem beruflichen Fortkommen belastet. Die Lösung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist setzt deshalb voraus, dass die Beschäftigung bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht mehr zumutbar ist. In die Interessenabwägung fließen dabei auch Aspekte wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Verschulden des Arbeitnehmers an der Pflichtverletzung oder konkrete wirtschaftliche Auswirkungen der Pflichtverletzung für den Arbeitgeber u. Ä. ein. Die außerordentliche Kündigungserklärung muss gem. § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen, nachdem der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt festgestellt worden
13.5 Sonderformen der Personalfreisetzung
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ist, zugegangen sein. Nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB muss der Kündigende die Kündigungsgründe der anderen Vertragspartei auf deren Verlangen mitteilen. Die Kündigungserklärung selbst wird auch ohne Begründung mit dem Zugang gem. §§ 130 bis 132 BGB wirksam. Der Betriebsrat hat bei der außerordentlichen Kündigung kein Widerspruchsrecht. Er ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorher zu hören und kann dem Arbeitgeber gegenüber gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Tagen Bedenken äußern. Die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung muss gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 KSchG wie bei einer ordentlichen Kündigung innerhalb der DreiWochen-Frist gem. §§ 4 ff. KSchG nach Zugang des Kündigungsschreibens durch Klage beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden. Ist die Kündigung sozialwidrig oder gar gem. § 138 BGB sittenwidrig, kann (nur) der Arbeitnehmer gem. § 13 Abs 1 Satz 3, Abs. 2 KSchG beantragen, das Arbeitsverhältnis gegen Abfindung aufzulösen. Neben der Sozial- oder Sittenwidrigkeit bestehende weitere Unwirksamkeitsgründe berühren die Möglichkeit des Auflösungsantrags nicht.
13.5
Sonderformen der Personalfreisetzung
13.5.1
Massenentlassung
Werden erhebliche Teile der Belegschaft (vgl. § 17 Abs.1 Satz 1 KSchG) innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen, muss der Arbeitgeber dies der Bundesagentur für Arbeit mitteilen. Mit der „Entlassung“ ist nicht der Termin des Zugangs der Kündigungserklärung, sondern das tatsächliche Ausscheiden aus dem Betrieb infolge der Beendigung des Arbeitsvertrags gemeint. Die Anzeigepflicht entsteht, wenn innerhalb der Frist die Schwellenwerte für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch arbeitgeberseitige Kündigung oder Aufhebungsvertrag überschritten werden; die Zahl der innerhalb der Frist ausgesprochenen Kündigungen kann höher sein und ist nicht reguliert. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat gem. § 17 Abs.2 KSchG im Vorfeld der Anzeige über die Gründe der geplanten Entlassungen, Zahl und Berufsgruppen der betroffenen Arbeitnehmer, den Zeitraum der Entlassungen, die vorgesehenen Auswahlkriterien und Kriterien von Abfindungen unterrichten. Der Zweck der Vorschrift besteht darin, die Agentur für Arbeit auf den Zuwachs an Beratungs- und Vermittlungsbedarf vorzubereiten. Im Falle beabsichtigter Massenentlassungen besteht aufgrund §§ 17, 18 KSchG eine Entlassungssperre. Die Entlassungssperre wird erst aufgrund einer Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit und erst einen Monat nach Eingang der Anzeige unwirksam. Die Bundesagentur für Arbeit kann rückwirkend einem früheren Zeitpunkt des Wirksamwerdens von Entlassungen zustimmen, der früheste mögliche Zeitpunkt ist jedoch der Tag des Eingangs der Anzeige. Das Unterlassen der Anzeige hat deshalb gravierende Wirkungen für den Arbeitgeber. Sind Massenentlassungen im Sinne von § 17 KSchG noch nicht angezeigt, können Kündigungen nicht durchgeführt werden. Sie sind unwirksam, wenn der einzelne Arbeitnehmer
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
sich darauf beruft. Das Arbeitsverhältnis besteht dann fort; der Arbeitnehmer muss weiterbeschäftigt und bezahlt werden.
13.5.2
Betriebsänderungen – Interessenausgleich und Sozialplan
In Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber gem. § 111 Satz 1 BetrVG den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen rechtzeitig und umfassend zu informieren, wenn die Änderungen für erhebliche Teile der Belegschaft oder die Gesamtbelegschaft wesentliche Nachteile zur Folge haben können. Die Änderungen sind mit dem Betriebsrat zu beraten. Folge der Betriebsänderung sind Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan oder ein Nachteilsausgleich für den einzelnen Arbeitnehmer. Betriebsänderungen sind: – – – – – –
Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen Entlassungen bei Überschreiten der Schwellenwerte nach § 112a BetrVG (Massenentlassungen) Verlegung des ganzen Betriebs oder von Betriebsteilen Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder Spaltung des Betriebs grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks, der Betriebsanlagen Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren
Gründe für Betriebsänderungen können z. B. Entscheidungen für Verringerung der Fertigungstiefe durch Outsourcing, Konzentration von betrieblichen Funktionen (z. B. die Buchhaltung, die Reisekostenabrechnung, die Achsenfertigung) an einem anderen Standort oder die Verlagerung von Produktionsstätten an andere Standorte im In- und Ausland oder auch die schlichte Einschränkung oder Beendigung der Produktion aufgrund schlechter Auftragslage sein. Die bloße Übernahme eines Betriebes durch ein anderes Unternehmen ist (noch) keine Betriebsänderung. Die Betriebsänderungen in einer der von § 111 BetrVG erfassten Formen pflegen einer Übernahme in mehr oder weniger engem zeitlichem Zusammenhang zu folgen. Interessenausgleich Ziel der Beratungen von Arbeitgeber und Betriebsrat ist ein Interessenausgleich. Der Inhalt des Ausgleichs ist gem. § 112 Abs. 1 BetrVG schriftlich festzuhalten und von Betriebsrat und Arbeitgeber zu unterzeichnen. Es handelt sich nicht um eine Betriebsvereinbarung i. S. von § 77 BetrVG. In einem Interessenausgleich als Ausgleich der widerstreitenden Interessen des Unternehmers an der Durchführung der Betriebsänderung und der Arbeitnehmer an einer Fortsetzung des Betriebs in der bisherigen Form geht es primär um die unternehmerische, den Betrieb ändernde Entscheidung selbst. Verhandlungsgegenstand ist, ob und zu
13.5 Sonderformen der Personalfreisetzung
191
welchem Zeitpunkt die Betriebsänderung stattfindet und unter welchen Begleitumständen sie durchgeführt wird. Der Interessenausgleich betrifft also den Kernbereich der unternehmerischen Freiheit. Kommt ein Interessenausgleich nicht zustande, können Unternehmer und Betriebsrat die Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung bitten oder die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 und 3 BetrVG). Anders als in den Fällen der erzwingbaren Mitbestimmung kann die Einigungsstelle keinen Beschluss fassen. Einigen sich die Parteien nicht, kommt ein Interessenausgleich nicht zustande. Bestandteil des Interessenausgleichs kann gem. § 1 Abs. 5 KSchG eine Liste mit freizusetzenden Arbeitnehmern des Betriebes sein. Kommt eine solche Liste zustande, wird aufgrund § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermutet, dass dringende betriebliche Gründe für eine Kündigung vorliegen. Der betroffene Arbeitnehmer trägt die volle Beweislast dafür, dass solche Gründe nicht gegeben sind, wenn er gegen die Kündigung vorgehen will. Aufgrund § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG wird auch die Sozialauswahl, also die Auswahl der auf die Namensliste zu setzenden Mitarbeiter nur auf grobe Fehler überprüft. Das wäre allenfalls dann gegeben, wenn einzelne der vier sozialen Grunddaten entweder überhaupt nicht oder mit eindeutig fehlerhafter Gewichtung berücksichtigt sind. Der Interessenausgleich kann also die Personalfreisetzung erheblich kalkulierbarer machen. Darin liegt ein starker Anreiz für das Unternehmen, mit dem Betriebsrat zu einem Interessenausgleich zu kommen. Für die Übernahme der Mitverantwortung für die Sozialauswahl wird der Betriebsrat andererseits seinen Preis fordern. Sozialplan Allein um den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile für die Belegschaft bei gegebener unternehmerischer Entscheidung in Bezug auf die Betriebsänderung geht es im Sozialplan gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BetrVG. Der Sozialplan ist eine Betriebsvereinbarung, die aufgrund der Aufhebung der Tarifsperre durch § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG ausnahmsweise auch Fragen der Vergütung regeln darf. Die möglichen Inhalte sind vielfältig. Bei Verlagerungen von Aufgaben an andere Standorte kommen materielle Hilfen zur Unterstützung der Mobilität infrage. Abfindungen können wirtschaftliche Härten für ausscheidende Arbeitnehmer mindern, Qualifizierungsmaßnahmen deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Bestandteil des Sozialplans kann auch die Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft sein, die die gekündigten Arbeitnehmer mit dem Ziel der Weitervermittlung in andere Arbeitsverhältnisse übernimmt. Die Leistungen des Sozialplans müssen diskriminierungsfrei ausgestaltet sein; § 75 BetrVG ist zu beachten. Kommt es nicht zu einer Einigung zwischen Unternehmen und Betriebsrat, entscheidet gem. § 112 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle über den Sozialplan, falls nicht die Betriebsänderung ausschließlich in Entlassungen besteht und die in § 112a Abs. 1 BetrVG genannten Schwellenwerte nicht überschritten werden oder die Betriebsänderung innerhalb von vier Jahren nach Neugründung des Unternehmens durchgeführt wird (§ 112a Abs. 2 BetrVG). Die Einigungsstelle entscheidet gem. § 112 Abs. 5 Nr 3 BetrVG u. a. auch über das Gesamtbudget für den Sozialplan und hat bei dessen Festlegung ein weites Ermessen.
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13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
Nachteilsausgleich Liegt eine Betriebsänderung vor und kündigt der Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Gründen, ohne einen Interessenausgleich versucht zu haben, können die betroffenen Arbeitnehmer gem. § 113 Abs. 3 und 1 BetrVG als Nachteilsausgleich unabhängig vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens die nach § 10 KSchG vorgesehene Abfindung verlangen. Andere wirtschaftliche Nachteile als der Verlust des Arbeitsplatzes sind nach § 113 Abs. 3 und 2 BetrVG für die Dauer von zwölf Monaten auszugleichen.
13.5.3
Beendigung befristeter Arbeitsverträge
Befristete Arbeitsverhältnisse enden, wenn die Befristung kalendermäßig bestimmt oder bestimmbar ist, gem. § 15 Abs. 1 TzBefG mit dem Ablauf der vereinbarten Zeit. Ist nur der Zweck der Befristung genannt, ein Enddatum aber nicht kalendermäßig bestimmt oder bestimmbar, endet das Arbeitsverhältnis gem. § 15 Abs. 2 TzBefG nicht automatisch mit der Erfüllung des Zwecks. Wird ein erkrankter Mitarbeiter vertreten, endet das Arbeitsverhältnis des Vertreters nicht mit dem Wiederantritt des Genesenen zur Arbeit. Der Arbeitgeber muss dem befristet Beschäftigten das Erreichen des Zwecks des Arbeitsverhältnisses schriftlich mitteilen. Auch die elektronische Mitteilung ist erlaubt. Das Arbeitsverhältnis endet dann mit dem Erreichen des Zwecks, frühestens aber zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen bzw. elektronischen Mitteilung des Arbeitgebers. Handelt der Arbeitgeber nicht rechtzeitig besteht das befristete Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt der Zweckerreichung hinaus. Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass eine unwirksame Befristung vorliegt, muss er gem. § 17 TzBefG innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses Klage beim Arbeitsgericht erheben. Arbeitet der Arbeitnehmer mit Kenntnis des Arbeitgebers über das nach dem Kalender bestimmte Datum oder den Zeitpunkt der Zweckerreichung hinaus weiter, gilt das Arbeitsverhältnis gem. § 15 Abs. 5 TzBefG als auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn der Arbeitgeber nicht unverzüglich widerspricht oder dem Arbeitnehmer die Zweckerreichung mitteilt. Wird dies versäumt, ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden, das nur durch ordentliche Kündigung unter den Voraussetzungen von § 1 KSchG beendet werden kann. Die ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses setzt sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer gem. § 15 Abs. 5 TzBefG voraus, dass diese Möglichkeit einzelvertraglich oder im anzuwendenden Tarifvertrag vorbehalten ist. Ansonsten kann nur ein wegen fehlender Schriftform unwirksamer befristeter Arbeitsvertrag gem. § 16 Satz 2 TzBefG vor Fristablauf ordentlich gekündigt werden. Ist die Befristung aus anderen Gründen unwirksam, ist dem Arbeitgeber vorbehaltlich § 15 Abs. 3 TzBefG eine ordentliche Kündigung gem. § 16 Satz 1 TzBefG frühestens zum vereinbarten Vertragsende möglich. Möglich bleibt die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Für den Arbeitnehmer stellt eine anderweitige befristete Beschäftigung mit längerer Dauer oder eine unbefristete Beschäftigungsmöglichkeit keinen wichtigen Grund zur Kündigung des befristeten Arbeits-
13.6 Arbeitszeugnis
193
verhältnisses dar. Möchte sich der Arbeitnehmer aus dem Vertrag lösen, ist die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur im Konsens mit dem Arbeitgeber durch schriftlichen Auflösungsvertrag (s. o. S. 173) möglich. Ein verständiger Arbeitgeber wird sich gegen den Wunsch nach einem Auflösungsvertrag in der Regel kaum wehren, weil von einem Mitarbeiter, der sich innerlich bereits vom Betrieb abgekehrt hat, langfristig keine besonderen Leistungen mehr zu erwarten sind. Beeinflussbar bleibt aber immerhin der konkrete Zeitpunkt des Ausscheidens, so dass betriebliche Interessen gewahrt werden können.
13.6
Arbeitszeugnis
Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 109 GewO einen Anspruch auf Erteilung eines schriftlichen Zeugnisses. Das Zeugnis muss zur Wahrung der Schriftform gem. § 126 Abs. 1 BGB vom Arbeitgeber eigenhändig unterschrieben sein. § 109 Abs. 3 GewO schließt die elektronische Form aus. Das einfache Zeugnis gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 GewO enthält nur Angaben zur Person des Arbeitnehmers, zu Beginn und Ende, sowie zur Art der Tätigkeit. In Bezug auf die Tätigkeiten wird in der Regel die weite Formulierung aus dem Arbeitsvertrag aufgegriffen, so dass die konkrete übertragene Aufgabe nicht erkennbar ist. Das einfache Arbeitszeugnis enthält keine Beurteilungselemente. Das qualifizierte Zeugnis gem. § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO dagegen äußert sich auch zu Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers. Es enthält zusätzlich: – – – – – –
Beschreibung der während der Beschäftigungszeit übertragenen Tätigkeiten Beurteilung der Arbeitsleistung Beurteilung des Sozialverhaltens Zusammenfassende Gesamtaussage Angaben zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ggf. zu den Beendigungsmodalitäten ggf. Schlussfloskel
Das qualifizierte Zeugnis soll dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich erfolgreich um eine neue Stelle zu bewerben. Es hat insofern eine Werbefunktion. Gleichzeitig dient es der sachlichen Information des potenziellen neuen Arbeitgebers über die berufsrelevanten Eigenschaften des sich bewerbenden Arbeitnehmers. Der ein Zeugnis erteilende Arbeitgeber sieht sich dadurch mit widerstreitenden Interessen und Ansprüchen konfrontiert. Die Werbefunktion legt es nahe, zur Förderung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers das Positive zu betonen und Negatives zu kaschieren oder ganz zu verschweigen. Die Funktion der Information von Arbeitgeber zu Arbeitgeber erfordert es dagegen, auch die berufsrelevanten ungünstigen Eindrücke und Begebenheiten in das Zeugnis aufzunehmen. Das Zeugnis muss insgesamt wahr und gleichzeitig von „verständigem Wohlwollen für den ausgeschiedenen Mitarbeiter getragen sein, damit dessen berufliches Fortkommen nicht ungerechtfertigt erschwert wird“. Verletzungen der Wahrheitspflicht durch den Arbeitgeber, können zu Schadenersatzverpflichtungen gegenüber dem neuen Arbeitgeber führen. Die Praxis behilft sich gegenüber
194
13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
den widerstreitenden Anforderungen mit einem Konglomerat aus Standardfloskeln, scheinbar positiv formulierter Kritik und beredtem Verschweigen, bei dem das Gebot der klaren und verständlichen Formulierung aus § 109 Abs. 2 Satz 1 GewO zuweilen arg strapaziert wird. Wie detailliert die Beschreibung der ausgeübten Tätigkeit im Arbeitszeugnis ausfällt, hängt von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Nicht alles was im Laufe einer unter Umständen längeren Zeit einmal getan wurde, muss in das Zeugnis aufgenommen werden. Entscheidend ist, dass die das Arbeitsverhältnis prägenden Aufgaben nachvollziehbar beschrieben sind. Das Gewicht liegt dabei auf den zuletzt übertragenen Tätigkeiten, Aufgaben aus der Ur- und Frühgeschichte des Arbeitsverhältnisses sind für die Werbefunktion des Zeugnisses weniger relevant. Die kritischen Passagen des Arbeitszeugnisses sind die Beurteilung der Leistung und die Beschreibung und Bewertung des Sozialverhaltens. Die leichteste Form der Lüge ist das Verschweigen. Deshalb muss das Zeugnis zu der fachlichen Leistung aussagekräftige Angaben enthalten und auf all die Aspekte eingehen, die für die Brauchbarkeit der Leistung entscheidend sind. Einer Person, die Vermögensinteressen des Arbeitgebers betreut, insbesondere Zugriff auf Bargeld hat, muss ein Zeugnis Ehrlichkeit und Korrektheit bescheinigen. Fehlt eine solche Aussage, wird zu einem absoluten Kernbereich der Qualifikation nichts gesagt. Hieraus kann ein anderer Arbeitgeber nur den Schluss ziehen, dass eine kritische Aussage vermieden werden sollte. Aussagekräftig ist es auch, wenn die falschen Eigenschaften lobend hervorgehoben werden, vor allem dann, wenn Aussagen zu den richtigen Eigenschaften fehlen. Dem in einer Entwicklungsabteilung eingesetzten Ingenieur nur Pünktlichkeit zu bescheinigen, ohne Kreativität und Einfallsreichtum hervorzuheben, spricht eine deutliche Sprache. Eine Aussage, die einem Mitarbeiter Ehrlichkeit bescheinigt, zu dessen Aufgaben die Wahrung von Vermögensinteressen überhaupt nicht gehört, stellt einen auffälligen Fremdkörper in der Leistungsbeurteilung dar, der einen neuen Arbeitgeber stutzig machen wird. Das Sozialverhalten muss in verschiedenen Dimensionen im Zeugnis angesprochen sein. Es geht einmal um das Verhalten gegenüber Vorgesetzten, zum anderen um das Verhalten gegenüber gleichrangigen Kollegen oder nachgeordneten Mitarbeitern. Im Ergebnis sollen die Aussagen die Frage beantworten, ob der Arbeitnehmer aufgrund seiner sozialen Eigenschaften Sand im Getriebe war oder einen positiven Beitrag zum Gelingen der betrieblichen Wertschöpfung geleistet hat. Gerade hier haben sich Formulierungen eingebürgert, die genau gelesen werden wollen, um ihren eigentlichen Aussagegehalt zu verstehen. Eigenschaften wie Großzügigkeit, Toleranz, Verdienste um das Betriebsklima, Umgänglichkeit gegenüber Kollegen sind echte Alarmzeichen. Auch wenn Eigenschaften im Verhältnis nur zu Kollegen, nicht aber gegenüber Vorgesetzten betont werden, hat das Zeugnis einen negativen Aussagewert. Wesentlich ist auch, ob Eigenschaften ohne Wenn und Aber geschildert oder durch allgemein gehaltene, nicht konkretisierte Einschränkungen relativiert werden (z. B. Im Wesentlichen, im Großen und Ganzen, überwiegend, in der Regel). Solche Einschränkungen muss der Arbeitgeber mit tatsächlichen Vorkommnissen belegen können, die im Rahmen des Gesamtverlaufs des Arbeitsverhältnisses von solchem Gewicht sind, dass sie dauerhaft gegebene
13.6 Arbeitszeugnis
195
Eigenschaften des Arbeitnehmers charakterisieren. Je länger Probleme zurückliegen und je weniger gravierend die Probleme waren, desto weniger ist es gerechtfertigt, sie in die Beurteilung einfließen zu lassen. Dies gilt vor allem bei jüngeren Arbeitnehmern, deren Persönlichkeitsentwicklung nicht abgeschlossen ist. Andererseits können Eigenschaften von solcher Bedeutung sein, dass die ausdrückliche Bestätigung erforderlich ist, dass diese im gesamten Verlauf des Arbeitsverhältnisses („stets“)gegeben waren, z.B. das Merkmal Ehrlichkeit bei Arbeitnehmern mit Zugriff auf Bargeld. Beschreibung der Arbeitsaufgaben und Beurteilung der Leistungen einerseits und des Sozialverhaltens andererseits müssen in ihrer Ausführlichkeit ausgewogen sein. Einem anderen Arbeitgeber wird es zu denken geben, wenn auf eine langatmige Aufgabenbeschreibung nur wenige Zeilen zur Leistung und zum Sozialverhalten folgen oder auf eine knappe und eher zurückhaltende Leistungsbeurteilung in breiter Form das Sozialverhalten bejubelt wird. Die Beurteilung wird schließlich in einem Gesamturteil zusammengefasst, das die Zufriedenheit des Arbeitgebers wiedergibt. Den Normalfall stellt das Urteil befriedigend dar. Will ein Mitarbeiter eine bessere Beurteilung, trägt er die Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ein Anspruch auf bessere Bewertung ergibt. Will der Arbeitgeber schlechter als befriedigend beurteilen, muss er im Streitfall die dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachen darlegen und ggf. beweisen. Für Einzelcharakterisierungen und die Gesamtaussage haben sich Standardfloskeln eingebürgert. Da diese in Arbeitgeberkreisen und auch interessierten Arbeitnehmern allgemein bekannt sind, werden mit diesen Standardformulierungen wenigstens nicht Geheimcodes verwendet, die gem. § 109 Abs. 2 Satz 2 GewO verboten sind. Zumindest von größeren Unternehmen ist auch zu erwarten, dass die Floskeln bei der Formulierung von Zeugnissen professionell eingesetzt werden. Bei Kleinbetrieben und mittleren Unternehmen kann hinter der unzutreffenden Formulierung des Zeugnisses auch Ungeschicktheit stehen, die für den Arbeitnehmer verheerende Folgen nach sich ziehen kann. Übliche Formulierungen der Gesamtaussage sind: Hat sich bemüht
Ungenügend
Im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit
Mangelhaft
Zu unserer Zufriedenheit
Ausreichend
zu unserer vollen Zufriedenheit
Befriedigend
Stets zu unserer vollen Zufriedenheit/zu unserer vollsten Zufriedenheit
Gut
Stets zu unserer vollsten Zufriedenheit
Sehr gut
Verbreitet ist in einem qualifizierten Zeugnis eine Aussage zum Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch aus diesen Aussagen können Rückschlüsse gezogen werden. Eine „Trennung im gegenseitigen Einvernehmen“ verdeckt ohne weitere Angaben nur unzureichend, dass der Arbeitgeber mit dem Ausscheiden sehr einverstanden war und die Trennung
196
13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Freisetzung
wahrscheinlich auf eine Initiative des Arbeitgebers zurückzuführen ist. Das Zeugnis wird abgerundet durch Wünsche für den weiteren Lebensweg. Selbst in diesen Wünschen können nachteilige Informationen versteckt sein: Formulierung
Bedeutung
… verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch, um eine andere Stelle anzutreten. Wir bedauern dies außerordentlich und wünschen …. für die Zukunft alles Gute
Arbeitnehmerseitige Kündigung, AG hätte Mitarbeiter gern behalten.
… verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch … Ihn begleiten unsere besten Wünsche, vor allem für die Gesundheit.
Arbeitnehmerseitige Kündigung, erhebliche Fehlzeiten wegen Krankheit.
… verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch … Wir wünschen …. viel Glück und Erfolg.
Arbeitnehmerseitige Kündigung, wohl ohne direkt anschließende Beschäftigung. Bei Vorstellungsgesprächen wird hier ganz sicher nachgehakt werden.
… das Arbeitsverhältnis wurde zum ….. im beiderseitigen Einvernehmen beendet.
s. o.
… sahen wir uns aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, das Arbeitsverhältnis zum … zu kündigen.
Klare arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung. Bedauern fehlt. Gelegenheit wurde genutzt, unterdurchschnittlichen Mitarbeiter loszuwerden.
… sahen wir uns wegen interner Reorganisation gezwungen, das Arbeitsverhältnis zum ….. zu kündigen.
Wohl betriebsbedingte Kündigung, kann aber auch personenbedingte Kündigung verstecken. Wenn das Zeugnis sonst nicht euphorisch ist, handelt es sich nicht um einen Leistungsträger.
14
Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang
14.1
Der Tatbestand des Betriebsübergangs
Der anhaltende Konzentrationsprozess der Wirtschaft findet seinen Ausdruck u. a. in der Übernahme von Betrieben und Unternehmen durch ein anderes Unternehmen oder im Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zu einem neuen Unternehmen. Folge ist jeweils die Eingliederung des erworbenen Betriebes in das neue Unternehmen und/oder die Reorganisation der betrieblichen Abläufe durch den Erwerber bzw. das neu geschaffene Unternehmen. Die Reorganisation betrieblicher Prozesse, die Einpassung von Abläufen in die Betriebsorganisation des neuen Unternehmens, der Abbau von Parallelstrukturen und -arbeit durch Konzentration von Aufgaben an einem Standort betreffen jeweils einen hohen Anteil der Arbeitnehmer des Betriebes. Es handelt sich um Vorgänge, die in der Regel mit Arbeitsplatzverlusten einhergehen und schon deswegen Ängste und Sorgen in der Belegschaft auslösen. Dabei ist die Interessenlage der beteiligten Arbeitnehmer relativ eindeutig: Sie wollen auf den bisherigen Arbeitsplätzen zu den gewohnten Konditionen möglichst dauerhaft weiterbeschäftigt werden. Der privatrechtliche Normalfall ist, dass der Gläubiger gem. § 398 BGB seine Rechte an einen Dritten abtreten kann. § 613 Satz 2 BGB modifiziert diese Regel für Dienstverhältnisse. Der Anspruch auf Dienstleistung ist danach im Zweifel nicht auf einen anderen Gläubiger bzw. Arbeitgeber übertragbar. § 613a BGB lockert in Bezug auf Arbeitsverträge diese Bindung für den Fall des sog. Betriebsübergangs. § 613a BGB setzt eine europäische Richtlinie um und hat ursprünglich nur die Übertragung eines Betriebs durch einen Vertrag zwischen dem bisherigen Inhaber und dem neuen Inhaber erfasst. Das Umwandlungsgesetz, das mit der Unternehmensspaltung, der Ausgliederung von Unternehmensteilen und der Unternehmensverschmelzung verschiedene Formen der rechtlichen Unternehmensumstrukturierung regelt, bestimmt die Geltung des § 613a BGB auch für diese Fälle. Änderungen in der Zusammensetzung der Gesellschafter einer juristischen Person führen nicht zu einem Betriebsübergang, da die juristische Person unabhängig von ihren konkreten Gesellschaftern weiter besteht. Ein Betriebsübergang gem. § 613a Abs. 1 BGB setzt voraus, dass ein Betrieb als Ganzes oder ein Betriebsteil auf einen anderen Inhaber übergeht. Aufgrund europarechtlicher Bin-
198
14 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang
dungen ist der Begriff des Betriebs in § 613a BGB nicht identisch mit der sonst im Arbeitsrecht verwendeten Definition. Betrieb i. S. von § 613a BGB ist nicht die organisatorische, durch eine mit Personalbefugnissen ausgestattete Leitung gekennzeichnete Einheit im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn, sondern jede wirtschaftliche Einheit zur Verfolgung eines arbeitstechnischen Zwecks. Betriebsübergänge können deshalb auch Teile von i. S. des BetrVG als Organisationseinheit verstandenen Betrieben erfassen, wenn diese bei wirtschaftlicher Betrachtung eine abgrenzbare Einheit bilden. Ein Betriebsübergang ist gegeben, wenn eine solche wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität von dem Erwerber fortgeführt wird. Ein Betrieb oder Betriebsteil geht nicht über, wenn nur einzelne „Bausteine“, also einzelne Betriebsmittel oder Personen übernommen werden, selbst wenn dies in unter den beteiligten Unternehmen abgesprochener Form erfolgt. Die einzelnen Arbeitnehmer schließen in einem solchen Fall individuell mit dem neuen Unternehmen neue Arbeitsverträge, wenn sie dies wollen. Die Arbeitsverträge mit dem bisherigen Unternehmen müssen durch Aufhebungsvertrag oder Kündigung beendet werden. Arbeitnehmer, die keinen Arbeitsvertrag mit einem anderen Unternehmen schließen, bleiben beim alten Unternehmen und sind dort im Zweifel von betriebsbedingter Kündigung bedroht. Hieraus ergibt sich ein hoher Anreiz, sich auf ein Angebot eines Unternehmens einzulassen, das einen Teil des Personals eines anderen Betriebs abwerben und in seine Betriebsorganisation eingliedern will. § 613a BGB ist auch nicht anwendbar, wenn der Betrieb von dem bisherigen Unternehmen auf Dauer oder für einen längeren Zeitraum stillgelegt wird und Anlagevermögen und Forderungen an ein anderes Unternehmen veräußert werden oder wenn das erwerbende Unternehmen den Betrieb unmittelbar nach dem Erwerb stilllegt. Die Übernahme setzt begrifflich voraus, dass der Betrieb fortgeführt wird. Entschließt sich das andere Unternehmen nach einer wirtschaftlich erheblichen Zeit der Unterbrechung, in den Produktionsanlagen die Tätigkeit wieder aufzunehmen, und stellt es dazu die „alten“ Arbeitnehmer wieder ein, ist kein Betrieb übergegangen, sondern ein neuer Betrieb entstanden. Entscheidend ist, dass die Unterbrechung so lange gedauert hat, dass an die alten Geschäftsbeziehungen nicht mehr angeknüpft werden kann. Eine Sonderform der Stilllegung liegt vor, wenn der Erwerber die wirtschaftliche Einheit nicht als solche weiterführt, sondern unmittelbar nach Übernahme zerschlägt und die einzelnen Arbeitnehmer in seine Betriebsorganisation eingliedert. Wird eine Entwicklungsabteilung mit der Absicht übernommen, die einzelnen Mitarbeiter in verschiedenen Abteilungen und Projekten des Unternehmens einzusetzen, ist die Existenz der Entwicklungsabteilung als wirtschaftlicher Einheit mit der Übernahme beendet. Sie wird nicht fortgeführt, so dass § 613a BGB nicht greift. Die Arbeitsverträge mit dem alten Unternehmen müssen in der dafür vorgesehenen Form beendet werden, das neue Unternehmen muss mit den Mitarbeitern neue Arbeitsverträge abschließen, um sich ihr Know-how zu sichern. Schwierigkeiten und Abgrenzungsfragen ergeben sich insbesondere dann, wenn nur Teile eines Betriebes im organisatorischen Sinn übernommen werden, also ein Betriebsteil übergehen soll. Ob eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität übernommen wird, ist nur anhand von Indizien zu beurteilen. Für einen Betriebsübergang sprechen der Erwerb von Betriebsausstattung, die Beibehaltung der Produktpalette, der Produktionsmethoden und der
14.1 Der Tatbestand des Betriebsübergangs
199
Arbeitsorganisation, die Übernahme des Kundenstamms und der Führungskräfte. Besondere Probleme ergeben sich im Dienstleistungssektor und im Bereich der Kreativarbeitsplätze, bei denen die Sachausstattung nur eine unwesentliche Rolle spielt und der übernehmende Unternehmer vor allem an dem Know-how der Personen interessiert ist. Wird eine EDVEntwicklungsabteilung als Betriebsteil übernommen, ist es nicht relevant, dass die Schreibtische und Rechner nicht mit übernommen, sondern vom abgebenden Unternehmen entsorgt werden. Für die Anwendbarkeit von § 613a BGB ist nach § 613a Abs. 1 BGB schließlich Voraussetzung, dass Grundlage des Betriebsübergangs ein Rechtsgeschäft ist. Im Wege der Zwangsversteigerung erworbene oder aufgrund testamentarischer oder gesetzlicher Erbfolge ererbte Betriebe sind nicht durch Rechtsgeschäft übergegangen. Im Erbfall tritt der Erbe gem. § 1922 BGB in die Rechtsstellung des Erblassers als Firmeninhaber und Arbeitgeber ein. Ein Rechtsgeschäft liegt auch nicht vor, wenn der Betriebsübergang unmittelbar auf einer Rechtsnorm beruht, wie dies für Umstrukturierungen im öffentlichen Bereich typisch ist. Ein Rechtsgeschäft i. S. von § 613a Abs. 1 BGB muss nach der Rechtsprechung des BAG nicht unbedingt zwischen dem abgebendem und dem aufnehmendem Unternehmen abgeschlossen sein (29.9.1988 NZA 1989, S. 799). Ein Rechtsgeschäft liegt dem Betriebsübergang auch dann zugrunde, wenn z. B. ein Unternehmen dem Betreiber der Werkskantine kündigt, danach einen Kantinenbetriebsvertrag mit einem anderen Anbieter schließt und dieser freiwillig den nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des vom bisherigen Betreiber der Kantine eingesetzten Personals übernimmt. Diese Fallgestaltung kommt durchaus häufig vor, weil in vielen Fällen einer solchen Auftragsnachfolge der neue Dienstleister den Auftrag überhaupt nicht mit seinem eigenen Personal abwickeln kann, sondern daran interessiert und darauf angewiesen ist, ein eingespieltes, mit den lokalen Verhältnissen vertrautes Team weiterzubeschäftigen, das seinerseits gern das Angebot des neuen Arbeitgebers annimmt, weil es beim alten Arbeitgeber meist von betriebsbedingter Kündigung bedroht ist. Für den Auftragsnachfolger ergibt sich aus dem personellen „Rosinenpicken“ ein echtes Risiko. Übernimmt er den wesentlichen Teil des bisherigen Personals kommt es zu einem Betriebsübergang und damit zu Arbeitsverhältnissen auch mit den Personen, die er eigentlich nicht übernehmen wollte. Aufgrund § 613a BGB werden die Arbeitsverhältnisse mit allen Arbeitnehmern des übernommenen Betriebs fortgesetzt, es ist nicht möglich, die Übernahme auf die Leistungsträger zu beschränken. Stellt sich erst nach Kündigung durch den alten Arbeitgeber heraus, dass wegen der „Neueinstellung“ zahlreicher Personen durch den neuen Arbeitgeber ein Betriebsübergang vorliegt, haben die übergangenen Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsvertrags. Mitarbeiter, die bereits einen Vertrag zu schlechteren Bedingungen mit dem neuen Arbeitgeber abgeschlossen haben, können eine Anpassung an den alten Arbeitsvertrag verlangen.
200
14.2
14 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang
Die Folgen des Betriebsübergangs
Mit dem Betriebsübergang tritt der Erwerber gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechtsstellung des bisherigen Inhabers ein und wird neuer Arbeitgeber. Die bestehenden Arbeitsverhältnisse werden mit dem Erwerber ohne Unterbrechung fortgesetzt. Über den Betriebsübergang sind die Arbeitnehmer § 613a Abs. 5 BGB zu unterrichten. Sie können dem Übergang der Arbeitsverhältnisse widersprechen. In diesem Fall wird das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortgesetzt. Eine arbeitgeberseitige Kündigung aus Anlass des Betriebsübergangs ist gem. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit beim bisherigen Arbeitgeber fehlt, ist dort allerdings eine betriebsbedingte Kündigung zu erwarten, die aber wegen der Sozialauswahl nicht notwendig den Arbeitnehmer treffen muss, der in dem ausgegliederten Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt worden ist. Die Arbeitsverträge der vom Betriebsübergang betroffenen Mitarbeiter gelten aufgrund § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB mit ihrem konkreten Inhalt einschließlich der erteilten Gesamtzusagen und durch betriebliche Übung eingetretenen Änderungen weiter. Soweit Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen mit ihren normativen Bestimmungen das Arbeitsverhältnis ausgestaltet haben, gelten diese Normen gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB als individuelle arbeitsvertragliche Vereinbarungen mit dem neuen Arbeitgeber. Neben dem Text der Arbeitsverträge ist also der Text der Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in dem Zustand zum Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses verbindlich. Spätere Veränderungen der bisherigen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen wirken sich nicht mehr aus. Diese Arbeitsbedingungen können gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BGB zum Nachteil des Arbeitnehmers erst nach Ablauf eines Jahres nach Betriebsübergang geändert werden. Gegen den Willen der übernommenen Mitarbeiter ist eine Veränderung nur durch Änderungskündigung möglich, die aber §§ 2, 1 KSchG entsprechen, d. h. sozial gerechtfertigt sein muss. In Betracht kommen ausschließlich dringende betriebliche Gründe. Dass ein Arbeitgeber das Vergütungsniveau der übernommenen Mitarbeiter für zu hoch hält, möglicherweise sogar wirtschaftlich nicht verkraften kann oder deren Arbeitsbedingungen den in seinem Unternehmen üblichen Bedingungen anpassen will, stellt keinen dringenden betrieblichen Grund dar. Verschlechterungen des Vergütungsniveaus sind daher vom neuen Arbeitgeber nicht durchsetzbar. Da in den Arbeitsverträgen aber üblicherweise keine automatischen Gehaltserhöhungen vereinbart sind, müssen die übernommenen Arbeitnehmer Inflationsausgleich und Beteiligung am Produktivitätsfortschritt jeweils individuell verhandeln. Sind Gehaltserhöhungen nicht durchsetzbar, werden auf diese Weise langfristig die bestehenden Gehaltsvorteile abgeschmolzen und einem niedrigeren Gehaltsniveau im aufnehmenden Unternehmen angeglichen. Nur bei Zuweisung höherwertiger Aufgaben kann sich aus den individualrechtlich fortgeltenden Eingruppierungsregelungen des bisherigen Tarifvertrags ein Anspruch auf Gehaltserhöhung ergeben. Gelten für den übernehmenden Betrieb Tarifverträge, wird es in Bezug auf den Inhalt der Arbeitsverträge unübersichtlich:
14.2 Die Folgen des Betriebsübergangs
201
Gilt sowohl für den alten als auch den neuen Betrieb derselbe Tarifvertrag, weil auch der Erwerber Mitglied des diesen Tarifvertrag abschließenden Arbeitgeberverbandes ist, gelten die normativen Bestimmungen des Tarifvertrags gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB weiter; sie mutieren nicht zu Individualabreden. Ist der übernehmende Arbeitgeber Mitglied eines anderen Arbeitgeberverbandes und hat dieser einen Tarifvertrag geschlossen, wirkt der Tarifvertrag normativ auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse derjenigen Personen, die Mitglied einer Gewerkschaft sind, die den für den aufnehmenden Betrieb geltenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. Wechsel der Tarifzuständigkeit auf Gewerkschaftsseite sind typisch für die Ausgliederung betrieblicher Servicefunktionen. Mit der Ausgliederung des Werksschutzes eines Betriebes der Metallindustrie in ein eigenes Unternehmen wechselt z. B. die Gewerkschaftszuständigkeit von der IG Metall zur Gewerkschaft Ver.di. Der damit verbundene Wechsel des Tarifvertrags führt wegen des Lohngefälles zwischen den verschiedenen Branchen zu einem deutlich niedrigeren Vergütungsnivau und ist eines der Ziele der Ausgliederung. Der neue Tarifvertrag wirkt aber, auch wenn er ungünstiger ist als der alte Tarifvertrag, nur gegenüber den vom neuen Betrieb übernommenen Mitarbeitern, die auch Mitglied der Gewerkschaft Ver.di werden, wozu sie wegen der grundrechtlich gewährleisteten Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) nicht gezwungen werden können. Bleiben die Mitarbeiter Mitglieder ihrer alten Gewerkschaft oder treten sie aus dieser aus, ohne in die neue Gewerkschaft einzutreten, mutieren die alten tarifvertraglichen Normen zu individualrechtlichen Bestimmungen des Arbeitsvertrags, nehmen aber an Veränderungen der Tarifvertragsnormen nicht mehr teil. Wechselt ein der IG-Metall angehörender Mitarbeiter durch Ausgliederung eines Betriebes der Volkswagen AG in ein Unternehmen, das ebenfalls einen Tarifvertrag mit der IG-Metall geschlossen hat, gilt dagegen der neue Tarifvertrag mit den wahrscheinlich schlechteren Konditionen, weil auch der Haustarifvertrag der Volkswagen AG mit der IG-Metall geschlossen worden ist. Den Bestand des alten Arbeitsvertrags mit den günstigeren Tarifbedingungen erhält in einem solchen Fall nur der Austritt aus der Gewerkschaft. Schwierig ist der Fall der Mitarbeiter, die weder vor noch nach der Übernahme Gewerkschaftsmitglied gewesen sind. Einzelvertraglich ausgehandelte Bestimmungen des Arbeitsvertrags gelten in jedem Fall weiter. Zur Reduzierung des Textvolumens der Arbeitsverträge und zur Standardisierung der Arbeitsbedingungen wird in Arbeitsverträgen tarifgebundener Arbeitgeber auf den für das Unternehmen ohnehin geltenden Tarifvertrag verwiesen. Für diese Fälle gilt nicht § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB. Die mit dem alten Arbeitgeber getroffene Gleichstellungsabrede gilt gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber. Sie ist aber so auszulegen, dass der Arbeitnehmer den Gewerkschaftsmitgliedern des jeweiligen Unternehmens gleichgestellt und die für das Unternehmen geltenden Tarifverträge anzuwenden sind. Die Gleichstellungsabrede führt also bei Betriebsübergang zu einem Arbeitgeber mit schlechteren Tarifverträgen zur sofortigen Anwendung dieser neuen Tarifverträge. Der betroffene Arbeitnehmer kann sich davor allerdings schützen, indem er vor Betriebsübergang durch Beitritt zu der für den alten Betrieb zuständigen Gewerkschaft die direkte Geltung der normativen Bestimmungen des Tarifvertrags herbeiführt, wodurch die Gleichstellungsabrede obsolet wird. Anders ist die Rechtslage nur in dem seltenen Fall, dass im alten Arbeitsvertrag eines nicht gewerkschaftlich gebundenen, meist außertariflichen Mitarbeiters die Geltung eines branchenfremden Tarifvertrags vereinbart ist. In diesem Fall
202
14 Arbeitgeberwechsel durch Betriebsübergang
ergibt die Auslegung des Arbeitsvertrags, dass eben nicht der jeweils für das Unternehmen „an sich“ geltende Tarifvertrag, sondern ein ganz konkret bezeichneter anderweitiger Tarifvertrag angewandt werden soll. An diese einzelvertragliche Verabredung ist auch der Erwerber im Betriebsübergang gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gebunden. Für die konkreten Arbeitsbedingungen ist auch das Schicksal der bisher maßgeblichen Betriebsvereinbarungen von Bedeutung. Betriebsvereinbarungen mutieren nicht gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zu Individualabreden, wenn ein ganzer Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn übernommen wird. Die für den Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gelten weiter, weil der Betrieb nicht aufgehört hat zu existieren. Das gleiche gilt, wenn ein Betriebsteil ausgegliedert und vom Erwerber nicht in einen bestehenden Betrieb eingegliedert, sondern als eigenständiger Betrieb weitergeführt wird, weil gem. § 21a BetrVG der alte Betriebsrat bis zur Neuwahl zuständig bleibt. Wird ein übernommener Betrieb oder Betriebsteil in einen Betrieb des Erwerbers eingegliedert, verdrängen die dort abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen als kollektivrechtliche Regelungen gem. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB die Betriebsvereinbarungen des alten Betriebes, soweit diese die gleiche Materie regeln. Besteht also für den alten Betrieb eine Betriebsvereinbarung über Weihnachtsgeld gilt diese individualrechtlich weiter, wenn im neuen Betrieb eine solche Vereinbarung nicht besteht. Ist im neuen Betrieb durch Betriebsvereinbarung ein niedrigeres Weihnachtsgeld geregelt, besteht nur ein Anspruch auf diesen Betrag.
15
Rechtsschutz
Es wäre sicher ohne weiteres möglich, für bestimmte Orte jeweils ein Gericht einzurichten, so dass sich der Bürger keine Gedanken darüber zu machen braucht, bei welchem Gericht er Rechtsschutz begehren muss. Die Verhältnisse sind nicht so. Historisch haben sich verschiedene Gerichtszweige entwickelt, die nach recht unterschiedlichen Verfahrensordnungen arbeiten, auch wenn es durchaus möglich sein sollte, die Verfahrensordnungen wenigstens teilweise zu vereinheitlichen. Zersplittert ist vor allem die Gerichtsbarkeit im Bereich des öffentlichen Rechts. Das auf der Schnittstelle von Zivilrecht und öffentlichem Recht gelegene Arbeitsrecht ist davon besonders betroffen. Die Verwaltungsgerichte sind gem. § 42 VwGO zuständig für alle öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit diese nicht anderen Gerichten zugewiesen sind. Streitigkeiten des Arbeitgebers z.B. mit der Aufsichtsbehörde über Ausnahmegenehmigungen nach dem ArbZG oder mit dem Integrationsamt über die Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten, werden von den Verwaltungsgerichten entschieden. Auch der Schwerbehinderte, dessen Kündigung das Integrationsamt zugestimmt hat, kann gegen die Entscheidung des Integrationsamts vor dem Verwaltungsgericht vorgehen. Die Sozialgerichte entscheiden gem. § 51 SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Rechtsbeziehungen zu den Sozialversicherungsträgern. Das betrifft z. B. Streitigkeiten des Arbeitgebers mit den gesetzlichen Krankenkassen über den Einsatz des medizinischen Dienstes oder mit den Berufsgenossenschaften über die Feststellung ob ein Arbeitsunfall vorliegt (wichtig für die Haftung des Arbeitnehmers) oder Streitigkeiten des Arbeitnehmers mit dem Versorgungsamt über die Anerkennung als Schwerbehinderter. Die Arbeitsgerichte haben sich aus der allgemeinen Gerichtsbarkeit abgespalten und sind gem. § 2 ArbGG u. a. zuständig für die Streitigkeiten der Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen und aus unerlaubten Handlungen im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen und für die zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber – – – – – –
aus dem Arbeitsverhältnis; über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses; aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und aus dessen Nachwirkungen; aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen; über Arbeitspapiere; Streitigkeiten, die
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15 Rechtsschutz o
ausschließlich Ansprüche auf Leistung einer festgestellten oder festgesetzten Vergütung für eine Arbeitnehmererfindung oder für einen technischen Verbesserungsvorschlag nach § 20 Abs. 1 ArbnErfG zum Gegenstand haben; o die als Urheberrechtsstreitsachen aus Arbeitsverhältnissen ausschließlich Ansprüche auf Leistung einer vereinbarten Vergütung zum Gegenstand haben und – Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern aus gemeinsamer Arbeit und aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen. Die Arbeitsgerichte sind gem. § 2a ArbGG u. a. auch zuständig für alle Streitigkeiten aus dem BetrVG. In der Arbeitsgerichtsbarkeit bestehen mit dem Arbeitsgericht (§ 14 ArbGG), dem Landesarbeitsgericht (§ 33 ArbGG) und dem Bundesarbeitsgericht (§ 40 ArbGG) drei Instanzen. Das Arbeitsgericht besteht gem. § 16 ArbGG aus mehreren sog. Kammern, die jeweils aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern bestehen. Die ehrenamtlichen Richter werden von den Gewerkschaften und anderen Arbeitnehmervereinigungen bzw. den Arbeitgeberverbänden vorgeschlagen und von der Landesregierung oder einer von ihr bestimmten Stelle berufen (§§ 20 f. ArbGG). Das Arbeitsgericht ist gem. § 8 Abs. 1 ArbGG für alle Streitigkeiten ohne Rücksicht auf den Streitwert in der ersten Instanz zuständig. Es entscheidet im sog. Urteilsverfahren durch Urteil über die in § 2 ArbGG genannten Streitigkeiten. Vor der mündlichen Verhandlung, in der Kläger und Beklagter Anträge stellen (§ 57 ArbGG) über die durch Gerichtsurteil (§ 60 ArbGG) entschieden wird, findet gem. § 54 ArbGG immer eine Güteverhandlung statt, in der unter Leitung des Vorsitzenden der Kammer (also des Berufsrichters) ein Einigungsversuch unternommen wird. Aufgrund der ergänzenden Anwendung der ZPO klärt das Arbeitsgericht den Sachverhalt nicht von sich aus auf. Es ist Aufgabe und Verantwortung des Klägers einen Sachverhalt vorzutragen, aus dem sich der geltend gemachte Anspruch ergibt. Es ist dann Aufgabe und Verantwortung des Beklagten, sich mit dem Klagevortrag auseinanderzusetzen, weitere Tatsachen vorzutragen oder wenigstens zu bestreiten, dass die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen stimmen. Vortrag, der nicht bestritten worden ist, gilt als zugestanden und wird vom Gericht dem Urteil zugrunde gelegt, auch wenn sich die Dinge anders zugetragen haben oder der Vortrag zwar wahr ist, aber nicht bewiesen werden kann. Ist ein Beweis nicht möglich trägt die Partei den sich hieraus ergebenden Nachteil, die nach den jeweiligen Beweislastregeln beweispflichtig ist. Die Gerichtskosten der ersten Instanz trägt der im Rechtstreit Unterlegene. Der Gewinner des Rechtsstreits hat anders als im Zivilprozess gem. § 12a ArbGG keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen z. B. für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Für die Streitigkeiten zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern nach § 2a ArbGG entscheidet das Arbeitsgericht nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss. Es gibt keine Güteverhandlung, sondern gem. § 83 Abs. 4 ArbGG einen Anhörungstermin. Das Gericht klärt anders als im Urteilsverfahren den Sachverhalt von Amts wegen auf. Auch wenn die Parteien nichts vorgetragen haben oder der Antragsgegner nichts bestritten hat, kann es eine Beweisaufnah-
15 Rechtsschutz
205
me durchführen. Gerichtskosten werden gem. § 12 Abs. 5 ArbGG nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten trägt immer der Arbeitgeber, entweder weil er verloren hat oder weil er gem. § 40 BetrVG die Kosten des Betriebsrats trägt, zu denen auch die Kosten gerichtlicher Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber zählen. Die Kammern des Landesarbeitsgerichts tagen in der gleichen Besetzung wie die Kammern des Arbeitsgerichts (§ 35 ArbGG). Es entscheidet gem. § 8 ArbGG über Berufungen gegen Urteile des Arbeitsgerichts. Die Berufung ist gem § 64 ArbGG zulässig gegen Urteile, in denen es um den Bestand oder Nichtbestand, sowie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses geht, wenn der Streitwert 600 € übersteigt, oder die Berufung z. B. wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen worden ist. Das Landesarbeitsgericht ist Tatsacheninstanz. Es kann Beweise erheben und Zeugenaussagen oder Sachverständigengutachten abweichend vom Arbeitsgericht würdigen. Im Beschlussverfahren ist es gem. § 8 ArbGG zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts. Die Senate des Bundesarbeitsgerichts mit Sitz in Erfurt (§ 40 ArbGG) bestehen aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 41 ArbGG). Das Bundesarbeitsgericht entscheidet gem. §§ 8, 72 ArbGG über Revisionen gegen die Urteile der Landesarbeitsgerichte, wenn diese die Revision z. B. wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen haben oder das Urteil von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht. Das Bundesarbeitsgericht ist eine reine Rechtsinstanz. Es kann keine Beweise erheben, sondern muss seiner Entscheidung den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde legen und prüft nur, ob die Rechtsnormen zutreffend auf diesen Sachverhalt angewandt worden sind. Im Beschlussverfahren entscheidet das Bundesarbeitsgericht über Rechtsbeschwerden gegen im Beschlussverfahren ergangene Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts. Auch hier ist der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt die verbindliche Grundlage der Entscheidung.
16
Weiterführende Literatur
Kap.
Thema
Literatur
1
HR im betrieblichen Wertschöpfungsprozess
Wunderer, Rolf; Jaritz, André (2007): Unternehmerisches Personalcontrolling. Evaluation der Wertschöpfung für das Personalmanagement. 4., aktual. Aufl. Köln: Luchterhand
1.1
Gestaltung der Wertschöpfung
Schierenbeck, Henner; Wöhle, Claudia B.; Hölscher, R. (2004): Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre. Übungsbuch. 9., vollst. überarb. und erw. Aufl. München: Oldenbourg
1.2.
Aufgaben des Personalmanagements
Scholz, Christian (2000): Personalmanagement. Informationsorientierte und verhaltenstheoretische Grundlagen. 5., neubearb. und erw. Aufl. München: Vahlen
2
Grundlagen des Rechts
Wesel, U.: Fast alles was Recht ist. 8. Aufl. 2006, Frankfurt, Eichborn, 8. Kap. (S. 165 f.)
3.
Grundlagen des Arbeitsrechts
Söllner, A., Waltermann, R.: Arbeitsrecht. 14. Aufl. 2007, München: Vahlen §§ 6 und 7 (S. 43 – 69) Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 1 V ( S. 36 f.)
4
Personalbeschaffung
Mag, Wolfgang (1998): Einführung in die betriebliche Personalplanung. 2., völlig neubearb. Aufl. München: Vahlen
4.1
Das Arbeitsverhältnis als Vertrag
Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 3 III (S. 97 f.)
4.2
Die Stellenausschreibung
Bröckermann, Reiner (2002): Personalmarketing. Akquisition - Bindung - Freistellung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Fröhlich, Werner (2004): Nachhaltiges Personalmarketing. Strategische Ansätze und Erfolgskonzep-
208
16 Weiterführende Literatur te aus der Praxis /. 1. Aufl. Frechen: DatakontextFachverl.
4.3
Das Auswahlverfahren
Schuler, Heinz (2000): Psychologische Personalauswahl. Einführung in die Berufseignungsdiagnostik. 3., unveränd. Aufl. Göttingen: Hogrefe Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 3 I und II (S. 85 f.), Diskriminierung: Rolfs, C. Studienkommentar Arbeitsrecht 2. Aufl. 2007 München: C.H.Beck, Nr. 14 AGG (S. 225 f.)
4.4
Auswahl- und Einstellungsverfahren und Betriebsverfassung
Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 10 VIII 3 (S. 415 f.),
5
Das Arbeitsverhältnis
Rechtswahl: Rolfs, C. Studienkommentar Arbeitsrecht 2. Aufl. 2007 München: C.H.Beck, Nr. 11 EGBGB (S. 210 f.)
6
Personaleinsatz
6.1
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers
Rolfs, C. Studienkommentar Arbeitsrecht 2. Aufl. 2007 München: C.H.Beck, Nr. 12 GewO § 106 (S. 213 f.)
6.2.
Arbeitsaufgabe und Arbeitsleistung
Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 10 VIII 3 (S. 415 f.),
6.3
Arbeitszeit
http://www.arbeitszeiten.nrw.de Knauth, Peter; Hornberger, Sonia (1997): Schichtarbeit und Nachtarbeit. Probleme - Formen - Empfehlungen. 4., neubearb. Aufl. München: Bayerisches Staatsmin. f. Arbeit u. Sozialord. Familie Frauen u. Gesundheit Kutscher, Jan; Basse, H. (2000): Praxishandbuch flexible Arbeitszeit, Personaleinsatz, Produktivität, Kundenorientierung. 2. Aufl. Düsseldorf: Symposion Publ.
7
Führung
Rosenstiel, Lutz von; Regnet, Erika; Domsch, Michel E. (2003): Führung von Mitarbeitern. Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement. 5., überarb. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel (USW-Schriften für Führungskräfte, 20)
16 Weiterführende Literatur
209
7.1
Funktionen der Führung
Wunderer, Rolf (2007): Führung und Zusammenarbeit. Eine unternehmerische Führungslehre. 7., überarb. Aufl. Köln: Luchterhand
7.2
Führung und Macht
Neubauer, Walter; Rosemann, Bernhard (2006): Führung, Macht und Vertrauen in Organisationen. Stuttgart: Kohlhammer
7.3
Führung und Motivation
Comelli, Gerhard; Rosenstiel, Lutz von (2008): Führung durch Motivation. Mitarbeiter für Organisationsziele gewinnen. 4., Aufl. München: Vahlen
7.4
Theorien des Führungsprozesses
Böhnisch, Wolf (1992): Führung und Führungskräftetraining nach dem Vroom/Yetton-Modell. 2., unveränd. Aufl. Stuttgart: Poeschel Jeuschede, Gerhard (1994): Grundlagen der Führung. Führungsprozess, Führungskreis, Führungsfunktion, Führungskonzeptionen: Management by objectives, Management by exception, Management by delegation, Führen nach Regelkreismodell; Führungsstil. 1. Aufl. Wiesbaden: Gabler Kets de Vries, Manfred F. R.; Meyer, Hans-Peter (1992): Chef-Typen. Zwischen Charisma, Chaos, Erfolg und Versagen /. Autoris. Lizenzausg. München: Mosaik Verl. Kets de Vries, Manfred F.; Miller, Danny (1987): The neurotic organization. San Francisco: JosseyBass Publ. MacGregor, Douglas (1986): Der Mensch im Unternehmen. Hamburg: MacGraw-Hill
8
Vergütung und Lohn
Zander, Ernst; Wagner, Dieter; Ackermann, KarlFriedrich (2005): Handbuch des Entgeltmanagements. München: Vahlen Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 4 III (S. 131 f.),
8.6
Vergütung ohne Arbeit
Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 5 I (S. 156 f.),
8.7
Vergütung und Arbeitskampf
Söllner, A., Waltermann, R.: Arbeitsrecht. 14. Aufl. 2007, München: Vahlen §§ 11 und 13 (S. 109 – 145)
9.
(Leistungs-)beurteilung
Kiefer, Bernd-Uwe; Knebel, Heinz (2004): Taschenbuch für Personalbeurteilung. Feedback in
210
16 Weiterführende Literatur Organisationen. 11., überarb. Aufl. Heidelberg: Verl. Recht und Wirtschaft
9.1
Zwecke der Leistungsbeurteilung
Schuler, Heinz (2004): Beurteilung und Förderung beruflicher Leistung. 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. Göttingen: Hogrefe
9.2
Verfahren der Leistungsbeurteilung
Liebel, Hermann J.; Oechsler, Walter A. (1993): Personalbeurteilung Neue Wege zur Bewertung von Leistung, Verhalten und Potential. Wiesbaden:Gabler Scherm, Martin (2005): 360-Grad-Beurteilungen. Diagnose und Entwicklung von Führungskompetenzen. Göttingen: Hogrefe
10
Personalakte und Personaldaten
Schaub G., Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl. 2007, München: C.H.Beck, §§ 148 (S 1544 f.)
11
Rechte am Arbeitsergebnis
Schaub G., Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl. 2007, München: C.H.Beck, §§ 113 – 115 (S 1147 f.)
12
Folgen von Pflichtverletzungen
Neuberger, Oswald (2004): Das Mitarbeitergespräch. Praktische Grundlagen für erfolgreiche Führungsarbeit /. 6. Aufl. Leonberg: Rosenberger Fachverl. Rischar, Klaus (2005): Schwierige Mitarbeitergespräche. 5., überarb. und z.T. neu gefasste Aufl. Hamburg: Feldhaus. Juncker, Grundkurs Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2006 München: C.H. Beck, § 5 III, IV (S. 169 f.)
13
Beendigung des Arbeitsverhältnisses - Freisetzung
Sattelberger, Thomas (1998): Lebenszyklusorientierte PersonalentwicklungIn: Sattelberger, Thomas (Hrsg.): Innovative Personalentwicklung. Grundlagen, Konzepte, Erfahrungen. 3. Aufl., Nachdr. Wiesbaden: Gabler, S. 287 – 305 Schaub G., Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl. 2007, München: C.H.Beck, §§ 121 - 142 (S 1245 f.)
16 Weiterführende Literatur
211
13.6
Arbeitszeugnis
Schaub G., Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl. 2007, München: C.H.Beck, §§ 146 (S 1533 f.)
14.
Betriebsübergang
Söllner, A., Waltermann, R.: Arbeitsrecht. 14. Aufl. 2007, München: Vahlen § 37 (S. 431 f.)
15.
Rechtsschutz
Söllner, A., Waltermann, R.: Arbeitsrecht. 14. Aufl. 2007, München: Vahlen §§ 39, 40 (S. 453 f.)
Stichwortverzeichnis A Abmahnung · 161 Angebot der Arbeitsleistung · 131 Angestellte: leitende · 31 Angestellte · 32 Angestellte: außertariflich · 122 Angestellte: leitende · 122 Annahmeverzug · 131 Arbeit auf Abruf · 35, 80 Arbeiter · 32 Arbeitgeber · 27 Arbeitgeberverband · 17, 18, 22, 137 Arbeitgeberwechsel · 42 Arbeitnehmer: außertariflich · 20; leitende Angestellte · 22 Arbeitnehmernur · 27 Arbeitsaufgabe · 71 Arbeitsbereitschaft · 82 Arbeitsergebnisse · 153 Arbeitsgericht · 203; Beschlussverfahren · 204; Urteilsverfahren · 204 Arbeitskampf · 23, 133 Arbeitsmarkt · 26, 32, 121 Arbeitsort · 75 Arbeitsräume · 75 Arbeitsstätte · 75 Arbeitsunfähigkeit · 129 Arbeitsverhalten · 73 Arbeitsvertrag · 27, 53; Abhängigkeit · 31; Anfechtung · 29, 48; Art der Arbeitsleistung · 59; Auslandsberührung · 55; Bedingung · 38; Befristung · 36, 192; Eingliederung · 31; Form · 66; Gleichstellungsabrede · 21; internationaler Bezug · 54; Ort der Arbeitsleistung · 58;
Parteien · 27; Rechtswahl · 54; Tarifanwendungsklausel · 21; Verhandlungen · 53; vertragstypische Pflichten · 30; Weisungsbindung · 31; Willenserklärung · 28 Arbeitszeit: Dienstplan · 79; Gleitzeit · 80; Notfallarbeiten · 84; Schichtarbeit · 79; Vertrauensarbeitszeit · 80; Zeitautonomie · 80 Arbeitszeit · 12, 20, 61, 62, 78 Arbeitszeit · 83 Arbeitszeit · 86 Arbeitszeit · 154 Arbeitszeitgesetz · 82 Arbeitszeitsystem · 79 Arbeitszeugnis · 193 Arbeitszeugnis, qualifiziertes · 193 Auflösungsvertrag · 173 Auftragsnachfolge · 199 Ausschlussfrist · 50, 63, 171 Aussperrung · 133 Auswahlrichtlinien · 40 Auswahlverfahren · 33; Anforderungsprofil · 34; Anforderungsprofil · 49; Arbeitszeugnis · 42, 43; Aufgabenbeschreibung · 33; Betriebsrat · 50; Bewerberansprache · 33; Bewerberfoto · 43; Bewerberinterview · 44; Bewerbung · 41; Bewerbungsschreiben · 42; Dokumentenanalyse · 41; Eignungsuntersuchung/-test · 47; Fragen, unzulässige · 46, 47; Fragerechte · 46; Kosten · 50; Lebenslauf · 42; Offenbarungspflichten · 46; Personalfragebogen · 47; Qualifikationsanforderungen · 34;
214 Referenzen · 43; Validität · 40, 44; Verfahrensschritte · 41; Zeugnis · 43 B Belästigung · 73 Bereitschaftsdienst · 82 Berufskrankheiten · 15 Beschäftigungsanspruch · 168 Beschäftigungsverbote · 12, 15, 46, 51, 84, 130 Beschwerde · 168 Bestechung · 65 betriebliche Übung · 124 Betriebsänderung · 190; Interessenausgleich · 190; Nachteilsausgleich · 192; Sozialplan · 191 Betriebsrat · 5, 22, 50, 74, 132, 168, 186, 189, 191; Anhörung · 184, 189; Antragsrecht · 76; Kündigungsschutz · 184; Mitbestimmung · 72, 85, 88, 125; Unterrichtung · 26, 190; Unterrichtungsanspruch · 76; Widerspruch gegen Kündigung · 184; Zustimmung · 22, 40, 51, 70, 72, 125, 129, 139 Betriebsrisiko · 133, 137, 164, 171 Betriebsstilllegung · 136 Betriebsübergang · 197 Betriebsvereinbarung · 22, 70, 73, 83, 84, 123, 124, 152, 184, 191, 200, 202 Beurteilungssysteme · 139 Bundesarbeitsgericht · 205 D Datenschutz · 78 Datenschutzbeauftragte · 5 Dienstreisen · 77 Dienstvertrag · 30 Diskriminierung · 38, 122 Diskriminierungsverbot: Schadensersatz · 48 E Einigungsstelle · 23, 191 Entgeltfortzahlung · 128 Entsendung · 57 Erfindervergütung · 156 Erfindungen · 156
Stichwortverzeichnis Erfüllungsgehilfen · 170 Erholungsurlaub · 25, 62, 86 Ermessen · 58, 59 Ermessen, billiges · 71, 73, 78, 81 F Fachvorgesetzte · 4 Fachvorgesetzter · 33 Feiertagsentgelt · 127 Formularvertrag · 65, 174 Friedenspflicht · 19, 134, 135 Führung · 89; … by Delegation · 112; … by Exception · 113; … by Objectives · 114; Akzeptanzsicherung · 110; Aufgabe · 90; Aufgabenorientierung · 106; Belohnung · 92, 93; Bestrafung · 92, 93; Entscheidungsqualität · 109; Entscheidungszeit · 109; Führungskonzeptionen · 94; Gegenmacht · 94; Identifikationsmacht · 93, 94; Informationsmacht · 92; Konfliktmanagement · 90; Machtquellen · 93, 94; Mitarbeiterakzeptanz · 109; Mitarbeiterorientierung · 106 Führungskraft · 89 Führungsstil · 104, 105 Führungstheorien · 103; Eigenschaftstheorien · 103; Management by … · 112; situative Theorien · 108; Verhaltenstheorien · 104 Führungsverhalten · 104 G Gerechtigkeit · 7, 9, 10, 11, 14, 118 Gesamtzusage · 124 Geschmacksmuster · 155 Gesetzgebungskompetenz · 16 Gesundheitsschutz · 87 Gewerkschaft · 17, 19, 21, 22, 46, 77, 135, 136, 201 Gewissensfreiheit · 71 Gleichheitsgrundsatz · 14 Gleichstellungsabrede · 58, 201 Gleichstellungsbeauftragte · 5, 44 Gratifikationen · 122 Grundrechte · 71
Stichwortverzeichnis H Haftung · 162 Haftungserleichterung · 165, 171 Haftungsumfang · 164 Heimarbeit · 78 Human Resource Management · 4 Humankapital · 3, 7, 76, 175 I informationelle Selbstbestimmung · 149 Integrationskosten · 79 J Job Enrichment · 100 K Kleinbetriebe · 176, 178 Koalition · 17, 18 Kostenfaktor · 2 Kündigung · 48; außerordentliche · 187; ordentliche · 175 Kündigungsfrist · 176 Kündigungsfristen · 63 Kündigungsschutz · 36, 177; Auflösung gegen Abfindung · 186; Auswahlrichtlinien · 184; Auswahlrichtlinien · 184; betriebsbedingte Künd. · 182; Einspruch · 186; Interessenabwägung · 179, 181, 188; Kündigungsschutzklage · 185, 186; Kündigungsschutzklage · 189; personenbedingte Künd. · 179; Prognoseprinzip · 179, 181, 182, 188; Sozialauswahl · 184, 191; Sozialauswahl · 183; soziale Rechtfertigung · 178; ultima ratio Prinzip · 188; Ultima ratio Prinzip · 179; verhaltensbedingte Künd. · 180; Wartezeit · 178; Weiterbeschäftigung · 185 Kündigungsschutzklage · 177 Kündigungsverbot · 177 Kündigungsverbote · 177 Kurzarbeit · 81, 85, 86 L Landesarbeitsgericht · 205 Leistungsbeurteilung · 139, 140, 149; 360°Beurteilung · 144; Beurteilungs-
215 fehler · 144; Einstufungsverfahren · 142; Freie Verfahren · 141; Kennzeichnungsverfahren · 143; Rangordnungsverfahren · 142 Leitungsspanne · 89 M Mahnung · 170 Massenentlassung · 189 Maßregelungsverbot · 137 Mehrarbeit · 85 Mehrstunden · 81 Menschenwürde · 70, 71, 73 Mindeststandard · 88, 128, 176 Mindeststandards · 9, 13, 16, 17, 20, 21, 55, 75, 76, 82, 86 Mitarbeitergespräche · 159 Mitbestimmung · 21 Mitverschulden · 164 Mobbing · 170, 171 Moral · 7, 8, 9, 10 Motivationstheorien: Prozesstheorien · 100; Valenz · 101 Motivationstheorien · 95; Bedürfnispyramide · 96; Hygienefaktoren · 99; Motivatoren · 99; Valenz · 98 N Nachtarbeit · 83 Nachweispflicht · 68 Nebenpflichten · 163 Nebentätigkeit · 64 Nichtraucherschutz · 73, 75 O öffentlichen Recht · 12 öffentliches Recht · 15, 70 Ordnung im Betrieb · 72 Outsourcing · 3 P Personalabbau · 79 Personalakte · 139, 147, 151, 162 Personalauswahl · 89, 90 Personalbedarfsplanung · 4, 25
216 Personalbeschaffung · 4, 25, 33; Auswahlverfahren · 40; externe · 26, 32; interne · 25; Lebensalter · 39; Stellenausschreibung · 38 Personalbeurteilung · 4, 142, 145 Personaldaten · 47 Personaldatenverarbeitung · 151 Personaldienstleistungen · 5 Personaleinsatz · 4 Personalentwicklung · 4, 25, 26, 89, 90, 141 Personalfragebögen · 152 Personalfreisetzung · 4, 25, 184, 189, 191 Personalkosten · 2, 4, 7, 117, 123 Personalleiter · 4 Personalmanagement · 2, 4, 41, 207 Personalmarketing · 33 Personalreferent · 33, 45 Personalservice · 4 Personalstrategie · 5 Persönlichkeitsrecht · 73, 170 Pflichtverletzung · 166 Pflichtverletzungen · 159, 168 Privatautonomie · 13, 21, 26, 54 Privatrecht · 12, 13, 15, 70 Prokurist · 27 R Recht · 7, 8, 9, 10, 11, 209 Rechtsschutz · 186, 203 Regulierung · 7 Ruhepause · 82 Ruhezeit · 83 S Schadensersatz · 48, 49, 163 Schmerzensgeld · 50, 165, 170 Schriftform · 66, 174, 176, 187, 193 Schwerbehinderte · 40, 75 Schwerbehindertenvertretung · 5, 44, 51 Schwerbehinderung · 180 Sozialgericht · 203 Sozialversicherung · 12 Sprecherausschuss · 22 Stellenausschreibung · 26, 32
Stichwortverzeichnis Stellenbesetzung, interne · 51 Streik · 133 T Tarifanwendungsklausel · 58 Tarifautonomie · 18, 125, 134, 135 Tarifvertrag · 17, 18, 19, 22, 59, 83, 134, 176, 184, 200, 201; Abweichung · 20; Allgemeinverbindlichkeit · 20; Flächentarifvertrag · 18; Haustarifvertrag · 18; Individualnormen · 19; Manteltarifvertrag · 20; Nachwirkung · 19; Öffnungsklausel · 20; Tarifbindung · 19; Vergütungstarifvertrag · 20 Tarifvertrags: Individualnormen · 18, 57, 201 Teilzeitarbeit · 35, 62, 79 Telearbeit · 77 U Überstunden · 25, 81, 85, 119 Überwachungssysteme · 73 Unfallverhütung · 15, 74 Unfallverhütungsvorschriften · 12, 70, 169 Unmöglichkeit · 132, 162 Unternehmensführung · 1, 89, 112 Unterweisung · 74 Urheberrecht · 154 Urlaubsentgelt · 126 V Validität · 42, 141 Vergütung · 32, 59, 117; Akkord · 120; Entgeltband · 120; Fälligkeit · 61; Geld · 60; Prämie · 120; Sachleistungen · 60 Vergütungsdifferenzierung: Anforderungen · 119; Leistung · 119; Marktbedingungen · 121; Qualifikation · 121; Unternehmenserfolg · 122 Vergütungsgerechtigkeit · 117 Vergütungssystem · 89, 118 Verhinderung, kurzfristige · 127 Verjährung · 63 Verschwiegenheitspflicht · 65 Versetzung · 25, 26, 72, 76, 183 Vertragsfreiheit · 11
Stichwortverzeichnis Vertreter · 27 Verwaltungsgericht · 203 Verzug · 170 Vorschlagswesen · 158 W Wechselschicht · 83 Weisungsrecht · 69, 71, 73, 77 Werkvertrag · 30 Wertschöpfungsprozess · 1, 2, 75
217 Wettbewerbsverbot · 64 Willenserklärung · 28, 87, 124, 176 Willkürverbot · 71 Work-life-balance · 61 Work-Life-Balance · 35 Z Zielvereinbarung · 140, 149 Zivilrecht · 12, 13 Zurückbehaltungsrecht · 169
Moderne BWL Henner Schierenbeck, Claudia B. Wöhle Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre 17., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage 2008 I 935 S. I gebunden € 29,80 I ISBN 978-3-486-58772-2 Das Wissen um betriebswirtschaftliche Grundtatbestände ist eine notwendige Voraussetzung für jeden, der in Betrieben an verantwortlicher Stelle tätig ist oder sich als Studierender auf eine solche Tätigkeit vorbereitet. Dabei kommt es häufig nicht so sehr auf ein spezifisches Detailwissen, als vielmehr auf die Fähigkeit an, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge konzeptionell zu erfassen und betriebliche Probleme in ihrem spezifisch ökonomischen Wesenskern zu begreifen. Aufbau und Inhalt des Lehrbuches sind von dieser Grundüberlegung geprägt. Ebenfalls erhältlich ist die Dozentenausgabe mit CD-ROM für € 39,80. Das Buch richtet sich an Studierende der Betriebswirtschaftslehre sowie an Teilnehmer anderer wirtschaftsnaher Studiengänge. Prof. Dr. Dres. h.c. Henner Schierenbeck lehrt am Institut für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Basel. Univ.-Prof. Dr. Claudia B. Wöhle lehrt Betriebswirtschaftslehre an der Paris Lodron-Universität Salzburg.
Bestellen Sie in Ihrer Fachbuchhandlung oder direkt bei uns: Tel: 089/45051-248, Fax: 089/45051-333 [email protected]
Soll- und Ist-Werte im Blick Peter R. Preißler Betriebswirtschaftliche Kennzahlen Formeln, Aussagekraft, Sollwerte, Ermittlungsintervalle 2008 I 310 S. I gebunden € 29,80 I ISBN 978-3-486-23888-4
Kennzahlen werden benötigt, um aus der Flut der Informationen das Wesentliche herauszufiltern, Maßstäbe aufzustellen, die Situation des Unternehmens objektiv darzustellen und funktionsübergreifende Gesamtzusammenhänge herzustellen. Dieses Buch gibt einen umfassenden und praxisorientierten Überblick über die Kennzahlen zur Unternehmenssteuerung. Sie erfahren, wie Sie mit diesen Kennzahlen arbeiten und welche Aussagen und Zielsetzungen mit den einzelnen Kennzahlen verbunden sind. Sie erhalten mit diesem Buch einen detaillierten Leitfaden für die Praxis zum Aufbau und zur Verwendung von aussagefähigen Kennzahlen und Kennzahlensystemen. Mit Hilfe dieses Buches werden Sie in der Lage sein, nicht nur das Unternehmen mit Ist-Werten zu durchleuchten, sondern auch mit Soll-Werten neue Maßstäbe zu setzen. Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften und Praktiker in Unternehmen. Über die Autoren: Prof. Dr. rer. pol. Peter R. Preißler hat ein international eingesetztes Controlling- und Kennzahlensystem entwickelt.
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Wiki erobert die Wirtschaft Ayelt Komus, Franziska Wauch Wikimanagement Was Unternehmen von Social Software und Web 2.0 lernen können
2008 I 193 Seiten I gebunden € 34,80 I ISBN 978-3-486-58324-3
Wie schaffen es hunderttausende Menschen in ihrer Freizeit eine Enzyklopädie zu erstellen, die der seit Jahrhunderten renommierten Brockhaus-Enzyklopädie in der Qualität in nichts nachsteht und in der Quantität weit übertrifft? Warum veröffentlichen Millionen von Internetnutzern ihre Urlaubsbilder und Videos aus dem privaten Leben im Netz? Wieso funktioniert die Informationsversorgung durch Touristen und Privatleute oftmals besser als die Berichterstattung der großen Agenturen? Und warum versprechen sich Unternehmen wie Google oder die Holtzbrinck Gruppe so viel von derartigen Plattformen, dass deren Gründer über Nacht zu Millionären werden? Wikimanagement gibt nicht nur einen ausführlichen Überblick über die aktuelle Welt des Web 2.0, sondern stellt auch die Funktionsweise der Wikipedia und anderer Social Software-Systeme den wichtigsten organisationstheoretischen Ansätzen gegenüber. In Anwendungsfeldern wie Innovation, Projektmanagement, Marketing und vielen anderen wird deutlich gemacht, wie Unternehmen von Social Software-Technologie und -Philosophie lernen und profitieren können. Das Buch richtet sich an Studierende, Dozenten, Unternehmenspraktiker und Interessierte.
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