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German Pages [472] Year 2022
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 480 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Anna Bizer
Persönlichkeitsrechtsverletzung in sozialen Medien Fragen des anwendbaren Rechts
Mohr Siebeck
Anna Bizer, geboren 1991; Studium der Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universitat Pompeu Fabra, Barcelona (Spanien); 2016 Erste juristische Prüfung; 2016 – 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Freiburg; 2020 Master of Law (LL .M.), University of Cambridge (UK); 2021 Promotion (Freiburg); seit 2021 Rechtsreferendariat am Landgericht Frankfurt am Main. orcid.org/0000-0002-8329-0001
ISBN 978-3-16-161457-6 / eISBN 978-3-16-161458-3 DOI 10.1628/978-3-16-161458-3 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Ver vielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Wintersemester 2021/22 als Dissertation angenommen. Das Rigorosum fand am 8. November 2021 statt. Literatur und Rechtsprechung konnten bis einschließlich Dezember 2021 berücksichtigt werden. Die in der Arbeit aufgeführten Internetseiten wurden zuletzt am 5. Januar 2022 besucht. Dieses Projekt wäre nicht möglich gewesen, hätte ich nicht von vielen Seiten Unterstützung erfahren. Bei diesen Menschen möchte ich mich herzlich bedanken. Mein Dank gebührt zuvörderst meinem Doktorvater, Prof. Dr. Jan von Hein, der mir in den vielen Jahren an seinem Lehrstuhl einen spannenden Einblick in die Rechtswissenschaft ermöglicht und mich während dieser Zeit auf vielen Wegen gefördert und unterstützt hat. Er hat diese Arbeit von der Themenfindung bis zur Fertigstellung begleitet und mit seinen weiterführenden Anregungen geprägt. Hilfreich war für mich insbesondere, dass er mich bei seiner Arbeit für die International Law Association zu grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen eingebunden hat. Prof. Dr. Maximilian Haedicke, LL.M. bin ich sehr dankbar für die außerordentlich schnelle Erstellung des Zweigutachtens und die damit verbundenen wohlwollenden Worte. Bei Prof. Dr. Johannes Masing möchte ich mich besonders dafür bedanken, mir während meines Jahres bei ihm am Lehrstuhl den grundlegenden verfassungsrechtlichen Blick auf das Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz eröffnet zu haben. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Prof. Dr. Ralf Michaels, LL.M., Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann, danke ich für die freundliche Aufnahme in diese Schriftenreihe. Außerdem möchte ich mich herzlich dafür bedanken, dass mir im Rahmen eines Forschungsaufenthalts am MPI und zu Zeiten schwer zugänglicher öffentlicher Bibliotheken die Nutzung des schier unerschöpflichen Literaturfundus in Hamburg ermöglicht wurde. Dem Verlag Mohr Siebeck, insbesondere Frau Dr. Julia Caroline ScherpeBlessing, LL.M., danke ich für die unkomplizierte und angenehme Zusammenarbeit. Herrn Dr. Christian Eckl bin ich dankbar für die freundliche redaktionelle Betreuung der Veröffentlichung.
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Vorwort
Für die finanzielle und ideelle Unterstützung meiner Promotionszeit bin ich der Studienstiftung des deutschen Volkes sehr dankbar. Das Stipendium hat mir Freiraum und Flexibilität gegeben und mir einen Blick über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinaus ermöglicht. Mein Dank gilt auch der Studienstiftung ius vivum und der Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg im Breisgau für die Gewährung eines jeweils großzügigen Druckkostenzuschusses. Herzlich bedanken möchte ich mich bei all meinen Wegbegleiter:innen, die mich mit Rückmeldung und Anregungen zu meinen Überlegungen unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt insoweit Alven Broschart für die gründliche Durchsicht des Vertragsrechtskapitels sowie Robin Leick, LL.M. und Dr. Vincent Winkler für ihre hilfreichen Anmerkungen zum Datenschutzrechtskapitel. Für die Unterstützung auch noch auf den letzten Metern bei der Überprüfung der Druckfahnen danke ich Leonie Reiser, Paul Oesterle, Sinah Mosbach, Sophie Fink, meinen Geschwistern Pauline und Moritz sowie meinem Vater. Außerdem möchte ich mich bei allen Kolleg:innen in Freiburg bedanken, die die Promotionszeit mit angeregten Diskussionen bereichert haben. Auch Christel Hiesel bin ich dankbar für ihre Unterstützung und ihre Verlässlichkeit. Meinen Freund:innen und meiner Familie danke ich von Herzen für die vielfältige Unterstützung und dafür, dass sie die Jahre der Promotion zu einer so schönen Zeit gemacht haben. Herzlich bedanken möchte ich mich auch beim Per Tutti Orchester e.V. für die beständige freundschaftlichmusikalische Begleitung. Mein größter Dank gilt meinen Eltern, Andrea und Peter Bizer, denen diese Arbeit auch gewidmet ist. Meinem Vater danke ich besonders für die vielen Stunden des aufmerksamen und unermüdlichen Korrekturlesens eines jeden Satzes dieser Arbeit und für die hilfreichen sprachlichen Anregungen. Meine Eltern haben mir nicht nur die Neugier auf knifflige Fragestellungen und die Freude am Durchdringen komplexer Themen mit auf den Weg gegeben, sondern mich auch in jeder Phase der Promotion begleitet. Für ihr beständiges Interesse am Inhalt, das gelegentliche Appellieren an mein Durchhaltevermögen und die uneingeschränkte liebevolle Unterstützung zu jeder Zeit bin ich ihnen unendlich dankbar. Frankfurt, 3. März 2022 Anna Bizer
Inhaltsübersicht Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... XXII
Einleitung ................................................................................................... 1 Kapitel 1: Einführung ............................................................................. 8 A. Untersuchungsgegenstand ......................................................................... 8 B. Leitlinien bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ...........................................................17 C. Überblick über das materielle Recht ........................................................20 D. Gang der Untersuchung ...........................................................................37
Kapitel 2: Vertragsstatut ...................................................................... 39 A. Der Plattformvertrag ...............................................................................40 B. Verträge zwischen Nutzern .......................................................................93 C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB .............98 D. Internationale Zuständigkeit .................................................................. 119 E. Zusammenfassung Vertragsrecht............................................................ 120
Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut .............................................. 122 A. Überblick über die Kollisionsnormen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ......................................................... 122 B. Die lex loci delicti commissi ................................................................... 147 C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt ............................................... 255 D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung .................................... 262 E. Die Rechtswahl im Deliktsrecht ............................................................. 292 F. Internationale Zuständigkeit .................................................................. 297 G. Zusammenfassung Deliktsrecht .............................................................. 305
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Inhaltsübersicht
Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut .................................................. 307 A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO .......................................... 308 B. Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs der Datenschutzrichtlinie ............................................................................. 317 C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm .......................................... 320 D. Subsidiäre deliktsrechtliche Kollisionsnormen ...................................... 349 E. Die Zukunft des internationalen Datenschutzrechts................................ 370 F. Internationale Zuständigkeit .................................................................. 373 G. Zusammenfassung Datenschutzrecht...................................................... 375
Kapitel 5: Schranken der Verweisung ............................................ 378 A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG ................................................. 378 B. Ordre public........................................................................................... 390
Kapitel 6: Schlussbetrachtungen ...................................................... 397 A. Ergebnisse ............................................................................................. 397 B. Koordination der Bereiche ..................................................................... 401 C. Ausblick ................................................................................................. 403
Literaturverzeichnis ................................................................................... 405 Sachregister ............................................................................................... 435
Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... XXII
Einleitung ................................................................................................... 1 Kapitel 1: Einführung ............................................................................. 8 A. Untersuchungsgegenstand ......................................................................... 8 I. „Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ ...................................................... 8 II. „Soziale Medien“ ................................................................................10 1. Begriffsbestimmung .........................................................................10 2. Typische Eigenschaften von sozialen Medien ..................................12 3. Kontrollierbarkeit der Verbreitung ...................................................12 III. Beteiligtenverhältnisse .......................................................................14 1. Urheber und Plattformbetreiber........................................................14 2. Urheber und Betroffener ..................................................................15 3. Opfer und Plattformbetreiber ...........................................................17 B. Leitlinien bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ...........................................................17 C. Überblick über das materielle Recht ........................................................20 I. Deutsches Recht ...................................................................................20 1. Schutzumfang ..................................................................................21 2. Ansprüche des Geschädigten............................................................22 3. Haftungsumfang ..............................................................................25 4. Ansprüche des sich Äußernden ........................................................27 II. Europäisches Datenschutzrecht............................................................27 III. Rechtsvergleichender Überblick .........................................................32
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Inhaltsverzeichnis
D. Gang der Untersuchung ...........................................................................37
Kapitel 2: Vertragsstatut ...................................................................... 39 A. Der Plattformvertrag ...............................................................................40 I. Sachlicher Anwendungsbereich der Rom I-VO .....................................40 1. Freiwilligkeit ...................................................................................41 2. Verpflichtungen der Parteien ...........................................................41 a) Pflichten des Betreibers der Plattform .........................................42 b) Pflichten des Nutzers der Plattform .............................................43 3. Rechtliche Bindung ..........................................................................45 a) Allgemeine Darstellung ...............................................................45 b) Angebote mit Registrierung .........................................................46 c) Angebote ohne Registrierung oder mit Registrierung unter Pseudonym ..................................................................................47 4. Zwischenergebnis ............................................................................49 II. Der Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Rom I-VO ......................49 1. Der persönliche Anwendungsbereich ...............................................50 a) Erkennbarkeit ..............................................................................51 b) Arbeitnehmer ..............................................................................52 c) Schutzbedürftigkeit......................................................................54 d) Quantitative Kriterien ..................................................................55 e) Gemischte Vertragszwecke ..........................................................55 aa) Problemfall 1: Der Beruf als Teil der Persönlichkeit..............57 bb) Problemfall 2: Influencer ......................................................58 (1) Beschreibung ....................................................................58 (2) Kennzeichnungspflicht von Werbung ...............................60 (3) Anwendung auf Art. 6 Rom I-VO ....................................61 (4) Maßgebliche Abgrenzungskriterien ..................................62 (5) Fazit .................................................................................65 cc) Problemfall 3: Faktischer Zweckwandel im Dauerschuldverhältnis ...........................................................65 (1) Internationale Zuständigkeit .............................................66 (2) Anwendbares Recht ..........................................................69 dd) Zusammenfassung .................................................................71 f) Eigener Alternativvorschlag .........................................................72 aa) Unterschiedliche Benutzerkonten in sozialen Medien ............73 bb) Lösungsmöglichkeiten ..........................................................74 2. Räumlich-situativer Anwendungsbereich .........................................76 III. Rechtswahl .........................................................................................78 1. Rechtswahl in Plattformverträgen ....................................................78
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2. Rechtswahl in Verbraucherverträgen ...............................................79 3. Rechtswahl in AGB .........................................................................81 a) VKI ./. Amazon 2016 ....................................................................81 b) Auswirkung der Entscheidung in sozialen Medien ......................82 c) Fazit ............................................................................................84 IV. Objektive Anknüpfung .......................................................................85 1. Verbrauchervertrag, Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO ..................................85 2. Allgemein, Art. 4 Rom I-VO............................................................85 a) Dienstleistungsvertrag, Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO .................86 aa) Dienstleistung ........................................................................87 bb) Entgeltlichkeit .......................................................................90 cc) Zwischenergebnis ..................................................................91 b) Allgemeine Grundanknüpfung, Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO .............91 c) Ausweichklausel, Abs. 4 Abs. 3 Rom I-VO .................................92 d) Ergebnis ......................................................................................93 B. Verträge zwischen Nutzern .......................................................................93 I. Rechtswahl durch ausdrückliche Klausel in den Plattform-AGB...........94 II. Akzessorische Anknüpfung an den Plattformvertrag ...........................95 1. Ansichten .........................................................................................95 2. Stellungnahme .................................................................................96 C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB .............98 I. Vertragliche Ansprüche im Sinne des Rom I-VO ..................................99 1. Rechtsprechung des EuGH...............................................................99 2. Wikingerhof ./. Booking.com 2020 ................................................. 101 3. Die Verpflichtung als Kernfrage .................................................... 102 4. Abweichende Auslegung zum Schutz einer schwächeren Vertragspartei? .............................................................................. 105 5. Zwischenergebnis .......................................................................... 106 II. Die Qualifikation konkreter Schutzpflichten ...................................... 107 1. Ansprüche gegen verletzende Bewertungen ................................... 108 2. Ansprüche auf Wiederherstellung .................................................. 110 a) Darstellung der Rechtslage in Deutschland ................................ 111 b) Qualifikation ............................................................................. 115 aa) Der Wiederherstellungsanspruch als vertraglicher Anspruch ............................................................................. 115 bb) Der Wiederherstellungsanspruch als deliktischer Anspruch ............................................................................. 116 c) Fazit .......................................................................................... 118 III. Zusammenfassung ............................................................................ 118
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D. Internationale Zuständigkeit .................................................................. 119 E. Zusammenfassung Vertragsrecht............................................................ 120
Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut .............................................. 122 A. Überblick über die Kollisionsnormen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ......................................................... 122 I. Kollisionsnormen des europäischen internationalen Deliktsrechts ...... 122 1. Qualifikation als Persönlichkeitsrechtsverletzung .......................... 123 2. Die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO............. 123 a) Begriff ....................................................................................... 124 b) Abgrenzung von Art. 6 und 8 Rom II-VO ................................. 126 c) Unternehmenspersönlichkeitsrecht ............................................ 128 d) Datenschutzrecht ....................................................................... 130 aa) Wortlaut .............................................................................. 131 bb) Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO ................................................... 131 cc) Inhaltliche Überschneidungen ............................................. 132 dd) Gesetzgebungsgeschichte .................................................... 133 ee) Rechtsprechung des EuGH .................................................. 134 ff) Systematische Auslegung ..................................................... 134 gg) Fazit .................................................................................... 135 3. Reformbestrebungen ...................................................................... 135 4. Darstellung des Anknüpfungssystems ............................................ 138 II. Kollisionsnormen des deutschen internationalen Deliktsrechts .......... 139 1. Umfang des Deliktsstatuts.............................................................. 139 2. Qualifikationsfragen ...................................................................... 140 3. Darstellung des Anknüpfungssystems ............................................ 142 III. Internationale Aspekte...................................................................... 143 1. Rechtsvergleichender Überblick .................................................... 143 2. Modellgesetze ................................................................................ 144 a) Vorschlag des Institut de Droit International ............................. 144 b) Vorschlag der International Law Association ............................ 145 IV. Zusammenfassung und weiteres Vorgehen ....................................... 146 B. Die lex loci delicti commissi ................................................................... 147 I. Der Handlungsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung .................... 149 1. Rechtsprechung zum europäischen Recht ...................................... 149 a) Shevill 1995 ............................................................................... 149 b) eDate 2011 und Bolagsupplysningen 2017 ................................ 150 2. Rechtsprechung zum nationalen Recht ........................................... 150
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3. Relevante Handlung ....................................................................... 151 4. Bestimmung des Handlungsorts ..................................................... 153 a) Allgemein .................................................................................. 153 b) Nutzer ....................................................................................... 155 aa) Unternehmen ....................................................................... 155 bb) Natürliche Personen ............................................................ 156 (1) Vermutung zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts ..... 156 (2) Missbrauchsgefahr ......................................................... 157 (3) Zufällige Handlungsorte ................................................. 158 (4) Zwischenergebnis ........................................................... 159 c) Betreiber .................................................................................... 159 d) Unterlassungsansprüche ............................................................ 160 5. Der Handlungsort als Anknüpfungsmoment ................................... 161 a) Ansichten .................................................................................. 161 b) Bewertung einer Handlungsortsanknüpfung .............................. 162 6. Ergebnis ......................................................................................... 167 II. Die Bestimmung des Erfolgsorts ....................................................... 167 1. Der Erfolg einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ........................... 168 a) Existenz des Erfolgsorts ............................................................ 168 b) Die Bekanntheit des Verletzten ................................................. 169 c) Tatsächlicher Erfolgsort ............................................................ 171 d) Zwischenergebnis ...................................................................... 173 2. Das Bedürfnis einer Begrenzung .................................................... 173 3. Das geltende europäische Recht ..................................................... 175 a) Shevill 1995 ............................................................................... 175 b) eDate 2011 ................................................................................ 176 c) Bolagsupplysningen 2017 .......................................................... 177 d) Glawischnig-Piesczek 2019 ....................................................... 179 e) Mittelbayerischer Verlag 2021 .................................................. 180 f) Gtflix Tv 2021 ............................................................................ 181 g) Fortführung und offene Fragen .................................................. 182 aa) Die Zukunft von Shevill ....................................................... 182 bb) Bestimmung des Interessenmittelpunkts .............................. 183 cc) Begründung der Zuständigkeit am Interessenmittelpunkt .... 185 h) Zusammenfassung ..................................................................... 185 4. Das geltende nationale Recht ......................................................... 186 a) Profil 1977 ................................................................................ 186 b) New York Times 2010 ................................................................ 187 c) Sieben Tage in Moskau 2011 ..................................................... 188 d) Fortführung ............................................................................... 189 e) Anwendung und offene Fragen .................................................. 191 aa) Divergenz zwischen BGH und EuGH .................................. 191 bb) Anzahl der Erfolgsorte ........................................................ 192
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f) Zusammenfassung...................................................................... 193 5. Beschränkung des Umfangs – Mosaikbetrachtung ......................... 194 a) Mosaikbetrachtung für klassische Pressedelikte......................... 194 b) Die Mosaikbetrachtung und das Internet ................................... 197 c) Die EuGH-Entscheidungen zur räumlichen Reichweite von Löschungsansprüchen ............................................................... 202 d) Dogmatische Übersetzung der EuGH-Entscheidungen .............. 204 e) Stellungnahme ........................................................................... 205 aa) Tauglichkeit vorhandener technischer Möglichkeiten .......... 206 bb) Völkerrechtliche Grenzen des IPR ...................................... 208 cc) Entscheidung im Einzelfall .................................................. 211 dd) Koordination mit dem Datenschutzrecht ............................. 212 ee) Vereinbarkeit mit sonstigem EU-Recht ............................... 213 ff) Vollstreckungsprobleme ....................................................... 215 gg) Grundrechtsabwägung ......................................................... 217 hh) Fazit und Zusammenfassung ............................................... 217 6. Beschränkung der Anzahl .............................................................. 218 a) Der abstrakte Ansatz.................................................................. 219 aa) Anwendung auf natürliche Personen.................................... 219 bb) Die Begründung .................................................................. 220 cc) Die Kritik ............................................................................ 222 dd) Der Interessenmittelpunkt einer juristischen Person ............ 224 ee) Stellungnahme ..................................................................... 226 b) Ausrichtung der Veröffentlichung ............................................. 228 aa) Die Begründung .................................................................. 229 bb) Die Kritik ............................................................................ 229 cc) Stellungnahme ..................................................................... 231 c) Der konkrete Ansatz .................................................................. 232 aa) Darstellung .......................................................................... 233 bb) Die Begründung .................................................................. 234 cc) Kritik ................................................................................... 235 dd) Stellungnahme .................................................................... 236 d) Der Vorhersehbarkeitsvorbehalt ................................................ 237 aa) Darstellung .......................................................................... 237 bb) Die Begründung .................................................................. 238 cc) Die Kritik ............................................................................ 239 dd) Stellungnahme .................................................................... 239 e) Ergebnis .................................................................................... 243 7. Zusammenfassung.......................................................................... 244 III. Wahlrecht der geschädigten Person .................................................. 244 IV. Eigener Vorschlag ............................................................................ 247 1. Zu Absatz 1.................................................................................... 248 a) Kriterien .................................................................................... 248
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b) Vorverhalten der geschädigten Person ....................................... 249 2. Zu Absatz 2.................................................................................... 252 3. Zu Absatz 3.................................................................................... 253 4. Übertragbarkeit .............................................................................. 254 V. Zusammenfassung ............................................................................. 254 C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt ............................................... 255 I. Ablehnende Meinungen ...................................................................... 256 II. Stellungnahme ................................................................................... 257 1. Praktische Erwägungen .................................................................. 257 2. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt im System der Rom II-VO .................................................................................... 257 a) Die Ausnahmen der Rom II-VO ................................................ 258 b) Vergleich mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen....................... 259 c) Fazit .......................................................................................... 261 D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung .................................... 262 I. Die Ausweichklausel allgemein .......................................................... 262 II. Die akzessorische Anknüpfung .......................................................... 264 1. Ziele der akzessorischen Anknüpfung ............................................ 265 2. Darstellung des geltenden Rechts ................................................... 266 a) Das Verhältnis der akzessorischen Anknüpfung zur allgemeinen Ausweichklausel .................................................. 267 b) Der Zusammenhang zwischen Delikt und bestehendem Rechtsverhältnis ........................................................................ 269 c) Tatsächliche Verhältnisse .......................................................... 270 aa) Art. 41 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ............................................... 270 bb) Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO..................................................... 272 cc) Zwischenergebnis ................................................................ 274 d) Akzessorische Anknüpfung und Verbraucherverträge in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ........................................................... 274 aa) Zulässigkeit der akzessorischen Anknüpfung ...................... 275 (1) Ablehnende Meinungen .................................................. 275 (2) Zustimmende Meinungen ............................................... 276 (3) Stellungnahme ................................................................ 277 (4) Bedeutung des Ermessens .............................................. 279 bb) Rechtsfolge ......................................................................... 280 (1) Anwendung des gewählten Rechts (Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO)..................................................................... 280 (2) Anwendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO) .................. 280 (3) Vermeidung eines „Rechtsmixes“ .................................. 281
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(4) Günstigkeitsvergleich ..................................................... 282 (5) Stellungnahme ................................................................ 282 cc) Akzessorische Anknüpfung bei objektiver Anknüpfung des Vertragsstatuts .............................................................. 284 dd) Zwischenergebnis ............................................................... 285 e) Zusammenfassung zur geltenden Rechtslage ............................. 286 3. Anwendung auf soziale Medien ..................................................... 286 a) Das Verhältnis zwischen Plattformbetreiber und Nutzer ............ 286 b) Das Verhältnis zwischen vertraglich verbundenen Nutzern ....... 288 c) Sonstige Verhältnisse zwischen Nutzern.................................... 289 d) Akzessorische Anknüpfung bei reinen Plattformfällen .............. 290 4. Ergebnis ......................................................................................... 291 E. Die Rechtswahl im Deliktsrecht ............................................................. 292 I. Darstellung der geltenden Rechtslage ................................................. 293 II. Ausschluss der Rechtswahl im System der Rom II-VO ..................... 294 1. Art. 6 Abs. 4 und Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO ................................... 294 2. Übertragung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen? ..................... 296 3. Fazit ............................................................................................... 297 F. Internationale Zuständigkeit .................................................................. 297 I. Status quo ........................................................................................... 297 II. Reformbedarf .................................................................................... 299 III. Koordination von anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit ..................................................................................... 300 1. Vorteile der unmittelbaren Anwendung der lex fori ....................... 301 2. Nachteile und Bedenken ................................................................ 302 3. Stellungnahme ............................................................................... 303 G. Zusammenfassung Deliktsrecht .............................................................. 305
Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut .................................................. 307 A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO .......................................... 308 I. Personenbezogene Daten .................................................................... 308 II. Verarbeitung personenbezogener Daten............................................. 310 III. Haushaltsausnahme .......................................................................... 311 1. Lösungsvorschläge der Literatur .................................................... 313 2. Stellungnahme ............................................................................... 315
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B. Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs der Datenschutzrichtlinie ............................................................................. 317 I. Google Spain 2014 ............................................................................. 318 II. Weltimmo 2015 .................................................................................. 319 III. VKI ./. Amazon 2016 ........................................................................ 319 IV. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein 2018................................. 320 V. Zusammenfassung ............................................................................. 320 C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm .......................................... 320 I. Inhaltliche Darstellung ........................................................................ 321 1. Niederlassungsprinzip (Art. 3 Abs. 1 DSGVO) .............................. 321 2. Marktortprinzip (Art. 3 Abs. 2 DSGVO) ........................................ 323 a) Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO ........................................................ 324 b) Art. 3 Abs. 2 lit. b DSGVO ....................................................... 328 c) Folgen ....................................................................................... 330 d) Konvention Nr. 108 des Europarats ........................................... 331 3. Bedeutung des Art. 44 DSGVO ..................................................... 332 II. Bedeutung des Art. 3 DSGVO für das IPR ........................................ 333 III. Verhältnis des Art. 3 DSGVO zu anderen Kollisionsnormen ............ 335 1. Vorrang des Datenschutzrechts ...................................................... 335 2. Datenschutznormen als Eingriffsnormen ........................................ 337 3. Parteiautonomie ............................................................................. 339 IV. Die territoriale Reichweite datenschutzrechtlicher Ansprüche.......... 342 1. Google LLC ./. CNIL 2019 ............................................................. 342 2. Bewertung in der Literatur ............................................................. 343 3. Stellungnahme ............................................................................... 346 V. Ergebnis ............................................................................................ 348 D. Subsidiäre deliktsrechtliche Kollisionsnormen ...................................... 349 I. Datenschutzrecht als spezielles Deliktsrecht ....................................... 350 II. Ermittlung des anwendbaren Datenschutzrechts außerhalb der DSGVO ............................................................................................. 351 1. Verallseitigung............................................................................... 351 2. Anwendung des Art. 4 Rom II-VO................................................. 353 a) Existenz eines Erfolgsorts.......................................................... 353 b) Mosaikbetrachtung .................................................................... 353 c) Schwerpunktbetrachtung ........................................................... 354 d) Fazit .......................................................................................... 355 III. Ergänzendes Schuldrecht.................................................................. 356 IV. Ergänzendes mitgliedstaatliches Datenschutzrecht ........................... 358 1. Ansichten ....................................................................................... 359
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Inhaltsverzeichnis
2. Stellungnahme ............................................................................... 361 3. Einzelne Öffnungsklauseln ............................................................ 362 a) Beschäftigtendatenschutz .......................................................... 362 b) Einwilligung Minderjähriger ..................................................... 362 c) „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“ ................................................................................. 364 aa) Allgemeine Stellungnahme .................................................. 365 bb) Das Medienprivileg im Besonderen .................................... 366 V. Zusammenfassung ............................................................................. 369 E. Die Zukunft des internationalen Datenschutzrechts................................ 370 F. Internationale Zuständigkeit .................................................................. 373 G. Zusammenfassung Datenschutzrecht...................................................... 375
Kapitel 5: Schranken der Verweisung ............................................ 378 A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG ................................................. 378 I. Die Bedeutung für das IPR ................................................................. 378 II. Das Herkunftslandprinzip de lege lata ............................................... 379 1. Anwendungsbereich ....................................................................... 380 a) Erfasste Rechtsbereiche ............................................................. 380 b) Persönlicher Anwendungsbereich .............................................. 381 aa) Anbieter von Telemedien, §§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 TMG ... 381 bb) Geschäftsmäßigkeit, § 3 Abs. 1 und 2 TMG ........................ 383 2. Ausnahmetatbestände..................................................................... 384 3. Zusammenfassende Bestandsaufnahme .......................................... 385 III. Kritik am Herkunftslandprinzip ........................................................ 385 1. Fehlende Mindestharmonisierung .................................................. 386 2. Keine Technologieneutralität ......................................................... 386 3. Zweifelhafte Differenzierungen ..................................................... 387 4. Tatsächlicher Vorteil? .................................................................... 388 IV. Abschließende Stellungnahme ......................................................... 388 B. Ordre public........................................................................................... 390 I. Rechtsquellen ..................................................................................... 391 II. Bedeutung des ordre public-Vorbehalts für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ..................................................... 393 1. BGH 2018 ...................................................................................... 394 2. Leitlinien ....................................................................................... 395
Inhaltsverzeichnis
XXI
III. Zusammenfassung ............................................................................ 396
Kapitel 6: Schlussbetrachtungen ...................................................... 397 A. Ergebnisse ............................................................................................. 397 B. Koordination der Bereiche ..................................................................... 401 C. Ausblick ................................................................................................. 403
Literaturverzeichnis ................................................................................... 405 Sachregister ............................................................................................... 435
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.E. a.F. a.M. Abs. AC AcP AEDIPr AEPD AEUV AfP AGB AllgPersönlR AmJCompL Anh. Anm. Art. Aufl. BB BeckOK Bd. BDSG BeckRS Begr. BerGesVR BGB BGBl. BGH BGHZ BKartA Brüssel I-VO
Brüssel Ia-VO
BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzgl.
Abkürzungsverzeichnis andere(r) Ansicht am Ende alte Fassung am Main Absatz Appeal Cases (Entscheidungen des House of Lords) Archiv für die civilistische Praxis Anuario Español de Derecho Internacional Privado Agencia Española de Protección de Datos Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Archiv für Presserecht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Persönlichkeitsrecht American Journal of Comparative Law Anhang Anmerkung Artikel Auflage Betriebs-Berater Beck’scher Online-Kommentar Band Bundesdatenschutzgesetz Beck-Online Rechtsprechung Begründer Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeskartellamt VO (EG) Nr. 44/2001 v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich
Abkürzungsverzeichnis bzw. CDE CDT CML Rev CNIL CR D. d.h. ders. dies. DSG DSGVO
Datenschutz-RL
DStR DuD E ebd. ECLI eCommerce-RL / ECRL Ed. EDPL EGBGB EGMR Einl. EJPLT EL ELR EMRK endg. entspr. ePrivacy-RL
ErwGr. et al. EU EuCML EuGH EuInsVO EuR EuZW
XXIII
beziehungsweise Cahiers de Droit Européen Cuadernos de Derecho Transnacional Common Market Law Review Commission nationale de l’informatique et des libertés Computer und Recht Recueil Dalloz das heißt derselbe dieselbe(n) Datenschutzgesetz (Österreich) Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG Datenschutz-Richtlinie Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr Deutsches Steuerrecht Datenschutz und Datensicherheit Entwurf ebenda European Case Law Identifier Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, RL 2000/31/EG Edition European Data Protection Law Review Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung European Journal of Privacy Law & Technologies Ergänzungslieferung Entertainment Law Review Europäische Menschenrechtskonvention endgültig entsprechend Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation Erwägungsgrund und andere Europäische Union Journal of European Consumer and Market Law Europäischer Gerichtshof Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren Zeitschrift Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
XXIV EWCA Civ EWHC EWiR EWR EWS f., ff. Fn. FS GA GDPR gem. GewArch GG GLJ GPR GRCh GRUR GRUR Int. GRUR-Prax GS GWB Hastings Sci. & Tech. L. J. HCA HPresseG Hrsg. i.E. i.V.m. ICLQ IDI IDPL ILA insb. Int J Data Sci Anal Int Rev Law Comput Tech IPR IPRax IPRG IZVR J. J. of Media Law JA JBl jM JPIL jurisPR-ITR
Abkürzungsverzeichnis England and Wales Court of Appeal (Civil Division) High Court of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Fußnote Festschrift Generalanwalt General Data Protection Regulation siehe DSGVO gemäß Gewerbearchiv Grundgesetz German Law Journal Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht EU-Grundrechte-Charta Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gedenkschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hastings Science and Technology Law Journal High Court of Australia Hessisches Pressegesetz Herausgeber im Ergebnis in Verbindung mit International and Comparative Law Quarterly Institut de Droit international International Data Privacy Law International Law Association insbesondere International Journal of Data Science and Analytics International Review of Law Computers & Technology Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (Österreich) Internationales Zivilverfahrensrecht Judge Journal of Media Law Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter juris, Die Monatszeitschrift Journal of Private International Law juris PraxisReport IT-Recht
Abkürzungsverzeichnis jurisPR-IWR jurisPR-WettbR JZ K&R Kap. Klausel-RL KG krit. KUG LG lit. Lit. LMK LPresseG BW LQR LR LugÜ
m.w.N. MJ MMR MR MStV MwStR NetzDG NJOZ NJW NJW-RR No. Nr. NSWSC NVwZ NWB NZA NZG NZKart OGH ÖJZ OLG OR OVG QB RabelsZ RdC RDV
XXV
juris PraxisReport Internationales Wirtschaftsrecht juris PraxisReport Wettbewerbs- und Immaterialgüterrrecht Juristenzeitung Kommunikation und Recht Kapitel Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen Kammergericht Berlin kritisch Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Landgericht littera/Buchstabe Literatur Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring Landespressegesetz Baden-Württemberg Law Quarterly Review Lloyd’s Register Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen mit weiteren Nachweisen Maastricht Journal of European and Comparative Law Multimedia und Recht medien und recht Medienstaatsvertrag Mehrwertsteuerrecht Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechung-Report Number Nummer Supreme Court of New South Wales Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht Oberster Gerichtshof (Österreich) Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Obligationenrecht Oberverwaltungsgericht Queen’s Bench Division Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des cours de l’Académie de droit international de La Haye Recht der Datenverarbeitung
XXVI REDI Rev. crit. DIP RG RGZ Riv. dir. int. priv. proc. RIW RL Rn. Rom I-VO Rom II-VO Rs. RStV S. SCC Sec. sog. St.Rspr. Stan. J. Int’l. L. SYbIL SZIER/RSDIE TKG TMG TTDSG Tul. J. Int’l & Comp. L. u.a. U.S. UAbs. UFITA UKHL ULD Univ. Pa. Law Rev. US/USA UWG v. Var. Verbraucherrechte-RL
VersR vgl.
Abkürzungsverzeichnis Revista española de Derecho internacional Revue Critique de Droit International Privé Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rivista di diritto internazionale privato e processuale Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer(n) VO (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht VO (EG) Nr. 864/2007 v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rechtssache Rundfunkstaatsvertrag Satz Supreme Court of Canada Section(s) sogenannt/sogenannte/sogenanntes Ständige Rechtsprechung Stanford Journal of International Law Spanish Yearbook of International Law Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Telekommunikationsgesetz Telemediengesetz Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien Tulane Journal of International and Comparative Law und andere / unter anderem United States Supreme Court Reports Unterabsatz Archiv für Medienrecht und Medienwissenschaft House of Lords Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz University of Pennsylvania Law Review United States (of America) / Vereinigte Staaten (von Amerika) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von / van Variante Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates Versicherungsrecht vergleiche
Abkürzungsverzeichnis VKI VO VuR WRP YbPIL z.B. ZD ZD-Aktuell ZDF ZEuP ZEV ZfDR ZfPW ZfRV ZIP ZUM ZUM-RD zust. ZVertriebsR ZVglRWiss ZZP Int.
XXVII
Verein für Konsumenteninformation Verordnung Verbraucher und Recht Wettbewerb in Recht und Praxis Yearbook of Private International Law zum Beispiel Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für Datenschutz – Newsdienst Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Digitalisierung und Recht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, Rechtsprechungsdienst zustimmend/zustimmende/zustimmender Zeitschrift für Vertriebsrecht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess International
Einleitung Einleitung
Facebook, Twitter, YouTube und zahlreiche weitere sogenannte soziale Netzwerke haben unsere Art, miteinander zu kommunizieren, grundlegend verändert. Soziale Medien ermöglichen es jedem Menschen, sowohl vom heimischen Schreibtisch als auch von jedem beliebigen Ort der Welt aus Fotos, Videos, Informationen, Meinungen oder sonstige Inhalte zu veröffentlichen und damit in Sekundenschnelle ein großes Publikum ungeachtet aller Landesgrenzen mit seiner Botschaft zu erreichen. Die sonst gewohnte Flüchtigkeit einer mündlichen Äußerung, wie sie „offline“ typischerweise erlebt wird, ist auf sozialen Netzwerken nicht gegeben. Stattdessen wird der fragliche Inhalt perpetuiert. Damit kann dieser auch ganz unabhängig von den ursprünglichen Absichten des Urhebers konserviert und beliebig vervielfältigt werden, indem er beispielsweise kopiert, in Form eines Screenshots festgehalten oder auf sonstige Weise offline abgespeichert und womöglich digital weitergegeben wird. Für die außergewöhnlich große Reichweite einer solchen Veröffentlichung sorgen insbesondere die spezifischen Verbreitungsmechanismen in sozialen Medien: Durch Möglichkeiten wie das „Teilen“ eines Inhalts, das direkte Kommentieren, das Verlinken oder „Taggen“ weiterer Personen kann die Veröffentlichung schnell einer breiten Masse zugänglich gemacht werden. Die Kontrolle über einen einmal veröffentlichten Inhalt kann der veröffentlichenden Person dadurch leicht entgleiten. Zwar mögen die allermeisten solcher Äußerungen völlig harmlos und unproblematisch sein. Sollten auf diesem Wege jedoch die Persönlichkeitsrechte einer anderen Person verletzt werden, beispielsweise indem sie in ihrer persönlichen Ehre angegriffen wird oder entgegen ihrem Willen Informationen über sie preisgegeben werden, bedeuten diese Kommunikationsmechanismen sozialer Medien, dass sich diese Beeinträchtigung als dauerhaft und beständig und deshalb auch als besonders schwerwiegend gestalten kann. Aus diesem Grund erweist es sich für den Betroffenen in solchen Fällen häufig als zielführend, gegen den Betreiber der Plattform rechtlich vorzugehen, der dann gezielt identische, wortgleiche oder gar sinngleiche Veröffentlichungen identifizieren und sperren kann. Dieser Weg ist auch gerade dann sinnvoll, wenn Veröffentlichungen anonym getätigt werden oder eine große Zahl an Schädigern gegeben ist. Prägend für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien ist, dass es sich aufgrund der grundsätzlich unbegrenzten weltweiten Abrufbarkeit automatisch um grenzüberschreitende Fälle handelt. Die betroffene Person ist
2
Einleitung
daher zwangsläufig mit der Frage konfrontiert, nach welchem Recht sich die Zulässigkeit einer beeinträchtigenden Veröffentlichung bestimmt, und somit gegebenenfalls mit der Notwendigkeit der Ermittlung fremden Rechts. Dabei weisen die nationalen Rechtsordnungen wesentliche Unterschiede sowohl bei der Abwägung von Meinungs- und Pressefreiheit auf der einen und Persönlichkeitsschutz auf der anderen Seite als auch bei den an eine derartige Verletzung geknüpften Rechtsfolgen auf. Der Frage nach dem anwendbaren Sachrecht kommt deshalb entscheidende Bedeutung zu. Aufgrund dieser hohen praktischen Relevanz möchte diese Arbeit der aufgeworfenen Problematik umfassend nachgehen. Die Gestaltung einer deliktsrechtlichen Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen erweist sich jedoch als recht herausfordernd, wie nicht zuletzt an deren gescheiterten Harmonisierung auf europäischer Ebene zu erkennen ist.1 Eine zentrale Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass alle Beteiligten in grundrechtlich geschützten Positionen betroffen sind. Es gilt also nicht nur jenes Recht zu ermitteln, zu dem die engste Verbindung besteht,2 und dabei insbesondere auf die Vorhersehbarkeit zu achten,3 sondern auch Meinungs- und Pressefreiheit mit den Persönlichkeitsrechten bereits auf kollisionsrechtlicher Ebene schonend miteinander in Ausgleich zu bringen.4 Dabei sind die Kommunikationsfreiheiten und ihre Grenzen ein Themenkomplex, der tief mit dem kulturellen Selbstverständnis einer Gesellschaft verwoben ist. Hinzu kommt, dass das Persönlichkeitsrecht als Rechtsgut geografisch nicht klar zu verorten ist, weil es schon per definitionem nicht greifbar ist. Gerade durch das Internet und dessen weltweite Abrufbarkeit ist dieses Problem für das IPR noch deutlich verschärft worden. Gleichwohl ist das Internet kein per se losgelöster Raum, sondern weist eine Vielzahl an räumlich lokalisierbaren Bezügen auf. Zwar gibt es Fälle, die sich vom Anlass über die anschließende gegebenenfalls verletzende Veröffentlichung bis hin zu den Schädigungsfolgen vollständig im virtuellen Raum abspielen. Im Regelfall existiert jedoch eine Vielzahl an Verbindungen zu der konkreten Welt jenseits des Internets. Diese können beispielsweise darin bestehen, dass sich die Beteiligten bereits persönlich kennen, ihre Beziehung an einem realen Ort verankert ist, sie einen gemeinsamen Bekanntenkreis haben und dass sie soziale Medien lediglich als Kommunikationskanal nutzen. Eine Veröffentlichung kann aber auch durch ein konkretes, lokalisierbares Ereignis veranlasst sein oder sich inhaltlich mit einem Thema befassen, 1
Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO. v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 29; zum EU-IPR ebd., Rn. 32. 3 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 139, 143; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 IV. 4 BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58 = NJW 1971, 1509 (1510 f.). 2
Einleitung
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das mit einem bestimmten Staat eng verknüpft ist. Soweit die betroffene Person nicht anonym im Internet agiert, führt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in sozialen Medien zudem regelmäßig zu Auswirkungen in deren Lebensalltag. Diese beispielhaft herausgegriffenen Aspekte zeigen, dass das Internet das Kollisionsrecht zwar vor Herausforderungen stellt und Grenzüberschreitungen hier deutlich häufiger vorkommen. Im Regelfall weisen die Sachverhalte jedoch eine Vielzahl an Verbindungen zu verschiedenen Staaten auf, die für eine kollisionsrechtliche Anknüpfung fruchtbar gemacht werden können. Die Frage, welches Recht auf eine grenzüberschreitende Persönlichkeitsrechtsverletzung Anwendung finden soll, beschäftigt Wissenschaft und Rechtsprechung bereits seit Langem und hat zu verschiedenen Lösungsansätzen geführt. Während sich die Diskussion zunächst auf Delikte, begangen durch Presse- oder Rundfunkunternehmen, fokussierte,5 erforderte die zunehmende Bedeutung des Internets eine Neubetrachtung.6 Zuletzt hat die Möglichkeit des Geoblockings,7 womit jede Ländergrenze im Internet virtuell imitiert und die Abrufbarkeit so geografisch eingeschränkt werden kann, ein neues Licht auf die Thematik geworfen.8 Eine klare Linie lässt sich aber nicht feststellen, was sich auch im geltenden Recht äußert. Dieses zeichnet sich durch eine nur teilweise vollzogene Vereinheitlichung der tangierten Rechtsbereiche auf europäischer Ebene aus: Während das Kollisionsrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen weiter den Mitgliedstaaten der EU überlassen bleibt (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO), vereinheitlicht Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO dagegen die Frage der internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Sollte der Beklagte aber seinen Wohnsitz nicht in einem 5
EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA; BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 – profil. Aus der Literatur siehe z.B. Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003; Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983; R. Wagner, Das deutsche internationale Privatecht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 1986. 6 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a.; BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059 – Sieben Tage in Moskau; Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 17 – New York Times. Aus der Literatur, z.B. v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999; Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007. 7 Dazu unten S. 12 f. 8 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd; Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C: 2019:772, Google LLC ./. CNIL; Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020.
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Einleitung
Mitgliedstaat der EU haben (Art. 6 Brüssel Ia-VO), gilt das autonome Recht, in Deutschland also § 32 ZPO. Auch wenn alle tangierten Normen letztlich auf das Tatortprinzip rekurrieren und somit den Handlungs- und Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung als entscheidende Anknüpfungsmomente herausgreifen, besteht keine Einheitlichkeit. Denn der EuGH und der BGH bestimmen den Erfolgsort nach unterschiedlichen Kriterien.9 Das nach autonomem Kollisionsrecht ermittelte anwendbare Recht – in Deutschland nach den Art. 40–42 EGBGB – wird wiederum vom Herkunftslandprinzip des Art. 3 eCommerce-RL überlagert, wonach die Anbieter von Telemediendiensten bei Vorliegen der Voraussetzungen keinem strengeren Recht als jenem in ihrem Niederlassungsstaat unterliegen dürfen. Außerdem zeichnet sich eine faktische kollisionsrechtliche Wirkung auch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in den jüngsten Plänen der EU-Kommission ab, wonach – aufbauend auf der Rechtsprechung des EuGH10 – gerichtliche Anordnungen der Anbieter digitaler Dienste zum Vorgehen gegen illegale Inhalte in ihrer räumlichen Reichweite auf das „unbedingt erforderliche Maß“ begrenzt sein sollen.11 Schließlich bestehen auch im Datenschutzrecht Unklarheiten, da die Fragen des anwendbaren Rechts in der DSGVO nur unvollständig geregelt wurden.12 Diese Arbeit möchte den bisherigen Diskurs in Rechtsprechung und Fachliteratur aufgreifen und analysieren und dabei bislang zu wenig beachtete Aspekte hervorheben. Hierfür soll die Perspektive gezielt erweitert werden. Zu diesem Zweck werden soziale Medien als Kommunikationskanal in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. Denn dadurch wird der Kreis jener Personen, die in der Rolle des Schädigers oder des Geschädigten sein können, erweitert und der Blick so auf neue Gesichtspunkte gelenkt. Hiervon ausgehend wurde in dieser Arbeit daher eine breitere Betrachtungsweise gewählt, die auch vertragliche und datenschutzrechtliche Aspekte miteinbezieht. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien treffen die hier behandelten Rechtsbereiche – internationales Vertragsrecht, Deliktsrecht und Datenschutzrecht – zwangsläufig aufeinander und ergänzen sich funktional. Zu untersuchen ist daher, inwiefern eine Koordination dieser Bereiche möglich und nötig ist und wo ihr Grenzen gesetzt sind. Kollisionsrechtlich zu prüfen ist dabei insbesondere, wie sich das sich hier häufig ergebende Dreipersonen-
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Dazu unter S. 175–194. EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd; Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019: 772, Google LLC ./. CNIL. Dazu unter S. 194–218 und S. 342–348. 11 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final, Art. 8 Abs. 2 lit. b. 12 Dazu unter 349-370. 10
Einleitung
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verhältnis auswirkt, das zwischen dem veröffentlichenden Nutzer, dem Opfer und dem Plattformbetreiber besteht. Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien können Anlass dafür geben zu hinterfragen, ob das geltende Kollisionsrecht den Interessen und Erwartungen der potentiell Beteiligten einer Persönlichkeitsrechtsverletzung hinreichend gerecht wird. Denn faktisch haben soziale Medien die gewohnten Machtverhältnisse aufgehoben, die einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im medialen Raum bislang typischerweise zugrunde lagen. So hat man bei Pressefällen, die den Diskurs um die kollisionsrechtliche Behandlung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch in Form von Internetdelikten lange bestimmten, doch sofort das Bild eines mächtigen und wohlhabenden Presseunternehmens vor Augen, das private Informationen über eine Einzelperson preisgibt oder ihre Reputation nachhaltig schädigt. Pressefälle implizieren zum einen ein Machtgefälle und die daraus resultierende besondere Schutzbedürftigkeit des Geschädigten als Einzelperson und zum anderen ein professionell-wirtschaftliches Agieren des Schädigers, der mit dem beruflichen Risiko vertraut ist und von dem eine gewisse Sorgfaltspflicht und Rechtskenntnis erwartet werden kann. Durch soziale Medien hingegen kann jede und jeder potentiell gleichermaßen schädigen oder geschädigt werden, sodass die daraus entstehenden Konstellationen mannigfaltig sind. Insbesondere kann eine natürliche Person, die allein zu privaten Zwecken Inhalte veröffentlicht, andere zu privaten Zwecken Handelnde, aber auch Prominente oder Unternehmen in ihren Persönlichkeitsrechten verletzen. So lässt sich beispielhaft für die Beeinträchtigungen, die Nutzer sozialer Medien anderen natürlichen Personen zufügen können, ein Fall vor dem LG Würzburg anführen: Damals verbreiteten mehrere Nutzer der Plattform Facebook ein Foto des aus Syrien geflüchteten Anas Modamani gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in dem Netzwerk, wobei der Betroffene anlasslos und völlig zu Unrecht als „Terrorist“ bezeichnet und für den Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin im Jahr 2016 verantwortlich gemacht wurde.13 Andererseits können etwa negative Nutzerkommentare auch empfindliche Schäden bei Wirtschaftsunternehmen auslösen wie im Falle der estnischen Bolagsupplysningen OÜ.14 Es braucht aber keineswegs eine Vielzahl an Nutzern, um in sozialen Medien eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu verursachen. So kann es auch schon genügen, dass sich eine Nutzerin in einer Veröffentlichung abfällig über einen ehemaligen Klassenkameraden äußert, den sie auf einem Klassentreffen wiedergesehen hat.15 Oder die Persönlichkeits13
LG Würzburg, Urteil vom 07.03.2017 – 11 O 2338/16 UVR, ZUM 2017, 437. EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB. 15 BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059 – Sieben Tage in Moskau. 14
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Einleitung
rechtsverletzung kann sich auch in einem vertraglichen Kontext abspielen; so beispielsweise, wenn ein Vertragspartner auf einer Vermittlungsplattform wie Ebay oder Airbnb nach der Vertragsabwicklung seinem Vertragspartner eine als unangemessen empfundene negative Bewertung hinterlässt. Diese Breite an Fallkonstellationen führt dazu, dass die Erwartungen und Interessen, die im Kollisionsrecht berücksichtigt werden müssen, anders gelagert sind als bei typischen Pressefällen. Eine Sensibilität für das grenzüberschreitende Element und die damit einhergehende Konsequenz, dass fremdes Recht zur Anwendung berufen sein könnte, kann zwar bei Presseunternehmen aufgrund ihrer Professionalität vorausgesetzt werden. Bei Personen, die in ihrem privaten Alltag soziale Medien nutzen, ist dieses Bewusstsein aber gewiss nicht in gleichem Maße vorhanden. Wer als Privatperson in sozialen Medien etwas veröffentlicht, wird die Grenzen des Sagbaren intuitiv am ehesten an jener Rechtsordnung ausrichten, in welcher er selbst sozialisiert ist. Gleichzeitig wiederum dürfte es aber auch jedem noch so unbedarften Internetnutzer bekannt sein, dass die veröffentlichten Inhalte auch jenseits staatlicher Grenzen abrufbar sind. Zu prüfen ist also, inwiefern die Erwartung, an den individuell vertrauten rechtlichen Maßstäben gemessen zu werden, berechtigt ist oder ob das dem Kommunikationsmittel innewohnende Risiko die Anwendung eines anderen Rechts rechtfertigen kann. Auf der anderen Seite steht der Geschädigte, der ebenfalls von seinem rechtlichen Umfeld geprägt ist und seine Erwartungen an die rechtliche Behandlung einer beeinträchtigenden Veröffentlichung gleichermaßen am ehesten hieran ausrichten wird. Diese widerstreitenden Interessen müssen miteinander in Einklang gebracht werden im Wege einer Kollisionsnorm, die für beide Seiten Vorhersehbarkeit schafft. Auf Seiten der Betreiber sozialer Medien besteht wiederum andererseits ein wirtschaftliches Interesse, alle Rechtsstreitigkeiten so weit wie möglich einer einzelnen Rechtsordnung unterwerfen zu können. Dies gilt sowohl im Verhältnis zu den eigenen Nutzern als auch gegenüber Dritten, die sich von einer Nutzerveröffentlichung auf der Plattform verletzt sehen und nun den Betreiber rechtlich in Anspruch nehmen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Veröffentlichungen Teil des öffentlichen Diskurses sind. Neben den unmittelbar Beteiligten tangiert der Komplex der Persönlichkeitsrechtsverletzungen daher indirekt auch öffentliche Interessen. Die Entscheidung, dass etwas nicht veröffentlicht werden darf oder durfte, ist eben zugleich auch die Entscheidung, dass ein Inhalt nicht von Dritten zur Kenntnis genommen werden kann. Die Informationsfreiheit Dritter ist in der Folge somit auch berührt und muss bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm bedacht werden. Das Ziel dieser Arbeit ist es also, die Ermittlung des auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung des Vertrags-, Delikts- und Datenschutzrechts de lege lata herauszuarbeiten, dieses an den Besonderheiten dieser Form der Kommunikation auf seine Funktionalität und Angemessenheit hin zu messen und vor dem Hintergrund der Kom-
Einleitung
7
plexität dieses Rechtsbereichs gezielte und sinnvolle Weiterentwicklungsmöglichkeiten de lege ferenda aufzuzeigen, die eine höhere Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in diesem Bereich schaffen und die Interessen und Erwartungen der Beteiligten in einen angemessenen Ausgleich bringen können.
Kapitel 1
Einführung Im Rahmen dieser Einführung sollen die Grundlagen für die nachfolgenden Untersuchungen gelegt werden. Zu diesem Zweck werden zunächst der Untersuchungsgegenstand – Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien – sowie die sich daraus ergebenden Beteiligtenverhältnisse näher umrissen (A.). Sodann folgt eine Darstellung der Ziele und Funktionen des IPR allgemein sowie deren Bedeutung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen (B.). Zur Einbettung in die sachrechtliche Ausgestaltung des Persönlichkeitsschutzes und zur Unterstreichung der Relevanz des Kollisionsrechts in diesem Bereich wird ein knapper Überblick über das materielle Recht gegeben (C.). Schließlich soll der Gang der Arbeit skizziert werden (D.).
A. Untersuchungsgegenstand A. Untersuchungsgegenstand
Zunächst wird im folgenden Abschnitt dargestellt und eingegrenzt, womit sich diese Arbeit befasst. Dabei wird zuerst der Begriff der Persönlichkeitsrechtsverletzung umrissen (I.). Sodann soll näher bestimmt werden, was im Sinne dieser Arbeit unter „Sozialen Medien“ zu verstehen ist und welche Besonderheiten mit dieser Nutzungsform des Internets gerade im Blick auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen einhergehen (II.). Schließlich sollen die Verhältnisse zwischen den beteiligten Akteuren – der betroffenen Person, dem ursprünglichen Schädiger und dem Plattformbetreiber – einschließlich ihrer prägenden und modifizierenden Aspekte dargestellt werden (III.). I. „Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ Das Verständnis von Persönlichkeitsrechtsverletzung, das dieser Arbeit zugrunde liegt, ist ein verhältnismäßig weites. Geschuldet ist dies zunächst dem Bedürfnis des IPR, einen relativ offenen Begriff zu wählen, weil alle nationalen materiell-rechtlichen Varianten erfasst sein müssen.1 Dementsprechend beschränkt sich der Begriff mit Blick auf die geschützten Rechtssubjekte hier nicht auf natürliche Personen, sondern umfasst auch juristische Personen, 1
Siehe dazu eingehend Schlussanträge Generalanwalt Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ and Ingrid Ilsjan ./. Svensk Handel AB, Rn. 53 ff.
A. Untersuchungsgegenstand
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Unternehmen und sonstige Vereinigungen. Außerdem soll Ausgangspunkt dieser Arbeit der Lebenssachverhalt sein. Umfasst sind daher all jene Rechtsbereiche, über die eine betroffene Person gegen unliebsame Äußerungen oder Veröffentlichungen in sozialen Medien vorgehen kann. Dazu gehören neben dem Deliktsrecht auch das Vertrags- und das Datenschutzrecht. Inhaltlich setzt sich der Persönlichkeitsschutz aus verschiedenen Einzelaspekten zusammen, die im Wesentlichen die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen und prägen. Zentral ist hierbei das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstdarstellung.2 Wenn Nutzer sozialer Medien durch eine Veröffentlichung die Persönlichkeitsrechte einer anderen Person verletzt, betrifft das vorrangig die persönliche Ehre und die Reputation,3 das Recht am eigenen Bild,4 den Namen5 oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.6 Zentral für diese Arbeit sind also Persönlichkeitsrechtsverletzungen als Kommunikationskonflikte. Keine besondere Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit erfahren dagegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Kommunikationsformen, die einer Kenntnisnahme durch Dritte nicht bedürfen, wie das Verschicken von persönlichen Nachrichten oder E-Mails. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf mehrseitigen Sachverhalten, bei denen die Besonderheiten von sozialen Medien zum Tragen kommen, was erst durch die Kenntnisnahme durch Dritte gegeben ist. „Persönlichkeitsrechte“ kommen nicht als kollisionsrechtlicher Systembegriff im nationalen IPR vor, wohl aber im europäischen IPR im Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO. Das dafür maßgebliche Verständnis7 ist jedoch ein Produkt der Regelungssystematik und des Gesamtzusammenhangs und daher zu spezifisch, um dieser Arbeit zugrunde gelegt werden zu können. Funktional betrachtet kann eine von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung betroffene Person häufig über das Datenschutzrecht dieselben Ziele erreichen 2
Gersdorf, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed., 01.05.2021, EMRK Art. 8, Rn. 18 ff. Z.B. EGMR, Urteil vom 19.03.2019 – 43624/14, Høiness ./. Norwegen, NJW 2020, 2093, Rn. 64; Urteil vom 21.02.2017 – 20996/10, Rubio Dosamantes ./. Spanien, Rn. 26; Urteil vom 26.11.2015 – 3690/10, Annen ./. Deutschland, NJW 2016, 1867, Rn. 54; Urteil vom 09.04.2009 – 28070/06, A. ./. Norwegen, Rn. 64. Der Schutzbereich des Art. 8 EMRK ist jedoch nur dann eröffnet, wenn der Angriff auf den guten Ruf eine gewisse Schwere erreicht hat. 4 Z.B. EGMR, Urteil vom 07.02.2012 – 40660/08 und 60641/08, von Hannover ./. Deutschland Nr. 2, NJW 2012, 1053, Rn. 95 ff.; Urteil vom 24.06.2004 – 59320/00, von Hannover ./. Deutschland, NJW 2004, 2647, Rn. 50 ff. 5 Z.B. EGMR, Urteil vom 21.10.2008 – 37483/02, Güzel Erdagöz ./. Türkei, NJOZ 2010, 509, Rn. 43; Urteil vom 22.02.1994 – 16213/90, Burghartz ./. Schweiz, Rn. 24. 6 Z.B. EGMR, Urteil vom 30.01.2020 – 50001/12, Breyer ./. Deutschland, NJW 2021, 999, Rn. 75; Urteil vom 27.06.2017 – 931/13, Satakunnan Markki napörssi Oy und Satamedia Oy ./. Finland, Rn. 136 f. 7 Siehe unten S. 123–135. 3
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wie über den traditionellen deliktsrechtlichen Persönlichkeitsschutz.8 Im Datenschutzrecht kommen dabei insbesondere Ansprüche auf Schadensersatz (Art. 82 DSGVO) und auf Löschung (Art. 17 DSGVO) in Betracht. Faktisch ergänzen sich hier also Datenschutz und Persönlichkeitsschutz. Diese Ansprüche können sich insbesondere gegen die Betreiber sozialer Medien, aber auch gegen andere Nutzer richten, sofern die angegriffenen Handlungen als Verarbeitung personenbezogener Daten in den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 2 DSGVO fallen.9 Eine Datenverarbeitung durch einen Nutzer liegt beispielsweise dann vor, wenn dieser ein Bild auf der Plattform veröffentlicht, in welchem andere Personen abgebildet sind. Eine deutlich größere Bedeutung hat aber der Umgang der Betreiber sozialer Medien mit den personenbezogenen Daten ihrer Nutzer. Hinzu kommen Datenschutzrechtsverletzungen gegenüber Nichtnutzern, auf die Dienste wie Facebook mittelbar über die Angaben und Verhaltensweisen ihrer Nutzer oder sog. „Social PlugIns“ zugreifen.10 Somit werden für die Zwecke dieser Arbeit auch Verletzungen des Datenschutzrechts unter „Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ gefasst, um ein umfassendes Bild bei entsprechenden Sachverhalten zu geben. II. „Soziale Medien“ Im Folgenden soll näher bestimmt werden, was im Sinne dieser Arbeit unter dem Begriff „Soziale Medien“ zu verstehen ist und was die zwingenden Mindestanforderungen daran sind (1.). Anschließend sollen darüber hinaus die typischen Charakteristiken dargestellt werden (2.). Dabei wird auch darauf eingegangen, wie und wodurch die Verbreitung von Inhalten in sozialen Medien begünstigt wird (3.). 1. Begriffsbestimmung Das Phänomen „soziale Medien“ zeichnet sich dadurch aus, dass der Nutzer kommunikativ in die aktive Rolle schlüpfen und selbst Inhalte kreieren und verbreiten kann. „Soziale Medien“ ist mithin ein Sammelbegriff für verschie8 So war z.B. bereits Gegenstand des Spickmich-Urteils des BGH die Frage, ob ein Betroffener einer Bewertungsplattform die Löschung der über seine Person gemachten Einträge über das Datenschutzrecht erreichen kann, BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = NJW 2009, 2888 – spickmich.de. Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255; Spindler, GRUR 2013, 996 (997). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Frage, in welchem Verhältnis Persönlichkeitsschutz und Datenschutz und insbesondere in welchem Verhältnis Art. 7 und 8 GRCh zueinander stehen, siehe dazu González Fuster/ Hijmans, The EU rights to privacy and personal data protection: 20 years in 10 questions, 14.05.2019, abrufbar unter ; Kokott/Sobotta, IDPL 2013, 222. 9 Siehe unten S. 308–317. 10 Dazu Karg/Fahl, K&R 2011, 453 (454).
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dene Internetangebote, die gemein haben, dass Nutzer ihre eigenen Inhalte veröffentlichen und einer mehr oder weniger großen Gruppe an Adressaten zugänglich machen.11 In Abgrenzung zu anderen Internetangeboten zeichnen sich soziale Medien dadurch aus, dass nicht nur der Seitenbetreiber über die verfügbaren Inhalte bestimmt, sondern diese Möglichkeit auch seinen Nutzern einräumt. Man könnte zwar die verschiedenen Formen der sozialen Medien nun weiter untergliedern. So nennen beispielsweise Hohlfeld/Godulla/Planer die Unterkategorien Plattformen, Blogs, Microblogging-Dienste, Wikis und Instant Messaging.12 Eine solche Differenzierung vermag zwar die Vielfalt an Erscheinungsformen der sozialen Medien darzustellen, sieht sich jedoch mit zwei Problemen konfrontiert: Zum einen unterliegen die Kommunikationsangebote einem steten Wandel und der fortwährenden Weiterentwicklung. Insbesondere sind die Anbieter gezwungen, ihren Nutzern regelmäßig Neuerungen zu präsentieren, um das Interesse an dem Angebot aufrechtzuerhalten. Folglich kann jede Klassifizierung bestehender Internetnutzung nur eine Momentaufnahme sein. Zum anderen können solche Abgrenzungen schnell künstlich oder beliebig werden angesichts dessen, dass die entsprechenden Angebote in der Regel multiple Zwecke verfolgen und sich überschneiden. Daher wird im Rahmen dieser Arbeit auf eine Untergliederung verzichtet und stattdessen die eben beschriebene funktionale Betrachtung angelegt. Maßgeblich ist somit allein, ob neben dem Seitenbetreiber auch Nutzer eigene Inhalte veröffentlichen können (sog. user-generated content). Die Bandbreite sozialer Medien ist groß. So dienen manche Plattformen der beruflichen Vernetzung (z.B. LinkedIn, Xing), andere der Verbreitung von Kurznachrichten (Twitter) und wieder andere konzentrieren sich vorrangig auf die Verbreitung von Fotos und Videos (Instagram). Facebook dient der allgemeinen Vernetzung auf allen sozialen Ebenen und verbindet verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten miteinander. Auch Messaging-Dienste wie WhatsApp oder Telegram, die vorrangig der Individualkommunikation dienen, sind zu den sozialen Medien zu zählen, sobald ein größerer Empfängerkreis adressiert wird. Auf Videoportalen wie TikTok oder YouTube können von Nutzer erstellte Videos veröffentlicht und von anderen rezipiert und kommentiert werden. Selbst bei Onlineanbietern, die hauptsächlich die Veröffentlichung von eigenen, gerade nicht von Nutzern erstellten Inhalte zum Ziel haben, wie Zeitungen oder Mediatheken, ist üblicherweise eine Kommentie11
Diesen Ansatz verfolgt auch § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG, der für ein „soziales Netzwerk“ voraussetzt, dass „Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen“. Das Gesetz nimmt dann jedoch einige Plattformen vom Anwendungsbereich aus, z.B. bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht; dies ist jedoch auf den Gesetzeszweck zurückzuführen und hat für die hiesigen Zwecke keine Bedeutung. 12 Hohlfeld/Godulla/Planer, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 2, Rn. 21 ff.
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rungsfunktion vorgesehen und eröffnet damit nicht nur Schaltflächen für user-generated content, sondern bietet auch Gelegenheit zur netzwerktypischen Nutzerkommunikation. Schließlich sind noch all jene Plattformen zu nennen, die vorrangig der Vertragsvermittlung dienen und die zudem die Möglichkeit zur „Bewertung“ des Vertragspartners vorsehen (z.B. Ebay, Airbnb). 2. Typische Eigenschaften von sozialen Medien Typisch für die sozialen Medien ist die Schaffung einer virtuellen Identität in Form eines Nutzungsprofils. Dieses kann von der schlichten Angabe eines Namens über die Wiedergabe eines mehr oder weniger ausführlichen Lebenslaufs bis hin zu einer ausführlichen Selbstdarstellung einschließlich Fotos und einer Offenlegung der eigenen Persönlichkeit in all ihren Facetten reichen. Kennzeichnend für viele Erscheinungsformen sozialer Medien ist außerdem, dass man sich ein Kontaktnetzwerk aufbauen kann, indem man sich gegenseitig der jeweiligen Freundesliste hinzufügt oder einseitig die Neuigkeiten eines anderen Nutzers abonniert. Die Kommunikation zwischen den Nutzern kann auf verschiedenen Wegen stattfinden. Neben privaten Nachrichten kommen dem Kommentieren und dem Teilen wesentliche Bedeutung zu. So ist es im Regelfall möglich, einen veröffentlichten Inhalt eines anderen Nutzers unmittelbar zu kommentieren und so einen anlassbezogenen Dialog entstehen zu lassen. Durch das Teilen wiederum verbreitet ein Nutzer Inhalte eines anderen weiter, gegebenenfalls mit eigenen Anmerkungen. Auf diesem Wege wird der betreffende Inhalt dem individuellen Netzwerk des teilenden Nutzers zur Kenntnisnahme verfügbar gemacht und dessen Reichweite erhöht. Häufig ist es zudem möglich, zu jeglicher Art von Nutzerveröffentlichung nonverbal zu reagieren, beispielsweise mit einem zustimmenden „Daumen hoch“-Symbol. 3. Kontrollierbarkeit der Verbreitung Die Plattformbetreiber schaffen die Infrastruktur, damit Nutzer ihre Inhalte veröffentlichen und verbreiten können, und setzen hierfür durch die verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten auch die entsprechenden Anreize. Darüber hinaus begünstigen sie die Verbreitung von Inhalten aber auch, beispielsweise, indem sie Sprachgrenzen verringern. Facebook bietet an, Inhalte, die im Original in einer anderen Sprache sind, übersetzen zu lassen; teilweise passiert dies bereits automatisch.13 YouTube wiederum erstellt mit Hilfe von Spracherkennungssoftware automatische Untertitel für mehrere Sprachen und baut sein Angebot beständig aus.14 Über die entsprechend programmierten 13 14
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Algorithmen entscheiden die Betreiber, welche Inhalte prominent platziert werden und so schneller und von einem größeren Kreis zur Kenntnis genommen werden.15 Über diese Maßnahmen kann die Verbreitung eines Inhalts gefördert werden. Andererseits haben die Plattformbetreiber die Möglichkeit, die Abrufbarkeit der Nutzerinhalte durch technische Vorrichtungen zu steuern. So kann die Abrufbarkeit von Inhalten beschränkt oder ausgeschlossen sein, wenn die interessierte Person sich nicht selbst auf der jeweiligen Plattform registriert (z.B. Pinterest). Außerdem können die Betreiber die räumliche Abrufbarkeit sowohl der gesamten Plattform als auch einzelner Inhalte steuern Im Regelfall geschieht dies mittels sog. Geoblocking.16 Dabei wird der Nutzer anhand seiner IP-Adresse geortet und ihm der Zugriff auf einen Inhalt verweigert, wenn er im entsprechenden Staat nicht abrufbar sein soll.17 Die Schwäche des Geoblockings ist, dass man es verhältnismäßig einfach umgehen kann, indem man seinen tatsächlichen geografischen Aufenthaltsort über einen VPNClient oder einen Proxy-Server virtuell verlegt bzw. verschleiert. Auch die Nutzer der sozialen Medien können die Einsehbarkeit der von ihnen veröffentlichten Inhalte steuern. Allerdings geht dies nur, wenn und soweit der Plattformbetreiber einen dahingehenden Spielraum einräumt. Facebook sieht beispielsweise sehr ausdifferenzierte Möglichkeiten vor. So kann man zunächst generell einstellen, dass die eigenen Inhalte für alle, nur für die eigenen „Freunde“ oder ergänzend noch für alle „Freunde von Freunden“ sichtbar sein sollen. Zusätzlich kann bei jedem einzelnen Inhalt abweichend von den Grundeinstellungen die Abrufbarkeit geändert werden und auf konkret ausgewählte Personen beschränkt werden. Solche Einstellungsmöglichkeiten finden sich typischerweise bei eben jenen Plattformen, die viel Raum für die Darstellung der eigenen Person und der persönlichen Vernetzung mit anderen bieten. Hingegen wird man solche Einstellungen nicht bei Bewertungsplattformen finden können. Soweit ersichtlich, bietet es bislang keine Plattform an, die Abrufbarkeit auf bestimmte Regionen einzuschränken.
15 Facebook, So funktioniert der News Feed, ; Twitter, About your Twitter Timeline, . 16 Für weitergehende Informationen zu verschiedenen Geolokalisierungen, deren technische Funktionsweise sowie den Chancen und Risiken siehe Svantesson, Private International Law and the Internet, 3. Aufl. 2016, S. 515 ff. 17 Siehe die eingehende technische Beschreibung bei LG Hamburg, Urteil vom 30.04.2018 – 324 O 51/18, BeckRS 2018, 24806, Rn. 8 ff.
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III. Beteiligtenverhältnisse Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf sozialen Medien führen zwangsläufig zu einer Konstellation, die sich aus drei Beteiligten zusammensetzt.18 Die jeweiligen Verhältnisse zwischen diesen Beteiligten können im konkreten Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt sein, was sich auf die rechtliche Beurteilung auf Ebene des Sachrechts, aber auch auf die kollisionsrechtliche Ebene auswirken kann. Nachfolgend werden die jeweiligen Verhältnisse zwischen dem Urheber der gegebenenfalls verletzenden Veröffentlichung, dem Plattformbetreiber und dem Opfer geschildert. 1. Urheber und Plattformbetreiber Das Verhältnis zwischen einem mutmaßlich schädigenden Nutzer und dem Betreiber des Plattformangebots entsteht im Regelfall durch die Registrierung, also die Eröffnung eines Nutzerkontos. Dieses vertragliche Verhältnis wird typischerweise durch AGB ausgestaltet, welche üblicherweise eine Gerichtsstandsvereinbarung und eine Rechtswahlklausel beinhalten.19 Kollisionsrechtlich stellt sich hier die Frage, welches Vertragsrecht das Verhältnis bestimmt und ob entsprechende Klauseln generell und speziell im Falle eines Verbrauchervertrags wirksam sind. Außerdem sehen soziale Medien regelmäßig Bestimmungen dazu vor, welche Inhalte erlaubt und welche unerwünscht sind. Für die Betreiber der Plattformen ist die Geltung dieser Bestimmungen von großem Interesse, weil damit ein Regelwerk unabhängig von den Landesgrenzen geschaffen wird und damit dem Ziel entspricht, grenzenlose Kommunikationsräume zu schaffen. Basierend auf diesen Verhaltensvorgaben sollen Nutzerinhalte geprüft und gegebenenfalls gelöscht werden; teilweise kann bei einem Verstoß auch eine (zeitweise) Kontensperrung im Raum stehen. Facebook hat für besonders komplexe Fälle nun ein Oversight Board eingerichtet, welches die Verhaltensregeln interpretiert und deren Anwendung im konkreten Einzelfall überprüft. Das Ziel ist dabei freilich nicht, die Einhaltung nationalen Rechts zu prüfen, sondern ein eigenständiges weltumspannendes Regelwerk für das globale Netzwerk zu schaffen und zu verfestigen.20 In jüngerer Zeit gab es in Deutschland gehäuft Klagen von Nutzern, die eine Wiederherstellung gelöschter Veröffentlichungen und eine Entsperrung ihrer Konten begehrten.21 18 Zu Mehrpersonenverhältnissen in der Plattformökonomie aus Sicht des materiellen Rechts siehe Adam/Micklitz, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat, 2017, 45 ff. 19 Ausführlicher zum Plattformvertrag siehe unten S. 40–49. 20 Siehe dazu Spindler, GRUR 2020, 329 (332). 21 BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935 – Der III. Weg; BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970; KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260; OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W
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2. Urheber und Betroffener Zwischen dem Urheber eines verletzenden Inhalts und dem Opfer besteht in der Regel ein Verhältnis außervertraglicher Natur. Allerdings können auch vertragliche Ansprüche in Betracht kommen, wenn die angegriffene Äußerung im Zusammenhang mit einem Vertragsschluss über eine Plattform erfolgte. Zu nennen sind hier insbesondere Negativbewertungen auf Verkaufsplattformen wie Ebay, die sich auf einen bereits abgeschlossenen Kaufvertrag beziehen. Wenn beide Parteien Nutzer einer Kommunikationsplattform sind, besteht kein vertragliches Verhältnis. Allerdings sind in diesem Fall beide vertraglich mit dem Plattformbetreiber verbunden. Dies kann eine abweichende kollisionsrechtliche Bewertung rechtfertigen. Sofern sich beide Nutzer denselben AGB und Verhaltensbestimmungen unterwerfen, kann sich dies an verschiedenen Stellen auswirken. Zum einen kann sich dies – abhängig vom anwendbaren Sachrecht – auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung auswirken, zum anderen kann man erwägen, ob eine einheitliche Rechtswahl im jeweiligen Nutzer-Betreiber-Verhältnis auch auf das Verhältnis zwischen den Nutzern durchschlägt.22 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass sich beide Parteien auf ein Netzwerk der virtuellen Kommunikation eingelassen haben und damit auch das Risiko einer staatenübergreifenden Kommunikation freiwillig eingegangen sind. Wer sich bewusst in einen virtuellen Raum begibt, ist eventuell weniger schützenswert in seiner Erwartung, dass seine heimischen Schutzstandards zur Anwendung kommen. Bei einer genaueren Betrachtung kann diese Überlegung jedoch nur in Ausnahmefällen greifen. Im Regelfall sind das virtuelle Netzwerk und das im Alltag tatsächlich Erlebte nicht voneinander getrennt, sondern eng miteinander verwoben. Soziale Medien und das Internet generell sind kein abgetrennter, virtueller Raum, sondern häufig lediglich ein Kommunikationskanal. Die meisten sozialen Medien dienen dazu, bereits bestehende Kontakte zu pflegen und auszubauen. Auf vielen Plattform sind die Nutzer als diejenigen identifizierbar, die sie in ihrem Alltag auch sind – nicht zuletzt aufgrund der Verwendung von Klarnamen. Wenn ein anderer Nutzer nun einen persönlich577/18, NJW 2018, 3111; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJWRR 2019, 1006; Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18, NJW 2018, 3110; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35; LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.09.2018 – 2-03 O 310/18, MMR 2018, 770; Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, MMR 2018, 545; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423. 22 Siehe unten S. 95–98.
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Kapitel 1: Einführung
keitsrechtsverletzenden Inhalt in sozialen Medien veröffentlicht, dann bekommt das die betroffene Person nicht nur in ihrem virtuellen Bekanntenkreis zu spüren, sondern auch ganz unmittelbar in ihrem außerhalb der Plattform liegende Umfeld. Es handelt sich mithin nicht um getrennte Welten, sondern um eng verwobene. Es ist also im Einzelfall genau hinzuschauen, ob die Nutzereigenschaft beider Parteien eine besondere rechtliche Behandlung tatsächlich rechtfertigt. Im Regelfall wird dem aber nicht so sein. Maßgeblich zu unterscheiden ist, ob der Veröffentlichende die Plattform lediglich als Kommunikationskanal nutzt oder ob die Nutzer gerade in dieser Eigenschaft miteinander in Konflikt geraten. Wenn beispielsweise eine Nutzerin sozialer Medien Opfer von Mobbing durch ihre Klassenkameraden ist und dieses Mobbing auch auf Facebook fortgesetzt wird, dann liegen die Ursachen dafür außerhalb der Plattform.23 Das Netzwerk dient lediglich als Verbreitungsmechanismus. Allein die Tatsache, dass diese Betroffene ebenfalls einen Plattformvertrag hat und dies das konkrete Ausmaß der Verletzung beeinflussen kann, rechtfertigt es nicht, hier eine andere kollisionsrechtliche Beurteilung anzulegen, wie wenn ein schädigender Inhalt lediglich an ein „schwarzes Brett“ gehängt wurde. Damit zu vergleichen sind auch alle Fälle, in denen Nutzer über soziale Medien Politiker oder Künstler angreifen. Die betroffene Person hat sich nicht durch den Abschluss eines Plattformvertrags der Gefahr einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ausgesetzt, sondern durch ihre Tätigkeit und Rolle außerhalb des Netzwerks. Es sind freilich Fälle denkbar, in denen sich die Verletzung gerade aus dem Kommunikationskontext der Plattform ergibt und sich die schädigende Wirkung innerhalb der Plattform entfaltet.24 Diese werden im Folgenden Plattformfälle genannt. Dem ist beispielsweise so, wenn sich jemand in einem Expertenforum unter Pseudonym einen besonderen Ruf als Fachmann erarbeitet hat und in dieser virtuellen Persönlichkeit attackiert wird. Hier erscheint jede territoriale Verortung des Rechtsstreits, die auf Faktoren außerhalb der Plattform wie dem gewöhnlichen Aufenthalt eines von beiden basiert, letztlich willkürlich, sodass es gerechtfertigt erscheint, in diesen Fällen für das Kollisionsrecht nach einem Anknüpfungsmoment zu suchen, das Neutralität schafft und dem virtuellen Charakter der Verletzung gerecht wird. Jedoch sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich bei diesen Rechtsstreitigkeiten, soweit ersichtlich, um lediglich theoretische Konstellationen handelt, 23 Zum Problem des Cybermobbings, der Verlagerung von Alltagsbegegnungen in den digitalen Raum und dessen Zunahme insbesondere aufgrund der Schulschließungen während der pandemischen Lage im Jahr 2020 siehe die Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing und der Techniker Krankenkasse, Cyberlife III – Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern, November 2020, abrufbar unter . 24 Zu diesen Fällen siehe eingehend Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (29 ff.).
B. Leitlinien bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm
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die nicht vor staatlichen Gerichten landen. Denn spätestens durch Klageerhebung würde die tatsächliche Identität der Person bekannt werden und hieran besteht im Regelfall gerade kein Interesse. Wenn zwei Nutzer in sozialen Medien in einen Konflikt miteinander geraten, ohne dass vorher eine Verbindung zwischen ihnen bestand, müssen die Umstände des Einzelfalls genauer betrachtet werden. Sofern die betroffene Person identifizierbar ist – insbesondere bei Verwendung des Klarnamens –, dann hat die Verletzung im Regelfall Auswirkungen über die virtuelle Welt hinaus und dann ist es nicht gerechtfertigt, dies als einen rein virtuellen Streitfall zu behandeln. 3. Opfer und Plattformbetreiber Betroffene einer Persönlichkeitsrechtsverletzung können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein. Gegenüber dem Betreiber der Plattform haben die Betroffenen im Wesentlichen zwei Interessen: Zum einen bietet es sich für die Betroffenen an, von dem Betreiber selbst ein Vorgehen gegen die angegriffene Veröffentlichung zu verlangen. Vorteilhaft daran ist, dass der Betreiber technisch weitergehende Möglichkeiten als der Urheber hat, gegen die Veröffentlichung vorzugehen und gegebenenfalls eine weitere Verbreitung zu unterbinden. Zum anderen ist für die Betroffenen von Interesse, von dem Betreiber Auskunft über die Identität des Urhebers zu verlangen. In der Praxis führen die umfangreicheren Reaktionsmöglichkeiten des Betreibers und die tatsächlichen Schwierigkeiten der Habhaftwerdung des Urhebers dazu, dass Betroffene im Regelfall gegen den Betreiber und nicht gegen den Urheber vorgehen.25 Ansprüche der Betroffenen gegen den Plattformbetreiber können sich aus Delikts- und Datenschutzrecht ergeben. Zwar kann auch die betroffene Person in einem vertraglichen Verhältnis zum Plattformbetreiber stehen, wenn sie ebenfalls Nutzerin ist. Dies kann sich aber lediglich in den eben beschriebenen, praktisch irrelevanten Plattformfällen auf die Frage des anwendbaren Rechts auswirken.
B. Leitlinien bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen B. Leitlinien bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm
Das IPR ist geleitet von dem Ziel, aus der Mehrzahl an Verbindungen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zu verschiedenen Rechtsordnungen jene zu identifizieren, zu der die engste Verbindung besteht.26 Internationalprivat25 26
Dazu eingehend Spindler, GRUR 2020, 329 (336 f.). v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 29; zum EU-IPR ebd., Rn. 32.
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Kapitel 1: Einführung
rechtliche Gerechtigkeit ist hergestellt, wenn nicht das sachlich beste Recht, sondern das räumlich beste Recht zur Anwendung kommt.27 Dieses Grundprinzip liegt sowohl dem deutschen als auch dem europäischen Kollisionsrecht zugrunde. Dies kommt insbesondere in den Ausweichklauseln zugunsten der offensichtlich engsten Verbindung im Einzelfall deutlich zum Ausdruck (z.B. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 41 EGBGB).28 Gleichwohl darf dieses Grundprinzip nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in vielen Konstellationen gerade unklar ist, welche Verbindung tatsächlich die engste ist.29 Daher ist sie durch umfassende Interessenabwägung zu konkretisieren.30 Wo das anwendbare Recht zwar die engste Verbindung zum Sachverhalt aufweist, aber in sachlicher Hinsicht nicht tragbar ist, garantiert der ordre public-Vorbehalt die Verfassungskonformität des Ergebnisses.31 Daneben bezweckt das Kollisionsrecht, Rechtssicherheit durch Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts zu verschaffen.32 Das Ziel der Vorhersehbarkeit darf aber nicht so weit gehen, dass zugunsten einer klaren mechanischen Regel in vielen Fälle offensichtlich unbillige Ergebnisse entstehen.33 Das materiell-rechtliche Verständnis von Gerechtigkeit kann im Kollisionsrecht nicht unbeachtet bleiben; vielmehr wirken sich grundlegende materielle Wertentscheidungen auch auf das IPR aus.34 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Spanier-Entscheidung betont, dass bereits die abstrakten Kollisionsnormen mit der Verfassung im Allgemeinen und den Grundrechten im Besonderen vereinbar sein müssen.35 Bei der Entwicklung einer deliktsrechtlichen Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist dies von großer Bedeutung, da bei allen Beteiligten grundrechtlich geschützte Positionen betroffen sind. Diese sind zu berücksichtigen und möglichst schonend in Ausgleich zu bringen. Eine gerechte Kollisionsnorm bedenkt die Folgen, die sie auf die freie Meinungsäußerung haben kann. Eine Beeinträchtigung des Grundrechts kann insbesonde27 v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 2 Rn. 52; Kegel/ Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 131 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 II. 28 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 31. 29 Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 II. 30 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 30. 31 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 145 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 III. 32 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 139, 143; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 IV. 33 Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 IV. 34 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 34; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 145; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 II 3, III. 35 BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58 = NJW 1971, 1509 (1510 f.).
B. Leitlinien bei der Entwicklung einer Kollisionsnorm
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re dadurch entstehen, dass das anwendbare Recht nicht hinreichend vorhersehbar ist oder dass die Veröffentlichung einer Vielzahl von Rechtsordnungen unterliegt, aber auch bereits dadurch, dass die eigene Veröffentlichung an einem fremden Recht gemessen wird.36 Umgekehrt darf aber auch der Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht dadurch leerlaufen, dass die Betroffenen erst eine Vielzahl fremder Rechtsordnungen ermitteln müssen oder keine hinreichende Klarheit über die Frage des anwendbaren Rechts haben, um effektiv und zeitnah gegen bestehende oder drohende Verletzungen vorgehen zu können. Zusätzlich sind die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber sozialer Medien zu bedenken, die angesichts der Vielzahl an zu betreuenden Fällen ein Interesse an Rechtsklarheit und an einer möglichst geringen Diversität der in der Summe anwendbaren Rechtsordnungen haben. Die materiellrechtlichen Interessen sowohl des deutschen als auch des europäischen Rechts verlangen daher nach dem geteilten Interesse aller Beteiligten, dass das anwendbare Recht vorhersehbar ist und dahingehend Rechtssicherheit besteht.37 Darüber hinaus sind die Interessen aber typischerweise gegenläufig und müssen daher gegeneinander abgewogen und in einen gerechten Ausgleich gebracht werden.38 Das Ziel der zu ermittelnden deliktischen Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist daher, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit zu schaffen, aber auch den gerechten Interessenausgleich im Einzelfall zu ermöglichen. Das europäische IPR adressiert diesen Konflikt, indem zunächst eine typisierte Grundanknüpfung vorgesehen ist, von der bei atypischen Fällen zugunsten einer offensichtlich engeren Verbindung im Rahmen der Ausweichklauseln abgewichen werden kann.39 Die Grundregel darf nicht automatisch zu einer Interessenabwägung im Einzelfall führen, sondern stellt immer
36 Das Kollisionsrecht kann einen sog. chilling effect auf die Meinungsfreiheit haben, so Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (430); Kenny/Heffernan, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (337, 340); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1683); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (502); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 305. Selbiges gilt für das IZVR, so Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C: 2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 46; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (289 f.); Feldmann, jurisPR-ITR 8/2010 Anm. 2; Garber, ÖJZ 2012, 108 (112); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 162 f.; Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1214); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (502 f.); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 250 f.; M. Weller, in: FS Kaissis, 2012, S. 1039 (1039). 37 Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 239. 38 Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 5 I. 39 Siehe auch ErwGr. 14 S. 1 Rom II-VO und 16 Rom I-VO.
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Kapitel 1: Einführung
eine Typisierung dar.40 Dies garantiert auch eine Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte.41 Gleichwohl sollte die Grundanknüpfung so formuliert sein, dass sie bereits im Regelfall und nicht nur in einem Anteil der Fälle einen gerechten Interessenausgleich darstellt. Speziell beim Deliktsrecht ist die Grundentscheidung der europäischen Gesetzgebung zu beachten, dass die lex loci damni typischerweise einem angemessenen Interessenausgleich entspricht.42
C. Überblick über das materielle Recht C. Überblick über das materielle Recht
Der nachfolgende Abschnitt soll einen knappen Überblick über die Behandlung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen im materiellen Recht verschaffen. Dafür wird zunächst die Rechtslage in Deutschland skizziert (I.). Dem schließt sich eine Darstellung des europäischen Datenschutzrechts an (II.). Schließlich sollen anhand eines rechtsvergleichenden Überblicks die gravierenden Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und die daraus folgende Relevanz des Kollisionsrechts demonstriert werden (III.). I. Deutsches Recht Die deutsche Verfassung schützt die Persönlichkeit einer jeden Person vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.43 Darüber hinaus verlangt die Verfassung vom Staat, die Persönlichkeit auch vor verletzenden Handlungen Dritter zu schützen, was Grundlage des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ist.44 Dies erfolgt hauptsächlich dadurch, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist.45 Außerdem schützt das deutsche Zivilrecht verschiedene Aspekte der Persönlichkeit durch spezielle gesetzliche Regelungen. Dazu gehört beispielsweise der Schutz des Namens (§ 12 BGB), das Recht am eigenen Bild (§ 22 ff. KUG), das Urheberpersön-
40 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 143; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 5 I. 41 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 143. 42 ErwGr. 16 Rom II-VO. 43 BVerfG, Urteil vom 05.06.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 = NJW 1973, 1226 – Lebach-Fall. 44 BGH, Urteil vom 01.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 (2197) – Marlene Dietrich. 45 Seit BGH, Urteil vom 25.05.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404 (1405).
C. Überblick über das materielle Recht
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lichkeitsrecht (§ 12 ff. UrhG) oder auch die einschlägigen Strafnormen des StGB in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB.46 1. Schutzumfang Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt neben den ideellen Aspekten auch die vermögenswerten Interessen der Person.47 Auch das postmortale Persönlichkeitsrecht genießt Schutz. Da es jedoch ausschließlich auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützt ist, kommt eine Verletzung desselben nur in Betracht, wenn die Würde der verstorbenen Person angegriffen wird.48 Die vermögenswerten Bestandteile bestehen jedoch fort.49 Zudem genießen auch Unternehmen, gestützt auf Art. 2 Abs. 1 GG, einen gewissen Schutz ihrer Persönlichkeit. Dies aber nur, „soweit sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn und soweit sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch in ihrem Aufgabenbereich betroffen sind.“50
Das Persönlichkeitsrecht wird häufig als Rahmenrecht bezeichnet, wodurch zum Ausdruck kommen soll, dass sein Inhalt und Umfang nicht fest umrissen sind, sondern sich erst durch Abwägung mit den kollidierenden Interessen – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Kunstfreiheit – unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ergeben.51 Die Zulässigkeit einer Äußerung richtet sich danach, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt. Unwahre Tatsachenbehauptungen sind im Regelfall unzulässig und nicht von der Meinungsfreiheit geschützt, wenn die Unwahrheit zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits bekannt war.52 Wahre Tatsachen sind hingegen grundsätzlich zu erdulden. Werturteile und Meinungsäußerungen wiederum sind in großem Maße zulässig, auch wenn sie mitunter abwertend oder heftig ausfallen.53 Sie müssen aber sachbezogen 46 Zu den Schutzgesetzen des StGB siehe Rixecker, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, Anh. zu § 12 BGB, AllgPersönlR, Rn. 6. 47 BGH, Urteil vom 01.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214 = NJW 2000, 2195 (2197) – Marlene Dietrich, m.w.N. 48 BGH, Beschluss vom 29.10.2014 – XII ZB 20/14, NJW 2014, 3786, Rn. 31. 49 BGH, Urteil vom 01.12.1999 – I ZR 49/97, BGHZ 143, 214, NJW 2000, 2195 (2197 ff.) – Marlene Dietrich. 50 BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, NJW 2016, 1584, Rn. 11 – „Nerzquäler“, m.w.N. 51 BGH, Urteil vom 09.03.2021 – VI ZR 73/20, GRUR 2021, 884, Rn. 19 – wissenschaftliches Plagiat; Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, GRUR 2020, 664 – Kommunalpolitiker, Rn. 18. 52 BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 − 1 BvR 2678/10, NJW 2012, 1643, Rn. 33; BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 249/18, GRUR 2020, 664, Rn. 19 – Kommunalpolitiker, m.w.N. 53 Sprau, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, BGB § 823, Rn. 102, m.w.N.
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sein. Schmähkritik liegt außerhalb des sachlichen Schutzbereichs der Meinungsfreiheit; dabei handelt es sich um Äußerungen, die nicht die Auseinandersetzung in der Sache suchen, sondern vordergründig eine Person herabwürdigen und an den Pranger stellen wollen.54 Hierzu sind auch „Privatfehden“ in sozialen Medien zu zählen.55 Ebenso sind Formalbeleidigungen ohne jeden Sachbezug nicht vom Schutzbereich umfasst.56 Als Leitlinie für die Abwägung dient die Feststellung, welche Sphäre tangiert ist: Eingriffe in die Sozialsphäre sind im Regelfall durch die Meinungsund Pressefreiheit gerechtfertigt, sofern nicht mit schwerwiegenden Folgen für das Persönlichkeitsrecht zu rechnen ist.57 Die Intimsphäre hingegen gehört zum Menschenwürdekern und entzieht sich einer Abwägung.58 Wenn die Tatsachen hingegen die Privatsphäre betreffen, überwiegt das Persönlichkeitsrecht, sofern nicht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an der Information besteht.59 Beachtlich ist in jedem Fall aber auch das Vorverhalten des Geschädigten; insbesondere bei einer vorausgehenden Selbstöffnung kann der Schutz der Privatsphäre entfallen.60 2. Ansprüche des Geschädigten Im deutschen materiellen Recht kommt bei der Verteidigung gegen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dem Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog zentrale Bedeutung zu. Der Anspruch dient dazu, zukünftige Verletzungen durch dieselbe Veröffentlichung zu unterbinden. Die dafür erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund einer erstmaligen Verletzung vermutet; sie kann insbesondere dann entfallen, wenn der Schädiger eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt oder wenn eine Berichterstattung nunmehr rechtlich zulässig ist.61 Daneben kommt dem Anspruch auf Beseitigung (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) die Funktion zu, die Fortwirkung der bereits bestehenden beeinträchtigenden 54
BGH, Urteil vom 03.02.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872, Rn. 18, m.w.N. OLG Dresden, Urteil vom 05.09.2017 – 4 U 682/17, NJW-RR 2018, 44, Rn. 10. 56 BGH, Urteil vom 07.05.2020 – III ZR 10/19, BeckRS 2020, 12789, Rn. 21. 57 BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 437/19, GRUR 2021, 875, Rn. 25 – Kirchenkreis; Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 250/13, NJW 2017, 482, Rn. 21 – „Mal PR-Agent, mal Reporter“, m.w.N. 58 BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05, BVerfGE 119, 1 = NJW 2008, 39, Rn. 102 – Roman „Esra”; BGH, Urteil vom 13.10.2015 – VI ZR 271/14, BGHZ 207, 163 = NJW 2016, 1094, Rn. 29 – Intime Fotos. 59 BGH, Urteil vom 10.11.2020 – VI ZR 62/17, GRUR 2021, 879, Rn. 22 ff. – Abschiedsgruß, m.w.N. 60 BGH, Urteil vom 18.05.2021 – VI ZR 441/19, GRUR-RS 2021, 17102, Rn. 37; Urteil vom 10.11.2020 – VI ZR 62/17, GRUR 2021, 879, Rn. 19 – Abschiedsgruß, jew. m.w.N. 61 BGH, Urteil vom 04.06.2019 – VI ZR 440/18, MMR 2019, 816, Rn. 18 ff. – Hochzeitsfoto. 55
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Veröffentlichung aufzuheben. Der Anspruch kann konkret auf alle Maßnahmen gerichtet sein, die geeignet, erforderlich und angemessen sind, um die Beeinträchtigung zu beseitigen.62 In Betracht kommen hauptsächlich die Löschung, der Widerruf oder die Berichtigung.63 Hat die beeinträchtigte Person einen Vermögensschaden erlitten, kann sie bei schuldhaftem Handeln hierfür Ersatz verlangen. Als Anspruchsgrundlage kommen neben § 823 Abs. 1 BGB noch § 824 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Gesetz, welches das Persönlichkeitsrecht einer anderen Person schützt (v.a. §§ 185 ff. und §§ 201 ff. StGB), in Betracht. Natürliche Personen können zudem auch einen Anspruch auf Geldentschädigung haben.64 Der Anspruch folgt unmittelbar aus dem Schutzauftrag der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, wonach nachhaltige Verletzungen der menschlichen Würde durch Dritte wirksam unterbunden werden müssen.65 Die Geldentschädigung dient vorrangig der Genugtuung.66 Gleichzeitig soll der Anspruch einen wirksamen Schutz des Persönlichkeitsrechts gewährleisten, sodass ihm auch präventive Funktion zukommt; dies ist bei der Bemessung der Geldentschädigung zu berücksichtigen.67 In der Praxis der deutschen Gerichte ist ein solcher Anspruch bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung aber eher die Ausnahme als die Regel. Die Voraussetzungen einer Geldentschädigung sind, dass der Eingriff schwerwiegend war und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann.68 Dies muss sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben, wobei insbesondere die „Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen“ sind.69 Diese Grundsätze gelten auch bei Veröffentlichungen über das Internet. Insbesondere hat es der BGH abgelehnt, die Geldentschädigung bei Online-
62 BGH, Urteil vom 28.07.2015 – VI ZR 340/14, BGHZ 206, 289 = NJW 2016, 56 – Artikel auf Internetportal „recht§billig“. 63 Zur sonstigen Ausfüllung siehe Rixecker, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, Anh. zu § 12 BGB, AllgPersönlR, Rn. 333 ff. 64 Nie bei Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts: BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 177/78, NJW 1980, 2807 (2810) – Das Medizin-Syndikat I. Eingehend zum Geldentschädigungsanspruch Brost/Hassel, NJW 2020, 2214. 65 BVerfG, Beschluss vom 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 = NJW 1973, 1221; BGH, Urteil vom 05.03.1963 – VI ZR 55/62, BGHZ 39, 124 = NJW 1963, 902 (903) – Fernsehansagerin. 66 BGH, Urteil vom 23.05.2017 – VI ZR 261/16, BGHZ 215, 117 = NJW 2017, 3004, Rn. 18, m.w.N. 67 BGH, Urteil vom 15.11.1994 – VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1 = NJW 1995, 861 (864 f.) – Caroline von Monaco. 68 BGH, Urteil vom 14.11.2017 – VI ZR 534/15, NJOZ 2018, 194, Rn. 19. 69 Ebd., m.w.N.
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Kapitel 1: Einführung
Veröffentlichungen pauschal höher anzusetzen als bei Presseveröffentlichungen.70 Schließlich können auch Ansprüche aus Vertrag in Betracht kommen.71 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere Ansprüche zum Schutz des Persönlichkeitsrechts aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, die bislang insbesondere bei negativen Käuferbewertungen auf der Versteigerungsplattform Ebay relevant wurden.72 Die Durchsetzung der Ansprüche gegen den ursprünglichen Schädiger scheitert häufig an dessen Anonymität. Daher kommen möglichen Auskunftsansprüchen gegen den Betreiber der Plattform entscheidende Bedeutung zu.73 Während zum Schutz des geistigen Eigentums eindeutige Anspruchsgrundlagen vorgesehen sind (z.B. § 101 UrhG, § 19 MarkenG), ist im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf § 242 BGB zurückzugreifen.74 Gegen einen solchen Auskunftsanspruch konnten die Plattformbetreiber einwenden, dass sie zur Herausgabe der angefragten Daten aus Datenschutzgründen nicht berechtigt seien.75 Hier schafft nun § 21 Abs. 2 TTDSG teilweise Abhilfe. Demnach darf ein Diensteanbieter „im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte […] erforderlich ist“.
Allerdings gilt dies nur für Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst sind, mithin für Inhalte, welche die Schwellen der §§ 185 ff. StGB überschreiten.76 Für Persönlichkeitsrechtsverletzungen unterhalb des strafrechtlich relevanten Bereichs scheitert ein Auskunftsanspruch weiterhin am Datenschutzrecht.77 70
BGH, Urteil vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 = NJW 2014, 2029, Rn. 53 – Sächsische Korruptionsaffäre. 71 Rixecker, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, Anh. zu § 12 BGB, AllgPersönlR, Rn. 23 ff. 72 LG Bonn, Urteil vom 24.06.2014 – 8 S 23/13, BeckRS 2014, 20490; LG Saarbrücken, Urteil vom 09.02.2007 – 13A S 46/06, BeckRS 2007, 03162; AG Bremen, Urteil vom 27.11.2009 – 9 C 412/09, NJW-RR 2010, 1426 (1427); AG Erlangen, Urteil vom 26.05.2004 – 1 C 457/04, MMR 2004, 635; AG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 22.12.2005 – 712 C 465/05, BeckRS 2005, 32824. Ausführlicher dazu siehe unten S. 110– 118. 73 Eingehend dazu siehe Bohlen, NJW 2020, 1999. 74 BGH, Urteil vom 01.07.2014 – VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 = NJW 2014, 2651, Rn. 6, m.w.N. – Ärztebewertungsportal. 75 Siehe z.B. BGH, Urteil vom 01.07.2014 – VI ZR 345/13, BGHZ 201, 380 = NJW 2014, 2651, Rn. 9 ff. – Ärztebewertungsportal. 76 Hingegen ist es nicht erforderlich, dass es sich um ein soziales Netzwerk handelt, BGH, Beschluss vom 24.09.2019 – VI ZB 39/18, BGHZ 223, 168 = GRUR 2020, 101, Rn. 46 ff. – Facebook-Messenger. 77 Krit. zur aktuellen Rechtslage z.B. Bohlen, NJW 2020, 1999; Teichmann, JZ 2020, 549 (557).
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Zudem sind die Betreiber auch nicht verpflichtet, Bestandsdaten ihrer Nutzer zu speichern.78 3. Haftungsumfang Grundsätzlich haftet jeder für seine eigenen Inhalte. Für Diensteanbieter von Telemedien, wie die Plattformbetreiber, ist dies in § 7 Abs. 1 TMG ausdrücklich festgehalten. Der BGH hat hinsichtlich Veröffentlichungen im Internet wiederholt geurteilt, dass die Gefahr der Weiterverbreitung eines Inhalts durch Dritte bereits in der ursprünglichen Veröffentlichung angelegt ist.79 Der ursprüngliche Schädiger müsse sich daher die durch Dritte herbeigeführten Rechtsgutsverletzungen zurechnen lassen; es handle sich um eine äquivalent und adäquat kausale Folge und nicht um ein Dazwischentreten Dritter, das den Zurechnungszusammenhang unterbreche. Eine uneingeschränkte Haftung besteht auch für ursprünglich fremde Inhalte, die man sich zu Eigen gemacht hat. Ein solches Zu-Eigen-Machen setzt voraus, dass man nach außen erkennbar inhaltliche Verantwortung übernimmt, sich also mit dem Inhalt identifiziert.80 Das gilt zunächst für den Nutzer sozialer Medien. Wenn er die Inhalte anderer Nutzer weiterverbreitet, kann darin ein Zu-Eigen-Machen liegen. Dies ist zwar beim schlichten, kommentarlosen „Teilen“ abzulehnen.81 Anders ist das aber, wenn das „Teilen“ mit einem Ausdruck der Zustimmung verbunden ist.82 Aus den gleichen Erwägungen ist auch das Betätigen der zustimmenden „Gefällt mir“Schaltfläche ein Zu-Eigen-Machen.83 Daneben können sich auch die Plattformbetreiber die Inhalte ihrer Nutzer zu Eigen machen.84 In diesem Fall haften sie nach den allgemeinen deliktischen Regeln für diese Inhalte (§ 7 Abs. 1 TMG). Ein Zu-Eigen-Machen liegt insbesondere dann vor, wenn die Nutzerbeiträge vor einer Freigabe redaktionell auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden.85 78
Krit. dazu Pille, NJW 2018, 3545 (3546). BGH, Urteil vom 09.04.2019 – VI ZR 89/18, NJW-RR 2019, 1187, Rn. 16 ff. – Filmberichterstattung; Urteil vom 11.11.2014 – VI ZR 18/14, NJW 2015, 1246, Rn. 21 – ExRAF-Terroristin; Urteil vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 = NJW 2014, 2029, Rn. 55 f. – Sächsische Korruptionsaffäre. 80 BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587, Rn. 39, m.w.N. – www.yelp.de. 81 OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 26.11.2015 – 16 U 64/15, MMR 2016, 489, Rn. 31. 82 OLG Dresden, Urteil vom 01.06.2018 – 4 U 217/18, MMR 2019, 116, Rn. 15. 83 Bauer/Günther, NZA 2013, 67 (71). 84 Krit. zur Rechtsprechung Paal/Hennemann, BeckOK InfoMedienR, 33. Ed., 01.11.2021, TMG § 7, Rn. 32 ff. 85 BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587, Rn. 39 – www.yelp.de, m.w.N.; Urteil vom 19.03.2015 – I ZR 94/13, NJW 2015, 3443, Rn. 25 – Hotelbewertungsportal. 79
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Wenn sich der Plattformbetreiber einen Nutzerinhalt nicht zu Eigen macht und sich somit auf die schlichte Weiterleitung und Wiedergabe beschränkt, kommt ihm die Privilegierung der Providerhaftung zugute.86 Die Betreiber sozialer Medien sind Hostprovider im Sinne des Art. 14 ECRL, der seine Umsetzung in § 10 TMG gefunden hat.87 Als solche sind sie von der Haftung für die Inhalte ihrer Nutzer befreit, solange sie keine Kenntnis der Rechtswidrigkeit haben. Im Rahmen der Störerhaftung sind die Betreiber sozialer Medien gem. § 1004 Abs. 1 BGB analog zur Löschung eines Nutzerbeitrags verpflichtet, wenn sie ihren Prüf- und Löschpflichten nach einer korrekten Notifizierung über einen rechtswidrigen Inhalt nicht nachgekommen sind (notice and take down).88 Generelle proaktive Prüfpflichten dürfen den Betreibern nicht auferlegt werden (Art. 15 Abs. 1 ECRL, § 7 Abs. 2 TMG). Die Betreiber sind also nicht dazu angehalten, vor der Verfügbarmachung eigenständig rechtswidrige Inhalte zu ermitteln und zu entfernen. Wenn aber die Rechtswidrigkeit einer konkreten Nutzerveröffentlichung bereits festgestellt wurde, schließt es Art. 15 ECRL nicht aus, dass der Plattformbetreiber zur Ermittlung und Löschung wortgleicher Inhalte verpflichtet wird.89 Denn dann handelt es sich nicht um eine generelle, sondern um eine spezifische Prüfpflicht.90 Selbiges gilt für eine Löschung sinngleicher Inhalte, sofern dies den Betreiber nicht zu einer autonomen Beurteilung dieses Inhalts zwingt.91 Das aktuelle Haftungsregime wird in nächster Zeit voraussichtlich Änderungen erfahren. Mit dem Digital Services Act beabsichtigt die EUKommission, das System der Haftungsprivilegierungen vollends zu vereinheitlichen und dadurch die noch bestehenden Unterschiede innerhalb der EU zu beseitigen.92
86 Eingehend zur Providerhaftung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen siehe insbesondere Kovacs, Die Haftung der Host-Provider für persönlichkeitsrechtsverletzende Internetäußerungen, 2018. 87 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 22; Urteil vom 16.02.2012 – C-360/10, ECLI: EU:C:2012:85, Belgische Vereniging van Auteurs, Componisten en Uitgevers CVBA (SABAM) ./. Netlog NV, Rn. 27. 88 Zur Störerhaftung siehe BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 = NJW 2016, 2106 – Ärztebewertungsportal III; Pille, NJW 2018, 3545. 89 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 33 ff. 90 Ebd., Rn. 34. 91 Ebd., Rn. 38 ff. 92 Art. 3–9, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final. Der Vorschlag wird besprochen bei Berberich/Seip, GRUR-Prax 2021, 4; Holznagel, CR 2021, 123; Schmid/Grewe, MMR 2021, 279; Spindler, GRUR 2021, 545.
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4. Ansprüche des sich Äußernden Wenn der Plattformbetreiber nun eine Veröffentlichung eines Nutzers löscht oder sogar dessen Nutzerkonto (zeitweise) sperrt, kann dem Nutzer ein Anspruch auf Wiederherstellung der gelöschten Veröffentlichung zustehen, sofern die Löschung zu Unrecht erfolgte. Ebenso kann er einen Anspruch auf die Freigabe des Nutzerkontos haben. Die Gerichte stützen diese in jüngerer Zeit gehäuft geltend gemachten Ansprüche zumeist auf §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Plattformvertrag.93 Im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht ist der Plattformbetreiber über § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, die Grundrechte seines Vertragspartners – hauptsächlich die Meinungsfreiheit – zu achten.94 Der BGH hat sich nun für § 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB entschieden und die Grundrechte im Rahmen des § 307 Abs. 1 BGB geprüft.95 Insoweit dürfte nun auch geklärt sein, wie weit diese Pflichten reichen und ob die Plattformbetreiber vom Maßstab des Grundgesetzes abweichen dürfen.96 II. Europäisches Datenschutzrecht Die wichtigste Rechtsquelle des Datenschutzes ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die am 25. Mai 2018 in Kraft getreten ist und dadurch die mindestharmonisierende Datenschutz-RL aus dem Jahr 1995 ablöste.97 93 OLG Dresden, Urteil vom 20.04.2021 – 4 W 118/21, MMR 2021, 566, Rn. 12; Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 11; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 8; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 17; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 13; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41, Rn. 7; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35, Rn. 22; Müller-Riemenschneider/Specht, MMR 2018, 545 (547). 94 Zur mittelbaren Drittwirkung BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, BVerfGE 148, 267 = NJW 2018, 1667 – Stadionverbot; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 – Bierdosen-Flashmob; Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 = NJW 2011, 1201 – Fraport; Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198 = NJW 1958, 257 – Lüth. 95 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 27. 96 Dazu ausführlich siehe unten S. 110–118. 97 Zum Gesetzgebungsverfahren siehe Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 40 ff. Die ePrivacy-RL trifft Sonderbestimmungen zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation und ist lex specialis, die DSGVO kann aber zur Lückenfüllung herangezogen werden, wie in Art. 95 DSGVO festgehalten ist. In Deutschland ist die ePrivacy-RL in den §§ 91 ff. TKG umgesetzt. Nach Jahren der Uneinigkeit scheint das Verfahren zu einer ePrivacy-Verordnung nun voranzugehen. Siehe Pressemitteilung des Rat der EU, 10. Februar 2021, .
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Kapitel 1: Einführung
Gem. Art. 6 Abs. 1 DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten grundsätzlich verboten, sofern nicht ein Rechtmäßigkeitsgrund vorliegt. Zulässig ist eine Datenverarbeitung beispielsweise, wenn die betroffene Person darin eingewilligt hat (Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 7, 8 DSGVO) oder wenn die Verarbeitung zur Durchführung eines Vertrags erforderlich ist (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO).98 Wenn ein Verantwortlicher oder ein Auftragsverarbeiter gegen die DSGVO verstößt, kann die betroffene Person gem. Art. 82 DSGVO Ersatz des materiellen wie auch immateriellen Schadens verlangen.99 Vorteilhaft für die betroffene Person sind dabei die gesetzliche Vermutung des Verschuldens des Verantwortlichen bzw. des Auftragsverarbeiters (Art. 82 Abs. 2 und 3 DSGVO) und die tendenziell großzügige Schadensbemessung (Erwägungsgrund 146).100 Im Vergleich zu § 823 Abs. 1 BGB erweist sich der datenschutzrechtliche Schadensersatzanspruch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen als deutlich erfolgversprechender. Ob deswegen ein Verdrängungseffekt einsetzen wird, muss sich langfristig zeigen.101 Daneben kommt ein Anspruch auf unverzügliche Löschung der personenbezogenen Daten gem. Art. 17 DSGVO in Betracht. Wenn Daten unrichtig oder unvollständig sind, kann die betroffene Person Berichtigung bzw. Vervollständigung verlangen gem. Art. 16 DSGVO. Dieser Anspruch findet keine Anwendung auf Werturteile.102 Gegen Nutzerbeiträge in sozialen Medien kann dieser Anspruch daher nur bei reinen Tatsa98
Zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung durch die Plattform siehe Aßmus, in: Jandt/ Steidle, 1. Aufl. 2018, B.III., Rn. 225 ff.; zur Verantwortlichkeit der Nutzer sozialer Medien ebd., Rn. 237 ff.; Golland, ZD 2020, 397. 99 Ausführlich und krit. zu Art. 82 DSGVO Jacquemain, RDV 2017, 227; Gesetzgebungsgeschichte und Vergleich zur alten Rechtslage bei Gola/Piltz, RDV 2015, 279. 100 Das BVerfG erkannte eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darin, dass die Gerichte nicht oder nur restriktiv immateriellen Schadensersatz bei Bagatellfällen zusprechen statt dem EuGH vorzulegen, 14.01.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005. Übersicht zur jüngeren Praxis bei M. Weber, CR 2021, 379. Ferner Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 4a; Bergt, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 17; Boehm, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 82 Rn. 26; Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 2, 29; Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 82, Rn. 10; Gola/ Piltz, RDV 2015, 279 (284); Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (257 f.); Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 6; Schantz, NJW 2016, 1841 (1847); Sprau, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, BGB § 823, Rn. 85. 101 So Jacquemain, RDV 2017, 227 (232); wohl auch Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 13, aber eher zweifelnd ebd., Rn. 4b; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl. 2020, Rn. 245, sieht diese Verdrängung auch rechtlich gegeben. 102 Janal, NJW 2006, 870 (874); Worms, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 16, Rn. 54.
C. Überblick über das materielle Recht
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chenbehauptungen in Betracht kommen. Des Weiteren hat die betroffene Person gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen gegebenenfalls einen Anspruch auf Auskunft darüber, ob und welche sie betreffende Daten verarbeitet werden (Art. 15 DSGVO), ein Recht auf Einschränkung der Verarbeitung als vorläufige Maßnahme (Art. 18 DSGVO), einen Anspruch auf Datenübertragbarkeit (Art. 20 DSGVO) sowie ein Recht auf Widerspruch gegen die Verarbeitung (Art. 21 DSGVO). Die Betroffenenrechte können jedoch durch das nationale Recht modifiziert werden, wie in Deutschland durch die § 32–37 BDSG.103 Die Ansprüche der DSGVO sind jedoch nicht abschließend, wie Erwägungsgrund 146 S. 4 DSGVO deutlich macht. So können Verstöße gegen die DSGVO innerhalb der vertraglichen Pflichten relevant werden über das Einfallstor des §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.104 In Betracht kommen auch Schadensersatzansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. z.B. Art. 6 DSGVO, § 824 BGB und § 831 BGB sowie Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung nach § 1004 BGB analog.105 Diese Anspruchsgrundlagen auf Schadensersatz dürften neben den meist günstigeren Anspruchsgrundlagen der DSGVO jedoch an Bedeutung verlieren. Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB analog und der Löschungsanspruch aus Art. 17 DSGVO werden im Ergebnis regelmäßig gleichlaufen, da Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO eine Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Information erfordert.106 Gerade bei sozialen Medien kann die Frage auftreten, wer Verantwortlicher der Datenverarbeitung im Sinne des Art. 4 Abs. 7 DSGVO ist. Beispielsweise ist auf Facebook das Verhalten der Nutzer in einem gewissen Ausmaß nicht nur dem Betreiber der Plattform, sondern auch dem Betreiber einer sog. „Seite“ zugänglich. Über eine „Seite“ kann sich eine Privatperson oder ein Unternehmen selbst darstellen, Interessenten innerhalb als auch außerhalb des Netzwerks finden und mit ihnen in Kontakt kommen. Die Betrei103
Krit. dazu Kühling, NJW 2017, 1985 (1989). Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 82, Rn. 20; Gola/Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79 Rn. 21 f.; a.A. Boehm, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 82 Rn. 32. Hakenberg, in: FS Kohler, 2018, S. 151 (159), hält den korrekten Umgang mit Daten für essentiell und die Grenzen zwischen Haupt- und Nebenpflichten für fließend. 105 Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 45; Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 82, Rn. 20; Gola/Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79 Rn. 23 ff.; Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 82, Rn. 8 f.; a.A. Boehm, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 82 Rn. 32; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl. 2020, Rn. 245. 106 So auch OLG Dresden, Beschluss vom 07.01.2019 – 4 W 1149/18, NJW-RR 2019, 676, Rn. 21; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 28.06.2019 – 2-03 O 315/17, BeckRS 2019, 13139, Rn. 56. 104
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Kapitel 1: Einführung
ber einer „Seite“ haben auch die Möglichkeit, anonymisierte Daten betreffend die Nutzer dieser „Seite“ einzusehen. Diese Daten sammelt Facebook über Cookies, die einen eindeutig zuordenbaren Benutzercode enthalten. In der Rechtssache ULD Schleswig-Holstein ./. Wirtschaftsakademie SchleswigHolstein entschied der EuGH, dass neben Facebook auch der Betreiber der „Seite“ verantwortlich ist, da dieser den Anlass der Datenerhebung setze und die Art der Datenverarbeitung mitbeeinflusse.107 Die Verantwortlichkeit sei allerdings nicht gleichwertig.108 Fortgeführt hat der EuGH diese Rechtsprechung in seiner Entscheidung Fashion ID GmbH & Co. KG ./. Verbraucherzentrale NRW e.V.109 Das OLG Düsseldorf legte die Frage vor, wer der Verantwortliche der Datenverarbeitung im Falle der „Gefällt mir“-Schaltfläche von Facebook ist. Dabei handelt es sich um eine Schaltfläche, die Betreiber einer Website in ebendiese einbinden können. Die eigentliche Funktion dieser Schaltfläche ist, von der offiziellen Website eines Anbieters direkt zu seinem Facebook-Auftritt zu gelangen und dessen Neuigkeiten über das „Gefällt mir“ zu abonnieren. Die Schaltfläche ermöglicht es Facebook aber auch, über den Browser auf die Daten der Besucher jener Website zuzugreifen – unabhängig davon, ob die Besucher die Schaltfläche anklicken und ob diese Nutzer von Facebook sind. Der EuGH entschied, dass auch hier nicht Facebook alleine, sondern auch derjenige, der die „Gefällt mir“-Schaltfläche in seine Website einbindet, verantwortlich für die Datenerhebung und -weiterleitung – nicht aber die nachgelagerte Speicherung und Weiterverarbeitung – ist, weil beide gemeinsam über die Mittel und Zwecke der Erhebung und Weiterleitung entscheiden.110 Derjenige, der eine Schaltfläche gleich jener von Facebook einbinde, beeinflusse entscheidend die Erhebung und die Weiterleitung der Daten, da diese ohne ihn überhaupt nicht erfolgen könnten.111 Sofern die Aktivitäten natürlicher Personen in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fallen,112 kann auch ein Nutzer sozialer Medien neben dem Plattformbetreiber Verantwortlicher sein. Dies ist jedenfalls dann
107
EuGH, Urteil vom 05.06.2018 – C-210/16, ECLI:EU:C:2018:388, ULD SchleswigHolstein ./. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH, Rn. 25 ff. Die Entscheidung erging zu Art. 2 lit. d Datenschutz-RL, der aber weitgehend dem Art. 4 Nr. 7 DSGVO entspricht. Zust. Petri, EuZW 2018, 534 (540 f.). 108 EuGH, Urteil vom 05.06.2018 – C-210/16, ECLI:EU:C:2018:388, ULD SchleswigHolstein ./. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH, Rn. 43. 109 EuGH, Urteil vom 29.06.2019 – C-40/17, ECLI:EU:C:2019:629, Fashion ID GmbH & Co. KG ./. Verbraucherzentrale NRW e.V. 110 Ebd., Rn. 79, 81. 111 Ebd., Rn. 78. 112 Siehe unten S. 311–317.
C. Überblick über das materielle Recht
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zu bejahen, wenn er einen inhaltlichen Gestaltungsspielraum hat und daher über den Zweck der Datenverarbeitung (mit)entscheidet.113 Der Schutz personenbezogener Daten kann mit den grundrechtlich geschützten Positionen der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit kollidieren. Laut Erwägungsgrund 4 DSGVO gilt der Datenschutz nicht absolut, sondern ist mit diesen kollidierenden Rechtsgütern in Ausgleich zu bringen. Die Güterabwägung erfolgt aber nicht einheitlich innerhalb der EU, sondern ist gem. Art. 85 DSGVO an die Mitgliedstaaten delegiert.114 Im deutschen materiellen Recht werden zugunsten von Presse, Rundfunk und Telemedien entsprechende Ausnahmen von Pflichten der DSGVO in den §§ 12, 23 MStV und den Landesmediengesetzen und den Landespressegesetzen vorgesehen.115 Besondere Regelungen zur Unabhängigkeit des Rundfunkdatenschutzbeauftragten finden sich zudem in § 17 ZDF-Staatsvertrag und in § 17 Deutschlandradio-Staatsvertrag. Nach Ansicht des BGH wird das KUG nicht von der DSGVO verdrängt, sondern gilt im Rahmen der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 2 DSGVO jedenfalls für den Journalismus fort.116 Das Ziel der zu treffenden mitgliedstaatlichen Abwägungsregelungen117 ist durch Art. 85 DSGVO bereits vorgegeben. Die Mitgliedstaaten sind dabei an die GRCh und deren Auslegung durch den EuGH sowie gem. Art. 52 Abs. 3 GRCh an die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR gebunden.118 Für den Journalismus ist es beispielsweise von Bedeutung, ob ein öffentliches Interesse an der fraglichen Information besteht.119 Frei sind die Mitgliedstaaten darin, die Mittel und Wege zur Erreichung dieses Ziels zu bestimmen. 113 Aßmus, in: Jandt/Steidle, 1. Aufl. 2018, B.III., Rn. 217 f.; Jandt/Roßnagel, ZD 2011, 160 (161). 114 So schon zur Datenschutz-RL EuGH, Urteil vom 06.11.2003 – C-101/01, ECLI: EU:C:2003:596, Bodil Lindqvist, Rn. 90; Urteil vom 16.12.2008 – C-73/07, ECLI:EU:C: 2008:727, Tietosuojavaltuutettu ./. Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy, Rn. 54. 115 Z.B. § 12 LPresseG BW; § 10 HPresseG. Ausführlich zu den Umsetzungsgesetzen und zu der Frage der Unionsrechtskonformität Cornils, ZUM 2018, 561 (562 ff.). 116 BGH, Urteil vom 07.07.2020 – VI ZR 246/19, NJW 2020, 3715 – Ehescheidung. Dazu auch Krüger/Wiencke, MMR 2019, 76 (77 f.); Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057 (1060 ff.); Raji, ZD 2019, 61 (63 ff.). 117 Die nationalen Regeln müssen eine Abwägung im Einzelfall vorsehen und dürfen nicht zu pauschal sein, so Specht/Bienemann, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 85, Rn. 1. 118 Ausführlich dazu Albrecht/Janson, CR 2016, 500 ff. Ferner Frey, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 85, Rn. 14 ff.; StenderVorwachs/Lauber-Rönsberg, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 85, Rn. 14. 119 EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 97; EGMR, Urteil vom 19.09.2013 – 8772/10, von Hannover ./.
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Kapitel 1: Einführung
Der Begriff des Journalismus ist gem. Erwägungsgrund 153 S. 7 DSGVO weit auszulegen, wobei noch viele Fragen offen sind.120 Nicht erforderlich ist beispielsweise eine journalistische Ausbildung.121 Somit kann nach neuem Recht der Nutzer eines Onlineforums122 oder auch der Verantwortliche eines Auftritts in sozialen Medien123 unter das Medienprivileg fallen. Offen ist wiederum, ob die Betreiber sozialer Medien vom Medienprivileg erfasst sind.124 Für die Perspektive des Kollisionsrechts ist entscheidend, dass die DSGVO die Abwägungsfrage bei einem Grundrechtskonflikt nicht vereinheitlicht, sondern an das nationale Recht delegiert. In diesem Bereich gibt es also kein Einheitsrecht, sodass es auf die Frage des anwendbaren Rechts auch innerhalb der EU weiterhin maßgeblich ankommt. III. Rechtsvergleichender Überblick Die Relevanz des Kollisionsrechts bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ergibt sich daraus, dass es zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen wesentliche Unterschiede gibt, und daher die Frage des anwendbaren Rechts die Erfolgsaussichten einer Klage entscheidend mitbestimmt.125 Eine vertiefte rechtsvergleichende Betrachtung kann an dieser Stelle nicht erfolgen.126 Im Deutschland Nr. 3, NJW 2014, 1645; Urteil vom 07.02.2012 – 40660/08 und 60641/08, von Hannover ./. Deutschland Nr. 2, NJW 2012, 1053; Urteil vom 24.06.2004 – 59320/00, Caroline von Hannover ./. Deutschland, NJW 2004, 2647. 120 Siehe dazu Soppe, ZUM 2019, 467. 121 v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 85, Rn. 8. 122 Soppe, ZUM 2019, 467 (476). Dafür auch Spindler, GRUR 2013, 996 (1000). 123 v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 85, Rn. 8. 124 Ebd., Rn. 9. Ausführlich dazu Sachverständigenrat für Verbrauchersachen, Verbrauchergerechte Regulierung interaktionsmittelnder Plattformfunktionalitäten, 2020, S. 69 ff. (differenzierend) und St. Michel, ZUM 2018, 836 (i.E. ablehnend). Der BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = NJW 2009, 2888 – spickmich.de, Rn. 19 ff., hat die Anwendung des Medienprivileg in der Fassung der Datenschutz-RL auf das Bewertungsportal www.spickmich.de abgelehnt. 125 Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 2; de Miguel Asensio, REDI 72 (2020), 205 (207); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 15; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 194. 126 Eingehende Betrachtungen bei Brüggemeier/Colombi Ciacchi/O’Callaghan, Personality Rights in European Tort Law, 2010; Carrascosa Gonzalez, RdC 378 (2016), 281– 486; European Parliamentary Research Service, Freedom of expression, a comparativelaw perspective – The United Kingdom, Oktober 2019, abrufbar unter (Vereinigtes Königreich); dies., Freedom of expression, a comparative-law perspective – The United States, Oktober 2019, abrufbar unter (USA); Märten, Die Vielfalt des Persönlichkeitsschutzes, 2015, S. 152 ff. (England); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 241 f. (Ungarn, Frankreich und England); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019 (USA und England); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 99 ff. (Frankreich), S. 135 ff. (England). Für die anglo-amerikanische Perspektive siehe Kenyon, Comparative Defamation and Privacy Law, 2016. Überblick über die historischen Entwicklungsstränge in Europa bei Ondreasova, in: Oliphant/Pinghua/Chen Lei, 2018, S. 24 (26 ff.). Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen: Überblick bei Barendt, in: Rosenfeld/Sajó, 1. Aufl. 2012, S. 891 ff.; Stone, in: Ginsburg/Dixon, 2011, S. 406 ff.; Saunders, Free Expression and Democracy, 2017. 127 Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (38); dies., in: FS CoesterWaltjen, 2015, S. 413 (426); Steininger, in: Oliphant/Pinghua/Chen Lei, 2018, S. 13 (15 f.). Vgl. zur Abwägung in verschiedenen Rechtsordnungen Barendt, Freedom of expression, in: Rosenfeld/Sajó, 1. Aufl. 2012, S. 891, insb. 902 ff.; A. Weber, Menschenrechte – Texte und Fallpraxis, 2004, S. 322 ff.; O. Weber, MMR 2012, 45 (48 f.), m.w.N. 128 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (429). Zum englischen und französischen Recht Schlussanträge GA Darmon, 10.01.1995, ECLI:EU:C:1994:303, C-68/93, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 11. 129 Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 44 ff., m.w.N. Z.B. EGMR, Urteil vom 13.07.2012 – 16354/06, Mouvement Raëlien Suisse ./. Schweiz, NJOZ 2014, 1236, Rn. 48. 130 Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 49 ff., m.w.N. 131 Ebd.
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Kapitel 1: Einführung
nen.132 Art. 8 Abs. 1 EMRK garantiert jeder Person die Achtung ihres Privatund Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. In der Rechtsprechung des EGMR umfasst dies nicht nur ein „right to be left alone“, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten auch, effektive Maßnahme gegen Verletzungen durch Dritte zu ergreifen.133 Was genau unter „Achtung“ zu verstehen ist, ist durch die Konvention jedoch nicht fest vorgegeben, sondern abhängig von der jeweiligen bestehenden Praxis in den Mitgliedstaaten und den dort herrschenden Verhältnissen.134 Gerade mit Blick auf die Rechtsfolgenseite einer Persönlichkeitsrechtsverletzung gesteht der EGMR den Mitgliedstaaten also einen weiten Ermessensspielraum zu.135 Auf der Gegenseite betont der EGMR die Bedeutung der freien Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) als einen Grundpfeiler der Demokratie und als Voraussetzung für ihren Fortschritt und die individuelle Entwicklung.136 Eine Beschränkung kommt daher nur in Betracht, wenn ihre Notwendigkeit im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK überzeugend nachgewiesen ist.137 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die fragliche Äußerung von öffentlichem Interesse ist oder vorrangig das Privatleben der betroffenen Person beeinträchtigt.138 Auch bei der Abwägungsentscheidung zwischen den kollidierenden Menschenrechten besteht ein Ermessensspielraum für die Mitgliedstaaten. Dieser Spielraum ist besonders gering bei staatskritischen
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Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 5; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (319); Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (38); dies., EuZW 2007, 428 (428); Kenny/Heffernan, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (336); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 37; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 53; Paal, ZEuP 2016, 591 (599, Fn. 48); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 191 f. Zum Einfluss der EMRK auf den deutschen und englischen Persönlichkeitsschutz siehe Märten, Die Vielfalt des Persönlichkeitsschutzes, 2015, S. 330 ff. 133 EGMR, Urteil vom 16.10.2008 – 39627/05, Taliadorou und Stylianou ./. Zypern, Rn. 55, 58; Urteil vom 24.06.2004 – 59320/00, Caroline von Hannover ./. Deutschland, NJW 2004, 2647, Rn. 26. 134 EGMR, Urteil vom 10.05.2011 – 48009/08, Mosley ./. Vereinigtes Königreich, NJW 2021, 747, Rn. 108. 135 Eingehend zum Ermessensspielraum Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 13 f. 136 St.Rspr., z.B. EGMR, Urteil vom 13.07.2012, Mouvement Raëlien Suisse ./. Schweiz, Nr. 16354/06, NJOZ 2014, 1236, Rn. 48. 137 Ebd. 138 EGMR, Urteil vom 24.06.2004, Caroline von Hannover ./. Deutschland, Nr. 59320/00, NJW 2004, 2647, Rn. 65.
C. Überblick über das materielle Recht
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Berichten,139 hingegen sehr weit bei kommerziell motivierter Kommunikation.140 Tendenziell sind die Persönlichkeitsrechte auf dem europäischen Kontinent stärker geschützt als im anglo-amerikanischen Rechtskreis. In England ist der gute Ruf gegenüber Dritten im Wege des tort of defamation geschützt.141 Ein Verschulden ist nicht erforderlich.142 Die Haftung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Kläger eine defence geltend machen kann, wozu insbesondere truth, also die Wahrheit einer Aussage, und das Bestehen eines öffentlichen Interesses zählen.143 Schuldhaft falsche Tatsachenbehauptungen, die zu einem wirtschaftlichen Nachteil führen, können im Wege der malicious falsehood verfolgt werden. Die größten Unterschiede ergeben sich allerdings zu den USA: Dort hat die Meinungsfreiheit als First Amendment eine besonders hohe Stellung. Nach dem Konzept des „marketplace of ideas“ wird davon ausgegangen, dass auf einem freien Markt der Äußerungen die guten Ideen automatisch vorherrschen werden und ein staatliches Eingreifen daher fehl am Platz wäre.144 Klagen werden hier nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die fragliche Information vollständig privat und geheim, ohne Wert für die Öffentlichkeit und besonders anstößig ist.145 Eine defamation claim einer Personen des öffentlichen Lebens (public figure) ist überhaupt nur dann aussichtsreich, wenn vorsätzlich oder in grob fahrlässiger Unkenntnis (malice) eine unwahre Behauptung verbreitet wird.146 Eine Haftung ohne Verschulden ist aber auch in anderen Fällen ausgeschlossen.147 Die Beweislast für die Unwahrheit einer Behauptung liegt beim Kläger.148 Bemerkbar machen sich diese Unterschiede beispielsweise bei der Frage, ob wahre Tatsachen veröffentlicht werden dürfen. Zwar dürfen auch nach deutschem Recht wahre Tatsachen grundsätzlich veröffentlicht werden; dieser Grundsatz stößt aber umso schneller an seine Grenzen, je privater oder gar 139 EGMR, Urteil vom 14.02.2008 – 20893/03, Affaire July u. Sarl Libération ./. Frankreich, NJW 2009, 3145, Rn. 67. 140 EGMR, Urteil vom 10.01.2013 – 36769/08, Ashby Donald u.a. ./. Frankreich, NJW 2013, 2735, Rn. 39. 141 Unterschieden wird zwischen defamation durch gesprochenes Wort (slander) und durch sonstige Medien in potentiell dauerhafter Weise, v.a. schriftlich (libel). 142 Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 112, m.w.N. 143 Sec. 2 ff. Defamation Act 2013. 144 European Parliamentary Research Service, Freedom of expression, a comparativelaw perspective – The United States, Oktober 2019, abrufbar unter , S. 52. 145 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (323 ff.). 146 New York Times Co. v. Sullivan, 376 U.S. 254 (1964). 147 Gertz v. Robert Welch, Inc., 418 U.S. 323 (1974). 148 Philadelphia Newspapers v. Hepps, 475 U.S. 767 (1986).
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Kapitel 1: Einführung
intimer die fragliche Information ist.149 In den USA hingegen überwiegt bei rechtmäßig erlangten Informationen das Veröffentlichungsinteresse.150 In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen stehen dem Geschädigten vorrangig Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zu. Auch hier gibt es Unterschiede darin, auf welchem Wege die Rechtsverletzung aus der Welt geschafft werden kann. So kann der Schädiger beispielsweise nach polnischem Recht verpflichtet werden, eine gerichtlich festgelegte Entschuldigung auf eine bestimmte Art und Weise zu veröffentlichen, wohingegen eine solche Rechtsfolge mit dem deutschen Konzept der Meinungsfreiheit unvereinbar ist.151 Grundsätzlich sind Schadensersatzansprüche im kontinentaleuropäischen Rechtskreis subsidiär und nur unter hohen Voraussetzungen gegeben.152 Zahlungsverpflichtungen sollen keine Straffunktion haben.153 Eine Genugtuung im schweizerischen Recht (Art. 49 Abs. 2 OR) kann beispielsweise auch darin liegen, den Schädiger zu Spenden an eine gemeinnützige Organisation zu verpflichten.154 Im englischen Recht sind im Gegensatz dazu Schadensersatzansprüche das zentrale Rechtsmittel, wohingegen injunctions als equitable relief wiederum nur zurückhaltend gewährt werden.155 Schadensersatzansprüche können hier mithin deutlich höher als auf dem Kontinent ausfallen156 und Straffunktion haben. Möglich sind aggravated damages bei defamation, wenn das Verhalten nach der Schädigung verwerflich war.157 Zudem gehören Pressedelikte zu den wenigen Fällen, in denen examplary damages gewährt werden können.158 Ein Schutz von privacy ist im Common Law zwar nicht historisch gewachsen. Ein hinreichender Schutz ist aber in Equity als breach of confidence vorhanden, wobei der EMRK im Wege des Human Rights Act maßgebliche Bedeutung zukommt.159 Anders ist dies wiederum in den USA. Nicht nur wird die Meinungsfreiheit bei der Prüfung einer Rechtsverletzung deutlich stärker gewichtet, sondern 149
Siehe oben S. 21 f. Unterschiede entstehen so z.B. bei der Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, vgl. Feldmann, jurisPR-ITR 8/2010 Anm. 2. 151 BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254 – Deutsche Vernichtungslager in Polen. 152 Vgl. z.B. Schweiz: Art. 49 OR. 153 Steininger, in: Oliphant/Pinghua/Chen Lei, 2018, S. 13 (20); Weissel, in: Oliphant/ Pinghua/Chen Lei, 2018, S. 147 (155). 154 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (429). 155 Siehe Darstellung bei Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 294 f. 156 Ebd., S. 324 f. 157 Sutcliffe v Pressdram Ltd [1991] 1 QB 153. Die Rechtsnatur der aggravated damages ist jedoch umstritten. 158 Crime and Courts Act 2013, Sec. 34–39. 159 Campbell v Mirror Group Newspapers Ltd [2004] UKHL 22; Douglas v Hello! Ltd [2005] EWCA Civ 595. 150
D. Gang der Untersuchung
37
auch Schadensersatzansprüche sind regelmäßig auf actual damages beschränkt.160 Unterlassungsansprüche sind gänzlich ausgeschlossen, da ansonsten das First Amendment verletzt wäre.161 Intermediäre wie die Betreiber sozialer Medien sind weitgehend von der Haftung für die Inhalte ihrer Nutzer befreit. In den USA genießen die Intermediäre volle Immunität für die von den Nutzern veröffentlichten Inhalte gem. Section 230 of the Communications Decency Act.162 In der EU ist dies aktuell durch die eCommerce-RL und zukünftig voraussichtlich durch den Digital Services Act geregelt. Demnach haften Plattformbetreiber nicht, solange sie keine Kenntnis einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information haben (Art. 14 ECRL). Zudem dürfen sie nicht einer allgemeinen Prüfpflicht unterworfen werden (Art. 15 ECRL). Dies steht einer spezifischen Prüfpflicht jedoch nicht entgegen.163 Die Kommunikationsfreiheiten (Art. 10 EMRK) eines professionellen Plattformbetreibers mit erheblichen Möglichkeiten, die Veröffentlichungen anonymer Nutzer zu kontrollieren, sind nicht verletzt, wenn ihm – wie in Estland – die Haftungsprivilegierung aus Art. 14 ECRL für Nutzerkommentare verweigert wird und ihm weitgehende Überwachungspflichten zugemutet werden.164 Hingegen sah der EGMR in einem Verfahren gegen Norwegen Art. 8 EMRK nicht verletzt, wenn die Nutzerkommentare keine Hassrede oder einen Aufruf zu Gewalt darstellen und der Plattformbetreiber mutmaßlich verletzende Kommentare im Wege eines Notice-and-take-down-Verfahrens prüft und gegebenenfalls entfernt.165
D. Gang der Untersuchung D. Gang der Untersuchung
Die Untersuchungen dieser Arbeit widmen sich der Frage, welches Recht auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in sozialen Medien Anwendung findet oder stattdessen Anwendung finden sollte. Zu diesem Zweck wird das gegenwärtig geltende Kollisionsrecht dargestellt und auf seine Stärken und Schwächen hin untersucht. Darauf aufbauend werden Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Alternativen gesucht und diskutiert.
160
Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (326). New York Times Co. v. United States, 403 U.S. 713 (1971). 162 “No provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.“ 163 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 33 ff. 164 EGMR, Urteil vom 16.06.2015 – 64569/09, Delfi AS ./. Estland, NJW 2015, 2863, insb. Rn. 140 ff. 165 EGMR, Urteil vom 19.03.2019 – 43624/14, Høiness ./. Norwegen, NJW 2020, 2093, Rn. 68 ff. 161
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Kapitel 1: Einführung
In einem ersten Schritt wird dafür die Ermittlung des anwendbaren Vertragsrechts erörtert, welches hauptsächlich das Verhältnis zwischen einem Nutzer eines sozialen Netzwerks und dessen Betreiber betrifft, daneben aber unter bestimmten Umständen auch das Verhältnis zwischen Nutzern unmittelbar bestimmen kann (Kapitel 2). Schwerpunkte werden dabei gesetzt auf die Voraussetzungen eines Verbrauchervertrags im Sinne des Art. 6 Rom IVO, auf die Rechtswahlpraxis der großen Plattformen, auf Möglichkeiten der akzessorischen Anknüpfung im Vertragsrecht sowie auf Fragen der Qualifikation im Grenzbereich von Vertrags- und Deliktsrecht. Der sich daran anschließende Teil beschäftigt sich umfassend mit dem Deliktsstatut (Kapitel 3). Dieser Rechtsbereich ist geprägt von der fehlenden Harmonisierung des Kollisionsrechts der Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf europäischer Ebene, festgehalten in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO, wobei der präzise Umfang der Diskussion bedarf. Dies lässt bereits erahnen vor welche Herausforderungen das Phänomen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen das Kollisionsrecht stellt, welche sich in einem breit gefächerten Meinungsspektrum in Rechtsprechung und Literatur äußern. Der Schwerpunkt der Diskussion liegt auf der Verortung von Handlungs- und Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, auf deren Verhältnis zueinander und auf erforderlichen Korrekturen des so erlangten Ergebnisses. Doch auch jenseits der Grundanknüpfung besteht Klärungsbedarf hinsichtlich der Reichweite von Rechtswahlmöglichkeiten, der Bedeutung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Streitparteien und der Option zur vertragsakzessorischen Anknüpfung. In Kapitel 4 wird die Frage nach dem anwendbaren Datenschutzrecht aufgeworfen. Hier hat die im Jahr 2018 in Kraft getretene DSGVO einen neuen Rechtsrahmen geschaffen und neue Fragen aufgeworfen. Ausgangspunkt für das Kollisionsrecht ist Art. 3 DSGVO, der zunächst unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH dargestellt und sodann kritisch diskutiert wird. Zudem ist klärungsbedürftig, welche kollisionsrechtlichen Regeln jenseits des Art. 3 DSGVO gelten. Schließlich wendet sich die Untersuchung den Schranken der Verweisung auf das anwendbare Recht zu, die durch das Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL und den ordre public-Vorbehalt ausgeübt werden.
Kapitel 2
Vertragsstatut Die Besonderheit an Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien ist das dreiseitige Verhältnis zwischen dem veröffentlichenden Nutzer, der betroffenen Person und dem Plattformbetreiber. Wesentlich für die Erfassung dieses Komplexes sind die bestehenden vertraglichen Verbindungen und wie diese die Bestimmung des auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung anwendbaren Rechts prägen können. Im Fokus steht hauptsächlich der Plattformvertrag, der zwischen dem Betreiber eines sozialen Mediums und dessen Nutzer vorliegen kann (A.). Ein solcher besteht in aller Regel zwischen dem veröffentlichenden Nutzer und dem Plattformbetreiber. Daneben kommt in Betracht, dass auch die betroffene Person einen solchen Plattformvertrag mit dem Betreiber hat; ein solcher kann dann Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Falls haben, sofern sich die Verletzung gerade im Kontext der Plattform abspielt.1 Unter Umständen kann auch ein Vertragsverhältnis zwischen der sich äußernden Person und dem Opfer vorliegen, welches eventuelle Persönlichkeitsrechtsverletzungen mitbestimmt. Das typische Beispiel hierfür sind Kaufverträge zwischen Nutzern, geschlossen auf Vertragsvermittlungsplattformen, wobei die Persönlichkeitsrechtsverletzung im Wege der Nutzerbewertungsmöglichkeiten der Plattform erfolgt (B.). Das Vertragsverhältnis kann selbst Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen vermitteln (§§ 280, 241 Abs. 2 BGB)2 oder als Vorfrage in anderen Ansprüchen relevant werden. Zu denken wäre dabei beispielsweise an die Datenverarbeitung zum Zwecke der Vertragserfüllung (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO). Von Bedeutung ist das vertragliche Verhältnis insbesondere auch in den Fällen, in denen eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Vertragsstatut in Betracht kommt (Art. 4 Abs. 3 Rom IIVO, Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB).3
1
Für eine nähere Darstellung dieser Plattformfälle siehe oben S. 15–17. Siehe unten für eine ausführlichere Darstellung S. 107–118. 3 Zur akzessorischen Anknüpfung im Deliktsrecht siehe unten S. 264–292. 2
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Kapitel 2: Vertragsstatut
A. Der Plattformvertrag A. Der Plattformvertrag
Das auf Vertragsverhältnisse anwendbare Recht bestimmt sich nach der Rom I-VO. Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, wann ein Plattformvertrag ein vertragliches Verhältnis im Sinne der Rom I-VO darstellt (I.) und unter welchen Umständen dieses Verhältnis einen Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ist (II.). Basierend auf diesen Einordnungen kann darauf eingegangen werden, ob und wie die Parteien das anwendbare Recht selbst wählen können (III.) und wie ansonsten das Vertragsstatut im Wege der objektiven Anknüpfung ermittelt wird (IV.). I. Sachlicher Anwendungsbereich der Rom I-VO Damit das anwendbare Recht auf das Rechtsverhältnis zwischen Nutzer und Betreiber nach der Rom I-VO ermittelt werden kann, muss es sich gem. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO um ein vertragliches Schuldverhältnis handeln. Nach autonomer Auslegung4 kommt eine vertragliche Qualifikation dann in Betracht, wenn sich eine Person freiwillig und mit rechtlicher Wirkung einer anderen verpflichtet. Diese Definition entwickelte der EuGH zum Begriff des „Vertrags“ im Rahmen des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bzw. der entsprechenden Vorgängerregelungen.5 Zum Zwecke einer kohärenten Auslegung der RomVerordnungen und der Brüssel Ia-VO, wie sie auch von Erwägungsgrund 7 Rom I-VO und Erwägungsgrund 7 Rom II-VO gefordert wird,6 ist dieses Verständnis grundsätzlich ebenfalls für ein vertragliches Schuldverhältnis im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO maßgeblich.7 Die Grenzen der Übertragbarkeit angesichts der unterschiedlichen Zielrichtungen von IPR und IZVR 4 Grundlegend EuGH, Urteil vom 27.09.1988 – Rs. 189/87, ECLI:EU:C:1988:459, Athanasios Kalfelis ./. Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. u.a., Rn. 14 ff.; zuletzt Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 25, 30. 5 EuGH, Urteil vom 21.04.2016 – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286, Austro-Mechana GmbH ./. Amazon EU Sàrl u.a., Rn. 36; Urteil vom 10.09.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C: 2015:574, Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. ./. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, Rn. 52; Urteil vom 28.01.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, Harald Kolassa ./. Barclays Bank plc, Rn. 39; Urteil vom 14.03.2013 – C-419/11, ECLI:EU:C: 2013:165, Česká spořitelna, a.s. ./. Gerald Feichter, Rn. 46. 6 Siehe dazu Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385. 7 EuGH, Urteil vom 21.01.2016 – C-359/14 und C-475/14, ECLI:EU:C:2016:40, ERGO Insurance SE ./. If P&C Insurance AS und Gjensidige Baltic AAS ./. PZU Lietuva UAB DK, Rn. 44; Crespi Reghizzi, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 317 (322 ff.); Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 (45 ff.); U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 1, Rn. 31; ders., in: FS Kühne, 2009, S. 779 (783 f.); a.A. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529); Schmidt-Kessel, ZEuP 2004, 1019 (1031 f.); differenzierend Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 1, Rn. 7.
A. Der Plattformvertrag
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sind allgemeinerer Natur und sollen daher an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.8 Maßgeblich für ein vertragliches Verhältnis in autonomer Auslegung sind also die drei Kriterien Freiwilligkeit (1.), Verpflichtungen (2.) und rechtliche Bindung (3.). Im Folgenden wird das Verhältnis zwischen einem Plattformbetreiber und seinem Nutzer dahingehend untersucht, ob zwischen ihnen freiwillig geschaffene rechtlich bindende Verpflichtungen bestehen. 1. Freiwilligkeit Das Kriterium der Freiwilligkeit dient der Abgrenzung von jenen Verhältnissen, die kraft Gesetzes und nicht kraft Parteiwillens begründet werden.9 Das Verhältnis zwischen dem Nutzer und dem Betreiber einer Plattform wird nicht gesetzlich geschaffen, sondern einerseits durch die Entscheidung des Betreibers, die Plattform zur Nutzung bereitzustellen, und andererseits durch die Entscheidung des Nutzers, sich nach den Vorgaben der Plattform zu registrieren. Die Schaffung des Verhältnisses erfolgt daher auf freiwilliger Basis.10 2. Verpflichtungen der Parteien Wenn sich eine Person auf einer Plattform registriert, hat sie die Erwartung, dass der Betreiber ihr die Nutzung der Plattform ermöglicht. Umgekehrt erwartet der Betreiber, dass sich der Nutzer an die Nutzungsbedingungen hält. Die Parteien gehen daher jeweils Verpflichtungen ein. Es lassen sich typische und wiederkehrende Merkmale der Plattformverträge identifizieren, auf welche im Folgenden eingegangen wird. Eine abschließende Darstellung der konkreten Verpflichtungen der Parteien ist gleichwohl nicht möglich, weil die Bandbreite an sozialen Medien und ihre unterschiedlichen Funktionen und Zielrichtungen groß sind.11 Entscheidend ist daher, die Rechte und Pflichten im Einzelfall zu ermitteln.
8
Dazu Crespi Reghizzi, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 317 (323 f., 327 f.); v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 1, Rn. 6 ff.; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 1, Rn. 7. 9 Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, EuGVVO Art. 5, Rn. 9; Wendelstein, ZEuP 2015, 622 (627). 10 Näher zum Begriff der Freiwilligkeit Leible, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 20 ff. Am Rande sei auf den Beitrag von Graf von Westphalen, ZIP 2020, 437, hingewiesen, der bezweifelt, dass man angesichts personalisierter Algorithmen tatsächlich noch von einer freie Willensbildung der Verbraucher sprechen könne. 11 Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 4.
42
Kapitel 2: Vertragsstatut
a) Pflichten des Betreibers der Plattform Die Verpflichtungen eines Plattformbetreibers kombinieren verschiedene Elemente. Hauptsächlich stellt der Betreiber die IT-Infrastruktur zur Verfügung, über die Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden. Da sich soziale Medien gerade durch die Möglichkeit aktiver Inhaltsgestaltung durch den jeweiligen Nutzer auszeichnen, verspricht der Betreiber neben dem Zugang zum eigenen Nutzungskonto12 und den dort gespeicherten Dateien die Option, nutzereigene Inhalte zu gestalten, sie zu speichern und entsprechend dem Nutzerauftrag zu veröffentlichen.13 Diese Verpflichtungen sind laut BGH jedem Nutzer gegenüber gleichartig und nicht höchstpersönlicher Natur, sondern an das jeweilige Benutzerkonto gebunden.14 Charakteristisch für soziale Medien im Sinne dieser Arbeit ist das Kommunikationsangebot, welches für die jeweilige Plattform prägend ist und dabei im Einzelfall unterschiedliche Formen annehmen kann. Die Dienste unterliegen einer ständigen Weiterentwicklung; dies entspricht typischerweise gerade dem Nutzerwillen. Dementsprechend sind die konkreten Dienste und Kommunikationsmöglichkeiten häufig ungenau beschrieben oder die Geschäftsbedingungen verweisen nur vage auf den aktuellen Zustand.15, 16 12
BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 29 – Digitaler Nachlass; LG Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Latzel, in: Staudinger (2020), BGB § 611, Rn. 595 f.; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 17; allgemein Sachverständigenrat für Verbrauchersachen, Verbrauchergerechte Regulierung interaktionsmittelnder Plattformfunktionalitäten, 2020, S. 26. 13 BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 29, 35 – Digitaler Nachlass; ähnlich Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 8; Gläser, MMR 2015, 699 (699); Redeker, in: Handbuch MultimediaRecht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 420. 14 BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 35, 41 – Digitaler Nachlass. 15 Instagram: „Wir verpflichten uns, dir den Instagram-Dienst bereitzustellen.“ (); LinkedIn: „Wir behalten uns das Recht vor, einen beliebigen Teil unserer Dienste zu ändern, auszusetzen oder zu beenden.“ (); Twitter: „Unsere Dienste entwickeln sich ständig weiter. Demzufolge können wir die Dienste gegebenenfalls nach eigenem Ermessen von Zeit zu Zeit überarbeiten.“ (). Facebook hingegen benennt die konkreten Nutzungsmöglichkeiten genauer, ohne sich jedoch auf diese Dienste zu beschränken: „Du hast viele Möglichkeiten, um dich auf Facebook auszudrücken und mit Freunden, Familienmitgliedern und anderen über die Dinge auszutauschen, die dir wichtig sind – zum Beispiel indem du Status-Updates, Fotos, Videos und Stories über die von dir genutzten Facebook-Produkte teilst, Nachrichten an eine/n Freund/in oder mehrere Personen sendest, Veranstaltungen oder Gruppen erstellst oder Inhalte zu deinem Profil hinzufügst. Wir haben außerdem neue Möglichkeiten geschaffen – und entwickeln weiter neue Lösungen – wie Menschen Technologien nutzen können, beispielsweise erweiterte Realität und 360°-
A. Der Plattformvertrag
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Zweifelhaft erscheint dabei, ob der Betreiber darüber hinaus für diese technischen Dienste auch die dauerhafte Funktionsfähigkeit und Verfügbarkeit vertraglich garantieren will.17 Hier kommt es auf den Einzelfall und die Auslegung der jeweiligen Geschäftsbedingungen an. Für den Zweck des sachlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO genügt es festzuhalten, dass ein Betreiber mit Registrierungspflicht sich grundsätzlich verpflichtet, einer registrierten Person Zugriff und Nutzung der ITInfrastruktur einschließlich der Kommunikationsvorrichtungen zu ermöglichen. Sofern der Betreiber keine Registrierung verlangt, beschränkt sich seine Tätigkeit darauf, den nutzergenerierten Inhalt entsprechend seinen Nutzungsbedingungen zu veröffentlichen. Erneuten Zugang oder auch Zugriff auf den eigenen Inhalt ermöglicht der Betreiber in diesen Fällen nicht. b) Pflichten des Nutzers der Plattform Es ist fraglich, welche Gegenleistungspflichten den Nutzer einer Plattform treffen. Hierbei kommen unterschiedliche Konstellationen in Betracht. Sollte ein Plattformbetreiber Zahlungsleistungen für die Nutzung verlangen, liegt die Hauptleistungspflicht des Nutzers im Begleichen dieser Zahlungen. Die meisten Plattformen finanzieren sich jedoch nicht über Zahlungen ihrer Nutzer, sondern über Werbeeinnahmen. Wirtschaftlich gesehen ist die Nutzung einer solchen Plattform in diesen Fällen gleichwohl nicht kostenlos, denn die wirtschaftliche Gegenleistung liegt in der datenschutzrechtlichen Einwilligung zur Erhebung, Speicherung und Verwertung personenbezogener Daten.18 Auch der BGH hat im Rahmen der Bestätigung eines Be-
Video, um ausdrucksstärkere und ansprechendere Inhalte auf Facebook zu erstellen und zu teilen.“ (). 16 Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 10 f.; Redeker, in: Handbuch Multimedia-Recht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 416; für die Einordnung im deutschen materiellen Recht als Leistungsbestimmungsrecht des Betreibers i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB: Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 11; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 25. 17 Bejahend für zahlungspflichtige Angebote Bräutigam/Richter, in: Hornung/MüllerTerpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 28; Sachverständigenrat für Verbrauchersachen, Verbrauchergerechte Regulierung interaktionsmittelnder Plattformfunktionalitäten, 2020, S. 26. 18 Bräutigam, MMR 2012, 635 (638); ders./Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 17; Gläser, MMR 2015, 699 (699); Hakenberg, in: FS Kohler, 2018, S. 151 (161 ff.); Langhanke, Daten als Leistung, 2018, S. 2, 95; Melan/S. Pfeiffer, DStR 2017, 1072 (1073); Paulus, ZZP Int. 21 (2016), 199 (213); ders., NJW 2018, 987 (988); Roos, in: Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL September 2021, Teil 12, Rn. 25; Sachverständigenrat für Verbrauchersachen, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat, 2017, S. 9 (16); Sattler, JZ 2017, 1036; Schmidt-Kessel/Grimm, ZfPW 2017, 84; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 20 f.;
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Kapitel 2: Vertragsstatut
schlusses des Bundeskartellamts zu Facebooks Umgang mit Nutzerdaten den wirtschaftlichen Wert der Nutzerdaten anerkannt und besprochen.19 Ob auch aus rechtlicher Sicht von „Daten als Entgelt“ gesprochen werden kann und wie das materielle Vertrags- und Datenschutzrecht eine solche Verpflichtung behandeln würde, wird rege diskutiert.20 Bemerkenswert ist hierbei insbesondere, dass die EU-Richtlinie über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen21 gem. ihrem Art. 3 Abs. 1 Konstellationen erfasst, in denen Unternehmer die Bereitstellung digitaler Inhalte davon abhängig machen, dass der Verbraucher wiederum personenbezogene Daten bereitstellt.22 Hierdurch wird die wirtschaftliche Realität einer Bezahlung mit personenbezogenen Daten rechtlich anerkannt.
ausführlicher zur wirtschaftlichen Bedeutung von Nutzerdaten Hacker, ZfPW 2019, 148 (148 ff.); Körber, NZKart 2016, 303 (304 f.). 19 BGH, Beschluss vom 23.06.2020 – BGH KVR 69/19, NZKart 2020, 473, Rn. 59 ff., insb. Rn. 62 – Facebook. 20 Für eine Anerkennung als Gegenleistung im Rechtssinne OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35, Rn. 20; LG Berlin, Urteil vom 19.11.2013 – 15 O 402/12, MMR 2014, 563 (564); Bräutigam, MMR 2012, 635 ff.; ders./ Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 18 ff.; Dietsch, MwStR 2017, 868 (870 ff.); Fußeder, Soziale Netzwerke im Nachlass, 2019, S. 32 ff.; Hacker, ZfPW 2019, 148 (157 ff.); Langhanke, Daten als Leistung, 2018, S. 97 ff.; dies./Schmidt-Kessel, EuCML 2015, 218 ff.; Melan/S. Pfeiffer, DStR 2017, 1072 (1073), präzisieren, dass es sich um die Einräumung von Verwertungsrechten an Daten handelt; Metzger, AcP 216 (2016), 817 ff.; Roos, in: Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL September 2021, Teil 12, Rn. 25 ff.; Sattler, JZ 2017, 1036 ff.; Schmidt-Kessel/Grimm, ZfPW 2017, 84; Specht, JZ 2017, 763 ff.; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 20 f.; Wehleit, MMR 2018, 279 (279 f.); Graf von Westphalen, ZIP 2020, 437; ders./Wendehorst, BB 2016, 2179 (2179 ff.); Wintermeier, ZD 2012, 210 (211 f.); dagegen KG, Urteil vom 21.03.2019 – 23 U 268/13, ZD 2020, 310, Rn. 43; Redeker, in: Handbuch Multimedia-Recht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 428; krit. Schwenke, WRP 2013, 37 (38); Wendehorst, NJW 2016, 2609, 2612. 21 Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen. Dazu Metzger, JZ 2019, 577; Graf von Westphalen, ZIP 2020, 437. Siehe nun auch § 327 Abs. 3 BGB. Zum Richtlinienvorschlag siehe Spindler, MMR 2016, 147 (149 f.); Graf von Westphalen, EuZW 2017, 373 (375 f.); ders./Wendehorst, BB 2016, 2179 ff.; krit. Dix, ZEuP 2017, 1 ff. Nicht durchsetzen konnte sich die im Richtlinienentwurf noch vorgesehene ausdrücklichere Formulierung, wonach „eine andere Gegenleistung als Geld in Form personenbezogener oder anderer Daten“ bestehen könne, (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte, 09.12.2015, COM(2015) 634 final). 22 Nun umgesetzt in § 312 Abs. 1a BGB, Inkrafttreten: 01.01.2022, Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, 25.06.2021, BGBl. I, S. 2123 ff.
A. Der Plattformvertrag
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Daneben könnte man erwägen, eine Gegenleistung des Nutzers in den typischerweise eingeräumten Nutzungsrechten an den eingestellten Inhalten zu erkennen.23 Es ist somit festzuhalten, dass sich auch die Nutzer sozialer Medien zu einer Leistungserbringung verpflichten – jedenfalls sofern man eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anlegt. Auch rechtlich geht die Entwicklung dahin, diese tatsächliche Gegebenheit zu erfassen. Dies ist jedoch ein andauernder Prozess, der erst an seinem Anfang steht. Für die Zwecke dieser Arbeit kann es angesichts der Leistungsverpflichtung der Plattformbetreiber offenbleiben, ob man das „Bezahlen mit Daten“ als vertragliche Gegenleistung anerkennen möchte. Denn für ein vertragliches Schuldverhältnis im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO genügt auch schon eine einseitige Verpflichtung.24 3. Rechtliche Bindung Um als Vertrag im Sinne der Rom I-VO zu gelten, müssen die eingegangenen Verpflichtungen auch rechtlich bindend sein. Im Zweifelsfall müsste also eine gerichtliche Durchsetzung der Verpflichtungen gewollt sein. Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung (a.) werden im Folgenden Angebote mit Registrierung (b.) und solche ohne Registrierungspflicht (c.) auf ihre Verbindlichkeit hin untersucht. a) Allgemeine Darstellung Während im deutschen materiellen Recht der Rechtsbindungswille anhand von Indizien zu ermitteln ist, um rechtliche Bindungen von reinen Gefälligkeiten abzugrenzen,25 ist dieses Element, soweit ersichtlich, für das europäische Recht bislang nicht weiter untersucht worden. Sinnvoll erscheint es, das Kriterium der „rechtlichen Bindung“ restriktiv so anzuwenden, dass nur diejenigen Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom I-VO liegen, in denen offensichtlich keine rechtliche Verbindlichkeit gewollt ist. Für eine großzügige Handhabung des Kriteriums kann angeführt werden, dass es für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO auf den 23
Schwenke, WRP 2013, 37 (37 f.), nimmt an, dass aus Sicht des Betreibers im Einräumen von Verwertungsrechten an eingestellten Inhalten eine Gegenleistung liegt; dies sei für die Nutzer jedoch nicht erkennbar, sodass es sich nicht um eine Hauptleistungspflicht handle. 24 Siehe z.B. EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33, Petra Engler ./. Janus Versand GmbH, Rn. 50 f; Urlaub, Einseitig verpflichtende Rechtsgeschäfte im Internationalen Privatrecht, 2010, S. 112 ff., 138; die schuldrechtliche Natur eines Facebook-Nutzungsvertrags nach deutschem materiellen Recht trotz fehlender Geldleistung bejahend: LG Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190). 25 Siehe z.B. Sutschet, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.11.2021, BGB § 241, Rn. 18 ff., m.w.N.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Grad der Bindung an die Leistungsversprechen nicht ankommen kann; es ist vielmehr Aufgabe des Sachrechts, einen möglicherweise reduzierten Bindungswillen rechtlich zu erfassen. Basierend auf diesen Erwägungen ist das Kriterium der rechtlichen Bindung daher nur geeignet, offensichtlich unverbindliche Verhältnisse auszuschließen. Im Folgenden werden Plattformangebote mit und ohne Registrierungspflicht dahingehend untersucht, ob ein Rechtbindungswillen offensichtlich ausgeschlossen werden kann.26 b) Angebote mit Registrierung Wenn der Betreiber der Plattform seine Leistungen nur gegen Zahlung erbringt, kann ohne Schwierigkeiten ein rechtlicher Bindungswille beider Parteien angenommen werden.27 Zweifelhaft erscheint es jedoch, wenn die Plattform mit einer kostenlosen Nutzung wirbt – unabhängig davon, ob diese Behauptung angesichts der Nutzung personenbezogener Daten der Nutzer zutreffend ist.28 An einem solchen Bewusstsein, sich rechtlich zu verpflichten, kann es beim durchschnittlichen Nutzer fehlen. Dies muss jedenfalls dann unbeachtet bleiben, wenn der Betreiber im Rahmen einer Registrierung die Angabe von Kontaktdaten – typischerweise Klarname, E-Mail-Adresse und Geburtsdatum – und die Zustimmung zu den Nutzungs- und Geschäftsbedingungen verlangt. Denn dann wird für den Nutzer ersichtlich, dass der Betreiber ein wesentliches Interesse an der Einhaltung dieser Bedingungen und an der tatsächlichen Identität des Registrierenden hat. Im Regelfall wird es zudem auch im Interesse der Nutzer sein, dass für sie das Angebot verlässlich zugänglich ist. Beide Seiten handeln daher mit dem Willen, sich rechtlich zu binden. In diesen Fällen ist daher das Vorliegen einer rechtlichen Bindung zu bejahen.29 26 Zur Frage des Rechtsbindungswillen bei Plattformverträgen nach deutschem materiellem Recht siehe insb. Latzel, in: Staudinger (2020), BGB § 611, Rn. 592 ff.; allgemeiner Graf von Westphalen, ZIP 2020, 437. 27 Ebenso Fußeder, Soziale Netzwerke im Nachlass, 2019, S. 30; Kreutz, ZUM 2018, 162 (167). 28 Siehe z.B. Facebook bis Sommer 2019: „Facebook ist und bleibt kostenlos.“, , abgerufen am 03.09.2018. Der Slogan wurde im Sommer 2019 geändert zu „Es geht schnell und einfach.“, , abgerufen am 02.09.2019; nun: „Auf Facebook bleibst du mit Menschen in Verbindung und teilst Fotos, Videos und vieles mehr mit ihnen.“, . 29 Ausdrücklich zum IPR Gläser, MMR 2015, 699 (699); Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 6 ff.; implizit BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178 – Digitaler Nachlass; LG Berlin, Urteil vom 19.11.2013 – 15 O 402/12, MMR 2014, 563 (564); ebenso zum materiellen Recht Friehe, NJW 2020, 1697 (1697); Grigoleit, VersR 2018, 769 (786); Kreutz, ZUM 2018, 162 (166 f.); Sachverständigenrat für Ver-
A. Der Plattformvertrag
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c) Angebote ohne Registrierung oder mit Registrierung unter Pseudonym Diese Argumentation lässt sich nicht selbstverständlich übertragen, wenn der Betreiber auf eine Registrierung und damit vor allem auf die Angabe von Kontaktdaten verzichtet oder eine Registrierung mit einem Pseudonym ermöglicht. Grigoleit verneint aus Sicht des deutschen Zivilrechts dann eine rechtliche Bindung, weil ein „deutliches Signal für die Rechtsverbindlichkeit des Nutzungskontakts“ fehle.30 Eine Rechtsbindung fehle insbesondere dann, wenn ein Internetnutzer eine Website nur aufruft, auch wenn dabei personenbezogene Daten erhoben werden.31 Auf soziale Medien lässt sich dies jedoch nicht übertragen. Kennzeichnend für soziale Medien ist gerade der nutzergenerierte Inhalt. Ein solcher entsteht aber nur, wenn der Nutzer aktiv solche Inhalte über die vorgesehenen Optionen der Website hochlädt. Ein solcher Vorgang zeigt eine Erwartung des Nutzers, dass sein Inhalt entsprechend den Vorgaben der Seite veröffentlicht wird. Der Nutzer konsumiert daher nicht nur passiv, wie es beim Seitenaufruf oder beim Herunterladen von Software der Fall ist, sondern möchte aktiv eine digitale Infrastruktur in Anspruch nehmen. Durch das Absenden von nutzergenerierten Inhalten tritt der Nutzer mit dem Plattformbetreiber in Kontakt und gibt dadurch ein Signal, in dem implizit die Erwartung oder das Interesse nach Verbindlichkeit steckt. Auch der Plattformbetreiber hat in der Regel ein Interesse an rechtlicher Verbindlichkeit. Denn auch bei registrierungsfreien Angeboten schreibt der Betreiber typischerweise Verhaltensregeln vor und zeigt damit eine Erwartung an deren Einhaltung. Dann jedenfalls wenn der Betreiber die Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen für die Nutzung des Seitenangebots zwingend voraussetzt, zeigt dies einen Willen zu rechtlicher Verbindlichkeit, der auch für den Nutzer eindeutig erkennbar ist.32 Daher liegt ein rechtlicher Bindungswille aufseiten des Betreibers auch bei registrierungsfreien Angeboten oder bei möglicher Registrierung unter Verwendung eines Pseudonyms vor, sofern die Zustimmung zu den Nutzungs- und Verhaltensregeln verlangt wird.33
brauchersachen, Verbrauchergerechte Regulierung interaktionsmittelnder Plattformfunktionalitäten, 2020, S. 25. 30 Grigoleit, VersR 2018, 769 (786); i.E. ebenso Redeker, in: Handbuch MultimediaRecht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 422. 31 Grigoleit, VersR 2018, 769 (786); Kreutz, ZUM 2018, 162 (163 ff.); Latzel, in: Staudinger (2020), BGB § 611, Rn. 593; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 5. 32 Ebenso Kreutz, ZUM 2018, 162 (166 f.); ähnlich Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 8. 33 Ebenso Kreutz, ZUM 2018, 162 (166 f.); Redeker, in: Handbuch Multimedia-Recht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 422.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Uneindeutiger sind Angebote, die weder die Angabe persönlicher Daten noch die Zustimmung zu Nutzungsbedingungen verlangen. Der Unterschied zu registrierungspflichtigen Angeboten liegt darin, dass keine fortdauernde Nutzung beabsichtigt ist. Es soll also kein Dauerschuldverhältnis entstehen, sondern eine einmalige Leistungserbringung. Allein aus dem Verzicht auf die ausdrückliche Angabe einer Kontaktmöglichkeit kann jedoch noch nicht geschlossen werden, dass der Betreiber keine rechtliche Verbindlichkeit will.34 Betreiber sozialer Medien gehen ein Haftungsrisiko gegenüber Dritten ein und haben im Regelfall ein Interesse daran, den Nutzer in Regress nehmen zu können. Allerdings ließe sich auch argumentieren, dass der Betreiber eines solchen Angebots den Eindruck erwecke, keinerlei Erwartungen an den Nutzer zu stellen. Aus objektiver Sicht kann daher eine rechtliche Bindung bezweifelt werden. In der Praxis dürften solche Angebote aber sehr selten sein. Hauck/Blaut hingegen sehen einen Vertragsschluss bereits im Ausfüllen eines Suchformulars im Falle vom Vergleichs- und Vermittlungsportalen.35 Ein konkludenter Vertragsschluss könne hier insbesondere darauf gestützt werden, dass der Nutzer basierend auf dem Vergleichsergebnis zu finanziellen Dispositionen bereit sei und daher eine gewisse Verlässlichkeit des Anbieters erwarte.36 Dieses Argument kann bei sozialen Medien freilich nicht greifen. Eine Parallele besteht aber darin, dass die Anonymität des Nutzers einem Vertragsschluss nicht im Wege steht, solange der Betreiber freiwillig darauf verzichtet und der Nutzer durch Inanspruchnahme einer Interaktionsmöglichkeit einer Website ein gewisses Vertrauen in die Verlässlichkeit des Angebots des Betreibers zeigt. Daher ist auch in solchen Konstellationen denkbar, dass aus objektiver Sicht der Nutzer auf die Verbindlichkeit des Veröffentlichungsangebots vertraut und dies zugleich durch den Betreiber auch gewünscht ist, sodass ein Vertrag im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO in Betracht kommt. Zusammenfassend gilt daher, dass ein Wille, sich rechtlich zu binden, bei den meisten sozialen Medien unproblematisch vorausgesetzt werden kann. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Annahme von Vertragsbedingungen Voraussetzung für die Nutzung ist. Auch hier erwartet der Nutzer, dass es zur Veröffentlichung kommt, und der Betreiber, dass die Nutzungsregeln eingehalten werden. Darin ist ein beidseitiger rechtlicher Bindungswille zu erkennen. Der einzige Fall, in dem ein rechtlicher Bindungswille fraglich erscheint, ist ein Betreiber, der sowohl auf Angabe persönlicher Daten als auch auf die Verpflichtung zur Einhaltung der Nutzungsbedingungen verzichtet, was ausgesprochen selten vorkommt. Wie oben besprochen sind die Anforderungen des Kriteriums der rechtlichen 34
Ebenso Latzel, in: Staudinger (2020), BGB § 611, Rn. 594. Hauck/Blaut, NJW 2018, 1425 (1426 f.). 36 Ebd. 35
A. Der Plattformvertrag
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Bindung für die Zwecke des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO aber nicht zu hoch anzusetzen, sodass nur solche Fälle aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO fallen, in denen offensichtlich kein entsprechender Wille vorliegt. Ein Wille zur rechtlichen Bindung kann jedoch selbst ohne Registrierungspflicht nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, sodass dieses Kriterium für soziale Medien letztlich grundsätzlich gegeben ist. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass sich sowohl der Betreiber der Plattform als auch der Nutzer freiwillig rechtlich verpflichten. Das Rechtsverhältnis zwischen einem Nutzer und dem Betreiber einer Plattform ist damit ein vertragliches Schuldverhältnis im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO.37 Die vertragliche Pflicht des Plattformbetreibers besteht im Wesentlichen darin, Zugang zum jeweiligen Nutzungskonto zu gewähren und die Plattform einschließlich ihrer Kommunikationsmöglichkeiten entsprechend den Vertragsbedingungen für die Dauer des Vertrags funktionsfähig zu halten. Inwiefern die in tatsächlicher Hinsicht bestehende Gegenleistung des Nutzers, nämlich die Erhebung und Verwertung seiner personenbezogenen Daten zu gestatten, auch in rechtlicher Hinsicht anerkannt ist, ist für das Kollisionsrecht ohne Relevanz, da der Vertragsbegriff der Rom I-VO auch einseitig verpflichtende Verträge erfasst. Im Einzelfall können zwar Zweifel an dem Willen der Parteien bestehen, sich rechtlich binden zu wollen; da ein solcher Wille bei allen Formen sozialer Medien aber nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann, sollte für die Zwecke des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO ein Rechtsbindungswille angenommen werden, um keine materiell-rechtlichen Fragen in das IPR zu ziehen. II. Der Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Rom I-VO Wenn eine Plattform zu privaten Zwecken genutzt wird, kann ein Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Rom I-VO vorliegen. Um die korrekte Anknüpfungsnorm zu bestimmen, ist daher zunächst zu prüfen, wann der An37
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Stand im deutschen materiellen Recht, wo ein Vertrag – zumindest bei Registrierung – angenommen wird: BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178 – Digitaler Nachlass; OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 9; LG Berlin, Urteil vom 19.11.2013 – 15 O 402/12, MMR 2014, 563 (564); LG München I, Urteil vom 25.10.2006 – 30 O 11973/05, ZUM-RD 2007, 261 (266 f.); LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 30; Berberich, MMR 2010, 736 (737); Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 3; Friehe, NJW 2020, 1697 (1697); Fußeder, Soziale Netzwerke im Nachlass, 2019, S. 28 ff.; Marini, JZ 2012, 1145 (1147); Roos, in: Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL September 2021, Teil 12, Rn. 144; Solmecke/Dam, MMR 2012, 71 (71); Ziebarth, ZD 2013, 375 (376).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
wendungsbereich von Art. 6 Rom I-VO in persönlicher (1.) und in räumlichsituativer Hinsicht (2.) eröffnet ist. 1. Der persönliche Anwendungsbereich Verbraucher im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ist eine natürliche Person, die den Vertrag zu einem Zweck schließt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Begriff des Verbrauchers wird im System des Unionsprivatrechts zwar nicht einheitlich ausgelegt.38 Aber im Bereich der grenzüberschreitenden Rechtsverhältnisse fordert Erwägungsgrund 7 Rom I-VO ein möglichst übereinstimmendes Begriffsverständnis von Art. 6 Rom I-VO und Art. 17–19 Brüssel Ia-VO.39 Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherbegriff im IZVR kann auf das IPR übertragen werden, sofern die besonderen Ziele des IPR dem nicht entgegenstehen.40 Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen ist also, dass eine Person einen Plattformvertrag dann als Verbraucher abschließt, wenn sie zu privaten Zwecken handelt. Bei sozialen Medien können zwar viele Fälle eindeutig entweder einer privaten oder einer beruflich-gewerblichen Nutzung zugeordnet werden. So liegt die typische private Nutzung von sozialen Medien in der Pflege persönlicher und familiärer Kontakte oder der Veröffentlichung persönlicher Meinungen und Erfahrungen. Umgekehrt handelt es sich nicht um eine private Nutzung, wenn etwa eine Musikerin den Kontakt zu ihren Fans über eine solche Plattform pflegt. Dazwischen gibt es in sozialen Medien aber große Überschneidungen beider Sphären, die die Zuordnung eines Nutzungszwecks in die Kategorien „privat“ oder „beruflich-gewerblich“ erschwert.41 Im Folgenden werden einzelne Aspekte des Verbraucherbegriffs dargestellt und deren Anwendung auf soziale Medien diskutiert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Problematik des sog. dual-use, also auf den Verträgen mit sowohl privater als auch gewerblich-beruflicher Nutzung, die anhand typischer Beispiele in sozialen Medien erörtert werden. 38
Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 22. Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 20. Ausdrücklich für das „Ausrichten“ zudem ErwGr. 24 Rom I-VO; Calliess, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome I Regulation Art. 6, Rn. 21; Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom IVO Art. 6, Rn. 22; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 38 f.; Rühl, GPR 2013, 122; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom IVO Art. 6, Rn. 21. Vertiefend zur Kohärenz zwischen Art. 6 Rom I-VO und Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO siehe Kieninger, in: v. Hein/Rühl, 2016, S. 307 (310 ff.). 40 Siehe dazu Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385. 41 GA Bobek, Schlussanträge, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 44, hält diese Begriffe bei sozialen Medien für untauglich. In der Plattformökonomie könnte ein vergleichbarer Schutzstandard für kleine Unternehmen erforderlich sein, so Pretelli, in: Pretelli, 2018, S. 17 (31 f.). 39
A. Der Plattformvertrag
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a) Erkennbarkeit Dem Unternehmer muss aus den Umständen erkennbar sein, zu welchen Zwecken der Vertragspartner handelt.42 Er muss so zwar nicht positives Wissen über die Nutzungsform erlangen, täuschendes Verhalten eines Verbrauchers kann aber nicht zu seinen Lasten gehen.43 Für soziale Medien gilt, wie auch sonst unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, dass der konkrete Vertrag maßgeblich ist.44 Eine Plattform kann daher nicht pauschal der privaten oder der gewerblich-beruflichen Nutzung zugewiesen werden. Stattdessen ist der jeweilige Vertrag mit dem konkreten Nutzer zu betrachten. Wenn der Betreiber einer Plattform sein Angebot aber derart ausgestaltet, dass nur eine beruflichgewerbliche Nutzung vorgesehen ist, und ein Nutzer dies in Anspruch nimmt, darf der Unternehmer aufgrund der erkennbaren objektiven Umstände auf das Vorliegen beruflich-gewerblicher Zwecke vertrauen. Eindeutig sind Fälle, in denen Betrieben oder Unternehmen gezielt angeboten wird, über die Plattform auf ihre Dienste aufmerksam zu machen oder diese als Vermittlung zu verwenden. Dazu gehört beispielsweise die Handwerker-Plattform my-hammer.de. Zu denken ist aber auch an Plattformen wie LinkedIn, die ausdrücklich der beruflichen Vernetzung und Stellensuche dienen.
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U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 46; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 17; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 20; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 13; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Rom I-VO Art. 6, Rn. 5. Zur Indizwirkung verschiedener Umstände siehe Mankowski, IPRax 2005, 503 (507). Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 25, hält die Erkennbarkeit für irrelevant und sieht allein Täuschungskonstellationen als Ausschlussgrund. Angesichts des eher großzügigen Verständnisses des EuGH von „Erkennbarkeit“ in der Rs. Gruber (C-464/01) ist aber zweifelhaft, ob diese Ansicht zu anderen Ergebnissen führt. 43 EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rn. 51. Die Anforderungen an die Erkennbarkeit sollten im Sinne eines effektiven Verbraucherschutzes aber nicht zu hoch angesetzt werden. Dieser Ansicht scheint auch der EuGH zu sein, der zur Illustrierung der Nicht-Erkennbarkeit der Verbrauchereigenschaft gerade keine Beispiele mit „neutraler“ Erscheinung der natürlichen Person nennt, sondern Fälle, die einen Bezug zur beruflich-gewerblichen Tätigkeit objektiv betrachtet deutlich nahe legen (Rn. 52). 44 EuGH, Urteil vom 03.07.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337, Francesco Benincasa ./. Dentalkit Srl, Rn. 16; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 385 f.; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 19; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 41; Paulus, ZZP Int. 21 (2016), 199 (223).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
b) Arbeitnehmer Grundsätzlich sieht der EuGH eine Nutzung zu privaten Zwecken bei Verträgen als gegeben an, die eine natürliche Person „ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch“ zu decken.45 Unter diese Definition fällt – anders als nach dem deutschen Verständnis in § 13 BGB – nicht der Arbeitnehmer.46 Dagegen wird eingewandt, dass sich der unselbstständige Arbeitnehmer in einer deutlich schwächeren Position befinde und aufgrund des Schutzzwecks des Art. 6 Rom I-VO erfasst sein müsse.47 Auch wenn der Hinweis auf das Schutzbedürfnis berechtigt sein mag, erscheint ein solches Ergebnis de lege lata doch zweifelhaft. Der EuGH hat sich dazu zwar nicht explizit geäußert, jedoch wird an mehreren Stellen ein Verständnis erkennbar, welches den Arbeitnehmer nicht vom Verbraucherbegriff umfasst. So führt der EuGH als Beispiel einer beruflich-gewerblichen Nutzung den Fall an, dass eine Person „Gegenstände bestellt, die tatsächlich der Ausübung ihres Berufes dienen können“.48 Bei einem Kauf von Arbeitsmaterialien besteht gerade ein enger Bezug zur beruflichen Tätigkeit und beschränkt sich nicht auf selbstständig Tätige. Zudem hat der EuGH wiederholt deutlich gemacht, dass der Verbraucherbegriff eng auszulegen sei und kein Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gegeben sein dürfe; vielmehr sei erforderlich, dass die Kaufsache oder der in Anspruch genommene Dienst allein dem „Eigenbedarf beim privaten Verbrauch“ diene.49 Mit dieser Formulierung macht der EuGH deutlich, dass es für den Verbraucherbegriff im Sinne des Art. 17 Brüssel Ia-VO nicht auf die Frage der Selbstständigkeit ankommt, sondern darauf, dass die private 45
EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rn. 36; so schon Urteil vom 03.07.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337, Francesco Benincasa ./. Dentalkit Srl, Rn. 17. 46 Ebenso v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 404 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 23; Mankowski, ZVglRWiss 105 (2006) 120, 146 ff.; a.A. Calliess, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome I Regulation Art. 6, Rn. 25; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 24; Limbach, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 6, Rn. 17; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 43 f.; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 15; Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozeßrecht, 2006, S. 95 ff.; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 14. 47 Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 24; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 44; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 14. 48 EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rn. 52. 49 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-208/18, ECLI:EU:C:2019:825, Jana Petruchová ./. FIBO Group Holdings Limited, Rn. 42.
A. Der Plattformvertrag
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Sphäre nicht verlassen wird. Bei der beruflichen Tätigkeit kann man jedoch nur noch schwerlich einen „privaten Verbrauch“ erkennen. Daraus folgt, dass angesichts der bisherigen Rechtsprechung des EuGH der unselbstständige Arbeitnehmer nicht als Verbraucher anzusehen ist. Ob dieses Ergebnis wünschenswert ist, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Soziale Medien wie LinkedIn oder Xing dienen der Schaffung beruflicher Netzwerke und der beruflichen Kontaktpflege und können zur Arbeitsstellensuche genutzt werden.50 Bei diesen Verwendungszwecken liegt ein starker beruflicher Bezug vor, welcher auch an der Selbstdarstellung der Nutzer zu erkennen ist. Fotos vom letzten Urlaub oder der Familienfeier wird man, wenn überhaupt, nur vereinzelt finden. Dafür präsentieren sich die Nutzer typischerweise mit Bewerbungs- oder Passbildern. Das Profil eines jeden Nutzers entspricht einem mehr oder weniger ausführlichen Lebenslauf. Auch wenn die Kommunikationsfunktionen jenen eines allgemeinen Netzwerks wie Facebook nahekommen, sind die Inhalte und Absichten berufsbezogen. Somit dient der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit einer Karriereplattform wie LinkedIn oder Xing grundsätzlich beruflichen und nicht privaten Zwecken. Dem steht nicht entgegen, wenn ein Vertrag mit einer solchen Plattform erst einer beruflichen Tätigkeit in der Zukunft dienen soll.51 Folglich handelt es sich bei Plattformverträgen über die Nutzung eines Karrierenetzwerks grundsätzlich nicht um einen Verbrauchervertrag.52 Dieses Ergebnis wird allerdings in Zweifel gezogen, sobald sich die Karriereplattformen entgegen der offiziellen Ausrichtung auch einer privaten Nutzung öffnen. Dies ist derzeit bei den einschlägigen Plattformen aber zu beobachten. So regeln die Nutzungsbedingungen von Xing: „Angesichts des zunehmenden Verschwimmens der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben und der Wechselwirkungen zwischen beiden, konzentriert sich XING dabei nicht
50 Nutzungsvereinbarung LinkedIn: „LinkedIn hat es sich zur Aufgabe gemacht, Fachund Führungskräfte weltweit miteinander zu vernetzen, um ihnen zu noch mehr Produktivität und Erfolg zu verhelfen. Unsere Dienste sind darauf ausgerichtet, unseren Mitgliedern wirtschaftliche Möglichkeiten zu erschließen, indem wir Ihnen und Millionen anderen Fach- und Führungskräften die Möglichkeit geben, sich zu treffen, Ideen auszutauschen, Neues zu lernen, berufliche und geschäftliche Chancen zu entdecken, Mitarbeiter zu finden und Entscheidungen in einem zuverlässigen Netzwerk zu treffen.“ (); Nutzungsvereinbarung XING: „XING ist ein Dienst, der den Zweck verfolgt, durch eine Vielfalt unterschiedlicher Anwendungen zur Verbesserung und Vereinfachung des Berufslebens des Nutzers beizutragen.“ (unter 1.1, ). 51 So der EuGH zu zukünftigen Tätigkeiten, Urteil vom 03.10.2019 – C-208/18, ECLI: EU:C:2019:825, Jana Petruchová ./. FIBO Group Holdings Limited, Rn. 43. 52 Datenschutzrechtliche Vorschriften sind selbstverständlich weiterhin anwendbar, weil diese alle natürlichen Personen schützen, vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 1 DSGVO.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
ausschließlich auf den professionellen Kontext, sondern bezieht auch Anwendungen im privaten Kontext mit ein.“53
Auch bei LinkedIn ist eine Öffnung zur privaten Nutzung hin zu beobachten; die Gestaltung des Kommunikationsangebots entwickelt sich dahin, auch zur Angabe von Informationen, die aus dem privaten Bereich stammen, oder zur politischen Diskussionen einzuladen.54 Sobald sich ein berufliches Netzwerk aber einer privaten Nutzung öffnet, ist nicht bereits aus den objektiven Umständen ersichtlich, zu welchem Zweck der Vertrag geschlossen wurde. Daher ist der individuelle Plattformvertrag anzuschauen, um feststellen zu können, ob eine private oder beruflich-gewerbliche Nutzung beabsichtigt ist. c) Schutzbedürftigkeit Ein weiteres Problem des Verbraucherbegriffs ist die Frage, ob es auf die Schutzbedürftigkeit der konkreten Person ankommt. Die Sonderanknüpfung für Verbraucher hat zwar zum Ziel, das strukturelle Ungleichgewicht durch Wissens- und Erfahrungsnachteil eines Verbrauchers zu verringern. Ob eine konkrete Person tatsächlich schutzbedürftig ist, ist aber nicht entscheidend; es kommt allein auf den Zweck des Vertrags und die daraus folgende objektive Schutzbedürftigkeit an.55 Nicht ausgeschlossen ist daher, dass eine Person in verschiedenen Verträgen einmal als Unternehmer und ein anderes Mal als Verbraucher einzuordnen ist.56 Dies hat der EuGH in der Rechtssache Schrems II bestätigt. Er entschied, dass die Verbrauchereigenschaft auch dann nicht verloren geht, wenn ein Facebook-Nutzer sich aktiv gegen die Datenschutzpolitik von Facebook einsetzt und daher ein umfassendes Wissen über das Vorgehen und die Arbeitsweise eines sozialen Netzwerks als auch über 53
Unter 1.2, . So äußert Heck: „die Grenze zu Nicht-Business-Themen verschwimmt immer mehr.“, abrufbar unter „Warum LinkedIn sich an Facebook annähert und doch ganz anders ist“, 31.07.2019, ; siehe auch Fritz, LinkedIn: Das Facebook für Geschäftskontakte?, 18.01.2020, ; gerade in den berufsbezogenen Plattformen sei die Grenze zwischen privat und beruflich fließend, so Golland, ZD 2020, 397 (397). 55 EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU:C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, Rn. 38 ff.; Urteil vom 02.04.2020 – C-500/18, ECLI:EU:C:2020:264, AU ./. Reliantco Investments LTD, Rn. 47; Urteil vom 03.10.2019 – C-208/18, ECLI:EU:C:2019:825, Jana Petruchová ./. FIBO Group Holdings Limited, Rn. 54 ff.; Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rn. 36; Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 29 f.; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 389. 56 EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU:C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, Rn. 29. 54
A. Der Plattformvertrag
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die eigenen Rechte hat.57 Im konkreten Fall kam hinzu, dass der EuGH in einer gegenteiligen Entscheidung die effektive Verteidigung der Verbraucherrechte beeinträchtigt gesehen hatte.58 d) Quantitative Kriterien Für Plattformen, die, wie beispielsweise Ebay, der Vertragsvermittlung dienen, werden häufig quantitative Kriterien für die Bestimmung des Nutzungszwecks angewendet. Meist handelt es sich um die Anzahl der Angebote des fraglichen Nutzers über einen bestimmten Zeitraum und den damit erzielten Umsatz.59 Das lässt sich allerdings nicht übertragen auf sonstige Plattformen. Soziale Medien, die wie Facebook oder Instagram allein auf die Nutzerkommunikation ausgerichtet sind, regen zu häufigen und vielseitigen Veröffentlichungen an. Allein aus der Häufigkeit der Nutzung oder der Anzahl der Veröffentlichungen lässt sich daher nicht auf den Zweck des Plattformvertrags schließen. So hat auch der EuGH erst jüngst entschieden, dass die Regelmäßigkeit, mit der die im Vertrag versprochene Dienstleistung in Anspruch genommen wird – im konkreten Fall ging es um eine tägliche Durchschnittsnutzung von neun Stunden –, für sich genommen nicht ausreichen, um die Verbrauchereigenschaft auszuschließen.60 e) Gemischte Vertragszwecke Problematisch bei der Bestimmung der Verbrauchereigenschaft ist ein Vertrag, der sowohl zu privaten als auch zu beruflichen Zwecken geschlossen wird (sog. dual-use). Für das IZVR entschied der EuGH, dass die Verbrauchereigenschaft nur dann angenommen werden könne, wenn der beruflich-
57 EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 39; so schon Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 56; zust. Krüger/Stüllein, VuR 2018, 216 (217); Lutzi, MJ 25 (2018), 374 (380); Mankowski, EWiR 2017, 223 (224); T. Pfeiffer, LMK 2018, 405956, weist darauf hin, dass auch eine Nebentätigkeit als Buchautor und Vortragsredner unternehmerischer Natur seien; zweifelnd Rechberger, ZfRV 2017, 222 (229 ff.). 58 EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 40; zust. Schmitt, EuZW 2018, 199 (200); in diese Richtung auch schon OGH, Beschluss vom 20.07.2016 – 6 Ob 23/16z, GRUR Int. 2016, 1173 (1175). 59 Siehe die Übersicht bei Domurath, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat, 2017, S. 103 (115 ff.). 60 EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU:C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, Rn. 46.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
gewerbliche Zweck eine völlig untergeordnete Rolle spiele.61 Die Anwendung dieser Formel im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO wird meist befürwortet.62 Andere halten hingegen auch nach der Entscheidung Gruber daran fest, dass im IPR, anders als im IZVR, eine Schwerpunktbetrachtung vorzunehmen sei.63 Zur Begründung wird angeführt, dass das Ziel der Norm eines effektiven Verbraucherschutzes das Postulat der engen Auslegung einer Ausnahmevorschrift überwiege.64 Außerdem sei die Konsequenz, dass ein fremdes Recht zur Anwendung käme, nicht so beeinträchtigend, wie im Ausland verklagt zu werden; daher müsse im IPR nicht der Entscheidung Gruber gefolgt werden.65 Diese Ansicht entspricht dem Verständnis im materiellen Verbraucherrecht, wonach eine Verbraucherqualifikation erst bei Überwiegen des beruflich-gewerblichen Zwecks ausscheidet.66 In sozialen Medien ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass private und gewerblich-berufliche Zwecke vermischt werden, wie die folgenden Beispiele zeigen werden. Dies stellt das bisherige Verständnis von dual-use vor neue Herausforderungen. Nicht denkbar ist, dass nur einzelne Aktionen auf einer Plattform dem Schutz des Verbraucherstatuts unterstellt werden und andere nicht oder Haftungsfragen für einzelne Beiträge nach unterschiedlichen Rechtsordnungen zu beurteilen sind.67 Stattdessen ist der Plattformvertrag in seiner Gesamtheit dahingehend zu untersuchen, ob es sich um einen
61 EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rn. 39; bestätigend: Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI: EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 34, 42. 62 Calliess, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome I Regulation Art. 6, Rn. 32; Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 24; Kluth, Die Grenzen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, 2009, S. 267; Loacker, JZ 2013, 234 (240); Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 (55 f.); Ragno, in: Ferrari/Leible, 2009, S. 129 (135 f.); Rühl, GPR 2013, 122 (125); Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 22. 63 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 410 ff.; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 24; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 47, Mankowski, IPRax 2005, 503 (505 ff.); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 20; wiederum Limbach, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 6, Rn. 21, spricht sich für ein Wahlrecht qua Auftrittswirkung nach außen aus; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 411, sehen die Gruber-Entscheidung durch die Verbraucherrechterichtlinie auch für das IPR revidiert. 64 Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 24; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 47; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 20. 65 U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 47. 66 ErwGr. 17 Verbraucherrechte-RL. 67 So implizit auch der EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 25 ff.
A. Der Plattformvertrag
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Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Rom I-VO handelt. Die wichtigsten Problemfälle werden im Folgenden genauer besprochen. aa) Problemfall 1: Der Beruf als Teil der Persönlichkeit Eine wesentliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass soziale Medien ihre Nutzer häufig dazu einladen und motivieren, ihr Leben und ihre Persönlichkeit umfassend darzustellen. Davon ist zwangsläufig auch das Berufsleben umfasst. Beispielhaft kann daher das fiktive Beispiel einer Doktorandin genommen werden, die ihre Facebook-Freunde an ihren Erfahrungen als Doktorandin – beispielsweise einer Tagungsteilnahme – teilhaben lässt. Während man bei Berichten über den persönlichen Umgang mit der Tätigkeit noch unproblematisch den privaten Zweck der Kommunikation mit Freunden und Bekannten annehmen kann, ist die Darstellung konkreter beruflicher Leistungen schon weniger eindeutig. Wenn zum virtuellen Bekanntenkreis auch Kontakte aus dem beruflichen Umfeld gehören und beispielsweise eigene Veröffentlichungen gezielt beworben werden, ist ein Hoffen auf berufliche Vorteile erkennbar. Hier ist zweifelhaft, ab welchem Ausmaß solchen Verhaltens eine private Nutzung ausgeschlossen ist. Ein Hauptproblem bei der Anwendung des Verbraucherbegriffs auf soziale Medien ist daher, ob die Nutzung noch rein privaten Zwecken zugeordnet werden kann, wenn Berührungspunkte zu beruflichen Themen bestehen.68 Generalanwalt Bobek schlug vor, dass nicht jeder Bezug zu beruflichgewerblichen Tätigkeiten einen privaten Zweck ausschließe, sondern unmittelbare Folgen für diese beruflich-gewerbliche Tätigkeit erkennbar sein müssten. Demnach verfolge eine unternehmerische Tätigkeit ein „unmittelbares kommerzielles Ziel“ oder eine „unmittelbare kommerzielle Auswirkung […] in dem Sinne, dass eine strukturierte und gewinnträchtige Betätigung der ausschlaggebende Zweck einer solchen Nutzung sein muss“.69 Nicht erforderlich sei aber, dass der fragliche Vertrag unmittelbar zu vermögenswerten Einnahmen führe.70 Der Ansatz des Generalanwalts überzeugt, weil dieser beschriebene Unmittelbarkeitszusammenhang dem Umstand Rechnung trägt, dass die Unterscheidung von Verbraucher und Unternehmer nicht allein nach Inhalten, sondern anhand der dahinterstehenden Zweckrichtung erfolgen soll. Eine (anteilige) beruflich-gewerbliche Nutzung liegt daher nicht schon dann vor, wenn ein Nutzer in sozialen Medien Inhalte mit Bezug zu seinem Berufsleben veröffentlicht oder sein Bekanntennetzwerk im Allgemeinen pflegt. Selbst wenn der Zweck solcher Aktionen auch die Hoffnung ist, auf diesem Wege 68 Siehe auch die Beispiele in Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI: EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 46 f. 69 Ebd., Rn. 59. 70 Ebd., Rn. 31.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
eventuell langfristige berufliche Vorteile erreichen zu können, handelt es sich nicht um konkrete berufliche Ziele. Wenn man hier die Parallele zum Kauf von Werkzeug, das beruflich-gewerblichen Zwecken dient,71 zieht, ist gerade keine vergleichbar unmittelbare Verbindung zur beruflichen Tätigkeit gegeben. Daher sind die in diesem Abschnitt beschriebenen Fälle der rein privaten Nutzung zuzuordnen. Diese Beurteilung ändert sich erst dann, wenn Handlungen des Nutzers im sozialen Netzwerk unmittelbar konkreten beruflich-gewerblichen Zielen dienen. Dazu würde zum Beispiel Werbung für konkrete Verkaufsangebote gehören. Ab welcher Häufigkeit solche Tätigkeiten zum Verlust der Verbrauchereigenschaft führen, bestimmt sich dann nach der allgemeinen Lösung zur dual-use-Problematik. bb) Problemfall 2: Influencer Ein weiteres Phänomen sind sog. Influencer. Darunter versteht man Nutzer sozialer Medien, deren Veröffentlichungen eine große Reichweite haben und die über diesen Kanal Produkte oder Dienstleistungen persönlich empfehlen.72 Auch hier überschneiden sich private und beruflich-gewerbliche Nutzung.73 (1) Beschreibung Typischerweise präsentiert ein Influencer umfangreich sein (inszeniertes) Leben, lässt seine Follower am dargestellten Leben teilhaben und kreiert so eine persönliche Bindung. Zum Geschäftsmodell wird diese umfangreiche Selbstdarstellung dann, wenn dabei verschiedene Marken und Produkte präsentiert werden, wofür die jeweiligen Hersteller die Influencer monetär oder durch Überlassung der Produkte vergüten. Der Erfolg dieses Geschäftsmodells folgt aus der hohen Glaubwürdigkeit und Authentizität der darstellenden Person und dem zielgruppengenauen Einfluss.74 Gelegentlich nutzen Influencer ihren Einfluss auch, um auf politische oder gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen oder ihre persönliche Meinung dazu zu vertreten.75 Ihre Reichweite, gemessen an der Zahl ihrer Follower, ist typischerweise, aber nicht zwingend sehr groß. Nicht ungewöhnlich sind allerdings auch 71
Siehe oben S. 52–54. Lohse, in: Weber, 27. Ed. 2021, „Influencer“. Zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Influencer siehe Jaworski/Kraetzig, GRUR-Prax 2020, 302 (303 f.). 73 Die Grenze sei „unsichtbar“ (Wesche, jM 2020, 2(3)) oder „fließend“ (Frank, GewArch 2020, 177 (179)). 74 LG Berlin, Urteil vom 24.05.2018 – 52 O 101/18, MMR 2018, 543, Rn. 17, 22; BTDrs. 19/19320, S. 78; Mallick/D. Weller, WRP 2018, 155 (155); Troge, GRUR-Prax 2018, 87. 75 BT-Drs. 19/19320, S. 79. 72
A. Der Plattformvertrag
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Influencer, die zwar einen vergleichsweise kleinen Kreis von Followern haben, aber dafür thematisch sehr spezifisch ausgerichtet sind.76 Im Alltag insbesondere junger Menschen sind Influencer sehr präsent. So gaben 44% der 16–24-jährigen in einer Umfragegruppe an, mehrmals täglich in Kontakt mit Influencern zu kommen, bei 27% sei das zumindest einmal pro Tag der Fall.77 43% dieser Altersgruppe haben basierend auf der Empfehlung eines Influencers eine Kaufentscheidung getroffen.78 Ein Influencer ist erfolgreich, wenn die Follower ihn für authentisch halten und eine persönliche Bindung zu ihm aufbauen. Dementsprechend umfasst die Tätigkeit als Influencer nicht nur die Produktpräsentation und dessen Bewerbung, sondern auch Selbstdarstellung und Beziehungspflege. Zwar ist der Ausbau des eigenen Internetauftritts typisch für alle Nutzungsformen in sozialen Medien. Hier nimmt dies aber eine besonders ausgeprägte Form an und wird Teil einer beruflichen Tätigkeit. Veröffentlichungen privater Inhalte sind Teil des Berufskonzepts „Influencer“.79 Während im zuvor dargestellten Beispiel der Doktorandin berufliche Inhalte zu privaten Zwecken eingesetzt werden, werden im Fall der Influencer also eigentlich private, persönliche Inhalte zu beruflichen Zwecken in sozialen Medien verwendet. Auch hier erfolgt eine Vermischung der Inhalte. Viele große und bekannte Influencer lassen sich eindeutig der beruflichgewerblichen Nutzung zuordnen. Beispielsweise verdient Bianca Claßen (BibisBeautyPalace) für angeschaute Videos auf YouTube, Werbeverträge, sog. Affiliate Links und ihre eigene Produktlinie geschätzt 70.000 Euro monatlich.80 Jenseits davon gibt es aber einen großen Graubereich. Probleme bei der Abgrenzung bereiten insbesondere Nutzer, die ihr bislang privat genutztes Profil so ausbauen möchten, dass sie für Agenturen und Unternehmen als Influencer in Betracht kommen können.81 Sie könnten als Existenzgründer aus dem Bereich des Verbraucherschutzes fallen. Noch weiter gehen Nutzer sozialer Medien, die den Eindruck erwecken wollen, für ihre Veröffentlichungen von Unternehmen vergütet zu werden, ohne dass dies tatsächlich der Fall wäre (sog. angemaßte Influencer).82 76
Wesche, jM 2020, 2(2). Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V., Digital Trends – Umfrage zum Umgang mit Influencern, , S. 6. 78 Ebd., S. 9. 79 Ruess/Bredies, WRP 2020, 18 (23). 80 Stand 27.05.2021, . 81 Dazu Wesche, jM 2020, 2 (2). 82 Dazu LG München I, Urteil vom 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MMR 2019, 544, Rn. 54; Borsch, MMR 2018, 127; Leeb/Maisch, ZUM 2019, 29 (39); Willems, MMR 2018, 707 (709). 77
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Kapitel 2: Vertragsstatut
(2) Kennzeichnungspflicht von Werbung Rechtsprechung und Lehre haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit Influencern – insbesondere hinsichtlich einer Kennzeichnungspflicht von Werbung – befasst.83 Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung ist, dass ein geschäftlicher Charakter im Sinne des UWG gegeben sein kann, auch wenn die Handlung rein äußerlich privat und persönlich wirkt.84 Einigkeit besteht darin, dass bei einer Gegenleistung für das Präsentieren und Bewerben von Produkten oder Dienstleistungen eine Kennzeichnungspflicht besteht.85 Doch auch ohne Gegenleistung haben Gerichte eine kennzeichnungspflichtige kommerzielle Handlung angenommen.86 Vermehrt wird außerdem entschieden, dass die kommerzielle Handlung auch in der Eigenwerbung liegen kann,
83 Maßgeblich dafür ist nunmehr § 5a Abs. 4 UWG. Die bisherige Rechtsprechung erging zu § 5a Abs. 6 UWG a.F., wonach der kommerzielle Zweck einer geschäftlichen Handlung kenntlich gemacht werden muss, und § 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang Nr. 11 UWG, wonach als Information getarnte Werbung unzulässig ist, sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG, welcher Diensteanbieter dazu verpflichtet, kommerzielle Kommunikation als solche zu kennzeichnen, und §§ 58, 7, 8 RStV, welche Erkennbarkeit von Werbung forderten sowie das Trennungs- und Kennzeichnungsgebot postulierten. Überblick zum Umgang mit werbenden Influencern in anderen Rechtsordnungen bei Riefa/Clausen, EuCML 2019, 64 (69 ff.). Daneben werden Herausforderungen für das Gewerberecht (Frank, GewArch 2020, 177 (177 ff.)) und Steuerrecht (Homuth, NWB 2018, 1891) genannt. Zur Haftung gem. §§ 311 Abs. 3, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB siehe Benz/Kohler, ZfPW 2020, 490. 84 Z.B. BGH, Urteil vom 09.09.2021 – I ZR 90/20, GRUR-RS 2021, 26642, Rn. 43; Urteil vom 09.09.2021 – I ZR 126/20, GRUR-RS 2021, 26632, Rn. 34; KG, Beschluss vom 11.10.2017 – 5 W 221/17, MMR 2018, 98, Rn. 14 f.; OLG Celle, Urteil vom 08.06.2017 – 13 U 53/17, MMR 2017, 769, Rn. 7; LG Hagen, Urteil vom 13.09.2017 – 23 O 30/17, MMR 2018, 106, Rn. 21; Mallick/D. Weller, WRP 2018, 155 (158). 85 OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 – 2 U 89/18, MMR 2019, 467, Rn. 14; OLG Celle, Urteil vom 08.06.2017 – 13 U 53/17, MMR 2017, 769, Rn. 7; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.10.2019 – 6 W 68/19, ZUM 2020, 345 (345 f.); Beschluss vom 28.06.2019 – 6 W 35/19, ZUM-RD 2020, 64 (65); KG, Urteil vom 08.01.2019 – 5 U 83/18, ZUM-RD 2019, 135 (137); Beschluss vom 11.10.2017 – 5 W 221/17, MMR 2018, 98, Rn. 14; Klickermann, MMR 2020, 150 (154); M. Köhler, ZUM 2020, 294 (295); Leeb/Maisch, ZUM 2019, 29 (33); Ruess/Bredies, WRP 2020, 18 (22). 86 OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 – 2 U 89/18, MMR 2019, 467, Rn. 14; LG Heilbronn, Urteil vom 08.05.2018 – 21 O 14/18 KfH, BeckRS 2018, 18453, Rn. 36; LG Köln, Urteil von 21.07.2020 – 33 O 138/19, ZVertriebsR 2020, 314. Das LG Berlin bejahte eine geschäftliche Handlung zur Förderung fremden Wettbewerbs in einem Fall ohne Entgelt aufgrund der professionellen Präsentation der Produkte, was ein privates Handeln ausschließe, Urteil vom 24.05.2018 – 52 O 101/18, MMR 2018, 543, Rn. 19 f.; H. Köhler, WRP 2020, I, Nr. 04; a.A. Zurth/Pless, GRUR-RR 2019, 335 (336); die Entgeltlichkeit sei irrelevant wegen der immer betriebenen Eigenwerbung, so Wesche, jM 2020, 2 (5).
A. Der Plattformvertrag
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also darin, dass ein Influencer durch Selbstdarstellung sich selbst bewirbt.87 In diesen Fällen kann die Kennzeichnungspflicht aber entfallen, weil sich der kommerzielle Charakter schon aus den Umständen ergibt.88 Nach der jüngsten Gesetzesänderung liegt kein kommerzieller Zweck und damit keine Kennzeichnungspflicht gem. § 5a Abs. 4 UWG n.F. vor, „wenn der Handelnde kein Entgelt oder keine ähnliche Gegenleistung für die Handlung von dem fremden Unternehmer erhält oder sich versprechen lässt. Der Erhalt oder das Versprechen einer Gegenleistung wird vermutet, es sei denn der Handelnde macht glaubhaft, dass er eine solche nicht erhalten hat.“89
(3) Anwendung auf Art. 6 Rom I-VO Wenn man nun die rechtliche Aufarbeitung des Influencer-Marketings aus dem Bereich der kennzeichnungspflichtigen Werbung für die Abgrenzung von Verbrauchern und Unternehmern im Sinne des Art. 6 Rom I-VO heranziehen möchte, sind die unterschiedlichen zugrundeliegenden Ziele der Rechtsbereiche – Wettbewerbsrecht einerseits und Kollisionsrecht andererseits – zu beachten.90 Die gesetzlichen Regelungen zur Kennzeichnung von Werbung dienen dem Schutz der Verbraucher, die durch die Beiträge irregeleitet werden könnten.91 Die Verbrauchereigenschaft im Sinne des Art. 6 Rom I-VO hingegen betrifft das Innenverhältnis zwischen Plattform und Nutzer und das darin möglicherweise angelegte strukturelle Ungleichgewicht. Wesentlich ist vor allem, dass die bisher ergangenen Urteile einzelne Veröffentlichungen betreffen. Für die Frage der Verbrauchereigenschaft ist hingegen der Zweck hinter dem gesamten Plattformvertrag maßgeblich.92 Betrach-
87 BGH, Urteil vom 09.09.2021 – I ZR 90/20, GRUR-RS 2021, 26642, Rn. 39 ff.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.10.2019 – 6 W 68/19, ZUM 2020, 345 (346); KG, Urteil vom 08.01.2019 – 5 U 83/18, ZUM-RD 2019, 135 (136); LG Berlin, Urteil vom 24.05.2018 – 52 O 101/18, MMR 2018, 543, Rn. 22; LG Heilbronn, Urteil vom 08.05.2018 – 21 O 14/18 KfH, BeckRS 2018, 18453, Rn. 38 ff.; LG Karlsruhe, Urteil vom 21.03.2019 – 13 O 38/18, GRUR-RR 2019, 328, Rn. 33 ff.; LG München I, Urteil vom 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MMR 2019, 544, Rn. 39; zust. M. Köhler, ZUM 2020, 294 (296); Ruess/ Bredies, WRP 2020, 18 (23); Wesche, jM 2020, 2 (5); a.A. Zurth/Pless, GRUR-RR 2019, 335 (336). 88 BGH, Urteil vom 09.09.2021 – I ZR 125/20, Rn. 33 ff.; LG München I, Urteil vom 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MMR 2019, 544, Rn. 41; Radtke/Camen, WRP 2020, 24 (26 f.). 89 Zur Neuregelung siehe z.B. Leeb, jurisPR-ITR 13/2021 Anm. 2. Kritisch dazu Laukemann, jM 2021, 354 (358 ff.). 90 Zum Verhältnis zu §§ 13, 14 BGB siehe Willems, MMR 2018, 707 (708 ff.). 91 Radtke/Camen, WRP 2020, 24 (25). 92 In diese Richtung bereits OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.10.2019 – 6 W 68/19, ZUM 2020, 345 (346).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
tungsgegenstand sind daher nicht einzelne Veröffentlichungen, sondern der Gesamtcharakter des Vertrags. (4) Maßgebliche Abgrenzungskriterien Im Sinne der Rechtsklarheit wäre es zwar hilfreich, klare Kriterien – beispielsweise professionelle Fotografien – oder Schwellen – wie eine Mindestanzahl an Followern oder eine Mindestanzahl an produktbezogenen Veröffentlichungen in einem bestimmten Zeitraum – zu benennen, anhand derer man einen Influencer eindeutig identifizieren könnte. Eine solch eindeutige Grenzziehung ginge jedoch an der Realität vorbei und würde sich schnell als zu starr und unflexibel für zukünftige Entwicklungen erweisen.93 Denn einerseits ist klar, dass das Aufrüsten eines Profils und die intensive und professionalisierte Selbstdarstellung bereits einen stark beruflichen Charakter haben. Andererseits muss man berücksichtigen, dass mittlerweile schon mit normalen Fotobearbeitungsprogrammen schnell ein professioneller Eindruck erweckt werden kann.94 Professionelle und exzessive Selbstdarstellung und Suche nach Bestätigung sind bereits in der Machart sozialer Medien angelegt und führen nicht automatisch zu einem beruflich-gewerblichen Zweck. Statt rigider Kriterien hat daher eine wertende Gesamtbetrachtung der Aktivitäten in dem sozialen Netzwerk zu erfolgen. Im Folgen werden zentrale Gesichtspunkte dargestellt, die in diese Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Das Kriterium der Entgeltlichkeit ist, wie schon im Zusammenhang mit der Werbekennzeichnungspflicht gesehen, nur bedingt tauglich, um privates und beruflich-gewerbliches Handeln voneinander abzugrenzen, denn auch ohne Entgelt können kommerzielle Interessen dahinterstehen wie insbesondere auch bei der Eigenwerbung zur Erlangung eines künftigen Verdienstes.95 Auch ohne Entgelt kann es sich also um einen beruflich-gewerblich motivierten Influencer handeln. Wenn aber ein Nutzer sozialer Medien ein Entgelt irgendeiner Art von Dritten für seine Tätigkeiten in sozialen Medien bekommt, dann liegt zweifelsohne eine beruflich-gewerblich Zweckrichtung vor.96 Auch dann, wenn der Nutzer entgegen der Wahrheit den Eindruck vermittelt, dass er eine Vergütung für das Bewerben von Produkten erhalte, geht dies zu seinen Lasten. Dies entspricht dem üblichen Umgang mit Täuschungskonstellationen, wonach sich ein Verbraucher nicht auf seine Rechte
93
Die Bedeutung des konkreten Einzelfalls betonend Willems, MMR 2018, 707 (708 f.). OLG Celle, Urteil vom 08.06.2017 – 13 U 53/17, MMR 2017, 769, Rn. 17; Schonhofen/Detmering, WRP 2018, 1171, (1175). 95 H. Köhler, WRP 2020, I, Nr. 04; zur Eigenwerbung siehe Borsch, MMR 2018, 127 (127 f.). 96 So nun auch § 5a Abs. 4 UWG. 94
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berufen kann, wenn der Unternehmer berechtigterweise aus den Umständen schließen durfte, dass sein Gegenüber ebenfalls Unternehmer sei.97 Es ist auch mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbar, eine erkennbare Entgeltlichkeit als „hartes“ Kriterium anzunehmen. Zwar hat der EuGH zu Online-Pokerspielen entschieden, dass es der Verbrauchereigenschaft nicht entgegensteht, wenn der Spieler dabei beträchtliche Summen gewinnt.98 Allerdings ist diese Konstellation nicht mit der Tätigkeit von Influencern in sozialen Medien vergleichbar: Denn ein Influencer wird von Dritten dafür entlohnt, dass er auf eine Plattform in einer bestimmten Art tätig wird, wohingegen ein Pokerspieler aus einem Vertrag mit der Spieleplattform möglicherweise einen Gewinn ziehen kann, indem er die Dienstleistung der Plattform nutzt. Der EuGH war maßgeblich davon geleitet, das Ziel der Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände nicht zu beeinträchtigen.99 Beim Glücksspielen ist es erst im Nachhinein erkennbar, ob der Spieler einen Verlust oder einen Gewinn macht, sodass die Vorhersehbarkeit der internationalen Zuständigkeit beeinträchtigt wäre. Die Tätigkeit von Influencern hingegen beinhaltet kein solches Zufallselement, sondern planmäßiges und – bei entgeltlicher Tätigkeit – auch wirtschaftliches Vorgehen, sodass die Vorhersehbarkeit nicht beeinträchtigt ist. Daher ist es im Einklang mit der Auslegung des Verbraucherbegriffs durch den EuGH, bei einer entgeltlichen Tätigkeit als Influencer eine Qualifikation als Verbraucher abzulehnen. Ohne Entgelt für die Aktivitäten auf sozialen Medien kommt es darauf an, ob eine grundsätzliche Bereitschaft, Entgelt für die eigenen Tätigkeiten entgegenzunehmen, erkennbar ist und somit grundsätzlich ein berufliches Interesse besteht.100 Für eine Abgrenzung einer sehr motivierten Nutzung mit privaten Absichten von einer tatsächlichen Professionalisierung, die geeignet ist, eine Einkommensquelle zu eröffnen, sollte auf die vermittelte Ernsthaftigkeit des Vorhabens abgestellt werden. Insbesondere die hohe Dichte an Veröffentlichungen in professioneller Aufmachung sind aufgrund des Zeitaufwands ein starkes Indiz. Wie bereits dargestellt, muss dabei aber berücksichtigt werden, welcher Grad der Professionalisierung auch von privaten Nutzern unter Einsatz unterstützender Programme wie Bildbearbeitungsprogramme erreicht werden kann. Neben der Eröffnung einer Verdienstquelle durch Entgelt von Dritten kann eine beruflich-gewerbliche Nutzung sozialer Medien auch dann angenommen 97 EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rn. 51. 98 EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU:C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, Rn. 32 ff. 99 Ebd., Rn. 35. 100 OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 – 2 U 89/18, MMR 2019, 467, Rn. 14; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.10.2019 – 6 W 68/19, ZUM 2020, 345 (346).
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werden, wenn die Aktivitäten in engem Zusammenhang mit einer anderen Verdienstquelle stehen, beispielsweise wenn die eigene Marke oder eigene Produkte beworben werden, um den damit erzielten Umsatz zu steigern. In solchen Fällen, in denen Gerichte trotz Unentgeltlichkeit einen kommerziellen Charakter wegen Eigenwerbung angenommen haben, muss erst recht eine beruflich-gewerbliche Zweckrichtung im Sinne der Unternehmereigenschaft bejaht werden. Denn auch wenn solche Veröffentlichungen privat anmuten, dienen sie der Beziehungspflege zu den Followern, dem Ausbau der Reichweite und dem Gewinnen neuer Aufträge. Nach der Neufassung des § 5a Abs. 4 UWG entfällt zwar bei reiner Eigenwerbung die Kennzeichnungspflicht. Dies ist aber den speziellen Zielen des Wettbewerbsrechts geschuldet und kann nicht auf die Abgrenzung von Verbrauchern und Unternehmern übertragen werden. Die Gesamtbetrachtung sollte dann eindeutig zur Annahme beruflichgewerblicher Zwecke führen, wenn eigene Produkte wie eine eigene Kosmetiklinie beworben und angeboten werden.101 Ähnlich stark fällt die Verwendung eines Unternehmenskontos (im Rahmen der Angebote der Plattform) ins Gewicht.102 Ferner kann als Indiz für beruflich-gewerbliche Absichten gewertet werden, wenn neben einem öffentlich zugänglichem Profil noch ein weiteres privates besteht, das auf einen kleinen Personenkreis beschränkt ist.103 Auch die Inanspruchnahme einer Agentur104 spricht dafür, dass hier ein beruflicher Zusammenhang besteht oder eine berufliche Existenz aufgebaut werden soll. Die Anzahl der Follower selbst ist kein zwingendes Abgrenzungskriterium.105 Eine große Reichweite106 kann jedoch indizieren, dass die Veröffentlichungen nicht nur den Bekanntenkreis erreichen und daher ein über die private Kommunikation hinausgehender Zweck verfolgt wird. Umgekehrt schließt eine geringere Reichweite eine beruflich-gewerbliche Nutzung aber nicht aus, da Unternehmen vermehrt auch sog. Micro-Influencer nutzen, die
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OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.10.2019 – 6 W 68/19, ZUM 2020, 345
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Willems, MMR 2018, 707 (708). So auch LG München I, Urteil vom 29.04.2019 – 4 HK O 14312/18, MMR 2019, 544, Rn. 47. 104 ; . 105 Weiden, GRUR 2020, 361 (362). 106 Z.B. bibisbeautypalace: 7,7 Mio. Follower auf Instagram und 5,9 auf YouTube; Lisa and Lena: 16,6 Mio. auf Instagram und 13,6 Mio. Follower auf TikTok; jew. Stand November 2021. 103
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zwar eine geringe Reichweite haben, dafür aber sehr gezielt ein spezielles Publikum ansprechen können.107 (5) Fazit Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Selbstdarstellung – auch in exzessiver Form – in der Ausgestaltung von sozialen Medien bereits angelegt ist. Eine beruflich-gewerbliche Nutzung darf daher erst nach einer Gesamtschau der Netzwerkaktivtäten angenommen werden, die klar indiziert, dass sich der Nutzer bereits eine Verdienstquelle eröffnet hat oder eine tatsächlich realisierbare Absicht hat, sich in naher Zukunft eine solche zu eröffnen. Soweit die Gesamtschau zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, ist im Sinne des Schutzzwecks des Art. 6 Rom I-VO im Zweifelsfall eine private Nutzung anzunehmen. cc) Problemfall 3: Faktischer Zweckwandel im Dauerschuldverhältnis Die fließenden Grenzen zwischen privater und beruflicher Nutzung waren auch Thema vor dem EuGH in der Rechtssache Schrems II.108 Maximilian Schrems verwendete sein Facebook-Konto von 2008 bis 2011 ausschließlich zu privaten Zwecken. Seit 2011 bewarb er seine Aktivitäten wie Veröffentlichungen oder Veranstaltungen gegen die Datenschutzpolitik von Facebook über sein Nutzerkonto und zusätzlich über seine speziell für seine Aktivitäten eingerichtete Facebook-Seite. Mit seinen Vorträgen und Buchveröffentlichungen nahm er teilweise Geld ein, auch wenn es sich nicht um seine berufliche Haupttätigkeit handelte; die Aktivitäten hatten außerdem bereits einen größeren Umfang erreicht und wurden professionell organisiert. Neben der Schwierigkeit, private und berufliche Nutzung voneinander abzugrenzen, zeigt sich hier ein Problem, das aus der langfristigen Nutzungsdauer des Plattformkontos folgt: Der Nutzungszweck kann im Laufe der Zeit stark variieren. Das liegt teilweise daran, dass die Anbieter die Funktionen und Dienste weiterentwickeln und abändern, teilweise – wie im Fall vom Maximilian Schrems – an sich nach und nach wandelnden Gewohnheiten und Absichten des jeweiligen Nutzers. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn, wie eben gesehen, ein Influencer seinen Account ursprünglich privat genutzt hat, diesen dann aber für eine beruflich-gewerbliche Nutzung aufrüstet. Gerade dies war die Argumentation von Facebook im Fall Schrems II. Ein Zweck107 Weiden, GRUR 2020, 361 (362); siehe auch Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V., Umfrage zur Nutzung von Influencer Marketing, November 2018, , S. 8. 108 EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd. Angesprochen auch bzgl. eines Vertrags zum regelmäßigen Spielen von online-Poker: EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU: C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, Rn. 41 f.
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wandel ist aber auch in die andere Richtung denkbar, wenn ein Nutzungsvertrag ursprünglich zu beruflich-gewerblichen Zwecken geschlossen wird, dann aber doch die privaten Kontakte und Inhalte den deutlichen Großteil der Nutzung ausmachen. Dies zeigt, dass eine Änderung der Nutzungsart im Laufe der Zeit eine typische Erscheinung in sozialen Medien ist. Im Wesentlichen sind zwei Lösungen denkbar, die jeweils mit nicht unerheblichen Nachteilen verbunden sind. Ein Ansatz wäre, dass der verfolgte Zweck im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend sein soll, was mit dem Nachteil einherginge, dass bei einer späteren Zweckänderung eine nun beruflich-gewerblich Handelnde ungerechtfertigt in den Genuss des Schutzregimes des Art. 6 Rom I-VO käme bzw. im umgekehrten Fall einem Schutzbedürftigen der Schutz verwehrt würde. Der gegenteilige Ansatz wäre, dass sich der nachträgliche Zweckwandel auch noch nach Vertragsschluss auf die Frage des anwendbaren Rechts auswirken kann, was zu Rechtsunsicherheit bei Plattform und Nutzern führen könnte. Im Folgenden werden diese Lösungen zunächst für die internationale Zuständigkeit – hierzu erging die Entscheidung des EuGH – und anschließend für das IPR unter Berücksichtigung der Zielsetzungen der Rechtsbereiche untersucht. (1) Internationale Zuständigkeit Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit gem. Art. 18 Brüssel Ia-VO hat der EuGH obiter angemerkt, dass sich ein Nutzer, der bei Eingehen des Vertrags Verbraucher war, nicht mehr auf seine Verbrauchereigenschaft berufen könne, wenn seine Nutzung der Plattformdienste mittlerweile einen im Wesentlichen beruflich-gewerblichen Charakter erlangt habe.109 Auch Generalanwalt Bobek hatte in seinen Schlussanträgen vertreten, dass ein solch „dynamischer Ansatz“ für Verträge generell denkbar wäre, wenn der Vertrag für alle Zwecke offen sei und langfristig laufe und eine Zweckänderung eindeutig aus dem Sachverhalt hervorgehe.110 Gestützt werden kann diese Argumentation auf den Wortlaut des Art. 18 Brüssel Ia-VO, der gerade auf die Verbrauchereigenschaft im Zeitpunkt der Klageerhebung abstellt („Klage eines Verbrauchers“).111 Für das IZVR wäre damit bei langfristigen Verträgen ohne 109 EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 38; bestätigend EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU:C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, Rn. 41 f. 110 Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 39 ff.; zust. T. Pfeiffer, LMK 2018, 405956. 111 Paulus, ZZP Int. 21 (2016), 199 (217, 221 f.); Pitkowitz, ecolex 2018, 418 (420); Rechberger, ZfRV 2017, 222 (226); auch für den Wohnsitz wird in Art. 18 Brüssel Ia-VO auf den Zeitpunkt der Klageerhebung und nicht des Vertragsschlusses abgestellt, vgl. EuGH, Urteil vom 03.09.2020, ECLI:EU:C:2020:672 – C-98/20, mBank S.A. ./. PA,
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feste Zweckzuordnung nicht mehr der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern der Zeitpunkt der Klageerhebung relevant. Pitkowitz pflichtet dem im Blick auf das IZVR bei, denn es sei „untragbar“, wenn einem Unternehmer das Gerichtsstandprivileg zukomme, nur weil er ursprünglich Verbraucher war, während dieser Vorteil anderen Unternehmern nicht zugutekäme.112 Hierin liegt ein bedeutendes Argument: Ein statischer Ansatz birgt die Gefahr einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Auch T. Pfeiffer hält einen solchen dynamischen Ansatz für möglich, sieht den Grund dafür aber in einer stillschweigenden Vertragsänderung, wobei sich die Frage stelle, ob diese Änderung europäisch-autonom oder nach nationalem Vertragsrecht zu beurteilen sei.113 T. Pfeiffers Begründungsansatz scheint jedoch an der Realität vorbeizugehen. Zweifelhaft ist bereits, ob die individuellen Zwecke der Parteien Teil des Vertragsinhalts sein müssen. Jedenfalls geht es bei sozialen Medien häufig – und gerade beim Fall vor dem EuGH – um Verträge, die von vornherein offen gestaltet sind und bei denen der Nutzer die freie Wahl der Nutzungsmöglichkeiten hat; eine Vertragsänderung ist also gerade nicht erforderlich, um die Nutzungsform zu ändern. Gegen einen „dynamischen Ansatz“ wird der Wortlaut in Art. 17 Brüssel Ia-VO und Art. 6 Rom I-VO („zu einem Zweck geschlossen“) angeführt, denn dieser stelle eindeutig auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab.114 Zudem könne man davon ausgehen, dass die europäische Gesetzgebung Dauerschuldverhältnisse vor Augen hatte, wie man an den Sonderbestimmungen für Finanzierungsgeschäfte erkennen könne (Art. 17 Abs. 1 lit. b Brüssel IaVO, Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO), und dass er daher für Dauerschuldverhältnisse generell eine spezielle Regelung getroffen hätte, wenn er dies gewollt hätte.115 Haslach gibt zu bedenken, dass die Beweislast für die Verbrauchereigenschaft, die der potentielle Verbraucher zu tragen hätte, unverhältnismäßig sei, denn es würde schon genügen, dass der Unternehmer eine gewerblich-berufliche Nutzung für eine gewisse Dauer während Durchführung des Vertrags nachweise; hierin könne eine Verletzung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 GRCh) im Raum stehen.116 Stürner/ Wendelstein sehen bei einem dynamischen Ansatz die Rechtssicherheit beeinträchtigt.117 Auch die Gefahr des Missbrauchs wird angemahnt, denn spätere Rn. 36; Staudinger, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 18, Rn. 5, m.w.N. 112 Pitkowitz, ecolex 2018, 418 (419). 113 T. Pfeiffer, LMK 2018, 405956. 114 Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozeßrecht, 2006, S. 111; M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1090). 115 M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1089). 116 Haslach, CML Rev. 56 (2019), 559 (573 f.). 117 M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1090).
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Zweckwandel entzögen sich dem Einfluss und der Kenntnis des Vertragspartners.118 Für das IZVR ist dem EuGH zuzustimmen und ein dynamischer Ansatz grundsätzlich zu befürworten.119 Denn im Prozessrecht dienen die Art. 17–19 Brüssel Ia-VO dem Verbraucherschutz ab der Klageerhebung und während des andauernden Prozesses. Wenn ein Nutzer zwar Verbraucher war, es im Zeitpunkt der Klageerhebung aber nicht mehr ist, besteht kein Bedürfnis mehr, ihn durch die zuständigkeitsrechtlichen Vergünstigungen zu schützen.120 Dies entspricht auch dem Postulat der engen Auslegung des Verbrauchergerichtsstands des EuGH.121 Durch den eindeutigen Zeitpunkt der Klageerhebung ist dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit hinreichend Rechnung getragen. Die Gefahr des Rechtsmissbrauchs scheint eher gering, denn der Vertragszweck muss sich tatsächlich und überzeugend auf den privaten Bereich beschränken. Eine eindeutig private Nutzung setzt aber voraus, dass sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Stattdessen besteht viel eher eine Missbrauchsgefahr bei einer statischen Anknüpfung unter Berücksichtigung der Zwecke im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, weil sich der Nutzer so durch die anfängliche Nutzung rechtliche Privilegien sichern kann.122 Entgegen der Ansicht von Paulus123 muss der dynamische Ansatz auch dann gelten, wenn eine Klage tatsächliche Umstände vor dem Verlust der Verbrauchereigenschaft betrifft, sofern der Vertrag weiterhin läuft. Alles andere wäre inkonsequent, da das Hauptargument für den dynamischen Ansatz ja gerade die (fehlende) Schutzbedürftigkeit im Zeitpunkt der Klageerhebung ist. Haslach trifft insofern einen entscheidenden Punkt, als die Beweislast nicht unverhältnismäßig werden darf, um den Verbrauchergerichtsstand bei
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Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozeßrecht, 2006, S. 111, wobei sich ihre Betrachtung wohl ausschließlich auf einmalige Austauschverträge bezieht. 119 So auch schon Stellungnahme der EU-Kommission in der Verhandlung zu Schrems II, vgl. Blanc, EDPL 2017, 413 (415); Rechberger, ZfRV 2017, 222 (226); außerdem Krüger/Stüllein, VuR 2018, 216 (217); Paulus, NJW 2018, 987 (990); ders., ZZP Int. 21 (2016), 199 (218 ff.); Pitkowitz, ecolex 2018, 418 (419 ff.); wohl auch T. Pfeiffer, LMK 2018, 405956; a.A. OGH, Beschluss vom 20.07.2016 – 6 Ob 23/16z, GRUR Int. 2016, 1173 (1175); Stellungnahme der österreichischen Regierung in der Verhandlung zu Schrems II, vgl. Blanc, EDPL 2017, 413 (415); Haslach, CML Rev. 56 (2019), 559 559 (571 ff.); Mankowski, EWiR 2018, 351 (352); ders., EWiR 2017, 223 (224); Sachse, Der Verbrauchervertrag im Internationalen Privat- und Prozeßrecht, 2006, S. 110 f. 120 Krüger/Stüllein, VuR 2018, 216 (217); Paulus, ZZP Int. 21 (2016), 199 (219 f.); Pitkowitz, ecolex 2018, 418 (419 f.); Rechberger, ZfRV 2017, 222 (226). 121 Paulus, ZZP Int. 21 (2016), 199 (220). 122 Ebd.; ders., NJW 2018, 987 (990). 123 Ders., ZZP Int. 21 (2016), 199 (221).
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Dauerschuldverhältnissen nicht auszuhöhlen.124 Sofern man jedoch das Hauptargument für einen dynamischen Ansatz in der Frage nach der Schutzbedürftigkeit sieht, muss das nicht nur für den Verlust, sondern auch für den (Wieder-)Gewinn der Verbrauchereigenschaft gelten. Es kann daher nicht schon ausreichend sein, dass der Unternehmer eine kurzzeitige Unternehmereigenschaft des Nutzers während der Dauer des Vertrags nachweist, wenn im Folgenden der Account wieder rein privat genutzt wurde. Zu bedenken ist auch, dass der EuGH nicht jede gewerblich-berufliche Nutzung als ausreichend erachtet, sondern entscheidend sei, wofür der Account „im Wesentlichen“ genutzt werde. Die Schwelle für einen Verlust der Verbrauchereigenschaft ist daher sowohl hinsichtlich Dauer und Häufigkeit gewerblichberuflicher Nutzung sehr hoch anzusetzen. Denkbar wäre, die Entscheidung Gruber125 entsprechend heranzuziehen. Eine Umwidmung des Accounts hin zu einer gewerblich-beruflichen Nutzung wäre demnach etwa dann anzunehmen, wenn der private Zweck mittlerweile völlig untergeordnet ist.126 Entscheidend für die Beachtlichkeit eines Zweckwandels im Rahmen des Art. 17 Brüssel Ia-VO ist daher, dass der Nutzer seinen Account regelrecht umwidmet und dies auch eindeutig über einen längeren Zeitraum zu erkennen gibt. Eine nur kurzzeitige Vermischung von privaten und beruflichen Zwecken ist hingegen nicht ausreichend. (2) Anwendbares Recht Anders hingegen gestaltet sich die Frage des anwendbaren Rechts. Das Problem der Zweckänderung stellt sich nicht wie bei der internationalen Zuständigkeit nur punktuell bei Klageerhebung, sondern muss zu jedem Zeitpunkt des Bestehens des Vertragsverhältnisses zu beantworten sein.127 Zudem rechtfertigt es der unterschiedliche Wortlaut in Art. 18 Brüssel Ia-VO und Art. 6 Rom I-VO, eine unterschiedliche Behandlung der Problematik in IZVR und IPR zu wählen. Für einmalige Austauschverträge ist nach allgemeiner Meinung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen.128 Langfristige Verträge mit wiederkehrenden Leistungen wiederum werden hingegen meist
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Haslach, CML Rev. 56 (2019), 559 (573 f.). EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Johann Gruber ./. Bay Wa AG. 126 Ebenso Pitkowitz, ecolex 2018, 418 (420 f.). 127 Paulus, ZZP Int. 21 (2016), 199 (Fn. 122, S. 218); ähnlich Rechberger, ZfRV 2017, 222 (227). 128 U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 49; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 20; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/ Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 13. Zum materielle Recht siehe Micklitz, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 13, Rn. 36 ff. 125
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nicht gesondert problematisiert;129 ihre Handhabung ist daher weitestgehend offen. Ausgeschlossen ist, alternativ zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch im IPR den Zeitpunkt der Klageerhebung für maßgeblich zu erklären. Zum einen gibt der Wortlaut des Art. 6 Rom I-VO im Gegensatz zu Art. 18 Brüssel Ia-VO dazu keinen Anlass.130 Zum anderen könnte sonst die klagende Partei durch die Wahl des Zeitpunkts der Klageerhebung faktisch einseitig das anwendbare Recht für die gesamte Dauer des Vertrags wählen. Dies würde zu einem rückwirkenden Entzug des Verbraucherschutzes auch für die Zeit führen, in der die Voraussetzungen gegeben waren, was mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar ist.131 Wenn man daher nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellen kann, bleibt alleine die Option, dass im Zeitpunkt des Zweckwechsels sich auch das auf den Vertrag anwendbare Recht ändert.132 Zwar könnte man gegen einen solchen Ansatz grundsätzlich einwenden, dass dies zu tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des entscheidenden Moments und so zu Rechtsunsicherheit führe. Doch gerade in sozialen Medien ist das Verhalten digital vollständig erfasst und dadurch beispielsweise durch die Anzahl der Veröffentlichungen, Zeichenanzahl oder tatsächlich verbrachte Zeit messbar; das ermöglicht es, einzelne zeitliche Nutzungsabschnitte einer bestimmten Nutzungsart zuzuweisen. Zudem ist es zweifelhaft, ob eine dynamische Betrachtung der Vertragszwecke im Rahmen des Art. 6 Rom I-VO wirklich zu Rechtsunsicherheit führt. Für den Nutzer besteht keine Unsicherheit, weil er mit seinem Verhalten die tatsächliche Kenntnis des Nutzungszwecks hat. Hinsichtlich der Erkennbarkeit und des Vertrauensschutzes des Vertragspartners, also dem Plattformbetreiber, ist zu bedenken, dass es zumindest bei einem Wechsel von Verbraucher zu Unternehmer gerade im Interesse des Betreibers ist, dass der Verbraucherschutz im IPR ab dem entsprechenden Zeitpunkt entfällt. Auch Facebook hat im Fall Schrems II einen dynamischen Ansatz befürwortet und sich gerade nicht auf Vertrauensschutz und Rechtssicherheit berufen.133 Dies ist auch insofern naheliegend, weil Facebook seine 129 Aber v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 386; Rechberger, ZfRV 2017, 222 (227). 130 Mankowski, EWiR 2018, 351 (352). 131 Mit Verweis auf das damals noch anhängige Schrems-Verfahren Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 13. 132 Bei gewichtigen Änderungen befürwortend v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 386; eine Änderung des anwendbaren Rechts ex nunc ist jedenfalls anerkannt, wenn sie auf eine entspr. Rechtswahl zurückzuführen ist, vgl. v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 3, Rn. 95; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 79. 133 Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 37.
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Nutzungsmöglichkeiten sehr offen gestaltet und für Facebook im Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Regelfall nicht erkennbar ist, zu welchen Zwecken sich eine Person für das Netzwerk registriert. Das Risiko des unklaren Nutzungszwecks setzt das Netzwerk also selbst. Folglich bestehen auch im IPR bei Verträgen, die auf einen regelmäßigen Austausch gleichartiger Leistung gerichtet sind und für unterschiedliche Nutzungsformen offen sind, keine gravierenden Bedenken gegen einen dynamischen Ansatz Anders gelagert ist die Situation hingegen bei Plattformen, die den Nutzungszweck durch eine einseitige Ausgestaltung der Plattform auf konkrete Zwecke begrenzen oder durch ausdrückliche Abfrage der Absichten bei Vertragsschluss in Erfahrung bringen. Rechberger gibt zu bedenken, dass Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO den Verbraucher gerade wegen seiner geschwächten vorvertraglichen Verhandlungsposition schütze; diese werde aber naturgemäß nur bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses relevant und könne nicht durch spätere Zweckänderungen entfallen.134 Allerdings erschöpft sich der Zweck des Art. 6 Rom I-VO nicht im Ausgleich eines ehemaligen Verhandlungsungleichgewichts. Daneben möchte die Norm den Verbraucher generell vor unbekannten Rechtsordnungen und dem damit einhergehenden Risiko sowie den daraus entstehenden Kosten bewahren.135 Daher ist ein Vorteil eines dynamischen Ansatzes insbesondere, dass der Schutzzweck des Art. 6 Rom IVO maximal zur Geltung kommt, da der Nutzer nur so lange den Schutz des gewohnten „Heimatrechts“ genießt, wie er auch tatsächlich zu privaten Zwecken handelt. Zudem werden Manipulationsrisiken gerade gebannt, weil Nutzer ansonsten bei Vertragsschluss immer einen privaten Zweck vorgeben und sich so den Verbraucherschutz auch für eventuelle spätere gewerblichberufliche Nutzungen sichern könnten. dd) Zusammenfassung Die Beispiele zeigen, dass die Abgrenzung zwischen privater und beruflichgewerblicher Nutzung in sozialen Medien häufig Schwierigkeiten bereitet. Die Vermischung beruflicher mit persönlichen Inhalten ist typisch für soziale Medien. Die Verbrauchereigenschaft geht nicht bereits bei jedem Bezug zum Beruf verloren, sondern setzt eine Unmittelbarkeit zwischen abgeschlossenem Vertrag und Beruf im Sinne eines konkreten berufsbezogenen Zwecks sowie einen engen Zusammenhang mit Aussicht auf Vergütung voraus. Bei potentiellen Influencern ist der Einzelfall danach zu untersuchen, ob der Nutzer ein Entgelt für seine Tätigkeiten auf der Plattform erhält oder ernsthaft bereit wäre, ein solches entgegenzunehmen. Daneben ist ein Influencer auch dann Unternehmer, wenn er sich selbst bewirbt und dadurch einen engen Zusam134 135
Rechberger, ZfRV 2017, 222 (227). Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 2, 5.
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menhang zu seinen Verdienstmöglichkeiten außerhalb des Netzwerks herstellt. Bei Verträgen, die auf den wiederkehrenden Austausch gleichartiger Leistungen gerichtet sind und eine Nutzung ermöglichen, welche sowohl für gewerblich-berufliche als auch für private Zwecke offen ist, ist nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich bei laufenden Verträgen nach dem gegenwärtigen Nutzungszweck. Das auf einen solchen Vertrag anwendbare Recht ändert sich, sobald sich der Nutzungszweck tatsächlich und nachhaltig im Wesentlichen ändert, also der Plattformvertrag durch den Nutzer einseitig zu anderen Zwecken umgewidmet wird. f) Eigener Alternativvorschlag Die vorstehenden Problemfälle zeigen, dass eine Subsumtion unter den bestehenden Verbraucherbegriff möglich ist, aber erhebliche Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Natur aufwirft. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Unterscheidung zwischen Verbrauchern und Unternehmern implizit unterstellt, dass es klar identifizierbare Grenzen gibt. Die klassischen Grenzen verschwimmen aber bei der Nutzung sozialer Medien. Zwar kann man versuchen, auch für diesen Fall Abgrenzungskriterien zu entwickeln. Diese neigen aber zur Willkürlichkeit und Realitätsferne, denn eine klare Trennung von privaten und gewerblich-beruflichen Zwecken entspricht nicht der tatsächlichen Nutzung sozialer Medien. Die Vermischung von Zwecken und die ständige Weiterentwicklung der Plattformen führen zu der grundsätzlichen Frage, ob das Begriffspaar „Unternehmer“ und „Verbraucher“ für die Plattformindustrie überhaupt geeignet ist. Auch Generalanwalt Bobek stellte fest, dass „eine Reihe tatsächlicher Facebook-Nutzungen und -Nutzer […] sich […] dieser dualen Klassifizierung“ entzögen136 und die Nutzungsmöglichkeiten nicht schwarz-weiß seien, sondern es „fifty shades of (Facebook) blue“ gebe.137 Bedauernswert ist zudem, dass die verschwimmenden Nutzungsgrenzen die Rechtssicherheit beider Seiten eines Vertrags beeinträchtigen. Der aktuelle Verbraucherbegriff kann das Nutzungsverhalten auf sozialen Medien daher nicht angemessen erfassen, führt zu willkürlichen Abgrenzungen und zu einer hohen Komplexität der Subsumtion. Daher wird im Folgenden ein alternativer Ansatz vorgeschlagen, der eine Subsumtion erleichtern und so mehr Rechtsklarheit schaffen soll.
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Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 44. 137 Ebd., Rn. 46.
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aa) Unterschiedliche Benutzerkonten in sozialen Medien Ansatzpunkt des Alternativvorschlags ist, dass die Betreiber sozialer Medien die unterschiedlichen Zwecke ihrer Nutzer bereits zur Kenntnis genommen haben und daher häufig unterschiedliche Nutzungsformen für private oder gewerbliche Nutzung innerhalb der Plattform angeboten werden. Beispielsweise Pinterest unterscheidet zwischen einem Standard- und einem Unternehmenskonto. Letzteres ist laut Nutzungsbedingungen zwingend erforderlich, wenn die Plattform gewerblich genutzt werden soll.138 Es ist möglich, direkt ein Unternehmenskonto zu erstellen oder ein Standardkonto in ein solches umzuwandeln. Auch Instagram bietet ein Unternehmenskonto an, welches jedoch zunächst die Einrichtung eines Standardaccounts voraussetzt, der dann umgewandelt wird. Twitter bietet dagegen keine unterschiedlichen Nutzungsoptionen. Etwas komplizierter ist es bei Facebook. Die Plattform ermöglicht nur die Einrichtung eines Standardkontos. Zu diesem ist in den Vertragsbedingungen festgelegt, dass das öffentliche Erscheinungsbild des Kontos sich auf „persönliche Zwecke“ beschränken muss.139 Sobald gewerbliche oder geschäftliche Zwecke hinzukommen, müssen die „Bedingungen für die gewerbliche Nutzung“140 ergänzend akzeptiert werden.141 Weder ändert sich dadurch jedoch das Standardkonto noch wird ein zusätzliches Konto angelegt. Die gewerbliche Nutzung142 soll – abgesehen vom Schalten von Werbung – durch das Einrichten einer sog. Seite geschehen. Ähnlich wie ein privates Standardprofil kann diese Seite gestaltet, Kontakt zu Fans und Interessierten hergestellt, Eigenwerbung betrieben und seit neuestem um einen Facebookinternen Shop ergänzt werden. Über Facebook Insights können Daten über Seitenbesuche und die Reichweite der einzelnen Beiträge abgerufen werden. Zwar kann eine solche Seite von mehreren Personen verwaltet werden. Diese müssen aber zunächst ein privates Konto einrichten bzw. ihr vorhandenes privates Konto dafür verwenden. Im Verfahren Schrems II war streitig, ob die Einrichtung einer „Seite“ den Abschluss eines weiteren Vertrags mit Facebook voraussetzt oder ob die Registrierung für die Nutzung eines privaten Kontos und die darüber ermöglichte Einrichtung der „Seite“ Teil desselben
138 „Wenn du Pinterest zu gewerblichen Zwecken verwenden möchtest, erstelle ein Unternehmenskonto und stimme unseren AGB für Unternehmen zu.“, . 139 Unter 3.1, . 140 . 141 Unter 4.5.2, . 142 Weitere Informationen untern .
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Vertrags sind; die Frage konnte aber offenbleiben.143 Unabhängig davon können Nutzungen über die „Seite“ und jene, die über das persönliche Konto erfolgen, praktisch voneinander getrennt werden. Die Obergrenze für „Freunde“ auf Facebook liegt bei 5.000. Sobald diese Zahl erreicht ist, können keine weiteren Freunde hinzugefügt werden und Facebook erinnert den Nutzer regelmäßig daran, stattdessen eine Unternehmensseite einzurichten. bb) Lösungsmöglichkeiten Diese Unterscheidungen, die bereits von den Betreibern selbst angelegt sind, können auch für den Verbraucherbegriff fruchtbar gemacht werden. Zwei Lösungsansätze sind denkbar: Der strikte Ansatz wäre, dass jeder Nutzer eines Standardkontos unabhängig von der tatsächlichen Nutzung immer als Verbraucher gilt, sofern der Betreiber selbst eine abgrenzbare Nutzungsform für die beruflichgewerbliche Plattformnutzung vorsieht.144 Der Plattformbetreiber wäre im eigenen Interesse dazu angehalten, Nutzer, die ihr privates Konto auch zu beruflich-gewerblichen Zwecke nutzen, zum Anlegen eines Unternehmenskontos aufzufordern. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass die Voraussetzungen eines Verbrauchervertrags unkompliziert und eindeutig ermittelt werden könnten und daher insoweit Rechtssicherheit bestünde. Zwar würden dann auch Nutzer, die das soziale Netzwerk nicht im Wesentlichen zu privaten Zwecken nutzen, durch Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO privilegiert. Allerdings funktioniert der Verbraucherbegriff schon jetzt über die pauschale Behandlung verschiedener Gruppen, ohne sich die tatsächliche individuelle Schutzbedürftigkeit anzuschauen.145 Methodisch ist eine solche pauschale Klassifizierung dem Verbraucherbegriff daher nicht fremd. Eine schematische und pauschale Betrachtung ist zudem erforderlich, um Rechtsklarheit und -sicherheit zu schaffen und eine Anreicherung mit materiell-rechtlichen Erwägungen über Gebühr zu vermeiden.146 Auch der EuGH zeigt bei der Auslegung des Verbraucherbegriffs im Rahmen von Plattformverträgen einen eher großzügigen und pauschalen Ansatz, um Probleme der Vorhersehbarkeit und Klarheit zu vermeiden.147 Einzuwenden ist freilich, dass das Missbrauchspotential zulas143
Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 51 ff.; EuGH, Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 35 f. 144 Aus Gründen des Verbraucherschutzes seien Soziale-Medien-Verträge immer als Verbrauchervertrag zu qualifizieren, sobald der Nutzer auch private Motive hat, fordern Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Fn. 83. 145 Siehe oben S. 54 f. 146 Valdini, Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im Internationalen Vertriebsrecht, 2013, S. 268. 147 EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-774/19, ECLI:EU:C:2020:1015, A. B. und B. B. ./. Personal Exchange International Limited, insb. Rn. 35.
A. Der Plattformvertrag
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ten des Betreibers nicht unerheblich ist. Diese können jedoch durch die Gestaltung und Führung ihrer Plattform dem entsprechend entgegenwirken. Der mildere Ansatz wäre daher, die Verbrauchereigenschaft bei Standardkonten lediglich widerleglich zu vermuten. Die Schwelle für den Gegenbeweis durch den Betreiber ist dann jedoch hoch anzusetzen; erforderlich für die Unternehmereigenschaft muss sein, dass die Nutzung unmittelbar und ganz wesentlich dem finanziellen Zuverdienst dient. Sofern aber private Inhalte Teil der Plattformnutzung des jeweiligen Nutzers sind, ist die Widerlegung ausgeschlossen. Für diesen Ansatz spricht, dass Nutzer, die private Konten entgegen den Nutzungsvereinbarungen für eindeutig beruflichgewerbliche Zwecke nutzen, nicht den Vorteil des Verbraucherrechts genießen. Der bestehende Graubereich zwischen privater und gewerblichberuflicher Nutzung würde zulasten der Betreiber weitestgehend der privaten Nutzung zugeordnet. Dagegen könnte man einwenden, dass dieser Ansatz dem Postulat der engen Auslegung der Sonderanknüpfung des Art. 6 Rom IVO zuwiderliefe und Personen schützen würde, die nach der eigentlichen Konzeption nicht in den persönlichen Anwendungsbereich fallen sollten. Das ist allerdings angemessen, weil es gerade in der Konzeption der meisten Plattformen angelegt ist, dass alle Lebensbereiche dargestellt werden sollen. Die starke Vermischung der Zwecke ist in sozialen Medien gerade von den Betreibern vorgesehen und sollte nicht zulasten der Nutzer gehen. Daher ist es sowohl interessengerecht als auch der Rechtssicherheit dienlich, dass eine widerlegliche Vermutung zugunsten der Verbrauchereigenschaft besteht, wenn ein Nutzungskonto nach Konzeption des Betreibers zumindest auch zu privaten Zwecken genutzt werden kann. Eine Einschränkung ist bei der widerleglichen Vermutung der Verbrauchereigenschaft aber notwendig: Sie kann nur auf solchen Plattformen dienen, auf denen die Kommunikation und Selbstdarstellung Hauptzweck ist. Wo dies hingegen nur als Nebenleistung möglich ist und der Fokus der Plattform auf der Vermittlung von Verträgen liegt (z.B. Ebay, Airbnb, Amazon Marketplace), sind für diesen Hauptzweck andere Leitlinien zu verwenden.148 Wenn ein Plattformbetreiber die Funktion und Ausrichtung inhaltlich so begrenzt, dass ohnehin nur eine gewerblichberufliche Nutzung denkbar ist, sind alle Nutzer als Unternehmer zu behandeln. Um Missbrauch einer solchen Regel durch die Plattform zu vermeiden, muss dafür die tatsächliche Nutzung der Plattform relevant sein und nicht allein der von der Plattform in den Nutzungsbedingungen vorgesehene Zweck. Sollte ein Plattformbetreiber sowohl der privaten als auch der gewerblich-beruflichen Nutzung offenstehen, aber keine unterschiedlichen Konten anbieten (z.B. Twitter), dann sollte dies zulasten des Plattformbetreibers gehen. Denn dieser hat die Option, durch die andersartige Ausgestaltung der 148 Für Vermittlungsplattformen siehe Domurath, in: Micklitz/Reisch/Joost/ZanderHayat, 2017, S. 103 (115 ff.).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Plattform auf dieses Ergebnis einzuwirken. In einem solchen Fall sind alle natürlichen Personen, die einen Nutzungsvertrag mit einer zweckoffenen Plattform abschließen, Verbraucher im Sinne des Art. 6 Rom I-VO, solange ihnen keine eindeutige beruflich-gewerbliche Nutzungszwecke nachgewiesen werden können. Sowohl ein pauschaler Ansatz als auch ein solcher mit widerleglicher Vermutung sind geeignet, die Praxis zu vereinfachen. Der strikte Ansatz könnte sich langfristig aufgrund seiner Eindeutigkeit als sinnvoll erweisen. Die Vermutungslösung hingegen geht schonender mit den Interessen der Plattformbetreiber um und dämmt eine Missbrauchsgefahr ein. Zudem ließe sich dies bereits unter dem geltenden Recht umsetzen, indem bei der Auswertung der Umstände zur individuellen Nutzung die Art des Nutzungskontos stärkere Berücksichtigung erfährt. 2. Räumlich-situativer Anwendungsbereich Neben dem persönlichen Anwendungsbereich muss auch der räumlichsituative Anwendungsbereich eröffnet sein, der Unternehmer muss also entweder seine beruflich-gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausüben, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom IVO), oder ihre Tätigkeit auf diesen Staat ausrichten (Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO), wobei der Vertrag gerade in den Bereich dieser Tätigkeit fallen muss. Das Ausüben erfordert eine aktive Beteiligung am Wirtschaftsleben im jeweiligen Staat, die sich neben festen Niederlassungen auch schon in der regelmäßigen Leistungserbringung mit einer gewissen Präsenz in diesem Staat zeigen kann.149 Facebook beispielsweise ist mit der Facebook Germany GmbH in Deutschland dauerhaft präsent. Diese ist jedoch nicht in der Kerntätigkeit des Netzwerkbetriebs tätig.150 Zweifelhaft mag daher sein, ob diese Unterstützungstätigkeiten bereits ausreichen, damit ein Verbrauchervertrag auf Nutzung des Netzwerks in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Letztlich kann das aber dahinstehen, weil Facebook seine Tätigkeit auch auf Deutschland ausrichtet im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO. 149
Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 32; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 52; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 107; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 38, jeweils m.w.N. 150 Gesellschaftszweck laut Gesellschaftsvertrag vom 15.06.2018: „Zweck der Gesellschaft ist es, der Facebook Gruppe jegliche Dienstleistungen in Verbindung mit Vertrieb, Marketing, kommerzieller Entwicklung, Forschung und Entwicklung im Technologiebereich, Öffentlichkeitsarbeit und -kommunikation und jede andere kommerzielle, administrative oder IT Leistung zur Unterstützung der Onlinenetzwerkplattform Facebook, zur Verfügung zu stellen sowie der lokale Vertrieb von Werbung in Deutschland durch die Gesellschaft.“; abgerufen unter .
A. Der Plattformvertrag
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Der EuGH hat das Kriterium des Ausrichtens weitgehend präzisiert. Das Ausrichten einer Tätigkeit auf einen Staat signalisiert den Verbrauchern, dass der Unternehmer grundsätzlich zum Vertragsschluss mit Verbrauchern im jeweiligen Staat gewillt ist.151 Dies sei bei der reinen Abrufbarkeit der Website in einem Staat noch nicht der Fall.152 Ansonsten könnten jedoch alle offenkundigen Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen des Unternehmers herangezogen werden.153 Neben eindeutigem Verhalten, wie etwa eine explizite Äußerung auf der Website oder Investitionen in die erleichterte Auffindbarkeit in einem speziellen Staat über Suchmaschinen,154 indizieren beispielsweise der internationale Charakter der Tätigkeit, die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl, die Verwendung einer entsprechenden Top-Level-Domain, Anfahrtsbeschreibungen von dem jeweiligen Staat und die Erwähnung einer internationalen Kundschaft einschließlich Kunden aus dem jeweiligen Staat insbesondere durch Kundenbewertungen einen entsprechenden Willen.155 Die verwendeten Sprachen oder Währungen können als zusätzliches Indiz herangezogen werden, wenn beispielsweise ein Vertragsschluss in der jeweiligen Landessprache möglich ist.156 Sprache und Währung sind jedoch nicht zu stark zu gewichten und in den Zusammenhang mit der sonstigen Erscheinung der Website zu stellen.157 Nicht ausreichend für ein Ausrichten ist, wenn ein Anbieter nach Vertragsschluss Informationen und Hilfestellung zur Verfügung stellt, um die Vorgaben der GeoblockingVO einzuhalten (Art. 1 Abs. 6 GeoblockingVO). Ob eine Plattform auf einen Staat ausgerichtet ist, ist im konkreten Einzelfall also genau zu prüfen. Allein die weltweite Abrufbarkeit und die technische Möglichkeit, sich von überall in der Welt bei einer Plattform zu registrieren, genügen nicht. Erforderlich ist in jedem Fall, sowohl den vom Betreiber vorgegebenen Inhalt und Zweck der Plattform als auch dessen Selbstdarstellung zu betrachten. Wenn beispielsweise Facebook mit dem Spruch „Connect with friends and the world around you on Facebook.“ wirbt,158 zeigt der Betreiber eindeutig, dass die Nutzung geografisch nicht eingeschränkt ist
151
EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller, Rn. 75 f. 152 Ebd., Rn. 69 ff. 153 Ebd., Rn. 80. 154 Ebd., Rn. 81, 93. 155 Ebd., Rn. 83, 93. 156 Ebd., Rn. 84. 157 Dazu Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 34. 158 .
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Kapitel 2: Vertragsstatut
und das Angebot weltweit genutzt werden soll. Bei Facebook kann ein Ausrichten auf jeden Staat weltweit daher problemlos bejaht werden.159 Ein auf bestimmte Staaten begrenztes Ausrichten liegt vor, wenn inhaltlich ein konkreter Bezug zu diesen Staaten oder einen in ihnen liegenden Raum besteht und eine Nutzung von Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in anderen Staaten nicht zum Inhalt der Plattform passt.160 Angesichts der Mobilität der heutigen Zeit genügt nicht, dass es beispielsweise um den Austausch über einen konkreten Ort oder ein konkretes Ereignis geht; denn an diesem kann man unabhängig vom eigenen Aufenthaltsort teilnehmen. Hingegen sind beispielsweise Plattformen, die die Vernetzung von Nachbarn an einem konkreten Ort fördern wollen,161 nur auf die dort wohnhaften Personen ausgerichtet. Der Vertrag muss in beiden Fällen gerade in den Bereich dieser Tätigkeit fallen, wobei gemäß der Rechtsprechung des EuGH keine Kausalität zwischen dem Ausrichten und dem Vertragsschluss vorliegen muss.162 Bei sozialen Medien ist die Frage der Kausalität ohnehin unproblematisch, da sowohl Ausrichten als auch Nutzung des Vertrags über die Website des Betreibers erfolgen.163 III. Rechtswahl Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, wie das anwendbare Recht durch die Parteien eines Plattformvertrags im Allgemeinen (1.) und im Falle eines Verbrauchervertrags im Speziellen (2.) gewählt werden kann und welchen Grenzen die Rechtswahl in AGB unterliegt (3.). 1. Rechtswahl in Plattformverträgen Im internationalen Vertragsrecht gilt der Grundsatz der Parteiautonomie. Die Parteien sind nach Art. 3 Abs. 1 und 2 Rom I-VO jederzeit frei, das anwendbare Recht selbst zu wählen. In Betracht kommt dafür jedes staatliche Recht,
159
BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 20 – Digitaler Nachlass; LG Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Dieterich, ZD 2016, 260 (262); Gläser, MMR 2015, 699 (702); Ziebarth, ZD 2013, 375 (377); für Plattformen generell Berberich, MMR 2010, 736 (740); für soziale Netzwerke generell Solmecke/Dam, MMR 2012, 71 (71). 160 Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, Kap. 4, 2021, Rn. 41. 161 Z.B. bietet die Plattform eine Vernetzung von Nachbarn begrenzt auf Ortschaften in Deutschland. 162 EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-218/12, ECLI:EU:C:2013:666, Lokman Emrek ./. Vlado Sabranovic, Rn. 21. 163 Ebenso Gläser, MMR 2015, 699 (702).
A. Der Plattformvertrag
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ohne dass eine spezifische Verbindung dazu gegeben sein muss.164 Die Wahl nicht-staatlichen Rechts kann hingegen nur materiell-rechtliche Wirkung entfalten.165 Ein „cyber law“ ist daher auch nicht wählbar.166 Für den Plattformvertrag ergeben sich insofern keine Besonderheiten. Der erforderliche Auslandsbezug ist nicht gegeben, wenn nur der Server im Ausland belegen ist oder wenn die Parteien E-Mail-Adressen mit ausländischer Top-Level-Domain verwenden, um zwingendes nationales oder Unionsrecht zu umgehen. In diesen Fällen handelt es sich um einen reinen Inlandsfall im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bzw. um einen reinen Unionsfall im Sinne des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO.167 2. Rechtswahl in Verbraucherverträgen Eine Rechtswahl ist auch im Verbrauchervertrag zulässig und grundsätzlich wirksam, wie sich aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO ergibt. Soweit der Verbraucher aber nach dem Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO) einen höheren Schutz erfahren würde, findet dieses Recht statt des gewählten Anwendung (sog. Günstigkeitsvergleich). Zu vergleichen sind nicht einzelne Normen, sondern das Ergebnis nach Anwendung aller zu einem Rechtskomplex gehörenden Normen (Gruppenvergleich).168 In der Praxis ist ein tatsächlicher Vergleich häufig hinfällig, wenn bereits das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers das Begehrte gewährt und ein Abweichen des gewählten Rechts zu Gunsten des Verbrauchers daher irrelevant wäre.169 164 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 3, Rn. 14; v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 3, Rn. 47; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 23; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 3, Rn. 42; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 23. 165 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 3, Rn. 21; v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 3, Rn. 49 ff.; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 30 ff.; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 3, Rn. 40. 166 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 3. 167 Ebd., Rn. 21; Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 2779; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 599. 168 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 487; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 72; Limbach, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 6, Rn. 64; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 144; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 64; Ragno, in: Ferrari/Leible, 2009, S. 129 (152); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 34; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 73. 169 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 488; Basedow, in: FS Jayme, 2004, S. 3 (14 ff.); Brosch/Thiede, ecolex 2017, 517 (518); Hei-
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Gem. Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO ist das nach Abs. 1 ermittelte Vertragsstatut Vergleichsstandard, soweit es zwingender Natur ist. Der Wortlaut der Norm verweist auf das gesamte Vertragsstatut für den Günstigkeitsvergleich. Vereinzelt wird zwar vertreten, dass nur diejenigen Normen in den Günstigkeitsvergleich einfließen dürften, die dem spezifischen Schutz des Verbrauchers dienen, da ansonsten die durch Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO geschaffene Rechtwahlfreiheit praktisch wertlos sei.170 Ganz vorherrschend ist aber die Meinung, dass alle zwingenden Normen des Vertragsrechts anwendbar sind, ungeachtet dessen, ob sie in ihrem Anwendungsbereich auf Verbraucherverträge beschränkt sind.171 Der Günstigkeitsvergleich gilt auch für den Plattformvertrag, sodass ein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland das zwingende deutsche Vertragsrecht wie beispielsweise die §§ 305 ff. BGB zugutekommt. Sofern man Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung vertraglich qualifizieren möchte,172 gehört zum zwingenden Vertragsrecht im Sinne des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO beispielsweise die Vermutung des Vertretenmüssens gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.173 derhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 56; Valdini, Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im Internationalen Vertriebsrecht, 2013, S. 274. 170 Valdini, Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im Internationalen Vertriebsrecht, 2013, S. 274 f.; ähnlich Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 55, wobei Heiderhoff Überschneidungen von Verbraucherschutzrecht und allgemeinem Vertragsrecht anerkennt und im Zweifel für eine verbraucherfreundliche Auslegung plädiert. 171 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 486; A. Junker, IPR, 4. Aufl., § 15 Rn. 42; Limbach, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 6, Rn. 63; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 140; Ragno, in: Ferrari/Leible, 2009, S. 129 (152); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 32; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 74; zum alten Recht siehe BGH, Beschluss vom 24.07.2003 – IX ZR 131/00, NJW 2003, 3486. Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 60, möchte generell nur Normen berücksichtigen, die (auch) dem Verbraucherschutz dienen; da das allgemeine Vertragsrecht Überschneidungen mit Verbraucherschutzaspekten habe, sei es aber ebenfalls zu berücksichtigen. Teilweise werden Normen ausgenommen, die außenpolitische oder allgemeine wirtschaftliche Zwecke verfolgen, da sich deren Anwendbarkeit nach Art. 9 Rom I-VO richte, so Limbach, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 6, Rn. 62 f.; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 141; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 60; Ragno, in: Ferrari/ Leible, 2009, S. 129 (152); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 6, Rn. 32; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 74. 172 Siehe unten S. 107–118. 173 § 280 Abs. 1 S. 2 BGB sei im Günstigkeitsvergleich zu berücksichtigen, so Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 74.
A. Der Plattformvertrag
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Das eben Beschriebene ist auch dann maßgeblich, wenn nicht eine individuelle Person mit Blick auf ihren konkreten Vertrag, sondern ein Verbraucherverband auf die Unterlassung der Verwendung einer missbräuchlichen Rechtswahlklausel in Standardverträgen klagt.174 3. Rechtswahl in AGB Plattformverträge sind in aller Regel nicht individuell ausgehandelt, weswegen auch die Rechtswahl typischerweise in Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen wird. Im Vertragsrecht ist dies zulässig.175 Für das Zustandekommen und die Wirksamkeit einer Rechtswahl verweist Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO auch für die Rechtswahl in AGB auf die lex causae.176 a) VKI ./. Amazon 2016 Allerdings besteht Uneinigkeit, ob darüber hinaus eine unangemessene Benachteiligung durch die Rechtswahl in AGB wegen Intransparenz, beispielsweise nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, geprüft werden kann.177 Der EuGH hat in seiner Entscheidung VKI ./. Amazon für die Missbrauchskontrolle einer Rechtswahl in den AGB eines Verbrauchervertrags direkt die Klauselrichtli-
174
EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 49 ff. 175 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 25; Leible, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 72; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom IVO Art. 3, Rn. 176; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 13, 43; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 18; krit. Pretelli, in: Pretelli, 2018, S. 17 (36 f.). 176 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 3, Rn. 8; Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 2775; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 72 f. 177 Siehe dazu Rühl, CML Rev. 55 (2018), 201 (207 ff.), m.w.N. Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB bei Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland über Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO: BGH, Urteil vom 19.07.2012 – I ZR 40/11, GRUR 2013, 421, Rn. 31 ff.; zust. W.-H. Roth, IPRax 2013, 515 (522); ähnlich Dorfmayr/ Komuczky, ZfRV 2016, 268 (272); Rieländer, RIW 2017, 28 (33 f.); Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 74d; krit. zur Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO für die Wirksamkeit der Rechtswahl T. Pfeiffer, IPRax 2015, 320 (321 ff.). Für eine europäisch-autonome Transparenzkontrolle: v. Hein, Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 3, Rn. 43; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 14; wohl auch (über Art. 23 Rom I-VO) Mankowski, NJW 2016, 2705 (2706). Anwendbarkeit der nationaler Transparenzvorgaben über Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO: Huber, in: FS Kronke, 2020, S. 215 (218 f.); U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 3, Rn. 176. Nationale Transparenzvorgaben setzten sich als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO gegen eine Rechtswahlklausel durch, so Micklitz/Reich, EWS 2015, 181 (190 f.).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
nie178 herangezogen, ohne diese Herangehensweise näher zu begründen.179 Laut EuGH ist eine Rechtswahl in Verbraucherverträgen missbräuchlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie, sofern nicht auf die bedingte Wirksamkeit nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO hingewiesen wird.180 Denn um eine Irreführung des Verbrauchers zu vermeiden, habe der Verwender von AGB eine Informationspflicht, wenn die Wirkung einer ihrer Klauseln durch zwingende Normen bestimmt wird.181 Unabhängig von der dogmatischen Verankerung dieser Transparenzkontrolle182 gilt somit, dass die Rechtswahl in AGB in Verbraucherverträgen wegen Intransparenz unwirksam ist, wenn nicht auf die Rechtsfolgen des Günstigkeitsprinzips im Sinne des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO hingewiesen wird. b) Auswirkung der Entscheidung in sozialen Medien Die Entscheidung VKI ./. Amazon schlug sich in den AGB sozialer Netzwerke nieder. Zu beobachten ist, dass die meisten Unternehmen nun den Weg wählen, gänzlich auf eine Rechtswahl im Verbrauchervertrag zu verzichten. Facebook beispielsweise sah lange Zeit in seinen AGB eine Rechtswahl zugunsten kalifornischen Rechts vor.183 Dies wurde dahingehend geändert, 178
Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. 179 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 61 ff.; bestätigend: EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-272/18, ECLI:EU:C: 2019:827, VKI ./. TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co KG, Rn. 58; krit. dazu Brosch/Thiede, ecolex 2017, 517 (519); Rieländer, RIW 2017, 28 (32); W.-H. Roth, IPRax 2017, 449 (455 ff.); Rühl, CML Rev. 55 (2018), 201 (207, 217). 180 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 67 ff.; zust. Müller, EuCML 2016, 215 (218); Rott, EuZW 2016, 733 (735); krit. v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 491 ff.; Brosch/Thiede, ecolex 2017, 517 (518 f.); Mankowski, NJW 2016, 2705 (2706 ff.); Rieländer, RIW 2017, 28 (35 f.); Rühl, CML Rev. 55 (2018), 201 (219 ff.); Steinrötter, jurisPRIWR 3/2017 Anm. 3. Siehe auch schon ähnlich BGH, Urteil vom 19.07.2012 – I ZR 40/11, GRUR 2013, 421, mit zust. Anm. W.-H. Roth, IPRax 2013, 515. 181 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 69, mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 26.04.2012 – C-472/10, ECLI:EU:C: 2012:242, Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság ./. Invitel Távközlési Zrt, Rn. 29. 182 Dazu Rühl, CML Rev. 55 (2018), 201 (207, 217). 183 Dieterich, ZD 2016, 260 (262), kritisiert noch den früheren Zustand, wonach mehrere große Plattformen in ihren AGB eine Gerichtsstandswahl trotz eindeutiger Unzulässigkeit nach Art. 17–19 Brüssel Ia-VO weiterhin vorsahen. So lautete beispielsweise Nr. 15 Abs. 1 der Facebook-AGB noch zum 23.02.2017: “You will resolve any claim, cause of action or dispute (claim) you have with us arising out of or relating to this Statement or Facebook exclusively in the U.S. District Court for the Northern District of California or a state court located in San Mateo County, and you agree to submit to the personal jurisdiction of such courts for the purpose of litigating all such claims. The laws of the State of
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dass auf Verträge mit Verbrauchern, die ihren „ständigen Wohnsitz“ in der EU haben, das Recht des jeweiligen Wohnsitzstaats Anwendung finden.184 Mittlerweile sehen die AGB von Facebook uneingeschränkt für alle Verbraucher die Anwendung ihres Heimatrechts vor: „Wenn du ein Verbraucher bist, gelten für dich die Gesetze des Landes, in dem du lebst, für jeglichen Anspruch, Klagegegenstand oder Streitfall, den du uns gegenüber hast und der sich aus diesen Nutzungsbedingungen oder aus den Facebook-Produkten oder im Zusammenhang damit ergibt.“185
Für Verträge mit Unternehmern soll weiterhin kalifornisches Recht gelten.186 Auch Twitter schrieb bis September 2016 vor, dass kalifornisches Recht uneingeschränkt auf alle Nutzungsverträge Anwendung finden solle.187 Zwei Monate nach der Entscheidung VKI ./. Amazon wurde dies jedoch geändert. In der Folgezeit galt die Anwendbarkeit kalifornischen Rechts zunächst nur für Personen, die in den USA lebten.188 Mit der Fassung der AGB vom Januar 2020 sind nur noch diejenigen Verträge von der Wahl kalifornischen Rechts ausgenommen, bei denen der Nutzer in der EU, dem EFTA-Raum oder Großbritannien lebt.189 California will govern this Statement, as well as any claim that might arise between you and us, without regard to conflict of law provisions.” Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass Facebook speziell zugunsten deutscher Verbraucher auch schon vorher die Geltung deutschen Rechts vorsah, vgl. Gläser, MMR 2015, 699 (702 f.). Dazu BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 20 – Digitaler Nachlass. 184 „Wenn du ein Verbraucher bist und deinen ständigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hast, gelten die Gesetze dieses Mitgliedstaats für jeglichen Anspruch, Klagegegenstand oder Streitfall, den du uns gegenüber hast und der sich aus diesen Nutzungsbedingungen oder aus den Facebook-Produkten oder im Zusammenhang damit ergibt („Anspruch“). Du kannst deinen Anspruch vor jedwedem Gericht in diesem Mitgliedsstaat klären lassen, das für den Anspruch zuständig ist. In allen anderen Fällen stimmst du zu, dass der Anspruch vor einem zuständigen Gericht in Irland zu klären ist und dass diese Nutzungsbedingungen sowie jedweder Anspruch irischem Recht unterliegen, und zwar ohne Rücksicht auf kollisionsrechtliche Bestimmungen.“, unter 4.4, Stand 20.12.2020, . 185 Unter 4.4, . 186 Unter 4.4, . 187 „Die vorliegenden Bedingungen sowie alle damit verbundenen Handlungen unterliegen dem Recht des US-Bundesstaats Kalifornien, wobei die Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorschriften von Kalifornien ausgeschlossen sind und es nicht auf den Bundesstaat oder das Land Ihres Wohnsitzes ankommt.“, unter 12.B., Stand 18.05.2015 . 188 Keine Rechtswahl für sonstige Nutzer vorgesehen, Stand 30.09.2016, . 189 Unter 6., Stand 01.01.2020, ; aktuelle Version: „Wenn Sie außerhalb der Europäischen Union, der EFTA-Staaten, oder des Vereinigten Königreichs leben, einschließlich wenn Sie in den Vereinigten Staaten leben,
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Die AGB von Pinterest sehen grundsätzlich die Wahl kalifornischen Rechts vor, welche jedoch nicht für Verbraucher im EWR gilt. Zusätzlich ist ergänzt, dass verbraucherschützende Vorschriften eines EWR-Mitgliedstaats unberührt bleiben, wenn man dort seinen Wohnsitz hat.190 Mangels Rechtswahl ist die Ergänzung zum Verbraucherrecht, die offensichtlich VKI ./. Amazon geschuldet ist, überflüssig. Während YouTube mittlerweile deutsches Recht für anwendbar erklärt, wenn der Nutzer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,191 sollte bis Juli 2019 noch englisches Recht Anwendung finden, ohne dass eine Sonderregelung für Verbraucher vorgesehen war.192 Auch LinkedIn verweist inzwischen darauf, dass Verbraucherschutzrechte nicht vorenthalten werden sollen. Abgesehen davon sehen die Bestimmungen eine Rechtswahl zugunsten irischen Rechts für die EU/EWR/Schweiz vor.193 c) Fazit Die Betrachtung verschiedener Plattform-AGB indiziert, dass die Bedeutung der Rechtswahl in Verbraucherverträgen in sozialen Medien abnimmt, wenn nicht sogar bereits irrelevant geworden ist. Dieses Ergebnis kann nicht überraschen, denn die Entscheidung VKI ./. Amazon macht die Rechtswahl in
gelten die Gesetze des Staats Kalifornien, unter Ausschluss ihrer Rechtswahlbestimmungen, für diese Bedingungen und alle Streitigkeiten, die zwischen Ihnen und Twitter entstehen.“, unter 6., . 190 Unter 12. „Für diese AGB gilt das Recht des Bundesstaats Kalifornien unter Außerachtlassung des Kollisionsrechts. Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich dieses Vertrags ist der Gerichtsbezirk San Francisco, Kalifornien, unter Zuständigkeit des United States District Court for the Northern District of California. Klagen werden nach kalifornischem Recht behandelt. Dies gilt nicht für Verbraucher im EWR. Jeglicher Schutz von Verbrauchern im EWR gemäß geltenden Gesetzen des Wohnsitzlandes und die Zuständigkeit der entsprechenden Landesgerichte bleiben von dieser Bestimmung unberührt.“, . 191 . 192 Unter 16.6, Stand: 22.01.2019, . 193 „Dieser Absatz dient nicht dazu, Ihnen jegliche Verbraucherschutzrechte vorzuenthalten, die in dem Land, in dem wir Ihnen die Dienste bereitstellen und in dem Sie Ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort haben, zwingend gesetzlich vorgeschrieben sind. Wenn Sie in den designierten Ländern leben: Sie und LinkedIn Ireland bestätigen, dass die Gesetze von Irland, mit Ausnahme kollisionsrechtlicher Bestimmungen, für alle Streitfälle gelten, die diesen Vertrag und/oder die Dienste betreffen. Sie und LinkedIn Ireland vereinbaren, dass Ansprüche und Streitfälle nur in Dublin, Irland, im Prozesswege verfolgt werden können, und beide Parteien stimmen der personenbezogenen Zuständigkeit der Gerichte von Dublin, Irland, zu.“, unter 6., .
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Verbraucherverträgen unattraktiv.194 Die Entscheidung berührt zwar nicht das Recht zur Rechtswahl im Verbrauchervertrag. Allerdings schafft das Urteil Unsicherheiten dahingehend, wann eine Rechtswahlklausel den Transparenzanforderungen genügt.195 Hinzu kommt, dass sich durch die weite Auslegung der zwingenden Normen im Rahmen des Günstigkeitsprinzips der Mehrwert einer Rechtswahl faktisch darin erschöpft, dass der Verbraucher durch eine entsprechende Klausel entmutigt sein kann, rechtlich gegen den Unternehmer vorzugehen.196 Dieser Vorteil, der als solcher aber nicht schützenswert erscheint, geht durch VKI ./. Amazon verloren. Mangels Vorteilen ist es daher auch nicht verwunderlich, dass die verschiedenen Plattform-AGB die Bedeutungslosigkeit der Rechtswahl in Verbraucherverträgen widerspiegeln. IV. Objektive Anknüpfung Sofern die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, bestimmt sich das anwendbare Recht auf Plattformverträge durch objektive Anknüpfung gem. Art. 4 und 6 Abs. 1 Rom I-VO. 1. Verbrauchervertrag, Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO Wenn ein Plattformvertrag zu privaten Zwecken geschlossen wird, liegt ein Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Rom I-VO vor.197 In diesem Fall unterliegt der Vertrag bei objektiver Anknüpfung dem Recht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern die räumlich-situativen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 a.E. Rom I-VO gegeben sind.198 2. Allgemein, Art. 4 Rom I-VO Die objektive Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO greift, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben und auch keine Sonderanknüpfung der Art. 5 bis 8 Rom I-VO anwendbar ist. Nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO ist das Recht desjenigen Staats anzuwenden, in dem der Vertragspartner, der die 194 Zur allgemeinen Unattraktivität der Rechtswahl in Verbraucherverträgen bereits aufgrund des Günstigkeitsvergleichs siehe v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 481; Calliess, ZEuP 2006, 742 (748 f.). 195 Breckheimer, RIW 2016, 681 (683); Brosch/Thiede, ecolex 2017, 517 (519); Keck/Wäßle, K&R 2016, 591 (592); Mankowski, NJW 2016, 2705 (2708); Rieländer, RIW 2017, 28 (37); Steinrötter, jurisPR-IWR 3/2017 Anm. 3; a.A. M. Junker, jurisPR-ITR 21/2016 Anm. 3. 196 So Valdini, Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im Internationalen Vertriebsrecht, 2013, S. 275; ähnlich v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 1, Rn. 484. 197 Siehe oben S. 50–76. 198 Siehe oben S. 76–78.
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charakteristische Leistung des Vertrags erbringt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die häufigsten Vertragstypen legt Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO fest, worin die charakteristische Leistung liegt bzw. woran stattdessen anzuknüpfen ist. Zum Zwecke der Einzelfallgerechtigkeit kann in atypischen Fällen das Recht über die Ausweichklausel in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO ermittelt werden. Wenn die typisierende Anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom IVO zu keinem Ergebnis führt, verweist Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf das Recht des Staats, zu dem die engste Verbindung besteht. Bei sozialen Medien ist zunächst zu klären, wie sich die Leistungen der Vertragsparteien zueinander verhalten. Die (wirtschaftliche) Leistung des Nutzers besteht in einer Geldzahlung und/oder in der Gewährung von Verwertungsrechten an Daten oder Inhalten.199 Diese Leistung kann unabhängig vom konkreten sozialen Medium auch in anderen Zusammenhängen erbracht werden und ist daher nicht charakteristisch für den konkreten Vertrag.200 Die Leistung des Betreibers ist hingegen immer spezifisch mit der konkreten Plattform verknüpft und stellt deswegen die charakteristische Leistung des Vertrags dar. Daher ist für die Einordnung des Plattformvertrags in das System des Art. 4 Rom I-VO die Betreiberleistung maßgeblich.201 Dabei kommt in Betracht, die Betreiberleistung als Dienstleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO einzuordnen (a.).202 Andernfalls erfolgt die objektive Anknüpfung über Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO (b.).203 Sofern eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat besteht, ist über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO das Recht jenen Staats anzuwenden (c.). a) Dienstleistungsvertrag, Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO Der Begriff „Dienstleistungsvertrag“ ist autonom204 und laut Erwägungsgrund 17 der Rom I-VO in Übereinstimmung mit Art. 5 Nr. 1 lit. b Var. 2 199
Siehe oben S. 43–45. Berberich, MMR 2010, 736 (737); Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 9, 35; Gläser, MMR 2015, 699 (700); Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 97. 201 Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 4, Rn. 286; allgemein zur Bedeutung der charakteristischen Verpflichtung für die Vertragsqualifikation im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO a.F.: EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C: 2013:860, Corman-Collins SA ./. La Maison du Whisky SA, Rn. 34. 202 So Berberich, MMR 2010, 736 (740); Gläser, MMR 2015, 699 (700 f.); Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 4, Rn. 112, 116. 203 So Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 35. 204 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 4, Rn. 27; v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Einl., Rn. 54; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 4, Rn. 17; ders., in: Rauscher-EuZPR/ EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 66; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 40. 200
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Brüssel Ia-VO a.F., bzw. nun mit der wortgleichen Nachfolgenorm auszulegen.205 Der Begriff der Dienstleistung im Sinne des Primärrechts könnte hier zwar ein Ausgangspunkt sein, laut EuGH lasse er sich jedoch nicht unbesehen auf das internationale Zivilverfahrensrecht übertragen.206 Eine Dienstleistung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 lit. b Var. 2 Brüssel Ia-VO liegt stattdessen vor, wenn sich eine Partei gegen Entgelt verpflichtet, eine bestimmte Tätigkeit durchzuführen.207 Eine Tätigkeit erfordert die Vornahme positiver Handlungen und darf nicht aus einem reinen Unterlassen bestehen.208 Nicht erfasst sind reine Überlassungsverträge (z.B. Lizenzverträge).209 Beim Plattformvertrag stellen sich daher zwei Fragen: Zum einen ist zu klären, ob die Betreiberleistung eine Dienstleistung ist (aa.), und zum anderen, ob und in welchen Fällen diese Leistung entgeltlich erfolgt (bb.). aa) Dienstleistung Wie oben beschrieben umfassen die typischen Leistungspflichten eines Plattformbetreibers beim Standardfall des registrierungspflichtigen Angebots die Zugänglichmachung des Angebots, die Bereitstellung, Wartung und Weiterentwicklung der IT-Infrastruktur und dadurch die Speicherung, Übermittlung und Veröffentlichung der nutzergenerierten Inhalte. Es handelt sich also um eine Kombination verschiedener Leistungspflichten. In einem solchen Fall ist für die Einordnung in die Vertragstypen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO der Schwerpunkt der Leistung zu bestimmen.210 205
Folgt schon aus ErwGr. 17 Rom I-VO; ferner Thorn, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 4, Rn. 35; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 4, Rn. 29. 206 EuGH, Urteil vom 23.04.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257, Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch ./. Gisela Weller-Lindhorst, Rn. 33 ff., ebenso Leible, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 66 (wobei dieser die Argumentation des EuGH kritisiert); Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 4, Rn. 38 ff.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2014, S. 72. 207 EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860, Corman-Collins SA ./. La Maison du Whisky SA, Rn. 37; Urteil vom 23.04.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C: 2009:257, Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch ./. Gisela Weller-Lindhorst, Rn. 29; ebenso Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2014, S. 62 ff. 208 EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860, Corman-Collins SA ./. La Maison du Whisky SA, Rn. 38; Urteil vom 23.04.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C: 2009:257, Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch ./. Gisela Weller-Lindhorst, Rn. 31. 209 EuGH, Urteil vom 23.04.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257, Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch ./. Gisela Weller-Lindhorst, Rn. 28ff.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2014, S. 117 ff. 210 Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 4, Rn. 30; Leible, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 72;
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Für das deutsche materielle Zivilrecht wird meist angenommen, dass beim Plattformvertrag ein typengemischter Vertrag vorliegt, der Elemente des Dienst-, Miet-, Auftrags- und teilweise auch Werkvertragsrechts verbindet, soweit eine finanzielle Gegenleistung vorliegt.211 Bei Unentgeltlichkeit wird in der Regel ein Vertrag sui generis212 angenommen. Bei Registrierungspflicht liegt ein Dauerschuldverhältnis vor.213 Soweit man Mietvertragsrecht
Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 4, Rn. 47; Thorn, in: RauscherEuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 4, Rn. 37; für das „Leistungsbündel“ in Art. 4 Abs. 2 Var. 2 Rom I-VO verlangt dies auch ausdrücklich ErwGr. 19 S. 3. 211 Es handelt sich um einen typengemischten Vertrag, auf den die Kombinationslehre Anwendung finden soll, so KG, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16, ZD 2017, 386, Rn. 56; LG Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190); Bräutigam, MMR 2012, 635 (636); ders./Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 7, 14; Latzel, in: Staudinger (2020), BGB § 611, Rn. 589 (schwerpunktmäßig Dienstvertrag); Paulus, NJW 2018, 987 (988); ders., ZZP Int. 21 (2016), 199 (Fn. 93); Spindler, CR 2019, 238 (239); Wehleit, MMR 2018, 279 (279 ff.). Wenn die Leistung des Nutzers in einer Geldleistung liegt, handle es sich um einen Werkvertrag mit Dauerschuldcharakter, so Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 28; Redeker, in: Handbuch Multimedia-Recht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 421. Jandt/Roßnagel, MMR 2011 637 (Fn. 24), vertreten ohne nähere Begründung, dass es sich bei sozialen Medien unabhängig von der Frage der Gegenleistung immer um einen Dienstvertrag im Sinne des BGB handle. Roos, in: Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL September 2021, Teil 12, Rn. 145, ordnet den Plattformvertrag als Werk- und Mietvertrag mit Dauerschuldcharakter ein; dies gelte auch, wenn das Entgelt in der Bereitstellung personenbezogener Daten liegt. 212 OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 18; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 18; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41, Rn. 7; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35, Rn. 20; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 30; Latzel, in: Staudinger (2020), BGB § 611, Rn. 589. Bei Unentgeltlichkeit bliebe nur ein Vertrag sui generis gem. § 311 Abs. 1 BGB übrig, da das Auftragsrecht nicht zur Interessenlage passe, so Bräutigam, MMR 2012, 635 (636); ders./Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 22 ff.; Dauerschuldverhältnis sui generis mit starken miet- und dienstvertraglichen Elementen: Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 23. Teilweise wird grundsätzlich das Auftragsrecht für anwendbar erachtet: Redeker, in: Handbuch Multimedia-Recht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 424 ff., 428, erläutert die Schwierigkeiten der Anwendung des Auftragsrechts auf soziale Netzwerke, befindet es im Ergebnis aber als das zutreffende Rechtsregime. Roos, in: Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL September 2021, Teil 12, Rn. 145, lässt für die Entgeltlichkeit eines Werk- oder Mietvertrags die Bereitstellung personenbezogener Daten genügen. 213 Langhanke, Daten als Leistung, 2018, S. 129 f., Paulus, NJW 2018, 987 (988); ders., ZZP Int. 21 (2016), 199 (217); Rechberger, ZfRV 2017, 222 (226); Roos, in: Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL September 2021, Teil 12, Rn. 145; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 23; a.A. Wintermeier, ZD 2012, 210 (211), der im Registrierungsvorgang einen Werkvertrag
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im Rahmen der Kombinationslehre einschlägig erachtet, stellt sich die Frage, inwiefern dies bei einer virtuellen Gebrauchsüberlassung überhaupt in Betracht kommen kann.214 Diese Überlegungen sind für das europäische, autonom auszulegende IPR insofern von Relevanz, als eine Qualifizierung als Vertrag zur Gebrauchsüberlassung nicht dem Dienstleistungsbegriff des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom IVO genügen würde. Denn darin läge gerade keine aktive Leistung, wie vom EuGH gefordert,215 In der Pflicht registrierungspflichtiger sozialer Medien, dem Nutzer Zugang zum Dienst und den gespeicherten Inhalten zu gewähren, liegt zwar eine solche Nutzungsgestattung. Jedoch erschöpft sich der Leistungsumfang gerade nicht darin. Ziel des Vertrags ist nämlich die Übermittlung und Veröffentlichung von nutzergenerierten Inhalten durch den Betreiber. Der Zugang zum Netzwerk ist also vielmehr vorgelagertes Mittel zum Zweck. Der Schwerpunkt der Leistung liegt daher auf den Übermittlungsund Veröffentlichungstätigkeiten, die der Betreiber durch seine ITInfrastruktur erbringt. Da es sich also um positive Tätigkeiten handelt, liegt eine Dienstleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO vor.216 Auch Barnitzke kommt bei seiner Untersuchung der Cloud ComputingVerträge zu dem Ergebnis, dass diese als Dienstleistungsverträge im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO a.F. zu qualifizieren seien, weil der Provider die „vollständige und ausschließliche Pflege und Wartung von Hardware und Software für die gesamte Vertragslaufzeit“ übernehme.217 Dies ist insofern bemerkenswert, als beim Cloud Computing das Speichern und
über die generelle Zugänglichmachung des Angebots und in jeder weiteren Nutzung einen neuen Vertrag mit der Gegenleistung „Inhaltsdaten“ erkennt. 214 Befürwortend Schwenke, WRP 2013, 37 (37); diskutiert, aber wohl abgelehnt von Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 29 f.; Bräutigam, MMR 2012, 635 (640), hält hingegen noch die §§ 611 ff. und §§ 535 ff. BGB für kombiniert anwendbar; eingehend zu Instant-Messenger-Verträgen Wehleit, MMR 2018, 279 (280 f.). Laut BGH kann ein entgeltlicher Vertrag über die Nutzung von Online-Software ein Mietvertrag sein; da im Mietvertrag nicht die Besitzüberlassung, sondern die Gebrauchsverschaffung geschuldet sei, scheitere es nicht an der Sachqualität, Urteil vom 15.11.2006 – XII ZR 120/04, NJW 2007, 2394; Wehleit, MMR 2018, 279 (281). Redeker, in: Handbuch Multimedia-Recht, 35. EL Juli 2013, Teil 12, Rn. 421, hingegen lehnt Mietvertragsrecht ab, weil kein körperlicher Gegenstand vorliege. 215 EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860, Corman-Collins SA ./. La Maison du Whisky SA, Rn. 38; Urteil vom 23.04.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C: 2009:257, Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch ./. Gisela Weller-Lindhorst, Rn. 31. Ebenso Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 4, Rn. 29; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 6, Rn. 40. 216 Ebenso Kremer, RDV 2014, 73 (76); M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1088). 217 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing, 2014, S. 76; zust. Leible, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 72.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Abrufen – also eine eigentlich eher passive Nutzungsgestattung – deutlich stärker im Mittelpunkt steht als bei sozialen Medien. Sofern das Soziale-Medien-Element nur eine untergeordnete Rolle im Leistungsangebot des Betreibers spielt – beispielsweise bei Kommentierungsfunktionen auf Verkaufsplattformen, journalistisch-redaktionellen Angeboten oder Video-Portalen –, ist erneut eine Schwerpunktbetrachtung vorzunehmen. Hier ist im Einzelfall genau zu prüfen, was die Leistungspflichten des Betreibers sind. Häufig wird aber auch hier eine Einordnung als Dienstleistungsvertrag möglich sein.218 Hakenberg gibt grundsätzlich zu bedenken, „ob es überhaupt noch sinnvoll ist, an der kategorischen Unterscheidung von Vertragstypen festzuhalten“, da es insbesondere im Internet eher die Regel als die Ausnahme sei, dass verschiedene Vertragstypen miteinander vermischt würden.219 Während diese Überlegung für das nationale Gewährleistungsrecht durchaus diskussionswürdig erscheint, ist für die Rom I-VO festzuhalten, dass der weite Begriff der Dienstleistung dieser Herausforderung bereits gerecht wird und eine unnötige Differenzierung vermeidet. bb) Entgeltlichkeit In der Entscheidung Corman-Collins hat der EuGH das Kriterium der Entgeltlichkeit weit ausgelegt: Dieses erfordere nicht zwingend die Zahlung eines Geldbetrages, sondern kann in jeder Vorteilsgewährung von wirtschaftlichem Wert liegen.220 Die Literatur geht darüber noch hinaus und fordert, ganz auf dieses Kriterium zu verzichten und somit auch einseitig verpflichtende Verträge als Dienstleistungsverträge im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO zu qualifizieren, denn Entgeltlichkeit sei weder vom Wortlaut noch vom Telos vorgeschrieben.221 Soziale Medien mit Zahlungspflicht sind in dieser Hinsicht unproblematisch. Genauere Betrachtung erfordern aber soziale Medien, bei denen das Modell „Daten als Entgelt“ verfolgt wird.222 Sofern man aber nicht bereits gänzlich auf dieses Kriterium verzichtet, dürfte aufgrund der weiten Ausle218 Beispielsweise Ebay wird im deutschen Zivilrecht als Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungselementen qualifiziert, was ebenfalls unter das verordnungsautonome Verständnis von Dienstleistungsvertrag fallen würde. Siehe z.B. KG, Urteil vom 05.08.2005 – 13 U 4/05, MMR 2005, 764 (766), m.w.N. 219 Hakenberg, in: FS Kohler, 2018, S. 151 (160 f.). 220 EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860, Corman-Collins SA ./. La Maison du Whisky SA, Rn. 40. 221 Z.B. Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 4, Rn. 27; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 40; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 4, Rn. 45 f.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2014, S. 95 ff. 222 Siehe oben S. 43–45.
A. Der Plattformvertrag
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gung des EuGH eine Entgeltlichkeit gleichwohl gegeben sein.223 Indem der Nutzer in die Erhebung und Verwertung seiner personenbezogenen Daten durch den Betreiber einwilligt, verschafft er dem Betreiber einen Vorteil, der sich typischerweise in Werbeeinnahmen wirtschaftlich realisiert. Abgesehen davon hat der Plattformbetreiber bereits dann einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn er die personenbezogenen Daten seiner Nutzer nur intern zur Weiterentwicklung und Verbesserung des eigenen Angebots nutzt. Entgeltlichkeit ist daher gegeben. Theoretisch denkbar wäre zwar der Betrieb eines sozialen Netzwerks aus rein altruistischen Motiven. Abgesehen von der Frage, ob es solche Angebote überhaupt gibt, greift hier aber die Argumentation der Literaturmeinung hinsichtlich des Telos von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO und Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO: 224 Ein Grund dafür, diese Fälle im IPR oder im IZVR anders zu behandeln, auch wenn die Leistung des Betreibers mit derjenigen eines entgeltpflichtigen Portals vergleichbar ist, ist nicht ersichtlich. cc) Zwischenergebnis Bei den Plattformverträgen handelt es sich um Dienstleistungsverträge im Sinne des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO. Das Leistungsbündel, das der Plattformbetreiber verspricht, umfasst Tätigkeiten, die über eine reine Nutzungsüberlassung hinausgehen, sodass es dem weiten Begriff der Dienstleistung genügt. Soweit man ein Entgelt der anderen Partei als notwendiges Kriterium für einen Dienstleistungsvertrag ansieht, genügt dafür die wirtschaftliche Gegenleistung der Plattformnutzer, die in der Einwilligung in die Erhebung und Verwertung personenbezogener Daten zu erkennen ist. b) Allgemeine Grundanknüpfung, Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO Die Frage, ob es sich um einen Dienstleistungsvertrag handelt, ist für die objektive Anknüpfung allerdings nicht ergebnisrelevant.225 Denn sollte man dies ablehnen, verweist auch die allgemeine Grundanknüpfung für vertragliche Verhältnisse in Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO auf den gewöhnlichen Aufenthalt derjenigen Partei, die die charakteristische Leistung des Vertrags erbringt. Bei der Anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO handelt es sich also um einen konkreten Anwendungsfall des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO und nicht
223
Ebenso Gläser, MMR 2015, 699 (701). Z.B. Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 4, Rn. 27; U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 40; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 4, Rn. 45 f.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge, 2014, S. 95 ff. 225 Allgemein auch U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 40. 224
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Kapitel 2: Vertragsstatut
um eine abweichende Anknüpfung.226 Da der Plattformbetreiber die charakteristische Leistung erbringt, ist folglich im Wege der objektiven Anknüpfung das Recht desjenigen Staats anzuwenden, in dem der Plattformbetreiber seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 19 Rom I-VO). c) Ausweichklausel, Abs. 4 Abs. 3 Rom I-VO Auch bei Plattformverträgen ist es grundsätzlich denkbar, dass die Ausweichklausel nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO zur Anwendung kommt, weil der Vertrag aufgrund der Gesamtheit der Umstände offensichtlich enger mit dem Recht eines anderen Staats verbunden ist.227 Die Ausweichklausel hat den Zweck, in atypischen Fällen, bei denen die Grundanknüpfung nicht zu einem im kollisionsrechtlichen Sinne gerechten Ergebnis führt, nach dem Prinzip der engsten Verbindung anzuknüpfen.228 Denkbar sind Konstellationen, in denen der Betreiber seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, sein Angebot aber offensichtlich und ausschließlich auf ein anderes Land zugeschnitten ist.229 Einen solch atypischen Fall könnte man außerdem erwägen, wenn der Betreiber eines sozialen Netzwerks nach Abschluss des StandardNutzungsvertrags weitere Verträge anbietet, die diesen „Grundvertrag“ zwingend voraussetzen. Beispielsweise warf die Rechtssache Schrems II das Problem auf, ob bei der Inanspruchnahme eines zusätzlichen Dienstes im Rahmen des Plattformvertrags (hier die sog. Facebook-Seite) einschließlich erforderlicher Annahme neuer ergänzender Vertragsbedingungen ein zusätzlicher Vertrag geschlossen wird oder ob ein einheitlicher Vertrag vorliegt.230 Falls man in diesem Fall zwei Verträge annimmt, unterliegen die Verträge einem unterschiedlichen Vertragsstatut, wenn nur der Hauptvertrag einen Verbrauchervertrag darstellt und daher Art. 6 Rom I-VO anzuwenden ist. Hier könnte man erwägen, auch auf den akzessorischen Vertrag das Recht des „Hauptvertrags“ über die Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) anzuwenden. Dafür spricht im Beispiel der Facebook-Seite die starke tatsächliche Abhängigkeit des zweiten Vertrags vom Hauptvertrag, denn die Einrichtung eines 226 U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 40; Thorn, in: RauscherEuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 4, Rn. 19. 227 Speziell zu Facebook: Gläser, MMR 2015, 699 (701). 228 Dazu v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 31 f. 229 Ähnlich zu Cloud Computing-Verträgen Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing, 2014, S. 108. 230 Der EuGH konnte die Frage letztlich offen lassen: Urteil vom 25.01.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 35 ff.; zur Frage siehe Schlussanträge GA Bobek, 14.11.2017, C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863, Maximilian Schrems ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 51 ff. Der vorlegende OGH ging von zwei Verträgen aus, Beschluss vom 20.07.2016 – 6 Ob 23/16z, GRUR Int. 2016, 1173 (1174 f.); ebenso Paulus, NJW 2018, 987 (990); ders., ZZP Int. 21 (2016), 199 (213 f.).
B. Verträge zwischen Nutzern
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persönlichen Facebook-Kontos ist zwingende Voraussetzung für eine Facebook-Seite. Dagegen spricht, dass sich beide Nutzungen klar trennen lassen und daher eine unterschiedliche rechtliche Behandlung unproblematisch ist. Zudem würde dies faktisch eine Ausweitung des Art. 6 Rom I-VO bedeuten, der als Schutzvorschrift doch eng auszulegen ist. Daher sollte nicht grundsätzlich das Verbraucherschutzstatut im Wege einer akzessorischen Anknüpfung über die Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) auf aufbauende Verträge ausgedehnt werden. d) Ergebnis Bei einem Plattformvertrag handelt es sich um einen Dienstleistungsvertrag im Sinne des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO. Das anwendbare Vertragsrecht ist daher das Recht des Staats, in dem der Plattformbetreiber gem. Art. 19 Rom I-VO seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
B. Verträge zwischen Nutzern B. Verträge zwischen Nutzern
Verträge im Zusammenhang mit sozialen Medien können auch zwischen Nutzern bestehen, die über Vermittlungs- oder Versteigerungsplattformen einen Kauf- oder Dienstleistungsvertrag schließen. Solche Plattformen sind nach der funktionalen Definition231 auch zu den sozialen Medien zu zählen, soweit sie die Möglichkeit der öffentlich einsehbaren Bewertung und Kommentierung des Vertragspartners ermöglichen. Das Vertragsstatut regelt das vertragliche Verhältnis zwischen den Nutzern, die über eine Vermittlungsplattform einen Vertrag geschlossen haben. Daneben kann das Vertragsstatut im Wege der akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts gem. Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO und Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB mittelbar auch das anwendbare Deliktsrecht bestimmen. Das Recht, das auf die Kauf- oder Dienstleistungsverträge zwischen Nutzern anwendbar ist, bestimmt sich grundsätzlich nach den Art. 3, 4 und 6 Rom I-VO. Klärungsbedürftig ist dabei, ob eine wirksame Rechtswahl vorliegt, wenn diese unter maßgeblicher Mitwirkung des Plattformbetreibers getroffen wurde (I.). Außerdem kann erwogen werden, das auf den Vertragsoder Dienstleistungsvertrag anwendbare Recht akzessorisch an die vorausgehenden Plattformverträge zu koppeln (II.).
231
Siehe oben S. 10–13.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
I. Rechtswahl durch ausdrückliche Klausel in den Plattform-AGB Die Nutzer, die miteinander einen Kauf- oder Dienstleistungsvertrag über die Plattform schließen, können grundsätzlich das anwendbare Recht gem. Art. 3 Rom I-VO wählen. Eine anfängliche Rechtswahl direkt zwischen den Nutzern ist aber unwahrscheinlich, da der Vertrag nicht im Wege individueller Kommunikation geschlossen wird, sondern über die technisch vorgesehenen Möglichkeiten des Plattformbetreibers.232 Allerdings können sich die AGB im jeweiligen Plattformvertrag mittelbar auf das anwendbare Recht des Kaufoder Dienstleistungsvertrags zwischen den Nutzern auswirken. Denkbar ist, dass der Plattformbetreiber in seinem Standardplattformvertrag nicht nur vorgibt, welchem Recht der Plattformvertrag selbst unterliegt, sondern darüber hinaus auch ausdrücklich bestimmt, welches Recht auf jene Verträge Anwendung finden soll, welche die Nutzer miteinander über die Plattform schließen.233 Die Plattform-AGB gelten grundsätzlich zwar nur zwischen dem Plattformbetreiber und dem jeweiligen Nutzer. Da aber alle Nutzer dieselben AGB akzeptieren, im Wissen, dass alle anderen Nutzer und damit potentielle Vertragspartner auf der Plattform auch denselben Klauseln zustimmen, erscheint es diskussionswürdig, solchen Klauseln unmittelbar im Verhältnis zwischen den Nutzern Wirkung zu verleihen. Freitag argumentiert, dass in solchen Fällen die Nutzer der Plattform unmittelbar eine Rechtswahl miteinander treffen würden, weil die PlattformAGB auch Teil des Kauf- oder Dienstleistungsvertrags zwischen den Nutzern würden.234 Mit ähnlichen Effekten wurde früher bei Versteigerungsplattformen teilweise angenommen, dass durch die Einbeziehung der AGB in den Nutzer-Betreiber-Vertrag auch ein Rahmenvertrag zwischen allen Nutzern geschlossen würde.235 Diesen Gedanken könnte man grundsätzlich fortführen und die Rechtswahl zu einem Teil dieses Rahmenvertrags machen. Allerdings ist es im deutschen materiellen Recht mittlerweile einhellige Meinung, dass die AGB im Betreiber-Nutzer-Verhältnis nicht unmittelbar im Nutzer-NutzerVerhältnis gelten, sondern vielmehr bei der Auslegung der Willenserklärung zum Kauf- oder Dienstleistungsvertrag zu berücksichtigen sind.236 Konsequenterweise kann die Auslegung jener Willenserklärungen unter Berücksichtigung der Plattform-AGB auch ergeben, dass der Kauf- oder 232
Freitag, in: Leible/Sosnitza, 2004, Rn. 784 f. Früher z.B. Ebay, vgl. J. Hoffmann, in: Leible/Sosnitza, 2004, Rn. 191. 234 Freitag, in: Leible/Sosnitza, 2004, Rn. 787, erkennt darin einen Fall der konkludenten Rechtswahl. Sofern man einer Inkorporierung der Betreiber-AGB zustimmt, erscheint es jedoch korrekter, von einer ausdrücklichen Rechtswahl zu sprechen, da nun die entsprechende Rechtswahlklausel Teil des Vertrags ist. 235 Dies betraf Klauseln zu der Frage, wie der Vertragsschluss auf solchen Plattformen erfolgt: z.B. Sester, CR 2001, 98, 107; Spindler, ZIP 2001, 809 (812). 236 BGH, Urteil vom 15.02.2017 – VIII ZR 59/16, NJW 2017, 1660, Rn. 12 ff. m.w.N. 233
B. Verträge zwischen Nutzern
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Dienstleistungsvertrag dem in den AGB bestimmten Recht unterliegt. Es handelt sich dann um eine stillschweigende Rechtswahl gem. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Var. 2 Rom I-VO.237 Eine solche Rechtswahl muss sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Wenn beide Nutzer freiwillig einen Vertrag mit dem Betreiber der Vermittlungsplattform schließen und dabei auch zustimmen, dass zukünftige Verträge mit anderen Nutzern einer bestimmten Rechtsordnung unterliegen, dann kann von Kenntnis auf beiden Seiten sowie einer entsprechenden Erwartungshaltung ausgegangen werden.238 Die Umstände sind daher so zu werten, dass sich aus ihnen eindeutig ein Wille zur Wahl des anwendbaren Rechts für Verträge, die Nutzer miteinander über die Plattform schließen, ergibt. Wenn in den AGB des Plattformvertrags also festgelegt wird, welches Recht für die Verträge zwischen den Nutzern gilt, dann ist dies als stillschweigende Rechtswahl zwischen den Nutzern im Sinne des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Var. 2 Rom I-VO wirksam. Wenn der geschlossene Kauf- oder Dienstleistungsvertrag ein Verbrauchervertrag ist, ist die stillschweigende Rechtswahl ebenfalls wirksam, unterliegt aber dem Günstigkeitsvergleich gem. Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO. II. Akzessorische Anknüpfung an den Plattformvertrag Im Regelfall sehen die Plattform-AGB aber keine Rechtswahlbestimmungen für das Verhältnis zwischen den Nutzern vor, sondern – zumindest außerhalb von Verbraucherverträgen – nur für den Plattformvertrag zwischen dem Nutzer und dem Plattformbetreiber. Sofern die Rechtswahl in den Plattformverträgen mit allen Nutzern zur selben Rechtsordnung führt, kann man erwägen, ob dies auch eine enge Verbindung der zwischen den Nutzern geschlossenen Verträge zu eben dieser Rechtsordnung schafft. 1. Ansichten Freitag schlägt vor, die Ausweichklausel (Art. 4 Art. 3 Rom I-VO) standardmäßig auf Kauf- oder Dienstleistungsverträge zwischen Nutzern einer Vermittlungs- oder Versteigerungsplattform anzuwenden, um so akzessorisch an das Recht des Plattformvertrags mit dem Betreiber anzuknüpfen.239 Dafür würden die so geschaffene Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts für die Nutzer sprechen.240 Der gewöhnliche Aufenthalt des Vertragspartners – also des anderen Nutzers – sei hingegen häufig nicht 237 So auch Bücker, Internetauktionen, 2003, S. 157 f.; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 202 (213). 238 Bücker, Internetauktionen, 2003, S. 157 f. 239 Freitag, in: Leible/Sosnitza, 2004, Rn. 790 ff. 240 Ebd., Rn. 791.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
erkennbar und daher für die objektive Anknüpfung ohnehin nicht geeignet.241 Leible lehnt zwar eine solch pauschales Vorgehen ab, schließt aber eine objektive Anknüpfung über die Ausweichklausel an das Recht des Plattformvertrags im Einzelfall nicht aus.242 Andere hingegen nehmen an, dass es sich auch hier um einen Fall der stillschweigenden Rechtswahl handle.243 Dagegen wird wiederum eingewendet, dass es bereits am Rechtswahlbewusstsein mangele.244 Bach erkennt zwar die Vorteile einer Anknüpfung an das Recht des Plattformvertrags an, bezweifelt aber, dass die Vertragspartei, welche die charakteristische Leistung erbringt und deren Heimatrecht gem. Art. 4 Rom I-VO somit Anwendung finden würde, tatsächlich einen Willen zu einer entsprechenden Rechtswahl hat.245 Bücker und Mankowski lehnen eine akzessorische Anknüpfung an das Recht des Plattformvertrags gänzlich ab, denn während bei analogen Versteigerungen ein Platzgeschäft stattfinde, welches es rechtfertige, an den Ort der Versteigerung anzuknüpfen, sei eine Internetversteigerung kein Platzgeschäft und der (virtuelle) Raum der Plattform verliere erheblich an Bedeutung.246 Bei Internetversteigerungen gebe es insbesondere keine Prägung durch öffentlich-rechtliche Regelungen, die eine Anknüpfung an den Versteigerungsort rechtfertigten.247 2. Stellungnahme Diese gesamte Problematik rührt daher, dass der Vertrag zwischen den Nutzern zwar ein eigenständiger Vertrag ist, gleichwohl aber nur unter essentieller Mitwirkung der Vermittlungsplattform zustande kommt. Der Vertrag eines jeden Nutzers mit dem Betreiber der Plattform ist zugleich eine zwingende Voraussetzung dafür, dass der Vertrag zwischen den Nutzern überhaupt geschlossen werden kann. Die Nutzung eines virtuellen Marktplatzes ändert zwar nicht die Belegenheit der Kaufsache, gibt aber den Rahmen vor, innerhalb dessen der Vertrag geschlossen wird.
241
Ebd., Rn. 791. Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 4, Rn. 117; ähnlich T. Pfeiffer, in: Gounalakis, 2003, § 12, Rn. 112. 243 U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 4, Rn. 595; Bach, in: Spindler/ Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 11; ähnlich Lutzi, NJW 2012, 2070 (2071); vorsichtig bejahend auch Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 202 (212 f.). 244 J. Hoffmann, in: Leible/Sosnitza, 2004, Rn. 201, bezeichnet eine stillschweigende Einbeziehung der Betreiber-AGB in den individuellen Vertrag generell als „lebensfremd“. 245 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 12. 246 Bücker, Internetauktionen, 2003, S. 166; Mankowski, in: Spindler/Wiebe, 2005, Kap. 11, Rn. 63; ähnlich krit. T. Pfeiffer, in: Gounalakis, 2003, § 12, Rn. 112. 247 Bücker, Internetauktionen, 2003, S. 166; Mankowski, CR 1999, 512 (513); T. Pfeiffer, in: Gounalakis, 2003, § 12, Rn. 112. 242
B. Verträge zwischen Nutzern
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Diese maßgebliche Prägung des Vertragsschlusses zwischen den Nutzern durch die Plattform und den dazu zugehörigen Plattformvertrag erlaubt es, dem kollisionsrechtliche Wirkung zu verleihen. Soweit die Nutzer, die über die Plattform miteinander einen Vertrag schließen, im Verhältnis zum Plattformbetreiber dasselbe Recht gewählt haben, kann dieses Recht auch auf den Vertrag zwischen den Nutzern zu erstreckt werden. Dafür spricht auch, dass diese Rechtsordnung aufgrund der einheitlichen AGB für die Nutzer leicht zu ermitteln ist. Wenn das auf den Plattformvertrag anwendbare Recht aus Rechtswahl folgt, dann ist davon auszugehen, dass die Nutzer eine Erwartungshaltung dahingehend entwickeln, dass auch alle anderen Nutzer diese Rechtswahl getroffen haben. Wenn sich hingegen das Recht des Plattformvertrags im Wege der objektiven Anknüpfung bestimmt, kann dies nicht gelten. Weder wird eine vergleichbare Erwartungshaltung geschaffen noch ergibt sich das anwendbare Recht für den Nutzer problemlos bereits aus den Geschäftsbedingungen. Dieses Ergebnis muss aber auch den Regelungen der Rom I-VO entsprechen. Nicht überzeugend ist es, eine stillschweigende Rechtswahl im Sinne des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Var. 2 Rom I-VO zwischen den Nutzern anzunehmen. Denn erforderlich sind nicht nur einseitige Erwartungen, sondern ein tatsächlicher übereinstimmender Wille beider Parteien sowie ein zugrundeliegendes Erklärungsbewusstsein.248 Ausreichend ist gerade nicht, dass die Parteien von der Geltung einer spezifischen Rechtsordnung nur ausgegangen sind.249 Die hier vorgefundene Situation ist, dass aufgrund der Plattform-AGB zwar eine gewisse Nähe zu einer Rechtsordnung besteht, sich dies aber nicht im direkten Kontakt zwischen den Nutzern manifestiert. Im Gegensatz zur vorausgehenden Konstellation wird das Verhältnis zwischen den Nutzern nicht in den Plattform-AGB angesprochen. Zwar können so trotzdem Erwartungen entstehen. Darin einen eindeutigen Willen beider Vertragsparteien zu erkennen, scheint die Umstände aber übermäßig zu strapazieren. Eine stillschweigende Rechtswahl zwischen den Nutzern kann daher letztlich nicht angenommen werden. Hingegen eröffnet die objektive Anknüpfung gem. Art. 4 Abs. 3 Rom IVO die Möglichkeit, alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und zu prüfen, ob tatsächlich die Verbindung zum Recht des Plattformvertrags offensichtlich enger ist als zum Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers. Häufig kann zwar das Recht des Plattformvertrags eine solche Nähe und 248
Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 3, Rn. 27; v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 3, Rn. 12; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 47; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 20. 249 v. Hein, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 3, Rn. 12; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3, Rn. 48.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
daher die erforderliche Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts für beide Parteien begründen. Entscheidend sind aber letztlich alle Umstände. Dies kann am Beispiel der aktuellen Ausgestaltung von Ebay evident werden. Ebay etwa bietet für jeden Staat eine eigene Plattform in der entsprechenden Landessprache und mit passender Top-Level-Domain an. In den AGB ist jeweils die Rechtswahl der jeweiligen Zivilrechtsordnung vorgesehen.250 Sollte nun ein deutscher Verkäufer auf der italienischen Seite von Ebay einen Artikel anbieten, dann wäre nach der Standardanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO deutsches Recht anwendbar, was für den Käufer häufig nicht ersichtlich sein dürfte und nicht seinen Erwartungen entsprechen wird. Stattdessen setzen die Ausgestaltung der Plattform und die von beiden Seiten akzeptierten AGB den Kaufvertrag in den Kontext des italienischen Rechts. Hinzu kommt, dass der Verkäufer seine Ware gezielt auf einer Plattform anbietet, die sich zwar nicht ausschließlich, aber doch vorrangig an Käufer in Italien richtet. Daher besteht in solchen Fällen eine offensichtlich engere Verbindung zum Recht des Plattformvertrags im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO. Sofern ein Verbrauchervertrag vorliegt und die räumlich-situativen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO gegeben sind, ist abweichend davon das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers anzuwenden. Bei der Beurteilung des Anwendungsbereichs der Norm ist zudem zu beachten, dass Verkäufer auf Ebay angeben können, ob sie den Artikel nur innerhalb des entsprechenden Staats verschicken möchten oder auch zu einem internationalen Versand bereit sind. Jedenfalls wenn sie sich zu Letzterem bereit erklären, kann ein Ausrichten auf einen anderen Staat bejaht werden.
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
Im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen gibt es Interessen, deren Durchsetzung im deutschen Recht über §§ 280, 241 Abs. 2 BGB ge250 „Il presente Accordo è regolato dalla legge italiana.“, unter 16., ; „Any claim, dispute or matter arising under or in connection with this User Agreement shall be governed and construed in all respects by the laws of England and Wales.“, unter 16., ; „Sauf indication expresse contraire, les présentes Conditions d'utilisation sont régies par le droit français.“, unter 16., .
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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währleistet wird. Aus Sicht des materiellen Rechts sind diese Ansprüche vertraglicher Natur. Unklar ist jedoch, ob es sich dabei auch aus Sicht des europäischen IPR um Fragen des Vertragsrechts handelt oder stattdessen eine außervertragliche Qualifikation zutreffend ist. Im Folgenden wird zunächst die allgemeine Abgrenzung vertraglicher von außervertraglichen Ansprüchen im europäischen IPR besprochen (I.). Sodann folgt eine Darstellung der problematischen Anspruchskonstellationen im deutschen Recht sowie deren Einordnung nach europäischen Maßstäben (II.). I. Vertragliche Ansprüche im Sinne des Rom I-VO Die Rom I-VO findet auf vertragliche Schuldverhältnisse Anwendung, wohingegen außervertragliche Schuldverhältnisse nach der Rom II-VO angeknüpft werden. Die Unterscheidung von vertraglichen und außervertraglichen Rechtsfragen ist also grundlegend für die Ermittlung der korrekten Anknüpfungsnorm. In den Rechtsordnungen der europäischen Mitgliedstaaten wird die Grenze zwischen Vertrags- und Deliktsrecht allerdings unterschiedlich gezogen. Um eine einheitliche Anwendung zu gewährleisten, sind die Systembegriffe des EU-IPR daher autonom und losgelöst vom nationalen Verständnis auszulegen.251 Anhand der Rechtsprechung des EuGH wird der Begriff des Vertrags nachfolgend untersucht. 1. Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat sich wiederholt mit der Abgrenzung von Vertrag und Delikt im Rahmen der internationalen Zuständigkeiten gem. Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO beschäftigt.252 Schon früh wurde klargestellt, dass sich die Bereiche danach unterscheiden, ob die Parteien freiwillig eine rechtliche Verpflichtung geschaffen haben und sich die Klage auf diese Verpflichtung stützt.253 Im 251 Grundlegend EuGH, Urteil vom 27.09.1988 – Rs. 189/87, ECLI:EU:C:1988:459, Athanasios Kalfelis ./. Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. u.a., Rn. 14 ff.; zuletzt Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 25, 30. 252 Eine eingehende Darstellung der Abgrenzung von Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO vor der Entscheidung Wikingerhof bei Menden, Der Anwendungsbereich des deliktischen Gerichtsstands gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, 2020. 253 EuGH, 26.03.2020 – C-215/18, ECLI:EU:C:2020:235, Libuše Králová ./. Primera Air Scandinavia A/S, Rn. 43; Urteil vom 04.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805, Feniks Sp. z o.o. ./. Azteca Products & Services SL, Rn. 39; Urteil vom 07.03.2018 – Verbundene Rs. C-274/16, C-447/16, C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160, flightright GmbH gegen Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA u.a., Rn. 60; Urteil vom 15.06.2017 – C-249/16, ECLI:EU:C:2017:472, Saale Kareda ./. Stefan Benkö, Rn. 28; Urteil vom 21.04.2016 – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286, Austro-Mechana GmbH ./. Amazon EU Sàrl u.a., Rn. 35 f.; Urteil vom 10.09.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574, Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. ./. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim,
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Detail bestehen aber weiterhin Unklarheiten, die insbesondere durch die Entscheidung Brogsitter verschärft wurden.254 Zwar betonte dort der EuGH, dass allein die Geltendmachung einer zivilrechtlichen Haftung und die Existenz eines Vertrags zwischen den Streitparteien nicht für den Vertragsgerichtsstand genügen.255 Stattdessen komme es darauf an, dass „das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann“.256 Das sei immer dann der Fall, „wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen dem Bekl. und dem Kl. unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das dem Bekl. vom Kl. vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist“, und wenn die „Berücksichtigung [des Vertrags] für die Entscheidung über die Klage zwingend erforderlich wäre“.257 Die Entscheidung Brogsitter hinterließ den Eindruck, dass schon eine hypothetische Vertragsverletzung, unabhängig davon, worauf sich die Klage tatsächlich stützt, sowie jede noch so geringe Entscheidungserheblichkeit eines Vertrags zwischen den Parteien für den Vertragsbegriff genügen würden.258 Kritisiert wurde daran, dass der Vertragsgerichtsstand zu weit ausgedehnt werde und dies zu einem Vorrang des Vertrags- vor dem Deliktsgerichtsstand münden könne.259 Zudem müssten die Gerichte zur Feststellung
Rn. 52; Urteil vom 28.01.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, Harald Kolassa ./. Barclays Bank plc, Rn. 39; Urteil vom 18.07.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490, ÖFAB, Östergötlands Fastigheter AB ./. Frank Koot und Evergreen Investments BV, Rn. 33; Urteil vom 14.03.2013 – C-419/11, ECLI:EU:C:2013:165, Česká spořitelna, a.s. ./. Gerald Feichter, Rn. 46; Urteil vom 20.01.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33, Petra Engler ./. Janus Versand GmbH, Rn. 51; Urteil vom 17.09.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C: 2002:499, Fonderie Officine Meccaniche Tacconi SpA ./. Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS), Rn. 23; Urteil vom 17.06.1992 – C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268, Jakob Handte & Co. GmbH ./. Traitements mécano-chimiques des surfaces SA, Rn. 15. Auch: EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 23. 254 Krit. Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C: 2020:688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 27, 68, 71, eingehend Rn. 67 ff.; T. Brand/Gehann, NZKart 2019, 372 (374); a.A. Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633 (1635). Zu den durch Brogsitter geschaffenen Unklarheit speziell im Kartellrecht siehe v. Hein, in: FS Säcker, 2021, S. 216 (221 f.). 255 EuGH, Urteil vom 13.03.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148, Marc Brogsitter ./. Fabrication de Montres Normandes EURL und Karsten Fräßdorf, Rn. 23. 256 Ebd., Rn. 24. 257 Ebd., Rn. 25 f. 258 So M. Weller, LMK 2014, 359127, weswegen auch gerade wettbewerbsrechtliche Ansprüche basierend auf Vertragsgestaltung unter Art. 5 Nr. 1 EuGVVO a.F. fallen würden. Ferner Lüttringhaus, EuZW 2015, 904 (907). 259 v. Hein, in: FS Säcker, 2021, S. 216 (219); Lüttringhaus, EuZW 2015, 904 (907); Mankowski, IPRax 2020, 281 (282); Thiede, NZG 2021, 125 (128). Jedenfalls eine Aufwertung des Vertragsgerichtsstands so Spickhoff, IPRax 2017, 72 (74).
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ihrer Zuständigkeit bereits in eine vertiefte materiell-rechtliche Prüfung einsteigen.260 2. Wikingerhof ./. Booking.com 2020 Dieser Konflikt konnte nun durch die Entscheidung Wikingerhof etwas entschärft werden.261 Der BGH hatte die Frage vorgelegt, ob eine Klage, gestützt auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, vertraglich zu qualifizieren sei, weil die angegriffenen Verhaltensweisen durch die vertraglichen Klauseln zwischen den Parteien gedeckt waren.262 Der Kläger im Ausgangsverfahren stand seit 2009 in einem vertraglichen Verhältnis mit Booking.com und widersprach schriftlich den neuen Geschäftsbedingungen im Jahr 2015. Als kleiner Anbieter im Hotelgewerbe bleibe ihm angesichts der marktbeherrschenden Stellung von Booking.com keine andere Möglichkeit, als mit dem Vermittlungsportal vertragliche Beziehungen einzugehen, auch wenn er mit den Bedingungen keinesfalls einverstanden war. Zu diesen Bedingungen gehörten die Darstellung des von Wikingerhof ausgewiesenen Angebots als „vergünstigter Preis“, kein Zugriff auf Kontaktdaten sowie eine Provision von 15%. Zwar ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung grundsätzlich unstreitig dem Deliktsrecht zuzuweisen, wie der EuGH selbst als auch Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO verdeutlichen.263 Da zwischen den Streitparteien aber ein Vertrag bestand und gerade ein Verhalten im Rahmen dieser Vertragsbeziehung gerügt wurde, erschien die Einordnung unter Anwendung der Formel in Brogsitter fraglich. Der EuGH nutzte die Gelegenheit, um etwas Klarheit zu schaffen. Es kommt nun auf die Verpflichtung an, deren Verletzung mit der jeweiligen
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Sujecki, EuZW 2014, 383 (385). EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV. 262 BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – KZR 66/17, GRUR 2019, 320 – Hotelbuchungsplattform. 263 Z.B. EuGH, Urteil vom 05.07.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533, AB „flyLALLithunian Airlines“ ./. „Starptautiskā lidosta ‚Rīga‘“ VAS und „Air Baltic Corporation“ AS, ECLI:EU:C:2018:533, Rn. 36; Urteil vom 21.05.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015: 335, Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA ./. Akzo Nobel NV u.a., Rn. 43; Urteil vom 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319, flyLAL-Lithuanian Airlines AS ./. Starptautiskā lidosta Rīga VAS und Air Baltic Corporation AS, Rn. 28. So auch BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – KZR 66/17, GRUR 2019, 320, Rn. 23 – Hotelbuchungsplattform, und Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C: 2020:688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 25, sowie die Stellungnahme der Europäischen Kommission (vgl. Schlussanträge, Rn. 27). 261
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Klage geltend gemacht wird, und ob diese vertraglicher Art ist.264 Wenn die Klage auf einen Verstoß gegen gesetzliche Pflichten gestützt ist und eine Auslegung des Vertrags nicht unerlässlich ist, dann handelt es sich im Kern um ein außervertragliches Schuldverhältnis.265 Da die Verpflichtung, eine marktbeherrschende Stellung nicht missbräuchlich auszunutzen, kraft Gesetz allgemein und gerade unabhängig von einem Vertrag gilt, handelt es sich bei der Klage des Ausgangsverfahrens um ein außervertragliches Schuldverhältnis.266 Es betrifft hingegen nicht den Kern der Klage, dass dabei Vertragsklauseln gerügt werden; deren Auslegung sei „allenfalls erforderlich […], um das Vorliegen dieser Praktiken festzustellen“.267 3. Die Verpflichtung als Kernfrage Die verhältnismäßig kurze Entscheidung Wikingerhof stellt klar, worauf es bei Qualifikationsfragen im Wesentlichen ankommt: die Natur der Verpflichtung, deren Verletzung geltend gemacht wird.268 Entscheidend ist die tatsächliche Begründung der Klage und auf welche nationalen Normen diese gestützt wird und nicht, ob hypothetisch konkurrierende vertragliche Ansprüche
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EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 31. Grundsätzlich zust., aber mit der Kritik, dass die Entscheidung zu sehr auf das Kartellrecht beschränkt sei, Kern/Uhlmann, GPR 2021, 50 (54); Mankowski, LMK 2020, 434668; P. Schröder, jurisPR-IWR 2/2021 Anm. 1. Die Entscheidung könne auch über die konkrete Fallfrage hinaus Geltung beanspruchen, so Segger-Piening, EuZW 2021, 299 (302); Thiede, NZG 2021, 125 (128); vorsichtig auch Wurmnest, IPRax 2021, 340 (343). 265 EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 33. 266 Ebd., Rn. 34. Daran anschließend BGH, Urteil vom 10.02.2021 – KZR 66/17, GRUR 2021, 991, Rn. 12. So auch schon BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – KZR 66/17, GRUR 2019, 320, Rn. 24 – Hotelbuchungsplattform; T. Brand/Gehann, NZKart 2019, 372 (374); M. Weller, LMK 2014, 359127. Zust. T. Brand/Gehann, NZKart 2021, 101 (102); Kern/Uhlmann, GPR 2021, 50 (53); Neumann, EuZW 2021, 263 (267); Rieländer, RIW 2021, 103 (106); Thiede, NZG 2021, 127 (127 f.); R. Wagner, NJW 2021, 144 (148); Wurmnest, IPRax 2021, 340 (343). Zust. im Ergebnis, nicht aber in dogmatischer Hinsicht Segger-Piening, EuZW 2021, 299 (302). 267 EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 35. 268 So auch schon EuGH, 26.03.2020 – C-215/18, ECLI:EU:C:2020:235, Libuše Králová ./. Primera Air Scandinavia A/S, Rn. 51; Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020:688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 6, 39; T. Brand/Gehann, NZKart 2019, 372 (374 f.). Krit. dazu, dass es damit letztlich auf den klägerischen Rechtsvortrag ankäme, Wendelstein, JZ 2021, 100 (101 f.).
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denkbar wären.269 Dieser Fokus ist nicht neu, sondern kann in der Rechtsprechung des EuGH verankert werden, wonach es auf die „Grundlage“ der Klage ankommt und nicht auf die Identität der Parteien.270 Unabhängig davon, ob man die Eröffnung des Vertragsgerichtsstands trotz fehlender Identität von Vertrags- und Streitparteien für gerechtfertigt erachtet,271 zeigt diese Rechtsprechungslinie doch deutlich, dass es auf den zentralen Kern der Streitigkeit ankommt. Einer Verdeutlichung bedarf das Kriterium, dass eine unerlässliche Auslegung des Vertrags eine Qualifizierung als Vertragssache bedeutet. Insbesondere bei Anwendung seiner Kriterien auf den Ausgangsrechtsstreit in Wikingerhof wird deutlich, dass nach Ansicht des EuGH nicht jede unerlässliche Vertragsauslegung bei der Anspruchsprüfung eine außervertragliche Qualifikation ausschließt. Vielmehr darf die Vertragsauslegung für die Feststellung einer Verpflichtung nicht unerlässlich sein.272 Wenn eine Verpflichtung jedoch bereits kraft Gesetz besteht, ist eine Vertragsauslegung bei Prüfung einer Verletzung dieser Verpflichtung erlässlich. Der EuGH unterscheidet also, wie auch schon von Generalanwalt Saugmandsgaard Øe vorgeschlagen,273 zwischen Kernfragen des Anspruchs einerseits und Vorfragen andererseits, die auch vertraglicher Natur sein können, aber für die Qualifikation des Anspruchs irrelevant sind.274 Demnach würde beispielsweise ein vertraglicher Haftungsausschluss, der auch im Deliktsrecht wirken soll, nichts an der außervertraglichen Natur des geltend gemachten Anspruchs ändern. Denn auch wenn die Auslegung des Vertrags für die Begründetheit der Klage ent269 So auch Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C: 2020:688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 52 ff., 61; T. Brand/ Gehann, NZKart 2019, 372 (374 f.). 270 EuGH, 26.03.2020 – C-215/18, ECLI:EU:C:2020:235, Libuše Králová ./. Primera Air Scandinavia A/S, Rn. 44; Urteil vom 04.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805, Feniks Sp. z o.o. ./. Azteca Products & Services SL, Rn. 42 ff., 48; Urteil vom 12.09.2018 – C-304/17, ECLI:EU:C:2018:701, Helga Löber ./. Barclays Bank plc, Rn. 21; Urteil vom 07.03.2018 – Verbundene Rs. C-274/16, C-447/16, C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160, flightright GmbH ./. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA u.a., Rn. 61; Urteil vom 20.01.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33, Petra Engler ./. Janus Versand GmbH, Rn. 51. 271 Krit. Mankowski, IPRax 2020, 281; Zahn, GPR 2018, 250 (252 f.). Zust. für die Fluggastrechte-VO, aber krit. im Allgemeinen Lieberknecht, LMK 2018, 407908. 272 So schon zu Brogsitter Zahn, GPR 2018, 250 (254). 273 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020: 688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 36 ff., 90, insb. 103 f. 274 Deutlich in EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 35. Ferner R. Wagner, NJW 2021, 144 (148). Dies gilt freilich auch umgekehrt, vgl. T. Brand/Gehann, NZKart 2019, 372 (373). Kern/Uhlmann, GPR 2021, 50 (55), kritisieren, dass die Unterscheidung zwischen Vorund Hauptfrage aber unklar bleibe.
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scheidend sein kann, handelt es sich bei der geltend gemachten Verpflichtung um eine Pflicht gegenüber jedermann, die gesetzlich und nicht von den Parteien geschaffen wurde.275 Für die Frage der Zuständigkeit ist also allein das Klägervorbringen maßgeblich und nicht die Einwendungen des Beklagten.276 Bei der Abgrenzung von freiwillig von den Parteien einerseits und durch Gesetz geschaffene Verpflichtungen andererseits darf nicht unterschlagen werden, dass freilich sämtliche Vertragsvereinbarungen überhaupt erst durch gesetzliche Anordnung rechtliche Verbindlichkeit erlangen können.277 Zudem zählen auch vertragliche Sekundäransprüche zum Vertragsrecht, auch wenn es keine entsprechende Vertragsklausel gibt.278 Kennzeichnend für einen außervertraglichen Anspruch ist daher nicht allein, ob die Verpflichtung gesetzlich festgehalten ist, sondern ob sie gegenüber jedermann und unabhängig vom Willen der Parteien gilt.279 Außervertragliche Verpflichtungen gelten also „ohne dass der Beklagte gegenüber dem Kläger irgendeine Verpflichtung eingehen wollte“.280 Die materiell-rechtliche Norm, auf die das Klägervorbringen gestützt ist, erlangt so eine große Bedeutung. Denn sie ist der Ausgangspunkt für die Frage der Qualifikation. Indes bedeutet dies nicht, dass von der autonomen Auslegung abgewichen werden dürfte, sondern dass der tatsächliche Vorwurf und die Natur der Verpflichtung hinter der materiell-rechtlichen Norm beleuchtet werden müssen. Schließlich ist noch auf Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO hinzuweisen, worin typische Fragen des Vertragsstatuts genannt sind. Diese Liste ist zwar nicht abschließend, kann aber Leitlinien aufzeigen.281 Dieser in Wikingerhof verdeutlichte Mechanismus, wonach die Natur der Verpflichtung, deren Verletzung geltend gemacht wird, für die Abgrenzung von vertraglichen und außervertraglichen Klagen maßgeblich ist, sollte auch für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO ei-
275 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020: 688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 106, 108. 276 EuGH, Urteil vom 03.04.2014 – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215, Hi Hotel HCF SARL ./. Uwe Spoering, Rn. 19 ff. 277 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020: 688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 37 (Fn. 38). 278 EuGH, Urteil vom 07.03.2018 – Verbundene Rs. C-274/16, C-447/16, C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160, flightright GmbH gegen Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA u.a., Rn. 59; Urteil vom 21.04.2016 – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286, Austro-Mechana GmbH ./. Amazon EU Sàrl u.a., Rn. 30; siehe auch Mankowski, IPRax 2003, 127 (132). 279 T. Brand/Gehann, NZKart 2019, 372 (375); Spickhoff, IPRax 2017, 72 (75). 280 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020: 688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 46, außerdem Rn. 49. 281 Ebd., Rn. 40.
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nerseits und der Rom II-VO andererseits gelten.282 Dies ordnet bereits der jeweilige Erwägungsgrund 7 beider Verordnungen an.283 Zudem erscheint dies dadurch gerechtfertigt, dass nun auch im Zuständigkeitsrecht zwischen Vorfragen und dem Anspruch selbst unterschieden wird. Dies entspricht dem Prinzip der selbstständigen Anknüpfung von Vorfragen im Kollisionsrecht,284 sodass eine abweichende Definition im Kollisionsrecht zur Wahrung der Methodik nicht erforderlich ist. In der deutschen Rechtsprechung zeigt sich bereits, dass nun maßgeblich darauf abgestellt wird, worauf die Klage gestützt ist, und nicht darauf, ob zwischen den Parteien ein Vertrag besteht und vertragliche Ansprüche möglicherweise ebenfalls in Betracht kämen. Daher seien Klagen wegen des Vorwurfs der arglistigen Täuschung im vorvertraglichen Schuldverhältnis außervertraglich zu qualifizieren.285 Dasselbe gelte bei lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen gestützt auf § 8 Abs. 1 S. 1 UWG, wenn sich ein Nutzer der Plattform Facebook gegen einen an seine Veröffentlichung angehefteten sog. Faktencheck-Hinweis wendet, auch wenn zwischen den Parteien ein Plattformvertrag besteht.286 4. Abweichende Auslegung zum Schutz einer schwächeren Vertragspartei? Auf Vorbringen der Europäischen Kommission sprach sich Generalanwalt Saugmandsgaard Øe dafür aus, dass der Begriff des Vertrags für die Gerichtsstände des Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsvertrags eine abweichende Auslegung erfahren solle.287 Demnach sei hier – abweichend von Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO – die Natur der geltend gemachten Verpflichtung irrelevant, solange die Klage zwischen Vertragsparteien und aus Anlass der Vertragserfüllung erfolge.288 Denn andernfalls könne der Vertragspartner den Schutzgerichtsstand für die schwächere Partei umgehen, indem er sich auf Normen der unerlaubten Handlungen statt auf Vertragsbe282 Eine rechtsaktübergreifende Auslegung sei wegen der Möglichkeit zur vertragsakzessorischen Anknüpfung in der Rom II-VO nicht erforderlich, meint Rieländer, RIW 2021, 103 (112). 283 Zur Reichweite des Gebots der kohärenten Auslegung beim Vertragsbegriff siehe v. Hein, in: FS Säcker, 2021, S. 216 (220 f.). 284 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 180, m.w.N. 285 BGH, Urteil vom 20.07.2021 – VI ZR 63/19, NJW 2021, 2977, Rn. 21. 286 OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.07.2021 – 6 W 8/21, GRUR-RS 2021, 22158, Rn. 28 ff. 287 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020: 688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 111. Ein abweichendes Vertragsverständnis zeigt der EuGH schon in Renate Ilsinger ./. Martin Dreschers, Urteil vom 14.05.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303. Zust. Rieländer, RIW 2021, 103 (110 f.). 288 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI:EU:C:2020: 688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 111.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
stimmungen stütze. Vertretbar erscheine dies auch deswegen, weil es bei den fraglichen Zuständigkeiten nicht um die Sachnähe des Gerichts, sondern den Schutz der schwächeren Partei gehe. Mankowski erkennt bereits in jenen Fällen zur Qualifikation von Ansprüchen aus der Fluggastrechte-Verordnung, in denen der EuGH auf die Identität der Vertrags- und Streitparteien verzichtete,289 eine abweichende Auslegung des Vertragsbegriffs zugunsten des Verbrauchers.290 Dies sei jedoch abzulehnen; stattdessen solle für die Qualifikation als Verbrauchervertrag allein das hinzutretende personale Element maßgeblich sein.291 Ob der Begriff des Vertrags für die Zwecke des Schwächerenschutzes weiter auszulegen ist als im allgemeinen Verständnis, kann für das Kollisionsrecht jedoch dahinstehen.292 Denn zunächst erfordert die Systematik der Rom I-VO ein einheitliches Verständnis. So stellt sich dort die Frage nach der Vertragsqualifikation im Rahmen des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO als vorgelagerte Frage des Anwendungsbereichs, wohingegen die Qualifikation als Verbrauchervertrag erst im nächsten Schritt bei der Wahl der richtigen Kollisionsnorm innerhalb der Rom I-VO zum Tragen kommt. Zudem ist eine besonders großzügige Auslegung zum Schutz des Verbrauchers nicht erforderlich, da bereits die Möglichkeit der akzessorischen Anknüpfung im Deliktsrecht (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO bzw. Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) zum selben Ergebnis zu führen vermag.293 5. Zwischenergebnis Die Rechtsprechung des EuGH gibt Leitlinien, wie die Abgrenzung von Vertrag und Delikt im Rahmen von Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO zu erfolgen hat. Dies gilt grundsätzlich auch für die Bestimmung der Anwendungsbereiche der Rom I-VO und Rom II-VO. Demnach kommt es darauf an, welche Natur die Verpflichtung hat, deren Verletzung geltend gemacht wird. Während eine vertragliche Verpflichtung ihren Ursprung in der freiwilligen Einigung der Parteien hat, gelten außervertragliche Verpflichtungen unabhängig vom Willen der Parteien aufgrund des Gesetzes und gegenüber jedermann. Wenn eine Auslegung der Vertragsbestimmungen unerlässlich ist, um diese Verpflichtung festzustellen, so handelt es sich um eine vertragliche Ver289 EuGH, Urteil vom 26.03.2020 – C-215/18, ECLI:EU:C:2020:235, Libuše Králová ./. Primera Air Scandinavia A/S, Rn. 44; Urteil vom 07.03.2018 – Verbundene Rs. C-274/16, C-447/16, C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160, flightright GmbH ./. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA u.a., Rn. 61. 290 Mankowski, GPR 2020, 281 (282 f.). 291 Ebd. (insb. S. 284). 292 Krit. zu einem weiteren Verständnis des Vertragsbegriff insbesondere im Arbeitsrecht v. Hein, in: FS Säcker, 2021, S. 216 (231 f.). 293 Zur akzessorische Anknüpfung siehe unten S. 274–286.
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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pflichtung. Unbeachtlich ist hingegen die Natur der Einwendungen, die der Anspruchsgegner dem geltend gemachten Anspruch entgegenhält; diese sind als Vorfrage selbstständig und gesondert anzuknüpfen. Ein davon abweichendes Vertragsverständnis zur Verwirklichung des Verbraucherschutzes ist jedenfalls im Kollisionsrecht nicht erforderlich. II. Die Qualifikation konkreter Schutzpflichten Zur Gruppe jener Ansprüche, deren vertragsrechtliche Qualität im europäischen Verständnis zweifelhaft ist, gehören Ansprüche aus der Verletzung von vertraglichen Schutzpflichten gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. So entschied der EuGH im Zuständigkeitsrecht beispielsweise, dass der Abbruch von Vertragsverhandlungen mangels freiwilliger Verpflichtung nur ein außervertragliches Schuldverhältnis begründen kann.294 Dieser Entscheidung folgte die europäische Gesetzgebung, sodass vorvertragliche Schuldverhältnisse im Kollisionsrecht grundsätzlich außervertraglich zu qualifizieren sind (Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO, Art. 12 Rom II-VO). Dies entspricht der Abgrenzungsformel des EuGH in Wikingerhof, da die Verpflichtungen im vorvertraglichen Schuldverhältnis durch das Gesetz und nicht eine vorausgehende freiwillige Einigung geschaffen werden. Problematischer sind allerdings Schutzpflichten, die während und nach der Vertragsdurchführung einzuhalten sind. Einerseits setzen Ansprüche gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB voraus, dass ein wirksamer Vertrag besteht. Dies spricht dafür, diese Ansprüche vertraglich zu qualifizieren.295 Andererseits werden damit bereits bestehende Rechtspositionen geschützt, die gerade nicht erfüllungsbezogen sind. Dagegen wird eingewandt, dass die Schutzpflichten im deutschen Vertragsrecht ein defizitäres Deliktsrecht kompensierten und eine Rechtsposition schützten, die nicht erst durch den Vertrag geschaffen worden sei.296 Im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien können Ansprüche wegen Schutzpflichtverletzungen gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in zwei unterschiedlichen Konstellationen Bedeutung erlangen. Die erste Kategorie betrifft das Verhältnis zwischen zwei Nutzern, die über eine Vermittlungsplattform einen Vertrag geschlossen haben 294
EuGH, Urteil vom 17.09.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499, Fonderie Officine Meccaniche Tacconi SpA ./. Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS), Rn. 25 f. 295 Gottwald, in: MüKoZPO, 5. Aufl. 2017, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO 17. Aufl. 2020, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 2b; Ringe, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 1, Rn. 14. 296 U. Magnus, in: Staudinger (2016), Rom I-VO Art. 1, Rn. 32 f.; Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 35; Wendelstein, ZEuP 2015, 622 (631).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
und die Leistung ihres jeweiligen Vertragspartners auf dieser Plattform bewerten und kommentieren. Wenn sich der eine Nutzer durch die Bewertung des anderen in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sieht, kommt neben einem deliktsrechtlichen Anspruch auch ein Anspruch wegen der Verletzung vertraglicher Schutzpflichten in Betracht.297 Die zweite Kategorie, die hier näher betrachtet wird, sind Ansprüche auf Wiederherstellung einer gelöschten Veröffentlichung eines Nutzers gegen den Plattformbetreiber. Solche Ansprüche können laut deutscher Rechtsprechung aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB folgen.298 Zwar ist die Tragweite dieser Frage angesichts der Möglichkeit zur akzessorischen Anknüpfung eines Deliktsverhältnisses an das vertragliche Verhältnis gem. Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB relativiert. Gleichwohl ist die akzessorische Anknüpfung nicht zwingend und wirft insbesondere im Verbrauchervertrag Fragen auf.299 Im Folgenden wird besprochen, ob diese beiden Kategorien nach autonomem Begriffsverständnis vertraglich oder außervertraglich zu qualifizieren sind und ob sie dementsprechend in den Anwendungsbereich der Rom I-VO oder jenen der Rom II-VO bzw. den des autonomen Kollisionsrechts fallen. 1. Ansprüche gegen verletzende Bewertungen Zwar setzt der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, wenn er gegen den Vertragspartner wegen verletzenden Bewertungen im Nachgang geltend gemacht wird, ein vertragliches Verhältnis zwischen den Parteien voraus. 297
Leible, in: Leible/Sosnitza, 2004, Rn. 305; Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 79. Siehe auch im Arbeitsrecht z.B. BAG, Urteil vom 24.04.2008 – 8 AZR 347/07, NJW 2009, 251, Rn. 32; LAG Niedersachsen, Urteil vom 09.03.2009 – 9 Sa 378/08, BeckRS 2010, 66442; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.06.2019 – 8 Sa 365/18, BeckRS 2019, 20978, Rn. 113 ff. 298 BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935 – Der III. Weg; KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260; OLG Dresden, Urteil vom 20.04.2021 – 4 W 118/21, MMR 2021, 566, Rn. 12; Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJW-RR 2019, 1006; Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18, NJW 2018, 3110; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35; LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.09.2018 – 2-03 O 310/18, MMR 2018, 770; Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, MMR 2018, 545; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423. Siehe nun aber BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 27 ff., der § 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage heranzieht. 299 Siehe unten S. 274–285.
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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Schutzgegenstand ist jedoch das Persönlichkeitsrecht. Die Verpflichtung, das Persönlichkeitsrecht anderer nicht zu verletzen, besteht grundsätzlich gegenüber jedermann, wie der deliktische Persönlichkeitsschutz zeigt. Der vertragliche Anspruch entspricht im Regelfall der deliktsrechtlichen Pflicht und kommt daher ergänzend hinzu. Daher wird im Vertragsrecht nicht eine neue Verpflichtung geschaffen, sondern die Haftung für Verletzungen derselben aufgrund der vertraglichen Bindung erweitert. Für eine außervertragliche Qualifikation solcher Ansprüche sprechen zwei Argumente: Erstens entspringen das zu schützende Rechtsgut und die spiegelbildliche Verpflichtung zu dessen Schutz nicht dem Vertrag, sondern bestehen bereits unabhängig davon. Ob die Verpflichtung verletzt wurde, bestimmt sich nach derselben Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit wie auch im Deliktsrecht. Und zweitens ist die Auslegung des Vertrags für die Prüfung eines solchen Anspruchs im Regelfall nicht erforderlich. Daher sind Ansprüche wie etwa jener aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, mit denen allgemein eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts geltend gemacht wird, für das IPR außervertraglich zu qualifizieren. Hingegen ist ein Anspruch vertraglicher Natur, wenn die behauptete Verpflichtung mithilfe der Vertragsbedingungen begründet wird.300 Denn dann ist die Auslegung des Vertrags unerlässlich. Beispielhaft kann dafür auf mehrere Fälle zu Ebay verwiesen werden.301 Im Zentrum stand eine Klausel der Plattform-AGB, wonach die Bewertung eines Vertragspartners wahrheitsgemäß und sachlich sein muss. Dieser Pflicht zur sachlichen Bewertung wird über § 241 Abs. 2 BGB rechtliche Verbindlichkeit verliehen. Sie entstammt jedoch nicht dem Gesetz, sondern der vertraglichen Vereinbarung. Welche Reichweite das Sachlichkeitsgebot hat und ob und wie die Plattform-AGB zwischen den Parteien eines über die Plattform geschlossenen Kauf- oder Dienstleistungsvertrags wirkt, kann nur durch Vertragsauslegung bestimmt werden. Daher sind diese Fälle vertragliche Ansprüche im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO.
300 Eingehend dazu Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30 (36 ff.); Janal, NJW 2006, 870 (872 f.). 301 LG Bonn, Urteil vom 24.06.2014 – 8 S 23/13, BeckRS 2014, 20490; LG Saarbrücken, Urteil vom 09.02.2007 – 13A S 46/06, BeckRS 2007, 03162; AG Bremen, Urteil vom 27.11.2009 – 9 C 412/09, NJW-RR 2010, 1426 (1427); AG Erlangen, Urteil vom 26.05.2004 – 1 C 457/04, MMR 2004, 635; AG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 22.12.2005 – 712 C 465/05, BeckRS 2005, 32824. Ferner Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30 (36 ff.); Janal, NJW 2006, 870 (872 f.).
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2. Ansprüche auf Wiederherstellung Schon beim viel diskutierten Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde moniert, dass das Gesetz Anreize zum sog. Overblocking setze:302 So richte sich das Gesetz nur gegen eine zu laxe Löschpraxis, die unzulässige Nutzerbeiträge beibehalte; hingegen sei ein systematisches übermäßiges Löschen von Beiträgen, die aus gesetzlicher Sicht eigentlich zulässig wären, erlaubt. Für die Plattformbetreiber ist es daher ein geringeres Risiko, wenn sie zweifelhafte Nutzerbeiträge direkt löschen; eine extensive Löschpraxis sei daher zu erwarten – insbesondere da die Nutzer keinen Anspruch auf Wiederherstellung gelöschter Beiträge hätten. Wie die Evaluierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes jedoch zeigt, kann keine Tendenz zum systematischen übermäßigen Löschen von zulässigen Nutzerbeiträgen zulasten der grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes festgestellt werden.303 Gleichwohl löschen die Betreiber regelmäßig Nutzerbeiträge. Diese Löschungen werden allerdings nicht mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, sondern mit Verletzungen der plattformeigenen Nutzungsbedingungen gerechtfertigt. Mit diesen Nutzungsbedingungen stellt der Plattformbetreiber typischerweise Verhaltensregeln für die plattforminterne Kommunikation auf und behält sich vor, bei Verstößen gegen diese Regeln einzelne Nutzerbeiträge zu löschen oder dem Nutzer den Zugriff auf das eigene Konto (zeitweise) zu verwehren.304 Typisch für US-amerikanische Plattformen ist beispielsweise das Verbot der „Hassrede“, das bei einer Verletzung eine Löschung des fraglichen Inhalts oder sogar die Sperrung des Nutzungskontos nach sich ziehen kann.305 Die vorrangige Prüfung der Nutzungsbedingungen statt der 302
Z.B. Gerhardinger, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit?, 17.04.2017, ; Guggenberger, NJW 2017, 2577 (2581); Liesching, MMR 2018, 26 (27 f.); Nolte, ZUM 2017, 552 (558 f.). 303 Bericht der Bundesregierung zur Evaluierung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG), 09.11.2020, , S. 21 ff.; basierend auf Eifert/v. Landenberg-Roberg/ Theß/Wienfort, Evaluation des NetzDG – Im Auftrag des BMJV, , S. 51 ff. 304 Z.B. Facebook, Gemeinschaftsstandards, unter 12, ; Twitter, Richtlinie zu Hass schürendem Verhalten, ; YouTube, Richtlinien zu Hassrede, . 305 Siehe dazu Eifert/von Landenberg-Roberg/Theß/Wienfort, Evaluation des NetzDG – Im Auftrag des BMJV, , S. 20.
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist insofern nachvollziehbar, als es sich dabei um den plattforminternen internationalen Standard handelt und nationale Besonderheiten nicht zu berücksichtigen sind. Diese Löschpraxis basierend auf den plattformeigenen Regeln beschäftigte in jüngerer Zeit auch wiederholt die Gerichte:306 Betroffene Nutzer verlangen Wiederherstellung der gelöschten Beiträge und Zugang zu ihren (zeitweise) gesperrten Nutzerkonten mit der Begründung, dass die Inhalte von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Var. 1 GG) gedeckt seien und der Betreiber sie deswegen nicht habe löschen dürfen. Im Folgenden wird die aktuelle Rechtsprechung dargestellt (a.) und sodann auf die Konsequenz für die kollisionsrechtliche Qualifikation eingegangen (b.). a) Darstellung der Rechtslage in Deutschland Die Gerichte halten es grundsätzlich für möglich, dass nach deutschem Recht ein Anspruch auf Wiederherstellung in Betracht kommt. Bis zum jüngst ergangenen Urteil des BGH307 bestand hinsichtlich der Voraussetzungen eines solchen Anspruchs jedoch kein einheitlicher Ansatz.308 Einigkeit besteht darin, dass das Zivilrecht grundsätzlich einen Anspruch des Nutzers gegen den Plattformbetreiber auf Wiederherstellung einer gelöschten Veröffentlichung vorsieht. Bislang wurde dieser zumeist auf §§ 280
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BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935 – Der III. Weg; BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970; KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260; OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJW-RR 2019, 1006; Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18, NJW 2018, 3110; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35; LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.09.2018 – 2-03 O 310/18, MMR 2018, 770; Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, MMR 2018, 545; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423. 307 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970. 308 BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935 – Der III. Weg, Rn. 15 ff. Eingehend Friehe, NJW 2020, 1697; Raue, JZ 2018, 961. Am Rande sei darauf hingewiesen, dass jüngst das Bezirksgericht Warschau, Entscheidung vom 14.05.2021, einen Wiederherstellungsanspruch und einen Anspruch auf Entsperrung des Kontos auf das Persönlichkeitsrecht der Klägerin gestützt hat. Argumentiert wurde, dass die Sperrung des Kontos selbst das öffentliche Ansehen der Klägerin schädige und ihren guten Ruf insbesondere bei Förderern gefährde. Zusammenfassung der Entscheidung bei MMR-Aktuell 2021, 441544.
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Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Plattformvertrag gestützt.309 Vereinzelt werden für einen solchen Anspruch aber auch die §§ 1004 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB310 oder § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 und Art. 21 GG311 herangezogen.312 Der BGH hat sich nun für § 280 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage entschieden, weil es sich bei der Verpflichtung des Betreibers, nicht grundlos Nutzerbeiträge zu löschen, um eine vertragliche Hauptpflicht handle.313 Zudem bestehen, basierend auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht,314 auch keine Zweifel unter den Gerichten, dass die Grundrechte der betroffenen Nutzer auch im Privatrecht wirken können. Die Entscheidung zum Stadionverbot hat deutlich gemacht, dass einzelne private Akteure bei der Inanspruchnahme von Machtpositionen auch zu den durch die Grundrechte Verpflichteten gehören können.315 Die erhöhte Relevanz von Grundrechten im privatrechtlichen Verhältnis zwischen Nutzer und Plattformbetreiber wird zum einen mit der starken Marktmacht einzelner Anbieter,316 zum anderen 309 OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 11; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 8; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 17; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 13; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41, Rn. 7; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35, Rn. 22; Müller-Riemenschneider/Specht, MMR 2018, 545 (547). 310 KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260, Rn. 15; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.09.2018 – 2-03 O 310/18, MMR 2018, 770; Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, MMR 2018, 545; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 28. 311 LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928, Rn. 12. 312 Unklar OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJW-RR 2019, 1006; Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18, NJW 2018, 3110. 313 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 27. 314 BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, BVerfGE 148, 267 = NJW 2018, 1667 – Stadionverbot; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15, NJW 2015, 2485 – Bierdosen-Flashmob; Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 = NJW 2011, 1201 – Fraport; Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/57, BVerfGE 7, 198 = NJW 1958, 257 – Lüth. 315 BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, BVerfGE 148, 267 = NJW 2018, 1667, Rn. 41 – Stadionverbot. 316 „Quasi-Monopol“: OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 19; mit Bezug auf die Entscheidung des BKartA, dass Facebook marktbeherrschend sei: OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35, Rn. 29. Auch das BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935, Rn. 19 – Der III. Weg, argumentiert in der Folgenabwägung im Eilverfahren mit den hohen Nutzerzahlen von Facebook („nicht ohne Weiteres austauschbare[s] Medium“).
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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mit der Schaffung eines öffentlichen Gesprächs- und Diskussionsraums begründet.317 Das Bundesverfassungsgericht erwähnt, dass das Bestehen und der Grad einer Grundrechtsverpflichtung der Plattformbetreiber „etwa in Abhängigkeit vom Grad deren marktbeherrschender Stellung, der Ausrichtung der Plattform, des Grads der Angewiesenheit auf eben jene Plattform und den betroffenen Interessen der Plattformbetreiber und sonstiger Dritter“
zu bestimmen seien.318 Systematisch wird die Grundrechtsprüfung meist in § 241 Abs. 2 BGB eingebettet,319 teilweise kommt es aber auch zu einer Prüfung der Grundrechte im Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB in § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.320 Auch dürfte kein Streit darüber bestehen, dass nicht nur einseitig die Meinungsfreiheit der klagendenden Nutzer zu gewichten ist, sondern diese in praktische Konkordanz mit den kollidierenden Grundrechten der Plattformbetreiber und anderer Nutzer gebracht werden muss.321 Auf Seiten der Betreiber sind dafür ihr virtuelles Hausrecht, eine mögliche Haftung gegenüber Dritten und wirtschaftliche Interessen zu nennen (Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG).322 Aber auch die Betreiber können sich ihrerseits auf die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 317
OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 14; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 19; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 22 ff.; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 26 ff. 318 BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935, Rn. 15 – Der III. Weg. 319 Ausführlicher z.B. OLG München, Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 28; Müller-Riemenschneider/Specht, MMR 2018, 545 (547). 320 LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 40. So auch Lüdemann, MMR 2019, 279 (279 f.); Spindler, CR 2019, 238 (242 f.). Nun auch BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 54. 321 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 54 ff.; OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 12; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 15, 18 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJW-RR 2019, 1006, Rn. 28; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 – 4 W 63/18, NJW-RR 2019, 35, Rn. 29; LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928, Rn. 22, 24; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 40; Spindler, CR 2019, 238 (243 f.). Dies kommt allerdings nicht in jeder Entscheidung deutlich zum Ausdruck. 322 OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 12; Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 18 f.; LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928, Rn. 20; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.09.2018 – 2-03 O 310/18, MMR 2018, 770, Rn. 19; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 40; Friehe, NJW 2020, 1697 (1700); Lüdemann, MMR 2019, 279 (281); Raue, JZ 2018, 961 (965); Spindler, CR 2019, 238 (244).
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Abs. 1 S. 1 GG berufen.323 Andere Nutzer können wiederum in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen sein (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).324 Der BGH hat sich nun mit der bislang streitigen Frage auseinandergesetzt, wie stark die Betreiber sozialer Medien durch die Grundrechte verpflichtet sind und wie die Abwägung der betroffenen Grundrechte zu erfolgen hat.325 Zuvor war dieser Aspekt in der deutschen Rechtsprechung jedoch unklar. Diejenigen, die praktisch eine unmittelbare Bindung an die Grundrechte befürworten, erlauben es den Betreibern sozialer Medien nicht, in ihren Nutzungsbedingungen einen strengeren Kommunikationsstandard als das Gesetz vorzusehen; wenn eine Nutzerveröffentlichung noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, dann dürfe der Betreiber diese nicht löschen bzw. sei in der Pflicht, nach erfolgter Löschung die Veröffentlichung wiederherzustellen.326 Auf der anderen Seite stehen Gerichte, die es den Betreibern gestatten, in ihren Nutzungsbedingungen vom gesetzlichen Standard abzuweichen; der Grundrechtseinfluss beschränkt sich hier auf ein Willkürverbot.327 Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage bislang nur im Wege des Eilrechtsschutzes befasst und sich dabei auf eine Folgenabwägung beschränkt.328 Der BGH hat sich nun der letztgenannten Ansicht angeschlossen und gestattet den Betreibern also, im Wege ihrer Nutzungsbedingungen von den gesetzlichen Kommunikationsgrenzen abzuweichen.329 Denn die Marktmacht von Facebook komme einem Monopol nicht gleich, sodass keine 323
BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 69 f., 74. LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928, Rn. 22, 24; LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 291/18, MMR 2020, 423, Rn. 40; Lüdemann, MMR 2019, 279 (282); Raue, JZ 2018, 961 (967); Spindler, CR 2019, 238 (244). 325 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970. 326 KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260, Rn. 17 ff.; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 22 ff.; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 26 ff.; OLG Oldenburg, Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41, Rn. 9; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, MMR 2018, 545, Rn. 11, 14, 17 ff. Nun auch OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 14; Müller-Riemenschneider/Specht, MMR 2018, 545 (547); Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 74; dies., NJW 2018, 3686 (3687). 327 OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 15 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJW-RR 2019, 1006, Rn. 28; Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18, NJW 2018, 3110, Rn. 11 ff., 18; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.09.2018 – 2-03 O 310/18, MMR 2018, 770, Rn. 16 ff.; Barth, GRUR-Prax 2019, 267; Beurskens, NJW 2018, 3418 (3420); Holznagel, CR 2018, 369 (371 f.); Jobst, NJW 2020, 11 (16); Lüdemann, MMR 2019, 279 (281 f.). 328 BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935, Rn. 18 ff. – Der III. Weg. 329 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 59. 324
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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staatsgleiche Bindung an die Grundrechte bestehe, sondern vielmehr die Grundrechte von Facebook selbst in der Abwägung zu berücksichtigen seien.330 Die Abwägung der betroffenen Grundrechte wiederum führe zu dem Ergebnis, dass Facebook eigene Gesprächsstandards vorsehen und bei Verstößen Nutzerbeiträge löschen und Konten sperren könne, sofern für die konkrete Löschung ein sachlicher Grund bestehe,331 die jeweilige Entscheidung nachvollziehbar mitgeteilt332 und durch eine Anhörung des betroffenen Nutzers eine gründliche Sachverhaltsermittlung garantiert werde.333 b) Qualifikation Die Gerichte behandeln die Ansprüche auf Wiederherstellung gelöschter Nutzerbeiträge aus materiellrechtlicher Sicht also als vertragliche Ansprüche. Aus Sicht der kollisionsrechtlichen Systembegriffe und einer autonomen Auslegung der europäischen Kollisionsnormen ist die Rechtsnatur der Wiederherstellungspflicht jedoch uneindeutig. Für die Frage der internationalen Zuständigkeit und der Frage des anwendbaren Rechts gehen die meisten Gerichte zwar von einem rein vertraglichen Sachverhalt aus;334 vereinzelt zeigen sich aber Zweifel ob der Rechtsnatur der Wiederherstellungsansprüche. So hat das OLG München die Frage nach der Qualifikation aufgeworfen335 und das KG Berlin ist von einer deliktischen Qualifikation ausgegangen.336 Nach hier vertretener Ansicht hängt die Frage der Qualifikation wesentlich davon ab, ob die Grundrechtsbindung der Betreiber sozialer Medien so stark ist, dass vom gesetzlichen Standard nicht abgewichen werden darf, wie im Folgenden zu zeigen ist. aa) Der Wiederherstellungsanspruch als vertraglicher Anspruch Wiederherstellungsansprüche sollten vertraglich qualifiziert werden, wenn die Plattformbetreiber die Grenzen zulässiger Kommunikation selbst festlegen dürfen und die Grundrechte nur äußere Grenzen aufzeigen.337 Denn in 330
Ebd. Ebd., Rn. 81. 332 Ebd., Rn. 82. 333 Ebd., Rn. 83 ff. 334 Z.B. OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, Rn. 7. 335 OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 9 ff., 13 ff.; OLG München, Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 9 f. (konnte in den konkreten Fällen aber dahinstehen). 336 KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260, Rn. 6. Ebenso LG Frankenthal, Beschluss vom 08.03.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928, Rn. 7 ff. 337 So BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 54 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2018 – 4 W 577/18, NJW 2018, 3111, 331
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Kapitel 2: Vertragsstatut
diesen Fällen ist es unmittelbar der Vertrag, der die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien begründet. Eine Vertragsauslegung ist dann unerlässlich, um eine mögliche Verpflichtung des Plattformbetreibers zur Wiederherstellung festzustellen. Ein Recht auf Veröffentlichung erhält wiederum der Nutzer, weil er einen entsprechenden Vertrag mit dem Plattformbetreiber eingeht. Somit ist der Anspruch auf Wiederherstellung dann ein vertraglicher Anspruch im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO, wenn die Grundrechte zwar gesetzliche Grenzen auferlegen, ansonsten aber einen vertraglichen Gestaltungsspielraum zulassen. Ergänzend sei an dieser Stelle angemerkt, dass es überzeugend ist, die Pflicht zur Wiederherstellung zulässiger Nutzerbeiträge als vertragliche Hauptleistungspflicht zu verstehen, wie dies nun auch der BGH tut.338 Die bisherige Verankerung in § 241 Abs. 2 BGB brachte zum Ausdruck, dass die Wiederherstellung zum Schutz bereits bestehender berechtigter Interessen des Vertragspartners erfolgt. Dies erscheint jedoch zweifelhaft, weil die Nutzerkommunikation das prägende Merkmal eines Plattformvertrags ist und die Bereitstellung der Plattforminfrastruktur zur Ermöglichung ebendieser Nutzerkommunikation der Vertragskern ist.339 Die Löschung eines Nutzerbeitrags ist daher nicht eine Beeinträchtigung der weiteren Interessen des Vertragspartners, wie es § 241 Abs. 2 BGB meint, sondern eine Nichtleistung vertraglicher Hauptpflichten.340 Dementsprechend ist ein Anspruch auf Wiederherstellung im Kern ein Anspruch auf Hauptleistung und besser in § 241 Abs. 1 BGB angesiedelt. Für das Kollisionsrecht ist dies zwar nicht entscheidend. Auf diesem Wege würde aber auch für das IPR deutlich, dass es sich hier im Kern um eine vertragliche Verpflichtung handelt, wie es die Entscheidung Wikingerhof verlangt. bb) Der Wiederherstellungsanspruch als deliktischer Anspruch Hätte sich das deutsche materielle Recht hingegen dahin entwickelt, dass die Plattformbetreiber keinen vertraglichen Gestaltungsspielraum haben, sondern jeden Nutzerbeitrag veröffentlichen müssen, der nach gesetzlichen Standards zulässig wäre,341 dann wäre eine deliktische Qualifikation zutreffend geweRn. 15 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.02.2019 – 6 W 81/18, NJW-RR 2019, 1006, Rn. 28; Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18, NJW 2018, 3110, Rn. 11 ff., 18; Barth, GRUR-Prax 2019, 267; Beurskens, NJW 2018, 3418 (3420); Holznagel, CR 2018, 369 (371 f.); Jobst, NJW 2020, 11 (16); Lüdemann, MMR 2019, 279 (281 f.). 338 BGH, Urteil vom 29.07.2021 – III ZR 179/20, GRUR-RS 2021, 23970, Rn. 27. 339 Ebenfalls krit. Jobst, NJW 2020, 11 (15). 340 Ebenso Beurskens, NJW 2018, 3418 (3419 f.); Holznagel, CR 2018, 369 (370); Raue, JZ 2018, 961 (970). 341 So KG, Beschluss vom 22.03.2019 – 10 W 172/18, NJW-RR 2019, 1260, Rn. 17 ff.; OLG München, Beschluss vom 17.09.2018 – 18 W 1383/18, NJW 2018, 3119, Rn. 22 ff.; Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, Rn. 26 ff.; OLG Oldenburg,
C. Die Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB
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sen. In diesem Fall bekommen die Wiederherstellungsansprüche eine große Nähe zum Fall Wikingerhof, wo die zentrale Verpflichtung, eine marktbeherrschende Stellung nicht auszunutzen, außervertraglich qualifiziert wurde;342 Wiederherstellungsansprüche in der hier beschriebenen Ausformung hätten mit solchen wettbewerbsrechtlichen Konstellationen zumindest starke Ähnlichkeiten. Insbesondere ist eine Auslegung des Vertrags dann nicht unerlässlich, um eine Pflicht auf Wiederherstellung zu prüfen; diese ergibt sich vielmehr aus Art. 5 GG in Abwägung mit den kollidierenden Grundrechten. Wenn man argumentiert, dass der Nutzer auf diese Plattform angewiesen ist, um am öffentlichen Diskurs teilzuhaben,343 dann nähert sich die Argumentation stark dem kartellrechtlichen Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (§§ 19, 20 GWB, Art. 102 AEUV) an. Je stärker also die Rechtsprechung die Marktmacht der Plattformbetreiber und die Übernahme öffentlicher Aufgaben durch die Bereitstellung eines öffentlichen Kommunikationsraums betont, desto geringer ist in tatsächlicher Hinsicht die Auswahlmöglichkeit des Nutzers und kann in rechtlicher Hinsicht das Element der freiwilligen Bindung bewertet werden. Die vertragliche Gestaltung ist für die Prüfung eines behaupteten Wiederherstellungsanspruchs damit irrelevant. Dies zeigt, dass nicht das Vertragsverhältnis, sondern die Eröffnung eines öffentlichen Diskussionsraums bei gleichzeitiger Beanspruchung einer großen Marktmacht jener Umstand ist, der den Wiederherstellungsanspruch prägt und damit seine Rechtsnatur bestimmt. Dass der Anspruch auf Wiederherstellung in der derzeitigen Form einen Vertragsschluss voraussetzt, erscheint daneben sekundär. Einwenden könnte man dagegen zwar, dass die Verpflichtung zur Wiederherstellung gerade nicht gegenüber jedermann greift, sondern nur gegenüber Personen, mit denen bereits ein Plattformvertrag besteht. Wenn allerdings die Grundrechtsbindung der Plattformbetreiber so stark ist, dass sie grundrechtlich zulässige Äußerungen nicht verbieten dürfen, weil sie eine zu bedeutende Position für den öffentlichen Diskurs bekleiden, dann müssen sie auch allen Urteil vom 01.07.2019 – 13 W 16/19, MMR 2020, 41, Rn. 9; LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, MMR 2018, 545, Rn. 11, 14, 17 ff. Nun auch OLG Dresden, Hinweisbeschluss vom 07.04.2020 – 4 U 2805/19, MMR 2020, 626, Rn. 14. Außerdem Müller-Riemenschneider/Specht, MMR 2018, 545 (547); Specht-Riemenschneider, in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, Plattformnutzungsverträge, Rn. 74; dies., NJW 2018, 3686 (3687). Manche Autoren erkennen in der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine Tendenz zur unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater unter gewissen Umständen, so Jobst, NJW 2020, 11; Seyderhelm, NVwZ 2019, 959 (963); Spindler, CR 2019, 238 (243 f.). 342 EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 34. 343 Tendenziell BVerfG, Beschluss vom 22.05.2019 – 1 BvQ 42/19, NJW 2019, 1935, Rn. 19 – Der III. Weg.
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Interessierten Zugang zu ihrer Plattform gewähren. Strukturell wäre ein entsprechender Kontrahierungszwang ähnlich wie die bereits bestehende Klage auf Wiedereröffnung eines gesperrten Nutzerkontos.344 Dieser Zusammenhang zeigt, dass die Pflicht zur Veröffentlichung aller gesetzlich zulässigen Nutzerinhalte gegenüber jedermann besteht und daher im Kern eine gesetzliche Pflicht ist. c) Fazit Das deutsche Zivilrecht sieht einen Anspruch auf Wiederherstellung von Nutzerbeiträgen vor, die der Plattformbetreiber auf Grundlage seiner Nutzungsbedingungen gelöscht hat. Der Grund dafür ist, dass die Betreiber aufgrund ihrer großen Marktmacht und der Eröffnung eines öffentlichen Diskussionsraums mittelbar bis zu einem gewissen Grad an die Grundrechte gebunden sind. Der BGH hat nun Klarheit geschaffen, dass es sich bei den Ansprüchen um genuin vertragliche Ansprüche handelt, indem er einerseits den Vertragsparteien auch bei diesem Aspekt einen Gestaltungsspielraum zubilligt und andererseits die Pflicht des Betreibers, nur bei sachlichen Gründen und bei Beachtung verfahrensrechtlicher Voraussetzungen Nutzerbeiträge zu löschen, als Teil der vertraglichen Hauptleistungspflichten anerkennt. Auch in autonomer Auslegung in der Fassung der Wikingerhof-Entscheidung sind diese Ansprüche vertraglich zu qualifizieren. III. Zusammenfassung Unter Zugrundelegung der jüngsten Rechtsprechung des EuGH sind vertragliche und deliktische Ansprüche anhand der zentralen Verpflichtung, deren Verletzung in der Klage gerügt wird, voneinander abzugrenzen. Sofern die Verpflichtung gegenüber jedermann gilt und die Prüfung ihres Bestehens keine Vertragsauslegung erfordert, handelt es sich im Kern um einen deliktischen Anspruch. Wenn eine Partei eines über eine Plattform vermittelten Vertrags Ansprüche wegen einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte gegen eine Bewertung ihres Vertragspartners geltend macht, sind diese Ansprüche außervertraglicher Natur, auch wenn sie im materiellen Recht auf §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gestützt werden. Vertraglich sind solche Ansprüche hingegen, wenn die Verletzung der plattforminternen Verhaltensregeln gerügt wird. Ansprüche auf Wiederherstellung gelöschter Nutzerbeiträge sind vertraglich zu qualifizieren, sofern sich die Pflicht nicht aus den gesetzlichen Maßstäben, sondern aus der konkreten vertraglichen Ausgestaltung ergibt.
344
Jobst, NJW 2020, 11 (15).
D. Internationale Zuständigkeit
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D. Internationale Zuständigkeit D. Internationale Zuständigkeit
Die internationale Zuständigkeit für Verfahren über vertragliche Ansprüche ergibt sich vorrangig aus der Brüssel Ia-VO, soweit diese anwendbar ist. Abgesehen von einigen Ausnahmen345 ist der räumlich-personelle Anwendungsbereich nur eröffnet, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat hat (Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). Vorrangig sind Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO zu berücksichtigen. Der allgemeine Gerichtsstand befindet sich gem. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO am Wohnsitz des Beklagten. Vertragliche Klagen können am Erfüllungsort nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO erhoben werden, wobei Art. 18 Abs. 1 Var. 2 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO für Verbraucherverträge unter Umständen die Möglichkeit der Klage am eigenen Wohnsitz schafft. Deutsche Gerichte haben wiederholt die internationale Zuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers bei vertraglichen Klagen gegen Facebook angenommen.346 Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucherverträgen sind gem. Art. 19 Brüssel Ia-VO nur sehr begrenzt möglich. Unzulässig sind insbesondere ausschließliche Zuständigkeiten in einem Drittstaat, wie es früher die AGB von Facebook347 bestimmten.348 Für die Fälle, in denen die Brüssel Ia-VO als auch das weitgehend inhaltsgleiche Lugano Übereinkommen nicht anwendbar ist, findet das nationale IZVR Anwendung. Mangels eigenständiger Regelungen sind die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit in der ZPO auch für die internationale Zuständigkeit anzuwenden.349 Neben dem allgemeinen Gerichtsstand am 345
Art. 18 Abs. 1, Art. 21 Abs. 2, Art. 24, Art. 25 Brüssel Ia-VO. BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 16 – Digitaler Nachlass; KG, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16, ZD 2017, 386, Rn. 51; LG Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZEV 2016, 189 (190). 347 “You will resolve any claim, cause of action or dispute (claim) you have with us arising out of or relating to this Statement or Facebook exclusively in the U.S. District Court for the Northern District of California or a state court located in San Mateo County, and you agree to submit to the personal jurisdiction of such courts for the purpose of litigating all such claims. The laws of the State of California will govern this Statement, as well as any claim that might arise between you and us, without regard to conflict of law provisions.”, Facebook (UK) standard terms 15(1), , abgerufen am 28.02.2017. Die Klausel galt aber schon damals nicht für deutschen Nutzer laut besonderer Klausel, , abgerufen am 28.02.2017. 348 EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491, Ahmed Mahamdia ./. Algeria, Rn. 58–66. Siehe zur früheren Klausel von Facebook und deren Unwirksamkeit nach dem LugÜ Arnold, SZIER/RSDIE 2012, 613 (insb. 621 f.). 349 Zur Doppelfunktionalität der Normen über die örtliche Zuständigkeit, grundlegend BGH, Beschluss vom 14.06.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665; siehe z.B. Patzina, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 12, Rn. 90, m.w.N. 346
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Kapitel 2: Vertragsstatut
Beklagtenwohnsitz (§§ 12 ff. ZPO) sind vertragliche Klagen auch hier am Erfüllungsort möglich (§ 29 ZPO).
E. Zusammenfassung Vertragsrecht E. Zusammenfassung Vertragsrecht
Das Rechtsverhältnis zwischen einem Nutzer und dem Betreiber einer Plattform ist ein vertragliches Schuldverhältnis im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Rom IVO. Bei vielen Plattformverträgen handelt es sich um Verbraucherverträge im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO. Jedoch lassen sich in sozialen Medien private und beruflich-gewerbliche Zwecke häufig nicht eindeutig trennen, sodass Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen. Die Schwelle zur beruflichgewerblichen Nutzung ist erst dann überschritten, wenn Handlungen des Nutzers auf einer Plattform unmittelbar konkreten beruflich-gewerblichen Zielen dienen. Wenn sich während der Laufzeit eines Plattformvertrags die Zwecke des Nutzers von privaten zu beruflich-gewerblichen – oder umgekehrt – ändern, so ist das sowohl für Art. 17 Brüssel Ia-VO als auch für Art. 6 Rom I-VO beachtlich. Das auf den Plattformvertrag anwendbare Recht ändert sich daher, sobald sich der Nutzungszweck tatsächlich und nachhaltig im Wesentlichen ändert, also der Plattformvertrag durch den Nutzer einseitig zu anderen Zwecken umgewidmet wird. Abweichend von der gegenwärtigen Rechtslage wird hier für soziale Medien ein deutlich pauschalisierter Verbraucherbegriff vorgeschlagen, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Wenn eine Plattform verschiedene Konten für ihre Nutzer – beispielsweise ein Standard- und ein Unternehmerkonto – anbietet, dann soll die Verbrauchereigenschaft bei Standardkonten widerleglich vermutet werden, wobei die Schwelle für den Gegenbeweis durch den Plattformbetreiber hoch anzusetzen ist. Dies gilt nicht, wenn eine Plattform ihre Funktion und Ausrichtung inhaltlich so begrenzt, dass ohnehin nur eine gewerblich-berufliche Nutzung denkbar ist. Bei Plattformen, die sowohl der privaten als auch der gewerblich-beruflichen Nutzung offenstehen, aber keine unterschiedlichen Konten anbieten, wird bei allen natürlichen Personen, die einen Nutzungsvertrag mit der zweckoffenen Plattform abschließen, vermutet, dass sie Verbraucher im Sinne des Art. 6 Rom I-VO sind. Bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts ist vorrangig eine von den Parteien getroffene Rechtswahl zu beachten. In der Praxis zeigt sich, dass die meisten Plattformbetreiber in ihren AGB keine Rechtswahl für Verbraucherverträge vorsehen. Da es sich bei dem Plattformvertrag um einen Dienstleistungsvertrag im Sinne des Kollisionsrecht handelt, bestimmt sich das anwendbare Recht mangels Rechtswahl gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO oder Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO.
E. Zusammenfassung Vertragsrecht
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Wenn zwischen Nutzern sozialer Medien ein Vertrag besteht, der über eine Plattform vermittelt wurde, dann bestimmt sich das anwendbare Recht nach der Rom I-VO. Sofern in den AGB des Plattformvertrags festgelegt ist, welches Recht für die Verträge zwischen den Nutzern gilt, handelt es sich um eine stillschweigende Rechtswahl im Sinne des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Var. 2 Rom I-VO. Sofern sich die AGB des Plattformvertrags zwar nicht auf das Verhältnis zwischen den Nutzern beziehen, aber eine einheitliche Rechtswahl für alle vertragliche Verhältnisse zwischen dem Plattformbetreiber und seinen Nutzern treffen, sollte dieses Recht auch zwischen den Nutzern Anwendung finden, weil zu dieser Rechtsordnung eine offensichtlich engere Verbindung besteht (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO). Qualifikationsfragen aus kollisionsrechtlicher Sicht stellen sich bei Ansprüchen, die im deutschen Recht auf die vertragliche Anspruchsgrundlage der §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gestützt werden. Wenn eine Partei eines über eine Plattform vermittelten Vertrags Ansprüche wegen einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte gegen eine Bewertung ihres Vertragspartners geltend macht, sind diese Ansprüche außervertraglicher Natur. Vertraglich sind solche Ansprüche hingegen, wenn die Verletzung der plattforminternen Verhaltensregeln gerügt wird. Ansprüche auf Wiederherstellung gelöschter Nutzerbeiträge sind vertraglich zu qualifizieren, weil die Vertragsparteien laut der jüngeren BGH-Rechtsprechung den konkreten Kommunikationsstandard vereinbaren und daher vom verfassungsrechtlichen Standard abweichen dürfen.
Kapitel 3
Allgemeines Deliktsstatut Das Persönlichkeitsrecht wird vorrangig über das Deliktsrecht geschützt, sodass die Bestimmung des anwendbaren Deliktsrechts von maßgeblicher Bedeutung für die involvierten Parteien ist. Deliktsrechtliche Ansprüche können zwischen allen Beteiligten vorkommen. Insbesondere können sich die deliktsrechtlichen Ansprüche der betroffenen Person sowohl gegen den ursprünglichen Schädiger als auch gegen den Plattformbetreiber richten. Das Kapitel zur Ermittlung des Deliktsstatuts ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt sollen die maßgeblichen Kollisionsnormen, ihr Anwendungsbereich sowie die Systematik der relevanten Anknüpfungsnormen besprochen werden (A.). Anschließend widmet sich die Arbeit der Frage nach einer Grundanknüpfung basierend auf der Tatortregel (B.), der Bedeutung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts (C.) sowie der Ausweichklausel im Allgemeinen und der akzessorischen Anknüpfung im Speziellen (D.). Schließlich werden Möglichkeiten der Rechtswahl diskutiert (E.) und der Zusammenhang zur internationalen Zuständigkeit hergestellt (F.).
A. Überblick über die Kollisionsnormen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen A. Überblick über die Kollisionsnormen
Dieser Abschnitt widmet sich dem gegenwärtigen Regelungssystem des internationalen Deliktsrechts mit Blick auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Zunächst wird das europäische Recht dargestellt, wobei ein Schwerpunkt auf der Auslegung der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO liegt (I.). Anschließend wird ein kurzer Überblick über das System der Anknüpfungsnormen im deutschen Kollisionsrecht gegeben (II.). Schließlich wird noch knapp auf weitere internationale Aspekte hingewiesen (III.). I. Kollisionsnormen des europäischen internationalen Deliktsrechts Das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse ist seit 2009 durch die Rom II-VO für die EU1 harmonisiert. Jedoch erfasst diese Harmonisierung nicht den hier betrachteten Bereich, denn gem. Art. 1 Abs. 2 lit. g 1
Mit Ausnahme Dänemarks, ErwGr. 40 Rom II-VO.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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Rom II-VO sind außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Verletzung der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung, vom Anwendungsbereich der Rom II-VO ausdrücklich ausgenommen. Im Einzelnen bereitet der genaue Umfang der Bereichsausnahme jedoch Schwierigkeiten, wie sogleich zu sehen ist. Soweit Persönlichkeitsrechtsverletzungen vom Anwendungsbereich der Rom II-VO ausgenommen sind, bestimmt sich das anwendbare Recht in diesen Konstellationen daher nach dem autonomen Deliktsrecht, in Deutschland also nach den Art. 40–42 EGBGB. 1. Qualifikation als Persönlichkeitsrechtsverletzung Aus Sicht des europäischen IPR sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen einschließlich der Frage des Bestands und des Umfangs eines Persönlichkeitsrechts außervertraglich zu qualifizieren.2 Dies entspricht der Haltung des Unionsgesetzgebers3 und der Behandlung durch den EuGH.4 Die Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO deklariert also nicht eine selbstverständliche Ausnahme, sondern entzieht dem Anwendungsbereich eine Materie, die eigentlich im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse anzusiedeln ist.5 2. Die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO Eine einheitliche europäische Kollisionsnorm auch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen scheiterte nicht an Sachgründen, sondern an mangelnder Kompromissfähigkeit.6 Folglich finden innerhalb der EU weiterhin 27 verschiede2
Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (403). Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), Brüssel, den 22.7.2003, KOM(2003) 427 endg., S. 18. 4 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB; ausdrücklich: Schlussanträge GA Darmon, 10.01.1995, ECLI:EU:C:1994:303, C-68/93, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 9; Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a.; Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA. 5 Vgl. Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (403); Hohloch, IPRax 2012, 110 (113). 6 Vgl. Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II) – Work in progress, Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.05.2011, PE452.555v01-00, S. 2; Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68; Heiderhoff, EuZW 2007, 428; v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (574 ff., insbesondere zum Einfluss der Medien auf das Gesetzgebungsverfahren); Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom IIVO Art. 1, Rn. 53; R. Wagner, in: FS Kropholler, 2008, S. 715 (720). 3
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
ne Regime in diesem Bereich Anwendung, was gemeinhin als bedauerlich erachtet wird.7 Zur Erfassung der aktuellen Rechtslage ist zu klären, wie die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO auszulegen ist. Unter anderem stellen sich Abgrenzungsfragen zu den Art. 6 und 8 Rom II-VO und zudem ist erörterungsbedürftig, ob das Unternehmenspersönlichkeitsrecht und das Datenschutzrecht von der Bereichsausnahme erfasst sind. a) Begriff Zunächst stellt sich die Frage, was nach autonomer Auslegung8 aus Sicht des europäischen Rechts unter das Persönlichkeitsrecht und die Privatsphäre zu fassen ist. Eine abschließende positive Definition ist bisher nicht gegeben.9 Allerdings lässt sich der von der Ausnahme erfasste Bereich in Abgrenzung zu verwandten Rechtsfragen näher eingrenzen. Der EuGH verwendet die Begriffe „Ehrverletzung“ und „Persönlichkeitsrechtsverletzung“ in der Entscheidung Shevill synonym.10 Die Nennung der Verleumdung hat zum einen Konkretisierungsfunktion11 und stellt zum anderen klar, dass das tort of defamation des englischen Rechts auch von der Be7
Z.B. Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 66; v. Hein, VersR 2007, 440 (442); Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (317); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (insb. 503); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 16; Wurmnest, ZVglRWiss 115 (2016), 624 (642). So auch das Ergebnis der Untersuchung nach Art. 30 Abs. 2 Rom IIVO: Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality, JLS/2007/C4/028. Final Report, Februar 2009, S. 140 ff. (beachte insbesondere S. 143, wonach 85 % der Befragten eine Vereinheitlichung befürworten). Ebenso British Institute of International and Comparative Law, Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations, JUST/2019/JCOO_ FW_CIVI_0167, 04.10.2021, S. 11 f., 98, (beachte hier S. 27 und 729, 731, wonach 66% der für die Studie Befragten eine Vereinheitlichung in der Rom II-VO befürworten, sowie die sich daran anschließenden Berichte aus der Praxis über Probleme, die sich aus der fehlenden Harmonisierung ergeben, S. 27 f., 730 f.); a.A. Dickinson, Privacy and Personality Rights in the Rome II Regime – Not Again?, 19.07.2010, ; Hartley, Hartley on The Problem of “Libel Tourism”, 19.07.2010, . 8 Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.225; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 1, Rn. 43; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 81. 9 Kubis, WRP 2018, 139 (141). 10 Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Fn. 3. 11 Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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reichsausnahme erfasst ist. Das Namensschutzstatut wird nicht anhand der Rom II-VO ermittelt.12 Zunächst ist festzuhalten, dass der Ausnahmetatbestand nur immaterielle Aspekte der Persönlichkeit erfasst. Verletzungen der körperlichen Integrität einschließlich Ansprüche auf Ersatz des immateriellen Schadens fallen hingegen unter die allgemeine deliktische Anknüpfungsregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO.13 In der Sache Lazar ./. Allianz hat der EuGH die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO nicht angesprochen, obwohl das vorlegende Gericht einen mittelbaren Nichtvermögensschaden aufgrund des Versterbens eines engen Familienmitglieds als Verletzung von Persönlichkeitsrechten bezeichnete.14 Demnach sind Ansprüche wegen Angehörigenund Trauerschmerzensgeld gem. Art. 4 Rom II-VO anzuknüpfen, selbst wenn kein Gesundheitsschaden im engeren Sinne vorliegt.15 Man kann daher eine Neigung des EuGH annehmen, die Bereichsausnahme tendenziell eng auszulegen und damit den Anwendungsbereich des harmonisierten Kollisionsrechts in Zweifelsfällen eher weiter als enger zu ziehen. Dem ist grundsätzlich auch zuzustimmen, denn für eine möglichst restriktive Auslegung des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO spricht der Ausnahmecharakter der Norm sowie die Gesetzgebungsgeschichte, welche vorrangig Pressedelikte dem Anwendungsbereich der Rom II-VO entziehen wollte.16 Außerdem ist zu bedenken, dass deliktische Fragen außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom II-VO anhand des autonomen IPR anzuknüpfen sind, was mit einer geringeren internationalen Übereinstimmung einhergeht. Eine restriktive Auslegung der Ausnahmevorschriften fördert daher einen europäischen Entscheidungseinklang.17 12 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 9; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, 1. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 171; M.-P. Weller, LMK 2013, 344766. 13 Torremans et al., Cheshire, North & Fawcett: Private International Law, 15. Aufl. 2017, S. 798; Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 1, Rn. 43; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, 1. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 172; Spickhoff, MedR 2012, 316 (320 f.). 14 EuGH, Urteil vom 10.12.2015 – C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802, Florin Lazar ./. Allianz SpA, Rn. 10, 17, 30. 15 Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68; Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 1, Rn. 62; krit. A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 1, Rn. 43. 16 Siehe dazu KOM(2006) 566 endg., S. 3, „wonach außervertragliche Schuldverhältnisse, die aus einer Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte durch die Medien entstanden sind, vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen sind.“ (Hervorhebung im Original). Außerdem Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68, m.w.N. 17 Zur Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs im IPR siehe v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 2 Rn. 50; Kegel/Schurig, Interna-
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Umstritten ist, ob der Gegendarstellungsanspruch als zivilrechtlicher Anspruch unter die Rom II-VO fällt. Der Kommissionsentwurf von 2003 sah dafür eine Sonderanknüpfung vor.18 Dies impliziert, dass der Gegendarstellungsanspruch grundsätzlich aus Sicht des EU-IPR zu den zivilrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnissen gehört, aber unter die Bereichsausnahme fällt. Somit erfasst Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO hauptsächlich Verletzungen der Persönlichkeit, der Ehre und der Privatheit einer Person durch die Äußerungen und Veröffentlichungen anderer im weitesten Sinne. Dazu gehören nicht nur klassische Medien- und Pressedelikte, sondern auch Verletzungen über das Internet19 und insbesondere auch die Verbreitung von Inhalten über soziale Medien.20 Im Folgenden wird speziell auf die Abgrenzung des Persönlichkeitsschutzes im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO von Fragen des geistigen Eigentums und des Wettbewerbsrechts sowie auf die umstrittenen Fragen des Datenschutzrechts und des Unternehmenspersönlichkeitsrechts eingegangen. b) Abgrenzung von Art. 6 und 8 Rom II-VO Eine Abgrenzung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist innerhalb der Rom II-VO vom Wettbewerbsrecht (Art. 6 Rom II-VO) und vom Recht des geistigen Eigentums (Art. 8 Rom II-VO) erforderlich. Soweit der Anwendungsbereich einer dieser Sonderanknüpfungen eröffnet ist, kann die jeweilige Rechtsfrage nicht vom Tatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO erfasst sein. Persönlichkeitsrechtsverletzung zwischen Wettbewerbern gehören zum unlauteren Wettbewerbsverhalten, für welches das europäische Recht eine Sonderanknüpfung in Art. 6 Rom II-VO vorgesehen hat.21 Maßgebliches Kriteritionales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 139 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl., 2006, § 6. 18 Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), Brüssel, den 22.7.2003, KOM(2003) 427 endg., S. 20, 38. 19 Z.B. „Yelp.de“, BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587, Rn. 21; Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 1, Rn. 61. 20 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 9. 21 BGH, Urteil vom 12.12.2013 – I ZR 131/12, NJW 2014, 2504, Rn. 37, 38 – englischsprachige Pressemitteilung; Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 10; Torremans et al., Cheshire, North & Fawcett: Private International Law, 15. Aufl. 2017, S. 799; Habbe/Wimalasena, BB 2015, 520 (522); Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55; Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 1, Rn. 62; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 1, Rn. 17; Wiegandt, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 6, Rn. 13; Wurmnest, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 82; Kubis, WRP 2018, 139 (141), möchte im
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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um bei Abgrenzungsfragen sollte nach einem Vorschlag von Drexl sein, ob das fragliche Handeln gerade Wettbewerbszwecken dient.22 Davon erfasst sind beispielsweise Verletzungen der Geschäftsehre oder das Behaupten verleumderischer Tatsachen über einen Konkurrenten im Geschäftsverkehr im Sinne des § 4 Nr. 1 und 2 UWG.23 Auch die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen (disclosure of business secrets) fällt in den Anwendungsbereich der Verordnung, sofern der Empfänger Konkurrent des Geschädigten ist.24 Unter unlauteres Wettbewerbsverhalten durch die Beeinträchtigung kollektiver Verbraucherinteressen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Var. 2 Rom II-VO fällt auch die Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzverbands gegen die Verwendung angeblich missbräuchlicher Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen.25 Der EuGH entschied, dass sich zwar das auf den Unterlassungsanspruch anwendbare Recht nach der deliktsrechtlichen Sonderanknüpfung bestimmt, nicht hingegen die Wirksamkeit der monierten Vertragsklausel. Letztere ist gesondert nach der Rom I-VO anzuknüpfen, um Unterschiede im Ergebnis zwischen deliktischen Verbandsklagen und vertraglichen Individualklagen zu vermeiden.26 Mit diesem differenzierenden Vorgehen impliziert der EuGH auch, dass der Inhalt der angegriffenen Klauseln keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit des Art. 6 Rom II-VO hat. Insbesondere ist damit der Anwendungsbereich nicht nach Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO dadurch gesperrt, dass die fraglichen Klauseln das Datenschutzrecht betreffen. Verletzungen von Immaterialgüterpersönlichkeitsrechten wie etwa dem Urheber- oder Erfinderpersönlichkeitsrecht sind aufgrund ihres Bezugs zu
IZVR hingegen alles unter „Persönlichkeitsrechtsverletzung“ fassen. Aus Sicht des englischen Rechts fallen slander of goods, slander of title und malicious falsehood unter Art. 6 Rom II-VO, soweit sie wettbewerbliche Beziehungen zwischen Unternehmen betreffen, auch wenn sie nach der Definition in Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995, sec. 13, unter defamation fallen würden, vgl. Collins u.a., Dicey, Morris & Collins on The Conflict of Laws, Vol. 2, 15. Aufl. 2012, Rn. 35-102; Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.227. 22 Drexl, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 6, Rn. 113. 23 Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 102 f.; Wiegandt, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Art. 6 Rom II-VO, Rn. 13. 24 Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.227. 25 So EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 42; zust. W.-H. Roth, IPRax 2017, 449 (452 f.); Rott, EuZW 2016, 733 (734); Wilke, GPR 2017, 21 (22). 26 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 49 ff.; zust. Mankowski, NJW 2016, 2705; W.-H. Roth, IPRax 2017, 449 (454); Rott, EuZW 2016, 733 (734); anders noch Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 02.06.2016, C-191/15, ECLI:EU:C:2016:388, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 44 ff.; krit. Wilke, GPR 2017, 21 (23).
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
einem konkreten Werk Fragen des geistigen Eigentums.27 Das anwendbare Recht folgt aus Art. 8 Rom II-VO. Die vermögensrechtlichen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts (right of publicity) gehören hingegen zu den Persönlichkeitsrechten im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO.28 Sollte die europäische Gesetzgebung zukünftig eine Sonderanknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Rom II-VO schaffen, die gleichrangig neben Art. 6 und 8 Rom II-VO steht, sind die hier dargestellten Abgrenzungen dann gegebenenfalls neu zu ziehen. Das gilt jedenfalls dort, wo die aktuelle Abgrenzung dem geschuldet ist, dass man Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom IIVO als Ausnahmevorschrift eng auslegt. c) Unternehmenspersönlichkeitsrecht Bislang nicht geklärt ist, ob auch Verletzungen des Unternehmenspersönlichkeitsrechts von der Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO erfasst sind. Der BGH konnte die Frage zuletzt offen lassen, weil deutsches Recht sowohl nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO als auch Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB anwendbar war.29 In der Literatur ist eine Tendenz gegen eine Einbeziehung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts in die Bereichsausnahme und damit für eine Anwendbarkeit der Rom II-VO zu beobachten.30 Zunächst wird dafür angeführt, dass eine enge Auslegung der Bereichsausnahme aufgrund ihres Ausnahmecharakters methodisch geboten sei.31 Auch der Wortlaut beschränke sich auf natürliche Personen.32 Das ergebe sich daraus, dass „Verletzungen der Privatsphäre“ per se nur natürlichen Personen geschehen könnten und die Persönlichkeitsrechte damit in Übereinstimmung auszulegen seien.33 Zudem könne es nicht sein, dass Verletzungen des Unternehmenspersönlichkeits27
Drexl, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 8, Rn. 175; Grünberger, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 8, Rn. 34; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 8, Rn. 2; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 83; a.A. Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 53. 28 Eingehend Drexl, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 8, Rn. 175, m.w.N.; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 140 ff.; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 8, Rn. 2; a.A. G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42. 29 BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 495/18, ZUM 2020, 331, Rn. 19; Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587, Rn. 19 – www.yelp.de. 30 Dutta, IPRax 2014, 33 (37); Habbe/Wimalasena, BB 2015, 520 (522); R. Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (9 ff.). Tendenziell auch Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 81. 31 R. Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (11). 32 Habbe/Wimalasena, BB 2015, 520 (522). 33 R. Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (10).
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rechts Teil der europäischen Harmonisierung seien, sobald ein Wettbewerbsverhältnis besteht (Art. 6 Rom II-VO), ansonsten aber weiterhin dem autonomen IPR unterlägen.34 Schließlich fänden damit innerhalb der EU möglichst weitgehend einheitliche Regelungen Anwendung, was grundsätzlich zu begrüßen sei.35 Diese Argumente haben zwar Gewicht, zwingend erscheint aber keines davon. Vielmehr spricht neben anderen Erwägungen insbesondere die Gesetzgebungsgeschichte dagegen, das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, soweit es nicht bereits von Art. 6 Rom II-VO erfasst ist, in den Anwendungsbereich der Rom II-VO zu ziehen.36 Der Wortlaut lenkt in keine spezifische Richtung. Der EuGH hat sich im Rahmen der Auslegung des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO dafür entschieden, natürliche und juristische Personen grundsätzlich gleich zu behandeln.37 Dies hat zwar für die Auslegung der Bereichsausnahme keine direkte Bedeutung. Allerdings könnte man dem eine Tendenz entnehmen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen im europäischen Recht als ein einheitlicher Deliktstypus ungeachtet der Art der betroffenen Person aufzufassen sind. Insbesondere aber genügen die Argumente der Vertreter einer Anwendbarkeit der Rom II-VO nicht, um sich über den Gesetzgeberwillen hinwegzusetzen. Anlass für die Bereichsausnahme war schließlich nicht der besondere grundrechtliche Schutz der natürlichen Person, sondern Pressedelikte insgesamt.38 Der Fokus der Diskussion lag also auf der angegriffenen Handlung und dem Schädiger – eine schädigende Veröffentlichung durch die Presse – und nicht auf dem Rechtsgut und dem Opfertypus. Daher sollte die unterschiedliche Begründung der verletzten Rechte – das Menschsein als solches auf der einen Seite und wirtschaftliche Interessen auf der anderen Seite – im Rahmen dieser Diskussion nicht zu stark gewichtet werden.39 R. Magnus wendet dagegen ein, dass Anlass für die Bereichsausnahme hauptsächlich die englische Klatschpresse und die Beeinträchtigungen für Prominente – also natürliche Personen – gewesen seien.40 Allerdings sollte hier zwischen Anlass der Bereichsausnahme und der schließlich beschlossenen Version unterschie34 Dutta, IPRax 2014, 33 (37); Habbe/Wimalasena, BB 2015, 520 (522); R. Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (12 f.).; a.A. Halfmeier, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 1, Rn. 58. 35 R. Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (11). 36 So auch die Meinungen von Halfmeier, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 1, Rn. 58; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 410 f. 37 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 22 ff. 38 Dazu Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68, m.w.N. 39 Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 410. 40 R. Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (9 ff.).
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
den werden. Kennzeichnend ist, dass der Gesetzgeber nicht bei einer engen Ausnahme für die „Medien“ blieb,41 sondern Persönlichkeitsrechte insgesamt der europäischen Harmonisierung entzog. Dies zeigt, dass die Bereichsausnahme umfassender auszulegen ist, als der Anlass für diese Regelung glauben machen mag. Zwar mag es misslich sein, wenn wegen Art. 6 Rom II-VO manche Aspekte des Unternehmenspersönlichkeitsrecht von der Rom II-VO erfasst sind, andere aber nicht. Die Ursache für dieses unglückliche Ergebnis ist aber die Existenz der Ausnahmevorschrift als solche, die nicht inhaltlich, sondern nur politisch begründet ist. Die Bereichsausnahme zeichnet keine bereits bestehenden Grenzen im materiellen Recht nach, sondern entzieht der Verordnung einen genuin deliktsrechtlichen Bereich. Wenn man ein Auseinanderfallen einer einheitlichen Materie verhindern möchte, müsste man sich gegen die Bereichsausnahme insgesamt stellen, was jedoch bei der aktuellen Gesetzeslage nicht denkbar ist. In Anbetracht all dieser Aspekte fällt also auch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht unter die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom IIVO.42 Dies gilt freilich nur insoweit, als der fragliche Sachverhalt nicht von Art. 6 Rom II-VO erfasst ist. d) Datenschutzrecht Nicht eindeutig ist, ob das Datenschutzrecht unter „Verletzung der Privatsphäre“ in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO fällt oder ob hier nur der allgemeine deliktsrechtliche Schutz der Privatsphäre erfasst ist. Die überwiegende Ansicht geht davon aus, dass das Datenschutzrecht Teil der Bereichsausnahme ist und daher nicht über die Rom II-VO anzuknüpfen ist.43 Bei einem 41
Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), 21.02.2006 KOM(2006) 83 endg., S. 14 (Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom IIVO-E). 42 Ebenso Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 410; implizit LG Hamburg, Verfügung vom 05.05.2017 – 324 O 13/17, BeckRS 2017, 152469, Rn. 111. 43 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 9; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 25; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (331 f.); Cooper/Kuner, RdC 382 (2015), 9 (58 ff.); Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 14; Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.227 f.; Feiler/Forgó, EU-DSGVO 2017, Art. 92, Rn. 5; Halfmeier, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 1, Rn. 58; Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 2820; Herbrich/Beyvers, RDV 2016, 3 (7 f.); Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 974; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 244; ders., MMR 2009, 232 (233); Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55a; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (673 f.); Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 4; de Lima Pinheiro,
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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genaueren Blick kann diese Ansicht aber keinen Bestand haben. Im Folgenden wird dargelegt, warum Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO das Datenschutzrecht nicht vom Anwendungsbereich der Rom II-VO ausnimmt. aa) Wortlaut Der Wortlaut gibt wenig Hilfestellung. Zwar könnte man den Datenschutz unproblematisch unter „Privatsphäre“ subsumieren.44 Explizit nennt Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO diesen Rechtsbereich aber nicht.45 bb) Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO In systematischer Hinsicht sticht innerhalb der Rom II-VO Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO ins Auge. Demnach soll die Europäische Kommission einen Bericht über das IPR der Persönlichkeitsrechtsverletzungen und der Verletzungen der Privatsphäre erstellen und dabei auch die kollisionsrechtlichen Aspekte der Datenschutzrichtlinie berücksichtigen. Anlass für diese Vorschrift war das Scheitern einer Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Da durch die Nennung der Datenschutzrichtlinie ein Zusammenhang zwischen dem Kollisionsrecht für Persönlichkeitsrechtsverletzungen und dem Datenschutzrecht hergestellt wird, schlussfolgern viele, dass das Datenschutzrecht von Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO erfasst sein müsse.46 Allerdings kann das bei genauerer Betrachtung nicht überzeugen. Denn auch hier ist – wie in der Bereichsausnahme selbst – nur vom Kollisionsrecht der Verletzungen der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte die Rede; der Arbeitsauftrag ist also gerade nicht, dass das Kollisionsrecht des Datenschutzrechts untersucht und erarbeitet werden soll. Vielmehr sagt die Norm nur, dass es kollisionsrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit der Datenschutzrichtlinie gebe, die berücksichtigt werden sollen. Eine Betrachtung der geltenden Rechtslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rom II-VO legt nahe, dass damit insbesondeAEDIPr, XVIII (2018), 163 (185); Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom I-VO Art. 1, Rn. 61; Mankowski, in: Magnus/Mankowski, 1. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 171; Merchán Murillo, AEDIPr, XVIII (2018), 425 (434); de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (105); Oster, ZEuP 2021, 275 (289); Schack, JZ 2019, 864 (871, Fn. 140); Voigt, ZD 2014, 15 (16); Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 81; implizit Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (60). 44 Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.228; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55a; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (673). 45 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (331). 46 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 9; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (332, Fn. 64); Torremans et al., Cheshire, North & Fawcett: Private International Law, 15. Aufl. 2017, S. 798; Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.228; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 244; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55a.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
re auf die damalige datenschutzrechtliche Kollisionsnorm in Art. 4 Abs. 1 Datenschutzrichtlinie hingewiesen wird. Da es sich beim Datenschutzrecht um einen eng verwandten Rechtsbereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen handelt, ist eine Prüfung möglicher Koordination der Bereich im Rahmen der ausführlichen Untersuchung durch die Kommission nach Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO sinnvoll und naheliegend. Eine Präzisierung der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO scheint damit aber nicht intendiert. cc) Inhaltliche Überschneidungen Im Zentrum der Argumentation zugunsten eines Ausschlusses des Datenschutzrechts aus der Rom II-VO steht vor allem die große inhaltliche Nähe und Verwobenheit von allgemeinem Persönlichkeits- und Privatsphärenschutz einerseits und Datenschutzrecht andererseits. Jeder Datenschutzrechtsverstoß sei immer auch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts.47 Art. 8 GRCh sei daher nur eine spezielle Ausprägung des Persönlichkeitsschutzes.48 Auch der EuGH verwurzelt den Datenschutz in ständiger Rechtsprechung nicht nur in Art. 8 GRCh (Schutz personenbezogener Daten), sondern sieht einen engen Zusammenhang zu Art. 7 GRCh (Achtung des Privat- und Familienlebens).49 Dies legt nahe, dass das Unionsrecht das Datenschutzrecht als Teil des Persönlichkeitsschutzes wertet. Das Vorgehen des EuGH könnte freilich aber auch allein durch die inhaltliche Nähe begründet sein, ohne dass damit die Eigenständigkeit des Datenschutzes aufgehoben wäre; schließlich ist dem Datenschutz gerade ein eigenes Grundrecht in Art. 8 GRCh gewidmet worden. Auch die DSGVO beruft sich nicht auf Art. 7 GRCh und nennt stattdessen nur das Recht auf Schutz personenbezogener Daten.50 Dies verdeutlicht, dass sich das Datenschutzrecht trotz der inhaltlichen Überschneidungen zu einem selbstständigen Rechtsbereich entwickelt hat. Das Verhältnis zwischen Art. 7 und 8 GRCh ist generell ein großes Streitthema, das an dieser
47 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 9; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 25; Herbrich/Beyvers, RDV 2016, 3 (7). 48 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 25; Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 4. 49 EuGH, Urteil vom 06.10.2015 – C-362/14, ECLI:EU:C:2015:650, Maximillian Schrems ./. Data Protection Commissioner, Rn. 39; Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI: EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 69; Urteil vom 09.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Volker und Markus Schecke GbR (C-92/09) und Hartmut Eifert (C-93/09) ./. Land Hessen, Rn. 47; auch v. Danwitz, in: FS Kohler, 2018, S. 539 (z.B. 543), nennt Art. 8 nicht allein, sondern immer gemeinsam mit Art. 7 GRCh. 50 Vgl. Art. 1 Abs. 2 und ErwGr. 1 DSGVO.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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Stelle nicht weiter vertieft werden kann.51 Doch selbst wenn sich für das Primärrecht ein klares Verhältnis ermitteln ließe, gälte das nicht zwingend auch für die Auslegung der Funktionsvorschrift Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO. Schließlich könnte man noch ganz praktisch gegen eine Anknüpfung des Datenschutzrechts über die Rom II-VO einwenden, dass die Überschneidungen von Persönlichkeits- und Datenschutz das Ziehen einer Trennlinie zum Zwecke der Bereichsausnahme erschweren.52 Diese Bedenken scheinen aber unbegründet, bietet doch die Definition der Verarbeitung personenbezogener Daten in Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO hinreichend Kriterien zur Abgrenzung.53 dd) Gesetzgebungsgeschichte Das Europäische Parlament gab im Gesetzgebungsprozess zu erkennen, dass das Datenschutzrecht eine eigenständige Bedeutung hat und nicht automatisch von den Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Verletzungen der Privatsphäre erfasst, wohl aber eng mit diesen verknüpft ist. So ordnete Art. 5 Abs. 3 Rom II-VO-E noch ausdrücklich an, die Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen „shall also apply to a violation of privacy or of rights relating to the personality resulting from the handling of personal data“.54 Soweit ersichtlich, war das Datenschutzrecht im weiteren Gesetzgebungsprozess der Rom II-VO aber nicht Gegenstand weiterer Diskussionen. Weder wurde dieser Bereich explizit ausgenommen noch wurde die Funktionsweise des Art. 4 Rom II-VO für Datenschutzrecht diskutiert. Das lässt Schlüsse in beide Richtungen zu. Einerseits wird der Vorschlag als Beleg angeführt, dass Datenschutzrechtsverstöße nach Ansicht des Europäischen Parlaments begrifflich zu den Persönlichkeitsrechtsverletzungen gehörten.55 Andererseits stand aber auch nie zur Debatte, den Datenschutz aus der Rom II-VO auszunehmen. Vielmehr konzentrierte sich die Diskussion auf klassische Pressedelikte, welche Anlass zu der Bereichsausnahme gaben. Dazu gehören die meisten Datenschutzfälle aber gerade nicht, sodass die 51
Z.B. Gonzalez Fuster/Hijmans, The EU rights to privacy and personal data protection: 20 years in 10 questions, 2019, ; Kokott/Sobotta, The distinction between privacy and data protection in the jurisprudence of the CJEU and the ECtHR, IDPL, 3 (2013), 222. 52 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (331 f.). 53 Siehe unten S. 308–311. 54 Europäisches Parlament, Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (KOM(2003) 0427 – C5-0338/2003 – 2003/0168(COD)), P6_TA(2005)0284, S. 12. 55 Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 9; Dickinson, The Rome II Regulation, 2008, Rn. 3.228; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 1, Rn. 55a.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Gesetzgebungsgeschichte stark dafür spricht, dass dieser Bereich gerade nicht von der Rom II-VO ausgenommen ist.56 ee) Rechtsprechung des EuGH Eine Stütze dafür, dass die Bereichsausnahme aufgrund ihrer Natur als Ausnahmevorschrift möglichst eng ausgelegt werden muss,57 sodass das Datenschutzrecht unter die Rom II-VO fällt, findet sich auch in der Rechtsprechung des EuGH. Eine restriktive Auslegung der Bereichsausnahme wird in der Entscheidung VKI ./. Amazon ersichtlich.58 Die Amazon EU Sàrl ist eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, die sich über ihre Website, eine online Verkaufsplattform, auch an österreichische Verbraucher richtet. Der Verein für Konsumenteninformation, ein österreichischer Verbraucherschutzverband, klagte gegen Amazon auf Unterlassung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in deren AGB. Die angegriffenen Klauseln erlaubten unter anderem die Weitergabe persönlicher Daten der Kunden an andere Unternehmen. Die Zulässigkeit einer solchen Klausel ist vorrangig eine Frage des Datenschutzrechts. Der EuGH entschied, dass sich das anwendbare Recht auf die geltend gemachten Rechte nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO richtet, ohne auf Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO einzugehen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Bereichsausnahme zumindest dann nicht betroffen sein soll, wenn sich Fragen zum Datenschutzrecht nur inzident stellen.59 ff) Systematische Auslegung Schließlich spricht die Ausgestaltung der Datenschutzrichtlinie von 1995 dafür, dass das Datenschutzrecht nie aus dem Anwendungsbereich der Rom II-VO ausgenommen werden sollte. Das System des europäischen Kollisionsrecht im Jahr 2007, dem Jahr der Verabschiedung der Rom II-VO, sah mit Art. 4 Abs. 1 Datenschutz-RL bereits eine weitreichende Kollisionsnorm speziell für das Datenschutzrecht vor, die gem. Art. 27 Rom II-VO den allgemeinen deliktischen Vorschriften vorging. Daher bestand keine Notwendigkeit, das Datenschutzrecht ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom II-VO auszunehmen.60 Das gilt auch weiterhin unter der DSGVO, die mit ihrem Art. 3 die territoriale Anwendbarkeit des harmonisierten Daten56
Ebenso Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 8; Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (19). 57 Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 8; Cziupka, in: RauscherEuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 68; Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 1, Rn. 62; Sackmann, ZIP 2017, 2450 (2452). 58 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl. 59 Siehe auch v. Hein/Bizer, Int J Data Sci Anal 2018, 233 (235). 60 Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (19).
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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schutzrechts bestimmt.61 Zwar wurde es versäumt, eine Kollisionsnorm in den neuen Gesetzestext für jene Fälle aufzunehmen, die nicht vom vereinheitlichten Datenschutzrecht erfasst sind;62 dadurch erweitert sich aber nicht automatisch der Umfang der Bereichsausnahme.63 Stattdessen spricht dieses Versäumnis in der DSGVO noch viel stärker dafür, das anwendbare Datenschutzrecht über die Rom II-VO zu ermitteln. Andernfalls nämlich würde der Grad der Vereinheitlichung des Datenschutzrechts trotz intendierter Vertiefung der Harmonisierung hinter den Stand der Datenschutzrichtlinie zurückfallen.64 Auch wenn die Auslegung des Erfolgsorts im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom IIVO bei Datenschutzrechtsverletzungen unklar ist, sind die Divergenzen innerhalb der EU doch geringer, als wenn diese Frage nun wieder dem autonomen Kollisionsrecht überlassen wird.65 Es entspricht daher dem Ziel der Datenschutzpolitik der EU, im Zweifelsfall mehr statt weniger Harmonisierung anzunehmen. gg) Fazit Die Argumente, die für ein weite Auslegung der „Verletzungen der Privatsphäre“ in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO sprechen, sind nicht durchschlagend. Darüber hinaus werden besondere Zweifel an einem Ausschluss des Datenschutzrechts vom harmonisierten Kollisionsrecht zum einen durch den Gesetzgebungsprozess und zum anderen durch eine systematische Gesamtschau unter Einbeziehung des Datenschutzkollisionsrechts begründet. Insgesamt ergibt sich, dass die Frage des anwendbaren Datenschutzrechts nicht von Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO erfasst ist und sich daher nach der Rom IIVO bestimmt, soweit keine spezielleren Vorschriften vorgesehen sind (Art. 27 Rom II-VO).66 3. Reformbestrebungen Das Fehlen einer einheitlichen europäischen Kollisionsnorm im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist bedauerlich.67 Dies gilt gerade bei Per61
Siehe unten S. 320–342. Ausführlich dazu siehe unten S. 349–370. 63 Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (19). 64 Ebd., (20). 65 Ebd. 66 Ebenso Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 8; Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (19 f.); Sackmann, ZIP 2017, 2450 (2451). Zu den spezielleren datenschutzrechtlichen Vorschriften siehe unten S. 320–370. Anders noch v. Hein/Bizer, Int J Data Sci Anal 2018, 233 (235). 67 Z.B. Cziupka, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 1, Rn. 66; v. Hein, VersR 2007, 440 (442); Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (317); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (insb. 62
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
sönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, die schon aufgrund der weltweiten Abrufbarkeit immer einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Durch die Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO wird das Ziel, eine umfassende unionsrechtliche Vereinheitlichung des internationalen Deliktsrechts zu schaffen, deutlich beeinträchtigt. Gerade der fehlende Gleichlauf von europäischem IZVR und nationalem IPR in diesem Bereich führt zur Unübersichtlichkeit und beeinträchtigt die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts.68 Und schon Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO bringt zum Ausdruck, dass die Bereichsausnahme nur ein vorübergehender Kompromiss sein kann. Die rechtsvergleichende Studie aus dem Jahr 2007 zum IPR der Mitgliedstaaten im Bereich des Persönlichkeitsschutzes empfahl, zunächst eine Richtlinie zu erlassen. Maßgebend sollte die lex loci damni sein. Dies sollte jedoch nur einen ersten Schritt darstellen, der eine Vollharmonisierung durch eine Ergänzung der Rom II-VO vorbereitet.69 Im Jahr 2012 brachte das Europäische Parlament einen Reformvorschlag unter Federführung von Diana Wallis. Neben einem ausdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung des ordre public mit Blick auf Presse- und Meinungsfreiheit in einem neuen Erwägungsgrund sah der Vorschlag eine neue Anknüpfungsnorm für die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte vor.70 Anwendbar solle demnach grundsätzlich das Recht des Erfolgsorts sein (Art. 5a Abs. 1 Rom II-VO-E). Der Erfolgsort sei dort, wo der Schaden im Wesentlichen eintrete oder einzutreten drohe. Dies solle dann jedoch nicht gelten, wenn der 503); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 16; Wurmnest, ZVglRWiss 115 (2016), 624, 642. So auch das Ergebnis der Untersuchung nach Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO: Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality, JLS/2007/C4/028. Final Report, Februar 2009, S. 140 ff. (beachte insbesondere S. 143, wonach 85 % der Befragten eine Vereinheitlichung befürworten); a.A. Dickinson, Privacy and Personality Rights in the Rome II Regime – Not Again?, 19.07.2010, ; Hartley, Hartley on The Problem of “Libel Tourism”, 19.07.2010, . 68 Hartley, Hartley on The Problem of “Libel Tourism”, 19.07.2010, , wendet ein, dass aufgrund der praktischen Rahmenbedingungen auch eine Vereinheitlichung keine größere Vorhersehbarkeit bringen könne, da zu große Auslegungsunterschiede aufträten und eine Kompromissregelung zu komplex und schwer verständlich sein könne. Zum fehlenden Gleichlauf von IPR und IZVR siehe unten S. 191 f. 69 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality, JLS/2007/C4/028. Final Report, Februar 2009, S. 150. 70 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Mai 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (2009/2170)(INI)), P7_TA(2012)0200.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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Beklagte (wohl: der Veröffentlichende) die erheblichen Folgen der Handlung vernünftigerweise nicht habe vorhersehen können; es solle stattdessen das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Veröffentlichenden gelten (Art. 5a Abs. 2 Rom II-VO-E). Anders jedoch bei „schriftlichen Veröffentlichungen oder einer ausgestrahlten Sendung“. Hier solle es auf das Ausrichten auf einen bestimmten Staat, ersatzweise auf das Land der redaktionellen Kontrolle ankommen. Maßgebend für das Ausrichten sollen Sprache sowie die Anzahl der Verkäufe/Zuschauer sein (Art. 5a Abs. 3 Rom II-VO-E). Absatz 3 entspricht daher im Wesentlichen dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission von 2003.71 Der Gegendarstellungsanspruch solle sich nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Veröffentlichenden richten (Art. 5a Abs. 4 Rom II-VO-E). Neben der Ergänzung der Rom II-VO verlangte das Europäische Parlament einen „Vorschlag zur Schaffung eines Zentrums für die freiwillige Beilegung grenzübergreifender Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich Verleumdung, durch alternative Streitbeilegungsverfahren“.72
Der Vorschlag zur Rom II-VO ist von Mehreren besprochen worden.73 Er trug bislang aber keine weiteren Früchte.74 Gegenwärtig sind keine neuen konkreten Vorschläge bekannt. Zuletzt hat eine Studie über die Anwendung der Rom II-VO in der Praxis, die die Europäische Kommission zum zehnjährigen Bestehen der Rom II-VO in Auftrag gegeben hatte, bekräftigt, dass eine Harmonisierung wünschenswert wäre.75 Ob der Austritt des Vereinigten Kö-
71 Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 2007 festgelegt in zweiter Lesung am 18. Januar 2007 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung (EG) Nr. …/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“) (EP-PE_TC2-COD(2003)0168), S. 8, 16. 72 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Mai 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (2009/2170)(INI)), P7_TA (2012)0200, S. 5 f. 73 Hess, in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (111); ders., JZ 2012, 189 (192); Kenny/ Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (340 ff.); Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (16 f.); Nielsen, JPIL 9 (2013), 269 (282 ff.). 74 Die Europäische Kommission hat darauf nicht formal geantwortet, Bestandsaufnahme der Ausschüsse des Europäischen Parlaments in der siebten Wahlperiode – Rechtsausschuss, S. 8, . 75 British Institute of International and Comparative Law, Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations, JUST/2019/ JCOO_FW_CIVI_0167, 04.10.2021, S. 11 f., 98, (beachte hier S. 27 und 729, 731, wonach 66% der für die Studie Befragten eine Vereinheitlichung in der Rom II-VO befürworten,
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
nigreichs einen neuerlichen Anlauf erleichtert, bleibt zweifelhaft.76 Jedoch bleibt das Ziel eines europäischen Kollisionsrechts auch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen erstrebenswert. Daher erfolgen die Untersuchungen in dieser Arbeit zukunftsgerichtet auch mit Blick auf das System der Rom IIVO. 4. Darstellung des Anknüpfungssystems Zunächst folgt eine Übersicht über die Anknüpfungsnormen des europäischen IPR für das Deliktsrecht und darüber, wie sich diese zueinander verhalten. Die Regelungen des europäischen IPR haben gegenwärtig wegen der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO zwar keine Bedeutung für die Ermittlung des auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen anwendbaren Rechts. Da diese Arbeit jedoch auch Perspektiven für eine europäische Vereinheitlichung aufzeigen soll, ist das bereits vorhandene Regelungssystem der Rom II-VO ebenfalls zu berücksichtigen. Das europäische IPR räumt der Parteiautonomie im Deliktsrecht einen erhöhten Stellenwert ein; vorrangig ist daher das von den Parteien gewählte Recht anzuwenden. Eine Rechtswahl im Deliktsrecht unterliegt dabei aber den Grenzen des Art. 14 Rom II-VO. Ohne wirksame Rechtswahl ist das anwendbare Recht im Wege der objektiven Anknüpfung zu bestimmen. Vorrangig sind dabei grundsätzlich die speziellen Sonderanknüpfungen, wie sie die Art. 5–9 Rom II-VO vorsehen. Zukünftig könnte sich eine Sonderanknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen darüber hinaus als sinnvoll erweisen, um den Besonderheiten und Schwierigkeiten in diesem Bereich gerecht zu werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind aber keine speziellen Anknüpfungsregeln für Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorgesehen. Im Rahmen der allgemeinen deliktischen Kollisionsnorm ist zunächst zu prüfen, ob die Parteien einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt teilen (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO). Ansonsten verweist die Grundanknüpfung in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf das Recht des Staats, in dem der Schaden eintritt; relevant ist also allein der Erfolgsort. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat vorliegt (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zwischen den Parteien bereits ein Rechtsverhältnis bestand, sodass eine akzessorische Anknüpfung an das anwendbare Recht in jenem Verhältnis geboten ist. Alle Anknüpfungsnormen der Rom II-VO sind Sachnormverweisungen (Art. 24 Rom II-VO) und in ihrer Wirkung bei Verstößen gegen den ordre
sowie die sich daran anschließenden Berichte aus der Praxis über Probleme, die sich aus der fehlenden Harmonisierung ergeben, S. 27 f., 730 f.). 76 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 24.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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public (Art. 26 Rom II-VO) oder bei Anwendbarkeit international zwingenden Rechts (Art. 16 Rom II-VO) eingeschränkt. Der europäische Gesetzgeber hat das internationale Deliktsrecht im IPR und IZVR in doppelter Hinsicht nicht gleichlaufend geregelt. Erstens ist die Brüssel Ia-VO für Persönlichkeitsrechtsverletzungen anwendbar und zweitens legt der EuGH die Norm zur internationalen Zuständigkeit bei außervertraglichen Schuldverhältnisse (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) in ständiger Rechtsprechung so aus, dass neben dem Erfolgsort auch der Handlungsort in Betracht kommt.77 Diese ungleichen Herangehensweisen im europäischen Zuständigkeits- und Kollisionsrecht sorgen für Friktionen, wie noch zu sehen sein wird.78 II. Kollisionsnormen des deutschen internationalen Deliktsrechts Soweit die Rom II-VO keine Anwendung findet, ist das auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen anwendbare Recht gem. Art. 40–42 EGBGB zu ermitteln. Die Art. 40–42 EGBGB sind auch bei Delikten im Internet maßgeblich, da § 3 TMG keine Kollisionsnorm ist und daher keine speziellere Kollisionsnorm sein kann.79 1. Umfang des Deliktsstatuts Vom Deliktsstatut erfasst sind Bestand, Ausgestaltung und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts.80 Zu den Persönlichkeitsrechten gehören beispielsweise das Recht am eigenen Bild,81 das Recht am eigenen Wort, der Ehrschutz sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht.82 Das Deliktsstatut bestimmt zudem, inwiefern Aspekte des Persönlichkeitsrechts auch nach dem Tod wirken und vererbbar sind.83
77 EuGH, Urteil vom 21.12.2021 – C-251/20, ECLI:EU:C:2021:1036, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 27; Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 29; Urteil vom 30.11.1976 – 21/76, ECLI:EU:C:1976:166, Handelswekerij G.J. Bier B.V. ./. Mines de potasse d’Alsace. 78 Siehe unten S. 191 f. 79 BGH, Urteil vom 08.05.2012 − VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197, Rn. 23; siehe unten S. 378–379. 80 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 86; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 84. 81 BGH, Urteil vom 19.12.1995 – VI ZR 15/95, BGHZ 131, 332 = GRUR 1996, 923 (924) – Caroline von Monaco II. 82 BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348, Rn. 7, 10 – „Autocomplete“-Funktion; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 36. 83 LG Berlin, Urteil vom 14.03.2013 – 27 O 814/12, ZUM 2013 900 (900); Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (8 ff.); Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (795 f.);
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Das Deliktsstatut umfasst alle Rechtsfolgen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen.84 Dies sind hauptsächlich Ansprüche auf Ersatz des immateriellen sowie gegebenenfalls des materiellen Schadens, auf Beseitigung bzw. Löschung schädigender Veröffentlichungen und auf Widerruf falscher Behauptungen.85 Der BGH hat klargestellt, dass Art. 40 EGBGB auch Unterlassungsansprüche erfasst.86 2. Qualifikationsfragen Im deutschen Kollisionsrecht ist der Schutz des Persönlichkeitsrechts nach einhelliger Meinung deliktsrechtlich zu qualifizieren.87 Soweit ersichtlich wird hingegen in jüngerer Zeit nicht mehr vertreten, den Persönlichkeitsschutz gänzlich dem Personalstatut zuzuweisen.88 Teilweise wird darüber hinaus vertreten, dass zwar der Schutz des Persönlichkeitsrechts dem Deliktsstatut unterliegt, aber die Frage, ob der Person ein solches Recht zusteht, gesondert im Wege der Vorfrage zu klären ist.89 Gegenwärtig ist eine solche Aufspaltung in Schutz- und Bestandsstatut im autonomen Recht mancher Mitgliedstaaten vorgesehen, wie etwa in Portugal und Italien.90 In DeutschSchack, JZ 2019, 864 (871); Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 85. 84 BT-Drs. 14/343, S. 10; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 87. 85 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 88; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 87. 86 BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = NJW 2012, 148, Rn. 15 – Blog-Eintrag; siehe schon BT-Drs. 14/343, S. 10. 87 BT-Drs. 14/343, S. 10; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 55; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 162 ff.; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (795 f.); Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (65 f.); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 36; Wurmnest, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40 Rn. 84; so auch die Ansicht in England (Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 202) und überwiegend in Frankreich (Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 201). 88 So noch Danckwerts, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im deutschen, schweizerischen und US-amerikanischen internationalen Privatrecht, 1999, S. 165 ff., mit der Einschränkung, dass das Personalstatut für den Schädiger vorhersehbar sein muss, S. 180, und unter Beschränkung auf Kenntnisnahme der schädigenden Äußerung allein durch die betroffene Person; bei Kenntnisnahme durch Dritte sei wiederum auf deren gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen, S. 183 f. Dagegen insbesondere Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (370 ff.). 89 Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (372 f.); Riegl, Streudelikte im internationalen Privatrecht, 1986, S. 100; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 36. 90 Italien: Art. 24, Legge 218/95; Portugal: Art. 27 Abs. 1 Código Civil.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
141
land erfolgt eine solche Trennung beim Namensrecht. Ob ein Name einer Person zugeschrieben ist, bestimmt sich im Wege der Vorfrage nach Art. 10 EGBGB.91 Für das Persönlichkeitsrecht ist, abgesehen vom Namensrecht, eine solche Aufspaltung jedoch abzulehnen.92 Denn während der Name kraft Rechtsakt verliehen wird und daher zwingend im Wege der Vorfrage zu behandeln ist, folgt das Persönlichkeitsrecht aus dem Menschsein als solchem und erfordert gerade keinen vorausgehenden Rechtsakt.93 Auch stellt sich beim Persönlichkeitsrecht im Gegensatz zum Namen nicht das Problem, dass sich damit Behörden des Passwesens befassen müssen, wofür ein Entscheidungseinklang erforderlich wäre.94 Zudem konkretisiert sich der Umfang des Persönlichkeitsschutzes erst durch die Kollision mit dem entgegenstehenden Interesse und die daraus resultierenden Verhaltensvorgaben; eine Aufspaltung in Bestands- und Schutzstatut ist daher schon inhaltlich nicht möglich.95 Wie Carrascosa González sehr treffend zu bedenken gibt, ist das Personalstatut nur dann geeignet, wenn es um die Stellung einer Person im Rechtssystem gehe; dies ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen aber gerade nicht der Fall.96 Stattdessen führt eine Aufspaltung in Bestand und Schutz faktisch zu einer Prüfung nach zwei Rechtssystemen, was zu paradoxen Schutzlücken für das Persönlichkeitsrecht führen kann.97 Daher muss sich das auf Persönlichkeits91
BT-Drs. 14/343, S. 10; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (797 f.); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 36; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, EGBGB Art. 40, Rn. 10; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42; M.-P. Weller, LMK 2013 344766; Wurmnest, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 86. 92 Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (13 f.); Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 212 ff.; Hau, GRUR 2018, 163 (163); v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 315; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (800); Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 15; Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (66); Schack, JZ 2019, 864 (871); Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, EGBGB Art. 40, Rn. 10; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42. 93 Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (14); Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (400); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 54; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (801); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsund Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 15; Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (66). 94 Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (14). 95 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (399); Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 212 f. 96 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (400). 97 Siehe Beispiele bei Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (399 f.); Kropholler/ v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (801).
142
Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
rechtsverletzungen anwendbare Recht umfänglich nach dem Deliktsstatut richten. Die Frage des Bestands und des Umfangs eines Persönlichkeitsrechts ist somit nicht gesondert anzuknüpfen. 3. Darstellung des Anknüpfungssystems Während das autonome internationale Vertragsrecht im EGBGB mit Inkrafttreten der Rom I-VO abgeschafft wurde, ist das internationale Deliktsrecht in Art. 40–42 EGBGB weiterhin von Bedeutung, was gerade der Ausnahme von Persönlichkeitsrechtsverletzungen vom Anwendungsbereich der Rom II-VO geschuldet ist. Sofern keine vorrangig zu berücksichtigende Rechtswahl getroffen wurde (Art. 42 EGBGB) und die Parteien keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 40 Abs. 2 EGBGB), erfolgt die Anknüpfung nach dem Ubiquitätsprinzip. Gem. Art. 40 Abs. 1 EGBGB ist das Recht des Handlungsorts anzuwenden, sofern die geschädigte Person nicht für das Recht des Erfolgsorts optiert. Auch im autonomen IPR ist von der Regelanknüpfung abzuweichen, wenn eine wesentlich engere Verbindung des Sachverhalts zu einem anderen Staat besteht – auch hier unter expliziter Nennung der akzessorischen Anknüpfung an ein bestehendes Verhältnis (Art. 41 EGBGB). Nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB handelt es sich bei den Anknüpfungsnormen des EGBGB um Gesamtnormverweisungen, sofern nicht eine Rück- und Weiterverweisung dem Sinn der Verweisung widerspricht. Daher muss bei Ausübung des Optionsrechts,98 für die Rechtswahl gem. Art. 4 Abs. 2 EGBGB und für die Ausweichklausel gem. Art. 41 EGBGB99 eine Sachnormverweisung vorliegen. Neben dem allgemeinen ordre public-Vorbehalt in Art. 6 EGBGB sind in Art. 40 Abs. 3 EGBGB speziell für das Deliktsstatut besondere Grenzen vorgesehen. Sofern der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO nicht eröffnet ist – am häufigsten bei Beklagten mit Wohnsitz in einem Drittstaat (Art. 6 Brüssel IaVO) –, ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus den §§ 12 ff. ZPO.100 Die besondere Zuständigkeit in Deliktssachen gem. § 32 ZPO umfasst Erfolgs- und Handlungsort.101
98 Str., vgl. v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB, Art. 4, Rn. 42; Rademacher, IPRax 2019, 140 (142 ff.). 99 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 119 ff., m.w.N. 100 Zur Doppelfunktionalität der Normen über die örtliche Zuständigkeit, grundlegend BGH, Beschluss vom 14.06.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665; siehe z.B. Patzina, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 12, Rn. 90, m.w.N. 101 Patzina, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 32, Rn. 20.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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III. Internationale Aspekte 1. Rechtsvergleichender Überblick Mehrere Staaten sehen Sonderkollisionsnormen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor.102 Am häufigsten ist dabei vorzufinden, dass das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person Anwendung finden soll, außer dies wäre für den Veröffentlichenden nicht vorhersehbar gewesen oder er habe nicht mit einer nennenswerten Kenntnisnahme in diesem Staat rechnen müssen.103 In den Staaten, in denen auf das allgemeine Deliktsrecht zurückgegriffen werden muss, gilt zumeist eine Form der lex loci delicti; das anwendbare Deliktsrecht ist also das am Erfolgs- und/oder Handlungsort. In Deutschland,104 Italien105 und Portugal106 gilt das Ubiquitätsprinzip; Handlungs- und Erfolgsort können also gleichermaßen relevant werden. Andere Staaten beschränken das Deliktskollisionsrecht hingegen auf den Erfolgsort.107 Die Frage der Existenz und des Inhalts der Persönlichkeitsrechte unterliegt in einigen Staaten dem Personalstatut der betroffenen Person.108 In England bestimmt sich das auf defamation anwendbare Rechts nach der traditionellen Regel des Common Law,109 also der rule of double actionability. Demnach ist erforderlich, dass eine Haftung sowohl unter Anwendung des ausländischen Handlungsortsrechts als auch des englischen Rechts gegeben wäre.110 Die lex fori wird daher immer (auch) angewendet. Zudem gilt sowohl 102
Siehe Übersicht bei IDI, Report, S. 292 ff. Albanien (Art. 67); Bulgarien (Art. 108); Japan (Art. 19, 17); Montenegro (Art. 55); Rumänien (Art. 2.642); Schweiz (Art. 139 IPRG); Türkei (Art. 35). 104 Art. 40 Abs. 1 EGBGB. 105 Art. 62 Legge 218/1995, jedoch nur für die Frage der Verletzung und die daran geknüpften Rechtsfolgen, (Art. 24 Abs. 2 Legge 218/1995). 106 Art. 27(1) und (2) Código Civil português, wobei das Recht am Erfolgsort unter dem Vorbehalt der Vorhersehbarkeit steht und nur zur Anwendung kommt, wenn es für die geschädigte Person vorteilhafter ist. 107 Spanien: Art. 10 (9)(1) Código Civil wird in Übereinstimmung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ausgelegt; siehe auch Calvo Caravaca/Carrascosa González, Derecho Internacional Privado, Vol. II, 12. Aufl., 2018, S. 1364. 108 Italien: Art. 24 S. 1 Legge 218/1995; Conetti/Tonolo/Vismara, Manuale di Diritto Internazionale Privato, 3. Aufl., 2017, S. 123. Portugal, wobei ein weitergehender Rechtsschutz als der des portugiesischen Rechts ausgeschlossen ist: Art. 27 Código Civil português; de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (179 f.). 109 Collins u.a., Dicey, Morris & Collins on The Conflict of Laws, Vol. 2, 15. Aufl., 2012, Rn. 35-100; Svantesson, Private International Law and the Internet, 3. Aufl. 2016, S. 211. 110 Phillips v Eyre (1870) LR 6 QB 1, Rz. 28 f.; Collins u.a., Dicey, Morris & Collins on The Conflict of Laws, Vol. 2, 15. Aufl., 2012, Rn. 35-106; Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (7 ff.). 103
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
für die internationale Zuständigkeit als auch im Kollisionsrecht die multiple publication rule, wonach jede nachfolgende Veröffentlichung als eigenständiger Akt gegenüber der Erstveröffentlichung behandelt wird.111 In mehreren Staaten wird die lex loci delicti vom Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt verdrängt.112 2. Modellgesetze Angesichts der divergierenden nationalen Regelungen zu grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen bei der hohen Relevanz dieser Normen für die Streitbeilegung ist es zu begrüßen, dass internationale Vereinigungen, namentlich die International Law Association (ILA) und das Institut de Droit International (IDI), aufzeigen, wie eine internationale Einigung für das IZVR und IPR in diesem Bereich aussehen könnte.113 Die Kommissionen beider Organisationen haben Modellgesetze erarbeitet, die im Folgenden in ihren wesentlichen Ansätzen kurz dargestellt werden. a) Vorschlag des Institut de Droit International Die achte Kommission des IDI hat unter dem Vorsitz von Erik Jayme und Symeon Symeonides Fragen der internationalen Zuständigkeit, des anwendbaren Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet untersucht und im Sommer 2019 ein Modellgesetz vorgeschlagen.114 Der Anwendungsbereich ist damit nicht technologieneutral.115 Zu den Eckpunkten des Vorschlags gehören eine 111 Collins u.a., Dicey, Morris & Collins on The Conflict of Laws, Vol. 2, 15. Aufl., 2012, Rn. 35-118 ff.; Nielsen, JPIL 9 (2013), 269 (281). 112 England: Berücksichtigung möglich im Rahmen der flexible exception rule aus Boys v Chaplin (1971) AC 356; siehe ferner Collins u.a., Dicey, Morris & Collins on The Conflict of Laws, Vol. 2, 15. Aufl., 2012, Rn. 35-112 ff. Italien, wenn zudem gemeinsame Staatsangehörigkeit: Art. 62 Abs. 2 Legge 218/1995. Japan: Art. 20 Act on the General Rules of Application of Laws. Portugal vorrangig bei gemeinsamer Staatsangehörigkeit, subsidiär bei gemeinsamem gewöhnlichem Aufenthalt: Art. 45(3) Código Civil português. 113 Ein Vergleich der beiden Vorschläge ist zu finden bei v. Hein, in: Cafaro/Damascelli/Di Benedetto/Gioffredi/Morini (erscheint 2022). 114 Institut de Droit International, Eighth Commission, Injuries to Rights of Personality Through the Use of the Internet: Jurisdiction, Applicable Law and Recognition of Foreign Judgments, 31 August 2019, 8 RES EN, abrufbar unter ; Report, in: Institut de Droit International, Session de La Haye, 2019 : travaux préparatoires, 2019, S. 245, abrufbar unter . Ausführliche Besprechung bei de Miguel Asensio, REDI 72 (2020), 205. 115 de Miguel Asensio, REDI 72 (2020), 205 (207), bescheinigt der Resolution daher ein nur beschränktes Potential.
A. Überblick über die Kollisionsnormen
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entschiedene Ablehnung des Mosaikprinzips (holistic principle, Art. 3 IDIVorschlag),116 die grundsätzliche Anwendbarkeit der lex fori (Art. 7 IDIVorschlag) sowie eine Berücksichtigung der tatsächlichen Abrufbarkeit einer Veröffentlichung und der Frage, ob die schädigende Person finanzielle Vorteile erlangt hat (Art. 5 Abs. 2 IDI-Vorschlag). Eine Rechtswahl ist erlaubt und weitgehend identisch mit den Vorschriften des Art. 14 Rom II-VO. Es stehen vier Gerichtsstände zur Auswahl, welche mittelbar auch das anwendbare Recht bestimmen (Art. 5 IDI-Vorschlag): Im Staat der schädigenden Handlung, im Heimatstaat des Beklagten, im Staat des Schädigungsschwerpunkts und im Heimatstaat des Klägers. In den letzten beiden Fällen, die besonders klägernah sind, ist eine Klage ausgeschlossen, wenn der Beklagte erfolgreich darlegt, dass er keinen finanziellen oder sonstigen Vorteil für die Veröffentlichung genossen hat und die Abrufbarkeit oder der Eintritt des Schädigungsschwerpunkts gerade im potentiellen Gerichtsstaat vernünftigerweise nicht vorhersehbar war. Wenn die betroffene Person im Staat des Schädigungsschwerpunkts klagt, kann sie zugunsten des Rechts am Handlungsort optieren. Sofern die betroffene Person in ihrem Heimatstaat klagt, kommt wiederum dem Beklagten ein Wahlrecht zu. Der Vorschlag äußert sich nicht zu der Frage, wie der Handlungs- oder der Erfolgsort zu bestimmen sind. Stattdessen wird diese Frage der lex fori zugewiesen (Art. 4 IDI-Vorschlag), da es sich um eine tatsächliche und keine rechtliche Frage handle.117 b) Vorschlag der International Law Association Der Vorschlag des Komitees der ILA zu „Protection of Privacy in Private International and Procedural Law“ unter der Leitung von Burkhard Hess sowie Cristina Mariottini und Jan von Hein wird voraussichtlich im Juni 2022 in Lissabon beschlossen werden.118 In seinem Ansatz ist dieser Vorschlag deutlich weitreichender als jener des IDI, da er technologieneutral gestaltet ist und auch vertragsrechtliche Fragen berücksichtigt (Art. 1 ILAVorschlag).119 Neben dem allgemeinen Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten (Art. 4 ILA-Vorschlag) und der Möglichkeit zur Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 5 ILA-Vorschlag) sind in Art. 3 ILA-Vorschlag besondere Zuständigkeiten vorgesehen. Demnach kann im Staat des Handlungsorts wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten geklagt werden. Alternativ 116
IDI, Report, S. 261 ff. Ebd., S. 259. 118 Frühere Entwürfe sind bereits öffentlich zugänglich unter , unter „Protection of Privacy in Private International and Procedural Law“, „Documents“. 119 ILA, Report, Rn. 21. 117
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
sind die Gerichte des Staats zuständig, in welchem der Kläger den Mittelpunkt seiner Interessen hat, sofern Auswirkungen der Veröffentlichungen in diesem Staat für den Beklagten vernünftigerweise vorhersehbar waren. Der Mittelpunkt der Interessen wird am gewöhnlichen Aufenthalt vermutet. Außerdem kann in jenem Staat geklagt werden, auf den die Veröffentlichung im Wesentlichen ausgerichtet war. Sofern die gerichtliche Zuständigkeit auf Art. 3 ILA-Vorschlag gestützt wird und daher bereits in diesem Schritt ein sachnaher Staat ermittelt wurde, soll gem. Art. 7 Abs. 1 ILA-Vorschlag die lex fori zur Anwendung kommen. In den anderen Fällen soll das Recht am Erfolgsort Anwendung finden; die geschädigte Person kann jedoch zugunsten des Rechts des Staats ihres gewöhnlichen Aufenthalts optieren, sofern die schädigende Veröffentlichung hauptsächlich auf diesen Staat ausgerichtet war (Art. 7 Abs. 2 ILAVorschlag). Vorrangig zu beachten ist eine Rechtswahl der Parteien (Art. 9 ILAVorschlag). Eine Rechtswahl ex post soll immer wirksam sein. Eine Rechtswahl ex ante ist nicht nur für Parteien möglich, die einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen, sondern auch für die Nutzer sozialer Medien, sofern dieselbe Rechtsordnung wie im jeweiligen Plattformvertrag gewählt wurde, sich die fragliche Persönlichkeitsrechtsverletzung bei der Ausübung von Tätigkeiten ereignet, die unter diesen Plattformvertrag fallen, und die Parteien keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt teilen. Im Rahmen der objektiven Anknüpfung geht ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Streitparteien der Grundanknüpfung vor (Art. 8 Abs. 2 ILA-Vorschlag). Schließlich ist noch eine Ausweichklausel zugunsten einer offensichtlich engeren Verbindung zu einem anderen Staat vorgesehen (Art. 8 ILA-Vorschlag). IV. Zusammenfassung und weiteres Vorgehen Die Kollisionsnormen zur Bestimmung des auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen anwendbaren Deliktsrechts können derzeit nur sehr begrenzt den harmonisierenden Rechtsquellen der Europäischen Union entnommen werden. Gem. Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Verletzungen der Privatsphäre vom Anwendungsbereich der Rom II-VO ausgenommen. Nicht unter die Bereichsausnahme fallen allerdings das Datenschutzrecht sowie jene Konstellationen, die von den spezielleren Normen Art. 6 und 8 Rom II-VO erfasst sind. Wie die Modellgesetze der ILA und des IDI zeigen, sind internationale Kompromisse im Bereich der grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen schwierig, aber möglich und notwendig. Erstrebenswert ist daher auch, dass die Bereichsausnahme der Rom II-VO mittelfristig zugunsten einer europäischen Harmonisierung dieses Bereichs aufgegeben werden kann. Aus dieser Motivation beschränkt sich diese Arbeit nicht auf das aktu-
B. Die lex loci delicti commissi
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ell geltende Recht, sondern erörtert die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen in das bestehende System der Rom II-VO integriert werden können und an welchen Stellen spezielle Bestimmungen erforderlich werden. Da das deutsche und das europäische Kollisionsrecht für das Deliktsrecht ein im Wesentlichen vergleichbares Regelungssystem vorsehen, werden die einzelnen Anknüpfungsnormen im Folgenden zusammen behandelt. Soweit im Einzelnen Unterschiede bestehen, wird darauf an entsprechender Stelle eingegangen.
B. Die lex loci delicti commissi B. Die lex loci delicti commissi
Wie sowohl der rechtsvergleichende Überblick als auch die verschiedenen Vorschläge zur Regelung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Rom II-VO zeigen, ist der Ausgangspunkt für die Bestimmung des Deliktsstatuts typischerweise die Tatortregel (lex loci delicti commissi),120 wobei diese sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort umfassen kann.121 Die Ermittlung dieser Orte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien stellt Rechtsprechung und Wissenschaft gleichermaßen vor Schwierigkeiten. Grund dafür sind die fehlende Greifbarkeit des zu schützenden Rechtsguts, die hohe Grundrechtsrelevanz der Thematik sowie die grundsätzliche Ubiquität des Internets. Bei sozialen Medien kommt hinzu, dass es sich um ein dreipoliges Verhältnis handelt und durch typische Verbreitungsmechanismen einfache Personen starke Schädigungen sowohl verursachen als auch erleben können. Der nachfolgende Abschnitt wendet sich dem Komplex der Suche nach einer deliktischen Grundanknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen insgesamt zu. Dabei stellen sich eine Vielzahl von Fragen: – Wie wird Art. 40 Abs. 1 EGBGB, der sowohl Handlungs- als auch Erfolgsort berücksichtigt, gegenwärtig ausgelegt? Entspricht der aktuelle Stand den Zielen des IPR und schafft dieser eine gerechte Lösung im kollisionsrechtlichen Sinne? – Wie werden im IZVR Handlungs- und Erfolgsort bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen bestimmt, und zwar im Rahmen des § 32 ZPO einerseits und des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO andererseits? Ist die aktuelle Auslegung sinnvoll und lässt sie sich auf das Kollisionsrecht übertragen? 120 Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 34; siehe auch ErwGr. 15 Rom II-VO. 121 Siehe z.B. Art. 40 Abs. 1 EGBGB; Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; EuGH, Urteil vom 30.11.1976 – 21/76, ECLI:EU:C:1976:166, Handelswekerij G.J. Bier B.V. ./. Mines de potasse d’Alsace, Rn. 15 ff.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
– Wie sollte eine deliktische Grundanknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen allgemein und konkret zur Ergänzung der bisher lückenhaften Rom II-VO aussehen, die die tangierten Interessen der Beteiligten in ein Gleichgewicht zu bringen vermag und dabei die Ziele der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts hinreichend berücksichtigt? Was ist eine gerechte Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die sich in das System der Rom II-VO einfügt? Diese Fragen zeigen große Überschneidungen und bewegen sich zwischen einer Betrachtung des geltenden Rechts (Art. 40 Abs. 1 EGBGB), das jedoch sehr offen und nicht spezifisch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen formuliert ist und daher einen Auslegungsspielraum lässt, und Erwägungen de lege ferenda mit Blick auf die bestehende Bereichsausnahme der Rom II-VO. Im Folgenden werden die Bestimmung des Handlungsorts einerseits (I.) und des Erfolgsorts andererseits (II.) bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten sozialer Medien erörtert. Ausgangspunkt ist dafür jeweils die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zum IZVR. Anschließend wird das Verhältnis der beiden Orte zueinander diskutiert (III.). Dies mündet letztlich in einen eigenen Vorschlag einer Grundanknüpfung basierend auf der Tatortregel (IV.). Vorab sei zur Relevanz der Rechtsprechung des EuGH das Folgende angemerkt: Das vereinheitlichte IPR der EU umfasst die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO).122 Anders ist dies jedoch im Recht der internationalen Zuständigkeit, wo der besondere Gerichtsstand für außervertragliche Streitigkeiten gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen gilt. Die Rechtsprechung des EuGH ist daher für das Kollisionsrecht nicht direkt verbindlich. Gleichwohl darf ihre Bedeutung für das IPR nicht unterschätzt werden. Denn erstens sind das IPR und das IZVR zwar nicht von identischen, aber von sehr eng verwandten Interessensfragen geleitet, sodass die Überlegungen des EuGH zur Brüssel IaVO weitgehend auch im Kollisionsrecht fruchtbar gemacht werden können. Zweitens schlägt der EuGH eine konkrete Herangehensweise an grenzüberschreitende Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor, die – insbesondere aufgrund der Unterschiede zur Herangehensweise des BGH – in die Bewertung möglicher Lösungsansätze einfließen muss. Und drittens ist die Rechtsprechung des EuGH im IZVR der Ausgangspunkt für den europäischen Gesetzgeber im Rahmen einer möglichen Vereinheitlichung des europäischen Kollisionsrechts, weil sie zum einen eine bereits bestehende europäisch-autonome Herangehensweise bietet und zum anderen so ein Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht erreicht werden kann.
122
Zur Bereichsausnahme siehe oben S. 123–135.
B. Die lex loci delicti commissi
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I. Der Handlungsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Allgemein gesprochen, ist der Handlungsort eines Delikts dort, wo die schädigende Handlung ausgeführt wird.123 Der folgende Abschnitt behandelt die Bestimmung des Handlungsorts bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Allgemeinen und für Delikte in sozialen Medien im Speziellen. 1. Rechtsprechung zum europäischen Recht Im Folgenden wird die Bestimmung des Handlungsorts einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch den EuGH im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO dargestellt. a) Shevill 1995 Die erste und damit wegweisende Entscheidung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen erging noch zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ in der Rechtssache Fiona Shevill et. al. ./. Presse Alliance SA.124 Neben Fragen zur Beweiserhebung im Rahmen des Übereinkommens wollte das vorlegende englische Gericht wissen, wie sich der Deliktsgerichtsstand bei einer Klage auf Schadensersatz wegen einer behaupteten Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse bestimmt. Im zugrunde liegenden Verfahren verlangte die britische Staatsangehörige Fiona Shevill mit Wohnsitz in England Schadensersatz, weil ihr Ansehen und ihre Ehre durch einen Artikel in der Zeitung France-Soir verletzt worden sei. Die Zeitung wurde hauptsächlich in Frankreich, aber auch in anderen europäischen Staaten vertrieben, darunter England und Wales, wobei dort die Anzahl der vertriebenen Exemplare vergleichsweise gering war. Für die Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ verwies der EuGH auf das, was seit der Entscheidung Mines de potasse d’Alsace125 gilt: Der besondere Deliktsgerichtsstand begründet sich mit der besonderen Sach- und Beweisnähe126 der Gerichte an den Orten, an denen der Schadenserfolg eingetreten ist, als auch an dem Ort, an dem die schädigende Handlung ihren Ursprung hatte.127 Die Begründung für die Anwendung des Ubiquitätsprinzips im europäi123 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 25; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 20; jew. m.w.N. 124 EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA. 125 EuGH, Urteil vom 30.11.1976 – 21/76, ECLI:EU:C:1976:166, Handelswekerij G.J. Bier B.V. ./. Mines de potasse d’Alsace. 126 EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 19. 127 EuGH, 30.11.1976 – 21/76, ECLI:EU:C:1976:166, Handelswekerij G.J. Bier B.V. ./. Mines de potasse d’Alsace, Rn. 15 ff.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
schen Zuständigkeitsregime folge nicht nur daraus, dass der Handlungsort regelmäßig am Wohnort des Beklagten sei und daher mit der allgemeinen Zuständigkeit übereinstimme, sondern auch aus dem zwingenden ursächlichen Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg, den jede deliktische Haftung voraussetze.128 Abweichungen von diesen allgemeinen Regeln seien bei behaupteten Ehrverletzungen durch Presseerzeugnisse nicht geboten.129 Der Handlungsort sei an dem Ort, an dem das Presseunternehmen seine Hauptniederlassung hat, denn dort habe das Presseerzeugnis seinen entscheidenden Ursprung und von dort sei die eventuell ehrverletzende Äußerung in Umlauf gebracht worden.130 An diesem Gerichtsstand könne der gesamte Schaden geltend gemacht werden.131 Der Handlungsort entspricht daher in aller Regel dem allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten. b) eDate 2011 und Bolagsupplysningen 2017 Die nachfolgenden Entscheidungen eDate132 und Bolagsupplysningen133 betrafen ebenfalls die Frage der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO bzw. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, wobei nun die Verbreitung über das Internet im Zentrum der Entscheidungen stand. Der EuGH hielt die Entscheidung in Shevill grundsätzlich auf Online-Sachverhalte übertragungsfähig.134 Hinsichtlich des Handlungsort sah er sich nicht veranlasst, eine Anpassung wegen des andersartigen Veröffentlichungsmediums vorzunehmen.135 2. Rechtsprechung zum nationalen Recht Der BGH klärte erstmals 1977, wie sich internationale Zuständigkeiten und anwendbares Recht bei grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseerzeugnisse bestimmen.136 Dies richte sich nach § 32 ZPO, wobei als Begehungsort sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort 128
Ebd. EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 23. 130 Ebd., Rn. 24. 131 Ebd., Rn. 25. 132 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a. 133 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB. 134 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 44. 135 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 30; Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU: C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 52. 136 BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 – profil. 129
B. Die lex loci delicti commissi
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in Betracht kämen. Handlungsort sei der Erscheinungsort des Druckwerks.137 In seiner Entscheidung Sieben Tage in Moskau problematisiert der BGH, ob bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen über das Internet der Handlungsort am Standort des Servers sein könne, lehnte dies jedoch ab.138 3. Relevante Handlung Zunächst ist zu klären, welche konkrete Handlung für die Bestimmung des anwendbaren Rechts überhaupt relevant ist. Vorbereitungshandlungen sind grundsätzlich irrelevant.139 Über die Abgrenzung von unbeachtlichen vorbereitenden Akten zu relevanten tatbestandlichen Handlungen entscheidet das Recht des Staats, in dem die Handlung vorgenommen wurde.140 Denn wenn eine Handlung beispielsweise nach dem materiellen Recht des Forums tatbestandlich ist, hingegen nicht nach dem Recht des Handlungsorts, müsste ansonsten ein Sachrecht die Handlung beurteilen, das ihr selbst keine haftungsbegründende Bedeutung zumisst. Zu den unbeachtlichen Vorbereitungshandlungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien gehören beispielsweise das Verfassen eines OnlineKommentars oder einer Online-Bewertung oder auch das Bearbeiten eines Videos oder Fotos.141 Vorbereitungshandlungen wie das Erstellen einer Fotografie können für sich schon eine eigene vorgelagerte Persönlichkeitsrechts137
Ebd. BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059, Rn. 16 – Sieben Tage in Moskau. 139 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 25; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 384 f.; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 20; jew. m.w.N. I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 193 ff., insb. S. 197, hingegen möchte aufgrund der Beweisinteressen im IZVR den Kreis der relevanten Handlungen weiter ziehen. Ähnlich Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 241 f. 140 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 25; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 20, m.w.N. Krit. dazu Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 178 ff. Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (263 f.), plädiert dafür, alle Handlungsakte einzubeziehen, die schon nach irgendeinem Sachrecht tatbestandlich sein können. v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 57 f., m.w.N., vertritt eine autonom-kollisionsrechtliche Betrachtungsweise. Für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO beschreibt Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 136 ff., zudem Ansätze, die nicht die lex causae über Tatbestandlichkeit einer Handlung entscheiden lassen, sondern prozessuale Prinzipien zugrundlegen. Diese Erwägungen lassen sich auf das IPR jedoch nicht übertragen. 141 Entspr. zum Verfassen einer E-Mail v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 18; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 93. 138
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
verletzung darstellen;142 das ändert aber nichts an ihrer Unbeachtlichkeit für die Bestimmung des Handlungsorts der endgültigen Internetveröffentlichung. Vereinzelt wird vertreten, dass der Handlungsort (auch) jeder Ort sei, an dem ein Pressemedium bestimmungsgemäß verbreitet wird, weil das Erscheinen und Verbreiten vom Willen der Handelnden umfasst und damit noch Teil der Durchführungshandlung sei.143 Bei Veröffentlichungen über das Internet sei der Handlungsort folglich überall dort, wo der fragliche Inhalt abgerufen werden könne.144 Gleichzeitig soll zudem eine Erfolgsortanknüpfung ausgeschlossen sein, weil Persönlichkeitsrechte keinen Belegenheitsort haben und es daher grundsätzlich keinen Erfolgsort geben könne.145 Kritisiert wird an einem solchen Verständnis des Handlungsorts, dass die Verbreitung durch Abrufbarkeit nur auf technischen Automatismen und nicht dem Willen der Handelnden beruhe.146 Dieses Gegenargument überzeugt nicht völlig, weil der technische Automatismus ja gerade gezielt durch den potentiellen Schädiger ausgelöst wird. Zutreffend ist aber die Kritik, dass der Handlungsort so faktisch in den Bereich des tatsächlich bestehenden Erfolgsorts gezogen
142 v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 58; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 75; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 237; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 93. Früher wurde vereinzelt vertreten, dass schon jeder Einzelakt wie das Verfassen beachtlich sei, so Boele-Woelki, BerGesVR 39 (2000), 307 (340 f.); Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (262 ff.). 143 v. Bar, IPR II, 1991, Rn. 662; ders., in: FS Waseda, 1988, S. 575 (589 ff.); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 145 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 369; ders., UFITA 108 (1988), 51 (65 ff.). Ähnlich wohl auch LG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.2016 – 15 O 109/15, BeckRS 2016, 110844, Rn. 22. G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (281), erwägt einen noch weiteren Handlungsortsbegriff, lehnt ihn aber ab. 144 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 369. So grundsätzlich auch Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 174 ff., zur internationalen Zuständigkeit, der aber angesichts der Vielzahl potentiell zuständiger Gerichte eine Begrenzung dahingehend vornimmt, dass allein der Schwerpunkthandlungsort am Wohnsitz der betroffenen Person maßgeblich sei. 145 v. Bar, IPR II, 1991, Rn. 664; ders., in: FS Waseda, 1988, S. 575 (588 f.); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 17 f., 122; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 370; ders., UFITA 108 (1988), 51 (64). Entspr. für das Markenrecht Kurtz, IPRax 2004, 107 (109). Siehe dazu auch unten S. 168 f. 146 Adena, RIW 2010, 868 (869, Fn. 14); Bachmann, IPRax 1998, 179 (184).
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wird.147 Zudem ist die Kenntnisnahme als Teil der Verbreitung eindeutig keine Handlung des Schädigers.148 Im Ergebnis gilt daher, dass im Falle der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien die entscheidende Handlung das Veröffentlichen eines potentiell beeinträchtigenden Inhalts ist. 4. Bestimmung des Handlungsorts Im Folgenden ist zu ermitteln, wo ein persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigender Inhalt veröffentlicht wird. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den Nutzern und den Betreibern sozialer Medien als Gegner eines deliktsrechtlichen Anspruchs. a) Allgemein Vor den Zeiten des Internets kamen als ursprünglicher Schädiger nur Medienunternehmen in Betracht, die typischerweise arbeitsteilig vorgehen. Konsequenterweise konzentrierten sich beide Gerichtshöfe auf die Steuerung des Veröffentlichungsprozesses. Zwar sind der Niederlassungsort des Presseunternehmens (EuGH)149 und der Erscheinungsort des Pressemediums (BGH)150 nicht identisch, werden aber im Regelfall zusammenfallen.151 Dem Vorschlag 147
Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 90; ähnlich v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 323 ff.; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 221, 223 ff. 148 Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 228; Prütting, in: GS Hübner, 2012, S. 425 (428). 149 Ebenso Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 224; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 58; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 74; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 225; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 221 f.; G. Wagner, in: NKBGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 46; R. Wagner, Das deutsche internationale Privatrecht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 1986, S. 78. Mittelbar auch G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (281 ff.), der die internationale Zuständigkeit nach Wahl des Geschädigten auch am Sitz des Presseunternehmens bejaht und dann die lex fori, also in diesem Fall das Recht des Handlungsorts, zur Anwendung bringen möchte. 150 Ebenso v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 323; Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (375); Stoll, in: GS Lüderitz, 2000, 733 (743 f.); ähnlich zum IZVR Schlussanträge GA Darmon, 10.01.1995, C-68/93, ECLI:EU: C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 52; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 155 f. 151 v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 321 f.; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 58; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 74; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 220; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
von Generalanwalt Léger, der Ort des Drucks sei der Handlungsort,152 ist der EuGH zu Recht nicht gefolgt, weil der Druck der Zeitung nur ein Bestandteil des Produktionsprozesses und zwar Voraussetzung, nicht aber steuernd für die tatsächliche Veröffentlichung ist. Es wird teilweise darauf hingewiesen, dass es zwar richtig ist, einen zentralen Ort eines Medienunternehmens als Handlungsort herauszugreifen; dies sollte aber nicht pauschal die Hauptniederlassung oder Verwaltungszentrale sein, sondern der Ort, bei dem letztlich die Verantwortung für die inhaltlichen Entscheidungen gerade dieser Veröffentlichung liegt.153 Im Regelfall wird dieser Ort zwar mit der Hauptniederlassung übereinstimmen. Jedoch vermag ein solcher Ansatz die Aufmerksamkeit auf das entscheide Kriterium zu lenken, das auch bei anderen Organisationseinheiten anwendbar ist. Maßgenblich ist daher, wo die Veröffentlichung verantwortet und von wo ihre Veröffentlichung gesteuert wird. Mit Aufkommen des Internets wurde zunächst der Standort des Servers als Handlungsort erwogen, weil dort sämtliche Informationen gespeichert würden und erst vom Server aus für ein Öffentlichkeit verfügbar seien, aber zu Recht deutlich abgelehnt.154 Denn die Wahl des Serverstandorts liegt allein in
Art. 40, Rn. 46; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 90; krit. v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 59; G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (280 f.). v. Hein (ebd.) merkt dazu an, dass es auch dem EuGH angesichts seiner Begründung bei Auseinanderfallen letztlich nicht auf den Bestand der Niederlassung ankommen könne, sondern Handlungsort der Ort sei, von dem aus die ehrverletzende Äußerung in Umlauf gebracht wurde. 152 Schlussanträge GA Léger, 10.01.1995, C-68/93, ECLI:EU:C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 5, 11; so auch Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 729. 153 Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 224; Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (57); v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 58 ff.; Stoll, in: GS Lüderitz, 2000, 733 (743 f.); G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 46; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 90. 154 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (305); v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 61 ff.; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 58; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 229; Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 129; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 75; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (257 f.); Pretelli, in: Pretelli, 2018, S. 17 (28 f.); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 222; Wais, ZfDR 2021, 358 (370); Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 232, 284 f.; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91. Entspr. zum IZVR BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059, Rn. 16 – Sieben Tage in Moskau; OGH, Urteil vom 07.05.2019 – 6 Ob 218/18d, IPRax 2020, 366, Rn. 24; Garber, ÖJZ 2012, 108 (111); Prütting, in: GS Hübner, 2012, S. 425 (430).
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der Verantwortlichkeit des Betreibers des Online-Angebots155 und folgt meist Kostenerwägungen.156 Der Standort ist dem Veröffentlichenden häufig unbekannt;157 einen Einfluss auf den Standort hat sie erst recht nicht.158 Der Serverstandort weist daher keinen engen Bezug zum konkreten Delikt auf und bleibt daher außer Betracht. Daneben sind auch alle sonstigen Standorte der erforderlichen Hardware irrelevant.159 Für die Bestimmung des Handlungsorts konkret in sozialen Medien wird im Folgenden zwischen den verschiedenen Beteiligten differenziert. b) Nutzer Zunächst ist zu diskutieren, wo der Nutzer handelt, wenn er einen Inhalt in sozialen Medien veröffentlicht. Dabei ist wiederum danach zu unterscheiden, ob es sich um ein Unternehmen oder eine natürliche Person handelt. aa) Unternehmen Die Bestimmung des Handlungsorts bei Internetdelikten sollte für arbeitsteilig vorgehende Unternehmen – beispielsweise eine Online-Zeitung – gleich wie bei traditionellen Medienunternehmen erfolgen.160 Der Handlungsort liegt also an dem Ort, von dem aus letztlich die inhaltliche Entscheidung gesteuert wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Akt des Hochladens und Abrufbarstellens der entscheidende Schritt ist, um den Inhalt einem Publikum zugänglich zu machen. Denn dies ist nur eine Ausführungshandlung im Rahmen eines arbeitsteiligen Vorgehens, die nicht der Entscheidung, ob ein solcher Inhalt überhaupt veröffentlicht werden soll, gleichsteht. Ein wesentlicher Unterschied, der eine Andersbehandlung bei Online-Veröffentlichungen rechtferti155
Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 129; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (257); Prütting, in: GS Hübner, 2012, S. 425 (430); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 222; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91. 156 Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42. 157 BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059, Rn. 16 – Sieben Tage in Moskau; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (305); Garber, ÖJZ 2012, 108 (111); Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (258). 158 Garber, ÖJZ 2012, 108 (111); Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (257). 159 Garber, ÖJZ 2012, 108 (111); v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 67 f.; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (267 f.); Wurmnest, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91. 160 Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 165; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, EGBGB Art. 40, Rn. 10; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 222 (Fn. 118); G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 51; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
gen würde, ist daher nicht ersichtlich. Zudem garantiert dieser Ansatz einen Gleichlauf bei parallelen Veröffentlichungen über verschiedene Verbreitungskanäle.161 bb) Natürliche Personen Anders ist das jedoch, wenn eine natürliche Person einen schädigenden Inhalt veröffentlicht, wie es für soziale Medien typisch ist, denn dann liegt keine Arbeitsteilung vor. Hier ist das Hochladen der Moment der Letztentscheidung. Daher wird vielfach vertreten, dass der Handlungsort bei Privatpersonen immer der Ort des Hochladens sei.162 Der Begriff des Hochladens ist freilich dann unpräzise, wenn der angegriffene Inhalt durch diesen Akt noch keinen weiteren Personen zugänglich gemacht wird, sondern dies erst in einem weiteren Schritt – also einem ausdrücklichen Freischalten – erfolgt.163 Maßgeblich ist daher der letzte Akt, der tatsächlich zu einer Veröffentlichung führt. Im Folgenden ist daher vom Veröffentlichungsakt die Rede, wobei die Ansicht jener, die auf das „Hochladen“ verweisen, davon umfasst gesehen wird. (1) Vermutung zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts In der Praxis kann es problematisch sein, den Veröffentlichungsort zu ermitteln. Daher wird vielfach vorgeschlagen, diesen Ort widerleglich am gewöhnlichen Aufenthaltsort zu vermuten.164 161
Ähnlich Garber, ÖJZ 2012, 108 (111). v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 68 ff.; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 58; ders./Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 11 Rn. 27; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 75; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 165; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (257); T. Pfeiffer, in: Gounalakis, 2003, § 12, Rn. 146, 161; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, EGBGB Art. 40, Rn. 10; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 222 f.; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 51; Wais, ZfDR 2021, 358 (370); Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 284 f.; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91. 163 So der berechtigte Einwand von Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 72. 164 Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 186 f.; v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 70 ff.; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 75; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 65 f.; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (258 ff., 265 ff.); G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 51; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91; für eine Vermutung 162
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Einen modifizierten Weg wählt Spickhoff, der diese praktische Schwierigkeit damit lösen will, dass in diesen Fällen doch der Ort des Verfassens des beeinträchtigenden Inhalts Handlungsort sein soll. Sollte auch dieser Ort nicht eindeutig feststehen, sei Handlungsort der gewöhnliche Aufenthalt, weil das nun der wahrscheinlichste Handlungsort sei.165 Dieser Ansatz erscheint jedoch unnötig umständlich und widerspricht der Feststellung, dass es sich beim Verfassen nur um eine unbeachtliche Vorbereitungshandlung handelt. Die widerlegliche Vermutung des Veröffentlichungsorts am gewöhnlichen Aufenthalt hingegen erleichtert die Ermittlung des anwendbaren Rechts in solch unklaren Fällen wesentlich, führt zum typischen Veröffentlichungsort und ermöglicht trotzdem, einen im Einzelfall anders belegenen tatsächlichen Handlungsort zu berücksichtigen. Zudem kommt dies der geschädigten Person entgegen, für die der tatsächliche Veröffentlichungsort häufig nicht erkennbar sein wird. Somit sollte man den Handlungsort am gewöhnlichen Aufenthalt des Handelnden vermuten. Wenn feststellbar ist, dass der tatsächliche Veröffentlichungsort in einem anderen Staat belegen ist, dann ist die Vermutung widerlegt. (2) Missbrauchsgefahr Man könnte erwägen, den Handlungsort nicht als Veröffentlichungsort zu definieren, sondern pauschal und unwiderleglich am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts festzusetzen, um eine potentielle Missbrauchsgefahr einzudämmen. Eine Berücksichtigung des tatsächlichen Orts des Veröffentlichens ermöglicht es den Nutzern von sozialen Medien, gezielt einen Staat aufzusuchen, um von dort aus eine Veröffentlichung online zu stellen und sich das dortige Ortsrecht zu sichern. Theoretisch wäre es auch möglich, dass der Veröffentlichende mit derselben Absicht die fragliche Veröffentlichung an einen Beauftragten in einem bestimmten Staat schickt, damit dieser von dort aus das Veröffentlichen vornimmt. Ein solches Vorgehen ist aber nicht per se verwerflich und als Missbrauch anzuprangern.166 Schließlich kann es aus der Sicht eines westlichen Demokratieverständnisses durchaus nachvollziehbar sein, wenn sich jemand aus einem autoritär regierten Staat einen Handlungsort mit einem liberaleren Äußerungsrecht suchen würde. Dieser Aspekt lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr am Wohnsitz OLG Celle, Beschluss vom 17.10.2002 – 4 AR 81/02, BeckRS 2002, 30288502. 165 Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42. 166 Zur Missbrauchsgefahr siehe Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 228 f.; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (262 f.), der die Lösung darin sah, mehrere Handlungsorte wegen mehraktigen Geschehens zu akzeptieren; ebenso Boele-Woelki, BerGesVR 39 (2000), 307 (340 f.).
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darauf, dass die Anknüpfung an den Handlungsort die Interessen des sich Äußernden in den Mittelpunkt stellt. Ob dies grundsätzlich gewünscht ist, ist vorrangig eine Wertungsfrage, die weiter unten erörtert wird.167 (3) Zufällige Handlungsorte Angesichts der gestiegenen individuellen Mobilität kann der Veröffentlichungsort, also der tatsächliche Handlungsort, zufällig und damit ungeeignet sein, das Recht zu ermitteln, zu dem die engste Verbindung besteht.168 Dies zeigt folgendes fiktives Beispiel: Eine Deutsche möchte ihre freie Zeit im Urlaub nutzen, um einige sehr kritische Beobachtungen über ihren Geschäftspartner in Frankreich auf einem sozialen Netzwerk zu verbreiten. Denkbar ist, dass sie dies noch in Deutschland auf dem Balkon tut, aber auch, dass sie dazu erst während ihrer Reise bei einer Zwischenlandung in London oder in ihrem Hotel in Buenos Aires kommt. Je nach Zeitpunkt fände auf Ansprüche der Betroffenen wegen einer Verletzung ihrer Persönlichkeit durch die Veröffentlichung bei Anknüpfung an den Veröffentlichungsort deutsches, englisches oder argentinisches Deliktsrecht Anwendung, ohne dass jedoch tatsächlich ein Bezug zwischen der Veröffentlichung und dem konkreten Handlungsort bestehen muss. Eine Anwendung des jeweiligen Rechts könnte – auch für die veröffentlichende Person – überraschend und gerade nicht vorhersehbar sein, da sich ihre Rechtsvorstellung, sofern vorhanden, am ehesten nach ihrem Heimatrecht richten wird. Sicherlich wird sie sich jedenfalls nicht bei jedem Grenzübertritt Gedanken über die dortigen Grenzen des Erlaubten machen. Folglich verliert die Anknüpfung an den Veröffentlichungsort damit gerade den Vorteil, dass für den Handelnden die Grenzen seines Tuns erkennbar und erwartbar sind. Zur Korrektur dieser Zufälligkeiten sind zwei Wege denkbar: Entweder fixiert man den Handlungsort – parallel zur Handlungsortbestimmung bei Unternehmen – am gewöhnlichen Aufenthalt oder man bleibt zwar grundsätzlich beim Veröffentlichungsort, vermeidet aber zufällige Ergebnisse über eine Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO bzw. Art. 41 Abs. 1 EGBGB). Für eine solche Fixierung sprach sich Generalanwalt Bobek in der Rechtssache Bolagsupplysningen aus.169 Genau so wenig, wie der Ort des Druckes 167
Siehe unten S. 161–167. Dahingehend v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 29. Ebenso Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 73; López-Tarruella Martínez, REDI 72 (2020), 213 (216). 169 Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 80; ähnlich Boele-Woelki, BerGesVR 39 (2000), 307 (341); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 228 f. 168
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bei einer Zeitung wie im Fall Shevill von Bedeutung ist, dürfe im Falle von Internetveröffentlichungen der Veröffentlichungsort oder des Serverstandorts beachtlich sein.170 Maßgeblich sei vielmehr der Ort, von dem aus der Veröffentlichende regelmäßig Zugang zum Inhalt hat, Änderungen oder Löschungen vornehmen kann und damit die Veröffentlichung kontrolliert.171 In aller Regel ist das der gewöhnliche Aufenthalt. Vorteil dieses Ansatzes ist, dass Zufälligkeiten vermieden werden. Zudem entspricht dieses Recht am wahrscheinlichsten den Erwartungen des Handelnden. Trotzdem kann eine Festlegung des Handlungsorts bei natürlichen Personen auf den typischen „Kontrollort“ nicht überzeugen. Bei Unternehmen ist ein solcher Ansatz wegen des arbeitsteiligen und damit gegebenenfalls räumlich aufgeteilten Vorgehens gerechtfertigt, bei allein handelnden natürlichen Personen sind diese Aspekte gerade nicht gegeben.172 Eine natürliche Person trifft vielmehr erst im Moment des Veröffentlichens eine endgültige Entscheidung. Zweifel entstehen auch, weil sich unter Zugrundelegung dieses Ansatzes das normative Verständnis zu weit vom tatsächlichen Handlungsort entfernt. Daher ist Handlungsort bei natürlichen Personen immer der tatsächliche Veröffentlichungsort. Wenn die so ermittelte Verbindung zu einem Staat zufällig erscheint, ist über eine Ausweichklausel das wesentlich enger verbundene Recht anzuwenden.173 (4) Zwischenergebnis Zusammengefasst lässt sich daher festhalten, dass wenn ein Nutzer einen angeblich schädigenden Inhalt auf ein soziales Netzwerk stellt, seine letzte und entscheidende Handlung das Veröffentlichen auf der Netzwerkseite ist. Der tatsächliche Handlungsort ist somit der Veröffentlichungsort. Davon ist nicht zugunsten einer pauschalen Verortung des Handlungsorts am gewöhnlichen Aufenthalt abzuweichen. Allerdings ist es sinnvoll, den Handlungsort widerleglich am gewöhnlichen Aufenthalt des Veröffentlichenden zu vermuten. Zufällige Handlungsorte sind über die Ausweichklausel auszuschließen. c) Betreiber Der Betreiber wird typischerweise in Anspruch genommen, damit Veröffentlichungen gelöscht werden. Vertreten wird, dass es in diesen Konstellationen
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Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 94. 171 Ebd.; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 229. 172 Ebenso Garber, ÖJZ 2012, 108 (111). 173 Ebenso A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 76.
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nun doch auf den Serverstandort ankomme.174 Zwar hält der Betreiber über die Server die Daten zum Abruf bereit. Der Ansatz überzeugt aber nicht, weil es sich beim Serverstandort nur um den „Lagerort“ von Daten handelt, an dem nicht zwingend auch die Entscheidungen getroffen werden. Hinzu kommt, dass große Anbieter ihre Server auf mehrere Staaten verteilen,175 sodass ein Anknüpfen an der Serverstandort weder eine eindeutige Lösung verspricht noch eine tatsächliche Nähe zur vorgeworfenen Handlung besteht.176 Parallel zu den obigen Überlegungen sollte daher auch bei der Haftung des Betreibers gelten, dass es nicht auf den „Lagerort“ der Daten oder etwa den Standort der bearbeitenden Abteilung ankommt, sondern auf die Zentrale, die letztlich die Entscheidungen über die inhaltliche Gestaltung des sozialen Mediums trifft und damit die Veröffentlichung steuert. Das ist typischerweise der Ort der Hauptniederlassung des Betreibers. Bei sozialen Medien kann es nicht darauf ankommen, wo im Wege eines entsprechenden Algorithmus automatisch oder durch eine damit beauftragte Person einen Entscheidung über das Löschen oder Beibehalten eines Nutzerbeitrags getroffen wird. Denn diese Entscheidung basiert in der Regel auf den zentral vorgegebenen internen Richtlinien über zulässige Inhalte.177 Bei dieser Zentralstelle liegt damit auch die inhaltliche Verantwortung. Dieser Ort ist nicht nur am nächsten an der vorgeworfenen Handlung, sondern meist auch leicht erkennbar. d) Unterlassungsansprüche Art. 40 EGBGB gilt auch für Unterlassungsansprüche.178 Der Handlungsort befindet sich dann dort, wo die Handlung voraussichtlich vorgenommen wird.
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Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 42; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 51; Wurmnest, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 91. 175 Z.B. Facebook betrieb im Jahr 2019 selbst 16 eigene Rechenzentren in den USA, Schweden, Irland, Dänemark und Singapur, siehe , abgerufen am 05.03.2019. 176 Krit. auch Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (285 ff.). 177 Z.B. Community Standards von Facebook, . Siehe auch das Kennzeichnen oder Löschen von Falschnachrichten: Rosen, Aktuelles zu unseren Bemühungen, Menschen zu COVID-19 zu informieren und gegen Falschinformationen vorzugehen, 16.04.2020, ; Twitter Safety, COVID-19: Our approach to misleading vaccine information, 16.12.2020, . 178 BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = NJW 2012, 148, Rn. 15 – Blog-Eintrag; siehe schon BT-Drs. 14/343, S. 10.
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Bei natürlichen Personen erweist sich auch hier die Vermutung des Handlungsort am gewöhnlichen Aufenthalt als besonders sinnvoll. Mangels anderer Anhaltspunkte sollte daher der Ort, von dem aus die Kontrolle über zukünftiges Verhalten ausgeübt wird, am gewöhnlichen Aufenthalt vermutet werden. Bei Unternehmen liegt der Handlungsort wiederum an dem Ort, von dem aus letztlich die inhaltliche Entscheidung gesteuert wird. Soweit Unterlassung nicht wegen Erstbegehungsgefahr begehrt wird, sondern bereits eine potentielle Persönlichkeitsrechtsverletzung erfolgt ist, ist der Handlungsort der bereits erfolgten Verletzung typischerweise auch der Handlungsort für zukünftige Verletzungshandlungen. Abweichungen sind im Einzelfall freilich denkbar und zu berücksichtigen, beispielsweise bei einer Wohn- oder Unternehmenssitzverlegung ins Ausland. 5. Der Handlungsort als Anknüpfungsmoment Nach geltendem Recht kommt das Handlungsortsrecht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen uneingeschränkt zur Anwendung, sofern der Kläger nicht von seinem Optionsrecht in Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB zugunsten des Erfolgsortsrechts Gebrauch macht. Mit Blick auf die zu schließende Lücke der Rom II-VO ist zu fragen, welche Rolle die Anknüpfung an den Handlungsort zukünftig spielen soll. a) Ansichten Die ausschließliche oder zumindest vorrangige Anwendung des Rechts am Handlungsort bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen wird in der Literatur überwiegend kritisch gesehen.179 So waren bislang nur vereinzelt Stimmen zu vernehmen, die eine (ausschließliche) Handlungsortsanknüpfung befürworten.180 Zuletzt hat sich Lutzi dafür ausgesprochen, die Handlungsortsanknüpfung in Form einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der veröffentlichenden Person zur Grundregel auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu machen, sofern kein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Parteien besteht und der Schädiger seine Veröffentlichung (auch) auf den Staat des Geschädigten ausgerichtet hat.181 Bezogen auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien fände nach diesem Vorschlag auf das Verhältnis einer geschädigten natürlichen Person zum Betreiber eines sozia179 Z.B. Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (404 ff.); Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (375); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 307 ff. 180 Mills Wade, EPC on The Link between Brussels I and Rome II in Cases Affecting the Media, 25.07.2010, . 181 Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.62 ff., 5.94. Der Vorschlag ist aber auf den europäischen Binnenmarkt begrenzt, Rn. 5.113 ff.
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len Netzwerks das Recht am Erfolgsort Anwendung, wohingegen das Verhältnis zum Urheber der Veröffentlichung dem Recht am Handlungsort unterläge, sofern es sich nicht um eine strukturell stärkere Person – beispielsweise ein Presseunternehmen – handelt. b) Bewertung einer Handlungsortsanknüpfung Zunächst sprechen für eine Anknüpfung an den Handlungsort Argumente praktischer Natur, die sich als solche in den meisten Fällen auch nicht abstreiten lassen. So ist der Handlungsort – gerade im Vergleich zum Erfolgsort – eindeutig und klar feststellbar.182 Auch bei der Vollstreckung von Urteilen sind im Regelfall keine Probleme zu erwarten. Jenseits der rein praktischen Erwägungen, auf die alleine eine Anknüpfungsregel nicht gestützt werden sollte, ist der Vorzug einer Handlungsortsanknüpfung, dass sich der Veröffentlichende auf sein Rechtsumfeld verlassen darf. Gerade wenn natürliche Personen Inhalte in sozialen Medien veröffentlichen, kann davon ausgegangen werden, dass sie mit dem Recht an ihrem Handlungsort und die sich darin entfaltenden Grenzen des Sagbaren am besten vertraut sind und deren Anwendung erwarten.183 Insbesondere kann man mit einer Handlungsortsanknüpfung den scheinbaren Widerspruch vermeiden, dass sich der Schädiger zwar im Rahmen des Erlaubten seines Umweltrechts verhalten hat, gleichwohl aber haftbar sein kann. Hingegen kann die Gefahr, dass man potentiell nach einer unbekannten Rechtsordnung haften könnte, einen chilling effect auf die Meinungs- und auch auf die Pressefreiheit haben.184 Die Handlungsortsanknüpfung erweist sich also als der freundlichste Ansatz im Blick auf die Meinungsfreiheit. Nicht, weil dies zwingend zum inhaltlich günstigsten Recht führt, sondern weil keine Unbekannten zu bedenken sind. Das Risiko einer Veröffentlichung kann basierend auf der vertrauten Rechtsordnung kalkuliert werden. Zusätzliche Rechtsermittlungskosten wegen der möglichen Anwendung ausländischen Rechts im Vorfeld einer Veröffentlichung sind nicht zu erwarten. Und schließlich werden diese Vorteile noch potenziert, wenn wiederholt und über unterschiedliche Personen veröffentlicht wird und dank Handlungsortsanknüpfung alle Veröffentlichungen nach demselben Recht zu beurteilen sind. Wie bedeutsam diese Vorteile insbesondere für Presseunternehmen sind, wurde im Lauf des Gesetzge182 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (430); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1698); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (502). Zweifelnd Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 201 ff. 183 Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.62. 184 Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/ Farah, 2015, S. 315 (337 ff.); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (502); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1683, 1698); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 305.
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bungsverfahrens zur Rom II-VO erkennbar.185 Doch auch für die Betreiber sozialer Medien wäre es die vorteilhafteste Anknüpfung.186 Die Handlungsortsanknüpfung ermöglicht einer sich äußernden Person die maximale Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit. Eben diese Steuerbarkeit führt jedoch zugleich zu vehementem Widerstand gegen die Handlungsortsanknüpfung. Zu groß ist die Sorge, damit Manipulationen und einseitiger Rechtswahl durch räumliche Verlegung der eigenen Niederlassung Tür und Tor zu öffnen.187 Während diese Sorge vorrangig mit Blick auf Presseunternehmen formuliert wird, ist auch bei natürlichen Personen die gezielte Wahl eines Handlungsorts denkbar, die zum Zwecke der Veröffentlichung einen bestimmten Staat aufsuchen. Dies ist aber nicht per se verwerflich, sondern kann auch der legitimen Interessenswahrnehmung dienen.188 Dieser Aspekt verdeutlicht jedoch, dass die Handlungsortsanknüpfung die Interessen des Veröffentlichenden in den Mittelpunkt stellt und zum alleinigen Maßstab macht. Denn im selben Maße, wie die Handlungsortsanknüpfung für den Schädiger günstig ist, ist sie für das Opfer zugleich von Nachteil. Hauptsächlich deshalb wird die reine Handlungsortsanknüpfung zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass sie den Schädiger einseitig begünstigt und den Schutz des Opfers im IPR in unzulässigem Maße vernachlässigt.189 Das Opfer hat 185
Vgl. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (10). Siehe auch Mills Wade, EPC on The Link between Brussels I and Rome II in Cases Affecting the Media, 25.07.2010, . 186 Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 139. 187 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 143 f., 146; Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 371; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (410 f.); Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (430); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (582); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 64; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 258 f.; Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 139; Magallón, Country of Origin Versus Country of Destination and the Need for Minimum Substantive Harmonisation, 20.07.2010, ; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (512); Reymond, La compétence internationale en cas d’atteinte à la personnalité par Internet, 2015, Rn. 1135; Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 55. Entspr. zum IZVR I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 273; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 222. 188 Siehe oben S. 157 f. 189 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 145; Álvarez Rubio/Agoués
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keinen Einfluss auf das Ob, Wann und Wie einer Veröffentlichung und ist damit von vornherein in einer schwächeren Position.190 Zu dieser fehlenden Kontrollierbarkeit für das Opfer kommt sodann noch die faktische Kostentragungspflicht für die Grenzüberschreitung hinzu.191 Der Veröffentlichende hingegen hat es in der Hand, denn er kann selbst entscheiden, zu welchen Inhalten und zu welchen Personen er sich öffentlich äußert.192 Teilweise wird die generelle Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person aufgrund der Schwere einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet so groß eingeschätzt, dass schon allein aus diesem Grund die Erfolgsortsanknüpfung zum Ausgleich dieses Ungleichgewichts zwingend sei.193 Eine reine Handlungsortsanknüpfung legt nämlich dem potentiellen Geschädigten einer Persönlichkeitsrechtsverletzung die Kosten und Risiken einer grenzüberschreitenden Kommunikation vollständig auf, während es den VeröffentliMendizábal/Iruretagoiena Agirrezabalaga/Magallón Elósegui, Difamación y protección de los derechos de la personalidad, 2009, S. 222; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (408), Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (439); Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (375); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (582); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 64; A. Junker, RIW 2010, 257 (258); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1698); Marino, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 363 (376); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (511); Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 54 f.; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 306. Entspr. zum IZVR Reymond, La compétence internationale en cas d’atteinte à la personnalité par Internet, 2015, Rn. 1135; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 273. 190 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 146; Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 9; Álvarez Rubio/Agoués Mendizábal/Iruretagoiena Agirrezabalaga/ Magallón Elósegui, Difamación y protección de los derechos de la personalidad, 2009, S. 221 f.; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (512). 191 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (408 f.); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (511 f.). Allgemein v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (476 f.). 192 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (434 ff.). 193 Dahingehend Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 143 f., 146; Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, S. 35 (67); Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 56. Entspr. zum IZVR M. Weller, in: FS Kaissis, 2012, S. 1039 (1047, Fn. 39). Überhaupt sei in Europa eine Tendenz hin zu einem immer stärkeren Persönlichkeitsschutz festzustellen; eine Stärkung des Persönlichkeitsrechts auf kollisionsrechtlicher Ebene stehe daher in Einklang mit der sachrechtlichen Entwicklung, so Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 311 f.
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chenden von jedem Nachteil befreit. Eine solch uneingeschränkte Bevorzugung der Meinungsfreiheit ist aber weder grundrechtlich geboten noch mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Persönlichkeitsrechts vereinbar. Auf diesem Wege findet kein Interessenausgleich statt, sondern letztlich eine einseitige Bevorzugung. Aus diesen Gründen ist eine Handlungsortsanknüpfung auch dann nicht berechtigt, wenn man diese auf Fälle beschränkt, in denen kein strukturelles Ungleichgewicht besteht.194 Zwar sind zwischen zwei natürlichen Person das Machtgefälle sowie die Unterschiede in den Ressourcenmöglichkeiten deutlich geringer als zwischen einem Presseunternehmen und einer natürlichen Person. Doch dies allein kann nicht als Begründung genügen, um einer potentiell geschädigten Person das volle Risiko einer grenzüberschreitenden Kommunikation aufzulegen. Denn wer das Internet nutzt, weiß, dass und wo seine Inhalte abrufbar sind. Nach dem „self-liability principle“, so Carrascosa González, müsse eine Person die Folgen eines Aktes tragen, wenn dieser in ihre Kontrollsphäre fällt.195 Dieser Grundgedanke darf auch bei Parteien „auf Augenhöhe“ nicht vergessen werden. Zu Recht wird an einer Handlungsortsanknüpfung zudem kritisiert, dass so nur die engste Verbindung zum Schädiger, nicht aber die engste Verbindung zum gesamten Sachverhalt ermittelt wird.196 Auch gerät aus dem Blick, dass es doch gerade die Rechtsgutsverletzung ist und nicht ein unerwünschtes Verhalten per se, das den Grund für eine zivilrechtliche Haftung darstellt, wie sich dies nicht zuletzt an den Möglichkeiten zur verschuldensunabhängigen Haftung zeigt.197 Basierend auf diesem Gedanken wurde in der Rom II-VO grundsätzlich gegen eine Anknüpfung an den Handlungsort und für eine Anknüpfung an den Erfolgsort entschieden (Art. 4 Abs. 1). Neben den generellen Bedenken gegen eine Handlungsortsanknüpfung wegen dessen Einseitigkeit stößt die Handlungsortsanknüpfung im Rahmen der Rom II-VO auf den Widerspruch, dass man sich für einen grundsätzlich anderen Ansatz entschie194
So der Vorschlag von Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.62 ff.,
5.94. 195
Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (409). Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 371 f.; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (409); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (582); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 259. 197 Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), Brüssel, den 22.7.2003, KOM(2003) 427 endg., S. 13. Zur untergeordneten Bedeutung der Verhaltenssteuerung im Deliktsrecht siehe Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (410 f.); v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 28 ff.; 97 ff., 337; Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 53 ff. 196
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den hat. Speziell im Kontext einer unionsrechtlichen Vereinheitlichung steht eine Handlungsortsanknüpfung daher der grundsätzlichen Entscheidung zugunsten der lex loci damni also diametral entgegen.198 Zwar ist ein Herkunftslandprinzip auch dem Unionsrecht nicht fremd (z.B. Art. 3 ECRL); Voraussetzung dafür ist aber, dass im Wege einer Mindestharmonisierung ein rechtlicher Grundkonsens garantiert ist.199 Ein solcher kann zwar in gewissem Maße über die EMRK gewährleistet werden. Ob dieser Grad der Vereinheitlichung für die Rechtsfertigung eines Herkunftslandprinzips allerdings ausreicht, ist zweifelhaft. Jedenfalls ist kein weltweiter Mindeststandard vorhanden. Für eine universelle Anknüpfung im Sinne des Art. 3 Rom II-VO fehlt es daher an einem weltweiten Minimalkonsens im materiellen Persönlichkeitsrecht.200 Schließlich erweist sich die Handlungsortsanknüpfung besonders ungünstig in sozialen Medien. Denn hier kommen regelmäßig zwei Täter in Betracht – der Betreiber der Plattform und der schädigende Nutzer –, die häufig in unterschiedlichen Staaten handeln. Eine Handlungsortanknüpfung führt im Gegensatz zu einer Erfolgsortanknüpfung dazu, dass derselbe Inhalt hinsichtlich seiner Zulässigkeit zwei unterschiedlichen Wertungsmaßstäben unterliegen kann. Dafür kann es zwar im Einzelfall Gründe geben, erstrebenswert ist jedoch, dass im Regelfall die jeweiligen Rechtsverhältnisse zwischen Geschädigtem und jeweiligem Schädiger derselben Rechtsordnung unterliegen, sodass eine einheitliche Behandlung möglich ist. Andernfalls könnte eine Handlungsortsanknüpfung zugunsten der Betreiber der Plattformen dazu führen, dass eine Veröffentlichung teilweise ausländischem Recht unterliegt, obwohl der ursprüngliche Schädiger und der Geschädigte einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben.201 Eine ausschließliche oder vorrangige Anknüpfung an den Handlungsort sollte somit aus all diesen Gründen ausgeschlossen sein. Der Schutz der Meinungsfreiheit ist auf anderem Wege in Ausgleich mit dem Persönlichkeitsrecht zu bringen. Jedoch kann der Handlungsort als Auffangtatbestand eine 198 Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 369, 371 f.; Boskovic, Boskovic on Rome II and Defamation, 20.07.2010, ; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (409); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (582); A. Junker, RIW 2010, 257 (258); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 306. 199 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 146 ff.; Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 11; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (512). 200 Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1693). 201 Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 140.
B. Die lex loci delicti commissi
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sinnvolle Funktion erfüllen, wenn andere Anknüpfungen ins Leere laufen oder eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit befürchten lassen, die auch nicht durch das Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt werden kann.202 6. Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Handlungsort bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung am Ort der Veröffentlichung liegt. Bei natürlichen Personen ist der Handlungsort widerleglich am gewöhnlichen Aufenthalt des Veröffentlichenden zu vermuten. Zufällige Handlungsorte sind im Wege der Ausweichklausel auszuschließen. Bei Unternehmen, juristischen Personen und Vereinigungen ist der Handlungsort dort, wo sich die Hauptzentrale für die inhaltlichen Entscheidungen befindet. Eine Anknüpfung an den Handlungsort erweist sich als zu einseitig und kann aufgrund der völligen Vernachlässigung des Persönlichkeitsrechts auch nicht mit der Bedeutung der Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden. De lege ferenda sollte der Handlungsort daher keine zentrale Rolle spielen. Aufgrund seiner praktischen Vorteile kann er jedoch als Auffanganknüpfung in Betracht kommen. II. Die Bestimmung des Erfolgsorts Die Ermittlung des Erfolgsorts einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bereitet seit jeher Schwierigkeiten, die darin begründet liegen, dass das Persönlichkeitsrecht nicht körperlich und damit weder greifbar noch eindeutig lokalisierbar ist. Das Persönlichkeitsrecht ist mit der Person als solcher verbunden und wird meist in den sozialen Beziehungen zu anderen Personen erkennbar. Es ist gleichzeitig „überall und nirgendwo“. Wenn jemand Informationen über seine Person verbreitet sieht, die er für sich behalten wollte, oder andere rufschädigende Behauptung über ihn aufstellen, kann das Auswirkungen auf sein privates Umfeld haben oder ihn in seinen beruflichen Absichten beeinträchtigen. Diese Beeinträchtigungen können auch über Staatsgrenzen hinweg spürbar sein, wenn die betroffene Person bereits vor dem schädigenden Ereignis soziale Kontakte in mehreren Staaten hatte oder ihm nun ein „schlechter Ruf“ vorauseilt. Solche Konstellationen sind durch das Internet häufiger geworden. Denn sofern nicht aktiv über Geoblocking oder vergleichbare Techniken dagegen gearbeitet wird, sind online Inhalte ungeachtet jeder Staatsgrenze abrufbar. Der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung ist dort, wo die unmittelbaren Folgen der Schädigungshandlung eintreten, also der Ort, an dem das ge-
202
Siehe unten S. 253.
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schützte Rechtsgut verletzt wird.203 Hinsichtlich zukünftiger Handlung, deren Unterlassen erstrebt wird, ist der Erfolgsort dort, wo die Verletzung einzutreten droht.204 Nicht erfasst sind die Orte mittelbarer Folgeschäden.205 Im Folgenden wird zunächst erörtert, wo der tatsächliche Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt (1.). Da dies zu einer Vielzahl von in Betracht kommenden Rechtsordnungen führen kann, erweisen sich verschiedene Begrenzungen oder ein Konzentration der Erfolgsortsanknüpfung als notwendig (2.). Im dritten Schritt wird daher dargestellt, wie die Gerichte eine solche Begrenzung vornehmen, also wie das geltende Recht angewendet wird (3. und 4.). Sodann werden die verschiedenen Literaturmeinungen zur Beschränkung und Konkretisierung des Erfolgsorts bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen erörtert (5. und 6.) 1. Der Erfolg einer Persönlichkeitsrechtsverletzung a) Existenz des Erfolgsorts Es wurde bezweifelt, ob es bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen überhaupt einen Erfolgsort geben könne.206 Denn wenn das Persönlichkeitsrecht mangels Körperlichkeit nicht lokalisiert werden könne, sei auch eine Verortung des Verletzungserfolgs unmöglich. Vertreter dieses Ansatzes kompensieren diesen Nachteil für die betroffene Person dadurch, dass stattdessen der Akt des Verbreitens eines schädigenden Inhalts als Teil der Handlung verstanden wird und in der Folge eine Handlungsortsanknüpfung zu sämtlichen Orten führt, an denen der Inhalt bestimmungsgemäß verbreitet wurde.207 Abgesehen davon, dass der Begriff der Handlung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen spätestens bei der Anwendung auf Internetdelikte zu ver-
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A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 31; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 24; jew. m.w.N. 204 Ähnlich Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. 205 Siehe schon Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Ferner A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 31; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 24; jew. m.w.N. Grundlegend zum IZVR EuGH, Urteil vom 19.09.1995 – C-364/93, ECLI:EU:C:1995:289, Antonio Marinari ./. Lloyds Bank plc und Zubaidi Trading Company, Rn. 13 ff. 206 v. Bar, IPR II, 1991, Rn. 664; ders., in: FS Waseda, 1988, S. 575 (588 f.); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 17 f., 122; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 370; ders., UFITA 108 (1988), 51 (64); entspr. für das Markenrecht Kurtz, IPRax 2004, 107 (109). 207 v. Bar, IPR II, 1991, Rn. 662; ders., in: FS Waseda, 1988, S. 575 (589 ff.); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 145 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 369; ders., UFITA 108 (1988), 51 (65 ff.). Ähnlich wohl auch LG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.2016 – 15 O 109/15, BeckRS 2016, 110844, Rn. 22.
B. Die lex loci delicti commissi
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wässern droht,208 macht bereits die Prämisse, dass es keinen Erfolgsort gebe, stutzig. So bestehen doch keine Zweifel, dass das Persönlichkeitsrecht als rechtlich schützenswertes Gut anerkannt ist, wie bereits auf der grundrechtlichen Ebene deutlich zum Ausdruck kommt.209 Allein die fehlende Körperlichkeit stellt dies nicht in Frage. Insbesondere sind die Ansprüche im materiellen Recht in allen Staaten nicht nur darauf gerichtet, manche Verhaltensweisen zu unterbinden, sondern die konkret spürbaren Beeinträchtigungen für die betroffene Person zu verhindern und notfalls die erlittenen Schäden zu begrenzen und zu kompensieren. Folgerichtig bestehen an der Existenz eines Erfolgsorts bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen weder in der Rechtsprechung noch in der breiten Literatur Zweifel.210 b) Die Bekanntheit des Verletzten Unklar ist jedoch, worin dieser Erfolg für die Zwecke des Kollisionsrechts eigentlich besteht. Gelegentlich wird vertreten, dass der Erfolgsort nur dann im Gebiet eines Staats liegen könne, wenn die Person bereits vorher dort bekannt war.211 Auch der EuGH verlangte eine solche Bekanntheit ausdrücklich in seiner Shevill-Entscheidung.212 Der dahinterstehende Gedanke ist, dass der Erfolg einer Persönlichkeitsrechtsverletzung in einem Eingriff in ein bereits bestehendes soziales Gefüge liege und damit vorhandene Beziehungen beeinträchtige. Das umfasst jedoch nur einen Ausschnitt denkbarer Persönlichkeitsrechtsverletzungen und blendet jene Fälle aus, in denen es gerade die beeinträchtigende Veröffentlichung ist, die dem Betroffenen einen Bekanntheitsgrad 208
Siehe oben S. 153–161. Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. 210 Siehe insbesondere Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (411); v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, 79 ff.; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 168; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 214 ff.; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 224. 211 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 63; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (421); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (508); Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (749); G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 52; ders., RabelsZ 62 (1998), 243 (276 f.). 212 EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 29. Unklar ist, ob dies auch noch nach der nachfolgenden Entscheidung eDate (C-509/09 u.a.) gilt. Teilweise wird darauf verwiesen, dass der EuGH das Kriterium der Bekanntheit gerade nicht mehr ausdrücklich nannte, sondern auf die Abrufbarkeit abstellte, so z.B. Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (351 ff.); Marino, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 363 (366 f.); Paal, ZEuP 2016, 591 (594). 209
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verschafft.213 Man denke dabei beispielsweise an Videos, die Missgeschicke einer Person wiedergeben und zur Unterhaltung des Publikums über Staatsgrenzen hinweg verbreitet werden. Zwar beeinträchtigt die Verbreitung im Ausland nicht unbedingt eine bestehende Reputation, doch vermag ein solches Video, dem Dargestellten eine (unfreiwillige) Bekanntheit als „Person fremden Gespötts“ zu verschaffen.214 Hier liegt der Erfolg nicht in einem Eingriff in eine bestehende Reputation, sondern in der Schaffung einer nachteiligen Reputation. Dieser Effekt der unfreiwilligen Bekanntheit durch eine negative öffentliche Darstellung der betroffenen Person ist auch in einem Fall vor dem LG Würzburg zu beobachten, der das Interesse der Presse auch grenzüberschreitend erregte.215 Anas Modamani fotografierte sich gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Bild wurde in den sozialen Medien rasch verbreitet, wobei der aus Syrien Geflüchtete als „Terrorist“ bezeichnet und für den Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin im Jahr 2016 verantwortlich gemacht wurde. Die tatsächliche Beeinträchtigung des Betroffenen lag hier nicht nur in den fälschlichen Behauptungen, sondern insbesondere darin, dass er als „Terrorist“ einer großen Öffentlichkeit vorgestellt wurde, für die er bisher ein Unbekannter war. Das Erfordernis einer vorherigen Bekanntheit des Betroffenen geht somit an der Realität der sozialen Medien vorbei, da es häufig erst die kompromit213 So auch Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 82; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 285. 214 Siehe dazu z.B. Hillenbrand, Die Leiden des Star-Wars-Kids, 05.08.2003, ; Hund, Ganz anders als gedacht: Chefin verliert in Videocall ihr Gesicht, 14.04.2020, ; LTO-Redaktion, Ein Richter oben ohne, eine Anwältin am Pool, 22.04.2020, ; RTL Redaktion, Dieses TikTok-Video geht buchstäblich durch die Decke, 05.09.2020, . 215 LG Würzburg, Urteil vom 07.03.2017 – 11 O 2338/16 UVR, ZUM 2017, 437; Eddy, Selfie With Merkel by Refugee Became a Legal Case, but Facebook Won in German Court, 07.03.2017, ; Fenton, Angela Merkel selfie with Syrian refugee goes viral after he is wrongly named as Brussels bomber, 29.03.2016, ; Gärtner, Wie es Anas Modamani fünf Jahre nach seinem Selfie mit Angela Merkel geht, 31.08.2020, ; Ott, How a selfie with Merkel changed Syrian refugee's life, 21.02.2017, .
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tierende Veröffentlichung ist, die der Person eine gewisse Bekanntheit verschafft, die dann von vornherein entsprechend negativ beeinflusst ist. Folglich kann der Erfolgsort durchaus auch in einem Staat liegen, in dem die betroffene Person vorher nicht bekannt war.216 c) Tatsächlicher Erfolgsort Der tatsächliche Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt überall dort, wo der schädigende Inhalt zur Kenntnis genommen wird.217 Eine Ehrverletzung realisiert sich dadurch, dass das Ansehen der betroffenen Person geschädigt wird, was die Kenntnisnahme Dritter voraussetzt. Auch die Verwendung von Informationen über die betroffene Person gegen ihren Willen wird dadurch zur Beeinträchtigung, dass diese Informationen von Dritten wahrgenommen werden. Wenn etwas im Internet veröffentlicht wird, kann dies an jedem Ort zur Kenntnis genommen werden, an dem der Inhalt abrufbar ist. Das ist grundsätzlich jeder Ort der Welt. Streng genommen wird ein Ort der Abrufbarkeit erst dadurch zum Erfolgsort, dass es zu einem tatsächlichen Abruf kommt.218 Die Ermittlung des tatsächlichen Abrufs erweist sich jedoch nicht als geeig216 Ebenso Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (352 f.); Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 81 f.; Garber, ÖJZ 2012, 108 (117 f.); v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 324 f.; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 79; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 268 f. 217 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 18 – New York Times; Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 81; v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 324; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 59; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 77 f.; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 234; Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (17); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 219; Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 57; Spickhoff, IPRax 2011, 131 (132); Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (749); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 229; Wurmnest, in: jurisPKBGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 94; a.A. Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 240 ff. (alle Vertriebsorte). Faktisch auch Danckwerts, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im deutschen, schweizerischen und US-amerikanischen internationalen Privatrecht, 1999, S. 180, der aber davon spricht, das Personalstatut jenes Kenntnis nehmenden Dritten anzuwenden. 218 AG Krefeld, Urteil vom 14.02.2007 – 4 C 305/06, MMR 2007, 471; Hohloch, in: Erman, 16. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 18c; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (269).
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
net und stößt auf praktische Schwierigkeiten. So lassen sich bereits diese Zahlen nicht zuverlässig ermitteln.219 Zumindest ist es für die betroffene Person erschwert bis unmöglich, an diese Zahlen zu gelangen. 220 Unklar ist auch, wie eine geringe Anzahl von Abrufen zu bewerten ist; so kann es für eine schwerere Verletzung im Einzelfall auch schon genügen, wenn eine Person aus dem Lebenskreis des Betroffenen den Inhalt zur Kenntnis nimmt.221 Schließlich kommen noch Bedenken ob der Manipulationsmöglichkeiten222 und Zufälligkeiten223 des tatsächlichen Abrufs hinzu. Der tatsächliche Abruf einer Internetveröffentlichung kann daher nicht oder zumindest nicht alleine maßgeblich sein für die Ermittlung des Erfolgsorts.224 Dies gilt auch für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, denn dafür kann der tatsächliche Abruf höchstens als Grundlage für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zukünftiger Kenntnisnahmen dienen.225 Der Erfolg einer Persönlichkeitsrechtsverletzung infolge einer Veröffentlichung im Internet tritt daher an jedem Ort ein, an dem der Inhalt zur Kenntnis genommen werden kann. Das ist jeder Ort, an dem der Inhalt abrufbar ist, und damit letztlich jeder Ort der Welt.226 Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt, da die Abrufbarkeit auf verschiedenen Wegen begrenzt werden kann. So können die Seitenbetreiber die Abrufbarkeit über technische Mittel wie das Geoblocking begrenzen. Doch lässt sich diese Technik einfach umgehen, sodass eine Kenntnisnahme weiterhin auch in blockierten Staaten möglich ist und – wenn auch nur in einem geringen Maße – damit folglich auch gerechnet werden muss. Entsprechende 219 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 19 – New York Times; Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 20; Damm, GRUR 2010, 891 (893); Garber, ÖJZ 2012, 108 (113); Oster, Int Rev Law Comput Tech 26 (2012), 113 (117); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (220); Sujecki, EuZW 2010, 313 (319); zweifelnd Schlüter, AfP 2010, 340 (347 f.). 220 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 19 – New York Times; Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 20; Hess, JZ 2012, 189 (191); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (2007), S. 237 ff.; Sujecki, EuZW 2010, 313 (319). 221 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 24 – New York Times. 222 Oster, Int Rev Law Comput Tech 26 (2012), 113 (117). 223 Adena, RIW 2010, 868 (870). 224 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (374). Schlüter, AfP 2010, 340 (346 ff.), regt an, dass der Beklagte das Fehlen eines tatsächlichen Abrufs im Staat, dessen Gerichte angerufen sind, als Beleg für Rechtsmissbrauch anführen könnte, weil dort dann keine Kenntnisnahme erfolgte. Diese Überlegung scheint aber eher theoretischer Natur. 225 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 19 – New York Times; Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 20; Garber, ÖJZ 2012, 108 (113); Sujecki, EuZW 2010, 313 (319). 226 EuGH, Urteil vom 21.12.2021 – C-251/20, ECLI:EU:C:2021:1036, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 41.
B. Die lex loci delicti commissi
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Bemühungen zur Begrenzung der Abrufbarkeit sollten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts insgesamt zwar berücksichtigt werden,227 aktuell technisch mögliche Beschränkungen der Abrufbarkeit können aber nichts daran ändern, dass im Internet veröffentlichte Beiträge potentiell in allen Staaten der Welt abgerufen werden können. Folglich kann der Erfolg einer Persönlichkeitsrechtsverletzung in jedem Staat eintreten. d) Zwischenergebnis Der Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt grundsätzlich an jedem Ort, an dem der Inhalt zur Kenntnis genommen wurde oder – im Fall von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen – voraussichtlich zur Kenntnis genommen werden kann. Bei Internetdelikten ist dies aus praktischen Gründen folglich jeder Ort der Abrufbarkeit. 2. Das Bedürfnis einer Begrenzung Da Veröffentlichungen im Internet praktisch überall zur Kenntnis werden können, liegt potentiell in jedem Staat der Welt ein Erfolgsort. Eine unbegrenzte Erfolgsortanknüpfung würde demnach bedeuten, dass alle Rechtsordnungen der Welt anwendbar sind.228 Für den Schädiger bedeutet eine unbegrenzte Erfolgsortsanknüpfung also, dass er sich auf alle Rechtsordnungen der Welt einstellen müsste. Dies ist mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit nicht vereinbar.229 Dem Schädiger fehlt jeder Maßstab, ob seine Äußerung die Rechte anderer verletzt, sodass eine solche Regelung abschreckend auf Meinungsäußerungen jeder Art wirken könnte. Sollte die reine Abrufbarkeit nach Wahl des Geschädigten zu einer ihm günstigen Rechtsordnung führen, kann die Verbindung zu jenem Staat so gering sein, dass vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Garantien regelmäßig ein Verstoß gegen den ordre public begründet sein kann. Zwar wäre die Persönlichkeit eines jeden maximal geschützt. Jedoch gibt es im europäischen Rechtsverständnis keinen uneingeschränkten Schutz der Persönlichkeit, sondern nur einen begrenzten, der in Einklang mit den kollidierenden Rechten – vor allem mit der Meinungsfreiheit – zu bringen ist. Man könnte nun argumentieren, dass das Risiko der weltweiten Abrufbarkeit und damit der unbegrenzten Anzahl an Erfolgsorten vom Schädiger be227
Siehe unten S. 247–254. Gleichwohl allein auf die Abrufbarkeit abstellend KG, Urteil vom 25.03.1997 – 5 U 659/97, NJW 1997, 3321 (3321); LG Düsseldorf, Urteil vom 04.04.1997 – 34 O 191-96, NJW-RR 1998, 979 (980); LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 06.02.2009 – 11 O 762/09, BeckRS 2009, 24849; Bachmann, IPRax 1998, 179 (184). 229 G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (270 f.). Entspr. zum IZVR Garber, ÖJZ 2012, 108 (112); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (2007), S. 250 f. 228
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
wusst in Kauf genommen werde. Denn wer die Vorteile eines Kommunikationsmittels nutzen wolle, mit dem man in Sekundenschnelle theoretisch die ganze Weltbevölkerung erreichen kann, müsse auch die damit einhergehenden Konsequenzen tragen.230 Das Risiko einer Unvorhersehbarkeit der anwendbaren Rechtsordnung schaffe der Schädiger somit also selbst. Zutreffend ist, dass einer internetbasierten Kommunikation die Gefahr der weltweiten Schädigung unweigerlich innewohnt. Allerdings ist es vorrangig eine Aufgabe des Sachrechts, die Schwere einer Verletzung zu ermitteln, zu kompensieren und – so denn gewollt – zu sanktionieren. Da eine Kollisionsnorm, welche die reine Abrufbarkeit als Anknüpfungsmoment hat, weder durch die Ziele des Kollisionsrechts noch durch grundrechtliche Positionen geboten ist, bleibt vom Kriterium der reinen Abrufbarkeit letztlich nur der durchschimmernde Wunsch nach Sanktionierung derjenigen, die ein potentiell schädigendes Kommunikationsmittel verwenden. Aber weder ist die Sanktionierung als solche ein Ziel des internationalen Deliktsrechts noch erscheint eine gewisse Technologiefeindlichkeit angemessen in Zeiten, in denen Kommunikation über das Internet in jedem Bereich des Lebens inzwischen Standard ist.231 Unbegrenzt auf die Abrufbarkeit abzustellen, fügt sich auch nicht in das System des europäischen Kollisionsrechts ein, denn dessen Ziel ist, aus all den Rechtsordnungen der Welt diejenige zu ermitteln, zu der die engste Verbindung besteht.232 Dadurch, dass Veröffentlichungen im Internet in allen oder zumindest einem Großteil aller Staaten abrufbar ist, erweist sich dieses Kriterium als untauglich, um eine Nähe zu einem bestimmten Staat herzustellen.233 Eine Kollisionsnorm, die nur auf die Abrufbarkeit abstellt, entzieht sich folglich ihrer eigentlichen Aufgabe, relevante von irrelevanten Verbindungen zu einzelnen Staaten zu unterscheiden. Für den Schädiger ist keinerlei Vorhersehbarkeit gegeben.234 Ihm ist ex ante nicht ersichtlich, welcher
230 Bachmann, IPRax 1998, 179 (184); Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (270); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 369 („ein gewisser erzieherischer Effekt, das Persönlichkeitsrecht im Zweifel zu respektieren, ist durchaus erwünscht“); ders., MMR 2000, 135 (138: „Wer mit einem Flammenwerfer ein Haus in Brand setzt, [kann sich] nicht darauf berufen, er habe sich nur eine Zigarette anzünden wollen.“); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 43 231 Ähnlich Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 392. 232 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 29; zum EU-IPR ebd., Rn. 32. 233 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 17 – New York Times; Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 18; Adena, RIW 2010, 868 (870); Damm, GRUR 2010, 891 (892 f.); Garber, ÖJZ 2012, 108 (112); Pichler, MR 2011, 365 (367); M. Weller, in: FS Kaissis, 2012, S. 1039 (1043). 234 Entspr. krit. zum IZVR BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 17 – New York Times; Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR
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Rechtsordnung er Verhaltensvorgaben entnehmen sollte. Die Abrufbarkeit als Kriterium zur Ermittlung des anwendbaren Rechts ist damit weder geeignet, Vorhersehbarkeit zu schaffen, noch aus allen Rechtsordnungen der Welt diejenige zu ermitteln, zu der eine enge Verbindung besteht. Dementsprechend ist es auch die allgemeine Meinung in der Rechtsprechung und die deutlich überwiegende Meinung in der Literatur, dass die Abrufbarkeit – also die Möglichkeit zur Kenntnisnahme – allein nicht für eine Erfolgsortsanknüpfung genügen kann.235 Die Bestimmung des Erfolgsorts benötigt daher eine Begrenzung. Wie diese sich darstellen soll, ist aber alles andere als klar. Vorgeschlagen wird, für die Beschränkung entweder an der Anzahl der in Betracht kommenden Rechtsordnungen ansetzen oder an dem Anteil, den jede betroffene Rechtsordnung an der Beurteilung des Sachverhalts einnehmen sollte. Der folgende Abschnitt stellt dar, wie Rechtsprechung und Literatur mit dieser Herausforderung umgehen, und diskutiert die bestehenden Vorschläge. 3. Das geltende europäische Recht Der EuGH hat sich mit der Bestimmung des Erfolgsorts ausschließlich im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auseinandergesetzt, was nachfolgend dargestellt wird. a) Shevill 1995 Die Entscheidung Shevill betraf Fragen der internationalen Zuständigkeit bei Presseveröffentlichungen.236 Der EuGH bestätigte dort die Anwendung des Ubiquitätsprinzips auch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen.237 Neben den Gerichten am Handlungsort sind demnach gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ auch die Gerichte am Erfolgsort zuständig. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseerzeugnisse handelt es sich häufig um Streuschäden. Daher konzentriere sich der Erfolg der Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf einen Ort, sondern trete überall dort ein, wo das Presseerzeugnis verbreitet wird und der Betroffene bekannt ist.238 Daher sind die Gerichte in allen Staaten mit einem solchen Erfolgsort zuständig.239 Ausgehend von dem Ziel des Art. 5 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 18; Adena, RIW 2010, 868 (870); Garber, ÖJZ 2012, 108 (112); Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (480 f.); Sujecki, EuZW 2010, 313 (318). 235 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 17 – New York Times; stellvertretend für die Lit. v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 140 ff.; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 393. 236 EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA; Sachverhaltsdarstellung siehe oben S. 149. 237 Ebd., Rn. 23. 238 Ebd., Rn. 29. 239 Ebd., Rn. 30.
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Nr. 3 EuGVÜ, ein Gericht mit besondere Sach- und Beweisnähe zu ermitteln, beschränkt sich ihre Kognitionsbefugnis aber auf den Schaden, der durch die vertriebenen Exemplare in ihrem Staat verursacht wird.240 Um alle eingetretenen Schäden am Gerichtsstand des Erfolgsorts geltend zu machen, ist der Betroffene daher gezwungen, in mehreren Staaten parallel zu klagen. Diese Aufteilung eines einzelnen Rechtsstreits in eine Vielzahl von Verfahren, die zusammengesetzt werden müssen, brachte dieser Herangehensweise den Namen „Mosaikprinzip“ ein.241 Die aus dieser Streuung der Gerichtsstände folgenden Nachteile für den Betroffenen seien laut EuGH hinzunehmen, da der gesamte Schaden nach Wahl des Klägers am Handlungsort oder am allgemeinen Gerichtsstand geltend gemacht werden könne.242 b) eDate 2011 Auch in den verbundenen Rechtssachen X ./. eDate Advertising GmbH und Martinez ./. MGN Limited befasste sich der EuGH mit der zivilrechtlichen Haftung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen.243 Veröffentlicht wurde in beiden Fällen im Internet und nicht in Druckerzeugnissen wie noch im Fall Shevill. Im ersten der beiden Fälle wendete sich X, ein deutscher Staatsangehöriger, gegen die Bereithaltung eines älteren Online-Artikels auf einer Website, die von der österreichischen eDate Advertising GmbH betrieben wurde. Im fraglichen Artikel wurde über eine Verfassungsbeschwerde des X zum Bundesverfassungsbericht nach seiner Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe vor deutschen Gerichten wegen Mordes sowie die Umstände der Tat unter voller Nennung des Namens berichtet. Im zweiten Fall sah Olivier Martinez, ein französischer Staatsbürger, sein Recht am eigenen Bild und sein Privatleben durch einen englischsprachigen Artikel auf einer Zeitungswebsite über ein privates Treffen von Martinez mit Kylie Minogue verletzt. Die Zeitung gehört der MGN Limited, eine Gesellschaft englischen Rechts. Zentral in beiden Fällen war die Frage nach der Auslegung des Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO, wenn der mutmaßlich verletzende Inhalt über das Internet verbreitet wurde. Der EuGH übertrug die Entscheidung in Shevill grundsätzlich auch auf online-Sachverhalte,244 hielt aber Modifikationen aufgrund der Ubiquität des 240
Ebd., Rn. 30 f. Siehe z.B. Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 34. 242 EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 32. 243 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a. 244 Ebd., Rn. 44. 241
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Internets für angezeigt; insbesondere sei die „Verbreitung“ in einem einzelnen Mitgliedstaat nur schwer messbar.245 Demnach genügt die Abrufbarkeit, um einen Erfolgsort zu begründen; die Kognitionsbefugnis ist aber wie in Shevill begrenzt. Zusätzlich sind im Rahmen der Erfolgsortszuständigkeit auch die Gerichte an jenem Ort international zuständig, an dem der Kläger den Mittelpunkt seiner Interessen hat.246 Dieser sei regelmäßig am gewöhnlichen Aufenthalt, könne sich in Einzelfällen aber auch in einem anderen Staat befinden.247 Der EuGH begründete diesen zusätzlichen Gerichtsstand damit, dass dieser eindeutig zu bestimmen sei und damit dem Ziel der Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände für beide Parteien diene.248 Zudem seien die Gerichte an diesem Ort unter allen Erfolgsortgerichten am ehesten in der Lage, die Auswirkungen des veröffentlichten Inhalts zu beurteilen, sodass das Ziel einer geordneten Rechtspflege einen solchen Schwerpunktgerichtsstand rechtfertige.249 Daneben hielt der EuGH jedoch auch fest, dass sich aus der Ubiquität des Internets eine besondere Schwere der Verletzung ergebe.250 Da der EuGH in seinen Ausführungen ausschließlich vom „Schaden“ sprach, fehlt eine gezielte Auseinandersetzung damit, wie mit Unterlassungsklagen umzugehen ist.251 Zusammengefasst besagt die Entscheidung also, dass der Erfolgsort bei Presseerzeugnissen weiterhin auf das Mosaikprinzip beschränkt bleibt, wohingegen der Kläger bei Veröffentlichungen im Internet aus drei Optionen wählen kann: Zuständig sind in diesen Fällen die Gerichte am Ort der Niederlassung des Veröffentlichenden (allgemeiner Gerichtsstand oder Handlungsort), alle Gerichte, an denen der Betroffene einen unmittelbaren Schaden erleidet (Erfolgsort nach Shevill) und zusätzlich das Gericht am Mittelpunkt seiner Interessen (Erfolgsort nach eDate). c) Bolagsupplysningen 2017 Auf eine Vorlage eines estnischen Gerichts hin hatte der EuGH die Möglichkeit, seine Entscheidung in eDate zu präzisieren.252 Die Vorlagefragen adressierten gezielt das Thema der Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bei Unterlassungsklagen. Zudem wurde gefragt, ob eDate auch dann uneinge245
Ebd., Rn. 45 ff. Ebd., Rn. 48. 247 Ebd., Rn. 49. 248 Ebd., Rn. 50. 249 Ebd., Rn. 48. 250 Ebd., Rn. 47 251 Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 29. 252 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB. 246
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schränkt gelte, wenn eine juristische Person klagt. Falls ja, sei zu klären, wie der Interessenmittelpunkt bei juristischen Personen zu bestimmen sei. Klägerinnen im Ausgangsverfahren sind Bolagsupplysningen, eine estnische Gesellschaft mit Hauptsitz einschließlich der wichtigsten Unternehmensabteilungen in Estland, die aber hauptsächlich in Schweden wirtschaftlich aktiv ist, sowie Frau Ilsjan, eine Angestellte dieser Gesellschaft. In Schweden selbst hat Bolagsupplysningen keine Niederlassung oder sonstige dauerhafte Vertretung. Beklagter war der schwedische Arbeitgeberverband Svensk Handel. Dieser führte die Klägerin auf ihrer Website in einer „schwarzen Liste“ mit der Behauptung, Bolagsupplysningen betreibe „Betrug und Gaunerei“. Viele Besucher dieser Website kommentierten diese Behauptung über die entsprechende Online-Vorrichtung, was auch Aufrufe zur Gewalt beinhaltete. Nachdem Svensk Handel sich geweigert hatte, die Veröffentlichung und die nachfolgenden Nutzerkommentare zu löschen, klagte Bolagsupplysningen vor estnischen Gerichten wegen einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte auf Löschung und Schadensersatz. Der geltend gemachte Schaden wurde in schwedischen Kronen und nicht in Euro angegeben. Das vorlegende Gericht bezweifelte seine Zuständigkeit nach Art. 7 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Der EuGH bestätigte die Auslegung, die er in eDate begründet hatte, und erweiterte deren Gültigkeit auf juristische Personen.253 Besonders betonte er, dass das Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO zwar Vorschriften zum Schutz strukturell schwächerer Parteien kenne, dieses Ziel aber auf die Art. 12 bis 23 Brüssel Ia-VO beschränkt sei. Im Umkehrschluss könne das Schutzbedürfnis der Betroffenen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung gerade nicht als Argument zur Auslegung des Art. 7 Abs. 2 Brüssel Ia-VO herangezogen werden.254 Ziel der Norm sei stattdessen eine geordnete Rechtspflege und eine sachgerechte Gestaltung des Prozesses durch besondere Sach- und Beweisnähe der zuständigen Gerichte.255 Die betroffene Person spüre eine Verletzung des persönlichen Ansehens am stärksten am Mittelpunkt ihrer Interessen; konsequenterweise seien die Gerichte an diesem Ort auch am besten in der Lage, die behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung und ihre Auswirkungen zu prüfen.256 Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass dies auch dem Ziel einer hohen Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Zuständigkeiten entspreche.257 Da diese Argumentation gerade nicht auf besonderen Eigenar-
253
Ebd., Rn. 22 ff. Ebd., Rn. 38 f. 255 Ebd., Rn. 26 f., 38 f. 256 Ebd., Rn. 33 f. 257 Ebd., Rn. 35. 254
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ten von natürlichen Personen beruhe, schloss der EuGH juristische Personen mit ein.258 Der Interessenmittelpunkt einer juristischen Person müsse dort sein, wo ihr geschäftliches Ansehen am gefestigtsten sei; dies sei der Ort, an dem sie den wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausübe.259 Über die generelle Auslegung der Norm hinaus verdeutlichte der EuGH seine Ansicht mit Blick auf den konkreten Fall von Bolagsupplysningen: Der Interessenmittelpunkt sei in Schweden und nicht in Estland, weil Bolagsupplysningen ihre wirtschaftliche Tätigkeit größtenteils dort ausübe, die Website von Svensk Handel von Schweden aus betrieben werde, die Veröffentlichung und die Kommentare auf Schwedisch gewesen seien und der angeblich verletzende Inhalt im Wesentlichen an Personen in Schweden gerichtet sei.260 Der EuGH wies zudem darauf hin, dass der Gerichtsstand am Interessenmittelpunkt nicht zur Verfügung stehe, wenn keine wirtschaftliche Tätigkeit, die sich überwiegend in einem Mitgliedstaat konzentriert, festgestellt werden kann.261 Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Mosaikprinzips auf Klagen, die die Löschung oder Richtigstellung einer Internetveröffentlichung verlangen, führte der EuGH aus, dass, „in Anbetracht der umfassenden Abrufbarkeit der auf einer Website veröffentlichten Angaben und Inhalten und des Umstandes, dass die Reichweite ihrer Verbreitung grundsätzlich weltumspannend ist“, nur einheitlich und unteilbar über einen solchen Anspruch entschieden werden könne; zuständig könnten demnach nur Gerichte sein, die bei einem Schadensersatzanspruch die volle Kognitionsbefugnis hätten.262 d) Glawischnig-Piesczek 2019 Im Fall Glawischnig-Piesczek gegen Facebook legte der österreichische OGH die Frage vor, ob Löschpflichten aus nationalem Recht weltweit reichen dürfen oder ob dies gegen die eCommerce-RL verstoße.263 Betroffen war im Ausgangsfall die österreichische Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek, welche von Facebook Ireland die Löschung eines Nutzerbeitrags einschließlich aller wort- und sinngleichen Veröffentlichungen verlangte, weil sie sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sah.
258
Ebd., Rn. 38. Ebd., Rn. 41. 260 Ebd., Rn. 42. 261 Ebd., Rn. 43. 262 Ebd., Rn. 47 f. 263 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd. 259
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Der EuGH äußerte dazu knapp, dass die Richtlinie einem Löschungsanspruch mit weltweiter Wirkung nicht entgegenstehe.264 Die „internationalen Regeln“ seien aber zu beachten.265 e) Mittelbayerischer Verlag 2021 Im seiner Entscheidung Mittelbayerischer Verlag KG gegen S.M. präzisierte der EuGH den Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen des Klägers für Veröffentlichungen, in denen der Kläger als Teil eines Kollektivs nicht identifizierbar war.266 Dem Verfahren lag eine Veröffentlichung des Mittelbayerischen Verlags aus Regensburg zugrunde, der eine online abrufbare Regionalzeitung vertreibt. In einem Beitrag über einen jüdischen HolocaustÜberlebenden hieß es, dass dessen Schwester „im polnischen Vernichtungslager Treblinka ermordet worden war“. Nach wenigen Stunden wurde die später angegriffene Formulierung durch „von den Nazis im deutschen nationalsozialistischen Vernichtungslager Treblinka im besetzen Polen“ ersetzt. Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger, selbst Holocaust-Überlebender und engagiert sich für eine öffentliche und aktive Erinnerung an die Opfer der Verbrechen von Nazi-Deutschland an den Polen. Mit seiner Klage machte er geltend, dass seine Persönlichkeitsrechte, insbesondere seine nationale Identität und Würde durch die ursprüngliche Veröffentlichung des Mittelbayerischen Verlags verletzt worden seien. Das vorlegende Gericht bezweifelte, dass es gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO international zuständig sei. Der EuGH entschied, dass ein Kläger nur dann am Mittelpunkt seiner Interessen auf Ersatz des gesamten Schadens klagen kann, wenn er in der streitgegenständlichen Veröffentlichung unmittelbar oder mittelbar individuell identifizierbar ist. Die Begründung fußt in dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände, woran insbesondere bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen hohe Anforderungen zu stellen sind (vgl. ErwGr. 16 Brüssel IaVO).267 Der in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Gerichtsstand am Mittelpunkt der Klägerinteressen erfülle dieses Kriterium zwar grundsätzlich,268 nicht aber dann, wenn sich die streitgegenständliche Veröffentlichung, wie im Ausgangsfall, weder unmittelbar noch mittelbar auf den Kläger bezieht.269 Den Zielen der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit sei nur genügt, wenn eine enge Verbindung zwischen dem Rechtsstreit und dem Ge-
264
Ebd., Rn. 50. Ebd., Rn. 51 f. 266 EuGH, Urteil vom 17.06.2021 – C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM. 267 Ebd., Rn. 28. 268 Ebd., Rn. 34. 269 Ebd., Rn. 36 ff. 265
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richt besteht.270 Diese erforderliche enge Verbindung müsse aber auf objektiven und nachprüfbaren Kriterien beruhen, die eine individuelle Identifikation ermöglichen, wohingegen rein subjektiv empfundene Betroffenheiten unzureichend sei.271 f) Gtflix Tv 2021 Zuletzt hat sich der EuGH mit der Auslegung von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bei Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet auf die Vorlage der Cour de Cassation hin befasst.272 In dem zugrundeliegenden Verfahren geht die tschechische Gesellschaft Gtflix Tv gegen DR vor französischen Gerichten wegen verunglimpfender Äußerungen auf verschiedenen Internetseiten und in mehreren Foren vor. Der Mittelpunkt ihrer Interessen liegt in Tschechien. Die Klägerin produziert und verbreitet über ihre Internetseite pornografische Inhalte. Der Beklagte ist Regisseur, Produzent und Vertreiber pornografischer Filme und vertreibt diese auf seinen in Ungarn gehosteten Internetseiten. Er ist in Ungarn wohnhaft und geschäftlich tätig. Das vorlegende Gericht bezweifelte seine internationale Zuständigkeit wegen Schadensersatz gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, soweit diese lediglich auf die Abrufbarkeit des angegriffenen Inhalts gestützt werden kann. Der EuGH entschied, dass Shevill weiterhin und uneingeschränkt für Schadensersatzforderungen wegen Internetveröffentlichungen neben dem umfassenden Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen Anwendung findet. Der Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO liege in jedem Staat, in dem der verletzende Inhalt abrufbar war oder ist; weitere Voraussetzungen wie beispielsweise ein „Ausrichten“ seien nicht gegeben.273 Der EuGH sieht keine Rechtfertigung, bei Schadensersatzansprüchen hiervon abzuweichen. Im Gegensatz zu Ansprüchen auf Richtigstellung oder Löschung sei ein Anspruch auf Schadensersatz teilbar, sodass der Anwendung der Mosaikbetrachtung keine praktischen Schwierigkeiten im Wege stehen.274 Dies ändere sich auch nicht, wenn parallel zum Schadensersatz ein solcher Anspruch auf Richtigstellung oder Löschung geltend gemacht werde. Denn die Ansprüche unterschieden sich „in Hinblick auf ihren Gegenstand, ihren Rechtsgrund und ihre Teilbarkeit“, sodass sie nicht zwingend zusammen von demselben Gericht geprüft werden müssten.275 Auch hat der EuGH keine Bedenken hin270
Ebd., Rn. 40 ff. Ebd., Rn. 42. 272 EuGH, Urteil vom 21.12.2021 – C-251/20, ECLI:EU:C:2021:1036, Gtflix Tv ./. DR. Vorlageentscheidung: Cour de Cassation, Arrêt n° 275 du 13 mai 2020 (18-24.850), ECLI: FR:CCAS:2020:C100275. 273 EuGH, Urteil vom 21.12.2021 – C-251/20, ECLI:EU:C:2021:1036, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 41 f. 274 Ebd., Rn. 35. 275 Ebd., Rn. 36. 271
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sichtlich der geordneten Rechtspflege.276 Schließlich sei das Festhalten an eDate für Schadensersatzansprüche erforderlich, weil ansonsten die Erfolgsortszuständigkeit gänzlich entfiele, wenn der Mittelpunkt der klägerischen Interessen nicht identifizierbar sei.277 g) Fortführung und offene Fragen aa) Die Zukunft von Shevill Mit der Schaffung des Erfolgsortsgerichtsstands am Interessenmittelpunkt scheint die Mosaikbetrachtung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen an Bedeutung verloren zu haben. Jedoch bestehen hier im Detail viele Unklarheiten. Der EuGH hat sich in seiner eDate-Entscheidung trotz der entsprechenden Vorlagefrage des BGH nicht zu Unterlassungsansprüchen geäußert. Die deutschen Gerichte gingen daher davon aus, dass dafür keine Besonderheiten gelten, und hielten den Mittelpunkt der Klägerinteressen auch für Unterlassungsansprüche für maßgeblich.278 Sofern sich der Kläger für die internationale Zuständigkeit hingegen auf die auch nach eDate geltende Mosaikbetrachtung stützt, argumentierten die Gerichte vor der Entscheidung Bolagsupplysningen, dass man der beschränkten Kognitionsbefugnis durch die Methode des Geoblocking gerecht werden könne.279 Nimmt man die Entscheidungen des EuGH zum Zuständigkeitsrecht zusammen, so gilt die Mosaikbetrachtung als ausschließliche Erfolgsortsbestimmung bei Presseerzeugnissen einschließlich der dabei in Betracht kommenden Unterlassungsansprüche. Bei Internetveröffentlichungen hingegen ist zu differenzieren: Seit Bolagsupplysningen findet die Mosaikbetrachtung für die Bestimmung des Erfolgsorts gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO keine Anwendung mehr, soweit es sich um Ansprüche auf Löschungen oder Richtigstellung handelt. Hingegen gilt sie uneingeschränkt für Schadensersatzan-
276
Ebd., Rn. 37 ff. Ebd., Rn. 39, 42. 278 BGH, Urteil vom 25.10.2016 – VI ZR 678/15, BGHZ 212, 318 = NJW 2017, 827, Rn. 17, 19 – www.srf.ch; Urteil vom 12.12.2013 – I ZR 131/12, NJW 2014, 2504, Rn. 21 – englischsprachige Pressemitteilung; Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197, Rn. 17; OLG Köln, Urteil vom 10.11.2015 – 15 U 121/15, BeckRS 2015, 115872, Rn. 15 ff. 279 OLG Köln, Urteil vom 10.11.2015 – 15 U 121/15, BeckRS 2015, 115872, Rn. 27. Der BGH, Urteil vom 25.10.2016 – VI ZR 678/15, BGHZ 212, 318 = NJW 2017, 827, Rn. 22 – www.srf.ch, befasste sich in der Revision nicht mit der Tauglichkeit des Geoblockings, da es sich um eine Frage der materiellen Prüfung zur „Unmöglichkeit der Unterlassung“ handle. Zur grundsätzlichen Anwendbarkeit wohl auch BGH, Beschluss vom 14.11.2017 – VI ZR 565/16, BeckRS 2017, 132741, Rn. 2; Urteil vom 12.12.2013 – I ZR 131/12, NJW 2014, 2504, Rn. 21 – englischsprachige Pressemitteilung. 277
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sprüche, wie der EuGH in Gtflix deutlich machte und es mehrere Stimmen in der Literatur bereits zuvor angenommen hatten.280 Der status quo ist nicht nur etwas unübersichtlich, sondern steht im Widerspruch zur Entscheidung Glawischnig-Piesczek. Zum Zuständigkeitsrecht äußerte sich der EuGH hier zwar nicht. Jedoch wird – gerade im Zusammenhang mit der parallelen Entscheidung zum Datenschutzrecht CNIL281 – deutlich, dass der EuGH Zweifel an der zuvor proklamierten Unteilbarkeit eines Löschungsanspruchs hat und in technischen Begrenzungsmöglichkeiten wohl doch größeres Potential erkennt als noch in Bolagsupplysningen. Insofern ist es überraschend, dass der EuGH die Unteilbarkeit bei anderen als Schadensersatzansprüchen in Gtflix unkommentiert zugrunde legt. bb) Bestimmung des Interessenmittelpunkts Der EuGH verortet den Mittelpunkt der Klägerinteressen bei natürlichen Personen grundsätzlich an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt und bei juristischen Personen dort, wo sie ihre wirtschaftliche Tätigkeit im Wesentlichen ausüben. Unklar ist, ob und unter welchen Umständen davon abgewichen werden soll und wie stark die konkreten Umstände des Einzelfalls gewichtet werden dürfen. Die allgemeine Bestimmung des Interessenmittelpunkts deutet auf eine von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Betrachtung mit Blick auf die betroffene Person hin, bei der die wesentlichen wirtschaftlichen Aktivitäten oder die soziale Verankerung im Fokus stehen, nicht hingegen die Umstände der konkreten Verletzung. Andererseits scheint der EuGH doch auch dem Kontext der konkreten Ereignisse eine gewisse Bedeutung zuzumessen282 und kann sich auch bei natürlichen Personen eine Lokalisierung des Interessenmittelpunkts in einem anderen Staat als dem des gewöhnlichen Aufenthalts vorstellen.283 Daran anschließend wird der EuGH daher vielfach 280 Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 44 ff.; Bach, NJW 2017, 3433 (3436); Bergé, Le juge national competent en cas d’atteinte aux droits de la personnalité sur Internet selon la CJUE : les voies de passage de l’ancien monde au nouveau monde, 24.11.2017, ; Corneloup/Muir Watt, Rev. crit. DIP 2018, 290 (297); Hau, GRUR 2018, 163 (164); Keilmann, BB 2017, 2569 (2573); Kohler, IPRax 2021, 428 (430); Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (212); Merchán Murillo, CDT 10 (2018), 887 (894); Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 281 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL; ausführlich dazu siehe unten S. 342–348. 282 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 42. 283 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 49.
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so verstanden, dass der Interessenmittelpunkt einer natürlichen Person typischerweise an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt belegen ist, dies aber im Einzelfall nicht zwingend sei.284 Welche Kriterien dafür ausschlaggebend sein sollen und wann die Schwelle eines Ausnahmefalls überschritten ist, bleibt dabei jedoch ungeklärt. Unklarheiten bestehen beispielsweise bei global agierenden Unternehmen285 oder bei solchen, die überhaupt nicht auf Profit ausgerichtet sind.286 In der deutschen Rechtsprechung wird teilweise betont, dass es für die internationale Zuständigkeit nach Art. 7 Brüssel Ia-VO irrelevant sei, unter welchen Umständen der fragliche Inhalt veröffentlicht wird: Es müsse sich also nicht um eine Presseseite handeln; entscheidend sei allein, wo der Betroffene den Mittelpunkt seiner Interessen hat.287 Unerheblich sei auch, warum und wozu die fragliche Internetseite aufgerufen werde.288 Andererseits nahm beispielsweise das LG Hamburg an, dass auch ohne gewöhnlichen Aufenthalt ein Interessenmittelpunkt im Inland liegen könne, weil die Kläger dort einen „sehr hohen Bekanntheitsgrad“ hätten.289 Unklar ist dabei, ob das LG Hamburg den EuGH so deutete, dass eine natürliche Person mehrere Mittelpunkte ihrer Interessen haben könne, die zu einer Erfolgsortszuständigkeit mit voller Kognitionsbefugnis führen können („die Kläger [haben] einen ‚Mittelpunkt ihrer Interessen‘“ in Deutschland).290 Bejaht wurde ein Interessenmittelpunkt in Deutschland bei einem Unternehmen, das ausschließlich in Deutschland ein Fitnessstudio betreibt,291 oder bei einem Unternehmen, das in Deutschland „ihren Sitz hat und ihr Kerngeschäft betreibt“ und an dem in den deutschen Medien ein „hohes Interesse“ bestehe, auch wenn die angegriffenen Äußerungen auf Norwegisch verfasst worden waren.292 Dies zeigt, dass in
284 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (343); Marino, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 363 (367). 285 Bach, NJW 2017, 3433 (3436); Ettig, K&R 2018, 33 (34); Hollowitz, EWiR 2018, 287 (288). 286 Márton, CJEU on the place of the damage under Article 7(2) of Brussels Ia as regards violation of personality rights of a legal person, . 287 BGH, Urteil vom 12.12.2013 – I ZR 131/12, NJW 2014, 2504, Rn. 23 – englischsprachige Pressemitteilung. 288 Ebd. 289 LG Hamburg, Urteil vom 09.01.2015 – 324 O 170/14, BeckRS 2015, 123799, Rn. 14. 290 Ebd., Rn. 13 (Hervorhebung durch die Bearbeiterin). 291 BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 495/18, ZUM 2020, 331, Rn. 15; Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587, Rn. 15 – www.yelp.de. 292 LG Hamburg, Urteil vom 12.05.2017 – 324 O 803/16, BeckRS 2017, 155298, Rn. 34; Urteil vom 03.04.2017 – 324 O 406/16, BeckRS 2017, 155319, Rn. 32.
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der Praxis weiterhin Unklarheiten bei der Bestimmung des Interessenmittelpunkts bestehen. cc) Begründung der Zuständigkeit am Interessenmittelpunkt Vielfach wurde angenommen, dass der EuGH den Hauptgrund seiner klägerfreundlichen Auslegung in der erhöhten Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person sah.293 Dieses Verständnis hat der EuGH auch dadurch genährt, dass er in der Entscheidung Google Spain – eine Entscheidung, die den Schutz von Grundrechten zum Gegenstand hat, – selbst auf eDate verwies, um die Schwere der Beeinträchtigung des Privatlebens durch Onlineveröffentlichungen und damit die Schutzbedürftigkeit von Betroffenen im Internet zu bestätigen.294 Dieser Eindruck wurde in Bolagsupplysningen aber deutlich widerlegt, denn der klägerfreundliche Gerichtsstand ergebe sich laut EuGH allein aus der Sach- und Beweisnähe des Gerichts am Interessenmittelpunkt des Klägers und gerade nicht aus Schutzerwägungen.295 h) Zusammenfassung Nach der Rechtsprechung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit kann der Betroffene einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet am Gerichtsstand des Erfolgsorts gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO klagen.296 Dieser ist überall dort, wo der fragliche Inhalt abrufbar war, die Kognitionsbefugnis ist dabei aber auf den in diesem Staat erlittenen Schaden beschränkt. Daneben sind die Gerichte am Mittelpunkt der Interessen des Klägers zuständig, wobei 293 So auch die Beobachtung in Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 36. Ferner Bach, EuZW 2018, 68 (70 f.); Carpi, in: FS R. Stürner, 2013, S. 1191 (1196); Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (92); Guérin, 48 CDE (2012), 671 (679 ff.); Guiziou, Clunet 2012, 201 (205 ff.); v. Hein, YbPIL 16 (2014/2015), 241 (267); Heinze, in: FS Adena, 2016, S. 521 (524 f.); ders., EuZW 2011, 947 (949); Kubis, WRP 2018, 139 (142); Leible, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 5. Aufl. 2021, Brüssel Ia-VO Art. 7, Rn. 130b; Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (212); Mankowski, LMK 2017, 400139; de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (94); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (21). Düsterhaus, in: Gössl u.a., 2017, S. 61 (65), spricht davon, dass der Persönlichkeitsschutz ein „privilegiertes Ziel“ des EuGH sei. 294 EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 80. 295 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 38 f. Bestätigt in EuGH, Urteil vom 17.06.2021 – C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 32 ff. 296 Die Rechtsprechung des EuGH bezog sich bislang ausschließlich auf die Frage der internationalen Zuständigkeit gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, die sich ebenfalls nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO richtet, ist hingegen gänzlich ungeklärt. Die zur internationalen Zuständigkeit entwickelten Leitlinien ließen sich nicht übertragen, so Mantz, GRUR 2021, 930.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
die Kognitionsbefugnis unbeschränkt ist. Der Interessenmittelpunkt einer natürlichen Person ist im Regelfall am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts. Der Interessenmittelpunkt einer juristischen Person ist dort, wo ihr geschäftliches Ansehen am gefestigtsten ist; dies ist der Ort, an dem sie den wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt. Über Klagen, die die Löschung oder Richtigstellung einer Internetveröffentlichung verlangen, kann nur ein Gericht mit unbegrenzter Kognitionsbefugnis entscheiden. Hingegen steht der Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen nicht zur Verfügung, wenn der veröffentlichte und angegriffene Inhalt keine objektiven und überprüfbaren Elemente enthält, die eine individuelle Identifikation des Klägers ermöglichen. Außerdem entschied der EuGH, dass die eCommerce-RL einem Löschungsanspruch nach nationalem Recht mit weltweiter Wirkung nicht entgegensteht. 4. Das geltende nationale Recht Auch der BGH hat sich im Rahmen des § 32 ZPO und des Art. 40 EGBGB wiederholt mit der Frage auseinandergesetzt, wo der Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt. a) Profil 1977 Der BGH beschäftigte sich mit der internationalen Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseerzeugnisse in einer Entscheidung aus dem Jahr 1977 und befand dort, dass der Erfolgsort im Sinne des § 32 ZPO jeder Ort sei, an dem das Erzeugnis willentlich vom Herausgeber verbreitet wurde.297 Verbreiten setze voraus, dass der Inhalt der Zeitschrift dritten Personen bestimmungsgemäß und nicht nur zufällig zur Kenntnis gebracht wird.298 An die Anzahl der verbreiteten Exemplare dürften aber keine hohen Anforderungen gestellt werden.299 Die Intention des Herausgebers und die Vorhersehbarkeit der Leserschaft sind wesentliche Kriterien für die bestimmungsgemäße Ausrichtung. Ausdrücklich abgelehnt wurde ein Erfolgsort am Wohnsitz des Betroffenen.300 Der BGH argumentierte, dass die Zuständigkeit deutscher Gerichte bei ausländischen Presseerzeugnissen zur Anwendung des deutschen IPR führe, was auf Grund des auch dort geltenden Ubiquitätsprinzips regelmäßig deutsches materielles Recht zur Anwendung berufe. Dies erachtete der BGH jedoch als unzumutbar, sofern eine 297
BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 – profil; auch Urteil vom 19.12.1995 – VI ZR 15/95, BGHZ 131, 332 = NJW 1996, 1128 (1128) – Caroline von Monaco II. 298 BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 – profil. 299 Ebd., S. 1591. 300 Ebd.
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Verbreitung in Deutschland nicht der Intention des Herausgebers entspreche, weil er dann auch nicht mit der Anwendbarkeit fremden Rechts rechne und auch nicht rechnen müsse. Verglichen mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Shevill ist festzustellen, dass die Kognitionsbefugnis nach der Rechtsprechung des BGH nicht beschränkt ist und es zudem nicht auf die Bekanntheit des Betroffenen ankommt.301 b) New York Times 2010 Der BGH war im Jahr 2010 zum ersten Mal mit der Frage konfrontiert, ob seine Rechtsprechung zu Presseerzeugnissen auch auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet Anwendung findet. In der grundliegenden Entscheidung richtete sich ein in Deutschland wohnhafter Kläger gegen einen Artikel der New York Times zu seiner Person, der online abrufbar war, und verlangte dessen Löschung. Zurückgreifen konnte der BGH auf seine Überlegungen im Vorlagebeschluss zu Art. 5 Abs. 3 Brüssel I-VO.302 Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Erfolgsort bei Internetsachverhalten anders als bei Druckerzeugnissen bestimmt werden müsse; eine Übertragung der Entscheidung aus dem Jahr 1977 auf Internetsachverhalte sei schon deshalb problematisch, weil Internetinhalte nicht aktiv verbreitet, sondern auf Abruf bereitgehalten würden.303 Ein räumlich abgegrenztes Verbreitungsgebiet einer Website sei ebenfalls nur schwer bestimmbar.304 Die Abrufbarkeit allein könne nicht ausreichen für eine im Blick auf Internetveröffentlichungen maßgebliche Definition des Erfolgsorts. Denn zum einen müsse man eine uferlose Gerichtspflichtigkeit des Schädigers vermeiden, zum anderen schaffe die reine Abrufbarkeit keine besondere Sach- und Beweisnähe, die eine Abweichung vom Grundsatz actor sequitur forum rei rechtfertigen könne. Schließlich seien Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit der Gerichtspflichtigkeit so nicht mehr gegeben.305 Daher könne der Erfolgsort nur dann im Inland belegen sein, wenn über die Abrufbarkeit hinaus ein Inlandsbezug besteht.306 301
Bach, EuZW 2018, 68 (72). BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261. 303 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 11 – New York Times; auch eDate-Vorlagenbeschluss: BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 13. 304 Ebd. 305 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 17 – New York Times; ebenfalls zu Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO, eDate-Vorlagenbeschluss: BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 18. 306 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 18 – New York Times; auch eDate-Vorlagenbeschluss: BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 19. 302
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Ein solcher deutlicher Inlandsbezug besteht laut BGH objektiv nur bei einer (potentiellen) Interessenkollision im Inland. Die relevanten Interessen sind dabei das Interesse des Betroffenen an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits und das Interesse des Handelnden an der Gestaltung seines Internetauftritts und an einer Berichterstattung andererseits.307 Entscheidend sei also letztlich, ob der Inhalt im Inland auf ein Interesse stößt, das sich auf mehr als die reine Abrufbarkeit stützt, und ob die behauptete Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch Kenntnisnahme des Inhalts (auch) im Inland eintreten würde.308 Im konkreten Fall bejahte der BGH eine solche Interessenkollision in Deutschland schon aufgrund des Inhalts, der das Interesse deutscher Nutzer wecke. Das Interesse der New York Times an der Kenntnisnahme in Deutschland ergebe sich daraus, dass sich der Artikel mit einer in Deutschland wohnhaften Person unter namentlicher Nennung und ihrem in Deutschland niedergelassenen Unternehmen befasse und als Informationsquellen Berichte deutscher und europäischer Strafverfolgungsbehörden anführe.309 Hingegen sei irrelevant, dass die Meldung in einem Lokalteil erschienen ist, weil sich der Artikel offensichtlich mit Themen von internationalem Interesse befasse; außerdem sei dies im Internet wegen der Verfolgbarkeit durch Suchmaschinen irrelevant.310 Neben dem Inhalt berücksichtigte der BGH auch die Person des Veröffentlichenden: Die New York Times sei ein international anerkanntes Pressemedium, das gerade einen weltweiten Interessentenkreis ansprechen will. Dazu gehöre auch Deutschland, wie man beispielsweise dem Registrierungsformular für das Online-Portal entnehmen könne.311 Da der Betroffene in Deutschland wohnhaft und geschäftlich tätig sei, sei dort sein Interesse an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts gegeben.312 c) Sieben Tage in Moskau 2011 Im Fall „Sieben Tage in Moskau“313 zeigte sich, dass der BGH die für Internetdelikte entwickelten Maßstäbe restriktiv angewendet wissen möchte; er lehnte dementsprechend einen Gerichtsstand im Inland trotz des in Deutschland belegenen Wohnsitzes des Klägers ab. Beide Parteien stammten aus 307
BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 20 – New York Times; auch eDate-Vorlagenbeschluss: BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 21. 308 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 20 – New York Times. 309 Ebd., Rn. 21 f. 310 Ebd., Rn. 24. 311 Ebd., Rn. 22. 312 Ebd., Rn. 24. 313 BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059 – Sieben Tage in Moskau.
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Russland und waren dort gemeinsam zur Schule gegangen. Nach einem Klassentreffen in Moskau veröffentlichte die Beklagte nach Rückkehr in ihre neue Heimat, die USA, einen Bericht, der auch die Lebensumstände und das äußere Erscheinungsbild des Klägers verächtlich machte, und stellte diesen ins Internet. Der Bericht wurde auf der Website www.womanineurope.com veröffentlicht, die von einem Unternehmen in Deutschland betrieben wurde. Der Bericht erschien ausschließlich auf Russisch und unter Nutzung der kyrillischen Schrift. In dieser Entscheidung bestätigte der BGH seine Definition des Erfolgsorts in der Entscheidung New York Times, setzte sich aber auch mit der Kritik der Literatur auseinander.314 Der Gerichtshof griff dabei seine Erwägungen zur Wechselbeziehung von IPR und IZVR von 1977 wieder auf: Die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit sei immer auch eine Wahl des IPR und damit mittelbar eine Wahl des anwendbaren Sachrechts. Sofern der Beklagte also vernünftigerweise nicht mit der deutschen Rechtsordnung rechnen musste, weil ein „in der Sache ausländischer Tatbestand“ vorliegt, liege der Erfolgsort im Sinne des § 32 ZPO nicht im Inland.315 Der BGH verneinte eine Interessenkollision in Deutschland im konkreten Einzelfall. Aus Inhalt, gewählter Sprache und der kyrillischen Schrift schloss der BGH, dass der Artikel hauptsächlich für Beteiligte des Klassentreffens von Interesse sei und daher kein besonderes Veröffentlichungsinteresse gerade in Deutschland angenommen werden könne.316 Der Wohnsitz des Betroffenen in Deutschland vermöge keinen deutlichen Inlandsbezug im konkreten Delikt schaffen. Allein der Wohnsitzes schaffe nämlich noch keine Sachnähe der deutschen Gerichte zu den Vorgängen in Moskau.317 Zudem sei ein Abstellen auf den Wohnsitz des Klägers zufällig und beliebig und insbesondere könne dieser auch nach dem Ereignis jederzeit verlegt werden, was wieder eine unerwünschte uferlose Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit mit sich brächte.318 d) Fortführung Die eben beschriebenen Entscheidungen befassten sich nur mit der internationalen Zuständigkeit. In der Folge zeigte sich aber, dass die Interessenkollision im Inland auch für das Kollisionsrecht (Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB) gelten soll. Der BGH verwendete für das IPR zwar die Formulierung „wo die
314
Ebd., Rn. 9 f. Ebd., Rn. 10. 316 Ebd., Rn. 12, 15. 317 Ebd., Rn. 13. 318 Ebd., Rn. 14. 315
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Achtung des Klägers gestört bzw. gefährdet wird“319 oder wo „der soziale Geltungsanspruch, den die Kl. in ihrem Lebenskreis genießen, gestört bzw. gefährdet“ werde.320 Doch auch trotz abweichender Formulierung im Vergleich zu § 32 ZPO sucht der BGH nach dem Ort der Interessenkollision, sodass hier kein Unterschied zwischen IZVR und IPR festzustellen ist.321 In der Folgeentscheidung zu eDate prüfte der BGH zwar für Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO, wo der Kläger seinen Interessenmittelpunkt hatte; für den Erfolgsort im Sinne des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB untersuchte der BGH den Sachverhalt jedoch nach der Frage, wo der Ort der Interessenkollision war.322 Damit demonstrierte er, dass er die neue Definition des EuGH nicht übernehmen wollte und stattdessen seinen eigenen restriktiveren Ansatz bevorzugte. In einer weiteren Entscheidung betonte der BGH sein vom EuGH divergierendes Verständnis des Erfolgsorts und bemerkte, dass der Interessenmittelpunkt im Inland allein für eine Interessenkollision nicht ausreiche.323 Seitdem hat er seine Auslegung des Erfolgsorts im Sinne des § 32 ZPO bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet verfestigt;324 diese wird auch von den Instanzgerichten angewendet.325 Weitere ähnlich gelagerte Fälle gaben dem BGH die Möglichkeit, die Anwendung seiner neuen Formel zu verdeutlichen. So wurde entschieden, dass die Formel für den Erfolgsort bei allen Konstellationen zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet Anwendung findet, also auch bei Klagen gegenüber einem Hostprovider.326 Bei einer Klage gegen eine Suchmaschine 319 Z.B. BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348, Rn. 10 – „Autocomplete“-Funktion. 320 Z.B. BGH, Urteil vom 27.02.2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350 = NJW 2018, 2324, Rn. 24 – Internetforum. 321 Ebd.; BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17, ZUM-RD 2019, 203, Rn. 28. 322 BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197, Rn. 31. 323 Allerdings zum IZVR BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348, Rn. 7 – „Autocomplete“-Funktion. 324 BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17, ZUM-RD 2019, 203, Rn. 21; Urteil vom 27.02.2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350 = NJW 2018, 2324, Rn. 17 – Internetforum; Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348, Rn. 7 – „Autocomplete“-Funktion; Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = NJW 2012, 148, Rn. 11 – Blog-Eintrag; Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059, Rn. 9 – Sieben Tage in Moskau; Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 16 ff. – New York Times. 325 Z.B. OLG Dresden, Beschluss vom 07.01.2019 – 4 W 1149/18, NJW-RR 2019, 676, Rn. 10, 12; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.09.2018 – 16 U 193/17, GRUR 2018, 1283, Rn. 40 f.; OLG Stuttgart, Urteil vom 02.10.2013 – 4 U 78/13, NJW-RR, 423 (424); OLG Köln, Urteil vom 10.05.2012 – I-15 U 199/11, IPRspr. 2013, Nr. 223a, S. 484, 485; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 28.06.2019 – 2-03 O 315/17, BeckRS 2019, 13139, Rn. 39 f., 74. 326 BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = NJW 2012, 148, Rn. 11, 16 – Blog-Eintrag.
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bejahte der BGH einen Inlandsbezug in einem Fall, weil die Suchergebnisse in deutscher Sprache waren und die Kläger in Deutschland wohnten und arbeiten,327 und ein weiteres Mal, weil das angegriffene Suchergebnis zu einem Bericht führte, der auf Deutsch verfasst war und sich mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers in Deutschland befasste.328 Wenn gegen die Suchergänzungsvorschläge einer Suchmaschine geklagt wird, liege ein hinreichender objektiver Inlandsbezug vor, weil die Ergänzungsbegriffe auf Deutsch und damit zumindest auch an ein deutsches Publikum gerichtet waren; zudem würden die Begriffe einen Bezug zu einem inländischen Sachverhalt herstellen.329 Außerdem hat der BGH eine Interessenkollision in Deutschland bejaht, wenn ein Betreiber zweier Fitnessstudios mit Sitz in Deutschland gegen eine Bewertungsplattform mit Sitz in Irland gerichtlich vorgeht, weil in Deutschland „das Interesse an der Unterlassung der ihr Ansehen berührenden Anzeigen der Bewertungsdurchschnitte mit dem Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihres Internetauftritts sowie an der Ausübung ihres Geschäftsmodells“ kollidierten.330 e) Anwendung und offene Fragen aa) Divergenz zwischen BGH und EuGH Der EuGH und der BGH definieren den Erfolgsort bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet unterschiedlich. Während der EuGH den Fokus auf die Seite der geschädigten Person legt und deren Interessenmittelpunkt zum Maßstab macht, sucht der BGH den Ort, an dem die Interessen beider Seiten kollidieren, und gibt damit auch den berechtigten Erwartungen der Schädigerseite Raum; zudem berücksichtigt der BGH stärker die Umstände, wie es zu der schädigenden Veröffentlichung kam. Dieses unterschiedliche Verständnis ist zunächst aus theoretischer Sicht bedauerlich, weil es die Uneinigkeit bei dieser Thematik unterstreicht. Die praktischen Folgen sind außerdem, dass bei Fällen im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO die EuGH-Rechtsprechung aus eDate für die Zuständigkeit maßgeblich ist, die restriktivere Formel des BGH hingegen für das IPR Anwendung findet. Wäre die Frage der internationalen Zuständigkeit in der Rechtssache Sieben Tage in Moskau nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu entscheiden gewesen, wären deutsche Gerichte wegen des gewöhnlichen Auf327 BGH, Urteil vom 27.02.2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350 = NJW 2018, 2324, Rn. 19, 24 – Internetforum. 328 BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17, ZUM-RD 2019, 203, Rn. 22. 329 BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348, Rn. 7 – „Autocomplete“-Funktion; bestätigt von OLG Köln, Urteil vom 10.05.2012 – I-15 U 199/11, GRUR-RR 2012, 486 (487). 330 BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 495/18, ZUM 2020, 331, Rn. 23; Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587, Rn. 23 – www.yelp.de.
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enthalts des Klägers zwar zuständig gewesen, jedoch wäre gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB russisches Recht anzuwenden gewesen, weil dort die Interessen der Beteiligten kollidierten. bb) Anzahl der Erfolgsorte Eine große Unklarheit in der Rechtsprechung des BGH ist, ob die für den Erfolgsort maßgebliche Interessenkollision nur in einem Staat auftreten kann. Denkbar wäre gleichermaßen, dass das Wahrnehmungsinteresse des Veröffentlichenden und das Achtungsinteresse des Betroffenen in mehreren Staaten bestehen.331 In diesem Falle wäre insbesondere bei international bekannten Prominenten oder Politikern eine letztlich unbegrenzte Erfolgsortzuständigkeit in mehreren Staaten gegeben. Ausdrücklich dazu geäußert hat sich der BGH nicht.332 Das ist insofern nicht verwunderlich, als der BGH nur der Frage ausgesetzt ist, ob eine Erfolgsort im Inland liegt, und nicht, wo er sich ansonsten (auch noch) befinden könnte. Eine nähere Betrachtung der Formel des BGH legt zunächst nahe, dass der Erfolgsort nicht auf einen Staat beschränkt ist.333 Denn der BGH verdeutlicht, dass die Kenntnisnahme im Inland wahrscheinlicher sein muss als allein aufgrund der Abrufbarkeit.334 Es muss also mutmaßlich ein Interesse an dem Inhalt vorliegen. Ein solches Interesse ist aber grundsätzlich in mehreren Staaten vorstellbar und kann sich zum einen aus der Bekanntheit der betroffenen Person oder zum anderen aus dem Inhalt der angegriffenen Veröffentlichung ergeben, welcher die Bekanntheit der Person erst schafft. In einem zweiten Schritt verlangt der BGH, dass „die vom Kläger behauptete Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch Kenntnisnahme von der Meldung (auch) im Inland eintreten würde“.335 Diese Formulierung legt nahe, dass der BGH einen Erfolgsort an mehreren Orten für möglich hält. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man sich die Entscheidung Sieben Tage in Moskau anschaut. Diese legt nahe, dass das Kriterium des Inte331
So Bach, EuZW 2018, 68 (73); Garber, ÖJZ 2012, 108 (116); M. Weller, in: FS Kaissis, 2012, S. 1039 (1048 f.); Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 103; krit. dazu Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (759). 332 Auch I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, auf deren Arbeit der Ansatz des BGH im Wesentlichen beruht, hat sich mit dieser Frage nicht befasst. 333 So A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 81. 334 „ein über die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte hinausgehender Inlandsbezug“, „wenn eine Kenntnisnahme von der beanstandeten Meldung nach den Umständen des konkreten Falls im Inland erheblich näherliegt als es aufgrund der bloßen Abrufbarkeit des Angebots der Fall wäre“, BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17, ZUM-RD 2019, 203, Rn. 21. 335 Z.B. BGH, Urteil vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17, ZUM-RD 2019, 203, Rn. 21 (Hervorhebung durch die Bearbeiterin).
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resses an einer Kenntnisnahme restriktiv auszulegen ist. Ausreichend war im konkreten Fall insbesondere nicht, dass im Inland das alltägliche soziale Umfeld des Betroffenen war, dem ein grundsätzliches Interesse an der Person des Betroffenen unterstellt werden kann. Wichtig ist für den BGH stattdessen, womit der Beklagte vernünftigerweise rechnen konnte. Und dafür ist nicht der – vermutlich erkennbare – gewöhnliche Aufenthalt des Klägers ausreichend, sondern die konkreten Umstände, die Anlass für die potentiell verletzende Veröffentlichung gaben. Auch die Entscheidung Blog-Eintrag336 verdeutlicht, dass eine Interessenkollision nur in einem Staat belegen sein kann: Zwar richte sich die angegriffene Veröffentlichung sowohl an auf Mallorca als auch an in Deutschland ansässige Personen, zur Interessenkollision komme es aber nur in Deutschland, weil die Veröffentlichung auf Deutsch war, sie den Wohnort des Betroffenen in Deutschland nannte und auf dessen Geschäftstätigkeit in Deutschland einging.337 Diese Entscheidung unterstrich zudem, dass das Kriterium der Interessenkollision für das IPR (Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB) maßgeblich ist und zu diesem Zweck ein Erfolgsort zu identifizieren ist. Der Ansatz des BGH ist daher wohl so zu verstehen, dass nicht jeder Ort, an dem die Interessen der Beteiligten miteinander kollidieren, ein Erfolgsort ist, sondern unter Berücksichtigung aller Umstände jener eine Staat zu identifizieren ist, in dem die Interessen am stärksten und am wahrscheinlichsten aufeinanderstoßen. Gleichwohl wohnt dem Ansatz die Gefahr inne, dass dieselben Kriterien auf mehrere Staaten zutreffen können. f) Zusammenfassung Der BGH lokalisiert den Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet in jenem Staat, in dem die Interessen der Beteiligten miteinander kollidieren. Die relevanten Interessen sind dabei das Interesse des Betroffenen an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits und das Interesse des Handelnden an der Gestaltung seines Internetauftritts und an einer Berichterstattung andererseits. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine Interessenkollision tritt nach Ansicht des BGH dabei nicht in mehreren Staaten ein, sondern dort, wo die Interessen am stärksten und am wahrscheinlichsten aufeinanderstoßen.
336
BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 = NJW 2012, 148 – Blog-Eintrag. 337 Ebd., Rn. 12, 16.
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5. Beschränkung des Umfangs – Mosaikbetrachtung Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Sache Shevill338 hat die Mosaikbetrachtung auch für das Kollisionsrecht viel Zustimmung erfahren. Der Grundgedanke dieses Ansatzes ist, dass an der Erkenntnis, dass in jedem Staat der Kenntnisnahme ein Erfolgsort liege, nicht gerüttelt wird, aber jede anwendbare Rechtsordnung nur über jenen Teil des Schadens befinden dürfe, der im jeweiligen Staat eingetreten ist. Wenn die verletzte Person ihren gesamten Schaden ersetzt haben möchte, muss sie also die Ansprüche aus den verschiedenen Rechtsordnungen – einem Mosaik gleich – zusammensetzen. a) Mosaikbetrachtung für klassische Pressedelikte Für klassische Mediendelikte erfuhr dieser Ansatz Zustimmung, weil darin ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Schädigers – typischerweise ein Presseunternehmen – einerseits und des Verletzten andererseits gesehen wurde.339 Auch für Unterlassungsansprüche wurde dieser Ansatz als umsetzbar gewertet, denn ein Pressenunternehmen könne verpflichtet werden, den Vertrieb in einem konkreten Staat zu unterlassen; auf die Verbreitung in anderen Gebieten müsse hingegen nicht verzichtet werden.340 Die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts sei gesichert, weil das Pressenunternehmen durch die Wahl seiner Vertriebsorte ja selbst die Kontrolle darüber habe.341
338 EuGH, Urteil vom 07.03.1995 – C-68/93, ECLI:EU:C:1995:61, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA. 339 u.a. OLG Hamburg, Urteil vom 08.12.1994 – 3 U 64/94, NJW-RR 1995, 790 (792); Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 339; Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2011, S. 241 ff.; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 203 ff., 253 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 732; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (802 f.); Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (81 f.); G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 48; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 100. Zur älteren Literatur siehe auch die Nachweise bei v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 60. Entspr. für die internationale Zuständigkeit etwa Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 38, 49; Bach, EuZW 2018, 68 (69); Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (431); Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1214); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 394 f.; W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (222); G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (279 ff.). 340 Ausführlich dazu Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 254 ff. 341 Ebd., S. 239. Zum IZVR Schlussanträge GA Darmon, 10.01.1995, C-68/93, ECLI: EU:C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 75.
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Der wesentliche Vorzug der Mosaikbetrachtung liegt darin, dass grundsätzlich jeder Staat selbst entscheiden kann, welche Inhalte im eigenen Territorium geäußert und zur Kenntnis genommen werden. Dieser Ansatz zeichnet sich also durch eine Berücksichtigung nationaler Unterschiede in der Bewertung von zulässiger Kommunikation aus.342 Argumentiert wurde, dass das Persönlichkeitsrecht nicht absolut bestehe, sondern sich erst durch die Feststellung einer Verletzung nach der jeweiligen Rechtsordnung konkretisiere; dies rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung einer Veröffentlichung in den jeweiligen Staaten der Kenntnisnahme.343 Genau dies wurde aber auch schon immer kritisiert, denn die Mosaikbetrachtung spalte ein einheitliches Geschehen in viele Einzeldelikte und ein einheitliches Rechtsgut in Einzelteile auf.344 Dies könne dazu führen, dass eine einheitliche Handlung durch die parallele Anwendung mehrerer Rechtsordnungen zugleich als zulässige Meinungsausübung und als unerlaubte Rechtsgutsverletzung gewertet werden könne.345 Auch sei die Anwendung mehrerer Rechtsordnungen auf eine einzelne Handlung mit dem Ziel des IPR im Sinne von von Savigny schlechthin unvereinbar, wonach gerade jene eine Rechtsordnung identifiziert werden soll, zu der eine enge Verbindung besteht.346
342 Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 339; Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 205; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 258, 262. 343 Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 258, 260; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 300 f. 344 Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (373); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 60; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 247, 250 f. Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsund Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 19 f.; Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 175 f. 345 Schlussanträge GA Darmon, 10.01.1995, C-68/93, ECLI:EU:C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 72; v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (585 ff.); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 318 f.; Thiede, ecolex 2012, 131 (133). Es seien widersprechende, aber nicht unvereinbare Entscheidungen: Schlussanträge GA Léger, 10.01.1995, C-68/93, ECLI:EU:C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 23. 346 Álvarez Rubio/Agoués Mendizábal/Iruretagoiena Agirrezabalaga/Magallón Elósegui, Difamación y protección de los derechos de la personalidad, 2009, S. 225; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (417); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 250; Thiede, ecolex 2012, 131 (133).
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Angemahnt werden auch die praktischen Schwierigkeiten bei der Berechnung des jeweiligen Anteils einer Rechtsordnung.347 Entweder erhalte der Geschädigte insgesamt viel zu geringe Schadensersatzsummen zugesprochen, weil die Gerichte angesichts weiterer Erfolgsorte im Ausland zu zurückhaltend bei der Schadensbemessung seien,348 oder die berechnete Schadenshöhe in einem einzelnen Erfolgsortsstaat, der den immateriellen Schaden großzügig berechnet oder sogar Strafschadensersatz gewährt, übersteigt bei weitem die typischerweise ersetzbare Schadenshöhe in den anderen Erfolgsortsstaaten.349 Kritisiert wurde teilweise auch, dass man auf diese Weise den Geschädigten einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht hinreichend schütze350 und den Erfolgsort als Anknüpfungsmoment faktisch entwerten würde.351 Sofern es sich jedoch nicht um eine in mehreren Staaten berühmte Persönlichkeit handle, trete der Großteil des Schadens in einem einzigen Staat ein, sodass faktisch kaum eine Beeinträchtigung gegeben sei.352
347 So schon RGZ 72, 41 (45); ausführlich dazu I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 320 ff.; ferner Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 32; Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 80; Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 50; P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (129); Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2021, Rn. 6.76; ders., The Protection of Privacy in the Case Law of the CJEU, in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (106); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (586); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 60; Huber/Bach, IPRax 2007, 73 (79); Kohler, IPRax 2021, 428 (430); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 177; Pichler, MR 2011, 365 (367); H.-P. Roth, CR 2011, 808 (812); A. Stadler, JZ 2018, 94 (94); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 292. So grundsätzlich zum Mosaikprinzip, auch jenseits von Persönlichkeitsrechtsverletzungen: Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 373. 348 v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 60. 349 Eindrücklich dazu z.B. Bin Mahfouz v Ehrenfeld [2005] EWHC 1156 (QB). Ferner Auda, JPIL 12 (2016), 106 (110); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 177; Nielsen, JPIL 9 (2013), 269 (270); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 394. 350 Entspr. zum IZVR Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 188 f. 351 Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 39; entspr. zur Entwertung der Erfolgsortszuständigkeit I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 314 f.; Spickhoff, IPRax 2011, 131 (132); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 373; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 222. 352 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (431); G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (280).
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b) Die Mosaikbetrachtung und das Internet Auch wenn die Mosaikbetrachtung für klassische Pressedelikte trotz ihrer Nachteile weitgehend anerkannt war, stieß sie an ihre Grenzen mit dem Aufkommen des Internets.353 Denn der Kenntnisnahme des schädigenden Inhalts ging nun nicht mehr der bewusste Akt der gezielten Verbreitung in konkreten Gebieten, sondern die tatsächliche und unbegrenzte Abrufbarkeit voraus.354 Da Inhalte im Internet grundsätzlich weltweit abrufbar und daher potentiell alle Rechtsordnungen der Welt anwendbar sind, scheint der Begrenzungsmechanismus durch die Mosaikbetrachtung ad absurdum geführt. Sie gehe nun mit Belastungen für beide Seiten des Rechtsstreits einher.355 So könne der Schädiger weder das im Streitfall berufene Recht vorhersehen noch das anwendbare Recht über einen technischen Akt gleich einem gezielten Verbreiten eines klassischen Mediums steuern.356 Er ist also vor die Wahl gestellt, 353 Gegen die Anwendung der Mosaikbetrachtung im Kollisionsrecht insb. Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 245 ff. Gleichwohl befürwortend Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 204 ff.; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 81 ff.; T. Pfeiffer, in: Gounalakis, 2003, § 12, Rn. 161; Rauscher, IPR, 5. Aufl., Rn. 1385 f.; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 303 ff. (als „modifizierte Mosaiktheorie“, wonach der Kläger jene Rechtsordnungen einschränkend benennen kann, die das Gericht abschließend prüfen soll, um übermäßig lange Gerichtsverfahren zu vermeiden). Faktisch auch OLG Naumburg, Beschluss vom 07.02.2020 – 9 W 3/19, MMR 2020, 478; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 83, argumentiert dabei im Wesentlichen mit der aktuellen Rechtsprechung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit; marginal berührte Rechtsordnungen sollen über die Ausweichklausel gem. Art. 41 Abs. 1 EGBGB ausgenommen und unvorhersehbare Erfolgsorte auf Ebene des Sachrechts ausgeklammert werden. Ebenso zum IZVR Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 58 ff.; Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2; Schack, JZ 2019, 864 (871). 354 So auch Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 75 ff.; BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 11 – New York Times; Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1684); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 254 f. 355 Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 293. Entspr. zum IZVR schon RGZ 72, 41 (45 f.); ferner Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 32; Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 89; Lederer, K&R 2011, 791 (792 f.); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rn. 373. 356 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (421); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (509); Mills Wade, EPC on The Link between Brussels I and Rome II in Cases Affecting the Media, 25.07.2010, ; entspr. zur Unvorhersehbarkeit des Gerichtsstandes Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolag-
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
entweder gänzlich auf die Veröffentlichung zu verzichten oder mit der Veröffentlichung im Internet ein Rechtsanwendungsrisiko einzugehen. Hinzu komme, dass die potentielle Anwendbarkeit aller Rechtsordnungen einen Anreiz für missbräuchliche Handlungen durch die betroffene Person setzen könne, was insbesondere dann der Fall sei, wenn man die Mosaikbetrachtung auch für die internationale Zuständigkeit anwende und damit einen Anreiz zum forum und law shopping setze.357 Langfristig setze sich so das restriktivste Äußerungsrecht der Welt durch.358 Diese Umstände stellten somit ein Risiko für jede Meinungsäußerung im Internet dar und seien daher geeignet, die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit zu beeinträchtigen.359 Doch auch die Position der geschädigten Person scheint sich durch eine Anwendung der Mosaikbetrachtung bei Internetveröffentlichungen zu verschlechtern. Zwar stehen ihr potentiell alle Rechtsordnungen der Welt zur freien Auswahl, sodass sie die für sie günstigste Rechtsordnung wählen könnsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 79; Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 51; Lederer, K&R 2011, 791 (792); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (23); Robak, GRURPrax 2011, 257 (259); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (222). 357 P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (130); Feraci, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 461 (467); Guiziou, Clunet 2012, 201 (203); Hartley, LQR 128 (2012), 197 (201); ders., Hartley on The Problem of “Libel Tourism”, 19.07.2010, ; Hau, GRUR 2018, 163 (165); Gebauer, IPRax 2014, 513 (517); Hess, in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (106); Lein, REDI 64 (2012), 193 (196); Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (212); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 185 ff.; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (509); Mills Wade, EPC on The Link between Brussels I and Rome II in Cases Affecting the Media, 25.07.2010, ; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 394; Peace, ELR, 29 (2018), 59 (61); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (23); Reymond, YbPIL 13 (2011), 493 (502); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (222); Thiede, ecolex 2012, 131 (132); a.A.: Es bestehe keine entsprechende Gefahr, so Schlussanträge GA Léger, 10.01.1995, C-68/93, ECLI:EU: C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 17; Ettig, K&R 2018, 33 (34); Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Hess, JZ 2012, 189 (191); Keilmann, BB 2017, 2569 (2573); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1684); Kontogeorgou, GPR 2018, 23 (25); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 312; A. Stadler, JZ 2018, 94 (95). Unzutreffend Ettig, K&R 2018, 33 (34), wonach die Frage der Zuständigkeit in keinem Zusammenhang mit dem anwendbaren IPR stehen soll. 358 Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 249; Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (19); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 393. 359 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (430); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 270; Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 4.82; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (509); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 392 f., 402; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 224.
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te – sei es die bekannte Heimatsrechtsordnung oder eine fremde mit besonders restriktiven Äußerungsregeln oder eine ganz andere mit großzügigen Schadensberechnungsregeln oder gar mit Strafschadensersatz. Wollte sie aber den vollen Schaden nach Erfolgsortsrecht einklagen, so ginge das mit dem Aufwand einher, die rechtlichen Chancen nach einer unüberschaubaren Vielzahl von Rechtsordnungen beurteilen zu müssen.360 Dieser Aufwand treffe auch die Gerichte, für die sich die Mosaikbetrachtung in der Praxis höchst impraktikabel erweisen könne.361 Angesichts dieser Nachteile wurde es allgemein kritisiert, dass der EuGH bei der Auslegung des Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO in eDate neben der Begründung einer umfassenden internationalen Zuständigkeit am Mittelpunkt der Interessen weiter an der Mosaikbetrachtung festhielt.362 Dass der EuGH auch in Bolagsupplysningen trotz entsprechender Aufforderung des Generalanwalts363 die Mosaikbetrachtung für Schadensersatzansprüche nicht ausdrücklich abschaffte, sorgte erneut für Kritik.364 360 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (417). Entspr. zum IZVR Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Lederer, K&R 2011, 791 (792 f.). Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 60 ff., bezweifelt für das IZVR, dass es tatsächlich zu einer Vielzahl an Parallelfahren kommen könnte, weil in den meisten Staaten ohnehin kein Schaden vorliegen würde. 361 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (421 f.); Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (431); Huber/Bach, IPRax 2007, 73 (79); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 246; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 186; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 19 f.; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (509); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 317 f.; G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (277 ff.). 362 Z.B. P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (129 f.); Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Guiziou, Clunet 2012, 201 (202 ff.); Hartley, LQR 128 (2012), 197 (201); Hess, in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (106); v. Hinden, ZEuP 2012, 940 (950 f.); Klöpfer, JA 2013, 165 (169); Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1222 f.); Lederer, K&R 2011, 791 (792); Lein, REDI 64 (2012), 193 (196 f.); Marino, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 363 (366 f.); Nielsen, JPIL 9 (2013), 269 (279); Paal, ZEuP 2016, 591 (596); Pichler, MR 2011, 365 (367); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (23); Reymond, YbPIL 13 (2011), 493 (502 f.); Robak, GRUR-Prax 2011, 257 (259); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (222 f.); Thiede, GPR 2012, 219 (220 f.). Schon zu den GA-Anträgen Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (757); a.A. Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (59); dies., in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 413 (428). 363 Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 90. 364 Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 42 f.; Bizer, CML Rev. 1941 (1950 ff.); Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 90; Hau, GRUR 2018, 163 (165); Kohler, IPRax 2021, 428 (430); Kubis, WRP 2018, 139 (143 f.); Lutzi, JZ 2021, 883 (837); Merchán Murillo, CDT 10 (2018), 887 (894 f.); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019,
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Der größte Nachteil der Mosaikbetrachtung liege jedoch bei der Anwendung auf Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche.365 Während bei der Schadensberechnung zumindest theoretisch der Anteil pro Staat berechnet werden könne, wendeten sich solche Ansprüche gegen die schädigende Handlung, die als solche nur insgesamt erlaubt oder verboten sein könne; solche Ansprüche seien also schlechthin unteilbar.366 Hinzu komme, dass deswegen auch die veröffentlichende Person folglich gezwungen sei, den Inhalt gänzlich zu löschen, sobald bereits nach einer einzigen Rechtsordnung der Welt ein Anspruch auf Entfernung einer Internetveröffentlichung bestünde;367 denn ein Internetinhalt sei nur weltweit oder überhaupt nicht abrufbar. Das sei insbesondere dann untragbar, wenn zu einem Staat, dessen Rechtsordnung die Löschung verlangt, über die Abrufbarkeit hinaus kein spezifischer Bezug gegeben ist.368 Selbst wenn man eine Teilbarkeit technisch für möglich halte, liefe dies der Natur und dem Konzept von Internetprojekten, die auf einer weltweiten Nutzergemeinschaft beruhen, völlig zuwider und würde diese S. 402 f.; A. Stadler, JZ 2018, 94 (94 ff.); a.A. Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 58 ff. 365 Bergé, Le juge national competent en cas d’atteinte aux droits de la personnalité sur Internet selon la CJUE : les voies de passage de l’ancien monde au nouveau monde, 24.11.2017, ; Hartley, LQR 128 (2012), 197 (201); Hau, GRUR 2018, 163 (164); Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (60 f.); Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2021, Rn. 6.76; v. Hinden, ZEuP 2012, 940 (950); ders., in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (587 f.); Jütte, Mere accessibility of a website does not trigger jurisdiction for injunctions when personality rights are infringed (ECJ, C-194/16, Bolagsupplysningen/Ilsjan), 06.12.2017, ; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 246; Klinkert, WRP Die erste Seite 2017, Nr. 12; Klöpfer, JA 2013, 165 (167); Kubis, WRP 2018, 139 (143 f.); Lederer, K&R 2011, 791 (793); Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (212); Márton, ; Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (19); Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (479); Peace, ELR, 29 (2018), 59 (61); A. Stadler, JZ 2018, 94 (95); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (222 f.); Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (754); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 292 f. 366 Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 84, 126; Gebauer, IPRax 2014, 513 (517); Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (60 f.); v. Hinden, ZEuP 2012, 940 (950); A. Stadler, JZ 2018, 94 (95); a.A. Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 367 Lederer, K&R 2011, 791 (793); Robak, GRUR-Prax 2011, 257 (259); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (223); Thiede, ecolex 2012, 131 (133); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 292 f. 368 W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (223).
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teilweise unmöglich machen.369 Auch der EuGH schien dies für einen untragbaren Zustand zu halten, denn er entschied in Bolagsupplysningen für das Zuständigkeitsrecht, dass bei Ansprüchen auf Löschung und Berichtigung nur einheitlich und unteilbar entschieden werden dürfe.370 Jedenfalls für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet schien die Mosaikbetrachtung damit ausgedient zu haben. Die praktischen Vorzüge der Mosaikbetrachtung bei klassischen Pressedelikten schienen also bei Internetdelikten verloren gegangen und abgesehen vom Restbestand in der EuGH-Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit der Vergangenheit anzugehören. Doch gab es vereinzelte Stimmen, die bemängelten, dass die Legende der unteilbaren Abrufbarkeit von Inhalten im Internet unzutreffend sei und über technische Mechanismen wie das Geoblocking Staatsgrenzen im Internet deutlich besser nachgebildet werden könnten, als bislang angenommen.371 Unabhängig von der tatsächlichen Tauglichkeit des Geoblockings hätte sich der EuGH daher auch schon 2017 mit dieser technischen Möglichkeit auseinandersetzen müssen, so die Kritik.372 Neue Aktualität hat die Diskussion um die Mosaikbetrachtung nun in jüngerer Zeit bekommen. Denn statt die Mosaikbetrachtung gänzlich aus dem Bereich der grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verbannen, scheint der EuGH die Vorzüge einer begrenzten Reichweite der anwendbaren Rechtsordnung wiederzuentdecken, wie die Entscheidungen Glawischnig-Piesczek373 und CNIL374 nahelegen. Auch der Kommissionsentwurf zu einem Digital Services Act sieht nun ausdrücklich in Art. 8 Abs. 2 lit. b vor, dass der „räumliche Geltungsbereich der Anordnung […] auf der Grundlage der geltenden Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Rechts, einschließlich der Charta, und
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Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.40. EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 48. 371 Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2; Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 201 ff. Sich offen zeigend v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 66. Zum Geoblocking siehe oben S. 12 f. 372 Ettig, K&R 2018, 33 (33); Hau, GRUR 2018, 163 (164); Jütte, Mere accessibility of a website does not trigger jurisdiction for injunctions when personality rights are infringed (ECJ, C-194/16, Bolagsupplysningen/Ilsjan), 06.12.2017, ; Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 373 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd. 374 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL. 370
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gegebenenfalls der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nicht über das zur Erreichung ihres Ziels unbedingt erforderliche Maß hinausgehen“
darf.375 c) Die EuGH-Entscheidungen zur räumlichen Reichweite von Löschungsansprüchen In der Rechtssache Google LLC ./. Commission nationale de l’informatique et des libertés (CNIL) entschied der EuGH, dass datenschutzrechtliche Löschungsanordnungen gem. Art. 17 Abs. 1 DSGVO grundsätzlich auf das Gebiet der EU beschränkt sein müssen.376 Ein Suchmaschinenbetreiber habe wirksame Maßnahmen zu treffen, um eine solche Sperrung zu realisieren.377 Der EuGH merkte aber auch an, dass das Unionsrecht eine weltweite Löschungsanordnung basierend auf nationalen Grundrechtsstandards nicht verbieten würde.378 Die Grundregel, für die sich auch Generalanwalt Szpunar deutlich einsetzte,379 soll im Datenschutz also die begrenzte räumliche Reichweite sein. Die Bedenken, dass „in Anbetracht der umfassenden Abrufbarkeit der auf einer Website veröffentlichten Angaben und Inhalte und des Umstandes, dass die Reichweite ihrer Verbreitung grundsätzlich weltumspannend ist,“ nur einheitlich und unteilbar über die Löschung von Internetinhalten entschieden werden könne,380 scheinen hingegen keine Rolle mehr zu spielen. Funktional eng damit verwandt ist die Entscheidung GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd.381 Auf die Vorlagefrage, ob Löschpflichten aus nationalem Recht weltweit reichen dürften oder ob dies gegen die eCommerce-RL verstoße, äußerte der EuGH knapp, dass die Richtlinie einem
375 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final. 376 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 64 f. 377 Ebd., Rn. 70. 378 Ebd., Rn. 72. 379 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 58 ff. 380 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 48. 381 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd.
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Löschungsanspruch mit weltweiter Wirkung nicht entgegenstehe.382 Die „internationalen Regeln“ seien aber zu beachten.383 Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Entscheidungen widersprüchlich: Im Datenschutzrecht soll die Löschung grundsätzlich nur europaweit erfolgen, während im Deliktsrecht eine weltweite Löschung verlangt werden kann. In der Entscheidung Glawischnig-Piesczek war die Vorlagefrage aber eng auf die eCommerce-RL zugeschnitten und der EuGH hat dazu – zutreffend – nur gesagt, dass diese Richtlinie keine beschränkende Regel enthalte.384 Im Datenschutzrecht hat die EU sowohl das materielle Recht als auch die Frage der internationalen Anwendbarkeit weitgehend vereinheitlicht; der deliktsrechtliche Persönlichkeitsschutz hingegen ist weder im materiellen Recht noch im Kollisionsrecht unionsrechtlich geregelt. Die unterschiedliche Beantwortung der in ihrer Wirkung sehr ähnlichen Konstellationen ist daher dem Harmonisierungsgrad und nicht tiefgreifenden inhaltlichen Unterschieden geschuldet.385 Ausgeschlossen ist daher nicht, dass der EuGH die Reichweite des Deliktsstatuts nach einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts für Persönlichkeitsrechtsverletzungen anders beurteilen würde. Diesen Schritt scheint die EU-Kommission nun auch mit dem Digital Services Act gehen zu wollen.386 In dieser geplanten Verordnung bleibt der Kern des deliktischen Persönlichkeitsschutzes zwar unberührt, jedoch soll die Haftungsprivilegierung der Anbieter von Vermittlungsdiensten, die bereits durch die eCommerce-RL mindestharmonisiert wurde, einheitlich geregelt werden. Dabei soll gem. Art. 8 Abs. 2 lit. b gelten, dass der „räumliche Geltungsbereich der Anordnung […] auf der Grundlage der geltenden Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Rechts, einschließlich der Charta, und gegebenenfalls der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nicht über das zur Erreichung ihres Ziels unbedingt erforderliche Maß hinausgehen“ 382
Ebd., Rn. 49 f.; krit. zur Kürze der Abhandlung dieses Punktes Hoeren, LMK 2020, 425949; Spindler, NJW 2019, 3274 (3276). 383 EuGH, Urteil vom 03.10.2019 – C-18/18, ECLI:EU:C:2019:821, Eva GlawischnigPiesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 51 f. 384 So auch schon Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019: 458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 89 ff.; Holznagel, ZUM 2019, 910 (912); Spindler, NJW 2019, 3274 (3276). 385 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 79; Specht-Riemenschneider, MMR 2019, 801 (802). Paal, JZ 2020, 92 (95 f.), hingegen stellt die ausdrückliche Zulässigkeit einer weltweiten Löschung in einen Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EuGH betreffend die internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen; eine weltweite Löschung sei immer dann möglich, wenn vor einem Gericht mit unbegrenzter Kognitionsbefugnis geklagt werde. 386 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final.
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darf.387 Hier bleibt aber noch abzuwarten, wie sich das Gesetzgebungsverfahren weiterentwickelt. Wie aktuell der Verweis des EuGH auf die „internationalen Regeln“ zu verstehen ist, die auch jetzt schon die räumliche Reichweite begrenzen können sollen, bleibt zwar unklar.388 Nahe liegt aber, dass der EuGH die Verletzung völkerrechtlicher Grenzen befürchtet, wenn die Rechtsordnung eines Staats über die Abrufbarkeit eines Internetinhalts in einem anderen entscheidet. Auch Generalanwalt Szpunar insistierte, dass – sollte der EuGH seiner Analyse nicht folgen, dass das EU-Recht zur Vorlagefrage bei derzeitigem Stand keine Aussage treffe – die Gerichte sich in Selbstbeschränkung üben und auch deliktsrechtliche Löschungsansprüche nach nationalem Recht in ihrer räumlichen Reichweite beschränken sollten.389 Das sei zum Schutz der Informationsfreiheit und zur Wahrung der völkerrechtlichen Courtoisie notwendig.390 Mithilfe des Geoblockings sei sicherzustellen, dass der Persönlichkeitsrechtsschutz nicht „über das für den Geschädigten erforderliche Maß“ hinausgeht.391 d) Dogmatische Übersetzung der EuGH-Entscheidungen In der Entscheidung CNIL scheint der EuGH keine strikte Regel zu formulieren, sondern eine Grundregel mit zulässigen Ausnahmen. Genauer betrachtet trifft das aber nicht zu. Denn Ausnahmen von der Begrenzung der räumlichen Reichweite hält der EuGH nur auf Grundlage des nationalen Rechts für möglich, sieht diese jedoch nicht im Unionsrecht verankert.392 Jenseits mitgliedstaatlicher Grundrechtsschranken formuliert der EuGH aber die klare Regel, dass das europäische Datenschutzrecht nur für das Gebiet der EU die Sperrung eines Suchmaschinenergebnisses anordnen kann. Unabhängig davon, ob man dieser Entscheidung in der Sache zustimmen möchte, stellt sich die Frage, wie die wertenden und politischen Erwägungen des EuGH dogmatisch umzusetzen wären. Argumentativ bewegt sich der EuGH auf der Ebene des materiellen Rechts: Das Bestehen der Löschpflicht hänge von einer Abwägung der Rechte der betroffenen Person mit ihren 387 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final, S. 54. 388 Dahingehend krit. Kuschel, IPRax 2020, 419 (423); Paal, JZ 2020, 92 (96); Spindler, NJW 2019, 3274 (3276). 389 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 94 ff. 390 Ebd., Rn. 99 f. 391 Ebd., Rn. 100. Dahingehend auch v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 66. 392 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 64, 72.
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Grundrechten auf freie Meinungsäußerung und Information ab (Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO), wobei das Abwägungsergebnis eine Begrenzung der räumlichen Reichweite ergebe.393 Die Begrenzung der räumlichen Reichweite bedeutet, dass die Anwendungsanordnung des europäischen Datenschutzrechts nur für das EU-Gebiet gilt. Der Ursprung dieser Erwägung liegt in einer Selbstbeschränkung. Es ist hingegen nicht ersichtlich und argumentativ auch nicht in der Entscheidung angelegt, dass der EuGH eine weltweite Löschung grundsätzlich problematisch fände, wenn auch alle anderen Drittstaaten für den konkreten Fall einen entsprechenden Anspruch gewähren würden. Absicht des EuGH ist also, dass jeder Staat nach seinem Recht selbst über die Abrufbarkeit eines Internetinhalts entscheiden können sollte. Eine solche Regel ist strukturell aber keine materiell-rechtliche Erwägung, sondern letztendlich eine neue Formulierung der Mosaikbetrachtung.394 Aus diesem Grund ist es auch bedenklich, dass die Europäische Kommission nun im geplanten Digital Services Act die räumliche Reichweite von behördlichen und gerichtlichen Anordnungen regeln will.395 Es ist in inhaltlicher Hinsicht zwingend erforderlich, eine solche Regelung mit dem geltenden IPR und IZVR abzustimmen. Da die Argumentation des EuGH in CNIL nicht datenschutzspezifisch war, drängt sich die Frage auf, ob Beschränkung der räumlichen Reichweite eines Löschungsanspruchs auch im Deliktsrecht gelten sollte. Dies würde, wie eben gezeigt, im Ergebnis eine Rückkehr zur Mosaikbetrachtung bedeuten. e) Stellungnahme Mit den jüngsten EuGH-Entscheidungen hat sich zwar im Wesentlichen nichts an den Vor- und Nachteilen der Mosaikbetrachtung geändert. Allerdings haben sie deutlich gemacht, dass das Internet keine unkontrollierbare, von territorialen Verankerungen losgelöste Welt ist. Stattdessen können staatliche Grenzen durch technische Möglichkeiten wie das Geoblocking zumindest bis zu einem gewissen Grade auch im Internet grundsätzlich nachgebildet werden.396 Des Weiteren haben die Entscheidungen gezeigt, dass der EuGH wie auch die Europäische Kommission397 starke Sympathien für einen Ansatz hegen, 393
Ebd., Rn. 60 ff. Auch Kohler, IPRax 2021, 428 (430), stellt die Diskussion um die räumliche Reichweite von datenschutzrechtlichen Ansprüchen in den Kontext der Mosaikbetrachtung. 395 Art. 8 Abs. 2 lit. b, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final. 396 Kuschel, IPRax 2020, 419 (422). 397 Vgl. Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 35. 394
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der jedem Staat selbst überlässt, welche Inhalte für Dritte zugänglich sein sollen und welche nicht.398 Dies stößt teilweise auch in der Literatur auf Zustimmung mit Verweis darauf, dass angesichts der weltweiten Unterschiede nicht ein einzelnes nationales Gericht die Grenzen des Diskurses in anderen Ländern bestimmen könne.399 Der Kommissionsentwurf zu einem Digital Services Act sieht nun auch in Art. 8 Abs. 2 lit. b ausdrücklich vor, dass der „räumliche Geltungsbereich der Anordnung […] auf der Grundlage der geltenden Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Rechts, einschließlich der Charta, und gegebenenfalls der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nicht über das zur Erreichung ihres Ziels unbedingt erforderliche Maß hinausgehen“
darf.400 Möchte man dem zustimmen, muss man, wie eben gezeigt, eine Erfolgsortsanknüpfung unter Zugrundelegung der Mosaikbetrachtung etablieren. Damit gehen aber Nachteile einher. Daher ist zu prüfen, ob die vom EuGH angeführten Argumente so gewichtig sind, dass der Mosaikbetrachtung trotz ihrer Nachteile der Vorzug gegeben werden sollte oder sogar muss. aa) Tauglichkeit vorhandener technischer Möglichkeiten Zunächst ist zu prüfen, ob es in technischer Hinsicht tatsächlich möglich ist, die Mosaikbetrachtung für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche umzusetzen. Klar dürfte inzwischen sein, dass eine Sperrung eines Internetinhalts nur für bestimmte Top-Level-Domains unzureichend ist. So hatte Google noch zu Beginn des Verfahrens CNIL die monierten Suchergebnisse nur dann unzugänglich gemacht, wenn sie über www.google.fr abgerufen wurden; über 398
So auch Entscheidungen in Argentinien (Camara Criminal y Correccional Federal – Sala 1, CFP 8553/2015/4/CA3, Zusammenfassung von Meinero unter ). Hingegen für die Möglichkeit weltweiter gerichtlicher Anordnungen: Brasilien (Inquérito 4.781 Distrito Federal, Ministro Alexandre de Moraes, 28.07.2020, Zusammenfassung von Meinero, ebd.), Kanada (Google Inc. v. Equustek Solutions Inc., 2017 SCC 34, File No.: 36602, dazu auch sogleich), Italien zum Datenschutzrecht (Il Garante per la Protezione dei Dati Personali, Provvedimento del 21 dicembre 2017 [7465315], unter b., abrufbar unter . 399 Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 95 ff.; Fremuth/Friedrich, EuZW 2019, 945 (946); Hoeren, LMK 2020, 425949; Hofmann, jurisPR-WettbR 12/2019 Anm. 1; Kuschel, IPRax 2020, 419 (422 ff.); de Miguel Asensio, REDI 72 (2020), 205 (208); Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2; M. Schröder, K&R 2019, 722 (723). Wohl auch v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 66; Holznagel, ZUM 2019, 910 (913); Specht-Riemenschneider, MMR 2019, 801 (802). 400 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final, S. 54.
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andere Top-Level-Domains jedoch blieben die Suchergebnisse auch von Frankreich aus weiterhin abrufbar. Noch während des Verfahrens ist Google daher auf die Technik des Geoblockings umgestiegen. Um eine räumliche Begrenzung durchzusetzen, ist Geoblocking gegenwärtig die standardmäßig eingesetzte Technik. Es ist aber fraglich, ob diese Technik für die Begrenzung der räumlichen Abrufbarkeit von Internetinhalten tatsächlich hinreichend tauglich ist. Der EuGH überlässt zwar die Tauglichkeitsprüfung der technischen Möglichkeiten zur Abrufbarkeitsbegrenzung den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten401 und erwähnt auch das Geoblocking als konkrete technische Möglichkeit nicht ausdrücklich.402 Trotzdem kann man annehmen, dass der EuGH in diesem technischen Verfahren das Potential einer effektiven Begrenzung erkannt hat, weil ansonsten die gesamte Entscheidung hinfällig und überflüssig wäre.403 Grundsätzlich ist die Geolokalisierung mittlerweile sehr treffsicher.404 Der anhaltende Vorbehalt gegenüber dem Geoblocking ist aber, dass man es verhältnismäßig einfach umgehen kann, indem man seinen tatsächlichen geografischen Aufenthaltsort über einen VPN-Client oder einen Proxy-Server virtuell verlegt bzw. verschleiert.405 Im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzungen erscheint aber zweifelhaft, ob die Umgehungsgefahr tatsächlich so groß ist.406 Dem entsprechend wird das Geoblocking häufig als taugliche Option gewertet.407 Unabhängig davon, wie stark man die Umgehungsgefahr gewichten möchte, erscheint das Geoblocking jedoch aus anderen Aspekten technisch ungeeignet. Denn wenn man in der Verfügbarkeit des Geoblockings die Rechtfer401 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 64, 71; Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (385). 402 Krit. dahingehend Kuschel, IPRax 2020, 419 (422). 403 Heldt, EuR 2020, 238 (243), erwähnt, dass grundsätzlich auch das „Downgrading“ in Betracht käme, wonach Beiträge für manche Regionen als so irrelevant eingestuft werden, dass sie den Nutzern im persönlichen Newsfeed kaum noch angezeigt werden, gleichwohl aber noch abrufbar bleiben; allerdings könne ein solches Vorgehen den Wirksamkeitserfordernissen des EuGH kaum genügen. 404 Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 205 f. 405 Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 47; Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 99; Heinze, EuZW 2011, 947 (950). 406 So auch die Einschätzung von Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 99. Zu „incentive for circumvention“ siehe auch Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 205 f. 407 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 101; OVG Münster, Urteil vom 25.02.2014 – 13 A 351/12, BeckRS 2014, 47931; Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 95 ff.; Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2; Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 201 ff.
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tigung sieht, dass man die Mosaikbetrachtung nun doch auch im negatorischen Rechtsschutz zum Einsatz bringen kann, setzt das voraus, dass der potentielle Anspruchsgegner auch tatsächlich Zugang zu dieser technischen Beschränkungsmöglichkeit hat. Das mag zwar bei Seitenbetreibern und bei den Betreibern sozialer Medien der Fall sein. Wer diese Option hingegen nicht zur Verfügung hat, sind die Nutzer.408 Zwar ist es in mehreren sozialen Medien üblich, dass die Nutzer die Sichtbarkeit ihrer Veröffentlichungen auf die eigenen Kontakte oder sogar eine individuell erstellte Liste begrenzen können. Dies ist jedoch eine personengebundene und gerade keine geografische Begrenzung. Die Nutzer haben über diese angebotenen Einstellungsmöglichkeiten also gerade keine Kontrolle über die geografische Abrufbarkeit. Theoretisch wäre es natürlich denkbar, dass die Betreiber sozialer Medien ihren Nutzern auch Tools bereitstellen, über die die geografische Abrufbarkeit eingestellt werden kann. Diese Möglichkeit stünde aber in Abhängigkeit vom entsprechenden Willen des Plattformbetreibers und könnte das Problem nicht lösen, dass Nutzer nicht eigenständig über die geografische Abrufbarkeit bestimmen können. Somit greifen die bereits bekannten Bedenken hinsichtlich der Anwendung der Mosaikbetrachtung auf Unterlassungsansprüche: Der Betroffene könnte über die Mosaikbetrachtung eine Rechtsordnung zur Anwendung bringen, die ihm zwar zugutekommt, zu der aber nur marginale Berührungspunkte bestehen. Er könnte also law shopping betreiben und die sich äußernde Person wäre mangels technischer Alternativen zur weltweiten Löschung gezwungen. Festzuhalten ist daher, dass das Geoblocking zwar eine hinreichend verlässliche Möglichkeit ist, um die Mosaikbetrachtung technisch für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche umzusetzen. Dies gilt allerdings nicht für die Nutzer sozialer Medien. Ihnen steht das Geoblocking nicht zur Verfügung und sie müssten mangels alternativer Möglichkeiten ihren Beitrag gänzlich löschen. In dieser Hinsicht erweist sich das Geoblocking somit als ungeeignet. bb) Völkerrechtliche Grenzen des IPR Die portugiesische Regierung und Generalanwalt Szpunar führen im Fall Glawischnig-Piesczek an, dass die völkerrechtliche Courtoisie die Gerichte zu Zurückhaltung bei Entscheidungen mit extraterritorialer Wirkung anhalte.409 Auch der EuGH mahnt in seiner Entscheidung an, dass die internationalen 408
Dahingehend krit. auch Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 395. Dieser Punkt wird vernachlässigt von Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 99 ff., der im Geoblocking die technische Realisierung einer Mosaikbetrachtung für Unterlassungsansprüche sieht. 409 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 100.
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Regeln zu beachten seien, wenn auch ohne dies genauer zu spezifizieren. Des Weiteren sind in der Literatur Stimmen zu vernehmen, dass die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungs- und Informationsfreiheit so problematisch sei, dass sie nicht von einem nationalen Gericht mit Wirkung für die ganze Welt vorgenommen werden könne.410 Es stellt sich hier also die grundsätzlichere Frage, ob das Völkerrecht der Ausgestaltung des Kollisionsrechts Grenzen auferlegt, und konkreter, ob das Völkerrecht verlangt, dass bei grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen das Mosaikprinzip zur Anwendung kommt. Zunächst ist dazu anzumerken, dass Extraterritorialität Teil einer jeden Gerichtsentscheidung bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen Privaten ist.411 Dies ist der Grundgedanke des IPR überhaupt, wonach im Regelfall eine Rechtsordnung über einen Sachverhalt befindet, obwohl auch Bezüge zu anderen Staaten bestehen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Bündelung eines Persönlichkeitsrechtsstreits unter einer einzelnen Rechtsordnung die völkerrechtlichen Grenzen überschreitet. In Betracht käme ein Verstoß gegen die völkerrechtliche comitas. Das Konzept der comitas besagt, dass Staaten einander als gleichwertig anerkennen und den Souveränitätsanspruch der anderen respektieren.412 Ursprünglich ist dieser Grundsatz gerade der Grund dafür, dass fremdes Recht vor eigenen Gerichten überhaupt zur Anwendung kommen darf oder sogar muss.413 Aus Gründen der comitas respektiert ein souveräner Staat die Souveränität eines anderen, indem er fremde Rechtssubjekte nicht seinem eigenen Recht unterwirft.414 In dieser Hinsicht ist die comitas sozusagen der Grundstein des IPR schlechthin. Während dieses Konzept im angloamerikani-
410 Fremuth/Friedrich, EuZW 2019, 945 (946); Hoeren, LMK 2020, 425949; Hofmann, jurisPR-WettbR 12/2019 Anm. 1; Kuschel, IPRax 2020, 419 (422 ff.); Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2. Wohl auch Holznagel, ZUM 2019, 910 (913); SpechtRiemenschneider, MMR 2019, 801 (802). Kuschel, IPRax 2020, 419 (422 f.), gibt zu bedenken, dass Ansprüche auf Löschung zumindest deutlich stärker in den Diskurs in einem anderen Land eingreifen, als dies bei Schadensersatzansprüchen der Fall sei. 411 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 95; Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 40 ff. Svantesson bewertet den Begriff „extraterritorial“ als untauglich, weil dieser lediglich die Unterscheidung zwischen legitimate and useful und illegitimate and excessive jurisdiction verschleiere (S. 43). 412 v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 1 Rn. 103; Schurig, in: Leible/Ruffert, 2006, S. 55 (60). Dahingehend auch das Restatement of the Law, Third: The Foreign Relations Law of the United States, 1987, § 101, Comment e. 413 v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 1 Rn. 103. 414 Ulrich Huber, Praelectiones Juris Romani et Hodierni, Pars Secunda, 1689, zitiert nach Dornis, „Comity“, in: Encyclopedia of Private International Law, 2017, Vol. 1, S. 381 (382).
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schen Rechtskreis auch heute noch wesentliche Bedeutung hat,415 ist es in Europa durch die Kodifikation des IPR unbeachtlich geworden. Dornis prophezeit jedoch, dass dieses Prinzip durch die Politisierung des Kollisionsrechts auch in der EU wieder mehr Bedeutung erlangen werde.416 Die Argumentationen des EuGH in CNIL und Glawischnig-Piesczek könnte man als Belege für diese These heranziehen. Doch selbst wenn man die comitas als Quelle oder Beschränkung für das Kollisionsrecht sehen mag, ist unklar, was dies dann genau bedeutet. Neben der grundsätzlichen Bereitschaft, fremdes Recht anzuwenden, könnte man der comitas, also der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen souveränen Staaten, auch entnehmen, dass sich staatliche Institutionen im Zweifelsfall in Zurückhaltung üben sollten, wenn ihre Akte auch extraterritorial Wirkung entfalten könnten.417 Das könnte auch soweit reichen, dass sich kein Staat im Wege privatrechtlicher Entscheidungen in den öffentlichen Diskurs in einem anderen Land einmischen dürfte; in diese Richtung könnte man zumindest die Äußerung des Generalanwalts und des EuGH deuten. Auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis sind wiederholt entsprechende Überlegungen angestellt worden.418 Jedoch ist es die überwiegende Auffassung, dass sich der comitas keine konkreten Anknüpfungsregeln entnehmen lassen.419 Teilweise wird erwogen, dass der Grundsatz es zumindest verbiete, „sinnwidrige Regeln“ aufzustellen, in dem Sinne, dass nicht jeder noch so geringe Inlandsbezug für die Anwendung des eigenen Rechts genügt.420 Doch selbst 415
Siehe dazu Briggs, The Principle of Comity in Private International Law, RdC 354 (2012), 67; Dornis, „Comity“, in: Encyclopedia of Private International Law, 2017, Vol. 1, S. 381 (386 f.), m.w.N. Für den angloamerikanischen Rechtskreis zeigt Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 46 ff., dass das Konzept der comity alles andere als eindeutig ist und auch nicht konsequent angewandt wird. 416 Dornis, „Comity“, in: Encyclopedia of Private International Law, 2017, Vol. 1, S. 381 (390). 417 Dahingehend auch die presumption against extraterritoriality in den USA, wonach im Zweifelsfall anzunehmen ist, dass ein Statute keine extraterritoriale Wirkung entfalten soll; dazu Briggs, The Principle of Comity in Private International Law, RdC 354 (2012), 67, 95 ff. Zur Bedeutung in den USA siehe auch Dornis, „Comity“, in: Encyclopedia of Private International Law, 2017, Vol. 1, S. 381 (386 f.), m.w.N. 418 Macquarie Bank Limited & Anor v Berg [1999] NSWSC 526 (2 June 1999), Rn. 14 („would exceed the proper limits of the use of the injunctive power of this court.“); Dow Jones & Company Inc v Gutnick [2002] HCA 56 (10 December 2002), Rn. 114. 419 v. Bar/Mankowski, IPR I, 2. Aufl. 2003, § 3, Rn. 8 ff.; Dornis, „Comity“, in: Encyclopedia of Private International Law, 2017, Vol. 1, S. 381 (383); Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 8 I 1; Kuschel, IPRax 2020, 419 (423); Mansel, in: Leible/ Ruffert, 2006, S. 89 (111 ff.); Schurig, in: Leible/Ruffert, 2006, S. 55 (61 ff.). 420 Fremuth/Friedrich, EuZW 2019, 945 (945); Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 8 I 1. Dazu eingehend Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 42 ff.
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wenn man eine solche negative Funktion der comitas im IPR akzeptieren wollte, sind sowohl die konkrete Grenzziehung als auch die stattdessen geltende Anknüpfungsregel unklar.421 Somit lässt sich sagen, dass es letztlich keine konkreten Vorgaben des Völkerrechts für das IPR gibt.422 Höchstens könnte man argumentieren, dass nach dem Prinzip der comitas geringste Bezüge zum Inland – im Falle der Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet wäre das wohl die reine Abrufbarkeit – nicht genügen, um weltweit über einen Rechtsstreit zu entscheiden. Hingegen steht das Völkerrecht einer Kollisionsnorm, die das anwendbare Recht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit weltweiter Wirkung einer Rechtsordnung unterstellt, nicht grundsätzlich entgegen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Rückkehr zur Mosaikbetrachtung bei grenzüberschreitenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen völkerrechtlich betrachtet nicht zwingend ist. cc) Entscheidung im Einzelfall Generalanwalt Szpunar plädiert dafür, dass Gerichte im Einzelfall prüfen, ob die grundrechtliche Abwägung eine weltweite Reichweite zulasse oder ob die gerichtliche Anordnung in territorialer Hinsicht zu beschränken sei.423 Die Überlegungen des Generalanwalts, wonach die räumliche Reichweite im Einzelfall durch Abwägung der tangierten Grundrechte zu bestimmen sei, erscheint äußerst bedenklich. Wie eben gezeigt, würde eine begrenzte räumliche Reichweite die Anwendung der Mosaikbetrachtung zur Folge haben. Es liefe jedoch dem Ziel des Kollisionsrechts zuwider, Regeln aufzustellen, deren Ergebnis für die Betroffenen Rechtsklarheit und Vorhersehbarkeit schaffen.424 Würde man für Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine Grundrechtsabwägung im Einzelfall zur Ermittlung des anwendbaren Rechts voraussetzen, anstatt eine feste Anknüpfungsregel vorzusehen, wäre weder für 421 Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 8 I 1. v. Bar/Mankowski, IPR I, 2. Aufl. 2003, § 3, Rn. 8 ff., argumentieren, dass sich überhaupt kein Völkergewohnheitsrecht nachweisen lasse, das Grenzen für das IPR oder gar konkrete Regeln beinhaltet. 422 Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 42 ff., 53 f. 423 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 98 ff.; so wohl auch Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 99 f. (Geoblocking sei ausreichend, sofern nicht der Kern des Persönlichkeitsrechts berührt ist); Holznagel, ZUM 2019, 910 (913), der die territoriale Reichweite von „allgemeine[n] Zumutbarkeitserwägungen“ abhängig machen möchte; ferner Kuschel, IPRax 2020, 419 (425); Specht-Riemenschneider, MMR 2019, 801 (802); Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 180 ff. („context dependent“). 424 ErwGr. 6 Rom II-VO.
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den Schädiger noch für den Betroffenen erkennbar, ob auf ihren konkreten Fall die Mosaikbetrachtung Anwendung finden wird oder doch nach einer einzelnen Rechtsordnung eine weltweit wirkende Anordnung erreicht werden kann.425 Es stünde einer klaren Anknüpfungsnorm diametral entgegen, wenn ein Gericht zuerst eine ausführliche Grundrechtsabwägung vornehmen müsste, um überhaupt die korrekte Kollisionsnorm zu ermitteln. dd) Koordination mit dem Datenschutzrecht Während der EuGH eine räumliche Beschränkung im Deliktsrecht bisher mangels Regelung nicht angeordnet hat, gilt im Datenschutzrecht seit der Entscheidung CNIL – unabhängig davon, ob man dem in der Sache zustimmen möchte – als Grundregel, dass Löschungsansprüche gem. Art. 17 DSGVO in ihrer räumlichen Reichweite zu beschränken sind.426 Trotz Selbstständigkeit beider Rechtsbereiche kann sowohl über das Datenschutzrecht als auch über das Deliktsrecht zum Schutze der Persönlichkeit die Entfernung einer verletzenden Veröffentlichung erreicht werden.427 Daher stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es nicht zugunsten der Kohärenz innerhalb des kollisionsrechtlichen Systems erforderlich ist, dass sich das Deliktsrecht in dieser Hinsicht dem Datenschutzrecht angleicht, indem im Rahmen der Erfolgsortsanknüpfung die Mosaikbetrachtung angewendet wird.428 Doch selbst wenn es vielleicht einer Kohärenz zuträglich wäre, kann eine solche Angleichung an das Datenschutzrecht keinesfalls zwingend sein, da systematische wie auch politische Gründe im Datenschutzrecht eine andersartige Behandlung zu rechtfertigen vermögen: Zunächst ist die Entscheidung CNIL vor dem Hintergrund des Art. 3 DSGVO zu lesen. Wie noch zu zeigen ist,429 gilt im europäischen Datenschutzrecht nicht das Tatortprinzip, sondern eine deutlich weitreichendere Anknüpfung: Laut Niederlassungs- und Marktortprinzip (Art. 3 Abs. 1 und 2 DSGVO) genügen schon geringe Verbindungen wie der schlichte Aufenthalt einer betroffenen Person im Gebiet der EU, damit europäisches Datenschutzrecht zur Anwendung berufen wird. Im internationalen Deliktsrecht hingegen wird typischerweise über die Tatortregel diejenige Rechtsordnung ermittelt,
425
Siehe allgemein auch Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 143; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 5 I. 426 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 64 f. 427 Siehe oben S. 8–10. 428 Für eine einheitliche Behandlung Gomille, ZUM 2020, 123 (128). Hingegen Gascón Marcén, 23 SYBIL 413 (2019), 419: „A case of defamation is obviously different from a case of ‘right to be forgotten’ and this may have had an impact on the result“. 429 Siehe unten S. 321–333.
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zu welcher der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist.430 Den tendenziell restriktiven Ansatz des EuGH in CNIL sollte man daher auch vor dem Hintergrund sehen, dass damit die – in Drittstaaten allerdings kritisierte431 – extraterritoriale Wirkung der DSGVO wieder etwas zurückgenommen wird. Die Beschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs im Datenschutzrecht erscheint spiegelbildlich zur (exzessiven) Marktortsanknüpfung des Art. 3 Abs. 2 DSGVO: Die DSGVO soll zwar schon dann angewendet werden, wenn ein nur geringer Bezug zum europäischen Markt vorliegt, aber in ihrer Wirkung ist sie eben zugleich auch auf den europäischen Markt beschränkt. In politischer Hinsicht ist zu bedenken, dass die DSGVO in außereuropäischen Staaten viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Und dies nicht nur aus einer kritischen Perspektive; die DSGVO hat vielmehr bereits mehrere Staaten zu Reformen und Anpassungen ihres jeweiligen materiellen Datenschutzrechts veranlasst.432 Die EU hat daher ein wesentliches Interesse daran, dass die bisher bestehende Akzeptanz und Anerkennung der DSGVO in Drittstaaten nicht gefährdet wird.433 Dazu kann ein Signal, dass die DSGVO den Fokus auf den europäischen Markt richtet und sich nicht zum Weltdatenschutzrecht aufschwingen will, sicherlich wesentlich beitragen. Auch wenn das Datenschutzrecht und der deliktsrechtliche Persönlichkeitsschutz sich praktisch ergänzen und funktional gleichbedeutend sein können, zeigen diese Aspekte, dass das Datenschutzrecht gegenwärtig deutlich politisierter ist. Hinzu kommt, dass der kollisionsrechtliche Ansatz des Datenschutzrechts Ausfluss der hybriden und damit auch öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur der Materie ist und damit zugleich auch Ausdruck seines regulatorischen Charakters. Da die Begrenzung der Reichweite des datenschutzrechtlichen Löschungsanspruchs aber gerade im Lichte dieser Aspekte zu sehen ist und diese im Deliktsrecht so gerade nicht gegeben sind, ist eine Anpassung des internationalen Deliktsrechts aus Gründen der Kohärenz auch nicht zwingend geboten. ee) Vereinbarkeit mit sonstigem EU-Recht Selbst wenn man aus Gründen der Kohärenz mit der DSGVO eine Einführung der Mosaikbetrachtung im internationalen Deliktsrecht befürworten
430 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 29; zum EU-IPR ebd., Rn. 32; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 2 Rn. 52; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 131 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 4 II. 431 Z.B. Schwartz, Univ. Pa. Law Rev. 2013, 1623 (1643); Svantesson, IDPL 5 (2015), 226; ders., 50 Stan. J. Int’l. L. (2014), 53 (68 ff.). 432 Siehe unten S. 330 f. 433 Paal, JZ 2020, 92 (95).
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möchte, spricht doch deutlich dagegen, dass es so zu Konflikten mit anderen Bereichen des EU-Rechts käme: Zunächst wäre der Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht erheblich gestört, da der EuGH Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in eDate so ausgelegt hat, dass die Gerichte am Mittelpunkt der Interessen der geschädigten Person als dem korrekten Erfolgsort bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet eine unbegrenzte Kognitionsbefugnis haben und daher mit weltweiter Wirkung entscheiden können.434 Zudem wurde die Mosaikbetrachtung für Löschungs- und Berichtigungsansprüche in Bolagsupplysningen gerade erst abgeschafft.435 Eine europäische Kollisionsnorm basierend auf der Mosaikbetrachtung wäre somit konträr zur Entwicklung im IZVR und würde daher eine Änderung des Zuständigkeitsrechts dringend erforderlich machen.436 Weitere Schwierigkeiten entstehen mit Blick auf das europäische Ziel, einen digitalen Binnenmarkt auszubauen.437 Wesentlicher Teil der Strategie ist die Eindämmung des Geoblockings innerhalb der EU.438 Wenn es aber erklärtes politisches Ziel ist, dass langfristig innerhalb der EU überall die gleichen Inhalte verfügbar sein sollen, dann führt die Einführung der Mosaikbetrachtung auf der Kollisionsrechtsebene mit dem Geoblocking als zentralem Instrument gerade in die entgegengesetzte Richtung. Eine entsprechende Kollisionsnorm ist daher nur dann zukunftsfähig, wenn die Kollisionsnorm zwischen dem Gebiet der EU und Drittstaaten unterscheidet. Ein Anspruch auf Löschung nach dem Recht eines Mitgliedstaats der EU müsste folglich auf das Gebiet der EU erstreckt werden.439 Dies kann letztlich dazu führen, dass der Inhalt auch in jenem Mitgliedstaat nicht abrufbar ist, in dem Meinungsund Informationsfreiheit gerade eine fortbestehende Abrufbarkeit desselben gefordert hätten. Dies wäre zwar noch hinnehmbar, da die äußeren Abwägungsgrenzen durch die EMRK und das EU-Recht abgesteckt sind.440 Gestützt werden kann dies zudem auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrau434
Siehe oben S. 176 f. Siehe oben S. 177 f. 436 Kuschel, IPRax 2020, 419 (421), kritisiert, dass sich der EuGH schon in Glawischnig-Piesczek mit der internationalen Zuständigkeit hätte befassen müssen. 437 . 438 Verordnung (EU) 2018/302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Februar 2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG; Verordnung (EU) 2017/1128 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt. 439 A.A. Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2. 440 A.A. Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 100. 435
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ens und die grundsätzliche Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen nach der Brüssel Ia-VO. Man könnte also durchaus vertretbare Lösungen finden, um eine Kollisionsnorm auf Basis der Mosaikbetrachtung mit der aktuellen politischen Ausrichtung der EU zu vereinbaren. Dies führt allerdings zwangsläufig zu Kollisionsnormen, die zwischen EUund Drittstaaten unterscheidet und die sich in der Praxis als zu umständlich erweisen könnten. ff) Vollstreckungsprobleme Ein wesentlicher Vorteil der Mosaikbetrachtung ist, dass die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Drittstaaten auf weniger Probleme stoßen, als wenn eine einzige Rechtsordnung mit weltweiter Wirkung über einen Sachverhalt entscheidet.441 Es ist ein praktisches Interesse des IPR, dass Kollisionsnormen nicht zu unvollstreckbaren Entscheidungen führen.442 Konkret könnte man befürchten, dass speziell die USA die Anerkennung und Vollstreckung europäischer Entscheidungen verweigern könnten, wenn diese nicht mit dem First Amendment der US-Verfassung (Free Speech) vereinbar sind, wie die folgenden beiden Punkte zeigen werden: Im Jahr 2010 wurde der Securing the Protection of our Enduring and Established Constitutional Heritage Act (SPEECH Act) erlassen, wonach eine Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in den USA ausgeschlossen ist, sofern sie mit Blick auf die Meinungsfreiheit hinter dem Schutzstandard des First Amendment zurückbleiben. Hintergrund war, dass englische Gerichte ihre internationale Zuständigkeit für defamation Fälle schon bei geringer Verbreitung in England annahmen und hierbei dann trotz begrenzter Kognitionsbefugnis faktisch weitreichende Entscheidungen trafen. So wurden im Fall Bin Mahfouz v Ehrenfeld443 zwar nur 23 Exemplare eines Buchs der USamerikanischen Autorin Ehrenfeld mit dem angegriffenen Inhalt im Wege des Internetversandhandel in England verkauft. Dies führte aber dennoch zu dem Ergebnis, dass die Beklagte dazu verurteilt wurde, an den Kläger 30.000 Pfund Schadensersatz für die verletzende Äußerung und 115.000 Pfund für die Rechtsverfolgungskosten zu zahlen sowie eine Verbreitung der Veröffentlichung in England zu unterlassen. In der Folge wurde die Vollstreckung in den USA verweigert und letztlich der SPEECH Act erlassen.444
441 Sich daher für eine Begrenzung der Reichweite aussprechend Kuschel, IPRax 2020, 419 (425). 442 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 144. 443 [2005] EWHC 1156 (QB). 444 Eingehend zum libel tourism Auda, JPIL 12 (2016), 106; Dinse/Rösler, IPRax 2011, 414; Hartley, ICLQ 59 (2010), 25; Mariottini, AEDIPr 2017, 903; dies., in: Hess/Mariottini, 2015, S. 115; Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (3 ff.); Nielsen, JPIL 9 (2013), 269.
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Noch aktueller ist der Fall Equustek: Der kanadische Supreme Court verfügte, dass konkrete Ergebnisse, die zu urheberrechtsverletzenden Inhalten führen, aus Googles Suchdatenbank nicht nur für Kanada, sondern weltweit zu löschen sind.445 Die Mehrheit des Supreme Court sah sich hierzu gezwungen, weil alles andere sich als ineffektiv erwiesen hatte und Equustek ansonsten faktisch schutzlos geblieben wäre.446 Googles Berufung auf die Meinungsfreiheit wurde hingegen als unzureichende Verteidigung gewertet, da Google selbst keine Meinung äußere, sondern nur fremde Inhalte aufliste.447 Allerdings entschied in der Folge der District Court of Northern California, dass die kanadische Entscheidung nicht vollstreckt werden dürfe, weil Google ansonsten in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wäre.448 Solange also der Handlungsort in den USA liegt oder ein USamerikanischer Plattformbetreiber Anspruchsgegner ist, besteht ein erhöhtes Risiko, dass die USA eine gerichtliche Entscheidung nicht anerkennen werden. Möchte man Probleme bei der Anerkennung und Vollstreckung vermeiden, muss man sich also für eine Anknüpfung an den Handlungsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung entscheiden. Eine reine Handlungsortsanknüpfung stößt jedoch auf erhebliche Bedenken.449 Faktisch würde das freilich bedeuten, dass sich die europäische Kollisionsnorm danach richten würde, was die USA einseitig festsetzen. Dies kann jedoch keine ernsthafte Grundlage für eine Kollisionsnorm sein. Auch Svantesson weist darauf hin, dass auch nicht vollstreckbare Entscheidungen durchaus eine Funktion erfüllen, indem eine rechtliche Auffassung und Bewertung artikuliert wird; zwar würden solche Entscheidungen keine effektive Veränderung herbeiführen, könnten aber durchaus als Akt der Kommunikation dienen.450 Vor diesem Hintergrund sollte das Argument der Vollstreckungsproblematik nicht überbewertet werden, sondern eher Anlass für Bemühungen um ein internationa-
445
Google Inc. v. Equustek Solutions Inc., 2017 SCC 34, File No.: 36602. „The only way to ensure that the interlocutory injunction attained its objective was to have it apply where Google operates – globally.“, Google Inc. v. Equustek Solutions Inc., 2017 SCC 34, File No.: 36602, per Abella J., Rn. 41. 447 Google Inc. v. Equustek Solutions Inc., 2017 SCC 34, File No.: 36602, per Abella J., Rn. 48. 448 Google LLC v. Equustek Solutions Inc., et al., United States District Court, Northern District Of California, San Jose Division, Case No. 5:17-cv-04207-EJD. Das Gericht sah in einer Vollstreckung der kanadischen Entscheidung eine Verletzung der Sec. 230 of the Communications Decency Act, wonach “[n]o provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.“ Eine Verletzung dieses Gesetzes begründe eine Gefahr für das First Amendment. 449 Siehe oben S. 161–167. 450 Svantesson, Solving the internet jurisdiciton puzzle, 2017, S. 132 ff. 446
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les Übereinkommen zur Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidung zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen geben.451 gg) Grundrechtsabwägung Schließlich erscheint es ganz grundsätzlich zweifelhaft, ob eine Anwendung des Mosaikprinzips zumindest im negatorischen Rechtsschutz mit den Grundrechten vereinbar ist. Eine genauere Betrachtung führt zu dem Ergebnis, dass – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der meisten Fälle – die Mosaikbetrachtung grundrechtlich entweder nicht zulässig oder nicht geboten ist. Denn je größer das Interesse in Drittstaaten an einer konkreten Veröffentlichung ist und je stärker die Informationsfreiheit in jenen Staaten von einer weltweiten Löschung derselben beeinträchtigt wäre, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass gerade dann der schädigende Inhalt in jenen Staaten über die Kommunikationsmechanismen sozialer Medien geteilt und weiterverbreitet wird. Und je größer das weltweite Interesse, desto eher wird sich das Geoblocking faktisch als ineffektiv erweisen, weil dieser Inhalt an immer neuen Stellen im Netz wieder auftauchen und so zu einer vertieften und fortlaufenden Schädigung der betroffenen Person beitragen wird. Dies hatte sich auch im Fall Equustek gezeigt und den kanadischen Supreme Court daraufhin zu seiner Entscheidung mit globaler Wirkung veranlasst. Wenn man den Persönlichkeitsschutz in solchen Fällen also nicht völlig aushöhlen möchte, muss bei derartigen Sachlagen eine weltweite Löschung angeordnet werden, obwohl und gerade weil das Informationsinteresse auch in anderen Staaten gesteigert ist. Wenn wiederum das Interesse in Drittstaaten als gering einzustufen ist und eine Weiterverbreitung bei nur regionaler Sperrung unwahrscheinlich erscheint, wäre die Informationsfreiheit in jenen Staaten letztlich aber auch nur in geringem Maße von einer weltweiten Sperrung beeinträchtigt. In diesen Fällen ist ein Verzicht auf eine weltweite Sperrung aus Gründen der Informationsfreiheit also gar nicht erst geboten. Somit ist insgesamt eine räumliche Begrenzung eines Löschungsanspruchs aus Sicht des Persönlichkeitsschutzes also entweder unzureichend oder aber gar nicht erst erforderlich mangels relevanter Beeinträchtigung der Informationsfreiheit in anderen Staaten. All dies spricht deutlich dafür, in jedem derartig gelagerten Fall eine weltweite Löschungsanordnung auszusprechen. hh) Fazit und Zusammenfassung Mit Blick auf die Nutzer sozialer Medien ist die Anwendung der Mosaikbetrachtung unter Verwendung des Geoblockings schon deshalb praktisch nicht möglich, weil diese Technik für diese Gruppe der Anspruchsgegner nicht 451
Dazu Auda, JPIL 12 (2016), 106.
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verfügbar ist. Für Ansprüche gegen die Betreiber wiederum wäre dessen Nutzung zumindest theoretisch denkbar, wobei die weiteren dargestellten Nachteile gleichwohl ins Gewicht fallen. Die vom EuGH angeführten Argumente hinsichtlich der Rücksichtnahme auf die Interessen von anderen Staaten und insbesondere die dort geltende Informationsfreiheit haben zwar hohe Relevanz und dürfen in ihrer praktischen Bedeutung nicht unterschätzt werden. Gleichwohl ist eine Anwendung der Mosaikbetrachtung zumindest für Löschungsansprüche weder aus dem Völkerrecht noch aus Gründen der Kohärenz zwischen Datenschutz- und Deliktsrecht geboten. Auch wenn die entstehenden Beeinträchtigungen der Informationsfreiheit nicht unterschätzt werden dürfen, wäre eine räumliche Begrenzung des negatorischen Rechtsschutzes im Wege der Mosaikbetrachtung aus grundrechtlicher Sicht nur schwerlich denkbar, da dies in vielen Fällen einer Aushöhlung eines effektiven Schutzes des Persönlichkeitsrechts gleichkommen wird. Um also eine hinreichende Berücksichtigung der Kommunikationsfreiheiten zu gewährleisten, ist es unerlässlich, statt der Anwendung der Mosaikbetrachtung eine möglichst präzise und treffsichere Anknüpfung zu formulieren, die zu jener einen Rechtsordnung führt, zu der auch tatsächlich die engste Verbindung besteht. Somit ist eine Beschränkung der Erfolgsortsanknüpfung im Wege einer Mosaikbetrachtung umfänglich und für alle Arten von Ansprüchen abzulehnen. 6. Beschränkung der Anzahl Die Ablehnung einer Mosaikbetrachtung als Mechanismus zur Begrenzung der Vielzahl von Erfolgsorten einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet ist zugleich ein Plädoyer für die Ermittlung des Erfolgsschwerpunkts. Die Rechtsordnung desjenigen Staates, in dem dieser Erfolgsschwerpunkt liegt, soll den Sachverhalt umfassend und abschließend beurteilen. In ihrer Reichweite ist diese Rechtsordnung nicht beschränkt. Die Schwerpunktbetrachtung ist keine „Notlösung“, weil eine Mosaikbetrachtung technisch nicht hinreichend umsetzbar wäre.452 Vielmehr ist die einheitliche Behandlung eines Falles nach nur einer Rechtsordnung grundrechtlich geboten. Denn hier muss sich weder der Veröffentlichende mit einer potentiellen Vielzahl von Rechtsordnungen befassen, um die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen zu überprüfen und seine Haftungsrisiken abzuschätzen, noch muss der Betroffene aufwändigen Rechtsermittlungen nachgehen, um einen effektiven Schutz seines Persönlichkeitsrechts beanspruchen zu können. Dieser Ansatz besticht und überzeugt durch die Klarheit und Eindeutigkeit, die er mit sich bringt. 452 So aber Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 207.
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Kontrovers diskutiert wird jedoch die Frage, wo sich der Schwerpunkt des Erfolges einer Persönlichkeitsrechtsverletzung befinden soll. Herausfordernd ist dabei, dass die Fallkonstellationen und damit auch die Interessenverteilung in Persönlichkeitsrechtsfällen so unterschiedlich sind. Die zentrale Frage ist daher zunächst, ob man trotz dieser Unterschiede im Einzelfall mit einer pauschalen und folglich klaren und eindeutigen Anknüpfung eine hinreichend angemessene Lösung zu schaffen vermag (a.). Alternativ dazu sind Ansätze aufzuzeigen und zu bewerten, die nach verschiedenen Kriterien den Umständen des Einzelfalls mehr Bedeutung verleihen wollen (b.-d.). a) Der abstrakte Ansatz Der Ansatz, der hier als abstrakt bezeichnet wird, bestimmt den Schwerpunkt einer Persönlichkeitsrechtsverletzung anhand eines Merkmals, das unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls ist. Maßgeblich ist stattdessen jener Ort, an dem die betroffene Person typischerweise am stärksten beeinträchtigt wird. aa) Anwendung auf natürliche Personen Der Grundgedanke des abstrakten Ansatzes ist, dass jede Person einen Interessenmittelpunkt hat, an dem sie verwurzelt ist und wo sich deshalb eine Persönlichkeitsrechtsverletzung für sie typischerweise am stärksten auswirkt. Prägend ist hier die Rechtsprechung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit.453 Demnach ist der Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO dort, wo die betroffene Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat. Maßgeblich ist also allein dieser abstrakt zu bestimmende Ort; die Umstände der konkreten Veröffentlichung hingegen haben keine Bedeutung.454 Die pauschale Festlegung des Schwerpunkterfolgsorts am gewöhnlichen Aufenthalt einer natürlichen Person ist im IZVR auf Zustimmung gestoßen.455 453
Siehe oben S. 176 f. Krit. dazu z.B. Schlussanträge GA Bobek, 23.01.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021: 124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 62. Zweifel könnte man bekommen mit Blick auf EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 42, denn dort bestätigt der EuGH sein abstrakt ermitteltes Ergebnis, indem er die vielen Bezüge der konkreten Veröffentlichung zu Schweden feststellt. Völlig offen bleibt dabei, ob diesen Einzelfallkriterien bei der Erfolgsortbestimmung Bedeutung zukommen sollen und welche diese dann wäre. 455 P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (129); ders., NJW 2011, 2059 (2061); Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Hess, EuZPR, 2. Aufl. 2021, Rn. 6.76; ders., in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (93); ders., JZ 2012, 189 (190 f.); Lederer, K&R 2011, 791 (792); Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (210); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 307 ff.; Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (482 f.); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (22 f.); 454
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Doch auch für das Kollisionsrecht wird vertreten, dass der Schwerpunkterfolgsort am Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten liege und sich dieser bei einer natürlichen Person an dessen gewöhnlichem Aufenthalt befinde.456 Vereinzelt wird der Mittelpunkt der Geschädigteninteressen am Wohnsitz lokalisiert.457 Schwerpunktmäßig zum Presserecht wird vorgeschlagen, dass eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten nur unter dem Vorbehalt erfolgen solle, dass dieser im Verbreitungsgebiet liege.458 bb) Die Begründung Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person wird damit begründet, dass diese Person an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt sozial eingebunden und damit dort auch typischerweise am stärksten beeinträchtigt sei.459 Dies gelte selbst bei international prominenten Personen.460 H.-P. Roth, CR 2011, 808 (812); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (220 f.); Schlüter, AfP 2010, 340 (348 f.); Spickhoff, IPRax 2011, 131 (132 f.). 456 So auch die aktuelle Regelung in China (Art. 46), Moldawien (Art. 1616 lit. b); in der Tschechischen Republik (§ 101 lit. a). Ferner Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (428 ff.); Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1 (24); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 61 f.; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 262 (für die Privatsphäre). Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts siehe v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 5, Rn. 139 ff.; Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt im System des Europäischen Kollisionsrechts, 2017, S. 149 ff. So auch die Empfehlung des British Institute of International and Comparative Law, Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations, JUST/2019/JCOO_FW_CIVI_0167, 04.10.2021, S. 28, 98. 457 Magallón, Country of Origin Versus Country of Destination and the Need for Minimum Substantive Harmonisation, 20.07.2010, ; OLG Celle, BeckRS 2002, 30288502. Ebenso, wenn auch als Handlungsort, Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 166 f., 176 f.; Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 68 ff. Entspr. zum IZVR P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (129); ders., NJW 2011, 2059 (2061). 458 Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 383 f.; Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (375 ff.); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (590 ff.); tendenziell auch Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4 (Fn. 141). 459 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 145; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (355, 429 f.); Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (375); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 61; Meier, JPIL 12 (2016), 492 (508); Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 68 ff. Entspr. zum IZVR Bach, EuZW 2018, 68 (70); Nikas, in: FS
B. Die lex loci delicti commissi
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Der gewöhnliche Aufenthalt sei aufgrund der Weiterverbreitungsmöglichkeiten im Internet selbst dann der Ort der stärksten Betroffenheit, wenn die Veröffentlichung ursprünglich gezielt für einen anderen spezifischen Staat gedacht war.461 Der gewöhnliche Aufenthalt als typisierter Erfolgsort biete dem Betroffenen zudem den erforderlichen Schutz und stelle dadurch einen guten Interessenausgleich zwischen den Streitparteien her.462 Auch trage eine Festlegung des Erfolgsorts auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen der besonderen Schwere einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Internet Rechnung.463 Die Nachteile, welche der Schädiger durch eine solche Erfolgsortsbestimmung habe, seien zudem geeignet, den verantwortungsbewussten Umgang bei der Internetberichterstattung zu fördern.464 Außerdem sei der gewöhnliche Aufenthalt der veröffentlichenden Person meistens bereits bekannt oder zumindest für sie erkennbar.465 Jedenfalls könne im Sinne einer Sorgfaltspflicht erwartet werden, dass man sich bei einer grenzüberschreitenden Veröffentlichung über den Interessenmittelpunkt des Betroffenen informiere.466 Der größte Vorteil dieser typisierten Anknüpfung bestehe darin, dass er für beide Parteien ein besonders hohes Maß an Vorhersehbarkeit schaffe467 und Gottwald, 2014, S. 477 (482); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (21); Schlüter, AfP 2010, 340 (349). 460 So v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (590 f.), wobei in Einzelfällen die Ausweichklausel anwendbar sein könne. 461 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (431); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 62. 462 Schwiegel-Klein, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Massenmedien im Internationalen Privatrecht, 1983, S. 70, 80 f. Entspr. zum IZVR Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (261); ders., JZ 2012, 189 (191); Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (482); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (22); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (221); Wolter, jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3. 463 Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (219 f.). 464 Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (261); ders., JZ 2012, 189 (191); Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (483); Wolter, jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3. 465 v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 62; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 177. 466 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 145; Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (103); Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (261); ders., JZ 2012, 189 (191); Kontogeorgou, GPR 2018, 23 (26). 467 Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 57 f.; Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 145; Bach, EuZW 2018, 68 (68); P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (129); ders., NJW 2011,
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
somit der Rechtssicherheit und -klarheit diene.468 Für die Rechtspraxis wiederum habe diese Herangehensweise den Vorzug, dass das anwendbare Recht auf diesem Wege unkompliziert zu ermitteln sei.469 Zudem verringere die hohe Vorhersehbarkeit die Kosten eines Rechtsstreits für beide Parteien.470 cc) Die Kritik Ein solch abstrakter Ansatz stößt aber auch auf Ablehnung. Zwar sei der gewöhnliche Aufenthalt der betroffenen Person typischerweise, nicht aber zwingend der zentrale Erfolgsort.471 Insbesondere wird daher kritisiert, dass eine abstrakte Anknüpfung zu pauschal und zu starr sei und folglich nicht in jedem Fall den tatsächlichen Schwerpunkt der Verletzung ermittle.472 Der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der betroffenen Person sei nicht zwingend derjenige, zu dem eine enge Verbindung bestehe.473 So ermittele man 2059 (2061); Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (432); Hau, GRUR 2018, 163 (164); Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (261); ders., in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (93); ders., JZ 2012, 189 (192); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 62; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 177; Lederer, K&R 2011, 791 (792); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (508, 514 f.); Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (482); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (22); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (221); Wolter, jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3. 468 Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality. JLS/2007/C4/028. Final Report, S. 145; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (433); Garber, ÖJZ 2012, 108 (117). 469 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (433); Garber, ÖJZ 2012, 108 (117); Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (375); Hess, in: Hess/Mariottini, 2015, S. 81 (93); Magallón, Country of Origin Versus Country of Destination and the Need for Minimum Substantive Harmonisation, 20.07.2010, ; Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 309; Nikas, in: FS Gottwald, 2014, S. 477 (482); Schlüter, AfP 2010, 340 (349). 470 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (432). 471 Álvarez Rubio/Agoués Mendizábal/Iruretagoiena Agirrezabalaga/Magallón Elósegui, Difamación y protección de los derechos de la personalidad, 2009, S. 224; Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (378); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 61 (diesen Ausnahmefällen sei aber im Wege der Ausweichklausel zu begegnen, Rn. 62); ders./Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 11 Rn. 32. 472 v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 64; Lorente Martínez, CDT 4 (2012), 277, Rn. 42; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 221, 289; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 39; M. Weller, in: FS Kaissis, 2012, S. 1039 (1048, 1050). 473 Bach, EuZW 2018, 68 (70); Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1221); Reymond, La compétence internationale en cas d’atteinte à la personnalité par Internet, 2015, Rn. 1131; ders., YbPIL 13 (2011), 493 (500); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (223).
B. Die lex loci delicti commissi
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nicht die lex loci delicti, sondern ordne die Fallgruppe der Persönlichkeitsrechtsverletzungen letztlich doch dem Personalstatut zu.474 Andere geben zu bedenken, dass die Grenzen von Schadens- und Erfolgsort auf diesem Wege vermischt würden.475 Zu bedenken sei auch, dass Prominente, die am häufigsten von Persönlichkeitsrechtsverletzungen betroffen seien, ihren gewöhnlichen Aufenthalt gerne nach steuerlichen Gesichtspunkten aussuchten und dann häufig das Persönlichkeitsschutzrecht solcher Staaten zur Anwendung komme.476 Zweifel bestehen auch daran, ob der gewöhnliche Aufenthalt für den Veröffentlichenden tatsächlich so klar zu erkennen sei, wie angenommen wird.477 Überhaupt bevorzuge eine pauschale Anknüpfung an ihren gewöhnlichen Aufenthalt die betroffene Person zu sehr.478 Parallel dazu würden die Interessen der Veröffentlichenden entsprechend zu stark vernachlässigt.479 An seine Grenzen komme eine solch abstrakte Bestimmung des Erfolgsorts auch bei Kollektivbeleidigungen.480 Aus diesen Gründen und angesichts der unterschiedlichen Fallgestaltungen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen sei der Flexibilität gegenüber rigider Pauschalität und Vorhersehbarkeit der Vorzug zu geben.481
474
Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (10). Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 337. 476 v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, . 477 Carpi, in: FS R. Stürner, 2013, S. 1191 (1192); Ettig, K&R 2018, 33 (34); v. Hinden, ZEuP 2012, 940 (950); Klöpfer, JA 2013, 165 (170); Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1221); Reymond, YbPIL 13 (2011), 493 (502). 478 Im Rahmen der internationale Zuständigkeit wurde nach eDate kritisiert, dass so ein forum actoris geschaffen werde, so Bach, EuZW 2018, 68 (70); Carpi, in: FS R. Stürner, 2013, S. 1191 (1192); Guiziou, Clunet 2012, 201 (207 f.); Hau, GRUR 2018, 163 (163); Klöpfer, JA 2013, 165 (169); Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1220 f.); Leible, LMK 2012, 329468; Lorente Martínez, CDT 4 (2012), 277, Rn. 40; Mankowski, LMK 2017, 400139; Merchán Murillo, CDT 10 (2018), 887 (893); Wolter, jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3; Thiede, ecolex 2012, 131 (132); ders., GPR 2012, 219 (220 f.). 479 Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 337; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 406. 480 Rieländer, EuZW 2021, 884 (886 ff.). 481 Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 10; Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (335, 340); Reymond, La compétence internationale en cas d’atteinte à la personnalité par Internet, 2015, Rn. 1135; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 289. 475
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
dd) Der Interessenmittelpunkt einer juristischen Person Seltener diskutiert wird dagegen die Frage, wo sich der Mittelpunkt der Interessen bei Gesellschaften und juristischen Personen befindet.482 Wie Generalanwalt Bobek zutreffend ausführte, ist es nicht die Aufgabe des IPR, sondern des Sachrechts, über den Bestand und die inhaltliche Reichweite eines Unternehmenspersönlichkeitsrechts zu befinden.483 Da es Rechtsordnungen gibt, die ein Unternehmenspersönlichkeitsrecht zumindest in einigen Aspekten anerkennen, muss das IPR auch für diese Konstellationen eine Kollisionsnorm bereitstellen. Denkbar wäre zunächst, den pauschalisierten Interessenmittelpunkt am gewöhnlichen Aufenthalt eines Unternehmens zu verorten. Gem. Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO befindet sich dieser grundsätzlich am Ort der Hauptverwaltung, in Einzelfällen am Ort der Zweigniederlassung. Wie Art. 23 Abs. 1 UAbs. 2 Rom II-VO zeigt, ist diese Definition aber nur für jene Fälle gedacht, in denen das Unternehmen auf der Schädigerseite steht. Problematisch ist daran zudem, dass das Unternehmen zwar seine Hauptverwaltung in einem bestimmten Staat haben mag, aber gleichwohl in keinerlei engerem Bezug zu diesem Staat stehen muss, sondern – wie im Fall Bolagsupplysningen484 – nur in anderen Staaten wirtschaftlich aktiv ist und dementsprechend im Wesentlichen nur dort in einem Verhältnis zum zugehörigen Umfeld steht und eine Reputation hat. Einigkeit besteht daher, dass jedenfalls der Ort des Satzungssitzes irrelevant sei.485 Dieser sei nämlich manipulierbar und entspreche nicht unbedingt den Erwartungen des Veröffentlichenden.486 Auch der Vorschlag, für die Bestimmung des Interessenmittelpunkts eines Unternehmens Art. 4 EuInsVO heranzuziehen, wonach das Insolvenzverfahren am „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ des Insolvenzschuldners zu eröffnen ist,487
482
Auf die Schwierigkeit dieser Bestimmung weist schon GA Léger hin: Schlussanträge GA Léger, 10.01.1995, C-68/93, ECLI:EU:C:1994:303, Fiona Shevill u.a. ./. Presse Alliance SA, Rn. 46 f. 483 Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 53 ff. 484 Siehe oben S. 177 f. 485 Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 111 f.; v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 63; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (364); Klinkert, WRP Die erste Seite 2017, Nr. 12; Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2; A. Stadler, JZ 2018, 94 (95); 486 Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (210). 487 Dafür v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 63; Kontogeorgou, GPR 2018, 23 (26).
B. Die lex loci delicti commissi
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stößt auf Ablehnung, weil dieser den Blick auf den Schuldner und nicht den Kläger richte.488 Aus denselben Erwägungen hat sich auch der EuGH dafür entschieden, dass sich der Interessenmittelpunkt einer juristischen Person dort befindet, wo ihr geschäftliches Ansehen am gefestigtsten ist; dies sei der Ort, an dem sie den wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausübe.489 Wenn sich diese hingegen nicht überwiegend in einem Mitgliedstaat konzentriert, dann könne kein Interessenmittelpunkt festgestellt werden, d.h. einem klagenden Unternehmen steht der Gerichtsstand am Interessenmittelpunkt als Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nicht zur Verfügung.490 An der Entscheidung des EuGH wird kritisiert, dass die Formel viele Fragen unbeantwortet lasse und zu unpräzise sei.491 Dies bereite vor allem bei global agierenden Unternehmen492 Schwierigkeiten und zugleich bei solchen, die überhaupt nicht auf Profit ausgerichtet sind.493 Rechtssicherheit durch eindeutige Vorhersehbarkeit der Gerichtsstände bestünde bei der aktuellen Formel des EuGH jedenfalls nicht.494 Kubis schlägt angesichts dieser Unklarheiten vor, bei Unternehmen den Interessenmittelpunkt am Verwaltungssitz zu vermuten.495 Generalanwalt Bobek wiederum regte an, in diesen Fällen mehrere Interessenmittelpunkte anzuerkennen.496 488 Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 106 ff.; Bach, EuZW 2018, 68 (71); A. Stadler, JZ 2018, 94 (95 f.). 489 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 41; ebenso v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 63; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (364). 490 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 43; so auch schon Klöpfer, JA 2013, 165 (170). 491 Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 73; Bach, EuZW 2018, 68 (72); ders., NJW 2017, 3433 (3436); Hau, GRUR 2018, 163 (164); Lutzi, LQR 134 (2018), 208 (210); Mankowski, LMK 2017, 400139. 492 Bach, NJW 2017, 3433 (3436); Ettig, K&R 2018, 33 (34); Hollowitz, EWiR 2018, 287 (288). 493 Márton, CJEU on the place of the damage under Article 7(2) of Brussels Ia as regards violation of personality rights of a legal person, . 494 Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 74; Ettig, K&R 2018, 33 (34); Kontogeorgou, GPR 2018, 23 (26); Kubis, WRP 2018, 139 (143). 495 Kubis, WRP 2018, 139 (143); ders., Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 166 f. (hier allerdings im Rahmen einer Handlungsortsanknüpfung). 496 So Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 116; ebenso Hess, JZ 2012, 189 (191, Fn. 50); Lorente Martínez, CDT 4 (2012), 277, Rn. 36; Wurmnest, in: jurisPK-BGB,
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
ee) Stellungnahme Grundsätzlich ist in dem Staat, in welchem die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ein Interesse an der Veröffentlichung zu erwarten. Denn dort befinden sich typischerweise ihr soziales Umfeld und ihre zentralen Kontakte. Dort wird sie in ihrem Alltag die Folgen einer schädigenden Veröffentlichung meist am stärksten zu spüren bekommen. Insofern hat es seine Berechtigung, am gewöhnlichen Aufenthalt den typischen Schädigungsschwerpunkt einer Persönlichkeitsrechtsverletzung anzunehmen. Allerdings weist eine Veröffentlichung häufig auch Verbindungen zu anderen Staaten auf, die bei einer pauschalen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen gänzlich vernachlässigt werden. Denn diese Anknüpfungsregel schaut allein auf ein abstraktes Merkmal der betroffenen Person und lässt weder Raum für den Kontext der Veröffentlichung noch für die Interessen des Veröffentlichenden. Eine solch pauschale Anknüpfung läuft Gefahr, die Meinungsfreiheit über Gebühr einzuschränken. Insofern handelt es sich bei dem Gedanken, dass der Schädigungsschwerpunkt häufig am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen ist, zwar durchaus um einen sinnvollen und berechtigten Ansatzpunkt, aber auch nicht um mehr – und insbesondere nicht um einen Regelfall, der eine entsprechende typisierte Anknüpfung rechtfertigen könnte. In dieser Hinsicht erweist sich der Fall Sieben Tage in Moskau als lehrreich.497 Kritisiert wird an der Entscheidung des BGH beispielsweise, dass man hinsichtlich der Bedeutung der russischen Sprache nicht auf die gesamte Bevölkerung in einem Staat abstellen dürfe, sondern das konkrete Umfeld des Betroffenen maßgeblich sei.498 Wenn also eine Kenntnisnahme der Veröffentlichung durch dessen individuelles Umfeld zu irgendeinem Zeitpunkt denkbar ist, sei dies auch die am schwersten wiegende Beeinträchtigung und daher der maßgebliche Erfolgsort. Dahinter liegt aber ein größeres Problem: Natürlich ist es wahrscheinlich, dass der Betroffene in seinem alltäglichen Umfeld Nachteile durch die Veröffentlichung erleben könnte. Dafür ist es auch irrelevant, ob der Großteil der Bevölkerung in diesem Staat die Veröffentlichung tatsächlich verstehen kann oder nur sein direktes Umfeld. Aber allein dass der Betroffene an seinem gewöhnlichen Aufenthalt die Auswirkungen auch zu spüren bekommt, macht den gewöhnlichen Aufenthalt nicht zum primären Erfolgsort. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts kann gleichwohl nur geringfügig sein verglichen mit dem Erfolg in anderen Staaten. Insbeson9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 104; dies sei zumindest diskussionswürdig, so Ettig, K&R 2018, 33 (34); dagegen Klöpfer, JA 2013, 165 (170); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (221). 497 Siehe oben S. 188. 498 Thorn, in: FS v. Hoffmann (2011), S. 746 (761); a.A. Prütting, in: GS Hübner, 2012, S. 425 (432).
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dere nähert sich der Erfolgsort am gewöhnlichen Aufenthalt stark einem reinen Schadensort an, der für die Ermittlung des anwendbaren Rechts außer Betracht zu bleiben hat (vgl. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO a.E.).499 Im Fall Sieben Tage in Moskau hat der BGH daher den Umstand in den Fokus gerückt, dass die maßgebliche Veröffentlichung inhaltlich, zeitlich und sprachlich in enger Verbindung mit dem Klassentreffen in Russland stand. Denn der Geschädigte hatte sich freiwillig ins Ausland begeben und sich damit auch einer Rechtsgüterschädigung im Ausland potentiell ausgesetzt. Dass der Geschädigte auch in Deutschland die Auswirkungen zu spüren bekommt und dort einen Umgang damit finden muss, ist dem hingegen nur nachgelagert. Ein anderer Aspekt, der gegen den abstrakten Ansatz angeführt werden kann, ist, dass gerade in sozialen Medien die Erkennbarkeit des gewöhnlichen Aufenthalts und damit das Argument der besonders guten Vorhersehbarkeit fragwürdig erscheint. Wenn jemand im Rahmen einer Online-Diskussion auf den Beitrag eines anderen Nutzers reagiert, dann wird ein räumlicher Bezug vorrangig über den Inhalt der Diskussion geschaffen, nicht über den gewöhnlichen Aufenthalt der einzelnen Personen. Ein reagierender Nutzer wird sich daher überhaupt keine Gedanken darüber machen, wo sein Vorredner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Und selbst wenn er sich veranlasst sehen sollte, dem nachzuspüren, ist es nicht selbstverständlich, dass er damit Erfolg hat. Denn dies hängt maßgeblich davon ab, ob jene Person in ihrem Online-Profil solche persönlichen Daten für Dritte einsehbar eingestellt hat. Die teilweise stark geminderte Vorhersehbarkeit bei einem abstrakten Ansatz hat nun auch den EuGH dazu bewogen, zumindest bei Kollektivbezeichnungen, die nicht die Identifizierung einer konkreten Person ermöglichen, eine Erfolgsortszuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt zu verweigern.500 Die Probleme einer pauschalen Anknüpfung zeigen sich daneben auch gerade bei juristischen Personen. Wenn die schädigende Veröffentlichung von einem einfachen Internetnutzer stammt, erschließt sich beispielsweise nicht, warum dasjenige Recht Anwendung finden soll, mit dem das Unternehmen am engsten verbunden ist, auch wenn wirtschaftliche Tätigkeiten in einem anderen Staat im konkreten Fall anlassgebend für die Veröffentlichung waren. Ein Lösungsansatz könnte sein, die Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt auf natürliche Personen zu beschränken, wie es der EuGH für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO im Falle der Uneindeutigkeit vorschlägt.501 Das würde aber zum Ausdruck bringen, dass diese Anknüpfung letztlich doch vorrangig 499 Ähnlich zum IZVR I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 220. 500 EuGH, Urteil vom 17.06.2021 – C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, siehe oben S. 180 f. Zust. Gärditz, AfP 2021, 316 (317); Lutzi, JZ 2021, 833 (835). 501 EuGH, Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 43.
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aus der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person folgt und gerade nicht die engste Verbindung ermitteln möchte. Zudem stellt sich in der Folge die Frage, welches Recht auf die Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts stattdessen Anwendung finden soll. Schließlich ist festzuhalten, dass eine allgemeine Ausweichklausel, die auf eine offensichtlich engere Verbindung verweist (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 41 Abs. 1 EGBGB), in jenen Fällen nicht ausreichend ist, in denen die berechtigten Erwartungen des Veröffentlichenden eine Anwendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Beeinträchtigten ausschließen. Zwar ist eine solche Klausel zunächst dafür gedacht, für atypische Fälle eine andere Lösung zu ermöglichen. Dies setzt aber eben voraus, dass es sich um außergewöhnliche Situationen handelt. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien gibt es jedoch viele denkbar unterschiedliche Konstellationen, bei denen dann auch die Interessenverteilung zu unterschiedlich ist, um von typischen und atypischen Fällen sprechen zu können. Aus diesen Gründen ist eine pauschale und uneingeschränkte Verortung am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person abzulehnen und stattdessen den nachfolgend dargestellten Ansichten der Vorzug zu geben. b) Ausrichtung der Veröffentlichung Inhalte werden veröffentlicht, damit sie von anderen zur Kenntnis genommen werden. Bei klassischen Mediendelikten wird diese Intention dadurch verwirklicht, dass ein Presseprodukt gezielt in bestimmten Staaten verbreitet oder eine Sendung in bestimmten Staaten ausgestrahlt wird. Im Internet wiederum gibt es zwar keinen gezielten Verbreitungsakt für bestimmte Regionen. Im Wege des Geoblockings kann aber die Abrufbarkeit in manchen Regionen gezielt ausgeschlossen werden. Gelegentlich kann auch aufgrund des Kontextes der Veröffentlichung wie beispielsweise aufgrund der Sprache, des inhaltlichen Zusammenhangs, regionaler Berührungspunkte, der sonstigen Ausgestaltung der Seite (Top-Level-Domain, Werbung, Bestellmöglichkeiten) auf ein objektiv erkennbares Ausrichten geschlossen werden. Darauf aufbauend wird vorgeschlagen, dass die Ausrichtung der Veröffentlichung auf ein konkretes Publikum das maßgebliche Kriterium für die Begrenzung der Erfolgsorte sein soll.502 502 So noch zu Presseverletzungen z.B. BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 24/75, NJW 1977, 1590 – profil; Thiede, Internationale Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2010, S. 386. Auch für Delikte im Internet: Boskovic, Boskovic on Rome II and Defamation, 20.07.2010, ; Nagy, JPIL 8 (2012), 251 (293 ff.); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 43 a.E. Auch der Vorschlag des Europäischen Parlaments von 2012 sah für „publication of printed matter or by a broadcast“ vor, dass grundsätzlich das Recht jenes Staats Anwendung finden solle, auf welches die Veröffentlichung hauptsächlich ausgerich-
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aa) Die Begründung Für diesen Ansatz wird zunächst angeführt, dass man so das Verbreitungselement herkömmlicher Medien auf das Internet übertragen könne und dadurch einen technologieneutralen Ansatz gewinne.503 Zudem entspreche dies auch der Realität, denn die meisten Veröffentlichungen seien in sprachlicher und inhaltlicher Hinsicht auf ein konkretes, regional bestimmbares Publikum ausgerichtet.504 Kernargument dieses Ansatzes ist, dass es letztlich in der Hand des Schädigers liege, welche Rechtsordnung(en) zur Anwendung käme(n); das anwendbare Recht sei für die veröffentlichende Person also steuerbar und vorhersehbar.505 Argumentiert wird außerdem, dass im europäischen Kollisionsrecht das „Ausrichten“ auch kein Fremdkörper sei, sondern das entscheidende Kriterium im internationalen Verbraucherschutzrecht des Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom IVO bzw. Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO darstelle, was auch belege, dass eine räumliche Begrenzung von Internetangeboten existiere.506 bb) Die Kritik Dieser Ansatz konnte sich bislang jedoch nicht durchsetzen. Gegen das Ausrichten als maßgebliches Kriterium wird angeführt, dass schon der Versuch als solcher, von Pressedelikten auf Internetdelikte zu schließen, verfehlt sei, weil das Einstellen ins Internet und das Zum-Abruf-Bereithalten einem „Verbreiten“ nicht entspreche und auch nicht in gleichem Maße steuerbar und
tet war (Art. 5a Abs. 3 Rom II-VO-E, P7_TA(2012)0200, Law applicable to non-contractual obligations (Rome II) European Parliament resolution of 10 May 2012 with recommendations to the Commission on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II) (2009/2170(INI)). Entspr. zum IZVR Schlussanträge GA Hogan, 16.09.2021, C-251/20, ECLI:EU:C:2021:745, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 87 ff.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 701 (702 f.); Damm, GRUR 2010, 891 (893); Degmair, K&R 2010, 341 (342); Feldmann, jurisPR-ITR 8/2010 Anm. 2; Frey, ZUM 2010, 527 (528); Nordmeier, LMK 2010, 296245; Reymond, YbPIL 14 (2012/2013), 205 (215 ff.); ders., YbPIL 13 (2011), 493 (499 ff.). Zur örtlichen Zuständigkeit nach § 32 ZPO: LG Krefeld, Urteil vom 14.09.2007 – 1 S 32/07, MMR 2007, 798 (799); LG Hannover, Beschluss vom 28.04.2008 – 9 O 44/06, BeckRS 2009, 87595 (bestimmungsgemäßer Abruf durch den Betroffenen); AG Charlottenburg, Beschluss vom 19.12.2005 – 209 C 1015/05, MMR 2006, 254 (255). 503 Damm, GRUR 2010, 891 (893); 504 Heinze, EuZW 2011, 947 (948); Schlüter, AfP 2010, 340 (347). 505 Nagy, JPIL 8 (2012), 251 (294). Entspr. zum IZVR OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 702; Damm, GRUR 2010, 891 (893); Degmair, K&R 2010, 341 (342 f.); Frey, ZUM 2010, 527 (528). 506 Heinze, EuZW 2011, 947 (948 f.); Staudinger, NJW 2010, 1752 (1755).
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kontrollierbar sei.507 Ebenso eigne sich eine Übertragung des „Ausrichtens“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO nicht für das Deliktsrecht, weil es für das Vertragsrecht entwickelt wurde und sich zwangsläufig auf eine geschäftliche Tätigkeit beziehe.508 Auch entferne sich dieser Ansatz zu weit von dem Begriff des Erfolgsorts als solchem, denn dafür solle nicht die Intention des Schädigers, sondern der Ort der tatsächlichen Verletzung des Rechtsguts maßgeblich sein.509 Im Ergebnis würden die Geschädigteninteressen vernachlässigt und der Veröffentlichende zu stark bevorzugt.510 Hinzu kämen praktischen Schwierigkeiten: Ein „Ausrichten“ sei schwer zu beweisen und zu subsumieren, weil es häufig eben nicht eindeutig sei;511 es entstünden daher Probleme bei der Vorhersehbarkeit.512 Gerade in sozialen Medien werde es regelmäßig an einem Ausrichten gänzlich fehlen oder nur auf eine virtuelle Gemeinschaft, nicht aber auf einen Staat abgezielt.513 Überhaupt eigne sich das Kriterium „Ausrichten“ nur bei marktbezogenen Delikten wie Wettbewerbsverletzungen; Persönlichkeitsrechtsverletzungen hingegen setzten keine Marktbeeinflussung voraus und der Erfolg trete unabhängig von der 507 Adena, RIW 2010, 868 (871); Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (427); Garber, ÖJZ 2012, 108 (115); v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 133 ff.; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 79; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 254; M. Weller, in: FS Kaissis, 2012, S. 1039 (1046); ders., LMK 2010, 305128; ablehnend auch LG Mosbach, Beschluss vom 28.06.2007 – 1 T 22/07, BeckRS 2009, 06972. 508 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 78. 509 Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 71; Adena, RIW 2010, 868 (871); Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (426); Hess, JZ 2012, 189 (191); v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (584). 510 Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 11; Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (427); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016, S. 250. 511 Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 68.Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (427); Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 80 f., 197; v. Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 148 ff.; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 176 ff.; Oster, Int Rev Law Comput Tech 26 (2012), 113 (118). 512 Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 62, m.w.N.; Adena, RIW 2010, 868 (871); Garber, ÖJZ 2012, 108 (115); Hess, JZ 2012, 189 (190). 513 Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 178; Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.52; Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (22, 24).
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Intention des Schädigers durch die Kenntnisnahme Dritter ein.514 Schließlich wird darauf hingewiesen, dass, wer über das Internet veröffentliche, mit weltweiter Kenntnisnahme rechnen müsse und es daher keine zufälligen Abruforte geben könne; das Kriterium des „Ausrichtens“ führe daher zu keinerlei Begrenzung.515 cc) Stellungnahme Die Rechtsordnung desjenigen Staats auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen anzuwenden, auf den der Schädiger seine Veröffentlichung ausgerichtet hat, scheint auf den ersten Blick überzeugend. Denn der Veröffentlichende kann selbst das maßgebliche Anknüpfungskriterium steuern. Wenn der Veröffentlichende vernünftige Maßnahmen getroffen hat, um eine Weiterverbreitung unwahrscheinlich zu machen, kann das unter diesem Ansatz berücksichtigt werden. Typischerweise führt eine solche Anknüpfung auch zu dem Ort, an dem die Veröffentlichung auf das größte Interesse stößt, am häufigsten zur Kenntnis genommen wird und daher auch das geschützte Rechtsgut besonders stark beeinträchtigt wird. Insoweit ist dieser Ansatz geeignet, einen gerechten Interessenausgleich herzustellen. Auf den zweiten Blick zeigen sich jedoch mehrere Schwächen: Problematisch ist, dass ein „Ausrichten“ bei Internetveröffentlichungen bei Weitem nicht so eindeutig feststellbar ist wie noch bei klassischen Pressedelikten. So zeigt der Entschluss, ein Presseprodukt in einem konkreten Staat zu vertreiben, einen objektiv feststellbaren Willen, seine Veröffentlichung auf diesen Staat auszurichten. Im Internet hingegen muss man mit weicheren Indizien hantieren und stößt schnell auf Uneindeutigkeiten. Zwar kann der Einsatz von Geoblocking noch als eine eindeutige Bemühung des Veröffentlichenden gewertet werden, die Veröffentlichung in bestimmten Regionen nicht vertreiben zu wollen. Darin liegt aber mehr ein Ausschließen eines potentiellen Publikums denn ein aktives Ausrichten auf alle anderen Regionen. Noch weniger klar ist das „Ausrichten“ beispielsweise bei einer Nutzerin sozialer Medien, die eine Veröffentlichung durch entsprechende Einstellungen nur für ihre persönlichen Kontakte einsehbar macht, wenn sich ihre Kontakte zwar zu 80 Prozent hauptsächlich in einem bestimmten Staat aufhalten, die anderen 20 Prozent aber weltweit verstreut leben. Hinzukommt die – eventuell sogar unbekannte – Mobilität der einzelnen Online-Kontakte. In diesen Fällen kann 514 BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 18 – New York Times; Beschluss vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08, GRUR 2010, 261, Rn. 19; Sujecki, EuZW 2010, 313 (319); krit. Schlüter, AfP 2010, 340 (346). 515 Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 173 f.; I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 254 f.; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 295 f., 297.
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man zwar ein Ausrichten auf eine konkrete Personengruppe, nicht aber auf einen Staat oder eine Region feststellen. Bei Veröffentlichungen, die uneingeschränkt zur Abrufbarkeit online gestellt werden, kann eine objektiv erkennbare Ausrichtungsintention der Veröffentlichenden zwar im Einzelfall gegeben sein; das Kriterium der Ausrichtung zeigt sich gerade dann aber als besonders problematisch. Hier kann man zwar auf Indizien wie jene des internationalen Verbrauchervertragsrechts zurückgreifen. Diese können ein tatsächliches Ausrichten nahelegen, jedoch nicht einer bewussten Vertriebsentscheidung eines Presseunternehmens gleichkommen. Speziell das Kriterium der Originalsprache ist in Zeiten einer automatischen Übersetzungsfunktion oder beispielsweise bei englischsprachigen Veröffentlichungen nur sehr begrenzt oder oft überhaupt nicht nützlich.516 Für eine größere Fallgruppe der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien schließlich kann dieser Ansatz überhaupt keine Antwort bieten, denn nicht selten fehlt es bei einer unbeschränkt abrufbaren Veröffentlichung an einem Ausrichten überhaupt. So werden viele Internetinhalte zur allgemeinen Kenntnisnahme für Interessierte bereitgestellt, ohne dass der Veröffentlichende ein konkretes an geografischen Maßgaben orientiertes Publikum vor Augen hat. Denkbar ist auch, dass der Veröffentlichende zwar mit einem Interesse in einer konkreten Region rechnete, aber auch gegen ein darüber hinaus gehendes Interesse nichts einzuwenden hätte. Häufig ist eine weltweite Abrufbarkeit eben gerade gewollt. Eine Begrenzung der Zahl der Erfolgsorte durch das Kriterium des Ausrichtens liegt dann nicht mehr vor, sondern reduziert sich faktisch auf die reine Abrufbarkeit. Somit fehlt es in vielen Fällen schlicht an einem solchen Ausrichten, das dann zum anwendbaren Recht führen könnte.517 Festzuhalten ist daher, dass zwar in einigen Fällen ein Kriterium des „Ausrichtens“ zu einer interessengerechten Lösung führen kann. Aber dies erfasst eben nur einen Bruchteil der zu behandelnden Fälle, während andere nur mit Schwierigkeiten darunter zu subsumieren sind oder letztendlich zu einer Vielzahl von anzuwendenden Rechtsordnungen führen. c) Der konkrete Ansatz Als konkreter Ansatz sollen hier all jene Vorschläge gelten, die den konkreten Schwerpunkterfolgsort im Einzelfall anhand eines Indizienbündels identifizieren wollen. 516 Vgl. z.B. P.-A. Brand, NJW 2011, 2059 (2061); Garber, ÖJZ 2012, 108 (114 f.); Márton, Violations of Personality Rights through the Internet: Jurisdictional Issues under European Law (2016), S. 57. 517 Ähnlich v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (584); Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.52.
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Auch beim „Ausrichten“ handelt es sich eigentlich um einen konkreten Ansatz, der jedoch hinsichtlich der zu berücksichtigenden Element des jeweiligen Sachverhalts deutlich beschränkter als die nachfolgend dargestellte Ansicht ist. Ebenso gestatten pauschale Anknüpfungen mit Vorhersehbarkeitsvorbehalt im Ergebnis eine umfassende Berücksichtigung der Einzelfallumstände. Der reine und umfassende konkrete Ansatz unterscheidet sich hiervon aber dadurch, dass er einen vollständigeren Blick auf die Umstände gestattet und diese nicht nur als Korrektiv, sondern als zentralen Betrachtungsgegenstand benennt. aa) Darstellung Ein rein konkreter Ansatz zur Ermittlung des Schwerpunkterfolgsorts verzichtet auf eine allgemeingültige Definition und betrachtet stattdessen die Umstände des Einzelfalls. Wie ein solch konkreter Ansatz in der Praxis aussehen könnte, ist am besten an der Herangehensweise des BGH zu § 32 ZPO ersichtlich,518 der sich stark an der Arbeit von I. Roth orientiert.519 Eine solche Lösung, die den Kontext der konkreten angeblichen Verletzung berücksichtigt, legten auch die jeweiligen Generalanwälte dem EuGH in den bisher entschiedenen Fällen nahe.520 Ebenso sprechen sich weitere Stimmen in der Literatur für einen solchen einzelfallbezogenen Ansatz aus.521 Dabei kommt es immer auf den objektiven Blick auf den Sachverhalt und nicht etwa auf die 518
Siehe oben S. 186–194. I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 221. 520 Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 58 ff.; Schlussanträge GA Bobek, 13.07.2017, C-194/16, ECLI:EU:C:2017:554, Bolagsupplysningen OÜ u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 100 f.; Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, Rechtssachen C-509/09 u.a., ECLI:EU:C: 2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rz. 60. 521 Auda, JPIL 12 (2016), 106 (115 f.); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 261 f. (für das Rechtsgut Ehre); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 412, 404 ff.; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 315. Wohl auch Hohloch, in: Erman, 16. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 18c. Auch Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1701 ff.), ist hierzu zu zählen, der sich zwar dafür ausspricht, überhaupt keine Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen festzulegen, sondern es den Gerichten zu überlassen, die engste Verbindung im Einzelfall zu ermitteln. Dafür verweist er auf Kriterien, die jenen des BGH stark ähneln. Dem BGH für das IZVR zust. Adena, RIW 2010, 868 (871 f.); Korte, in: Leible/Kutschke, 2013, S. 103 (121); Musiol, GRUR-Prax 2010, 67; Nelles, GRUR-Prax 2010, 201; Prütting, in: GS Hübner, 2012, S. 425 (433); Robak, GRUR-Prax 2011, 257 (257); W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (219 ff., 223); Sujecki, EuZW 2010, 313 (319); Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (756 f.); M. Weller, FS Kaissis, S. 1039 (1046 ff.); ders., LMK 2010, 305128. Ähnlich Feraci, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 461 (468 f.); Kuipers, CML Rev. 49 (2012), 1211 (1220 ff.); Rieländer, EuZW 2021, 884 (888 f.). 519
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subjektiven Erwartungen und Vorstellungen des Veröffentlichenden an.522 Zentraler Bezugspunkt für diesen Ansatz sind nicht die beteiligten Personen, sondern ist die Veröffentlichung selbst. Bei der Einzelfallbetrachtung können verschiedene Indizien berücksichtigt werden. Dabei sollte der Blick auf Art, Inhalt und Reichweite der Veröffentlichung gerichtet werden.523 Wenn der Inhalt der Veröffentlichung einen klaren geografischen Bezug enthält, dann spricht bereits viel dafür, den Erfolgsort bei objektiver Betrachtung dort anzusiedeln.524 Konkret schlägt beispielsweise Oster die Berücksichtigung folgender Aspekte vor: Der Interessenmittelpunkt des Geschädigten, die Relevanz einer Nachricht in einem Staat, wie wahrscheinlich die Kenntnisnahme in einem Staat gerade im Vergleich zu anderen erscheint, der Ort, an dem die nachrichtengegenständlichen Handlungen stattgefunden haben, die Anzahl der Abrufe, die Umstände der Kommunikation wie die Sprache und die Top-Level-Domain, die Rubrik, in der die Information geführt wird, Werbung, die verwendete Währung sowie zuletzt eindeutiges Verhalten des Veröffentlichenden wie ein eindeutiges Ausrichten insbesondere unter der Verwendung von Geblocking.525 bb) Die Begründung Für eine solche Vorgehensweise wird angeführt, dass sie mit dem Ziel, den Staat mit der engsten Verbindung zum Sachverhalt zu ermitteln, am besten vereinbar sei.526 Die Befürworter dieser Herangehensweise sehen darin einen angemessenen Ausgleich der tangierten Interessen.527 Denn dieser Ansatz biete die erforderliche Flexibilität, um die besonderen Umstände des Einzelfalls hinreichend zu berücksichtigen.528 Häufig führe dies zwar ebenfalls zum 522 I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 282. 523 So zum IZVR Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021: 124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 63 ff.; Rieländer, EuZW 2021, 884 (888 f.). 524 GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 67; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 406; I. Roth, Die international Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 280. 525 Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 406 ff, 412. Ähnlich Feraci, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 461 (469); I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 278 ff. 526 Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 63 f.; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 406; W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (223). 527 I. Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 2007, S. 289; Sujecki, EuZW 2010, 313 (319); M. Weller, FS Kaissis, S. 1039 (1050 f.). 528 M. Weller, FS Kaissis, S. 1039 (1047).
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gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen, aber eben nicht zwingend.529 Für die Beteiligten bestehe insgesamt eine bessere Vorhersehbarkeit.530 Auch die Schwierigkeiten, den Interessenmittelpunkt nach Ansatz des EuGH bei juristischen Personen531 sowie bei Kollektivbeleidigungen532 zu bestimmen, zeigten, dass nur eine konkrete Schwerpunktbestimmung sinnvoll sei. cc) Kritik Der zentrale Vorwurf gegen einen indiziengestützten konkreten Ansatz ist, dass er in der Praxis zu kompliziert und uneindeutig ist.533 Dies wiederum sei ein Quell für die Unvorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts.534 Der Ort der Interessenkollision sei für den Veröffentlichenden überhaupt nicht kontrollierbar, weil dieser sich auch erst im Nachhinein herauskristallisieren könne und dabei Zufälligkeiten unterliege.535 Da in aller Regel auch nach diesem Ansatz der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen der Erfolgsort sei, seien die zusätzlichen Kriterien des BGH überflüssig und führten nur zu schwierigen Bewertungsfragen.536 Subsumtionsprobleme ergäben sich zudem beim postmortalen Persönlichkeitsrecht.537 Staudinger gibt zu bedenken, dass der BGH bei Unterlassungsansprüchen die Kognitionsbefugnis konsequenterweise auf Deutschland beschränken müsse; denn sobald der fragliche Inhalt nicht mehr aus Deutschland abrufbar sei, könne auch keine Interessenkollision bestehen.538 Spickhoff sieht darin eine Verlagerung der sachrechtlichen
529
Ebd.; Thorn, in: FS v. Hoffmann, 2011, S. 746 (749). Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 64; Schlussanträge GA Cruz Villalón, 29.03.2011, Rechtssachen C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:192, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rz. 63; Bach, EuZW 2018, 68 (71); Sujecki, EuZW 2010, 313 (319); M. Weller, FS Kaissis, S. 1039 (1048). 531 Bach, EuZW 2018, 68 (72). 532 Rieländer, EuZW 2021, 884 (886 ff.). 533 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (373, 443); Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 150. 534 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (443). Entsprechend zum IZVR P.-A. Brand, NJW 2012, 127 (129); ders., P.-A. Brand, NJW 2011, 2059 (2061); Damm, GRUR 2010, 891 (892 f.); Feldmann, jurisPR-ITR 8/2010 Anm. 2; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 190; Schlüter, AfP 2010, 340 (347). 535 Feldmann, jurisPR-ITR 8/2010 Anm. 2. 536 W.-H. Roth, IPRax 2013, 215 (221). 537 Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 191; Staudinger, NJW 2010, 1752 (1754). 538 Staudinger, NJW 2010, 1752 (1755). 530
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Abwägungsregeln auf die Ebene des Zuständigkeitsrechts.539 Speziell im Kontext des EU-IPR sei dies der falsche Weg, denn der europäische Gesetzgeber bevorzuge klare und rigide Kriterien.540 Auch führe dieser Ansatz nicht unbedingt zu eindeutigen Ergebnissen oder könne stattdessen sogar zu einer Vielzahl an Schwerpunkten führen.541 dd) Stellungnahme Von einer reinen Handlungsortsanknüpfung oder einem abstrakten Ansatz hebt sich dieser Ansatz sofort dadurch ab, dass der Blick nicht ausschließlich auf eine der beiden Parteien gelenkt wird, sondern die Veröffentlichung selbst im Mittelpunkt steht und die Betrachtung von deren Umständen es gestattet, die berechtigten Interessen und Erwartungen beider Seiten in Ausgleich zu bringen. Insofern erscheint dieser Ansatz am ehesten geeignet, einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen. Der Ansatz hat jedoch zwei Schwächen: Zum einen besteht die Gefahr, dass die Kriterien zu weich und einzelfallabhängig sind und dadurch die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts geschmälert ist. Zum anderen kann das Indizienbündel dazu führen, dass sich nicht eine Rechtsordnung klar herauskristallisiert, sondern gleich mehrere in Betracht kommen. Hinsichtlich des ersten Punktes ist zunächst anzumerken, dass die Parteien gerade mit dem Kontext der Veröffentlichung vertraut sind. In dem Fall Sieben Tage in Moskau542 beispielsweise stand die Veröffentlichung in enger Verbindung mit dem tatsächlichen Treffen der Beteiligten in Moskau. Die Entscheidung, auf einen solchen Fall russisches Recht anzuwenden, kommt daher nicht unerwartet, sondern stützt sich auf die zentralen Tatsachen des Falls. Man wird aber nicht umhinkommen, den hier beschriebenen Ansatz durch gerichtliche Entscheidungen noch weiter zu konturieren. Hingegen ist der zweite Aspekt deutlich bedenklicher. Denn schließlich soll ja gerade ein anwendbares Recht ermittelt werden. Dies ist aber nicht möglich, wenn die Indizien zu keinem eindeutigen Ergebnis führen. Dem kann so sein, wenn die Umstände zu mehreren Staaten gleichermaßen führen, oder auch dann geschehen, wenn sich eine Veröffentlichung an kein spezielles Publikum richtet. Daher empfiehlt es sich, in solchen Fällen subsidiär auf einen anderen Ansatz zurückzugreifen.543
539 Spickhoff, IPRax 2011, 131 (132); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (22), gibt hingegen zu bedenken, dass es gerade Eigenart der besonderen Gerichtsstände der Brüssel I-VO sei, dass Sachrecht und Zuständigkeitsrecht verwoben seien. 540 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (443). 541 Ebd.; Garber, ÖJZ 2012, 108 (116); Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 190 f. Siehe dazu auch oben S. 192 f. 542 Siehe oben S. 188. 543 Siehe unten S. 252–253.
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Der konkrete Ansatz hat also Schwächen, die es auszugleichen gilt. Gleichwohl erweist er sich als der richtige Weg, weil er es am besten vermag, einen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herbeizuführen. Denn während eine Handlungsortsanknüpfung einerseits allein die Interessen der Veröffentlichenden zum Maßstab macht544 und eine uneingeschränkte abstrakte Erfolgsortsanknüpfung andererseits nur die Interessen der Geschädigten berücksichtigt,545 kann man über eine konkrete Bestimmung des Erfolgsorts anhand aller Umstände des Einzelfalls einen tatsächlichen Interessenausgleich verwirklichen. Insbesondere kann man so der Vielzahl an unterschiedlichen Fallkonstellationen gerecht werden. d) Der Vorhersehbarkeitsvorbehalt Viele Vorschläge wählen eine Vorgehensweise, wonach der Erfolgsort am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person zu verorten ist, sofern dies die berechtigten Interessen des Veröffentlichenden nicht übermäßig beeinträchtigt. Diese Begrenzung zum Schutze des Veröffentlichenden gibt es in verschiedenen Ausprägungen, die zwar im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, aber demselben Grundgedanken folgen – nämlich die Umstände des Einzelfalls zu betrachten und die daraus folgenden berechtigten Interessen bei der kollisionsrechtlichen Entscheidung einfließen zu lassen. Im Kern handelt es sich bei diesen Ansätzen also ebenfalls um konkrete Ansätze wie bei den zuvor dargestellten Konzeptionen. aa) Darstellung Am häufigsten anzutreffen ist ein allgemeiner Vorhersehbarkeitsvorbehalt: Demnach soll grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person Anwendung finden, außer dies wäre für den Veröffentlichenden nicht vorhersehbar gewesen oder er habe nicht mit einer nennenswerten Kenntnisnahme in diesem Staat rechnen müssen.546 Im Falle der Unvorhersehbarkeit soll dann subsidiär auf das Recht am Handlungsort zurückgegriffen werden. Teilweise wird allgemein für eine gesetzliche Vermutung des Erfolgsorts am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person plädiert, 544
Siehe oben S. 162–167. Siehe oben S. 226–228. 546 Dahin gehen auch mehrere aktuelle nationale Kollisionsnormen: Albanien (Art. 67); Bulgarien (Art. 108); Japan (Art. 19, 17); Montenegro (Art. 55); Rumänien (Art. 2.642); Schweiz (Art. 139 IPRG); Türkei (Art. 35). Außerdem v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (590 ff.); ders., Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 1999, S. 170 ff.; Nielsen, JPIL 9 (2013), 269 (284); Thiede, Internationale Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2010, S. 390 f. Tendenziell auch Álvarez Rubio/Agoués Mendizábal/Iruretagoiena Agirrezabalaga/Magallón Elósegui, Difamación y protección de los derechos de la personalidad, 2009, S. 227. 545
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sodass man zwar den gewöhnlichen Aufenthalt als typischen Erfolgsort anerkennt, die Umständen des Einzelfalls aber hinreichend berücksichtigen kann.547 Sehr ähnlich ist der Ansatz, zunächst den tatsächlichen Erfolgsschwerpunkt zu ermitteln, im Falle der Unvorhersehbarkeit aber auf das Recht am Handlungsort zurückzugreifen.548 Meier möchte einen solchen Vorhersehbarkeitsvorbehalt sehr restriktiv ausgelegt wissen. Der Schädiger müsse dafür nachweisen, dass er tatsächliche Vorkehrungen gegen eine Abrufbarkeit im eigentlichen Schwerpunkterfolgsortsstaat getroffen hat.549 Eine lediglich inhaltliche Nähe zu einem bestimmten Staat wäre hingegen nicht ausreichend. bb) Die Begründung Der Vorhersehbarkeitsvorbehalt soll den berechtigten Interessen der Veröffentlichenden dienen.550 Auf diesem Wege werde dann ein angemessener Interessenausgleich erzielt, ohne eine der Parteien übermäßig zu bevorteilen.551 Zudem biete er die notwendige, aber auch hinreichende Flexibilität.552 Auch zwinge ein solcher Ansatz den Veröffentlichenden zu einer Folgenabschätzung, bevor er einen Inhalt veröffentliche.553
547 v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 64; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 315, 321. So auch der Vorschlag des Deutschen Rats für IPR zur Überarbeitung der Rom II-VO, abgedruckt bei A. Junker, RIW 2010, 257 (259). 548 Belgien (Art. 99 § 2 Nr. 1 Code de Droit International Privé); Art. 5a Abs. 1, 2 Rom II-VO-E, P7_TA(2012)0200 Law applicable to non-contractual obligations (Rome II) European Parliament resolution of 10 May 2012 with recommendations to the Commission on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to noncontractual obligations (Rome II) (2009/2170(INI)); v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/ Farah, 2015, S. 315 (341). 549 Meier, JPIL 12 (2016), 492 (517). 550 v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (340). 551 Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/ Farah, 2015, S. 315 (340 f.). 552 v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (340). 553 Kenny/Heffernan, Defamation and privacy and the Rome II Regulation, in: Stone/Farah, 2015, S. 315 (340).
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cc) Die Kritik Die Kritik eines Vorhersehbarkeitsvorbehalts verweist darauf, dass das Kriterium der Vorhersehbarkeit bei Schädigungen über das Internet grundsätzlich ungeeignet sei.554 Denn sobald jemand das Internet als Kommunikationsmittel verwende, sei dieser Person bekannt oder zumindest ohne weitere Umschweife erkennbar, dass die Veröffentlichung potentiell überall abgerufen werden kann; es gebe daher keine Rechtsordnung, deren Anwendung unvorhersehbar sei.555 Andere verweisen darauf, dass die Anwendung eines anderen Rechts als jenem am Handlungsort für den Schädiger schon dann hinreichend vorhersehbar sei, wenn die beeinträchtigte Person ihren Wohnsitz im Ausland habe.556 Teilweise wird auch kritisiert, dass ein Vorhersehbarkeitsvorbehalt letztlich die Einführung eines Sorgfältigkeitsmaßstabs bedeute; solche Fragen seien aber generell im Sachrecht zu verorten.557 Gefährlich sei außerdem, dass mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit letztlich ein subjektives Element maßgeblich werde.558 Schließlich könne es zu Manipulationen verleiten.559 dd) Stellungnahme Die verschiedenen Vorschläge eines Vorhersehbarkeitsvorbehalts sind zu begrüßen, denn sie erlauben es, den Kontext einer Veröffentlichung und die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Ein solcher Vorbehalt kann es ermöglichen, den berechtigten Erwartungen der veröffentlichenden Person zur Geltung zu verhelfen. Grundsätzlich könnte sich ein Vorhersehbarkeitsvorbehalt in das System der Rom II-VO gut einfügen. So bestimmt sich etwa auch das auf einen Produkthaftungsfall anzuwendende Recht zunächst nach der Anknüpfungsleiter des Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO. Wenn die in Anspruch genommene Person das so ermittelte Recht aber „vernünftigerweise nicht vorhersehen konnte“, soll stattdessen das Recht an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt angewendet werden (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO). Unabhängig von der Frage, in welchen Fäl-
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Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 234 f. 555 Ebd. Entspr. zum IZVR Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 174. 556 v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 62. 557 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 83; Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (72 f.); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 39. 558 Hess, JZ 2012, 189 (192); Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 30, Rn. 15. 559 Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 30, Rn. 15.
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len dieser Vorbehalt in Betracht kommt,560 zeigt dies zumindest, dass ein Vorhersehbarkeitsvorbehalt dem europäischen Deliktskollisionsrecht nicht systemfremd ist. Allerdings wird die Ausnahme des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO restriktiv ausgelegt; an der Vorhersehbarkeit fehlt es insbesondere dann, wenn das Produkt im fraglichen Land ohne Zustimmung des Schädigers in Verkehr gebracht wurde.561 Übertragen auf einen Vorhersehbarkeitsvorbehalt bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen würde eine solch restriktive Auslegungen bedeuten, dass nur eine Kenntnisnahme trotz entsprechender Gegenbemühungen des Schädigers als unvorhersehbar gewertet werden könnte, wie schon von Meier angeregt.562 Streng genommen wäre das nur dann der Fall, wenn der Schädiger im Wege des Geoblockings die Kenntnisnahme in einem speziellen Land von Anfang an unterbinden wollte und diese Zugangssperre sodann umgangen wird. Ein solch restriktives Verständnis der Vorhersehbarkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen wäre eindeutig, würde aber nicht den intendierten Zweck einer höheren Einzelfallgerechtigkeit erfüllen. Wenn man einen Vorhersehbarkeitsvorbehalt nicht auf den Einsatz technischer Zugangsbeschränkungen eingrenzen möchte, ist freilich klärungsbedürftig, wann ansonsten ein Erfolg am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person nicht vorhersehbar war. Ziel des Vorbehalts ist es, die berechtigten Interessen des Veröffentlichenden zu berücksichtigen. Generalanwalt Bobek führte zur Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands im Sinne der Erwägungsgründe 15 und 16 Brüssel Ia-VO aus, dass sich diese auf eine enge Verbindung zwischen Rechtsstreit und Gericht bezieht.563 Diese Verbindung müsse sich zudem aus objektiven Gesichtspunkten ergeben, nicht hingegen aus rein subjektiven wie dem gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten oder der Intention des Veröffentlichenden.564 Vorhersehbarkeit bedeute demnach nicht das Wissen oder Wissenkönnen hinsichtlich des konkreten gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen.565 Auch wenn diese Überlegungen zum Zuständigkeitsrecht erfolgten, sind sie für das Kollisionsrecht nicht minder relevant, denn schließlich führen sie zum primären Ziel des Kollisionsrechts, jene Rechtsordnung zu ermitteln, zu 560 Ausweislich des Wortlauts ist ein Inverkehrbringen im fraglichen Staat erforderlich. Darüber hinaus wollen manche den Vorbehalt analog anwenden, wenn bereits kein Inverkehrbringen gegeben ist (z.B. Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Rom II-VO Art. 5, Rn. 11). Andere möchten angesichts der Regelungslücke auf Art. 4 Rom II-VO zurückgreifen (z.B. Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 5, Rn. 10). 561 Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 5, Rn. 8; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 5, Rn. 14. 562 Meier, JPIL 12 (2016), 492 (517). 563 Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 61. 564 Ebd., Rn. 64, 68 ff. 565 Ebd., Rn. 62.
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der die engste Verbindung des Sachverhalts besteht. Zudem ist ein solches Verständnis der Vorhersehbarkeit geeignet, die eben geschilderte Kritik zu entkräften. In diesem Sinne sollte man einen Vorhersehbarkeitsvorbehalt so verstehen, dass das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt der geschädigten Person dann nicht zur Anwendung kommt, wenn aufgrund der objektiven Aspekte des Falls eine engere Verbindung zu einem anderen Staat bestand, sodass der Schädiger vernünftigerweise nicht mit der Anwendung eines anderen Rechts rechnen konnte. Wenn man ein solch vorzugswürdiges weites Verständnis des Vorbehalts anwendet, kommt man theoretisch zum selben Ergebnis wie bei einem rein konkreten Ansatz. Konzeptionell unterscheiden sich die Ansätze zwar, denn der konkrete Ansatz will den tatsächlichen Schwerpunkt ermitteln, wohingegen der Vorbehaltsansatz davon ausgeht, dass der Schwerpunkt am gewöhnlichen Aufenthalt zu verorten ist, zum Schutz des Veröffentlichenden davon aber unter gewissen Umständen abzuweichen ist. Letztlich sind aber in beiden Fällen die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Der zentrale Unterschied zwischen den beiden Herangehensweisen liegt daher in der Verteilung der Beweislast, was in der Praxis zu großen Unterschieden führen kann. Wenn der Veröffentlichende der Ansicht ist, dass für ihn eine Kenntnisnahme im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der geschädigten Person nicht erwartbar war, hat er dies entsprechend darzulegen und zu beweisen.566 Für das Vorgehen des Gerichts bei Ermittlung des anwendbaren Rechts ergibt sich daher ein wesentlicher Unterschied, der im Zweifelsfall zulasten des Veröffentlichenden geht. Selbst wenn man ein entsprechendes Gesetz mit der Intention konzipiert, dass die Interessen des Veröffentlichenden zu berücksichtigen sind, suggeriert die Formulierung der Regel als gesetzliche Vermutung, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, die als solche tendenziell restriktiv gehandhabt werden soll. Insofern besteht die Gefahr, dass die Veröffentlichenden hohen Anforderungen genügen müssen, um ihre Erwartungen bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts berücksichtigt zu sehen. Dies kann jedoch nur dann überzeugen, wenn zwischen den Parteien ein solch strukturelles Ungleichgewicht besteht, dass dieses durch solche prozessualen Mittel ausgeglichen werden muss. Doch gerade das ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien meist nicht der Fall. Denn hier stehen sich regelmäßig natürliche Personen gegenüber. Zwar kann die grundrechtlich geschützte Position des Meinungsäußernden nicht so stark gewichtet werden, dass eine reine Handlungsortanknüpfung zu rechtfertigen wäre, weil dies den Schutz des Persönlichkeitsrechts völlig 566 Entspr. zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 5, Rn. 55; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 5, Rn. 11; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Rom II-VO Art. 5, Rn. 10. Bach, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 5, Rn. 17.
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vernachlässigen würde.567 Umgekehrt ist aber auch ein abstrakter Ansatz, der allein die Interessen der Beeinträchtigten zum Maßstab macht, zu einseitig.568 Bei dem hier besprochenen Ansatz handelt es sich zwar nicht um eine abstrakte Anknüpfung, es besteht aber dennoch die Gefahr, dass eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten mit Vorbehaltsklausel in der Praxis weitgehend dieselbe Wirkung hat. Eine konkrete Anknüpfung hingegen hält die Gerichte von vornherein dazu an, die sich aus den konkreten Umständen ergebenden Erwartungen beider Parteien einander gegenüberzustellen und darauf basierend den Schwerpunkt zu ermitteln. Nur auf diesem Wege kann ein gerechter Interessenausgleich gewährleistet werden. Auch wenn man über soziale Medien hinaus auf Pressedelikte blickt, entstehen bei diesem Ansatz Zweifel. So berichten die deutschen Pressemedien weiterhin gerne über Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher, der, soweit bekannt, in der Schweiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.569 Angesichts der jahrelangen sportlichen Aktivitäten für Deutschland und der weiterhin bestehenden großen Fangemeinde dort erscheint es fraglich, wie sich in diesen Fällen eine Vermutung zugunsten schweizerischen Rechts rechtfertigt. Auch erscheint es zweifelhaft, ob die Presse hier überhaupt eine berechtigte Erwartung der Anwendung deutschen Rechts überzeugend vortragen kann. Denn schließlich ist eine Kenntnisnahme der Veröffentlichungen in der Schweiz schon bereits aufgrund der gemeinsamen Sprache erwartbar sowie, dass sich die Beeinträchtigungen aufgrund der unerwünschten Veröffentlichungen zum Gesundheitszustand am Wohnort bemerkbar machen. Schließlich erscheint die Vermutung des Erfolgsorts in einem bestimmten Staat bei geschädigten Unternehmen problematisch, wie bereits der EuGHFall Bolagsupplysningen veranschaulicht hat.570 Hier ist der typisierte Erfolgsschwerpunkt nur schwer zu bestimmen. Statt des gewöhnlichen Aufenthalts müsste man hier prüfen, in welchem Staat das Unternehmen seinen wirtschaftlichen Schwerpunkt hat. Viele Unternehmen sind aber international tätig und setzen sich damit auch dem Meinungsmarkt in mehreren Staaten aus. Insofern ist es nicht nur fraglich, an welchem Ort der Erfolgsort einer Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts vermutetet werden soll, sondern auch, wie dieser prozessuale Vorteil eines Unternehmens insbesondere gegenüber schädigenden natürlichen Personen gerechtfertigt werden kann. 567
Siehe oben S. 162–167. Siehe oben S. 226–228. 569 Siehe z.B. TV-Movie, Michael Schumacher: Sein Anwesen wird für 3,5 Millionen verkauft, 18.04.2021, . 570 Siehe oben S. 177 f. und S. 224–226. 568
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Insofern ist abschließend festzuhalten, dass ein Vorhersehbarkeitsvorbehalt ein sinnvoller Ansatz ist, weil er theoretisch den Besonderheiten des Einzelfalls und den berechtigten Interessen des Schädigers Raum gibt. Soweit man die Vorhersehbarkeit aber auf tatsächliche technische Vorkehrungen beschränkt, ist dieser Ansatz zu eng. Wenn man darüber hinaus auch den weiteren Kontext der Veröffentlichung berücksichtigen möchte, ist die Möglichkeit zur Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls begrüßenswert. In der Praxis besteht aufgrund der Formulierung als Regel und Ausnahme aber die Gefahr, dass den berechtigten Erwartungen des Veröffentlichenden letztlich doch nicht hinreichend Rechnung getragen wird. e) Ergebnis Alle Ansätze zur Bestimmung jener einen Rechtsordnung, die auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung umfassend Anwendung finden soll, haben ihre Vorzüge und ihre Schwächen. Die jeweiligen Bedenken folgen letztlich aus dem nicht abänderbaren Grundkonflikt, der sich aus der grundsätzlich weltumspannenden Natur des Internets und der Immaterialität des Persönlichkeitsrechts bei gleichzeitiger Beschränktheit der Rechtsordnungen durch die nationalstaatlichen Grenzen ergibt, und sie lassen sich daher nicht gänzlich ausräumen. Insofern gilt es, denjenigen Ansatz zu wählen, der die Interessen der Beteiligten und die tangierten Grundrechte in einen möglichst schonenden Ausgleich bringt. Dies gelingt einem rein abstrakten Ansatz nicht, denn ein solcher berücksichtigt allein die Seite des Betroffenen. Gleichwohl steckt in dieser Überlegung der berechtigte Gedanke, dass der Geschädigte an seinem gewöhnlichen Aufenthalt die Beeinträchtigung typischerweise am stärksten erfährt. Auch der Versuch, das objektiv erkennbare Ausrichten einer Veröffentlichung auf einen Staat zum Maßstab zu machen, hat seine Berechtigung, kann jedoch nicht für jede Fallkonstellation eine Antwort geben. Fruchtbar machen kann man hieran aber den Gedanken, dass die Bemühungen des Veröffentlichenden, eine Kenntnisnahme in bestimmten Regionen zu unterbinden, und ein klar erkennbares Abzielen auf ein Publikum sinnvolle Kriterien sein können. Im Ergebnis ist somit einem Ansatz der Vorzug zu geben, der die Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ermöglicht. Dies gelingt theoretisch zwar auch, indem man zweischrittig vorgeht und den Erfolgsort zunächst in einem typisiert festgelegten Staat, wie dem des gewöhnlichen Aufenthalts, verortet und sodann prüft, ob das für den Veröffentlichenden erwartbar war. Da hier aber die Bedenken bestehen, dass in der Praxis die berechtigten Erwartungen des Veröffentlichenden nicht hinreichend berücksichtigt werden und bei juristischen Personen Folgefragen auftreten, ist der direkten Ermittlung des Erfolgsschwerpunkts anhand eines Indizienbündels der Vorzug zu geben.
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7. Zusammenfassung Die Bestimmung des Erfolgsorts einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist herausfordernd und erfordert ein wertendes Vorgehen. Auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzung gibt es einen Erfolgsort, der auch nicht davon abhängt, ob die Person im fraglichen Staat vor dem schädigenden Ereignis bereits bekannt war. Der tatsächliche Erfolgsort liegt überall dort, wo der schädigende Inhalt zur Kenntnis genommen wird. Bei Veröffentlichungen im Internet umfasst dies jeden Staat, von dem aus die fragliche Veröffentlichung abrufbar war. Da dies zu einer Vielzahl von Erfolgsorten führt, ist eine normative Begrenzung erforderlich. Es besteht jedoch Uneinigkeit, wie diese Begrenzung vorzunehmen ist. So unterscheiden sich unglücklicherweise auch die Rechtsprechung des BGH und jene des EuGH zu dieser Frage. Eine Mosaikbetrachtung, bei der alle Rechtsordnungen jener Staaten, in denen ein tatsächlicher Erfolgsort liegt, parallel anwendbar sind, wobei Umfang und Reichweite auf den jeweiligen Staat beschränkt sind, ist umfänglich abzulehnen. Deshalb ist auch den Bemühungen des EuGH und der Europäischen Kommission zur Beschränkung der räumlichen Reichweite von Ansprüchen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet entgegenzutreten. Vielmehr ist aus der Vielzahl an Staaten, in denen ein tatsächlicher Erfolgsort liegt, jener herauszufiltern, zu dem die engste Verbindung besteht. Ein abstraktes Merkmal wie der gewöhnliche Aufenthalt der beeinträchtigten Person eignet sich dafür nicht. Stattdessen ist anhand objektiver Kriterien unter Berücksichtigung aller Umstände der konkrete Schwerpunkt der Verletzung zu ermitteln. III. Wahlrecht der geschädigten Person Die vorstehenden Überlegungen haben einerseits gezeigt, dass eine reine Anknüpfung an den Handlungsort nicht überzeugend ist, und andererseits, dass eine Erfolgsortsanknüpfung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls einen angemessenen Interessenausgleich herzustellen vermag. Durch die Einbeziehung der berechtigten Interessen des Veröffentlichenden reduziert sich die Entscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsort nicht mehr darauf, sich entweder für den Schutz der Meinungsfreiheit oder aber den Persönlichkeitsschutz entscheiden zu müssen. Offen ist damit aber noch, ob statt der Anknüpfung an den konkreten Erfolgsort auch das Recht am Handlungsort angewendet werden kann, wenn der Geschädigte dies begehrt. Im autonomen Deliktsrecht gilt dies gegenwärtig gem. Art. 40 Abs. 1 EGBGB umfänglich und zwar dergestalt, dass grundsätzlich das Recht am Handlungsort Anwendung findet, der Geschädigte aber die Option hat, die Anwendung des Rechts am Erfolgsort zu verlangen.571 571 Auch mehrere nationale Kollisionsrechtsnormen speziell für Persönlichkeitsrechtsverletzungen sehen ein Wahlrecht des Geschädigten in unterschiedlicher Ausformung vor:
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Im europäischen Deliktsrecht hingegen wurde die Grundentscheidung getroffen, dass nur das Recht am Erfolgsort Anwendung finden soll (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO). Allein in Art. 7 Rom II-VO ist ein Wahlrecht des Geschädigten eines Umweltdelikts vorgesehen. Dem liegt das Ziel zugrunde, einen effektiven Umweltschutz zu erreichen, indem im Zweifel das strengere Umweltrecht zu Anwendung kommt.572 Auch im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen könnte man ein solches Wahlrecht des Geschädigten zwischen dem Recht am Handlungs- oder Erfolgsort erwägen.573 Im System der Rom II-VO verdichtet sich dieser Komplex zu der Frage, ob ein effektiver Persönlichkeitsschutz vergleichbar dem Umweltschutz in Art. 7 Rom II-VO ein Wahlrecht des Geschädigten erfordert und rechtfertigt. Die Befürworter eines Wahlrechts sehen darin einen Garanten für die Neutralität der Anknüpfung574 und einen erforderlichen und angemessenen Schutz jener, die von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung beeinträchtigt sind.575 Zudem sei kein berechtigtes Interesse des Veröffentlichenden ersichtlich, sich nicht auch an das Recht seines Handlungsorts halten zu müssen.576 Ferner werde die verhaltenssteuernde Funktion des Deliktsrechts ohne eine Berücksichtigung des Handlungsorts zu sehr vernachlässigt.577 Diese Argumente können aber nicht davon überzeugen, von der Grundentscheidung der Rom II-VO gegen ein Wahlrecht abzuweichen.578 Insbesondere ist der Persönlichkeitsschutz nicht mit dem Umweltschutz vergleichbar. Bei Umweltrechten soll sich der Schädiger dem strengeren Recht nicht entziehen können. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzung hingegen blickt man nicht auf Albanien (Art. 67), Belgien (Art. 99 § 2 Nr. 1 Code de Droit International Privé), Bulgarien (Art. 108), Litauen (Art. 1.45); Moldawien (Art. 1616), Montenegro (Art. 55), Rumänien (Art. 2.642), Schweiz (Art. 139 IPRG), Taiwan (Art. 28), Tschechische Republik (§ 101), Türkei (Art. 35). 572 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 7, Rn. 2. 573 Der Vorschlag von v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, , sieht vor, dass auf Wahl des Klägers für Schadensersatzansprüche das Recht am Wohnsitz des Beklagten Anwendung finden soll, sofern am Beklagtenwohnsitz geklagt wird. 574 Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 203. 575 Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (376); Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 286. 576 Heldrich, in: v. Caemmerer, 1983, S. 361 (376); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 64. 577 Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 203; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 64. 578 Gegen ein Wahlrecht auch Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 372 ff.; Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (70); Wais, ZfDR 2021, 358 (372).
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gleiche Weise auf den Schädiger. Vielmehr sind die Rechte der Gegenseite – insbesondere die Meinungsfreiheit – nicht grundsätzlich nachrangig zum Persönlichkeitsrecht, sondern stehen letzterem gleichrangig gegenüber. Zwischen den kollidierenden Rechten gibt es kein pauschales Rangverhältnis; vielmehr sind sie schon auf der Ebene des Kollisionsrechts miteinander in Ausgleich zu bringen.579 Zutreffend ist zwar, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch das Internet häufiger geschehen und schwere Beeinträchtigungen auslösen können. Doch auch dies lässt die Meinungsfreiheit nicht so weit zurücktreten, dass eine systematische Bevorzugung derjenigen Partei, die eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte geltend macht, begründet ist. Insbesondere ist eine Erfolgsortsanknüpfung unter Anwendung eines konkreten Ansatzes dazu geeignet, einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Beteiligten herzustellen. Dieser würde zulasten des Veröffentlichenden dadurch wieder beeinträchtigt, dass dem Geschädigten einseitig ein nicht begründeter Vorteil zuteilwürde.580 Die Vereinbarkeit eines einseitigen Wahlrechts mit der Meinungs- und Pressefreiheit erscheint daher mehr als zweifelhaft.581 Der Veröffentlichende ist durch ein Wahlrecht benachteiligt, denn er muss sich nun an den Verhaltensmaßstab zweier Rechtsordnungen halten582 und im Zweifelsfall das strengere Recht zu seinem Maßstab machen. Bis zur Ausübung des Wahlrechts ist für ihn die Rechtssicherheit somit verringert.583 Zutreffend ist zwar, dass ein Gleichlauf von anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit bei einer reinen Erfolgsortsanknüpfung fehlt, wenn der Geschädigte am Handlungsort klagt.584 Dieses Problem ist jedoch keine Besonderheit allein der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, sondern im aktuellen System – Ubiquitätsprinzip bei Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO einerseits und Erfolgsortsanknüpfung in Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO andererseits – angelegt. Die Einführung eines Wahlrechts zwischen Handlungs- und Erfolgsort auch im IPR ist aufgrund des eindeutigen Gesetzgeberwillens nur bei einer Abänderung des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, nicht aber speziell für Persönlichkeitsrechtsverletzungen möglich. 579
v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 316. Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 375; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 253 ff.; Wais, ZfDR 2021, 358 (372). 581 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (431); Wais, ZfDR 2021, 358 (372). 582 Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 375; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 254; Wais, ZfDR 2021, 358 (372). 583 Bonn, Die Europäisierung des Persönlichkeitsrechts, 2013, S. 375; Wais, ZfDR 2021, 358 (372). 584 Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 316 f. 580
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Somit ist ein Wahlrecht zwischen dem Recht am Handlungs- und jenem am Erfolgsort im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen abzulehnen. IV. Eigener Vorschlag Wie die langjährige Diskussion in Wissenschaft und Politik, aber auch die sich deutlich unterscheidenden Ansätze in der Rechtsprechung zeigen, gibt es keine optimale Lösung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien, die sich aufdrängt und den unterschiedlichen Ansprüchen an eine gelungene Kollisionsregel gleichermaßen gerecht wird. Denn der Kernkonflikt – ein weltumspannendes Internet, das durch nationales Recht greifbar gemacht werden muss bei zugleich wesentlichen materiell-rechtlichen Unterschieden – kann weder gelöst noch ignoriert werden. Es lässt sich daher nicht vermeiden, dass mit jedem Vorschlag Nachteile einhergehen. Das Ziel ist daher ein Ansatz, der die betroffenen Interessen möglichst weitgehend schont und in Ausgleich bringt, ohne zugleich die Praxistauglichkeit aus dem Blick zu verlieren. Dabei geht es darum, die Interessen der Beteiligten in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen und eine unerwünschte Übervorteilung der einen oder der anderen Seite auszuschließen. Denn weder bedeutet Meinungsfreiheit, alles sagen und veröffentlichen zu dürfen, ohne die Folgen – in sozialen Medien die grenzüberschreitende Verfügbarkeit eines Inhalts – berücksichtigen zu müssen, noch ist die betroffene Person uneingeschränkt schutzbedürftig. Vielmehr sind die Konstellationen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien vielfältig. Deshalb ist es sowohl ausgeschlossen, uneingeschränkt an den Handlungsort anzuknüpfen585 als auch, den Interessenmittelpunkt der betroffenen Person zum alleinigen Maßstab zu machen.586 Eine Erfolgsortbestimmung im Wege der Mosaikbetrachtung hat durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH und durch die Möglichkeit des Geoblockings wieder ein wenig Aufwind bekommen. Die grundsätzlichen Bedenken dagegen können jedoch nicht ausgeräumt werden.587 Vielmehr sollte die deliktsrechtliche Grundanknüpfung zu einer einzelnen Rechtsordnung führen, die den konkreten Fall umfassend beurteilt. Dabei ist den Umständen der jeweils angegriffenen Veröffentlichung und damit der Vielfältigkeit der möglichen Konstellationen Rechnung zu tragen, ohne jedoch das Bedürfnis der Rechtspraxis nach klaren Regelungen aus den Augen zu verlieren. Hier wird der Ansatz einer mehrstufigen Anknüpfung verfolgt. Neben einer Grundregel sind zwei weitere, subsidiär zur Anwendung kommende Anknüpfungen vorgesehen. Zwar ist die Gesamtkonstruktion so auf den ersten 585
Siehe oben S. 162–167. Siehe oben S. 226–228. 587 Siehe oben S. 205–218. 586
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Blick komplexer als eine einstufige Norm, etwa dass immer das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten anzuwenden ist. Für eine mehrstufige Konzeption spricht jedoch, dass ein so ausdifferenzierter Ansatz den unterschiedlichen Interessenkonstellationen in der Praxis gerecht wird. Aus diesem Grund wird hier die nachfolgende Kollisionsregel vorgeschlagen: 1. Auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch eine Veröffentlichung von Inhalten findet das Recht des Staates Anwendung, in welchem nach objektiven Kriterien das größte Interesse an dem angegriffenen Inhalt zu erwarten war. 2. Sofern ein Interesse in mehreren Staaten in vergleichbarem Ausmaß zu erwarten war und der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person in einem dieser Staaten liegt, ist das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in welchem die betroffene Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat. 3. Wenn der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person nicht in einem dieser Staaten liegt oder nicht ermittelt werden kann, ist stattdessen das Recht am Handlungsort anzuwenden. 1. Zu Absatz 1 a) Kriterien Wesentlich für diesen Ansatz ist, dass es bei der Frage nach der vorhersehbaren und erwartbaren Interessiertengemeinde nicht auf die subjektiven Vorstellungen ankommt, sondern auf eine objektive Perspektive. Zu prüfen ist, wo ein objektiver Dritter, der die Veröffentlichungsumstände des konkreten Einzelfalls kennt, ex ante den Schwerpunkt des Interesses an der Veröffentlichung verorten würde. Dabei können verschiedene Kriterien als Indizien einfließen, wie bereits zum konkreten Ansatz dargestellt.588 Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung, sodass keines der Elemente absolut gilt. So kann beispielsweise die Wahl einer weithin verständlichen Sprache, insbesondere Englisch oder Spanisch, ein Indiz für eine unbestimmte Adressatengruppe sein. Jedoch sollte das Kriterium der Sprache angesichts von automatischen Übersetzungsmöglichkeiten nur geringe Berücksichtigung finden. Vergleichbar sind Veröffentlichungen, in denen es keinen Wortanteil gibt oder dieser nicht den Kern der Veröffentlichung ausmacht. Vorrangige Bedeutung kommt insbesondere dem Inhalt der Veröffentlichung zu, und in welchem Kontext dieser steht. Insbesondere ist zu prüfen, ob es eine offensichtliche regionale Verwurzelung des Inhalts gibt. Wenn die veröffentlichende Person hingegen erkennbare Anstrengungen unternimmt, 588
Siehe oben S. 233–234.
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um die Abrufbarkeit einzuschränken – beispielsweise über Geoblocking oder über eine auf konkrete Nutzer begrenzte Sichtbarkeit innerhalb eines sozialen Netzwerks –, ist dies als eine objektiv erkennbare und gezielte Begrenzung des Adressatenkreises zu werten. Ein wesentlicher Vorteil dieses Ansatzes ist es, dass er für unterschiedliche Personen auf allen Seiten des Rechtsstreits – einfache Nutzer sozialer Medien, Presseunternehmen, Plattformbetreiber, semi-professionelle Blogger etc. – gleichermaßen geeignet ist, denn durch eine solche Anknüpfung wird kein struktureller Vorteil der einen Partei gegenüber der anderen geschaffen. Im Regelfall führt dies auch dazu, dass dasselbe Recht sowohl auf das Verhältnis zwischen dem Betreiber sozialer Medien und der geschädigten Person als auch auf das Verhältnis zwischen dem ursprünglich schädigenden Nutzer und der dadurch betroffenen Person Anwendung findet. Dies ist auch konsequent, denn schließlich veröffentlicht und verbreitet der Betreiber einen Inhalt dem Nutzerauftrag entsprechend. Eine andere Beurteilung ist in jenen Fällen erforderlich, in denen der Betreiber der Plattform die Abrufbarkeit von sich aus über Geoblocking beschränkt. Dies zeigt, dass dieser Ansatz gerade mit Blick auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien zu praxisgerechten Ergebnissen führt. Die betroffene Person muss sich damit im Regelfall mit nur einer Rechtsordnung befassen, um umfassend ihre Erfolgsaussichten für rechtliche Schritte gegen eine unliebsame Veröffentlichung einschätzen zu können, unabhängig davon, ob sie gegen den schädigenden Nutzer, gegen den Betreiber oder gegen beide zusammen vorgehen möchte. Der Betreiber wiederum ist faktisch zwar davon abhängig, welche Inhalte seine Nutzer in welchem Kontext veröffentlichen. Dies entspricht aber seinem frei gewählten Geschäftsmodell. Sofern er die Anwendung einer konkreten Rechtsordnung vermeiden will, steht ihm der Weg offen, die Abrufbarkeit über technische Vorkehrungen auszuschließen. b) Vorverhalten der geschädigten Person Diese Arbeit möchte das Augenmerk auch auf den Aspekt des Vorverhaltens der geschädigten Person lenken.589 Präziser gesprochen ist bei der Ermittlung des Erfolgsorts zu berücksichtigen, inwiefern diese Person selbst eine Veröffentlichung mit grenzüberschreitender Wirkung veranlasst hat. Je mehr eine Veröffentlichung in Zusammenhang mit einem anderen Staat als jenem des eigenen gewöhnlichen Aufenthalts durch die später geschädigte Person selbst veranlasst wurde, desto weniger ist diese Person schützenswert in ihrer Er589 Auch im materiellen Recht kann das Vorverhalten der geschädigten Person, insbesondere eine Selbstöffnung, maßgeblich für die Zulässigkeit einer Veröffentlichung sein, vgl. BGH, Urteil vom 18.05.2021 – VI ZR 441/19, GRUR-RS 2021, 17102, Rn. 37; Urteil vom 10.11.2020 – VI ZR 62/17, GRUR 2021, 879, Rn. 19 – Abschiedsgruß, m.w.N
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wartung, ihr Heimatrecht angewendet zu wissen. Eine Anwendung des Rechts desjenigen Staates, in welchem die geschädigte Personen ihren Interessenmittelpunkt hat, ist daher dann nicht angemessen, wenn das grenzüberschreitende Element im konkreten Fall wesentlich auf das Verhalten der betroffenen Person selbst zurückzuführen ist. Häufig gehen einer potentiell persönlichkeitsrechtsverletzenden Handlung andere Geschehnisse voraus, die wiederum geografisch verortet werden können. Wenn aber eine Berichterstattung oder eine Online-Veröffentlichung mit Bezug zu einem konkreten Staat erfolgt und gerade dies durch den Geschädigten selbst veranlasst wurde, dann ist nicht ersichtlich, warum gleichwohl das Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zur Anwendung kommen soll. Dies folgt dem Gedanken, dass man auf Reisen nicht sein eigenes Recht „im Koffer“ mit sich nimmt.590 Wer sich in einen anderen Staat begibt, muss also grundsätzlich damit rechnen, dass er sich damit anderen Rechtsregeln aussetzt – auch im Bereich des Persönlichkeitsschutzes.591 Der Aspekt der Veranlassung ist aus zwei Gründen beachtlich: Zum einen setzt sich die betroffene Person selbst einer anderen Rechtsordnung aus und muss also grundsätzlich damit rechnen, dass ein Konflikt nicht nach dem eigenen Heimatrecht beurteilt wird, zum anderen rechnet die schädigende Person wiederum typischerweise nicht damit, dass ihre Handlungen einem fremden Recht unterliegen könnten. Im Kern geht es also auch hier um eine Frage der Vorhersehbarkeit und (un)berechtigter Erwartungen. Dieser Gedanke ist grundlegend zu unterscheiden von der Frage, ob der konkrete Interessenmittelpunkt der betroffenen Person für die schädigende Person vorhersehbar war. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass, auch wenn der Interessenmittelpunkt der betroffenen Person für die schädigende Person erkennbar war, gleichwohl nicht zwangsläufig mit der Anwendung des dortigen Rechts gerechnet werden musste.592 Diese Überlegung kann anhand der BGH-Entscheidung Sieben Tage in Moskau593 veranschaulicht werden. Der BGH hat einen Erfolgsort abgelehnt mit durchaus angreifbarer Begründung. So bewertete er es als unwahrscheinlich, dass der potentiell verletzende Blogbeitrag am gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers auf ein größeres Interesse stoßen wird. Als zentrales Argument wurde angeführt, dass in Deutschland nicht viele Menschen des Russischen 590
v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 318. Dahingehend v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 318; v. Hoffmann, in Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 62; Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (81 f.); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 226 ff. 592 Siehe eingehend dazu Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU: C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 58 ff. 593 BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059 – Sieben Tage in Moskau; siehe oben S. 188. 591
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und der kyrillischen Schriftzeichen mächtig seien, was man jedoch zu Recht bezweifeln mag.594 Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung gleichwohl. Denn in dieser Konstellation standen sich zwei natürliche Personen gegenüber, sodass kein Machtgefälle – wie etwa bei einem Presseunternehmen als Schädiger – berücksichtigt werden musste. Zudem bestand ein sehr enger zeitlicher wie auch inhaltlicher Zusammenhang mit dem tatsächlichen Ereignis des Klassentreffens in Moskau. Unter diesen Umständen kann es nicht überzeugen, dass die Beklagte mit der Anwendung deutschen Rechts hätte rechnen müssen, allein weil der Kläger dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Relevanz des Gedankens, dass eine indirekte Veranlassung der Veröffentlichung durch den Geschädigten Berücksichtigung finden muss, wird insbesondere bei international bekannten Prominenten und Politikern erkennbar. Wer beispielsweise als Musikerin international bekannt ist und diese Aufmerksamkeit auch sucht, um größeren Erfolg zu haben, kann nicht überzeugend vortragen, dass sie mit Veröffentlichungen zu ihrer Person in anderen Staaten als ihrem Heimatstaat nicht habe rechnen können. Dies wäre ein Fall des widersprüchlichen Verhaltens. Dies sei anhand der folgenden Szenarien illustriert: Der Prominente Michael Schumacher lebt seit vielen Jahren in der Schweiz und ist aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Rennfahrer und siebenfacher Formel 1-Weltmeister auch heute noch im Interesse der deutschen Presse. Dieses Interesse an seiner Person ist wesentlich auf die vorangegangene Karriere von Michael Schumacher als einem deutschen Rennsportler mit internationaler Bekanntheit zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund würde die theoretische Erwartung, dass die Zulässigkeit der Berichterstattung durch die deutsche Presse nicht nach deutschem Recht beurteilt werden könnte, auch nicht berechtigt erscheinen. Aus vergleichbaren Gründen muss beispielsweise auch ein türkisches Staatsoberhaupt, das in Deutschland als Redner auftritt oder auftreten möchte, damit rechnen, dass es zum Gegenstand der Berichterstattungen oder auch gegebenenfalls satirischer Aufarbeitung in Deutschland wird.595 Die Erwartung, dass diese potentielle Schädigungsakte türkischem Recht unterliegen, weil das Staatsoberhaupt dort seinen Interessenmittelpunkt hat, ist in dieser Konstellation nicht berechtigt. Dasselbe kann auch bei reinen Online-Konstellationen gelten. Wenn sich jemand auf Twitter 594
Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 150. Zum Rechtstreit zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem Satiriker Jan Böhmermann siehe beispielsweise Siemens/Bayer, Böhmermann und Erdogan streiten erneut vor Gericht, 27.02.2018, . Ferner OLG Hamburg, Urteil vom 15. Mai 2018 – 7 U 34/17, juris; LG Hamburg, Urteil vom 10. Februar 2017 – 324 O 402/16, juris; LG Hamburg, Beschluss vom 17.05.2016 – 324 O 255/16, NJW-RR 2017, 36. 595
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in eine gesellschaftliche Debatte einmischt, die inhaltlich in einem konkreten Staat verwurzelt ist, und es dabei zulasten dieser Person zu einem verbalen Schlagabtausch kommt, ist nicht ersichtlich, warum sich diese Person auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt berufen können sollte. Freilich entstehen Abgrenzungsprobleme bei der Frage, wer den Anlass für die Grenzüberschreitung gegeben hat und inwieweit dies Erwartungen an das anwendbare Recht als berechtigt oder unberechtigt erscheinen lässt. Daher eignet sich dieser Aspekt auch nicht als allein stehendes Kriterium, sollte aber im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls deutliche Berücksichtigung finden. 2. Zu Absatz 2 Innerhalb des großen Komplexes der Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet gibt es die Fallgruppe, in der die veröffentlichende Person keine Adressaten vor Augen hat, sondern sich an eine mehr oder weniger unbestimmte Netzgemeinde wendet. Zu denken ist beispielsweise an Videos in Videoportalen, die auf die Kenntnisnahme durch eine wachsende Fangemeinde abzielen und für die es keine Rolle spielt, wo sich die Interessenten befinden. In diesen Fällen richtet sich eine Veröffentlichung an alle Interessierten, praktisch an die große weite Netzgemeinschaft, und nicht an einen näher definierten Adressatenkreis. In dieser Fallgruppe trifft es zu, dass der Veröffentlichende sich die Vorteile des grenzenlosen Internets zunutze machen will und daher auch die entsprechenden Risiken zu tragen hat. Häufig wird dabei im Vorfeld unklar sein, wo die Veröffentlichung voraussichtlich auf Interesse stoßen wird. Hier soll an den Interessenmittelpunkt der geschädigten Person angeknüpft werden. Dies ist für den Veröffentlichenden auch vorhersehbar. Denn ohne Einschränkung des Adressatenkreises durch technische Vorrichtungen oder durch den Inhalt selbst ist es für ihn im Vorhinein weitgehend klar erkennbar, dass die betroffene Person gegebenenfalls die größte Beeinträchtigung in ihrem persönlichen Umfeld erleben wird. Soweit also mit einem vergleichbar großen Interesse auch im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der betroffenen Person zu rechnen ist, ist das Recht dieses Staates anzuwenden. Daneben kann diese Regelung dann ausschlaggebend sein, wenn die verschiedenen Elemente eines Sachverhalts auf mehrere Staaten weisen, wobei keiner davon eindeutig hervorsticht. Der hier vertretene Vorschlag orientiert sich stark an der Rechtsprechung des BGH.596 Die größte Schwäche hierbei ist aber, dass die vom BGH geforderte „Interessenkollision“ in mehreren Staaten eintreten kann. Dies aber ist möglichst zu vermeiden, weil ansonsten eine Veröffentlichung mehreren Rechtsordnungen parallel unterliegt und für 596
Siehe oben S. 186–194.
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den Veröffentlichenden nicht vorhersehbar ist, nach welchem rechtlichen Maßstab sich seine Tätigkeit letztlich richtet. Außerdem käme ansonsten die Frage auf, ob der Umfang der jeweils anwendbaren Rechtsordnung zu beschränken wäre. Bejaht man dies, bleibt die Frage nach dem anwendbaren Recht für jene Staaten offen, in denen keine Interessenkollision vorliegt. Entscheidet man sich stattdessen dagegen, kämen alternativ mehrere Rechtsordnungen umfassend in Betracht, sodass sich die Frage nach einem Wahlrecht stellt. Könnte der Kläger das anwendbare Recht aus mehreren in Betracht kommenden Rechtsordnungen kraft eines Optionsrechts wählen, hätte er einen deutlichen Vorteil, der das Interessengleichgewicht der Parteien empfindlich stören würde. Deshalb ist sicherzustellen, dass bereits aufgrund der Anknüpfung eine einzelne Rechtsordnung als die anwendbare identifiziert wird. Aus diesem Grund ist Absatz 2 der hier vorgeschlagenen Regelung erforderlich. In jenen Fällen, in denen Absatz 1 zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, ist subsidiär auf ein anderes Anknüpfungsmoment zurückzugreifen. Hierfür erweist sich der abstrakt festgelegte Interessenmittelpunkt der betroffenen Person als am geeignetsten. Bei natürlichen Personen ist dies ihr gewöhnlicher Aufenthalt, bei juristischen Personen, Unternehmen und sonstigen Vereinigungen dort, wo ihr geschäftliches Ansehen am gefestigtsten ist, also wo sie den wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausüben.597 Diese Regelung legt fest, dass im Zweifelsfall nach Berücksichtigung der Veröffentlichungsumstände das abstrakte Element des Interessenmittelpunkts den Ausschlag geben soll. Dass dieses Element auf die geschädigte Person bezogen ist und nicht auf die veröffentlichende, begründet sich dadurch, dass es der Grundentscheidung der Rom II-VO zugunsten des Erfolgsorts des Delikts in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO anstelle des Handlungsorts entspricht. Ferner kommt zum Tragen, dass es eine tatsächliche Vermutung für den typischen Erfolgsschwerpunkt am Interessenmittelpunkt gibt. Schließlich liegt darin auch keine unerwartete Härte für die veröffentlichende Person, denn sie selbst kontrolliert die Veröffentlichung, sodass sie im Zweifelsfall in der stärkeren Position ist. Entscheidend ist hierbei jedoch die Einschränkung, dass der so ermittelte Erfolgsort für die veröffentlichende Person nicht unvorhersehbar werden darf. Dies ist dadurch gewährleistet, dass bereits nach objektiven Kriterien ein Interesse an der Veröffentlichung erwartbar gewesen sein muss. 3. Zu Absatz 3 Wenn der Interessenmittelpunkt der geschädigten Person hingegen nicht in einem Staat liegt, in welchem nach objektiven Kriterien ein Interesse an der 597
Siehe oben S. 224–226.
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Veröffentlichung erwartbar war, ist eine andere Anknüpfung zu wählen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der Veröffentlichende durch Abrufbeschränkungen (z.B. Geoblocking) eine Kenntnisnahme gerade im Staat des Interessenmittelpunkts unwahrscheinlich gemacht hat. Auch kann bei juristischen Personen unklar sein, wie der Interessenmittelpunkt zu bestimmen ist oder ob überhaupt ein solcher gegeben ist.598 Dies gilt es angemessen zu berücksichtigen. In Anbetracht der Kriterien, die in den Absätzen 1 und 2 des Vorschlages vorgesehen sind, erscheint nun der Handlungsort als jener Ort, der die nächstengere Verbindung vermitteln kann. Da der Handlungsort in dieser Konstruktion nur äußerst subsidiär von Bedeutung ist, greifen die oben geäußerten Bedenken gegen eine Handlungsortsanknüpfung599 hier nicht. Vielmehr spricht an diesem Punkt für den Handlungsort als Anknüpfungsmoment, dass er im Regelfall gut erkennbar ist und so Eindeutigkeit verschaffen kann. 4. Übertragbarkeit Der hier vorgeschlagene Ansatz ist entstanden vor dem Hintergrund der weltumspannenden Kommunikation in sozialen Medien. Grenzüberschreitende Kommunikation ist also der Regelfall und nicht die Ausnahme, individuelle Mobilität prägt das Bild, der typische Fall der Einzelperson, die sich mit der mächtigen Presse konfrontiert sieht, ist nicht mehr gegeben. Hinzu kommen systeminterne technische Besonderheiten wie etwa die Möglichkeit, die Abrufbarkeit auf Regionen oder Personengruppen zu beschränken. Der vorliegende Vorschlag soll Raum bieten, diese Aspekte zu berücksichtigen, setzt diese aber nicht voraus. Das ermöglicht es grundsätzlich, seine Anwendbarkeit auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen generell zu erstrecken. Die Flexibilität erlaubt es gleichermaßen, die Besonderheiten anderer Kommunikationsformen entsprechend zu berücksichtigen. Denn Ziel sollte letztlich eine technologieneutrale Kollisionsnorm sein.600 V. Zusammenfassung Grundsätzlich sollte das anwendbare Recht auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen die lex loci delicti commissi sein. Der Tatort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung umfasst Handlungs- und Erfolgsort. 598
Siehe oben S. 183 und S. 224–226. Siehe oben S. 162–167. 600 Siehe nur v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 65; v. Hein, in: Cafaro/ Damascelli/Di Benedetto/Gioffredi/Morini (erscheint 2022); ders., Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; v. Hinden, ZEuP 2012, 940 (950); ders., FS Kropholler 2008, S. 573 (580); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1684); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (507); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 314 f. 599
C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt
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Der Handlungsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist zwar im Regelfall gut festzustellen. Die Anwendung des dort geltenden Rechts erweist sich aber nicht als interessengerecht. Eine reine Anknüpfung an den Handlungsort als Grundanknüpfung ist daher abzulehnen. Vorrangig ist daher die Anknüpfung an den Erfolgsort. Die Bestimmung des Erfolgsorts einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist problematisch. Um einen angemessenen Ausgleich der tangierten Interessen zu erreichen, erweist es sich als sinnvoll, das Recht jenes Staates zu ermitteln, in dem der konkrete Schwerpunkt der Verletzung, ermittelt anhand objektiver Kriterien unter Berücksichtigung aller Umstände, belegen ist. Ein Optionsrecht der Geschädigten zwischen dem Recht am Handlungsort und jenem am Erfolgsort ist abzulehnen. Unter dem Eindruck der Argumente im Blick auf die Bestimmung des Erfolgsorts und insbesondere der Besonderheiten sozialer Medien wird hier daher angeregt, eine dreistufige Grundanknüpfung vorzusehen. Demnach ist grundsätzlich das Recht desjenigen Staats anzuwenden, in welchem nach objektiven Kriterien das größte Interesse an dem angegriffenen Inhalt zu erwarten war. Dabei ist insbesondere das Vorverhalten der später geschädigten Person zu berücksichtigen. Sofern dieses Vorgehen zu mehreren Staaten gleichermaßen führt, ist unter den in Betracht kommenden Staaten jener zu wählen, in dem der Interessenmittelpunkt der betroffenen Person liegt. Subsidiär ist auf den Handlungsort zurückzugreifen.
C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt
Sowohl das autonome wie auch das europäische Recht sehen für das Deliktsrecht eine Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien vor. Wenn Schädiger und Geschädigter beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, dann ist das Recht dieses Staats auf die Streitigkeit anzuwenden (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO bzw. Art. 40 Abs. 2 S. 1 EGBGB). Diese objektive Anknüpfungsregel ist unabhängig von den mit der Schädigung selbst verknüpften Orten wie dem Handlungs- oder dem Erfolgsort. Der Grund für den Vorrang der lex domicilii communis vor der lex loci delicti commissi liegt in der Überlegung, dass das Heimatrecht für beide Parteien das vertrauteste ist und dessen Anwendung beiden daher entgegenkommt.601 Die Anwendung dieses Rechts entspricht im Regelfall den Erwartungen der Beteiligten.602 Da die Parteien typischerweise in eben jenem Staat
601
Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 119. Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), Brüssel, den 602
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
prozessieren werden, führt die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zur Anwendung der lex fori und ermöglicht so eine vereinfachte Schadensabwicklung, eine Verfahrensbeschleunigung und eine Kostenverringerung.603 Die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt geht der Anknüpfung an den Begehungsort als lex specialis immer vor.604 Sie kann gleichwohl hinter einer Rechtswahl oder einer akzessorischen Anknüpfung zurückstehen, wie auch hinter der allgemeinen Ausweichklausel.605 Letztere kann beim Vorliegen weiterer verbindender Momente auch zu einer Rückkehr zur Grundanknüpfung führen.606 I. Ablehnende Meinungen Für den Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen gibt es Stimmen, die die Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nicht oder nur eingeschränkt zulassen möchten. Boskovic etwa schlug vor, dass die Regel dann keine Anwendung finden solle, wenn man eine Grundanknüpfung findet, die zufällige Erfolgsorte ausschließt, denn das so ermittelte anwendbare Recht sei zwangsläufig auch das am engsten verbundene.607 R. Wagner verlangt zusätzlich, dass zwischen den Beteiligten bereits zuvor ein Kontakt bestand.608 Und auch G. Wagner möchte das Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht anwenden, um nicht den Gleichlauf von anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit zu stören, den er über die obligatorische Anwendung der lex fori erreichen will.609
22.7.2003, KOM(2003) 427 endg., S. 13; Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom IIVO Art. 4, Rn. 119. 603 v. Hein, ZEuP 2009, 6 (17); A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 37; Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 119. 604 v. Hein, ZEuP 2009, 6 (17); A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 51; Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 118. 605 BT-Drs. 14/343, S. 12; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 53 ff., Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 135; jew. m.w.N. 606 v. Hein, ZEuP 2009, 6 (19); ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (483); A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 55; ders., in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 58; Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 87 f.; a.A. Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (466, 481). 607 Boskovic, Boskovic on Rome II and Defamation, 20.07.2010, ; ähnlich Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 266 ff. 608 R. Wagner, Das deutsche internationale Privatecht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 1986, S. 89 f. 609 G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 48.
C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt
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II. Stellungnahme Den vorgeschlagenen Einschränkungen ist jedoch aus den nachstehenden Gründen nicht zuzustimmen. Stattdessen sollte die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorrangig angewendet werden. Dies gilt sowohl für das Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Schädiger und dem Betroffenen als auch für Fälle der Betreiberhaftung. 1. Praktische Erwägungen Zunächst ist mit Blick auf die Anregung von Boskovic anzumerken, dass es idealerweise jede Grundanknüpfung bei allen Delikten vermag, die typischerweise engste Verbindung nach örtlichen Gesichtspunkten zu ermitteln. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, aus praktischen Erwägungen den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der typischerweise engsten Verbindung vorzuziehen.610 Diese pragmatischen Überlegungen können gleichermaßen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen greifen. Gerade bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien ermöglicht die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt eine unkomplizierte und rechtssichere Option, die zudem im Regelfall den intuitiven Erwartungen von natürlichen Personen entspricht, weil für die Nutzer ihr am ehesten vertrautes Heimatrecht zur Anwendung kommt. 2. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt im System der Rom II-VO Im autonomen IPR gilt gem. Art. 40 Abs. 2 S. 1 EGBGB der Vorrang des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts grundsätzlich für alle Deliktstypen.611 Im System der Rom II-VO hingegen gilt dieser Vorrang nicht bei allen Delikten. Zu den Ausnahmen gehören Fälle des unlauteren Wettbewerbs und des den freien Wettbewerb einschränkenden Verhaltens gem. Art. 6 Rom IIVO; gem. Art. 6 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO besteht aber eine Rückausnahme, sofern ausschließlich die Interessen eines einzelnen Wettbewerbers betroffen sind. Daneben ist eine Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt für Umweltschädigungen (Art. 7 Rom II-VO) und für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums (Art. 8 Rom II-VO) nicht vorgesehen. Für eine zukünftige Regelung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Rom II-VO ist zu prüfen, ob strukturelle Ähnlichkeiten zu jenen Delikten bestehen, sodass ein Ausschluss der Anknüpfung an den ge610
BT-Drs. 14/343, S. 12. Ebd. Gleichwohl sollte Art. 40 Abs. 2 EGBGB für manche Deliktstypen nie zur Anwendung kommen, wie beispielsweise im Lauterkeitsrecht, was vor dem Inkrafttreten der Rom II-VO über Art. 41 Abs. 1 EGBGB erzielt wurde, siehe dazu z.B. Sack, WRP 2000, 269 (278 f.). 611
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
meinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ebenfalls geboten wäre. In einem ersten Schritt sind dafür die Wertungen hinter den Anknüpfungssystemen der fraglichen Delikte zu betrachten, um sodann in einem zweiten Schritt die Persönlichkeitsrechtsverletzungen damit zu vergleichen. a) Die Ausnahmen der Rom II-VO Der Ausschluss der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bedeutet, dass von der jeweiligen Grundanknüpfung nicht abgewichen werden darf. Meist ist folglich eine Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO ebenfalls ausgeschlossen.612 Von Interesse ist daher, welche Wertungen hinter der jeweiligen Grundanknüpfung stehen. Auf Wettbewerbsverletzungen findet gem. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO das Recht desjenigen Staats Anwendung, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind. Die Reichweite des anwendbaren Rechts ist damit auf das staatliche Territorium beschränkt; Beeinträchtigungen in mehreren Staaten führen daher zu einer Mosaikbetrachtung. Die Regel, dass jeder Staat für sein Territorium sein eigenes Recht anwendet, dient dem Schutz der Verbraucher und der Öffentlichkeit des jeweiligen Markts und soll das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft sicherstellen.613 Gleiches gilt im Kartellrecht nach Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO: Das Recht des beeinträchtigten Markts entscheidet über zivilrechtliche Ansprüche; bei Beeinträchtigungen in mehreren Staaten gilt das jeweilige Recht begrenzt auf das zugehörige Territorium, sofern der Kläger nicht von dem Optionsrecht zugunsten der lex fori bei Klagen am allgemeinen Gerichtsstand gem. Art. 6 Abs. 3 lit. b Rom II-VO Gebrauch macht. Sollte wettbewerbswidriges Verhalten hingegen ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigen, verweist Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO auf die allgemeine Kollisionsnorm in Art. 4 Rom II-VO. Sobald nicht die Interessen Dritter oder des Markts im Allgemeinen unmittelbar tangiert sind, besteht also kein Bedürfnis, zwingend das Recht des jeweils betroffenen Staats zu Anwendung zu bringen. Stattdessen kann im Rahmen der allgemeinen Kollisionsnorm das zweiseitige Verhältnis zwischen Schädiger und Betroffenem nach der engsten Verbindung untersucht werden und dabei auch der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt Bedeutung erlangen. Die Erwägung hinter dem Regelungssystem des Art. 6 Rom II-VO ist also, dass, sobald das Delikt Kollektiv- und Marktinteressen direkt beeinträchtigt, nicht vom Territorialitätsgrundsatz abgewichen werden darf. Wenn jedoch, wie im Falle des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO, nur die konkret Beteiligten unmittelbar vom Delikt beeinträchtigt sind, müssen die Parteiinteressen hingegen nicht 612
Dies gilt nicht für Art. 7 Rom II-VO. Bei Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO ist die Rechtslage unklar. Ausführlicher dazu siehe unten S. 294 f. 613 ErwGr. 21 Rom II-VO.
C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt
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zurücktreten, sondern können im Rahmen einer Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zu Geltung gebracht werden. Bei Umweltschädigungen gilt gem. Art. 7 Rom II-VO das Ubiquitätsprinzip, wonach grundsätzlich das Recht am Erfolgsort Anwendung findet, sofern nicht der Geschädigte zugunsten des Handlungsortsrechts optiert. Erwägungsgrund 25 Rom II-VO verdeutlicht das dahinterstehende Ziel, ein möglichst hohes Umweltschutzniveau zu erreichen, indem dem zu bevorzugenden Geschädigten ein Optionsrecht eingeräumt wird und somit üblicherweise das strengere Umweltschutzrecht Anwendung findet.614 Eine vorrangige Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt würde dem Geschädigten dagegen dieses Optionsrecht nehmen und damit auch das Ziel des hohen Umweltschutzes beeinträchtigen.615 Hier ist also die hinter dem Anknüpfungssystem stehende Wertung, dass ein materiellrechtliches Ziel unterstützt werden soll.616 Das anwendbare Recht bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten ist gem. Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO die lex loci protectionis; anwendbar ist also das Recht jenes Staats, für dessen Gebiet Schutz beansprucht wird. Bei Streuschäden führt das zu einer Mosaikbetrachtung. Grund für diese Anknüpfungsregel ist, dass Immaterialgüterrechte aus sachrechtlicher Sicht nur territorial begrenzt existieren.617 Hier ist also die Rechtsnatur des geschützten Gutes dafür ausschlaggebend, dass nicht von der Grundanknüpfung abgewichen werden darf.618 b) Vergleich mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen Persönlichkeitsrechtsverletzungen weisen manche Parallelen zu den eben beschriebenen Delikten auf, jedoch sind diese nicht so stark ausgeprägt, dass ihretwegen nicht von der Grundanknüpfung zugunsten der lex domicilii communis abgewichen werden dürfte. Im Vergleich zu Rechten des geistigen Eigentums zeigt sich zunächst die Immaterialität der Rechtsgüter als Gemeinsamkeit. Jedoch hat der EuGH wiederholt bei Auslegung des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO deutlich gemacht, dass die Rechtsnatur des Persönlichkeitsrechts einerseits und der Rechte des 614
Siehe auch v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 66; ders., in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 7, Rn. 1; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 7, Rn. 2, 4. 615 v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 7, Rn. 9. 616 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 66. 617 Drexl, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 8, Rn. 7; Grünberger, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 8, Rn. 3 ff., 7; Heinze, in: jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, Rom II-VO Art. 8, Rn. 4; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom IIVO Art. 8, Rn. 4. 618 Jedoch wird das Schutzlandprinzip von vielen krit. gesehen, siehe dazu Drexl, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 8, Rn. 7 ff., m.w.N.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
geistigen Eigentums andererseits unterschiedlich ist.619 Soweit der Schutz eines Immaterialgüterrechts eine Registereintragung erfordert, befindet sich der Erfolgsort in dem jeweiligen Eintragungsstaat.620 Doch auch das Urheberrecht unterliegt aus Sicht des EuGH dem Territorialitätsprinzip, sodass grundsätzlich in jedem Staat, in dem das geltend gemacht Recht geschützt ist, ein Erfolgsort liegen kann; die Kognitionsbefugnis ist dabei auf den Schaden im jeweiligen Gerichtsstaat beschränkt.621 Die Entscheidung, dass bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ein Gerichtsstand mit voller Kognitionsbefugnis am Mittelpunkt der Interessen der geschädigten Person möglich ist, ist hingegen nicht auf Rechte des geistigen Eigentums zu übertragen.622 Dies ist auch zutreffend, weil Rechte des geistigen Eigentums eine entsprechende gesetzliche Anordnung voraussetzen, wohingegen das Persönlichkeitsrecht aus dem Menschsein als solchem folgt.623 Zudem ist beim Persönlichkeitsrecht die Territorialität nicht gleichermaßen ausgeprägt, sodass die Grundanknüpfung ein einheitliches anwendbares Recht bestimmen kann und nicht auf eine Mosaikbetrachtung zurückgreifen muss.624 Auch mit Blick auf Art. 6 Rom II-VO kann eine gewisse Parallele festgestellt werden. Wettbewerbsrechts- und Kartellrechtsverletzungen sind deshalb vom Vorrang des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ausgenommen, weil Kollektivinteressen so stark mitbetroffen sind, dass subjektive Merkmale der Parteien nicht über die Entscheidungen der Grundanknüpfung gestellt werden können. Auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind Kollektivinteressen berührt: Äußerungen und Veröffentlichungen werden erst dadurch zur Persönlichkeitsrechtsverletzung, dass Dritte davon Kenntnis nehmen und so der Ruf der betroffenen Person oder ihre sozialen Beziehungen Schaden nehmen. Das eigene Interesse jener Dritten kann von der verfassungsrechtlich garantierten Informationsfreiheit geschützt sein. Insofern berühren Persönlichkeitsrechtsverletzungen, in denen es um die Grenzen des Sagbaren geht, 619 EuGH, Urteil vom 03.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635, Peter Pinckney ./. KDG Mediatech AG, Rn. 35 ff. 620 Ebd., Rn. 37; Urteil vom 19.04.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220, Wintersteiger AG ./. Products 4U Sondermaschinenbau GmbH, Rn. 25, 28. 621 EuGH, Urteil vom 22.01.2015 – C-441/13, ECLI:EU:C:2015:28, Pez Hejduk ./. EnergieAgentur.NRW GmbH, Rn. 36 f.; Urteil vom 03.04.2014 – C-387/12, ECLI:EU:C: 2014:215, Hi Hotel HCF SARL ./. Uwe Spoering, Rn. 38 f.; Urteil vom 03.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635, Peter Pinckney ./. KDG Mediatech AG, Rn. 45 f. 622 EuGH, Urteil vom 19.04.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220, Wintersteiger AG ./. Products 4U Sondermaschinenbau GmbH, Rn. 24 f. 623 Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (14); Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (400); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 54; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (801); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsund Immaterialgüterverletzungen, 1999, S. 15; Looschelders, ZVglRWiss 95 (1996), 48 (66). 624 Siehe oben S. 194–218.
C. Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt
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zugleich immer auch um die Interessen eines Kollektivs. Nach hier vertretener Ansicht handelt es sich bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen jedoch vorrangig um einen Konflikt zwischen den unmittelbar Beteiligten. Die involvierten Drittinteressen – die Informationsfreiheit der Zur-KenntnisNehmenden sowie gesamtgesellschaftliche Interessen an einer gewissen öffentlichen Diskurskultur – sind nur mittelbar betroffen. Insbesondere schädigt eine Veröffentlichung die konkret betroffene Person und nicht die Gesellschaft als solche. Aus diesem Grund wird hier auch die Mosaikbetrachtung als Grundanknüpfung abgelehnt.625 Während Wettbewerbs- und Kartellrechtsverstöße unmittelbar in die Funktionsfähigkeit des Markts eingreifen, handelt es sich bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht um marktbezogene Delikte.626 Die tangierten Kollektivinteressen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen befinden sich jedoch im Hintergrund, sodass vorrangig die Parteiinteressen für ein Anknüpfungssystem maßgeblich sind; eine Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Interesse der Parteien sollte daher nicht ausgeschlossen werden. Es ist keine Parallele zu Art. 7 Rom II-VO festzustellen, da nach der hier vorgeschlagenen Grundanknüpfung kein Wahlrecht der geschädigten Person vorgesehen ist, das durch eine Anwendung der lex domicilii communis entzogen werden würde. Sollte sich der europäische Gesetzgeber allerdings bei einer Regelung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Rom II-VO aus Gründen des Geschädigtenschutzes dafür entscheiden, ähnlich wie in Art. 7 Rom II-VO ein Optionsrecht der geschädigten Person einzuführen, sollte er einen Ausschluss jedoch erwägen. c) Fazit Die Vorteile einer Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt greifen auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, wohingegen möglicherweise bestehende Bedenken nicht so gewichtig sind, dass man davon abweichen müsste. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass bei Bestehen eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Streitparteien einer Persönlichkeitsrechtsverletzung die lex domicilii communis vorrangig Anwendung finden sollte.627 625
Siehe oben S. 205–218. BGH, Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 = NJW 2010, 1752, Rn. 18 – New York Times. 627 Ebenso Vorschlag des Deutschen Rats für IPR zur Überarbeitung der Rom II-VO, abgedruckt bei A. Junker, RIW 2010, 257 (259); v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; v. Hein/Bizer, Int J Data Sci Anal 2018, 233 (238); Nagy, JPIL 8 (2012), 251 (294); Perreau-Saussine, Perreau-Saussine on Rome II and Defamation, 21.07.2010, ; Reymond, La 626
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
Sowohl im europäischen als auch im autonomen Internationalen Deliktsrecht gilt, dass zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit von der Regelanknüpfung abgewichen werden kann (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 41 EGBGB). Eine solche Ausweichklausel wird als erforderlich erachtet, weil „nicht allen Fallgestaltungen durch Sonderanknüpfungen Rechnung getragen werden kann und eine gewisse Anpassungsfähigkeit für jetzt noch nicht vorhersehbare Interessenlagen bestehen soll“.628 Es soll also die für nötig erachtete Flexibilität geschaffen werden. Im Zusammenhang der jeweiligen Ausweichklausel wird darauf hingewiesen, dass eine wesentlich bzw. offensichtlich engere Verbindung insbesondere in einem bereits bestehenden Verhältnis zwischen den Beteiligten liegen kann (sog. akzessorische Anknüpfung). Nachfolgend soll nach einer kurzen Darstellung der allgemeinen Ausweichklausel (I.) die akzessorische Anknüpfung eingehend betrachtet werden (II.). I. Die Ausweichklausel allgemein Die Ausweichklausel soll eine Lösung für atypische Fälle bieten, nicht jedoch das Gericht zu einer grundsätzlich freien Ermittlung der engsten Verbindung ermutigen. Daher sind Ausweichklauseln restriktiv anzuwenden.629 Dies wird auch im Wortlaut erkennbar: In Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO wird eine „offensichtlich engere Verbindung“ verlangt,630 in Art. 41 Abs. 1 EGBGB sogar eine „wesentlich engere Verbindung“. Ein Abweichen von der Regelanknüpfung über die Ausweichklausel erfordert also, dass sich die enge Verbindung zu jenem anderen Staat bei Berücksichtigung aller Umstände des Falls regelrecht aufdrängt.631 Der Kreis der zu berücksichtigenden Umstände ist sehr weit zu ziehen und kann beispielsweise einen Wechsel des gewöhnlichen
compétence internationale en cas d’atteinte à la personnalité par Internet, 2015, Rn. 1150; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, 2006, S. 303. 628 Zu Art. 41 Abs. 1 EGBGB: BT-Drs. 14/343, S. 13; ähnlich ErwGr. 14 Rom II-VO. 629 Schon Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM(2003) 427 endg., S. 13; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 46; Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (467); Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 141; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 12; Unberath/Cziupka/Pabst, in: RauscherEuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 82; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 86. 630 Zur Entwicklung der Ausweichklausel im Gesetzgebungsverfahren zur Rom II-VO siehe v. Hein, in: FS Kropholler, 2008, S. 553. 631 Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 142.
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
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Aufenthalts, den Handlungsort und die indirekten Schadensfolgen in die Abwägung einstellen.632 Die Ausweichklausel erlaubt die Berücksichtigung subjektiver Elemente wie einer mangelnden Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts oder eine berechtigte Erwartungshaltung.633 Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO darf aufgrund der Gesetzgebungsgeschichte nicht für einen better law approach verwendet werden,634 sondern es soll das in räumlicher Hinsicht angemessenste Recht ermittelt werden; materiell-rechtliche Erwägungen dürfen hier nicht einfließen.635 Wie bei anderen Delikten kann die Ausweichklausel bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen dazu dienen, atypische und bei der Gesetzgebung nicht erwartete Fälle zu erfassen, um das anwendbare Recht zu ermitteln. Meier hingegen möchte die Ausweichklausel bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ausschließen, weil sie zu flexibel sei, rechtliche Unsicherheit verursache und zudem nicht erforderlich sei, wenn andernorts ein ausdrücklicher Vorhersehbarkeitsvorbehalt vorgesehen sei.636 Dagegen ist einzuwenden, dass dahinter vielmehr die grundsätzliche Frage nach dem Bedarf von Ausweichklauseln im Generellen steckt und keine persönlichkeitsrechtsspezifische Problematik aufgeworfen wird. Wenn sich der Gesetzgeber grundsätzlich dazu entscheidet, Ausweichklauseln vorzusehen und deren restriktive Anwendung anmahnt, ist für Persönlichkeitsrechtsverletzung an dieser Stelle keine andere Behandlung angezeigt. Ein Blick auf die Sonderkollisionsnormen der Art. 5 bis 9 Rom II-VO zeigt aber, dass bei speziellen Vorschriften im Regelfall keine Ausweichklausel vorgesehen ist.637 Die Ausnahme in Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO zeigt im Umkehrschluss, dass dies nur dort gilt, wo die Parteiinteressen hinter anderen Zielen zurückstehen müssen. Wie aber eben schon bei der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gesehen, 632 Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (483 ff.); Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 143 ff.; zurückhaltender Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 84. 633 v. Hein, ZEuP 2009, 6 (19); ders., in: FS Kropholler, 2008, S. 553 (566 f.); A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 56; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 18; Steinrötter, Beschränkte Rechtswahl im Internationalen Kapitalmarktprivatrecht und akzessorische Anknüpfung an das Kapitalordnungsstatut, 2014, S. 198 f. Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (467, 485), sieht das kritisch, denn der Begriff „offensichtlich“ („manifiestamente“) mache deutlich, dass es sich um objektiv erkennbare Tatsachen handeln müsse und nicht um die Intentionen oder Erwartungen der Parteien. 634 v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (484); ders., in: FS Kropholler, 2008, S. 553 (564 f.); Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 150; Unberath/ Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 85. 635 v. Hein, in: FS Kropholler, 2008, S. 553 (564 f.); Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 85. 636 Meier, JPIL 12 (2016), 492 (517 f.). 637 Siehe dazu A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 48 f.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
handelt es sich bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorrangig um eine Streitigkeit zwischen den konkret Beteiligten, wobei Kollektivinteressen nur mittelbar berührt sind. Daher gibt es hier ebenfalls keinen Anlass, auf eine allgemeine Ausweichklausel zu verzichten. Der Ausweichklausel – unter Außerachtlassung der akzessorischen Anknüpfung – wird bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen jedoch ein äußerst geringer Anwendungsbereich zugesprochen.638 Noch ausgehend von der Mosaikbetrachtung als Ansatz zur Ermittlung des deliktischen Erfolgsorts639 wurde die Ausweichklausel teilweise als Möglichkeit gesehen, flüchtige Erfolgsorte oder solche mit geringem Schaden gerade bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet über die Ausweichklausel auszuschließen.640 Da die Mosaikbetrachtung im Ergebnis aber nicht angemessen erscheint,641 haben diese Fälle an Bedeutung verloren. Sollte man sich dazu entschließen, zumindest bei natürlichen Personen eine Anknüpfung an den Handlungsort als allgemeine Kollisionsnorm vorzusehen, können über die Ausweichklausel zufällige Handlungsorte ausgeschlossen werden.642 Im Rahmen der hier vorgeschlagenen Anknüpfungsregel643 ist nicht zu erwarten, dass der Ausweichklausel große Bedeutung zukommt, da die Umstände der konkreten Veröffentlichung bereits umfassend berücksichtigt werden können. II. Die akzessorische Anknüpfung In Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO und in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB ist jeweils vorgesehen, dass eine offensichtlich bzw. wesentlich engere Verbindung insbesondere dann vorliegt, wenn das Deliktsstatut akzessorisch an ein Vertragsverhältnis angeknüpft werden kann. Unter einer solchen akzessorischen Anknüpfung versteht man eine Anknüpfungstechnik des Kollisionsrechts, wonach das für ein Rechtsverhältnis ermittelte anwendbare Recht auch auf ein anderes angewendet wird.644 Es wird also nicht ein Anknüpfungsmoment des Sachverhalts als bestimmend für die kollisionsrechtliche Frage genannt, sondern das Statut in Abhängigkeit von einem anderen Verhältnis bestimmt. Die zugrundeliegende Wertung einer solchen Anknüpfung ist, dass
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Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 105; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 85. 639 Siehe oben S. 194–218. 640 Spickhoff, IPRax 2000, 1 (3, 5); Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 97; ders., in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 41, Rn. 13. 641 Siehe oben S. 205–218. 642 Siehe oben S. 158 f. 643 Siehe oben S. 247–254. 644 Sa. Michel, Die akzessorische Anknüpfung, 2004, S. 8.
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
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aus allen Sachverhaltselementen die engste Verbindung des anzuknüpfenden Rechtsverhältnisses zu einem anderen vorausgehenden Verhältnis besteht.645 Die Bedeutung der akzessorischen Anknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist bisher kaum diskutiert worden.646 Dies ist der Tatsache geschuldet, dass bei herkömmlichen Pressedelikten typischerweise keine vorherige Verbindung vorliegt und somit bisher auch kein Bedarf besteht.647 Im Folgenden sollen nach einer Beschreibung der hinter der akzessorischen Anknüpfung stehenden Ziele (1.) die beiden Regelungen im autonomen und europäischen Kollisionsrecht allgemein dargestellt und miteinander verglichen werden (2.). Aufbauend darauf wird anschließend untersucht, auf welche Verhältnisse und unter welchen Umständen die akzessorische Anknüpfung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien Bedeutung erlangen kann (3.). 1. Ziele der akzessorischen Anknüpfung Ziel einer solchen Anknüpfung ist zunächst die gelungene Koordination von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen, indem alles derselben Rechtsordnung entnommen wird, um Widersprüche zu vermeiden.648 So können Schwierigkeiten bei der Qualifikation649 oder aufgrund von Anspruchskon645
Zur akzessorische Anknüpfung als Ausdruck der engsten Verbindung Sa. Michel, Die akzessorische Anknüpfung, 2004, S. 14 ff. 646 Beispiele bei A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 85; Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 162 f.; Kropholler/v. Hein, in: FS Heldrich, 2005, S. 793 (803); Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 105. Gonzenbach, Die akzessorische Anknüpfung, 1986, S. 187 f., nennt folgendes Beispiel: Wenn ein Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers bei einem Auslandseinsatz verletzt, sei immer an das Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen und zwar unabhängig davon, ob das anwendbare Sachrecht die Persönlichkeitsrechtsverletzung als Vertragsverletzung wertet oder nur Ansprüche aus Deliktsrecht gewährt. Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (15), spricht sich dafür aus, an das Vertragsverhältnis zwischen den Vertragspartnern postmortaler Lizenzen akzessorisch anzuknüpfen. 647 Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (61). 648 Binder, RabelsZ 20 (1955), 401 (479); Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1 (9); Sa. Michel, Die akzessorische Anknüpfung, 2004, S. 16 f. Krit. zur akzessorischen Anknüpfung Schurig, in: FS Heldrich, 2005, S. 1021; Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz im internationalen Privatrecht, 2009, 132 ff; Stoll, in: FS P. Hay, 2005, S. 403 (405 ff.); Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 108 ff. Bereits vor Einführung der akzessorischen Anknüpfung in das EGBGB im Jahr 1999 wurde diese aber von der Literatur sehr weitgehend befürwortet, siehe Nachweise bei Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1 (15, Fn. 52); Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz im internationalen Privatrecht, 2009, 79 f. 649 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2003)
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
kurrenz650 vermieden werden. Sofern ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien besteht, ist dieses das prägendste Element des Sachverhalts.651 Dies fördert zudem die Rechtssicherheit.652 Des Weiteren entspricht die umfassende Anwendung des auf das Sonderverhältnis anwendbaren Rechts – insbesondere, wenn es von den Parteien gewählt worden ist – den berechtigten Erwartungen der Parteien.653 Der Gesetzgeber erachtete die akzessorische Anknüpfung als „zweckmäßig“654 und der geordneten Rechtspflege dienlich,655 denn der Begehungsort muss nicht erst gesondert ermittelt werden.656 2. Darstellung des geltenden Rechts Grundsätzlich ist in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB und in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO vorgesehen, dass ein Verhältnis zwischen den Beteiligten eine besonders enge Verbindung sein kann und daher von der Anknüpfung an den Tatort oder den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt abzuweichen ist. Im Folgenden werden das Verhältnis der akzessorischen Anknüpfung zur allgemeinen Ausweichklausel (a.) und die Erforderlichkeit eines Zusammenhangs zwischen dem Delikt und dem bestehenden Verhältnis (b.) beleuchtet. An427 endg., S. 14; Firsching, in: FS Zajtay, 1982, S. 143 (147); v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 74; ders., YbPIL 13 (2011), 523 (529); N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa, 2006, S. 199; Koch, VersR 1999, 1453 (1456); Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601 (633); Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1 (10); Sa. Michel, Die akzessorische Anknüpfung, 2004, S. 17; Stoll, IPRax 1989, 89 (91). 650 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2003) 427 endg., S. 14; Firsching, in: FS Zajtay, 1982, S. 143 (147); v. Hein, YbPIL 13 (2011), 523 (529); N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa, 2006, S. 199; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (21); Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601 (631); Lorenz, in: v. Caemmerer, 1983, S. 97 (155); Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1 (9 f.); Spickhoff, IPRax 2000, 1 (2). 651 Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601 (630). 652 Koch, VersR 1999, 1453 (1456); Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601 (631 f.); Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1 (10). 653 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2003) 427 endg., S. 14; Koch, VersR 1999, 1453 (1458); Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (467); Leible/Engel, EuZW 2004, 7 (11); Lorenz, in: v. Caemmerer, 1983, S. 97 (158); Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1 (10) (Mansel spricht vom „kollisionsrechtlichen Vertrauensprinzip“); Sa. Michel, Die akzessorische Anknüpfung, 2004, S. 17 f.; ausführlich dazu Gonzenbach, Die akzessorische Anknüpfung, 1986; für familienrechtliche Verhältnisse Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601 (631). 654 BT-Drs. 14/343, S. 14. 655 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2003) 427 endg., S. 14. 656 Koch, VersR 1999, 1453 (1458).
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
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schließend wird näher darauf eingegangen, ob auch tatsächliche Verhältnisse Grund für eine akzessorische Anknüpfung sein können (c.), sowie auf Besonderheiten beim Verbrauchervertrag (d.). a) Das Verhältnis der akzessorischen Anknüpfung zur allgemeinen Ausweichklausel Die akzessorische Anknüpfung steht in systematischem Zusammenhang mit der Ausweichklausel. Unklarheit besteht bei Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO darüber, ob die akzessorische Anknüpfung eine eigenständige Anknüpfungsregel oder nur Regelbeispiel der allgemeinen Ausweichklausel ist. Laut Steinrötter sei es nicht unerheblich, ob man sich in Satz 1 oder 2 befindet, denn während die allgemeine Ausweichklausel nur ausnahmsweise greifen solle, stelle die akzessorische Anknüpfung die Regel bei einem bestehenden Rechtsverhältnis und die Grundanknüpfung die Ausnahme dar.657 Da sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis in Bezug auf die Grundanknüpfung bei der akzessorischen Anknüpfung also umkehre, unterscheide sich der Begründungsaufwand für die jeweilige Anwendung.658 Auch seien die Anforderungen an den Sachverhalt unterschiedlich: Während bei Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO allein das Rechtsverhältnis genüge, um von den Absätzen 1 und 2 abzuweichen, müssten bei der Ausweichklausel mindestens zwei Elemente auf den fraglichen Staat verweisen.659 Ähnlich sieht das auch Lehmann, der zum einen anführt, dass es bei Satz 1 auf die Nähe zwischen einem Staat und dem Sachverhalt ankomme, bei Satz 2 hingegen auf die Nähe zweier Rechtsverhältnisse, und zum anderen darauf, dass die Verbindung nur eng und nicht offensichtlich enger sein müsse.660 Eine solch scharfe Unterscheidung kann nicht überzeugen. Sowohl in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO als auch in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB ist die akzessorische Anknüpfung systematisch ausdrücklich als Beispiel für die Anwendbarkeit der allgemeinen Ausweichklausel formuliert. Als solche ist sie keine zwingende Regel, sondern greift nur dann, wenn es sich in Anbetracht aller Umstände tatsächlich um eine offensichtlich engere Verbindung als die der Grundanknüpfung oder des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts handelt.661 657
Steinrötter, Beschränkte Rechtswahl im Internationalen Kapitalmarktprivatrecht und akzessorische Anknüpfung an das Kapitalordnungsstatut, 2014, S. 192. 658 Ebd. 659 Ebd., S. 193, 235; so auch A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 55. 660 Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 161. 661 Trotz vertraglicher Verbindung wurde eine akzessorische Anknüpfung aufgrund der Gehilfenstellung der beklagten Vertragspartnerin abgelehnt z.B. vom OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.01.2009 – 16 U 32/08, BeckRS 2011, 28309.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
In der Rom II-VO gibt es auch keine Gründe, davon abzuweichen. Durch das „insbesondere“ wird deutlich, dass die beiden Sätze keine unterschiedlichen Gedanken sind, sondern Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO nur die Ausweichklausel präzisiert. Schon im ersten Vorschlag der Europäischen Kommission zur Rom II-VO ist hinsichtlich der akzessorischen Anknüpfung von einer „Entscheidungshilfe“ bei der Prüfung der Ausweichklausel die Rede.662 Ein bereits bestehendes Rechtsverhältnis sei ein „Kriterium, das bei der Prüfung der Frage herangezogen werden kann“.663 Noch deutlicher wird das Verhältnis beim Änderungsvorschlag des Parlaments: Dort wurden neben der akzessorischen Anknüpfung noch weitere Regelbeispiele vorgeschlagen, die bei der Prüfung der Ausweichklausel beachtet werden sollten.664 Verkehrt wäre es daher, unterschiedliche Voraussetzungen an die Überschreitung der Schwelle zu setzen. Vielmehr bringt Satz 2 zum Ausdruck, dass Fallgruppen zur Präzisierung der Ausweichklausel hilfreich sind und diese in ihrem Anwendungsbereich vorhersehbarer machen. Auch erscheint die Anforderung an die Anzahl der Umstände unnötig und mit dem Telos schwer vereinbar. Durch das „insbesondere“ kommt vielmehr zum Ausdruck, dass es auch einen einzelnen Umstand geben kann, der zur Aktivierung der Ausweichklausel genügen kann, sofern er entsprechend prägend für den konkreten Fall ist. Daher sollte der Plural in Satz 1 eher als Mahnung verstanden werden, das gesamte Bild zu betrachten und nicht nur einen einzelnen Aspekt herauszugreifen. Verfehlt wäre es daher, anzunehmen, dass es für die akzessorische Anknüpfung genüge, die Sonderverbindung isoliert zu betrachten. Stattdessen müssen auch hier die gesamten Umstände berücksichtigt werden, sodass auch die Ablehnung einer akzessorischen Anknüpfung trotz Sonderverbindung möglich ist. Auch die Vorgabe, dass diese durch ein vorausgehendes Verhältnis begründete engere Verbindung offensichtlich sein muss, ist bei der akzessorischen Anknüpfung zu berücksichtigen. Zwar dürfte dies bei einem bestehenden Vertrag zwischen den Parteien deutlich einfacher zu begründen sein; dies liegt aber nicht an der ausdrücklichen Nennung in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO, sondern folgt aus der Natur der Sache. In beiden Fällen hat das Gericht ex officio alle Umstände wertend zu betrachten; sollte daraus kein eindeutiges Ergebnis folgen, ist die Schwelle der „Offensichtlichkeit“ nicht überschritten.
662 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2003) 427 endg., S. 14. 663 Ebd. 664 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (KOM(2003)0427 – C5-0338/2003 – 2003/0168(COD)), S. 10 f.
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
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Im Ergebnis bedeutet das, dass Art. 4 Abs. 3 S. 1 und 2 Rom II-VO nicht wie zwei getrennte Anknüpfungen geprüft werden dürfen, sondern in einer Wechselbeziehung zueinander stehen.665 Während die Möglichkeit der akzessorischen Anknüpfung die Ausweichklausel präzisiert und daher eine Leitlinie für ihre Anwendung vorgibt, sind die Vorgaben des S. 1 – insbesondere die Beachtung aller Umstände – auch im Rahmen der akzessorischen Anknüpfung zu beachten. b) Der Zusammenhang zwischen Delikt und bestehendem Rechtsverhältnis Wenn auch nicht ausdrücklich in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB genannt, so steht doch fest, dass die unerlaubte Handlung mit dem bestehenden Rechtsverhältnis in einem Zusammenhang stehen muss.666 In Art. 4 Abs. 3 S. 2 letzter Halbsatz Rom II-VO wiederum ist explizit festgehalten, dass sich das Rechtsverhältnis „mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung“ befinden muss. Die näheren Definitionen dieses Zusammenhangs gehen zwar leicht auseinander, führen aber im Regelfall zum selben Ergebnis.667 Teilweise wird gefordert, dass die Sonderverbindung eine spezifische Schutzpflicht vorsehen muss; ein Delikt nur bei Gelegenheit der Vertragsdurchführung genüge nicht.668 Dieser Ansatz erweist sich jedoch als problematisch, weil er einen Begriff des materiellen Rechts, der gerade in dem Grenzbereich zwischen Delikt und Vertrag angesiedelt ist, in das Kollisionsrecht übernimmt; eine verordnungsautonome Auslegung dieses Begriffs würde sich als zu schwierig und letztlich aufgrund der Uneindeutigkeit wenig hilfreich erweisen.669 Sinnvoller ist es daher, einen tatsächlichen sachlichen Zusammenhang zwischen der Sonderverbindung und dem Delikt zu prüfen.670 Demnach muss sich in der unerlaubten Handlung eine Gefahr realisieren, die bereits in der Sonder-
665
Das gleiche Verständnis scheint auch der BGH zugrunde zu legen für Art. 41 EGBGB, Urteil vom 19.07.2011 – VI ZR 217/10, BGHZ 190, 301 = NJW 2011, 3584, Rn. 15. 666 BT-Drs. 14/343, S. 14; N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa, 2006, S. 199 f.; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 41, Rn. 10; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 41, Rn. 8; ferner A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 41, Rn. 21; Koch, VersR 1999, 1453 (1458 f.). 667 Koch, VersR 1999, 1453 (1458). 668 Lorenz, in: v. Caemmerer, 1983, S. 97 (155 ff.); so auch Art. 133 Abs. 3 IPRG; dazu Gonzenbach, Die akzessorische Anknüpfung, 1986, S. 176 ff., 185 ff. 669 N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa, 2006, S. 206. 670 Ebd.; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 41, Rn. 11; Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 162 („innerer Zusammenhang“).
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
verbindung angelegt war.671 Beliebigkeiten und Zufälligkeiten sollen so ausgeschlossen werden.672 c) Tatsächliche Verhältnisse Zwischen Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB und der parallelen Regelung in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO besteht eine Diskrepanz dahingehend, dass das autonome Recht ausdrücklich eine akzessorische Anknüpfung nicht nur an rechtliche, sondern auch an tatsächliche Beziehungen zwischen den Beteiligten gestattet. Im europäischen IPR ist stattdessen nur das „Rechtsverhältnis“ unter besonderer Nennung des Vertrags genannt. Fraglich ist daher, welche Verhältnisse tatsächlich Anlass für eine akzessorische Anknüpfung bieten können. aa) Art. 41 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB Zunächst stellt sich bei Art. 41 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB die Frage, welche Anforderungen an eine tatsächliche Beziehung zu stellen sind, damit an diese akzessorisch angeknüpft werden kann.673 Genannt werden beispielsweise Gefälligkeitsfahrten,674 Reisegruppen mit Teilnehmern aus verschiedenen Ländern675 oder nicht-eheliche Lebensgemeinschaften.676 Interessant für die Zwecke dieser Arbeit ist, ob auch Dreiecksbeziehungen eine solche tatsächliche Beziehung begründen können. Darunter sind Fälle zu verstehen, in denen die Parteien des Delikts miteinander keinen Vertrag haben, aber jeweils in einem vertraglichen Verhältnis zur selben Dritten stehen, was faktisch eine Nähe zwischen den Parteien herstellt. Spickhoff hält das beispielsweise für denkbar, wenn der Vertragspartner einen Erfüllungsgehilfen oder einen Vertreter einsetzt. Eine akzessorische Anknüpfung der Ansprüche jener Person oder gegen jene Person könnten an die vertragliche Beziehung mit dem Geschäftsherrn angeknüpft werden, sofern es kein zufällig hinzugezogener Dritter ist.677
671
So Koch, VersR 1999, 1453 (1458). N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa, 2006, S. 207; Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 162. 673 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 69, EGBGB Art. 41, Rn. 19, hält eine akzessorische Anknüpfung an tatsächliche Beziehungen in Art. 41 EGBGB für verfehlt. 674 Spickhoff, IPRax 2000, 1 (2). 675 Ebd. 676 Ders., in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 41, Rn. 10. 677 Ebd. 672
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
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Eine akzessorische Anknüpfung bei einer Dreiecksbeziehung bejahte auch der BGH.678 Der Kläger hatte einen Behandlungsvertrag mit dem Kanton Basel-Stadt als Träger des Kantonsspitals Basel abgeschlossen, der schweizerischem Privatrecht unterlag. Beklagter war der behandelnde Arzt, der ebenfalls mit dem Kanton Basel-Stadt in einem vertraglichen Verhältnis stand. Zwischen dem Behandelten und dem behandelnden Arzt bestand folglich kein Vertrag. Ihr Verhältnis sei aber „maßgeblich durch das […] in der Schweizer Rechtsordnung verwurzelte ärztliche Behandlungsverhältnis geprägt“.679 Der Behandlungsvertrag zum Kanton Basel-Stadt war das entscheidende kausale Element, das das Risiko einer Rechtsgutsverletzung schuf und damit zum tatsächlichen Verhältnis zwischen den Parteien führte.680 Eine kollisionsrechtlich unterschiedliche Behandlung der deliktischen Ansprüche gegen den Arzt und der vertraglichen Ansprüche gegen den Kanton sei nicht zu begründen.681 Aus diesen Gründen knüpfte der BGH akzessorisch an das Statut des Behandlungsvertrags an und wendete schweizerisches Recht an.682 Die Entscheidung des BGH ist überzeugend.683 Gerade, wenn sich eine Vertragspartei zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten eines Dritten bedient, wird ein Risiko der Rechtsgutsverletzung geschaffen, das gegenüber allen anderen Personen deutlich erhöht ist. Die Offensichtlichkeit der dadurch entstehenden engeren Verbindung rührt daher, dass der Schädiger selbst in einem vorherigen Verhältnis zum Dritten stand, denn so ist gesichert, dass er sich freiwillig in die Position begab, potentiell zum Schädiger zu werden. Sofern diese beiden Verträge zum Dritten demselben Recht unterliegen und dieser Umstand das prägende kausale Element für die Rechtsgutverletzung war, ist dieses Recht im Regelfall dem jeweils übereinstimmenden Vertragsstatut zu unterstellen. Dafür spricht auch, dass beide Parteien sich bei der Erfüllung ihres jeweiligen Vertrags am Vertragsstatut orientieren müssen, um eine Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten zu vermeiden. Wenn sich nun auch die Ansprüche zwischen den Parteien nach diesem Recht richten, schafft dies eine größere Einheitlichkeit und Kohärenz. Außerdem wird dies regelmäßig den Erwartungen der Parteien entsprechen, was gerade am Fall des BGH deutlich wird: Ein Patient, der sich in der Schweiz behandeln lässt, wird erwarten, dass sich alle Ereignisse bei Durchführung des Vertrags nach einem Recht richten, auch wenn ein Dritter zur Erfüllung herangezogen wird. Umgekehrt kann nicht von einem nach schweizerischem Recht angestellten Arzt, der auf schweizerischem Territorium agiert, erwartet werden, dass er mit der 678 BGH, Urteil vom 19.07.2011 – VI ZR 217/10, BGHZ 190, 301 = NJW 2011, 3584, Rn. 14 ff. 679 Ebd., Rn. 16. 680 Ebd. 681 Ebd. 682 Zust. Spickhoff, MedR 2012, 316 (321). 683 Siehe auch v. Hein, YbPIL 13 (2011), 523.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Anwendung eines fremden Rechts rechnet.684 Daher ist eine Dreiecksbeziehung, bei der beide Deliktsbeteiligte in einem vertraglichen Verhältnis zum selben Dritten stehen und die jeweilige Verträge demselben Recht unterliegen, akzessorisch an beide Vertragsstatute gemeinsam anzuknüpfen. bb) Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO Inwiefern solche tatsächlichen Verbindungen zwischen den Beteiligten eine engere Verbindung im Sinne der Rom II-VO darstellen, ist umstritten. Teilweise wird eine akzessorische Anknüpfung außerhalb von Rechtsverhältnissen abgelehnt.685 A. Junker hält dies für „rechtsdogmatisch und rechtspolitisch verfehlt“.686 Jenseits des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts könnten tatsächliche Näheverhältnisse keine engere Beziehung als die Tatortregel begründen.687 Zudem gebe es bei tatsächlichen Beziehungen außerdem kein Statut, an das man akzessorisch anknüpfen könnte.688 Letztlich führe das zu einer Verwässerung der Grundanknüpfung und begünstige das „Heimwärtsstreben“ der Gerichte.689 In historischer Hinsicht wird angeführt, dass sich ein entsprechender ausdrücklicher Vorschlag im Gesetzgebungsverfahren nicht habe durchsetzen können.690 Auch bestünde kein praktisches Bedürfnis dafür.691 Die Mehrheit im Schrifttum hat jedoch zu Recht keine Schwierigkeiten damit, in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO auch tatsächliche Beziehungen zwischen den Parteien zu berücksichtigen.692 Dafür spricht der Wortlaut, der vertragli684
Hinsichtlich der Verhaltenspflichten sind diese Erwartungen über Art. 17 Rom IIVO bzw. die entsprechende ungeschriebene Regel im deutschen IPR aufgefangen, vgl. dazu v. Hein, YbPIL 13 (2011), 523 (531 f.). 685 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 54; ders., JZ 2000, 477 (484); Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 157; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Rom II-VO Art. 4, Rn. 13; Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 115; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (6); Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 132. Vorsichtiger Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 4, Rn. 29. 686 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 54. 687 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 41, Rn. 19. 688 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 69; Lehmann, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 157; Unberath/Cziupka/Pabst, in: RauscherEuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 115; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 132. 689 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 41, Rn. 19. 690 Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 115; tendenziell auch: Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 4, Rn. 29. 691 Lund, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Rom II-VO Art. 4, Rn. 29. 692 v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 4, Rn. 65; ders., ZEuP 2009, 6 (19); ders., in: FS Kropholler, 2008, S. 553 (565); Heiss/Loacker, JBl 2007, 613,
D. Ausweichklausel und akzessorische Anknüpfung
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che Beziehungen nur beispielhaft nennt („insbesondere“) und andere Verhältnisse dadurch nicht ausschließt.693 Auch beschränkt sich der Wortlaut in anderen Sprachfassungen gerade nicht auf Rechtsverhältnisse, sondern lässt bereits jede „relationship“ oder jede „relation préexistante“ genügen. Zudem ist Telos der Norm, eine gewisse Flexibilität zu schaffen und dem Gericht einen Ermessensspielraum zuzusprechen; tatsächliche Verhältnisse sind folglich zu berücksichtigen, da auch Tatsachen ein Näheverhältnis zwischen den Parteien schaffen können.694 Prüfen könnte man eine solche akzessorische Anknüpfung beispielsweise bei einer Freundschaft, die auf der gemeinsamen Herkunft aus einem bestimmten Staat beruht.695 Dies ist auch mit der Gesetzgebungsgeschichte vereinbar.696 Zwar konnte der Vorschlag des Europäischen Parlaments, auch tatsächliche Verhältnisse in der akzessorischen Anknüpfung zu nennen,697 nicht durchsetzen. Das sollte jedoch nicht überbewertet werden, da diese Änderung Teil einer vorgeschlagenen Ausweichklausel mit einer größeren Zahl von Regelbeispielen war und die Kommission diesen Ansatz insgesamt ablehnte.698 Vielmehr räumte auch die Kommission ein, dass tatsächliche Verbindungen zwischen den Parteien nicht ignoriert werden dürften.699 Steinrötter diskutiert, ob man das Statut deliktsrechtlicher Ansprüche aus Prospekthaftung über eine akzessorische Anknüpfung ermitteln könnte, in626 f. (insb. Fn. 165); Huber/Bach, IPRax 2005, 73 (77); Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (490); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 18; Steinrötter, Beschränkte Rechtswahl im Internationalen Kapitalmarktprivatrecht und akzessorische Anknüpfung an das Kapitalordnungsstatut, 2014, S. 192 f. 693 Cejka, Kollisionsrechtliche Probleme grenzüberschreitender Überweisungen, 2020, S. 213; v. Hein, ZEuP 2009, 6 (19); ders., in: FS Kropholler, 2008, S. 553 (565); Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (490); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 4, Rn. 13, 18; Steinrötter, Beschränkte Rechtswahl im Internationalen Kapitalmarktprivatrecht und akzessorische Anknüpfung an das Kapitalordnungsstatut, 2014, S. 192 f. 694 Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (490); Steinrötter, Beschränkte Rechtswahl im Internationalen Kapitalmarktprivatrecht und akzessorische Anknüpfung an das Kapitalordnungsstatut, 2014, S. 193. 695 Lafuente Sánchez, AEDIPr, XVI (2016), 463 (490). 696 Dazu v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 4, Rn. 65; ders., YbPIL 13 (2011), 523 (530 f.); a.A. Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 157. 697 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (KOM(2003)0427 – C5-0338/2003 – 2003/0168(COD)), S. 10. 698 Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2006) 38 endg., S. 4 f. 699 Ebd., S. 5.
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dem man das Verhältnis zwischen Prospektverantwortlichem und Anleger als faktisches Näheverhältnis im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO wertet.700 Die Verbindung sieht er darin, dass die Aufklärungspflichten des Prospektverantwortlichen gerade dem Schutz des potentiellen Anlegers dienen und daher beide Parteien in einer „Berücksichtigungs-Interdependenz“ stünden.701 Er wertet diese Überlegung aber dann als zu konstruiert und nicht überzeugend, weil diese spezielle Verhaltenspflicht theoretisch eine solche Sonderbeziehung mit potentiell jeder Person begründen würde. Hier bestünde kein Unterschied, ähnlich, wie wenn man allgemeine Verhaltensregeln wie beispielsweise die Regeln des Straßenverkehrs für ein tatsächliches Näheverhältnis genügen ließe.702 Diese Argumentation ist insgesamt überzeugend und zeigt Abgrenzungsmöglichkeiten auf, um relevante Nähe- und Pflichtenverhältnisse zu identifizieren. Im Ergebnis gilt daher, dass tatsächliche Rechtsverhältnisse auch in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO eine akzessorische Anknüpfung begründen können. Daher ist es auch unproblematisch, Dreiecksbeziehungen in der Rom II-VO zu berücksichtigen, sodass der eben beschriebene BGH-Fall auch nach der Rom IIVO gleich zu entscheiden wäre.703 cc) Zwischenergebnis Auch wenn im autonomen und im europäischen Recht die akzessorische Anknüpfung anders formuliert ist, gibt es im Ergebnis keinen Unterschied. In beiden Fällen kann ein tatsächliches Näheverhältnis eine akzessorische Anknüpfung veranlassen, sofern dieses Näheverhältnis in einer engen Verbindung mit dem Delikt steht und bei Betrachtung aller Umstände eine offensichtlich nähere Verbindung als die Grundanknüpfung oder die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt darstellt. Ein solches Näheverhältnis kann sich auch daraus ergeben, dass die Beteiligten des Delikts jeweils mit derselben dritten Person in einem vertraglichen Verhältnis stehen. d) Akzessorische Anknüpfung und Verbraucherverträge in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO Ein Problem der akzessorischen Anknüpfung in der Rom II-VO ist der Widerspruch zwischen Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO und Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO: Während Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO eine Rechtswahl vor 700
Steinrötter, Beschränkte Rechtswahl im Internationalen Kapitalmarktprivatrecht und akzessorische Anknüpfung an das Kapitalordnungsstatut, 2014, S. 194 f. 701 Ebd., S. 195. 702 Ebd. 703 Ebenso Spickhoff, MedR 2012, 316 (321); dies zumindest befürwortend v. Hein, YbPIL 13 (2011), 523 (533).
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dem schädigenden Ereignis für Parteien, die keiner kommerziellen Tätigkeit nachgehen, kategorisch ausschließt, ermöglicht Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO die Anknüpfung an ein gewähltes Vertragsstatut und damit theoretisch die mittelbare Rechtswahl des Deliktsstatuts auch für nicht kommerzielle Parteien. Das betrifft insbesondere den Verbrauchervertrag: Gemäß Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO ist die Rechtswahl für den Verbrauchervertrag im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO uneingeschränkt möglich, die Rechtsfolge dieser Vereinbarung aber in ihrer Wirkung dahingehend beschränkt, dass das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers anzuwenden ist, soweit es einen Vorteil gegenüber dem gewählten Recht mit sich bringt (Günstigkeitsvergleich).704 Hier prallen also zwei unterschiedliche Schutzregime aufeinander: Während die Rom II-VO die Ausübung der Rechtswahlfreiheit einschränkt, um den Schutz strukturell schwächerer Parteien zu sichern, realisiert die Rom I-VO den Verbraucherschutz auf der Rechtsfolgenseite. Durch die akzessorische Anknüpfung in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO kollidieren diese unterschiedlichen Ansätze miteinander. Grundsätzlich besteht ein solcher Widerspruch auch zwischen Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB und Art. 42 EGBGB, weil letzterer überhaupt nur eine nachträgliche Rechtswahl zulässt. Allerdings wird hier, soweit ersichtlich, eine Sperre der akzessorischen Anknüpfung aufgrund der begrenzten Rechtswahlmöglichkeiten nicht diskutiert.705 Dies ist aus systematischer Sicht auch zutreffend: Andernfalls bliebe aufgrund des vollständigen Ausschlusses einer Rechtswahl ex ante kein Raum für eine akzessorische Anknüpfung an ein Vertragsstatut und Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB würde weitgehend leerlaufen. Da in den Art. 40–42 EGBGB nicht nach schutzbedürftigen und nichtschutzbedürftigen Parteien unterschieden wird, besteht auch kein Anlass, dies innerhalb der akzessorischen Anknüpfung zu tun.706 aa) Zulässigkeit der akzessorischen Anknüpfung In der Rom II-VO hingegen ist dieser Widerspruch tatsächlich gegeben, weil Art. 14 Rom II-VO eine Regelung speziell für die Rechtswahl ex ante trifft. Dieses Problem wird unterschiedlich gelöst: (1) Ablehnende Meinungen Die eine Seite argumentiert, dass eine akzessorische Anknüpfung an ein gewähltes Verbrauchervertragsstatut die klare Aussage des Art. 14 Abs. 1 lit. b 704
Siehe oben S. 79–81. Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (21). 706 So sah z.B. auch das LAG Köln, Urteil vom 11.01.2010 – 5 Sa 1085/09, BeckRS 2010, 68824, kein Problem bei einer akzessorischen Anknüpfung an das Statut eines Arbeitsvertrags. 705
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Rom II-VO umgehe und daher schlechthin ausgeschlossen sei.707 Dem hat sich der EuGH in der Sache VKI ./. Amazon angeschlossen.708 Für diese Auflösung des Widerspruchs wird angeführt, dass so eine Parallele zum Prozessrecht geschaffen werden könne, wo die Art. 17–19 Brüssel Ia-VO auch nur für Verträge Anwendung finden, hingegen für die internationale Zuständigkeit bei deliktischen Verhältnissen keine Bedeutung haben.709 Auch habe sich der Gesetzgeber für unterschiedliche Formen des Verbraucherschutzes in den beiden schuldrechtlichen Verordnungen entschieden; es handle sich um eigenständige Systeme, die nicht miteinander vermischt werden dürften.710 Aus Art. 14 Rom II-VO könne man zudem den Schluss ziehen, dass wenn schon die direkte vorherige Wahl des Deliktsrechts ausgeschlossen ist, die mittelbare über die akzessorische Anknüpfung erst recht ausgeschlossen sein müsse, denn dabei bestehe noch nicht einmal das Bewusstsein, dass auch eine das Deliktsrecht betreffende Regelung getroffen werde.711 (2) Zustimmende Meinungen Der überwiegende Teil im Schrifttum möchte hingegen die akzessorische Anknüpfung auch bei einem Verbrauchervertrag vornehmen.712 Das folge bereits aus der Systematik der Rom II-VO: Während Art. 14 Rom II-VO für alle außervertraglichen Schuldverhältnisse gelte, finde Art. 4 Abs. 3 Rom IIVO nur bei den unter Art. 4 Rom II-VO fallenden Delikten Anwendung und 707 Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1 (36, 39); Maultzsch, in: v. Hein/Rühl, 2016, S. 153 (171 f.); Nehne, Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts, 2012, S. 266 ff.; Thiede, in: Verschraegen, 2010, 51 (67); Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 4, Rn. 117. 708 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 46 f. 709 Maultzsch, in: v. Hein/Rühl, 2016, S. 153 (171) 710 Ebd. 711 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (22); Nehne, Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts, 2012, S. 268; Thiede, in: Verschraegen, 2010, 51 (67). 712 de Boer, YbPIL 9 (2007), 19 (27); Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 38; v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (490); ders., in: FS Kropholler, 2008, S. 553 (567 f.); N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa, 2006, S. 144 f., 203 f.; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 2013, S. 456 f.; Landbrecht, RIW 2010, 783 (787); Mankowski, IPRax 2010, 389 (402); A. Junker, in: MüKoBGB, Rom II-VO Art. 14, Rn. 9 f.; Symeonides, AmJCompL 56 (2008), 173 (204, Fn. 142); Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/ EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 106; Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 284 ff.; Wandt, Rechtswahlregelungen im Europäischen Kollisionsrecht, 2014, S. 91 ff.; differenzierend Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (20 ff.); Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 83 ff.
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sei daher eine vorrangig anwendbare lex specialis.713 Landbrecht sieht dies auch in der Gesetzgebungsgeschichte bestätigt: Im abgeänderten Kommissionsvorschlag zur Rom II-VO aus dem Jahr 2006714 war noch vorgesehen, dass der Artikel zur Rechtswahl im Deliktsrecht den Normen zur objektiven Anknüpfung vorangestellt wird und der Entwurf des heutigen Art. 4 Rom IIVO einschließlich akzessorischer Anknüpfung für alle Fälle außerhalb einer Rechtswahl des Deliktsstatuts uneingeschränkt Anwendung findet.715 Zudem sei es auch bei den historischen Vorbildern – Art. 41 Abs. 2 EGBGB und Art. 133 Abs. 2 IPRG – anerkannt, dass an ein gewähltes Vertragsstatut akzessorisch angeknüpft werde, auch wenn in den entsprechenden nationalen Normen die Rechtswahl im Deliktsrecht auf nach dem Ereignis beschränkt sei.716 Außerdem gebe es in der Rom I-VO einen ausreichenden Verbraucherschutz, sodass das Ziel des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO – der Schutz der schwächeren Partei – gerade gewahrt werde.717 Es sei unangemessen, die gesetzgeberische Entscheidung in der Rom I-VO zugunsten der Parteiautonomie im Verbrauchervertrag und damit zugunsten einer grundsätzlich wirksamen Rechtswahl auf Ebene des Deliktsrechts bei der akzessorische Anknüpfung zu ignorieren.718 Schließlich sei der Zweck der akzessorischen Anknüpfung, vertragliche und deliktische Ansprüche einheitlich nach einem Recht zu beurteilen, auch im Verbrauchervertrag sinnvoll und existiere unabhängig davon, ob die Parteien für den Vertrag eine Rechtswahl getätigt haben.719 (3) Stellungnahme Zunächst ist festzuhalten, dass schwächere Parteien davor geschützt werden müssen, aufgrund des strukturellen Ungleichgewichts letztlich unfreiwillig zu einer Rechtswahl gedrängt zu werden. Dieses gemeinsame Ziel beider Verordnungen ist in den Erwägungsgründen 23 Rom I-VO und 31 S. 4 Rom IIVO festgehalten. Auch wenn die entsprechenden Schutznormen in den Verordnungen ein unterschiedliches Konzept verfolgen, ist in beiden Fällen ge713
Landbrecht, RIW 2010, 783 (787). Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), Brüssel, den 21.02.2006, KOM (2006) 83 endg., S. 14 f. 715 Landbrecht, RIW 2010, 783 (787). 716 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (21). 717 Mankowski, IPRax 2010, 389 (402); laut Landbrecht, RIW 2010, 783 (787), hielt selbst der Gesetzgeber die Vorkehrungen in der Rom I-VO für „offensichtlich […] ausreichend“. 718 v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (490); Landbrecht, RIW 2010, 783 (788). 719 Landbrecht, RIW 2010, 783 (789); Unberath/Cziupka/Pabst, in: Rauscher-EuZPR/ EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 4, Rn. 106. So zum Verhältnis von Art. 42 und 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB Koch, VersR 1999, 1453 (1457). 714
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währleistet, dass Verbraucher und Arbeitnehmer nicht schutzlos dastehen. Das Argument, der Verbraucherschutz aus Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO werde bei einer akzessorischen Anknüpfung umgangen, ist nur teilweise zutreffend. Denn stattdessen wird er durch das alternative Schutzkonzept der Rom I-VO ersetzt. Der Verbraucherschutz ist also weiterhin gewahrt. Hinzu kommt, dass der Zweck der akzessorischen Anknüpfung auch im Verbrauchervertrag verfolgt werden kann. Nicht nur können auch hier Probleme bei der Koordination von Vertrags- und Deliktsstatut verringert werden, sondern es greift ebenso im Verbrauchervertrag die Überlegung, dass durch die akzessorische Anknüpfung die Erwartungen der Parteien besser getroffen werden können und das anwendbare Recht dadurch vorhersehbarer wird. Dies ist umso bedeutender, als im Rahmen der internationalen Zuständigkeit für Verbrauchersachen ein breiterer Vertragsbegriff erwogen wird;720 die Tendenz ist also dahingehend, dass auf Deliktsrecht beruhend Klagen in Verbrauchervertragskonstellationen zu einem einheitlichen Gerichtsstand gezogen werden. Dies sollte auch auf der Ebene des anwendbaren Rechts widergespiegelt werden im Wege der akzessorischen Anknüpfung. Des Weiteren ist zu bedenken, dass Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO nicht nur die Rechtswahl ex ante für nicht-kommerzielle Parteien ausschließt, sondern zugleich auch alle Vereinbarungen, die nicht „frei ausgehandelt“ sind. Das wird mehrheitlich so verstanden, dass eine Rechtswahl für das Deliktsrecht nicht in AGB getroffen werden kann.721 Wenn man die akzessorische Anknüpfung bei Verbraucherverträgen wegen einer Umgehung des Art. 14 Rom II-VO ablehnt, muss man konsequenterweise dann auch die akzessorische Anknüpfung ausschließen, wenn die Rechtswahl für das vertragliche Verhältnis in AGB getroffen wurde. 722 In Anbetracht dessen, dass eine vertragliche Rechtswahl in AGB der Regelfall ist, würde in der Folge die akzessorische Anknüpfung in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO weitgehend leerlaufen. Sofern nicht der seltene Fall der individuell ausgehandelten Rechtswahl im Vertragsrecht vorliegt, beschränkt sich die akzessorische Anknüpfung auf Fälle der objektiven Anknüpfung des Vertragsstatuts. Das beabsichtigte Ziel, 720 Siehe oben S. 105 f.; Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe, 10.09.2020, C-59/19, ECLI: EU:C:2020:688, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 111. Ein abweichendes Vertragsverständnis zeigt der EuGH schon in Renate Ilsinger ./. Martin Dreschers, Urteil vom 14.05.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303. Krit. Mankowski, IPRax 2020, 281 (282 f.). 721 Wann eine Rechtswahl tatsächlich frei ausgehandelt ist und ob das in AGB überhaupt denkbar ist, ist eine der umstrittensten Fragen des Art. 14 Rom II-VO, siehe dazu die umfassenden Nachweise bei Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 35 f 722 Landbrecht, RIW 2010, 783 (787); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (25 Fn. 81). Eine akzessorische Anknüpfung trotz Rechtswahl in AGB bejahen v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (487) und Mankowski, IPRax 2010, 389 (401).
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durch die akzessorische Anknüpfung in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO vertragliche und deliktische Schuldverhältnisse derselben Rechtsordnung zu unterstellen, wäre daher häufig verfehlt. Daher kann Art. 14 Rom II-VO nicht geeignet sein, die akzessorische Anknüpfung grundsätzlich auszuschließen, sofern ein Schutzsystem zugunsten der Verbraucher weiterhin besteht. Im Ergebnis ist die akzessorische Anknüpfung also auch bei den von Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO erfassten Personengruppen gleich wie bei allen anderen anzuwenden. (4) Bedeutung des Ermessens Von Hein bejaht die akzessorische Anknüpfung an ein Verbrauchervertragsstatut mit dem Hinweis, dass Gerichte ihr in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO eingeräumtes Ermessen dahingehend ausüben sollten, die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers angemessen zu berücksichtigen.723 Das würde bedeuten, eine nach der Rom I-VO wirksame Rechtswahl einer Einzelfallprüfung zu unterziehen. Das entspricht zwar grundsätzlich der Funktion der Ausweichklausel, eine Lösung für Einzelfälle zu finden. Das darf jedoch nicht dazu führen, die tatsächliche Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person zu prüfen. Denn dem gesamten europäischen Verbrauchervertrag liegt ein pauschaler Ansatz zugrunde: Die schützenden Normen greifen ein, sobald (nur) eine Partei zu privaten Zwecken handelt. Ob diese Person tatsächlich rechtlich und wirtschaftlich unerfahren und ihrem Gegenüber in ihrer Verhandlungsposition unterlegen ist, hat keine Bedeutung.724 Diesem pauschalen Ansatz schließen sich auch Art. 6 Rom I-VO und Art. 14 Rom II-VO (freilich unter anderer Terminologie) an. Dem entsprechend sollte die sich typischerweise stellende Frage nach der akzessorischen Anknüpfung bei Verbraucherverträgen auch grundsätzlich und nicht einzelfallabhängig beantwortet werden. Eine Ermessensentscheidung über die tatsächliche Schutzbedürftigkeit des konkreten Verbrauchers ist damit nicht zu vereinbaren. Außerdem kann die starke Einzelfallbeeinträchtigung die Gefahr willkürlicher und nicht vorhersehbarer Entscheidungen erhöhen. Hinzu kommt, dass das eingeräumte Ermessen in der Ausweichklausel sich auf das Vorliegen einer offensichtlich engeren Verbindung bezieht und nicht auf die Rechtsfolgenseite. Aus diesen Gründen ist eine gesonderte Ermessenausübung zur Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers abzulehnen. Daher ist eine akzessorische Anknüpfung an ein Verbraucherver723 v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 22; ders., ZEuP 2009, 6 (21); ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (490). Ebenso Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 14, Rn. 1. Krit. dazu, aber im Ergebnis ähnlich Mankowski, IPRax 2010, 389 (402). 724 Siehe oben S. 54 f.
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tragsstatut trotz Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO vorzunehmen. Das eingeräumte Ermessen beschränkt sich darauf zu prüfen, ob dies eine offensichtlich engere Verbindung ist. bb) Rechtsfolge Bislang wenig Beachtung gefunden hat die sich zwingend ergebende Folgefrage, wenn man eine akzessorische Anknüpfung befürwortet, nämlich in welchem Umfang an welche Rechtsordnung akzessorisch angeknüpft wird. Im Verbrauchervertrag gilt gem. 6 Abs. 2 Rom I-VO zwar grundsätzlich das gewählte Recht; jedoch findet das Recht des Staates Anwendung, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit dieses für ihn günstiger ist als das gewählte Recht (sog. Günstigkeitsvergleich). (1) Anwendung des gewählten Rechts (Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO) Landbrecht geht davon aus, dass die bezweckte Koordination von Vertragsund Deliktsstatut nur dann erreicht werden könne, wenn man akzessorisch an das gewählte und grundsätzlich nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO anwendbare Recht anknüpfe.725 Es sei prozessökonomischer, wenn das Deliktsrecht mit dem tatsächlichen Vertragsstatut übereinstimme, und vor allem für den Verbraucher kostengünstiger.726 (2) Anwendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO) Kadner Graziano schlug vor, dass akzessorisch an das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers angeknüpft werden solle, weil dies das Vertragsstatut bei objektiver Anknüpfung nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO sei.727 Dafür führt er an, dass ansonsten drei Rechtsordnungen – das gewählte Vertragsstatut, das für den Günstigkeitsvergleich nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO heranzuziehende Recht und das durch objektive Anknüpfung ermittelte Deliktsstatut – auf denselben Lebenssachverhalt anzuwenden wären.728 Vogeler schließt sich der Anwendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers an.729 Im Kern argumentiert er, dass Art. 14 Rom II-VO das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Verbraucher und Unternehmer ausgleichen solle; wenn im Wege der akzessorischen Anknüpfung aber das objektive Vertragsstatut nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf das 725
Landbrecht, RIW 2010, 783 (790). Ebd., S. 791. 727 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (23). 728 Ebd. 729 Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 284 ff. 726
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außervertragliche Schuldrecht erstreckt werde, sei diesem Schutzgedanken bereits hinreichend Rechnung getragen und eine rechtsaktübergreifende Auslegung gewährleistet.730 Systematisch könne dies damit gerechtfertigt werden, dass das Außerachtlassen des gewählten Vertragsstatuts nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO im Rahmen der akzessorischen Anknüpfung gem. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO dem Verbot der Rechtswahl im Deliktsrecht nach Art. 14 Rom IIVO Rechnung trage.731 Kritisiert wird daran, dass die von Kadner Graziano befürwortete Rechtsordnung gerade nicht Vertragsstatut sei, sondern nur einzelne Normen daraus Anwendung fänden; an einzelne Normen könne man aber nicht akzessorisch anknüpfen.732 Zudem gelinge so die bezweckte Koordination von Vertragsund Deliktsstatut gerade nicht.733 Auch sei das anwendbare Deliktsrecht für den Unternehmer nicht hinreichend vorhersehbar, wenn es vom gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers abhänge.734 (3) Vermeidung eines „Rechtsmixes“ Staudinger wiederum möchte das durch Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO eingeräumte Ermessen dahingehend nutzen, dass eine akzessorische Anknüpfung nur dann vorgenommen wird, wenn sie nicht zu einem „Rechtsmix“ führe.735 Ansonsten können das vertragliche und deliktische Schuldverhältnis gerade nicht nur einer Rechtsordnung unterstellt werden und das Ziel der akzessorische Anknüpfung werde verfehlt.736 Wenn die Parteien ein „sachfernes Recht“ gewählt hätten, bestehe zu dieser Rechtsordnung zudem keine offensichtlich engere Verbindung.737 Ein echter Günstigkeitsvergleich im Deliktsrecht sei jedenfalls abzulehnen, weil dies Wortlaut, Systematik und Telos widerspreche; insbesondere sei der Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern kein Ziel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO.738
730
Ebd., S. 291. Ebd. 732 Landbrecht, RIW 2010, 783 (789). 733 Ebd. S. 790. 734 Ebd., S. 791. 735 Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 84. 736 Ebd. 737 Ebd. 738 Ebd. 731
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(4) Günstigkeitsvergleich Grundsätzlich könnte man den Günstigkeitsvergleich auf das Deliktsrecht übertragen, wie teilweise vertreten wird.739 Denn beim Günstigkeitsvergleich des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO sind gerade nicht nur die explizit verbraucherschützenden Normen zu berücksichtigen,740 sodass es unproblematisch sei, dass es im Deliktsrecht kein spezielles Verbraucherrecht gibt. Schwierigkeiten könne dabei allerdings bereiten, dass es im Deliktsrecht nicht immer eindeutig sei, was „günstiger“ bedeute.741 (5) Stellungnahme Bei der Bewertung der dargestellten Meinungen ist zunächst zu bedenken, dass die akzessorische Anknüpfung wegen Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO nur deshalb zulässig ist, weil die Rom I-VO in Art. 6 einen eigenen Verbraucherschutzmechanismus vorhält. Das kollidiert mit der Ansicht von Landbrecht. Wenn man – wie er – allein das gewählte Recht im Deliktsrecht für anwendbar erachten würde, stünde der Verbraucher genau gleich wie ein nicht zu privaten Zwecken Handelnder; faktisch gibt es dann gerade keinen Verbraucherschutz mehr, womit die Rechtfertigung für eine akzessorische Anknüpfung auch im Verbrauchervertrag entfiele. Das ist schon mit der Rom I-VO nicht vereinbar. Zwar wird in der Rom I-VO die Rechtswahl im Verbrauchervertrag gestattet, dies aber nur unter der Bedingung, dass dem Verbraucher kein Nachteil daraus erwächst. Das hat der EuGH in der Rechtssache VKI ./. Amazon insoweit bestätigt, als durch die Gestattung der Rechtswahl der Verbraucher auch nicht in faktischer Hinsicht beeinträchtigt sein darf. Nach dieser Entscheidung ist eine Rechtswahl im Verbrauchervertrag zusammen mit der Klausel-RL nur dann wirksam, wenn der Unternehmer den Verbraucher auf den in Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO vorgesehenen Günstigkeitsvergleich hinweist.742 Zuzugeben ist zwar, dass grundsätzlich das gewählte Recht das eigentliche Vertragsstatut ist und das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt nur als Korrektiv wirken soll. Allerdings ist der von Landbrecht geltend gemachte Koordinierungseffekt zwischen gewähltem Vertragsrecht und dem nachfolgenden Deliktsrecht in der Praxis stark verringert. Zum einen ist dieser durch den Günstigkeitsvergleich im Vertragsrecht schon in seiner Reichweite eingeschränkt, zum anderen entspricht es nicht der üblichen Praxis der Gerichte. Denn diese prüfen den geltend gemachten An739
Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 38; Mankowski, IPRax 2010, 389 (401); wohl auch Schack, JZ 2019, 864 (871). 740 Siehe oben S. 79–81. 741 Mankowski, IPRax 2010, 389 (401). 742 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 67 ff.
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spruch vorrangig nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers. Erst wenn ein geltend gemachter Anspruch nach dem Aufenthaltsrecht nicht (in voller Höhe) besteht, kann die Rechtswahl tatsächlich relevant werden für den Fall, dass es für den Verbraucher günstiger ist. Ansonsten ist sie letztlich irrelevant.743 Eine Anwendung allein des gewählten Rechts widerspricht also der Konzeption der Verordnungen, bringt keine praktischen Vorteile und kann daher nicht überzeugen. Der Ansatz von Kadner Graziano bezweckt eine akzessorische Anknüpfung, ohne dem Verbraucher den Schutz seiner Heimatrechtsordnung zu entziehen. Zutreffend ist daran, dass die Heimatrechtsordnung auch im Deliktsrecht aus den eben genannten Gründen jedenfalls nicht irrelevant sein darf. Nicht erforderlich ist dafür allerdings, auf den Günstigkeitsvergleich zu verzichten. Denn dieser führt insbesondere nicht zur Anwendung einer weiteren Rechtsordnung, sondern führt nur den Ansatz im Vertragsrecht fort. Gegen die Ansicht von Staudinger ist zunächst vorzubringen, dass ein „sachfernes“ gewähltes Recht gerade ein typischer Fall für die akzessorische Anknüpfung als Unterfall der offensichtlich engeren Verbindung ist. Die besonders enge Verbindung ergibt sich hier nicht daraus, dass objektiv gesehen der vertragliche Sachverhalt eng mit einem Staat verbunden ist, sondern allein aus dem Umstand, dass die Parteien ihren gemeinsamen Willen erklärt haben, ihr Verhältnis diesem Recht unterstellen zu wollen. Die erforderliche Nähe wurde also durch die Parteien willentlich selbst hergestellt. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO ist die Wahl eines solchen „sachfremden“ Rechts auch Verbrauchern gestattet. Beachtung verdient hingegen die Absicht, einen „Rechtsmix“ im Deliktsrecht zu vermeiden. Ein Günstigkeitsvergleich im Deliktsrecht bringt den Nachteil mit sich, dass im Deliktsrecht statt einer nun zwei Rechtsordnungen Bedeutung für die Entscheidungsfindung haben. Das ist dem Internationalen Deliktsrecht aber nicht grundsätzlich fremd, wie aus Art. 17 Rom II-VO zu schließen ist. Auch ist zweifelhaft, ob das im Deliktsrecht tatsächlich schlechter als im Vertragsrecht zu meistern wäre. In der Praxis wird sich das – wie schon der Günstigkeitsvergleich im Vertragsrecht – als weniger aufwendig erweisen, als es zunächst erscheint. Sofern ein Gericht nach einer der beiden Rechtsordnungen die von einem Verbraucher geltend gemachte Rechtsposition feststellt, ist die andere Rechtsordnung nicht mehr zu prüfen. Überzeugen kann folglich der Ansatz, den Günstigkeitsvergleich im Deliktsrecht zu übernehmen. Denn allein dieser knüpft tatsächlich an die Situation im Vertragsrecht an, wie sie durch die Rom I-VO vorgegeben ist. Eine 743 v. Bar/Mankowski, 2. Aufl. 2019, IPR II, § 1, Rn. 488; Basedow, in: FS Jayme, 2004, S. 3 (14 ff.); Brosch/Thiede, ecolex 2017, 517 (518); Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/ EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 56; Valdini, Der Schutz der schwächeren Vertragspartei im Internationalen Vertriebsrecht, 2013, S. 274.
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Stütze findet dieser Ansatz auch in den Gesetzgebungsmaterialien: Die Europäische Kommission wies in ihrem ersten Vorschlag darauf hin, dass eine akzessorische Anknüpfung bei Verbraucher- und Arbeitsverträgen denkbar ist, sofern der Schutz der schwächeren Partei nicht entzogen wird. Nach Ansicht der Kommission wäre eine besondere Regelung in der Rom II-VO dazu nicht erforderlich, da Art. 5 EVÜ schon einen hinreichenden Schutz garantiere.744 Das bedeutet, dass der Schutzmechanismus des internationalen Vertragsrechts auch im Deliktsrecht gelten muss. Auf den ersten Blick mag zwar zweifelhaft erscheinen, welche Normen in den Günstigkeitsvergleich im Deliktsrecht einzubeziehen sind, weil das Deliktsrecht nicht nach verschiedenen Geschädigtenkategorien unterscheidet, sondern konkrete zu schützende Rechtsgüter herausgreift. Jedoch ist der Rechtsgüterschütz dem Schutz einer schwächeren Vertragspartei nicht unähnlich, sodass hier das sehr weite Verständnis der zu berücksichtigenden Normen aus dem Vertragsrecht fortzusetzen ist.745 Zu berücksichtigen sind mithin alle Normen, die auch Verbrauchern zugutekommen. Der Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern bei der akzessorischen Anknüpfung ist daher durch die Übertragung des Günstigkeitsvergleichs zu gewährleisten. cc) Akzessorische Anknüpfung bei objektiver Anknüpfung des Vertragsstatuts Von dieser Diskussion zu differenzieren ist die akzessorische Anknüpfung, wenn das Vertragsstatut durch objektive Anknüpfung (Art. 4, Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO) ermittelt wurde.746 Dies sieht Kadner Graziano kritisch für jene Verbraucherverträge, die nicht unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO fallen, denn dies führe über Art. 4 Rom I-VO in aller Regel zur Anwendung des Rechts am gewöhnliche Aufenthalt des Unternehmers; dies sei aber typischerweise die Rechtsordnung, die Unternehmer entgegen Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom IIVO gerne wählen würden, weswegen auch in diesen Fällen die akzessorische Anknüpfung aus Wertungsgründen auszuschließen sei.747 Staudinger wendet dagegen ein, dass das objektiv angeknüpfte Vertragsstatut eine sachnahe Rechtsordnung sei und das Ziel der akzessorischen Anknüpfung, den einheitlichen Sachverhalt einer Rechtsordnung zu unterstellen, erreicht werden kön-
744 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), KOM(2003) 427 endg., S. 14. 745 Siehe oben S. 79–81. 746 Dafür Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 83, 85. 747 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (24).
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ne.748 Dies gelte auch dann, wenn objektiv angeknüpft werde, weil die Rechtswahl aufgrund der in der Rechtssache VKI ./. Amazon aufgestellten Maßgaben unwirksam ist.749 Die Überlegung von Kadner Graziano ist zwar nachvollziehbar, erscheint aber eher theoretischer Natur. Denn bei jenen Verbraucherverträgen, die trotz der weiten Auslegung des „Ausrichtens“ in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO durch den EuGH750 nach Art. 4 Rom I-VO anzuknüpfen sind, handelt es sich um sogenannte aktive Verbraucher. Das setzt voraus, dass sich der Verbraucher aus eigenem Antrieb in einen anderen Staat zum Vertragsschluss begibt. Delikte in Zusammenhang mit einem solchen Vertrag werden in aller Regel auch ihren Erfolgsort im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO in diesem Staat haben. Hinzu kommt, dass solche Verträge deshalb nicht unter Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO fallen, weil der „aktive Verbraucher“ als weniger schutzbedürftig erachtet wird.751 Zwar könnte man einwenden, dass die Rom II-VO und die Rom I-VO ein unterschiedliches System zum Schutz des Verbrauchers gewählt haben und in ersterer eben nicht zwischen verschiedenen Konstellationen unterschieden wird. Da hier aber eben kein Fall der Rechtswahl vorliegt, steht dem Art. 14 Abs. 2 lit. b Rom II-VO von vornherein nicht entgegen.752 Dafür, bei einer objektiven Bestimmung des Vertragsstatuts die akzessorische Anknüpfung zuzulassen, spricht, dass hier das Ziel der Koordination von Vertrags- und Deliktsrecht tatsächlich erreicht werden kann, weil das Vertragsstatut vollständig einer Rechtsordnung unterstellt ist. dd) Zwischenergebnis Festzuhalten ist daher, dass die akzessorische Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO auch bei Verbraucherverträgen möglich ist. Wenn die vertragliche Rechtswahl nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO in ihrer Rechtsfolge modifiziert ist, dann ist der Günstigkeitsvergleich auch im Deliktsrecht vorzunehmen.
748
Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 83. 749 Ebd., Rn. 85. 750 EuGH, Urteil vom 07.10.2013 – C-218/12, ECLI:EU:C:2013:666, Lokman Emrek ./. Vlado Sabranovic; Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, ECLI:EU:C:2010: 740, Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller. 751 Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 6, Rn. 76. 752 So zum Verhältnis von Art. 42 und 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB Koch, VersR 1999, 1453 (1457).
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e) Zusammenfassung zur geltenden Rechtslage Trotz der unterschiedlichen Formulierung ist die akzessorische Anknüpfung in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO und in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB deckungsgleich. Im Verhältnis zur jeweiligen Ausweichklausel gilt, dass es sich nicht um unterschiedliche Anknüpfungsregeln handelt, sondern eine enge Wechselbeziehung vorliegt. Das hat zur Folge, dass keine unterschiedlichen Anforderungen gegeben sind, sondern immer alle Umstände zu beachten sind. Zwischen dem Näheverhältnis und dem Delikt muss ein tatsächlicher Zusammenhang gegeben sein, sodass die akzessorische Anknüpfung sachlich begründet und nicht zufällig ist. Eine akzessorische Anknüpfung ist nicht nur bei Rechtsverhältnissen, sondern auch bei tatsächlichen Verhältnissen möglich. Ein solches tatsächliches Verhältnis kann auch dadurch begründet werden, dass die Parteien des Deliktsverhältnisses jeweils in einem vertraglichen Verhältnis zum selben Dritten stehen, sofern diese Verträge Anlass für das Näheverhältnis sind. Trotz des Rechtswahlverbots für Verbraucher in Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO ist eine akzessorische Anknüpfung an ein Verbrauchervertragsstatut zulässig, auch wenn dieses gewählt wurde. In der Rechtsfolge ist aber der Günstigkeitsvergleich des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO zu beachten, d.h. soweit das Deliktsrecht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, für diesen günstiger ist als das gewählte Recht, ist somit das erstgenannte anzuwenden. 3. Anwendung auf soziale Medien Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien zeichnen sich dadurch aus, dass vertragliche Beziehungen die Verhältnisse wesentlich prägen. Mithilfe der akzessorischen Anknüpfung kann den vertraglichen Verhältnissen Bedeutung für das Kollisionsrecht der deliktischen Ansprüche verliehen werden, soweit dies angemessen erscheint. Nach der vorausgehenden allgemeinen Gesetzesauslegung ist nun speziell für die Verhältnisse in sozialen Medien zu prüfen, inwiefern eine akzessorische Anknüpfung tatsächlich eine engere Verbindung als die Regelanknüpfung darstellt und einem angemessenen Interessenausgleich dienlich ist. Dafür sind die einzelnen Verhältnisse, die in dem Beziehungsdreieck zwischen schädigendem Nutzer, geschädigter Person und Plattformbetreiber bestehen, gesondert zu betrachten. a) Das Verhältnis zwischen Plattformbetreiber und Nutzer Zunächst kommt eine akzessorische Anknüpfung für das Verhältnis zwischen dem Betreiber der Plattform und ihrem Nutzer in Betracht. Das kann einerseits ein solcher Nutzer sein, der einen beeinträchtigenden Inhalt veröffentlicht hat, und andererseits ein Nutzer, der auf der Betroffenenseite steht.
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Dadurch, dass zwischen dem Plattformbetreiber und dem Nutzer ein vertragliches Verhältnis besteht, ist eine akzessorische Anknüpfung des deliktsrechtlichen Verhältnisses an das vertragliche grundsätzlich im Rahmen des geltenden Rechts möglich. Beispielsweise würde daher auch irisches Deliktsrecht Anwendung finden, wenn der Plattformvertrag kraft wirksamer Rechtswahl im Vertragsrecht753 irischem Vertragsrecht unterstellt wurde. Wie eben gesehen, ist eine akzessorische Anknüpfung auch bei Verbraucherverträgen möglich. Wenn für den Plattformvertrag – wie derzeit üblich754 – keine Rechtswahl getroffen wurde, hat dies zur Folge, dass sowohl das Vertragsals auch das Deliktsstatut das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers ist. In diesen beiden Konstellationen ermöglicht also eine akzessorische Anknüpfung, dass ein Rechtsverhältnis in vertraglicher wie deliktischer Hinsicht einheitlich einer einzelnen Rechtsordnung unterstellt wird und sich die Vorteile der akzessorische Anknüpfung entfalten können. Doch auch wenn im Verbrauchervertrag das anwendbare Recht gewählt wurde und es im Vertragsrecht deshalb gem. Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO zu einem Günstigkeitsvergleich kommt, ist eine akzessorische Anknüpfung, wie eben gesehen, möglich. Die akzessorische Anknüpfung umfasst dabei nicht nur einen Verweis auf das gewählte Vertragsrecht, sondern auch den Günstigkeitsvergleich mit dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt. Auch hier kann die akzessorische Anknüpfung ihre Vorteile entfalten. Zudem wird dadurch der Verbraucherschutzgedanke des Art. 6 Rom I-VO fortgesetzt, indem sich der Nutzer auch in deliktischer Hinsicht in jedem Fall auf den rechtlichen Standard in seinem Heimatstaat verlassen kann; die Rechtswahl kann für ihn nur zu einem weitergehenden Schutz führen. Gleichwohl ist dies auch für den Plattformbetreiber von Vorteil. Denn statt das anwendbare Recht im konkreten Einzelfall anhand der jeweiligen Veröffentlichung im Rahmen der Grundanknüpfung755 prüfen zu müssen, richtet sich das Deliktsrecht nach dem bereits maßgeblichen Vertragsstatut. Voraussetzung für die eben beschriebene akzessorische Anknüpfung ist aber, dass zwischen der jeweiligen Persönlichkeitsrechtsverletzung und dem Plattformvertrag ein hinreichender Zusammenhang besteht.756 In Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und dem Nutzer, der einen potentiell verletzenden Inhalt auf der Plattform veröffentlicht hat, ist immer ein hinreichender Zusammenhang gegeben. Denn schließlich ist der Abschluss des Plattformvertrags und dessen Durchführung eine conditio sine qua non für eine potentiell verletzende Veröffentlichung. Freilich sind deliktische Ansprüche in diesem Verhältnis eher die Ausnahme. Denkbar sind vor 753
Siehe oben S. 78–85. Siehe oben S. 82–85. 755 Siehe oben S. 247–254. 756 Siehe oben S. 269 f. 754
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allem Ansprüche auf Wiederherstellung eines gelöschten Beitrags, soweit man diese deliktisch qualifizieren möchte.757 Eine genauere Betrachtung erfordert hingegen das Verhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und dem Nutzer, der durch eine Veröffentlichung eines anderen Nutzers beeinträchtigt wurde. Hier ist zu prüfen, ob die Beeinträchtigung überhaupt im Zusammenhang damit steht, dass die geschädigte Person selbst Mitglied des Netzwerks ist. Der für eine akzessorische Anknüpfung erforderliche Zusammenhang setzt voraus, dass die Veröffentlichung unmittelbar mit dem eigenen Netzwerkauftritt der betroffenen Person verknüpft ist. Die schlichte namentliche Nennung der Person genügt dafür nicht, denn hier kommt der Plattformvertrag der beeinträchtigten Person nicht zum Tragen. In diesen Fällen ist es vielmehr Zufall, ob die geschädigte Person auch Nutzer der Plattform ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Netzwerkauftritt der betroffenen Person – typischerweise das „Profil“ – damit verknüpft ist. Hierfür sind verschiedene Wege denkbar. Beispielsweise kann der Inhalt unmittelbar in dem öffentlichen Profil der geschädigten Person veröffentlicht werden, das in diesen Fällen gewissermaßen wie ein Gästebuch funktioniert. Die Person kann auf einem Foto „getaggt“ oder das Profil mit einem Inhalt verlinkt werden. Häufig ist auch der Fall, dass im Rahmen einer Online-Diskussion die später beeinträchtigte Person eine Äußerung abgibt und die direkte Antwort eines anderen Nutzers verletzend ist. In solchen und vergleichbaren Fällen ist ein hinreichender Zusammenhang gegeben und eine akzessorische Anknüpfung möglich. b) Das Verhältnis zwischen vertraglich verbundenen Nutzern Eine akzessorische Anknüpfung ist außerdem im Verhältnis zwischen den Nutzern dann sinnvoll und möglich, wenn diese miteinander einen Vertrag über die Plattform geschlossen haben und es in diesem Zusammenhang zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung kommt. Unter diese Kategorie fallen insbesondere jene Fälle, in denen der eine Vertragspartner dem anderen Vertragspartner eine negative Bewertung auf der Vertragsvermittlungsplattform gibt.758 Daneben ist auch an Fälle zu denken, in denen ein der Persönlichkeitsrechtsverletzung vorausgehender Vertrag unabhängig von der Plattform besteht. A. Junker nennt beispielsweise die Konstellation, dass auf vertraglicher Grundlage ein Interview gegeben wird und auf dieser Grundlage verfälschte Äußerungen getätigt werden oder auch dass die zugrundeliegende Informationen allein aufgrund einer familienrechtlichen Sonderbeziehung erlangt werden konnten.759 Ahrens wiederum verweist auf die akzessorische Anknüpfung 757
Siehe oben S. 115–118. Siehe oben S. 15–17. 759 A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 85. 758
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für den Fall, dass ein Lizenzvertrag über die vermögensrechtliche Verwertung des postmortalen Persönlichkeitsrechts besteht.760 c) Sonstige Verhältnisse zwischen Nutzern Darüber hinaus könnte man auch erwägen, das deliktische Verhältnis zwischen zwei Nutzern, das aufgrund ihrer Netzwerkaktivitäten entsteht, in Abhängigkeit zum jeweils zugrundeliegenden Plattformvertrag zu stellen. In diesen Fällen besteht kein vertragliches Verhältnis zwischen den Nutzern selbst. Vielmehr liegt hier ein tatsächliches vorausgehendes Näheverhältnis zwischen den Beteiligten vor, das durch jeweils bestehende vertragliche Verbindung zum selben Dritten – hier dem Plattformbetreiber – hergestellt wird. Sofern beide Plattformverträge demselben Recht unterliegen, könnte dieses Recht im Wege der akzessorischen Anknüpfung auch auf das deliktsrechtliche Verhältnis zwischen den Nutzern erstreckt werden.761 Insofern kann hier eine Parallele zum Spital-Fall des BGH762 gezogen werden. Strukturell gibt es aber einen Unterschied zum Spital-Fall, der eine Übertragung der Argumentation wesentlich begrenzt: Dort ist aus Sicht des Patienten die Behandlung durch den Arzt die Durchführung und Erfüllung des Vertrags mit dem Spitalbetreiber. Die schädigende Handlung ist unmittelbarer Ausfluss aus dem Behandlungsvertrag, sodass die beiden Verhältnisse aus Sicht des Patienten eng miteinander verwoben sind. Das ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zwischen Nutzern in sozialen Medien gerade nicht der Fall. Der Plattformvertrag ist die Grundlage für spätere Kommunikation. Er ist nicht eng mit dem Verhältnis zu den anderen Nutzern verwoben, sondern vielmehr das zugrundeliegende Fundament. Der Plattformvertrag ist der Schlüssel zu einem speziellen Kommunikationsraum und tatsächliche Voraussetzung. Die Verhältnisse bedingen sich aber nicht gegenseitig. Auch wird ein betroffener Nutzer in der Äußerung eines anderen Nutzers nicht die Durchführung des Plattformvertrags an sich sehen. Doch auch inhaltlich würde man mit einer akzessorischen Anknüpfung in dieser Kategorie von Fällen nicht die Erwartungen der Parteien treffen. Häufig kennen sich die Parteien bereits unabhängig von ihrer Aktivität in sozialen Medien. Wenn beispielsweise ein Mobbingfall in der Schule auf einer weltweit abrufbaren Plattform fortgesetzt wird, wird die Plattform zwar genutzt und dies mag die Schädigung verschärfen. Die Plattform ist hier jedoch lediglich „Mittel zum Zweck“, nicht aber das prägende Element. Den Erwartungen der Parteien kann allein die Anwendung des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt entsprechen. Denn dieser prägt sowohl das bereits 760
Adena, in: FS Erdmann, 2002, S. 3 (15). Dazu schon v. Hein/Bizer, Int J Data Sci Anal 2018, 233 (238). Ähnlich Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.141 ff., 5.146. 762 Siehe oben S. 270–272. 761
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bestehende Verhältnis als auch den Inhalt der schädigenden Veröffentlichung. Doch auch wenn die Parteien erst über die Plattform miteinander in Kontakt kommen, vermitteln der Inhalt und der Kontext der streitigen Veröffentlichung in der Regel eine klare geografische Verbindung, wie bereits im Rahmen der Grundanknüpfung gesehen.763 Zu nennen wäre beispielsweise ein vorausgehendes Ereignis, auf das sich die Veröffentlichung bezieht, oder ein Vorverhalten der geschädigten Person, das eine Verbindung zu einem konkreten Staat schafft. Weder entspricht das den typischen Erwartungen der Beteiligten noch nützt dies einer effizienten Streitbeilegung noch war der Plattformvertrag zwischen Betreiber und geschädigter Person so prägend für die Persönlichkeitsrechtsverletzung, dass sie die Frage des anwendbaren Rechts beeinflussen sollte. Es fehlt somit an einem hinreichend sachlichen Zusammenhang zwischen dem außervertraglichen Schuldverhältnis und dem Plattformvertrag. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass eine akzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen den Nutzern in den meisten Fällen gegenläufig zu den Parteierwartungen ist. Andere Sachverhaltselemente vermögen es viel eher, eine geografische Verbindung herzustellen. Diesen ist vorrangig Geltung zu verleihen. Eine akzessorische Anknüpfung ist daher für das Verhältnis zwischen den Nutzern abzulehnen. d) Akzessorische Anknüpfung bei reinen Plattformfällen Berechtigt erscheint eine akzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen den Nutzer jedoch dann, wenn sich der Fall ausschließlich in der virtuellen Welt abspielt.764 Die akzessorische Anknüpfung ist dann eine geeignete Methode, ein für beide Parteien neutrales Recht zu ermitteln. Ein solcher reiner Plattformfall zeichnet sich dadurch aus, dass in der Regel Pseudonyme verwendet werden, eine virtuelle Reputation innerhalb eines Netzwerks aufgebaut wird und diese beeinträchtigt sein kann. Wenn sich beispielsweise in einem Expertenforum ein Nutzer einen Ruf als besonders sachkundig erarbeitet hat und eben dieser Ruf angegriffen wird, ist gerade dieser virtuelle Ruf beeinträchtigt; eine besondere Nähe zu einem Staat liegt nicht vor. Diese Beeinträchtigungen beschränken sich also in ihren Auswirkungen auf die entsprechende Netzwerkgemeinde. In diesen Fällen gibt es weder eine inhaltliche noch eine persönliche Verankerung außerhalb des virtuellen Raums. Hingegen wird die Plattformmitgliedschaft, verwirklicht über die jeweiligen Plattformverträge, das prägende Element. Jegliche Anknüpfung an übliche Anknüpfungsmomente wie an den gewöhnliche Aufenthalt einer Partei oder an den tatsächliche Handlungsort erscheinen willkür763
Siehe oben S. 247–254. Siehe dazu schon oben S. 15–17. Eingehend zu dieser Kategorie siehe Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (29 ff.). 764
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lich. Daher ist es gerechtfertigt, in diesen Fällen das verbindende Element hervorzuheben, also den Plattformvertrag zum Betreiber.765 Die Anwendung desjenigen Rechts, dem auch der Plattformvertrag unterliegt, auch auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen innerhalb des Netzwerks schafft Vorhersehbarkeit und Klarheit. Mit Abschluss eines Plattformvertrags ist einem Nutzer klar, welchem Recht seine Aktionen innerhalb der Plattform insgesamt unterliegen. Das ist zudem deshalb sinnvoll, weil bei reinen Plattformfällen häufig gerade nicht bekannt ist, wo der Gesprächspartner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Soweit auf die jeweiligen Plattformverträge der beiden Nutzer zum selben Plattformbetreiber dasselbe Recht Anwendung findet, sollte dieses Recht im Wege der akzessorischen Anknüpfung auch auf das deliktische Verhältnis zwischen diesen Nutzern ausgedehnt werden. Wenn die Plattformverträge aufgrund fehlender Rechtswahl nicht derselben Rechtsordnung unterliegen, erscheint es bei reinen Plattformfällen zum Zwecke der Ermittlung eines neutralen Rechts angemessen, im Wege der allgemeinen Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO bzw. Art. 41 Abs. 1 EGBGB)766 dann an die Niederlassung des Plattformbetreibers anzuknüpfen. Gleichwohl muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass diese Fälle, soweit ersichtlich, bislang nicht und voraussichtlich auch zukünftig nicht vor staatlichen Gerichten entschieden werden. Die praktische Relevanz dieser Fälle ist daher als sehr gering einzustufen. 4. Ergebnis Die allgemeinen Ausweichklauseln in Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO und Art. 41 Abs. 1 EGBGB ermöglichen es, bei atypischen Fällen korrigierend einzugreifen. Dies darf aber nicht vorschnell angenommen werden, sondern nur dann, wenn sich die enge Verbindung zu jenem anderen Staat bei Berücksichtigung aller Umstände des Falls regelrecht aufdrängt. Im Rahmen des hier angeregten Anknüpfungssystems für Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommt der Ausweichklausel keine besondere Bedeutung zu. Eine akzessorische Anknüpfung an ein vorausgehendes Verhältnis zwischen den Parteien ermöglicht es sowohl nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO als auch nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB, Rechtsverhältnisse besser miteinander zu koordinieren und den typischen Parteierwartungen zu entsprechen. 765 Nordmeier, MMR 2010, 151 (155 f.), befürwortet einen ähnlichen Ansatz für den Fall der Schädigung von Daten, die in einer Cloud gespeichert sind. Nach seiner Meinung soll das deliktsrechtliche Verhältnis zwischen dem geschädigten Cloudnutzer und einem fremden Schädiger, der nicht personenidentisch mit dem Cloudbetreiber ist, akzessorisch an den Vertrag zwischen Cloudbetreiber und Cloudnutzer angeknüpft werden. Zust. Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing, 2014, S. 119. 766 Siehe oben S. 262–264.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien kommt eine akzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und dem Nutzer in Betracht, sofern ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Plattformvertrag und der konkreten Veröffentlichung gegeben ist. Dies gilt auch bei Verbraucherverträgen; in diesen Fällen ist auch im Deliktsrecht ein Günstigkeitsvergleich im Sinne des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO vorzunehmen. Im Verhältnis zwischen den Nutzern ist eine akzessorische Anknüpfung dann denkbar, wenn zwischen ihnen ein vorausgehender Vertrag bestand und die Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang damit erfolgte. Zwar ist es möglich, im Rahmen der akzessorische Anknüpfung auch tatsächliche Verhältnisse zu berücksichtigen. Dazu gehört insbesondere das tatsächliche Näheverhältnis zwischen zwei Nutzern, das durch den jeweiligen Plattformvertrag zum selben Betreiber geschaffen wird. Interessengerecht ist die akzessorische Anknüpfung aber nur bei solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien, die sich allein in der virtuellen Welt abspielen und weder inhaltlich noch persönlich einen Bezug darüber hinaus herstellen.
E. Die Rechtswahl im Deliktsrecht E. Die Rechtswahl im Deliktsrecht
Die Berechtigung der Parteien, das anwendbare Recht selbst zu bestimmen, hat sich zu einem Grundprinzip des Kollisionsrechts entwickelt.767 Der Vorrang der Parteiautonomie erstreckt sich auch in den Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse: Das Kollisionsrecht der EU als auch das der Mitgliedstaaten sehen Rechtswahlmöglichkeiten vor.768 Zwar ist die Bedeutung der Rechtswahl im Deliktsrecht in der Praxis geringer als im Vertragsrecht,769 jedoch entfalten sich auch dort die praktischen Vorteile wie insbesondere eine hohe Rechtssicherheit.770 767 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 35; ders., in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 1; Leible, RIW 2008, 257 (257 f.); ausführlich zur Entwicklung Schmitz, Die Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, 2017, S. 45 ff.; a.A. wohl Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 8 f. („Die Parteiautonomie stellt […] eine ‚Anomalie‘ in den Rom I- und Rom II-Verordnungen dar und wird aus systematischer Sicht mithin nicht zu Unrecht als ‚Verlegenheitslösung‘ bezeichnet.“). 768 Überblick bei v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 1. 769 Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 7; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 14, Rn. 6; Picht, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 14, Rn. 18. 770 Vgl. ErwGr. 31 S. 1 Rom II-VO; siehe auch Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 8 ff. v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 36; ders., in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 2; Picht, in: RauscherEuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 14, Rn. 18; Spickhoff, in: BeckOK BGB,
E. Die Rechtswahl im Deliktsrecht
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Gegenwärtig ist es den Parteien bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung möglich, das anwendbare Recht im Rahmen des Art. 42 EGBGB ex post zu wählen. De lege ferenda ist für das europäische Kollisionsrecht zu prüfen, ob für das auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen anwendbare Recht eine freie Rechtswahl überhaupt möglich sein sollte (II.). Zuvor wird die Ausgestaltung der Rechtswahl im Deliktsrecht gem. Art. 14 Rom II-VO kurz dargestellt (I.). I. Darstellung der geltenden Rechtslage Es ist sowohl in Art. 14 Rom II-VO als auch in Art. 42 EGBGB vorgesehen, dass die Parteien das anwendbare Deliktsrecht wählen können. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Normen besteht darin, dass das autonome IPR nur eine Rechtswahl ex post zulässt,771 wohingegen Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II-VO auch eine dem schädigenden Ereignis vorausgehende Rechtswahl erlaubt, sofern alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen und die Vereinbarung frei ausgehandelt wurde.772 Das bedeutet in der Konsequenz insbesondere, dass Verbraucher keine wirksame Rechtswahl ante eventum treffen können. Jenseits des Art. 14 Rom II-VO kann eine Rechtswahl mittelbar über die akzessorische Anknüpfung an das Vertragsstatut getroffen werden. Gem. Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO wie auch gem. Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB soll das Deliktstatut in Abhängigkeit zum Vertragsstatut bestimmt werden, sofern zwischen den Parteien ein vertragliches Verhältnis bestand.773 Das Vertragsstatut wiederum kann gem. Art. 3 Rom I-VO frei durch Rechtswahl bestimmt werden, soweit dieses Recht nicht durch die Sonderanknüpfungen der Art. 5–8 Rom I-VO eingeschränkt ist.774 Im Gegensatz zu einer tatsächlichen Rechtswahl im Deliktsrecht ist die akzessorische Anknüpfung aber nicht zwingend und kann daher nicht die gleiche Rechtssicherheit entfalten.775 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 42, Rn. 1. Überblick zu den Vorteilen der Rechtswahl bei Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 13 ff., m.w.N. 771 BT-Drs. 14/343, S. 14; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 42, Rn. 16 ff.; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 42, Rn. 3, jew. m.w.N. Zur Frage, ob über den Wortlaut hinaus auch eine Rechtswahl ex ante zulässig ist, siehe insb. v. Hein, RabelsZ 64 (2000), 595, 599 ff.; Rugullis, IPRax 2008, 319. 772 Zum Begriff der „kommerziellen Tätigkeit“ siehe Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 248 ff. Wann eine Rechtswahl tatsächlich frei ausgehandelt ist und ob das in AGB überhaupt denkbar ist, ist eine der umstrittensten Fragen des Art. 14 Rom II-VO, siehe dazu die umfassenden Nachweise bei Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 35 f. 773 Ausführlicher zur akzessorische Anknüpfung siehe oben S. 264–292. 774 Zur Rechtswahl im Vertragsrecht siehe oben S. 78–85. 775 Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 10, 37; Picht, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 14, Rn. 18.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Zudem schafft die akzessorische Anknüpfung bei Verbraucherverträgen rechtliche Unklarheiten, wie soeben gesehen.776 Es kann nur staatliches Recht gewählt werden.777 Die Auswahl aus den staatlichen Rechtsordnungen unterliegt wiederum keinen weiteren Einschränkungen.778 Eine getroffene Rechtswahl hat Vorrang vor jeder objektiven Anknüpfung und kann auch nicht unter Verweis auf eine offensichtlich engere Verbindung ignoriert werden.779 Eine Rechtswahl verweist auf das gewählte Sachrecht unter Ausschluss seiner Kollisionsnormen (Art. 4 Abs. 2 S. 2 EGBGB bzw. Art. 24 Rom II-VO).780 II. Ausschluss der Rechtswahl im System der Rom II-VO Die Rom II-VO lässt in manchen Rechtsbereichen keine Rechtswahl zu. Bei einer erstmaligen Regelung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen im europäischen Kollisionsrecht ist daher zu prüfen, ob auch diese zu den von der freien Rechtswahl ausgenommenen Rechtsbereichen zählen sollten. Dafür sind in einem ersten Schritt die Erwägungen hinter den bisherigen Regelungen zu betrachten, um sodann in einem zweiten Schritt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen herauszuarbeiten. 1. Art. 6 Abs. 4 und Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO Der Vorrang der Parteiautonomie nach Art. 14 Rom II-VO gilt im europäischen Deliktsrecht nicht für Fälle des unlauteren Wettbewerbs, des den freien Wettbewerb einschränkenden Verhaltens und der Verletzung von Rechten des 776
Siehe oben S. 274–285. Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 29; v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 32; Leible, RIW 2008, 257 (261); Rühl, in: FS Kropholler, 2008, S. 187 (189 f.); Schmitz, Die Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, 2017, S. 224; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom IIVO Art. 14, Rn. 2. Eingehend dazu Leible/Wilke, FS Kronke, 2020, S. 297; Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 293 ff. 778 v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 31; Rühl, in: FS Kropholler, 2008, S. 187 (192); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 42, Rn. 4; ders., in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 14, Rn. 2; Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 319 f. 779 v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 3; ders., Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 42, Rn. 4; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 42, Rn. 1. 780 v. Hein, in: Calliess, 3rd ed. 2020, Rome II Regulation Art. 14, Rn. 33; A. Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 42, Rn. 29, m.w.N.; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 42, Rn. 8. 777
E. Die Rechtswahl im Deliktsrecht
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geistigen Eigentums (Art. 6 Abs. 4 und Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO). Im Immaterialgüterrecht liegt der Grund für den Ausschluss der Parteiautonomie darin, dass diejenige Rechtsordnung, die ein Schutzrecht verleiht, auch über die Verletzung desselben bestimmen können muss (lex loci protectionis).781 Eine Abwahlmöglichkeit des Kartellverbotsrechts stünde im Widerspruch zum Telos der Materie, welches auch das Kollektivinteresse an einem freien Wettbewerb umfasst.782 Vergleichbares gilt für das Lauterkeitsrecht, wo die Wettbewerbsgleichheit im Sinne der Allgemeinheit abgesichert werden soll.783 Wie bereits gesehen, darf bei solchen Delikten auch nicht zugunsten des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von der Grundanknüpfung abgewichen werden.784 Ein Unterschied besteht nur bei Fällen, in denen wettbewerbswidriges Verhalten ausschließlich die Interessen eines bestimmten Wettbewerbers beeinträchtigen, denn dann verweist Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO auf die allgemeine Kollisionsnorm in Art. 4 Rom II-VO und damit auch auf die lex domicilii communis, wohingegen keine Ausnahme vom Rechtswahlverbot des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO ersichtlich ist. Gleichwohl bringt der Verweis auf Art. 4 Rom II-VO zum Ausdruck, dass offenbar kein Bedürfnis besteht, zwingend das Recht des jeweils betroffenen Staats zu Anwendung zu bringen, sobald nicht die Interessen Dritter oder des Markts im Allgemeinen unmittelbar tangiert sind. Stattdessen kann im Rahmen der allgemeinen Kollisionsnorm das zweiseitige Verhältnis zwischen Schädiger und Betroffenem nach der engsten Verbindung untersucht werden. Dementsprechend wird häufig argumentiert, dass der Ausschluss der Rechtswahl in Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO dahingehend teleologisch reduziert werden müsse, dass die Fälle des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO davon nicht erfasst sind:785 Wenn unmittelbar nur die Interessen zweier Streitparteien betroffen sind, dann sollten diese die
781
Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 41; Picht, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom II-VO Art. 6, Rn. 6. Siehe auch die Darstellung bei Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 115 f. Krit. zur Regelung etwa Leible, RIW 2008, 257 (259). 782 Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 40; Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 109; Wurmnest, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 6, Rn. 334. 783 Drexl, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom II-VO Art. 6, Rn. 206; Gebauer, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 40; Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 91. 784 Siehe oben S. 258–259. 785 Gebauer, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 14, Rn. 40; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 2013, S. 94; Leible, RIW 2008, 257 (259); Schmitz, Die Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht, 2017, S. 199; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, Rom II-VO Art. 6, Rn. 10; a.A. v. Hein, ZEuP 2009, 6 (23); Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse, 2013, S. 100 ff.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Freiheit haben, im Wege der Parteiautonomie über das anwendbare Recht zu disponieren. 2. Übertragung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen? Auch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind nur die Interessen der Streitparteien unmittelbar betroffen. Daher besteht kein Grund, den Grundsatz der Parteiautonomie einzuschränken. Wenn ein Deliktstypus wie die Verletzung des Wettbewerbs- oder Kartellrechts zur unmittelbaren Beeinträchtigung von Kollektivinteressen oder eines konkreten Markts führt, dann ist der Sachverhalt mit dem jeweiligen Territorium so eng verwoben, dass das dortige Recht zwingend zur Anwendung kommen muss. Angesichts dieser Allgemeininteressen dürfen die Streitparteien den Fall nicht eigenmächtig einer anderen Rechtsordnung unterstellen. Betrifft ein Sachverhalt hingegen unmittelbar nur Schädiger und Geschädigten, handelt es sich also um ein rein zweiseitiges Verhältnis, dann sollen die Parteien über das anwendbare Recht disponieren können. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind Kollektivinteressen nicht hinreichend betroffen, um vom Prinzip der Parteiautonomie abzuweisen. Der Ausschluss der Rechtswahl im Bereich des geistigen Eigentums bringt zum Ausdruck, dass dort, wo der Staat ein Schutzrecht erst gesetzlich schafft, dieser auch über dessen Verletzungen entscheidet. Doch auch dieser Aspekt greift nicht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, da der Schutz der Persönlichkeit im Menschsein als solchem begründet liegt und nicht in einer gesetzlichen Anordnung.786 Bestätigt wird dieses Ergebnis dadurch, dass bei den eben beschriebenen Delikten die Grundanknüpfung bei Streudelikten zu einer Mosaikbetrachtung führt. Dies bringt die territoriale Verbundenheit stark zum Ausdruck. Hingegen ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine Mosaikbetrachtung weder zwingend geboten noch interessengerecht.787 Während also dort der Territorialitätsgrundsatz weitgehend gilt und durch den Ausschluss der Rechtswahl gewahrt wird, findet er keine Anwendung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Ein Ausschluss der Rechtswahl würde daher gerade nicht dazu führen, dass jeder Staat in seinem Territorium über die Rechtmäßigkeit einer Äußerung bestimmen kann, – und daher sein Ziel verfehlen. Daher sollte die Rechtwahlmöglichkeit für außervertragliche Ansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden.788 Wesentliche staatliche 786
Siehe entsprechend zur Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt auch oben, S. 259. 787 Siehe oben S. 205–218. 788 So auch British Institute of International and Comparative Law, Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations, JUST/2019/JCOO_FW_CIVI_0167, 04.10.2021, S. 28, 98; v. Hein, Von Hein on Rome II
F. Internationale Zuständigkeit
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Interessen können hinreichend über Sonderanknüpfungen von Eingriffsnormen und den ordre public abgesichert werden.789 3. Fazit Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen handelt es sich vorrangig um ein zweiseitiges Verhältnis. Im System der Rom II-VO spricht daher nichts dagegen, eine Rechtswahl wie in den Grenzen des Art. 14 Rom II-VO vorgesehen auch auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu erstrecken.
F. Internationale Zuständigkeit F. Internationale Zuständigkeit
I. Status quo Die internationale Zuständigkeit für deliktsrechtliche Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen ergibt sich aus der Brüssel Ia-VO, sofern der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der EU hat oder ein Gerichtsstand nach Art. 25 Brüssel Ia-VO vereinbart wurde (siehe Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). In allen anderen Fällen finden die Vorschriften der ZPO über die örtliche Zuständigkeit nach der Lehre der Doppelfunktionalität entsprechend Anwendung.790 Neben der allgemeinen Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten (Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, §§ 12 ff. ZPO) kommt die besondere Zuständigkeit an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) bzw. an dem die Handlung begangen wurde (§ 32 ZPO), in Betracht. Die Zuständigkeitsvorschriften finden auch bei Klagen gegen einen Hostprovider Anwendung.791 Trotz unterschiedlicher Formulierung gilt sowohl im europäischen als auch im autonomen Recht der Ubiquitätsgrundsatz; zuständig sind also sowohl die Gerichte am Erfolgs- als auch am Handlungsand Defamation, 19.07.2010, ; Letzterem zust. Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II) – Work in progress, Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.05.2011, PE452.555v0100, S. 5. Ferner Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 318. 789 So zu den gegenwärtig ausgeschlossenen Bereichen in der Rom II-VO Maultzsch, in: v. Hein/Rühl, 2016, S. 153 (166). 790 Zur Doppelfunktionalität der Normen über die örtliche Zuständigkeit, grundlegend BGH, Beschluss vom 14.06.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665; siehe z.B. Patzina, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 12, Rn. 90, m.w.N. 791 Schlussanträge GA Szpunar, 04.06.2019, C-18/18, ECLI:EU:C:2019:458, Eva Glawischnig-Piesczek ./. Facebook Ireland Ltd., Rn. 83.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
ort.792 Die Schwierigkeiten, Erfolgs- und Handlungsort bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu bestimmen, sind im Zuständigkeitsrecht nicht geringer als im Kollisionsrecht und bieten Anlass zu einer Diskussion, die hier jedoch nicht vertieft geführt werden kann.793 Gegenwärtig gelten die von der Rechtsprechung erarbeiteten Auslegungsregeln, wobei der Ansatz des BGH und jener des EuGH voneinander abweichen.794 Sowohl der Ansatz des EuGH als auch der des BGH können als vereinbar mit den Vorgaben der EMRK gesehen werden. Der EGMR machte hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit bei einer zivilrechtlichen Klage wegen Verleumdung gegen die Ausstrahlung einer Fernsehsendung Vorgaben, die aus Art. 6 EMRK folgen.795 Im Fall Arlewin ./. Schweden entschied der EGMR, dass das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK verletzt ist, wenn der Betroffene nicht in seinem Wohnsitzstaat Schweden klagen kann, auch wenn die Sendung in diesem Staat produziert wurde, auf Schwedisch war, von schwedischen Sponsoren gefördert und dementsprechend hauptsächlich in Schweden zur Kenntnis genommen wurde. Zwar war der Sitz des ausstrahlenden Unternehmens im Vereinigten Königreich. Darüber hinaus bestand jedoch kein Bezug dorthin. Da der Fall eine sehr enge Verbindung zu Schweden aufweise und beide Prozessparteien schwedische Staatsangehörige waren, hätte Schweden nach Art. 6 EMRK den Zugang zu den schwedischen Gerichten gewähren müssen, also die internationale Zuständigkeit der Gerichte bejahen müssen.796 Laut EGMR muss somit der Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in diesem konkreten Fall in Schweden liegen.797 Daraus folgt, dass zumindest dann, wenn eine solch enge Beziehung zu einem konkreten Staat gegeben ist, ein Gerichtsstand in diesem Staat gegeben sein muss. Das Europäische Parlament hat im Jahr 2012 die Europäische Kommission dazu aufgefordert, einen „Vorschlag zur Schaffung eines Zentrums für die freiwillige Beilegung grenzübergreifender Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Verletzung der Privatsphäre oder der
792 EuGH, Urteil vom 21.12.2021 – C-251/20, ECLI:EU:C:2021:1036, Gtflix Tv ./. DR, Rn. 27; Urteil vom 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766, Bolagsupplysningen u.a. ./. Svensk Handel AB, Rn. 29; Urteil vom 30.11.1976 – 21/76, ECLI:EU:C:1976:166, Handelswekerij G.J. Bier B.V. ./. Mines de potasse d’Alsace; Patzina, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 32, Rn. 20. 793 Siehe dazu z.B. Márton, Violations of Personality Rights through the Internet, 2016. 794 Siehe oben S. 191 f. 795 EGMR, Urteil vom 01.03.2016 – 22302/10, Arlewin ./. Sweden, NJOZ 2017, 1693; dazu McKeown, 25 Tul. J. Int’l & Comp. L. 443 (2017). 796 EGMR, Urteil vom 01.03.2016 – 22302/10, Arlewin ./. Sweden, NJOZ 2017, 1693, Rn. 65, 72 f. 797 Ebd., Rn. 63.
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Persönlichkeitsrechte, einschließlich Verleumdung, durch alternative Streitbeilegungsverfahren“
zu erarbeiten.798 Bislang wurde die Anregung jedoch, soweit bekannt, nicht weiterverfolgt. II. Reformbedarf Das Recht der internationalen Zuständigkeit für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist derzeit in vielerlei Hinsicht nicht zufriedenstellend und sollte langfristig überarbeitet werden. Zunächst ist es bedauerlich, dass der EuGH und der BGH in ihrer Auslegung des Erfolgsorts voneinander abweichen.799 Hier wäre zumindest eine Annäherung der Rechtsordnungen im Wege einer Rechtsprechungsänderung wünschenswert. Es könnte sich aber auch durchaus als sinnvoll erweisen, sowohl im nationalen als auch im europäischen Recht zum Zwecke der Rechtsklarheit eine eigene Zuständigkeitsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu schaffen. In inhaltlicher Hinsicht wäre es erstrebenswert, den Begehungsort bzw. den Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, an das anzupassen, was hier bereits für das anwendbare Recht vertreten wird.800 Wie oben für das Kollisionsrecht dargestellt, sollte der Erfolgsort einer Persönlichkeitsrechtsverletzung dort sein, wo nach einer wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls der objektive Schwerpunkt der Verletzung liegt, und damit auf den Handlungsort nur subsidiär zurückgegriffen werden.801 Das bedeutet insbesondere, dass der EuGH von seiner derzeitigen (zu) pauschalen Verortung des Erfolgsorts am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person Abstand nehmen und Raum für objektive Aspekte und die konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts schaffen sollte.802 Eine besondere Zuständigkeit im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO oder des § 32 ZPO bestünde demnach nur an dem Ort, an dem der objektive Schwer798
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Mai 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (2009/2170)(INI)), P7_TA(2012)0200, S. 5 f.; pro Alternative Dispute Resolution schon: Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to noncontractual obligations (Rome II) – Work in progress, Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.05.2011, PE452.555v01-00, S. 6 f. 799 Siehe oben S. 191 f. 800 Siehe oben S. 247–254. 801 Für eine Abschaffung des Gerichtsstands am Handlungsort bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 71 ff. 802 So auch u.a. Schlussanträge GA Bobek, 23.02.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021: 124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 43.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
punkt der Verletzung liegt. Dem Handlungsort käme hingegen nur noch eine stark untergeordnete Bedeutung zu. Im Regelfall bedeutet das für den Kläger keinen Nachteil, denn ihm wird es trotzdem weiterhin faktisch möglich sein, am Handlungsort zu klagen, – allerdings basierend auf dem allgemeinen Gerichtsstand. Dafür spricht neben einem gerechten Interessenausgleich, dass auf diesem Wege im Regelfall ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht hergestellt würde. III. Koordination von anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit Ziel des IPR ist es, das anwendbare Recht unabhängig davon zu ermitteln, vor welchen Gerichten geklagt wird. Daher darf das Gericht nicht ohne Weiteres sein eigenes Recht anwenden, sondern hat die relevante Rechtsordnung über die maßgeblichen Kollisionsnormen zu ermitteln. Häufig ist es zwar der Fall, dass es zu einem Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht kommt, sofern bei grenzüberschreitenden Fällen dieselben Kriterien zugrunde gelegt werden. Ein Gleichlauf ist auch in praktischer Hinsicht vorteilhaft, weil das Gericht bei der Anwendung des eigenen Rechts die höchste Kompetenz aufweist und Verfahren mit Auslandsbezug im Interesse aller Beteiligten daher zügiger und mit geringerer Fehleranfälligkeit zu bewältigen sind. Beim Gleichlauf von anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit handelt es sich aber nicht um einen Automatismus.803 Speziell für den Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen wird deswegen teilweise befürwortet, dass auf eine gesonderte Prüfung des Kollisionsrechts verzichtet und stattdessen direkt die lex fori angewendet werden soll.804 Ursprünglich schlug dies G. Wagner als kollisionsrechtliche Lösung zu einer Mosaikbetrachtung im IZVR vor.805 Doch auch unter Zugrundelegung der umfassenden Zuständigkeit am Mittelpunkt der Interessen des Klägers seit eDate findet dieser Vorschlag Unterstützung.806 803
Eingehend zum Thema Dutta, in: FS Kronke, 2020, S. 51. Im Wege der double actionability rule ist dies faktisch das geltende Recht in England, vgl. Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (288); Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (14). 805 G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 48; ders., RabelsZ 62 (1998), 243 (282 ff.); sich dem anschließend Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (59); dies., Privacy and Personality Rights in the Rome II Regime – Yes, Lex Fori, Please!, 20.07.2010, ; dies., EuZW 2007, 428 (431 f.); Huber/Bach, IPRax 2007, 73 (79). Auch Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (62 f.), der allerdings nicht die Mosaikbetrachtung zugrunde legt, sondern das „Hauptverbreitungsgebiet“ für maßgeblich hält. 806 Hess, JZ 2012, 189 (193); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 412. Dahingehend noch v. Hein/Bizer, Int J Data Sci Anal 2018, 233 (237 f.). Sei in jeder Hinsicht zu rechtfertigen, so Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 804
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Der lex-fori-Ansatz wird auch in den Regelungsvorschlägen des IDI und der ILA unterstützt. So will der Vorschlag des IDI grundsätzlich und uneingeschränkt die lex fori zur Anwendung bringen.807 Eine Abweichung davon soll nur dann möglich sein, wenn eine wirksame Rechtswahl vorliegt (Art. 8 IDIVorschlag) oder eine der Parteien nach den engen Ausnahmen des Art. 7 IDIVorschlag die Anwendung eines mit dem Fall enger verbundenen Rechts verlangen kann. Auch der Vorschlag der ILA verfolgt einen Ansatz, nach dem das Gericht sein eigenes Recht anwenden soll; dies soll aber nur dann gelten, wenn die internationale Zuständigkeit auf Art. 3 des Vorschlags – eine Variante des Ubiquitätsprinzips – gestützt ist.808 Folgt die internationale Zuständigkeit hingegen aus allgemeineren Gründen, die nicht spezifisch für die Persönlichkeitsrechtsverletzung sind, findet die lex fori hingegen keine automatische Anwendung; stattdessen ist das anwendbare Recht im Wege der dort vorgeschlagenen Kollisionsnormen zu finden.809 Die Vor- und Nachteile der automatischen Anwendung der lex fori werden im Folgenden erörtert. 1. Vorteile der unmittelbaren Anwendung der lex fori Zunächst sind an dieser Stelle die Vorteile zu nennen, die die Anwendung der lex fori generell mit sich bringt, nämlich typischerweise eine kürzere Verfahrensdauer und geringere Kosten, da kein ausländisches Recht ermittelt werden muss.810 Auch sei das Ergebnis mit den Zielen des IPR vereinbar, sofern auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit bereits gewährleistet ist, dass zwischen dem konkreten Fall und dem Gerichtsstaat eine besonders enge
2014, S. 298 ff. In seinem eigenen Vorschlag begrenzt Vogel die automatische Anwendung der lex fori für den Fall, dass im Staat des Handlungsorts geklagt wird (S. 321). Zuletzt sprach sich Krause, Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Internet, 2022, S. 197 ff., für eine recht begrenzte Anwendung der lex fori bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen hinsichtlich des ideellen Bestandteils aus. Der lex fori-Ansatz solle lediglich so weit reichen, dass bei einer Klage am Erfolgsort das Optionsrecht gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB zugunsten des Erfolgsortsrechts auf die lex fori begrenzt sei; der Verletzte könne es aber auch bei der Anwendbarkeit des Rechts am Handlungsort belassen. 807 IDI, Resolution, Art. 7. 808 ILA, Report, Art. 7 Abs. 1. 809 Ebd. 810 IDI, Report, S. 275 („significant advantages in terms of simplicity and administrability“); Heiderhoff, Privacy and Personality Rights in the Rome II Regime – Yes, Lex Fori, Please!, 20.07.2010, ; dies., EuZW 2007, 428 (432); Hess, JZ 2012, 189 (193); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 298 f.; G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (284).
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Verbindung besteht, argumentieren die Befürworter.811 Vogel ergänzt, dass die Anwendung der lex fori in Fragen des Beweis- und Verfahrensrechts zudem zeige, dass der Rückgriff auf die lex fori ein „gebräuchliches Mittel“ sei, auf „rechtspraktische Schwierigkeiten“ zu reagieren.812 Ziel dieses Ansatzes ist es auch, eine Überprivilegierung des Klägers durch eine Wahlmöglichkeit sowohl beim Gerichtsstand als auch beim anwendbaren Recht zu vermeiden.813 Dieses Argument greift freilich nur dann, wenn das IPR, wie beispielsweise in Art. 40 Abs. 1 EGBGB, eine solche Wahlmöglichkeit tatsächlich einräumt. Speziell für den Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen wird zunächst angeführt, dass in den meisten Ländern bereits jetzt die Gerichte praktisch immer ihr eigenes Recht anwenden.814 Insofern könnte ein grundsätzlicher Vorzug der lex fori im Ergebnis der ohnehin bestehenden Praxis entsprechen. Verweisen kann man auch auf die großen, selbst innerhalb Europas bestehenden Unterschiede kultureller und verfassungsrechtlicher Natur;815 angesichts der tiefen Verwurzelung der Thematik im gesellschaftlichen Selbstverständnis und der verfassungsrechtlichen Dimension der Fälle sei die Anwendung ausländischen Rechts besonders erschwert.816 Die Anwendung der lex fori vermeide es zudem naturgemäß, dass – gegebenenfalls auch vorschnell – ein Verstoß gegen den ordre public geprüft wird.817 2. Nachteile und Bedenken Allerdings stellt die grundsätzliche Anwendung der lex fori einen Bruch mit der bisherigen Dogmatik des IPR dar.818 So moniert beispielsweise v. Hoffmann, dass das kollisionsrechtliche Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs verfehlt und der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Rechts-
811 Heiderhoff, EuZW 2007, 428 (432); Hess, JZ 2012, 189 (193); Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 412; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 300. 812 Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 301 f. 813 G. Wagner, RabelsZ 62 (1998), 243 (263 ff.). 814 ILA, Report, Rn. 99. Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (397), m.w.N. zu Spanien; Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 273. Siehe auch v. Hein/Bizer, Int J Data Sci Anal 2018, 233 (237). 815 Siehe oben S. 32–37. 816 Heiderhoff, Privacy and Personality Rights in the Rome II Regime – Yes, Lex Fori, Please!, 20.07.2010, ; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (61 f.) 817 ILA, Report, Rn. 100. 818 Meier, JPIL 12 (2016), 492 (513).
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ordnungen verletzt werde.819 Zudem verzichte man damit auf die Allseitigkeit der Kollisionsnormen.820 Kerpen gibt außerdem zu bedenken, dass die automatische Anwendung der lex fori einer „Steigerung des ordre public Vorbehalts“ gleichkäme, was insofern bedenklich sei, als die räumliche Relativität des ordre public aufgegeben werde.821 Bezweifelt wird, ob ein solcher Bruch mit der Systematik des IPR tatsächlich einen besonderen Mehrwert hat. So wird kritisiert, dass sich an der Vorhersehbarkeit für den Beklagten nichts ändere, weil mit Feststehen der internationalen Zuständigkeit auch das relevante Kollisionsrecht und damit das konkret anwendbare Recht erkennbar seien.822 Zudem verlagere dies nur die Probleme des Kollisionsrechts in das IZVR.823 Dies wiederum vernachlässige, dass dem IPR und dem IZVR zwar verwandte, aber letztlich doch unterschiedliche Ziele zugrunde lägen.824 Wenn das geltende Recht außergerichtlich ermittelt werden muss, bestünde zudem eine Regelungslücke.825 Bemängelt wird darüber hinaus, dass drittstaatlichen Schädigern so die europäischen Wertungen mehr als erforderlich aufgezwängt würden.826 Sofern man im IZVR die Mosaikbetrachtung beibehält oder eine tendenziell weit gefasste Zuständigkeit ermöglicht, führe der lex-fori-Ansatz zudem zu einem libel tourism.827 3. Stellungnahme Der Vorschlag, bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen die lex fori zur Anwendung zu bringen, erfolgt aus pragmatischen Erwägungen von einigem Gewicht. Zweifellos ist es erstrebenswert, gerade für das stark verfassungsrechtlich bestimmte Gebiet der Persönlichkeitsrechtsverletzungen einen Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht zu erreichen. Jedoch handelt es sich beim lex-fori-Ansatz um einen grundsätzlichen Systemwechsel, nämlich der Abkehr von der Relevanz des Kollisionsrechts generell, der letztlich weder mit der europäischen Kollisionsrechtstradition noch 819
v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 60. Darauf hinweisend Hess, JZ 2012, 189 (193); Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 250. 821 Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 272 f. 822 Hartley, Hartley on The Problem of “Libel Tourism”, 19.07.2010, . 823 v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (589). 824 Ebd.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4. 825 Meier, JPIL 12 (2016), 492 (513). 826 Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1700). 827 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (288); Hartley, ICLQ 59 (2010), 25; Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1699); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (514); Mills, J. of Media Law 7 (2015), 1 (2 ff., 41). 820
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
mit dem geltenden autonomen Recht und dem Unionsrecht vereinbar ist. Der tatsächliche Mehrwert scheint hingegen zweifelhaft. Eine automatische Anwendung der lex fori muss daher abgelehnt werden. Der Vorschlag des IDI ist in dieser Hinsicht der radikalste Vorstoß in diese Richtung, weil er nicht zwischen den einzelnen Zuständigkeitsgründen unterscheidet. Demnach käme die lex fori auch dann zur Anwendung, wenn am allgemeinen Gerichtsstand geklagt wird.828 Als Begründung werden die allgemeinen Nachteile der Anwendung gerichtsfremden Rechts wie auch der erhöhte Zeit- und Kostenaufwand angeführt, nicht jedoch persönlichkeitsrechtsspezifische Erwägungen. Folglich könnte auch eine Rechtsordnung Anwendung finden, zu der gerade keine engere Beziehung besteht. Zwar sind die pragmatischen Argumente durchaus stichhaltig, jedoch nicht mit dem bestehenden europäischen Kollisionsrechtssystem vereinbar. Eine solche Abkehr vom bisherigen System ist jedoch eine grundsätzliche Frage, die nicht im Rahmen einer Spezialmaterie entschieden werden sollte. Abzulehnen ist der Vorschlag aber auch deshalb, weil er den Kläger unter Außerachtlassung der Interessen des Schädigers bevorteilt. Denn dieser kann durch die Wahl des Gerichtsstands nicht nur das zuständige Gericht bestimmen, sondern mittelbar auch das anwendbare Recht, und das selbst dann, wenn bis auf den allgemeinen Gerichtsstand keine nähere Verbindung zum fraglichen Gerichtsstaat besteht. Eine begrenzte Geltung des lex-fori-Ansatzes für jene Fälle, in denen bereits auf Zuständigkeitsebene eine enge Verbindung zwischen Sachverhalt und Gerichtsstaat hergestellt wurde, berücksichtigt hingegen im Ergebnis die Ziele des Kollisionsrechts. Hier stellt sich aber die Frage, ob dieser Mehrwert den Bruch mit dem bisherigen Kollisionsrechtssystem rechtfertigt. Wie eben dargestellt, empfiehlt es sich, auch die besondere Zuständigkeit auf den Staat des objektiven Schwerpunkts der Persönlichkeitsrechtsverletzung bei subsidiärer Anwendung des Handlungsortsrechts zu beschränken. Soweit jedoch sowohl im IZVR als auch im IPR das entscheidende Anknüpfungsmoment auf gleiche Weise bestimmt wird, ist ein Gleichlauf automatisch hergestellt. In diesen Fällen bedarf es keiner Ausnahmeregelung, um die Anwendung der lex fori zu erreichen. Ein Systembruch durch den Anwendungsbefehl der lex fori ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Anders ist dies hingegen, wenn auf Zuständigkeitsebene weiterhin der Handlungsort gleichermaßen relevant wäre. In diesem Falle wäre eine enge – wenn auch nicht die engste – Verbindung über die Zuständigkeit der Gerichte bereits hergestellt und das lex-fori-Prinzip würde somit zur Anwendung des Handlungsortsrechts führen. Im Gegensatz zur reinen kollisionsrechtlichen Betrachtung könnte man hier anführen, der Geschädigte sei nicht der Manipulationsgefahr seitens des Schädigers ausgesetzt; denn schließlich entscheidet 828
IDI, Resolution, Art. 7 Nr. 1.
G. Zusammenfassung Deliktsrecht
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der Kläger mit seiner Klage darüber, wo er klagt, und damit auch darüber, welches Recht zur Anwendung kommen wird. Doch dieses Argument gilt nur eingeschränkt, kann doch der Schädiger sich einen Gerichtsstand und damit auch das anwendbare Recht mithilfe einer negativen Feststellungsklage sichern.829 Außerdem birgt ein einseitiges Optionsrecht die Gefahr der Übervorteilung einer Partei generell und stört damit das hergestellte Interessengleichgewicht, das aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Positionen auf beiden Seiten bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen besonders bedeutsam ist. In jedem Falle ist also die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts für den Schädiger beeinträchtigt. Im Blick auf das Argument, dass der lex-fori-Ansatz Schwierigkeiten mit dem ordre public vorbeugen würde, ist Kerpen zuzustimmen. Der ordre public-Vorbehalt ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nämlich insofern von großer Bedeutung, als bei allen Beteiligten verfassungsrechtlich geschützte Positionen unmittelbar betroffen sind.830 Dies heißt aber nicht, dass jede Anwendung ausländischen Rechts ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung bedeutet. Auch hier gelten vielmehr die hohen Schwellen wie insbesondere der hinreichende Inlandsbezug. Daher ist es inhaltlich nicht überzeugend, für Persönlichkeitsrechtsverletzungen die Ausnahme zur Regel werden zu lassen.
G. Zusammenfassung Deliktsrecht G. Zusammenfassung Deliktsrecht
Die maßgeblichen Kollisionsnormen für den deliktsrechtlichen Teil der Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind gegenwärtig die Art. 40–42 EGBGB, wobei eine Harmonisierung auf europäischer Ebene erstrebenswert wäre. Unter die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO fallen Persönlichkeitsrechtsverletzungen einschließlich Verletzungen des Unternehmenspersönlichkeitsrechts. Nicht unter die Bereichsausnahme fallen allerdings das Datenschutzrecht sowie jene Konstellationen, die von den spezielleren Normen Art. 6 und 8 Rom II-VO erfasst sind. Die Grundanknüpfung einer deliktischen Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen beruht typischerweise auf der Tatortregel. Eine Anknüpfung an den Handlungsort kommt nur subsidiär in Betracht. Um einen angemessenen Ausgleich der tangierten Interessen zu erreichen, ist das Recht jenes Staates zu ermitteln, in dem der konkrete Schwerpunkt der Verletzung, ermittelt anhand objektiver Kriterien unter Berücksichtigung aller Umstände, belegen ist. Ein Optionsrecht des Geschädigten zwischen dem Recht am 829
EuGH, Urteil vom 25.10.2012 – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664, Folien Fischer AG und Fofitec AG ./. gegen Ritrama SpA, Rn. 36 ff. 830 Zum ordre public siehe unten S. 390–396.
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Kapitel 3: Allgemeines Deliktsstatut
Handlungsort und jenem am Erfolgsort ist abzulehnen. Angesichts der derzeitigen Unklarheiten wird hier eine dreistufige Grundanknüpfung vorgeschlagen. Demnach ist grundsätzlich das Recht desjenigen Staats anzuwenden, in welchem nach objektiven Kriterien das größte Interesse an dem angegriffenen Inhalt zu erwarten war. Dabei ist insbesondere das Vorverhalten der später geschädigten Person zu berücksichtigen. Sofern dieses Vorgehen zu mehreren Staaten gleichermaßen führt, ist unter den in Betracht kommenden Staaten jener zu wählen, in dem der Interessenmittelpunkt der betroffenen Person liegt. Subsidiär ist auf den Handlungsort zurückzugreifen. Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind sowohl de lege lata im Rahmen der Art. 40–42 EGBGB als auch de lege ferenda in der Rom II-VO vollständig in das Anknüpfungssystem des internationalen Deliktsrechts einzufügen. Bei Bestehen eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Streitparteien einer Persönlichkeitsrechtsverletzung sollte die lex domicilii communis vorrangig Anwendung finden. Sowohl die allgemeine Ausweichklausel als auch eine akzessorische Anknüpfung an ein vorausgehendes Verhältnis zwischen den Parteien sind möglich. Bei letzterer ist bei sozialen Medien besonders darauf zu achten, dass ein hinreichender Zusammenhang zwischen Delikt und dem vorausgehenden Rechtsverhältnis besteht. Eine Rechtswahl sollte in den Grenzen des Art. 14 Rom II-VO möglich sein. Zwischen dem IPR und dem IZVR sollte ein Gleichlauf erstrebt werden, indem das Zuständigkeitsrecht an die hier vorgeschlagene Kollisionsnorm angepasst wird. Nicht erforderlich ist hingegen, die automatische Anwendung der lex fori anzuordnen.
Kapitel 4
Datenschutzrechtsstatut Betreiber sozialer Medien sind aufgrund exzessiver Erfassung und Auswertung personenbezogener Daten, welche ihnen das Anlegen von Persönlichkeitsprofilen über ihre Nutzer, aber auch über Nichtnutzer ermöglichen, häufig im Blickfeld des Datenschutzrechts.1 Doch auch wenn sich jemand in seinem Persönlichkeitsrecht durch die Veröffentlichungen anderer Nutzer verletzt sieht, kann das Datenschutzrecht Bedeutung erlangen. So vermag beispielsweise eine betroffene Person gegebenenfalls über Art. 17 DSGVO die Löschung einer unliebsamen Veröffentlichung erreichen. Neben der Verantwortlichkeit der Betreiber kommt hierfür auch eine datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit der Nutzer selbst für eben jenen Inhalt in Betracht. Nicht eindeutig ist, welches Datenschutzrecht auf diese Fälle Anwendung finden soll, denn eine ausdrückliche privatrechtliche Kollisionsnorm speziell für das Datenschutzrecht ist weder im europäischen noch im autonomen Recht zu finden. Wie bereits erörtert, findet die Rom II-VO auf datenschutzrechtliche Fragestellungen in ihrer privatrechtlichen Dimension grundsätzlich Anwendung.2 Vorrangig ist jedoch die speziellere DSGVO in den Blick zu nehmen und dabei insbesondere die Vorgaben zu ihrem territorialen Anwendungsbereich, denen kollisionsrechtliche Bedeutung zukommt. Dafür wird zunächst dargestellt, wann der sachliche Anwendungsbereich des Datenschutzrechts eröffnet ist (A.). Sodann wird die zentrale Bestimmung des Art. 3 DSGVO vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung (B.) auf ihre kollisionsrechtliche Funktion untersucht (C.). Davon ausgehend wird diskutiert, wie das anwendbare Datenschutzrecht außerhalb des Art. 3 DSGVO ermittelt werden kann (D.) und sodann werden mögliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt (E.).
1
Siehe hierzu allein das Engagement von Maximilian Schrems insbesondere gegen Facebook, welches zu mehreren Verfahren vor dem EuGH führte (C-362/14; C-498/16; C-311/18). Siehe auch sowie . Ferner z.B. Achtruth, Der rechtliche Schutz bei der Nutzung von Social Networks, 2014. 2 Siehe oben S. 130–135.
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO
In sachlicher Hinsicht verlangt der Anwendungsbereich der DSGVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten (Art. 2 Abs. 1 DSGVO). Unerheblich ist, wie aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 DSGVO hervorgeht, ob der Anspruchsgegner für die Datenverarbeitung verantwortlich (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) oder Auftragsverarbeiter (Art. 4 Nr. 8 DSGVO) ist. Daher werden die an der Datenverarbeitung Beteiligten im Folgenden übergreifend als „Datenverarbeiter“ bezeichnet. Die folgende Darstellung widmet sich der Frage, wann eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Betreiber sozialer Medien vorliegt, und weiter, ob und wann Nutzer sozialer Medien Datenverarbeiter sind. Zu diesem Zweck werden zunächst die Begriffe „personenbezogene Daten“ (I.) und „Verarbeitung“ (II.) näher erläutert. Sodann wird die Bereichsausnahme des Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO, wonach Datenverarbeitungen durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen sind, mit Blick auf die Nutzung sozialer Medien untersucht (III.). I. Personenbezogene Daten Gem. Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Der Begriff ist weit auszulegen unter anderem vor dem Hintergrund, dass aufgrund moderner Informationstechnologien der Großteil aller Daten auf eine natürliche Person zurückgeführt werden kann.3 Umfasst sind daher nicht nur Informationen, die bereits unabhängig von der Internetnutzung mit der betroffenen Person verbunden sind, wie die Anschrift oder Fotografien,4 sondern gerade auch solche Daten, die erst im Zusammenhang mit der Internetnutzung generiert werden wie Lokalisationsdaten,5 Auto-Vervollständi3 Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 59; Boehme-Neßler, DuD 2016, 419 (419 ff.); Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 4, Rn. 3; Eßer, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4, Rn. 7; Karg, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 4 Nr. 1, Rn. 3; Klar/Kühling, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4 Nr. 1, Rn. 8; Sarunski, DuD 2016, 424 (425 ff.); Schild, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 4, Rn. 21a; Schreiber, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 4, Rn. 8; Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4, Rn. 19. 4 Ausführlich dazu, wann Fotos zu den personenbezogenen Daten zählen, siehe Tausch, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Veröffentlichung von Fotos im Internet, 2016, S. 147 ff., insbesondere zu Sachfotos, auf denen keine Personen abgebildet sind: S. 152 ff. 5 Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 4, Rn. 15; Eßer, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4, Rn. 22; Schild, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed.
A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO
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gungen von Suchmaschinen6 oder IP-Adressen.7 Auch Wahrscheinlichkeitsaussagen über eine Person stellen regelmäßig personenbezogene Daten dar.8 Neben solchen reinen Tatsachen gehören zu den personenbezogenen Daten aber auch „Meinungsäußerungen, Beurteilungen und Werturteile, die sich auf einen bestimmten oder bestimmbaren Betroffenen beziehen, die Wiedergabe von mündlichen und schriftlichen Aussagen eines Betroffenen und die Darstellung des privaten oder des dienstlichen Verhaltens eines Betroffenen“.9
Geschützt sind nur natürliche Personen; Daten über Gesellschaften oder juristische Personen sind nicht erfasst.10 Zu berücksichtigen bleibt aber, dass solche Informationen häufig mittelbar mit identifizierbaren natürlichen Personen in Verbindung gebracht werden können.11 Bezogen auf soziale Medien fallen in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO einerseits jene Daten, die durch die Nutzung der Dienste erst generiert werden, wie die Art und Häufigkeit der Nutzung oder die Kommunikationswege zwischen den Nutzern, und andererseits die Daten, die ein
01.11.2021, DSGVO Art. 4, Rn. 14; Selzer, in: Jandt/Steidle, 1. Aufl. 2018, B.I., Rn. 5; Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4, Rn. 33. 6 BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 = NJW 2013, 2348 – „Autocomplete“-Funktion. 7 ErwGr. 30 DSGVO; EuGH, Urteil vom 19.10.2016 – C-582/14, ECLI:EU:C:2016: 779, Patrick Breyer ./. Bundesrepublik Deutschland, Rn. 37 ff.; BGH, Urteil vom 16.05.2017 – VI ZR 135/13, BGHZ 215, 56 = NJW 2017, 2416, Rn. 14 ff. Zur Bedeutung des Urteils unter der DSGVO siehe Brauneck, EuZW 2019, 680. Ausführlich zu den Daten, die im Rahmen sozialer Medien personenbezogenen sein können Golland, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 66 ff. 8 Boehme-Neßler, DuD 2016, 419 (420); Kühling, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4 Nr. 1, Rn. 10. 9 BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = NJW 2009, 2888 – spickmich.de, Rn. 17; ferner Boehme-Neßler, DuD 2016, 419 (420); Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 4, Rn. 13. 10 Ausdrücklich ErwGr. 14 DSGVO; siehe auch die für die DSGVO einschlägige Kompetenzgrundlage Art. 16 Abs. 2 S. 1 AEUV; ausführlich dazu und zum teilweise abweichenden österreichischen DSG Anderl/Hörlsberger/Müller, ÖJZ 2018, 14. 11 Zu dem Fall, dass der Name einer juristischen Person den Namen einer oder mehrerer natürlichen Personen beinhaltet, siehe EuGH, Urteil vom 09.11.2010 – C-92/09 u. C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662, Volker und Markus Schecke GbR (C‑92/09) und Hartmut Eifert (C‑93/09) ./. Land Hessen, Rn. 53; ferner Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 2, Rn. 14; Eßer, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4, Rn. 12; Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 4, Rn. 25; Klabunde, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 4, Rn. 14; Klar/Kühling, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4 Nr. 1, Rn. 4; Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4, Rn. 14; Ziebarth, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 4, Rn. 13; a.A. Karg, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 4 Nr. 1, Rn. 43 ff.
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
Nutzer sozialer Medien selbst aktiv einpflegt.12 Zu den personenbezogenen Daten gehören daher neben den Registrierungsdaten unter anderem alle Nachrichten, Kommentare, Fotos und Videos, die Nutzer auf eine Plattform laden.13 Diese nutzergenerierten Inhalte können nicht nur Daten bezogen auf die Person des Veröffentlichenden, sondern auch in Bezug auf Dritte umfassen.14 Wenn etwa eine Nutzerin sozialer Medien ein Foto mit ihren Freunden auf Instagram veröffentlicht, besteht das Foto aus Daten, die sich auf alle abgebildeten Personen beziehen.15 Außerdem sind beispielsweise auch (Negativ-)Bewertungen über andere erfasst, die ein Nutzer auf Bewertungsplattformen einstellt.16 II. Verarbeitung personenbezogener Daten Eine Verarbeitung personenbezogener Daten umfasst jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten (Art. 4 Nr. 2 DSGVO). Zu diesen Vorgängen gehören laut der nicht abschließenden Aufzählung das Erfassen, Speichern, Abfragen oder Verbreiten von Daten. Art. 2 Abs. 1 DSGVO unterscheidet zwischen der ganz oder teilweise automatisierten Verarbeitung und der nichtautomatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Der Begriff der Automatisierung ist technologieneutral und weit zu verstehen und umfasst jeden Typ von Datenverarbeitungsanlage.17 Das hat zur Konsequenz, dass jede Benutzung des Internets zur sachlichen Anwendung der DSGVO führt, sobald personenbezogene Daten betroffen sind.18 Folglich handelt es sich auch bei dem Vorgang, personenbezogene Daten auf eine Internetseite zu stellen, um eine Datenverarbeitung.19 12
Aßmus, in: Jandt/Steidle, 1. Aufl. 2018, B.III., Rn. 209. Ebd., Rn. 208; Golland, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 73 ff.; auch YouTube-Videos, siehe EuGH, Urteil vom 14.02.2019 – C-345/17, ECLI:EU:C:2019: 122, Sergejs Buivids ./. Datu valsts inspekcija, Rn. 32. 14 Aßmus, in: Jandt/Steidle, 1. Aufl. 2018, B.III., Rn. 213, 216. 15 Dazu auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.01.2021 – 11 LA 16/20, K&R 2021, 358. 16 Iraschko-Luscher/Kiekenbeck, ZD 2012, 261 (261 f.); Janal, NJW 2006, 870 (874). 17 Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 2, Rn. 5; Herbst, in: Kühling/ Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 4 Nr. 2, Rn. 18. 18 Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 2, Rn. 5; v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 5; Schild, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 4, Rn. 34. 19 EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 26; Urteil vom 01.10.2015 – C-230/14, ECLI:EU:C:2015:639, Weltimmo s.r.o. ./. Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság, Rn. 37; Urteil vom 06.11.2003 – C-101/01, ECLI:EU:C:2003:596, Bodil Lindqvist, Rn. 25. 13
A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO
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Jede Verwendung von personenbezogenen Daten in sozialen Medien wie auch jeder Abruf derselben ist eine Verarbeitung im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO.20 Wenn die Nutzerin im obigen Beispiel ein Foto mit ihren Freunden auf der Plattform veröffentlicht, verwendet sie auf ihre Freunde bezogene Daten und wird dadurch zur Datenverarbeiterin. Betreiber sozialer Medien sind Datenverarbeiter, wenn sie zum Zweck des ordnungsgemäßen Funktionierens der Plattform personenbezogene Daten verwenden, aber auch, wenn sie aus einem darüber hinausgehenden wirtschaftlichen Interesse weitere Daten erheben und verarbeiten.21 Ihre Tätigkeiten fallen insbesondere auch dann unter Art. 4 Nr. 2 DSGVO, wenn sie nutzergenerierte Inhalte speichern und zum Abruf durch andere Nutzer bereithalten.22 Sowohl die typischen Tätigkeiten der Betreiber sozialer Medien als auch jene der Nutzer eröffnen daher grundsätzlich den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 DSGVO, sobald personenbezogene Daten Dritter involviert sind. III. Haushaltsausnahme Gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO sind Datenverarbeitungen jedoch vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen, wenn natürliche Personen sie zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten nutzen (sog. Haushaltsausnahme). Laut Erwägungsgrund 18 S. 1 DSGVO müssen diese Tätigkeiten ohne Bezug zu einer beruflichen oder wirtschaftlichen Tätigkeit sein. Aus dem Wortlaut wird daher bereits ersichtlich, dass der Anwendungsausschluss bei gemischten Tätigkeiten nicht greift.23 Eindeutig 20
Golland, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 48; Upload eines Videos auf YouTube: EuGH, Urteil vom 14.02.2019 – C-345/17, ECLI:EU:C:2019:122, Sergejs Buivids ./. Datu valsts inspekcija, Rn. 39. Implizit durch den Verordnungsgeber selbst vorausgesetzt in ErwGr. 18 DSGVO und Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO. Eingehend Jandt/Roßnagel, ZD 2011, 160. 21 BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 69 – Digitaler Nachlass; Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 5/2009 zur Nutzung sozialer Online-Netzwerke, 12.06.2009, WP 163, S. 6; Aßmus, in: Jandt/Steidle, 1. Aufl. 2018, B.III., Rn. 207 f.; Jandt/Roßnagel, ZD 2011, 160; Kettgen-Hahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext, 2020, S. 20 f. 22 BGH, Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17, BGHZ 219, 243 = NJW 2018, 3178, Rn. 69 – Digitaler Nachlass. 23 Eingehend dazu Grafenstein, in: Gierschmann/Schlender/Stentzel/Veil, 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 36 ff.; ferner Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 2, Rn. 14; Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 22; Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 2, Rn. 28; Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 19; Zerdick, in: Ehmann/ Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 11; krit. dazu Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 23 f.; ders./Lepperhoff, ZD 2016, 9 (10).
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
erfasst ist somit also die wirtschaftliche Nutzung sozialer Medien, wie sie Influencer betreiben.24 Darüber hinaus ist die Reichweite der Ausnahmevorschrift aber unklar. Zweifel bestehen beispielsweise bei der Nutzung beruflicher Netzwerke wie LinkedIn.25 Zur Nutzung sozialer Medien äußert sich der Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 18 S. 2 und 3 DSGVO: „Als persönliche oder familiäre Tätigkeiten könnte auch […] die Nutzung sozialer Netze und Online-Tätigkeiten im Rahmen solcher Tätigkeiten gelten. Diese Verordnung gilt jedoch für die Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter, die die Instrumente für die Verarbeitung personenbezogener Daten für solche persönlichen oder familiären Tätigkeiten bereitstellen.“
Daraus lässt sich schließen: Die Nutzung sozialer Medien soll ein typisches Beispiel der Haushaltsausnahme sein. Klargestellt wird zudem, dass – unabhängig von der Tätigkeitsform der Nutzer – die Verarbeitungstätigkeiten der sozialen Medien selbst von der DSGVO erfasst sind.26 Offen bleibt jedoch, unter welchen Voraussetzungen die Tätigkeiten der Nutzer sozialer Medien noch als persönliche oder familiäre Tätigkeit gewertet werden können und wann diese Grenze überschritten ist. Dieses Problem des sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Lindqvist27 zum beinahe wortgleichen Art. 3 Abs. 2 Datenschutz-RL zu betrachten. Hierzu entschied der EuGH, dass eine private Nutzung im Sinne der Haushaltsausnahme „offensichtlich“ dann ausscheide, wenn ein Inhalt über das Internet einem unbegrenzten Empfängerkreis zugänglich gemacht wird.28 Die Zugänglichkeit eines Inhalts in sozialen Medien ist abhängig von der konkreten Plattform.29 Genauer ist zwischen solchen Plattformen zu differenzieren, welche die uneingeschränkte Zugänglichkeit der Inhalte vorgeben – 24
Zu Influencern siehe oben S. 58–65. So Jandt/Roßnagel, ZD 2011, 160 (162); a.A. Golland, ZD 2020, 397 (397); ders., Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 86. 26 Aßmus, in: Jandt/Steidle, 1. Aufl. 2018, B.III., Rn. 207; Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 2, Rn. 22; Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 26; v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 30; Plath, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 23; Weichert, in: Däubler/Wedde/ Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 27. 27 EuGH, Urteil vom 06.11.2003 – C-101/01, ECLI:EU:C:2003:596, Bodil Lindqvist ./. Schweden. 28 Ebd., Rn. 47; bestätigt zur Datenschutz-RL in Urteil vom 14.02.2019 – C-345/17, ECLI:EU:C:2019:122, Sergejs Buivids ./. Datu valsts inspekcija, Rn. 43; Urteil vom 10.07.2018 – C‑25/17, ECLI:EU:C:2018:551, Jehovan todistajat – uskonnollinen yhdyskunta, Rn. 42. 29 Hingegen ist die inhaltliche Ausrichtung einer Plattform für die Frage der privaten Nutzung irrelevant, vgl. Golland, ZD 2020, 397 (397). 25
A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO
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hierzu zählen beispielsweise ein Großteil der Bewertungsplattformen sowie Kommentare zu journalistischen Artikeln –, und jenen, die es dem Nutzer selbst überlassen, die Einsehbarkeit des Inhalts zu bestimmen. So ermöglicht beispielsweise Facebook seinen Nutzern, die eigenen Beiträge komplett öffentlich, beschränkt auf die eigenen Freunde oder sogar nur beschränkt auf einzelne ausgewählte Personen zu stellen; diese Voreinstellung kann zudem bei jedem einzelnen Beitrag modifiziert werden. Gem. Art. 25 Abs. 2 DSGVO sind die Betreiber verpflichtet, möglichst datenschutzfreundliche Voreinstellungen vorzusehen. Dazu gehört laut Satz 3 ausdrücklich, dass „personenbezogene Daten durch Voreinstellungen nicht ohne Eingreifen der Person einer unbestimmten Zahl von natürlichen Personen zugänglich gemacht werden“ (privacy by default). 1. Lösungsvorschläge der Literatur Theoretisch lässt sich der Ansatz des EuGH in Lindqvist, also das Kriterium der potentiell unbegrenzten Abrufbarkeit, auch auf soziale Medien übertragen: Die DSGVO fände dann Anwendung auf die Tätigkeiten der Nutzer sozialer Medien, wenn sie entweder eine grundsätzlich unbegrenzt zugängliche Plattform nutzen oder von den dort angebotenen Begrenzungsmöglichkeiten keinen Gebrauch machen. Dieser Ansatz wird derzeit in der Fachliteratur mehrheitlich befürwortet.30 Angeführt wird dafür, dass der Verordnungsgeber nicht von Lindqvist habe abweichen wollen.31 Zudem wird argumentiert, dass 30
Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 67; Ennöckel, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 13; Feiler/Forgó/Weigl, GDPR 2018, Art. 2, Rn. 7; Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 25; Grafenstein, in: Gierschmann/Schlender/Stentzel/Veil, 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 46; Klar, Hastings Sci. & Tech. L. J. 101 (2020) (132 f.); Pabst, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 40; Plath, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 23; Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 2, Rn. 29; Spindler/Dalby, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, DSGVO Art. 2, Rn. 5; Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 28; Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 11. So auch Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 5/2009 zur Nutzung sozialer Online-Netzwerke, 12.06.2009, WP 163, S. 7. 31 Klar, Hastings Sci. & Tech. L. J. 101 (2020) (133); Kühling/Raab, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 25; Plath, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 23; Schantz, NJW 2016, 1841 (1843). Grafenstein, in: Gierschmann/ Schlender/Stentzel/Veil, 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 45 f., nimmt an, dass die Fortgeltung der Lindqvist-Rechtsprechung unter anderem auf der Begründung des EuGH basiere, der Gesetzgeber der Datenschutz-RL habe zum damaligen Zeitpunkt die Weiterentwicklung des Internets nicht absehen können, was bei der Auslegung zu berücksichtigen sei; da eine solche Unkenntnis bei dem Gesetzgeber der DSGVO nicht mehr gegeben sei, wie ErwGr. 18 zum Ausdruck bringe, könne auch Lindqvist nicht übertragen werden. Diese Behauptung übersieht, dass sich jene Ausführungen des EuGH zur Beachtlichkeit der
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
jeder noch so private Verarbeitungszweck durch die öffentliche Zugänglichkeit in den Hintergrund trete, weil die veröffentlichten Daten durch die freie Abrufbarkeit zu einer allgemein zugänglichen Quelle würden.32 Der Lindqvist-Ansatz erlaubt eine eindeutige und unkomplizierte Subsumtion, steht aber hinsichtlich seiner inhaltlichen Korrektheit in der Kritik. Denn auch wenn ein Nutzer die Sichtbarkeit eines Beitrags beschränkt, kann dieser dennoch eine große Reichweite haben. Zu denken ist an Nutzer mit einer – nicht unüblichen – Anzahl an „Freunden“ im drei- bis vierstelligen Bereich, welche die tatsächlich gepflegten engen Beziehungen nur selten widerspiegelt.33 Das darin angelegte Potential einer Gefährdung des Persönlichkeitsrechts sei erheblich.34 Daher wird die Grenze für die Haushaltsausnahme teilweise deutlich restriktiver angelegt. So wird verlangt, dass es sich um den engen bis engsten Familien- und Freundeskreis handeln müsse, damit noch von einer persönlichen oder familiären Tätigkeit gesprochen werden könne.35 Andere vertreten, dass nur diejenige Kommunikation innerhalb einer geschlossene Gruppe privat sei, die überhaupt keinen Bezug zu einer beruflichen oder wirtschaftlichen Tätigkeit aufweise,36 oder dass nur Einzel- oder Gruppennachrichten unter die Haushaltsausnahme fallen könnten.37 Golland möchte nach der Verkehrsanschauung im Einzelfall entscheiden, welche Adressatenzahl noch als privat angesehen werden kann; eine pauschale Betrachtung sei nicht möglich.38 Vereinzelt wird die Nutzung sozialer Netzwerke gänzlich von der Haushaltsausnahme ausgeschlossen.39 An diesen Ansätzen wird kritisiert, dass diese Unterscheidungen zu komplex seien und dass Gesetzgebererwartung nicht auf die Haushaltsausnahme bezogen, sondern im Rahmen einer anderen Vorlagefrage zu Art. 25 Datenschutz-RL Relevanz entfalteten. 32 Ennöckel, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 13. 33 Siehe dazu Behrens, SZ vom 10.07.2015, abrufbar unter . Auch die Artikel29-Datenschutzgruppe erwägt eine große Anzahl an Kontakten als Indiz gegen eine Datenverarbeitung zu privaten Zwecken (Stellungnahme 5/2009 zur Nutzung sozialer OnlineNetzwerke, 12.06.2009, WP 163, S. 7). 34 Gola, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 25. 35 Ebd.; Gola/Lepperhoff, ZD 2016, 9 (10); Pabst, in: Heidelberger Kommentar DSGVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 40; Roßnagel, in: Simitis/Hornung/ Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 2, Rn. 29. 36 Ennöckel, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 13; nicht ausschließlich, aber als typisches Beispiel genannt bei Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 67. 37 Kühling/Raab, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 25. 38 Golland, ZD 2020, 397 (398); ders., Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 91 ff.; allein die Annahme eines Kontakts als „Freund“ reiche jedenfalls nicht aus. Aktivitäten in beruflichen sozialen Netzwerken im Rahmen von Bewerbungen, Aus- und Fortbildungen seien grundsätzlich dem persönlichen Bereich zuzuordnen (ebd., S. 48). 39 Jandt/Roßnagel, ZD 2011, 160 (161 f.).
A. Sachlicher Anwendungsbereich der DSGVO
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zudem die unterschiedlichen Ausgestaltungen und Weiterentwicklungen sozialer Medien praktische Subsumtionsschwierigkeiten schafften.40 Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob die Kategorien „öffentlich“ und „privat“ in Zeiten sozialer Netzwerke überhaupt noch geeignete Kategorien sind.41 Einen anderen Ansatz wählt Ernst, der eine persönliche Nutzung dann für ausgeschlossen hält, wenn sich der Betreiber der Plattform Rechte auch an solchen Daten zusichern lässt, die vom Nutzer nicht öffentlich gestellt waren.42 Ein weiterer Gegenvorschlag ist, dass die DSGVO unabhängig vom potentiellen Empfängerkreis nicht anzuwenden sei, wenn der Nutzer der Plattform allein zu privaten Zwecken handelt. Denn die Breitenwirkung sei im Normalfall faktisch sehr begrenzt43 und die Selbstdarstellung gehöre grundsätzlich zum privaten Bereich.44 Der sonstige zivilrechtliche und strafrechtliche Persönlichkeitsrechtsschutz sei Abwehrmittel genug.45 Schließlich vertreten Gola/Lepperhoff, dass jede elektronische Kommunikation als „potenziell unbeschränkt“ einzuordnen sei.46 Denn wenn ein mittels sozialer Medien veröffentlichter Inhalt durch andere Nutzer im Wege der Weiterleitung oder des „Teilens“ verbreitet werden könne, dann sei diese faktische Erweiterung des Empfängerkreises bereits in der ursprünglichen Veröffentlichung angelegt. Daraus folge eine erhöhte Gefahr für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen.47 Deshalb müsse das Haushaltsprivileg so eng gefasst werden, dass solche potentiell unbeschränkten Datenverarbeitungen noch von der DSGVO erfasst wären und insbesondere eines Erlaubnistatbestands des Art. 6 DSGVO bedürften.48 2. Stellungnahme Zunächst ist zum Vorschlag von Ernst anzumerken, dass die Übertragung von Rechten an veröffentlichten Inhalten dem Regelfall in sozialen Medien entspricht49 und dieser Ansatz somit dazu führen würde, dass eine private Nutzung der Plattformen faktisch ausgeschlossen wäre. Eine solche Lösung wi40
Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 2, Rn. 20. So Spindler, GRUR 2013, 996 (999). 42 Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 2, Rn. 21. 43 Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 2, Rn. 21. 44 v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 30. 45 Bäcker, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 2, Rn. 21. 46 Gola/Lepperhoff, ZD 2016, 9 (11); ähnlich auch Kühling/Raab, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 2, Rn. 25. 47 Gola/Lepperhoff, ZD 2016, 9 (11 f.). 48 Ebd. 49 Siehe z.B. die Facebook-Nutzungsbedingungen unter 3.3. oder die Instagram-Nutzungsbedingungen . 41
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
derspricht dem Willen des Gesetzgebers, wie er in Erwägungsgrund 18 S. 2 DSGVO zum Ausdruck kommt. Bedenklich erscheint auch die daraus folgende mangelnde Vorhersehbarkeit der Anwendung der DSGVO für die betroffenen Nutzer, welchen die Einräumung von Rechten zugunsten des Plattformbetreibers in AGB in dieser Tragweite selten bewusst sein dürfte. Daher ist dieser Ansatz als nicht praxistauglich und zu eng abzulehnen.50 Bedenklich erscheint auch der Vorschlag von Gola/Lepperhoff. Zwar ist die Gefahr für die grundrechtlich geschützten Positionen durch elektronische Kommunikation erheblich. Eine Weiterleitung setzt aber in jedem Fall die Handlung eines Dritten voraus. Dies sollte als eigenständige Datenverarbeitung neu für jenen Dritte bewertet werden. Denn die Vertraulichkeit des Kommunikationspartners liegt außerhalb des Verantwortungsbereichs des ursprünglich Verarbeitenden. Gola/Lepperhoff schreiben selbst, dass im Zeitpunkt der Weiterleitung die Daten bereits die „technische Einflusssphäre“ des ursprünglichen Datenverarbeiters verlassen hätten,51 ohne allerdings darin ein Argument gegen die eigene Auffassung zu sehen. Um daher nicht Privatpersonen für das eigenständige Verhalten Dritter verantwortlich zu machen, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Eine angemessene Begrenzung der Gefahr für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann stattdessen dadurch geschaffen werden, dass für jeden Nutzer sozialer Medien gesondert die Anwendbarkeit der DSGVO geprüft wird. Insgesamt empfiehlt es sich, hier einen vermittelnden Ansatz zu suchen. Sofern personenbezogene Daten in sozialen Medien online gestellt und einem unbegrenzten Personenkreis zugänglich gemacht werden, sollte die DSGVO anwendbar sein. In ihrer potentiellen Reichweite steht die Verarbeitung durch Privatpersonen in solchen Fällen einer Verarbeitung beispielsweise durch Presseunternehmen in nichts nach. Dies ist auch mit Blick auf die Pflicht zur privacy by default gem. Art. 25 Abs. 2 DSGVO gerechtfertigt. Denn sofern die Betreiber sozialer Medien diese Pflicht wahren und in ihren Voreinstellungen tatsächlich eine begrenzte Zugänglichkeit als Grundeinstellung vorsehen, erfordert die unbegrenzte Zugänglichkeit ein bewusstes Aktivwerden des Nutzers. Wenn der unbegrenzten Zugänglichkeit aber eine bewusste Entscheidung dafür zugrunde liegt, mit dem Inhalt eine möglichst große Reichweite zu erzielen, dann ist es auch gerechtfertigt, dem Nutzer Pflichten des Datenschutzrechts aufzuerlegen. Zutreffend ist auch, dass selbst die Einschränkung auf „nur Freunde“ schnell zu einem großen Publikum führen kann, da hiervon nicht nur der enge Freundeskreis, sondern häufig ein eher weitläufiger Bekanntenkreis erfasst ist. Trotzdem sollte man die Begrenzung auf „Freunde“ für die Haushaltsaus50
Ebenso Grafenstein, in: Gierschmann/Schlender/Stentzel/Veil, 2018, DSGVO Art. 2, Rn. 48. 51 Gola/Lepperhoff, ZD 2016, 9 (11).
B. Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs
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nahme ausreichen lassen. Dieses Kriterium besticht durch Eindeutigkeit und schafft Rechtssicherheit für den beruflichen Rechtsanwender wie auch für den rechtlich uninformierten Nutzer. Dabei sollte man sich insbesondere vor Augen halten, dass eine Person, deren personenbezogene Daten verarbeitet wurden, ohne größeren Aufwand erkennen kann, ob ein Nutzer sozialer Medien seinen Plattformauftritt begrenzt oder unbegrenzt gestaltet hat. Nicht ohne Weiteres einsehbar ist hingegen die Anzahl der Kontakte oder für wen genau Beschränkungen eingerichtet wurden. Dies sind Informationen, die eine betroffene Person ohne Geltendmachung eines entsprechenden Auskunftsanspruchs nicht erhalten kann. Solche Unsicherheiten im Rahmen der Anwendbarkeit sind nicht sachgemäß. Daher ist es sowohl im Interesse einer Daten verarbeitenden Person als auch der betroffenen Person, eine möglichst eindeutige und schnell erkennbare Abgrenzung zu wählen. Das Kriterium der beschränkten Abrufbarkeit ist dafür durchaus geeignet. Für diese eher großzügigere Handhabung der Haushaltsausnahme spricht außerdem, dass die Anwendbarkeit der DSGVO nicht nur einen Rechtfertigungsgrund für die Verarbeitung nach Art. 6 DSGVO erfordert, sondern dem Datenverarbeiter weitere, für eine Privatperson schwerlich angemessene Pflichten aufbürdet, wie etwa Informationspflichten (Art. 13, 14 DSGVO) oder die Pflicht zur Führung eines Verarbeitungsregisters (Art. 30 DSGVO). Solange die DSGVO nur im Ganzen oder überhaupt nicht angewendet werden kann, sollte die Haushaltsausnahme bei privaten Tätigkeiten daher nicht zu streng ausgelegt werden. Auf lange Sicht sollte jedoch geprüft werden, ob einzelne Pflichten des Datenschutzrechts – insbesondere die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung nach Art. 6 DSGVO – auch für Privatpersonen gelten sollten, die sich an ein größeres Publikum richten.52 Hierfür wäre jedoch eine Reform der DSGVO erforderlich.
B. Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs der Datenschutzrichtlinie B. Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs
Im Folgenden wird die Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs des europäischen Datenschutzrechts anhand der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL,53 umgesetzt in § 1 Abs. 5 BDSG a.F., 52 Dahingehend schon Roßnagel /Richter/Nebel, ZD 2015, 455 (456); dies., ZD 2013, 103 (104). 53 „Jeder Mitgliedstaat wendet die Vorschriften, die er zur Umsetzung dieser Richtlinie erläßt, auf alle Verarbeitungen personenbezogener Daten an, a) die im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung ausgeführt werden, die der für die Verarbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats besitzt. Wenn der Verantwortliche eine Niederlassung im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten besitzt, ergreift er die notwendigen
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
skizziert, welche zur aktuellen Bestimmung des territorialen Anwendungsbereichs in Art. 3 DSGVO hinführte. I. Google Spain 2014 In der Entscheidung Google Spain,54 die hauptsächlich wegen des Rechts auf Vergessenwerden Beachtung fand,55 äußerte sich der EuGH zur territorialen Anwendbarkeit der Datenschutz-RL. Der Kläger des Ausgangsverfahrens wehrte sich dagegen, dass die Suchmaschine des Google-Konzerns bei Eingabe seines Namens Links zu zwei Zeitungsartikeln anzeigte, welche bereits zwölf Jahre alt waren und von der Versteigerung eines Grundstücks des Klägers wegen Forderungen der Sozialversicherung berichteten. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens und Tochtergesellschaft des Google-Konzerns Google Spain verkauft Werbeflächen in Spanien, die den Nutzern der Suchmaschine angezeigt werden. Der Verkauf solcher Werbeflächen ermöglicht dem Google-Konzern, mit der Suchmaschine Gewinne zu erzielen. Das vorlegende Gericht erbat vom EuGH eine Auslegung des Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL hinsichtlich des Aspekts, wann eine Datenverarbeitung „im Rahmen der Tätigkeit einer Niederlassung“ eines Datenverarbeiters erfolgt. Der EuGH befand, dass die Regelung des territorialen Anwendungsbereichs der Datenschutz-RL nicht zu eng ausgelegt werden dürfe, um einen wirksamen und umfassenden Schutz der Grundfreiheiten und Grundrechte – das wesentliche Ziel der Richtlinie – zu gewährleisten.56 Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, Umgehungen des europäischen Datenschutzrechts vorzubeugen.57 Auch der Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL zeige, dass die Datenverarbeitung nur „im Rahmen der Tätigkeit“ erfolge und eben nicht „von der Niederlassung“ selbst durchgeführt werden müsse.58 Daher entschied der Gerichtshof, dass eine Verarbeitung im Rahmen der Tätigkeit der Niederlassung auch dann zu bejahen sei, wenn die Niederlassung zwar nicht selbst Daten verarbeite, aber durch den Verkauf von Wer-
Maßnahmen, damit jede dieser Niederlassungen die im jeweils anwendbaren einzelstaatlichen Recht festgelegten Verpflichtungen einhält; […].“ 54 EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a. 55 Siehe z.B. Masing, Vorläufige Einschätzung der „Google-Entscheidung“ des EuGH, 14.08.2014, . 56 EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 53. 57 ErwGr. 18 bis 20 Datenschutz-RL; EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI: EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 54. 58 EuGH, Urteil vom 13.05.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317, Google Spain SL u.a. ./. AEPD u.a., Rn. 52.
B. Entwicklung des räumlichen Anwendungsbereichs
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beflächen die Verarbeitung finanziere und rentabel mache, denn beides sei „untrennbar miteinander verbunden“.59 II. Weltimmo 2015 Der EuGH führte seine Auslegung zu Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL in der Entscheidung Weltimmo60 fort. Auf den Prüfstand wurde hier die Datenverarbeitung einer in der Slowakei eingetragenen Gesellschaft gestellt, die eine Website zur Vermittlung von Immobilien in Ungarn betrieb und dabei personenbezogene Daten der Inserenten verarbeitete. Einer der Gesellschafter mit ungarischer Staatsangehörigkeit war als dauernder Vertreter in Ungarn. Das ungarische Gericht legte die Frage vor, ob es sein nationales Datenschutzrecht anwenden dürfe. In dieser Entscheidung erfuhr der Begriff der Niederlassung eine großzügige Auslegung, um die effektive Durchsetzung des europäischen Datenschutzrechts zu gewährleisten. Entscheidend sei der Grad der Beständigkeit der Einrichtung und die effektive Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeiten im fraglichen Mitgliedstaat unter Beachtung des besonderen Charakters dieser Tätigkeiten und der in Rede stehenden Dienstleistungen.61 Auf formelle Fragen wie die Eintragung einer Gesellschaft könne es nicht ankommen. Vielmehr reiche schon ein einziger Vertreter aus, wenn dieser beständig mit den für die Erbringung der betreffenden konkreten Dienstleistungen erforderlichen Mitteln im fraglichen Mitgliedstaat tätig ist.62 Es komme auf jede tatsächliche und effektive Tätigkeit an, sei sie noch so geringfügig.63 III. VKI ./. Amazon 2016 Der EuGH bestätigte seine bisherige Auslegung in der Entscheidung VKI ./. Amazon und ergänzte, dass die Abrufbarkeit einer Website allein noch nicht genüge, um eine Niederlassung im fraglichen Staat zu bejahen, da es an der Beständigkeit fehle.64 Hier benannte er auch ausdrücklich, dass Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL das auf die Datenverarbeitung anwendbare Recht bestimme.65
59
Ebd., Rn. 55 f. EuGH, Urteil vom 01.10.2015 – C-230/14, ECLI:EU:C:2015:639, Weltimmo s.r.o. ./. Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság. 61 Ebd., Rn. 29. 62 Ebd., Rn. 30. 63 Ebd., Rn. 31. 64 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl, Rn. 76 f. 65 Ebd., Rn. 73 f. 60
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
IV. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein 2018 Die weite Auslegung der Voraussetzung „im Rahmen der Tätigkeit“ durch den EuGH in Google Spain schien von der Motivation geleitet, eine Anwendbarkeit des europäischen Datenschutzrechts auch bei Drittstaatunternehmen herbeizuführen. Daher stellte sich die Frage, ob diese Auslegung auch bei mehreren Niederlassungen innerhalb der EU gelten würde. Im Fall ULD Schleswig-Holstein ./. Wirtschaftsakademie SchleswigHolstein66 war zweifelhaft, ob die deutsche Niederlassung Facebook Germany die Anwendbarkeit deutschen Datenschutzrechts gem. Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL begründet oder ob das tatsächlich datenverarbeitende Tochterunternehmen Facebook Ireland maßgeblich wäre. Die deutsche Niederlassung verarbeitet – vergleichbar mit Google Spain – selbst keine Daten, sondern ist hauptsächlich für den Verkauf von Werbeflächen auf dem sozialen Netzwerk innerhalb Deutschlands verantwortlich. Der EuGH entschied, wie auch schon in der Rechtssache Google Spain, dass auch bei Facebook der Verkauf von Werbeflächen und die Datenverarbeitung durch das Mutterunternehmen „untrennbar verbunden“ seien, sodass auch im Rahmen der Tätigkeiten von Facebook Germany Daten verarbeitet würden.67 Das hatte unter der Datenschutz-RL zur Folge, dass datenverarbeitende Unternehmen gleichzeitig den Datenschutzrechtsordnungen mehrerer Mitgliedstaaten unterliegen können. V. Zusammenfassung Der EuGH hat mit seiner Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 1 lit. a DatenschutzRL das Ziel eines effektiven Datenschutzes verfolgt und neigte dementsprechend zu einer tendenziell weiten Auslegung. So konnte die faktische Abwahl eines strengeren Datenschutzrechts durch eine Niederlassung in einem Staat mit schwächerem Datenschutzrecht eingedämmt werden. Der europäische Gesetzgeber hat diesen Ansatz bei der Schaffung des Art. 3 DSGVO weitergeführt.
C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm
Den territorialen Anwendungsbereich der DSGVO bestimmt Art. 3 DSGVO. Nach einer inhaltlichen Darstellung der Norm (I.) werden die folgenden Ausführungen zeigen, inwiefern diese Norm kollisionsrechtliche Bedeutung er-
66
EuGH, Urteil vom 05.06.2018 – C-210/16, ECLI:EU:C:2018:388, ULD SchleswigHolstein ./. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH. 67 Ebd., Rn. 57 ff.
C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm
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langt (II.) und wie sich die Norm in das kollisionsrechtliche System einfügt (III.). Anschließend wird die Problematik der territorialen Reichweite datenschutzrechtlicher Ansprüche im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des EuGH thematisiert (IV.). I. Inhaltliche Darstellung Dem Art. 3 DSGVO liegen zwei sich ergänzende Ansätze zugrunde, nämlich das Niederlassungsprinzip, das an die Niederlassung des Datenverarbeiters anknüpft (Art. 3 Abs. 1 DSGVO), und hilfsweise das Marktortprinzip, das dem Aufenthalt der betroffenen Person in der EU Relevanz verleiht, soweit die Datenverarbeitung im Zusammenhang mit Leistungsangeboten für diesen Markt oder Verhaltensbeobachtungen in der EU steht (Art. 3 Abs. 2 DSGVO). Die Anwendbarkeit der DSGVO kann nicht generell für einen Datenverarbeiter bestimmt werden, sondern muss für jede einzelne Datenverarbeitungstätigkeit gesondert geprüft werden.68 1. Niederlassungsprinzip (Art. 3 Abs. 1 DSGVO) Gem. Art. 3 Abs. 1 DSGVO findet das vereinheitlichte europäische Datenschutzrecht Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit diese im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union erfolgt, unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Union stattfindet.69 Gemäß Erwägungsgrund 22 DSGVO liegt eine Niederlassung vor, wenn durch eine feste Einrichtung eine Tätigkeit effektiv und tatsächlich ausgeübt wird. Damit greift der Verordnungsgeber den Wortlaut des Erwägungsgrundes 19 der Datenschutz-RL und damit die Rechtsprechung des EuGH auf; die darin aufgestellten Leitlinien – insbesondere die in Weltimmo angeführten Kriterien – sind 68 Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 16. 69 Der europäische Datenschutzausschuss betont, dass für die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 DSGVO der unerlässliche erste Prüfungsschritt sei, zwischen einem Auftragsverarbeiter und einem für die Verarbeitung Verantwortlichen zu unterscheiden (Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 6). Er verweist dafür auf seine Stellungnahme zur Abgrenzung von Verantwortlichem und Auftragsverarbeiter, die noch zur Datenschutz-RL erging (Artikel-29Datenschutzgruppe, Stellungnahme 1/2010 zu den Begriffen „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“, 00264/10/DE, WP 169, 16.02.2010, S. 6 f.). Aus der Zusammenschau wird ersichtlich, dass der Datenschutzausschuss hinsichtlich dieses Aspekts noch vom Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 Datenschutz-RL ausging, welcher allein die Niederlassung des Verantwortlichen als relevant erachtete. Für Art. 3 Abs. 1 DSGVO ist es hingegen ausweislich des Wortlauts unbedeutend, ob es sich um einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter handelt.
322
Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
daher auch bei der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 DSGVO gültig.70 Nicht ausreichend für eine Niederlassung ist allerdings ein Vertreter, der gem. Art. 27 DSGVO benannt wurde.71 Sofern eine Niederlassung innerhalb der EU gegeben ist, ist es irrelevant, ob es sich um einen europäischen oder einen drittstaatlichen Datenverarbeiter handelt oder wo die betroffene Person ihren Aufenthaltsort hat. Wenn eine Niederlassung in der EU festgestellt werden konnte, ist weiter zu prüfen, ob eine Datenverarbeitung im Rahmen der Tätigkeit der Niederlassung erfolgt. Auch hier gelten die vom EuGH entwickelten Maßgaben.72 Im Ergebnis entspricht Art. 3 Abs. 1 DSGVO damit dem Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL. Diese Regelung führt bei den Marktführern unter den sozialen Medien regelmäßig bereits zur Anwendbarkeit der DSGVO. So entschied beispielsweise das OVG Schleswig noch zum alten Recht, dass Facebook Ireland Ltd. eine Niederlassung der US-Mutter Facebook Inc. sei und auch die Datenverarbeitung im Rahmen ihrer Tätigkeiten erfolge.73 Der EuGH befand, dass die 70 Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 6 f.; Ernst, in: Paal/ Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 3, Rn. 6 ff.; Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (382); Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 15; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 19; Jault-Seseke/ Zolynski, D. 2016, 1874 (1876); Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 44, 47; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (659); de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (169 ff.); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (61); Pailler, Clunet 2018, 823 (831 f.); Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 8; Plath, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 8; Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 9; zweifelnd Pabst, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 18. 71 Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 27. 72 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 48 ff.; Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 8; Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (382); Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 25; De Hert/Czerniawski, IDPL 2016, 230 (238); Jault-Seseke/ Zolynski, D. 2016, 1874 (1876); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (659); Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 8; Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 10; ebenso, aber krit. Pailler, Clunet 2018, 823 (834 ff.); differenzierend Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 59; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 28 ff; ablehnend de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (175); v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 10. 73 OVG Schleswig, Beschluss vom 22.04.2013 – 4 MB 11/13, ZD 2013, 364 (365). Eine andere Frage, die für den territorialen Anwendungsbereich keine Bedeutung hat, ist indes, ob die Tochtergesellschaft Facebook Ireland Ltd. Auftragsverarbeiterin oder Mitverant-
C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm
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Facebook Germany GmbH eine Niederlassung ist, im Rahmen derer Tätigkeit die Datenverarbeitung erfolgt, auch wenn sie hauptsächlich Werbeflächen auf der Plattform vermarktet.74 Sofern die Datenverarbeitung natürlicher Personen in sozialen Medien in den sachlichen Anwendungsbereich fällt,75 ist deren Niederlassung zu bestimmen. Die DSGVO macht dazu keine Vorgaben. In Anbetracht der tatsächlichen Elemente, die der EuGH betont – die Beständigkeit und die effektive Tätigkeit – ist die Niederlassung einer natürlichen Person an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt zu verorten.76 2. Marktortprinzip (Art. 3 Abs. 2 DSGVO) Hingegen ist im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 DSGVO nicht der Datenverarbeiter im Blick, sondern die betroffene Person. Der räumliche Anwendungsbereich der DSGVO ist demnach auch ohne Niederlassung innerhalb der EU77 eröffnet, wenn sich die von der Verarbeitung betroffenen Personen in der Union befinden und die Datenverarbeitung in Zusammenhang damit steht, (a) diesen Personen Waren oder Dienstleitungen anzubieten oder (b) das Verhalten dieser Personen zu beobachten, soweit das Verhalten in der EU erfolgt (sog. Marktortprinzip). Der Gesetzgeber möchte dem europäischen Datenschutz mit dieser Vorschrift zu einer umfassenden Geltung verhelfen. Da der Wortlaut keine weiteren Anforderungen daran stellt, genügt hierfür
wortliche des Datenverarbeiters Facebook Inc. ist; dazu Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 22. 74 EuGH, Urteil vom 05.06.2018 – C-210/16, ECLI:EU:C:2018:388, ULD SchleswigHolstein ./. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein GmbH, Rn. 57 ff.; a.A. VG Hamburg, Beschluss vom 03.03.2016 – 15 E 4482/15, ZD 2016, 243; Kettgen-Hahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext, 2020, S. 21 f. 75 Siehe oben S. 311–317. 76 So auch Golland, ZD 2020, 397 (398); ders., Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 107; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 25. 77 Streng genommen schafft der Wortlaut eine Schutzlücke, wenn nämlich ein Unternehmen zwar in der EU niedergelassen ist, im Rahmen seiner Tätigkeit aber keine Daten verarbeitet werden. Dies ist jedoch offensichtlich planwidrig, sodass Art. 3 DSGVO in dieser Hinsicht großzügiger ausgelegt werden sollte, um eine Schutzlücke zu vermeiden. Siehe auch Golland, DuD 2018, 351 (352); Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 648; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 45; Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 60; Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 35 f.; a.A. Brauneck, EuZW 2019, 494 (496). Angesichts der weitreichenden Auslegung des EuGH zu „in Rahmen der Tätigkeit“ in Google Spain scheinen diese Konstellationen jedoch eher theoretischer Natur zu sein, so auch: Feiler/Forgó/Weigl, GDPR 2018, Art. 3, Rn. 7; Pabst, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 38.
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der schlichte Aufenthalt.78 Folglich kommt das europäische Datenschutzrecht nunmehr nicht nur Unionsbürgern zugute, sondern allen natürlichen Personen, die sich in der EU befinden. Spiegelbildlich befindet sich damit aber auch der Unionsbürger, der sich in einem Drittstaat aufhält, außerhalb des Schutzbereichs. a) Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO Die Absicht, betroffenen Personen in der EU Waren oder Dienstleistungen anzubieten (Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO), muss offensichtlich sein; die bloße Zugänglichkeit der Website reicht dafür jedenfalls nicht aus.79 Maßgebliche Faktoren dafür können sein: „Verwendung einer Sprache oder Währung, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten gebräuchlich ist, in Verbindung mit der Möglichkeit, Waren und Dienstleistungen in dieser anderen Sprache zu bestellen, oder die Erwähnung von Kunden oder Nutzern, die sich in der Union befinden […].“80
78 Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 16 f.; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (339); Däubler, RIW 2018, 405 (406); ders., in: Däubler/Wedde/Weichert/ Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 19; Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 27; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 42; Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 63; de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (172); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (136); de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (84); Pabst, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 23; Plath, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 13; Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (36); Uecker, ZD 2019, 67 (68); ders., Extraterritoriale Regelungshoheit im Datenschutzrecht, 2017, S. 123; a.A. Golland, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 108 ff.; ders., DuD 2018, 351 (355 f.). Zweifel bringen Sprachfassungen, die einen Wohnsitz innerhalb der EU verlangen, wie die spanische („interesados que residan en la Unión“) oder portugiesische („titulares residentes no território da União“). Hingegen deuten andere Sprachfassungen eindeutig auf einen schlichten Aufenthalt hin wie die deutsche („betroffenen Personen, die sich in der Union befinden,“), die englische („data subjects who are in the Union“), die französische („personnes concernées qui se trouvent sur le territoire de l'Union“), die italienische („interessati che si trovano nell'Unione“) und die niederländische („betrokkenen die zich in de Unie bevinden“). Gestützt werden kann dies durch ErwGr. 14 S. 1 DSGVO. Siehe dazu auch de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (172). 79 ErwGr. 23 S. 2, 3 DSGVO. 80 ErwGr. 23 S. 3 DSGVO. Siehe weiterführend auch die Liste des Europäischen Datenschutzausschusses, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 20 f.
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Hierin liegt eine starke Parallele zu Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO und dessen Auslegung81 durch den EuGH. Die Kriterien zur Bestimmung des „Ausrichtens“ jener Norm kann daher auch bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO hilfreich sein.82 Auf die Entgeltlichkeit kommt es laut Gesetzeswortlaut nicht an. Der Europäische Datenschutzausschuss ergänzt, dass das Abzielen auf den Europäischen Markt nicht unabsichtlich oder zufällig sein darf.83 Der High Court sprach sich jüngst für ein restriktives Verständnis aus, wonach das Anbieten von Waren und Dienstleistungen mit der Haupttätigkeit des Datenverarbeiters eng verbunden sein muss.84 Demnach 81 Abrufbarkeit genügt nicht (EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller, Rn. 69 ff.); der Wille, mit den Verbrauchern eines konkreten Mitgliedstaats zu kontrahieren, muss zum Ausdruck kommen (EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller, Rn. 75); internationaler Charakter der fraglichen Tätigkeit, die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl, die Verwendung eines anderen Domänennamens oberster Stufe als dem des Mitgliedstaats, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist oder die Verwendung von neutralen Top-Level-Domain wie „.com“ oder „.eu“, Anfahrtsbeschreibungen von einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten oder die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt, insbesondere durch die Wiedergabe von Kundenbewertungen (EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, ECLI:EU:C:2010: 740, Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller, Rn. 83); Sprache und Währung können hingegen nur ergänzend berücksichtigt werden (EuGH, Urteil vom 07.12.2010 – C-585/08 und C-144/09, ECLI: EU:C:2010:740, Peter Pammer ./. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH ./. Oliver Heller, Rn. 84). 82 Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 20; Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 68; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (338); Ennöckel, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 14; Golland, DuD 2018, 351 (356); Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 32; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 53; Jault-Seseke/Zolynski, D. 2016, 1874 (1877); Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 84; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (63); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (136); de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (85); Pollmann, DuD 2018, 383; Schantz, NJW 2016, 1841 (1842); Spindler/Dalby, in: Spindler/ Schuster, 4. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 10; Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (35); Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 19 f. Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (327), merkt an, dass die Nähe zu Art. 17 Brüssel Ia-VO bereits in Google Spain geschaffen wurde. 83 Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 17. 84 Soriano v Forensic News LLC and others [2021] EWHC 56 (QB), Rn. 67, siehe dazu Spies, ZD-Aktuell 2021, 05071.
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genüge es bei einer Webseite für investigativen Journalismus nicht, wenn nur die Angebote des Shops für Merchandising-Produkte, nicht aber die journalistischen Veröffentlichungen auf das Vereinigte Königreich ausgerichtet sind. Bei den Betreibern sozialer Medien ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO gegeben sind. Aufgrund der parallelen Ausgestaltung kann eine Angebotsabsicht zweifellos dann bejaht werden, wenn bei der Ermittlung des Vertragsstatuts ein Ausrichten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO angenommen werden müsste. Schwierigkeiten entstehen bei der Subsumtion sozialer Medien unter Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO jedoch dann, wenn man den Plattformvertrag als Dauerschuldverhältnis betrachtet.85 Mit der Eigenheit als Dauerschuldverhältnis geht im Regelfall auch eine entsprechend längerfristige Datenverarbeitung einher. Der Aufenthaltsort des Nutzers kann während der Laufzeit des Plattformvertrags und der damit einhergehenden Datenverarbeitung jedoch wiederholt wechseln, sodass sich der Nutzer zeitweise innerhalb und zeitweise außerhalb des Territoriums der Europäischen Union befindet. Sofern der Datenverarbeiter keine Niederlassung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 DSGVO innerhalb der EU hat, ist auf die längerfristige Datenverarbeitung des Plattformbetreibers aufgrund des wechselnden Aufenthaltsorts der Betroffenen folglich phasenweise die DSGVO anwendbar und zu anderen Zeiten wiederum gerade nicht. Dies sollte man wie folgt lösen: Die Datenverarbeitung ist trotz andauernden Plattformvertrags dann nicht von der DSGVO erfasst, wenn eine Person mit gewöhnlichem Aufenthalt in der EU kurzzeitig in einem Drittstaat weilt und die Daten ausschließlich in diesem Zeitraum erfasst, verwendet und anschließend gelöscht werden. Sollten die Daten aber in das Nutzerprofil eingepflegt oder auf sonstige Weise gespeichert werden, findet auch auf diese Daten die DSGVO Anwendung, sobald sich die Person wieder in der EU befindet.86 Auch für Nutzer sozialer Medien, die personenbezogene Daten Dritter verarbeiten, kann das europäische Datenschutzrecht gem. Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO Anwendung finden, sofern sie nicht unter die Haushaltsausnahme (Art. 3 Abs. 2 lit. c DSGVO) fallen und keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der EU haben. Konkrete Angebote in sozialen Medien sind beispielsweise über die Facebook-Funktion „Marketplace“ möglich, wo Nutzer Waren zum Verkauf auch überregional anbieten können.87 Einbezogen sein können auch Fälle, in denen ein Auftritt in sozialen Medien der Werbung für Waren und Dienstleistungen dient und dabei Daten der Seitenbesucher erfasst werden, 85
Siehe oben S. 65–71. Ebenso Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 43. 87 Weitere Informationen unter . 86
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sofern für Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO auch schon die Datenverarbeitung durch Werbung ohne die Möglichkeit eines konkreten Vertragsabschlusses genügt.88 Maßgeblich dafür ist, wie weit „anbieten“ und „im Zusammenhang damit“ auszulegen sind.89 Der offen gewählte Wortlaut scheint Fälle miteinzubeziehen, in denen über einen Auftritt in sozialen Medien konkrete Angebote beworben werden und dabei zugleich eine Datenerhebung über die Seitenbesucher und damit potentielle Interessenten erfolgt. Wie eng die Datenverarbeitung mit einem konkreten Angebot zusammenhängen muss, kann in solchen Fällen aber offenbleiben, weil darin jedenfalls eine Verhaltensbeobachtung von Art. 2 Abs. 2 lit. b DSGVO liegt. Eine Datenverarbeitung des Plattformbetreibers liegt auch dann vor, wenn dieser Beiträge seiner Nutzer zum Abruf bereithält, die Daten eines Dritten beinhalten (z.B. ein Foto, auf dem ein Dritter abgebildet ist). Bei dieser dritten Person kann es sich auch um einen Nichtnutzer handeln. In diesen Fällen besteht weder eine vertragliche Verbindung zwischen der betroffenen Person und dem Plattformbetreiber noch ist das Bereithalten des angegriffenen Beitrags unmittelbar mit einem Angebot an diesen betroffenen Nichtnutzer verknüpft. Vielmehr erfolgt diese Datenverarbeitung zur Erfüllung des Vertrags mit dem veröffentlichenden Nutzer. Zweifelhaft ist, ob in diesen Situationen der territoriale Anwendungsbereich der DSGVO nach Art. 3 Abs. 2 lit. a eröffnet ist, wenn der Plattformbetreiber seine Dienste generell auf den Staat, in dem sich die betroffene Person aufhält, ausgerichtet hat und grundsätzlich der betroffenen Person die eigenen Dienste anbietet. Der Wortlaut ist insofern eindeutig, als das Angebot gerade auch der konkret betroffenen Person gelten muss.90 Offen ist hingegen, wann ein „Zusammenhang“ noch bejaht werden kann. Dieser Begriff hat bislang noch keine Präzisierung durch den EuGH erfahren. Erwägungsgrund 23 S. 1 DSGVO verdeutlicht, dass die Datenverarbeitung gerade dazu dienen muss, der betroffenen Person Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Diese Umstände sprechen stark dafür, dass die Datenverarbeitung in diesen Fällen nicht nach der DSGVO zu beurteilen ist. Eine stärkere Gewichtung des Telos könnte jedoch dazu führen, dass „Zusammenhang“ in diesen Situationen sehr weit ausgelegt werden kann. Dies entspräche der bisherigen Tendenz des EuGH, zum Zwecke eines effektiven Schutzes der betroffenen Personen einer daten-
88 Zur statistischen Auswertung der personenbezogenen Daten der Besucher einer Facebook-Seite siehe EuGH, Urteil vom 29.06.2019 – C-40/17, ECLI:EU:C:2019:629, Fashion ID GmbH & Co. KG ./. Verbraucherzentrale NRW e.V. 89 Wohl für ein weites Verständnis Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 31; Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 66 ff. 90 „to such data subjects“, „à ces personnes concernées“, „ai suddetti interessati“, „a dichos interesados“, „aan deze betrokkenen“.
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schutzfreundlichen, weiten Auslegung zu folgen.91 Für die Anwendung der DSGVO auch in den hier beschriebenen Situationen spricht, dass der Plattformbetreiber sein Angebot auch auf die betroffene Person ausgerichtet hat und daher grundsätzlich mit der Anwendung des dortigen Rechts rechnen muss. Die Gefahr, dass es zu einer Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Nichtnutzern kommt, ist dadurch sehr erhöht, dass der Plattformbetreiber mit dem Umfeld der betroffenen Person Verträge abschließen möchte. Diese Gefahr ist gerade durch das Geschäftsmodell erst geschaffen worden und ist damit nicht nur ein unwahrscheinlicher Zufall, der dem Plattformbetreiber nicht mehr zugerechnet werden kann. Schließlich kann in diesem Zusammenhang auch eine Parallele zur Rechtsprechung des EuGH zu Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO gezogen werden: In der Rechtssache Emrek wurde entschieden, dass das „Ausrichten“ für den Abschluss eines Verbrauchervertrags nicht kausal sein müsse.92 Entscheidend sei vielmehr das strukturelle Ungleichgewicht und die generelle Ausrichtung des Unternehmers auf die Verbraucher im fraglichen Mitgliedstaat. Dies kann man auf die hiesige Interessenlage übertragen: Auch hier besteht ein generelles Ungleichgewicht und aufgrund des generellen Ausrichtens ist ersichtlich, dass der Datenverarbeiter grundsätzlich ein Angebot an die betroffene Person richtet, auch wenn dies im konkreten Streitfall nicht kausal war und nicht zum Tragen kommt. Daher ist es durchaus wahrscheinlich, dass der EuGH diese Argumentation auf Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO überträgt, insbesondere da Erwägungsgrund 23 DSGVO die inhaltliche Nähe zur internationalen Zuständigkeit bei Verbraucherverträgen bereits selbst herstellt. Somit ist ein Zusammenhang der Datenverarbeitung mit dem Anbieten von Waren oder Dienstleistungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 lit. a DSGVO auch dann zu bejahen, wenn ein Plattformbetreiber sein Angebot grundsätzlich auch auf die betroffene Person ausgerichtet hat und zum Vertragsabschluss mit dieser Person bereit wäre. b) Art. 3 Abs. 2 lit. b DSGVO Die Verhaltensbeobachtungen von Personen innerhalb der EU im Sinne des Art. 3 Abs. 2 lit. b DSGVO umfasst laut Erwägungsgrund 24 DSGVO Fälle, in denen die Internetaktivität der betroffenen Personen nachvollzogen wird,
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Siehe oben S. 317–320. Der Europäische Datenschutzausschuss betont durchgängig die Zielgerichtetheit auf einen Markt generell und scheint darin die Rechtfertigung für die Anwendbarkeit zu erkennen, vgl. die Beispiele in den Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 17 ff. 92 EuGH, Urteil vom 07.10.2013 – C-218/12, ECLI:EU:C:2013:666, Lokman Emrek ./. Vlado Sabranovic, Rn. 24 ff.
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was auch die Erstellung von Profilen über diese Personen umfassen kann.93 Die Motive hinter diesen Beobachtungen sind irrelevant.94 Bei sozialen Medien ist diese Variante insbesondere dann interessant, wenn die betroffene Person die Plattform nicht nutzt, aber gleichwohl Daten über sie erfasst werden. Im Falle von Facebook ist beispielsweise schon länger bekannt, dass das Unternehmen sog. Schattenprofile über Nichtnutzer anlegt.95 Eine wesentliche Quelle hierfür ist die „Gefällt-mir“-Schaltfläche, die Inhaber einer beliebigen Internetseite in der Darstellung derselben häufig einbinden. Die eigentliche Funktion dieser Schaltfläche ist, von der offiziellen Website eines Anbieters direkt zu seinem Facebook-Auftritt zu gelangen und dessen Neuigkeiten über den Button „Gefällt mir“ zu abonnieren. Die Schaltfläche ermöglicht es Facebook aber auch, auf die Daten der Besucher jener Website zuzugreifen – unabhängig davon, ob die Besucher die Schaltfläche anklicken und ob diese Nutzer von Facebook sind.96 Im konkreten Fall von Facebook dürfte die Anwendbarkeit der DSGVO zwar bereits nach Art. 3 Abs. 1 DSGVO gegeben sein. Bei anderen Anbietern, die Daten von Nichtnutzern verarbeiten und keine Niederlassung in der EU haben, führt eine entsprechende Erfassung von Daten dann jedoch gem. Art. 3 Abs. 2 lit. b DSGVO zur Anwendung der DSGVO. Auch die Nutzer sozialer Medien ohne gewöhnlichen Aufenthalt in der EU können gem. Art. 3 Abs. 2 lit. b DSGVO in den räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO fallen. Zu denken ist dabei insbesondere an die erfassten Daten über Besucher einer Facebook-„Seite“, wofür gemäß der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Fashion ID GmbH & Co. KG ./. Verbraucherzentrale NRW e.V. nicht nur Facebook, sondern auch der Inhaber der Seite verantwortlich ist.97 Dies ist insofern besonders relevant, da Facebook-Seiten in ihrer Abrufbarkeit nicht begrenzt werden können, sodass diese somit nicht von der Haushaltsausnahme (Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO) erfasst sind. Folg93 Beispiele bei Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 23 f. 94 Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 21; Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 97; Ernst, in: Paal/ Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 3, Rn. 20; a.A. Europäischer Datenschutzausschuss, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 23. 95 Fanta, Ob Nutzer oder nicht: Facebook legt Schattenprofile über alle an, 29.03.2018, ; Tanriverdi, „Kaum wird die App geöffnet, landen Daten bei Facebook“, 30.12.2018, . 96 Zur Verantwortlichkeit des Seitenbetreibers nach der Datenschutz-RL siehe EuGH, Urteil vom 29.06.2019 – C-40/17, ECLI:EU:C:2019:629, Fashion ID GmbH & Co. KG ./. Verbraucherzentrale NRW e.V. 97 Ebd.
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lich sind alle Inhaber einer Facebook-Seite oder von vergleichbaren Angeboten auf anderen Plattformen gem. Art. 3 Abs. 2 lit. b DSGVO an das europäische Datenschutzrecht gebunden, sobald diese Seite von einer in der EU befindlichen Person abgerufen wird. c) Folgen Die Einführung des Marktortprinzips hat zur Folge, dass das europäische Datenschutzrecht auch über die Grenzen der EU hinaus zum Standard werden kann.98 Dazu trägt insbesondere bei, dass schon der schlichte Aufenthalt eines Nicht-EU-Bürgers im Territorium der EU genügt, um dem europäischen Datenschutzrecht zur Anwendung zu verhelfen.99 Noch gravierender für drittstaatliche Datenverarbeiter ist, dass Websites, die Daten ungeachtet des Standorts mittels Tracking-Maßnahmen erfassen, jederzeit auch mit Daten aus der EU rechnen müssen. Angesichts dessen sind drittstaatliche Unternehmen faktisch dazu gezwungen, die europäischen Standards anzuwenden, um die Gefahr einer rechtswidrigen Datenverarbeitung und die damit einhergehenden Bußgelder oder zivilrechtlichen Ansprüche sicher auszuschließen.100 Das gilt insbesondere bei der Verhaltensbeobachtung, denn eine solche kann den Anwendungsbereich allein durch die technische Abrufbarkeit einer Website mit entsprechenden technischen Einrichtungen begründen – unabhängig davon, ob das Unternehmen ein Interesse am europäischen Markt hat.101 Daher ist das Prinzip teilweise auf Kritik gestoßen.102 Mehrheitlich wurde diese Regelung jedoch begrüßt.103 Denn sie schaffe Wettbewerbs98 Siehe dazu v. Hein/Bizer, Audit Committee Quarterly III/2019, 44; Hennemann, RabelsZ 84 (2020), 864. 99 Der Europäische Datenschutzausschuss schlägt eine einschränkende Auslegung vor, wenn ein Leistungsangebot gezielt auf die Menschen in einem konkreten Drittstaat ausgerichtet ist, Leitlinien 3/2018 zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO (Artikel 3), Version 2.0, 12.11.2019, S. 17 f. 100 Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 14, 23 f.; ders., DuD 2017, 533 (537). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die gezielte Datenerfassung zum Zwecke der Profilanlegung mithilfe von Cookies auch schon unter der Datenschutz-RL zur Anwendbarkeit europäischen Datenschutzrechts führte. Siehe dazu Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 8/2010 zum anwendbaren Recht, 16.12.2010, WP 179, S. 26 f., 31; Polenz, VuR 2012, 207 (207 f.). 101 Klar, DuD 2017, 533 (536); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (64). 102 U.a. Golland, DuD 2018, 351 (355 f.); Härting, BB 2012, 459 (462); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (64); Schwartz, Univ. Pa. Law Rev. 2013, 1623 (1643); Svantesson, IDPL 5 (2015), 226; ders., 50 Stan. J. Int’l. L. (2014), 53 (68 ff.). 103 U.a. Brauneck, EuZW 2019, 494 (496); Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 61; Klar, DuD 2017, 533 (535 f.); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (660); Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (16); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (142); Papier, NJW 2017, 3025 (3030 f.); Pollmann, DuD 2018, 383; differenzierend Spindler, GRUR 2013, 996 (1002 f.).
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gleichheit zwischen Unternehmen aus der EU und solchen aus Drittstaaten, die im Binnenmarkt aktiv sind.104 Außerdem seien die Grundrechte der Betroffenen besser und umfassender geschützt.105 Schließlich kann im Datenschutzrecht in jüngerer Zeit weltweit ein Trend hin zu einer Anknüpfung an die Auswirkungen bzw. den Markt beobachtet werden.106 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der California Consumer Privacy Act of 2018 (CCPA), welcher zum 1. Januar 2020 wirksam wurde.107 Der Begriff consumer sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit jede natürliche Person gemeint ist. Der CCPA regelt Rechte der betroffenen Personen einschließlich Sanktionsmechanismen, insbesondere Informationsrechte, das Recht, dem Verkauf der eigenen persönlichen Informationen zu widersprechen (opt-out), sowie ein Recht auf Löschung erfasster Daten. Der räumliche Anwendungsbereich ähnelt dem der DSGVO, denn auch hier wurde ein Marktortprinzip zugrunde gelegt: Der CCPA will auf alle Datenverarbeitungen weltweit angewendet werden, sobald eine in Kalifornien wohnhafte Person betroffen ist.108 d) Konvention Nr. 108 des Europarats Der Wandel im Unionsrecht vom Territorialitätsprinzip hin zum Marktortprinzip ist auch vom Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (Konvention Nr. 108) des Europarats gedeckt.109 In Art. 3 Abs. 1 der Konvention 108 wurde der Bezug zum Territorium eines Staats aufgegeben; stattdessen verpflichtet sich nun jede Partei des Übereinkommens, die nachfolgenden Regelungen auf alle Datenverarbeitungen anzuwenden, die ihrem Recht unterliegen.110 Dies wird 104
Klar, DuD 2017, 533 (535); Plath, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 11; Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 2. Zur wirtschaftlichen Bedeutung einer extraterritorialen Anwendung des Datenschutzrechts siehe eingehend Uecker, Extraterritoriale Regelungshoheit im Datenschutzrecht, 2017, S. 190 ff. 105 Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 20; ders., DuD 2017, 533 (535); Pabst, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 27, 39; Zerdick, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 2. 106 Zu den Beispielen Australien und Kalifornien siehe Uecker, ZD 2019, 67 (71). 107 Abrufbar unter ; ausführlich dazu Hoeren/Pinelli, MMR 2018, 711; Lejeune, CR 2018, 569. Zum 01.01.2023 wird eine Verschärfung des kalifornischen Datenschutzrechts in Kraft treten, welche im November 2020 im Wege der Volksabstimmung angenommen wurde. Siehe dazu Spies, ZD-Aktuell 2020, 04407. Weitere Rezeptionsbeispiele bei Hennemann, RabelsZ 84 (2020), 864 (872 f.). 108 Section 1798.140 (g) CCPA. 109 De Hert/Czerniawski, IDPL 2016, 230 (231 ff.). 110 „Each Party undertakes to apply this Convention to data processing subject to its jurisdiction in the public and private sectors, thereby securing every individual’s right to protection of their personal data.”
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
so gedeutet, dass es den Konventionsparteien gestattet ist, von einem reinen Territorialitätsprinzip zugunsten eines breiteren Ansatzes abzuweichen, wie es nun in Art. 3 DSGVO erfolgt ist.111 3. Bedeutung des Art. 44 DSGVO Beim grenzüberschreitenden Datenverkehr ist neben Art. 3 DSGVO auch Art. 44 DSGVO zu beachten, der anordnet, dass die Übermittlung von Daten in ein Drittland zur Verarbeitung nur dann zulässig ist, wenn sichergestellt ist, dass der Verarbeiter im Drittland die Vorschriften des Kapitel V DSGVO einhält. So soll eine Umgehung der DSGVO durch die Übermittlung ins Ausland verhindert werden (vgl. Art. 44 S. 2 DSGVO). Sofern die Europäische Kommission feststellt, dass ein Drittland ein angemessenes Schutzniveau bietet, ist keine weitere Genehmigung für die Übermittlung personenbezogener Daten in dieses Drittland erforderlich (Art. 45 DSGVO).112 Bei Drittländern ohne Angemessenheitsbeschluss kann der Datenverarbeiter geeignete Garantien im Sinne des Art. 46 DSGVO vorsehen, wonach die Rechte der Betroffenen auch bei der Datenverarbeitung im Drittland gewahrt bleiben. Um einen freien Datenfluss zwischen Datenverarbeitern in der EU und solchen in einem Drittland zu ermöglichen, sind die Gesetzgeber der Drittländer faktisch dazu angehalten, ihr Datenschutzniveau dem der EU anzupassen. So haben jene Staaten, zu denen bereits unter der Datenschutz-RL ein Angemessenheitsbeschluss ergangen ist, ihr Datenschutzrecht geändert, um es an die DSGVO anzupassen (Schweiz, Argentinien, Neuseeland).113 Andere überarbeiten ihr Datenschutzrecht mit dem Ziel, einen solchen Beschluss erstmalig zu erreichen (Brasilien, Indien, Südkorea, bereits erfolgreich Japan).114 Unter der Datenschutz-RL war der Datentransfer aus der EU in die USA von den sog. Safe-Harbor-Grundsätzen für eine rechtmäßige Datenverarbeitung bestimmt. Unternehmen konnten sich freiwillig zur Einhaltung verpflichten und ein entsprechendes Zertifikat erlangen. Für solche Unternehmen 111
De Hert/Czerniawski, IDPL 2016, 230 (232). Derzeit bestehen Angemessenheitsbeschlüsse für Andorra, Argentinien, Kanada (commercial organisations), Färöer-Inseln, Guernsey, Israel, Isle of Man, Japan, Jersey, Neuseeland, Schweiz, Uruguay und das Vereinigte Königreich (DSGVO und Law Enforcement Directive); aktuelle Liste abrufbar unter . Ausführlich dazu Hennemann, RabelsZ 84 (2020), 864 (883 ff.). Seit Juni 2021 läuft das Verfahren zur Prüfung der Angemessenheit des Datenschutzrechts in Südkorea. 113 Salzmann/Schindler, ZD-Aktuell 2018, 06293; zur Überarbeitung des Datenschutzrechts der Schweiz siehe Bühlmann/Metin, ZD 2019, 356. 114 Salzmann/Schindler, ZD-Aktuell 2018, 06293; Darstellung und Bewertung des neuen brasilianischen Datenschutzrechts bei Hoeren/Pinelli, ZD 2020, 351. 112
C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm
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erkannte die Kommission ein angemessenes Schutzniveau an. Dieses Vorgehen sah jedoch keine Kontrollinstanzen vor und band die staatlichen Behörden nicht. In Folge der Aufdeckung des PRISM-Programms der amerikanischen Geheimdienste durch Edward Snowden und einer Klage des österreichischen Datenschutzaktivisten Maximilian Schrems gegen die Übermittlung personenbezogener Daten von Facebook Ireland Ltd. an die in den USA inkorporierte Facebook Inc. kippte der EuGH das Safe-Harbor-Abkommen.115 Daraufhin wurde das EU-US-Privacy-Shield-Abkommen ausgehandelt, welches unter anderem einige Rechte der Betroffenen nennt und an vielen Punkten eine Verbesserung zum Vorgängerabkommen darstellt. Am 12. Juli 2016 stellte die Kommission die Angemessenheit des US-Datenschutzes für solche US-Unternehmen fest, die die Grundsätze des EU-US-Privacy-ShieldAbkommen einhalten und eine entsprechende Bescheinigung des USHandelsministeriums erhalten.116 Dorn im Auge sind aber insbesondere die Zugriffsmöglichkeiten der US-Sicherheitsbehörden. Dementsprechend riss die Kritik nicht ab.117 Dem hat sich nun auch der EuGH angeschlossen und den Privacy Shield für ungültig erklärt.118 Zulässig ist aber dennoch die Datenübermittlung auf Grundlage von Standarddatenschutzklauseln (Art. 46 Abs. 2 lit. c DSGVO).119 Die Art. 44 ff. DSGVO haben zwar wesentliche Bedeutung für den grenzüberschreitenden Datenaustausch. Um Kollisionsnormen im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei jedoch nicht. Denn adressiert ist die Norm allein an Datenverarbeiter, die bereits aufgrund Art. 3 DSGVO in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen und Daten in ein Drittland übermitteln wollen. II. Bedeutung des Art. 3 DSGVO für das IPR Der soeben dargestellte Art. 3 DSGVO hat zentrale Bedeutung für das IPR. Das Datenschutzrecht entzieht sich einer Zuordnung zum Privat- oder zum öffentlichem Recht, da es Regelungen schafft, die beide Bereiche gleichermaßen tangieren.120 So differenzieren die DSGVO und ihre Grundsätze größ115 EuGH, Urteil vom 06.10.2015 – C-362/14, ECLI:EU:C:2015:650, Maximillian Schrems ./. Data Protection Commissioner. 116 Durchführungsbeschluss (EU) 2016/1250 der Kommission vom 12. Juli 2016 gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Angemessenheit des vom EU-US-Datenschutzschild gebotenen Schutzes, C(2016) 4176. 117 Überblick bei Gilga, ZD-Aktuell 2019, 06696; Mense, ZD 2019, 351. 118 EuGH, Urteil vom 16.07.2020 – C-311/18, ECLI:EU:C:2020:559, Data Protection Commissioner ./. Facebook Ireland Ltd, Maximillian Schrems, Rn. 168 ff. 119 Ebd., Rn. 90 ff. 120 Ellger, Der Datenschutz im grenzüberschreitenden Datenverkehr, 1990, S. 583 f.; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (59) („verzahnt“); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (130); Pailler, Clunet 2018, 823 (826) („zone
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
tenteils nicht danach, ob der Datenverarbeiter staatlich oder privat ist.121 Das Datenschutzrecht bietet vielmehr eigene privatrechtliche Ansprüche und etabliert sich damit als eigenständiger Bereich des Zivilrechts. Es greift nicht nur ordnungspolitisch begrenzend in zivilrechtliche Verhältnisse ein, sondern kann diese selbst begründen und ausgestalten. Aus dieser hybriden Rechtsnatur des Datenschutzrechts folgt, dass Art. 3 DSGVO nicht nur für den Bereich des öffentlichen Rechts anordnet, wann die DSGVO anzuwenden ist, sondern auch für privatrechtliche Konstellationen. Da die Norm eine Bestimmung darüber trifft, dass konkretes Privatrecht anzuwenden ist, ist Art. 3 DSGVO die zentrale Kollisionsnorm des internationalen privaten Datenschutzrechts.122 Art. 3 DSGVO regelt jedoch nicht umfassend, wann welches private Datenschutzrecht anzuwenden ist, sondern nur, wann das europäische Datenschutzrecht Anwendung findet. Eine solch einseitige Bestimmung ist typisch für das internationale öffentliche Recht.123 Für das Privatrecht wiederum ist Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm einzuordnen.124 grise entre le droit public et le droit privé“); Spindler, GRUR 2013, 996; Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (27 f.); a.A. G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 43. Eingehend zur effektiven Durchsetzung des Datenschutzrechts durch die gegenseitige Ergänzung von Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht Brkan, IDPL 5 (2015), 257. 121 Sofern eine Regelung nur für einen der beiden Fälle gilt, ist das explizit kenntlich gemacht (z.B. Art. 1 Abs. 2 lit. b und d, 86 DSGVO). 122 Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 68; Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 7; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 242; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50; Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (138); Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (39 ff.). Schon zu Art. 4 Datenschutz-RL Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (326); Herbrich/Beyvers, RDV 2016, 3 (3 ff.); v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 66; Jault-Seseke/Zolynski, D. 2016, 1874 (1875); Kremer/ Buchalik, CR 2013, 789 (791); Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (11); Kartheuser/Klar, ZD 2014, 500 (501); Oster, ZEuP 2021, 275 (279); Piltz, K&R 2012, 640 (641); T. Stadler, ZD 2011, 57 (58); Voigt, ZD 2014, 15 (15 f.); Wieczorek, DuD 2013, 644 (644 f.). Diese Feststellung traf auch schon der EuGH, Urteil vom 01.10.2015 – C-230/14, ECLI:EU:C: 2015:639, Weltimmo s.r.o. ./. Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság, Rn. 20 ff. Hingegen ablehnend Jault-Seseke/Zolynski, D. 2016, 1874 (1876): Es seien stattdessen die Rom I-VO und Rom II-VO maßgeblich; und Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 44: Art. 3 DSGVO regle nicht grundsätzlich, welches Recht anwendbar ist, sondern gebe die zwingende Anwendbarkeit vor; es handle sich daher um eine Eingriffsnorm und nicht um eine Kollisionsnorm. 123 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR, Rn. 92; Kettgen-Hahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext, 2020, S. 43 ff.; Melcher, in: Gössl u.a., 2017, S. 129 (130 f.); Steinrötter, EWS 2015, 83 (84). 124 Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 2; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (59 f., 72 ff.); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (138); Oster, ZEuP 2021, 275 (279); Thon,
C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm
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Art. 3 DSGVO ist also (auch) eine privatrechtliche Kollisionsnorm, welche die Anwendung der nachfolgenden Artikel nach dem Niederlassungs- und Marktortprinzip anordnet. Bei Art. 3 Abs. 1 DSGVO handelt es sich um eine einseitige Grundanknüpfung; Art. 3 Abs. 2 greift als subsidiäre Anknüpfung, wenn keine Niederlassung in der EU gegeben ist. III. Verhältnis des Art. 3 DSGVO zu anderen Kollisionsnormen Im nächsten Schritt ist das Verhältnis des Art. 3 DSGVO zu anderen Kollisionsnormen zu klären (1.). Dabei ist auch darauf einzugehen, ob es sich bei den Normen der DSGVO um Eingriffsnormen handelt (2.) und ob Raum für eine Rechtswahl besteht (3.). 1. Vorrang des Datenschutzrechts Zunächst ist das Verhältnis des Art. 3 DSGVO zu anderen Kollisionsnormen zu klären. Diese Frage stellt sich, sobald der sachliche Anwendungsbereich des Datenschutzrechts eröffnet ist und es um eine Zivil- und Handelssache geht.125 Art. 3 DSGVO ist eine einseitige Sonderkollisionsnorm für das Datenschutzrecht. Sobald in einem Fall, dessen Anspruchsgrundlage dem Vertragsrecht, dem allgemeinen Deliktsrecht oder dem Urheberrecht entnommen ist, datenschutzrechtliche Aspekte relevant sein können, ist das Datenschutzrecht im Wege der Vorfrage selbstständig anzuknüpfen.126 Falsch ist es demnach, RabelsZ 84 (2020), 24 (40, 50); noch zu Art. 4 der Datenschutz-RL bzw. § 1 Abs. 5 BDSG a.F. Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (49, 51, 54); Steinrötter, MMR 2013, 691 (693); ders., EWS 2015, 83 (88). Die Ansicht von Steinrötter kann indes im Einzelnen nicht überzeugen. Zwar bezeichnet auch er § 1 Abs. 5 BDSG a.F. als eine einseitige Kollisionsnorm (MMR 2013, 691 (693)), jedoch geht er im Konkreten davon aus, dass das anwendbare Datenschutzrecht anhand „der Kollisionsnormen der Rom I- bzw. Rom IIVO einmal im Grundsatz anwendbar“ sein muss, dann aber Bestimmungen wie § 1 Abs. 5 BDSG a.F. „den Geltungsbereich des Gesetzes versperren“ können, was zu einem Normmangel führe (MMR 2013, 691 (693)). Dies ignoriert, dass das anwendbare Datenschutzrecht gesondert anzuknüpfen und nicht Teil des Vertragsstatuts ist. 125 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (330 f.); Steinrötter, MMR 2013, 691, aus diesem Grunde krit. zu VG Schleswig, Beschluss vom 14.02.2013 – 8 B 60/12, ZD 2013, 245 (246). Eingehend zu der Unterscheidung von IPR und Internationalem Öffentlichem Recht im Datenschutzrecht Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 270 ff. Gömann lehnt eine Relevanz des IPR für das internationale Datenschutzrecht gänzlich ab (ebd.); dies soll wohl auch gelten, wenn eine Frage wie die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung in einem rein privatrechtlichen Verhältnis aufkommt (S. 304). 126 Ebenso OLG Köln, Urteil vom 25.03.2011 – 6 U 87/10, MMR 2011, 394 (395); Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 282, 286 f.; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 247; Kartheuser/Klar, ZD 2014, 500 (501).
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
die Anwendbarkeit deutschen Datenschutzrechts allein deshalb anzunehmen, weil deutsches Vertragsrecht anwendbar ist.127 Das Datenschutzrecht ist kein unselbstständiger Annex zum Vertragsrecht, sondern beansprucht unabhängig vom sonstigen Verhältnis der Parteien Geltung. Grundsätzlich besteht zwar Einigkeit darüber, dass Art. 3 DSGVO für datenschutzrechtliche Fragen der Rom I-VO vorgeht. Die Begründungen unterscheiden sich jedoch. Teilweise wird vertreten, dass hier ein Fall der spezielleren Kollisionsnorm für vertragliche Schuldverhältnisse im Sinne des Art. 23 Rom I-VO vorliegt.128 Andere hingegen argumentieren, dass sich der Vorrang der DSGVO bereits aus dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali wegen des Vorliegens von Einheitsrecht ergibt.129 Im Ergebnis führen die beiden Ansicht freilich zu keinem Unterschied, denn Art. 23 Rom I-VO ist bereits selbst eine Verschriftlichung der lexspecialis-Regel.130 Präziser ist es aber, dass der Vorrang der DSGVO nicht bereits aus Art. 23 Rom I-VO, sondern nur aus den allgemeinen Grundsätzen folgen kann. Der Wortlaut der deutschen Sprachfassung des Art. 23 Rom IVO lässt zwar offen, ob die bezeichneten vorrangigen Kollisionsregeln ausschließlich für vertragliche Schuldverhältnisse geschaffen worden sein müssen oder ob es genügt, dass diese Kollisionsnormen auch nebenbei für grundsätzlich vertragliche Schuldverhältnisse Relevanz erlangen können. Doch sowohl andere Sprachfassungen131 als auch die Gesetzgebungsgeschichte legen nahe, dass das engere Verständnis das zutreffende ist. Denn der Kom127
So aber LG Berlin, Urteil vom 30.04.2013 – 15 O 92/12, NJW 2013, 2605. Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (332); Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 15; dies., in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (50); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (139); Pailler, Clunet 2018, 823 (827 f.). Ablehnend Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 44, sowie Steinrötter, EWS 2015, 83 (89), und Kremer, RDV 2014, 73 (77), weil Art. 23 Rom I-VO nur Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse den Vorrang einräume. Auch Herbrich/Beyvers, RDV 2016, 3 (6 f.), lehnen eine Öffnung der Rom I-VO über ihren Art. 23 zugunsten des Datenschutzrechts ab, weil die Öffnungsklausel grundsätzlich restriktiv zu handhaben sei und eine Gesamtschau der Gesetzgebungsgeschichte nicht nahelege, dass man dem Datenschutzrecht einen Vorrang vor vertraglichen Regelungen habe einräumen wollen. 129 Herbrich/Beyvers, RDV 2016, 3 (9); Kartheuser/Klar, ZD 2014, 500 (501); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (60, 73); Oster, ZEuP 2021, 275 (281); Voigt, ZD 2014, 15 (16). Entspr. für die FluggastrechteVO Kieninger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., 3. Aufl. 2018, Rom I-VO Art. 20, Rn. 3; Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 23, Rn. 8; Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (42); wohl auch Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 966; allgemein für Einheitsrecht Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 23, Rn. 5. 130 Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 23, Rn. 2. 131 Italienisch: “in materia di obbligazioni contrattuali”; französisch: “en matière d’obligations contractuelles”. 128
C. Art. 3 DSGVO als einseitige Kollisionsnorm
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missionsentwurf von 2005 nannte noch in einem Anhang zu Art. 22 lit. a Rom I-VO-E ausdrücklich all jene Rechtsakte, die Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthielten und deswegen der Rom I-VO vorzugehen hätten; die Datenschutz-RL war davon nicht umfasst.132 Der Vorrang des Art. 3 DSGVO vor den Kollisionsnormen der Rom I-VO folgt somit aus dem allgemeinen Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Parallel dazu ergibt sich der Vorrang der DSGVO vor der Rom II-VO ebenfalls nicht aus Art. 27 Rom II-VO,133 sondern aus den allgemeinen Grundsätzen. Sofern man den Datenschutz, entgegen der hier vertretenen Auffassung,134 als Teil des Persönlichkeitsschutzes gem. Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO vom Anwendungsbereich generell ausgenommen sieht, folgt der Vorrang des Art. 3 DSGVO vor dem autonomen IPR bereits aus dem allgemeinen Anwendungsvorrang des Unionsrechts.135 Zusätzlich gilt auch hier, dass die spezielle Datenschutz-Kollisionsnorm der DSGVO als lex specialis den allgemeinen deliktsrechtlichen Normen der Art. 40–42 EGBGB vorgeht.136 2. Datenschutznormen als Eingriffsnormen Die Normen der DSGVO können grundsätzlich als Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Rom I-VO oder des Art. 16 Rom II-VO qualifiziert werden, sofern es sich bei ihnen um international zwingendes Recht handelt. Dabei ist zu beachten, dass nicht die DSGVO in ihrer Gesamtheit pauschal als Eingriffsnorm qualifiziert wird, sondern die Voraussetzungen für die jeweilige Norm geprüft werden müssen.137 Normen der DSGVO können dann als Eingriffsnorm qualifiziert werden, wenn sie nicht nur als einfach zwingend, also nicht derogativ aus Sicht des Sachrechts, anzusehen sind, sondern unabhängig vom ansonsten auf den Sachverhalt anwendbaren Recht Geltung beanspruchen.138 Das ist zweifelsfrei
132
Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I), 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg., S. 25. 133 So aber Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 7. 134 Siehe oben S. 130–135. 135 EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – Rs. 6/64, ECLI:EU:C:1964:66, Flaminio Costa ./. E.N.E.L. 136 Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 245; anders noch ders., MMR 2009, 232 (233). 137 Eingehend Steinrötter, MMR 2013, 691 (691, 693 f.); ferner Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (59); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (139). 138 Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 9, Rn. 8.
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
dann der Fall, wenn das Gesetz selbst eine entsprechende Anordnung trifft.139 Eben dies kann man bei vielen Normen der DSGVO bejahen. Denn durch Art. 3 DSGVO i.V.m. den Erwägungsgründen 2, 14, 15, 23 bringt der Unionsgesetzgeber zum Ausdruck, dass er das einheitliche europäische Datenschutzrecht innerhalb seines Anwendungsbereichs zum Schutze der Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRCh uneingeschränkt angewendet wissen will.140 Es geht nicht nur darum, das Verhältnis zwischen Privaten zu regeln, sondern dahinterstehende wirtschaftspolitische Ziele durchzusetzen.141 Auch die hoheitlichen Durchsetzungsmöglichkeiten unterstreichen den international zwingenden Charakter.142 Daher wird verbreitet befunden, dass die DSGVO Eingriffsnormen enthält.143 Ausdrücklich bejaht wird die Eingriffsnormqualität beispielsweise beim Anspruch auf Schadensersatz gem. Art. 82 DSGVO.144 Im größeren Kontext betrachtet zeigt sich, dass die Frage offenbleiben kann und letztlich nicht zum Tragen kommt.145 Wie oben besprochen, handelt es sich bei Art. 3 DSGVO um eine einseitige Sonderkollisionsnorm. Im Gesamtsystem des internationalen Privatrechts beansprucht die Norm Vorrang vor anderen Anknüpfungsnormen des internationalen Schuldrechts. Sobald der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet ist, gilt auch Art. 3 DSGVO als Sonderanknüpfung. Nach Eröffnung des territorialen Anwendungsbereichs findet das materielle Datenschutzrecht der DSGVO unmittelbare Anwendung. Auf die Frage der Eingriffsnormen kommt es somit nicht mehr an. Gegebenenfalls relevante Normen des Datenschutzrechts für das
139
Ebd., Rn. 9. Ebenso Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (661); Lopes, EJPLT 2020 Special Issue, 9 (17 f.); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (73 f.); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (139); de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (104); Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 45. Zur DatenschutzRL VG Schleswig, Beschluss vom 14.02.2013 – 8 B 60/12, ZD 2013, 245 (246); Steinrötter, EWS 2015, 83 (84 ff.). 141 Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 45; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (74). 142 Däubler, RIW 2018, 405 (406); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (661); Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 45. 143 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (339); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (661); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (59). Zur Datenschutz-RL Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (334). Siehe auch schon Ellger, Der Datenschutz im grenzüberschreitenden Datenverkehr, 1990, S. 634 ff. 144 Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (74). 145 Ebenso Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 247; de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (183); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (139). 140
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Vertragsrecht sind daher nicht über Art. 9 Rom I-VO, sondern im Wege der Vorfrage gesondert anzuknüpfen.146 Theoretisch relevant werden kann die Frage nach der Eingriffsnormqualität dann, wenn der Anwendungsbereich der DSGVO nicht nach Art. 3 DSGVO eröffnet ist und daher das anwendbare Datenschutzrecht anhand der Normen des allgemeinen internationalen Schuldrechts zu ermitteln ist.147 Sofern dies zur Anwendung eines drittstaatlichen Rechts führt, könnte man erwägen, einzelne Normen der DSGVO eingreifen zu lassen. Dagegen spricht aber, dass die DSGVO durch ihren einseitigen Anwendungsbefehl in Art. 3 DSGVO bereits selbst festlegt, für welche grenzüberschreitenden Fälle die Normen gelten sollen. Da diese Anordnung sehr umfassend ist und teilweise schon einen geringen Bezug zum europäischen Binnenmarkt genügen lässt, kann hier der Umkehrschluss gezogen werden, dass die DSGVO bei jenen räumlich entfernten Fällen keine Anwendung beansprucht. Außerhalb ihres normierten territorialen Anwendungsbereichs in Art. 3 DSGVO sind die Normen der DSGVO daher nicht international zwingend und daher auch nicht als Eingriffsnormen anzuwenden. 3. Parteiautonomie Zur Datenschutz-RL wurde teilweise vertreten, dass man das anwendbare Datenschutzrecht jedenfalls für private Verhältnisse durch Rechtswahl bestimmen könne, da dies weder in Art. 3 Rom I-VO noch in § 1 Abs. 5 BDSG a.F. ausdrücklich ausgeschlossen sei.148 Größtenteils wurde dies jedoch abgelehnt.149 Da nun mit der DSGVO innerhalb des europäischen Binnenmarkts im Wesentlichen Einheitsrecht gilt, hat die Frage nach der Rechtswahlmöglichkeit an Bedeutung verloren. Das auch völlig zu Recht, denn nicht nur lässt der Wortlaut des Art. 3 DSGVO dafür keinen Spielraum, sondern auch das Ziel 146 Ähnlich Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (54); Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 247; Kartheuser/Klar, ZD 2014, 500 (501); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (139). 147 Dazu sogleich S. 264–356. 148 So KG, Urteil vom 24.01.2014 – 5 U 42/12, ZD 2014, 412 (416); LG Berlin, Urteil vom 06.03.2012 – 16 O 551/10, ZD 2012, 276 (278); Härting, 25.07.2013, ; Härting, Internetrecht, 6. Aufl. 2017, Rn. 2795; Steinrötter, EWS 2015, 83 (88). 149 VG Schleswig, Beschluss vom 14.02.2013 – 8 B 60/12, ZD 2013, 245 (246); Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing, 2014, S. 102 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher-EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Rom I-VO Art. 6, Rn. 15; dies., in: Dethloff/ Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (50, 52); Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 966; Kartheuser/Klar, ZD 2014, 500 (502); Kremer, RDV 2014, 73 (78 f.); Piltz, K&R 2012, 640.
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der DSGVO, nämlich einen umfassenden Grundrechtsschutz natürlicher Personen zu gewährleisten und Umgehungen zu verhindern, spricht klar gegen eine Abwahlmöglichkeit.150 Nicht selten ist zu lesen, dass Art. 3 DSGVO bzw. die Vorgängernorm Art. 4 Datenschutz-RL eine Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Rom IVO und deswegen eine Rechtswahl ausgeschlossen sei.151 Dieser Ansicht liegt zwar zunächst der richtige Gedanke zugrunde – Telos und Gesetzgebungsgeschichte verlangen die Durchsetzung des Datenschutzrechts unabhängig von einer Rechtswahl –, sie verkennt dabei aber die erforderlichen Eigenschaften einer Eingriffsnorm.152 Gem. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO ist eine Eingriffsnorm eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Bereits der letzte Halbsatz macht deutlich, dass Normen zum Anwendungsbereich Teil der Voraussetzungen einer Eingriffsnorm sind und somit nicht selbst Eingriffsnormen sein können.153 Hinzu kommt, dass Art. 3 DSGVO selbst keinen sachrechtlichen Gehalt hat, dem im Wege der Sonderanknüpfung zur Geltung verholfen werden müsste, sondern nur auf weitere Normen verweist. Es stimmt daher zwar, dass Art. 3 DSGVO Datenschutzrecht international durchsetzen will; dies erfolgt aber mittelbar über den Verweis auf konkrete Bestimmungen der DSGVO. Erst durch die Anwendung 150 ErwGr. 2, 14, 15, 23; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (339); Däubler, in: Däubler/ Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 2; ders., RIW 2018, 405 (406); Golland, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, 2019, S. 114; Hornung, in: Simitis/ Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 70; Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 247; Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 105 f.; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (661); Pailler, Clunet 2018, 823 (828); Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 42 ff. Das gelte auch für Schiedsverfahren, so Burianski/Braun, BB 2019, 1096 (1098). 151 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing, 2014, S. 103 ff.; Bräutigam/Richter, in: Hornung/Müller-Terpitz, 2021, Kap. 4, Rn. 44; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (333); Däubler, RIW 2018, 405 (406); Kettgen-Hahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext, 2020, S. 187 f.; Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 105; Kremer, RDV 2014, 73 (78); ders./Buchalik, CR 2013, 789 (792); Oster, ZEuP 2021, 275 (281); Piltz, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 44 f.; Piltz, K&R 2012, 640 (643 f.). Herbrich/Beyvers, RDV 2016, 3 (6 f.), zweifeln an der Eingriffsnormqualität des Art. 4 Datenschutz-RL aus dem Grund, dass das private Datenschutzrecht keine öffentlichen, sondern nur individuelle, abwägungsbedürftige Positionen schütze. 152 Ebenso Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (50, Fn. 61); Kartheuser/Klar, ZD 2014, 500 (502); wohl anders Steinrötter, EWS 2015, 83 (85, insb. Fn. 22). 153 Ebenso Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (50, Fn. 61).
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einer weiteren Bestimmung des Datenschutzrechts wird das Verhältnis zwischen Datenverarbeiter und betroffener Person datenschutzrechtlich ausgestaltet. Daher kann Art. 3 DSGVO selbst keine Eingriffsnorm sein, sondern nur die Normen der materiellen Ausgestaltung des Datenschutzrechts. Bei der Frage wiederum, ob nun jene Normen des materiellen Datenschutzrechts ihrerseits Eingriffsnormen sind, kann Art. 3 DSGVO ein wesentliches Argument sein. Art. 3 DSGVO ist daher keine Eingriffsnorm, sondern eine Sonderanknüpfungsnorm des Kollisionsrechts, welche aus sich heraus keinen Spielraum für abweichende Vereinbarungen mittels Rechtswahl lässt. Erwägen könnte man, dass eine Rechtswahl dann zulässig ist, wenn sie für die betroffene Person zu einem höheren Schutzstandard führt. Dies bejahte beispielsweise das Kammergericht Berlin zum alten Recht.154 Das Kammergericht argumentierte, dass die Wahl deutschen Rechts nach Art. 3 Rom I-VO auch deutsches Datenschutzrecht zur Anwendung berufe, weil dieses auch privatrechtlicher Natur und für den Vertrag von Relevanz sei. Im konkreten Fall stand fest, dass das damalige deutsche Datenschutzrecht strenger war als das nach objektiver Anknüpfung anwendbare irische Datenschutzrecht. Unzutreffend an dieser Entscheidung ist allerdings, dass das Datenschutzrecht nicht zum Vertragsrecht zählt und daher auch nicht über Art. 3 Rom I-VO hinzugewählt werden kann.155 Kohler sieht in der Wahl eines höheren Standards einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 3 DSGVO, wonach „der freie Verkehr personenbezogener Daten in der Union […] weder eingeschränkt noch verboten werden“ darf; der in der DSGVO gefundene Ausgleich der Interessen der betroffenen Personen einerseits und der Wirtschaft an einem freien Datenverkehr andererseits dürfe in keine der beiden Richtungen umgangen werden.156 Dem ist nicht zuzustimmen, da sich Art. 1 Abs. 3 DSGVO an die Mitgliedstaaten richtet und ihnen jenseits der Öffnungsklauseln eine Abweichung von der DSGVO nicht gestattet.157 Wenn sich hingegen private Akteure im Binnenmarkt selbst Handelshemmnisse auferlegen wollen, die über die Vorgaben der DSGVO hinausgehen, steht Art. 1 Abs. 3 DSGVO dem wiederum nicht entgegen. Auch Thon steht einer überschießenden Rechtswahl ablehnend gegenüber und verweist darauf, dass Art. 3 DSGVO als Kollisionsnorm Vorrang vor anderen Kollisionsnormen einschließlich jenen zur Rechtswahl habe.158 Dem ist zuzustimmen. Denn wenn man eine Rechtswahl im Datenschutzrecht auf 154 KG, Urteil vom 24.01.2014 – 5 U 42/12, ZD 2014, 412 (416); LG Berlin, Urteil vom 06.03.2012 – 16 O 551/10, ZD 2012, 276 (278); Polenz, VuR 2012, 207 (208 f.). 155 Dazu sogleich S. 350 f. 156 Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (662). 157 Hornung/Spiecker gen. Döhmann, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 1, Rn. 42, 48; Pötters, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 1, Rn. 16. 158 Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (42); ebenso Jotzo, Der Schutz personenbezogener Daten in der Cloud, 2. Aufl., 2020, Rn. 247.
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kollisionsrechtlicher Ebene erreichen wollte, müsste man ein Günstigkeitsprinzip für die strukturell schwächere Person wie im Verbrauchervertragsrecht (Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO) einführen. De lege lata ist eine Rechtswahl aber nicht vorgesehen. Gleichwohl steht es schon jetzt den Parteien frei, auf materiell-rechtlicher Ebene zugunsten der betroffenen Person abzuweichen, sofern einschlägige Normen der DSGVO dem nicht entgegenstehen. IV. Die territoriale Reichweite datenschutzrechtlicher Ansprüche Der territoriale Anwendungsbereich gem. Art. 3 DSGVO verpflichtet auch drittstaatliche Unternehmen zur Einhaltung der Vorgaben des europäischen Datenschutzrechts. Der Kritik am weiten territorialen Anwendungsbereich insbesondere im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 DSGVO159 hat nun der EuGH die Spitze genommen, indem er die räumliche Reichweite eines Anspruchs auf Löschung (Art. 17 DSGVO) grundsätzlich auf das Gebiet der EU beschränkte.160 Diese Entscheidung wird im Folgenden dargestellt und die Folgefrage kritisch diskutiert. 1. Google LLC ./. CNIL 2019 Diese Frage gelangte zum EuGH in der Rechtssache Google LLC ./. CNIL.161 Wie in Google Spain ging es in der Entscheidung um einen Anspruch auf Löschung konkreter Suchergebnisse. Google zeigte sich bereit, das angegriffene Suchergebnis für das Territorium der EU, nicht aber weltweit aus der Ergebnisliste nehmen. Ein Zugriff aus der EU könne mittels Geoblocking verhindert werden.162 Die von Google angebotene Suchmaschine sei nicht einheitlich, sondern jede Suchanfrage werde automatisch auf diejenige TopLevel-Domain weitergeleitet, die dem Standort des Suchenden entspricht. Dadurch könnten inhaltlich und sprachlich relevantere Ergebnisse angezeigt werden und solche ausgeblendet werden, die aufgrund des Rechts auf Vergessenwerden (jetzt Art. 17 DSGVO) gelöscht werden müssten. Der EuGH entschied, dass der Anspruch auf Löschung eines Suchergebnisses den Betreiber einer Suchmaschine grundsätzlich nur dazu verpflichte, einen Zugriff auf das Suchergebnis aus der EU zu verhindern.163 Die Auslistung habe nicht nur im Wohnsitzstaat der betroffenen Personen, sondern ein159
U.a. Golland, DuD 2018, 351 (355 f.); Härting, BB 2012, 459 (462); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (64); Schwartz, Univ. Pa. Law Rev. 2013, 1623 (1643); Svantesson, IDPL 5 (2015), 226; ders., 50 Stan. J. Int’l. L. (2014), 53 (68 ff.). 160 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL. 161 Ebd. 162 Zum Geoblocking siehe oben S. 12 f. 163 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 64 f.
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heitlich für alle Mitgliedstaaten zu erfolgen, was bereits daraus folge, dass die DSGVO ein einheitliches Datenschutzniveau schaffen wolle.164 Eine Pflicht, den weltweiten Zugriff zu verhindern, ergebe sich aus Unionsrecht aber nicht.165 Es sei die Aufgabe des Suchmaschinenbetreibers, technisch wirksame Vorkehrungen zu treffen, sodass ein Abruf des fraglichen Suchergebnisses aus der EU ausgeschlossen sei,166 und wiederum die Aufgabe der nationalen Aufsichts- und Justizbehörden, die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen.167 Der EuGH stellte zwar fest, dass eine Löschung mit weltweitem Effekt die Grundrechte der betroffenen Person angesichts der Ubiquität des Internets am besten schützen würde.168 Jedoch müsse auch der Informationsfreiheit der anderen Internetnutzer Rechnung getragen werden.169 Zu berücksichtigen sei auch die rechtliche Vielfalt in der Welt und dass ein entsprechender Anspruch auf Löschung nicht in allen Staaten existiere.170 Daher gelte der Löschungsanspruch grundsätzlich nur für das Territorium der EU. Jedoch verbiete es das Unionsrecht nicht, eine weltweite Löschung basierend auf nationalen Grundrechtsstandards anzuordnen.171 2. Bewertung in der Literatur Die Entscheidung des EuGH hat Reaktionen in der Literatur hervorgerufen, die sich mit den Vor- und Nachteilen einer begrenzten räumlichen Reichweite des Löschungsanspruchs auseinandersetzen. Das Hauptargument für eine globale Reichweite ist der effektive Schutz der Grundrechte der betroffenen Person.172 Die Kritiker des Geoblockings verweisen auf die einfachen Möglichkeiten zur Umgehung des Mechanis-
164
Ebd., Rn. 66 ff. Ebd., Rn. 61 f. 166 Ebd., Rn. 70. 167 Ebd., Rn. 71. 168 Ebd., Rn. 54 ff. 169 Ebd., Rn. 60. 170 Ebd., Rn. 59. 171 Ebd., Rn. 72. 172 Stellungnahmen der französischen, italienischen und österreichischen Regierungen (vgl. Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 34); Entschließung der 88. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 8./9. Oktober 2014: Zum Recht auf Sperrung von Suchergebnissen bei Anbietern von Suchmaschinen, abrufbar unter , S. 2; Fabbrini/Celeste, 21 GLJ 55 (2020), 63; Leutheusser-Schnarrenberger, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 17, Rn. 56. 165
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mus‘.173 Zudem sei die Aussage, der europäische Gesetzgeber habe sich nicht zur extraterritorialen Anwendung des europäischen Datenschutzrechts positioniert, unzutreffend, wie ja der weitreichende territoriale Anwendungsbereich des Art. 3 DSGVO zeige.174 Auch der Wortlaut des Art. 17 DSGVO spreche dafür, denn er verlange „Löschung“, die zwangsläufig umfänglich sein müsse, und nicht nur eine teilweise Sperrung.175 Auf der anderen Seite stehen die Informationsfreiheit und der Respekt davor, dass in anderen Staaten die Veröffentlichung als rechtmäßig betrachtet werden könnte und daher aus dortiger Sicht zu Unrecht gelöscht werden müsste.176 Nicht zu vergessen sei, dass Suchmaschinen in den USA in den Schutzbereich des First Amendment (Freedom of Speech) fallen.177 Auch könne der DSGVO gerade keine Äußerung zur extraterritorialen Geltung entnommen werden; stattdessen gelte auch hier, dass eine umfassende Abwägung zwischen der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRCh) und der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 11 GRCh) auf der einen Seite und dem Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 DSGVO) auf der anderen Seite erfolgen müsse.178 Generalanwalt Szpunar kam zu dem Ergebnis, dass das EU-Recht generell nur innerhalb der EU Verpflichtungen kreieren könne, wenn man von den Ausnahmen des Marken- und Wettbewerbsrechts absehe.179 Der Hauptgrund ist allerdings, dass es andere Staaten der EU gleichtun könnten und wiederum ihre Rechtsvorstellungen weltweit durchgesetzt sehen wollten.180 Dies könne zu einem race to the bottom zulasten der Meinungs-
173 Leutheusser-Schnarrenberger, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 17, Rn. 56; Pollmann, DuD 2020, 365 (367 f.). 174 Gascón Marcén, 23 SYBIL 413 (2019), 414; Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (386). Ausführlich zur extraterritorialen Dimension des Art. 3 DSGVO Uecker, Extraterritoriale Regelungshoheit im Datenschutzrecht, 2017, S. 112 ff., insb. S. 125 f. 175 Heinzke, GRUR-Prax 2019, 545 (547). 176 Stellungnahmen von Google, Wikimedia Foundation, diverse Vereinigungen für die freie Presse, der irischen, griechischen, polnischen Regierungen und der Kommission (vgl. Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 34); auch GA Szpunar selbst, Rn. 61; Fremuth/Friedrich, EuZW 2019, 945 (946); Gascón Marcén, 23 SYBIL 413 (2019), 423; Pollmann, DuD 2020, 365 (367); Specht-Riemenschneider, MMR 2019, 801 (802). 177 Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (386); Pollmann, DuD 2020, 365 (367). Dazu auch die Entscheidung in der Rechtssache Google v. Equustek des District Court of Northern California, siehe oben S. 215–217. 178 Kamann/Braun, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 17, Rn. 37; Specht-Riemenschneider, MMR 2019, 801 (802). 179 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 47 ff. 180 Fremuth/Friedrich, EuZW 2019, 945 (946); Gascón Marcén, 23 SYBIL 413 (2019), 418, 423; Ukrow, ZD 2020, 34 (35).
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freiheit führen.181 Mit einer gewissen Zurückhaltung möchte man also vermeiden, dass letztlich womöglich autoritäre Regime darüber bestimmen, was in der EU abrufbar ist. Die Abneigung des EuGH gegenüber einer weltweiten Durchsetzbarkeit wird als „vertrauensbildende Vorleistung“ der EU182 und als pragmatischer Ansatz angesichts der internationalen Gegebenheiten gelobt.183 Zwar sei die Sperrung des angegriffenen Inhalts allein auf einzelnen länderspezifischen Domains unzureichend;184 Geoblocking könne hier aber die Lösung sein.185 Kritisiert wird jedoch, dass der EuGH sich nicht zum Geoblocking im Speziellen geäußert hat und den mitgliedstaatlichen Gerichten für die Tauglichkeitsprüfung verschiedener technischer Möglichkeiten keine Kriterien zur Hand gibt.186 Vereinzelt wird angeregt, dass die Abwägung der betroffenen Grundrechte nur eine regionale oder auf einen Mitgliedstaat begrenzte Sperrung rechtfertigen könne.187 Dagegen wird andererseits eingewandt, dass die EU mit der DSGVO gerade den freien Datenverkehr im Binnenmarkt habe fördern wollen und dass eine mitgliedstaatliche Betrachtung den Harmonisierungsbestrebungen zuwiderliefe.188 Die Möglichkeit, in Ausnahmefällen doch eine globale Löschung anordnen zu können, wird teilweise kritisiert, weil dies zu widersprüchlichen Entschei-
181 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 61. 182 Ukrow, ZD 2020, 34 (35). 183 Fabbrini/Celeste, 21 GLJ 55 (2020), 64; Paal, JZ 2020, 92 (95); Pollmann, DuD 2020, 365 (367). 184 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 69; Manavello/Di Tecco, The Global Implications of the CJEU’s Ruling in Google ‘Right to Be Forgotten’ Case, 16.10.2019, ; Nolte/Werkmeister, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 17, Rn. 64. 185 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 70 ff.; Gascón Marcén, 23 SYBIL 413 (2019), 422 f.; Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (385); Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2019 Anm. 2. 186 Gstrein, The Judgment That Will Be Forgotten, 2019/9/25, ; Manavello/Di Tecco, The Global Implications of the CJEU’s Ruling in Google ‘Right to Be Forgotten’ Case, 16.10.2019, ; Pollmann, DuD 2020, 365 (368); schon zu den GA-Anträgen Miglio, EDPL 2019, 136 (140). 187 Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (386). 188 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 75 f.; Finck, Google v CNIL: Defining the Territorial Scope of European Data Protection Law, 16.11.2018, .
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dungen und forum shopping führen werde.189 Globocnik bewertet die Gefahr hingegen als gering, weil der Ausnahmecharakter einer Löschungsanordnung mit weltweiter Wirkung in der Entscheidung des EuGH deutlich zum Ausdruck gekommen sei und die nationalen Aufsichtsbehörden zur Kooperation angehalten seien.190 Jedenfalls möchten teilweise auch die Kritiker globaler Löschungsansprüche Ausnahmen in Extremfällen zulassen. Es könne das Ergebnis einer umfänglichen Grundrechtsabwägung sein, dass ausnahmsweise eine weltweite Löschung eines Inhalts anzuordnen sei.191 Unter welchen Umständen solche Ausnahmen vorliegen, bleibt bisher allerdings offen.192 3. Stellungnahme Der EuGH hat die Prüfung der territorialen Reichweite im Löschungsanspruchs gem. Art. 17 DSGVO angesiedelt. Diese Frage stellt sich aber gleichermaßen auch bei anderen datenschutzrechtlichen Ansprüchen wie insbesondere bei Schadensersatzansprüchen gem. Art. 82 DSGVO. Sinnvollerweise sollte die Diskussion daher losgelöst von Art. 17 DSGVO geführt werden. Gegenstand dieser Stellungnahme ist daher die räumliche Reichweite jeglicher datenschutzrechtlicher Ansprüche zwischen Privaten. Festzuhalten ist zunächst, dass nach der Entscheidung des EuGH behördlich angeordnete Sperrungen von Suchergebnissen im Regelfall nur EU-weite Wirkung haben und dass dies so auch dem Willen der Kommission entspricht. Dass dies Einbußen für die Person bedeutet, auf die sich die fraglichen Daten beziehen, wird nicht übersehen, muss aber hinter dem Interesse an einer pragmatischen Lösung zurückstehen. Für Extremfälle ist daher die Ausnahmeregelung vorgesehen, nach der im Einzelfall doch eine weltweite Sperrung angeordnet werden kann. In der Zukunft wird sich zeigen, wie die Entscheidung von den nationalen Aufsichtsbehörden und Gerichten angewandt werden wird und ob sich dabei schließlich eine gemeinsame Linie zur Ausnahmeregelung entwickelt. Wenn man die Ausgestaltung des Art. 3 DSGVO in den Blick nimmt, erscheint die Entscheidung des EuGH konsequent und stimmig: Der territoriale 189 Gstrein, The Judgment That Will Be Forgotten, 2019/9/25, ; Manavello/Di Tecco, The Global Implications of the CJEU’s Ruling in Google ‘Right to Be Forgotten’ Case, 16.10.2019, . 190 Globocnik, GRUR Int. 2020, 380 (387). 191 Schlussanträge GA Szpunar, 10.01.2019, C-50717, ECLI:EU:C:2019:15, Google LLC ./. CNIL, Rn. 58 ff., 62; Paal, JZ 2020, 92 (95). Für Ergebnisoffenheit ohne RegelAusnahmeverhältnis Miglio, EDPL 2019, 136 (140); wohl auch Kamann/Braun, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 17, Rn. 37. 192 Krit. Gstrein, The Judgment That Will Be Forgotten, 2019/9/25, .
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Anwendungsbereich der DSGVO bindet auch drittstaatliche Unternehmen an den europäischen Standard, auch wenn der Bezug zur EU eher gering ist. Dahinter steht der Wille, die Personen in der EU zu schützen und Wettbewerbsgleichheit zu schaffen, indem auch drittstaatliche Unternehmen an die europäischen Standards gebunden werden, sobald sie auf dem europäischen Markt tätig werden wollen. Wenn aber der weite Anwendungsbereich mit Blick auf diesen Markt begründet wird, dann ist es folgerichtig, sämtliche Maßnahmen gleichfalls auf eben diesen Markt zu begrenzen. Insofern kann man den weitreichenden räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung und die Beschränkung der territorialen Reichweite der Ansprüche als die zwei Seiten derselben Medaille sehen. Hinzu kommt die politische Dimension der Thematik: Die DSGVO hat bereits mehrere Drittstaaten zu Reformen und Anpassungen ihres jeweiligen materiellen Datenschutzrechts veranlasst.193 Die EU hat daher ein wesentliches Interesse daran, die bisher bestehende Akzeptanz und Anerkennung der DSGVO in Drittstaaten nicht zu gefährden.194 Hierzu kann ein Signal, dass die DSGVO den Fokus ausschließlich auf den europäischen Markt richtet und sich nicht zum Weltdatenschutzrecht aufschwingen will, sicherlich wesentlich beitragen. Ausgehend vom weiten Anwendungsbereich des Art. 3 DSGVO erweist sich die Lösung des EuGH daher insgesamt als konsequent und politisch sinnvoll. Auch wenn der EuGH die Thematik als eine materiellrechtliche Frage der Grundrechtsabwägung in Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO anbringt, ist es im Kern indes ein kollisionsrechtliches Problem. Denn gemeinsam betrachtet ergeben Art. 3 DSGVO und die besagte Beschränkung eine kollisionsrechtliche Regelung, weil bestimmt wird, welches Recht in welchem Umfang bei einem grenzüberschreitenden Fall Anwendung finden soll. Der jetzige Ansatz – weiter territorialer Anwendungsbereich, aber begrenzte räumliche Reichweite – geht jedoch auch mit wesentlichen Nachteilen einher. Zu den Nachteilen der räumlichen Begrenzung privatrechtlicher Ansprüche im Bereich des Persönlichkeitsrechts kann weitgehend auf die entsprechenden obigen Ausführungen zum Deliktsrecht verwiesen werden.195 Auch im Datenschutzrecht stößt ein solcher Ansatz zunächst auf technische Grenzen, denn für die Nutzer sozialer Medien bleibt es faktisch bei einer weltweiten Anordnung, weil ihnen im Regelfall und im Gegensatz zu den Plattformbetreibern keine technischen Möglichkeiten zur räumlichen Beschränkung der Abrufbarkeit zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass durch die Möglichkeit, die territoriale Reichweite im Einzelfall zu bestimmen, kollisionsrechtlich unerwünschte Unklarheiten und Unvorhersehbarkeiten geschaffen werden. Es ist insbesondere für den Datenverarbeiter nicht absehbar, ob er eine Haftung durch den 193
Siehe oben S. 332 f. Paal, JZ 2020, 92 (95). 195 Siehe oben S. 194–218. 194
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Einsatz von Geoblocking für das Gebiet der EU vermeiden kann oder ob aufgrund der Einzelfallbetrachtung doch eine weltweite Löschung erforderlich wäre. Verschärft wird das Problem dadurch, dass es voraussichtlich längere Zeit dauern wird, bis die Gerichte der unterschiedlichen Mitgliedstaaten hier eine einheitliche Linie entwickeln werden. Wenn die Ausnahme sehr restriktiv gehandhabt wird, besteht zudem die Gefahr, dass der Schutz der betroffenen Personen ausgehöhlt wird. Wenn wiederum die weltweite Anordnung doch zum Regelfall wird, weil das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen dies gebietet, regelt das europäische Datenschutz letztlich doch umfassend datenschutzrechtliche Konflikte, auch wenn der Bezug zum Territorium der EU nur gering ist. Völkerrechtliche Schranken stehen zwar zumindest im privatrechtlichen Bereich Ansprüchen mit weltweiter Wirkung nicht entgegen oder sie bestehen allein darin, dass nicht jeder noch so geringe Inlandsbezug für die Anwendung einer Rechtsordnung genügen kann. Jedoch stellt sich hierbei die Frage, ob dann noch eine hinreichend enge Verbindung gegeben ist, um ein solches Ergebnis zu rechtfertigen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der aktuell verfolgte Ansatz des EuGH zwar angesichts des weitreichenden Art. 3 DSGVO angemessen ist, jedoch mit erheblichen Nachteilen für die Nutzer sozialer Medien sowie für die konkret betroffene Person verbunden ist und zudem durch die vorgesehene Ausnahme zugunsten einer weltweiten Geltung bei Erforderlichkeit Rechtsunsicherheit schafft. Mittelfristig sollte daher eine andere kollisionsrechtliche Lösung für die DSGVO gesucht werden.196 V. Ergebnis Mit Art. 3 DSGVO haben die europäischen Gesetzgebenden einen weiten territorialen Anwendungsbereich gezogen. Nach dem Niederlassungsprinzip (Art. 3 Abs. 1 DSGVO) findet das vereinheitlichte europäische Datenschutzrecht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten Anwendung, soweit diese im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union erfolgt. Subsidiär gilt das Marktortprinzip (Art. 3 Abs. 2 DSGVO), wonach die DSGVO auch dann Anwendung findet, wenn sich die von der Verarbeitung betroffenen Personen in der Union befinden und die Datenverarbeitung in Zusammenhang damit steht, (a) diesen Personen Waren oder Dienstleitungen anzubieten oder (b) das Verhalten dieser Personen zu beobachten, soweit das Verhalten in der EU erfolgt. Im Zweifelsfall ist der Begriff des Zusammenhangs weit zu verstehen, sodass es auf die generelle Bereitschaft, der betroffenen Person Dienste anzubieten, ankommt. Bei Datenverarbeitungen durch die Betreiber
196
Dazu sogleich S. 370–373.
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sozialer Medien ist die Anwendbarkeit meist schon nach Art. 3 Abs. 1 DSGVO gegeben. Im Privatrecht ist Art. 3 DSGVO eine einseitige Kollisionsnorm. Art. 3 DSGVO ist als Sonderkollisionsnorm lex specialis zu den Kollisionsnormen der Rom I-VO und der Rom II-VO und zum autonomen Kollisionsrecht und daher vorrangig zu prüfen. Aufgrund dessen sind die materiell-rechtlichen Normen der DSGVO nicht als Eingriffsnormen einzuordnen, sondern ihre Anwendbarkeit im Wege der Vorfrage zu klären. Eine Rechtswahl ist nicht möglich. Die Anwendbarkeit der Normen der DSGVO ist derzeit in ihrer territorialen Reichweite grundsätzlich auf das Gebiet der EU beschränkt. In Einzelfällen kann aber eine weltweite Reichweite angeordnet werden, sofern dies grundrechtlich geboten ist. Diese Begrenzung erweist sich angesichts des weiten territorialen Anwendungsbereichs zwar als angemessen, ist jedoch mit erheblichen Nachteilen für die Nutzer sozialer Medien sowie für die konkret betroffene Person verbunden und schafft zudem durch die vorgesehene Ausnahme zugunsten einer weltweiten Geltung, sofern im Einzelfall erforderlich, Rechtsunsicherheit. Mittelfristig sollte daher ein anderer Weg eingeschlagen werden.
D. Subsidiäre deliktsrechtliche Kollisionsnormen D. Subsidiäre deliktsrechtliche Kollisionsnormen
Bei Art. 3 DSGVO handelt es sich, wie eben dargestellt, um eine einseitige Kollisionsnorm. Die Norm ordnet also an, wann die Regeln der DSGVO anzuwenden sind und – in Verbindung mit der EuGH-Entscheidung CNIL – welche räumliche Reichweite die Ansprüche der DSGVO haben. Als einseitige Kollisionsnorm schweigt die Norm aber zu der Frage, welches Datenschutzrecht in den sonstigen Fällen anzuwenden ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist Ausgangspunkt, dass es sich beim Datenschutzrecht um spezielles Deliktsrecht handelt (I.). Von dieser Problematik sind drei Konstellationen betroffen: Erstens klärt die DSGVO die Frage des anwendbaren Rechts nicht für jene Fälle, die gänzlich oder teilweise außerhalb des Art. 3 DSGVO liegen. Dabei handelt es sich einerseits um Fälle, auf die europäisches Recht nach Art. 3 DSGVO überhaupt keine Anwendung finden soll, und andererseits um Fälle, für welche die DSGVO nach CNIL nur eine räumlich begrenzte Aussage trifft (II.). Zweitens ist zu klären, nach welchem Schuldrecht die Lücken der DSGVO zu füllen sind (z.B. die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 DSGVO) (III.). Und schließlich ist zu diskutieren, welches mitgliedstaatliche Datenschutzrecht ergänzend Anwendung findet, wenn die DSGVO eine Öff-
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nungsklausel vorsieht, also einzelne datenschutzrechtliche Regelungsfragen an die Mitgliedstaaten delegiert oder ihnen Abweichungen zugesteht (IV.). I. Datenschutzrecht als spezielles Deliktsrecht Beim Datenschutzrecht handelt es sich aus zivilrechtlicher Perspektive um einen speziellen Bereich des Deliktsrechts.197 Denn auch wenn zwischen den Beteiligten ein Vertrag besteht, ist nicht jeder Anspruch zwischen diesen Parteien dem Vertragsrecht zuzuordnen. Laut EuGH ist ein Anspruch nur dann vertraglich zu qualifizieren, wenn die Klage auf einen Verstoß gegen gesetzliche Pflichten gestützt und eine Auslegung des Vertrags nicht unerlässlich ist.198 Die datenschutzrechtlichen Pflichten erwachsen nicht aus Vertrag, sondern aus den gesetzlichen Vorgaben der DSGVO, die unabhängig von einem Vertrag bestehen. Daher sind datenschutzrechtliche Ansprüche grundsätzlich außervertraglich zu qualifizieren. Gleichwohl gibt es Normen in der DSGVO, die nur in einem vertraglichen Zusammenhang Bedeutung erlangen können. Zu diesen gehört beispielsweise Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO, wonach eine Datenverarbeitung rechtmäßig ist, die zur Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist. Hier kann gerade die Auslegung des Vertrags entscheidend dafür sein, ob im Ergebnis das vorgeworfene Verhalten des Datenverarbeiters rechtmäßig ist. Daher könnte man annehmen, dass Ansprüche, in denen dieser Rechtmäßigkeitsgrund in Betracht kommt, vertraglicher Natur sind. Entscheidend ist allerdings, dass die zentrale Verpflichtung, Daten nur rechtmäßig zu verarbeiten, unabhängig vom Vertrag besteht und gerade nicht auf den Vertragsgegenstand zurückzuführen ist. Daher ändert sich hierdurch nichts an der deliktischen Natur des Datenschutzrechts. Für die Fragen des anwendbaren Rechts ist daher grundsätzlich die Rom II-VO maßgeblich, sofern nicht doch im Einzelfall speziellere Kollisionsnormen existieren. Kohler hingegen möchte das anwendbare Recht zur Lückenfüllung der DSGVO in Abhängigkeit von dem Verhältnis bestimmen, das bereits zwischen den Parteien besteht; sobald ein vertragliches Verhältnis besteht, ist 197 Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (82); Gläser, MMR 2015, 699 (703); Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 974; Jotzo, MMR 2009, 232 (233); de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (185); Piltz, K&R 2012, 640 (642); Sackmann, ZIP 2017, 2450 (2452); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 40; T. Stadler, ZD 2011, 57 (58); M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1085 f.); Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 84; a.A. JaultSeseke/Zolynski, D. 2018, 2000 (2002), scheinen eine vertragliche Qualifikation zu befürworten, sobald ein Plattformvertrag zwischen den Parteien besteht. 198 EuGH, Urteil vom 24.11.2020 – C-59/19, ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof GmbH & Co. KG ./. Booking.com BV, Rn. 33.
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demnach die Rom I-VO, ansonsten das anwendbare internationale Deliktsrecht maßgeblich.199 Der Teil des Datenschutzrechts, der sich mangels Bestimmung in der DSGVO aus dem nationalen Schuldrecht speist, wäre damit immer Annex zum bereits anwendbaren Schuldrechtsstatut zwischen den Parteien. Dies ist mit Blick auf die Rechtsnatur des Datenschutzrechts jedoch nicht überzeugend, denn es ignoriert, dass das Datenschutzrecht in den meisten Fällen ungeachtet des sonstigen Verhältnisses zwischen den Parteien angewendet wird. II. Ermittlung des anwendbaren Datenschutzrechts außerhalb der DSGVO Aufgrund ihrer Natur als einseitige Kollisionsnorm trifft Art. 3 DSGVO keine Aussage dazu, welches Recht anzuwenden ist, wenn und soweit nicht einseitig die Anwendung der DSGVO angeordnet ist. Betroffen davon sind zunächst Fälle, die eine solch geringe Berührung zur Europäischen Union aufweisen, dass der territoriale Anwendungsbereich trotz des weitreichenden Art. 3 DSGVO nicht eröffnet ist. Hier ist die Frage nach dem anwendbaren Datenschutzrecht jedoch wohl nur theoretischer Natur, denn diese Fälle werden nur mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit vor europäischen Gerichten zu entscheiden sein. Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach dem ansonsten anwendbaren Datenschutzrecht dagegen aber aufgrund der begrenzten räumlichen Reichweite der Ansprüche der DSGVO. Die Argumentation des EuGH in CNIL macht deutlich, dass das europäische Recht einem weltweiten Löschungsanspruch nicht per se entgegensteht, sondern nur nicht über die Informationsfreiheit in einem anderen Staat urteilen will. Wenn nach europäischem Recht im Regelfall nur ein Löschungsanspruch für das Gebiet der EU besteht, ist offen, nach welchem Recht über die Löschung in anderen Gebieten entschieden werden kann. Zunächst wird im Folgenden erwogen, ob Art. 3 DSGVO einer Verallseitigung zugänglich sein könnte (1.). Alternativ dazu ist die Anwendung des Art. 4 Rom II-VO auf datenschutzrechtliche Konstellationen zu prüfen (2.). 1. Verallseitigung Das Manko einer einseitigen Kollisionsnorm, nur für einen Teil aller Fälle eine Aussage treffen zu können, kann überwunden werden, wenn sie einer Verallseitigung zugänglich ist.200 Zu prüfen ist also, ob man der Norm eine
199
Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (671). Für eine Verallseitigung des Marktortprinzips unter Aufgabe des Niederlassungsprinzips Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (60). 200
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allgemeine Anknüpfungsregel entnehmen kann, die bei Vorliegen entsprechender Kriterien zum Recht eines anderen Staats führen würden.201 Unter Anwendung der begrenzten räumlichen Reichweite der datenschutzrechtlichen Ansprüche nach CNIL könnte man theoretisch eine allgemeine Anknüpfungsregel formulieren: Demnach fänden parallel die Rechtsordnungen all jener Staaten Anwendung, in denen der Datenverarbeiter eine Niederlassung hat, soweit die Datenverarbeitung im Rahmen der Tätigkeiten der Niederlassung erfolgt, sowie die Rechtsordnungen all jener Staaten, in denen sich die betroffene Person im Zeitpunkt der Datenverarbeitung befindet, sofern der Datenverarbeiter Personen in diesem Staat Waren oder Dienstleistungen anbietet oder das Verhalten von betroffenen Personen in jenen Staaten beobachtet. Dabei ist die Reichweite dieser Rechtsordnungen jeweils auf das eigene Staatsgebiet beschränkt. Auch wenn es theoretisch möglich ist, eine solche Anknüpfungsregel zu formulieren, kann eine Verallseitigung von Art. 3 DSGVO nicht überzeugen. Denn auf diese Weise erhält die so formulierte Kollisionsnorm eine Unschärfe, sobald man die Ausnahmebestimmung hinzunimmt, dass eine anwendbare Rechtsordnung ausnahmsweise doch mit weltweiter Wirkung anwendbar sein soll, wenn das zum Schutz der Grundrechte der betroffenen Person erforderlich ist. Außerdem kann mit der eben formulierten Regel nicht für alle Gebiete der Welt das anwendbare Recht ermittelt werden. So beispielsweise dann nicht, wenn in einem Staat eine Datenverarbeitung im Internet abrufbar ist, aber weder eine Niederlassung noch der zeitweilige Aufenthalt der betroffenen Person in jenem Staat gegeben ist. Die Verallseitigung des Art. 3 DSGVO führt also im Ergebnis gerade nicht zu einer wirklich allseitigen Kollisionsnorm, sondern lässt weiter kollisionsrechtliche Fragen offen. Hinzu kommt, dass die Gestaltung des Art. 3 DSGVO vorrangig nach öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten erfolgte, wie bereits daran erkannt werden kann, dass nicht ausdrücklich eine Regelung zum anwendbaren Recht getroffen wurde, sondern eben eine Bestimmung zum räumlichen Anwendungsbereich einer Verordnung. Dies ist so zu deuten, dass es sich eben um eine Norm handelt, die gezielt und ausschließlich die Anwendung des europäischen Rechts anordnen will – aber eben nichts darüber hinaus. Eine Verallseitigung würde den Gesetzgeberwillen daher deutlich überstrapazieren. Schließlich besteht auch kein Bedürfnis für eine Verallseitigung, wenn man die Anwendbarkeit der Rom II-VO befürwortet.202 Denn das europäische IPR verfügt mit Art. 4 Rom II-VO bereits über eine allseitige Kollisionsnorm. 201 Siehe dazu z.B. v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 91. Zur Möglichkeit allseitiger Kollisionsnormen im internationalen öffentlichen Recht siehe KettgenHahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext, 2020, insb. S. 47 ff. 202 Siehe oben S. 130–135.
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2. Anwendung des Art. 4 Rom II-VO Grundsätzlich findet gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das Datenschutzrecht desjenigen Staats Anwendung, in welchem der Erfolg eingetreten ist. Wo der Erfolgsort einer Datenschutzrechtsverletzung liegt, ist aber – wie auch schon bei sonstigen Persönlichkeitsrechtsverletzungen – unklar. Aufgrund der engen Verflechtung dieser Bereiche wäre eine einheitliche Auslegung des Erfolgsorts im Datenschutzrecht und im Persönlichkeitsschutz freilich wünschenswert.203 a) Existenz eines Erfolgsorts Nicht überzeugen kann der Ansatz von M. Stürner und Wendelstein. Sie vertreten die Position, dass der Erfolgsort einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Handlungsort übereinstimme und daneben keine weiteren Erfolgsorte – insbesondere nicht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschädigten – gegeben sind.204 Sie argumentieren, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kein physisches Bezugsobjekt habe und deswegen der „Herrschaftsbereich“ des Rechts in Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit anhand der Datenschutzpflichten bestimmt werde. Eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfolge daher dort, wo Datenschutzpflichten verletzt werden, und somit am Handlungsort.205 Es ist zwar zutreffend, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung körperlich nicht greifbar ist. Darin unterscheidet sich dieses Recht aber nicht von den Herausforderungen beim Persönlichkeitsrecht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung existiert nicht nur im Rahmen dessen, was einfachgesetzlich zulässig ist, sondern ist als Facette des Persönlichkeitsrechts ein für sich geschütztes Rechtsgut, das verletzt werden kann. Ein Erfolgsort, der sich vom Handlungsort unterscheiden kann, ist – wie auch bei den Persönlichkeitsrechtsverletzungen206 – grundsätzlich gegeben. b) Mosaikbetrachtung Denkbar ist, das anwendbare Erfolgsortsrecht im Wege der Mosaikbetrachtung zu ermitteln. Anwendbar wäre dann jedes Recht, in welchem die betroffene Person Auswirkungen der Datenverarbeitung erfährt. Soweit die Datenverarbeitung in einer Veröffentlichung im Internet besteht, sind parallel faktisch alle Rechtsordnungen der Welt anwendbar, sofern nicht in irgendeinem Staat die Abrufbarkeit definitiv ausgeschlossen werden kann. In der 203
Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (60). M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1087). 205 Ebd. 206 Siehe oben S. 168 f. 204
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Reichweite ist das jeweilige Datenschutzstatut jedoch begrenzt. Für eine Mosaikbetrachtung spricht, dass auf diesem Wege eine Nähe zur Entscheidung des EuGH in CNIL hergestellt werden kann. Dem Grundsatz der räumlich begrenzten Ansprüche kann auf diesem Wege auch im Rahmen des Art. 4 Rom II-VO Ausdruck verliehen werden kann. Gleichwohl kann dieser Ansatz aufgrund der vielen Nachteile einer Mosaikbetrachtung im Bereich des Persönlichkeitsschutzes nicht überzeugen.207 Der Datenverarbeiter wäre gezwungen, sich mit allen Datenschutzrechtsordnungen der Welt zu befassen, um eine Haftbarkeit sicher auszuschließen. Und auch für die betroffene Person ist es erheblich erschwert, eine weltumspannende Löschung zu erreichen oder den gesamten erlittenen Schaden geltend zu machen. Daher sollte auch im Datenschutz ein Schwerpunkterfolgsort ermittelt werden, nach dessen Recht ein Fall umfassend zu beurteilen ist, soweit er nicht bereits von der DSGVO erfasst ist. Ein Haupteinwand gegen die Alternative, also die Bildung eines Schwerpunkterfolgsorts, und damit ein Argument für eine Mosaikbetrachtung könnte sein, dass ein Löschungsanspruch nach dem Recht des Staats des Schwerpunkterfolgsorts letztlich doch weltweit gelten würde und somit nicht mit CNIL vereinbar wäre. Dieser Widerspruch kann aber aufgelöst werden. Denn in jener EuGH-Entscheidung war eine behördliche Anordnung streitgegenständlich. Es ging also um eine rein öffentlich-rechtliche Konstellation. Gerade die Sorge, zu weit in die Informationsfreiheit in und die berechtigten innerstaatlichen Belange von Drittstaaten einzugreifen, ist jedoch dann deutlich berechtigter, wenn eine staatliche Behörde eine entsprechende Anordnung trifft, wie wenn eine Privatperson ihre Rechte gerichtlich verfolgt. Insofern erscheint es gerechtfertigt, in privatrechtlichen Fällen über den Weg des Art. 4 Rom II-VO eine umfassendere Rechtsanwendungsanordnung zu treffen – anders als in rein öffentlich-rechtlichen Fällen. Auch ist die daraus resultierende unterschiedliche Behandlung von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Fällen trotz grundsätzlich einheitlicher Regelung nicht bedenklich. Denn die Frage, welches Datenschutzrecht denn jenseits des Art. 3 DSGVO angewendet werden soll, stellt sich im öffentlichen Recht nicht, im Privatrecht hingegen schon. Eine unterschiedliche Behandlung beider Bereiche ist also bereits in ihrer unterschiedlichen Funktionsweise angelegt. c) Schwerpunktbetrachtung Häufig wird der Erfolgsort im Datenschutzrecht am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person verortet.208 Dies ist auch durchaus sinnvoll, weil die 207
Siehe oben S. 205–218. OLG Köln, Urteil vom 25.03.2011 – 6 U 87/10, MMR 2011, 394 (395); Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 8; Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 974; v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 69; Jotzo, MMR 2009, 232 (233); 208
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betroffene Person hinsichtlich ihres Rechts, selbst darüber zu bestimmen, welche Informationen unter welchen Umständen von wem verarbeitet werden dürfen, an ihrem Lebensmittelpunkt am stärksten beeinträchtigt ist. Im Gegensatz zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Veröffentlichungen spielen sich die meisten Datenschutzrechtsverletzungen allein zwischen der betroffenen Person und dem Datenverarbeiter ab. Es ist also keine Öffentlichkeit beteiligt, deren Kenntnisnahme des veröffentlichten Inhalts der Datenschutzverletzung erst zu ihrem Erfolg verhilft. Stattdessen ist in diesen Fällen das Bestimmungsrecht der betroffenen Person hinsichtlich ihrer eigenen Daten betroffen. Dieses ist am gewöhnlichen Aufenthalt am besten lokalisiert. Aus dieser Argumentation ergibt sich, dass von der Festlegung auf den gewöhnlichen Aufenthalt jedoch eine Ausnahme zu machen ist, wenn nämlich die Datenverarbeitung in der Veröffentlichung eines Inhalts liegt, der der Kenntnisnahme Dritter zugänglich ist. In diesen Fällen sollte die Erfolgsortsbestimmung parallel zur allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen laufen.209 Derzeit bedeutet dies, dass der Erfolgsort im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO dort belegen ist, wo unter Berücksichtigung aller Umstände aus objektiver Sicht das größte Interesse an der Veröffentlichung zu erwarten war. Langfristig sollte hier auf die zu schaffende Sonderkollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen verwiesen werden. Ohne Parallelität besteht das Risiko, die Meinungs- und Pressefreiheit auf Ebene des Kollisionsrechts zu stark zu beeinträchtigen. Zudem führt das zu dem Ergebnis, dass sowohl datenschutz- als auch allgemein deliktsrechtliche Ansprüche gegen eine Veröffentlichung, die sich funktional gegenseitig ergänzen und teilweise ersetzen, derselben Rechtsordnung zu entnehmen sind. d) Fazit Soweit Art. 3 DSGVO das anwendbare Datenschutzrecht nicht bestimmt, erklärt Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das Erfolgsortrecht für anwendbar. Der Erfolgsort im Datenschutzrecht liegt am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person. Wenn die angegriffene Datenverarbeitung zugleich eine Veröffentlichung ist, sollte abweichend davon dieselbe Regel wie bei sonstigen Persönlichkeitsrechtsverletzungen gelten. Auch die Möglichkeit zur vorrangigen Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien gem. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO sowie die allgemeine Ausweichklausel gem. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO finden auf Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 238; de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (187); Sackmann, ZIP 2017, 2450 (2452); Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, EGBGB Art. 40, Rn. 10; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 96. 209 Siehe oben S. 247–254.
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das Datenschutzrecht Anwendung. Zudem ist eine nachträgliche Rechtswahl gem. Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. a Rom II-VO möglich. Insbesondere besteht kein Anlass, diese Anknüpfungsregeln für das Datenschutzrecht zum Schutze der betroffenen Person nicht anzuwenden, denn soweit das europäische Recht einen Schutz für erforderlich hält, hat es diesen bereits über den vorrangig anzuwendenden Art. 3 DSGVO verwirklicht. III. Ergänzendes Schuldrecht Wie oben zum materiellen Recht bereits erläutert,210 verfügt das Datenschutzrecht über eigene Anspruchsgrundlagen. Allerdings ist die DSGVO bei der Ausgestaltung dieser Ansprüche lückenhaft, sodass hier ergänzend auf das allgemeine nationale Zivilrecht zurückzugreifen ist. Beispielsweise können die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen bei der Prüfung der Wirksamkeit einer datenschutzrechtlichen Einwilligung relevant werden.211 Andere Lücken bestehen im Schadensrecht, soweit Art. 82 DSGVO dazu keine Aussage trifft, in den Kausalitäts- und Zurechnungsfragen oder in der Verjährung.212 Diese Fragen muss das gesondert zu ermittelnde Schuldrechtsstatut beantworten, welches nicht die Effektivität des datenschutzrechtlichen Schadensersatzanspruchs beeinträchtigen darf.213 Neben solchen Lücken innerhalb der datenschutzrechtlichen Ansprüche verweisen andere Vorschriften auf das allgemeine Zivilrecht. Ein wichtiges Beispiel dafür ist Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO. Demnach ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist. Der Zweck der Norm verlangt, dass es sich um einen wirksamen Vertrag handelt.214 Zur Wirksamkeit von Verträgen trifft die DSGVO keine Aussage, wie dies auch Art. 8 Abs. 3 DSGVO zum Ausdruck bringt. Für solche Fragen muss das anwendbare Vertragsrecht mithilfe der Rom I-VO gesondert ermit-
210
Siehe oben S. 27–32. Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (141). 212 Becker, in: Plath, 3. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 12; Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (337); Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 14, 36 f.; Feldmann, in: Gierschmann/Schlender/Stentzel/Veil, 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 20; Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 82, Rn. 10 f., 19; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (671, 673); Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 4; Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 82, Rn. 28, 31; Verjährung: Bergt, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 66. 213 Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82, Rn. 5. Teilweise wird es z.B. abgelehnt, Normen zum Mitverschulden (z.B. § 254 BGB) anzuwenden: Bergt, in: Kühling/ Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 82, Rn. 59; Boehm, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 82 Rn. 30 214 Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (665 f.). 211
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telt werden.215 Außer zur „Lückenfüllung“ kann das sonstige internationale Schuldrecht also im Wege der Vorfrage relevant werden.216 Das Datenschutzrecht ist ein eigenständiger Rechtsbereich. Weder trifft eine datenschutzrechtliche Kollisionsnorm eine Aussage über das anwendbare Vertrags- oder Deliktsrecht noch gibt es einen umgekehrten Automatismus.217 Dies ist seit Inkrafttreten der DSGVO noch eindeutiger, da Art. 3 DSGVO nicht zu einem mitgliedstaatlichen Recht, sondern zu vereinheitlichtem Unionsrecht führt. Um die eben genannten Lücken zu füllen, ist das anwendbare Zivilrecht daher gesondert mithilfe des internationalen Schuldrechts zu bestimmen.218 Soweit das Vertragsrecht im Wege der Vorfrage relevant wird, gilt dafür die Rom I-VO. Um wiederum die Lücken in den datenschutzrechtlichen Ansprüchen zu füllen, ist Art. 4 Rom II-VO maßgeblich, da es sich bei Datenschutzrecht um Deliktsrecht handelt.219 Für die Auslegung des Art. 4 Rom IIVO gilt ebenfalls das soeben Dargestellte.220 Sollte der Erfolgsort, also der gewöhnliche Aufenthalt der betroffenen Person, nicht im Gebiet der EU liegen, dann würde die Lücken durch drittstaatliches Recht gefüllt. In diesen Fällen sollte im Wege der Ausweichklausel gem. Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom IIVO berücksichtigt werden, über welches Kriterium des Art. 3 DSGVO europäisches Recht zur Anwendung kommen soll. Maßgeblich ist demnach die Niederlassung des Datenverarbeiters (Art. 3 Abs. 1 DSGVO) oder subsidiär der Staat des schlichten Aufenthalts der betroffenen Person (Art. 3 Abs. 2 DSGVO). Nach der hier vertretenen Ansicht ist auch die akzessorische Anknüpfung gem. Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO zur Ergänzung des Datenschutzrechts
215
Ebd., (666); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (56 f.) Solche Vorfragen sind zwangsläufig selbstständig anzuknüpfen. Eine unselbstständige Anknüpfung der Vorfrage würde mangels Regelung innerhalb der DSGVO ins Nichts führen. 217 Aber Hanloser, in: BeckOK DatenschutzR, 36. Ed. 37. Ed. 01.08.2021, DSGVO Art. 3, Rn. 7, der annimmt, dass Art. 3 DSGVO auch das Deliktsstatut bestimme. Auch § 1 Abs. 5 BDSG a.F. führte nicht automatisch zur Anwendung des deutschen Vertragsrechts, sondern ordnete nur die Anwendung „dieses Gesetzes“, also die Anwendung der Normen des BDSG an (so aber Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (50 f.); siehe auch Jotzo, MMR 2009, 232 (233); Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, BDSG § 1, Rn. 20). 218 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (337); Däubler, RIW 2018, 405; Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 286; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (671); Melcher, Es lebe das Territorialitätsprinzip?, in: Gössl u.a., 2017, 129 (140); ausführlich zum Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (75 ff.). 219 Siehe oben S. 350 f. 220 Siehe oben S. 353–356. 216
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anwendbar.221 Auch Lüttringhaus erwägt eine vertragsakzessorische Anknüpfung, wenn der Vertrag gerade eine Datennutzung regelt oder sogar auf eine „Leistung gegen Daten“ angelegt ist, weil dann eine enge Verbindung zwischen Datennutzung und Vertragsgestaltung bestünde.222 Er sieht jedoch auch die Gefahr, dass die so anwendbaren ergänzenden Vorschriften den Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 DSGVO aushöhlen könnten. Diese Gefahr erledige sich jedoch von selbst, da eine Rechtswahl im Verbrauchervertrag seit VKI ./. Amazon223 regelmäßig nicht wirksam sein dürfe.224 Zutreffend ist zwar, dass Rechtswahlklauseln gerade in sozialen Medien deutlich seltener anzutreffen sind. Erlaubt bleibt die Rechtswahl im Verbrauchervertrag aber dennoch auch nach VKI ./. Amazon. Die Sorge ist jedoch wegen anderer Aspekte unbegründet: Die akzessorische Anknüpfung ist zwar grundsätzlich auch im Verbrauchervertrag zulässig, darf aber nicht dazu führen, dass der Verbraucher Nachteile erleidet. Daher führt auch die akzessorische Anknüpfung zu einem Günstigkeitsvergleich entsprechend Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom IVO.225 Die akzessorische Anknüpfung garantiert dem Verbraucher daher auch, dass das Schuldrecht, welches das Datenschutzrecht ergänzt, mindestens dem Standard der Rechtsordnung an seinem gewöhnlichen Aufenthalt entspricht. Es bestehen daher keine Bedenken hinsichtlich der akzessorischen Anknüpfung. IV. Ergänzendes mitgliedstaatliches Datenschutzrecht Innerhalb des Anwendungsbereichs der DSGVO ist zu klären, welches mitgliedstaatliche Datenschutzrecht auf diejenigen Fragen Anwendung findet, die den Mitgliedstaaten über die Öffnungsklauseln überlassen bleiben.226 Dazu gehören beispielsweise die Bestimmungen betreffend die Verarbeitung von Gesundheitsdaten (Art. 9 Abs. 4 DSGVO) und die Datenverarbeitung in Beschäftigungsverhältnissen (Art. 88 DSGO). Unklar ist, welches mitgliedstaatliche Datenschutzrecht in diesen Fällen das anwendbare ist. Mangels spezifischer Kollisionsnormen für grenzüberschreitende Fälle innerhalb der EU steht fest, dass die DSGVO zu dieser Frage keine ausdrücklichen Vorga221
Ebenso de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (187 f.). Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (77 f.). 223 EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612, VKI ./. Amazon EU Sàrl. Siehe dazu oben S. 81–85. 224 Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (77 f.). 225 Siehe oben S. 280–284. 226 Eingehend dazu Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DSGVO, 2021 (Darstellung der bestehenden Öffnungsklauseln und Systematisierung bei S. 81–97). Ferner Laue, ZD 2016, 463; krit. zur Vielzahl der Öffnungsklauseln in der DSGVO und der Gefährdung der europäischen Harmonisierung Kühling, NJW 2017, 1985 (1986). 222
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ben macht.227 Grund dafür sei, dass die DSGVO ursprünglich eine umfassende Harmonisierung bringen sollte und daher kein Erfordernis für eine innereuropäische Kollisionsnorm gesehen wurde.228 Nachfolgend werden die allgemeinen Ansichten zur Thematik dargestellt (1.) und dazu Stellung bezogen (2.). Sodann erfolgt eine Vertiefung anhand ausgewählter Öffnungsklauseln (3.). 1. Ansichten Teilweise wird versucht, die Lösung in der DSGVO selbst zu finden. Dabei wollen manche die maßgebliche Kollisionsregel bei der jeweiligen Öffnungsklausel einzeln bestimmen, weil man häufig das anwendbare mitgliedstaatliche Recht für die betreffende Öffnungsklausel dem Regelungszusammenhang entnehmen könne.229 Andere wiederum möchten Art. 3 DSGVO als Grundlage nehmen.230 Hierzu hat Gömann jüngst einen ausführlichen Vorschlag gemacht:231 Er argumentiert, dass es eine einheitliche Regel für die Ermittlung des anwendbaren mitgliedstaatlichen Datenschutzrechts brauche.232 Eine solche erreicht er, indem er die Öffnungsklausel mit der Formulierung „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“ als eine Art Rahmenkollisionsnorm versteht, die eine Bezugnahme auf die Person des Verantwortlichen vor227 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (336 f.); Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 3, 26; ders., RIW 2018, 405 (406, 411 f.); Feiler/ Forgó, EU-DSGVO 2017, Art. 8, Rn. 8 (nur Art. 81 Abs. 2 enthalte eine Kollisionsnorm, Art. 81, Rn. 4); Gömann, EuZW 2018, 680 (685); Jault-Seseke/Zolynski, D. 2016, 1874 (1876); Klar, Hastings Sci. & Tech. L. J. 101 (2020) (134); ders., in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 107 f.; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (657, Fn. 14); v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 28; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (79); Pailler, Clunet 2018, 823 (827 f., Fn. 21); Piltz, BDSG 2018, § 1, Rn. 26; ders., in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 3, Rn. 3. 228 Feiler/Forgó, EU-DSGVO 2017, Art. 92, Rn. 5. 229 Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 248; Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 11, 16; KettgenHahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext, 2020, S. 28 f.; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (657, Fn. 14); Laue, ZD 2016, 463 (464 ff.); de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (175 ff.); Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (43 ff.). Zust. für die Fälle, in denen im mitgliedstaatlichen Recht keine eindeutige Anordnung getroffen ist, Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 108. 230 Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 583 ff.; ders., EuZW 2018, 680 (685 f.); Karg, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 8, Rn. 21 ff.; de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (79); ablehnend Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 107; ders., Hastings Sci. & Tech. L. J. 101 (2020) (134). 231 Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021. 232 Ebd., S. 224 ff.
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schreibt,233 und diesen Rahmen sodann durch eine analoge Anwendung des Art. 3 DSGVO ausfüllt.234 Dabei setzt er eine restriktivere Lesart des Art. 3 Abs. 1 DSGVO als die durch den EuGH bisher praktizierte voraus, die auf die verordnungsinterne Definition der Hauptniederlassung in Art. 4 Nr. 16 DSGVO zurückgreift.235 Thon wiederum spricht sich für eine Ausweitung des Erwägungsgrundes 153 S. 6 DSGVO aus, wonach immer das Datenschutzrecht am Ort der (Haupt-)Niederlassung Anwendung finden soll.236 Von Lewinski wiederum plädiert dafür, Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL zumindest sinngemäß wieder aufzugreifen.237 Brkan möchte das anwendbare Datenschutzrecht in den Fällen der Öffnungsklauseln über die Rom I-VO und die autonomen Regeln des internationalen Deliktsrechts abhängig von der Qualifikation der jeweiligen Sachfragen ermitteln.238 Und wieder andere deuten das Schweigen der DSGVO so, dass es den Mitgliedstaaten selbst überlassen bleibe, eine Anordnung für die Anwendbarkeit ihres Datenschutzrechts festzulegen, wie Deutschland dies beispielsweise in § 1 Abs. 4 BDSG tut.239
233
Ebd., S. 143 ff. Ebd., S. 583 ff., 686 ff. 235 Ebd., S. 566 ff. 236 Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (47 f.): eine Ausnahme sei bei Art. 8(1) DSGVO zu machen. Ausdrücklich a.A. Oster, ZEuP 2021, 275 (294). 237 v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 28, 35; wohl auch Spindler/Dalby, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, DS-VO Art. 3, Rn. 7. 238 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (337). 239 Däubler, RIW 2018, 405 (411). Hierzu zählen auch mehrere nationale Gesetzgeber, die einseitig die Lücke füllen: Nach § 1 Abs. 4 S. 2 BDSG findet das deutsche Datenschutzrecht Anwendung, wenn (1.) Daten im Inland verarbeitet werden, (2.) eine Datenverarbeitung im Rahmen der Tätigkeiten einer inländischen Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters erfolgt oder (3.) diese ohne Niederlassung in der EU in den Anwendungsbereich der DSGVO gem. Art. 3 Abs. 2 DSGVO fällt. In Österreich soll das DSG grundsätzlich auf alle Verwendungen im Inland Anwendung finden. Hinzu kommen Verwendungen im Ausland, die aber für Zwecke einer in Österreich gelegenen Hauptoder Zweigniederlassung erfolgen. Umgekehrt sind solche Verwendungen im Inland ausgeschlossen, die eindeutig den Zwecken eines Auftraggebers in einem anderen Mitgliedstaat zuzurechnen sind (Art. 1 § 3 DSG). Frankreich greift in Art. 3 Loi n° 78-17 (Version consolidée au 01 janvier 2020) zunächst entspr. das Niederlassungsprinzip des Art. 3 Abs. 1 DSGVO auf. Darüber hinaus sollen die nationalen Regeln Anwendung finden, wenn die betroffene Person in Frankreich wohnhaft ist. Auch die Niederlande erklären zunächst das Niederlassungsprinzip für maßgeblich und ergänzen dieses für Niederlassungen in Drittstaaten um ein Marktortprinzip entspr. Art. 3 Abs. 2 DSGVO (Art. 4 Regels ter uitvoering van Verordening 2016/679/(EU)). Übersicht über die getroffenen mitgliedstaatlichen Regelungen bei Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS234
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2. Stellungnahme Eine explizite Regelung sieht die DSGVO nicht vor. Gleichwohl sollte man nach derjenigen Lösung suchen, die sich am nahtlosesten in das bestehende Regelungssystem einfügt. Ein Rückgriff auf Art. 4 Abs. 1 Datenschutz-RL ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil dieser Rechtsakt aufgehoben wurde (Art. 94 Abs. 1 DSGVO).240 Der Vorschlag von Gömann besticht durch seine Einheitlichkeit und Eindeutigkeit und ist deswegen langfristig begrüßenswert. Da es jedoch eine zentrale Voraussetzung des Vorschlags ist, dass Art. 3 Abs. 1 DSGVO eine deutlich restriktivere Auslegung durch den EuGH als bislang erfährt oder gar der Gesetzgeber einschreitet, kann dieser Ansatz zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ohne Weiteres umgesetzt werden. Vorrangig sind deshalb die einzelnen Öffnungsklauseln dahingehend zu untersuchen, zu welchem Zweck sie erlassen wurden und ob daraus Vorgaben für die Anwendbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts folgen. Dabei wird man häufig entweder einen engen Zusammenhang zu einer anderen Rechtsfrage oder einen Freiraum der Mitgliedstaaten zur Sicherung ihres öffentlichen Interesses oder ihrer nationalen Besonderheiten feststellen können. Im ersten Fall kann die Kollisionsnorm für die eng verbundene Rechtsfrage entsprechend angewendet werden. In letzterem Fall sollte die DSGVO mangels konkreterer Vorgaben so verstanden werden, dass sie nicht nur die materielle Ausgestaltung, sondern auch deren Anwendbarkeit in die Hände der Mitgliedstaaten legt.241 Die Mitgliedstaaten sind bei der Gestaltung des territorialen Anwendungsbereichs jedoch nicht völlig frei, sondern müssen diesen darauf beschränken, was zur Sicherung ihres öffentlichen Interesses erforderlich und angemessen ist. Zwar birgt dieser Ansatz die Gefahr der Unübersichtlichkeit, erscheint aber gerade im Vergleich zu den Alternativen als die sachgerechteste Lösung der gegenwärtigen Gesetzeslage. Ein solcher Ansatz ist auch einer Anwendung des Art. 4 Rom II-VO vorzuziehen. Eine vorrangige Betrachtung der Öffnungsklauseln selbst verspricht in vielen Fällen eine sachgerechtere Lösung. Wenn hingegen eine Betrachtung der jeweiligen Öffnungsklauseln keine Klarheit schaffen kann, sollte GVO, 2021, S. 342 ff. Auflistung der mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetze, die keinen einseitigen Anwendungsbefehl vorsehen ebd., S. 345 (Fn. 162). 240 Ebenso Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 261 f. 241 A.A. Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 335 ff., der die in der DSGVO getroffenen Regelungen als so weitreichend versteht, dass eine mögliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Regelung der Anwendbarkeit nationalen Umsetzungsrechts gem. Art. 2 Abs. 2 AEUV gänzlich gesperrt sei. Seine Argumentation beruht darauf, dass der Formulierung „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“ ein kollisionsrechtlicher Gehalt zu entnehmen sei (ebd. S. 143 ff.); dieser Ansicht wird hier jedoch nicht gefolgt, dazu sogleich S. 365 f.
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
subsidiär auf Art. 4 Rom II-VO zurückgegriffen werden. Dieses Vorgehen soll anhand der nachfolgenden Beispiele illustriert werden. 3. Einzelne Öffnungsklauseln a) Beschäftigtendatenschutz Die Mitgliedstaaten können gem. Art. 88 DSGVO spezifische Regelungen für den Datenschutz in Beschäftigungsverhältnissen schaffen. Die darauf basierenden mitgliedstaatlichen Normen wie § 26 BDSG werden ausschließlich im Kontext eines Beschäftigungsvertrags relevant. Aufgrund dieser Nähe zu einem Vertrag ist es sinnvoll, das Beschäftigtendatenschutzrecht desjenigen Staats anzuwenden, dem auch der Beschäftigungsvertrag gem. Art. 8 Rom IVO unterliegt.242 Wenn das Arbeitsvertragsstatut nicht zu einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung führt, dann ist kein spezifischerer Beschäftigtendatenschutz anwendbar. Es entsteht dadurch keine Regelungslücke, da Art. 88 DSGVO es den Mitgliedstaaten freistellt, ob sie überhaupt abweichende Vorschriften erlassen wollen. b) Einwilligung Minderjähriger Grundsätzlich liegt das Mindestalter, um wirksam in eine Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO einwilligen zu können, bei 16 Jahren (Art. 8 Abs. 1 UAbs. 1 DSGVO). Gem. Art. 8 Abs. 1 UAbs. 2 DSGVO können die Mitgliedstaaten das Mindestalter auf bis zu 13 Jahre absenken.243 Unklar ist, welches Recht für die Einwilligungsfähigkeit relevant sein soll. Nach Ansicht mancher sei das Recht an der Niederlassung des Datenverarbeiters maßgeblich.244 Dies folge mittelbar daraus, dass Art. 3 Abs. 1 DSGVO das Sitzlandprinzip zum Grundprinzip der Anwendbarkeit erkläre.245 Wenn der Datenverarbeiter keinen Sitz in der EU habe, solle es bei der Altersgrenze von 16 Jahren gem. Art. 8 Abs. 1 UAbs. 1 DSGVO bleiben.246 Andere wiederum möchten das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes auf Grund-
242 Ebenso Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 26; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (658, Fn. 14). 243 Dänemark: 13 Jahre, Frankreich: 15 Jahre, Österreich: 14 Jahre, Schweden: 13 Jahre. 244 Karg, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2020, DSGVO Art. 8, Rn. 21 ff. 245 Ebd., Rn. 21. 246 Ebd., Rn. 22; Schwartmann/Hilgert, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 8, Rn. 48.
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lage des Art. 8 DSGVO selbst anwenden.247 Teilweise wird auch hier eine Regelung den Mitgliedstaaten überlassen.248 Eine Auslegung der Öffnungsklausel zeigt jedoch, dass man die Einwilligung als vertragsähnlich betrachten und akzessorisch zum Geschäftsfähigkeitsstatut anknüpfen sollte.249 Denn Sinn und Zweck dieser Öffnungsklausel ist, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die Einwilligungsfähigkeit mit der Geschäftsfähigkeit zu koordinieren.250 So kann auch ein Gleichlauf mit einem bestehenden Grundgeschäft erreicht werden.251 Ein gewisser Mehraufwand, das korrekte Mindestalter im Einzelfall zu ermitteln, ist dem Datenverarbeiter zugunsten des Minderjährigenschutzes zumutbar, wie schon Art. 8 Abs. 2 DSGVO zum Ausdruck bringt. Da das Ziel im Minderjährigenrecht ein Kompromiss zwischen dem Schutz aufgrund fehlender Einsichtsfähigkeit und der Heranführung an geschäftliche Handlungen ist und sich die Einwilligungsfähigkeit in ein staatliches Gesamtkonzept zur Geschäftsfähigkeit einfügen soll,252 kann die Niederlassung des Datenverarbeiters nicht relevant sein. Daher ist das anwendbare Recht für die Frage, wo das Mindestalter für die datenschutzrechtliche Einwilligung liegt, nach den entsprechenden autonomen Kollisionsnormen (z.B. Art. 7 EGBGB) zu ermitteln.253 Wenn auf diesem Wege auf eine drittstaatliche Rechtsordnung verwiesen wird, dann läuft dies ins Leere. Da es sich auch hier lediglich um eine Möglichkeit zur Abweichung handelt, bleibt es in diesen Fällen ebenfalls bei der Grundregel des Art. 8 Abs. 1 S. 1 DSGVO, also bei 16 Jahren. Der Vorschlag, dass immer das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes maßgeblich sein soll,254 ist hingegen mit dem geltenden Recht nur schwer vereinbar. Thon führt dafür den in Art. 8 DSGVO enthaltenen Schutzgedanken an255 und Schack möchte den gewöhnlichen Aufenthalt als Personalstatut des EU-Rechts der bestehenden Rechtsunsicherheit und fehlender Kompromissfähigkeit der Mitgliedstaaten vorziehen.256 Zwar könnte eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der minderjährigen Person 247 248
Schack, in: FS Kronke, 2020, S. 501 (509); Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (48). Feiler/Forgó, EU-DSGVO 2017, Art. 8, Rn. 8; Schack, in: FS Kronke, 2020, S. 501
(508). 249
Ebenso Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (337); Laue, ZD 2016, 463 (465 f.). Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 8, Rn. 12. 251 Ebd. 252 Siehe schon Art. 8 Abs. 3 DSGVO; ferner Buchner/Kühling, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 8, Rn. 22. 253 Wegen Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO kann Art. 6 Rom I-VO gerade nicht herangezogen werden entgegen dem Vorschlag von Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (337), und Laue, ZD 2016, 463 (465 f.), daher zu Recht die Kritik von Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (48). 254 Schack, in: FS Kronke, 2020, S. 501 (509); Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (48). 255 Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (48). 256 Schack, in: FS Kronke, 2020, S. 501 (509). 250
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Eindeutigkeit schaffen und Widersprüche zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vermeiden. Einen Anhaltspunkt hierfür gibt es aber weder in der DSGVO noch in den kollisionsrechtlichen Verordnungen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat es der europäische Gesetzgeber vielmehr den Mitgliedstaaten überlassen, das Kollisionsrecht der Geschäftsfähigkeit zu regeln.257 Das ist zwar unglücklich, aber ein Abweichen davon bei einer geschäftsähnlichen Handlung wie der Einwilligung kann – insbesondere aufgrund der Uneinigkeit unter den Mitgliedstaaten – nur ausdrücklich erfolgen und nicht auf Erwägungen zum Telos basieren. Freilich kann es im Ergebnis gleichwohl auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ankommen, wenn das autonome Kollisionsrecht dieses Sachverhaltselement als Anknüpfungsmoment bestimmt, so wie zukünftig auch Art. 7 Abs. 2 EGBGB n.F.258 Der Grund dafür liegt dann aber in der entsprechenden Anordnung im autonomen Recht und nicht in Art. 8 DSGVO selbst. c) „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“ In mehreren Öffnungsklauseln wird auf das „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“, verwiesen.259 Unbeantwortet lässt die DSGVO die Frage, welches mitgliedstaatliche Recht damit gemeint ist. Vorgeschlagen wird, dass nur ein nationales Recht zur Anwendung berufen wird, und das sei entweder das der Hauptniederlassung (Art. 4 Nr. 16 DSGVO) oder ersatzweise jenes der Niederlassung, die die Anwendbarkeit der DSGVO gem. Art. 3 Abs. 1 DSGVO ausgelöst hat.260 Gömann argumentiert, dass beispielsweise Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO aus sich heraus zwar keine eindeutige Anknüpfungsregel vorgibt, wohl aber die möglichen Anknüpfungskriterien dahingehend beschränkt, dass die Anknüpfung die Person des
257 Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b EuErbVO, Art. 1 Abs. 3 EuGüVO und EuPartVO Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom-III VO; anders allein die Testierfähigkeit, die dem Erbstatut unterliegt, Art. 26 Abs. 2 EuErbVO. Krit. dazu Schack, in: FS Kronke, 2020, S. 501 (502 ff.). 258 Für die Geschäftsfähigkeit einer Person verweist Art. 7 Abs. 2 EGBGB n.F. auf den gewöhnlichen Aufenthalt, welcher zum 01.01.2023 in Kraft tritt, BGBl. 2021 I, S. 882 (908 f.). 259 Art. 6 Abs. 3, Art. 14 Abs. 5 lit. c, Art. 17 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 lit. b, Art. 22 Abs. 2 lit. b, Art. 23 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 S. 2, Art. 28 Abs. 3 S. 1, S. 2 lit. a, Art. 49 Abs. 1 lit. d, Abs. 4 DSGVO. 260 Laue, ZD 2016, 463 (464 f.); Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (46 f.); de Lima Pinheiro, AEDIPr, XVIII (2018), 163 (176), lässt es offen, ob die datenverarbeitende Niederlassung oder die Hauptniederlassung relevant ist; Heberlein, in: Ehmann/Selmayr, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 6, Rn. 42, betont, dass jedenfalls nur eine Rechtsordnung zur Anwendung berufen sein kann, präzisiert aber nicht, wie diese zu bestimmen ist.
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Datenverarbeiters in den Mittelpunkt stellen müsse.261 Diejenigen, die grundsätzlich davon ausgehen, dass die DSGVO keine Aussage zur Anwendbarkeit mitgliedstaatlichen Rechts trifft, müssen dann stattdessen eine Lösung im nationalen Recht suchen.262 aa) Allgemeine Stellungnahme Zielführend ist auch hier, die jeweilige Norm genauer zu betrachten. Die Formulierung „Recht der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche unterliegt“ kann daher abhängig vom Regelungszusammenhang unterschiedlich auszulegen sein. So lässt sich beispielsweise bei Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b i.V.m. Abs. 1 lit. c DSGVO eindeutig ein Mitgliedstaat identifizieren. Gemäß jener Norm ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, die zur Erfüllung einer durch Gesetz geschaffenen Verpflichtung erfolgt.263 Hier ist die Formulierung als ein Verweis auf das gesamte mitgliedstaatliche Recht zu verstehen, das seinerseits seine Anwendbarkeit festlegt. Es ist nicht zwingend, die Norm als eine kollisionsrechtliche Begrenzung auf solche Anknüpfungsregeln zu verstehen, die die Person des Verantwortlichen in den Mittelpunkt stellen.264 Auch degradiert das hier vertretene Verständnis die Formulierung nicht zu einer „Leerformel“, wie Gömann behauptet.265 Vielmehr ist der Begriff des „Unterliegens“ so zu verstehen, dass es einen bereits bestehenden Rechtsanwendungsbefehl gibt, auf welchen Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b verweist. Das „Unterliegen“ wird durch die Klausel also nicht angeordnet, sondern vorausgesetzt. Auch in dieser Auslegung hat die Klausel eine Funktion und einen eigenen Sinngehalt und scheitert nicht bereits daran, dass die Klausel entgegen unionsrechtlicher Auslegungsmaßstäbe gegenstandslos würde.266 Anders ist das wiederum bei Art. 23 DSGVO. Nach dieser Öffnungsklausel dürfen die Mitgliedstaaten abweichende Regelungen treffen, wenn sie das für ihre staatlichen Interessen im weitesten Sinne für erforderlich halten. 261
Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 143 ff. 262 Brkan, EDPL 3 (2016), 324 (336 f.); Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 3; Gömann, EuZW 2018, 680 (685); Hornung, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 3, Rn. 12; Jault-Seseke/Zolynski, D. 2016, 1874 (1876); Klar, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 107 f.; Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (657, Fn. 14); v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 3, Rn. 28; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (79); Pailler, Clunet 2018, 823 (827 f., Fn. 21); Piltz, BDSG 2018, § 1, Rn. 26. 263 Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 6, Rn. 16. 264 So aber Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 146 f. 265 Ebd., S. 145. 266 A.A. ebd., S. 145 ff.
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
Dazu gehören die nationale und öffentliche Sicherheit, wichtige Ziele im öffentlichen Interesse, Gerichtsverfahren, Schutz der betroffenen Personen oder die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche (Art. 23 Abs. 1 DSGVO). Grundsätzlich steht es den Mitgliedstaaten also frei, das zu regeln, was für ihr staatliches Interesse erforderlich erscheint. Diese Freistellung muss auch für die Frage der Anwendbarkeit gelten. Sie ist gem. Art. 23 Abs. 1 DSGVO jedoch dadurch begrenzt, dass dabei der Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu achten ist. Das beschränkt die Mitgliedstaaten auch hinsichtlich der Gestaltung des räumlichen Anwendungsbereichs ihres nationalen Rechts. Die Mitgliedstaaten dürfen den Anwendungsbereich ihres Rechts nur so weit fassen, wie es zu den Öffnungszwecken des Art. 23 DSGVO erforderlich und angemessen ist. Bei einer Niederlassung im Territorium eines Staats dürfte das regelmäßig zu bejahen sein. Weitreichende Bestimmungen wie § 1 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 BDSG erscheinen hingegen bedenklich. Es kann im Einzelfall dabei zur parallelen Anwendung mehrerer Rechtsordnungen kommen. Entgegen der Ansicht von Thon267 lässt sich Erwägungsgrund 153 S. 6 DSGVO nicht dahingehend verallgemeinern, dass bei innereuropäischen Rechtskonflikten immer nur eine Rechtsordnung Anwendung finden soll. Denn zum einen ist der Erwägungsgrund selbst eher vage und schafft keinen konkreten Anwendungsbefehl und zum anderen ist diese Äußerung speziell in Bezug auf Art. 85 DSGVO getroffen worden. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber das Problem unterschiedlicher Ausgestaltungen des nationalen Rechts und Überschneidungen in der Anwendbarkeit durchaus gesehen hat, sich aber nur in Bezug auf Art. 85 Abs. 2 DSGVO hierzu ausdrücklich geäußert hat. Die parallele Anwendung mitgliedstaatlichen Datenschutzrechts ist zwar misslich, aber dennoch grundsätzlich dort möglich, wo keine Vollharmonisierung erfolgt ist, wie bereits in der Entscheidung ULD Schleswig-Holstein ./. Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein zur Datenschutz-RL ersichtlich wird.268 bb) Das Medienprivileg im Besonderen Datenschutz kann mit den grundrechtlich geschützten Positionen der Meinungs- und Informationsfreiheit kollidieren. Wie dieser Konflikt aufzulösen ist, hat der Gesetzgeber der DSGVO an die Mitgliedstaaten delegiert. Gem. Art. 85 Abs. 1 DSGVO ist es die Aufgabe der Mitgliedstaaten, die kollidierenden Rechtspositionen durch Rechtsvorschriften miteinander in Einklang zu bringen. Hinzu kommt die Öffnungsklausel in Art. 85 Abs. 2 DSGVO, wonach die Mitgliedstaaten die Pflicht haben, dort von der DSGVO abwei267 268
Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (45 ff.). Siehe oben S. 320.
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chende Regelungen zu treffen, wo dies zum Schutz von Datenverarbeitung zu journalistischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erforderlich ist. Die nationalen Ausgestaltungen können deutlich voneinander abweichen, doch die DSGVO regelt die kollisionsrechtliche Frage nicht verbindlich. Laut Erwägungsgrund 153 S. 6 DSGVO soll das Recht des Staats anwendbar sein, dem der Verantwortliche unterliegt. Dem ist zu entnehmen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers zwar nur eine Rechtsordnung anwendbar sein soll, nicht hingegen, wie diese Rechtsordnung zu identifizieren ist. Zur Lösung dieses Problems wird teilweise auf die nationalen Anwendungsvorschriften wie beispielsweise § 1 Abs. 1 und 4 BDSG verwiesen.269 Dies stößt jedoch auf Schwierigkeiten. So liegt beispielsweise in Deutschland die Regelungskompetenz für diese Öffnungsklausel bei den Ländern.270 Das BDSG und seine Anwendungsbereichsnorm § 1 Abs. 1 und 4 sind daher überhaupt nicht einschlägig. Zudem würde dieser Weg angesichts der teils weiten Ausgestaltung der jeweiligen nationalen Anwendungsbereichsnormen regelmäßig zur parallelen Anwendung mehrerer Rechtsordnungen führen. Eine parallele Anwendung verschiedener nationaler Bestimmungen ist jedoch im grundsätzlich vereinheitlichten europäischen Datenschutzrecht gegenläufig zum Gesetzeszweck. Rechtsfragen sollen auch im Bereich der Öffnungsklauseln innerhalb der EU einheitlich beantwortet werden, selbst wenn sich eben diese einheitliche Antwort aus einer Verweisung in mitgliedstaatliches Recht ergibt. Daher ist es auch mit dem Kernziel der DSGVO – der Schaffung eines einheitlichen Datenschutzrechts – nur schwerlich vereinbar, für die Ermittlung des anwendbare Rechts im Rahmen des Art. 85 Abs. 2 DSGVO eine Mosaikbetrachtung zu nutzen, wie von Dregelies vorgeschlagen.271 Denn dann wären auch gerade datenschutzrechtliche Ansprüche in ihrer Wirkung eben nicht unionsweit, sondern auf einzelne Mitgliedstaaten begrenzt; dies steht jedoch im Widerspruch zum Telos des Gesetzes und der Rechtsprechung des EuGH.272 Vermehrt zu lesen ist, dass es auf die Hauptniederlassung des Datenverarbeiters ankommen müsse.273 Dies basiert wohl darauf, dass die Formulierung 269
Specht/Bienemann, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 85, Rn. 18. Weichert, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 85, Rn. 13, hält die parallele Anwendung mehrerer Rechtsordnungen für möglich. 270 §§ 12, 23 MStV sowie die entsprechenden Verweisnormen in den Landesmediengesetzen (z.B. § 49 LMedienG BW). 271 Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 248. 272 EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL, Rn. 66. 273 Frey, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 85, Rn. 41 (über eine Anleihe bei Art. 2 Abs. 3 AVMD-RL); Laue, ZD 2016, 463 (464 f.); Oster, ZEuP 2021, 275 (293); Thon, RabelsZ 84 (2020), 24 (46 f.). De Lima Pinheiro,
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
„Recht des Mitgliedstaats, dem der Verantwortliche unterliegt“ als Verweis auf den Sitz des Verarbeiters verstanden wird. Vorteilhaft an diesem Ansatz ist, dass er zu eindeutigen Zuweisungen führt, sofern der Datenverarbeiter tatsächlich seine Hauptniederlassung in der EU hat. Jedoch führt dies ins Leere, wenn – mangels Niederlassung in der EU – die DSGVO aufgrund des Aufenthalts der betroffenen Person (Art. 3 Abs. 2 DSGVO) zur Anwendung kommt. Zudem nennt Erwägungsgrund 153 S. 6 DSGVO die Niederlassung gerade nicht, sondern verweist auf das „Unterliegen“, das nicht näher spezifiziert ist. Auch wenn dies Eindeutigkeit zu schaffen vermag, ist Erwägungsgrund 153 S. 6 DSGVO nicht zu entnehmen, dass die Niederlassung das entscheidende Anknüpfungsmoment ist. Pauly vertritt, dass es darauf ankommen müsse, welchem mitgliedstaatlichen Recht der Verarbeiter „im konkreten Fall“ unterliegt.274 Anwendbar müsse das Recht des Mitgliedstaats sein, „dessen Recht der Freiheit auf Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit konkret betroffen ist.“275 Zuzustimmen ist dem insofern, als Art. 85 DSGVO der Auflösung von Kollisionen konkreter Rechtspositionen dient und dies nicht pauschal erfolgen soll, sondern sich auf das konkret Erforderliche begrenzt. Dafür ist es notwendig, die Grundrechtskollision im konkreten Einzelfall zu betrachten. Eine solche Einzelfallbetrachtung kann man auch auf Erwägungsgrund 127 stützen. Demnach ist es bei der Ermittlung der Zuständigkeit der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden zu berücksichtigen, wenn die örtliche Betroffenheit in einem anderen Mitgliedstaat als im Niederlassungsstaat liegt. Allerdings vermag Paulys Formulierung keine Eindeutigkeit zu schaffen. So könnte man annehmen, dass die Meinungsfreiheit am Ort der Handlung, also der Datenverarbeitung, betroffen ist. Die Informationsfreiheit hingegen ist dort betroffen, wo die angegriffene Veröffentlichung zu Kenntnis genommen wird. Und dies kann durchaus auch in mehreren Mitgliedstaaten der Fall sein. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die DSGVO außer dem Wunsch, nur ein Recht zu Anwendung zu bringen, keine Hilfestellung bietet, welches mitgliedstaatliche Recht anwendbar sein soll. Daher sollte auch hier auf die Rom II-VO zurückgegriffen werden.276 Der Erfolgsort im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist dabei am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person zu verorten. Gerade im Falle des Art. 85 DSGVO gilt es aber zu berücksichtigen, dass Gegenstand immer ein Veröffentlichungsakt ist. Diese Datenschutzrechtsverletzungen spielen sich nicht allein zwischen der beAEDIPr, XVIII (2018), 163 (176) lässt es offen, ob die datenverarbeitende Niederlassung oder die Hauptniederlassung relevant ist. 274 Pauly, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 85, Rn. 13. 275 Ebd. 276 A.A. wohl Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 270 ff., insb. 304 ff., der für eine Anwendbarkeit des IPR im Datenschutzrecht (wohl) auch in rein privatrechtlichen Konstellationen keinen Raum sieht.
D. Subsidiäre deliktsrechtliche Kollisionsnormen
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troffenen Person und dem Datenverarbeiter ab, sondern involvieren auch eine gewisse Öffentlichkeit, die diesen Inhalt zur Kenntnis nehmen soll. Statt des gewöhnlichen Aufenthalts sollte hier die Erfolgsortsbestimmung parallel zur allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen laufen.277 V. Zusammenfassung Beim Datenschutzrecht handelt es sich aus zivilrechtlicher Perspektive um einen speziellen Bereich des Deliktsrechts. Soweit die DSGVO selbst keine kollisionsrechtlichen Anordnungen trifft, ist für die Fragen des anwendbaren Rechts daher die Rom II-VO maßgeblich. Soweit der einseitige Anwendungsbefehl des Art. 3 DSGVO nicht gegeben ist oder das anwendbare Recht für Ansprüche bezüglich Regionen jenseits der beschränkten räumlichen Reichweite zu bestimmen ist, ist gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO das Datenschutzrecht jenes Staats anwendbar, in dem der Erfolgsort liegt. Der Erfolgsort einer Datenschutzrechtsverletzung liegt am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person. Sofern die angegriffene Datenverarbeitung in der Veröffentlichung der Daten liegt, ist allerdings eine Parallelität zu allgemeinen Persönlichkeitsrechtsverletzungen herzustellen. Daneben gelten die vorrangige Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO), die Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO) und die Möglichkeit zur nachträglichen Rechtswahl (Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. a Rom II-VO). Eine Verallseitigung des Art. 3 DSGVO ist nicht möglich. Im Falle der fehlenden Kollisionsnorm für die Öffnungsklauseln ist die Lösung, soweit möglich, innerhalb der DSGVO zu suchen. Dabei ist der jeweilige Sachzusammenhang und der Zweck hinter der Öffnung zu berücksichtigen. Im Falle des Beschäftigtendatenschutzes (Art. 88 DSGVO) sollte das Recht desjenigen Staats Anwendung finden, dem auch der Beschäftigungsvertrag gem. Art. 8 Rom I-VO unterliegt. Die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger (Art. 8 DSGVO) wiederum richtet sich akzessorisch nach dem Geschäftsfähigkeitsstatut (Art. 7 Abs. 1 EGBGB).278 In beiden Fällen bleibt es bei den Vorgaben der DSGVO, sofern der Verweis zu einem drittstaatlichem Recht führt. Wo die Öffnungsklausel auf das „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt,“ verweist, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die DSGVO es den Mitgliedstaaten überlässt, die Frage der Anwendbarkeit selbst zu regeln. Speziell im Falle des Medienprivilegs (Art. 85 DSGVO) sind keine klaren Vorgaben zu entnehmen, sodass auch hier auf Art. 4 Rom II-VO zurückzugreifen ist. Da es sich bei diesen Fällen in 277 278
Siehe oben S. 247–254. Ab dem 01.01.2023 Art. 7 Abs. 2 n.F., BGBl. 2021 I, S. 882 (908 f.).
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
der Regel um Veröffentlichungsakte handelt, ist auch hier der konkrete Erfolgsort unter Berücksichtigung der Umstände zu bestimmen und nicht der gewöhnliche Aufenthalt der betroffenen Person heranzuziehen.
E. Die Zukunft des internationalen Datenschutzrechts E. Die Zukunft des internationalen Datenschutzrechts
Die vorstehenden Ausführungen zeigen zum einen, dass die Ermittlung des anwendbaren Rechts im Bereich des Datenschutzes komplex und kleinteilig ist, zum anderen aber auch, dass unionseinheitliche Lösungen verfügbar sind, wenn man die Anwendbarkeit der Rom II-VO in zutreffender Weise bejaht.279 Gerade im Bereich der Öffnungsklausel stellt man bei genauerer Betrachtung fest, dass die DSGVO häufig eine klarere Richtung vorgibt, als es auf den ersten Blick scheint.280 Gleichwohl könnte es hier für die Praxis hilfreich und sinnvoll sein, Einzelfragen des anwendbaren Rechts ausdrücklich zu regeln. Denkbar wäre beispielsweise ein (deklaratorischer) Verweis auf Art. 4 Rom II-VO für Fragen des anwendbaren Rechts, wo die DSGVO selbst keine Antwort parat hat. Eine noch größere Rechtsklarheit könnte man freilich durch eine explizite datenschutzrechtliche Kollisionsnorm erreichen. Eine solche könnte entweder in die DSGVO selbst oder in die Rom II-VO integriert werden. Passender erscheint aber Letzteres, da die DSGVO nur Fragen innerhalb ihres Anwendungsbereichs und damit auch innerhalb der Grenzen des Art. 3 DSGVO adressiert, wohingegen die Rom II-VO die darüber hinausreichenden Konstellationen erfassen kann und die allgemeinen kollisionsrechtlichen Regelungen (ordre public, Rechtswahl, Sachnormverweisung etc.) bereithält.281 Zudem ist eine solche Regelung nur für privatrechtliche Fälle erforderlich. Inhaltlich sollte eine solche datenschutzrechtliche Kollisionsnorm zunächst auf den Vorrang des Art. 3 DSGVO hinweisen, soweit dieser das anwendbare Recht bestimmt. Maßgebliches Anknüpfungsmoment sollte der gewöhnliche Aufenthalt der von einer Datenverarbeitung betroffenen Person sein. Soweit die Datenverarbeitung in einer Veröffentlichung liegt, sollte allerdings auf die – ebenfalls noch zu schaffende – Kollisionsnorm für den allgemeinen deliktischen Persönlichkeitsschutz verwiesen werden.282 Diese Maßnahmen können die Rechtsanwendung durch Schaffung von Eindeutigkeit und Klarheit deutlich erleichtern. Problematisch und daher auch änderungsbedürftig ist hingegen die begrenzte räumliche Reichweite der datenschutzrechtlichen Ansprüche seit der
279
Siehe oben S. 130–135. Siehe oben S. 358–369. 281 Siehe oben S. 138 f. 282 Siehe oben S. 247–254. 280
E. Die Zukunft des internationalen Datenschutzrechts
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Entscheidung des EuGH in der Rechtssache CNIL.283 Da es sich dabei aber um einen Reflex auf den weiten räumlichen Anwendungsbereichs des Art. 3 DSGVO handelt, ist eine Änderung nur möglich, indem man eben diese Norm einer Neuausrichtung unterzieht. Dabei sollten zwei Ziele verfolgt werden: Einerseits sollte die Reichweite der anwendbaren Rechtsordnung klar feststehen und nicht abhängig von einer Grundrechtsabwägung im Einzelfall sein.284 Andererseits sollte es der betroffenen Person möglich sein, eine beeinträchtigende Datenverarbeitung gänzlich nach europäischem Recht aus der Welt zu schaffen, wenn zu diesem Gebiet eine besonders enge Verbindung besteht. Die gegenwärtige Beschränkung der Reichweite eines Anspruchs führt faktisch zu einer Situation, die einer Mosaikbetrachtung im deliktsrechtlichen Persönlichkeitsschutz sehr ähnlich ist:285 Die betroffene Person kann schon bei geringen Berührungspunkten auf die Anwendbarkeit des europäischen Datenschutzrechts verweisen, der territoriale Umfang ist jedoch beschränkt. Die Nachteile der Mosaikbetrachtung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseunternehmen im Deliktsrecht sah man mehrheitlich dadurch aufgewogen, dass es die betroffene Person im Rahmen des Günstigkeitsprinzips des Art. 40 Abs. 1 EGBGB bei einer Anknüpfung an den Handlungsort belassen konnte.286 Denn der Handlungsort kann – zumindest nach dem Aufstellen von Abgrenzungskriterien – eindeutig in einem einzigen Staat lokalisiert werden und führt auf diesem Wege zu einer einzigen Rechtsordnung, nach der sich der fragliche Sachverhalt einheitlich und unbegrenzt beurteilen lässt. Das heißt also, dass diejenige Rechtsordnung, die man über die Handlungsortsanknüpfung ermittelt, in ihrer räumlichen Reichweite unbegrenzt ist. Diese Überlegungen sollten auch auf die internationale Anwendbarkeit der DSGVO übertragen werden. Demnach ist es nicht geboten, die Reichweite des Löschungsanspruchs aus Art. 17 DSGVO zu beschränken, wenn alle Handlungselemente in der EU belegen sind. Wenn man Art. 3 Abs. 1 DSGVO in der weiten Auslegung durch den EuGH287 betrachtet, so handelt es sich nicht um ein reines Niederlassungsprinzip, sondern eher um eine ausgedehnte Handlungsortsanknüpfung. Denn maßgeblich ist nicht nur, dass es eine Niederlassung in der EU gibt, sondern dass diese im Rahmen ihrer Tätigkeiten zur fraglichen Datenverarbeitung beiträgt. Auch wenn die betrachte283
EuGH, Urteil vom 24.09.2019 – C-507/17, ECLI:EU:C:2019:772, Google LLC ./. CNIL. Siehe oben S. 342–348. 284 Siehe oben S. 211 f. 285 Siehe oben S. 194–218. 286 Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im IPR, 2003, S. 255 f.; v. Hein, Das Günstigkeitsprinzip im Internationalen Deliktsrecht, 1999, S. 337 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 53 V 4; Wurmnest, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, EGBGB Art. 40, Rn. 99 f. 287 Siehe oben S. 317–320.
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
te Niederlassung nicht die maßgebliche Handlung, also die Datenverarbeitung, vornimmt oder steuert, kann sie diese unterstützen und ist dadurch mittelbar an der Handlung beteiligt. Folglich ist für die Frage der Reichweite der datenschutzrechtlichen Ansprüche festzuhalten, dass Art. 3 Abs. 1 DSGVO kein reines Niederlassungsprinzip beinhaltet, sondern eher einer erweiterten Handlungsortsanknüpfung entspricht. Wenn man diese Erwägungen zusammenführt, erscheint die folgende Differenzierung geboten: Sofern die DSGVO aufgrund der Niederlassung in der EU zur Anwendung kommt (Art. 3 Abs. 1 DSGVO) und zudem keine weiteren Niederlassungen außerhalb der EU gegeben sind, erfolgten alle entscheidenden Handlungselemente innerhalb der EU. Hier sollten alle in Betracht kommenden Ansprüche weltweite Wirkung haben. Die Entscheidung des EuGH in CNIL müsste dafür entsprechend modifiziert werden. Wenn keine Niederlassung in der EU gegeben ist, findet die DSGVO Anwendung, weil der Betreiber auf dem europäischen Markt aktiv ist (Art. 3 Abs. 2 DSGVO). Spiegelbildlich dazu sollte wiederum die Reichweite des Löschungsanspruchs auf den europäischen Markt beschränkt sein. Insoweit ist CNIL bereits zutreffend, sollte aber auf die Möglichkeit zur weltweiten Geltung im Ausnahmefall verzichten. Problematisch ist, wenn die Anwendbarkeit der DSGVO durch eine Niederlassung in der EU ausgelöst wird, aber zugleich auch außerhalb der EU an der Datenverarbeitung beteiligte Niederlassungen bestehen, wie im Fall von Google oder Facebook. Das Handlungselement kann hier minimiert sein (z.B. auf den Verkauf von Werbeflächen beschränkt) und der gefürchtete Konflikt mit dem Rechtsverständnis in anderen Staaten realistisch im Raum stehen. In diesen Fällen sollte sich die Frage der Reichweite danach richten, welche Niederlassung die Entscheidungszentrale des Unternehmens ist. Eine vollständige und damit weltweite Löschung sollte dann möglich sein, wenn das Handlungs- und Kontrollzentrum in der EU liegt. Wenn die europäische Niederlassung dagegen nicht die zentrale Handlungsinstanz ist, sondern nur unterstützende Tätigkeiten vornimmt, muss der Anspruch wiederum auf die EU beschränkt sein. Das gleiche Ergebnis wäre freilich – und deutlich unkomplizierter – auch dadurch zu erreichen, dass der EuGH seine weite Auslegung des Art. 3 Abs. 1 DSGVO aus der Rechtssache Google Spain angesichts des neu geschaffenen Art. 3 Abs. 2 DSGVO zurücknimmt288 und sich damit einer tatsächlichen Anknüpfung an den Handlungsort annähert. Dies könnte auch auf dem Wege erfolgen, dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 1 DSGVO zu einer tatsächlichen Handlungsortsanknüpfung umformuliert. Dann ließe sich die hier vorgeschla288
Dafür auch Gömann, Das öffentlich-rechtliche Binnenkollisionsrecht der DS-GVO, 2021, S. 566 ff., der sich für eine restriktivere Auslegung des Art. 3 Abs. 1 unter Anwendung des Art. 4 Nr. 16 DSGVO ausspricht, wodurch dasselbe Ergebnis erzielt wird.
F. Internationale Zuständigkeit
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gene Lösung zur Reichweite so zusammenfassen, dass eine Anwendung nach Art. 3 Abs. 1 DSGVO (Handlungsortsanknüpfung) die Datenverarbeitung weltweit beurteilt, wohingegen die Marktortanknüpfung nach Art. 3 Abs. 2 DSGVO das Datenschutzrecht der DSGVO in seiner Wirkung auf den Markt der Union beschränkt.
F. Internationale Zuständigkeit F. Internationale Zuständigkeit
Vor Inkrafttreten der DSGVO richtete sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und, außerhalb des Anwendungsbereichs, nach § 32 ZPO. Nun wurde mit Art. 79 Abs. 2 DSGVO eine spezielle Zuständigkeit für zivilrechtliche Ansprüche im Datenschutzrecht geschaffen. Für Klagen289 gegen den Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter gibt Art. 79 Abs. 2 DSGVO dem Kläger die Wahl zwischen zwei Gerichtsständen. Nach Satz 1 kann eine Klage dort erhoben werden, wo sich eine Niederlassung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters befindet. Erwägungsgrund 22 S. 2 und 3 ergänzen die Regelung dahingehend, dass für eine Niederlassung „die effektive und tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit durch eine feste Einrichtung“ erforderlich ist. Im Gegensatz zu Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO und § 21 ZPO wird damit gerade nicht gefordert, dass ein Bezug zwischen Streitgegenstand und der konkreten Niederlassung bestehen muss.290 Nach Satz 2 sind auch die Gerichte in dem Staat international zuständig, in denen der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.291 Diese Zuständigkeitsnorm kommt nur der klagenden betroffenen Person zugute;
289 Der Vergleich mit anderen Sprachfassungen ergibt, dass die Norm trotz des engen Wortlauts auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gilt, vgl. Martini, in: Paal/ Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 79, Rn. 23b; Schneider, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 79, Rn. 29; Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 35. 290 v. Calster, L’Observateur de Bruxelles, Juillet 2018, 28 (29); Feiler/Forgó/Weigl, GDPR 2018, Art. 79, Rn. 4; Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (100 f.); Heinze/ Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (186 f.); Marongiu Buonaiuti, CDT 9 (2017), 448 (453); a.A. Schneider, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 79, Rn. 25. 291 Der Wortlaut des Art. 79 Abs. 2 S. 2 lautete anfänglich nur „Aufenthaltsort“. Hierbei handelte es sich aber eindeutig um ein redaktionelles Versehen, wie ein Vergleich mit den anderen Sprachfassungen zeigt („habitual residence“; „residencia habitual“; „résidence habituelle“), siehe auch die ausführliche Analyse bei Heinze/Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (188 f.). Der Übersetzungsfehler wurde vom Rat berichtigt am 19.04.2018, 8088/18, S. 63, .
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
negative Feststellungsklagen des Datenverarbeiters sind davon nicht erfasst.292 Nach seinem Wortlaut erfasst Art. 79 Abs. 2 nicht nur Klagen auf Ansprüche aus dem Datenschutzrecht, sondern gilt allgemein „für Klagen gegen einen Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter“. Dass deswegen in diesem Gerichtsstand auch konkurrierende vertragliche und deliktische Ansprüche wie ein Anspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung aus § 823 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden können, erscheint jedoch eher fragwürdig, da diese außerhalb des Anwendungsbereichs der DSGVO liegen.293 Die Gerichtsstandslösung der DSGVO schafft Vorteile für die betroffene Person, die nicht nur in den Genuss eines forum actoris kommt, sondern daneben zwischen mehreren Niederlassungen des Verarbeiters wählen kann. Klärungsbedürftig ist allerdings das Verhältnis zu den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO.294 Auch wenn man Art. 79 Abs. 2 DSGVO nicht als abschließend und die Gerichtsstände der Brüssel Ia-VO parallel anwendbar erachtet,295 dürften jene angesichts der klägerfreundlichen Regelung im Datenschutzrecht selten eine reizvolle Alternative darstellen.296 Solange der EuGH 292
Marongiu Buonaiuti, CDT 9 (2017), 448 (451). Dafür v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 79, Rn. 6; Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (67); ablehnend Heinze/Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (193); Werkmeister, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 5. 294 Dazu v. Calster, L’Observateur de Bruxelles, Juillet 2018, 28; Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81; Heinze/Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (192 ff.); Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (259 ff.); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (668 ff.); Marongiu Buonaiuti, CDT 9 (2017), 448; de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (99 ff.). 295 So die große Mehrheit v. Calster, L’Observateur de Bruxelles, Juillet 2018, 28 (29); Heinze/Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (192); Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (259 ff.); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (669, 672); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (69); de Miguel Asensio, REDI 69 (2017), 75 (99 f.); M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1084); Werkmeister, in: Gola, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 15. Differenzierend Marongiu Buonaiuti, CDT 9 (2017), 448 (452): Art. 25 Brüssel IaVO sei wegen Art. 79 Abs. 1 DSGVO ausgeschlossen; ebenso Bergt, in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DSGVO Art. 79, Rn. 15, Feiler/Forgó/Weigl, GDPR 2018, Art. 2, Rn. 7, und Oster, ZEuP 2021, 275 (302). Anders Dregelies, Territoriale Reichweite von Unterlassungsansprüchen, 2020, S. 165 ff. Nur die Gerichtsstände für Verbrauchersachen seien nicht gesperrt; Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (103 ff.): Art. 7 Abs. 2 Brüssel IaVO sei durch die speziellere Regel Art. 79 Abs. 2 DSGVO verdrängt (S. 105), auch Art. 25 und 26 Brüssel Ia-VO seien nicht mehr anwendbar, außer dies schaffe eine zusätzliche Wahlmöglichkeit für die betroffene Person (S. 106 ff.). Gänzlich ablehnend Albrecht/Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU, 2017, S. 128; Boehm, in: Simitis/Hornung/Spiecker, 1. Aufl. 2019, DSGVO Art. 79 Rn. 17; Ernst, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 79, Rn. 3; Kreße, in: Sydow, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 79, Rn. 33; v. Lewinski, in: Auernhammer, 7. Aufl. 2020, DSGVO Art. 79, Rn. 8. 296 Ebenso Jault-Seseke/Zolynski, D. 2018, 2000 (2002); M. Stürner/Wendelstein, JZ 2018, 1083 (1084). Günstig für den Betroffenen können sowohl die Gerichtsstände aus 293
G. Zusammenfassung Datenschutzrecht
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für die internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen das Mosaikprinzip aber nicht abschafft, kann hierin eine Möglichkeit zum forum shopping auch im Datenschutzrecht liegen.297 Für das weitere Verhältnis der Brüssel Ia-VO und der DSGVO weist Erwägungsgrund 147 darauf hin, dass erstere für Fragen des IZVR ergänzend herangezogen werden sollte, sofern keine Regelungen in der DSGVO vorgesehen sind.298 Im Falle mehrerer rechtshängiger Verfahren zum selben Gegenstand sieht Art. 81 DSGVO vor, dass das spätere Verfahren ausgesetzt oder die Unzuständigkeit erklärt werden kann.299 Im Gegensatz zu Art. 31 Brüssel Ia-VO stehen diese Maßnahmen jedoch im Ermessen des Gerichts. Soweit man die besonderen Zuständigkeiten der Brüssel Ia-VO für parallel anwendbar erachtet, gelten im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gegenwärtig Shevill, eDate und Bolagsupplysningen, d.h. Klagen auf den ganzen Schaden basierend auf einer Verletzung des Datenschutzrechts können an der Niederlassung des Verarbeiters oder am Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person anhängig gemacht werden.300
G. Zusammenfassung Datenschutzrecht G. Zusammenfassung Datenschutzrecht
Das Datenschutzrecht ist in sachlicher Hinsicht anwendbar, sobald personenbezogene Daten verarbeitet werden. Tätigkeiten in sozialen Medien sind davon weitestgehend erfasst. Auf der aktiven Seite einer Datenverarbeitung stehen dabei nicht nur die Betreiber eines Netzwerks, sondern auch ihre Nutzer, wenn diese Inhalte mit Bezug zu anderen Personen veröffentlichen. Dies gilt gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO nicht, wenn eine natürliche Person zur Ausübung ausschließlicher persönlicher oder familiärer Tätigkeiten personenbezogene Daten verarbeitet. Das maßgebliche Abgrenzungskriterium hierfür ist im Rahmen von sozialen Medien, ob der Nutzer einen veröffentlichten Inhalt einem unbegrenzten oder einem begrenzten Personenkreis zuArt. 8 Nr. 1 und 3 EuGVVO als auch nicht ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 EuGVVO sein, so Hess, in: FS Geimer, 2017, S. 255 (262); Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (69). 297 Heinze/Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (195 f.). 298 ErwGr. 67 DSGVO wiederholt letztlich nur den Regelungsgehalt des Art. 67 Brüssel Ia-VO, so Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (84); Marongiu Buonaiuti, CDT 9 (2017), 448 (451). 299 Im Einzelnen ist hier vieles streitig, wie bereits die Anwendbarkeit auf zivilgerichtliche Verfahren (z.B. dafür Mundil, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 81, Rn. 8; dagegen Frenzel, in: Paal/Pauly, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 81, Rn. 5 ff.; Heinze/Warmuth, ZZP Int. 21 (2016), 175 (190 f.)). 300 Franzina, in: De Franceschi, 2016, S. 81 (91); Kohler, Riv. dir. int. priv. proc. 2016, 653 (672 f.); Oster, ZEuP 2021, 275 (302).
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Kapitel 4: Datenschutzrechtsstatut
gänglich macht, denn dieses Kriterium schafft Eindeutigkeit und damit Rechtsanwendungsklarheit. Auf lange Sicht könnte es sich als sinnvoll erweisen, einzelne Pflichten des Datenschutzrechts (z.B. Art. 6 DSGVO) auch auf Privatpersonen zu erstrecken, die sich an ein größeres Publikum richten. Nachdem der EuGH bereits im Rahmen der Datenschutz-RL mit einer weiten Auslegung des Art. 4 Abs. 1 lit. a Datenschutz-RL das Ziel eines effektiven Datenschutzes verfolgte, führt nun Art. 3 DSGVO diesen Ansatz weiter. Dieser Bestimmung zum räumlichen Anwendungsbereich der DSGVO liegen zwei sich ergänzende Ansätze zugrunde, nämlich das Niederlassungsprinzip, das an die Niederlassung des Datenverarbeiters anknüpft (Art. 3 Abs. 1 DSGVO), und hilfsweise das Marktortprinzip, das dem Aufenthalt der betroffenen Person in der EU Relevanz verleiht, soweit die Datenverarbeitung im Zusammenhang mit Leistungsangeboten für diesen Markt oder mit Verhaltensbeobachtungen in der EU steht (Art. 3 Abs. 2 DSGVO). Für das IPR handelt es sich bei Art. 3 DSGVO um eine einseitige Sonderanknüpfungsnorm. Sollten datenschutzrechtliche Aspekte in einem vertrags- oder deliktsrechtlichen Kontext in Betracht kommen, ist das Datenschutzrecht wegen des Vorrangs des Art. 3 DSGVO gesondert im Wege der Vorfrage anzuknüpfen. Der Vorrang der DSGVO vor der Rom I-VO und der Rom II-VO folgt aus dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Folglich erübrigt sich auch die Frage, ob die Normen der DSGVO Eingriffsnormen sind. Eine Rechtswahl mit kollisionsrechtlicher Wirkung ist im Datenschutzrecht nicht möglich. Die Reichweite der datenschutzrechtlichen Ansprüche ist nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich auf das Gebiet der EU beschränkt; in Einzelfällen kann auf Grundlage des nationalen Rechts eine unbegrenzte Reichweite ausgesprochen werden. Dieser Ansatz geht mit Nachteilen einher und sollte daher mittelfristig zusammen mit einer Überarbeitung des Art. 3 DSGVO oder zumindest einer Revision von dessen Auslegung überdacht werden. Jenseits der einseitigen Kollisionsnorm des Art. 3 DSGVO ist für die Fragen des anwendbaren Rechts grundsätzlich die Rom II-VO maßgeblich, sofern der DSGVO im Einzelfall nicht doch eine speziellere kollisionsrechtliche Regel entnommen werden kann. Eine Verallseitigung des Art. 3 DSGVO kommt nicht in Betracht. Der Erfolgsort einer Verletzung des Datenschutzrechts im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist grundsätzlich am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person. Sofern die Datenschutzrechtsverletzung in einer Veröffentlichung liegt und damit also personenbezogene Daten der Kenntnisnahme Dritter zugänglich sind, ist der Erfolgsort parallel zum allgemeinen Deliktsrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu bestimmen. Derzeit bedeutet dies, dass der Erfolgsort im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO dort belegen ist, wo unter Berücksichtigung aller Umstände aus objektiver Sicht das größte Interesse an der Veröffentlichung zu erwarten war. Langfristig sollte hier auf die zu schaffende Sonderkollisionsnorm für
G. Zusammenfassung Datenschutzrecht
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Persönlichkeitsrechtsverletzungen verwiesen werden. Das auf diesem Wege ermittelte ergänzende Datenschutzrecht gilt räumlich unbeschränkt. Dies gilt auch, um das anwendbare „lückenfüllende“ Schuldrecht zu bestimmen, wo die DSGVO Fragen innerhalb der neu geschaffenen Ansprüche offenlässt. Sollte Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO in diesen Fällen nicht zum Recht eines Mitgliedstaates führen, ist im Wege der Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO) auf eine datenverarbeitende Niederlassung innerhalb der EU oder subsidiär auf den Staat des schlichten Aufenthalts der betroffenen Person abzustellen. Eine vertragsakzessorische Anknüpfung gem. Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO ist möglich. Soweit mitgliedstaatliches Datenschutzrecht die DSGVO ergänzt, ist die jeweilige Öffnungsklausel dahingehend zu untersuchen, zu welchem Zweck sie erlassen wurde und ob daraus eine besondere Nähe zu einem speziellen Mitgliedstaat hergestellt wird. Andernfalls bestimmen die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich ihres Rechts selbst, wobei sie nicht über das Erforderliche hinausgehen dürfen. Speziell im Falle des Medienprivilegs des Art. 85 DSGVO ist das „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“ mithilfe des Art. 4 Rom II-VO zu bestimmen. Für die Rechtspraxis könnte sich eine explizite Regelung der kollisionsrechtlichen Fragen innerhalb der DSGVO sowie eine allgemeine privatrechtliche Kollisionsregel innerhalb der Rom II-VO als hilfreich erweisen. Unbedingt erforderlich ist aber jedenfalls eine Änderung der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 DSGVO und dadurch eine Modifikation der Rechtsprechung zur räumlichen Reichweite des Datenschutzrechts. Das Niederlassungsprinzip des Art. 3 Abs. 1 DSGVO sollte zu einer reinen Handlungsortsanknüpfung weiterentwickelt werden, welche in ihrer Reichweite keiner räumlichen Beschränkung unterliegt. Wo hingegen das europäische Recht nach dem Marktortprinzip des Art. 3 Abs. 2 DSGVO einschlägig ist, sollte die Reichweite ausnahmslos beschränkt sein.
Kapitel 5
Schranken der Verweisung A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
Zur Förderung des europäischen Binnenmarkts erließ der europäische Gesetzgeber im Jahr 2000 die eCommerce-RL. Teil dieses Rechtsakts ist ein Herkunftslandprinzip in Art. 3 ECRL, wonach Dienste der Informationsgesellschaft mit Niederlassung in der EU den Regeln ihres Niederlassungsstaats entsprechen müssen und andere Mitgliedstaaten keine einschränkenderen Vorschriften auferlegen dürfen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Regelung in § 3 TMG umgesetzt. Diensteanbieter mit Niederlassung in Deutschland, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln, unterliegen demnach auch dann deutschem Recht, wenn sie ihre Dienste im Ausland erbringen (§ 3 Abs. 1 TMG). Spiegelbildlich dazu sollen wiederum Diensteanbieter mit Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten nicht durch möglicherweise strengeres deutsches Recht eingeschränkt werden, auch wenn sie im Inland erbracht werden (§ 3 Abs. 2 TMG). Im Folgenden wird die Relevanz des Herkunftslandprinzips für das IPR erläutert (I.), der Anwendungsbereich des § 3 TMG besprochen (II.) und die Ausnahmetatbestände des § 3 Abs. 5 TMG für Persönlichkeitsrechtsverletzungen geprüft (III.). Im Anschluss daran wird die gegenwärtige Rechtslage kritisch diskutiert (IV.). I. Die Bedeutung für das IPR Das Verhältnis des Herkunftslandprinzips der eCommerce-RL zum IPR war von Anfang an problematisch. Nachdem es längere Zeit umstritten war, ob es sich um eine Regel des Kollisionsrechts handelt,1 entschied der EuGH in eDate, dass Art. 3 ECRL keine Umsetzung als Kollisionsnorm verlange.2 Dies begründete er insbesondere mit Art. 1 Abs. 4 ECRL, wonach durch die
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Siehe die Übersicht bei Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, TMG § 3, Rn. 25 ff. EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 63. Zust. H.-P. Roth, CR 2011, 808 (813); Wolter, jurisPR-ITR 18/2012 Anm. 3. 2
A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
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Richtlinie keine zusätzlichen Regelungen im IPR geschaffen werden sollen.3 Trotzdem müssten die Staaten sicherstellen, dass kein Diensteanbieter strengeren Regeln als jenen im jeweiligen Niederlassungsstaat unterliegt.4 Unabhängig von der Rechtsnatur verdrängen die Normen des IPR das Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL nicht. Dies ergibt sich für das Vertragsrecht aus Art. 23 und Erwägungsgrund 40 Rom I-VO sowie für das Deliktsrecht aus Art. 27 und Erwägungsgrund 35 Rom II-VO. Es steht den Mitgliedstaaten also frei, ob sie eine Umsetzung als Kollisionsnorm oder als Sachrechtsvergleich bevorzugen.5 Bei der deutschen Umsetzung in § 3 TMG handelt es sich um ein sachrechtliches Beschränkungsverbot.6 Gleichwohl kann eine umfassende kollisionsrechtliche Betrachtung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien diese Regelung nicht ignorieren. Denn unabhängig von der Rechtsnatur des Herkunftslandprinzips ist Art. 3 ECRL in der jeweiligen mitgliedstaatlichen Umsetzung geeignet, das ermittelte anwendbare Recht auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu modifizieren.7 Zwar bleibt das kollisionsrechtlich ermittelte Statut unberührt; bei der Anwendung des Sachrechts ist dem Herkunftslandprinzip jedoch Wirkung zu verleihen, sodass faktisch der rechtliche Standard einer anderen Rechtsordnung maßgeblich werden kann. Wenn beispielsweise ein Unterlassungsanspruch gegen ein Bewertungsportal mit Niederlassung in Finnland wegen einer persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerung nach dem anwendbaren deutschen Deliktsrecht, nicht aber nach finnischem Recht besteht, ist im Ergebnis kein Anspruch gegeben.8 II. Das Herkunftslandprinzip de lege lata Im Folgenden wird die Reichweite des Herkunftslandprinzips in seiner derzeitigen Form dargestellt. Dafür werden zunächst der Anwendungsbereich in
3 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 60. 4 Ebd., Rn. 64 ff. 5 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 3, Rn. 82; Leible, LMK 2012, 329468; a.A. M. Weller, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 3, Rn. 9; auch nach eDate bleibe das Verhältnis von IPR und Herkunftslandprinzip unklar, so Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 17 ff. 6 BGH, Urteil vom 08.05.2012 − VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197, Rn. 30; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 415. Für ein ausführliches Beispiel siehe OLG München, Urteil vom 13.11.2018 – 18 U 1280/16 Pre, BeckRS 2018, 29195. 7 Carrascosa González, RdC 378 (2015), 263 (407), spricht insofern von einer „hidden conflict rule“. Allgemein auch Heiderhoff, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 413 (416 f.); Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, TMG § 3, Rn. 28; Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 33. 8 LG Berlin, Urteil vom 24.05.2012 – 27 O 864/11, AfP 2012, 486, 487 ff.
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Kapitel 5: Schranken der Verweisung
sachlicher und persönlicher Hinsicht (1.) und sodann die geltenden Ausnahmen (2.) zusammengefasst. 1. Anwendungsbereich a) Erfasste Rechtsbereiche Das Herkunftslandprinzip gilt nicht nur für den von der eCommerce-RL unmittelbar geregelten Bereich; vielmehr fallen unter den sog. koordinierten Bereich gem. Art. 2 lit. h ECRL alle mitgliedstaatlichen rechtlichen Anforderungen an Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft, unabhängig davon, „ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind“. Wie Art. 2 lit. h Nr. ii ECRL zum Ausdruck bringt, ist alles erfasst, was die elektronischen Wege betrifft, und es endet dort, wo – wie bei der Lieferung bestellter Waren – die elektronische Welt verlassen wird. Daher gilt das Herkunftslandprinzip für das gesamte Zivilrecht9 wie auch für öffentlichrechtliche und strafrechtliche Regelungen, soweit der elektronische Bereich betroffen ist.10 Insofern erfasst das Herkunftslandprinzip auch den Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen und kann dort für die Frage des anwendbaren Rechts im Ergebnis erhebliche Wirkung entfalten.11 Das Herkunftslandprinzip gilt auch im Vertragsrecht. Dies gilt allerdings weder dann, wenn eine Rechtswahl getroffen wurde (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 TMG / Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang Spiegelstrich 5 ECRL), noch bei Verbraucherverträgen (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 TMG / Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang Spiegelstrich 5 ECRL). Dementsprechend hält das Kammergericht für einen Plattformvertrag mit Facebook fest, dass sich Facebook trotz Herkunftslandprinzip an seiner wirksamen Rechtswahl deutschen Rechts in den AGB gem. § 3 Abs. 3
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EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 58 f.; Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (61 f.). 10 Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, TMG § 3, Rn. 23; Spindler, GRUR 2018, 365 (367); ders., in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 8, 22; M. Weller, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 3, Rn. 13. 11 Schlussanträge GA Bobek, 23.01.2021, C-800/19, ECLI:EU:C:2021:124, Mittelbayerischer Verlag KG ./. SM, Rn. 79 f.; Collins u.a., Dicey, Morris & Collins on The Conflict of Laws, Vol. 2, 15. Aufl. 2012, Rn. 35-159; Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (48, 61); dies., in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 413 (416 f.); Spindler, GRUR 2018, 365 (366); ders., in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 75; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 54; a.A. Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, EGBGB Art. 40, Rn. 10. Auch Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, TMG § 3, Rn. 53, der sich auf BGH, NJW 2012, 2197, bezieht. Das ist insofern unzutreffend, als der BGH zwar das Deliktsstatut für Persönlichkeitsrechtsverletzungen maßgeblich und kollisionsrechtlich als vom Herkunftslandprinzip unbeeinträchtigt erachtet, das Herkunftslandprinzip aber als sachrechtliches Beschränkungsverbot – auch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen – berücksichtigt (Rn. 30).
A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
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Nr. 1 TMG festhalten lassen müsse.12 Ebenso gelte das Herkunftslandprinzip gem. § 3 Abs. 3 Nr. 2 TMG nicht für den Plattformvertrag, sofern ein Verbrauchervertrag vorliegt; von dieser Ausnahme erfasst seien alle Normen, die zumindest auch Verbrauchern zugutekommen.13 Theoretisch entfaltet das Herkunftslandprinzip im Vertragsrecht also nur dann Wirkung, wenn die objektive Anknüpfung gem. Art. 4 Rom I-VO das anwendbare Recht bestimmt.14 Dadurch, dass Art. 4 Rom I-VO aber in den meisten Fällen den gewöhnlichen Aufenthalt der Partei der charakteristischen Leistung für maßgeblich erklärt, kann das Herkunftslandprinzip faktisch keine Änderung herbeiführen.15 Keine Wirkung entfaltet das Herkunftslandprinzip außerdem im Datenschutzrecht gem. § 3 Abs. 3 Nr. 4 TMG. b) Persönlicher Anwendungsbereich Das Herkunftslandprinzip kommt allen Diensteanbietern zugute, die geschäftsmäßig Telemedien anbieten (§ 3 Abs. 1 und 2 TMG). aa) Anbieter von Telemedien, §§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 TMG Telemedien sind in § 1 Abs. 1 S. 1 TMG legaldefiniert als alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 TKG, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 TKG oder Rundfunk nach § 2 RStV (jetzt: § 2 MStV) sind. Grundsätzlich sind alle im Internet abrufbare Inhalte auch Telemedien.16 Der Begriff ist weit auszulegen.17 Nicht erforderlich ist eine unbegrenzte Zugänglichkeit, sodass auch schon geschlossene Nutzergruppen ausreichen.18 Daher können grundsätzlich alle Inhalte in sozialen Medien als Telemedien gewertet werden, soweit sie nicht der Individualkommunikation dienen.19 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn sich das fragliche Angebot nicht über Zahlungen seiner Nutzer, sondern über Werbeeinnahmen finanziert.20
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KG, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386, Rn. 73. Ebd., Rn. 74. 14 Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 4, Rn. 9; Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, TMG § 3, Rn. 44. 15 Martiny, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, TMG § 3, Rn. 44. 16 Müller-Broich, in: Müller-Broich, 1. Aufl. 2012, TMG § 1, Rn. 6. 17 Ebd.; Spindler, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 2, Rn. 2. 18 Altenhain, in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2019, TMG § 2, Rn. 4; Spindler, in: Spindler/ Schmitz/Liesching, TMG mit NetzDG – Kommentar, 2. Aufl. 2018, TMG § 1 Rn. 14. 19 Müller-Broich, in: Müller-Broich, 1. Aufl. 2012, TMG § 1, Rn. 8. 20 EuGH, Urteil vom 11.09.1014 – C-291/13, ECLI:EU:C:2014:2209, Sotiris Papasavvas ./. O Fileleftheros Dimosia Etaireia Ltd u.a., Rn. 26 ff. 13
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Kapitel 5: Schranken der Verweisung
Diensteanbieter im Sinne des § 2 Nr. 1 TMG ist jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. Maßgeblich ist dafür, wer über das Internetangebot hinsichtlich des Inhalts und des Bereithaltens entscheiden kann.21 Irrelevant sind hingegen technische Aspekte, also ob fremder oder eigener Speicherplatz in Anspruch genommen wird oder wessen Werbung angezeigt wird.22 Der Anbieter eines Telemediums ist das „Gegenstück“ zum Nutzer des Telemediums, sodass alle Beteiligten zur Ermöglichung des Telemediums zu den Anbietern zu zählen sind, beispielsweise auch die Betreiber einer Facebook-Seite.23 Bei veröffentlichten Inhalten in sozialen Medien sind mehrere Akteure an dem Telemedium beteiligt, die als Anbieter des Telemediums in Betracht kommen, – nämlich der Nutzer, der den konkreten Inhalt gestaltet und veröffentlicht, und der Plattformbetreiber, der die erforderliche Infrastruktur stellt und die Abrufbarkeit ermöglicht und kontrolliert. Anbieter des Telemediums ist zunächst der Betreiber der Plattform, der das Bereithalten eines Nutzerbeitrags ermöglicht. Betreiber von sozialen Medien gehören daher zu den Anbietern von Telemedien.24 Doch auch Nutzer, die über eine Plattform veröffentlichen, sind hinsichtlich ihrer einzelnen Inhalte Anbieter von Telemedien.25 Entscheidend hierfür ist, ob der Nutzer über das 21
LG Stuttgart, Urteil vom 27.06.2014 – 11 O 51/14, MMR 2014, 674 (675), im Rahmen der Impressumspflicht nach § 5 TMG; Martini, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 2, Rn. 7; Müller-Broich, in: Müller-Broich, 1. Aufl. 2012, TMG § 1, Rn. 6, TMG § 2, Rn. 1. 22 Martini, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 2, Rn. 7; MüllerBroich, in: Müller-Broich, 1. Aufl. 2012, TMG § 1, Rn. 6, § 2, Rn. 1; Spindler, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 2, Rn. 2. 23 Martini, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 2, Rn. 7a; Spindler, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 2, Rn. 2 24 So auch die Wertung in § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG. Explizit für Facebook KG, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16, ZEV 2017, 386, Rn. 71; VG Hamburg, Beschluss vom 03.03.2016 – 15 E 4482/15, ZD 2016, 243 (244); Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (48); Ricke, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 1, Rn. 12. Allgemein BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 = NJW 2009, 2888 – spickmich.de, Rn. 12 (zu Bewertungsplattformen); Handel, MMR 2017, 227 (230); Jandt/ Roßnagel, ZD 2011, 160 (162); Jotzo, MMR 2009, 232 (23); Kremer, RDV 2014, 73 (74); Nordmeier, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 3, Rn. 5; Ricke, in: Spindler/ Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 1, Rn. 12. M. Weller, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 3, Rn. 3. Karg/Fahl, K&R 2011, 453 (456 f.), differenzieren zwischen den einzelnen Funktionen eines sozialen Netzwerks, wobei dies im Ergebnis nichts an der Einordnung als Telemediendienst ändert. 25 Martini, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 2, Rn. 7 f.; wohl auch Spindler, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 2, Rn. 2, der aber eine Ausnahme für ausschließlich persönliche Zwecke macht. Unklar bleibt allerdings, was darunter fällt und wie sich dies begründet.
A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
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Bereithalten und den Inhalt des Internetangebots entscheiden kann, insbesondere, ob er dabei einen Gestaltungsspielraum hat.26 Für § 2 Nr. 1 TMG ist es unbedeutend, mit welcher Häufigkeit und zu welchem Zweck Telemedien angeboten werden; auch privates und unentgeltliches Anbieten ist erfasst.27 Ausdrücklich bejaht wurde dies beispielsweise für die sog. FacebookSeiten.28 Auch das Profil eines Anwalts auf Xing stellt ein eigenes Informations- und Kommunikationsangebot dar und ist daher ein Telemedium.29 Somit gilt, dass ein Nutzer sozialer Medien dann Diensteanbieter ist, wenn er einen Inhalt veröffentlicht – sei es das eigene Profil oder eine für mehrere Andere einsehbare Veröffentlichung. Somit sind sowohl der veröffentlichende Nutzer als auch der Plattformbetreiber Anbieter von Telemedien. Mehrere Akteure als Anbieter für denselben Inhalt zu werten ist unproblematisch, soweit es sich nach außen erkennbar nicht um einen einheitlichen Auftritt handelt.30 Das ist bei sozialen Medien gegeben: Für den wahrnehmenden Nutzer ist erkennbar, dass die Inhalte sowohl einen Tätigkeitsbeitrag des Plattformbetreibers als auch des Nutzers, der den Inhalt verfasst und abrufbar gestellt hat, erfordern. Es ist ersichtlich, dass beide den Inhalt kontrollieren. Irrelevant ist, ob der Anbieter – hier also der veröffentlichende Nutzer – im Innenverhältnis gegenüber einem Plattformbetreiber wiederum als Dienstenutzer anzusehen ist.31 bb) Geschäftsmäßigkeit, § 3 Abs. 1 und 2 TMG Der Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzip des § 3 TMG setzt darüber hinaus die Geschäftsmäßigkeit des Anbietens von Telemedien voraus, worunter eine nachhaltige Tätigkeit unabhängig von der Gewinnerzielungsabsicht zu verstehen ist.32 Ausgenommen sind private Gelegenheitsgeschäfte.33 Geschäftsmäßigkeit erfordert keine Entgeltlichkeit des Angebots, sondern lässt 26 LG Stuttgart, Urteil vom 27.06.2014 – 11 O 51/14, MMR 2014, 674 (675), im Rahmen der Impressumspflicht nach § 5 TMG. 27 Altenhain, in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2019, TMG § 2, Rn. 4; Spindler, in: Spindler/ Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 2, Rn. 2. 28 VG Schleswig, Urteil vom 09.10.2013 – 8 A 218/11, BeckRS 2013, 56676, m.w.N.; LG Aschaffenburg, Urteil vom 19.08.2011 – 2 HK O 54/11, MMR 2012, 38; LG Regensburg, Urteil vom 31.01.2013 – 1 HK O 1884/12, MMR 2013, 246 (247); Altenhain, in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2019, TMG § 2, Rn. 8. 29 LG Stuttgart, Urteil vom 27.06.2014 – 11 O 51/14, MMR 2014, 674 (675), im Rahmen der Impressumspflicht nach § 5 TMG. 30 OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2013 – I-20 U 145/12, NJW-RR 2013, 1305 (1306); Martini, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 2, Rn. 7a; Spindler, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 2, Rn. 3. 31 Martini, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 2, Rn. 7a. 32 Begründung RegE BT-Drs. 14/6098, S. 17. 33 Ebd.
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schon eine Drittfinanzierung beispielsweise durch das Schalten von Werbung genügen.34 Dies dürfte bei den meisten Betreibern von Plattformen unproblematisch gegeben sein, sodass diese in den Genuss des Herkunftslandprinzips des § 3 TMG kommen.35 Anders hingegen bei den Nutzern sozialer Medien: Auch wenn sie als Veröffentlichende von Inhalten im Internet Anbieter von Telemedien sind, kann die Anwendbarkeit des Herkunftslandprinzips gem. § 3 TMG aber scheitern, soweit dieses Anbieten nicht geschäftsmäßig erfolgt. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Nutzer, die die Plattformen zur privaten Meinungsäußerung nutzen, fallen jedenfalls nicht in den Anwendungsbereich. Den meisten Nutzern kommt das Herkunftslandprinzip gem. § 3 TMG daher nicht zugute.36 2. Ausnahmetatbestände Eine bedeutende Einschränkung erfährt das Herkunftslandprinzip in Bezug auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen in § 3 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 TMG, wonach innerstaatliches Recht, das dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient, auch dann Anwendung findet, wenn der fragliche Anbieter seine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat hat. Dazu zählt auch die Verhütung, Ermittlung, Aufklärung, Verfolgung und Vollstreckung von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen (§ 3 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 lit. a aa. bbb. TMG). Der Begriff der Menschenwürde entspricht in diesem Zusammenhang nicht dem verfassungsrechtlichen Verständnis, welches Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde liegt, sondern ist im Kontext der Richtlinie autonom auszulegen.37 Wie der Begriff der Menschenwürdeverletzung im Kontext der eCommerce-RL allgemein und für Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Speziellen zu verstehen ist, ist bislang ungeklärt.38 Die Ausnahmen des § 3 Abs. 5 gelten nicht pauschal, sondern verlangen eine Interessenabwägung im Einzelfall.39 Im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist daher eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht auf der einen Seite und den Kommunikationsfreiheiten auf der anderen Seite
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Nordmeier, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 3, Rn. 7; Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 13. 35 Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (48); Spindler, GRUR 2018, 365 (366). 36 I.E. ebenso Heiderhoff, in: Dethloff/Nolte/Reinisch, 2016, S. 35 (49); Jandt/ Roßnagel, ZD 2011, 160 (162). 37 Paal, ZEuP 2016, 591 (606); Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 75. 38 Krit. Paal, ZEuP 2016, 591 (606). 39 Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 56; M. Weller, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 3, Rn. 30 ff.
A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
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vorzunehmen.40 Einigkeit besteht darin, dass das ermittelte Deliktsstatut vom Herkunftslandprinzip wegen der Verletzung der Menschenwürde einer konkreten Person unberührt bleibt, wenn es sich um eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt.41 Denkbar wäre, einen Vorrang des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Äußerungsdelikten vor dem Herkunftslandprinzip dann zu bejahen, wenn ein Straftatbestand verletzt ist. Denn grundsätzlich sei der Verweis auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung in § 3 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 TMG so zu verstehen, dass Straftaten darunter fallen.42 3. Zusammenfassende Bestandsaufnahme Das Herkunftslandprinzip in § 3 TMG ist keine Kollisionsnorm, erlegt aber ein sachrechtliches Beschränkungsverbot auf, nämlich dass das anwendbare Deliktsrecht nicht strenger sein darf als die rechtlichen Vorgaben im Niederlassungsstaat. Insgesamt erweist sich der Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien als komplex. Grundsätzlich sind sowohl die Betreiber sozialer Medien als auch deren Nutzer, soweit sie Inhalte veröffentlichen, Anbieter von Telemedien im Sinne des § 2 Nr. 1 TMG. Das Herkunftslandprinzip findet aber immer dann keine Anwendung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen, wenn die Niederlassung nicht in einem Mitgliedstaat der EU liegt (§ 3 Abs. 2 TMG), das Anbieten von Telemedien nicht geschäftsmäßig erfolgt (§ 3 Abs. 2 TMG) oder eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, sodass die Menschenwürde einer konkreten Person im Sinne der eCommerce-RL durch die innerstaatlichen Gesetze geschützt wird (§ 3 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 TMG). III. Kritik am Herkunftslandprinzip In seiner gegenwärtigen Form ist das Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL Gegenstand von vielfacher Kritik. Diese reicht von Zweifeln, ob Art. 3 ECRL überhaupt mit dem EU-Primärrecht vereinbar ist,43 bis zu der Annahme, dass 40
Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 75. Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2011, S. 211 f.; Naskret, Das Verhältnis zwischen Herkunftslandprinzip und Internationalem Privatrecht in der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, 2003, S. 186; Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 416 f.; Sack, EWS 2011, 513 (514); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 01.08.2021, EGBGB Art. 40, Rn. 41; Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 75; G. Wagner, in: NKBGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 40, Rn. 54. 42 Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 59. 43 Siehe dazu Soehring, in: Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, Unterlassungsanspruch, Rn. 30.32; Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 5 ff., m.w.N. 41
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Kapitel 5: Schranken der Verweisung
die eCommerce-RL nie dafür gedacht gewesen sei, das Thema der Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Plattformbetreiber zu behandeln.44 Die zentralen Aspekte werden im Folgenden dargestellt und diskutiert. 1. Fehlende Mindestharmonisierung Ein Herkunftslandprinzip bringt die Gefahr mit sich, dass Unternehmen sich gezielt dort niederlassen, wo die rechtlichen Regelungen für sie am günstigsten sind. Daher ist ein solcher Rechtsanwendungsbefehl nur dann geeignet, wenn das Sachrecht mindestharmonisiert wird und somit ein einheitlicher rechtlicher Standard unabhängig von der Niederlassung garantiert ist. Zwar schafft die eCommerce-RL einheitliche Standards für manche Fragen des Telemedienrechts. Allerdings greift das Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL deutlich über diesen harmonisierten Bereich hinaus. Das Herkunftslandprinzip wird daher problematisch gesehen, soweit es nicht mit einer Harmonisierung der betroffenen Bereiche einhergeht.45 Faktisch sei somit das nationale Recht desjenigen Mitgliedstaats, das die geringsten Anforderungen an die Telemedien stellt, der europäische Mindeststandard.46 Der Bereich des deliktsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit ist dann auch betroffen, denn es gibt keine Harmonisierung in der Europäischen Union und sie ist auch bis auf Weiteres nicht zu erwarten.47 Dies stellt die Rechtfertigung des Herkunftslandprinzips für den Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen grundsätzlich in Frage. 2. Keine Technologieneutralität Die Geltung des Herkunftslandprinzips für Telemedien hat zur Folge, dass das im Ergebnis maßgebliche Recht für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung von der verwendeten Technologie abhängt. Gerade Zeitungen, die ihre Artikel nicht nur online, sondern auch in ihrer gedruckten Version veröffentlichen, kommt das Herkunftslandprinzip nicht zugute.48 Das bedeutet, dass unabhängig von der Ausgestaltung der Kollisionsnorm für Persönlichkeits44 Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II) – Work in progress, Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.05.2011, PE452.555v01-00, S. 8. 45 v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (476 f.); Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 557; Nordmeier, in: Spindler/Schuster, 4. Aufl. 2019, TMG, § 3, Rn. 3; Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 1; M. Weller, in: BeckOK InfoMedienR, 34. Ed. 01.02.2021, TMG § 3, Rn. 1. 46 Hoeren, Internetrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. 557; Naskret, Das Verhältnis zwischen Herkunftslandprinzip und Internationalem Privatrecht in der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, 2003, S. 186. 47 v. Hinden, in: FS Kropholler, 2008, S. 573 (582 f.). 48 Heinze, EuZW 2011, 947 (950).
A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
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rechtsverletzungen im Deliktsrecht entgegen der häufig formulierten entsprechenden Forderung49 das anwendbare Recht nicht technologieneutral ermittelt werden kann. Dieselbe Veröffentlichung kann daher faktisch gleichzeitig unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen, wenn sie parallel online und gedruckt erscheint. 3. Zweifelhafte Differenzierungen Die Anwendung des Herkunftslandprinzips ist ein Vorteil für den Anbieter von Telemedien, weil sich dieser auf den Standard an seiner Niederlassung verlassen kann. Dieser Vorteil gilt aber nur für geschäftsmäßig agierende Anbieter, nicht für zu privaten Zwecken handelnde natürliche Personen in derselben Rolle. Soweit man bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine Anknüpfung an den Erfolgsort befürwortet, können also Verbraucher, die sich in sozialen Medien äußern, mit der Ermittlung fremden Rechts belastet sein, wohingegen Unternehmer davon befreit sind. Angesichts des hohen Schutzes des Verbrauchers im gesamten Privatrecht der EU (z.B. Art. 6 Rom I-VO) erscheint diese Schlechterstellung bedenklich und nur schwer nachvollziehbar. Auch ist eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung schwierig, wenn man bedenkt, dass es sich bei den Veröffentlichungen durch Nutzer um eine Betätigung im Rahmen der Meinungsfreiheit handeln kann.50 Spindler fordert daher, das Herkunftslandprinzip insbesondere für Äußerungen auf Plattformen auf private Nutzer auszudehnen, um solche Wertungswidersprüche zu vermeiden. Noch unverständlicher erscheint diese Differenzierung im persönlichen Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips angesichts der faktischen Möglichkeit zur einseitigen Rechtswahl durch die Wahl der Niederlassung. Angesichts der fehlenden Harmonisierung des materiellen Rechts besteht die Gefahr, dass zumindest die großen Anbieter von Telemedien sich gezielt denjenigen Mitgliedstaat für ihre Niederlassung suchen, der ihnen die meisten Freiheiten lässt. Natürliche privat handelnde Personen hingegen werden ihren gewöhnlichen Aufenthalt höchst wahrscheinlich nicht nach diesen Kriterien wählen. Geschäftsmäßige Anbieter kommen also nicht nur in den Genuss ihres Umweltrechts, sondern sind räumlich deutlich flexibler, als dies privat handelnde Personen sind, sodass ihnen faktisch eine einseitige Rechtswahlmöglichkeit zukommt. 49 Siehe nur v. Bar/Mankowski, IPR II, 2. Aufl. 2019, § 2, Rn. 65; v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; v. Hinden, ZEuP 2012, 940 (950); ders., FS Kropholler 2008, S. 573 (580); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1684); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (507); Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 314 f. 50 Krit. zur Ungleichbehandlung Spindler, in: Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, TMG § 3, Rn. 16.
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Kapitel 5: Schranken der Verweisung
4. Tatsächlicher Vorteil? Dank des Herkunftslandprinzips sollen sich die geschäftsmäßigen Anbieter von Telemedien auf den rechtlichen Standard ihres Niederlassungsstaats verlassen können und so Hemmnisse innerhalb des digitalen Binnenmarkts abgebaut werden.51 Es erscheint aber fraglich, ob dieser Vorteil der Rechtssicherheit im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen überhaupt besteht. So ist doch im Einzelfall zu prüfen, ob eine Verletzung der Menschenwürde in richtlinienkonformer Auslegung gem. § 3 Abs. 5 Nr. 1 TMG vorliegt. Da dieser Ausnahmetatbestand bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen jedoch in den meisten Fällen im Raum stehen dürfte, geht die erzielte Rechtssicherheit letztlich wieder verloren. Der Vorteil für die geschäftsmäßigen Anbieter von Telemedien durch die generelle Geltung des Herkunftslandprinzips im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist daher als gering zu bewerten. IV. Abschließende Stellungnahme Das Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL ist für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien in seiner gegenwärtigen Form in jeder Hinsicht problematisch. In seinem Anwendungsbereich ist es unüberschaubar komplex, benachteiligt zudem privat handelnde Personen und ist im Regelfall eine Frage des Einzelfalls, was zu zusätzlicher Rechtsunsicherheit führt. Aufheben könnte man diese Probleme und Widersprüche theoretisch dadurch, dass man – zumindest für Schädiger mit Niederlassung in der EU – generell eine Handlungsortsanküpfung als deliktsrechtliche Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen formuliert. Abgesehen davon jedoch, dass dies zu einem gespaltenen Kollisionsrecht führen würde, sprechen gegen eine Handlungsortsanküpfung auch die oben dargelegten Bedenken.52 Und selbst Lutzi der sich grundsätzlich für eine Handlungsortanknüpfung ausspricht, möchte bei strukturell schwächeren Gegenparteien gleichwohl zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts der betroffenen Person hiervon abweichen.53 Also selbst der für den Schädiger freundlichste aktuelle Vorschlag sieht keine vergleichbare Bevorzugung der Plattformbetreiber vor, wie sie gegenwärtig durch die eCommerce-RL geschaffen wird. Doch auch wenn man die bestehenden Widersprüche hinnimmt, führt das Herkunftslandprinzip als sachrechtliche Beschränkung zu unzumutbaren Belastungen für die geschädigte Person. Denn diese ist gleichermaßen mit Unsicherheiten ob der im Einzelfall tatsächlich relevanten Rechtsordnung konfrontiert. Darüber hinaus bedeutet die Befreiung des Plattformbetreibers 51 EuGH, Urteil vom 25.10.2011 – C-509/09 u.a., ECLI:EU:C:2011:685, eDate Advertisting GmbH ./. X u.a., Rn. 56. 52 Siehe oben S. 162–167. 53 Lutzi, Private International Law Online, 2020, Rn. 5.62 ff., 5.94.
A. Das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG
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von Rechtsermittlungspflichten durch die grundsätzliche Anwendung seines Niederlassungsrechts, dass diese Pflichten dadurch den betroffenen natürlichen Personen auferlegt werden – und das, obwohl der Löschungsanspruch gegen den Plattformbetreiber insbesondere bei einem anonymen Schädiger oder gar einer Vielzahl von Schädigern die effektivste Möglichkeit im einstweiligen Rechtsschutz bietet. Somit stellt das Herkunftslandprinzip letztendlich eine erhebliche Belastung für einen effektiven Persönlichkeitsschutz dar.54 Nun könnten diese Nachteile dadurch gerechtfertigt sein, dass das Herkunftslandprinzip im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen für eine Verringerung der Hindernisse im Binnenmarkt erforderlich ist. Wie aber gezeigt, ist es gerade in diesem Bereich äußerst fragwürdig, ob den geschäftsmäßigen Anbietern von Telemedien tatsächlich ein Vorteil daraus erwächst, der die entstehenden Belastungen für die geschädigten Personen rechtfertigen könnte. Aus einer Gesamtschau der eben angeführten Aspekte folgt, dass das Herkunftslandprinzip jedenfalls in seiner gegenwärtigen Form nicht gerechtfertigt werden kann und nicht haltbar ist. Daher ist es dringend erforderlich, die Verletzungen des Persönlichkeitsrechts vom Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzip generell auszunehmen. Dieser Bereich ist deshalb unbedingt in den Anhang zur eCommerce-RL (Ausnahmen im Rahmen von Artikel 3) und dementsprechend in die Bereichsausnahmen in § 3 Abs. 3 TMG aufzunehmen. Der Vorschlag der EU-Kommission über einen Digital Services Act soll die eCommerce-RL in manchen Aspekten ersetzen, sieht aber keine Überarbeitung des Herkunftlandsprinzips in seiner derzeitigen Fassung vor.55 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat aber bereits angemerkt, dass das Herkunftslandprinzip „zahlreiche Mängel“ aufweist.56 Insofern besteht durchaus Aussicht, dass die Reichweite des Herkunftslandprinzip im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine gründliche Erörterung erfährt.
54 Ebenso Naskret, Das Verhältnis zwischen Herkunftslandprinzip und Internationalem Privatrecht in der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, 2003, S. 186. 55 Die eCommerce-RL soll abgesehen von den Haftungsregeln der Art. 12–15 von der geplanten Verordnung unberührt bleiben (Art. 1 Abs. 5 lit. a und Art. 71 des Entwurfes), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final. 56 Stellungnahme Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, 27.04.2021, abrufbar unter .
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Kapitel 5: Schranken der Verweisung
B. Ordre public B. Ordre public
Im traditionellen IPR sind Kollisionsnormen neutral im Blick auf das anzuwendende Sachrecht, denn in einem ersten Schritt ist von der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen auszugehen.57 Bei der Anwendung ausländischen Rechts sind jedoch inhaltliche Grenzen zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat in der sog. Spanier-Entscheidung festgehalten, dass die Geltung der Grundrechte des Grundgesetzes nicht von den Kollisionsnormen des IPR, bei denen es sich ja um einfach-gesetzliche Regelungen handelt, abhängt.58 Auch bei der Anwendung ausländischen Rechts bleiben die deutschen Behörden und Gerichte an die Verfassung gem. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG gebunden.59 Dementsprechend sieht Art. 6 EGBGB vor, dass ausländische Rechtsnormen unangewendet bleiben, wenn das Anwendungsergebnis mit wesentlichen inländischen Grundsätzen, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist. Ziel des ordre public-Vorbehalts ist nicht die abstrakte Kontrolle ausländischer Normen, sondern eine konkrete Ergebniskontrolle im Einzelfall.60 Voraussetzung ist daher, dass das Ergebnis der Rechtsanwendung mit den grundlegenden innerstaatlichen Werten und Grundregeln offensichtlich unvereinbar und damit also schlechthin nicht tragbar ist. Zudem muss ein hinreichender Inlandsbezug des konkreten Sachverhalts gegeben sein.61 Dabei gilt die Relativität des ordre public: Je stärker der Verstoß gegen inländische Grundsätze ist, desto geringer sind die Anforderungen an den Inlandsbezug.62 Auch im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen steht die Anwendung ausländischen Rechts unter dem Vorbehalt, dass das Ergebnis im Einzelfall nicht offensichtlich gegen wesentliche Grundsätze des Gerichtsstaats verstößt. Ein solcher Verstoß kann denkbar sein, sowohl, weil das anzuwendende ausländische Recht aus innerstaatlicher Sicht die Persönlichkeit der betroffenen Person völlig unzureichend schützt, als auch, weil die Grundrechte des Anspruchsgegners in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt werden; 57 v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 6, Rn. 1, m.w.N.; v. Hoffmann/ Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 2 Rn. 50. 58 BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58 = NJW 1971, 1509 (1511). 59 Ebd. 60 v. Hein, in: Jung, Die private Durchsetzung von öffentlichem Wirtschaftsrecht, 2018, S. 23 (27); v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 6, Rn. 32, 126 ff.; Schulze, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom II-VO Art. 26, Rn. 4, 11 ff. 61 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2006 – 1 BvL 1/04 u.a., BVerfGE 116, 243 = NJW 2007, 900, Rn. 73. Siehe dazu v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 6, Rn. 199 ff. 62 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2006 – 1 BvL 1/04 u.a., BVerfGE 116, 243 = NJW 2007, 900, Rn. 73; v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 6, Rn. 205.
B. Ordre public
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neben der Meinungsfreiheit sind hier auch Presse-, Rundfunk-, Kunst- und Religionsfreiheit zu nennen.63 I. Rechtsquellen Ein Verstoß gegen den ordre public ist sowohl im Vertrags- als auch im Deliktsrecht denkbar. Im Vertragsrecht ist Art. 21 Rom I-VO maßgeblich; hier ist die Bedeutung des ordre public insbesondere wegen der Vorschriften zum Schutz der strukturell schwächeren Partei jedoch gering.64 Im Deliktsrecht des Persönlichkeitsschutzes sind gegenwärtig Art. 40 Abs. 3 EGBGB sowie der allgemeine Art. 6 EGBGB die einschlägigen Normen. Sofern der europäische Gesetzgeber in der Zukunft eine einheitliche Kollisionsnorm für Persönlichkeitsrechtsverletzungen in der Rom II-VO schafft, formuliert wiederum Art. 26 Rom II-VO einen generellen ordre public-Vorbehalt. Die Europäische Kommission schlug zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens zur Rom II-VO vor, dass ein Gericht von der Anwendung des Rechts am Erfolgsort zugunsten der lex fori absehen könne, wenn das Einzelfallergebnis ansonsten mit der Meinungs- und Informationsfreiheit des Gerichtsstaats unvereinbar wäre.65 Allerdings geht eine solche Klausel über einen allgemeinen ordre public-Vorbehalt nicht hinaus. Denn auch hier sollte nicht von üblichen Voraussetzungen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung – hinreichender Inlandsbezug und Offensichtlichkeit – abgewichen werden, um nicht faktisch eine unmittelbare Anwendung der lex fori zu haben. Daher hätte ein solcher spezieller Vorbehalt allein eine Hinweisfunktion und wäre somit nicht erforderlich.66 Diana Wallis brachte im Rahmen des Ergänzungsvorschlags zur Rom IIVO im Jahr 2012 einen speziellen ordre public-Vorbehalt ins Spiel, wonach ein Urteil nicht den Grundrechten im Herkunftsstaat des Veröffentlichenden widersprechen dürfe.67 Zugunsten des Veröffentlichenden käme dann der 63 Auf die Religionsfreiheit in diesem Zusammenhang hinweisend Hess, JZ 2012, 189 (189). 64 Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 3, Rn. 12; ders., in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 4, Rn. 11; ders., in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Rom I-VO Art. 6, Rn. 8. 65 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), 22.07.2003, KOM(2003) 427 endg., S. 38 (Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO-E). 66 Ebenso v. Hein, Von Hein on Rome II and Defamation, 19.07.2010, ; zu Art. 6 Rom II-VO-E Huber/ Bach, IPRax 2005, 73 (78); Meier, JPIL 12 (2016), 492 (507); generell v. Hein, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 6, Rn. 36, 79. 67 Working Document on the amendment of Regulation (EC) No 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations (Rome II), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Diana Wallis, 23.06.2010, PE443.025v01-00, S. 8 f.; ähnlich Vorschlag des
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ordre public eines Drittstaats zu Anwendung. Dieser solle nicht schon bei einer Abweichung vom einfachen Recht des Handlungsortsstaats greifen, sondern nur, wenn tatsächlich Grundrechte verletzt wären. Allerdings kann auch diesem Vorschlag nicht gefolgt werden. Denn dies würde die Gefahr mit sich bringen, dass letztlich im Regelfall eben doch das Recht des Handlungsorts Anwendung finden würde, was aus den oben ausgeführten Gründen nicht interessengerecht ist.68 Insbesondere würde eine solche Regelung Unternehmen dazu einladen, ihre Hauptniederlassung gezielt in solche Staaten zu verlegen, in denen die Meinungs- und Pressefreiheit besonders stark geschützt ist. Unklar wäre überdies, ob dieser spezielle ordre public-Vorbehalt zum Schutz des sich Äußernden dann absolut gilt oder wiederum bei einem Verstoß gegen den inländischen ordre public wegen einer gravierenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts zurückstehen müsste. Außerdem folgt das hier unterstütze Anknüpfungssystem69 aus einem Abwägungsprozess, der im Wege einer verstärkten Einzelfallbetrachtung Raum für die Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Veröffentlichenden lässt. Dieses sollte nicht durch einen einseitigen ordre public-Vorbehalt zugunsten einer Partei beeinträchtigt werden. Schließlich ist zu bedenken, dass der ordre public im Heimatstaat des Veröffentlichenden dann meist auch noch im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung Berücksichtigung finden kann. In der DSGVO ist kein allgemeiner ordre public-Vorbehalt vorgesehen. Das ist überzeugend, da die DSGVO selbst nicht zur Anwendung drittstaatlichen Rechts führen kann.70 Eine entfernt verwandte Regelung aber wurde mit Art. 85 DSGVO geschaffen, wonach die Kommunikationsgrundrechte durch mitgliedstaatliche Regelungen gewährleistet werden.71 Allerdings soll Art. 85 DSGVO nicht die öffentliche Ordnung des Gerichtsstaats gegen das eigentlich anwendbare Recht durchsetzen, sondern delegiert einen sachrechtlichen Aspekt an die Mitgliedstaaten. Maßgeblich sind dabei auch die Unionsgrundrechte und nicht die mitgliedstaatlichen Standards.72
Deutschen Rats für IPR zur Überarbeitung der Rom II-VO, abgedruckt bei A. Junker, RIW 2010, 257 (259); krit. Perreau-Saussine, Perreau-Saussine on Rome II and Defamation, 21.07.2010, . 68 Siehe oben S. 162–167. 69 Siehe oben S. 247–254. 70 Art. 3 DSGVO ist eine einseitige Kollisionsnorm, siehe oben S. 333–335. 71 Siehe oben S. 31 f. 72 Ausführlich dazu siehe Albrecht/Janson, CR 2016, 500 ff. Ferner Frey, in: Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2020, DSGVO Art. 85, Rn. 14 ff.; StenderVorwachs/Lauber-Rönsberg, in: BeckOK DatenschutzR, 38. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 85, Rn. 10 f.
B. Ordre public
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II. Bedeutung des ordre public-Vorbehalts für Persönlichkeitsrechtsverletzungen Während der ordre public-Vorbehalt grundsätzlich nur als Ausnahme- und Notfallvorschrift im IPR konzipiert ist, steht er dagegen bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen eigentlich immer im Raum, da die Thematik zwangsläufig grundrechtlich geschützte Positionen auf beiden Seiten betrifft. Bei Anwendung eines gerichtsfremden Erfolgsortsrechts garantiert der ordre publicVorbehalt die Vermeidung von unerträglicher Härte zulasten des sich Äußernden, der im Rahmen der Meinungsfreiheit des Gerichtsstaats handelte.73 Hinzu kommt, dass sich die nationalen Rechtsordnungen bei der Güterabwägung als auch bei den vorgesehenen Abhilfemöglichkeiten unterscheiden, sodass Abweichungen vom einfachen Recht bei der Anwendung ausländischen Rechts regelmäßig vorkommen können. Dem ordre public kommt somit entscheidende Bedeutung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu, und das sowohl bei der Anwendung ausländischen Rechts als auch bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen.74 Gelegentlich ist der Literatur eine Tendenz zu entnehmen, dass die Bedeutung des ordre public für Persönlichkeitsrechtsverletzungen zurückgedrängt werden müsse, weil er das Interessengleichgewicht einer wohl gewichteten Anknüpfungsnorm gefährde.75 Dem ist so nicht zuzustimmen. Der ordre public-Vorbehalt für Extremfälle ist eine verfassungsrechtliche Absicherung, wenn ausländisches Äußerungsrecht zur Anwendung kommt. Gerade angesichts der großen Unterschiede ist es nicht nur nicht unerwünscht, sondern vielmehr notwendig, dass eine ordre public-Kontrolle stattfindet. Dessen ungeachtet muss der Gefahr entgegengetreten werden, dass über den ordre public-Vorbehalt die Gerichte vorschnell bei geringen Abweichungen ihr eigenes Sachrecht anwenden. Aus diesem Gedanken heraus sind die Vorbehaltsklauseln im europäischen als auch im autonomen IPR so formuliert, dass sie nur eine restriktive Anwendung in krassen Fällen zulassen und nicht zum Türöffner für die lex fori werden. Im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzungen scheint diese Gefahr besonders groß, weil die Grenzen des Sagbaren eng mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Selbstverständnis verknüpft sind.76 Essentiell ist daher, dass die restriktiven Grenzen – Offensichtlichkeit des Verstoßes und hinreichender Inlandsbezug – beachtet werden. 73
v. Hoffmann, in: Staudinger (2001), EGBGB Art. 40, Rn. 62. de Miguel Asensio, REDI 72 (2020), 205 (206). 75 So Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im Internationalen Privatrecht, 2014, S. 263. Dahingehend auch Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 286. 76 Kenny/Heffernan, in: Stone/Farah, Research Handbook on EU Private International Law, 2015, S. 315 (316); Kuipers, GLJ 12 (2011), 1681 (1682). 74
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Kapitel 5: Schranken der Verweisung
Bislang kommt es nur selten zu einer ordre public-Kontrolle in Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, was insbesondere daran liegt, dass die Gerichte in der Regel bereits ihr eigenes Recht anwenden.77 Beispielhaft kann aber eine aufsehenerregende 78 Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2018 herangezogen werden.79 Zwar erging die Entscheidung im Rahmen der Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Gerichtsentscheidung gem. Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO und nicht bei der Anwendung ausländischen Rechts. Gleichwohl zeigt diese Entscheidung anschaulich, wie es selbst innerhalb des europäischen Rechtsraums zu so großen Unterschieden bei der Handhabung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommen kann, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen den ordre public in Betracht kommt. Anhand eben dieser Entscheidung werden im Folgenden Leitlinien für eine ordre public-Kontrolle entwickelt. 1. BGH 2018 Der BGH entschied, dass ein Anspruch nach polnischem Recht, wonach die beklagte Medienanstalt eine vorformulierte Stellungnahme und Entschuldigung nach vorgegebenen Maßgaben hätte veröffentlichen müssen, offensichtlich gegen Art. 5 Abs. 1 GG und damit gegen den deutschen ordre public verstößt.80 Hintergrund des Falls war, dass das ZDF auf seiner Internetseite eine Fernsehsendung mit einem Text ankündigte, in dem auch von der „Entdeckung der polnischen Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz“ die Rede war. Nach Beanstandung berichtigte das ZDF diesen zu „Entdeckung der deutschen Vernichtungslager auf polnischem Gebiet Majdanek und Auschwitz …“. Ergänzend wurde eine offizielle Entschuldigung auf der Webseite veröffentlicht. Zudem erhielt der spätere Antragssteller, der sich als Überlebender eines Vernichtungslagers in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sah, ein individuelles Entschuldigungsschreiben. Das Appellationsgericht Krakau verurteilte das ZDF darüber hinaus dazu, für 30 Tage auf der Startseite seines Internetauftritts einen vorformulierten Text gerahmt und in Fettschrift zu veröffentlichen, wonach es die Geschehnisse bedauere und um 77 Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 273. 78 Kellermann, „Für uns ist das ein einziger großer Skandal“ – Klage aus Polen gegen ZDF, 27.08.2018, ; Fehlerhafter Bericht über den Holocaust – BGH entscheidet zugunsten ZDF, 22.08.2018, . 79 BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254 – Deutsche Vernichtungslager in Polen. 80 Ebd., Rn. 15 ff. Zust. Klöpfer/Ramić, NJW 2018, 3257; Sonnentag, LMK 2018, 412876.
B. Ordre public
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Entschuldigung beim Antragssteller bitte. Das ZDF verlangte nun die Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung. Der BGH gab dem ZDF Recht, weil die polnische Entscheidung offensichtlich mit dem inländischen ordre public unvereinbar sei.81 Dabei richtete sich der BGH nicht gegen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Programmankündigung, sondern gegen die Anspruchsausfüllung. So käme es beim ordre public-Vorbehalt nicht auf die Begründung, sondern auf das Ergebnis an. Insbesondere dürfe ein Verstoß gegen den inländischen materiellen ordre public nicht schon deshalb angenommen werden, weil man nach eigenem Recht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre; vielmehr müsse das Ergebnis wegen eines Widerspruchs gegen die inländischen Gerechtigkeitsvorstellungen schlechthin untragbar sein.82 Das Ergebnis der polnischen Entscheidung verlange dem ZDF ab, eine fremde Meinung als eigene auszugeben, was offenkundig gegen die negative Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verstoße.83 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BGH greife ein rechtlicher Zwang, sich eine fremde Meinung zu eigen machen zu müssen, in das Recht auf freie Meinungsäußerung ein.84 Dies sei offensichtlich unzumutbar und daher unverhältnismäßig.85 2. Leitlinien Der Entscheidung ist klar zu entnehmen, dass, auch wenn verfassungsrechtlich garantierte Rechtspositionen involviert sind, nicht schon deshalb ein Verstoß gegen den ordre public angenommen werden darf, weil die lex fori ein anderes Ergebnis gefunden hätte.86 Vielmehr muss das gefundene Ergebnis für die nationale Werteordnung schlechthin unerträglich sein. Das hat der BGH im fraglichen Fall deshalb bejaht, weil die Rechtsfolge des Anspruchs gegen die negative Meinungsfreiheit verstoßen hätte. Bemerkenswert ist, dass der BGH nicht geprüft hat, wie stark die negative Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, sondern dass eine solche Rechtsfolge, wie sie das polnische Urteil vorgesehen hatte, grundsätzlich nicht denkbar ist. Daraus folgt, dass jedenfalls dann ein Verstoß gegen den inländischen ordre public vorliegt, wenn das Ergebnis unter Anwendung ausländischen Rechts 81
BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254, Rn. 15 ff. – Deutsche Vernichtungslager in Polen. 82 Ebd., Rn. 14. 83 Ebd., Rn. 17 ff., 21. 84 Ebd., Rn. 21. 85 Ebd., Rn. 22 ff. 86 Oster, Kommunikationsdeliktsrecht, 2019, S. 420 f.; BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254, Rn. 14 – Deutsche Vernichtungslager in Polen.
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mit der inländischen Grundordnung schlechthin unvereinbar ist, ohne dass es auf die Einzelheiten des Falls ankäme. Neben einem verfassungsrechtlich unzulässigen Aufzwängen fremder Meinungen, wie es in diesem Fall geschehen ist, könnte man ähnlich wohl auch im Falle der eindeutigen Schmähkritik argumentieren, die nicht in den sachlichen Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG fällt. Selbstverständlich steht dies unter dem Vorbehalt, dass ein hinreichender Inlandsbezug gegeben ist. Hingegen ist das gefundene Ergebnis nach Anwendung ausländischen Rechts dann kein offensichtlicher Verstoß gegen die inländische Werteordnung, wenn eine umfassende Güterabwägung erforderlich ist.87 Wenn ein Sachverhalt nach nationalem Sachrecht nicht eindeutig ist, kann sich daraus keine international zwingende Wirkung ergeben, denn dann liegt schon kein offensichtlicher Verstoß vor. III. Zusammenfassung Der ordre public-Vorbehalt ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufgrund der grundrechtsrelevanten Thematik besonders essentiell. Eine spezielle Vorbehaltsklausel ist dafür aber nicht erforderlich. Vielmehr genügen die allgemeinen Normen des Art. 6 EGBGB, Art. 21 Rom I-VO und Art. 26 Rom II-VO. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz ist es aber von besonderer Bedeutung, dass im Rahmen der ordre public-Kontrolle Zurückhaltung geübt wird. Schlichte Abweichungen vom einfachen Recht genügen nicht. Vielmehr muss das Ergebnis angesichts eines hohen Inlandsbezugs vor den inländischen Grundwerten offensichtlich und schlechthin untragbar sein. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn nach nationalem Recht erst eine Abwägung im Einzelfall erforderlich ist.
87 Ebenso Kerpen, Das Internationale Privatrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 2003, S. 290.
Kapitel 6
Schlussbetrachtungen Mit dieser Arbeit sollten ein Einblick in die Vielschichtigkeit des Themenkomplexes der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien aus kollisionsrechtlicher Sicht gegeben und mögliche Lösungsansätze perspektivisch aufgezeigt werden. Prägend für diese Fälle sind die generellen Schwierigkeiten der kollisionsrechtlichen Behandlung eines nicht-körperlichen Rechtsguts, die hohe Bedeutung der dabei betroffenen Grundrechte, die typische Beteiligung mehrerer Parteien sowie die Vielfältigkeit der sich hieraus ergebenden möglichen Konstellationen. Abschließend werden nun im Folgenden die gefundenen Ergebnisse dargestellt (A.), Schlussfolgerungen für die Koordination der tangierten Rechtsbereiche gezogen (B.) und ein Ausblick auf die weitere Entwicklung gegeben (C.).
A. Ergebnisse A. Ergebnisse
Die vorstehenden Ausführungen haben eingehend gezeigt, wo im geltenden internationalen Vertrags-, Delikts- und Datenschutzrecht in Bezug auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen Unklarheiten bestehen und auf welchen Wegen man diesen begegnen kann. Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse zu der aufgeworfenen Fragestellung, welches Recht auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien Anwendung findet, zusammengefasst. Das internationale Vertragsrecht ist insbesondere für das Verhältnis zwischen dem Betreiber einer Plattform und ihren Nutzern maßgeblich, da diese in aller Regel in einer vertraglichen Verbindung zueinander stehen. Das Interesse der Betreiber ist dahingehend, dass alle Plattformverträge so weit wie möglich demselben Recht unterliegen. Dies kann grundsätzlich gem. Art. 3 Rom I-VO im Wege der Rechtswahl erzielt werden. Nicht möglich ist dies allerdings bei Verbraucherverträgen. Zwar ist gem. Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch hier eine Rechtswahl zulässig, die Rechtsfolge ist aber lediglich ein Günstigkeitsvergleich zwischen der gewählten Rechtsordnung und jener am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers. Aufgrund der erhöhten Anforderungen an die Formulierung einer Rechtswahlklausel für Verbraucherverträge sehen in der Praxis die AGB der meisten Plattformen mittlerweile überhaupt keine Rechtswahl für Verbraucherverträge mehr vor. Es kommt also gem.
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Kapitel 6: Schlussbetrachtungen
Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers zur Anwendung, sofern der räumlich-situative Anwendungsbereich eröffnet ist, was bei sozialen Medien praktisch immer der Fall ist. Die Nutzung sozialer Medien lässt sich häufig nicht eindeutig einer privaten Nutzung im Sinne eines Verbraucherhandelns zuordnen, weil private und beruflich-gewerbliche Inhalte ineinanderfließen. Zur Schaffung größerer Rechtssicherheit und zur Vereinfachung wird in dieser Arbeit angeregt, bei Plattformverträgen über die Nutzung sozialer Medien grundsätzlich zu vermuten, dass es sich um einen Verbrauchervertrag handelt, außer bei speziellen Unternehmerkonten oder wenn die Plattform inhaltlich ausdrücklich auf eine gewerblich-berufliche Nutzung ausgerichtet ist. Außerdem können auch die Nutzer einer Plattform selbst zueinander in einer vertraglichen Beziehung stehen. Im Blick sind hier Kauf- oder Dienstleistungsverträge, die über eine Vermittlungsplattform geschlossen werden. Sofern zwischen den Parteien nichts anderes vereinbart ist (Art. 3 Rom I-VO) und kein Verbrauchervertrag vorliegt (Art. 6 Rom I-VO), kann eine offensichtlich engere Verbindung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO zu jenem Recht angenommen werden, das kraft Rechtswahl bereits für die jeweiligen Plattformverträge mit dem Betreiber der Vermittlungsplattform gilt. Ob Ansprüche vertraglich zu qualifizieren sind, richtet sich nach der Natur der Verpflichtung, deren Verletzung geltend gemacht wird. Im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen kommen hier zunächst Ansprüche der beeinträchtigten Person aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gegen ihren Vertragspartner wegen einer mutmaßlich verletzenden Veröffentlichung in Betracht. Ansprüche eines Nutzers gegen den Plattformbetreiber auf Wiederherstellung einer bereits entfernten Veröffentlichung sind nach jüngster Rechtsprechung nicht mehr auf §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB, sondern auf § 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB zu stützen. In beiden Fällen hängt die Qualifikation maßgeblich davon ab, ob der jeweilige Anspruch im Kern auf eine Vertragsklausel gestützt wird oder sich unabhängig vom konkreten Vertrag aus dem Gesetz ergibt. Entscheidend ist dabei, inwieweit der Plattformbetreiber Kommunikationsgrenzen setzen darf, indem er beispielsweise Bewertungen des Vertragspartners einem Sachlichkeitsgebot unterstellt oder etwa für sämtliche Kommunikation innerhalb eines sozialen Netzwerks ein Verbot von Hassrede aufstellt. Das internationale Deliktsrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist von einer gescheiterten Harmonisierung auf europäischer Ebene (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO) und einer intensiven Diskussion in Rechtsprechung und Wissenschaft zu diesem Themenkomplex geprägt. Nach Würdigung der Vor- und Nachteile bestehender Vorschläge sowie der unterschiedlichen Interessenlagen in sozialen Medien wurde hier der Vorschlag gemacht, zukünftig die folgende dreistufige Grundanknüpfung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorzusehen:
A. Ergebnisse
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1. Auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch eine Veröffentlichung von Inhalten findet das Recht des Staates Anwendung, in welchem nach objektiven Kriterien das größte Interesse an dem angegriffenen Inhalt zu erwarten war. 2. Sofern ein Interesse in mehreren Staaten in vergleichbarem Ausmaß zu erwarten war und der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person in einem dieser Staaten liegt, ist das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in welchem die betroffene Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat. 3. Wenn der Mittelpunkt der Interessen der betroffenen Person nicht in einem dieser Staaten liegt oder nicht ermittelt werden kann, ist stattdessen das Recht am Handlungsort anzuwenden. Durch dieses Anknüpfungsmodell werden zugleich eine vorrangige Anknüpfung an den Handlungsort, eine uneingeschränkte Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person und eine Mosaikbetrachtung auch unter Berücksichtigung des Geoblockings umfassend abgelehnt. Die hier vorgeschlagene Grundanknüpfung sollte vollständig in das Anknüpfungssystem für das Deliktsrecht in der Rom II-VO eingefügt werden. Vorrangig Anwendung findet daher das von den Parteien gewählte Recht (Art. 14 Rom II-VO) und das Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Streitparteien (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO). Im Rahmen der Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO) kann insbesondere der akzessorischen Anknüpfung an ein bereits zuvor existierendes Verhältnis zwischen den Parteien Bedeutung zukommen. Eine akzessorische Anknüpfung ist dabei sowohl an ein nur tatsächliches Verhältnis als auch an einen vorliegenden Verbrauchervertrag zulässig. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Medien kommt eine akzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und dem Nutzer in Betracht, sofern ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Plattformvertrag und der konkreten Veröffentlichung gegeben ist. Im Verhältnis zwischen den Nutzern wiederum ist eine akzessorische Anknüpfung in dem Fall denkbar, dass zwischen ihnen ein vorausgehender Vertrag bestand und die Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang damit erfolgte. Als tatsächliches vorausgehendes Verhältnis kann grundsätzlich auch gewertet werden, wenn beide Nutzer kraft ihres jeweiligen Plattformvertrags mit demselben Dritten, also dem Plattformbetreiber, verbunden sind; das tatsächliche Näheverhältnis ergibt sich in diesem Fall aus der beiderseitigen Nutzung derselben Plattform. Hier erweist sich eine akzessorische Anknüpfung aber nur dann als interessengerecht, wenn sich die Persönlichkeitsrechtsverletzung einschließlich aller Folgen ausschließlich im virtuellen Raum abspielt.
400
Kapitel 6: Schlussbetrachtungen
Neben den deliktischen Persönlichkeitsschutz tritt das Datenschutzrecht. Dieses findet auf die Tätigkeiten in sozialen Medien in sachlicher Hinsicht Anwendung, sofern sie nicht der Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten dient (Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO). Bei den Nutzern sozialer Medien kommt es dafür darauf an, ob der veröffentlichte Inhalt einem unbegrenzten Personenkreis zugänglich gemacht wurde. Datenschutzrechtliche Fragestellungen sind vorrangig über die einseitige Sonderkollisionsnorm des Art. 3 DSGVO anzuknüpfen, wobei die Reichweite der datenschutzrechtlichen Ansprüche nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich auf das Gebiet der EU beschränkt ist. Jenseits der einseitigen Kollisionsnorm des Art. 3 DSGVO und dort, wo die DSGVO materiellrechtliche Fragen des Schuldrechts offen lässt, ist für die Fragen des anwendbaren Rechts wiederum grundsätzlich Art. 4 Rom II-VO maßgeblich, sofern der DSGVO im Einzelfall nicht doch eine speziellere kollisionsrechtliche Regel entnommen werden kann. Dabei ist der Erfolgsort einer Datenschutzrechtsverletzung am gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person, sofern nicht die Datenschutzrechtsverletzung in einer Veröffentlichung liegt; in diesem Falle ist der Erfolgsort parallel zum allgemeinen Deliktsrecht der Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu bestimmen. Das auf diesem Wege ermittelte ergänzende Datenschutzrecht wiederum gilt räumlich unbeschränkt. Soweit mitgliedstaatliches Datenschutzrecht die DSGVO ergänzt, ist die jeweilige Öffnungsklausel dahingehend zu untersuchen, zu welchem Zweck sie erlassen wurde und ob dadurch eine besondere Nähe zu einem speziellen Mitgliedstaat hergestellt wird. Andernfalls bestimmen die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich ihres Rechts selbst, wobei sie nicht über das Erforderliche hinausgehen dürfen. Speziell im Falle des Medienprivilegs des Art. 85 DSGVO ist das „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt,“ mithilfe des Art. 4 Rom II-VO in der eben beschriebenen Auslegung zu bestimmen. Zukünftig könnte sich eine explizite Regelung der kollisionsrechtlichen Fragen innerhalb der DSGVO sowie eine allgemeine privatrechtliche Kollisionsregel innerhalb der Rom II-VO als hilfreich erweisen. Unbedingt erforderlich aber ist auf jeden Fall eine Änderung der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 DSGVO und dadurch eine Modifikation der Rechtsprechung zur räumlichen Reichweite des Datenschutzrechts: Das Niederlassungsprinzip des Art. 3 Abs. 1 DSGVO sollte zu einer reinen Handlungsortsanknüpfung weiterentwickelt werden, welche in ihrer Reichweite keiner räumlichen Beschränkung unterliegt. Wo hingegen das europäische Recht nach dem Marktortprinzip des Art. 3 Abs. 2 DSGVO einschlägig ist, sollte die Reichweite ausnahmslos beschränkt sein. Die Verweisung der Kollisionsnormen auf das anwendbare Sachrecht erfährt einerseits durch das Herkunftslandprinzip des Art. 3 ECRL und andererseits durch den ordre-public-Vorbehalt eine Beschränkung. Die Umsetzung
B. Koordination der Bereiche
401
des Herkunftslandprinzips in § 3 TMG kommt als sachrechtliches Beschränkungsverbot bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch den Betreibern sozialer Medien zugute; ausgenommen sind nur Fälle, die eine Verletzung der Menschenwürde darstellen. Die Nutzer sozialer Medien hingegen profitieren nicht von dieser Privilegierung. In seiner gegenwärtigen Form ist das Herkunftslandprinzip für Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht interessengerecht. Das Herkunftslandprinzip sollte daher auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen insgesamt keine Anwendung mehr finden. Der ordre-public-Vorbehalt ist bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen aufgrund der grundrechtsrelevanten Thematik besonders essentiell. Bei dessen Anwendung muss aber Zurückhaltung geübt werden. Schlichte Abweichungen vom einfachen Recht können dann für einen Verstoß nicht genügen. Erforderlich ist hier vielmehr, dass bei hohem Inlandsbezug ein Ergebnis im Einzelfall offensichtlich mit den Grundwerten unvereinbar ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn nach nationalem Recht eine Abwägung im Einzelfall erforderlich ist.
B. Koordination der Bereiche B. Koordination der Bereiche
Durch das hier angeregte Regelungssystem für Persönlichkeitsrechtsverletzungen können sowohl die untersuchten Bereiche als auch die Verhältnisse zwischen den Beteiligten bis zu einem gewissen Grad gut miteinander koordiniert werden. So führt die hier angeregte deliktische Grundanknüpfung sowohl im Verhältnis zum Plattformbetreiber als auch im Verhältnis zum Veröffentlichenden zur selben Rechtsordnung, weil die Anknüpfung nach den ersten beiden Absätzen des Vorschlags den Fokus auf den Inhalt der Veröffentlichung und die vorausgehenden und begleitenden Umstände legt. Ein Gleichlauf der Verhältnisse ist hierdurch also bereits automatisch gegeben. Dies bedeutet eine tatsächliche Entlastung für die von der Persönlichkeitsrechtsverletzung betroffene Person, die sich zur Beurteilung der Zulässigkeit einer gegen sie gerichteten Veröffentlichung mit nur einer Rechtsordnung befassen muss. Zudem unterliegt die Veröffentlichung dadurch einer einheitlichen Beurteilung, was Wertungswidersprüche vermeidet. Dieser Gleichlauf der Verhältnisse im Deliktsrecht findet freilich dann nicht statt, wenn die Voraussetzungen einer Rechtswahl, einer akzessorischen Anknüpfung oder einer Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt erfüllt sind. In der Folge muss sich die geschädigte Person Rechtsrat zu unterschiedlichen Rechtsordnungen einholen, sollte sie gegen den Plattformbetreiber und den Urheber der verletzenden Veröffentlichung parallel vorgehen wollen. Dies hat allerdings seine Berechtigung entweder in der
402
Kapitel 6: Schlussbetrachtungen
freiwilligen vertraglichen Bindung seitens der geschädigten Person selbst oder aber in der Vereinfachung aufgrund der Anwendung ihres Heimatrechts. Hingegen führt das hier vorgeschlagene Vorgehen nicht automatisch dazu, dass das deliktische Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Plattformbetreiber ebenfalls jenem Recht unterliegt, das auch für den Plattformvertrag zwischen diesem Plattformbetreiber und dem veröffentlichenden Nutzer maßgeblich ist, sofern ein Plattformvertrag im Einzelfall besteht. Deshalb ist es grundsätzlich möglich, dass der Plattformbetreiber im erstgenannten Verhältnis dazu verpflichtet ist, die fragliche Veröffentlichung zu sperren, wohingegen die auf den Plattformvertrag anwendbare Rechtsordnung dieselbe Veröffentlichung als zulässig und von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht und daher dem Nutzer grundsätzlich einen Anspruch auf Wiederherstellung der gesperrten Veröffentlichung zubilligt. Der Plattformbetreiber kann also zwei widersprüchlichen rechtlichen Wertungen hinsichtlich derselben Veröffentlichung und somit zwei gegensätzlichen rechtlichen Pflichten ausgesetzt sein. Hier muss dann die Lösung auf Ebene des Sachrechts gesucht werden. Soweit nicht der ordre public entgegensteht, muss der Anspruch auf Wiederherstellung dadurch beschränkt sein, dass er nicht die Rechte Dritter – hier etwa das Persönlichkeitsrecht in seinem durch eine fremde Rechtsordnung bestimmten Schutzumfang – beeinträchtigt. Innerhalb desselben Verhältnisses kann eine weitreichende Koordination zwischen dem Vertrags- und Deliktsrecht im Wege der akzessorischen Anknüpfung erzielt werden. Denn diese dient gerade dem Zweck, einen Gleichlauf zwischen den Rechtsbereichen herzustellen und dadurch Rechtssicherheit zu schaffen und Wertungswidersprüche zu minimieren. Möglich ist diese Form der Koordination freilich nur, soweit der konkrete Vorfall in einem hinreichend engen Zusammenhang mit dem Vertrag steht. Auch das Datenschutzrecht und das Deliktsrecht können teilweise gut miteinander koordiniert werden. Dem sind aber dadurch Grenzen gesetzt, dass sich die europäische Gesetzgebung grundsätzlich dafür entschieden hat, das Datenschutzrecht als hybride Rechtsordnung auszugestalten. Die Priorität ist daher, eine Einheitlichkeit innerhalb des Datenschutzrechts zu gewährleisten, unabhängig davon, ob es in einer öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Konstellation Bedeutung erlangt. Die Koordination des Datenschutzes mit dem Deliktsrecht wiederum hat dahinter zurückzutreten. Der Art. 3 DSGVO als zentrale Norm des datenschutzrechtlichen Kollisionsrechts hat seine Wurzeln im internationalen öffentlichen Recht und fügt sich nur begrenzt in das bestehende kollisionsrechtliche System ein. Selbst wenn man der hier angeregten Neuausrichtung der Auslegung des Art. 3 DSGVO folgt, würden das Deliktsrecht und das Datenschutzrecht nicht parallel laufen. Eine gewisse Einheitlichkeit kann aber dennoch darüber erreicht werden, dass für die kollisionsrechtlichen Fragen jenseits der DSGVO innerhalb der Rom II-VO ein
C. Ausblick
403
Gleichlauf mit dem Deliktsrecht für Persönlichkeitsrechtsverletzungen hergestellt wird.
C. Ausblick C. Ausblick
Das für Persönlichkeitsrechtsverletzungen geltende Recht hat in seiner gegenwärtigen Form mehrere Schwachstellen, die sich insbesondere dann offenbaren, wenn man die große Dynamik und die vielfältigen Konfliktkonstellationen in sozialen Medien betrachtet. Es erscheint daher dringend geboten, hier gesetzgeberisch tätig zu werden. Von zentraler Bedeutung ist es, die Lücke in der Rom II-VO zu schließen und damit für Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine einheitliche Rechtslage innerhalb der EU zu schaffen. Dabei kann das Ziel einer gerechten und vorhersehbaren Kollisionsnorm am besten über den hier vorgestellten Vorschlag erreicht werden, weil sich dieser gut in das bestehende Regelungssystem der Rom II-VO einfügt und der komplexen Sach- und Interessenlage möglichst weitgehend gerecht wird. Darüber hinaus ist es erforderlich, den Themenkomplex ganzheitlich zu betrachten. Daher sollte beispielsweise im weiteren Verfahren zum Digital Services Act nicht nur schlicht die Frage der räumlichen Reichweite aufgeworfen werden,1 sondern diese in den Gesamtkontext gestellt werden. Hierzu gehören eine Abstimmung mit Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und mit der zugehörigen Rechtsprechung des EuGH ebenso wie mit dem vertragsrechtlichen und dem datenschutzrechtlichen Kontext. Auch sollte das Herkunftslandprinzip im Digital Services Act für Persönlichkeitsrechtsverletzungen grundsätzlich überdacht werden. Persönlichkeitsrechtsverletzungen stellen für das Kollisionsrecht aufgrund der erheblich zunehmenden Kommunikation im Rahmen der sozialen Medien mehr denn je eine Herausforderung dar und bedürfen einer ausgewogenen und grundrechtssensiblen Regelung. Aufgrund der jüngsten Gesetzgebungsprojekte und der Dynamik in der Rechtsprechung des EuGH ist nun ein ausgesprochen guter Zeitpunkt, um diese Herausforderung zukunftsweisend anzugehen.
1
Art. 8 Abs. 2 lit. b, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG, 15.12.2020, COM(2020) 825 final.
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Sachregister Abruf, tatsächlicher 171 f. Abrufbarkeit 13, 171–175, 232, 248 f., 313–317 – siehe auch Mosaikbetrachtung – siehe auch Geoblocking Adressatenkreis 248 f., 252 f., 313–317 affiliate links 59 AGB 15, 41–49, 73–75, 109, 316, 356 – Beispiele 42 f., 53 f., 82–85 – Inhaltskontrolle 113 – Missbrauchskontrolle 81 f., 101, 127, 134 – Rechtswahl 81–85, 94–98, 278 f., 293, 380 f. – Transparenzkontrolle 81 f., 85 – Verhaltensvorgaben 14 f., 47 f., 110– 118 Agentur 64 Airbnb 6, 12, 75 Albanien 143, 237, 244 f. Alpenhof, siehe Pammer Amazon 75 – siehe auch VKI Anbieten von Waren oder Dienstleistungen 324–328 Andorra 332 Anerkennung und Vollstreckung 144, 214, 215 f., 392, 393, 394 f. Angehörigengeld 125 Angemessenheitsbeschluss 332 f. Anhörung 115 Anknüpfung, akzessorische 39, 95–98, 106, 108, 264–292, 362 – Anwendung 286–291 – Datenschutzrecht 357 f. – Drei-Personen-Verhältnis 270–274, 289–291 – Günstigkeitsvergleich 280–284, 287 – Rechtsnatur 267–269 – Verbrauchervertrag 274–286 – Verhältnis, tatsächliches 270–274, 289– 291
– Vertragsrecht 92 f. – Ziele 265 f. – Zusammenhang, hinreichender 269 f., 287–291 Anonymität 1, 24 f., 37, 48, 389 Ansatz, dynamischer 66–71 Anspruchskonkurrenz 265 f. Arbeitnehmer 52–54, 265, 277–284 Arbeitsvertrag 362 Argentinien 332 Arlewin 298 Aufenthalt, gemeinsamer gewöhnlicher 138, 142, 144, 146, 166, 255–261, 266 f., 289 f., 295, 355 Auffangtatbestand 166 f., 253 f. Auskunftsanspruch 17, 24, 29 Auslegung, autonome 40–49, 86 f., 89, 99, 104, 108, 115–118, 124–126, 384 Ausrichten 137, 146, 161, 181, 186, 228– 234, 285, 325–328 – Verbrauchervertrag 76–78, 98 Ausweichklausel 18 f., 86, 92 f., 95 f., 146, 158 f., 228, 262–292, 355, 357 – Regelbeispiele 267–269 Authentizität 58 f. Bay Wa, siehe Gruber Behandlungsvertrag 271 f., 289 Behörde 354 Bekanntheit 169–171, 175, 184, 187, 192 Beleidigung 23 f. Bereichsausnahme 123–136, 148 – siehe auch Haushaltsausnahme Berichtigungsanspruch 23, 28 f., 201, 214 Beruf 57 f. – siehe auch Arbeitnehmer und Verbrauchervertrag Beschäftigtendatenschutz 362 Beseitigungsanspruch 22 f., 29, 36, 140, 172 – siehe auch Löschungsanspruch Beteiligtenverhältnisse 14–17
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Sachregister
Beweislast 33, 35, 67–69, 241 – siehe auch Vermutung, widerlegliche Bewertung, negative 6, 12, 93, 107–109, 151, 288, 310 Bewertungsplattformen 13, 191, 309, 310, 313, 379 – siehe auch spickmich.de BibisBeautyPalace 59, 64 Bild, Recht am eigenen 9, 20, 139, 176 Bildbearbeitung 62 f. Bindung, rechtliche 45–49 Binnenmarkt, digitaler 213–215, 345, 378, 388 f. Blog-Eintrag 193 Bolagsupplysningen 5, 150, 177–179, 182 f., 185, 199, 201, 214, 224, 242, 298, 375 Booking.com, siehe Wikingerhof Brasilien 206, 332 Brogsitter 100–102 Bulgarien 143, 237, 244 f. Bundeskartellamt 44, 112 California Consumer Privacy Act 331 chilling effect 19, 162, 173 Cloud Computing 89 f. CNIL 201–218, 342 f., 183, 349, 351 f., 353 f., 371 f. comitas, siehe Völkerrecht Communications Decency Act 37, 216 content, user-generated 11 f., 47, 311 Cookies 30 Corman-Collins 90 cyber law 79 Dänemark 122, 160, 362 Daten – als Entgelt 43–45, 86, 90 f. – personenbezogene 308–310 Datenschutzrecht 9 f., 130–135, 203, 212, 307–377, 381 – ergänzendes mitgliedstaatliches 358– 369 – Kollisionsnorm, subsidiäre 351–356 – materielles Recht 27–32 – Rechtsnatur 333 f., 350 f. – Rom II-VO 130–135, 353–356, 368 f. Datenschutzrichtlinie 131–134, 317–320 – Anwendbarkeit, territoriale 318–320
Datenübermittlung in Drittland 332 f. Datenübertragbarkeit 29 Datenverarbeiter 308 Datenverarbeitung 10, 28, 310 f. – Rechtmäßigkeit 28, 356 Dauerschuldverhältnis 65–71, 88, 326 defamation 35, 124, 127, 143, 215 Deliktsrecht 122–306, 350 f. – Regelungssystem 122–147 – Umfang 139 Deutscher Rat für IPR 238, 261, 391 f. Dienste der Informationsgesellschaft 381– 383 Dienstleistungsvertrag 87–91 – Entgeltlichkeit 90 f. Digital Services Act 26, 37, 201 f., 203, 205, 206, 389 Divergenz 3 f., 33, 191 f., 299 Drittlandübermittlung 332 f. Drittwirkung, mittelbare 112 Druckort 154 DSGVO – siehe auch Datenschutzrecht – Ansprüche 28 f. – Anwendbarkeit, zeitliche 326 – Anwendungsbereich, räumlicher 212 f., 317–320, 320–349 – Anwendungsbereich, sachlicher 30 f., 308–317 – Anwendungsvorrang 335–338 – Bedeutung 213, 330 f. – Bereichsausnahme, siehe Haushaltsausnahme – Binnenkollisionsnorm 358–369 – Reformbedarf 317, 348, 361 – Reformmöglichkeiten 370–373 dual-use 50, 55–76 Durchschnittsnutzung 55 Ebay 6, 12, 15, 24, 55, 75, 90, 94, 98, 109 eCommerce-Richtlinie 4, 37, 179 f., 186, 202–204, 378–389 eDate 150, 176–177, 378 f. – Folgeentscheidung 190 EGBGB – Anknüpfungssystem 142 EGMR, siehe EMRK Eigentum, geistiges, siehe Immaterialgüterrecht
Sachregister Eigenwerbung 60–62, 64 Eingriffsnorm 297, 337–341, 376 Einheitsrecht 336 f., Einschränkungsanspruch 29 Einwilligung 28, 43, 356, 362–364 Einzelfallbetrachtung 183, 191–193, 211 f., 232–243, 248–254, 384 f., 388 E-Mail-Adresse 79 Empfängerkreis, siehe Adressatenkreis Emrek 78, 328 EMRK 31, 34, 36 f., 166, 214, 298 England 33, 35, 140, 143 f., 215, 300 Entgeltlichkeit 62–64 f., 88, 90 f., 383 f. Entscheidungseinklang, internationaler 302 f. Entschuldigung 36, 394 f. ePrivacy-RL 27 Equustek 216 f., 344 Erfinderpersönlichkeitsrecht 127 f. Erfolgsort 4, 167–244, 247–254 – Anzahl 192 f., 236 – Begrenzung 173–175, 194–244 – Begriff 169–173 – Datenschutzrecht 353–356 – Existenz 152 f., 168 f., 353 – Schwerpunktbetrachtung 218–243 Erfüllungsort 119 Ergebniskontrolle, siehe ordre public Erkennbarkeit 51, 70 Ermessen 34 f., 273, 279–281, 375 Ernsthaftigkeit 63 Erscheinungsort 153 f. EuInsVO 224 Europarat 331 f. Existenzgründer 59 Facebook Germany GmbH 76, 320, 322 f. Facebook 5, 11, 13 f., 29 f., 42–45, 77 f., 82 f., 313, 322 f., 329, 380 f. – siehe auch Schrems, Maximilian – Faktencheck 105 – Marketplace 326 – Marktmacht 112, 114 f. – Oversight Board 14 – Schattenprofile 329 – Seite 29 f., 65, 73, 92 f., 329 f., 382, 383 Färöer-Inseln 332
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Fashion ID GmbH & Co. KG 30, 327, 329 f. Feststellungsklage, negative 305 Finanzierungsgeschäfte 67 Follower 58 f., 62, 64 forum shopping 198, 346 Fotobearbeitung, siehe Bildbearbeitung Frankreich 140, 360, 362 Freedom of Speech 344 Freiwilligkeit 41 Freunde 13, 74, 313–317 Gefälligkeit 45 „Gefällt mir“ 25, 30, 329 Gegendarstellungsanspruch 126, 137 Genugtuung 23, 36 Geoblocking 3, 13, 168, 172 f., 182 f., 194–218, 228, 231, 240, 247–249, 254, 342–348, GeoblockingVO 77 Gerichtsstandsvereinbarung 14, 119, 297 f. Geschäftsfähigkeit 363 f. Geschäftsgeheimnis 127 Geschäftsmäßigkeit 383 f. Gestaltungsspielraum, vertraglicher 116 Gewinnerzielungsabsicht 11, 383 Glawischnig-Piesczek 26, 179 f., 183, 201–204, 208–211 Gleichlauf 136, 214, 246, 300–305, 363 Google 372 Google LLC 216 – siehe auch CNIL Google Spain 185, 318 f. Grenzen, siehe ordre public und Herkunftslandprinzip Gruber 51 f., 56, 63, 69 Grundanknüpfung, deliktische 147–255, 353–356 Grundprinzipien, kollisionsrechtliche 17– 20 Grundrechte 2, 18 f., 217 – siehe auch ordre public Grundrechte-Charta 10, 31, 132, 169, 338, 344 Gruppenvergleich 79 Gtflix 181–182 Guernsey 332 Günstigkeitsvergleich 79–81, 85, 95, 275, 280–284, 287, 342, 358
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Sachregister
Haftungsprivilegierung 26, 37, 203 Handlungsort 149–167, 247 f., 253 f., 388, 391 f. Hassrede 37, 110 Hauptniederlassung 150, 153 f., 160, 224, 360, 364–368, 392 Haushaltsausnahme 311–317, 329 Hausrecht, virtuelles 113 Herkunftslandprinzip 4, 166, 378–389, 400 f. – Anwendungsbereich 380–384 – Ausnahmetatbestände 384 f., 389 – Bewertung 388 f. – Interessenabwägung 384 f. – Kritik 385–388 – Menschenwürde 384 f. – Rechtsnatur 378 f. – sachrechtliches Beschränkungsverbot 378 f. Hochladen 155–159 Holocaust, siehe Vernichtungslager Hostprovider 26, 190, 297 f. Immaterialgüterrecht 127 f., 257–260, 295–297 Indien 332 Individualkommunikation 381 Influencer 58–65, 312 Influencer, angemaßter 59 Informationsfreiheit 6, 29, 31, 260 f., 343– 348 – siehe auch Medienprivileg – siehe auch Reichweite, räumlich Inhaltskontrolle 113 injunction 36 Inlandsbezug, hinreichender 390–391, 393, 396 Inlandsbezug, objektiver, siehe Interessenkollision Inlandsfall 79 Instagram 11, 42, 55 Institut de Droit International 144 f., 301, 304 Interessenkollision 187–193, 232–237, 252 f. – Indizien 234 Interessenmittelpunkt 177–185, 219–228 – Bestimmung 183–185, 223–225
– Unternehmen 177–179, 183–185, 224– 228, 242, 253 f. – Begründung 185, 220–222 International Law Association 145 f., 301 Interview 288 Intimsphäre 22 IPR – Relevanz 1 f., 32, 147 – Ziele 2, 17–20 Irland 83 f., 160 Isle of Man 332 Israel 332 Italien 140, 143 f., 206 Japan 143 f., 237, 332 Jersey 332 Journalismus 31 f. – siehe auch Medienprivileg Kanada 206, 216 f., 332 Karriereplattform, siehe LinkedIn und Xing Kartellrecht 117, 295–297, 357–261 Kausalität 78, 328, 356 Kenntnisnahme 9, 153, 171–173, 186, 194 f., 242 Kennzeichnungspflicht 60 f. Kernfrage 102 f. Klageerhebung 66, 68–70 Klausel, missbräuchliche 81 f., 127, 134 Klauselrichtlinie 81 f. Kohärenz 212 f., 271 Kollektivinteressen 260 f., 264, 296 Kollisionsnorm – einseitige 333–335, 351 f. – gespaltene 388 Kombinationslehre 89 Kontensperrung, siehe Wiederherstellungsanspruch Kontrahierungszwang 118 Kontrollort 159 Konvention Nr. 108, siehe Europarat Koordination 4 f., 212 f., 300, 355, 401 f. – siehe auch Anknüpfung, akzessorische koordinierter Bereich 380 Kosten, siehe Rechtsverfolgungskosten Kunstfreiheit 21, 31, 391 Landesmediengesetze 31, 367 Lauterkeitsrecht, siehe Wettbewerbsrecht
Sachregister law shopping 198, 208 Lazar 125 Leistung, charakteristische 86 Leistungsbestimmungsrecht 43 Leistungspflichten 41–45 lex causae 81, 151 lex domicilii communis, siehe Aufenthalt, gemeinsamer gewöhnlicher lex fori 143, 145 f., 256, 300–305, 391, 393, 395 lex loci delicti commissi, siehe Tatortregel libel tourism 215, 303 Lindqvist 312-317 LinkedIn 11, 42, 51, 54 f., 84, 312 Lisa and Lena 64 Lizenzvertrag 289 Löschung, weltweite, siehe Mosaikbetrachtung Löschungsanspruch 10, 23, 28 f., 179, 307 – siehe auch Beseitigungsanspruch Lugano Übereinkommen 119 Manipulationsgefahr 71, 163, 172, 239, 304, 392 – siehe auch Missbrauchsgefahr Marktmacht 112, 114, 117 Marktortprinzip 212 f., 323–332, 335, 373 Martinez, siehe eDate Medien, soziale 1–7 – Begriff 10–13 – Benutzerkonten 73–76 – Eigenschaften 12 – Formen 11 f. – Funktionen 10–12, 53 – Kontrollierbarkeit 1, 12 f., 154–156, 207 f., 347 – Telemedien 381 – Unternehmenskonto 73–76 – Verpflichtungen 41–45 Medienprivileg (Art. 85 DSGVO) 31 f., 392, 366–369, 392 Medienstaatsvertrag 31, 367, 381 Meinungsfreiheit 2, 18 f., 29, 34, 37, 110– 113, 162, 173, 197 f., 226, 246 f., 387, 391, 393 – siehe auch Medienprivileg Meinungsfreiheit, negative 36, 395 Menschenwürde 21–23, 384 f., 401 Merkel, Angela 5, 170
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Metadaten 309 Minderjährigenschutz 362–364 Mindestharmonisierung 27, 166, 203, 386 Mines de potasse d’Alsace 149 Missbrauchsgefahr 67 f., 71, 74–76, 157 f., 198 – siehe auch Manipulationsgefahr Mittelbayerischer Verlag 180 f., 227 Mobbing 16, 289 f. Mobilität 78, 158 f., 231 f., 254, 326 Modamani, Anas 5, 170 Modellgesetze 144–146, 301 Montenegro 143, 237, 244 f. Mosaikbetrachtung 145, 175–183, 194– 218, 247, 258–261, 264, 296 f., 353 f., 365, 367, 371 – siehe auch Shevill – Berechnungsprobleme 196 – Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch 200–218 Moskau, Sieben Tage in 151, 189, 192 f., 226 f., 236, 250 f. multiple publication rule 144 my-hammer.de 51 Nachbar 78 Name 9, 20, 125, 141 Netzwerkdurchsetzungsgesetz 11, 24, 110 f. Neuseeland 332 New York Times 187 f. Newsfeed 13 Nichtnutzer 10, 327–329 Niederlande 360 Niederlassungsprinzip 321–333, 371–373 notice and take down 26, 37 Nutzungsbedingungen, siehe AGB und Verhaltensregeln Nutzungsregeln, siehe AGB und Verhaltensregeln Öffnungsklausel 31, 341, 358–369 – Zwecke 361–369 Optionsrecht, siehe Wahlrecht ordre public 18, 136, 173, 297, 303, 305, 390–396 – Bedeutung 393 – Leitlinien 395 f. – Rechtsquellen 391 f.
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Sachregister
– spezieller Vorbehalt 391 f., 396 Österreich 360, 362 Overblocking 110 Pammer 77, 285, 325 Parallelveröffentlichung 386 f. – siehe auch Technologieneutralität Parteiautonomie, siehe Rechtswahl Person, juristische, siehe Unternehmenspersönlichkeitsrecht Personalstatut 140–143, 222, 363 f. Persönlichkeitsrecht – Bestandteile, vermögenswerte 21, 128 – postmortales 21, 139, 289 Persönlichkeitsrechtsverletzung – Begriff 8–10, 123–126 – deutsches Recht 20–27 – materielles Recht 20–38 – Personen 8 f. Pinterest 13, 73, 84 Plattformfälle 2, 15–17, 290 f. Plattformvertrag 39–93, 289–291 – Anknüpfung, akzessorische 286–288 – Dauerschuldverhältnis, siehe Dauerschuldverhältnis – Merkmale 41 – Rechtswahl 78–85, 287 – Verpflichtungen 41–45 Poker 63 Polen 36, 180, 394 f. Portugal 140, 143 Presse 3, 5 f., 31, 125 f., 129 f., 133, 162 f., 175 f., 182, 194, 242, 251, 386 f. Pressefreiheit 2, 31, 162 Pressegesetze 31 Primärrecht 87, 133, 385 privacy by default 313, 316 Privacy Shield 333 Privatsphäre 22 Produkthaftung 239 f. profil 150 f., 186 f. Providerhaftung 17, 26, 37 Proxy-Server 13 Prüfpflicht 26 Pseudonym 16, 47–49, 290 public figure 35 Qualifikation 40, 98–118, 123, 140–142, 265, 350 f., 360
race to the bottom 344 f. Rahmenrecht 21 Rahmenvertrag 94 „Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt“ 364–369 Rechtsbereiche 9 f. Rechtsbindungswille 45–49 Rechtsquellen 122–147 Rechtsschutz – effektiver 388 f. – einstweiliger 373, 389 Rechtsverfolgungskosten 71, 162, 164, 222 Rechtsvergleichung 32–37, 143 f., 393 Rechtswahl 94–98, 275–287, 339–342, 355, 358, 380 f. – AGB 278 f., siehe auch VKI – Datenschutzrecht 339–342 – Deliktsrecht 292–297 – einseitige 70, 163, 387, siehe auch Wahlrecht – mittelbare 274–285, 293 f. – nachträgliche 293 – stillschweigende 95–97 – überschießende 341 f. – Vertragsrecht 78–85 Reformvorschlag 135–138, 247–254, 370– 373, 391 f. Regeln, internationale 180, 203 f., 208 f. Registrierung 13 f., 41, 43, 46–49, 73 Registrierungsdaten 310 Reichweite 12, 58 f., 64 f., 311–317 – räumliche 4, 179 f., 201–218, 342–348, 353 f., siehe auch Geoblocking Religionsfreiheit 391 Reputation, virtuelle 290 f. Richtlinie über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen 44 Rom I-VO – siehe auch Vertragsrecht – Anwendungsbereich 40–49, 98–107, 115–118 – Gesetzgebungsgeschichte 336 f. Rom II-VO – siehe auch Deliktsrecht – Anwendungsbereich 98–107, 115–118, 123–135 – Bereichsausnahme 123–136, 148
Sachregister – Gesetzgebungsgeschichte 129 f., 133 f., 162 f., 284 – Reformvorschlag 135–138, 391 f. – Regelungssystem 138 f., 142, 165 f., 245 f., 257–261, 294–297 – Studie 136 f. – Überprüfungsklausel 131 f. RStV 60 Rumänien 143, 237, 245 Rundfunk 3, 31, 381, 391 Sachlichkeitsgebot 109 Sachrechtsvergleich 378 f. – siehe auch Günstigkeitsvergleich Safe-Harbor-Abkommen 332 f. Satzungssitz 224 Schadensersatzanspruch 10, 23 f., 28 f., 36 f., 181 f., 196, 199, 356–358 Schadensort 226 f. Schattenprofile 329 Schmähkritik 22, 396 Schranken, siehe ordre public und Herkunftslandprinzip Schrems, Maximilian 54 f., 65–76, 92, 307, 332 f. Schuldrecht, ergänzendes internationales 356–358 Schumacher, Michael 242, 251 Schutzbedürftigkeit 5, 54 f., 69, 74, 178, 185, 196, 221, 227, 247, 279 f. Schutzbereich 9, 22, 396 Schutzpflichtverletzungen 27, 29, 39, 80 f., 98 f., 107–118, 269 Schweden 160, 362 Schweiz 36, 143, 332 Schwerpunktbetrachtung 56, 90, 354–356 Selbstdarstellung 12, 57–59, 61 f., 65, 75, 77, 315 Selbstöffnung 22 Serverstandort 79, 151, 154 f., 160 Shevill 124, 149 f., 175 f., 182 f., 194 Sicherheit, öffentliche 366 Sieben Tage in Moskau, siehe Moskau Singapur 160 Snowden, Edward 333 Sonderbeziehung, familienrechtliche 288 Sozialsphäre 22 Spanien 143, 302 Spanier-Entscheidung 18, 390
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SPEECH Act 215 Sphären 22 spickmich.de 10, 32, 382 Spital 271, 289–291 Sprachen 12 f., 98, 191, 226, 232, 248 Staatsoberhaupt, türkisches 251 Stadionverbot 112 Strafschadensersatz 36, 196, 199 Straftat 21, 23, 24, 33, 385 Streitbeilegungsverfahren, alternatives 137, 299 Suchmaschine 77, 190 f. Südkorea 332 Syrien 5, 170 Taggen, siehe Medien, soziale Tatortregel 4, 143, 147–255, 297–300 Tatsachenbehauptung 21, 28 f., 33, 35 f. Täuschung 62 f. Technologieneutralität 144 f., 229, 254, 310, 386 f. Teilbarkeit 200–218 Teilen, siehe Medien, soziale Telegram 11 Telemedien 4, 25, 31, 381–384 Territorialitätsprinzip 258–261, 296 f. TikTok 11 Timeline, siehe Newsfeed Top-Level-Domain 98, 342, 345 Tracking 330 Trauerschmerzensgeld 125 Türkei 143, 237, 245 Twitter 11, 42, 73, 75, 83, 251 f. Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten 331 f. Übersetzung 12 f., 232, 248 – siehe auch Sprache Übertragbarkeit 254 Ubiquitätsprinzip 139, 142 f., 147, 175, 186, 246, 259, 298 ULD Schleswig-Holstein 30, 320, 366 Umweltdelikt 245, 257–261 Umwidmung 69 Ungleichbehandlung 67, 387 Unionsfall 79
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Sachregister
Unterlassungsansprüche 22, 29, 36 f., 127, 140, 160 f., 172, 177 f., 182, 194, 200 f., 206–208 Unternehmenskonto 64, 73–76 Unternehmenspersönlichkeitsrecht 8 f., 17, 21, 128–130, 177–179, 183–185, 224– 228, 242, 253 f., 309 Untersuchungsgegenstand 8–17 Upload, siehe Hochladen Urheberpersönlichkeitsrecht 20 f., 127 f. Uruguay 332 UWG 60–64, 105, 127 Verallseitigung 351 f. Veranlassung 249–252 Verantwortlicher 29–31 Verarbeitung, Daten 10, 28, 310 f. Verbraucher, aktiver 285 Verbraucherrecht-Richtlinie 56 Verbrauchervertrag 49–78, 105 f., 380 f. – Anknüpfung, akzessorische 274–286 – Rechtswahl 287, siehe auch VKI – Zuständigkeit, internationale 65–72, 119 – Zweckwandel 65–71 Verbraucherzentrale NRW e.V., siehe Fashion ID GmbH & Co. KG Verbreitung 228–232 – bestimmungsgemäße 152, 168, 175 f., 186 – gezielte 107 Vereinigtes Königreich 32, 137 f., 332 Verfahren, Recht auf ein faires 298 Verfassung 20–23, 110–118, 121, 165, 173, 260, 302 f., 305 – siehe auch ordre public Vergessen werden, Recht auf 318, 342 f. – siehe auch Löschungsanspruch Vergleichsportal 48 Verhaltensbeobachtung 328–330 Verhaltensregeln 14 f., 47 f., 110–118 Verhaltenssteuerung 245 Verhältnis, tatsächliches 270–274 Verhältnismäßigkeit 34, 67 f., 366, 395 Verjährung 356 Vermittlungsplattform 6, 39, 48, 75, 93, 95, 107 f., 288 Vermutung, widerlegliche 22, 28, 61, 75 f., 80, 146, 156 f., 161, 237, 241 f.
Vernichtungslager 180, 394 f. Veröffentlichungsort 156–159 Verpflichtungen, vertragliche 41–45, 102– 105, 350 f. Versand 98 Verschulden 23, 28, 33, 35 Versteigerungsplattform 93–95 – siehe auch Ebay Vertrag – Begriff 40–49, 99–107 – typengemischter 88 typengemischter 88 Vertragsänderung, stillschweigende 67 Vertragsrecht 39–121 – siehe auch Anknüpfung, akzessorische Vertragsschluss 66, 69–71 Vertrauen, gegenseitiges 214 f. Vertrauensschutz 70 Vertraulichkeit des Kommunikationspartners 316 Vertriebsort 195 Verwertungsrechte 45, 86, 315 f. VKI 81–85, 127, 134, 276, 282, 285, 319, 358 Völkerrecht 204, 208–211, 331 f., 348 Vollstreckung 162, 215 f. – siehe auch Anerkennung Vorbereitungshandlungen 151 f., 157 Vorfrage 39, 103, 140 f., 335 f., 339, 356– 358 Vorhersehbarkeitsvorbehalt 143, 146, 237–243 Vorverhalten 249–252, 290 VPN-Client 13 Wahlrecht 244–247, 252 f., 258 f., 261, 302, 305 Weltimmo 319, 321 Werbung 43, 59–61, 91, 326 f., 381, 382, 384 Werte, siehe ordre public Wettbewerbsrecht 60 f., 64, 126–128, 257–261, 263, 295–297 Whatsapp 11 Widerruf, Anspruch auf 23 Widerspruch, Recht auf 29 Wiederherstellungsanspruch 27, 108, 110– 118, 288 Wikingerhof 101–107, 116–118, 350
Sachregister Willkürverbot 114 Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, siehe ULD Schleswig-Holstein Wissenschaftsfreiheit 31 – siehe auch Medienprivileg Xing 11, 53 f., 383 YouTube 1, 11 f., 59, 84, 110, 310 f. ZDF 31, 394 f.
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Zeitung, siehe Presse Ziele, kollisionsrechtliche 17–20 Zu-Eigen-Machen 25 Zufälligkeiten 158 f., 172 Zugänglichkeit 311–317 – siehe auch Abrufbarkeit Zurechnung 25, 356 Zuständigkeit, internationale 119 f., 214, 297–305, 373–375 Zuständigkeit, örtliche 119 Zweckwandel 65–71