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German Pages 262 Year 2014
Orsolya Friedrich Persönlichkeit im Zeitalter der Neurowissenschaften
KörperKulturen
Orsolya Friedrich (Dr. med. Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Ludwig-MaximiliansUniversität München.
Orsolya Friedrich
Persönlichkeit im Zeitalter der Neurowissenschaften Eine kritische Analyse neurowissenschaftlicher Eingriffe in die Persönlichkeit
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INHALT
Vorwort | 7 I Einleitung | 9 II Denkstil | 15 III Persönlichkeit und Autonomie: Ein Bezugspunkt | 21 IV Denkstilabhängige Bestimmung von Persönlichkeit | 37 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Philosophische Debatte über personale Identität | 38 Physisches Kriterium | 39 Psychisches Kriterium | 56 Erste-Person-Perspektive | 62 Denkstilcharakteristika der Debatte über personale Identität | 67
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Neurowissenschaften und Psychologie | 69 Terminologische Bestimmung in den Neurowissenschaften | 69 Persönlichkeit in der Psychologie | 75 Zusammenfassung der terminologischen Überlegungen | 83 Wissensgewinnung | 85 Krankheitsbestimmung | 122
V Ethische Überlegungen zu Denkstilen der Persönlichkeit | 155 1 1.1 1.2
Verschiedene Formen von Eingriffen in die Persönlichkeit | 155 Veränderung »psychischer Funktionen« | 157 | 161 Ansatz am Körper
2
Abwägungsmöglichkeit mithilfe der Vier-Prinzipien-Ethik | 162
3 3.1 3.2
Autonomie als Argumentationsgrundlage | 167 Verbesserung der Autonomiefähigkeit | 168 Einwilligung und Autonomieverzicht | 182
4 4.1
Wohltun und Nichtschaden als Argumente | 187 Verlust personaler Identität und körperliche Unversehrtheit | 187 Künstliche Natürlichkeit? | 190 Moralische Erziehung und Nutzenerwägungen | 197
4.2 4.3
5.2 5.3
Ein deontologischer Versuch | 202 Vollkommene und unvollkommene Pflichten gegen sich selbst | 203 Verstümmelung | 208 Verantwortung | 212
6
Macht-Wissens-Verhältnisse | 217
5 5.1
VI Pflicht zur Aufklärung über Denkstile der Neurowissenschaften | 227 Literaturverzeichnis | 239
Vorwort
Dieses Buch stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die ich 2010 an der LMU München an der Fakultät für Philosophie eingereicht habe. An erster Stelle gilt mein Dank dem Betreuer meiner Dissertation, Wilhelm Vossenkuhl, für seine unendliche Geduld und für seine freundliche Förderung. Für finanzielle Unterstützung möchte ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft danken, die mir die Teilnahme am Graduiertenkolleg »Bioethik« am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen (IZEW) ermöglicht hat, und dem MentoringProgramm der LMU München für die Hilfe beim Druckkostenzuschuss. Folgenden Personen möchte ich zudem herzlich danken für diverse Anregungen, Korrekturen, Beistand und andere hilfreiche Unterstützungen in der Zeit der Promotion und in der Überarbeitungsphase: Matei Bellu, Cordula Brand, Brigitte Dax, Eve-Marie Engels, Hans Förstl, Bert Heinrichs, Jan-Hendrik Heinrichs, Leonie Herz, Florian Horn, Annette Keck, Georg Marckmann, Sonja Majkowski, Matthias Nörtemann, Bärbel Philipp, Thomas Potthast, Sebastian Schleidgen, Sabine Seidel, Stephan Sellmaier, Dieter Sturma, Lisa Tambornino, Wolfgang Trauth, Urban Wiesing. Ohne meine Familie und insbesondere ohne meinen Mann wäre die Arbeit nicht möglich gewesen; ihm gilt mein größter Dank, auch für die Unterstützung bei der Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit.
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Einleitung
Diese Untersuchung geht der These nach, dass sowohl das Verständnis als auch der Umgang mit Persönlichkeit und deren Störungen von wissenschaftlichen Denkstilen abhängen. Dabei zeigt sie auf, wie solche Denkstile aktuell charakterisiert werden könnten, und unternimmt eine ethische Analyse hierzu. Die Persönlichkeit – was ist das? Viele Menschen werden sich spontan in der Lage fühlen, aus ihren alltagssprachlichen Erfahrungen heraus eine Antwort auf diese Frage zu formulieren. Dabei ergeben sich Vorschläge wie: ªPersönlichkeit ist der Charakter eines Menschen©, oder: ªPersönlichkeit beschreibt, wie eine Person sich in einem spezifischen Kontext verhält.© Solche Antworten dürften in den meisten Lebensbereichen und Situationen hilfreich sein, sodass für den Alltagsgebrauch keine präzisere Definition des Phänomens Persönlichkeit gesucht werden muss. Das Verständnis, das diese Auffassungen von Persönlichkeit widerspiegelt, lässt es zu, individuelles Verhalten einzelnen Personen zuzuordnen. In der Philosophie kann zwar an ein alltagssprachliches Verständnis angeknüpft werden, um den Begriff der Persönlichkeit zu erörtern; meist folgen jedoch weitere Klärungsversuche. Eine Analyse des Begriffs scheint derzeit besonders wichtig, da dieser durch die Entwicklungen der Neurowissenschaften stark an Bedeutung gewinnt. Viele medizinische, aber auch philosophisch-ethische Erklärungs- und Rechtfertigungsansätze neurowissenschaftlicher Fragen erfolgen nämlich unter Verwendung dieses Begriffs. Allerdings wird der Begriff der Persönlichkeit in unterschiedlichen Disziplinen, aber auch innerhalb einer Disziplin, häufig verschieden interpretiert und benutzt. Zwar greifen viele Modelle von Persönlichkeit auf das obige Alltagsverständnis zurück, mit dem ein langfristiges individuelles
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Verhalten einzelner Personen ausgedrückt wird. Die kleineren und größeren interdisziplinären und innerdisziplinären Unterschiede im Verständnis von Persönlichkeit führen jedoch zu erheblichen Problemen, wenn es um die Auseinandersetzung mit den diffizilen normativen Fragen geht, die die Neurowissenschaften aufwerfen. Beispielsweise ist eine genaue Vorstellung von Persönlichkeit von höchster Bedeutung, wenn individuelle Verhaltensweisen oder Eigenschaften einer Persönlichkeit als ªunerwünscht© gelten und mithilfe neurowissenschaftlicher Mittel verändert oder beseitigt werden sollen. Die Notwendigkeit einer genaueren Bestimmung des Phantoms Persönlichkeit scheint sich bisher primär in den Theorien der Persönlichkeitspsychologie niederzuschlagen. Zum einen sind diese Theorien sehr verschieden, zum anderen wurzeln sie ihrerseits in bestimmten Vorannahmen hinsichtlich etwa des Menschenbildes, des wissenschaftlichen Vorgehens zur Erfassung von Persönlichkeit und der Konsequenzen zu Veränderungsmöglichkeiten einzelner Eigenschaften. Die Neurowissenschaft muss für ihre Rechtfertigungsstrategien also auch dann transparent machen, von welchem Bild der Persönlichkeit sie ausgeht und warum, wenn sie sich auf einzelne Theorien der Persönlichkeitspsychologie bezieht. Führt man die Möglichkeiten der Neurowissenschaften, Persönlichkeit zu verändern, einer ethischen Analyse zu, dann lautet die dabei leitende Frage, wie diese Veränderungen zu bewerten sind. Um diese Frage befriedigend klären zu können, muss im Vorfeld jedoch untersucht und bewertet werden, welche Grundannahmen die Neurowissenschaften bezüglich Persönlichkeit treffen. Diese Grundannahmen bestimmen nämlich auch die wissenschaftliche Wahrnehmung und deren Verarbeitung in Bezug auf eine Veränderung. Damit spielen sie auch für die ethische Analyse neurowissenschaftlichen Umgangs mit Persönlichkeit eine Rolle. Zunächst sind terminologische Grundannahmen zu klären. Die dabei betrachteten Theorien personaler Identität liefern über die Bestimmung potenzieller Kriterien personaler Identität auch wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung des Persönlichkeitsverständnisses dieser Arbeit. Im Zuge der Auseinandersetzung mit den maßgeblichen Autoren werden auch begriffliche Konsequenzen aus den historischen Entwicklungen der Termini Person und Persönlichkeit ersichtlich. Die untersuchten Theorien stehen zudem in Zusammenhang mit Abwägungen, inwieweit Veränderungen von Personen mit neueren neurowissen-
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schaftlichen Methoden erwünscht sind. Sie legen also nicht nur Kriterien fest, wie personale Identität zu bestimmen sei, sondern liefern auch Überlegungen, wie bestimmte Veränderungsmöglichkeiten personaler Eigenschaften im Hinblick auf personale Identität zu beurteilen sind. Damit erleichtern sie spätere Untersuchungen dazu, wie Eingriffe in Persönlichkeiten vor dem Hintergrund des Primats des Schutzes ihrer Integrität zu bewerten sind. Um charakteristische terminologische Grundannahmen bezüglich Persönlichkeit weiter darzustellen, werden ferner Theorien der Persönlichkeitspsychologie betrachtet. Aus diesen terminologischen Überlegungen ergibt sich ein neues Verständnis von Persönlichkeit. Dieses ist eng mit Vorstellungen von Autonomie verwoben. Die Entwicklung einer Persönlichkeit geht auch nach Annahmen der Psychologie, aber auch vieler philosophischer Schulen, gewöhnlich mit Entwicklungsprozessen moralischer Urteilsfähigkeit und mit bestimmten Stufen der Selbstbestimmung einher. Dieser Zusammenhang ist beispielsweise bei präventiven Maßnahmen zur Veränderung einzelner Eigenschaften ebenso relevant wie bei therapeutischen Eingriffen im Bereich der Neurowissenschaften, aber auch bei der juristischen Beurteilung von Schuldfähigkeit. Der Zusammenhang zwischen Autonomie und Persönlichkeit und bestimmten Grundannahmen seitens der Neurowissenschaft bezüglich Autonomie wird im Rahmen der ethischen Analysen erneut aufgegriffen. Ein weiteres Feld von Grundannahmen, die es zu untersuchen gilt, betrifft die Art und Weise, wie Persönlichkeit und ihre potenzielle Veränderungen wissenschaftlich erfasst werden. Entwicklungen innerhalb der Neurowissenschaften scheinen die gesellschaftliche Annahme zu fördern, dass Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit erfasst werden könnte und einzelne Eigenschaften einer Persönlichkeit in objektiven Verfahren bestimmt sowie durch neurowissenschaftliche Methodik einer Veränderung zugeführt werden könnten. Dabei gilt es jedoch zunächst zu beleuchten, wie Wissen über Aspekte der Persönlichkeit entsteht und was wir über Veränderungen von Persönlichkeit wissen können. Die Anstrengungen, biologische Funktionszusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und naturwissenschaftlichen Befunden zu finden und zur Typisierung von Persönlichkeiten objektive bzw. verallgemeinerbare Aussagen mit reduzierter Komplexität zu treffen, sind zumeist pragmatischer und praktischer Natur und haben Leidminderung zum Ziel. Sie suggerieren aber gleichzeitig Antworten auf
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psychophysische Fragen, die nicht selbstverständlich sind. Für eine hinreichende ethische Analyse neurowissenschaftlicher Eingriffe in die Persönlichkeit müssen auch solche psychophysische Annahmen reflektiert werden. Es ist ferner zu klären, von welchem Krankheitskonzept innerhalb der Neurowissenschaften ausgegangen wird, wenn von Pathologien der Persönlichkeit die Rede ist. Im Bereich von Persönlichkeitspathologien könnte nämlich für die Neurowissenschaften ein breites Handlungsfeld liegen. Welche Vorstellungen von Krankheit vorherrschen, wird in diesem Feld die ethischen Aussagen entsprechend beeinflussen. Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften ªgesunder© Persönlichkeiten ziehen in etlichen ethischen Debatten (etwa um ªEnhancement©) ablehnendere Aussagen nach sich als im Falle pathologisch begutachteter Persönlichkeiten. Gibt es eine neurowissenschaftliche Basis dafür, unerwünschte Verhaltensweisen mit neuroanatomischen oder neurobiologischen Erkenntnissen in Zusammenhang zu bringen, ist eine ethische Auseinandersetzung mit den damit aufkeimenden Möglichkeiten nicht einfach, wenn die normative Legitimität dieser Möglichkeiten mit der Feststellung von Krankheit bereits geklärt scheint. Aufgrund der gesellschaftlichen Legitimation eines in sich relativ geschlossenen Diagnose- und Therapiesystems der Medizin (als Feld der Neurowissenschaft) ist es für die Ethik dann erschwert, Bedenken bezüglich mancher Eingriffe jenseits der Grenze ªKrankheit© zu äußern. Hierzu müsste sie die Deutungshoheit der Medizin über Krankheit infrage stellen und sich womöglich vorwerfen lassen, Leiden nicht lindern zu wollen – ein Unterfangen, das zumindest die Kommunikation zwischen Philosophie und Medizin nicht befruchten dürfte. Hier wird, ohne die Deutungshoheit der Medizin infrage stellen zu wollen, hinsichtlich ethischer Überlegungen erörtert, auf welchen Grundlagen das Krankheitsverständnis im Bereich der Persönlichkeit beruht. Die vermeintliche Trennschärfe für normative Entscheidungen schwindet damit, dafür gewinnt die Analyse an Transparenz. Im Rahmen der ethischen Überlegungen werden zudem verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, was unter einem Eingriff zur Veränderung einer Persönlichkeit verstanden werden kann. Ebenso werden mögliche Rechtfertigungsstrategien für diese Eingriffe erörtert. Zuletzt münden die Analysen in einem Entwurf verantwortungsvollen Handelns bezüglich neurowissenschaftlicher Eingriffe in die Persönlichkeit. Dabei dominiert stets die ursprüngliche These der Arbeit, dass sowohl das Verständnis als auch der
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Umgang mit Persönlichkeit und deren Störungen von wissenschaftlichen Denkstilen abhängen.
II Denkstil
Es ist Ziel dieser Arbeit, die These aufzugreifen und einer Untersuchung zuzuführen, dass das Verständnis und der Umgang mit Persönlichkeit von wissenschaftlichen Denkstilen abhängen. Bevor analysiert wird, welche Denkstilcharakteristika im aktuellen Verständnis von Persönlichkeit ausgemacht werden können, und bevor diese Charakteristika einer ethischen Bewertung unterzogen werden, muss im Vorfeld geklärt werden, was Denkstile sind. Dabei wird auf Ludwik Flecks Begriff des Denkstils und seine Beschreibungen dazu Bezug genommen, da dabei für diese Arbeit angestrebte Aussagen am besten getroffen werden, seine Darlegung den Begriff geprägt und zudem viele Theorien beeinflusst hat, wie etwa die von Thomas Kuhn. Unter einem Denkstil kann nach Fleck allgemein verstanden werden: ª[…] gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen […]©.1 Fleck veröffentlichte 1934 sein Werk ªEntstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache©. In diesem zunächst wenig beachteten Buch fasst er Wissenschaft nicht als ein rein formales Konstrukt auf, sondern als eine Tätigkeit, die von einer Gemeinschaft der Forscher durchgeführt wird.2 Die beeindruckenden Ideen Flecks zum Denkstil und zum Denkkollektiv fanden allerdings erst 1962 – Fleck verstarb 1961 in Israel – durch das Vorwort in Kuhns ªThe Structure of Scientific Revolution© Be-
1
Fleck 1980, S. 130.
2
Vgl. Fleck 1980, S. VII f.
16ŇP ERSÖNLICHKEIT IM Z EITALTER DER N EUROWISSENSCHAFTEN
achtung in der Wissenschaftstheorie. Kuhn verweist auf Fleck als wesentlichen Einfluss seines Denkens.3 Charakteristisch für den Denkstil sind gemeinsame Problemmerkmale, evidente Urteile, die Methoden der Erkenntnis und der technische Stil des Wissenssystems. Der Denkstil unterliegt Entwicklungen, gibt aber zu einem bestimmten Zeitpunkt den Denkzwang vor, dem das Kollektiv unterliegt. 4 Das Denkkollektiv entspricht dabei dem gemeinschaftlichen Träger des Denkstils. In einem Denkstil sind die Überzeugungen (teils unartikuliert) der Wissenschaftler eines Denkkollektivs verankert. Wissen kann als Spezifikum eines Denkkollektivs verstanden werden.5 Ein Denkkollektiv ist weniger einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zuzuordnen, es spiegelt vielmehr einen funktionellen Begriff wider. Weiter kann zwischen zufälligen, momentanen und mehr oder minder stabilen Denkkollektiven unterschieden werden. Dabei können die stabileren Denkgemeinschaften durch eine gewisse inhaltliche und formelle Abgeschlossenheit charakterisiert werden. Damit erfolgt innerhalb der Denkgemeinschaft auch eine Wertung der Probleme als wichtig oder unwichtig. Die Eingeweihten des Denkkollektivs stellen durch Vertrauensentwicklung die Beziehungen der Kollektivteilnehmer zum Denkstil her. Gleichzeitig sind die Eingeweihten von der öffentlichen Meinung und von der gedanklichen Solidarität Gleichgestellter abhängig. Daher schafft das Vertrauen in die Eingeweihten auch gleichgerichtete soziale Kräfte, die Solidarität für Denkgebilde erzeugen.6 Denkstil als Begrifflichkeit steht in diesem Sinne in einem engen Kontext mit Beschreibungen Foucaults zu Diskursen und zum Dispositiv, die wiederum mit Macht in Zusammenhang gebracht werden. Bei der Begrifflichkeit von Diskurs und Dispositiv wird die Verschränkung von Macht und Wissen deutlicher als im Fall von Denkstilen.7 Zunächst geht es hier darum,
3
Vgl. Fleck 1980, S. IX und S. XLVI.
4
Vgl. Fleck 1980, S. 130 ff.
5
Vgl. Fleck 1980, S. 132 ff.
6
Vgl. Fleck 1980, S. 135 ff.
7
Für eine Zusammenfassung der verschiedenen Stränge und Entwicklungen der Forschungen zum Diskurs und Dispositiv siehe Bührmann, Schneider 2008. »Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören«; Foucault 1981, S. 170. Unter diskursiver Praxis ist wiederum zu verstehen: »[…] Gesamtheit von anonymen, historischen,
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die Art und Weise der Gerichtetheit der Wahrnehmung und deren Verarbeitung bei der Bestimmung von Eigenschaften einer Persönlichkeit und deren Pathologien herauszustellen.8 Besonderes Augenmerk verdient dabei auch die Anwendung des Denkstils: ªJedes Denken ist anwendbar, da die Überzeugung, ob eine Vermutung zutrifft oder nicht, auch eine Denktätigkeit verlangt. Die Bewahrheitung ist also ebenso denkstilgebunden wie die Voraussetzung. Denkzwang, Denkgewohnheit oder wenigstens ausgesprochener Widerwille gegen denkstilfremdes Denken bewahren die Harmonie zwischen der Anwendung und dem Denkstil.©9
Der Denkzwang, dem das Denkkollektiv zu einem bestimmten Zeitpunkt unterliegt, beherrscht somit auch potenzielle moralische Konflikte in puncto Persönlichkeit. Um nur ein Beispiel vorwegzunehmen: Er verändert die Sicht auf die Erwünschtheit von Veränderungen einer Persönlichkeit. Bei dem Vorhaben, bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit zu verändern, kann beispielsweise ein Konflikt entstehen zwischen einer Pflicht zur Vervollkommnung seiner Eigenschaften und zwischen der Pflicht, seinen Leib nicht zu schädigen. Die Abwägung zwischen diesen Pflichten kann dann abhängig vom vorherrschenden Denkzwang des Denkkollektivs ausfallen. Die Abhängigkeit der Abwägungsprozesse in diesem moralischen Konflikt kann dabei zum Beispiel bestehen in der Bestimmung dessen, was unter einer Schädigung des Leibes zu verstehen ist. Ebenso geht in die Abwägun-
stets im Raum und in der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben«; Foucault 1981, S. 171. 8
Unter Eigenschaften werden hier individuelle Merkmale, Qualitäten, aber auch Funktionen von Personen verstanden. Sie können in ihrer Beschaffenheit, in der Ausdrucksweise (also auch Handlungen) und in ihrem Erlebnis als qualitativ individuell gelten. Zum Teil können sie in Relation gesetzt werden zu den Eigenschaften anderer Personen. Ebenso können Eigenschaften zum Teil verstanden werden als Unterscheidungsmerkmal, das einer Klasse von Personen oder allen Personen zukommt. Für eine Zusammenfassung philosophischer Modelle zum Eigenschaftsbegriff siehe Swoyer 2000.
9
Fleck 1980, S. 137.
18ŇP ERSÖNLICHKEIT IM Z EITALTER DER N EUROWISSENSCHAFTEN
gen der Konfliktsituation ein, welche Eingriffe aus wissenschaftlicher Sicht zur Vervollkommnung von Eigenschaften einer Persönlichkeit vermeintlich geeignet sind. Allerdings scheint mir eine Betrachtung denkstilgebundenen Denkens schon vor der Analyse eines solchen Konflikts relevant. Die Bestimmung der Terminologie, also was unter Persönlichkeit zu verstehen ist, die Lösungen für Fragen des psychophysischen Problems, aber auch die Bestimmung dessen, was unter Krankheit zu verstehen ist, können vom aktuellen Denkstil beeinflusst sein. Sie werden hier Gegenstand der Untersuchung sein. Folgt man der These des Buches, dann prägen diese nämlich ihrerseits bereits die von Denkstil und Denkkollektiv beeinflussten Bestimmungen unser allgemeines Verständnis der einzelnen Eigenschaften einer Persönlichkeit, deren Pathologien und die daraus resultierenden Veränderungswünsche. Schließlich wird im Weiteren ebenfalls ersichtlich, wie ein Denkstil nicht nur den Blick des Denkkollektivs auf Persönlichkeit, deren einzelne Eigenschaften und Eingriffe in diese im Allgemeinen prägt. Der durch Entwicklungen und Ergebnisse der Neurowissenschaften veränderte Blick des Denkkollektivs beeinflusst letzten Endes ebenso die Selbstwahrnehmung und Wunschstruktur des Einzelnen. Es kann nicht genügen, eine Abhängigkeit des Persönlichkeitsverständnisses von Denkstilen im Allgemeinen zu konstatieren. Das Ziel des Buches ist es daher, Denkstile in Bezug auf Persönlichkeit so weitreichend wie möglich zu charakterisieren. Daraus soll eine Eingrenzung des ªDenkzwangs© resultieren und eine möglichst weitreichende Reflexionsfähigkeit ermöglicht werden. Erst dadurch kann für bestimmte Veränderungen der Persönlichkeit eine hinreichende Verantwortung übernommen werden. Um in diesem Sinne für eine Übernahme von Verantwortung zu plädieren, darf die Möglichkeit einer Reflexion über Denkstile in der Theorie zumindest nicht gänzlich verneint werden.10 Selbstreflexion und somit auch eine Re-
10 Diese Möglichkeit ist bei der Theorie Foucaults, die wegen gewissen Ähnlichkeiten von Denkstil, Dispositiv und Diskurs angesprochen wurde, durch die Zusammenhänge von Macht und Wissen nicht eindeutig realisierbar. Als vehementer Kritiker der Psychoanalyse würde Foucault selbst die auf die Vergangenheit gerichtete Selbstreflexion, zumindest bis zu seinen Spätwerken, nicht für zweckdienlich erachten. Ohnehin hält er die symbolische Ordnung und das
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flexion über Denkstile muss dabei als möglicher Ausgangspunkt dienen, das wissenschaftliche Selbstverständnis und somit denkstilgebundene Denkzwänge bezüglich Persönlichkeit aufzubrechen oder zumindest zu benennen. Selbstreflexion wird hier in Anlehnung an Jürgen Habermas in der Weise interpretiert, dass sie Erkenntnisfunktion besitzt.11 In Anlehnung an das Freud’sche Modell entwickelt Habermas in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Selbstreflexion einen Vernunftbegriff, der Bestandteil der Lebenswelt und deren Kommunikationssystems ist.12 Trotz der Kritik an Freud scheint dieser in Habermas’ Augen mithilfe der Selbstreflexion die Rekonstruktion von Herrschaft und Ideologie zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass man Institutionen als Macht begreift.13 Die Methode der Selbstreflexion vermag das objektivistische Selbstverständnis der Wissenschaften kritisch aufzulösen und den Zusammenhang von Erkenntnis und Interesse zu erhellen.14 Dies scheint mir für die Reflexion über Denkstile ebenfalls von großer Bedeutung zu sein. Der ethischen Analyse hinsichtlich des Umgangs mit Persönlichkeit kommt ebenfalls eine kritische Aufgabe zu. Die einzelnen Merkmale der wissenschaftlichen und sittlichen Gegebenheiten müssen dabei zuvor benannt werden. Der Denkstil mit seinen Einzelaspekten und das mit ihm verbundene Denkkollektiv bestimmen nämlich auch die Wahrnehmung von Sittlichkeit. Die Ethik ist daher auch gegenüber sittlichen Gegebenheiten zur Kritik verpflichtet, selbst wenn diese zu einem bestimmten Zeitpunkt Geltung haben. Durch eine Reflexion des Denkstils und geltender Sitte
Konzept des Gesetzes, die er auch in der Psychoanalyse erkennt, für weitere Versuche einer Institution, die Zusammenhänge von Wissen und Macht zu verschleiern; vgl. Sarasin 2005, S. 197 ff. 11 Habermas begreift die Erschließung der Erinnerungen der Lebensgeschichte in der Psychoanalyse weniger als das Verstehen von Symbolik, wie es in der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik stattfindet, sondern als Selbstreflexion; vgl. Habermas 1973, S. 280. 12 Vgl. Horster 1999, S. 29 ff.; Habermas 1973, S. 240 ff. 13 Vgl. Habermas 1973, S. 340 ff. 14 Vgl. Habermas 1973, S. 261.
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können manche Zusammenhänge erst als nicht wünschenswert erkannt werden.15 Will Ethik eine Verantwortung für bestimmte Eingriffe in Persönlichkeiten übernehmen, muss sie meines Erachtens sowohl bestimmte Erkenntnisinteressen der Wissenschaft als auch geltende Sitte reflektieren und für die Geltung der Sitte im Bereich einzelner Eingriffe einen kritischen Rechtfertigungsrahmen bieten.16 Selbst wenn hier Habermas’ Theorie von einer Möglichkeit eines herrschaftsfreien Diskurses nicht geteilt wird, so wird im weiteren Verlauf des Buches in Anlehnung an Habermas’ Idee der Selbstreflexion vehement für die Notwendigkeit argumentiert, das objektivistische Selbstverständnis der Wissenschaften, das sich im Denkstil manifestiert, und die Geltung von Sitte hinsichtlich Persönlichkeit zu hinterfragen. Auch wenn hier für diese Notwendigkeit plädiert wird, sind die Erkenntnisgrenzen durch Selbstreflexion nicht zu vernachlässigen. Es ist zu beachten, dass der Kritiker eines Denkstils sich selbst ebenfalls nicht gänzlich jenseits des Denkstils setzen kann.17 Ebenso muss man im Blick behalten, dass nicht alle Aspekte möglicher Denkzwänge bezüglich des Verständnisses von Persönlichkeit erfasst werden können. Dennoch bedeutet eine Bemühung, Aspekte eines bestimmten Denkstils transparent zu machen, bereits eine gewisse Distanz zum Denkstil und eine andere Möglichkeit zur Übernahme von Verantwortung, als ein Verharren in den unreflektierten Denkzwängen erlauben würde.
15 Zu der allgemeinen Pflicht der Ethik gegenüber sittlichen Tatsachen vgl. Vossenkuhl 2006, S. 83 ff. 16 Zum kritischen Rechtfertigungsrahmen für die Geltung der Sitte vgl. Vossenkuhl 2006, v. a. S. 36 ff. 17 Vgl. Bührmann, Schneider 2008, S. 41.
III Persönlichkeit und Autonomie: Ein Bezugspunkt
Bevor untersucht wird, wie in einzelnen Bereichen der Wissenschaft Persönlichkeit denkstilgebunden verstanden wird und wo ethische Bedenken anzumelden sind, wenn dieses Verständnis auf praktische Fragestellungen (wie zur Veränderung von Persönlichkeit etwa) angewendet wird, wird das eigene Verständnis von Persönlichkeit vorgestellt. Der folgende Entwurf über das Phänomen der Persönlichkeit soll dazu dienen, bei der Analyse potenziell auftretender Probleme im Umgang mit Persönlichkeit in den Folgekapiteln auf einen Begriff zurückgreifen zu können, der notwendige Grundlagen enthält. In diesem Kapitel werden jedoch auch Bezüge zu weiteren Eigenschaften und Fähigkeiten von Personen, zur Autonomie und zur sozialen sowie moralischen Eingebundenheit einer Persönlichkeit in der Welt angesprochen. Die Skizze erhebt aber weder den Anspruch auf Vollständigkeit dessen, was unter Persönlichkeit historisch oder aktuell verstanden werden kann, noch auf eine Umsetzungsfähigkeit des Skizzierten in einer psychiatrisch-psychologischen Praxis. Da die Begriffe ªMensch© und ªPerson© enge Bezüge zum Begriff der Persönlichkeit aufweisen und diese drei Begriffe bestimmte Schnittmengen bilden, wird zunächst eine Abgrenzung dieser Begrifflichkeiten vorgenommen.
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Mensch Mensch wird in dieser Arbeit verstanden als leibliches Dasein mit der biologischen Ausstattung des Homo sapiens.1 Mit der Wahl des Begriffs ªDaseins© soll betont werden, dass mit Mensch etwas anderes gemeint ist, als der Begriff Leben aussagen würde.2 Zum anderen soll mit diesem Begriff herausgestellt werden, dass hier im Begriff des Menschen ein ontologisches Fundament gesehen wird, das aus empirischen Daten jedweder Art nicht nachträglich erschlossen werden kann. Gleichzeitig sind mit dem Begriff Mensch, in der hier verwendeten Weise, biologische Grundlagen verknüpft, die wiederum sehr wohl im Rahmen des empirisch Möglichen untersucht werden können. Ferner soll die Verwendung des Begriffes Leib keinen Leib-SeeleDualismus implizieren, vielmehr wird hier von einer physikalischen Grundlage aller leiblichen Erfahrungen ausgegangen. Jedoch soll mit ªleiblich© die Unmittelbarkeit einer Existenzerfahrung hervorgehoben werden. Ebenfalls soll mit der Betonung von Leib als Konstituens des Menschen ausgedrückt werden, dass der Mensch mit seinem Leib in der Welt in einer wechselseitigen Beziehung verankert ist. Grundsätzlich haben alle Menschen die Anlage, Eigenschaften und Fähigkeiten im Allgemeinen zu entwickeln, die Personen zugeschrieben werden können. An dieser Stelle ist die Trennung in Mensch und Person lediglich semantischer Natur.3
1
Der Begriff des Daseins wird hier im Sinne Martin Heideggers verwendet; siehe Heidegger 2006, S. 11 ff. und 41 ff.
2
Die Definition vom Leben kann vielfältig ausfallen; siehe beispielsweise Quante 2002, S. 62 ff.; Schrödinger 1999; Prechtl, Burkard 2008, S. 328 f. Für diese Arbeit wird für das Vorhandensein von Leben des Menschen vorausgesetzt, dass die Befruchtung stattgefunden hat, ein Stoffwechsel im stetigen Prozess ist und noch kein Hirntod eingetreten ist. Mit diesem Verständnis vom Leben soll hier allerdings keinesfalls der ethische Status von Embryonen bereits als bestimmt gelten. Zum ethischen Status von Embryonen siehe Vossenkuhl 2002.
3
Diese Trennung soll noch keine Aussage darüber darstellen, ob bestimmte und welche Rechte und Pflichten nur Personen zukommen.
P ERSÖNLICHKEIT
UND
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Person Der Bestimmung des Menschen wird hier durch eine weitere Differenzierung in den Begriff der Person ontologisch nichts hinzugefügt. Vielmehr liefert der Begriff der Person die Möglichkeit, das leibliche Dasein des Menschen in seiner aktiven Auseinandersetzung in und mit der Welt zu beschreiben. Gemeint ist nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen dem biologischen Körper und der physikalischen Welt, sondern auch eine im ªRaum der Gründe©4. Diese Auseinandersetzung kann im Wesentlichen charakterisiert werden über Selbst- sowie Weltverhältnisse, welche auch wechselseitige Anerkennungsverhältnisse beinhalten. Hierzu sind eigene und gegenseitige Zuschreibungen bestimmter Fähigkeiten und Eigenschaften notwendig. Die zugeschriebenen Eigenschaften und Fähigkeiten beziehen sich für die Beschreibung von Personen auf einen Begriff von Eigenschaft, der Merkmale in einer Weise allgemein fasst, dass sie einer Klasse zugeordnet werden können. Im Gegensatz dazu wird bei der Beschreibung von Persönlichkeit auf ein Verständnis von Eigenschaft Bezug genommen, das per definitionem ein bestimmtes Merkmal nur der numerisch identischen Person zuordnet. Personen werden häufig Eigenschaften wie diese zugeschrieben:5 Selbstbewusstsein, Emotivität, Intelligenz, Rationalität, Erinnerung, Zukunftsbewusstsein, biografische Narration, Erleben über die Zeit hinweg, Sprache, kritisches Selbstverständnis, Autonomie, Fähigkeit zu Urteilen, Handlungsfreiheit, wechselseitige Anerkennung, Übernahme von Verantwortung und Verpflichtungen. Persönlichkeit Der Terminus Persönlichkeit beinhaltet eine Ansammlung individueller Eigenschaften, die sich sowohl auf die persönliche Innenwelt eines Menschen
4
Sellars 2002, S. 66.
5
Für eine ausführliche Einführung in verschiedene Eigenschaften von Personen und deren philosophiegeschichtlichen Hintergrund siehe Sturma 2001. Die obige Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Ebenso werden hier nicht die einzelnen Eigenschaften bewertet, einer bestimmten Theorie zugeordnet oder als Katalog verstanden, mit dem eine exakte Zuordnung von Person und Mensch stattfinden könnte.
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als auch auf den persönlichen Umgang eines Menschen mit der Umwelt beziehen.6 Die Gesamtheit des individuellen Umgangs mit sich selbst und der Umwelt, verstanden als Ansammlung individueller Eigenschaften, repräsentiert eine Individuation sowohl der Eigenschaften, die Personen zugeschrieben werden, als auch eine Individuation des leiblichen Daseins. Im Folgenden werden diese individuellen Eigenschaften, die eine Persönlichkeit charakterisieren, als »Eigenschaften einer Persönlichkeit« beschrieben, und umfassen an nicht gekennzeichneten Stellen dieser Arbeit ebenso Fähigkeiten und Dispositionen. Die Verwendung der Termini soll nicht implizieren, es würde sich um Eigenschaften einer Eigenschaft handeln. Vielmehr sind damit bestimmte einzelne Eigenschaften aus der Summe der Eigenschaften, die eine Persönlichkeit charakterisieren, gemeint.7 Schnittmenge Persönlichkeit – Person – Mensch Für die Möglichkeit der Zuschreibung einer Persönlichkeit wird hier das Vorhandensein eines Menschen als notwendige Bedingung angesehen. Kann von einer Persönlichkeit die Rede sein, ist es zwar häufig auch möglich, von einer Person im obigen Sinne zu sprechen. Dennoch existieren auch Eigenschaften einer Persönlichkeit, die zwar keinen Personenstatus bedingen, die allerdings einer besonderen Betonung hinsichtlich deren Seins als Eigenschaft bedürfen, um in einem weiteren Schritt die ihnen entsprechenden Rechte gewährleisten zu können. Zu der Gesamtheit von Persönlichkeit kommen ebenfalls Eigenschaften hinzu, die im eigentlichen Sinne als Eigenschaften einer Person gelten können. Somit ist der Begriff der Persönlichkeit weder deckungsgleich mit dem Begriff des Menschen noch mit dem der Person. Er erweitert den Raum, den der Begriff des Menschen bietet, neben der Betonung von Eigenschaften eines Menschen, um etliche Eigenschaften von Personen, die sich dann
6
Mit »persönlich« ist hier kein Adjektiv von Person gemeint (siehe Schnittmengenerläuterung weiter unten), sondern eine weniger umständliche Formulierung für »der Persönlichkeit entsprechend«.
7
»Persönlichkeitseigenschaften« als Terminus wäre zwar eleganter in der Verwendung, allerdings entstünde damit womöglich eine hier nicht beabsichtigte Nähe zu hauptsächlich psychologischen Bestimmungen von Persönlichkeitseigenschaften.
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UND
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im intersubjektiven Raum entfalten. Den Raum, den der Begriff der Person eröffnet, erweitert der Begriff der Persönlichkeit insbesondere um jene Eigenschaften des Menschen, die nicht intersubjektiv auftreten oder die mit einem Personenstatus nicht vereinbar wären. Ebenso individuiert der Persönlichkeitsbegriff die Eigenschaften von Personen. Somit weist der Begriff des Menschen die größte Extension auf, aber der Begriff der Persönlichkeit die größte Intension. Bedingungen an den menschlichen Körper Das Vorhandensein eines Menschen wurde zuvor als notwendige Bedingung zur Entwicklung von Persönlichkeit vorausgesetzt. Da der Mensch während seines leiblichen Daseins verschiedene Stadien der Körperentwicklung durchläuft, ist es dabei notwendig zu formulieren, wie der menschliche Körper beschaffen sein muss, um diese Bedingung für Persönlichkeit zu erfüllen. Minimalbedingung an den menschlichen Körper, um als hinreichend für das Haben einer Persönlichkeit gelten zu können, ist, neuronale Netzwerke ausgebildet zu haben bzw. noch nicht dem Hirntod erlegen zu sein. In den Körperstadien des menschlichen Daseins zwischen diesen beiden Extrempolen besteht die Möglichkeit, dass Individuationen bezüglich der Wahrnehmung der Innenwelt bzw. der Umwelt erfolgen sowie ein anderweitiges Ausleben einzelner Eigenschaften in diesen Bereichen stattfindet. Mit der obigen Minimalbedingung können also alle Embryonen (erneut: hier wird nicht die Frage gestellt, welche Rechte diesen zukommen) ab der Ausbildung neuronaler Netzwerke und alle darauf folgenden körperlichen Entwicklungsstufen des Menschen bis zum Eintritt des Hirntodes eine Persönlichkeit besitzen. Damit soll der hier angenommenen Möglichkeit, dass Afferenzen des Nervensystems zu einer individuierten Wahrnehmung führen können, schon an dieser Stelle Rechnung getragen werden. Dies ermöglicht ebenfalls, solche Zustände des Daseins im Sinne einer Eigenschaft zu interpretieren, die in dieser Arbeit später beispielsweise als präreflexives Bewusstsein beschrieben werden. Damit ist aber nicht gesagt, dass es sich bei Persönlichkeiten in diesen Stadien bereits um Personen im obigen Sinne handeln muss. Eine andere Aussage ist mit der Minimalbedingung aber implizit getroffen: Persönlichkeit ist an das Vorhandensein (im unterschiedlichen Ausmaß) intakter Neuronen gebunden. Dies wiederum soll allerdings keine reduktionistische Po-
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sition bezüglich psychophysischer Fragen implizieren. Die Annahme einer physischen Realisierung mentaler Zustände (verstanden als Eigenschaften), auch bei Erste-Person-Perspektive8, bedeutet nicht notwendigerweise eine Reduktion auf bestimmte neuronale Zustände oder die Möglichkeit eines vollständigen epistemischen Zugangs zu diesen Eigenschaften aus der Dritte-Person-Perspektive.9 Definiert man Persönlichkeit in dieser Weise, indem man also auch Eigenschaften der Erste-Person-Perspektive als individuiert mit aufnimmt in die Definition, und vertritt eine nicht reduktionistische Position bezüglich psychophysischer Fragen, dann ergibt sich daraus, dass Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit aus der Dritte-Person-Perspektive nicht erfassbar ist, selbst bei Kenntnis aller physischer Parameter. Es sind zwar auch Eigenschaften aus der Erste-Person-Perspektive durch Narration oder Verhalten in der Dritte-Person-Perspektive erfahrbar, allerdings nie die Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit. Eine Unmöglichkeit einer vollständigen Reduzierbarkeit wird hier auch für Eigenschaften, die in der Dritte-Person-Perspektive erfahrbar sind, vorausgesetzt, selbst wenn sie einen fortwährenden Bezug zum physikalischen Raum haben. Eine generelle Annahme der Persönlichkeitspsychologie besagt (wie später noch erläutert wird), dass es sowohl strukturelle als auch prozedurale Elemente der Persönlichkeit gibt. Diese Annahme wird hier für Eigenschaften, die der Dritte-Person-Perspektive zugänglich sind, fortgeführt. Für diese Eigenschaften ist die für normative Bewertungen häufig wesentliche Annahme von »Kerneigenschaften« möglich, wenn auch mit der Einschränkung der Veränderbarkeit. Das strukturelle Verständnis solcher Eigenschaften hilft, Komplexitäten zu reduzieren und eine Persönlichkeit
8
Die Erste-Person-Perspektive kennzeichnet in dieser Arbeit mentale Zustände und Erlebnisse der Person, die zunächst nur von der betroffenen Person wahrgenommen werden können. Es soll damit aber nicht ausgeschlossen werden, dass Zustände der Erste-Person-Perspektive durch Narration oder Verhaltensweisen in die Außenwelt kommuniziert werden können. Als Dritte-Person-Perspektive wird hier die Wahrnehmung von Personen von außerhalb ihres Körpers durch andere Personen bezeichnet. Eine weitere Differenzierung in eine wissenschaftliche Dritte-Person-Perspektive und eine Perspektive, die von der Beziehung zwischen »Ich« und »Du« geprägt ist, wird hier zunächst vermieden.
9
Hierzu siehe Kapitel IV.2.
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voraussagbarer zu machen. Jedoch können sich solche Annahmen von einem »Kern« der Persönlichkeit nicht auf die Gesamtheit der Persönlichkeit oder auf unbestimmte Zeit beziehen, schon gar nicht auf jene Eigenschaften, die nur der Erste-Person-Perspektive zugänglich sind. Beruht das Verständnis der Persönlichkeit im Wesentlichen auf der Feststellung eines solchen »Kerns«, dann kann dies bereits hier als ein Teil des Denkstils benannt werden. Allgemeine Aspekte der Persönlichkeit Nachdem Persönlichkeit für diese Arbeit allgemein skizziert wurde, werden im Folgenden wesentliche Zustände und Prozesse des leiblichen Daseins und des personalen Lebens entworfen, die als Eigenschaften der Persönlichkeit gelten können. Ebenso werden am Ende potenzielle Eigenschaften einer Persönlichkeit aufgezeigt, die in der aktiven Auseinandersetzung mit sich und der Welt in einer Weise gestaltet werden, dass daraus ein Leiden des Menschen oder eine Störung für die Umwelt resultieren können. 1)
Als ein wesentlicher Bereich der Persönlichkeit wird hier deren persönliche Innenwelt verstanden. Die persönliche Innenwelt eines Menschen umfasst verschiedene individuelle Eigenschaften aus der Erste-Person-Perspektive. Diese können untereinander und mit der Umwelt in Interaktion treten (siehe weiter unten). Diese Eigenschaften können in größere Familien zusammengefasst werden: Wahrnehmungen, Empfindungen, Bewusstsein, kognitive Prozesse und intentionale Zustände.10 Bei einer weiteren Unterteilung der Familien wird deutlich, in welchem Ausmaß die einzelnen Eigenschaften weder notwendige noch hinreichende Bedingungen erfüllen können, um einer Familie exakt hinzugerechnet zu werden. Deshalb sollen die Verbindungen zwischen den einzelnen Eigenschaften und den Familien, aber auch die Verbindungen zu den an späterer Stelle ausgeführten äußeren Tätigkeiten, nicht als ein hierarchischer Aufbau, sondern vielmehr im Sinne von Rhizomen gedacht werden.11
10 Die Formulierung »Familie« soll hier bewusst zu der Assoziation von Familienähnlichkeit Wittgensteins führen; siehe Wittgenstein 1975, S. 57, § 67. 11 Siehe Deleuze, Guattari 1977.
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In diesem Sinne kann mit Wahrnehmungen gemeint sein: Wahrnehmungen des eigenen Körpers, dessen Vorgänge, Wahrnehmung der Umwelt sowie Wahrnehmung der eigenen Grenzen zur Umwelt. Diese könnten beispielsweise weiter differenziert werden in die verschiedenen Formen der Sinneswahrnehmungen. Zur Familie der Empfindungen können beispielsweise gezählt werden: Gefühle und unmittelbare Erfahrungen. Diese könnten weiter verzweigt werden in Affekte, Emotionen, Intuitionen usw. In die Familie »Bewusstsein« können Formen aufgenommen werden wie Körperbewusstsein, Identitätsbewusstsein, präreflexives Bewusstsein, Unterbewusstsein, phänomenales Bewusstsein, Intentionalität oder Selbstbewusstsein. Diese könnten mit verschiedenen Stufen und Intensitäten von Bewusstseinszuständen verbunden werden. Kognitive Prozesse und intentionale Zustände, als Familie im obigen Sinne verstanden, können zum Beispiel aufnehmen: Gedanken, Apperzeptionen, Vorstellungen und Gedächtnis. Diese wiederum können verzweigt werden zu Wünschen, Überzeugungen, Reflexionen usw. Diese Aspekte der Innenwelt einer Persönlichkeit, verstanden als Eigenschaften, unterscheiden sich qualitativ und quantitativ von denen anderer Persönlichkeiten und sind für die Umwelt ebenfalls als Eigenschaften erkennbar, sofern sie als narrative Elemente kommuniziert werden können oder anderweitig sich in äußeren Tätigkeiten bemerkbar machen. Allerdings müssen sie nicht notwendigerweise für Dritte erkennbar werden. Sofern sie erkennbar werden, können sie zum Teil auch als Eigenschaften einer Person verstanden werden. 2)
Der persönliche Umgang mit der Umwelt stellt eine weitere wesentliche Komponente bei der Bestimmung von Persönlichkeit dar und wird als Eigenschaft in der äußeren Erscheinung eines Menschen sowie in all seinen äußeren Tätigkeiten sichtbar. Dieser Umgang umfasst also alle Ausführungen äußerer Tätigkeiten sowie die gestaltbare und gegebene Leiblichkeit. Unter äußeren Tätigkeiten werden hier von außen, mit dem menschlichen Sinnesapparat wahrnehmbare Bewegungen des menschlichen Körpers (keine Bilder einer funktionellen Magnetresonanztomografie, fMRI) und alle Formen der Kommunikationsaufnahme
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(auch beispielsweise per Brain-Computer-Interface bei amyotropher Lateralsklerose, ALS) verstanden. Darunter fallen demnach alle Verhaltensweisen, alle Sprechakte, Mimik, Gestik usw. Der Begriff der Tätigkeit soll signalisieren, dass seine Intension größer ist als beim Begriff der Handlung. Tätigkeit als Begriff wird gewählt, weil er ausdrücken soll, dass hier auch nicht absichtliche Bewegungen des Körpers, also beispielsweise auch Reflexe, gemeint sind. Der hier verwendete Begriff der äußeren Tätigkeit umfasst auch Unterlassungen von Körperbewegungen. Passive Bewegungen des Körpers sind von dem verwendeten Tätigkeitsbegriff allerdings ausgeschlossen. Es wird hier ferner angenommen, dass die äußeren Tätigkeiten ohne die Folgen dieser Tätigkeiten beschreibbar sind. Allerdings werden einige Aspekte einer Persönlichkeit erst ersichtlich, wenn die Produkte der äußeren Tätigkeiten betrachtet werden. Beispielsweise erschließen sich bestimmte Eigenschaften einer Persönlichkeit aus ihrer Innenwelt für Beobachter erst, wenn nach einem Schreibprozess (äußere Tätigkeit) sich eine Romanfigur auf einem Blatt Papier entfaltet. Persönlichkeit und Autonomie Die Entwicklung der Persönlichkeit hängt im starken Maße mit ihrer Autonomieentwicklung zusammen. Nach der vorhergehenden Darlegung zur Persönlichkeit wird nun daher ein kurzer Abriss unterschiedlicher Autonomiekonzeptionen vorgestellt. Autonomie kann zum einen verstanden werden als Selbstbestimmung und als Selbstgesetzgebung.12 Im Sinne der Selbstbestimmung kann sie unterschiedlich stark interpretiert werden. 1) Für eine gelungene Selbstbestimmung kann es hinreichend sein, Bedingungen zu erfüllen, die beispielsweise bei einem »informed consent« in der Medizin gestellt werden. In diesem schwachen Verständ-
12 Autonomie, in der philosophischen Tradition ist eine wesentliche Eigenschaft von Personen, die zumeist positiv bewertet wird, leitet sich aus dem Griechischen autos (»Selbst«) und nomos (»Gesetz«, »Bestimmung«) her; vgl. Beauchamp, Childress 2009, S. 99 f. Die »Selbstgesetzgebung« hat ihren Ursprung in politisch autonomen Gebilden der Antike und wurde später auch auf die Idee persönlicher, individueller Autonomie angewendet; vgl. Baumann 2000, S. 9.
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nis von Selbstbestimmung ist es ausreichend, Informationen richtig zu verstehen, zu bewerten, mit den richtigen Mitteln umzusetzen und frei von äußeren Zwängen zu handeln. Die autonome Persönlichkeit in diesem Sinne muss gewissermaßen zweckrational und ohne äußeren Zwang handeln können. In Folge wird diese Art der Autonomiebestimmung als zweckrationale Autonomie benannt. Die Fähigkeit, diese Form von Autonomie auszubilden und auszuüben, ist für die Persönlichkeitsentwicklung von basaler Bedeutung und wird zumeist in der Kindheit erworben. Erst mit dieser Fähigkeit können weitere Stufen von Autonomie erreicht werden, die für die Entfaltung vielfältiger Aspekte der Persönlichkeit wie gewisse zeitüberdauernde Eigenschaften wesentlich sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass zweckrationale Autonomie notwendige Bedingung für die Ausbildung und Zuschreibung von Persönlichkeit wäre. In einer stärkeren Interpretationsweise von Selbstbestimmung kann man von einer Persönlichkeit auch fordern, dass sie sich mit ihren Wünschen höherer Ordnung identifiziert und sich an höheren eigenen Zielen ausrichtet. Dabei reflektiert die Persönlichkeit auf der Ebene höherstufiger Wünsche ihre Wünsche erster Stufe. Ein praktisches Selbstverhältnis sowie die Vorstellung der eigenen Wünsche sind dabei wesentlich für die Persönlichkeit und sollen durch Volitionen zweiter Stufe erreicht werden können.13 Gerald Dworkin sieht, ähnlich wie Harry Frankfurt, Autonomie als eine Kapazität von Wünschen der zweiten Stufe an.14 Dies ermöglicht eine kritische Reflexion über die Wünsche und Vorstellungen erster Stufe, was wiederum eine Identifikation mit diesen oder eine Änderung der Wünsche erster Stufe zugunsten der Wünsche höherer Stufe implizieren sollte.15 Im Sinne dieses
13 Vgl. Frankfurt 2001, S. 65 ff und Frankfurt 1971. Frankfurt unterscheidet zwischen Wünschen und Volitionen verschiedener Stufen. Volitionen zweiter Ordnung sind Wünsche, dass bestimmte Wünsche erster Stufe effektiv sind, und bilden für Frankfurt eine notwendige Voraussetzung für Autonomie. 14 Frankfurt geht im Wesentlichen von Autonomie im Sinne von Willensfreiheit aus. 15 Vgl. Dworkin 1988. Es sind zahlreiche Einwände gegen hierarchische Modelle von Autonomie geäußert worden. Zum einen werde die Differenz zwischen Wollen und Handeln in dieser Konzeption verwischt, zum anderen wird ein
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Autonomieverständnisses ist also eine reflexive Authentizität gefordert.16 Die Persönlichkeit muss, um autonom zu handeln, in ihrer Handlung gewissermaßen eine kohärente Haltung bezüglich langfristiger, reflektierter Überzeugungen oder Wünschen gegenüber aufzeigen. Diese Form des Autonomieverständnisses wird im Folgenden authentische Autonomie benannt. Diese Form von Autonomie ist auch für die Außenwelt besonders wichtig, wenn es um die Einschätzung der Persönlichkeit geht. Sie ermöglicht, bestimmte Eigenschaften einer Persönlichkeit nicht nur als länger anhaltend im Sinne auch einer gewissen Struktur zu interpretieren, sondern sie der Persönlichkeit auch in einer Weise zuzuschreiben, dass sie von der Persönlichkeit beabsichtigt sind. Diese Zuschreibbarkeit länger auftretender Eigenschaften einer Persönlichkeit, die auf einer authentischen Autonomie beruht, impliziert zum einen eine gewisse Voraussagbarkeit von Persönlichkeiten. Zum anderen kann durch authentische Autonomie der Persönlichkeit eine höhere Stufe von Verantwortung zugeschrieben werden. Neben diesen zwei Stufen von Autonomie kann von einer autonomen Persönlichkeit auch verlangt werden, dass ihre Wünsche und Handlungen nicht nur in der bisher beschriebenen Weise zustande kommen, sondern zusätzlich auch frei sind von einer Genese, die als nicht autonom gilt. Das beinhaltet nicht nur die Freiheit von Zwang, sondern
mangelnder Zusammenhang zwischen Rationalität und Autonomie angeführt. Häufige Einwände sehen ebenfalls ein Regressproblem vorliegen, ebenso könnten die Wünsche erster Stufe die Wünsche zweiter Stufe beeinflussen, Volitionen zweiter Stufe könnten sich als Wünsche erster Stufe entpuppen. Ferner wird auf den Inhalt der Wünsche erster Stufe in diesen Konzeptionen kein Bezug genommen und die Quelle der Volitionen zweiter Stufe bleibt durch diese Konzeption ungeklärt; vgl. Baumann 2000, S. 156 ff.; Frankfurt 2001, S. 10 ff., 20 ff.; Quante 2002. Frankfurt nimmt zu einigen dieser und anderer Einwände Stellung und modifiziert seine Theorie an bestimmten Stellen, beispielsweise erweitert er seine Position um die biografische Perspektive, wie von Quante später gefordert (Frankfurt 2001, S. 20). 16 Zu den Ausführungen Quantes zur reflexiven/präreflexiven Authentizität siehe Quante 2002.
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auch von Manipulation und Selbsttäuschung.17 Ist später von dieser Art der Autonomiebedingung die Rede, dann wird dies mit Autonomiegenese benannt. Die Bedingungen dieser Autonomieform immer und in Gänze zu erfüllen, scheint unmöglich zu sein. Es werden später wichtige Aspekte benannt, die als Minimalbedingungen gelten können. Die Selbstgesetzgebung ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt möglicher Autonomiebestimmung, selbst wenn dieser Aspekt in den medizinethischen Kontexten selten herangezogen wird. Dieser Aspekt erfordert eine zusätzliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den eigenen Handlungsmaximen. Historisch geht ein solches Verständnis auf Immanuel Kant zurück und fordert von der Persönlichkeit, Handlungsmaximen auf deren Verallgemeinerbarkeit hin zu überprüfen und Entscheidungen von dieser Prüfung abhängig zu machen. Inwieweit es gelingen kann, zu einer auf solcher Autonomie basierenden moralischen Persönlichkeit im Sinne Kants zu werden, hängt von der Interpretation seiner Gedanken ab. Nimmt man seine Aussagen zur Persönlichkeit, die, obwohl als Person auch »zur Sinnenwelt gehörig«, »die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur«18 hat, allzu wörtlich, melden solche Interpreten Zweifel an der Realisierbarkeit einer moralischen Persönlichkeit. Setzt man Kants Autonomieverständnis mit einer pragmatischeren Interpretationsweise gewissermaßen als die oberste Stufe der erreichbaren Autonomiefähigkeit einer Persönlichkeit an, scheint es auch mit gängigen moralpsychologischen Annahmen der Moralentwicklung konsistent.19 Die im letzten Abschnitt beschriebene Form von Autonomie wird in Folge als Universalisierungsautonomie bezeichnet. Ähnlich diesem Verständnis gilt eine Persönlichkeit in dieser Arbeit dann als am meisten autonom, wenn sie ihre Eigenschaften insge-
17 Quante bietet dazu eine Formel an, mit der dem Problem des Erwerbs von Wünschen durch die Erweiterung des hierarchischen Modells mit einer biografischen Dimension als Bedingung für personale Autonomie begegnet werden könnte; siehe Quante 2002, S. 180. 18 Kant V, S. 87. 19 Kohlberg sieht in der Moralentwicklung die Fähigkeit, sich an universalisierbaren Maximen auszurichten, zunächst als höchste Stufe der Moralentwicklung an; siehe Kohlberg 1996.
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samt so entwickelt und umsetzt, dass sie die Bedingungen von Universalisierungsautonomie erfüllt und somit moralischen Anerkennungsverhältnissen gerecht wird. Dies impliziert auch, dass die Persönlichkeit bestrebt ist, in ihren individuellen Eigenschaften sich an Bedingungen von Personalität im obigen Sinne auszurichten, auch wenn dies aktuell noch nicht oder nicht mehr realisierbar ist. Für die Arbeit hier wird ein weiteres Verständnis von Autonomie herangezogen, dessen Ausprägung bei einer Persönlichkeit mit allen vorhergehenden Autonomiebestimmungen in Kombination oder unabhängig auftreten kann. Die in Folge näher beschriebene Form von Autonomie wird hier als mentale Autonomie gekennzeichnet. Gemeint ist mit dieser Art der Autonomie, dass es bestimmte mentale Ereignisse (hier verstanden als Eigenschaft einer Persönlichkeit) geben kann, die ohne Einfluss der Außenwelt zustande kommen können. Diese Art der Autonomie ist demnach stark mit der Innenwelt einer Persönlichkeit verbunden. Teile dieser mentalen Autonomie, die zunächst ohne Einfluss der Außenwelt auftreten können, können im Laufe des Lebens dennoch Einflüssen der Umwelt und Einflüssen von nicht autonomen Anteilen der Innenwelt der Persönlichkeit unterliegen. Bestimmte Anteile können aber auch zeitlebens autonom im obigen Sinne existieren. Nicht nur wird mentale Autonomie durch Erfahrungen verändert, auch sie beeinflusst Entfaltungsspielräume der Persönlichkeit, die durch äußere Tätigkeiten sichtbar werden. Mentale Autonomie kann nicht im Sinne der vorhergehenden Verständnisweisen von Autonomie gefasst werden. Lediglich die Folgen dieser autonomen mentalen Ereignisse in Form äußerer Tätigkeiten können mit jenen Konzeptionen verständlich gemacht werden. Wichtig ist dabei zu sehen, dass die Prioritäten der mentalen Autonomie, aber auch anderer Anteile der Innenwelt einer Persönlichkeit, anderen Wertehierarchien unterliegen können, als es von außen durch die äußeren Tätigkeiten erfahrbar wird. Dabei kann zum Beispiel ein Schwerpunkt auch auf dem Erleben des Prozesses (Methodik, das Wie) der Persönlichkeits- und Autonomieentwicklung liegen, obwohl diese Priorität nicht kommuniziert werden kann. Ebenso kann das Maß der erlebten mentalen Autonomie im biografischen Prozess variieren, obwohl diese Variation für den nicht persönlichen Beobachter verborgen bleibt.
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Störungen der Persönlichkeit Sowohl die persönliche Innenwelt als auch der persönliche Umgang mit der Umwelt sind als Eigenschaft auf der einen Seite qualitativ und quantitativ individuell gestaltet, auf der anderen Seite so weit von sozialen und biologischen Determinanten geprägt, dass sie intersubjektive Ähnlichkeiten aufweisen können. Reduzierbar auf solche Ähnlichkeiten sind sie jedoch nicht. Eine Persönlichkeit kann sich in ihrem Verhalten abweichend von dem anderer gebärden. Die Grenze zwischen krank und gesund für den Grad dieser Abweichung zu bestimmen, obliegt zumeist nicht nur der Persönlichkeit selbst, sondern auch der Gesellschaft bzw. ihren Instanzen wie der Psychiatrie. Mit welchen Problemen und Denkstilcharakteristika die Bestimmung von Krankheit in diesen Fällen verbunden ist, wird noch später erläutert. Verhaltensweisen als Teil äußerer Tätigkeiten können als anhaltende Muster in ihrer Ausprägung und in ihrer Intensität von denen anderer Personen sowohl aus der Dritte-Person-Perspektive als auch aus der ErstePerson-Perspektive als abweichend erfasst werden. Durch die Sprache, die ebenfalls zu den äußeren Tätigkeiten in der hier dargelegten Weise gezählt wurde, können auch Bezüge zu Abweichungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit hergestellt werden, die zunächst nur der Erste-Person-Perspektive zugänglich sind, wie Denken, Empfindungen und Wahrnehmungen. Von Abweichungen können prinzipiell alle Eigenschaften der primären Innenwelt der Persönlichkeit erfasst sein. Deren Erkennbarkeit ist allerdings beschränkt auf jene Eigenschaften, die durch äußere Tätigkeiten in Erscheinung treten.20 So können beispielsweise Aussagen getroffen werden zu Abweichungen im kommunizierten Denken, in den kommunizierten Gefühlen und Vorstellungen, in der kommunizierten Wahrnehmung der Umwelt und der eigenen Person sowie der »Realität«, in der kommunizierten
20 Hier sei auf die hier eingenommene und anderweitig (siehe Kapitel IV.2.4.2) ausgeführte Haltung hingewiesen, wonach eine grundsätzliche Unmöglichkeit besteht, alle Eigenschaften der Innenwelt einer Persönlichkeit zu erfassen. Hinzu kommt die pragmatische Einschränkung der Erfassbarkeit durch den auch Kommunikation begrenzenden Faktor von Raum und Zeit. Ferner können im Prozess der Symbolisierung wahrheitsrelevante Inhalte abhandenkommen.
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Wahrnehmung des leiblichen Daseins, im kommunizierten Zeitbezug und im kommunizierten Gedächtnis.21 Vorteile dieser Konzeption Ein so entworfenes Geflecht Mensch – Person – Persönlichkeit hat entscheidende Vorteile für weitere Überlegungen. Das hier skizzierte »weite« Verständnis von Persönlichkeit nimmt gleichzeitig Bezug auf eine biologische Prägung, auf das irreduzible leibliche Dasein, aber auch auf Eigenschaften, die ansonsten Personen zugeschrieben werden. Durch die qualitativ und quantitativ individuelle Ausprägung einzelner Eigenschaften oder Eigenschaftskonglomerate einer Persönlichkeit aus der Dritte- oder Erste-Person-Perspektive, können die Zustände und Prozesse, die eine Persönlichkeit durchläuft, dimensionaler betrachtet werden, als beispielsweise eine eher kategoriale Zuordnung zum Begriff der Person erlauben würde. Damit lassen sich Einschränkungen bestimmter Eigenschaften, zumindest der kommunizierbaren, in einer Weise besser erfassen, dass die Zusprechung bestimmter Rechte und Pflichten differenzierter erfolgen kann, als die Diskussion um die Differenz Mensch – Person gewöhnlich anmuten lässt. Ferner ist ein so weites Verständnis von Persönlichkeit die einzige Möglichkeit, Eingriffe, die eine Veränderung bestimmter Eigenschaften einer Persönlichkeit zum Ziel haben, dahin gehend zu prüfen, ob sie eine Wahrung von Integrität einer Persönlichkeit ermöglichen. Vorhergehende Beschreibung dieses Konzepts von Persönlichkeit wurde mit dem Ziel erstellt, sie bei der Untersuchung anderer Konzepte als Vergleichsmaß heranziehen zu können. Der Bezugspunkt selbst mag in seiner Vollständigkeit weitere Diskussionen erfordern, genauso kann das Konzept selbst als nur eine der vielen möglichen Darstellungsweisen verworfen werden. Trotz dieser Möglichkeit der grundsätzlichen Infragestellung des Konzepts bietet sie jedoch einen Bezugspunkt, von dem aus andere Konzepte auf ihre Charakteristika und deren mögliche Denkstile beschrieben werden können.
21 Das Erleben der Zeit als ein Faktor, der einem die Vergangenheit, das Jetzt und die Zukunft in ihrer zeitlichen Dimension als unpassend erscheinen lässt, kann als abweichend von der normierten Zeitlichkeit und als Leiden empfunden werden. Zum Zusammenhang Leiden und Zeit siehe Fuchs 2002, S. 35 ff.
IV Denkstilabhängige Bestimmung von Persönlichkeit
In Folge wird untersucht, welche Charakteristika im Denkstil bezüglich Persönlichkeit in aktuellen philosophischen Debatten und in der Neurowissenschaft ausgemacht werden können.1 Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Persönlichkeit ist historisch uneinheitlich, so auch in der Debatte über personale Identität. Dieser Teilbereich der Philosophie der Person wurde ausgewählt, da er in den letzten Jahrzehnten vielfach bemüht wurde, um Erklärungen oder Antworten für bestimmte Fragestellungen der Neurowissenschaften zu finden.2 Damit hat dieser Teilbereich sowohl eine hohe wissenschaftliche Relevanz als auch einen Bezug zu den späteren Auseinandersetzungen mit dem neurowissenschaftlichen Verständnis von Persönlichkeit. Ist die große Bedeutung beider wissenschaftlichen Bereiche bzw. deren Diskussionsgegenstände verbunden mit ähnlichen Charakteristika, dann deutet dies auf
1
Unter Neurowissenschaft werden hier verschiedenste Disziplinen, die sich mit der Funktionsweise und dem Aufbau des Nervensystems beschäftigen, verstanden. Darunter fallen neben der Neurobiologie, der Neurophysiologie, der Neuroanatomie, der kognitiven Neurowissenschaft auch Fächer, die dem klinischen Bereich zuzuordnen sind, beispielsweise Neurologie, Neuropsychologie oder Psychiatrie. Zu einer Beschreibung, was unter Neurowissenschaften zudem verstanden werden kann, siehe Bear et al. 2009, S. 15 ff.
2
Siehe Brand 2010a, b.
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disziplinübergreifende Annahmen hin, die zuvor mit Denkstilen beschrieben wurden.
1
P HILOSOPHISCHE D EBATTE ÜBER PERSONALE I DENTITÄT
Das Problem der personalen Identität kann als prototypisch für die philosophische Anthropologie und ihre Verschränkung mit Humanwissenschaften erachtet werden.3 Die im Folgenden untersuchten Theorien bezüglich personaler Identität legen sich nicht nur auf Kriterien dafür fest, wie personale Identität zu bestimmen ist. Sie stehen beispielsweise auch mit den Neurowissenschaften in einem regen Diskurs über deren technische Errungenschaften bezüglich Veränderungsmöglichkeiten im personalen Leben. Sie unterstützen auch Überlegungen, wie Eingriffe in Personen hinsichtlich der Aufrechterhaltung personaler Identität und zum Schutz der Integrität von Personen zu bewerten sind. Damit knüpfen sie an Möglichkeiten der modernen Medizin an und tragen dazu bei, aktuelle Fragen innerhalb der angewandten Ethik zu beantworten. Dabei implizieren sie nicht nur normative Konzepte für Eingriffe in die Person bzw. in personale Identität, sondern auch für Eingriffe in die Persönlichkeit. Hier wird der These nachgegangen, dass die analysierten Theorien wegen der Entwicklungen der Neurowissenschaften und deren Eingriffsmöglichkeiten in den Körper zwar zum Teil um den Schutz der personalen Identität, aber nicht zwangsläufig um den Erhalt der Persönlichkeit besorgt sind. Dies wird hier deshalb problematisiert, weil beide Aspekte zu beachten sind, wenn es um die Wahrung der Integrität der Person geht, was wiederum für ethische Überlegungen relevant ist. Die Diskrepanz in der Sorge um personale Identität und Persönlichkeit scheint laut der Folgethese darin begründet, dass der Begriff der Persönlichkeit nicht eigenständig, sondern aus der jeweiligen Annahme für personale Identität abgeleitet und in Folge zu eng bestimmt wird. Dies könnte ein Denkstilcharakteristikum beschreiben. Eine zu eng verstandene Begrifflichkeit der Persönlichkeit kann aber – wie noch zu zeigen sein wird – nicht als Grundlage dienen, die Folgen von neu-
3
Vgl. Böhme 1999, S. 323.
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rowissenschaftlich herbeigeführten Veränderungen hinreichend abzuschätzen. Im Fokus der Fragestellung steht das Persönlichkeitsverständnis der untersuchten Theorien. Eine systematische Einführung in die Debatte über personale Identität kann es hier daher nicht in einem dieser Diskussion würdigen Ausmaß geben. Dennoch orientiert sich die Darstellung systematisch an den unterschiedlichen Kriterien und den diese Kriterien vertretenden Autoren der Debatte zur personalen Identität und somit wird am Rande auch eine kurze Einführung in diese Thematik geboten.4 1.1 Physisches Kriterium In die Untersuchungen wird als Verfechter eines materialistischen oder physischen Kriteriums der personalen Identität Bernard Williams aufgenommen.5 Eine moderne Variante des physischen Kriteriums, das biologische Kriterium der personalen Identität, die sich auf den menschlichen Organismus bezieht, wird von Michael Quante vertreten und hier diskutiert.6 Zunächst wird auf terminologischer Ebene herausgearbeitet, wie der Persönlichkeitsbegriff im Vergleich zum Begriff personaler Identität in diesen Theorien eingeführt wird. Das Ergebnis zeugt in beiden Fällen von einem Denkstil, der Persönlichkeit – zwar jeweils anders, aber – zu eng bestimmt. Es werden ebenfalls erste Konsequenzen eines solchen Denkstils für normative Fragen dargestellt. Bei Williams’ Differenzierung in Persönlichkeit und personale Identität beispielsweise könnten bestimmte Eingriffe in den Körper aus Sorge um den Erhalt der personalen Identität untersagt, aber zur Veränderung von Persönlichkeit erlaubt werden. 1.1.1 Bernard Williams’ Theorie personaler Identität Den Beginn der Debatte über personale Identität mit den dafür entwickelten Kriterien setzt man gewöhnlich bei John Locke und seinem Werk »Versuch über den menschlichen Verstand«7 an. Locke nimmt dort an, dass es sich
4
Eine sehr differenzierte Gliederung und Diskussion der möglichen Kriterien für personale Identität findet sich bei Northoff 2001und Brand 2010b.
5
Siehe Williams 1978.
6
Siehe Quante 2002.
7
Locke 2000.
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bei der personalen Identität um eine Relation und nicht, wie zuvor angenommen, um eine Substanz handeln müsse.8 Er gilt als Initiator des Erinnerungskriteriums (wörtlich bei ihm: Bewusstsein). »Sie [die Identität der Person, O. F.] besteht nämlich nicht in der Identität der Sub9
stanz, sondern, wie ich sagte, in der Identität des Bewußtseins.«
Dasselbe Bewusstsein von zwei Personen, dieselbe Erinnerung – wie später gedeutet wird – führt nach Locke zur Identität dieser zwei Personen. Dieses Kriterium birgt vielfältige Probleme und wurde nach Locke mehrfach modifiziert. Berücksichtigt man bei der Erinnerung nicht nur den Bezug auf Erlebnisse, sondern alle Verknüpfungen zwischen vergangenen und aktuellen psychischen Zuständen, dann ist für die personale Identität die Kontinuität psychologischer Zustände wesentlich.10 Laut Williams widersprechen sowohl das Erinnerungskriterium im Sinne Lockes als auch das psychologische Kontinuitätskriterium der Eindeutigkeit einer Relation, welche notwendige Bedingung für ein Identitätskriterium sei.11 Die Unterscheidung zwischen Übereinstimmung und Identität sei nach Williams auf der Basis psychologischer Kontinuität allein nicht zu treffen. Eine notwendige Bedingung Williams’ für ein Identitätskriterium ist nämlich, dass es sich dabei um eine eindeutige Relation handle. Gegenüber der Identität, die eine Eins-zu-eins-Relation impliziere, sei das bei Übereinstimmung nicht der Fall.12 Das Eindeutigkeitsprinzip, das für Williams für die personale Identität wesentlich ist, sei nur erfüllt, wenn man die Relation der personalen Identi-
8
Zum Relationsbegriff Lockes vgl. Locke 2000, S. 397 ff.; zum Identitätsgedanken Lockes vgl. Locke 2000, S. 410 ff.
9
Locke 2000, S. 429, § 19.
10 Aus Lockes Erinnerungskriterium und dem weiterentwickelten, auf Locke basierenden Kriterium der psychologischen Kontinuität ergeben sich folgende, viel diskutierte Probleme: das Problem der Zirkularität und das Verdoppelungsproblem. Zu einer Diskussion dieser Einwände gegen psychologische Kontinuität siehe Noonan 2003, S. 10 ff. 11 Psychologisches Kriterium wird hier mit psychologischem Kontinuitätskriterium synonym verwendet. 12 Vgl. Williams 1978, S. 46.
D ENKSTILABHÄNGIGE B ESTIMMUNG VON P ERSÖNLICHKEIT Ň41
tät an physische Kriterien, also an den menschlichen Körper, binde. Damit ist für Williams der Körper eine notwendige Bedingung für die personale Identität. Er zeigt anhand von Gedankenexperimenten, dass eine Bezugnahme auf den Körper auch notwendig sei, um die Individuation einer Person vorzunehmen. Ein psychisches Kriterium für personale Identität sei allein nicht in der Lage, Fälle von Verdoppelung auszuschließen und somit zwischen Identität und Übereinstimmung zu unterscheiden.13 Raumzeitliche Kontinuität impliziere auch eine historische Kontinuität von Körpern. Sobald sich in der Geschichte eines menschlichen Lebens eine Teilung oder Verdopplung finden lasse, sei das Resultat dieser Teilung oder Verdopplung mit personaler Identität nicht vereinbar.14 Wenn der Körper außer Acht gelassen werde, dann verliere nach Williams der Begriff der personalen Identität seinen Inhalt und werde unbestimmbar. Dies gelte sowohl aus der Dritte-Person-Perspektive als auch aus der Erste-Person-Perspektive. Setze man beispielsweise voraus, dass eine Person eine allgemeine Erinnerung habe, die diese Person sich erinnern lasse, dass sie sich an bestimmte Dinge früher anders erinnert habe, bedürfe diese Person zur Überprüfung der Richtigkeit der Erinnerungen unterschiedlichen Gehaltes der Hilfe von außen. Daraus folgert Williams, dass man die Erinnerung auch aus der Erste-Person-Perspektive nicht als Kriterium der eigenen Identität verwenden könne. Ebenso spricht Williams dem Selbstbewusstsein jeglichen Wert für die Frage nach der Identität von Personen ab. Der Körper sei auch aus der Perspektive der ersten Person eine notwendige Bedingung für personale Identität.15 Das Kriterium der Notwendigkeit eines Körpers für die Bestimmung personaler Identität ist vielfältig modifiziert worden. Es lässt sich auf ein Kriterium des Gehirns und weiter auf ein »physisches Kriterium« reduzieren.16 Nach Letzterem sei es hinreichend für personale Identität, wenn so viel Gehirn vorhanden sei, dass dieses als das Gehirn einer lebenden Person angesehen werden könne.17
13 Vgl. Williams 1978, Kapitel 1. 14 Vgl. Williams 1978, S. 44–46; siehe dort auch Fußnote auf S. 44 und S. 126. 15 Vgl. Williams 1978, S. 14–29 und S. 79–82. 16 Dazu siehe Noonan 2003, S. 2 ff. 17 Vgl. Noonan 2003, S. 6; zum »physischen Kriterium« siehe auch Wiggins 1971.
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Nicht nur für Williams, sondern für alle Vertreter von Kriterien der personalen Identität, die sich am Körper oder an Teilen des Körpers (Teile des Gehirns beispielsweise) orientieren, sind einige heikle Fragen bezüglich der personalen Identität zu beantworten: Gibt es Teile des Gehirns bzw. des Körpers, die notwendig für die Aufrechterhaltung der personalen Identität sind? Ab welchem Ausmaß, welchen Formen und Arten der Veränderung des Gehirns oder des Körpers kann nicht mehr von einer Identität der Person ausgegangen werden? Welche »natürlichen« Veränderungen im Rahmen der optischen Wahrnehmung, des Gehirns bzw. der Genetik sind zur Anerkennung der Identität tolerierbar? Welche »künstlichen« Veränderungen am sichtbaren Körper, am Gehirn oder im Genom sind identitätsgefährdend? Reicht eine Identität über die äußere Erscheinung aus oder muss eine genetische Untersuchung vorgenommen werden? Letztlich lassen sich große Teile der Diskussion der letzten Jahre um personale Identität und um die neuen Eingriffsmöglichkeiten der Neurowissenschaften auf diese Fragen kondensieren. Bei Williams ist nicht hinreichend geklärt, welche Art der Identifikation des Körpers vorgenommen werden muss, um Antworten auf diese Fragen zu bieten. Es ist auch nicht Ziel dieser Arbeit, für diese Fragen abschließende Antworten zu finden. Es ist jedoch bereits an dieser Stelle bemerkenswert, dass bei dem Versuch, jene Fragen zu beantworten, selbst bei einer Betonung eines physischen Kriteriums personaler Identität bei vielen Autoren auf Eigenschaften der Persönlichkeit zurückgegriffen wird. Wird beispielsweise argumentiert, dass es »kritische« und weniger »kritische« Nervenzellen für Veränderungen der Identität gebe, basieren diese Argumente häufig auf Beobachtungen veränderter Persönlichkeitsmerkmale bzw. veränderter Gefühle zu sich selbst aus der Erste- und Dritte-Person-Perspektive. 18 Zunächst wird hier weiter Williams’ Differenzierung in Persönlichkeit und personale Identität beschrieben. In Folge wird untersucht, ob diese Differenzierung ausreicht, um obige Fragen zu beantworten, bzw. ob bereits in der terminologischen Bestimmung eine bestimmte Gerichtetheit der Wahrnehmung zu verorten ist.
18 Northoff (vgl. Northoff 2001, S. 315 ff.) nennt als spezifische Region im Gehirn den frontalen Kortex, in dem Veränderungen von Nervenzellen zu Veränderungen von Identität führen können. Zur Bedeutung des frontalen Kortex für das Verhalten und für Wesenszüge siehe Förstl 2005.
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1.1.2 Bernard Williams’ Theorie der Persönlichkeit Williams’ Bezugnahme auf den Körper (also nicht nur auf Teile des Gehirns) als Grundlage für personale Identität integriert den körperlichen Ausdruck und die Beschaffenheit des Körpers in seine Auffassung von Identität.19 Diese Erweiterung steht im Gegensatz zu Vertretern eines reinen Gehirn- oder Teilhirnkriteriums und ist ebenso für Williams’ Persönlichkeitsauffassung relevant. Für Williams besteht zwischen psychischen Funktionen und Körper ein enger Zusammenhang. Eine Persönlichkeit könnte sich nach seiner Auffassung beispielsweise in einem anderen Körper nicht entfalten. Zur Erläuterung dieses Zusammenhangs führt er als Beispiel einen Körpertausch zwischen einem König und einem Bauern an. Er stellt sich bei diesem Gedankenexperiment unter anderem die Frage, ob der König und der Bauer nach so einem Tausch im neuen Körper identisch mit ihrer vorherigen Persönlichkeit sein können, wenn beispielsweise der alte Körper des Bauern nicht gelernt hat, in der für den König charakteristischen Weise zu lächeln oder seine Stimme zu benutzen.20 Selbst bei »Personentypen« ist für Williams die historische Kontinuität von Bedeutung.21 Dabei sei die »Verkörperung« der Persönlichkeit wesentlich, die dann nach einer bestimmten biografischen Zeitspanne zur Möglichkeit der Identifikation führe. Eine andere Überlegung, bei der Williams die Persönlichkeit als Aspekt der psychologischen Kriterien in seine Argumentation einbezieht, gilt
19 Vgl. Williams 1978, S. 125 ff. 20 Vgl. Williams 1978, S. 24 ff. 21 Shoemaker konstruiert einen Fall, in dem zwei Gehirne samt Erinnerungen und Charaktermerkmalen entnommen und in den Körper des jeweils anderen eingesetzt werden. Dieses Gedankenexperiment Shoemakers gegen das Körperkriterium Williams’ entgeht dem Verdopplungsproblem. Dagegen konstruiert Williams die Möglichkeit, dass man auch lediglich die Übertragung der Informationen auf verschiedene Körper, inklusive Verdopplungsproblem, betrachten könnte. Dabei ist die historische Kontinuität wie bei dem Gedankenexperiment zu Amöben von Bedeutung. Erst mit historischen Erfahrungen der einzelnen Typus-Personen und gleichzeitiger körperlicher Zuordnung zu diesen Erfahrungen ließe sich beispielsweise Liebe zu Einzel-Personen anstatt zu Typus-Personen realisieren; siehe Williams 1978, S. 125 ff.
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plötzlichen Charakterveränderungen. Unter Charakter sind dabei ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale zu verstehen. Stellt man im Falle einer einschneidenden Charakterveränderung die Frage, ob die Person zuvor und danach über dieselbe Persönlichkeit verfügt, impliziert diese Frage für Williams keine »Identitätsfrage im erforderlichen Sinne«, da es sich bei der Persönlichkeit um einen »Eigenschaftsausdruck« handelt.22 Gleichzeitig führt Williams aber aus, wie man eine Interpretation von Persönlichkeit vornehmen könnte, bei der Persönlichkeit Identität im stärkeren Sinne entspricht. Er zieht den Roman »Cards of Identity« von Nigel Dennis als Beispiel heran, in dem einer Person zusätzlich zu den neuen Charaktereigenschaften auch neue Herkunftsdaten verliehen werden.23 Demnach stehe die Persönlichkeit nicht allein für eine »Menge von Eigenschaften«, sondern könne eher als »individuelle Persönlichkeit« mit erstpersönlichen Erlebnissen gedeutet werden. Bei so einer Betrachtungsweise wäre allerdings die Erinnerung als Verwalter der Vergangenheit ein wichtigeres Kriterium.24 Für diesen Fall ist es zunächst wichtig, Williams’ Begriff der Individuation zu beleuchten, um den Stellenwert des Körpers in Williams’ Konzept zu verstehen. Das Phänomen der Individuation ist bei Williams ebenfalls ein Schlüssel, um personale Identität und Persönlichkeit zu differenzieren. Der Prozess der Individuation ist dabei nicht mit einer Identifikation gleichzusetzen. Williams versucht dies anhand der multiplen Persönlichkeitsstörung (MPS) nachzuweisen.25 Auch hier schlägt er vor, keine »Iden-
22 Vgl. Williams 1978, S. 10. 23 Vgl. Dennis 1999. 24 Vgl. Williams 1978, S. 8 ff. 25 Für die Diagnose von MPS oder dissoziative Identitätsstörung ist nach den diagnostischen Kriterien von Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders IV (DSM-IV) relevant (zitiert nach Gast et al. 2007, S. A 3194): »a) Das Vorhandensein von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (jeweils mit einem eigenen, relativ überdauernden Muster der Wahrnehmung von der Beziehung zur und dem Denken über die Umgebung und das Selbst). b) Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person.
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titätsfrage« zu stellen, sondern vielmehr »Individuationsfragen« zu formulieren. Eine solche Frage wäre, ob ein gewisses Verhalten zu einer oder mehreren Persönlichkeiten gehört. Bei der Individuation erfolgt die Zuordnung von Persönlichkeiten ebenfalls über nach außen getragene Verhaltensweisen. Für Williams ist eine Persönlichkeit dann individuiert, wenn genügend »Individuationsfragen« beantwortet sind und man so aus dem Muster der gegebenen Verhaltensäußerungen eine bestimmte Persönlichkeit erkennen kann.26 Offen bleibt bei ihm, was unter »genügend« zu verstehen ist. Der Begriff der Individuation nimmt also zunächst Bezug auf Charakter, Leistung und Erinnerung, aber nicht auf den Körper. Allerdings folgt bei Williams daraus nur, dass man sich bei diesem Prinzip auf die genannten Eigenschaften bezieht, nicht aber, dass man am Anfang des Individuationsprozesses nicht auch auf den Körper Bezug genommen hätte. Vielmehr schlägt Williams vor, die Individuation von Einzelpersönlichkeiten, wie sie bei der multiplen Persönlichkeitsstörung vorkomme, als gelungen anzusehen, aber die Identifizierung der Person dennoch durch den Körper vorzunehmen.27 Für Williams sind die Unterschiede in den individuierten Persönlichkeiten bei einer multiplen Persönlichkeitsstörung ähnlich einer Feststellung unterschiedlicher Reihen von Charaktermerkmalen. Selbst für die Erste-Person-Perspektive schlägt er vor, nicht von mehreren Personen, sondern von einer Person mit unterschiedlichen »Stimmungen« auszugehen.28 Den Begriff der Individuation gebraucht Williams, um erklären zu können,
c) Eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt zu werden. d) Die Störung geht nicht auf direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Blackouts oder ungeordnetes Verhalten während einer Alkoholintoxikation) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (z.B. komplexpartielle Anfälle).« Einige Überlegungen zum Krankheitsbild der dissoziativen Identitätsstörung und personalen Identität siehe bei Brand, Friedrich 2006. 26 Vgl. Williams 1978, S. 30 ff. 27 Vgl. Williams 1978, S. 33 f. 28 Vgl. Williams 1978, S. 30–36.
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warum eine »multiple Persönlichkeit« nicht gleichzeitig implizieren muss, dass es sich dabei um die Existenz mehrerer Personen handelt.29 Damit möchte er die Annahme ausschließen, man müsse im Falle der Individuation keinen Bezug auf den Körper mehr nehmen. Selbst bei einer absoluten psychischen Diskontinuität ist die personale Identität für Williams durch die Kontinuität des Körpers und die Verknüpfung der Erlebnisse in demselben Körper erhalten. 1.1.3 Interpretation Williams’ Persönlichkeitskonzeption Im Folgenden soll geklärt werden, ob auf der Basis von Williams’ Differenzierung in Persönlichkeit und personale Identität Eingriffe in den Körper – dieser dient Williams als Kriterium für personale Identität – zum Schutze der personalen Identität untersagt, aber zur Veränderung von Persönlichkeit erlaubt werden könnten. Ebenso werden einige Denkstilcharakteristika hervorgehoben, die aus ähnlichen Ansätzen bzw. aus Ansätzen, die ihre Persönlichkeitskonzeption auf eine solche Grundlage gründen, resultieren könnten. Zunächst zum ersten Punkt. Wie bereits erläutert, muss eine individuierte Persönlichkeit bei Williams ebenfalls durch den Körper identifiziert werden. Da es zur Identifikation der individuierten Persönlichkeit des Körpers bedarf, ist es schwer vorstellbar, wie Eingriffe im Hinblick auf die eine Entität, sofern sie sich für Williams als problematisch darstellen, die andere unberührt lassen sollen. Für Williams dürften Eingriffe in den Körper als unerwünscht gelten, die zum Verlust oder umfassender Veränderung ganzer Körperteile führen und aus seiner Sicht personale Identität gefährden. Diese Sorge müsste aber gleichzeitig für Persönlichkeit gelten, da sich bei entsprechenden Eingriffen in den Körper, auch die Persönlichkeit in jenen Körperteilen nicht mehr oder nur ganz anders auszudrücken vermag.30 Ein weiterer Punkt betrifft die Erste-Person-Perspektive. Williams bezieht sich bei der Beschreibung von Persönlichkeit auf Verhaltensäußerungen, die aus der Dritte-Person-Perspektive wahrnehmbar sind. Somit er-
29 Vgl. Williams 1978, S. 30 ff. 30 Unter solchen Eingriffen könnten auch Fälle sein, bei denen der Verlust oder die Veränderung von Körperteilen von der Person selbst erwünscht ist, wie bei der Body Integrity Identity Disorder (BIID), siehe Müller 2009, aber auch bei umfassenden Schönheitsoperationen.
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scheinen die Veränderungen der Persönlichkeit, auch die, die durch Eingriffe bewirkt werden, für Dritte kontrollierbar. Mit diesem Verständnis von Persönlichkeit kann er allerdings Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit, die nicht für die Außenwelt kommunizierbar sind, nicht berücksichtigen, wenn er Eingriffe in den Körper beurteilt. Um das Defizit einer so engen Persönlichkeitsauffassung hervorzuheben, werden hier einige Extrembeispiele nicht kommunizierbarer Eigenschaften einer Persönlichkeit angeführt. Im Zustand eines Locked-in-Syndroms kann ein Patient zwar im Besitz seines vollständigen Bewusstseins sein und gleichzeitig aber nicht in der Lage, sich verständlich zu machen, da er gelähmt ist. Im späteren Verlauf von Erkrankungen, die zu einem solchen Syndrom führen, kann auch die letzte Möglichkeit der Kommunikation mit den Augen verloren gehen. Im Falle eines Locked-in-Patienten (ohne Augenbewegungen und der Möglichkeit eines Brain-Computer-Interfaces), oder gemäß neuen Studienergebnissen sogar im Falle eines Patienten im Zustand minimalen Bewusstseins, wären (individuelle) Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Erste-Person-Perspektive durchaus denkbar.31 Damit sind Wahrnehmungen der Umwelt, Gedanken usw. gemeint, die auf eine für diese Persönlichkeit individuelle Weise verarbeitet werden. Eine Identifikation der Person würde in diesen Fällen über den wenig bis gar nicht nach außen agierenden Körper getroffen (hier übereinstimmend mit Williams). Würden wir wohl entgegen Williams in diesem Fall aufgrund des Verlusts von Verhaltensweisen aus der Dritte-Person-Perspektive das Vorhandensein personaler Identität anzweifeln, müssten wir dies mit Williams’ Konzept ebenso für die Persönlichkeit tun. Sehen wir personale Identität in solchen Fällen hingegen in Übereinstimmung mit Williams als erhalten an, da wir einen lebenden Organismus vor uns haben, fällt es anhand der Ergebnisse der Neurowissenschaften schwer zu leugnen, dass dabei auch interne Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken etc. dieser Person existieren können.32 Jene verbleibenden Prozesse im Gehirn einer Person können
31 Zum Locked-in-Syndrom siehe Weltgesundheitsorganisation, Dilling et al. 2005. Für Zustand minimalen Bewusstseins Monti 2010. Brain-Computer-Interfaces ermöglichen die Umwandlung beispielsweise von elektrischen Aktivitäten des Gehirns in Signale für einen Computer. 32 Siehe z.B. Monti 2010; Di 2007; Coleman 2009.
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zwar nicht auf deren Inhalt hin gedeutet werden, aber es besteht die Möglichkeit, dass diese Inhalte individuiert sind. Als Eigenschaften einer Persönlichkeit fallen diese Prozesse damit auch in den Intensionsbereich der Persönlichkeit. Ihre Bedeutung sollte bereits auf terminologischer Ebene gesichert werden, was einen weiten Begriff der Persönlichkeit impliziert. Im Falle eines Locked-in-Patienten beispielsweise wäre es mit einem Körperkriterium von personaler Identität und einer Beschränkung der Persönlichkeit auf von außen wahrnehmbare Individuationen naheliegend, zu argumentieren, dass es beim Schutz der Integrität von Personen auf die Bewahrung der Körperintegrität bzw. der dazugehörigen Verhaltensweisen ankomme. Den vom Körper verursachten mentalen Zuständen, die keine Außenwirkung entfalten, käme mit einer solchen Argumentation eine niedrigere Wertigkeit zu. Einer solchen Argumentation entgegenzuwirken, ist Ziel dieser Arbeit und einer weiten Definition von Persönlichkeit. Führt man sich den Zustand von Locked-in-Patienten vor Augen, dann dürfte dieses Ziel leicht nachvollziehbar sein. Eingriffe, die zur Verbesserung und Veränderung der Persönlichkeit vorstellbar sind, gefährden, sofern man Williams’ Kriterien für personale Identität und Persönlichkeit heranzieht, ebenso wichtige Aspekte der Persönlichkeit wie Eingriffe, bei denen der Verlust der personalen Identität befürchtet wird.33 Letztlich können aber mit einem Körperkriterium für personale Identität kaum komplette Verluste der personalen Identität oder der Persönlichkeit angenommen werden, solange der Identität stiftende Körper am Leben ist. Aber auch ohne einen Verlust der Identität der Person oder der gesamten Persönlichkeit kann es ethisch nicht geboten oder verboten sein, bestimmte Veränderungen am Körper oder am psychischen Erleben von Personen vorzunehmen. 1.1.4 Bedeutung für Elemente eines Denkstils über Persönlichkeit Hier wird zwar die Argumentation Williams’ unterstützt, dass viele Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Dritte-Person-Perspektive erfahrbar werden und diese sich dabei durch den Körper ausdrücken, sei dies durch Narration oder durch andere Handlungen und Tätigkeiten. Auch jenseits von aktuellen Tätigkeiten stellt der Körper eines Menschen einen Ausdruck
33 Was alles einen Eingriff darstellen kann, siehe Kapitel V.1.
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bestimmter Eigenschaften dieser Persönlichkeit dar, sei es nur durch das optische Erscheinungsbild. Die Integrität des Körpers zu bewahren, kann daher auch bei Überlegungen zur Persönlichkeit eine hohe Wertigkeit erlangen. Verharrt die Beschreibung der Persönlichkeit – auch jenseits der Theorie Williams’ – jedoch bei den Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche sich in die Außenwelt ausdrücken lassen, dann kann dies im Hinblick auf die Wahrung der Integrität von Personen zu einer Missachtung wesentlicher Aspekte führen: jener Eigenschaften einer Persönlichkeit nämlich, die nur aus der Erste-Person-Perspektive erfahrbar werden. Wird diese Art der Beschreibung zu einem Denkstil erhoben, dann ergeben sich daraus Herausforderungen für die Ethik, die in Kapitel V beschrieben werden. Eine Betonung der Erste-Person-Perspektive im Falle der Persönlichkeit schließt allerdings nicht aus, dass der Körper für die Bestimmung sowohl der personalen Identität als auch der Persönlichkeit aus der Erste-PersonPerspektive ein notwendiges Kriterium darstellt. Nicht nur aus der DrittePerson-Perspektive schreiben wir Identität von Personen über den Körper zu. Auch ist es Teil unseres Bewusstseins, uns mit unserem Körper als identisch zu erleben und uns auch durch das Erleben des Körpers im erstpersönlichen Erleben insgesamt prägen zu lassen.34 Hinreichend ist ein Kriterium, das sich am Körper zur Bestimmung personaler Identität, aber auch von Persönlichkeit orientiert – egal ob aus der Erste- oder Dritte-Person-Perspektive – allerdings nicht. Zum einen sind Fälle zahlreich, in denen eine Identifikation mit dem Körper aus der ErstePerson-Perspektive zu misslingen scheint.35 Zum anderen geraten mit einer am Körper orientierten Bestimmung Aspekte menschlichen Lebens wie Selbstbewusstsein aus dem Fokus der Betrachtungen, wenn es beispielsweise um Veränderungsprozesse geht. Meines Erachtens reichen oft hervorgebrachte Argumente nicht aus, dass die Erinnerbarkeit bestimmter Ereignisse und bestimmter Eigenschaften graduell ist und in bestimmten Fällen der Zuordnung von außen bedarf,
34 Zu Embodiment und Einfluss des Körpers auf mentale Zustände siehe auch Gallagher 2006; Clark 2008. 35 Zu Störungen der Körperwahrnehmung siehe Spence et al. 2002 oder auf eine unterhaltsamere Weise bei Sacks 1999; zu Essstörungen, die häufig mit einer Körperschemastörung einhergehen, siehe Herpertz et al. 2008, S. 165.
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um Prozessen der Erste-Person-Perspektive wie dem Selbstbewusstsein identitätsstiftenden Gehalt abzusprechen. Schließlich ist die Identifikationsmöglichkeit über den menschlichen Körper in vielen Lebensphasen ebenfalls nur graduell möglich. Relevanter für die Arbeit ist jedoch, dass jene Eigenschaften im Sinne der Persönlichkeit individuellen Charakter haben, selbst wenn angenommen wird, dass sie vom Körper verursacht werden.36 Wie bei der vorhergehenden Beschreibung von Persönlichkeit ausgeführt, wird auch nach den Überlegungen anhand Williams’ Begriffsbestimmung der Körper als notwendiger Ort der Realisation der Persönlichkeit angesehen. Veränderungen des Körpers zwischen den dort beschriebenen Phasen des menschlichen Lebens können nach dem Persönlichkeitsverständnis dieser Arbeit nicht zu einem kompletten Verlust der Persönlichkeit führen. Zudem können alle Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche an die Außenwelt treten, nur über Vorgänge des Körpers realisiert werden, wie durch Sprechakte und andere Verhaltensweisen. Dennoch wird hier die Ansicht vertreten, dass Eigenschaften einer Persönlichkeit existieren, die zwar im Körper realisiert werden, aber nicht an die Außenwelt dringen.37 Jene existieren zwar in Wechselwirkung mit dem Organismus, können aber nicht ausschließlich durch eine Identifikation des Körpers oder seiner Anteile erkannt werden. Welche Auswirkungen eine gerichtete Wahrnehmung im Sinne eines Denkstils auf die Persönlichkeit haben kann, die sich ausschließlich an wahrnehmbaren Eigenschaften orientiert – egal ob aus einer Theorie der personalen Identität folgend oder aus anderen theoretischen Beweggründen – wird später näher dargelegt. An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass eine hinreichende Wahrung personaler Integrität mit einer solchen Auffassung von Persönlichkeit nicht gewährleistet werden kann. 1.1.5 Persistenz und Persönlichkeit bei Michael Quante Nach den Überlegungen zu Williams’ Verständnis von Persönlichkeit wird im Folgenden untersucht, ob Quantes »biologischer Ansatz« bei der Persistenzdarlegung und insbesondere seine Bestimmung von Persönlichkeit ei-
36 Eine Ablehnung dualistischer Positionen bei psychophysischen Fragen siehe zum Beispiel bei Williams 1978, S. 121 ff. 37 Zur Redeweise von Eigenschaften einer Persönlichkeit siehe Kapitel II.
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ne Erweiterung des über das Körperkriterium abgeleiteten Verständnisses von Persönlichkeit erlaubt. Quante kritisiert, dass in der Debatte um personale Identität zumeist vier unterschiedliche Fragestellungen miteinander vermengt werden: Die »Bedingung der Personalität«, die »(synchrone) Einheit der Person«, die »(diachrone) Persistenz« und die »Persönlichkeit« seien vier voneinander zu trennende Themen.38 Dementsprechend baut er seine Argumentation auf, indem er versucht, eine strikte Separierung zwischen Identität im Sinne der Persistenz einerseits und im Sinne der Persönlichkeit andererseits aufrechtzuerhalten. Quante plädiert ebenfalls dafür, den anspruchsvollen Begriff der Person, die mit ihren normativen und evaluativen Aspekten nur aus der Teilnehmerperspektive gänzlich erfasst werden könne, für Personalität und Persönlichkeit zu reservieren und bei der Analyse der Persistenz vom Begriff des Menschen auszugehen, der rein biologisch verstanden werden soll. Der Begriff »Mensch« erlaubt Quante also, Persistenz nur aus der Dritte-Person-Perspektive zu beschreiben.39 Dabei sollen die für die Vertreter der Spezies Mensch geläufigen biologischen Gesetzmäßigkeiten für die Persistenzbedingungen gelten. In diese Bedingungen gehen nicht etwa Materialaggregate ein; stattdessen wird der »organisierte« Körper in seiner kausalen Kontinuität, der menschliche Organismus als integrative Einheit relevant. Einzelne materielle Bestandteile des Körpers könnten ausgetauscht werden, ohne dass dadurch die Persistenz des Organismus zwangsläufig verloren ginge.40 Psychische Eigenschaften, wie sie in anderen komplexen Ansätzen zur Analyse der personalen Identität herangezogen werden, sind für Quante
38 Vgl. Quante 2002, S. 19; zum Persistenzbegriff siehe z.B. Brand 2010b, Kapitel 3.1; Rapp 1995. 39 Quante unterscheidet eine Beobachterperspektive (in dieser Arbeit als DrittePerson-Perspektive bezeichnet), eine Teilnehmerperspektive und eine cartesische Perspektive; siehe Quante 2002, S. 24 ff. Unter Teilnehmerperspektive wird bei Quante die Innenperspektive der Person als Teil eines sozialen und evaluativen Selbstverhältnisses verstanden. Selbstbewusstsein aus der cartesischen Perspektive hingegen wird als »rein deskriptiv erfassbares Phänomen« aufgefasst; vgl. Quante 2002, S. 26. 40 Vgl. Quante 2002, S. 56.
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weder notwendige noch hinreichende Bedingungen für die Persistenz.41 Für Fragen der Persistenz könnten Personalität und Persönlichkeit, die mit einer evaluativen Teilnehmerperspektive verbunden seien, ausgeblendet werden. Quante behauptet nicht, dass nur solche Phänomene existierten, die aus der Beobachtungsperspektive vollständig erfasst werden könnten. Die faktische Beschaffenheit des menschlichen Organismus sei aber als Realisationsbasis für Personalität und für Persönlichkeit von zentraler Bedeutung.42 Die Persönlichkeit steht bei Quante »[…] für die jeweils individuelle Ausgestaltung des Personenseins in der Biografie der jeweiligen Person, für ihre evaluativen Einstellungen, ihre emotionale und habituelle Verfasstheit, ihre Überzeugungen, Wünsche, ihre Lebenspläne, ihr Selbstbild von ihren Fähigkeiten, ihren Stärken und Schwächen. Mit anderen Worten: Persönlichkeit bezeichnet, wer oder was eine Person ist und sein will.«43
Quante geht von der Annahme aus, dass sich die Art und Weise, wie man sich über die Zeit hinweg zur eigenen Existenz verhält, in der Persönlichkeit niederschlägt. Demnach sind das Wissen um die eigene diachrone Identität und die Fähigkeit, sich zu dieser Identität zu verhalten – nach Quante eine notwendige Bedingung der Personalität –, wesentliche Bestandteile der Persönlichkeit. Eine Beziehung zwischen Personalität und Persönlichkeit besteht bei Quante in der individuellen Ausprägung von Eigenschaften der Personalität, um eine entsprechende Biografie herauszubilden.44 Die Biografie bildet sich demnach in der Teilnehmerperspektive aus, die man in einem bestimmten sozialen Umfeld einnimmt und welche durch ihre narrative Struktur auch über die Zeit hinweg als Biografie wiedergegeben wird. Somit ist Quante einem narrativen Ansatz der Persönlichkeit verpflichtet, den er in den Arbeiten von Taylor und Rorty entwickelt sieht.45 In
41 Vgl. Quante 2002, S. 57 ff. 42 Vgl. Quante 2002, S. 58. 43 Quante 2002, S. 22. 44 Vgl. Quante 2002, S. 158. 45 Vgl. Quante 2002, S. 168 ff., auch Fußnote 13, S. 170.
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Theorien der narrativen Identität konstituiert sich Identität über Erzählungen, die in soziale Handlungen und Austauschprozesse eingebunden sind.46 Die Spannungen zwischen Persistenz und einem evaluativen Selbstverhältnis heben sich gemäß Quantes biologischen Ansatz nicht auf, wenn zum Beispiel Zustände wie die eines irreversiblen Komas durchdacht werden.47 Ebenfalls ist sich Quante bewusst, dass mit dem biologischen Ansatz keine befriedigende Antwort auf Fragen im Hinblick auf bestimmte Transplantationsarten oder technische Eingriffe in das Gehirn gegeben werden kann. Das liegt daran, dass die Möglichkeit einer Identifikation und einer Individuierung eines menschlichen Organismus und damit verbunden auch seiner Persistenz in den Bereich der Naturwissenschaften und einer vermeintlich objektiven Zugänglichkeit verlegt wird. Die Persönlichkeit verbleibt im evaluativen Raum, für den Quante explizit keine naturalistische Interpretation sucht. Für normative Entscheidungen, wenn beispielsweise Eingriffe in das menschliche Gehirn infrage gestellt werden, sind allerdings beide Bereiche zu berücksichtigen. Dafür sind wir aber auf eine klare Verknüpfung von Persistenz und Persönlichkeit angewiesen. Zwar beschreibt Quante das Verhältnis zwischen Persistenz und Persönlichkeit, dennoch bleibt der Zustand der konkreten Verwobenheit dieser Entitäten für Problemfälle unklar. Die Frage nach der Wertigkeit vom Haben einer Persönlichkeit und Personalität für die Teilnehmerperspektive wird von Quante wegen der zentralen Bedeutung des Personenbegriffes für die Ethik eindeutig bejaht. Genauso wird die Ausbildung einer Persönlichkeit mit einem hohen Wert versehen, da sie stark mit Autonomie verwoben ist.48 Deutlich ist ebenfalls, dass die konstitutiven Bedingungen für die Persistenz bei Quante als kausale Ermöglichungsbedingungen für hinreichende Eigenschaften von Personalität und Persönlichkeit dienen. Ebenso ist für Quante die Identität im Sinne der Persistenz für Persönlichkeit im evaluativen Sinne wichtig, da unser Verständnis von Persönlichkeit durch die geltenden Bedingungen für die Persistenz geprägt sei.49
46 Zur narrativen Identität siehe beispielsweise Kraus 2000; Taylor 2002; zumeist wird das Konzept der narrativen personalen Identität mit Ricoeur in Verbindung gebracht; siehe Ricoeur 2005. 47 Vgl. Quante 2002, S. 169. 48 Vgl. Quante 2002, S. 166 und Kapitel III und V. 49 Vgl. Quante 2002, S. 162 ff.
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Allerdings kommt Quante für die Verflechtung von Persistenz und Persönlichkeit – aus der entgegengesetzten Perspektive betrachtet – zu anderen Ergebnissen. Für Quante kann die Identität der Persönlichkeit weder konstitutiv noch evaluativ für die menschliche Persistenz von Bedeutung sein, da die Persistenz auf die Beobachterperspektive beschränkt, die Persönlichkeit demgegenüber evaluativ und an die Teilnehmerperspektive gebunden sei.50 Kann die Persönlichkeit, also die Ausgestaltung des Personenseins in der Biografie, lediglich aus der Teilnehmerperspektive aufgefasst werden, wenn es um Eingriffe geht, die sowohl die Sicht der Person, also wer oder wie sie sein will, aus der Teilnehmerperspektive als auch die Realisation dieser Sicht in der Beobachterperspektive verändern? Wenn sich eine Person nach außen hin ganz anders verhält, weil sie ihre inneren Vorstellungen von sich verändert hat, kann dann eine so strikte Trennung zur Beurteilung der Erwünschtheit dieser Veränderung hilfreich sein? Selbst wenn wir letztere Frage nicht so extrem auf die Trennung der Teilnehmer- und Beobachterperspektive zuspitzen, sondern ein Verständnis von Narration annehmen, das den Erzählungen der Person und deren Identität auch aus der Beobachterperspektive eine bedeutende Rolle zuweist, verbleibt das Problem.51 Einige empirische Ergebnisse sprechen dafür, dass sowohl ein evaluatives Selbstbild (vielmehr die evaluativen Selbstverhältnisse) als auch sozial konstruierte Narrationen zu einer konstitutiven Veränderung der biologischen Gegebenheiten des menschlichen Körpers führen können. Ein kompletter Verlust von Persistenz ist zwar tatsächlich nur in Fällen von Suizid beispielsweise infolge eines negativen evaluativen Selbstbilds zu erwarten, gravierende Veränderungen der biologischen Gegebenheit dürften aber keine Seltenheit sein.52
50 Vgl. Quante 2002, S. 166. 51 Quante versteht unter Biografie etwas, das sich in der Teilnehmerperspektive herausbildet, die man in einem bestimmten sozialen Umfeld einnimmt. Der einheits- bzw. identitätsstiftende Charakter von Narration kann nicht nur seitens der Person erbracht werden, sondern auch vom sozialen Umfeld. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn Fähigkeiten von Personen eingeschränkt sind, eine einheitliche Narration beispielsweise ihrer Lebensgeschichte herzustellen: bedingt durch Erkrankungen, welche das Gedächtnis betreffen. 52 Viele Studien belegen beispielsweise einen Zusammenhang zwischen einem evaluativen Selbstverhältnis und der Funktionsweise des Immunsystems. Offen-
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Da laut Quante einzelne materielle Bestandteile des Körpers ausgetauscht werden könnten, ohne dass dadurch die Persistenz des Organismus zwangsläufig verloren ginge,53 sei dies auch für letztere Veränderungen angenommen. Aber ist eine so starke Trennung in Persistenz und Persönlichkeit sinnvoll, wenn es darum geht, beabsichtigte Veränderungen der Persönlichkeit normativ zu beurteilen? Ist eine solch scharfe Trennung möglich, wenn davon ausgegangen wird, dass auch unbemerkte Veränderungen des evaluativen Selbstbildes einen Niederschlag in der Biologie finden können, oder wenn davon auszugehen ist, dass eine biologische Veränderung auch eintreten kann, wenn sozial konstituierte Narrationen evaluative Selbstverhältnisse verändern? Trotz der hier kritisierten zu strikten Trennung der Beobachter- und Teilnehmerperspektive bietet das biologische Kriterium Quantes und sein Persönlichkeitsverständnis eine Erweiterung des Ansatzes von Williams. Damit erweitert sich das Bild, das zunächst für die Suche nach Denkstilcharakteristika entworfen wurde. Eine Grundannahme des »biologischen Ansatzes« von Quante wird hier geteilt, nämlich dass »komplexe Positionen« zur personalen Identität kritisiert werden können, welche den Begriff der Person aus der Beobachterperspektive untersuchen.54 Eine hauptsächliche Untersuchung auch des Begriffs der Persönlichkeit aus der Beobachterperspektive war ein Charakteristikum, das anhand Williams’ Theorie erörtert wurde und das an späteren Stellen der Arbeit noch hervortreten wird. Für alltägliche Fälle sieht Quante ebenfalls eine Einheitlichkeit der von ihm theoretisch aufgetrennten Phänomene. Die Spannungen, die zwischen den Persistenzbedingungen und dem Personenverständnis vorherrschen, sieht er vielmehr bei extremen Fällen wie Persönlichkeitsstörung oder irreversiblem Koma besonders deutlich gegeben.55 Genau für solche Fälle ist
sichtlich sind auch zum Beispiel Veränderungen der biologischen Gegebenheit bei Magersucht. Auf der Ebene von Tierversuchen konnten in den letzten Jahren auch einige langfristige Auswirkungen psychischer Belastung auf die Aktivität von Chromosomenabschnitten gezeigt werden; siehe beispielsweise Murgatroyd 2009. 53 Vgl. Quante 2002, S. 56. 54 Vgl. Quante 2002, S. 167. 55 Vgl. Quante 2002, S. 338.
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aber meines Erachtens eine strikte Auftrennung nicht zielführend, wenn es um normative Aussagen bezüglich solcher Fälle geht. Der Ansatz Quantes entspricht damit zwar nicht dem bisher anhand Williams’ anvisierten Charakteristikum eines Denkstils bezüglich Persönlichkeit. Er ist aber auch nicht ausreichend, wenn es um normative Aussagen geht. Vielmehr gilt es zur Lösung normativer Fragen bei solchen »Problemfällen« zwischen den beiden Perspektiven – aus einer Person heraus und auf eine Person – eine tragfähige Brücke zu schlagen. Dabei lediglich die kausalen Ermöglichungsbedingungen der evaluativen Teilnehmerperspektive zur Verknüpfung der beiden Perspektiven heranzuziehen, muss für bestimmte Fragen wie nach der normativen Beurteilung therapeutischer Eingriffe in das Gehirn bei Persönlichkeitsstörungen scheitern. Die Brücke muss auch von der anderen Seite begehbar sein. 1.2 Psychisches Kriterium Im folgenden Kapitel wird untersucht, ob eine Betonung eines psychischen Kriteriums im Rahmen der Bestimmung personaler Identität dazu führt, dass das Persönlichkeitsverständnis sich bei entsprechender Ableitung erweitert, oder ob mit dieser Art des Herangehens weitere Charakteristika eines Denkstils verbunden sind. Hierzu werden exemplarisch einige Ansätze besprochen, die ein solches Kriterium betonen. Philosophiegeschichtlich wurde seit Locke, im Zuge des Versuchs, Kritik am Erinnerungskriterium zu entgehen – etwa dem Verdopplungsproblem und dem Zirkularitätsvorwurf –, dieses Kriterium immer weiter diskutiert und modifiziert. Zur Umgehung des Zirkularitätsvorwurfs führte beispielsweise Sydney Shoemaker die seither viel diskutierten »Quasi-Memories« ein.56 Die Kontinuität der Erinnerung oder der Quasi-Erinnerung reicht aber für Shoemaker nicht aus, um personale Identität zu bestimmen. Vielmehr müssten auch andere psychologische Funktionen in ihrer Kontinuität herangezogen werden, um diese Bestimmung vorzunehmen. Dazu
56 Vgl. Noonan 2003, S. 11 f. Alle gewöhnlichen Erinnerungen seien Formen von Quasi-Erinnerungen. Letztere implizierten im Unterschied zu den »normalen« Erinnerungen keine Identität der Person und könnten so dem Einwand der Zirkularität entgehen; vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 86, 148, Fußnote; Shoemaker 1970.
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zählen für Shoemaker beispielsweise Persönlichkeitszüge, Interessen und Talente. Diese psychologischen Funktionen seien kausal verknüpft, da vergangene Zustände (z.B. Erlebnisse) auf aktuelle Persönlichkeitsmerkmale einwirkten.57 Laut Shoemaker muss eine komplette Amnesie nicht zu einem Verlust der personalen Identität führen. Persönlichkeitsmerkmale, Interessen oder Talente könnten weiterhin bestehen. Erst ein kompletter Verlust aller psychologischen Funktionen würde zu einem »total brain zap« führen, welcher mit personaler Identität nicht vereinbar wäre.58 Die von Shoemaker angeführten psychologischen Funktionen können zum Teil nur aus der Erste-Person-Perspektive, teils auch aus der DrittePerson-Perspektive wahrgenommen werden. Der Körper ist für Shoemaker keine notwendige Bedingung, um personale Identität (synchron oder diachron) zu realisieren. Das Material, in dem mentale Zustände realisiert werden, sei bei einer solchen funktionalistischen Auffassung für die Bestimmung der personalen Identität nicht von primärer Bedeutung.59 Eine solche Auffassung ließe sich sowohl mit einer dualistischen als auch mit einer materialistischen Sicht auf das Verhältnis von Leib und Seele vereinbaren.60 Dennoch ist für Shoemaker der Körper nicht ganz irrelevant. Die physikalische Realisierung der mentalen Zustände im Gehirn bzw. im Körper kann bei ihm als Verkörperung verstanden werden. Die Verkörperung hat bei Shoemaker eine »konzeptuelle Bedeutung« und stellt gewissermaßen eine »paradigmatische Bedingung« für die Möglichkeit mentaler Zustände dar – paradigmatisch, sofern keine funktionelle Ersetzbarkeit des Körpers möglich ist. Shoemaker unterscheidet für psychophysische Verknüpfungen zwischen einer »willentlichen« (z.B. führt Nickenwollen zum Nicken), einer »sensorischen« (Sinneswahrnehmungen als Vermittler zwischen Welt und Person) und einer »biologischen« Verkörperung. Die »biologische« Verkörperung sei dabei mehr von konstitutiver Bedeutung.61 Der menschliche Körper ist für Shoemaker epistemisch gesehen eine notwendige Bedingung für personale Identität. Demgegenüber ist eine nicht verkörperte Person für Shoemaker in ontologischer Hinsicht möglich. Für
57 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 89 ff. 58 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 87 f. 59 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 92 ff.; Northoff 2001, S. 97 ff. 60 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 102 ff. 61 Vgl. Northoff 2001, S. 123 ff.; siehe Shoemaker 1984, S. 115 ff.
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das isolierte Gehirn wäre eine der Verkörperung funktional gleichwertige Situation vorstellbar.62 Diese funktionalistische Sichtweise des Gehirns lässt sich nach den neurowissenschaftlichen Ergebnissen und theoretischen Fortschritten in den letzten Jahrzehnten schwer aufrechterhalten. Beim Gehirn muss nach heutigem Verständnis vielmehr von einem Organ ausgegangen werden, das in den Organismus und seine Umwelt eingebunden ist.63 Körper und Gehirn sind auch für Shoemaker kausal verknüpft und kohärent. Die Kohärenz gelte aber nur so lange, bis die mentalen Zustände im Gehirn realisiert werden.64 Dies hat für das Persönlichkeitsverständnis auch weitreichende Folgen. Zwar können auch gemäß Shoemaker psychologische Funktionen wie beispielsweise Eigenschaften der Persönlichkeit in ihrer Kontinuität zur Bestimmung personaler Identität herangezogen werden. Ist für den Körper zur Auslebung dieser Eigenschaften allerdings eine funktional gleichwertige Situation denkbar, dann bekommt die Verbindung der Eigenschaften mit dem gesamten Organismus weniger Bedeutung als in der eigenen Konzeption vorgeschlagen. Dies wirkt sich dann bei späteren normativen Fragen aus. Durch die Verbindung der »biologischen« Verkörperung mit dem »willentlich-sensorischen« Körper vollzieht Shoemaker jedoch auch eine Verknüpfung mentaler Zustände und physischer Grundlagen bzw. physischer Auswirkungen derselben. Gleichzeitig sollte den neueren Modellen des Gehirns Rechnung getragen und vielmehr von einer »zirkulären und integralen« Kausalität im Sinne Thomas Fuchs’ ausgegangen werden.65 Mit letzterer Annahme, aber auch mit den meisten heute diskutierten Konzepten zu psychophysischen Fragen, ist das Material als Ursache mentaler Zustände ebenfalls nicht vernachlässigbar. In der Begrifflichkeit des »WillentlichSensorischen« könnten aber neuere Erkenntnisse der Neurowissenschaften
62 Vgl. Northoff 2001, S. 123 ff.; siehe Shoemaker 1984, S. 115 ff. 63 Siehe dazu Fuchs 2008, S. 121 ff. Für Fuchs ist eine monolineare Kausalität in Bezug auf lebendige Organismen nicht angemessen, vielmehr muss von einer »zirkulären und integralen« Kausalität ausgegangen werden, um der Einbettung des Gehirns in den Organismus gerecht zu werden. 64 Vgl. Northoff 2001, S. 123 ff.; siehe Shoemaker 1984, S. 125 ff. und S. 292. 65 Siehe Fuchs 2008, S. 121 ff. Fuchs unterscheidet dabei eine vertikale und horizontale, interne und externe zirkuläre Kausalität, die zum Begriff von integraler Kausalität des Lebendigen verknüpft werden.
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wiedergefunden werden, die in der Wahrnehmung ebenfalls aktive Aspekte sehen. Gemäß Alva Noë ist Wahrnehmung nicht etwas, was uns passiert, sondern was wir tun.66 Für spätere Ausführungen ist zudem in Anschluss an Shoemaker zu beachten, dass die Effekte der Verkörperung, die Shoemaker »willentlichsensorisch« nennt, teils aus der Beobachterperspektive, teils aus der Teilnehmerperspektive und teils aus beiden Perspektiven wahrgenommen werden können. Durch die Vernachlässigung der materiellen Grundlagen für Fragen der personalen Identität, aber auch der Persönlichkeit, wird die Beurteilung der Tragweite von Eingriffen in den Körper für die Persönlichkeit aus der Teilnehmerperspektive erschwert. Zwar lässt sich auf einer theoretischen Basis, die das Gehirn eingebettet in den Organismus und als nicht funktional austauschbar voraussetzt, über einige Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Teilnehmerperspektive ebenfalls nicht viel sagen. Dennoch muss eine stärkere Verbindung zwischen dem Körper und der Persönlichkeit hergestellt werden, als Shoemakers Ausführungen es erlauben, um die Auswirkungen von Eingriffen in das Material »Körper« für eine Persönlichkeit auch aus der Teilnehmerperspektive hinreichend durchdenken zu können, aber auch, um den Anteilen der Persönlichkeit, die sich über den Ausdruck im Körper realisieren, gerecht zu werden.67 Bei der Betrachtung der Theorie Derek Parfits ergibt sich ein ähnliches Problem. Auf den ersten Blick scheint Parfits Theorie zwar einen geeigneten Weg zu eröffnen, um mit seinem Verständnis von »psychologischer Kontinuität« zumindest den Erhalt psychologischer Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Teilnehmerperspektive bei Eingriffen in den Körper hinterfragen zu können. Auf den zweiten Blick ist sein Ansatz aber weiterhin mit den Problemen konfrontiert, die sich aus einer mangelnden Berücksichtigung materieller Grundlagen ergeben. Zunächst ist Parfit daran gelegen zu zeigen, dass es nicht notwendigerweise eines Kriteriums der Identität bedarf, um zu beantworten, warum sich jemand zu unterschiedlichen Zeitpunkten für dieselbe Person hält. Anstatt von Identität zu sprechen, plädiert er dafür, das »Überleben« als graduelle
66 Siehe Noë 2005, S. 1 ff. 67 Zu der Bedeutung des Körperausdrucks für die Persönlichkeit siehe Williams 1978, S. 24 ff.
60ŇP ERSÖNLICHKEIT IM Z EITALTER DER N EUROWISSENSCHAFTEN
Relation in den Vordergrund der Analysen zu rücken. Für das Überleben wird durch »psychologische Kontinuität« und durch »psychologische Verbundenheit« eine »Relation R« definiert, die als notwendige Bedingung dient. Diese Relation R impliziere keine Alles-oder-nichts-Entscheidung und setze auch keine Eins-zu-eins-Relation voraus.68 »Relation R is what matters. R is psychological connectedness and/or psychological continuity, with the right kind of cause. I also claim in an account of what matters, the right kind of cause could be any cause.«69
Die Relation R könne auch als verschiedene »sukzessive Selbstversionen« beschrieben werden. »Psychological continuity« könne immer noch vorhanden sein, wenn die »psychological connectedness« wie bei der Amnesie beispielsweise verloren gegangen sei.70 Für Parfit sind Transplantationen des Gehirns, Eingriffe in das Gehirn und Teilungen des Gehirns denkbar und vertretbar, solange das Kriterium der psychischen Kontinuität erhalten bleibt. Auf den ersten Blick lässt der Rahmen, den Parfit mit seinem Begriff der psychischen Kontinuität schafft, mehr Raum für die bei Shoemaker bemängelte Darstellung der Teilnehmerperspektive. Aber auch für Parfit ist das Gehirn im Hinblick auf das Überleben bedeutungslos, da es nicht notwendigerweise der Träger der Relation R ist.71 Nur jene Wirkungen und Effekte, die vom Gehirn funktionell erzeugt werden, sind laut Parfit für das Überleben wichtig. Diese Effekte könnten aber, solange die Relation R bestehen bliebe, auch von anderen Materialien verursacht werden.
68 Vgl. Parfit 1987, S. 245 ff. Sowohl »psychological connectedness« als auch »psychological continuity« sind graduelle und nicht notwendige Eins-zu-einsRelationen. Im Gegensatz zur »psychological connectedness« ist die »psychological continuity« ebenso wie Überleben eine transitive Relation. Daher fallen personale Identität und Überleben laut Parfit bei Eins-zu-eins-Relationen zusammen. Psychologische »connectedness« kann als direkte psychologische Verbindung und psychologische Kontinuität als überlappende Ketten von starken psychologischen Verbindungen verstanden werden; siehe Parfit 1987, S. 206. 69 Parfit 1987, S. 262. 70 Vgl. Parfit 1987, S. 298 ff. 71 Vgl. Parfit 1987, S. 284.
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Damit rücken auch bei Parfit Eigenschaften einer Persönlichkeit aus dem Blickfeld, die über den Körper ausgedrückt werden und eine oft jahrzehntelange Übung des entsprechenden Körpers erfordern. Zudem sind weiterhin Eingriffe in die Materie des menschlichen Körpers schwer zu beurteilen, welche unter Umständen zu einer Veränderung der psychologischen Funktionen führen, wenn zwar eine »psychological connected-ness« und eine »psychological continuity« vorausgesetzt werden, aber für diese gilt: »The right kind of cause could be any cause.«72 Wird das Material als Ursache für Eigenschaften einer Persönlichkeit in dieser weitreichenden Form irrelevant, verliert beispielsweise auch die Analyse künstlicher Veränderungen dieser Materie ihr Fundament. Damit entwirft Parfit auf terminologischer Ebene zwar einen etwas breiteren Rahmen als Shoemaker, um die Erste-Person-Perspektive bei der Beurteilung von Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit mit einzubeziehen. Für eine hinreichende Analyse von Veränderungen jener Eigenschaften einer Persönlichkeit, die sich aus der Dritte-Person-Perspektive über den Körper ausdrücken, bleibt allerdings auch hier kein Raum, da die Materie, in der sich die psychologischen Funktionen realisieren, als irrelevant erklärt wird. Somit werden nicht nur die körperlichen Ausdrucksweisen von Persönlichkeit vernachlässigt, sondern auch die Wechselwirkungen des Körpers mit der Umwelt, die sich als Lernprozesse nicht nur in psychologischen Funktionen, sondern auch in körperlichen Veränderungen niederschlagen. Diese körperlichen Ausdrucksweisen, die nicht in einem anderen Körper reproduzierbar sind, finden ihren Widerhall beispielsweise in künstlerischen, sportlichen oder ähnlichen Darbietungen. Sie drücken sich aber auch in der speziellen Mimik, in Erkrankungen oder in Form epigenetischer Veränderungen aus. Diese Ausdrucksweisen des Körpers als Eigenschaften einer Persönlichkeit beispielsweise bei der Beurteilung von Eingriffen in den Körper zu missachten, bedeutet aber, der Absicht einer Wahrung der Integrität von Personen nur zum Teil gerecht werden zu können. Charakteristisch für den Denkstil scheint dabei erneut eine Vernachlässigung bei der Beschreibung von Persönlichkeit zu sein.
72 Parfit 1987, S. 262.
62ŇP ERSÖNLICHKEIT IM Z EITALTER DER N EUROWISSENSCHAFTEN
1.3 Erste-Person-Perspektive Bisher wurden hauptsächlich drei Punkte der Kritik an der Bestimmung von Persönlichkeit in den Theorien der personalen Identität ausgemacht: erstens – die Erste-Person-Perspektive als Träger von Eigenschaften einer Persönlichkeit wurde nicht hinreichend bedacht; zweitens – die Wechselwirkung zwischen Erste-Person-Perspektive und Dritte-Person-Perspektive wurde hinsichtlich der Eigenschaften einer Persönlichkeit nicht hinreichend beschrieben; drittens – der Körper als nicht austauschbarer Träger von Eigenschaften einer Persönlichkeit wurde vernachlässigt. Wiederum scheint auf den ersten Blick Georg Northoff für diese Probleme eine Lösung zu bieten. Allerdings trifft seine potenzielle Lösung, wie wir sehen werden, nur für die personale Identität zu; für die Persönlichkeit tritt jener Effekt zutage, der anfangs formuliert wurde: Da der Begriff der Persönlichkeit dem jeweiligen Verständnis von personaler Identität zugeordnet wird, kann bei normativen Fragen eine Diskrepanz zwischen der Sorge um den Erhalt der personalen Identität und um den Erhalt der Persönlichkeit entstehen. Betrachtet man die ausführliche Debatte um personale Identität im Rahmen technischer Eingriffe in das Gehirn, dann entsteht schnell der Eindruck, dass dieser Effekt bereits ein Charakteristikum eines Denkstils darstellt. Zunächst aber zu der Darstellung von Northoffs Versuch, verschiedene Kriterien bei der Bestimmung personaler Identität zu vereinen. Northoff versucht, im Rahmen der Entwicklung seiner Theorie personaler Identität, psychische und physiologische Kriterien zu verbinden und der Erste-Person-Perspektive eine besondere Bedeutung beizumessen. Northoffs Ansatz, eine naturalistische Auffassung mit einer zentralen Rolle der Erste-Person-Perspektive zu verknüpfen, könnte die eben skizzierten Probleme der Theorien bezüglich der personalen Identität überwinden. Ob dem tatsächlich so ist, muss den Forschern zur personalen Identität überlassen werden.73 Allerdings wird ersichtlich, dass dieser Überwindungsversuch auf das Phänomen der Persönlichkeit nicht übertragbar ist. Northoffs Ansatz der personalen Identität bezieht direkte und indirekte Kriterien ein. Als notwendige, direkte, aber nicht hinreichende Kriterien für
73 Eine Analyse des Northoff’schen Ansatzes findet sich in Brand 2010b, Kapitel 2.4.2.
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das Vorhandensein personaler Identität betrachtet Northoff die Erste- und die Dritte-Person-Perspektive. Für die Erste-Person-Perspektive sollen das »Ich-Gefühl« und die »Relation der Meinigkeit« notwendig sein. Notwendige, indirekte und nicht hinreichende Kriterien sind das Gedächtnis, das Gehirn und der Köper.74 Zur Charakterisierung des »Ich-Gefühls« und der »Relation der Meinigkeit« nähert sich Northoff den Ausführungen Thomas Metzingers zu Selbstmodellen an. »Meinigkeit« ist bei Metzinger in das Selbstmodell eingebettet, das physisch verankert sei und sich im »phänomenalen Selbst« wiederfinde.75 Selbstmodelle könne man am ehesten mit inneren Bildern vergleichen. Die Modelle bilden die Grundlage für das Selbstbewusstsein und führen zu der Entstehung psychologischer Eigenschaften. Mentale Selbstrepräsentation sei dabei ein Sonderfall der mentalen Repräsentation, bei dem sich das »System«, das den Prozess der internen Repräsentation durchführe, selbst abbilde. Damit fungiere ein Teil des Systems als interne Abbildung des Ganzen; der abbildende Teil und das Ganze befinden sich laut Metzinger in einer Ähnlichkeitsrelation. Nach Metzinger können Selbstrepräsentate, die vom physischen System generiert wurden, nicht leer sein.76 Metzinger betrachtet personale Identität als interne Selbstrepräsentation mentaler Zustände, wobei phänomenale und repräsentationale Gehalte verknüpft werden. Daher meint er, dem Problem der Betrachtungsweise von innen und außen zu entgehen und die Untersuchung der Funktionsweise des Gehirns in den Vordergrund zu rücken.77 Northoff knüpft, wie weiter oben erwähnt, an das Modell Metzingers an. Zwar wäre eine klarere Verbindung mentaler Zustände und Selbstmodelle bei Northoff wünschenswert. Dennoch liegt ein großer Wert der Ausführungen Northoffs für diese Arbeit in seiner Betonung der Erste-PersonPerspektive. Da die Feststellung, dass die Erste-Person-Perspektive als Träger von Eigenschaften einer Persönlichkeit in Theorien zur personalen Identität nicht hinreichend bedacht wird, für die Charakterisierung des Denkstils über Persönlichkeit einen wichtigen Bestandteil darstellt, werden
74 Northoff 2001, S. 418 f. 75 Vgl. Metzinger 1999; vgl. Northoff, S. 155 ff. 76 Vgl. Metzinger 1999, S. 151–154. 77 Vgl. Northoff 2001, S. 134; Metzinger 1999.
64ŇP ERSÖNLICHKEIT IM Z EITALTER DER N EUROWISSENSCHAFTEN
im folgenden Exkurs einige weitere Theorieansätze skizziert, die die Bedeutung der Erste-Person-Perspektive hervorheben. Zentral für Theorien, die in der aktuellen Debatte für die Notwendigkeit der Erste-Person-Perspektive eintreten, sind Überlegungen, die an denen von Thomas Nagel anknüpfen. Das »Ich« als Subjekt sei demnach Zentrum der Welt mit einer spezifischen Innenperspektive. Es gebe allerdings auch ein zur Abstraktion fähiges »objektives Selbst«, das quasi einen »Blick von Nirgendwo« einnehme.78 Auch Richard Swinburne räumt der Erste-Person-Perspektive eine zentrale Bedeutung ein, wenn es um personale Identität geht.79 Dabei ist für ihn die Annahme einer Seele notwendig, um die Perspektive in der ersten Person erklären zu können. Der Erste-Person-Perspektive liege die Einheit verschiedener diachroner und synchroner Erfahrungen zugrunde, deren sich nur eine Person bewusst werden könne. Für Swinburne ist die Person eine Substanz mit Körper und Seele. Dabei geht er wie René Descartes von der Unteilbarkeit der Seele aus, allerdings verneint er deren Unsterblichkeit.80 Die Identität der Person ist für ihn empirisch weder mit physikalischen noch mit psychologischen Kriterien analysierbar.81 Diese könne nur aus der Erste-Person-Perspektive analysiert werden und somit sei auch die Entscheidung über die Anzahl der involvierten »Seelen« nur aus dieser Perspektive sinnvoll. Dennoch schließt Swinburne Erkenntnisbedingungen aus der Dritte-Person-Perspektive, die allerdings keine Beweise, sondern nur fehlbare Evidenzen seien, für die Identität nicht aus. Diese Evidenzen könnten laut Swinburne zur Unterscheidung zwischen Identität und Übereinstimmung beitragen.82 Indirekte Erkenntnisbedingungen wären nach Swinburne Fingerabdrükke, äußere Gleichheit und das Gehirn. Das Gehirn erhalte seine indirekte Erkenntnisbedingung durch eine Schlussfolgerung der Kontinuität von Er-
78 Vgl. Nagel 1992, S. 110 ff.; Northoff 2001, S. 59 ff. 79 Swinburne vertritt einen »einfachen« Ansatz der personalen Identität; zur Theorie Swinburnes siehe beispielsweise Swinburne 1976; Shoemaker, Swinburne 1984; Northoff 2001, S. 135 ff. und S. 52 ff. 80 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 34. 81 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 45, 49, 31–34, 66; zu Swinburnes Theorie siehe auch Northoff 2001, S. 135 ff. und S. 52 ff. 82 Vgl. Northoff 2001, S. 52 f.
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innerungen und Charaktereigenschaften. Die Erinnerung stelle eine direkte Erkenntnisbedingung dar. Charaktereigenschaften können für Swinburne indirekte oder direkte Erkenntnisbedingungen für personale Identität darstellen. Indirekte Bedingungen seien Charaktereigenschaften, wenn sie von anderen Kriterien unabhängig sind. In diesem Fall seien sie schwache Kriterien, da Charakterabstufungen und Ähnlichkeiten in Charakterzügen bei mehreren Menschen nicht zu vernachlässigen seien. Werde dagegen die Kontinuität der Erinnerung zusammen mit der Kontinuität der Charaktereigenschaften betrachtet, könne man von einer direkten Bedingung für die Identität sprechen. Veränderungen der Erinnerung führen nach Swinburne auch zu einem veränderten Charakter und umgekehrt.83 Nach dem kleinen Exkurs zur Bedeutung der Erste-Person-Perspektive für die personale Identität bei einigen Autoren ist zu klären, welche Schlussfolgerungen Northoff aus der Betonung der Erste-Person-Perspektive und deren direkten und indirekten Kriterien (die bei Northoff einzeln alle nicht hinreichend sind für die Konstituierung personaler Identität) zieht, wenn es um Eingriffe in den Körper geht. Northoff sieht die Erste-Person-Perspektive nicht als ein a priori vorhandenes Wesensmerkmal an, sondern als eine »a posteriori veränderbare psychologische Eigenschaft« der Konstitution personaler Identität.84 Unter Berücksichtigung der Erste-Person-Perspektive folgert er unter anderem, dass sich das Selbstmodell (im Sinne Metzingers) bei der Demenz quantitativ einenge, dagegen bei Schizophrenie qualitativ verändere.85 Daraus leitet er auch Konsequenzen für die Therapie ab: »Qualitative Veränderungen des Selbstmodells, wie im Falle der Schizophrenie, sind gegenwärtig therapeutisch nicht direkt beeinflussbar, sondern können nur indirekt mittels der Einschränkung der Fähigkeiten der Konstitution von Selbstmodellen bzw. ›mentalen Simulationen‹ beeinflusst werden. […] Die Konstitution eines eigenen Selbstmodells wird durch diese therapeutischen Eingriffe [gemeint sind auch 86
Neuroleptika; O. F.] somit möglicherweise eher erschwert als erleichtert.«
83 Vgl. Shoemaker, Swinburne 1984, S. 49 ff.; Northoff 2001, S. 52 ff. 84 Vgl. Northoff 2001, S. 417 ff. 85 Vgl. Northoff 2001, Kapitel 3.1.1; Metzinger 1999. 86 Northoff 2001, S. 180.
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Ausgehend von der Betonung der Erste-Person-Perspektive plädiert Northoff dafür, dass bei qualitativen Veränderungen des Selbstmodells beispielsweise keine implantativen Eingriffe in das Gehirn vorgenommen werden.87 Ob eine derartige Auftrennung in quantitative und qualitative Veränderungen sinnvoll ist, muss an anderer Stelle diskutiert werden. Hier soll es im Folgenden um die Differenz der Bestimmung im Hinblick auf den Persönlichkeitsbegriff gehen. Für die Persönlichkeit betont Northoff die Erste-Person-Perspektive nicht mehr in der Weise, die Irreduzibilität impliziert. Er unterscheidet personale Identität folgendermaßen von Persönlichkeit: »Im Unterschied zur ›personalen Identität‹ ist der Terminus der ›Persönlichkeit‹ weniger ein theoretisch-konzeptueller Begriff, sondern eher ein empirischer, der sich vor allem auf die ›Charaktereigenschaften und Wesenszüge‹ einer Person bezieht. Dementsprechend müssen Veränderungen der Persönlichkeit nicht notwendig mit Veränderungen der personalen Identität einhergehen und umgekehrt.«88
Eine solche Differenzierung hat auch Folgen für normative Fragen. Northoff kommt in Bezug auf personale Identität zu der Schlussfolgerung, dass nicht alle Eingriffe in das Gehirn geboten seien. Diese Schlussfolgerung kann er aber für die Persönlichkeit nicht aufrechterhalten. Eingriffe ins Gehirn, die motorische Veränderungen betreffen, aber nicht die Erste-PersonPerspektive (wie etwa bei der Parkinsonerkrankung), erscheinen ihm sinnvoll und geboten. Allerdings sieht er operative Eingriffe in das Gehirn bei psychischen Erkrankungen, bei denen nicht nur die Mittel zur Realisierung der Erste-Person-Perspektive nicht verfügbar sind (z.B. Demenz), sondern die Erste-Person-Perspektive selbst auch verändert ist (Northoff nennt als Beispiel die Schizophrenie), als gefährdend für die personale Identität an.89 Wie oben erwähnt, sei es zunächst dahingestellt, ob diese Unterscheidung im Falle der personalen Identität glücklich gewählt ist. Räumt eine Theorie, wie in dieser Arbeit angestrebt, der Erste-PersonPerspektive bei der Bestimmung von Persönlichkeit eine Bedeutung ein, dann könnte sich die Sicht auf Eingriffe (hier zunächst jeglicher Art) zur
87 Vgl. Northoff 2001, S. 170 ff. 88 Vgl. Northoff 2001, S. 421. 89 Vgl. Northoff 2001, S. 428.
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Veränderung der Persönlichkeit analog zu Northoffs Schlussfolgerungen bezüglich personaler Identität verändern. Eine Ausblendung der Erste-Person-Perspektive bei der Bestimmung der Persönlichkeit wurde zuvor bereits als ein mögliches Denkstilcharakteristikum benannt. Die Beachtung dieser für personale Identität und der damit verbundenen normativen Fragen, aber nicht für Persönlichkeit, stellt ein weites Charakteristikum dar. Theoretisch könnten die Eingriffe auch bei einem Rechtfertigungsbezug auf die Persönlichkeit in qualitative und quantitative Veränderungen unterschieden werden. Das mutet zunächst als eine rein terminologische Debatte an. Aber wenn es um die »Wertigkeit« der Persönlichkeit bzw. um die Beurteilung dessen, was in real existierenden Diskursen unter dem Schutz der Integrität von Personen alles zu fassen gilt, dann ist die terminologische Bestimmung der Persönlichkeit durchaus von Relevanz. Die Betonung der Wertigkeit von Persönlichkeit und deren einzelnen Eigenschaften kann meines Erachtens als konstituierendes Element personaler Identität, aber auch personaler Integrität nur unter Einbeziehung sowohl der Erste- als auch der Dritte-Person-Perspektive auf diese befriedigend ausfallen. Ähnlich wie Northoff es für die personale Identität analysiert, sind bei einer Einbeziehung beider Perspektiven »falsch positive« oder »falsch negative« Bestimmungen der Persönlichkeit weniger zu befürchten.90 Dadurch sind auch »falsch positive« oder »falsch negative« normative Entscheidungen bei Eingriffen, die sich in ihrer Rechtfertigung terminologisch explizit auf die Persönlichkeit beziehen, besser vermeidbar. Wie bei der Betrachtung psychischer Kriterien personaler Identität erläutert, sind aber zu einer umfassenden Bestimmung der Persönlichkeit nicht nur die angesprochenen Perspektiven auf die Eigenschaften einer Persönlichkeit mit Bedeutung zu belegen, sondern es muss auch deren physische Realisation in die Beschreibung integrierbar sein. 1.4 Denkstilcharakteristika der Debatte über personale Identität Ziel von Kapitel IV.1. war es, einige aktuelle Verwendungsweisen des Begriffs Persönlichkeit aufzuzeigen, die in Theorien zur personalen Identität vorherrschen oder aus diesen abgeleitet werden können. Zum einen ergaben
90 Vgl. Northoff 2001, S. 195.
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sich daraus bereits mögliche Denkstilcharakteristika und mögliche Vermeidungen derselben. Zum anderen wurde bereits in diesem Kapitel angerissen, wie sich bestimmte Verwendungsweisen in normativen Diskursen bei der Beurteilung dessen auswirken können, welche technischen oder anderweitigen Möglichkeiten zu Veränderung von Persönlichkeit erlaubt sein sollen. Verweist man in normativen Diskursen auf die Persönlichkeit und auf ihre Bewahrung, dann geschieht dies häufig mit einem Rückgriff auf die Wahrung der Integrität von Personen. Es scheint den Debatten der personalen Identität folgend selbstverständlich, dass die Aufrechterhaltung personaler Identität zu einem wesentlichen Bestandteil dieser Integrität gerechnet wird. Die Rechte der Persönlichkeit sollen zwar ebenfalls nicht verletzt werden, allerdings bleibt bei engen Bestimmungen von Persönlichkeit fraglich, inwieweit diese erschöpfend betrachtet werden können. Deutlich geht aus den Analysen dieses Kapitels hervor, dass ein Persönlichkeitsbegriff, der zur Überprüfung der Wahrung der Integrität von Personen belastbar sein soll, verschiedene notwendige Bedingungen zu erfüllen hat. Er muss eine epistemische und evaluative Erste-Person-Perspektive für Eigenschaften und Dispositionen der Person aufweisen, welche zwar physisch realisiert wird, aber nicht auf diese reduziert werden kann. Es müssen Eigenschaften und Dispositionen zugeordnet werden können, welche aus der Dritte-Person-Perspektive erkennbar werden und sich auf den Körper sowie seine Verhaltensweisen, inklusive Sprechakte, beziehen.91 In der Verbindung der zwei Perspektiven auf Eigenschaften und Dispositionen von Persönlichkeiten muss die zirkuläre und integrale Kausalität der gegenseitigen Bedingtheit ersichtlich werden. In jene Art von Kausalität gehen sowohl physische Prozesse als auch Wechselwirkungen mit der Umwelt, z.B. in Form von Narrationen, Wahrnehmungen, Einstellungen und Lernprozessen, ein. Damit wird auch ersichtlich, dass Personen sowohl in ihrer personalen Identität als auch in ihrer Persönlichkeit immer Subjekte praktischer Selbstverhältnisse sein müssen.92 Nimmt man die Forderung nach einem solch weiten Verständnis für Persönlichkeit ernst, dann können als Grundlage für normative Überlegun-
91 Für eine Auseinandersetzung mit Sprechakten siehe Searle 2000. 92 Zur personalen Identität, die bereits ein »Subjekt praktischer Selbstverhältnisse enthält«, siehe Sturma 2008, S. 154 ff.
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gen, die sich mit der Aufrechterhaltung der Integrität von Personen befassen, keine Theorien Geltung erlangen, die ein enges Verständnis von Persönlichkeit vertreten. Hinzu kommt, dass die Einengung des Verständnisses auf bestimmte Aspekte von Persönlichkeit einem Denkstil folgen kann. Die gerichtete Wahrnehmung eines Denkstils nicht unreflektiert hinzunehmen, ist eine normative Forderung dieser Arbeit. Als mögliche Einengungen der Wahrnehmung wurden in diesem Kapitel verschiedene Punkte ausgemacht. Für eine Klassifizierung als Denkstil wird in folgenden Kapiteln untersucht, welche Charakteristika sich ebenfalls in anderen Bereichen der Wissenschaft identifizieren lassen. Mögliche Kandidaten waren folgende: Die Persönlichkeit wird primär über Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Dritte-Person-Perspektive bestimmt; es wird eine Abgeschlossenheit von Eigenschaften der Erste-Person-Perspektive propagiert oder es wird hauptsächlich diese Perspektive zur Bestimmung von Persönlichkeit herangezogen; das Material der Realisation der Eigenschaften einer Persönlichkeit wird als unerheblich erachtet; es wird keine hinreichende beidseitige Verbindung geschaffen zwischen den biologischen Gegebenheiten und den epistemischen oder evaluativen Selbstverhältnissen von Personen.
2
N EUROWISSENSCHAFTEN
UND
P SYCHOLOGIE
2.1 Terminologische Bestimmung in den Neurowissenschaften Neben dem Alltagsverständnis stellen die Psychologie und neuerdings die Neurowissenschaften diejenigen Bereiche dar, die zum großen Teil das Persönlichkeitsverständnis und daraus abgeleitete normative Empfehlungen im Umgang damit prägen.93 Aus diesem Grund wird hier für diese Bereiche
93 Unter Neurowissenschaft werden hier verschiedenste Disziplinen, die sich mit der Funktionsweise und dem Aufbau des Nervensystems beschäftigen, verstanden. Darunter fallen neben der Neurobiologie, der Neurophysiologie, der Neuroanatomie, der kognitiven Neurowissenschaft auch Fächer, die dem klinischen Bereich zuzuordnen sind, beispielsweise Neurologie, Neuropsychologie oder Psychiatrie. Zu einer Beschreibung, was unter Neurowissenschaften zudem verstanden werden kann, siehe Bear et al. 2009, S. 15 ff.
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untersucht, ob sie ein Charakteristikum oder mehrere Charakteristika bei ihrer Bestimmung von Persönlichkeit aufweisen, die im vorhergehenden Kapitel benannt wurden. Da für die Theorien personaler Identität eine terminologische Bestimmung wesentlich war, wird für die Bereiche Psychologie und Neurowissenschaften zunächst ebenfalls eine Begriffsbetrachtung erfolgen. Die rasante Entwicklung der Neurowissenschaften verfolgend stellt sich die Frage, ob die Neurowissenschaften für Fragen wie »Wie soll eine Person leben, oder wie soll ihre Persönlichkeit gestaltet sein?« durch eine Entschlüsselung der Funktionsweise von Neuronen ebenfalls einen Beitrag leisten können. Meines Erachtens scheinen die Ergebnisse der Neurowissenschaften vielmehr neue Fragen für die Ethik auch im diskutierten Bereich aufzuwerfen. Es wäre aber ebenfalls vermessen zu sagen, dass die Neurowissenschaften permanent ihre Kompetenzgrenzen überschreiten würden und Antworten auf die obigen Fragen geben wollten. Zumeist bleiben sie ihren konkreten naturwissenschaftlichen Ergebnissen verpflichtet. Selbst wenn die Ergebnisse der Neurowissenschaften nicht notwendigerweise zur Beantwortung solch normativer Fragen beitragen können, so lohnt es sich doch, deren deskriptives Persönlichkeitsverständnis näher zu untersuchen. Dieses führt nämlich in Folge sehr wohl zu vielerlei normativen Aussagen. Die Betrachtungen neurowissenschaftlicher und psychologischer Verständnisweisen der Persönlichkeit liefern zudem unerlässliche Hinweise, welche Phänomene in eine Konzeption von Persönlichkeit integriert werden sollten. Ferner bilden die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Forschung – neben denen der psychologischen Forschungen – eine gesellschaftlich akzeptierte Basis für die Beurteilung von Persönlichkeit und deren Störungen. Die Erkenntnisse, die mithilfe der sich rasant entwickelnden Neurowissenschaften gewonnen werden können, erwecken die Vorstellung, menschliches Denken und Fühlen könne in naher Zukunft vollständig naturwissenschaftlich erklärt werden. Selbst wenn diese Utopie von den Neurowissenschaftlern selbst eingeschränkt wird, bleibt die Idee, dass mit naturwissenschaftlichen Methoden, wie beispielsweise bildgebenden Verfahren, Emotionen sowie psychische oder physische Vorgänge verursachende Gehirnfunktionen beobachtet werden könnten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zur Identifizierung von Hirnarealen, die mit Emotionsregulierung im Rahmen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verbunden sein könnten, werden Gesunde im Vergleich zu Patien-
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ten mit Methoden der funktionellen Bildgebung untersucht; die Ergebnisse solcher Studien zeigen, dass emotionale Reaktionen zwischen gesunden und erkrankten Probanden mit unterschiedlicher neuronaler Aktivität korrelieren.94 Die Beobachtungen bei der Nutzung einzelner neurowissenschaftlicher Methoden wie bildgebender Verfahren lassen sich leicht mit den Erkenntnissen im Zuge anderer naturwissenschaftlich-quantitativer Methoden – wie sie beispielsweise in der Psychologie verwendet werden – kombinieren. Bei letzteren Methoden ist es allerdings notwendig, auf Verhaltensweisen und narrative Komponenten der Person zurückzugreifen. Diese Kombinationen legen eine genauere Möglichkeit nahe, Aussagen zu einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen oder über die gesamte Persönlichkeit treffen zu können, als einzelne Methoden. Bei dem letzten Beispiel bleibend: Bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung können Daten sowohl über Verhaltensweisen wie Impulsivität oder selbstverletzendes Verhalten als auch über veränderte Aktivitäten des Gehirns, wie etwa eine diskutierte Störung reziproker Hemmung limbischer Areale, erhoben und miteinander in Verbindung gebracht werden.95 Diese kann wiederum mit der Lebensgeschichte der Person in Zusammenhang gebracht werden, die über Narration erfahrbar wird. Diese Art der Erfassung betont sehr stark die Dritte-Person-Perspektive, was zuvor bereits als ein mögliches Charakteristikum des Denkstils zur Persönlichkeitsbestimmung benannt wurde. Zudem ist diese Herangehensweise an die Persönlichkeit mit der Notwendigkeit einer Abstraktion vom Individuellen verbunden. Dieser auf einen potenziellen Denkstil hinweisende Verdacht scheint sich allerdings in psychiatrisch-neurowissenschaftlicher Nomenklatur nicht sofort zu erhärten. In den Definitionen der Persönlichkeit, die in psychiatrischer Literatur zu finden sind, wird die Individualität nämlich betont. Betrachten wir exemplarisch eine psychiatrische Definition der Persönlichkeit von Fiedler, welche im Gegensatz zu anderen Definitionen auch einen Hinweis auf soziale Eingebundenheit von Persönlichkeiten gibt: »Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen sind Ausdruck der für ihn charakteristischen Verhaltensweisen und Interaktionsmuster, mit denen
94 Vgl. Schmahl, Bohus 2006, S. 622 ff. 95 Vgl. Schmahl, Bohus 2006, S. 622 ff.
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er gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach einer persönlichen Identität mit Sinn zu füllen versucht. Jene spezifischen Eigenarten, die eine Person unverkennbar typisieren und die sie zugleich von anderen unterscheiden, sind wegen ihrer individuellen Besonderheiten immer zugleich von sozialen Regeln und Erwartungen mehr oder weniger abweichende Handlungsmuster.«96
Die hier angesprochene Individualität ist in Prozessen, in denen einzelne Eigenschaften einer Persönlichkeit für diagnostische Zuordnungen (wie bei dem Beispiel oben) eine Verallgemeinerung bzw. eine Zuordnung zu einem verallgemeinerten Typ erfahren, schwer zu erkennen. Es geht Fiedler in seiner Definition primär um Verhaltensweisen, Interaktions- und Handlungsmuster. Diese mögen in dieser Definition als spezifisch und unverkennbar gelten. Wie in späteren Kapiteln zu sehen sein wird, müssen allerdings diese für die Außenwelt »kommunizierten« Eigenschaften einer Persönlichkeit für Prozesse der Typisierung verallgemeinerbar und objektivierbar sein. Mit den in der Definition aufgeführten Aspekten der Persönlichkeit ist eine Typisierung zumindest denkbar. Mit nicht kommunizierbaren Eigenschaften einer Persönlichkeit, die entgegen Fiedlers Definition in das zuvor vorgestellte weite Verständnis von Persönlichkeit aufgenommen wurden, kann dies nicht geschehen. Hier sei das Verständnis dieser Arbeit von Eigenschaft noch mal betont (siehe in Kapitel II), das einzelne Merkmale hervorhebt. Eine Ergänzung dieses Eigenschaftsverständnisses – also nicht als Gegensatzpaar – durch das Verständnis, dass es Eigenschaften von Persönlichkeiten gibt, die universal gelten und verschiedenen Persönlichkeiten eigen sein können, wird hier durchaus befürwortet.97 Eine solche Ergänzung erlaubt Zuordnungen zu bestimmten Klassen. Kritisch gesehen wird hier allerdings ein Persönlichkeitsverständnis, das hauptsächlich diejenigen Eigenschaften einer Persönlichkeit hervorhebt, die universell vorfindbar sind. Neben der Betonung der Dritte-Person-Perspektive kann dies als ein weiteres Charakteristikum denkstilgebundener Wahrnehmung von Persönlichkeit benannt werden. Für das Beispiel weiter oben bedeutet dies: Definitionen von Diagnosegruppen wie im Falle der Persönlichkeitsstörung tragen hauptsächlich den-
96 Fiedler 2001, S. 3. 97 Siehe auch Swoyer 2000.
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jenigen Eigenschaften einer Persönlichkeit Rechnung, die objektivierbar und verallgemeinerbar sein könnten.98 Dies ist der Möglichkeit der Zuordnung von Verhalten und anderen Merkmalen der Persönlichkeit geschuldet und für die (psychiatrische) Praxis womöglich unerlässlich. Beziehen sich allerdings Rechtfertigungsstrategien für Eingriffe in Personen zur Veränderung der Persönlichkeit auf so eine enge Erfassung von Persönlichkeit, ergeben sich daraus – wie später noch diskutiert wird – Probleme für die Beurteilung solcher Eingriffe und deren Rechtfertigungsstrategien. Sehen wir uns eine weitere Definition aus der psychiatrischen Literatur an, die einige der obigen Anmerkungen bereits weitestgehend integriert: »Im psychologisch-psychiatrischen Sprachgebrauch kann Persönlichkeit definiert werden als die Gesamtheit der (psychischen) Eigenschaften und Verhaltensweisen, die dem einzelnen Menschen eine eigene, charakteristische, unverwechselbare Individualität verleihen. Es handelt sich dabei um eine weitgehend stabile oder doch lange Zeit überdauernde Struktur individueller Eigenschaften in Bezug auf Charakter, Temperament, Intelligenz und körperliche Grundbedingungen eines Menschen. Das Temperament beschreibt dabei die Art des Antriebs und der Aktivität, die sich in Form von Gefühlen, Willensbildung und Triebleben zeigen. Charakter bezieht sich auf die im Laufe des Lebens weitgehend konstanten Einstellungen, Handlungsweisen, die individuelle Besonderheit und vor allem die Werthaltungen eines Menschen.«99
Diese Definition hat den Nachteil, dass sie die soziale Eingebundenheit der Persönlichkeit nicht hinreichend benennt. Dafür hat sie den Vorteil, dass sie eine Abgrenzung von Temperament, Charakter und Persönlichkeit bietet. Ebenso umfasst sie etliche bekannte Eigenschaften einer Persönlichkeit, die sich in Handlungsweisen, Einstellungen usw. zeigen. Die aufgeführten Beschreibungen von Charakter und Temperament geben ein umfassenderes Bild als die vorherige Definition davon, welche Eigenschaften einer Persönlichkeit für die Bestimmung ihrer Persönlichkeit notwendig sein könnten. Die Definition gibt allerdings trotz ihrer Ausführlichkeit ebenfalls keinen Hinweis darauf, dass sie auch Eigenschaften inkludiert, die nicht »gezeigt« werden können, also in der Dritte-Person-Per-
98 Zu Persönlichkeitsstörungen siehe auch Kapitel IV.2.5. 99 Engels 2002.
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spektive nicht wahrnehmbar und irreduzibel sind. Für letztere Eigenschaften ebenfalls Sorge und Verantwortung übernehmen zu müssen, sofern es um deren potenzielle Veränderung geht, kann bei normativen Überlegungen – wie noch dargelegt wird – nicht vernachlässigt werden. Freilich ließen sich viele weitere Versuche der psychiatrischen und anderer neurowissenschaftlichen Literatur anführen, Persönlichkeit zu definieren. Hier geht es allerdings nicht um exakte Diskussion einzelner Definitionen, sondern darum, eine Tendenz aufzuzeigen. Bei weiteren Ausführungen der psychiatrischen Literatur zu pathologischen Ausprägungen der Persönlichkeit wird ebenfalls ersichtlich, dass es im Rahmen dieser Definitionsversuche primär auf solche durch Narration und Verhaltensweisen »zeigbaren« und verallgemeinerbaren Eigenschaften anzukommen scheint.100 Bei einer solchen Herangehensweise wird die zum Teil nicht nach außen kommunizierbare Innenperspektive der erlebenden Person vernachlässigt, was aus pragmatischer Sicht zunächst sinnvoll sein kann, sich aber für normative Entscheidungen praktischer Eingriffe in die Person als hinderlich herausstellen wird. Zumindest muss für die Objektivierbarkeit jener Eigenschaften der Innenperspektive – egal ob »normal« oder »pathologisch« – ein Kausalzusammenhang von Eigenschaften einer Persönlichkeit bzw. von Funktionsweisen des menschlichen Körpers, die aus der Dritte-PersonPerspektive wahrgenommen werden können, mit der Innenperspektive angenommen werden.101 Dieses Denkstilcharakteristikum wurde bereits im Rahmen der Untersuchungen der Debatte über personale Identität benannt.
100 Zur Definitionen von Persönlichkeitsstörung und deren Diskussion siehe Kapitel IV.2.5. 101 Dazu siehe weiter unten. Mit Objektivierung werden hier über eine reine Wahrnehmung aus der Dritte-Person-Perspektive hinausgehende Forderungen verbunden. Die Wahrnehmungen sollen, sofern sie als objektiv gelten sollen, vom Beobachter möglichst unabhängig gemacht werden können. Die Ergebnisse sollen möglichst nicht vom Beobachter beeinflusst werden und von anderen nachvollziehbar und reproduzierbar sein. Der Begriff »Objektivität« kann dabei mit vielerlei Forderungen verknüpft werden und es ist nicht unumstritten, inwieweit die einzelnen Forderungen erfüllbar sind bzw. inwiefern Objektivität in den Wissenschaften grundsätzlich eine Illusion ist. Dazu, was unter wissenschaftlichem Vorgehen und somit Objektivität zumindest in den Neu-
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2.2 Persönlichkeit in der Psychologie Im Folgenden werden Aspekte der psychologischen Terminologie in Bezug auf Persönlichkeit dargestellt. Da es hier nicht um einen Vergleich der unterschiedlichen Theorien der Persönlichkeitspsychologie gehen kann, werden im Folgenden die Annahmen einiger dieser Theorien über Persönlichkeiten lediglich extrem verkürzt und zusammenfassend dargestellt. Eine wesentliche Annahme der meisten Ansätze ist, dass es eine Struktur der Persönlichkeit gibt, die sich über die Zeit hinweg relativ stabil verhält. Inhalt und Abstraktionsgrad variieren dabei stark von Theorie zu Theorie.102 Das grundsätzliche Strukturverständnis bzw. die Entstehung der Struktur hängt ebenfalls von der jeweiligen Theorie ab. Strukturell zu verstehen wären beispielsweise in der Theorie Sigmund Freuds: Es, Ich, ÜberIch, Vorbewusstes, Unbewusstes, Bewusstes.103 Allerdings muss hinzugefügt werden, dass in vielen modernen psychoanalytischen Denkmodellen die psychische Struktur ein dimensionales Konzept ist, wonach grundlegende Regulationstypen erfasst werden können, die sich an dimensionalen Merkmalen orientieren.104 Strukturbildend wären für Carl Rogers wiederum das Selbst (bei Rogers der Teil eines organisierten Wahrnehmungsmusterfeldes, das sich auf sich selbst bezieht) und das Ideal-Selbst.105 Weitere
rowissenschaften zu verstehen ist, siehe Bear et al. 2009, S. 16 ff. Zu der Frage, ob Objektivität überhaupt existent sein kann, siehe beispielsweise Glasersfeld 2000 oder Habermas 1973; Janich zeigt für die Kulturphilosophie den Schritt von der Annahme einer Objektivität, die eine Unabhängigkeit von Beobachter, Raum und Zeit bedeutete, hin zur Transsubjektivität auf; vgl. Janich 2006, S. 82 ff. In dem Begriff von Objektivität, der in den Naturwissenschaften von Bedeutung ist, sind weitere Erkenntnisse der Wissenschaftstheorie eingeflossen. Um nur einige zu nennen: Angabe von Irrtumswahrscheinlichkeiten, Falsifizierbarkeit und kontrollierte Bedingungen des Experiments. Einen fundierten Überblick über die Entwicklung und Themen der Wissenschaftstheorie siehe Schurz 2006. 102 Vgl. Pervin 1987, S. 18 ff. 103 Vgl. Pervin 2005, Kapitel 3 und 4; siehe Freud 1928. 104 Vgl. Pouget-Schors 2000; siehe Kernberg 1996; Trauth 1997. 105 Vgl. Pervin 2005, Kapitel 5 und 6; siehe Rogers 1996.
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strukturelle Konzepte existieren bezüglich Persönlichkeitswesenszügen, Reaktionen (Lerntheorie), Erwartungshaltungen, Standards, Effektivität der eigenen Handlungen (Theorie des sozialen Lernens).106 Wieder andere Theorien arbeiten als Grundbausteine der Struktur von Persönlichkeiten mit Persönlichkeitswesenszügen. Persönlichkeitswesenszüge implizieren eine starke Neigung, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Von diesen Dispositionen sollen wir ein weites Spektrum besitzen. Die Beschreibung eines Menschen erfolgt in jenen Theorien, die mit Persönlichkeitswesenszügen arbeiten, mehr oder minder in Begriffen der Wahrscheinlichkeit, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Wesenszüge als Grundbausteine sind allen Hauptvertretern solcher Theorien gemein, aber die Subsumierung der Wesenszüge ist unterschiedlich.107 Theorien, die mit Wesenszügen arbeiten, gehen ferner von einer hierarchischen Struktur aus, bei der auf einer höheren Organisationsebene verschiedene Wesenszüge zu einem Persönlichkeitstyp werden. Das Persönlichkeitskonstrukt ist hier also ein Aufbau verschiedener Niveaus, die in das Typenniveau münden. Um beispielsweise zum Typenniveau Extraversion zu gelangen, werden viele Persönlichkeitswesenszüge wie Geselligkeit, Aktivität, Lebendigkeit usw. aus der niedrigeren Ebene gebündelt. Vor dem Niveau der Persönlichkeitswesenszüge findet ebenfalls eine Bündelung auf der Ebene der verschiedenen Verhaltensantworten statt.108 Hans Eysenck und Raymond Cattell verwenden zur Ermittlung der Grunddimension einer Person das statistische Verfahren der Faktorenanalyse. Die Faktorenanalyse geht davon aus, dass die zusammen funktionierenden Verhaltensweisen auch zusammengehören. Welche Verhaltensweisen zusammengehören und damit den natürlichen Elementen der Persönlichkeit entsprechen, wird in diesen Theorien statistisch bestimmt.109 Die Uneinigkeit darüber, wie viele Grunddimensionen es geben sollte, ist groß. Gegenwärtig scheint das FünfFaktoren-Modell weiterhin an Beliebtheit zu gewinnen.110 Mit der Hilfe der
106 Vgl. Pervin 2005, Kapitel 7, 8, 10 und 12; siehe auch Matthews et al. 2003; Allport 1970; Eysenck 1968; Cattell 1983; Bandura 1976. 107 Vgl. Pervin et al. 2005, S. 283 ff. 108 Vgl. Pervin et al. 2005, S. 283 ff. 109 Pervin et al. 2005, S. 292 ff.; Eysenck 1971 und Eysenck 1968. 110 Kritik an dem Fünf-Faktoren-Modell gibt es aufgrund seines deskriptiven Charakters, einer uneinheitlichen Interpretation und der nicht auszuschließenden
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NEO Personality Inventory (NEO-PI) des NEO-FFI111 können die fünf Faktoren »Extraversion«, »Liebenswürdigkeit«, »Gewissenhaftigkeit«, »Neurotizismus« und »Offenheit« erfasst werden.112 Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich die Ansätze zur Beschreibung der Struktur von Persönlichkeit innerhalb der Theorien erheblich unterscheiden. Theorien, die mit Persönlichkeitswesenszügen operieren, werden im Gegensatz zu Theorien der Psychoanalyse oder der Theorie Rogers kaum in der Lage sein, eine in dieser Arbeit angestrebte weite Definition von Persönlichkeit zu akzeptieren.113 Hier wird nicht bestritten, dass bestimmte Eigenschaften einer Persönlichkeit als strukturell und als längerfristig vorhanden angesehen werden können. Im Gegenteil, die Erfassung von Strukturen der Persönlichkeit sichert eine gewisse Beschreibbarkeit von Persönlichkeitsanteilen, was gerade in praktischen Kontexten wesentlich sein kann. Ebenso werden Persönlichkeiten durch strukturelle Aspekte für die Umwelt berechenbarer. Werden in einer Theorie jedoch primär solch strukturellen Ansichten über die Persönlichkeit betont, entsteht eine strake Einengung des Persönlichkeitsverständnisses. Dies wiederum kann als Teil eines aktuellen Denkstils bezüglich Persönlichkeit interpretiert werden und widerspricht der zuvor entworfenen weiten Persönlichkeitsauffassung der vorliegenden Arbeit. Die Beurteilung bestimmter Eingriffe zur Veränderung von Persönlichkeit kann dann entsprechend ebenfalls nur von einem verengten Verständnis vorgenommen werden. Persönlichkeitstheorien haben jedoch zumeist jenseits der Struktur auch andere Aspekte. Eine weitere gemeinsame Annahme von Persönlichkeitstheorien scheint zu sein, dass die Persönlichkeit in Prozessen von et-
Möglichkeit von möglicherweise übergeordneten Faktoren; zum FünfFaktoren-Modell, dessen Kritik sowie weiteren Versuchen der Dimensionierung siehe Pervin et al. 2005, S. 295 ff. und 320 ff.; Fiedler 2001, Kapitel 5; Costa, McCrae 2006; McCrae, Costa 2006. 111 Vgl. Fiedler 2001, S. 139 ff. 112 Pervin et al. 2005, S. 322. 113 Auf den Unterschied zwischen Theorien, die eine Operationalisierung eher ermöglichen, und der Psychoanalyse wird auch in psychoanalytischer Literatur verwiesen, ebenso wie auf einen möglichen Zwischenweg der »Operationalisierten psychodynamischen Diagnostik«; siehe Pouget-Schors 2000; siehe auch Zimmermann et al. 2010; Schneider 2000.
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was weg oder irgendwohin strebt. Die Beschreibung von Persönlichkeit unterscheidet sich also auch hinsichtlich der spezifischen dynamischen, motivationalen Konzepte, die sich auf Prozesse beziehen, die Verhalten erklären können. Dabei kommen Konzepte zum Tragen, die eine Spannungsreduktion als Bestrebung vermuten (psychoanalytische Theorie), die Personen nach Selbstverwirklichung und Konsistenz streben sehen (Ansatz von Rogers), die Einstellungen als Verhaltensmotivator ansehen (Theorie der Persönlichkeitswesenszüge) und die Verstärkung als motivationsreich erachten (Lerntheorie, Theorie des sozialen Lernens).114 Eine zusätzliche Definition der Persönlichkeit soll zumindest das psychoanalytische Verständnis zusammenfassend zum gerade Gesagten weiter verdeutlichen: »Die Persönlichkeit eines Menschen ist die relativ zeitstabile Organisation seiner motivationalen Dispositionen sowie der integrativen und defensiven Anpassungsleistungen, die durch die Interaktion zwischen seiner inneren Welt und seiner Umwelt entstehen. Darin enthalten sind seine Identität, sein konstitutionell determiniertes Temperament und sein eigener Stil.«115
Für eine Theorie der Persönlichkeit scheint es ebenfalls bedeutsam zu sein zu beschreiben, wie eine Entwicklung stattfinden kann und wie Verhaltensänderungen möglich sind. Die Konzepte zu den Möglichkeiten einer Verhaltensänderung sind inhaltlich und in ihrem Ausmaß abhängig von der jeweiligen Theorie über Strukturen und Prozesse von Persönlichkeit. Die psychoanalytische Theorie setzt beispielsweise auf Strukturveränderung im Sinne einer Beziehungsveränderung zwischen Es, Ich, Über-Ich, dem Unbewussten und dem Bewussten. Andere befassen sich neben der Strukturveränderung mit den Bedingungen, die Veränderung ermöglichen (Rogers). Es gibt auch Theorien, die weniger auf Struktur als auf die Potenziale der Verhaltensänderung Wert legen und dabei auf positive Verstärkung, Belohnung, Löschung, Gegenkonditionierung oder Modelllernen setzen (Lerntheorie, Verhaltenstherapie).116
114 Vgl. Pervin 1987, S. 19 ff., 527 ff. 115 Pouget-Schors 2000, S. 551. 116 Vgl. Pervin et al. 2005, S. 38 ff.
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Die Idee von gewissen Strukturen, Prozessen und Entwicklungen einer Persönlichkeit wird hier nicht abgelehnt. Im Gegenteil, sie sind notweniger Bestandteil eines Persönlichkeitsverständnisses. Problematischer werden die skizzierten Gemeinsamkeiten dieser Konzepte (jenseits von deren speziellen Eigenarten) gesehen, wenn der Versuch unternommen wird, anhand dieser Annahmen mit der Hilfe wissenschaftlicher Methodik Kernkonflikte, einen Typus, einen Kern oder ideelle Muster der Persönlichkeit auszumachen sowie auf die gesamte Persönlichkeit Rückschlüsse zu ziehen. Dann entsteht – zwar verständlicherweise der Pragmatik des Helfens geschuldet – eine sehr ähnliche Problematik wie zuvor für die Neurowissenschaften geschildert. Mit den obigen Mindestannahmen ist dann nämlich ein Menschenbild, ein Bild von der Persönlichkeit eines Menschen, verknüpft, das sich auf das terminologische Instrumentarium genauso auswirkt wie auf die Beurteilung von Pathologien und auf Eingriffe zur Veränderung von Persönlichkeit. Das Bild und die damit verbundene Begrifflichkeit setzen dann nämlich bereits Strukturen und Prozesse des Menschen voraus, die mit Determinanten – seien diese objektbeziehungstheoretischer, sozialer oder biologischer Natur – verbunden sind, die für Dritte erfahrbar werden können durch Technik, Verhalten und Narration und die durch Einwirkung von außen (durch physische Einwirkung, Verhalten der anderen, inklusive narrativer Einwirkungen) beeinflusst werden können. Eine Individuation des bloßen Daseins jenseits dieser Annahmen scheint in dieses Bild und in die abgeleitete Terminologie genauso wenig inkludiert wie die weiter unten beschriebene epistemische Asymmetrie. Ein so geprägter Denkstil bleibt nicht ohne Folgen, wenn es um normative Urteile geht, was in Kapitel V erläutert wird. Durch diese Kritik soll hier aber auch keinem primär hermeneutischen Ansatz beim Umgang mit Persönlichkeit der Vorzug gegeben werden, denn auch dieser birgt die Gefahr, durch anschließende Anwendung wissenschaftlichen Schließens und Argumentierens auf beispielsweise die Lebensgeschichte der Person oder durch Überbetonung narrativ darstellbarer Eigenschaften einer Persönlichkeit, Implikationen eines weiten Persönlichkeitsverständnisses zu verfehlen.117 Hinzu kommt, dass der verstehende
117 Gemeint ist hier Hermeneutik im Sinne einer Methodologie der Geisteswissenschaften; vgl. Dilthey 2001. Der psychiatrischen Diagnostik sind sowohl hermeneutische als auch phänomenologische Ansätze bekannt; zu einer detaillier-
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Ansatz im Prozess des Verstehens bereits viel diskutierte Probleme wie die der Rolle des Verstehenden in diesem Prozess bergen kann.118 Ohne hier die Debatte zwischen Erklären und Verstehen als Methodik führen zu wollen, soll Folgendes verdeutlicht werden119: Selbst wenn statt eines erklärenden einem verstehenden Ansatz Vorzug gegeben wird, können bestimmte Eigenschaften einer Persönlichkeit nicht zum Verständnis beitragen, da sie nicht in die Außenwelt kommuniziert werden.120 Bei der Beurteilung von Eingriffen müssen sie dennoch beachtet werden. Dies mag paradox klingen, wird sich allerdings im Laufe der Arbeit als verständlich erweisen. Zur weiteren Demonstration des Gesagten wird in Folge noch etwas näher auf die Psychoanalyse eingegangen – eine Theorie, die gemeinhin weniger in Verdacht steht, deterministisch zu agieren und der häufig zugesprochen wird, primär einen verstehenden Ansatz zu verfolgen. In der Praxis wird man, mehr als die Theorie vielleicht vermuten lässt, Therapeuten mit einem Zugang finden, die die Kunst des Verstehens wörtlich nehmen und nicht jede Äußerung und Verhaltensweise einer Person Schemata und verallgemeinerbaren Theoriekomplexen zuordnen.121 Die Psychoanalyse weiß auch um das dialektische Verhältnis zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen. Würdigt man dieses Wissen und versteht die Psychoanalyse als tiefenhermeneutische Erfahrungswissenschaft, wird die oben skizzierte Schwierigkeit der Begriffsbildung (die für Dritte nicht erfahrbare Eigenschaften ausblendet) jedoch nicht hinfällig.122
ten Auflistung verschiedener Ansätze der anthropologischen Psychiatrie siehe Schmidt-Degenhard 2003, S. 269 ff. 118 Siehe Abel 1953; sie schreibt sogar, dass alle Behauptungen, die auf »understandibility« beruhen, als Fälle von »misplaced familiarity« gesehen werden könnten; vgl. Abel 1953, S. 685. 119 Siehe z.B. Apel 1979. 120 Welche Arten von Solipsismus damit nicht gemeint sind siehe weiter unten. Zu der auf Jaspers (Jaspers 1973) zurückgehenden Unterscheidung in »Erklären« versus »Verstehen« in der Psychiatrie siehe Schüssler 2003, S. 178; Sass, Hoff 2003, S. 386 f. 121 Unter Therapeuten werden hier sowohl Psychiater, Psychosomatiker als auch Psychotherapeuten jeglicher Couleur zusammengefasst. 122 Vgl. Tress, Reister 1997, S. 148 ff.
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Beruht das Verstehen des Inneren einer Person durch Dritte auf dem Erkennen sinnlich gegebener Zeichen (in diesem Fall Verhalten und sprachliche Äußerungen) und verpflichtet man sich dabei einem praktischen Syllogismus, dann entsteht der Eindruck, das gewonnene Verständnis eines Teiles könne zum Verstehen des Ganzen führen und umgekehrt. 123 In diesem hermeneutischen Prozess kommt es zwar einerseits zu einer zunehmenden Teilhabe des Unbewussten am Ganzen, soweit eine Übersetzung der eigenen Symbolik in Sprache oder andere Zeichen möglich erscheint, andererseits werden aus der Ganzheit der Person – was sich zunächst auf die Begrifflichkeit und dann auf den Umgang mit ihr auswirkt – nicht übersetzbare Bewusstseinsinhalte, die aber individuiert sein können und hier als Eigenschaften einer Persönlichkeit gelten, gewissermaßen ausgegrenzt.124 Diese Teile können weitestgehend als ein nicht reflexives Selbstbewusstsein verstanden werden und lassen sich weder verallgemeinern noch notwendigerweise einer Verständigung zuführen. Die Anlehnung an Sartres »präreflexives Cogito« ist an dieser Stelle deshalb relevant, weil dies erst das reflexive Bewusstsein ermöglicht.125 Letzteres ist wiederum für Prozesse der Psychoanalyse notwendig. Diese für die Psychoanalyse notwendige Reflexion hat gegenüber dem reflektierten Bewusstsein kein Primat.126 »Mit anderen Worten, jedes objektsetzende Bewußtsein ist gleichzeitig nicht-setzendes Bewußtsein von sich selbst.«127 Sartre erläutert dies am Beispiel des Zählens.128 Hier wird ein Sein deutlich, das »durch und durch Existenz ist«129. Diese existenzielle Dimension auch der Eigenschaften einer Persönlichkeit ermöglicht es, sie nicht aus dem Raum der potenziellen Veränderungen und Bedeutungen im Verhältnis zur Welt auszuschließen.
123 Vgl. Tress, Reister 1997, S. 146 f.; Poser 2006, S. 212. Der Psychoanalytiker vollzieht dies laut Tress und Reister, wenn er mithilfe von Anregungen der Metapsychologie neurotisches Verhalten und Erleben sinnrational deutet. 124 Zum Unbewussten siehe Schöpf 1997. 125 Vgl. Sartre 2006, S. 20 ff. 126 Vgl. Sartre 2006, S. 22. 127 Sartre 2006, S. 21. 128 Siehe Sartre 2006, S. 22. Gemeint ist ein Zählen, dessen man sich erst bewusst wird, indem man darauf aufmerksam gemacht wird, z.B. durch eine Frage nach der aktuellen Tätigkeit. 129 Sartre 2006, S. 24.
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Das präreflexive Bewusstsein, das einen Teil der nicht kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit darstellt, kann nur insoweit Teil eines therapeutischen Prozesses werden, als es durch das reflexive Bewusstsein offenbart wird. Nicht zu verwechseln ist damit, dass es sich selbst nicht durch die Reflexion offenbart wird.130 Jene Eigenschaften einer Persönlichkeit, die im Sinne des präreflexiven Bewusstseins existent sind, müssen bereits terminologisch berücksichtigt werden. Sie sind nicht vollständig unter dem »Unbewussten« subsumierbar.131 Demnach fallen etliche Eigenschaften einer Persönlichkeit, die im präreflexiven Bewusstsein zu verorten sind, selbst aus der psychoanalytischen Theoriebildung zum Teil heraus. Diese impliziert nämlich sowohl »Unbewusstes« als auch die grundsätzliche Möglichkeit, »Unbewusstes« bewusst zu machen.132 Im therapeutischen Prozess soll ja gerade eine Zuführung »privatsprachlich verstümmelter Symbole« in eine öffentliche Sprache erfolgen.133 Die Möglichkeit einer prinzipiellen Unmöglichkeit einer solchen Überführung für einzelne Eigenschaften wird von der Psychoanalyse zwar nicht abgelehnt, aber auch nicht explizit betont. Kommen bei der Bestimmung der Gesamtheit von Persönlichkeit allerdings durch eine solche theoretische Eingrenzung jene präreflexiven Bewusstseinsanteile zu kurz, dann können auch Analysen zu Veränderungen der Gesamtpersönlichkeit durch Eingriffe nicht weitreichend genug sein. Wechselwirkungen zwischen nicht kommunizierbaren Eigenschaften einer Persönlichkeit und Veränderungen der äußeren Wirklichkeiten können dann nicht hinreichend reflektiert werden. Dabei kann sich die biografische Wirklichkeit des Patienten und des Therapeuten nach neu erschaffenen narrativen Sinneinheiten durchaus deutlich verändern.134 Die theoretische Einengung ist in neurowissenschaftlichen Bestimmungen der Persönlichkeit oder in verhaltenstherapeutisch orientierten Ansätzen sicherlich viel größer, dennoch kann sie auch schon in der Psychoanalyse als Denkstil charakterisierend benannt werden.
130 Vgl. Sartre 2006, S. 22. 131 Zum Unbewussten siehe Schöpf 1997. 132 Zum Unbewussten siehe Schöpf 1997. 133 Tress, Reister 1997, S. 149. 134 Vgl. Tress, Reister 1997, S. 147.
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2.3 Zusammenfassung der terminologischen Überlegungen In den Ausführungen des letzten Kapitels wurde die These aufgestellt, dass es nicht möglich ist, eine Persönlichkeit mit ihrer Gesamtintension der Erste-Person-Perspektive in Gänze mit objektiven Methoden oder Methoden des Verstehens zu erfassen oder auf andere erfassbare Eigenschaften zu reduzieren. Dies gilt sowohl für eine Einzelwissenschaft als auch interdisziplinär. Ferner wurde bereits für Folgekapitel angedeutet, warum auch Eigenschaften einer Persönlichkeit, die nicht für die Dritte-Person-Perspektive kommuniziert werden, auf terminologischer Ebene der Persönlichkeit in den neurowissenschaftlichen und psychologischen Diskurs integriert werden sollten. Da dies in theoretischen Diskursen gehäuft nicht der Fall zu sein scheint, lässt dies auf ein bereits ausgeprägtes Denkstilcharakteristikum schließen. Aus den Überlegungen der letzten Seiten können bereits einige Schlussfolgerungen gezogen werden, die zu einer Überwindung eines solchen Denkstils und zur Entwicklung eines interdisziplinär anschlussfähigen Persönlichkeitsbegriffs relevant sind. Die terminologische Bestimmung von Persönlichkeit muss die Existenz von Eigenschaften der Persönlichkeit sowohl aus der Dritte-Person-Perspektive als auch aus der Erste-Person-Perspektive aufzeigen. In beiden Perspektiven weist die Persönlichkeit Eigenschaften auf. Es muss ferner deutlich werden, wie die Realisierung der Eigenschaften einer Persönlichkeit aus beiden Perspektiven erfolgt. In einer Definition der Persönlichkeit muss sowohl ersichtlich werden, durch welche Eigenschaften der DrittePerson-Perspektive sie sich auszeichnen kann, als auch, wo die Grenzen der objektiven Erkennbarkeit jener Eigenschaften liegen. Eine Beschreibung der Persönlichkeit sollte zeigen, dass nicht alle Eigenschaften einer Persönlichkeit der Erste-Person-Perspektive durch Wissen über die Person von außen ihrem Inhalt nach vollständig nachvollzogen werden können. Hierzu müsste eine direkte Übersetzung aller Inhalte dieser Perspektive in narrative Strukturen, äußerlich interpretierbare Verhaltensweisen oder verstehbare Körperfunktionen erfolgen. Das heißt: Die Intension der Erste-Person-Perspektive umfasst mehr Eigenschaften, als für die Dritte-Person-Perspektive übersetzbar sind. Dies leugnet aber weder die Existenz der notwendigen Er-
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fahrbarkeit der Persönlichkeit aus der Dritte-Person-Perspektive noch eine Verbindung der beiden Perspektiven.135 Diese Schlussfolgerungen lassen sich mit den Ergebnissen der Untersuchungen der Debatte über personale Identität und neurowissenschaftlicher Terminologie weiter zusammenfassen, um zu bestimmen, welche Aspekte ein für verschiedene Disziplinen und für normative Überlegungen belastbarer Begriff der Persönlichkeit beinhalten sollte. Ein Begriff von Persönlichkeit, der eine Überprüfung der Wahrung der Integrität von Personen im Rahmen von Eingriffen in die Person hinreichend gewährleisten soll, muss demnach verschiedene notwendige Bedingungen erfüllen. In einen solchen Begriff müssen Eigenschaften einer Persönlichkeit nicht nur aus einer Dritte-Person-Perspektive, sondern auch aus einer Erste-Person-Perspektive integrierbar sein. Sowohl epistemische als auch evaluative Aspekte von Eigenschaften einer Persönlichkeit der Erste-Person-Perspektive sollen zwar physisch realisiert werden, diese physische Realisierung soll aber weder eine Reduktion auf diese noch die Möglichkeit eines vollständigen epistemischen Zugangs zu diesen Eigenschaften aus der Dritte-Person-Perspektive implizieren. Vielmehr muss ein »präreflexives Bewusstsein« angenommen werden. Ebenso müssen für den angestrebten Persönlichkeitsbegriff Eigenschaften zugeordnet werden können, welche aus der Dritte-PersonPerspektive erkennbar werden. Jene werden sich zwangsläufig auf den Körper mit seinen Verhaltensweisen inklusive Sprechakte beziehen. Sie können nur zum Teil als Eigenschaften verstanden werden, die numerisch verschiedenen Individuen zukommen. Diese zwei erforderlichen Perspektiven auf Eigenschaften von Persönlichkeiten müssen nicht nur untereinander, sondern auch mit der Umwelt verbunden werden. Für eine Konzeption des Persönlichkeitsbegriffs ist auch wichtig zu zeigen, dass es notwendig ist, sowohl strukturelle als auch prozedurale Aspekte von Persönlichkeit in die Überlegungen mit einzubeziehen. In den untersuchten Theorien sind diese Bedingungen für den Begriff der Persönlichkeit zum Teil vertreten. Die einzelnen Theorien allerdings vernachlässigen jeweils unterschiedliche Details dieser Forderungen. Dem-
135 Es ist für die obigen Thesen nicht notwendig, ein »Ding an sich« (siehe Kant IV, S. 288 ff.) im Sinne Kants hier zur Disposition zu stellen. Gemeint ist oben auch nicht eine Neuauflage der Monadentheorie Leibniz’; siehe Leibniz 2002, S. 110 ff.
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nach trifft diese Kritik insbesondere die Rolle dieser Theorien, die sie für die Integration in ein »Gesamtbild« der Persönlichkeit spielen. Vielleicht können die in den einzelnen Disziplinen entwickelten Theorien zur Persönlichkeit somit eher die Bedeutung »rein theoretischer Begriffe« für jene Disziplin erfüllen.136 Damit können sie aber nicht als Grundlage für normative Überlegungen dienen, die sich mit der Integrität von Personen und der gesamten Persönlichkeit befassen. Für eine solche Funktion muss der Terminus der Persönlichkeit auf ihre Gesamtheit Bezug nehmen. Hierfür ist es beispielsweise nicht hinreichend, die Persönlichkeit lediglich über Eigenschaften aus der Dritte-Person-Perspektive zu bestimmen, sei dies über Verhaltensweisen oder über biografische Zuordnungen. Eine strikte Trennung – als Grundlage für den Persönlichkeitsbegriff – zwischen den biologischen Gegebenheiten und den Selbstverhältnissen von Persönlichkeiten muss ebenfalls als nicht hinreichend beurteilt werden. Es sollte ferner keine Abgeschlossenheit von Eigenschaften einer Persönlichkeit in der Erste-Person-Perspektive propagiert werden. Zum Teil sind Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der letzteren Perspektive für Dritte nicht zugänglich, dennoch wird hier eine Wechselwirkung jener Eigenschaften mit dem gesamten Organismus und somit indirekt mit der Welt angenommen. Ferner wird auch für diese Eigenschaften ein Veränderungspotenzial propagiert, das für die Welt nicht ohne Bedeutung bleiben sollte. Gleichzeitig müssen solche Theorien als Begriffsgrundlage für die Persönlichkeit als nicht befriedigend beurteilt werden, die das Material der Realisation der Eigenschaften einer Persönlichkeit als unerheblich darstellen. 2.4 Wissensgewinnung Nach den vorhergehenden Ausführungen stellt sich auch für kommunizierte Eigenschaften der Persönlichkeit die Frage, ob und wie sie von den Neurowissenschaften erfasst werden können. Denkt man dabei an die vielfältigen
136 Sellars unterscheidet in zwei Dimensionen der »Methodologik« theoretischer Termini: einmal in die Rolle, die sie beim Erklären ausgewählter Phänomene einnehmen, und einmal in die Rolle, die sie für die Integration in das »Gesamtbild« haben. Der Grad der Reinheit als theoretischer Begriff wächst laut Sellars mit der Abnahme der Mutmaßungen der Theorie für andere Spezialgebiete; vgl. Sellars 2002, S. 91 f.
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Ausdrucksformen unseres alltäglichen Lebens oder an die unbegrenzten Möglichkeiten der Ausdrucksform der Fantasie, dann wird schnell klar, dass eine komplette Erfassung aller Eigenschaften einer Persönlichkeit auch aus der Dritte-Person-Perspektive nicht möglich ist. Es muss immer eine Eingrenzung vorgenommen werden, zumeist auf häufige oder stabile Eigenschaften einer Persönlichkeit. Eine solche Eingrenzung wird durch den vorherrschenden Denkstil geprägt, hat aber auch ihrerseits einen erheblichen Einfluss auf unser Menschenbild. Der Eingrenzung folgt dann die Erfassung der jeweiligen Eigenschaften mit diversen Methoden. Erfolgen, basierend auf der jeweiligen Methodik, Rechtfertigungsstrategien für Eingriffe zur Veränderung der betrachteten Eigenschaften einer Persönlichkeit, dann muss neben einer Reflexion des Eingriffs auch eine Hinterfragung jener Methodik und der zuvor vorgenommenen Eingrenzungen erfolgen, denn die Methoden bei der Eingrenzung der möglichen Wahrnehmung der kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit werden ihrerseits ebenfalls von aktuellen Denkstilen beeinflusst. Je nachdem, wie diese gestaltet sind, wird die Methode zur Datensammlung entwickelt, die sich dann auf bestimmte psychologische Prozesse einengt. Auf die jeweiligen Konzepte, darauf, welche Aspekte des Menschen untersucht werden, hat das aktuelle Menschenbild einen enormen Einfluss. Gleichzeitig reduziert eine Methode immer das Bild von den Potenzialen des Menschen. Sofern eine Kopplung unterschiedlicher Methoden vorliegt, um die Persönlichkeit in Gänze zu erfassen, reicht diese dennoch nicht aus, um zu verhindern, dass »Erscheinen […] Aufzeigen [ist] und zugleich Verwandlung des Gezeigten«137. Der Mensch produziert mit der ihm zur Verfügung stehenden Technik und Methodik Schemata, mittels derer er beispielsweise in der Psychologie die anderen und sich selbst betrachtet.138 Dabei wird der Mensch »restlos zum Geplanten eines Planes, welcher über alle Einzelplanenden nun selbst Herr geworden ist«139. Auch in den Neurowissenschaften ist das Gewinnen des Wissens an bestimmte Methoden gebunden. Insbesondere wenn es um Pathologien von Persönlichkeit geht, ist
137 Müller, Vossenkuhl 1974, S. 232. 138 Vgl. Müller, Vossenkuhl 1974, S. 235. 139 Müller, Vossenkuhl 1974, S. 235.
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die Medizin darauf angewiesen, mithilfe ihrer Methoden Wissen über Eigenschaften einer Persönlichkeit zu sammeln und zu operationalisieren. Bei der terminologischen Untersuchung wurde unter anderem die These vertreten, dass nicht alle Eigenschaften einer Persönlichkeit mit deren Eigenschaften, die in der Dritte-Person-Perspektive in Erscheinung treten, oder mit messbaren physischen Prozessen der Person in Zusammenhang gebracht werden können. Will man nämlich einen solchen Zusammenhang herstellen, dann ist man sowohl mit technischen als auch mit theoretischen Problemen konfrontiert. Wird von der Wissenschaft die vollständige Überwindbarkeit dieser Herausforderungen suggeriert oder gar propagiert, dann dürfte dies ein Charakteristikum eines Denkstils darstellen, das zumindest in normativen Diskursen benannt werden sollte. Ein technisches Problem entsteht bereits durch die Komplexität neuronaler Netzwerke. Neuronen interagieren in extrem komplexen Netzwerken, deren technische Erfassung ebenso wie die Entwicklung entsprechender theoretischer Modelle nicht trivial ist.140 Diese Eigenschaften von Neuronen und des Gehirns führen bereits zu der technischen Schwierigkeit, neuronale Prozesse mit mentalen Zuständen bzw. mit Eigenschaften einer Persönlichkeit, die nicht kommuniziert werden, exakt zu korrelieren. Auch für Eigenschaften einer Persönlichkeit, die kommuniziert werden können, besteht die technische Herausforderung, Zusammenhänge zwischen den kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit und Ereignissen des Gehirns herzustellen. Dies gilt nicht nur für bildgebende Verfahren, sondern beispielsweise auch für die Genetik. Pathologisch ausgeprägte Eigenschaften einer Persönlichkeit zum Beispiel, die in die Außenwelt kommuniziert werden, beruhen nach psychiatrischem Verständnis zumeist auf einer multifaktoriellen Ätiopathogenese.141 Nicht nur sollen viele Faktoren an bestimmten Ätiopathogenesen beteiligt sein, auch lassen sich keine einzelnen Gene zuordnen, die allein zu einem bestimmten Verhaltensmuster führen.142 Versuche, Gedanken, Emotionen oder andere Eigenschaften einer Persönlichkeit
140 Vgl. Roth 2009, S. 143. 141 Zur Ätiopathogenese von Persönlichkeitsstörungen siehe Bronisch 2003a, S. 1605 ff. 142 Für verschiedene Gene, die an dem Zustandekommen von Eigenschaften einer Persönlichkeit mit dem Krankheitsbild der Schizophrenie beteiligt sein könnten, siehe Arolt et al. 2006.
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aus der Dritte-Person-Perspektive zu erfassen, sind ferner mit Schwierigkeiten der Testverfahren konfrontiert.143 Trotz all dieser technischen Schwierigkeiten werden im Verlauf des Kapitels zurzeit relevante Methoden skizziert, mit deren Hilfe Wissen über Persönlichkeit gewonnen werden soll. Dies dient als ein weiterer Baustein auf dem Weg, bestimmte Eingriffe hinsichtlich ihres Potenzials zu beurteilen, ethische Forderungen, wie die nach Wahrung von Integrität von Personen, zu verletzen. Viele Rechtfertigungsstrategien bezüglich einzelner Eingriffe zur Veränderung von Persönlichkeit bauen ihr Fundament nämlich auch mit Rückgriff auf deren Wissen über Persönlichkeiten auf. Einzelne Persönlichkeitstheorien der Psychologie und die Neurowissenschaften haben dabei aber, wie bereits skizziert wurde, sehr unterschiedliche Verständnisweisen von Persönlichkeit. Ebenso divergieren in diesen Bereichen die Methoden zur Erfassung von Merkmalen der Persönlichkeit. Die von den Methoden und den Ergebnissen der Forschungen suggerierte Möglichkeit, Persönlichkeit einem objektiven Verständnis zuzuführen, variiert in ihrer Intensität ebenfalls erheblich. Dies wird schon deutlich bei der primären Entscheidung für einen eher naturwissenschaftlichen oder für einen hermeneutisch geprägten Ansatz. Letztlich könnte es bei jedweder Methodik unumgänglich zu sein – so eine These der Untersuchung dieses Kapitels –, bei der Annäherung an die Persönlichkeit und ihre Abweichungen eine Komplexitätsreduktion vorzunehmen. Sofern diese erkennbar bleibt und keine referenziellen oder atomistischen Fehlschlüsse (siehe später) in Kauf genommen werden, scheint eine solche Komplexitätsreduktion im deskriptiven Bereich zunächst auch normativ akzeptabel zu sein. Geht es allerdings, wie in anderen Teilen dieser Arbeit, um die Frage der Legitimation bestimmter Eingriffe in den Körper mit dem Ziel der Persönlichkeitsveränderung, dann müssen die möglichen Folgen von Komplexitätsreduktionen genauer geprüft werden. Im Rahmen der Komplexitätsreduktion und der damit verbundenen Methodik können sowohl weniger veränderliche Aspekte (Struktur) als auch veränderliche Aspekte (Prozess) der Persönlichkeit im Fokus stehen. Es können auch Methoden zum Einsatz kommen, die diese Aspekte als Eigenschaften einer Persönlichkeit in Relation zueinander setzen und ihren moti-
143 Zu Problemen mit Tests, Fragebögen und Interviews in der Psychologie und Psychiatrie siehe Beiträge in Fay 2006.
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vationalen Hintergrund betrachten. Methodisch kann ebenso die Herstellung einer Verbindung zwischen biografischen, sozialen, aber auch biologischen Erkenntnissen über die Persönlichkeit angestrebt werden. Die Verknüpfung biologischer Funktionen des Menschen mit Eigenschaften einer Persönlichkeit wird bevorzugt im Bereich der Neurowissenschaften angestrebt. Die Verbindung sozialer, motivationaler und biografischer Erkenntnisse mit Eigenschaften einer Persönlichkeit findet hauptsächlich in psychologisch fundierten Methoden statt, welche auch zu dort formulierten Persönlichkeitstheorien führen. Die meisten Theorien und Methoden zur Erfassung von Persönlichkeit haben zunächst dichotomen Charakter und messen in unterschiedlicher Gewichtung sowohl einem naturwissenschaftlichen als auch einem geisteswissenschaftlichen Ansatz eine Bedeutung bei. Die geisteswissenschaftliche Methodik der Interpretation von Träumen, Biografien und Interviews wird zumeist durch quantifizierende Verfahren der Naturwissenschaft ergänzt. Dabei kommen sowohl Quantifizierungsversuche wie Fragebögen zur Erfassung von Gemütszuständen oder Persönlichkeitsstrukturen und Intelligenzmessung zum Einsatz als auch Verfahren, die versuchen, beispielsweise neurobiologische Zusammenhänge mit psychischen Zuständen herzustellen.144 Bestimmte Autoren sprechen sich im Falle von Psychologie und Psychiatrie sogar für eine Komplementarität der beiden Wissenschaftsbereiche im Sinne der Quantenmechanik aus.145 Interessant ist bei der Übertragung der Komplementarität aus der Quantenmechanik auf die Probleme der Bestimmung der Persönlichkeit, dass die Reihenfolge der Anwendung der naturwissenschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen Herangehensweise im Hinblick auf die Folgen nicht beliebig
144 Vgl. Walach 2005, S. 62 ff.; vgl. Vollmoeller 1998, S. 18. 145 Vgl. Walach 2005, S. 63 ff. Die komplementäre Verbindung soll dabei die Analogie der Anwendung von zwei, zum Teil inkompatiblen, Beschreibungsweisen für denselben Gegenstand verdeutlichen. Die aufgebrachte Analogie zur Komplementarität soll allerdings keinen beabsichtigten absoluten Methodendualismus implizieren (Eberhard 1987 stellt wichtige Gegenargumente zu einem Methodendualismus deutlich heraus; ebenso wird hier Pauen recht gegeben, dass sowohl eine Spannung als auch eine Zusammenarbeit beider Bereiche notwendig ist; siehe Pauen 2009). Bereits innerhalb der Psychiatrie existiert ein Diskurs, wie mit der Differenz von erklärenden und verstehenden Ansätzen umzugehen ist; siehe Sass, Hoff 2003.
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ist.146 Die Wahl der Reihenfolge kann sich auch als denkstilgeleitet herausstellen. Um nur ein Beispiel zu nennen, wo die Wahl der Reihenfolge relevant ist: Versucht ein behandelnder Psychologe bzw. Arzt zuerst, die Biografie einer Person zu verstehen, fällt sowohl die Beurteilung als auch die Therapie dieser Person anders aus, als wenn er sich zuerst mit den leichter naturalisierbaren Komponenten der Persönlichkeit wie Neuronenfunktionen befasst und daraus Aussagen über die Persönlichkeit generiert. 2.4.1 Psychologie und Psychiatrie Nach den allgemeinen Überlegungen der letzten Seiten zunächst zu den Versuchen der Erkenntnisgewinnung über Persönlichkeit in Ansätzen, die der Psychologie und der Psychiatrie zuzuordnen sind:147 Ein markantes Ziel solcher Wissensproduktion ist, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen einzelnen Individuen erfassbar zu machen. Die hierzu getätigten Ordnungsversuche sind in der Psychiatrie und in der Psychologie in ihrem Grundsatz verschieden, auch wenn beide den Begriff des Typus nutzen und es in der Praxis viele Überschneidungen gibt. Psychiatrische Ansätze folgen eher einer »Nosologiehypothese«, psychologische hingegen einer Kontinuitätshypothese. Das bedeutet, dass Klassifikationssysteme der Psychiatrie vermehrt nach qualitativen Unterschieden zwischen normalem Verhalten und psychischen Störungen suchen. Demgegenüber geht die Psychologie hierbei von einem quantitativen Unterschied aus und versucht, Gruppen von Eigenschaften als Kontinua zu dimensionieren. Der Begriff Typus kennzeichnet allerdings in beiden Systemen eine Gruppe zusammenhängender Eigenschaften einer Persönlichkeit.148 Eine der Möglichkeiten, über Persönlichkeiten Wissen zu gewinnen, besteht darin, deren Persönlichkeitswesenszüge zu studieren. Diese implizieren, wie weiter oben beschrieben, eine starke Neigung, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Die Subsumierung der Wesenszüge ist in den unterschiedlichen Theorien, die mit Wesenszügen operieren, un-
146 Vgl. Walach 2005, S. 63 und 73. 147 Die Trennung zwischen Neurowissenschaften und Psychologie sowie Psychiatrie wird hier der Übersichtlichkeit wegen eingeführt, Teile der Psychologie und Psychiatrie und deren Methodik werden an anderen Stellen der Arbeit der Neurowissenschaft zugeordnet; siehe auch Bear et al. 2009, S. 16 ff. 148 Vgl. Fiedler 2001, S. 131.
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terschiedlich. Sie gehen aber alle von einer hierarchischen Struktur aus, bei der auf einer höheren Organisationsebene verschiedene Wesenszüge zu einem Persönlichkeitstyp werden. Verschiedene Verhaltensantworten können zu Persönlichkeitswesenszügen und dann zu Typen gebündelt werden.149 Die Persönlichkeitstypen, wie sie beispielsweise von Eysenck beschrieben wurden, sollen Grundeigenschaften des Menschen kennzeichnen.150 Das Fünf-Faktoren-Modell solcher Grundeigenschaften wie »Extraversion« und »Neurotizismus« ist beliebt, aber nicht unumstritten.151 Die Möglichkeit, solche Grundeigenschaften auszumachen, beruht auf der Erfassung von Verhalten, inklusive Narrationen, und anschließendem Zusammenführen vermeintlich zusammenhängender Faktoren. Um die Grundeigenschaften zu erfassen, wurden verschiedene Methoden entwickelt. Allgemein gesprochen kommen Checklisten, Selbstbeurteilungsfragebögen sowie strukturierte und standardisierte Interviews zum Einsatz.152 Selbstbeurteilungsfragebögen dienen vor allem dem Screening, da dabei zwar kaum falsch negative, aber viele falsch positive Diagnosen zustande kommen.153 Bei den Interviews (z.B. Structured Clinical Interview for DSM-IV) sind diagnosebezogene Fragen vorgegeben, die von Patienten, aber auch Angehörigen beantwortet werden.154 Zu den diversen Checklisten und Fragebögen zählen der NEO Personality Inventory (NEO-PI), dessen Weiterentwicklung NEO-FFI und der ebenfalls faktorenanalytisch arbeitende Münchener Persönlichkeitstest (MPT). 155
149 Vgl. Pervin et al. 2005, S. 283 ff. 150 Vgl. Fiedler 2001, S. 135 ff. Eysenck ging es dabei um eine dimensionale Typenbestimmung, in Folge an Wundt und Jung. Wundt hatte sich bereits bemüht um eine dimensionale Anordnung der vier Temperamente, wie sie von Kant wiederbelebt wurden, um deren kategorialen Charakter aufzuheben; vgl. Fiedler 2001, S. 132 ff. 151 Siehe auch Kapitel IV.2.2; Fiedler 2001, S. 140. 152 Vgl. Bronisch 1999, S. 11. 153 Vgl. Bronisch 1999, S. 12; eine kritische Auseinandersetzung mit dem Heidelberger Fragebogen zu Schamgefühlen ist nachzulesen bei Funke 2006. 154 Vgl. Bronisch 1999, S. 11 f.; First 1997. 155 Vgl. Fiedler 2001, S. 141; Muck 2006; Letzterer liefert ebenfalls eine Bewertung des Testverfahrens.
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Weitere aktuelle Versuche der Dimensionierung mit faktoranalytischer Methode tragen ferner Forderungen Rechnung, Persönlichkeitsstörungen »um gesundheitspsychologisch begründete Perspektiven« wie Lebenszufriedenheit oder soziale Orientierung zu ergänzen.156 Hierzu können das Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R), das Tridimensional Personality Questionaire (TPQ), der Trierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF), das Trierer Integrierte Persönlichkeitsinventar (TIPI), sowie Zirkumplex-Modelle interpersoneller Persönlichkeitsmerkmale gezählt werden.157 Eine weitere Frage, auf die im Bereich der Psychologie und Psychiatrie Antwortversuche unternommen wurden, beschäftigt sich mit den Ursachen der beobachteten Eigenschaften. Die Antworten, die in biologischen Zusammenhängen bzw. Korrelaten gesucht werden, sind Thema des nächsten Kapitels. Die Antworten auf die Frage nach der Ursache oder Motivation beobachtbarer Eigenschaften sind auch innerhalb der Persönlichkeitspsychologie vielfältig. Zur Erfassung von Persönlichkeitswesenszügen und Zusammenhängen äußerlich wahrnehmbarer Verhaltensweisen und Ursachen oder Motivationen sind im Bereich der Psychologie und Psychiatrie nicht nur Statistik und die oben benannten Methoden notwendig. Methodisch kommen auch Interpretationen von Träumen und biografischen Erzählungen zum Einsatz. Letztlich basieren die in diesem Abschnitt skizzierten Methoden alle auf Beobachtungen »äußerer Tätigkeiten«, die Erzählungen inkludieren. Sich dabei auf die äußeren Tätigkeiten und auf die Narration zu verlassen, ist für eine Pragmatik der Hilfestellung notwendig. Eine rein situative Empathiefähigkeit, die womöglich ohne diese Faktoren auskommen kann, ist für eine Entwicklung sowie für eine Weiterentwicklung von Theorien, für die Lehre und für die Kontrolle über Therapien wenig geeignet.158 Es sind
156 Vgl. Fiedler 2001, S. 146 f. 157 Vgl. Fiedler 2001, S. 146 ff.; eine kritische Auseinandersetzung mit dem Trierer Integrierten Persönlichkeitsinventar (TIPI) kann beispielsweise bei Kleinemas 2006 nachgelesen werden. 158 Empathie wird hier verstanden als ein Einfühlen in eine andere Person, verbunden mit dem Versuch, sich vorzustellen, was diese Person fühlt, denkt usw. Ob Empathie jenseits von äußerer Tätigkeit und Narration möglich ist, kann hier nicht diskutiert werden. Für eine kurze Einführung in verschiedene Theo-
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zwar Elemente in einzelnen Theorien und den daraus abgeleiteten Therapien gegeben (wie in der Psychoanalyse), die eine gewisse Empathiefähigkeit voraussetzen. Darunter ist dann zu verstehen, dass die Gefühle und Gedanken des Therapeuten, die sich im Zusammenhang mit dem Patienten einstellen, Teil des Therapieprozesses sind. Inwieweit eine solche Methodik wissenschaftliche Relevanz hat, kann hier nicht diskutiert werden. Für die Konklusionen dieser Arbeit wesentlicher ist die Einsicht, dass die Folgen einer solchen Interaktion des Patienten mit den Gefühlen und Gedanken des Therapeuten wiederum nur anhand der Verhaltensäußerungen (inklusive Sprechakte) des Patienten ermittelbar sind. Ein Wissen über die Innenwelt der Persönlichkeit (über Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Erste-Person-Perspektive) kann mit obigen Methoden nicht unbegrenzt gewonnen werden, was auch nicht von allen Theorien der Persönlichkeitspsychologie oder der Psychiatrie behauptet bzw. angestrebt wird. Oft geht es allein um die Zusammenhänge, die man zwischen der Biografie und dem aktuellen Denken, den Gefühlen und Handlungen herstellen will. Wenn dies so kenntlich gemacht wird und keine Verbindung mit einer psychophysischen Annahme kombiniert wird, welche ein monistisches Bild der Erkennbarkeit physischer Realisierung der lebensgeschichtlichen Zusammenhänge mit aktuellen äußeren Tätigkeiten impliziert, dann können eine solche Wissensgewinnung und die daraus abgeleiteten Therapiemethoden – verstanden als Eingriffe in die Persönlichkeit – zwar denkstilgeleitet sein, werden aber in späteren Kapiteln als wenig bedenklich gewertet. Diese normative Schlussfolgerung ist zum Teil dem Umstand geschuldet, dass Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit mit einer Methodik, der skizzierter Wissenserwerb zugrunde liegt, lange Übungsprozesse erfordern. Über einen längeren Zeitraum erworbene Veränderungen sind leichter mit Autonomieentwicklung im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung zu vereinbaren. Beide sind als wichtige Bestandteile personaler Integrität anzusehen. Dennoch müssen die Richtlinien, die Ziele und die Auswirkungen auch solcher Therapien und Wissensgewinnung auf deren strukturellen Zusammenhang mit Denkstilen hin infrage gestellt werden.
rien und in historische Entwicklungen bezüglich des Empathieverständnisses siehe Stueber 2008.
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2.4.2 Neurowissenschaften Die eben erläuterte Form der Wissensgewinnung über Persönlichkeiten differiert von der in Folge dargelegten. Es ist ein Unterschied bei der Gewinnung des Wissens über eine Persönlichkeit oder über ihre Abweichungen, ob zuerst Zusammenhänge zwischen der Lebensgeschichte und den aktuellen Emotionen und Handlungen einer Persönlichkeit betrachtet werden oder ob zuerst Zusammenhänge von physischen Phänomenen und dem kommunizierten Erleben und Handeln hergestellt werden. Die aus dem Wissen abgeleitete Therapie fällt dann ebenfalls sehr unterschiedlich aus. Zudem müssen Neurowissenschaftler – im Gegensatz zu der zuvor skizzierten Variante der Wissensgewinnung – für ihre Forschungen folgende psychophysische Grundannahme haben: Beobachtbare Eigenschaften einer Persönlichkeit korrelieren in ihrer Individualität, aber auch in ihren interpersonellen Ähnlichkeiten, mit konkreten physischen Zuständen. Eine solche Grundannahme kann nicht nur Therapie, sondern auch Denkstil prägend sein. In Folge werden einige Methoden zur Wissensgewinnung skizziert. 2.4.2.1 Einige Methoden Aktivierung des Zentralnervensystems Im Wesentlichen können zu diesem System der Korrelationsermittlung elektrophysiologische Methoden und bildgebende Verfahren gezählt werden. Diese Methoden zur Messung der Aktivierung des Zentralnervensystems unterscheiden sich hinsichtlich der zeitlichen und räumlichen Auflösungsmöglichkeiten.159 Eine nebenwirkungsarme und finanziell unaufwendige Methode stellt die Messung von Gehirnströmen mithilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) dar. Mit den auf dem Kopf angebrachten Elektroden wird dabei die Summe der elektrischen Aktivität (Summe der exzitatorischen postsynaptischen Potenziale) vieler unter der Elektrode liegender Neuronen erfasst. Für empirisch relevante Aussagen sind in Folge weitere quantitative Analysen der gewonnenen EEG-Rohdaten notwendig, wie die Zerlegung der Daten in Frequenzanteile.160
159 Vgl. Schulter, Neubauer 2005, S. 35 ff. 160 Vgl. Schulter, Neubauer 2005, S. 37 ff.
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Neben dieser auf die Lokalisierung von Gehirnaktivität auf dem Kortex beschränkten Methode sind in den letzten Jahren Methoden zur Analyse der Aktivierung tiefer liegender Neuronenverbände perfektioniert worden. Gemeint sind damit die sogenannten bildgebenden Verfahren. Als prominente Vertreter dieser Verfahren sind die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) und das Functional-Magnetic-Resonance-Imaging (fMRI) zu nennen. Die PET-Methode misst den regionalen Stoffwechsel bzw. die Glukoseaufnahme des Gehirns anhand der Aufnahme und der Verteilung radioaktiv markierter Substanzen (z.B. Fluoro-Desoxy-Glukose – FDG).161 Hierbei bedient sich diese Methode der physikalischen Eigenschaften der Positronenstrahlung.162 Auch bei der Methode des fMRT wird davon ausgegangen, dass neuronale Aktivität mit vermehrter Zufuhr und erhöhtem Verbrauch von Sauerstoff und Glukose einhergeht. Die Resonanz des Sauerstoffgehalts in den venösen Gefäßen kann dabei gemessen werden.163 Die Methode des fMRT nutzt dabei die Eigenrotation (Spin) von Atomkernen ungerader Ordnungszahl und richtet mit einem starken Magnetfeld deren Rotation nach dem Feld aus. Nach einem erregenden elektromagnetischen Puls kehren die Protonen je nach Gewebe und dessen Zustand unterschiedlich schnell in ihren ursprünglichen Ausrichtungszustand zurück, was eine Differenzierung des Gewebezustandes erlaubt.164 Zur Analyse funktioneller Bilddaten wird entweder die Subtraktionsanalyse oder die Kovarianzanalyse verwendet. Erstere vergleicht die Aktivität bestimmter Hirnregionen bei der Ausführung einer Aufgabe mit der unter Kontrollbedingungen. Die Kovarianzanalyse ermittelt darüber hinaus über eine Analyse der Kovarianz von Signalen (wie blood oxygen level dependent, BOLD) die funktionellen Interaktionen verschiedener Gehirnregionen während einer Bedingung und ermöglicht somit eine stärkere Berücksichtigung der Interaktionen von Netzwerken.165 Schulter führt aus, welche Korrelationsergebnisse für Grunddimensionen der Persönlichkeit (wie Extraversion nach Eysenck) mit Aktivierungen
161 Vgl. Schulter, Neubauer 2005, S. 43. 162 Vgl. Mottaghy, Krause 2005, S. 3. 163 Vgl. Schulter, Neubauer 2005, S. 44. 164 Vgl. Schulter, Neubauer 2005, S. 43 f.; Goebel, Kriegeskorte 2005. 165 Vgl. Mottaghy, Krause 2005, S. 13 ff.
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des Zentralnervensystems mithilfe dieser Methoden ermittelt werden konnten. Ebenso stellt er Ergebnisse vor, die für zentralnervöse Korrelate der Intelligenz anhand obiger Methoden ermittelt wurden.166 Schmahl und Bohus zeigen in ihrer Übersichtsarbeit Ergebnisse dieser Methoden für die Borderline-Persönlichkeitsstörung auf, wie etwa eine Hyperaktivierung im fMRI der Amygdala bei der Betrachtung affektiv belastender Bilder.167 Solche Korrelationen suggerieren direkt oder indirekt die Vorstellung einer Reduzierbarkeit der Eigenschaften der Persönlichkeit auf physische Ereignisse sowie die Möglichkeit der Objektivierbarkeit der Persönlichkeit. Damit prägen sie den aktuellen Denkstil bezüglich Persönlichkeit und lassen sich mit den vorhergehenden Ergebnissen hinsichtlich Denkstilcharakteristika gut in Einklang bringen. In Folge wird ein weiterer Teilbereich skizziert, in dem auf diese denkstiltypische Weise Wissen über Persönlichkeit gewonnen wird. Neurotransmitter Es ist seit dem letzten Jahrhundert bekannt, dass die Signalübertragung im zentralen Nervensystem über die Freisetzung biochemisch wirksamer Substanzen gewährleistet wird. Diese Substanzen beeinflussen das Verhalten anderer Neuronen und werden als Neurotransmitter bezeichnet.168 Neurotransmitter werden im Neuron synthetisiert, in Vesikel gespeichert und dann in den synaptischen Spalt zwischen zwei Neuronen freigesetzt. An der postsynaptischen Membran entfalten sie dann ihre Wirkung an bestimmten, mehr oder weniger neurotransmitterspezifischen Rezeptoren. Diese Wirkung kann entweder über die Öffnung von Ionenkanälen erfolgen oder durch die Anregung von Proteinen, was wiederum zu Ionenkanalöffnungen führen kann, oder durch intrazelluläre Veränderungen. Die Transmitterwirkung wird dann beispielsweise durch enzymatischen Abbau oder durch Wiederaufnahme in das Neuron inaktiviert. Dieser geschilderte Weg des Auf- und Abbaus bietet Raum sowohl für Defekte als auch für pharmakologische Beeinflussung. Neurotransmitterfunktion können zum Beispiel Aminosäuren, Peptide, Monoamine oder Acetylcholin
166 Siehe Schulter, Neubauer 2005. 167 Vgl. Schmahl, Bohus 2006, S. 623; Amygdala ist ein Kerngebiet des Gehirns und zählt zum limbischen System. 168 Vgl. Hennig, Netter 2005, S. 191 f.
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übernehmen. Um nur einige bekannte Transmitter zu nennen: Serotonin, Dopamin, Adrenalin oder Glutamat.169 Forschungen in diesem Bereich zielen darauf ab, Korrelationen zwischen der Menge bzw. der Wirkung von Neurotransmittern und bestimmten Verhaltensweisen oder Eigenschaften einer Persönlichkeit herzustellen. Bei dem weiter unten vorgestellten Beispiel der Borderline-Persönlichkeitsstörung gilt vereinfachend der Zusammenhang zwischen verminderter serotonerger Neurotransmission und impulsiven Verhaltensmustern als gesichert.170 Ein anderes Beispiel: Es wird untersucht und diskutiert, dass Dopamin als Neurotransmitter mit der Eigenschaft der Extraversion und Offenheit zusammenhängt.171 Erneut offenbart sich ein Wissen über Persönlichkeit und dessen Gewinnung, die mit einem auf physische Ereignisse reduzierenden und objektivierenden Denkstil in Verbindung gebracht werden kann. Ähnliches gilt für die Parameter, die im Anschluss dargestellt werden. Endokrines, vegetatives Immunsystem Die in der Überschrift genannten Systeme werden zusammengefasst angeführt, da sie zum einen im klassischen Sinne zur somatischen Medizin gezählt werden können, zum anderen alle drei in ihrem potenziellen Bezug zur Persönlichkeit nur extrem verkürzt dargestellt werden können. Unter Endokrinologie wird gemeinhin die Lehre von den Hormonen verstanden. Hormone haben wie das Nervensystem die Funktion, Informationen im Organismus zu übermitteln. Zu diesen zählen zum Beispiel Wachstum, Stoffwechsel und Fortpflanzung. Von dem Ort ihrer Produktion müssen sie auf dem Blutweg zu ihrem Wirkort gelangen. Dieser liegt entweder in der Peripherie oder bereits im Gehirn. Zum Teil dienen Hormone als Neurotransmitter oder Neuromodulatoren. Sie können nach ihrer Funktion, nach ihrer Struktur oder nach ihrem Bindungsort differenziert werden. Zu den wichtigsten Hormonen, die mit Verhaltensweisen in Zusammenhang gebracht werden, gehören Cortisol, Schilddrüsenhormone, Testoste-
169 Vgl. Hennig, Netter 2005, S. 192 ff. 170 Vgl. Schmahl, Bohus 2006, S. 625. Zur Beschreibung des Serotoninsystems siehe Hennig, Netter 2005, S. 195 ff. 171 Vgl. Hennig, Netter 2005, S. 261.
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ron, Östrogen und Progesteron.172 So gibt es Ergebnisse, die zwischen 5aDihydrotestosteron und antisozialem Verhalten bei Jugendlichen eine positive Korrelation feststellen. Ebenso kann laut Studien frühes kriminelles Verhalten mit erhöhten Spiegeln von Schilddrüsenhormonen wie T3 und T4 einhergehen.173 Unter dem vegetativen Nervensystem ist ein System zu verstehen, das weitestgehend willentlich nicht direkt von der Person selbst beeinflusst werden kann und das Anpassungs- und Regulationsfunktionen des Körpers übernimmt. Es wird bisweilen auch als »autonomes Nervensystem« bezeichnet.174 Zu den Aufgaben dieses Systems zählen zum Beispiel die Anpassung der Herztätigkeit, der Funktion der inneren Organe, Drüsen und der Gefäße. Das vegetative Nervensystem kann in einen sympathischen und in einen diesem gegenläufigen parasympathischen Anteil gegliedert werden.175 Es existieren Forschungen, Reaktionen auf vegetativer Ebene mit Persönlichkeitsmerkmalen bzw. den Grunddimensionen der Persönlichkeit nach Eysenck zu korrelieren.176 Zwar scheint es gegenwärtig keine vielversprechenden Ergebnisse hinsichtlich physiologischer Variablen als eindeutige Indikatoren für Persönlichkeitsdimensionen zu geben.177 Allerdings sind bereits die Fülle an Forschung und die einzelnen positiven Befunde in diesem Bereich beeindruckend. Die Suche nach Zusammenhängen zwischen immunologischen Reaktionen und Persönlichkeitsdimensionen ist ebenfalls verbreitet.178 Ein relativ verfestigter Befund sagt eine negative Assoziation zwischen immunologischer Aktivierbarkeit und der Dimension Neurotizismus voraus.179
172 Vgl. Netter 2005, S. 292 ff. 173 Vgl. Schmahl, Bohus 2006, S. 629. 174 Vgl. Baltissen, Boucsein 2005, S. 397 ff.; durch autogenes Training oder Biofeedback könne dieses System allerdings durchaus beeinflusst werden. 175 Baltissen, Boucsein 2005, S. 398 f. 176 Siehe Baltissen, Boucsein 2005. 177 Vgl. Baltissen, Boucsein 2005, S. 510. 178 Siehe Hennig 2005. 179 Vgl. Hennig 2005, S. 537.
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Genetik Die Untersuchungen, die sich auf Verhaltensgenetik beziehen, sorgten nicht nur für Euphorie, sondern auch für Ängste, da mit ihnen die Umwelteinflüsse auf die Entwicklung der Persönlichkeit in Vergessenheit zu geraten schienen und Selektion bzw. genetische Manipulation befürchtet wurde.180 Inwieweit diese Sorgen berechtigt sind, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Zunächst soll beschrieben werden, ob auf empirischer Ebene überhaupt eine Korrelationsmöglichkeit von Verhalten und Genetik in Aussicht gestellt wird. Rainer Riemann wertet Studien aus, die im Kontext der zuvor beschriebenen fünf Grunddimensionen der Persönlichkeit und Genetik getätigt wurden. Ebenso stellt er die Studienergebnisse hinsichtlich Intelligenz und verhaltensgenetischer Faktoren dar.181 Laut dieser Auswertung trifft in den untersuchten Studien für alle Dimensionen des Fünf-Faktoren-Modells zu, dass genetische Varianz eine wichtige Quelle interindividueller Differenzen von Persönlichkeitsmerkmalen darzustellen scheint.182 Rechne man die Fehler in den ausgewerteten Studien weg, dann ergebe sich für die Dimensionen des Fünf-Faktoren-Modells eine Erblichkeit von 50 %.183 Hinsichtlich der Intelligenz lässt sich nach Riemann zusammenfassen, dass Ergebnisse der molekulargenetischen Arbeiten bei Weitem nicht an die von quantitativ genetischen Forschungen herankommen. Letztere sagen einen bedeutenden genetischen Einfluss auf die Intelligenz aus.184 Insgesamt entsteht aber auch bei der Betrachtung der Genetik ein Bild, das dem zuvor als Denkstil charakterisierend dargelegten entspricht. Eigenschaften der Persönlichkeit sollen auf eine objektive Weise erfassbar und auf bestimmte (in diesem Fall genetische) physische Komponenten reduzierbar sein.
180 Siehe Riemann, Spinath 2005, S. 539 f.; eine neuere Forschungsrichtung, die auch die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf genetischer Ebene untersucht, ist die Epigenetik. Für einen Aufsatz, der letztere Zusammenhänge untersucht, siehe Murgatroyd 2009. 181 Siehe Riemann, Spinath 2005. 182 Vgl. Riemann, Spinath 2005, S. 614. 183 Vgl. Riemann, Spinath 2005, S. 615. 184 Vgl. Riemann, Spinath 2005, S. 625 f.
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DER
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Vorhergehende Beschreibungen der psychologischen und neurowissenschaftlichen Methodik zur Erfassung von Persönlichkeit wurden getätigt, um in den Erläuterungen der Folgekapitel auf diese zurückgreifen zu können. Sie können weder Vollständigkeit beanspruchen noch zum obigen Zweck hinreichend diskutiert werden. Sie sollen zum einen als weitere Veranschaulichung für einen bestimmten Denkstil und zum anderen als Erläuterungsgrundlage dienen, wenn es später darum geht zu zeigen, inwieweit Konsequenzen von Eingriffen in eine Persönlichkeit anhand dieses Wissens beurteilt werden können. Zusammenhänge, die für Persönlichkeit und physische Variablen in Neurowissenschaften untersucht wurden, orientieren sich an Persönlichkeitsdimensionen und Persönlichkeitswesenszügen. Diese implizieren ihrerseits die Möglichkeit, aus den Erzählungen und Verhaltensweisen einer Person die gesamte Persönlichkeit erfassen zu können. Dies wurde bereits kritisiert und als Denkstil prägend dargestellt. Ferner deutet ein solches Vorgehen auf einen engen Persönlichkeitsbegriff hin, der ebenfalls als denkstilcharakteristisch benannt wurde. Was ein so enger Persönlichkeitsbegriff, auf dem dann Wissen über physische Zugänge beruht, für die Beurteilung von Eingriffen in den Körper zur Veränderung der Persönlichkeit bedeutet, wird weiter unten Thema sein. In den letzten Abschnitten wird zudem das Bild eines Denkstils zur Persönlichkeitserfassung deutlich, das von objektivierenden und auf physische Ereignisse reduzierenden Vorgängen geprägt ist. Diese wiederum beruhen auf bestimmten psychophysischen Grundannahmen, die in Folge diskutiert werden. 2.4.2.2 Psychophysische Grundannahmen Private Eigenschaften und Reduktionismus: ein Problemaufriss Wenn es darum geht, Eigenschaften einer Persönlichkeit wissenschaftlich erfassen zu wollen, ist man neben den technischen mit theoretischen Problemen konfrontiert, die in der Philosophie des Geistes bereits vielfach diskutiert wurden. Werden diese Schwierigkeiten in neurowissenschaftlichen Forschungen ausgeblendet, könnte es sich hierbei um den Vollzug eines weiteren Denkstilcharakteristikums handeln. Lisa Tambornino erläutert in Anlehnung an Ansgar Beckermann zwei philosophische Grundprobleme, mit denen man konfrontiert ist, wenn ver-
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sucht wird, objektives Wissen über mentale Zustände anderer zu erlangen: Als Folgen einer »epistemischen Asymmetrie« treten das Problem des Fremdpsychischen und das Erklärungslückenproblem auf.185 Man kann diese Probleme als epistemologische Teilprobleme der Philosophie des Geistes zusammenfassen.186 Welche mentalen Zustände sind gemeint? Unter dem Fachterminus »mental« sind sowohl »geistige« als auch »seelische« Phänomene zu subsumieren.187 Mentale Zustände bezeichnen also die Zustände dieser Phänomenbereiche. Sie werden in dieser Arbeit an seltenen Stellen synonym gebraucht mit mentalen Eigenschaften bzw. mit nicht kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit. Nicht kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit wird hier Vorzug eingeräumt, da zum einen betont werden soll, dass es sich dabei um Eigenschaften handelt.188 Zum anderen sollen diese Eigenschaften leichter abgrenzbar gegenüber jenen bleiben, die kommuniziert werden. Es gibt beispielsweise als Eigenschaft verstandene Gedanken, die in den nicht kommunizierten, und andere, die in den kommunizierten Bereich von Eigenschaften fallen. Zumeist wird nur von Eigenschaften die Rede sein, auch wenn damit ebenso Fähigkeiten und Dispositionen verbunden sein können.
185 Vgl. Tambornino 2008, S. 39 ff.; siehe auch Beckermann 2001, Kapitel 13; zur epistemischen Asymmetrie siehe beispielsweise Sturma 2005, S. 76. Beim Problem des Fremdpsychischen stellt sich die Frage, ob eine Person Bewusstseinszustände, die sie sich selbst zuschreibt, auch anderen zuschreiben kann; vgl. Sturma 2005, S. 73 ff.; Beckermann 2001, S. 395 f. 186 Vgl. Beckermann 2001, S. 2. 187 Vgl. Beckermann 2001, S. 4, Fußnote; mögliche Merkmale des Mentalen im Gegensatz zu physischen Zuständen sind: Bewusstheit, Unkorrigierbarkeit, Intentionalität, Nicht-Räumlichkeit, Privatheit; vgl. Beckermann 2001, S. 9 ff. 188 Unter Eigenschaften werden hier individuelle Merkmale und Qualitäten, aber auch Funktionen von Personen verstanden. Sie können in ihrer Beschaffenheit, in der Ausdrucksweise (also auch Handlungen) und ihrem Erlebnis nach als qualitativ individuell gelten. Zum Teil können sie in Relation gesetzt werden zu den Eigenschaften anderer Personen. Ebenso können Eigenschaften zum Teil verstanden werden als Unterscheidungsmerkmale, die einer Klasse von Personen oder allen Personen zukommen.
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Allgemein wird in der Literatur zwischen Empfindungen und intentionalen Zuständen als Haupttypen mentaler Zustände unterschieden. Empfindungen können körperliche Empfindungen wie Übelkeit und Wahrnehmungseindrücke wie Farbeindrücke enthalten. Sie haben qualitativen Charakter. Intentionale Zustände hingegen haben einen Inhalt und sind auf etwas gerichtet, wie etwa Wünsche oder Überzeugungen. Manche dieser Zustände sind kognitiver Natur, andere haben affektive Komponenten. Sie sind alle gekennzeichnet durch ihre Art und ihren Inhalt.189 Es ist nicht immer möglich, eine exakte Trennung von Empfindungen und intentionalen Zuständen durchzuführen; bei vielen mentalen Phänomenen wie Zorn, Hoffnung oder Trauer vermischen sich beide Typen mentaler Zustände. Will man Empfindungen und intentionale Zustände auf physische Zustände zurückführen, ergeben sich dabei unterschiedliche Probleme. Im Falle von Empfindungen besteht die Hauptschwierigkeit darin, wie ein qualitatives Erlebnis auf ein Ereignis des Gehirns bezogen werden kann. Die Zurückführbarkeit intentionaler Zustände auf physische Zustände erscheint deshalb schwierig, weil Erstere auch immer einen semantischen oder repräsentationalen Inhalt haben.190 Qualitative mentale Erlebnisse werden auch als phänomenales Bewusstsein oder als Qualia bezeichnet.191 Dass es ein Problem darstellen kann, subjektive Erfahrungsqualitäten wie etwa Geschmackserlebnisse in einer der Physik gewöhnlichen, objektiven Weise darzustellen bzw. zu erklären, wurde u.a. von Thomas Nagel, Frank Jackson und Joseph Levines erörtert.192 So unterschiedlich die Ansätze dieser Autoren sein mögen, sie führen alle zu der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht, dass bestimmte Erlebnisse der Person aus der Erste-Person-Perspektive, die hier als deren Eigenschaften bezeichnet werden, für die Außenwelt in ihrer Qualität unerfahrbar bleiben. In Anlehnung an Chalmers wird hier das Problem phänomenaler Qualitäten zu den »harten Problemen« der Bewusstseinsdebatte
189 Vgl. Beckermann 2001, S. 13 ff. 190 Vgl. Beckermann 2001, S. 14 ff. 191 Vgl. Beckermann 2001, S. 385. 192 Siehe dazu Beckermann 2001, S. 386 ff.; Sturma 2005, S. 93 ff.; für das Problem der Perspektive siehe Nagel 1974; Nagel 1992; für das »Argument der Erklärungslücke« siehe Levines 1983 und für das »Argument des unvollständigen Wissens« siehe Jackson 1982.
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gezählt, das sich nicht lediglich durch neue Ergebnisse der Neurowissenschaften eliminieren lässt.193 Eine Leugnung oder Vernachlässigung dieser Probleme für die Bestimmung von Eigenschaften einer Persönlichkeit zählt zu den Charakteristika des aktuellen Denkstils. Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits dargelegt, dass es für das Persönlichkeitsverständnis wesentlich ist, davon auszugehen, dass sich auch jene Eigenschaften einer Persönlichkeit, die nicht kommuniziert werden, im physikalischen Raum realisieren. Die These der Realisierung im physikalischen Raum könnte eine Version des Physikalismus implizieren, definitiv bejaht sie die Geschlossenheitsthese physikalischer Vorgänge.194 Weder muss aber damit auf ein mentalistisches Vokabular verzichtet werden noch ist hiermit die Möglichkeit einer Erklärung oder Reduktion aller mentalen Zustände durch oder auf physikalische Ereignisse gegeben. Es ist mit einer Annahme von physischer Realisierung mentaler Zustände durchaus möglich zu bezweifeln, dass es zwischen Erlebnissen der Erste-Person-Perspektive und physischen Ereignissen, die wahrgenommen werden können, gesetzmäßige Verbindungen gibt, die benannt werden können.195 Als Problem des neurowissenschaftlichen Verständnisses der Persönlichkeit wird genau die Annahme gesehen, Gesetzmäßigkeiten zwischen angenommenen mentalen Zuständen der Person und beobachtetem Verhalten oder körperlichen Prozessen ließen sich hinreichend erfassen und benennen. Neben der pragmatischen Notwendigkeit wird hier hinter solchen Annahmen ein Denkstil
193 Zu dem »harten Problem« vgl. Beckermann 2001, S. 414, Fußnote; siehe Chalmers 1995 und 1996. 194 Zur Realisierungstheorie als vierte Version des Physikalismus siehe Beckermann 2001, S. 225 ff.; zur Geschlossenheitsthese siehe Sturma 2005, S. 18 ff. Gemeinhin wird angenommen, dass für Physikalisten keine Erklärungslücke existieren kann. 195 Zu einer Doppelaspekttheorie vgl. Sturma 2005, S. 29; Beckermann diskutiert, dass eine Multirealisierbarkeit geradezu impliziere, dass nicht alle Gesetze in physikalischer Sprache formuliert werden können; vgl. Beckermann 2001, S. 226 f.; Ausführungen dazu, dass bei gleichen funktionalen Zuständen unterschiedliche Gedanken vorhanden sein können, und zu der bekannten These, dass Gedanken nicht im Kopf sind, siehe Putnam 2001; für eine Ausarbeitung der Argumente für und gegen die funktionalistische Theorie, die von Putnam beschrieben wurden, siehe Cursiefen 2008.
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angenommen, der als behavioral, funktionalistisch oder als eine reduktionistische Spielart des Physikalismus, wenn nicht gar als eliminativistisch, angesehen wird.196 Wenn es um die Benennung von Abweichungen der Persönlichkeit geht und um die Methodik, mit der Wissen über die Eigenschaften einer Persönlichkeit gewonnen wird, dann wird jene Annahme noch deutlicher. Wie schon erwähnt, sollte meines Erachtens eine Beschreibung von Persönlichkeit auch nicht reduzierbare mentale Zustände der Person berücksichtigen. Wird dies von einer Persönlichkeitsbeschreibung nicht geleistet, dann ergeben sich daraus Probleme, wenn bei Eingriffen in die Persönlichkeit die Gesamtheit ihrer Eigenschaften für die Urteilsbildung berücksichtigt werden soll. Durch die propagierte Nichtkommunizierbarkeit einiger Eigenschaften einer Persönlichkeit aus der Erste-Person-Perspektive soll nicht geschlossen werden, dass dies ebenso eine Unfehlbarkeit der Wahrnehmung aller Eigenschaften der Erste-Person-Perspektive impliziert. Eine Person kann sich in der Zuordnung ihrer Wahrnehmungen oder Gefühle auch aus der ErstePerson-Perspektive sehr wohl irren, sofern die Zuordnung auf die Eingebundenheit der Person in die Welt beruht. Besteht eine Person beispielsweise auf die Existenz eines Phantomschmerzes, kann die Zuordnung des Schmerzes in einen nicht mehr existenten Bereich des Körpers (z.B. ein amputiertes Bein) von der Person selbst oder von Dritten als Irrtum erkannt werden.197 Die Empfindung der Person, einen Schmerz zu haben, ohne jene
196 Siehe auch weiter unten. Einen eliminativen Materialismus vertritt z.B. Churchland 1998; für eine Auseinandersetzung mit funktionalistischen Theorien siehe Putnam 2001 und Cursiefen 2008; zum Verhältnis Funktionalismus und Physikalismus siehe Beckermann 2001, S. 154 ff. Behaviorismus sollte in logische und psychologische Formen unterteilt werden. 197 Der Phantomschmerz ist eine Sonderform von Deafferenzierungsschmerzen und tritt nach dem Verlust eines Körperteils auf. Das Auftreten ist besonders häufig in distalen Extremitäten und im Gesicht; vgl. Fresenius et al. 2004, S. 100. Zu phänomenologischen Bezügen des Phantomschmerzes siehe Merleau-Ponty 1966.
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Zuordnung des Schmerzes in eine nicht existente Extremität, ist allerdings aus der Dritte-Person-Perspektive nicht bezweifelbar.198 Das Vertreten von Eigenschaften einer Persönlichkeit, die nicht in die Außenwelt kommuniziert werden können, soll ferner weder mit einem metaphysischen noch einem epistemischen Solipsismus gleichgesetzt werden.199 Die Persönlichkeit mit ihren nicht kommunizierten Eigenschaften nimmt weder an, dass es keine von ihrem Bewusstsein unabhängige Außenwelt gäbe,200 noch bedeuten die obigen Prämissen, dass Personen durch die Existenz solcher Eigenschaften annehmen müssten, die Außenwelt wäre unabhängig von ihrem Bewusstsein nicht erkennbar. Es soll primär ausgesagt werden, dass es so etwas wie »private Eigenschaften« von Personen gibt, welche keiner Objektivierung zugeführt werden können. Will man in dieser Argumentation eine solipsistische Grundhaltung sehen, dann wäre diese Sicht am ehesten mit einem methodologischen Solipsismus zu begründen. Demnach würde ein psychologischer Zustand lediglich die Existenz des in diesem Zustand befindlichen Individuums voraussetzen.201 Zwar wird in dieser Arbeit die Existenz des Menschen als hinreichend befunden, um besagte Eigenschaften in der Erste-Person-Perspektive ausbilden zu können. Gleichzeitig wird aber eine kausale Wechselwirkung mit der Umwelt für jene Eigenschaften als möglich und meist stattfindend
198 Sturma untersucht die philosophiegeschichtliche Entwicklung des Verständnisses von Selbstbewusstsein und inwieweit bei Personen eine erlebende und reflektierende Bewusstseinsperspektive als unbezweifelbar, epistemisch irreduzibel, unkorrigierbar und infallibel anzusehen ist; vgl. Sturma 2005, S. 45 ff., insbesondere S. 53. 199 Zu einer Auseinandersetzung mit Solipsismus siehe Vossenkuhl 2003, S. 175 ff.; Vossenkuhl 2009; für eine kurze Zusammenfassung siehe Prechtl, Burkard 2008, S. 564 f. 200 Vossenkuhl nennt diese Art von Solipsismus metaphysisch; Vossenkuhl 2003, S. 176 ff. An eben zitierter Stelle ist auch eine Auseinandersetzung nachzulesen, wie der Solipsismus »philosophisch salonfähig« werden könnte. Vossenkuhl definiert ferner einen »grammatischen Solipsisten«, dessen Herleitung v.a. auf Wittgensteins Spätwerken beruht; siehe Vossenkuhl 2009, S. 102 ff. 201 Vgl. Prechtl, Burkard 2008, S. 565; geprägt wurde dieser Begriff von Putnam; siehe Putnam 1975.
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erachtet.202 Demnach können jene Eigenschaften auch nicht im strengen Sinne eines methodologischen Solipsismus interpretiert werden. Die nicht kommunizierten Eigenschaften der Erste-Person-Perspektive können zwar auch sprachlich verfasst sein, sollen aber zu keinem »Privatsprachargument« im Sinne Wittgensteins führen.203 Zum einen können diese Eigenschaften, auch wenn sie nicht kommuniziert sind, sprachlichen Regeln folgen, die nicht privat sind.204 Die Befolgung von öffentlichen Regeln auch beim sprachlichen Selbstbezug wird hier sogar als äußerst plausibel erachtet. Zum anderen müssen diese Eigenschaften einer Persönlichkeit aber nicht sprachlich verfasst sein. Die Existenz privater Erlebnisse und Empfindungen ließe sich auch mit Wittgensteins Theorie in Einklang bringen.205 Im Unterschied zu Wittgenstein erhalten diese Eigenschaften hier aber per definitionem eine Existenzweise, auf die man sich beziehen kann. Sie können daher nicht wie »[…] kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts« verstanden werden.206 Die Idee, sich sprachlich auf bestimmte private Erlebnisse nicht beziehen zu können, impliziert nicht deren Nichtexistenz in einer Weise, dass auf sie kein Bezug in der Erste-Person-Perspektive möglich wäre. Im Anschluss an Wittgenstein ließe sich darauf verweisen, dass Selbstgewissheit – hier verstanden als Form von Eigenschaft einer Person aus der Erste-Person-Perspektive – ein wesentliches Bewusstseinserlebnis ist, aber ohne einen ihm angemessenen sprachlichen Ausdruck.207
202 Siehe Kapitel III. 203 Zu Wittgensteins Argument gegen die Möglichkeit privater Sprache siehe Vossenkuhl 2009, S. 112 ff.; vgl. Wittgenstein 1975, S. 139 f., § 243; sie können auch allein aus Wahrnehmung oder nichtsprachlicher Symbolisierung entstehen. 204 Zur Paradoxie privater Regeln siehe Vossenkuhl 2009, S. 113 ff. 205 Anhand Wittgensteins (Wittgenstein 1975, S. 161) § 306 zeigt Vossenkuhl, dass es für Wittgenstein ähnlich unplausibel wäre, solche Ereignisse zu leugnen, wie den »geistigen Vorgang der Erinnerung« zu leugnen; vgl. Vossenkuhl 2009, S. 123. 206 Wittgenstein 1975, S. 160, § 304; zu dem Gegenargument Wittgensteins vgl. Vossenkuhl 2009, S. 123. 207 Vgl. Sturma 2008, S. 116; siehe auch Ausführungen zum präreflexiven Bewusstsein weiter oben.
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Dies bedeutet zusammengefasst, dass wir für die Persönlichkeitskonzeption einen Teil des Bewusstseins annehmen müssen, der zwar ontologisch existent, aber epistemisch für Dritte unzugänglich ist. Wesentlich für die Persönlichkeitsbestimmung ist es, in den nicht kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit ein Verhalten zu sich selbst und zur Umwelt anzunehmen, welches durchaus Veränderungsprozessen unterliegen kann. Es kann also daraus, dass bestimmte Veränderungsprozesse nicht in körperlich zuordenbaren Veränderungen, nicht in Verhaltensänderungen wie verändertem öffentlichen Sprachverhalten identifizierbar sind, nicht geschlossen werden, dass sie nicht stattfinden.208 Werden diese theoretischen Überlegungen für die Konzeption von Persönlichkeit ausgeblendet, besteht die Gefahr, lediglich denkstilkonform zu denken und zu handeln und auch für normative Urteile über Veränderungen der Persönlichkeit im Rahmen neurowissenschaftlicher Methodik jene Eigenschaften zu missachten. Man könnte den angestrebten Punkt an dieser Stelle noch etwas abwandeln und damit einfacher gestalten und für jene Eigenschaften einer Persönlichkeit annehmen, dass sie lediglich nicht ausgedrückt werden, obwohl dies potenziell möglich wäre. Sie finden weder in Narration noch in anderes Verhalten Eingang. Die Nichtrealisierung von Eigenschaften einer Persönlichkeit für die Dritte-Person-Perspektive kann dann verschiedene Ursachen haben: mangelnde Zeit für den Gesamtausdruck aller Eigenschaften, keine Adressaten, keine aktuell zugängliche Kommunikationsform usw. Die Nichtkommunikation kann willentlich oder nicht willentlich erfolgen und sich auf »normale« sowie »pathologische« Fälle erstrecken. Die Fülle der Eigenschaften, die nicht kommuniziert werden, ist in extremen Situationen des personalen Lebens als am größten anzunehmen. Bei einer vollständig ausgeprägten amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder in Situationen wie nach Drogenkonsum oder in einer Psychose ist leicht ersichtlich, wie schwierig es sein kann, Eigenschaften aus der Erste-Person-Perspektive – zum Teil aus deren Fülle heraus – auf eine Kommunikation hin zu fokussieren.
208 Sturma formuliert dies für öffentliche Sprache; vgl. Sturma 2008, S. 118; als Beispiel für nicht in Erscheinung tretendes verändertes Verhalten führt er einen Übergang in einen anderen Aufmerksamkeitszustand an; vgl. Sturma 2008, S. 145.
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Die nicht kommunizierten Eigenschaften einer Persönlichkeit haben in diesem konstruierten Fall der aktuellen Nichtkommunikation dennoch eine Bedeutung für die Welt. Zum einen können sie zukünftiges Verhalten beeinflussen, zum anderen sind sie eingebunden in den Körper, den sie als Bestandteil des Organismus mit verändern. Sowohl in ihrem Potenzial, mentale Zustände, die sich im Verhalten niederschlagen können, zu verändern, als auch in ihrem Bezug zum Körper äußert sich ihre Bedeutung für die Welt. Dies darf auch bei normativen Überlegungen nicht in Vergessenheit geraten. Gleiches gilt für diejenigen Eigenschaften, die zuvor in dem Bereich des präreflexiven Bewusstseins verortet wurden. Möglicherweise spielen sie für die Bedeutung der kommunizierbaren Eigenschaften einer Persönlichkeit, die aktuell realisiert werden können, keine Rolle.209 Durch ihre Existenz unterliegen sie jedoch dem Zwang, sich zu verhalten, und können nicht unberücksichtigt bleiben. Diejenigen Eigenschaften, die nicht in Erscheinung treten, können sekundär durch ihre Eingebundenheit in den Organismus sehr wohl eine Wirkung und Bedeutung entfalten. Besonders deutlich wird dies in Fällen psychischer Traumatisierungen von Personen, bei denen die Folgen für die Persönlichkeit erst deutlich später sichtbar werden. Beispiele für sekundäre Auswirkungen und Wahrnehmbarkeit dieser Eigenschaften stellen psychosomatische Erkrankungen dar. Die neuere Forschungsrichtung Epigenetik beschäftigt sich auch mit langfristigen Auswirkungen bestimmter Umwelteinflüsse auf genetischer Ebene. So können nach neueren Erkenntnissen bei Mäusen Stressoren nach der Geburt zu Veränderungen der Genexpression und verändertem Verhalten führen.210 Eliminiert man nicht in Erscheinung tretende Eigenschaften einer Persönlichkeit in Überlegungen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die in vielen Kontexten praktizierte Objektivierung der kommunizierbaren Eigenschaften auf die Gesamtpersönlichkeit übertragbar scheint. Im Folgeschritt wären in einem solchen Denkstil dann die Veränderungen der Persönlichkeit, bedingt durch Eingriffe in diese, ebenfalls in ihrem Ausmaß
209 Vossenkuhl schildert im Anschluss an Wittgenstein, wie Personen mit ihren wirklichen Wahrnehmungen, Empfindungen usw. allein sind und deren Wirklichkeit für die Bedeutung der Äußerungen der Person keine Rolle spielt; vgl. Vossenkuhl 2009, S. 111. 210 Siehe Murgatroyd 2009.
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und ihren Konsequenzen objektivierbar.211 Die vermeintliche Objektivierbarkeit der Persönlichkeit ist jedoch auch jenseits unkommunizierter Eigenschaften nicht unproblematisch. Die Anstrengungen, Zusammenhänge zwischen biologischen Funktionen und Persönlichkeitsmerkmalen zu finden – und sei dies nur eine BildMerkmals-Korrelation –, die Bemühungen um objektive bzw. generalisierbare Aussagen zur Struktur, zu Prozessen, zur Entwicklung, zur Psychopathologie und zur Typisierung von Persönlichkeiten sind zumeist pragmatischer und praktischer Natur. Gleichzeitig erwecken sie aber – wenngleich auf unterschiedlichste Weise – den Anschein, dass Persönlichkeit auf objektiv Erfassbares reduzierbar sei. Damit prägen die Neurowissenschaften nicht nur das Menschenbild der Allgemeinheit, sondern auch unser begriffliches Verständnis von Persönlichkeit und schließlich den gesamten Denkstil. Die Bewertung des Umgangs mit neu benannten Phänomenen wie die der Persönlichkeitsstörung gestaltet sich dann ebenso nach dem entsprechenden Denkstil. Mögliche Auswege Wie bereits skizziert, macht es bei der Gewinnung des Wissens über eine Persönlichkeit und deren Störungen einen Unterschied, ob zuerst Zusammenhänge zwischen der Lebensgeschichte und den aktuellen Emotionen und Handlungen oder zwischen physischen Phänomenen und dem kommunizierten Erleben und Handeln hergestellt werden. Die aus dem Wissen abgeleitete Therapie fällt ebenfalls sehr heterogen aus. Zuvor wurde darauf hingewiesen, dass die beiden Bereiche der Wissensgewinnung sogar als Komplementarität im Sinne der Quantenmechanik verstanden werden könnten.212 Die Entwicklung der Wissensproduktion über den Gegenstand Persönlichkeit scheint allerdings vermehrt in eine Richtung zu gehen, welche diese Art der Komplementarität negiert. Einerseits ist eine zunehmende Kooperation dieser Wissenssysteme begrüßenswert. Dennoch ist es auch kritisch zu sehen, wenn individuelle Beschreibungen und das Verstehen der lebensgeschichtlichen Zusammenhänge vermehrt mit der Erfassung aktuel-
211 Um welche Eingriffe es sich dabei handeln kann, siehe Kapitel V.1. 212 Dazu siehe Walach 2005, S. 63 ff.
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ler äußerer Tätigkeiten und mit vermeintlich objektiven Messungen der physischen Realisation dieser Zusammenhänge verbunden werden.213 Die Vorstellung einer somatischen Zuordnungsmöglichkeit psychischer Erlebnisse ist jedoch nichts, was erst die Neurowissenschaft der letzten Jahrzehnte bei ihrer wissenschaftlichen Suche nach Erklärungen der Persönlichkeit hervorgebracht hätte. Bereits die »Somatiker« des 19. Jahrhunderts hielten psychische Krankheiten für einen Ausdruck körperlicher Störungen. »Materialisten«, die wiederum von den »Somatikern« zu unterscheiden sind, versuchten Anfang des 19. Jahrhunderts, für psychophysische Probleme empirische statt metaphysischer Lösungen anzubieten. Sie sahen das Psychische als »Funktion des Materiellen«.214 Diese Entwicklung ist auch in der Philosophie des Geistes nachvollziehbar. Seit dem französischen Materialismus erfolgten eine Betonung der Geschlossenheitsthese und die Entwicklung hin zu einer Naturalisierung des Geistes, welche dann häufig in den heute weitverbreiteten eliminativen Materialismus mündet.215 Die Neurowissenschaften, welche sich auch mit der Erfassung der Persönlichkeit und ihren Pathologien befassen, scheinen ebenfalls in vielen Aspekten auf diese Entwicklung zurückzugreifen. Es wäre in einem Theoriesystem nur eine Frage der Zeit und der technischen Entwicklung, aber grundsätzlich sollen alle äußeren Tätigkeiten, jedes Denken, jede Emotion und jede Motivation auf physische Effekte und Kausalketten zurückführbar sein. Akzeptieren Neurowissenschaftler diese Hintergrundannahme, dann müssten nicht nur Einwände gegenüber bestimmter Methodik ignoriert, sondern auch andere Entwicklungen in der Philosophie des Geistes ausgeblendet oder explizit abgelehnt werden.216
213 Vgl. Walach 2005, S. 360 ff. 214 Vgl. Hoff 2003, S. 10 ff. 215 Für eine Zusammenfassung dieser philosophiegeschichtlichen Entwicklung siehe Sturma 2005, S. 23 ff.; als einen Vertreter des französischen Materialismus siehe de LaMettrie 2001 und des eliminativen Materialismus siehe Churchland 1998. 216 Zu einer epistemologischen Frage- und Problemstellung hinsichtlich der Methodik der funktionellen bildgebenden Verfahren siehe Huber 2009. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit psychologischen Testverfahren siehe zum Beispiel Fay 2006.
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Eine reduktive Grundannahme zur Erstellung von Methoden im Bereich der Persönlichkeitserfassung hat zumeist eine praktische Motivation. Trotz eines großen Verständnisses für diese Grundhaltung gegenüber Hilfesuchenden wird weiter unten aufzuzeigen sein, welche negativen Folgen eine reduktive Haltung für die Beurteilung der Konsequenzen bestimmter Eingriffe hat. Somit hat der Denkstil bezüglich psychophysischer Fragen für die Persönlichkeit eine zweifache Bedeutung. Zum einen beeinflusst er die Sicht auf Wissensproduktion über die Persönlichkeit. Zum anderen spielt er bei der Beurteilung von Veränderungen der Persönlichkeit eine entscheidende Rolle. In Folge werden – als mögliche theoretische Auswege für Neurowissenschaften – Theorien der Philosophie des Geistes weiter vorgestellt, die zwar einen Physikalismus aufrechterhalten, aber nicht reduktiv sind. Das psychophysische Problem in einen eliminativen Materialismus münden zu lassen ist eine Option, welche die Philosophie des Geistes anzubieten hat. Sie ist allerdings eine, die noch radikaler verfährt als zuvor genannt. Sie impliziert nicht nur eine Reduzierbarkeit, sondern auch eine Eliminierbarkeit mentaler Phänomene aus unserem Alltagsgebrauch. Aufgrund der Radikalität dieser Position haben sich auch unter Neurowissenschaftlern eher andere Abwandlungen der Naturalisierung des Geistes verbreitet. Eine solche besteht darin, den eliminativen Materialismus mit der Annahme einer Supervenienz abzumildern, welche reduktiv verstanden wird. Vertreter einer derart interpretierten Supervenienzthese behaupten, dass mentale Eigenschaften über physische Eigenschaften supervenieren und so Erstere auf Letztere zurückführbar und erkennbar seien.217 Das bedeutet, dass Veränderungen mentaler Eigenschaften nicht ohne Veränderung der physischen Eigenschaften vollzogen werden können und dass mentale Eigenschaften auf physische zurückführbar sind. Für Vertreter einer Supervenienz, also einer Abhängigkeit der mentalen Eigenschaften vom Physischen, muss jedoch nicht notwendigerweise eine Reduktion angenommen werden. Wie die Verbindung innerhalb dieser Abhängigkeit der mentalen von den physischen Eigenschaften auszusehen hat, bleibt weiterhin offen.218 Die Theorie der Supervenienz wurde ursprünglich
217 Siehe Beckermann 2001, S. 204 ff. 218 Zu dem Sachverhalt, dass bei dieser Konzeption zwar eine Abhängigkeit des Psychischen vom Physischen, aber nicht notwendigerweise eine Identifizier-
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gerade deshalb »entwickelt«, um einen nicht reduktiven Physikalismus verteidigen zu können. Nicht reduktiver Physikalismus nimmt in einem schwachen Sinne an, dass es physikalisch akzeptable Abhängigkeitsverhältnisse zwischen mentalen und physischen Eigenschaften gibt, diese allerdings nicht die Existenz von Brückengesetzen implizieren und eine Multirealisierbarkeit mentaler Eigenschaften dennoch möglich ist.219 So ist es möglich, dass es einen Menschen gibt, der zwar exakt dieselben physischen Eigenschaften wie ein anderer besitzt, aber andere mentale Eigenschaften wie etwa Schmerz aufweist. Das bedeutet insbesondere für Eigenschaften einer Persönlichkeit der Erste-Person-Perspektive, dass sie nicht zwangsläufig über Ergebnisse neurowissenschaftlicher Beobachtung physischer Gegebenheiten ermittelt werden können.220 Dies gilt ebenfalls für potenzielle Veränderungen dieser Eigenschaften, wenn Veränderungen der physischen Substanz vorgenommen werden. Bei einem weiteren Versuch, einen nicht reduktiven Physikalismus zu vertreten, wurde die Idee der Emergenz bemüht. Es gibt verschiedene Interpretationen von Emergenz. Hier wird jene Variante bevorzugt, welche ausdrückt, dass es Wechselbeziehungen von Einzelteilen geben kann, die zu neuen, bisher bei den Einzelteilen nicht vorhandenen Eigenschaften führen können, welche wiederum kausal wirken können.221 Anders ausgedrückt sind emergente Eigenschaften (nennen wir sie im Falle der Persönlichkeit Makroeigenschaften) im Gegensatz zu reduktiv erklärbaren Eigenschaften
barkeit gegeben sei, sowie zu den verschiedenen Formen (schwache, starke und globale) von Supervenienz siehe Sturma 2005, S. 41 f. Für eine weitere Einführung in Supervenienz siehe Beckermann 2001, S. 203 ff. 219 Vgl. Beckermann 2001, S. 204. Die Idee der Supervenienz entstammt ursprünglich der praktischen Philosophie und spielt im Gedanken Davidsons zum anomalen Monismus (siehe weiter unten) ebenfalls eine bedeutende Rolle; vgl. Beckermann 2001, S. 204 f. und 210 f. Eine so verstandene Supervenienz wird insbesondere von Kim 1993 vertreten. 220 Hier wird bewusst eine Differenzierung in nomologische und logische Supervenienz vermieden, da zwar die weiterführenden Gedanken einer solchen Unterscheidung äußerst interessant (siehe zum Beispiel bei Chalmers 1996 und Beckermann 2001, S. 216 f.), allerdings hinsichtlich der Konsistenz dieser Arbeit nicht zielführend sind. 221 Vgl. Mitchell 2008, S. 47.
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dadurch gekennzeichnet, dass nicht einmal im Prinzip die Möglichkeit besteht, sie aus der Kenntnis aller Komponenten (Mikroeigenschaften des Systems) abzuleiten. Dies gilt selbst dann, wenn zusätzlich angenommen wird, dass die emergente Eigenschaft in gesetzmäßiger Weise von den Mikrostrukturen des Systems abhängt.222 Die Gesamtheit von Persönlichkeit kann durchaus als ein System mit einer Makroeigenschaft angenommen werden. Die in Neurowissenschaften ermittelbaren, aber auch mit psychologischen Methoden erfassbaren Eigenschaften einer Persönlichkeit stellen deren Mikrostruktur dar. Die Möglichkeit solcher Annahmen führt zu einer hier vertretenen Nichtvorhersagbarkeit. Emergenz scheint zwar das psychophysische Problem nicht zu lösen. Dennoch bietet sie in der hier verstandenen Variante eine Möglichkeit, Reduktion bis zu einem bestimmten Grad (siehe weiter unten) zu entgehen – und dennoch die Geschlossenheitsthese zu wahren. Genau diese Kombination wird hier angestrebt, um reduktionistischen Tendenzen des skizzierten Denkstils ein Gegenmodell entgegenzuhalten, das aber naturwissenschaftlich nicht abwegig ist. Sie führt zu einer Art Realisierungstheorie eines nicht reduktiven Physikalismus. Der Unterschied zwischen emergenten und reduktiv erklärbaren physischen Eigenschaften ist dann ein epistemischer.223 Im Gegensatz zu reduktiv erklärbaren Eigenschaften wird hier für die Makroeigenschaft Persönlichkeit angenommen, dass sie aus der Kenntnis der einzelnen (Mikro-)Eigenschaften des Systems nicht erkannt werden kann. Die Annahmen in dieser Arbeit gehen noch etwas weiter und lehnen ein Emergenzverständnis hinsichtlich Persönlichkeit ab, das Folgendes erlaubt: Bei Kenntnis der Mikrostruktur eines Systems und bei der Feststellung, dass sowohl eine Reihe von Systemen diese Mikrostruktur als auch alle dieser Systeme eine bestimmte Makroeigenschaft aufweisen, könnten die Ergebnisse auf alle Systeme mit einer solchen Mikrostruktur induktiv übertragen werden.224 Eine weitere Möglichkeit, einen ontologischen Monismus zu propagieren, aber gleichzeitig abzulehnen, dass hinreichend akzeptable psychophy-
222 Vgl. Beckermann 2001, S. 218 ff. Eine so verstandene Emergenz wurde beispielsweise von Broad 2000 beschrieben. 223 Vgl. Beckermann 2001, S. 227. 224 Zur Möglichkeit der Entdeckung eines Gesetzes auf diese Weise bei emergenten Eigenschaften vgl. Beckermann 2001, S. 227.
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sische Gesetze von erkenntnistheoretischer Perspektive aufgestellt werden können, bietet die These der Anomalie.225 Aus der Perspektive Davidsons beschrieben heißt das: »Der anomale Monismus ähnelt dem Materialismus im Hinblick auf die Behauptung, daß alle Ereignisse physischer Art seien, doch er bestreitet die These – die man gewöhnlich als wesentlich für den Materialismus erachtet –, es sei möglich, geistige Phänomene rein physikalisch zu erklären.«
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Die Untersuchungen hier beschränken sich darauf, die hier geschilderten Möglichkeiten, einem Reduktionismus zu entgehen, aufzuzeigen.227 Eine kritische, detaillierte Abwägung der genannten »Auswege«, um einer reduktionistischen Theorie und somit dem hier vermuteten aktuellen Denkstil zu entkommen, muss wegen der Konsistenz dieser Arbeit in anderen, weiterführenden Analysen erfolgen. Es sei hier zumindest festgehalten, dass in dieser Arbeit von einem ontologischen Monismus ausgegangen wird, welcher aber mit der Annahme gepaart ist, dass nicht alle psychischen Erlebnisse aufgrund physischer Ereignisse erkennbar oder gar voraussagbar sind. Die weiter oben beschriebenen Methoden zur Erfassung von Persönlichkeit haben vermutlich die Motivationen, Komplexitäten zu reduzieren, um möglichst zutreffende Aussage- und Hilfsangebote für Not leidende Personen bieten zu können. Diese Motivation ist normativ sicherlich positiv zu werten. Dennoch verpassen Theorien und damit verbundene Denkstile, auf denen Methoden zur Wissensgewinnung und folglich zu Eingriffen in Persönlichkeiten basieren, mit einem reduktiven Ansatz die Möglichkeit, die Tragweite ihres in Handlungen mündenden Wissens für eine Person hinreichend zu reflektieren. Dazu – so die Einsicht der späteren Auseinandersetzungen in dieser Arbeit – bedarf es einer nicht reduktiven Theorie.
225 Diese Beschreibung nähert sich der Doppelaspekttheorie an, beschrieben bei Sturma 2005, S. 29 ff. Die Idee eines anomalen Monismus hat Donald Davidson geprägt; siehe Davidson 1990, S. 291 ff.; Davidson 1997. 226 Davidson 1990, S. 300. 227 Eine weitere Variante wäre, einen Eigenschaftsdualismus im Sinne David Chalmers für psychophysische Zusammenhänge anzunehmen; siehe z.B. Chalmers 1996.
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2.4.2.3 Argumentative (Fehl-)Schlüsse Atomistischer Fehlschluss Ein mit reduktiven Tendenzen verbundenes Problem der Erkenntnisgewinnung über die Persönlichkeit kann als die Gefahr eines atomistischen Fehlschlusses betitelt werden. Von einem atomistischen Fehlschluss ist gemeinhin die Rede, wenn von kleinsten Elementen angenommen wird, aus ihnen würde sich eine Gesamtheit wie die ganze Welt oder das Bewusstsein aufbauen lassen.228 Sowohl mit geisteswissenschaftlicher als auch mit naturwissenschaftlicher Methodik können jedoch nur einzelne Aspekte der Persönlichkeit und ihrer Abweichungen erfasst werden; es müssen Komplexitäten verringert werden. Werden aus diesen Einzelheiten – zu Zwecken der Persönlichkeitserfassung oder Beurteilung von Veränderung – Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Persönlichkeit gezogen (eine Möglichkeit, die bereits weiter oben mit der Annahme von Emergenz abgelehnt wurde), dann kann ein atomistischer Fehlschluss attestiert werden. Dem Vorwurf dieses Fehlschlusses könnte auf unterschiedliche Weise begegnet werden. Eine Variante wäre klarzumachen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, die Menge der Informationen über eine Persönlichkeit so weit auszudehnen, dass keine notwendigen Informationen über die Persönlichkeit und ihre möglichen Abweichungen fehlen. Dieses Gegenargument kann aber nur in Denksystemen Bestand haben, die für psychophysische Beziehungen einen Reduktionismus annehmen. Ebenso scheint eine solche Möglichkeit mit den weiter oben skizzierten Methoden schon allein technisch keinesfalls verwirklichbar. Weiterhin könnte gegen den Vorwurf eines atomistischen Fehlschlusses eingewendet werden, dass es bestimmte Merkmale einer Persönlichkeit gibt – beispielsweise ein Konglomerat von Verhaltensweisen und geäußerten Gedanken und Emotionen –, welche die gesamte Persönlichkeit bzw. ihre Abweichungen von der Norm hinreichend beschreiben. Wird die Erste-Person-Perspektive für die Persönlichkeit wie in dieser Arbeit ausdrücklich betont, dann muss die Hinlänglichkeit einer solchen Beschreibung infrage gestellt werden229, zumindest dann, wenn
228 Vgl. Sturma 2005, S. 134. 229 Warum die Betonung der Erste-Person-Perspektive nicht zum Solipsismus führen muss, wurde ebenso wie das Verständnis dieser Arbeit von der Nichter-
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Eingriffe in die Persönlichkeit im Hinblick auf deren Tragweite und Konsequenzen beurteilt werden sollen. Es mag einleuchtend sein, dass eine Beschreibung, eine Festlegung und der Erkenntnisgewinn über Persönlichkeiten sich an einzelnen Merkmalen orientieren müssen, um der geforderten Pragmatik, welche die Entwicklung von Therapieprogrammen für Hilfesuchende hervorruft, gerecht zu werden. Die Ermöglichung von Therapie mag die dabei erforderliche Komplexitätsreduktion und die Möglichkeit bereits impliziter atomistischer Fehlschlüsse legitimieren. Es ist auch denkbar, dass diese Art der pragmatischen Wissensgewinnung über die Persönlichkeit mit keinem Anspruch verbunden ist, mit diesem Wissen Rückschlüsse über die Gesamtpersönlichkeit ziehen zu wollen. Wenn Letzteres zutrifft, ist zwar ein atomistischer Fehlschluss nicht mehr zwingend festzustellen. Allerdings lösen sich andere Probleme dadurch nicht auf, die hier mit der Wissensgewinnung über Persönlichkeiten über deren Einzelaspekte in Verbindung gebracht werden. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass das über Einzelaspekte gewonnene Wissen über die Persönlichkeit und über ihre Pathologien zu verallgemeinerbaren Theoriesystemen über die Persönlichkeit, zu Standardisierungen der beobachteten Einzelaspekte und letztlich auch zur Legitimierung der diesem Wissenssystem angepassten Therapiemethoden dient. Damit etabliert sich ein Denkstil auf vielen Ebenen über die Persönlichkeit, der reduktionistischen Tendenzen folgt und sich bei weitreichenden normativen Überlegungen der Kritik zu entziehen scheint. Betont man hingegen auch Aspekte von Persönlichkeit, welche nicht erkannt werden können, dann sind beispielsweise nicht alle mit dieser Art der Wissensgewinnung legitimierten Therapien als unbedenklich einzustufen. Eingriffe zur Veränderung der Persönlichkeit, sei es über eine Veränderung der narrativen biografischen Identität oder über Veränderung bestimmter Komponenten des Gehirns, können die Persönlichkeit umfassender beeinflussen, als das Wissen, welches über die beobachtbaren Einzelbestandteile gewonnen wurde, suggeriert. Den vorhergehenden Ausführungen zufolge kann es also sein, dass auf der Ebene der Deskription von Persönlichkeit entweder tatsächlich kein Bestreben vorhanden ist, Rückschlüsse auf die gesamte Persönlichkeit zu zie-
fassbarkeit einzelner Eigenschaften der Person der Erste-Person-Perspektive zuvor gezeigt.
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hen, oder die beschreibbaren Aspekte der Persönlichkeit ausreichen, um daraus wissenschaftlich vertretbare Folgerungen und Therapien abzuleiten und deshalb kein atomistischer Fehlschluss begangen wird. Auf der Ebene der Rechtfertigung von Eingriffen in die Persönlichkeit, die auf dieser Art der Wissensgewinnung beruht und die nahelegt, die Folgen des Eingriffes würden sich auf die von diesem Wissenssystem erkennbaren Elemente der Persönlichkeit beschränken, wird allerdings implizit ein atomistischer Fehlschluss begangen.230 Dabei werden in einer denkstiltypischen Weise nicht reduktionistische Modelle für diese Beziehungen missachtet. Dies kann dazu führen, dass auch Bedenklichkeiten von Eingriffen nicht erkannt werden, da so operierende Theorien auch für die Konsequenzen von Eingriffen aus Einzelbeobachtungen auf die Gesamtheit schließen. Eine hinreichende Beurteilung von Folgen bestimmter Eingriffe setzt auch eine Betonung nicht für Dritte zugänglicher Aspekte der Persönlichkeit und zumindest die Annahme einer der Varianten nicht reduktionistischer Modelle des Physikalismus voraus. Induktion und Falsifikation Bei der Betrachtung der Wissensgewinnung über Eigenschaften der Persönlichkeit wird ein weiteres methodisches Problem offenbar. Die Methode der Induktion zu problematisieren, ist philosophisch nicht neu. Dennoch ist folgende Auseinandersetzung, wenn auch kurz gehalten, unerlässlich, da zum einen das Problem des induktiven Schließens mit den vorhergehenden Darstellungen in einem engen Kontext steht. Zum anderen ist die induktive Methode ausschlaggebend, wenn Wissen über die Persönlichkeit und deren Pathologien gewonnen wird. Ebenso ist die Abduktion, eine zentrale logische Kategorie der Semiotik, als Form des wissenschaftlichen Schließens und Argumentierens für die Medizin von großer Bedeutung und wird hier kurz aufgegriffen.231 Von einem induktiven Schluss spricht man, wenn aus der Tatsache, dass es bereits viele Beobachtungssätze gibt, die eine Gesetzeshypothese bestätigt haben, geschlossen wird, dass die Hypothese vermutlich wahr ist.232 Bei der Erfassung von Persönlichkeit entspricht dies der Theoriebil-
230 Was unter Eingriffen zu verstehen ist siehe Kapitel V.1. 231 Vgl. Eberhard 1987, S. 123; zur Semiotik siehe auch Peirce 2002. 232 Vgl. Schurz 2006, S. 47.
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dung, wenn dort bestimmte Eigenschaften, die bei vielen ähnlichen Persönlichkeiten beobachtet werden, zu einer Theorie über Persönlichkeitstypen beispielsweise verdichtet werden. Bei der Abduktion wird vielmehr eine erklärende Hypothese gesucht. Die Abduktion vermag im Gegensatz zur Induktion auch neue theoretische Begriffe und Informationen in die Konklusion einzuführen, die nicht aus der Prämisse resultieren. Allerdings muss die abduzierte Hypothese erst induktiv oder deduktiv getestet werden, da sie nur einen vorläufigen Geltungsstatus genießt.233 So bedeutend die Abduktion für das Gewinnen neuen Wissens in der Medizin sein mag, muss hier dennoch die Schwachstelle dieser Form des Schließens betrachtet werden, nämlich die der notwendigen Hinzuziehung von Induktion. Das Schließen vom Besonderen auf das Allgemeine – wie im Falle der Induktion – wurde in der Philosophiegeschichte vielfach kritisch auf seine Aussagekraft hinterfragt. Dabei wurde beispielsweise kritisiert, dass die Verallgemeinerung weder rational noch durch Beobachtung begründbar ist. Das induktive Schließen bezieht sich auf etwas, was noch nicht beobachtet ist, aber vom bisher Erfahrenen abgeleitet wird.234 David Hume verdeutlicht das Problem des induktiven Schließens an einem einprägsamen Beispiel: »Daß die Sonne morgen nicht aufgehen wird, ist ein nicht minder verständlicher 235
Satz und nicht widerspruchsvoller, als die Behauptung, daß sie aufgehen wird.«
Es gab philosophiegeschichtlich vielfältige Versuche, die Induktion als Methode mit Wahrheitsgehalt und den damit vielfach verbundenen Positivismus zu überwinden bzw. weiterzuentwickeln.236 Das Grundproblem der induktiven Methode bleibt jedoch auch analog zu dem Sonnenbeispiel Humes für die Erfassung von Persönlichkeit erhalten. Wir wissen nicht, ob eine neu beobachtete Persönlichkeit bzw. deren Eigenschaft den verallgemeinerten Einzellfällen folgt. Vertreter des »logischen Positivismus« revolutionierten die induktive Methode; der Ausschluss von »Scheinsätzen« und zum Teil die Annahme
233 Vgl. Eberhard 1987, S. 126; Schurz 2006, S. 52 f. 234 Zur Induktionskritik siehe auch Schurz 2006, S. 47 ff.; Schülein, Reitze 2002, S. 71 ff.; Chalmers 2007, S. 39 ff. 235 Hume 1993, S. 36; vierter Abschnitt, erster Teil, S. 26. 236 Zum Positivismus siehe Poggi 1989, erster Teil.
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der Eigenständigkeit der Logik wurden wesentlich.237 Diese die induktive Methode weiterentwickelnden Überlegungen sind auch für die Methode der Wissensgewinnung über Persönlichkeit relevant und sollen daher kurz aufgegriffen werden. Karl Popper, der die empirische Verifikation von Theorien und somit auch die zu dieser Verifikation führende induktive Methodik ablehnte, formuliert als Abgrenzungskriterium zwischen empirisch-wissenschaftlichen und metaphysischen Systemen die Falsifizierbarkeit.238 »Wir fordern zwar nicht, daß das System auf empirisch-methodischem Wege endgültig positiv ausgezeichnet werden kann, aber wir fordern, daß es die logische Form des Systems ermöglicht, dieses auf dem Wege der methodischen Nachprüfung negativ auszuzeichnen: Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfah239
rung scheitern können.«
Mit der Forderung nach Falsifizierbarkeit müssten zumindest die meisten Aussagen der Persönlichkeitsforschung vereinbar sein und damit als empirisch-wissenschaftlich gelten. Einige in dieser Arbeit besprochene Systeme, wie die der Psychoanalyse, werden für Popper dieser Forderung jedoch nicht gerecht, sodass hierzu ein kleiner Exkurs unternommen wird.240 Freilich wäre eine eigene Untersuchung der Sätze der einzelnen Richtungen der Psychoanalyse notwendig, um im Detail entscheiden zu können, an welcher Stelle Popper zu Recht von Unwissenschaftlichkeit in seinem Verständnis der Nichtfalsifizierbarkeit spricht. Dennoch lässt sich im Allgemeinen mit Popper festhalten, dass an den Stellen, wo Bezüge von Verhaltensweisen und anderen Aspekten der Persönlichkeit zu theoretischen Aussagen der Psychoanalyse über die Persönlichkeit zu unkonkret gehalten werden, sodass sie mit jedwedem Verhalten in Bezug gesetzt werden könnten, Falsifizierbarkeit im Sinne Poppers nicht möglich ist. Ein Beispiel ei-
237 Als einen wichtigen Vertreter des »logischen Positivismus« siehe Carnap 1998. 238 Zu Falsifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium siehe Popper 2005, S. 16 f. 239 Popper 2005, S. 17; Hervorhebung im Original. 240 Popper erklärt beispielsweise die Theorie Adlers als nicht falsifizierbar und somit als nicht wissenschaftlich, da sie Sätze enthält, welche mit jeder Art menschlichen Verhaltens vereinbar sind; zu diesem Beispiel siehe Chalmers 2007, S. 55.
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nes solchen potenziellen Falles könnte folgendermaßen lauten: Besagt eine Theorie, dass ein Hauptmotivator menschlichen Handelns seine Minderwertigkeitsgefühle sind, dann kann diese Motivation auf unterschiedlichste Verhaltensweisen bezogen werden. Alan Chalmers berichtet von dem Fall eines Mannes, der beobachtet, wie ein Kind in einen gefährlichen Fluss stürzt. Sowohl, wenn dieser Mann am Ufer stehen bliebe und zusähe, wie das Kind weggespült wird, als auch, wenn er sich todesmutig hinterherstürzte, könnte sein Verhalten als ein Versuch interpretiert werden, seine Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden.241 Sollten in psychoanalytischen Theorien solche Interpretationsspielräume vorhanden sein, dann würden diese anderen Sätzen ähneln wie »Hier wird es morgen regnen oder auch nicht regnen«242, welche Popper wegen der Unmöglichkeit, sie zu falsifizieren, in ihrer Wissenschaftlichkeit ablehnte. Der Beweis, dass es in der psychoanalytischen Theorie solche Art von Sätzen gibt, muss an anderer Stelle erbracht werden. Es ist indes fraglich, ob die Psychoanalyse (jedweder Art) Wissenschaftlichkeit in Poppers Sinne benötigt und für sich beansprucht. Forschungen in Neurowissenschaften formulieren meist Hypothesen, die über den Verdacht, nicht falsifizierbar zu sein, erhaben sind. Weiter oben skizzierte Methoden dürften dieser Forderung alle gerecht werden. Die Hypothese beispielsweise, aggressives Verhalten korreliere mit einer Hyperaktivität einer bestimmten Gehirnregion, lässt sich durch Versuche bestätigen, bietet aber auch die Möglichkeit einer Falsifikation. Folgt man Poppers Theorie, dann kann eine solche Hypothese allerdings nicht durch Induktion in einer Weise verifiziert werden, dass sie einen Wahrheitsgehalt erlangt; sie kann sich aber relativ bewähren und, solange sie nicht falsifiziert ist, mehr leisten als andere Hypothesen.243 Werden diese Teilwahrheiten, die so über die Persönlichkeit produziert werden, jedoch zu einer Gesamtheit gefasst und wird deren Wahrheitsgehalt propagiert, dann kann dieser Vorgang leicht als denkstiltypisches Verhalten interpretiert werden, welches nicht frei ist von Erkenntnisinteressen der Wissenschaft.244
241 Vgl. Chalmers 2007, S. 55. 242 Popper 2005, S. 17. 243 Popper 2005, S. 237 ff. 244 Zu diesem Thema kommen in dieser Arbeit Ludwik Fleck, Thomas Kuhn und Jürgen Habermas zu Wort.
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Referenzieller Fehlschluss Neben der Illusion, mit der induktiven Methode wahre Aussagen über die Persönlichkeit zu liefern, können einzelne Methoden der Neurowissenschaften im Hinblick auf Eigenschaften einer Persönlichkeit die Möglichkeit einer weiteren Fehldeutung nähren. Zurzeit beliebte Methoden, um zwischen Eigenschaften einer Persönlichkeit und physikalischen Ereignissen Zusammenhänge festzustellen, sind, wie weiter oben aufgezeigt, bildgebende Verfahren. Die Bilder, die in einem solchen Verfahren gewonnen werden, beziehen sich allerdings auf die physikalischen Ereignisse und geben diese bestenfalls als Zeichen wieder. Die Bedeutung dieser Zeichen ist aber nicht notwendigerweise mit den Eigenschaften einer Persönlichkeit identisch, sodass unter Umständen von einem referenziellen Fehlschluss gesprochen werden kann.245 Neurowissenschaftler sind sich durchaus bewusst, dass es sehr individuelle Muster von Hirnaktivitäten gibt, sobald komplexe Denkprozesse stattfinden. Ebenso sind die komplexen Kettenreaktionen und Wechselwirkungen im Gehirn keine Neuigkeit. Daher scheint auch Neurowissenschaftlern bisher die Deutung neuronaler Korrelate nur mit Bezug auf einzelne, einfache Gedanken möglich.246 Ergänzt man diese Einsicht mit einer Vorsicht vor einem referenziellen Fehlschluss bei der Deutung der Ergebnisse bildgebender Verfahren und bei anderen Methoden der Neurowissenschaften, dann scheinen Aussagen zu komplexen Eigenschaften einer Persönlichkeit mit diesen Methoden aktuell unmöglich. Setzt man ferner ein weites Persönlichkeitsverständnis wie in dieser Arbeit voraus, welches eine Existenz der Erste-Person-Perspektive jenseits der Kommunizierbarkeit betont, ebenso wie eine nicht reduktionistische Sichtweise für psychophysische Fragen, dann gilt die Unmöglichkeit hinreichender Deutungen der neuronalen Korrelate bezüglich Persönlichkeit auch für die Zukunft. Zunächst wurden in diesem Kapitel einige Methoden dargestellt, mit denen Eigenschaften einer Persönlichkeit in der Psychologie sowie Psychiatrie erfasst werden können. Ebenso kamen Methoden der Neurowissenschaften zur Wissensgewinnung über die Persönlichkeit zur Sprache. Diese Schilderungen waren notwendig, um in Kapitel V.1 Eingriffe, die potenziell auf
245 Zum referenziellen Fehlschluss im Allgemeinen siehe Sturma 2005, S. 28. 246 Vgl. Schnalbel, Uelecke 2009, S. 29 f.
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der Grundlage dieses Wissens vorgenommen werden, adäquater beurteilen zu können. Hierzu war es nach der Deskription der Methoden in diesem Kapitel ebenfalls notwendig, einige Annahmen aufzuzeigen, die mit der Art der Methoden verbunden sind. Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive wurde darauf hingewiesen, dass mit einzelnen Methoden die Gefahr sowohl eines referenziellen als auch eines atomistischen Fehlschlusses gegeben sein kann. Ferner wurde auf die Grenzen der Aussagekraft induktiver und abduktiver Schlüsse eingegangen. Letztere Aussagen stehen zum Teil in einem engen Kontext mit psychophysischen Annahmen hinter den beschriebenen Methoden. In diesem Kapitel wurden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie ein für die Aufrechterhaltung der geschilderten Methoden unumgänglicher Physikalismus nicht reduktiv verstanden werden könnte. Allerdings wurde festgestellt, dass mit dem Ziel der Komplexitätsreduktion im aktuellen Denkstil bezüglich Eigenschaften der Persönlichkeit reduktive Annahmen verbunden sind. Zum Wissen über Persönlichkeit gehört auch eine qualitative und quantitative Unterscheidung zwischen noch »normalen« und bereits davon »abweichenden« Eigenschaften einer Persönlichkeit. Aus systematischen Gründen werden Überlegungen zum Verständnis von Krankheit jedoch in einem eigenständigen Kapitel behandelt. 2.5 Krankheitsbestimmung Die Bestimmung der Pathologie der Persönlichkeit ist eine Schnittstelle zwischen terminologischen Grundlagen von Persönlichkeit, der Art des Wissenserwerbs über Persönlichkeit und der moralischen Beurteilung des gesellschaftlichen Umgangs mit Persönlichkeit. In dieser Arbeit ist es nicht das Ziel, neue Pathologien aufzuzeigen oder neue Zuordnungen von Pathologien zu finden, sondern vielmehr, die bereits vorhandenen Zuordnungen und Funde als Bestandteile eines Denkstils zu reflektieren. Dazu ist ein teilweises Zurückgreifen auf jene klinischen Pathologien unumgänglich, wenn auch auf einer allgemeinen Ebene. Neben der Frage, was unter Pathologien im Bereich der Persönlichkeit verstanden werden könnte, wird in diesem Kapitel erörtert, ob der Begriff bzw. das Phänomen der Krankheit geeignet ist, um darauf Rechtfertigungsstrategien für bestimmte Eingriffe in eine Persönlichkeit zu begründen. Ersetzt man für die anvisierten Merkmale der Persönlichkeit den Terminus »Krankheit« durch »Störung«, der weni-
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ger Stigmatisierungsmöglichkeit implizieren soll, erübrigt sich obige Fragestellung keineswegs. 2.5.1 Krankheit als unscharfer Begriff Eine grundsätzliche Unterscheidung bei der Betrachtung des Krankheitsbegriffs zielt auf die Frage, ob es möglich ist, eine allgemeingültige Krankheitsdefinition zu finden, oder ob der Begriff der Krankheit immer kulturrelativ ist.247 Betrachtet man die historische Entwicklung psychischer Störungen bis hin zur Diagnose von Persönlichkeitsstörungen (siehe weiter unten), wird man geneigt sein, zumindest für diesen Bereich einen relativistischen Ansatz zu präferieren. Ein relativistischer Ansatz mit Bezug zur historischen Entwicklung soll hier allerdings nicht vorschnell implizieren, dass psychische Krankheit als gänzlich sinnloser Begriff erachtet wird.248 Zum einen kann die Benennung psychischer Krankheiten für die Betroffenen auch eine Schutzfunktion darstellen, die freilich selbst wieder zur Diskussion gestellt werden muss. Zum anderen reicht ein Bezug auf historische Gegebenheiten nicht aus, um den Begriff von psychischer Störung grundsätzlich abzulehnen. Sowohl unter dem Etikett psychischer Störung als auch ohne eine solche Bezeichnung, nur mit Bezug auf Symptome psychischer Andersartigkeit, sind nämlich, historisch betrachtet, genügend Grausamkeiten verübt worden.249 Statt eines Rückzugs auf historische Auseinandersetzungen und des daraus potenziell folgenden Schlusses einer grundsätzlichen Ablehnung des Terminus »psychische Erkrankung« scheint es hier wesentlicher, den Umgang mit den einzelnen Ausprägungen von Eigenschaften einer Persönlich-
247 Vgl. Werner 2004, S. 144; einen universalistischen Ansatz vertritt unter anderem Boorse; siehe Boorse 1977. 248 Eine solche Implikation könnte im Anschluss an Foucaults historische Darlegungen zu psychischer Krankheit interpretiert werden; siehe Foucault 2003; zu historischen Argumenten gegen die Verwendung der Begrifflichkeiten von psychischer Krankheit siehe Schramme 2000, S. 35 ff. 249 Historisch können grausamste Praktiken innerhalb der Psychiatrie, aber auch jenseits bzw. vor der Zeit der Psychiatrie im Umgang mit Menschen, die psychisch auffällig waren, nachverfolgt werden; siehe beispielsweise in Schott, Tölle 2006. Zum bewussten staatlichen Missbrauch psychiatrischen Wissens und psychiatrischer Begrifflichkeiten siehe beispielsweise Chodoff 1999.
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keit zu betrachten. Die Benennung eines Kernbereichs von Störungen der Persönlichkeit, der kultur- und zeitstabil gegeben ist, wird hier dennoch abgelehnt und somit eine relativistische Position für diesen Bereich vertreten. Selbst wenn einzelne Ausprägungen psychischer Störungen wie eine psychotische Symptomatik als ein historisch konstanter Kernbereich für das Krankheitsverständnis erachtet werden könnten, werden auch für diesen Kernbereich genügend kulturelle Unterschiede im Umgang mit diesen Ausprägungen anführbar sein. Für den hier in Folge exemplifizierten Bereich der Persönlichkeitsstörung dürfte es noch schwieriger sein, einen für ein universalistisches Krankheitsverständnis notwendigen Kernbereich zu benennen, der historisch und kulturell hinreichend von einem Wandel ausgenommen ist.250 Eine weitere Differenzierung im Krankheitsverständnis kann in naturalistischen und normativistischen Theorien vollzogen werden.251 Bei naturalistischen Konzepten des Krankheitsbegriffs erfolgt eine Reduktion auf naturwissenschaftliche Parameter. Einen solchen naturalistischen Krankheitsbegriff legen Experten fest, wobei er in einem wissenschaftlichen Rahmen expliziert werden muss.252 Krankheit sei ablesbar an einer Abweichung von biostatistischen Normen der Funktionsfähigkeit des Organismus. Krankheit kann also in statistischen Normen über den Menschen und seinen biologischen Gegebenheiten festgestellt werden.253 Im Bereich der Persönlichkeit wurde allerdings bereits betont, dass nicht all ihre Aspekte mit einer Erfassung physischer Komponenten zugänglich sind. Dies gilt auch für den Bereich von abweichenden Eigenschaften einer Persönlichkeit. Wird dies von
250 Für eine Unterscheidung in Relativismus und Universalismus siehe Werner 2004, S. 144; zu Besonderheiten psychiatrischer Krankheitsbegriffe siehe Vollmoeller 1998, S. 14 ff.; für eine ausführliche Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Kultur und Persönlichkeitsstörung siehe Alarcón et al. 1998; für eine umfassende Behandlung der Psychiatriegeschichte siehe Schott, Tölle 2006. 251 Vgl. Werner 2004, S. 144.; weitere Differenzierungsmöglichkeiten, die in diesem Kapitel zum Teil implizit mitdiskutiert werden, wären nach expertokratischen versus deliberativen Bestimmungen (siehe Mazouz 2004) oder nach engen versus weiten Begriffen von Krankheit (siehe Lenk 2004). 252 Vgl. Mazouz 2004. 253 Vgl. Schramme 2004, S. 72.
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der Wissenschaft angestrebt oder propagiert, dann könnte darin erneut ein Denkstilcharakteristikum liegen. Rückt aus obiger Definition die Funktionsfähigkeit einer Persönlichkeit in den Vordergrund der Betrachtungen, dann stellen sich im Bereich psychischer Störungen weiterführende Fragen. Am zentralsten wird insbesondere in späteren Kapiteln die Frage sein, was unter einer normalen Funktionsfähigkeit zu verstehen ist und inwieweit diese tatsächlich an Normen und Normalität gebunden ist, die wiederum abhängig von aktuellen Denkstilen ist. Boorse – als ein prominenter Vertreter einer funktionalistischen Position – versteht unter Funktion diejenigen Vorgänge und Strukturen, die zum individuellen Überleben und zur Reproduktion beitragen.254 Bei einer naturalistischen Sichtweise auf Krankheit würden bei Boorse im psychischen Bereich Funktionen instrumentell zu den Vorstellungen des guten Lebens verhelfen, und zwar auf eine neutrale Weise.255 Es ist zwar keinesfalls abwegig, psychische Funktionen wie Gedächtnis oder Sprachvermögen anzunehmen. Diese können gewiss ebenfalls beeinträchtigt sein und das Erreichen selbst gesetzter Ziele vereiteln. Diese Funktionen allerdings lediglich in einem instrumentellen Verhältnis zu Vorstellungen eines guten und gelingenden Lebens zu sehen, missachtet deren normativen Gehalt.256 Letzteren gilt es aber ebenfalls zu bedenken, wenn Eingriffe zur Wiederherstellung oder »Neuinstallation« bestimmter psychischer Funktionen normativ beurteilt werden sollen. Damit soll hier keine Dichotomie zwischen somatischen und psychischen Krankheiten in einer Weise aufgemacht werden, dass nur psychische Krankheiten wertgeladen sein könnten. Es ließen sich etliche Beispiele der somatischen Medizin finden, die mit Werten verbunden sind.257 Der Fokus dieser Arbeit liegt allerdings auf der Auseinandersetzung mit psychischen Funktionen. Eine Bezugnahme auf Normen wird in anomischen Modellen
254 Vgl. Schramme 2000, S. 129; Schramme gibt ebenfalls eine ausführliche Einführung in die Theorie Boorses. 255 Vgl. Schramme 2000, S. 137. 256 Zu einer solchen Sichtweise auf psychische Funktionen bei Naturalisten vgl. Schramme 2000, S. 137. 257 Laut Schramme vollzieht Szasz eine solche Trennung, um seine Skepsis gegenüber psychischen Erkrankungen zum Ausdruck zu bringen; siehe Schramme 2000, S. 63 ff.; Szasz 1972.
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der Krankheit ersichtlich. Diese sind etwa zwischen Modellen, die funktionale Einschränkungen betonen, und holistischen Modellen einzuordnen.258 Pathologisch wäre im Sinne eines anomischen Krankheitsbegriffs also Abweichendes oder das Anomale. Im Falle psychischer Krankheit wäre dies ein abweichendes Verhalten.259 In diesem Modell handelt es sich also neben den Einschränkungen der Funktion im Fall psychischer Erkrankungen ebenfalls um eine Relation zu Normen. Diese können immer nur kulturrelativ und somit auch in Abhängigkeit vom vorhandenen Denkstil nachvollzogen werden.260 Zu der Wertgeladenheit psychischer Funktionen kommt meines Erachtens die Notwendigkeit hinzu, psychische Funktionen in ihrer spezifischen Lebenssituation betrachten zu müssen. Diese Anmerkung muss den Begriff psychischer Krankheit nicht unmöglich machen, aber sie schränkt ihn gewiss ein.261 Wird der Kontext mitgedacht, in dem psychische Funktionen vollzogen werden, dann stellen zunächst dysfunktional wirkende Handlungen häufig eine sinnvolle Strategie dar. Auch mit der Normgebundenheit psychischer Funktionen soll hier kein grundsätzliches funktionalistisches Argument gegen die Verwendung des Begriffs der Krankheit im psychischen Bereich angeführt werden. Eine derart absolut geführte Argumentation würde alle Benennungen psychischer Krankheit als einen Versuch werten, mehr Zustände des Lebens der Medikalisierung zuzuführen und mit dem Krankheitsbegriff die soziale Funktion psychiatrischer Einrichtungen wie Bestrafung oder Erziehung zu verschleiern.262 Dies muss nicht notwendigerweise der Fall sein.
258 Vgl. Lenk 2004, S. 115. 259 Vgl. Lenk 2004, S. 115. 260 Michel Foucault und Georges Canguilhem haben für letztere Überlegungen im Bereich psychischer Störungen bedeutende Vorlagen geliefert; siehe Canguilhem 1974; Foucault 2003. 261 Bei Schramme ist eine interpretative Argumentation gegen die Verwendung psychischer Krankheit anhand Laings nachzulesen; siehe Schramme 2000, S. 37 ff.; Laing 1994. 262 Zu diesem Argumentationsmuster siehe Schramme 2000, S. 33 ff.; eine solche Argumentation wird unter anderem geführt bei Foucault 2003, Foucault 2005; Szasz 1974, Szasz 1972.
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Zusammenhänge mit Normen und Denkstilen bei der Bestimmung psychischer Krankheit müssen jedoch so weit wie möglich transparent gemacht werden, wenn man bei normativen Überlegungen einen Circulus vitiosus vermeiden möchte. Für eine adäquatere Beurteilung von Eingriffen scheint mir das Aufzeigen der Verwobenheit von Normen und eingeschränkten psychischen Funktionen im Bereich der Persönlichkeit unerlässlich.263 Erneut: Dies muss und soll allerdings nicht implizieren, dass es prinzipiell unmöglich ist, naturalistisch erfassbare Komponenten von Abweichungen von Persönlichkeitsmerkmalen auszumachen. Ebenso wird hier nicht grundsätzlich abgelehnt, den Begriff psychischer Krankheit zu verwenden. Die oben genannten Bezüge müssen jedoch explizit deutlich gemacht werden. Das heißt, die soziale und kontextuelle Eingebundenheit sowie die Wertgeladenheit psychischer Funktionen müssen ersichtlich werden. Ebenso muss für die Begrifflichkeit psychischer Krankheit die subjektive Beurteilung mit all den damit verbundenen Schwierigkeiten in den Vordergrund rücken. Zwar erkennen auch Naturalisten bei der Krankheitsbestimmung subjektives Leid oder Unannehmlichkeiten als Bestandteil einer Erkrankung an, definieren aber das Vorhandensein eines Krankheitszustandes allein aufgrund biologischer Gegebenheiten und funktionaler Einschränkungen.264 »Normativisten« hingegen werten einen Zustand dann als krank, wenn eine negative individuelle oder gesellschaftliche Bewertung der fraglichen körperlichen und psychischen Verfassung der Person vorliegt. Krankheit ist demnach etwas Unerwünschtes, etwas, das man verändern sollte.265 Die normativistischen Krankheitskonzepte unterscheiden sich hinsichtlich des Urhebers der Normierung des verwendeten Krankheitskonzepts (Betroffene, Gesellschaft, Arzt/Patient) danach, welcher Art die Wertungen sind (subjektive Präferenzen, universell gültige Normen) und welche Bedeutung den Werturteilen im Gesamtkonzept zukommt (stark, schwach).266 Im Sinne eines »normativ-subjektiven« Krankheitsbegriffs werden Krankheiten als Zustände oder Prozesse verstanden, die aufgrund subjektiver Urteile als ungewollt und schlecht beurteilt werden. Wird solch ein Urteil mit objektiver
263 Siehe Kapitel IV.1 und 2. 264 Vgl. Schramme 2004, S. 72. 265 Vgl. Schramme 2004, S. 72. 266 Vgl. Werner 2004, S. 144 ff.
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Gültigkeit gefällt, spricht man von einem »normativ-objektiven« Krankheitsbegriff. Beim »normativ-intersubjektiven« oder deliberativen Krankheitsbegriff sind Krankheiten dagegen Selbstzuschreibungen, deren Bewertungsbasis intersubjektiv ist.267 In dieser Arbeit wird ein normativ-subjektives Verständnis von Krankheit bezüglich der Eigenschaften einer Persönlichkeit bevorzugt. Das Krankheitsverständnis soll sich ferner darauf beziehen, wie eine Person in der Welt existiert, also wie ihr Weltentwurf von der Krankheit abgewandelt wird.268 Für ein solches Verständnis von Krankheit ist eine maximal mögliche, unvoreingenommene Betrachtung der Persönlichkeit bzw. Begegnung mit dieser erforderlich. Diese wiederum macht auf theoretischer Ebene eine Hinzunahme von Begriffen wie »Dasein« oder »präreflexives Bewusstsein« notwendig.269 Ein solches Verständnis schließt aber Empirie nicht aus. Es ist zwar möglich, einzelne Eigenschaften einer Persönlichkeit mit objektiven Methoden zu erfassen, so auch deren Abweichungen von einer gesetzten Norm. Ein unreflektiertes Festhalten an Normen in diesem Bereich ist aber äußerst problematisch – wie später erläutert wird – und kann zu einer nicht hinreichenden Einschätzungsmöglichkeit bestimmter Eingriffe beitragen. Zudem kann ein Krankheitsverständnis bezüglich Persönlichkeit, das sich ausschließlich an objektiven Kriterien orientiert (seien diese normativ oder naturalistisch), weder einem weiten Begriff von Persönlichkeit noch
267 Vgl. Mazouz 2004, S. 91. 268 Zu einem damit verbundenen Verständnis im Sinne der Daseinsanalyse vgl. Schott, Tölle 2006, S. 157; siehe Binswanger 1993. 269 Zu einem solchen Verständnis von Persönlichkeit siehe Kapitel III. Diese Begrifflichkeiten, insbesondere der Begriff »Dasein«, implizieren eine große theoretische Nähe zur Daseinsanalyse. Diese Nähe wird hier nicht negiert, aber da unter Daseinsanalyse sehr unterschiedliche Ausführungen subsumiert werden können, wird auf eine explizite Anlehnung an eine spezielle Theorie der Daseinsanalyse ebenso verzichtet wie auf eine Darlegung von deren Spezifika und institutionellen Entwicklungen. Diese können beispielsweise nachgelesen werden bei Längle, Holzhey-Kunz 2008. Zur Daseinsanalyse können insbesondere Binswanger (siehe Binswanger 1993), Boss (siehe Paulat 2001) und in der neueren Entwicklung Holzhey-Kunz (siehe Längle, Holzhey-Kunz 2008) gerechnet werden; diese Autoren beziehen sich insbesondere auf Theorien Heideggers, aber auch Sartres, Husserls und auf die der Psychoanalyse.
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nicht reduktionistischen Forderungen bezüglich des Wissenserwerbs gerecht werden. Mit der Bevorzugung eines normativ-subjektiven Verständnisses von Krankheit für die Betrachtung potenzieller Störungen der Persönlichkeit werden zwar womöglich mehr Zustände dem Krankheitsstatus zugeführt und es könnte somit auch zu einer erweiterten Medikalisierung der Lebenswelt beigetragen werden.270 Allerdings ist es somit auch möglich, ein Leiden unter den Zuständen des intersubjektiven Raums, in dem sich die Persönlichkeit befindet und der zu den als Leid empfundenen Abweichungen führt, wieder als Veränderungsoption in denselben Raum einzuführen. Man entgeht damit auch der Gefahr an objektiven Kriterien orientierter Krankheitsdefinitionen, eine Person erst dann zu behandeln, wenn sie entsprechende Abweichungen aufweist, bzw. sie gegen ihren Willen zu behandeln, sofern eine Abweichung vorliegt, obwohl die Person keinem Leid unterworfen ist.271 Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit psychischer Krankheit ferner ergibt, lautet, ob der Krankheitsbegriff als ethische Orientierungsgröße durch per se normative Begriffe wie »Lebensqualität« oder »Normalität« abgelöst werden kann. Diese Frage scheint von der Gesellschaft bejaht zu werden, während es in der Medizin Tendenzen zu einer Reduktion des Krankheitsbegriffs auf seine naturwissenschaftlichen Parameter gibt.272 Gemäß Urban Wiesing ist seit dem 19. Jahrhundert eine zunehmende Skepsis gegenüber dem subjektiven Erleben eines Kranken und eine wachsende Aufwertung der empirischen Befunde, aus denen sich das statistisch Normale formiert, zu konstatieren.273 Die Krankheit, die aufgrund der Einstufung als solche zu einem normierten Objekt wird, hat eine natürliche, im Körperlichen basierende Grundlage, die zu einem Teil auch empirisch erfasst werden kann. Das Urteil darüber, welches Naturphänomen zu den
270 Oft wird das Argument einer verstärkten Medikalisierung gegen objektive Krankheitskonzepte angeführt, da eine erhöhte medizinische, diagnostische und therapeutische Machbarkeit auch zu einem gestiegenen Druck führen kann, »neue« Krankheiten zu therapieren; siehe beispielsweise Birnbacher 2006b, S. 108. 271 Zu dieser Gefahr vgl. Wiesing 2004, S. 51. 272 Vgl. Lanzerath 2004, S. 31 f. 273 Vgl. Wiesing 2004, S. 51.
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Krankheiten gezählt wird, unterliegt allerdings zeitlichen Entwicklungen.274 Diese Schwankungen sind bei psychischen Erkrankungen besonders ausgeprägt. Zu den »neueren« Krankheiten zählen beispielsweise Entwicklungsstörungen im Kindesalter, Substanzabusus, Ess- und Persönlichkeitsstörungen. Folgt man normativen Ansätzen von Krankheit, könnte dies zu einer Ausweitung des Krankheitsbegriffs und zu einer »Medikalisierung des Lebens« führen.275 Eine solche Ausweitung ist eher zu erwarten, wenn es »Normativisten« nicht gelingt, eine Unterscheidbarkeit herzustellen zwischen den Übeln, die infolge von Krankheit, und denen, die aus anderen Ursachen entstehen.276 Ein mit der Objektivierung bestimmter Zustände des Leidens und mit einer erweiterten medizintechnischen Machbarkeit verknüpftes Problem ist die Suggestion, dass psychosoziale Probleme ebenfalls medizinisch lösbar seien.277 Zum einen wird dies hier als eine Gefahr gesehen, da damit reduktiv geprägte psychophysische Grundannahmen übergangen werden, die in die Wissensproduktion bis hin zur medizinischen Machbarkeit hineinspielen. Zum anderen eröffnet jene Suggestion Phänomenen, die in Kapitel V.6 unter »Biomacht« beschrieben werden, vermehrte Zugriffsmöglichkeiten auf das Leben. Dies wirkt sich ebenfalls auf eine nicht hinreichende Beurteilung einzelner Eingriffe hinsichtlich deren sozialer Bedingtheit aus, was wiederum dazu führt, dass die später geforderte Verantwortlichkeit nicht hinreichend erfüllt werden kann. Die potenzielle Lösung der Probleme psychosozialer Natur durch Techniken der Medizin wäre zudem selbst bei Erfüllung dieser Suggestion aber womöglich gar nicht die effektivste.278 Die verbesserte Technik in der Medizin könnte die Gesellschaft ebenfalls annehmen lassen, dass auch die Verbesserung der Lebensqualität und eine Steigerung der menschlichen Natur moralisch akzeptierte Ziele dieser Techniken darstellen könnten. An die Stelle der Unterstützung der Natur träte die Verbesserung der Natur.279
274 Vgl. Wieland 2004, S. 24 ff.; Wiesing 2004, S. 50 ff. 275 Vgl. Wieland 2004, S. 23 ff. 276 Zu dieser Kritik an Normativisten siehe auch Schramme 2003. 277 Vgl. Lanzerath 2004, S. 37 f. 278 Vgl. Lanzerath 2004, S. 37 f. 279 Vgl. Lanzerath 2004, S. 37 f.
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Bisher wurden in diesem Kapitel Vor- und Nachteile verschiedener Verständnisweisen von Krankheit, insbesondere psychischer Krankheit, dargestellt. Es wird für die Fragestellung der Arbeit ein normativ-subjektives Modell der Krankheit favorisiert, gekoppelt an die Forderung einer Herstellung deutlicher Bezüge des Subjekts zur Welt, auch hinsichtlich der Krankheit. Ferner wurde auf die Wertgeladenheit und Kontextabhängigkeit bei der Redeweise von Einschränkung psychischer Funktionen hingewiesen. Dies wird in Folge auch dazu führen, dass eine Rechtfertigungsstrategie für Eingriffe in die Persönlichkeit anhand einer Krankheitserfassung zwar möglich scheint, wenn man primär naturalistische Komponenten aufgreift, aber für eine hinreichende Rechtfertigung denkstilgebundene Faktoren nicht außer Acht gelassen werden sollten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für diese Arbeit einem normativ-subjektiven Krankheitsverständnis für Fragestellungen von »gestörter« Persönlichkeit Vorzug eingeräumt wird, auch wenn diesem Grenzen der Aussagekraft zugebilligt werden müssen. In dieser Arbeit wurde bereits ein weiter Begriff der Persönlichkeit vorausgesetzt, der auch für das Krankheitsverständnis in puncto Persönlichkeit impliziert, das Dasein der Person in der Welt und deren Wechselverhältnis zu integrieren. Das bedeutet auch eine notwendige Integration von Erfahrungen, die im Krankheitsprozess bezüglich der eigenen Doppelaspektivität in besonderer Weise gemacht werden. Damit können auch einzelne Eigenschaften einer Persönlichkeit nicht lediglich zu Objekten technischer Verfügbarkeit werden. Diese Sicht scheint aktuellen Denkstiltendenzen zu widersprechen, Pathologien der Persönlichkeit im Sinne eines naturalistischen oder objektiv-normativistischen Krankheitsverständnisses benennen zu können. Zur Verdeutlichung solcher Denkstiltendenzen wird in Folge auf das Beispiel der Persönlichkeitsstörungen etwas näher eingegangen. 2.5.2 Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen bieten sich als Krankheitsbild an, die Methoden der Wissensgewinnung über Eigenschaften einer Persönlichkeit zu untersuchen, da man in diesem Bereich von einer bereits etablierten Methodik ausgehen kann. Sie liefern auch eine Grundlage für Überlegungen, welches Krankheitsverständnis ihre Therapie hinreichend rechtfertigt. Ferner bergen sie Beispiele, die beim Verständnis der Überlegungen zu Eingriffen in Persönlichkeiten hilfreich sind. In Folge wird die Entwicklung hin zu diesem
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Krankheitsbild in aller Knappheit entworfen. Im Anschluss werden die einzelnen Diagnosen innerhalb der Klasse von Persönlichkeitsstörungen aufgezählt sowie eine Diagnose, nämlich die der Borderline-Persönlichkeitsstörung, ausführlicher dargestellt. Letztere Diagnose wurde für nähere Betrachtungen ausgewählt, da sie zunehmend häufig im psychiatrischen Setting gestellt wird, auch wenn sie womöglich nicht die höchste Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen in der Bevölkerung aufweist.280 2.5.2.1 Historische Entwicklung Die Bezeichnung Persönlichkeitsstörung für bestimmte psychische Auffälligkeiten wurde erst im 20. Jahrhundert gebräuchlich. Die Entwicklung in der psychopathologischen Terminologie hin zu diesem Begriff verlief über verschiedene Wege und beanspruchte einen weitaus längeren Zeitraum, als das Auftreten der heutigen Bezeichnung Persönlichkeitsstörung vermuten lässt. In diesem Abschnitt der Arbeit wird die Genese des Begriffs Persönlichkeitsstörung bis zu seiner aktuellen Verwendung skizzenhaft dargestellt. Die Diskussion um den Krankheitsbegriff im psychischen Bereich sowie die allgemeine Historie der Psychiatrie können hier nur im Hinblick auf die Problematik der Persönlichkeitsstörung beleuchtet werden.281 Ein Einschnitt im Umgang mit psychisch Erkrankten ist etwa im 18. Jahrhundert zu beobachten.282 Dieses war ideengeschichtlich von der Aufklärung geprägt. Als eine Hauptströmung dieser Zeit gilt die rationale Psychologie, die zum Beispiel von Christian Wolff vertreten wurde. Dieser schlägt einen rational-deduktiven Weg zur Analyse psychischer Erkran-
280 Ob die Prävalenz der Borderline-Persönlichkeitsstörung in der Allgemeinbevölkerung allerdings ebenfalls zunehmend ist, kann nicht eindeutig bestätigt werden; siehe Stone 2001. 281 Nach einer Gesamtschau der Standardwerke zur Psychiatrie beziehen sich die folgenden Erläuterungen, der Übersichtlichkeit halber, hauptsächlich auf die Monografie »Persönlichkeitsstörungen« von Peter Fiedler; siehe Fiedler 2001. Fiedler zeichnet die Entwicklung besonders anschaulich nach. Für weiterführende Lektüre bezüglich der allgemeinen historischen Entwicklung des Krankheitsbegriffs in der Psychiatrie sei hier auf Vollmoeller 2001 und Schott, Tölle 2006 verwiesen. 282 Zum Umgang mit psychischen Auffälligkeiten vor dieser Zeit siehe Schott, Tölle 2006, S. 19 ff. und 41 ff.
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kungen vor.283 Die Gegenbewegung zur rationalen Psychologie stellten gewissermaßen die Vertreter der romantischen Psychiatrie dar. Für dieses Thema historisch ebenfalls relevant waren die Schulen der »Psychiker« und »Somatiker«.284 Für »Psychiker« konnte die Seele aus sich heraus erkranken. Die »Somatiker« hielten psychische Krankheiten dagegen für einen Ausdruck körperlicher Störungen. Materialisten, die wiederum von den »Somatikern« zu unterscheiden sind, versuchten Anfang des 19. Jahrhunderts, empirische statt metaphysischer Lösungen für psychophysische Probleme anzubieten. Sie sahen die Psychiatrie als »Funktion des Materiellen«.285 Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Diagnose von Persönlichkeitsstörungen nahm ein Vertreter der »französischen Schule«, Philippe Pinel, ein. Pinel grenzte erstmals die Beeinträchtigung affektiver Funktionen bei ungestörter Verstandeskraft ab als »manie sans délire« (1809), die heute als gestörte Persönlichkeit verstanden werden könnte.286 Zuvor wurden psychische Störungen ausschließlich als Störungen der Verstandestätigkeit gesehen. Sein Schüler Jean Etienne Dominique Esquirol beschäftigte sich mit dissozialen Verhaltensweisen und Delikttypen wie Kleptomanie. Von ihm stammt die Lehre von den »Monomanien« (1838). Diese ermöglichte ihm, die von ihm untersuchten Phänomene der Typisierung von Pinel und somit der psychiatrischen Beurteilung und Therapie zuzuführen.287 Bezüglich des Einschnitts im Umgang mit psychischen Krankheiten ist weiterhin erwähnenswert, dass zu dieser Zeit (Ende des 18. Jahrhunderts) das Mitleid mit den psychisch Kranken wuchs. Pinel strebte z.B. eine »Befreiung der Geisteskranken von ihren Ketten« an. Zudem wurden neue psychiatrische Kliniken errichtet und Psychiater zur Beurteilung rechtlicher Fragen herangezogen.288 In diesem Zusammenhang ist James Cowles Prichard zu erwähnen, der eine einflussreiche Arbeit über »moral insanity« verfas-
283 Vgl. Hoff 2003, S. 6 f. 284 Vgl. Hoff 2003, S. 9 f. 285 Vgl. Hoff 2003, S. 9 ff. 286 Vgl. Fiedler 2001, S. 13 f.; siehe Pinel 1801. 287 Vgl. Fiedler 2001, S. 13 f.; siehe Esquirol 1968; Monomanie soll dabei auf psychische Teilstörungen im Gegensatz zum umfassenden Wahnsinn hinweisen. 288 Vgl. Hoff 2003, S. 7.
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ste.289 Diese sollte eine Differenzierung zwischen persönlichkeitsbedingter und nicht persönlichkeitsbedingter Kriminalität und Dissozialität ermöglichen. Sein Konzept lässt sich anhand der heutigen Diagnosekriterien der »antisozialen Persönlichkeitsstörung« immer noch verfolgen.290 Allerdings wurde zu dieser Zeit noch nicht das heutige komplexe Gebilde der Persönlichkeitsstörungen betrachtet, der Fokus lag auf sozial unerwünschtem Verhalten. Die Einführung von Delikttypen in die psychiatrische Klassifikation und die zeitnah aufkeimende Lehre von der Degeneration in der französischen Psychiatrie lassen einen entscheidenden Punkt erahnen, an dem in der Entwicklung der Psychiatrie eine Verbindung zwischen der Diagnose »gestörte Persönlichkeit« und gesellschaftlichen Normen bzw. Wertungen hergestellt wird. Zudem wurde von den Vertretern der Degenerationslehre und den Sozialdarwinisten die These aufgestellt, dass der sogenannte »geborene Kriminelle« seine Störung von Generation zu Generation weitergebe.291 Die gesellschaftlichen Folgen für von solchen Störungen betroffene Patienten, wie etwa die der Ausgrenzung, liegen auf der Hand. Das Werk »Die Psychopathischen Minderwertigkeiten« von Julius Ludwig August Koch weist ebenfalls enge Bezüge zur Degenerationslehre auf. Es enthält eine Systematisierung der Persönlichkeitsstörungen und trug zur Verbreitung der Bezeichnung »Psychopathie« im deutschsprachigen Raum bei.292 Die negative Konnotation der Lehre Kochs hatte zwar wissenschaftlich nicht lange Bestand, dennoch prägte seine Terminologie für viele Jahrzehnte das gesellschaftliche Bild von Persönlichkeitsstörungen.293
289 Vgl. Fiedler 2001, S. 21; Hoff 2003, S. 9; siehe Prichard 1835; der Begriff »Moral« war bei Prichard allerdings weniger im Sinne »moralisch-sittlich«, sondern umfassender als »gemüthaft«, »emotional-affektiv« gemeint. 290 Vgl. Fiedler 2001, S. 21; vgl. Hoff 2003, S. 9. 291 Vgl. Fiedler 2001, S. 14; Cesare Lombroso gilt als einer der Hauptvertreter des Konzeptes vom »delinquente nato«; siehe auch Gibson 2002; vgl. Hoff 2003, S. 12 f.; zur geschichtlichen Aufarbeitung des »bösen Willens« im Strafrecht bei Johann Christian August Heinroth, Franz von Liszt und Vertretern der »italienischen Schule« wie Lombroso im Hinblick auf die moderne Hirnforschungsdebatte siehe auch Krauth 2008, Kapitel 2. 292 Vgl. Fiedler 2001, S. 16; siehe Koch 1893. 293 Vgl. Fiedler 2001, S. 16; siehe Koch 1893.
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Die terminologische und theoretische Entwicklung des Begriffs Persönlichkeitsstörung in der Psychiatrie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grenzte sich deutlich von der Degenerationslehre ab. Die dramatischen Auswirkungen der Verknüpfung von Degenerationslehre und Rassentheorie im Nationalsozialismus wurden anderenorts ausführlich erörtert. Die aktuelle Forschung, beispielsweise zur Genetik psychischer Störungen, steht in keiner Verbindung hierzu. Die heutige psychiatrische Praxis lässt sich ebenfalls nicht mit der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts gleichsetzen, die Fragestellungen und die Herangehensweise sind vollkommen unterschiedlich. Dennoch soll an dieser Stelle schon auf die allgemeine Problematik der unreflektierten Form von Denkstilgebundenheit bzw. das Missbrauchspotenzial hingewiesen werden, das beispielsweise durch die genetische Erforschung von Verhaltensweisen bzw. Persönlichkeitsfaktoren auftreten kann.294 Das Konstrukt einer primär konstitutionellen Ätiologie, die von einer neurobiologischen bzw. neurophysiologischen Erklärung für Persönlichkeitsstörungen ausgeht, versuchte Ende des 19. Jahrhunderts, den Degenerationsgedanken zu überwinden.295 So vertritt Emil Kraepelin im Laufe seiner Veröffentlichungen immer stärker eine konstitutionelle Verursachungshypothese. Aus dem »geborenen Verbrecher« differenzieren sich bei ihm sieben Haupttypen der psychopathischen Persönlichkeit wie etwa »Lügner und Schwindler« oder »Streitsüchtiger«.296 Deren Definition stellt allerdings weiterhin eindeutig sozial wertende Verbindungen zwischen dem
294 Hennig et al. 2005, Kapitel 7, gibt einen ausführlichen Einblick in die aktuellen Ergebnisse der Forschung zu »Genetik und Persönlichkeit«. Zu einer historischen Aufarbeitung bereits stattgefundenen Missbrauchs innerhalb der Psychiatrie siehe Hohendorf, Rotzoll 2005; Chodoff 1999. 295 Vgl. Fiedler 2001, S. 15. Die heutigen Forschungen zu den Zusammenhängen zwischen dem endokrinen System, Neurotransmittern, Zentralnervensystem, Immunsystem und der Persönlichkeit bzw. Persönlichkeitsstörungen lassen sich m. E. dem Bereich einer konstitutionellen Ätiologie zuordnen. Hennig et al. 2005 fassen die Forschungsergebnisse hierzu zusammen. 296 Vgl. Fiedler 2001, S. 16 f.; siehe Kraepelin 1923; Kraepelin benutzte allerdings den Degenerationsbegriff im Verlauf seiner Schriften insbesondere am Anfang gehäuft. Kraepelin vertrat zudem die These einer natürlichen Krankheitseinheit; vgl. Hoff 2003, S. 13 f.
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Psychopathen und seiner Gesellschaftsfeindlichkeit bzw. Minderwertigkeit her.297 Zur selben Zeit entwickelt sich der für die weitere Argumentation wichtige Ansatz der »Syndrome«, die, grob gesagt, gekennzeichnet sind durch ein gemeinsames Auftreten für eine Störung typischer, aber nicht unbedingt pathognomonischer Symptome. Diese Theorie argumentiert gegen die »natürliche Krankheitseinheit« und ist heute weit verbreitet. Die Betonung von »Symptomkomplexen« geht hingegen von pathognomonischen Symptomverbindungen bei bestimmten Krankheitsbildern aus und wurde etwa von Alfred Hoche vertreten.298 Ernst Kretschmer entwickelt in seinem Werk »Körperbau und Charakter« (1921) den konstitutionstheoretischen Ansatz weiter. Dabei greift er auf die von Kant wiederbelebte Lehre der vier Temperamente von Galen und Hippokrates zurück. Kant beschreibt in der »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht« eine Temperamentenlehre, die auf die Persönlichkeitsforschung großen Einfluss hatte.299 »Da ergiebt sich nun: daß die Temperamente, die wir blos der Seele beilegen, doch wohl ingeheim das Körperliche im Menschen auch zur mitwirkenden wirkenden Ursache haben mögen: – ferner daß, da sie erstlich die Obereintheilung derselben in Temperamente des Gefühls und der Thätigkeit zulassen, zweitens jede derselben mit Erregbarkeit der Lebenskraft (intensio) oder Abspannung (remissio) derselben verbunden werden kann, – gerade nur vier einfache Temperamente (wie in den 4 syllogistischen Figuren durch den medius terminus) aufgestellt werden können: das sanguinische, das melancholische, das cholerische und das phlegmatische; […].«300
Kretschmer versucht, die kategoriale Zuordnung im Rahmen seiner Systematisierung in »zykloide – zyklothyme Persönlichkeit« und »schizothyme –
297 Siehe Kraepelin 1923; vgl. Fiedler 2001, S. 16 f.; Hoff 2003, S. 13 f. 298 Vgl. Hoff 2003, S. 15; Hoche wird später eine »Tötung lebensunwerten Lebens« gutheißen. Die rassentheoretische Gesinnung Hoches soll an dieser Stelle allerdings nicht implizieren, ein Syndromansatz hätte notwendigerweise eine solche ideologische Färbung. 299 Vgl. Fiedler 2001, S. 17; siehe Kretschmer 1977; siehe Kant VII, S. 286 ff.; zur Temperamentenlehre siehe auch Müller 1993. 300 Kant VII, S. 286; Hervorhebung im Original.
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schizoide Persönlichkeit« in dimensionaler Richtung aufzubrechen. Dennoch ging er in der Folge Kants von psychischen Erkrankungen bzw. Charaktereigenarten aus, die der Konstitution entsprechen.301 Kurt Schneider orientiert sich wieder verstärkt an Kraepelins Ansatz. In seiner Monografie »Die psychopathischen Persönlichkeiten« entwickelt er eine Systematisierung, die versucht, weniger normativ, dafür phänomenologisch präziser vorzugehen. Seine Einteilung der psychopathischen Persönlichkeiten hat auch die aktuell angewandten Klassifikationssysteme »Internationale Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death« (ICD) und »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM) beeinflusst.302 Die ICD steht unter der Schirmherrschaft der WHO und soll eine internationale, operationalisierte einheitliche Regelung der Klassifikation von Krankheiten bieten. Bereits in der sechsten Auflage wurde versucht, psychische Erkrankungen in den Katalog aufzunehmen. Diese Systematisierung konnte sich allerdings gegen nationale Eigenarten der Begriffswahl, insbesondere den von der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft entwickelten DSM, nur schwer durchsetzen und fand für psychische Erkrankungen erst seit der neunten Auflage vermehrt Beachtung.303 Inzwischen stellt die ICD in der zehnten deutschlandspezifischen (german modification, GM) Fassung jedoch den verbindlichen Standard in Deutschland dar. In den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu vermehrter grundsätzlicher Kritik an der Klassifikation psychischer Störungen. Es kam zu einer verstärkten Besinnung auf die grundlegenden methodischen Probleme bei der Befunderhebung und Diagnostik in der Psychopathologie. Ebenso gewannen zu dieser Zeit existenzphilosophische Aspekte bei der Betrachtung der Genese und Therapie psychischer Störungen an Einfluss.304 Die Bewegung der Antipsychiatrie kritisierte die Pathologisierung psychischer Störungen. Teils wurden von dieser die Missstände in psychiatrischen Einrichtungen, teils das Konzept der psychischen Krankheit und zum Teil
301 Vgl. Fiedler 2001, S. 18; zu Kants »Anthropologische Charakteristik« siehe Kant VII, S. 283 ff. 302 Vgl. Fiedler 2001, S. 20; Hoff 2003, S. 19. 303 Vgl. Fiedler 2001, S. 24 ff. 304 Vgl. Hoff 2003, S. 19.
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Psychiatrie als Ganzes angeprangert.305 Ebenso wurde Kritik laut an der geringen Reliabilität psychiatrischer Diagnosen, an der Stigmatisierung durch psychiatrische Diagnosen, an der kategorialen Klassifikation und an der Vernachlässigung der kulturellen Unterschiede.306 Die Auseinandersetzung mit dieser Kritik führte zu Veränderungen im DSM-III, die auch in der momentan aktuellen Version DSM-IV-TR (Textrevision) und im ICD-10 zu finden sind. Eine der Reaktionen auf die angeführten Kritikpunkte spiegelt sich auch in der Terminologie wider. Stark kritisierte stigmatisierende Begriffe wie zum Beispiel »Psychopathie« wurden ersetzt, ferner wird der Terminus »Störung« statt desjenigen der »Krankheit« eingesetzt, um keine Erkrankung zu implizieren. Ziel ist es zudem, den Fokus von der zuvor bedeutenderen gesellschaftlichen Belastung auf das Leiden der betroffenen Person zu verlagern.307 2.5.2.2 Klassifikationssysteme An dieser Stelle wird ein kurzer einführender Überblick über die aktuellen Klassifikationssysteme im Hinblick auf Persönlichkeitsstörungen gegeben. Die Prototypenperspektive stellt für die Betrachtung von Persönlichkeitsstörungen eine Veränderung dar. Sie ermöglicht, dass man dem Phänomen der Komorbidität nun sowohl durch die Multiaxialität, die seit dem DSMIII gegeben ist, als auch durch die Möglichkeit der Mehrfachdiagnosen auf einer Achse (siehe weiter unten) gerecht werden kann. Zudem sind die Kriterien nun polythetisch (nur ein Teil der Gesamtkriterien muss für eine Diagnosevergabe gegeben sein). Ein weiteres Ziel besteht darin, die Kriterien qualitativ zu werten und so eine Dimensionierung zu ermöglichen. Genauso sollen prototypische Merkmale als Markierungspunkte für ein Störungsbild benannt werden. Intuitionen des Diagnostikers sind in diesen Klassifikationssystemen nicht notwendig und daher auch nicht vorgesehen.308 Wie weit diese Ziele in den neueren Versionen der Klassifikations-
305 Siehe Schott, Tölle 2006, S. 206 ff. und S. 298 ff.; bedeutende Vertreter der antipsychiatrischen Bewegung waren Laing 1994, ebenso Cooper 1984, aber auch auf besondere Weise Foucault 1999 und Szasz 1974. 306 Vgl. Fiedler 2001, S. 25 f. 307 Vgl. Fiedler 2001, S. 28. Die neue Fassung DSM-V ist für Sommer 2015 zu erwarten. 308 Vgl. Fiedler 2001, S. 29.
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systeme sowie in der Praxis umgesetzt werden konnten, ist in der Fachliteratur umstritten. Im »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM) erlangt die axiale Anordnung der Diagnosen besondere Bedeutung. Auf Achse I des DSM-IV-TR werden alle klinischen Störungen und Syndrome, außer den Persönlichkeitsstörungen, zusammengefasst. Letztere sind auf Achse II aufgetragen. Auch im Bereich der Persönlichkeitsstörungen auf der Achse II sind Mehrfachdiagnosen möglich. Achse III umfasst körperliche Störungen und Zustände, Achse IV psychosoziale und kontextuelle Belastungsfaktoren und Achse V die Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus. Durch die Anordnung der Diagnosesystematik auf Achsen kann man beispielsweise bei einer Diagnose der Achse I gleichzeitig eine Diagnose der Achse II stellen. Genauso kann aber eine Persönlichkeitsstörung auf der Achse II zur Hauptdiagnose werden.309 Im »Internationale Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death – 10« (ICD-10) werden für psychische Störungen in Kapitel V (F) zehn separate Kategorien aufgeführt. Die Hauptkategorie F6 beinhaltet die »Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen«. In dieser Kategorie sind neben den Persönlichkeitsstörungen andere Störungen wie »Störung der Sexualpräferenz« oder »Störung der Geschlechtsidentität« aufgeführt. Gemeinsames Merkmal soll sein, dass die Störung vom Betroffenen als zum Ich gehörend empfunden wird (Ich-Syntonie). Beide Klassifikationssysteme beinhalten zusätzlich die Persönlichkeitsveränderung als Differenzialdiagnose. Diese tritt im Gegensatz zur Persönlichkeitsstörung erst im Erwachsenenalter auf, meist nach körperlichen Erkrankungen. Wichtig ist ferner, dass Persönlichkeitsstörungen nicht im Rahmen einer anderen psychischen Erkrankung bzw. als Folge dieser auftreten oder auf Substanzwirkung zurückzuführen sind.310 Im DSM-System werden die Persönlichkeitsstörungen als Persönlichkeitszüge im Extrembereich aufgefasst: »Persönlichkeitszüge sind überdauernde Formen des Wahrnehmens, der Beziehungsmuster und des Denkens, und zwar im Hinblick auf die Umwelt und auf sich selbst. Sie kommen in einem breiten Spektrum von wichtigen sozialen und persönli-
309 Vgl. Fiedler 2001, S. 31 ff. 310 Vgl. Fiedler 2001, S. 33 ff.
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chen Situationen und Zusammenhängen zum Ausdruck. Wir sprechen von Persönlichkeitsstörungen nur dann, wenn die Persönlichkeitszüge unflexibel und wenig angepasst sind und die Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen oder zu subjektiven Beschwerden führen.«311
Im ICD-10 werden Persönlichkeitsstörungen folgendermaßen umschrieben: »Die spezifischen Persönlichkeitsstörungen umfassen tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Dabei findet man gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu andern. Solche Verhaltensmuster sind zumeist stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche von Verhalten und psychischen Funktionen. Häufig gehen sie mit persönlichem Leiden und gestörter Funktionsfähigkeit einher.«312
Fiedler benennt wichtige zusätzliche Kriterien, die für die Diagnose »Persönlichkeitsstörung« erfüllt sein sollten, die, wie er allerdings selbst anerkennt, in der Praxis nicht von allen Psychiatern beachtet werden. Demnach sollte die Diagnose Persönlichkeitsstörung nur vergeben werden, wenn die betroffene Person selbst unter ihrer Persönlichkeit leidet, wenn sie eine psychische Störung wie affektive Störung, Dissoziationsneigung oder Suizidalität entwickeln könnte. Genauso zwingend für eine Diagnose sollte laut Fiedler sein, dass die betroffenen Personen existenziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Dabei geraten die Personen im Sinne Fiedlers in Konflikt mit Ethik, Gesetz oder Recht, müssen aber die Diagnose nicht als angemessen empfinden.313 Eine weitere Wiedergabe der Definition von Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 wird hier nach Thomas Bronisch zitiert, da sie den vorherigen Sachverhalt anschaulich gliedert:
311 Sass, Houben 2001; zitiert nach Fiedler 2001, S. 37. 312 Weltgesundheitsorganisation, Dilling et al. 2005; zitiert nach Fiedler 2001, S. 38. 313 Vgl. Fiedler 2001, S. 39.
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»Die charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster des Betroffenen weichen insgesamt deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben (¿Normen¾) ab. Diese Abweichung äußert sich in mehr als einem der folgenden Bereiche: Kognition Affektivität Zwischenmenschliche Beziehungen und die Art des Umgangs mit ihnen. Die Abweichung ist so ausgeprägt, daß das daraus resultierende Verhalten in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepaßt oder auch auf andere Weise unzweckmäßig ist (nicht begrenzt auf einen speziellen ¿triggernden¾ Stimulus oder eine bestimmte Situation). Persönlicher Leidensdruck, nachteiliger Einfluß auf die soziale Umwelt oder beides, deutlich dem unter dem zweiten Merkmal beschriebenen Verhalten zuzuschreiben. Nachweis, daß die Abweichung stabil, von langer Dauer ist und im späten Kindesalter oder der Adoleszenz begonnen hat. Die Abweichung kann nicht durch das Verhalten oder die Folge einer anderen psychischen Störung des Erwachsenenalters erklärt werden. Es können aber episodische oder chronische Zustandsbilder der Kapitel F0 bis F7 neben dieser Störung existieren oder sie überlagern. Eine organische Erkrankung, Verletzung oder deutliche Funktionsstörung des Gehirns müssen als mögliche Ursache für die Abweichung ausgeschlossen werden (falls eine solche Verursachung nachweisbar ist, soll die Kategorie F07 verwendet werden).«314
Bei einer solch weit gefassten Definition von Persönlichkeitsstörung ist es nicht verwunderlich, dass der prozentuale Anteil von Persönlichkeitsstörungen im psychiatrischen Setting hoch (30–60 %) veranschlagt wird.315 Die Borderline-Persönlichkeitsstörung soll bei bis zu 14,9 % der psychiatri-
314 Bronisch 1999. 315 Fiedler führt hierzu eine Studie der WHO an, die in elf Ländern an psychiatrischen Patienten durchgeführt wurde. Demnach lag die Prävalenzrate von Persönlichkeitsstörungen, diagnostiziert nach ICD-10-Kriterien, bei 39,5 % und nach DSM-III-R-Kriterien bei 51,1 %; vgl. Fiedler 2001, S. 396. Gerd Rudolf gibt sogar an, bei der Aufnahmediagnose in seiner Klinik 30 % an Prävalenz festgestellt zu haben, als Abschlussdiagnose 50–60 %; vgl. Rudolf 1999, S. 42.
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schen Patienten als Diagnose gestellt werden.316 In der Gesamtbevölkerung sei mit einer Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen von etwa 10 % zu rechnen, bei Borderline-Persönlichkeitsstörung von 1,1–1,8 %.317 Deutlich wird in den Definitionen ferner, dass es sich bei der Diagnose auch um »kulturell erwartete und akzeptierte Vorgaben« (siehe oben) handelt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Komponente im diagnostischen System sowohl zu Veränderungen und Wegfall bereits benannter Störungen als auch zur Nichtbeachtung vorgeschlagener Störungsbilder führt. So sind in neueren Klassifikationen keine »sexuell Haltlosen«, »Querulanten« oder »Kriegsdienstverweigerer« zu finden. Ferner haben die von Theodor W. Adorno bestimmte »autoritäre Persönlichkeit« oder der »Marketing-Charakter« nach Erich Fromm beispielsweise keinen Eingang in die aktuellen Klassifikationssysteme gefunden.318 In obigen Definitionen wird ebenfalls klar, dass bei der Diagnose von Persönlichkeitsstörungen hauptsächlich strukturelle Aspekte der Persönlichkeit im Vordergrund stehen, da die »dauerhaften inneren Erfahrungsund Verhaltensmuster des Betroffenen« betont werden. Dies schließt die Möglichkeit von Veränderungen von Strukturen noch nicht aus, geradezu ist eine solche Veränderung Ziel einzelner Therapieansätze.319 In Erweiterung der ICD-10-Klassifikation wurden psychodynamische Konzepte zur Strukturbeschreibung entwickelt, die hier erwähnt werden sollten, zumal sie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Im Rahmen der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) sind weitere Achsen zu finden: Beziehung, Struktur, Konflikt, subjektives Erleben sowie psychische und psychosomatische Störungen. Auf der Strukturachse befinden sich die Dimensionen Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Abwehr, Objektwahrnehmung, Kommunikation und Bindung. Die Dimensionen sind weiter unterteilbar in Aspekte. Aus der unteren Ebene erfolgt dann die verhaltensnahe Operationalisierung, welche vier Struktur-
316 Fiedler 2001, S. 398 f. 317 Fiedler vergleicht verschiedene Studien, die je nach Region, Geschlecht und Klassifikationssystem zwischen 5,5 und 11,1 % variierten; vgl. Fiedler 2001, S. 394 f. und 248. 318 Vgl. Bronisch 1999, S. 6 ff.; siehe Adorno 1995. 319 Dies ist beispielsweise bei psychodynamisch orientierten Therapien der Fall; vgl. Rudolf 1999, S. 45.
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niveaus unterscheidet: von desintegriert bis gut integriert. In diesem Konzept betont der Strukturbegriff den Aufbau des Systems sowie die Regeln des Funktionierens.320 Jenseits des OPD-Konzepts können Persönlichkeitsstörungen kategorial oder dimensional erfasst werden. In kategorialen Ansätzen kann entweder eine Zuordnung zu einer Persönlichkeitsstörung erfolgen oder nicht. Ein solcher Ansatz wird in dem sogenannten Cluster-Konzept sichtbar. Dabei werden spezifische Diagnosen durch Prototypen in den einzelnen Hauptgruppen (Clustern) repräsentiert. Es werden gewöhnlich drei Cluster von Persönlichkeitsstörungen genannt. Cluster A umfasst die paranoiden, schizoiden und schizotypen Persönlichkeitsstörungen und hat als charakteristische Merkmale: exzentrisches und sonderbares Verhalten, Affektarmut, schnelle Wutreaktionen bei Kränkung, Misstrauen und fehlender zwischenmenschlicher Kontakt.321 Zum Cluster B werden die antisozialen, histrionischen, narzisstischen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen mit folgenden Merkmalen gezählt: »dramatisch, emotional und launisch.«322 Ängstliche, abhängige, anankastische und passiv-aggressive Persönlichkeitsstörungen fallen in Cluster C. Die Merkmale des letzten Clusters gleichen den Bezeichnungen der Störungen weitestgehend.323 Zwar entspricht die Einteilung in Cluster dem DSM-System, dennoch werden die einzelnen Persönlichkeitsstörungen auch im ICD-10 ähnlich gefasst und können gruppiert werden.324 Einige Diagnosen aus dem Bereich der Persönlichkeitsstörung scheinen der klassischen Psychopathielehre zu entstammen. Hierzu könnten die paranoide und die dissoziale Persönlichkeit gezählt werden. Andere Persönlichkeiten wie die zwanghafte oder ängstliche wurden laut Rudolf aus dem Erbe bestimmter Neurosen abgeleitet, nachdem die Neurosentheorie aus den modernen Klassifikationssystemen verbannt worden sei. Die narzisstischen und die Borderline-Persönlichkeitsstörung kämen aus psychodynamischen Konzepten und stünden zwischen den oben
320 Vgl. Rudolf 1999, S. 40 ff.; siehe Cierpka 2009; Arbeitskreis OPD 2006. 321 Vgl. Bronisch 1999, S. 8; Fiedler 2001, S. 45. 322 Fiedler 2001, S. 45. 323 Vgl. Bronisch 1999, S. 9. 324 Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden der beiden Klassifikationssysteme bezüglich Persönlichkeitsstörungen siehe Fiedler 2001, S. 43 ff.
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geschilderten Achsen I und II.325 Da es bei dem Cluster-Konzept viele Überlappungen von Persönlichkeitsstörungen gab, wurden weitere Modelle entwickelt. Ein dimensionales Modell ist das bereits erwähnte FünfFaktoren-Modell.326 Ein anderes aus der dimensionalen Beschreibung von Persönlichkeitsstörungen geht zurück auf Timothy Leary, Donald J. Kiesler und Lorna S. Benjamin und berücksichtigt eine interaktionelle Perspektive im Gegensatz zur individuumzentrierten Perspektive: das ZirkumplexModell.327 Die Erfassung bestimmter Eigenschaftsbündel in den Klassifikationssystemen als Persönlichkeitsstörung kann als Versuch interpretiert werden, Abweichungen einzelner Eigenschaften in gebündelter Form einen objektiven Charakter zu verleihen. Die dabei entstehenden Syndromkomplexe können als typisch für aktuelle Denkstile gelten und werden später mithilfe Foucaults Analysen des »Zustandsbegriffs« weiter interpretiert. 2.5.2.3 Krankheit im Kontext von Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen werden, wie weiter oben dargestellt wurde, aktuell in den Diagnoseklassifikationssystemen DSM-IV-TR und ICD-10 für die psychiatrische Praxis definiert. An dieser Stelle werden noch einige Bezüge zum Krankheitsverständnis dieser Definitionen hergestellt. Sowohl im DSM-IV-TR als auch im ICD-10 kommen normative Aspekte, insbesondere subjektiv normative Aspekte, von Krankheitskonzeptionen zum Vorschein. Es soll eine negative Bewertung des eigenen Zustandes (»subjektive Beschwerden« im DSM-IV-TR, »persönliches Leid« im ICD-10) vorliegen.
325 Vgl. Rudolf 1999, S. 40. 326 Vgl. Bronisch 1999; siehe Pervin et al. 2005, S. 295 ff. und 320 ff.; Fiedler 2001, Kapitel 5; Costa, McCrae 2006; McCrae, Costa 2006. 327 Vgl. Rudolf 1999, S. 40; siehe Benjamin 2001; Leary 1957; Kiesler 1983; Sullivan trug entscheidend dazu bei, interpersonelles Verhalten als konstituierend im psychiatrischen Bereich wahrzunehmen; vgl. Bronisch 1999; siehe Sullivan 1980. Zu Zirkumplex-Modellen siehe auch Fiedler 2001, S. 107 ff. In diesem Modell wird angenommen, dass interpersonale Verhaltensweisen auf zwei Achsen beschrieben werden können. Eine Achse beziehe sich auf feindseliges bis liebevolles Verhalten (Hass-Liebe). Die zweite Achse charakterisiere Personeneigenschaften zwischen Dominanz und Unterwürfigkeit; vgl. Bronisch 2003a, S. 11; Fiedler 2001, S. 107.
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Andere Teile der Definition lassen sich mit einer Forderung nach objektiven und naturwissenschaftlichen Parametern im Falle einer Krankheitszuschreibung der Persönlichkeit verbinden. Sie werden in den Definitionen umschrieben mit Persönlichkeitszügen, Leistungsfähigkeit, Reaktionen, Verhaltensmustern oder psychischen Funktionen. Diese sollen im Krankheitsfall beeinträchtigt sein und zu einer gestörten Funktionsfähigkeit führen, wozu wiederum erforderlich sei, dass diese Parameter relativ stabil über einen längeren Zeitraum erfassbar sind.328 Eine interessante Komponente der Definition bilden die »Abweichungen im Wahrnehmen, Denken [und, O. F.] Fühlen« der Personen.329 Diese Fähigkeiten der Person bilden zum einen die Grundlage, eine subjektivnormative Krankheitseinsicht einnehmen zu können, da sie notwendig sind, um ein Leiden wahrzunehmen und dieses zu kommunizieren. Diese Eigenschaften einer Persönlichkeit wirken allerdings in der Formulierung von DSM-IV-TR und ICD-10 in einer Weise erfassbar und einer objektiven Beurteilung unterziehbar, dass die Vorstellung entstehen kann, aus diesen Erkenntnissen könnten Rückschlüsse auf die gesamte Persönlichkeit gezogen werden. Sollte dies realiter angenommen werden, dann liegt der Verweis auf einen atomistischen Fehlschluss nahe. Wird ein solcher vermehrt billigend in Kauf genommen, um bestimmte Wissensstandards zu stärken, dann kann hier erneut ein Charakteristikum eines Denkstils vermutet werden. Wenn zudem in naturalistischen Komponenten der Bestimmung von Persönlichkeitsstörungen nicht nur angenommen wird, dass Krankheitszustände der Persönlichkeit als biologische Zustände, insbesondere als Gehirnprozesse existent sind, sondern auch allein an biologischen Vorgängen des Körpers erkennbar sind, dann wird ein weiteres bereits skizziertes Charakteristikum des Denkstils ersichtlich: Die Differenz von Erleben und physischen Ereignis wird nicht hinreichend anerkannt.330 In der radikalsten Formulierung findet sich die Missachtung dieser Differenz im eliminativen Materialismus.331 Alle Eigenschaften einer Persönlichkeit wären gemäß dieser Position als Gehirnprozesse erkennbar – auch
328 Vgl. Definitionen, zitiert nach Fiedler 2001, S. 37 f. 329 Vgl. ICD-10 Definition bei Fiedler 2001, S. 38. 330 Grundsätzlich zum Problem der Differenz-, Geschlossenheits- und Wechselwirkungsthese siehe Sturma 2005. 331 Zum Eliminativismus siehe Churchland 1998.
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in ihren Abweichungen. Damit ließe sich nicht nur der mentale Zustand dieser Person hinreichend beschreiben, auch ihre Erfahrungen des Leidens wären aus der Dritte-Person-Perspektive erkennbar, ihre alltagspsychologischen Beschreibungen dieses Leidens durch neurowissenschaftliche Terminologie ersetzbar. Eine Ablehnung einer solchen Position, ebenso wie anderer reduktiver Lösungsansätze hinsichtlich psychophysischer Fragestellungen, wurde für diese Arbeit bereits hervorgehoben. Für das Verständnis von Persönlichkeitsstörungen bedeutet dies, dass Theorien, die für ihr Krankheitsverständnis hauptsächlich oder ausschließlich biologische Korrelate bestimmter Eigenschaften einer Persönlichkeit benötigen, einem Denkstil entspringen könnten, dessen Grundannahmen reflektiert werden sollten. Insbesondere werden in Kapitel V Rechtfertigungsstrategien für Eingriffe in Persönlichkeiten zu kritisieren sein, die auf der Erfassung biologischer Korrelate bestimmter Eigenschaften beruhen und ihren normativen Urteilen zugrunde liegende, denkstilgebundene Annahmen nicht offenlegen. Geht es bei dem Verständnis und bei der Umsetzung von Definitionen von Persönlichkeitsstörungen um naturalistische Komponenten der Krankheitsauffassung, die sich primär auf psychische Funktionseinschränkungen beziehen, sieht die Beurteilung etwas anders aus. Einschränkungen psychischer Funktionen können in vielfältiger Form gegeben sein. Sie können auch von Dritten wahrgenommen werden, sofern sie kommuniziert werden. Es besteht jedoch auch hier die Gefahr, dass über wahrgenommene Funktionseinschränkungen auf eine Einschränkung psychischer Funktionen der gesamten Persönlichkeit geschlossen wird. Will eine Theorie über Störungen der Persönlichkeit die in Kapitel V aufgestellten Bedingungen für Verantwortlichkeit hinsichtlich bestimmter Eingriffe erfüllen, dann muss sie zudem auf die Kontextgebundenheit psychischer Funktionen und auf die Wertgeladenheit des Funktionsbegriffs (abhängig vom gängigen Denkstil) hinweisen. Mit dem Kontext sind das Umfeld der Person, die Institutionen, mit denen die Person verkehrt, aber auch der ihr Umfeld prägende Denkstil gemeint. Kontextgebundenheit und Wertgeladenheit sind in den Definitionen zu Persönlichkeitsstörungen implizit vorhanden, wenn die Rede ist von »sozialen und persönlichen Situationen und Zusammenhängen«, »Persönlichkeitszüge(n) […], [die, O. F.] wenig angepasst [sind, O. F.]«, »Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen« und »ge-
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genüber der Mehrheit der Bevölkerung deutliche(n) Abweichungen«.332 Ebenfalls muss aus einer Theorie hinsichtlich Krankheiten der Persönlichkeit ersichtlich werden, dass psychische Funktionen, mit denen sie operiert, immer in Relation zu einer gesetzten Norm ermittelt werden. Diese Norm ist abhängig von den psychischen Funktionen anderer Mitglieder der Gesellschaft, in der die Relation betrachtet wird. Ebenfalls hängt die für psychische Funktionen gesetzte Norm von der Art und Weise der Wissensproduktion über diese psychische Funktion ab. 2.5.2.4 Beispiel der Borderline-Persönlichkeitsstörung Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird hier etwas detaillierter dargestellt, da an anderen Stellen auf diese Persönlichkeitsstörung bei Erläuterungen exemplarisch zurückgegriffen wird. Sie wurde als Beispiel ausgesucht, weil diese Diagnose im psychiatrisch-psychotherapeutischen Alltag zunehmend gestellt wird und weil sie besondere Herausforderungen für zwischenmenschliche Beziehungen darstellt.333 Ursprünglich wurde das Konzept dieser Störung verwendet, um einen Übergang zwischen Neurose und Psychose erfassen zu können. Diese inhaltliche Kennzeichnung von »Grenzfällen« ist in den aktuellen Klassifikationen nicht mehr relevant.334 Unterscheidungen zu beiden Bereichen sind dennoch weiterhin möglich. In Abgrenzung zu einer Psychose ist der Reali-
332 Vgl. Definitionen DSM-IV und ICD-10 in Fiedler 2001, S. 37 f. 333 Der Frage, ob diese Zunahme mit einem Zuwachs an Personen mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation zusammenhängt, wird beispielsweise von Michael Stone nachgegangen; siehe Stone 2001. 334 Vgl. Fiedler 2001, S. 237; das Konzept als Grenzphänomen zur Schizophrenie findet seine Weiterentwicklung in schizotypischen (Persönlichkeits-)Störungen, hingegen das psychoanalytische Verständnis des Grenzkonzepts in der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typus (ICD-10) bzw. in der Borderline-Persönlichkeitsstörung (ab DSM-IV); vgl. Fiedler 2001, S. 238. Auf die etwas unterschiedlichen Leitsymptome in psychoanalytischer Literatur, wie beispielsweise von Christa Rohde-Dachser vorgestellt, und in den gängigen psychiatrischen Klassifikationssystemen kann hier nicht eingegangen werden; siehe hierzu Fiedler 2001, S. 242 ff.; Rohde-Dachser 2004. Zu einer weiteren Übersicht der historischen und aktuellen Klassifikation siehe Herpertz, Sass 2001.
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tätsbezug erhalten. Im Unterschied zu einer Neurose ist die qualitative Ausgestaltung der Symptomatik stark fluktuierend.335 Wie auch andere Persönlichkeitsstörungen kann die Borderline-Persönlichkeitsstörung mit komorbiden Achse-I-Störungen wie einer Depression einhergehen.336 Gegenwärtig wird als ein zentrales Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung eine auffällige Instabilität hinsichtlich Stimmung und Affektivität gesehen, die laut Fiedler mit Impulskontrollstörungen und einer Identitätsproblematik einhergeht.337 Ebenso ist es für Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung charakteristisch, erhebliche Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen zu haben.338 Im ICD-10 findet eine Unterscheidung oberhalb der Ebene der Boderline-Persönlichkeitsstörung statt. Letztere ist die Unterform Borderline-Typus der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Eine weitere Unterform der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung ist der impulsive Typus.339 Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV sind für einen ersten Eindruck der Symptomatik eingängiger und sollen daher im Folgenden aufgezählt werden: »Ein tief greifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter bzw. in der Pubertät und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Alleinsein zu vermeiden. Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.
335 Vgl. Fiedler 2001, S. 240; Abrams 2001. Für Psychosen, die als schwere psychische Störungen angesehen werden, ist charakteristisch, dass sie mit einem Verlust des Realitätsbezugs einhergehen. 336 Siehe Kapfhammer 1999, S. 16. 337 Vgl. Fiedler 2001, S. 237; was im psychiatrisch-psychotherapeutischen Kontext unter Identität verstanden wird, weicht im Umfang und teils inhaltlich davon ab, was in Kapitel IV.1 für personale Identität diskutiert wurde. Ein mögliches Verständnis in diesem Kontext wird bei der obigen Beschreibung von Borderline-Persönlichkeitsstörung unter Kriterium Nummer 3 ersichtlich. 338 Vgl. Fiedler 2001, S. 237. 339 Vgl. Fiedler 2001, S. 245 f.
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2. Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist. 3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung. 4. Impulsivität bei mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (z.B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, ¿Fressanfälle¾). Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind. 5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten. 6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern). 7. Chronische Gefühle von Leere. 8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen). 9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziale Symptome.«340
Die Erklärungsansätze zur Entstehung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind vielfältig und können im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit nicht hinreichend betrachtet werden. Zwei aktuelle Theorien werden hier knapp entworfen, um zumindest ein skizzenhaftes Bild von möglichen Erklärungsansätzen zu vermitteln. Ein prominentes Konzept wurde von Otto Kernberg entwickelt und thematisiert konflikthafte Selbst-ObjektRepräsentanzen, die durch frühe (traumatisierende) Objektbeziehungen entstehen.341 Kernberg gelang mit seiner viel beachteten Theorie eine Integra-
340 Zitiert nach Fiedler 2001, S. 251. 341 Vgl. Fiedler 2001, S. 251; Lohmer 2001. Fiedler zeigt auf, dass in vielen Fällen der Borderline-Persönlichkeitsstörung keine »frühkindliche Traumatisierung« vorliegt; siehe Fiedler 2001, S. 251, 256 ff. Mit traumatisierenden Objektbeziehungen ist hier allerdings nicht notwendigerweise eine Missbrauchserfahrung gemeint, sondern eine laut Kernberg nicht gelingende Integration
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tion von objektbeziehungstheoretischen und strukturtheoretischen Ansätzen hinsichtlich des Verständnisses der Persönlichkeitsentwicklung. Gemäß dieser Theorie werden Objektbeziehungseinheiten internalisiert, was zur Ausbildung bestimmter »primitiver« Abwehrmechanismen führt und die »Ich-Struktur« sowie die Trieborganisation determiniert. Demnach erzeugen zwar Objektbeziehungseinheiten Struktur im psychoanalytischen Sinne (Es, Ich, Über-Ich), sind mit diesen aber nicht identisch,342 das heißt, »[…] die wichtigen psychischen Strukturen […] sind Internalisierungen von Objektrepräsentanzen und Selbst-Objekt-Beziehungen unter dem Einfluß wechselnder emotionaler Zustände.«343 Ein daran gewissermaßen anknüpfender Ansatz betont die misslingende Mentalisierungsfähigkeit insbesondere bei Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Mentalisierung in diesem Kontext umfasse selbstreflexive sowie interpersonale Komponenten und solle den Prozess, »durch den das Verstehen des Selbst als mentaler Urheber« aus primären Objektbeziehungen hervorgeht, identifizieren.344 Mentalisierung könne auch als Fähigkeit verstanden werden, innere und äußere Realität zu unterscheiden sowie eigene von interpersonellen psychischen Vorgängen zu trennen. Dies hänge auch mit der Fähigkeit zur Affektregulation zusammen, was »mentalisierte Affektivität« auch zum zentralen Punkt der Psychoanalyse mache.345 Decke sich beispielsweise ein primärer emotionaler Zustand nicht mit dem (durch die Mutter) Gespiegelten, entstünde eine falsch »etikettierte« sekundäre Repräsentation, was zum »falschen Selbst« führe. Statt der eigenen werde die Repräsentation des mentalen Zustands des Objekts internalisiert zum Kern des Selbst. Kleine Anteile von »fremden Selbsten« könnten im Laufe des Lebens durch Selbstnarrative korrigiert werden. Kommen zu größeren
von »guten und bösen Repräsentationen« zu einem »ganzen Objekt« in der dritten Entwicklungsphase (18–36 Monate); siehe Fonagy, Target 2007, S. 253 ff. Traumatische Erlebnisse sind dennoch bei einem großen Prozentsatz (60–80 %) von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung zu beobachten; vgl. Fiedler 2001, S. 262; diese können vielerlei Ursachen haben wie Tod anderer, Missbrauch, Kriegsgeschehen usw. 342 Vgl. Fonagy, Target 2007, S. 254 f. 343 Fonagy, Target 2007, S. 254. 344 Fonagy, Target 2007, S. 364. 345 Vgl. Fonagy, Target 2007, S. 364 ff.
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Anteilen, verstanden als Vulnerabilitätsfaktoren, noch beispielsweise Missbrauchserfahrungen hinzu, führe dies zu einer fortgesetzten Ablehnung von Mentalisierung. Ferner müssten Anteile der Person in anderen »externalisiert« werden, was zu einem fortwährenden Bedürfnis an physischer Nähe des anderen führe.346 Naheliegend ist es im Rahmen einer Therapie mit einem solchen theoretischen Hintergrund, die Mentalisierungsfähigkeit zu verbessern und »basale Verwerfungen in der Selbststruktur ¿narrativ zu glätten¾«347. Es gibt auch andere Theorien, die sich mit dem Zustandekommen von Borderline-Persönlichkeitsstörung beschäftigen und primär Verhaltensäußerungen in ihrer Funktionalität oder die physische Konstitution berücksichtigen. Ätiologische Faktoren, die in physischen Veränderungen gesehen und gesucht werden, waren Gegenstand von Kapitel IV.2.4. 2.5.2.5 Therapieansätze Neben psychotherapeutischen Ansätzen ist die Pharmakotherapie häufig genutzter Ansatz in der Therapie der Persönlichkeitsstörungen. Die Grundidee für eine solche Therapie beruht auf drei Modellen. Ein Modell geht von der Vorstellung verschiedener Störungen aus, die auf einer gemeinsamen, biologisch vermittelten Konstitution beruhen. Ein weiteres, diesem verwandtes Modell basiert ebenfalls auf der Idee einer biologischen Disposition, die mit einzelnen biologischen Neurotransmitter-Systemen in Beziehung steht. Die Psychopharmaka sollen laut diesem Ansatz Kernsymptome von Persönlichkeitsstörungen beeinflussen, die unabhängig von einer Anordnung auf Achse I oder Achse II vorhanden sein können. Gemäß einem dritten Modell der Pharmakotherapie beeinflussen die Medikamente jene Symptome der Persönlichkeitsstörungen, die mit komorbiden Achse-IStörungen wie Depressionen assoziiert sind. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung werden laut Literatur bis zu 80 % der Patienten zeitweise mit Psychopharmaka behandelt. Bei diesen Patienten kommen zum Einsatz: Neuroleptika, Antidepressiva, Benzodiazepine, Lithium und Antikonvulsiva.348
346 Vgl. Fonagy, Target 2007, S. 376 f. 347 Fonagy, Target 2007, S. 378. 348 Vgl. Kapfhammer 1999, S. 16 ff.
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Im Rahmen dieser Arbeit kann die medizinische Sinnhaftigkeit dieser Therapie nicht beurteilt werden. Der Trend, bei Persönlichkeitsstörungen pharmakologisch einzugreifen, steht jedoch im Dienste eines Denkstils, der zuvor skizzierte Annahmen bezüglich Begriff-, Krankheitsbestimmung und psychophysischer Fragen voraussetzt. Als zusätzlicher Hinweis soll die Aussage eines praktisch tätigen Psychiaters349 dienen: Die wissenschaftliche Studienlage zu einer Evidenzbasierung der Psychopharmakatherapie bei diesen Patienten ist dürftig, zudem sind die Medikamente nicht offiziell zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen zugelassen. Da häufig eine Komorbidität beispielsweise zu Depressionen besteht, könnte es keine reine Fantasieverbindung meinerseits sein, sich auch Therapiemethoden, die für letzteres Krankheitsbild bereits eingesetzt werden, als potenzielle zukünftige Möglichkeit von Therapien bei Persönlichkeitsstörungen hypothetisch vorzustellen.350 Hierzu zählt beispielsweise die Tiefenhirnstimulation.351 Ein weiteres tatsächlich aktuelles Fundament der Therapie von Persönlichkeitsstörungen bilden diverse Formen der Psychotherapie. Sie können hier nicht in ihrer Fülle dargestellt werden. Sie reichen von den zuvor skizzierten Ansätzen einer objekt-beziehungstheoretisch begründeten Therapie bis zu Verhaltens- und kognitiven Therapien.352 Beim letzteren Zugang sollen dysfunktionale Denkroutinen abgeschwächt, korrigiert und funktionalrealistisch angepasst werden. In einer Verhaltenstherapie können systematisch neue Handlungs- und Problemlösemuster eingeübt werden. Bezogen auf soziale Kompetenzen kann dies beispielsweise eine Übung bedeuten, für eigene Bedürfnisse in einer Weise einzutreten, die sozial akzeptiert ist.353
349 Persönliches Gespräch mit einem Psychiater der Technischen Universität München. 350 Siehe Fiedler 2001, S. 424. 351 Ausführliche Darstellung siehe in Merkel et al. 2007; für eine kürzere Zusammenfassung der aktuellen Studienlage siehe Kuhn et al. 2010. 352 Zu der allgemeinen Beschreibung von Therapieformen bei Persönlichkeitsstörungen siehe Fiedler 2001, Kapitel 22 und 23. Zur speziellen Formen der Behandlung bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen siehe Fiedler S. 482 ff.; Kernberg 2001, Kapitel 3. 353 Vgl. Fiedler 2001, S. 460 ff.
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Für das zuvor genannte Beispiel der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine weitere wichtige Therapie zu nennen, die kognitive und verhaltenstherapeutische Ansätze kombiniert: die dialektisch-behaviorale Therapie nach Linehan. Sie soll Kompetenzen fördern sowie Ressourcen aktivieren und Veränderungen aus dem widersprüchlichen Erleben der Patienten heraus bewirken.354 Wichtig sind dabei die Übung von Achtsamkeit, von Skills zur Autoregulation und ein dialektischer Umgang mit Patienten. Eine interpersonell angelegte Psychotherapie kann wiederum das Ziel verfolgen, den Patienten zur Aufgabe destruktiver Wünsche und Ängste zu motivieren und Alternativen aufzuzeigen, um ein befriedigendes soziales Leben zu erlangen.355 Für psychoanalytisch orientierte Ansätze kann wie oben erläutert zum Beispiel die Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit wesentlich sein. Im Fall der Borderline-Persönlichkeitsstörung kann ein psychoanalytisches Ziel darin gesehen werden, einen verbesserten Realitätsbezug herzustellen sowie eine Integration und Neubewertung abgespaltener Erfahrungen und Erfahrungsmöglichkeiten zu erreichen.356 Eine psychodynamische Psychotherapie, welche insbesondere für die Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt wurde und auf die Übertragung fokussiert, wurde unter dem Namen Transference Focussed Psychotherapy (TFP) bekannt.357 Es scheint sich in psychotherapeutischen Konzepten zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen nicht nur um ein reines Defizitmodell auf Symptomebene zu handeln, sondern um das Anstreben einer zwischenmenschlichen Neuorientierung, die mit neuen Lösungsstrategien für zwischenmenschliche Alltagsprobleme einhergeht.358 Als allgemeines Therapieziel könnte also etwa formuliert werden: Abbau der Symptomatik wie selbstschädigendes Verhalten, Suizidalität, innere Anspannung und Disso-
354 Vgl. Fiedler 2001, S. 485; siehe Linehan 2006; Linehan, Bohus 2007. 355 Vgl. Fiedler 2001, S. 456. 356 Vgl. Fiedler 2001, S. 456. 357 Siehe Buchheim et al. 1999; Kernberg 2001. Rentrop beschreibt vor dem Hintergrund einer Theory of Mind aktuelle Therapieformen für die BorderlinePersönlichkeitsstörung wie TFP, dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) und die mentalisationsbasierte Therapie (MBT); siehe Rentrop 2007. 358 Vgl. Fiedler 2001, S. 440 f.
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ziationen, aber ebenso Erwerb von Handlungsalternativen zur besseren Bewältigung konflikthafter Interaktionsmuster.359 Fiedler argumentiert zwar, dass in einem solchen gesetzten Therapieziel auch die Akzeptanz von Verhaltensgewohnheiten inkludiert ist, schon um Kontrollbehalt und Selbstschutzmechanismen der Patienten nicht zu durchbrechen,360 mitnichten wird aber das oben entworfene Therapieziel ohne Veränderung der Verhaltensgewohnheiten erreicht werden können. Die Therapieziele werden aber nicht nur über das Leid der Patienten formuliert – wenn auch primär –, sondern folgen bereits im Leiden des Patienten, aber auch in den Vorstellungen des Therapeuten gesellschaftlichen Normen und wissenschaftlichen Denkstilen. Somit sind auch die Verhaltensänderungen norm- und denkstilgebunden. Es soll nicht gesagt werden, dass die Therapieziele aus diesem Grund nicht erstrebenswert sein können, sondern dass sie auf ihre Normgeladenheit hin reflektiert werden müssen, um sie im Sinne von Eingriffen in die Persönlichkeit normativ adäquat beurteilen zu können. Viel stärker als im Kontext einer Psychotherapie ist dies für medikamentöse Therapieformen der Fall, wie wir später sehen werden.
359 Dazu siehe auch Fiedler 2001, Kapitel 22. 360 Vgl. Fiedler 2001, S. 429.
V Ethische Überlegungen zu Denkstilen der Persönlichkeit
Nachdem im vorhergehenden Kapitel dargelegt wurde, welche Denkstilcharakteristika hinsichtlich der Persönlichkeit und deren Veränderungen aktuell vorherrschen, wird in Folge diskutiert, welche Einflüsse diese in normativen Beurteilungsprozessen spielen. Dabei muss zunächst erläutert werden, wie aktuelle Rechtfertigungsstrategien für Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften der Persönlichkeit aussehen können. Dazu muss an erster Stelle geklärt werden, was alles einen Eingriff in die Persönlichkeit darstellen kann.
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V ERSCHIEDENE F ORMEN IN DIE P ERSÖNLICHKEIT
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Was unter einem Eingriff in eine Persönlichkeit im Bereich der Neurowissenschaften verstanden werden kann, ist vielfältig. Es kann bereits als Eingriff in die Eigenschaften einer Persönlichkeit gewertet werden, wenn die Unerwünschtheit dieser Eigenschaften benannt wird. Die Feststellung der Unerwünschtheit oder der Abweichung dieser Eigenschaften von einer bestimmten Norm durch Dritte ist – wie bereits dargestellt – auch meist abhängig von einem bestimmten Denkstil, zumindest kann sie immer nur in Bezug auf andere getroffen werden. Da eine Persönlichkeit hier als eine Ansammlung verschiedener Eigenschaften ihres leiblichen Daseins interpretiert wurde und somit die Wechselwirkung dieser mit ihrer Umwelt von erheblicher Bedeutung für sie ist, kann bereits eine Feststellung über uner-
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wünschte Eigenschaften eine Persönlichkeit in ihrem Dasein fundamental erschüttern. Dabei muss es nicht ausschlaggebend sein, ob mit einer solchen Feststellung starke Ablehnungen der anderen Person verbunden sind. Diese Erschütterung kann ferner auch auftreten, wenn mit der Feststellung keine Diagnose einer Krankheit oder weitere Vorschläge zur Veränderung verbunden werden. Mit einem solchen Verständnis können jene Feststellungen bereits als Eingriffe in eine Persönlichkeit interpretiert werden. Die Auswirkungen solcher Eingriffe sind nicht absehbar. Sie können reichen von keiner Veränderung der unerwünschten Eigenschaft über eine Veränderung anderer (potenziell nicht kommunizierter) Eigenschaften bis hin zur erwünschten Veränderung der besagten Eigenschaft. Eine Rechtfertigung wird für solche, hier als Eingriffe verstandene Feststellungen in neurowissenschaftlichen Settings zumeist nicht angeführt, solange sie nicht ein Ausmaß von Erniedrigung oder Beleidigung erreichen, gegen das rechtlich vorgegangen werden kann. Es obliegt nicht dieser Arbeit, sozialpsychologische Aussagen bezüglich solcher Feststellungen zu treffen. Vielmehr scheint es mir wesentlich, auch für diese Art von Eingriffen aufzuzeigen, dass auch sie mit dem jeweils aktuellen Denkstil über Persönlichkeit zusammenhängen. Dass solche Feststellungen alltäglich auch jenseits neurowissenschaftlicher Zusammenhänge getroffen werden, lässt sich vermutlich nicht ändern, aber transparent zu machen, wie und warum sie in Bereichen der Neurowissenschaften zustande kommen, erscheint mir eine wichtige Aufgabe. Von letzterer Form eines Eingriffes müssen jene unterschieden werden, die explizit eine Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit bewirken sollen. Diese können wiederum unterteilt werden in solche mit einem vermeintlich therapeutischen Ziel und andere mit dem Ziel zur Verbesserung potenziell Gesunder.1 Ferner können Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit nach deren »Eingriffsort« differenziert werden. Sie können psychische Funktionen oder den Körper zum Ziel der Veränderung haben. Zu den psychischen Funktionen werden hier alle kommunizierten »äußeren Tätigkeiten« gezählt, also auch Verhaltensweisen. In beiden Fällen werden Eigenschaften einer Persönlichkeit verändert.
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Dies wird meist mit Enhancement betitelt; zur Diskussion von Enhancement im Bereich psychischer Funktionen siehe zum Beispiel Beiträge in Schöne-Seifert et al. 2009.
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Die Grenzen sind dabei fließend, da eine Veränderung des Körpers auch Veränderungen psychischer Funktionen nach sich ziehen kann. Zur Veränderung psychischer Funktionen werden wiederum vielerlei Eingriffe vorgenommen, die explizit eine körperliche Veränderung voraussetzen. Da beide Bereiche andere Potenziale bezüglich der Verletzung der Integrität einer Persönlichkeit zu implizieren scheinen, sind auch die Rechtfertigungsstrategien für die Eingriffe zumeist verschieden. 1.1 Veränderung »psychischer Funktionen« Sehen wir uns zunächst solche Eingriffe etwas näher an, die eine Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit zum Ziel haben, die als psychische Funktionen verstanden werden können und keine direkten Eingriffe in den Körper voraussetzen. Zu verändernde Eigenschaften solcher Eingriffe können sein: alle Eigenschaften einer Persönlichkeit, die in Kapitel III als »äußere Tätigkeiten« benannt wurden. Sie können Verhaltensweisen beinhalten, aber auch alle Eigenschaften, die mit Bezug auf die Innenwelt einer Persönlichkeit kommuniziert werden können, also z.B. kommunizierte kognitive Prozesse, kommuniziertes Empfinden, kommunizierte Fähigkeit, die Welt und sich selbst wahrzunehmen, darüber zu reflektieren und sich dazu zu verhalten. Eine Veränderung dieser Eigenschaften ohne Einsatz von Mitteln, die eine direkte Veränderung von Bestandteilen des Körpers zum Ziel haben (wie Medikamente), wird zumeist in psychotherapeutischen Settings jeglicher Couleur versucht. Innerhalb der angebotenen Therapieformen könnte die Bandbreite der anvisierten Eigenschaften, der Annahmen deren Zustandekommens und der Methoden zu deren Veränderung unterschiedlicher kaum sein. Einige wurden in Kapitel IV.2 skizziert. Wichtig ist zu konstatieren, dass auch diese Methoden, die ohne »Körpereinsatz« auskommen, mit dem Eingriff nicht intendierte Veränderungen psychischer und physischer Eigenschaften einer Persönlichkeit nicht ausschließen können. Nicht explizit intendierte Veränderungen könnten beispielsweise bei verhaltenstherapeutischen Ansätzen in der Konformisierung vieler Eigenschaften einer Persönlichkeit mit nicht reflektierten, nicht transparenten gesellschaftlichen Erwartungen gesehen werden. Andere nicht intendierte Veränderungen von Eigenschaften sind hingegen zu erwarten, wenn durch Therapieansätze versucht wird, die narrative Identität von Personen oder die Haltung einer Persönlichkeit zur Welt mit ihren Objekten zu
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verändern. Für eine solche Veränderung kann es hinreichend sein, die Gründe für die einzelnen Ereignisse in der biografischen Narration anders als zuvor zu besetzen oder zu versuchen, andere Objektrepräsentanzen bei der jeweiligen Persönlichkeit zu erwirken.2 Ritschl drückt es folgendermaßen aus: »Jedes therapeutische Gespräch ist ein Eingriff in die Lebensgeschichte eines Patienten, eine ¿Invasion¾, die nicht nur medizinisch gerechtfertigt werden muss.«3 Einen noch stärker zu rechtfertigenden Eingriff stellt es allerdings dar, wenn gezielte Strategien angeboten werden, um einzelne Eigenschaften einer Persönlichkeit durch kognitive und emotionale Strategien zu verändern, diese aber auf einer nicht hinterfragten und für den Betroffenen nicht transparenten Wissensbasis und Denkstilkomponente beruhen. Sowohl eine Veränderung der biografischen Narration oder der Objektrepräsentanzen als auch Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit finden im Verlauf des Lebens stetig statt, ohne dass von einem Eingriff gesprochen würde. Zu eindeutigen Eingriffen werden diese Prozesse hier in dem Moment deklariert, in dem eine Interaktion zwischen einem beruflich mit diesen Eingriffen Befassten und dem Objekt des Eingriffs stattfindet. Die Grenzen und Auswirkungen dieser Eingriffe sind schwer zu benennen, da auch Eingriffsziele und Eingriffstiefe nicht eindeutig zu beurteilen sind, auch wenn dies durch den auch im psychotherapeutischen Bereich angestrebten Einwilligungsprozess möglicherweise suggeriert wird.4 Gleiches gilt für Nebenwirkungen beispielsweise sozialer Natur. Es ist zum Beispiel selten vorherzusagen, ob und wie stark eine Partnerschaft durch die Therapie eines Partners leiden wird. Die Benennung von »Nebenwirkungen« stellt allerdings in anderen Gebieten der Medizin oft eine Möglichkeit dar, das Potenzial von Eingriffen,
2
Siehe auch Kapitel IV.2.
3
Ritschl 1991, S. 89.
4
Kottje-Birnbacher und Birnbacher formulieren als Ziele einer Psychotherapie »instrumentelle« Ziele, die als Mittel dienen, um andere Ziele zu erreichen, und »finale« Ziele. So kann auch ein Zugewinn an Autonomie instrumentell wie final angestrebt werden. Je nachdem, inwieweit die Realisierung der Ziele einer bestimmten Therapie in die Persönlichkeit und die Lebensführung einer Person eingreift, lassen sich nach Birnbacher et al. unterschiedliche Zieltiefen festlegen; vgl. Kottje-Birnbacher, Birnbacher 2000, S. 185.
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die Integrität einer Persönlichkeit zu verletzen, abzuschätzen. Ferner ermöglicht die Benennung von Folgen und Nebenwirkungen einer Therapie in anderen Bereichen der Medizin erst autonome Zustimmung. Sowohl autonome Zustimmung, als auch die Wahrung der Integrität stellen wichtige Kriterien in einer medizinethischen Argumentation dar. Kann man für Nebenwirkungen und Folgen eines Eingriffs keine Wahrscheinlichkeiten benennen, dann wird die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Eingriff unter Ungewissheit gefällt. Entscheidungen unter Ungewissheit stellen eine Untergruppe von Entscheidungen unter Unsicherheit dar und heben hervor, dass zwar das Eintreten einer Situation bekannt ist, allerdings nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit.5 Ist bei einem Eingriff nicht einmal bekannt, dass eine bestimmte unerwünschte Veränderung eintreten kann, dann würde dies eine Entscheidungen unter Ungewissheit an Unsicherheit sogar übertreffen. Es ist zwar nicht unüblich, in der Medizin solche Entscheidungen zuzulassen und auch ethisch zu rechtfertigen. Dennoch müssen diese Unsicherheiten benannt werden, will man nicht gänzlich denkstilimmanent argumentieren. Um es ein wenig boshafter auszudrücken, könnte man in solchen Fällen auch vom »moralischen Glück« sprechen, solange keine nachträglich tragischen Folgen für den Betroffenen auftreten.6 Wenn die Grenzen der intendierten Veränderung und deren Folgen nicht ganz klar verlaufen: Welche Beurteilungsmöglichkeiten hat man dann, um personale Integrität zu wahren? Eine Möglichkeit wäre zu sagen, dass durch den Eingriff die Kernpersönlichkeit wiederhergestellt werden soll. Wenn ein Eingriff gerechtfertigt sein soll, weil er beispielsweise eine Kernpersönlichkeit wiederherstellt, muss jedoch geklärt werden, was genau eine Kernpersönlichkeit ausmacht. Lediglich langfristige, stabile Muster einzubeziehen kann zwar ein Erklärungsansatz für Kernpersönlichkeit sein, aber als primäre Rechtfertigungsgrundlage kann dies meines Erachtens nicht dienen, da der Persönlichkeit damit Optionen zu einer selbstbestimmten Entwicklung ganz neuer Eigenschaften zu stark abgesprochen würden.7
5
Für eine Einführung in Entscheidungstheorie siehe beispielsweise Laux 2007.
6
Zu Ausführungen von »moral luck« bei Nagel siehe Nagel 2008, S. 45 ff. und weiter unten.
7
Zu solchen Rechtfertigungsstrategien für paternalistische Eingriffe siehe Quante 2002, S. 322 ff. Kleinig setzt sich auch mit paternalistischen Handlungen bezo-
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Ähnlich verhält es sich mit Vorstellungen, die ein bestimmtes Idealbild einer Persönlichkeit verfolgen. Sollen zur Erreichung dieses Idealbildes bestimmte Eigenschaften wiederhergestellt oder »installiert« werden, muss zuvor klargestellt werden, auf welcher gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Grundlage dieses Idealbild beruht. Eingriffe in eine Persönlichkeit, die zwar den Körper nicht direkt involvieren, aber ein Idealbild voraussetzen, sind nämlich auch nicht frei von gesellschaftlich formulierten Normen und Denkstilen, was Karl Jaspers auf eingängige Weise beschreibt: »Das Ziel der psychotherapeutischen Bemühungen wird sonst benannt als Gesundheit, als Arbeitsfähigkeit, als Leistungsfähigkeit und Genußfähigkeit (Freud), als Eingliederung in die Gemeinschaft (Adler), als Schaffensfreude, als Glücksfähigkeit. Gerade die Unbestimmtheit und die Vielfachheit der Formulierung zeigt die Frag8
würdigkeit.«
Wird die oben geforderte Klarstellung nicht geleistet und es erfolgen Eingriffe zur Errichtung eines Idealbildes einer Persönlichkeit aufgrund unreflektierter Denkstilmuster, dann kann meines Erachtens weder personale Autonomie noch Integrität hinreichend gewahrt werden. Solange die Orientierung an bestimmten Normen und Denkstilen jedoch benannt wird und die Persönlichkeit in einen solchen (beispielsweise psychotherapeutischen) Eingriff einwilligt, kann sie möglicherweise sowohl ihren verschiedenen Autonomiestufen (siehe Kapitel III und weiter unten) gerecht werden als auch ihre personale Integrität wahren. Dies geschieht, indem sie sich beispielsweise Manipulationen widersetzt, das Maß des über sie Erfahrbaren bestimmt und die Wiederherstellung oder die Neuerlernung bestimmter Eigenschaften ihrer Persönlichkeit im Verlauf des Eingriffs verhindern kann. Dafür ist es wesentlich, dass solche Eingriffe über einen längeren Zeitraum stattfinden, die neu erworbenen Eigenschaften somit im sozialen Umfeld getestet und gegebenenfalls wieder aufgegeben werden können.
gen auf den Charakter auseinander; vgl. Kleinig 1983, S. 200 ff.; siehe auch Kleinig 1983, S. 63 ff. 8
Jaspers 2000, S. 183; Jaspers 1973, S. 671.
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1.2 Ansatz am Körper Betreffen Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit direkt den Körper, dann scheinen die gesetzten Maßstäbe höher zu sein, um die Integrität der Persönlichkeit zu wahren. Dies lässt sich auch an den rechtlichen Forderungen ablesen, die an eine Einwilligung in körperliche Eingriffe erhoben werden. Für solche Eingriffe und die Einwilligung in diese ist es nämlich auf jeden Fall erforderlich, dass die betroffene Persönlichkeit über die potenziellen Konsequenzen und Nebenwirkungen des Eingriffs aufgeklärt wurde (außer sie verzichtet explizit auf diese Aufklärung).9 Dies zeigt bereits einen Unterschied zu den oben diskutierten Eingriffen. Bei diesen ist eine solche Benennung weder zwingend rechtlich erforderlich noch hinreichend möglich. Im Folgenden wird zunächst beschrieben, welche Veränderungen einer Persönlichkeit über einen körperlichen Eingriff vorstellbar sind. Zum einen kommen in der therapeutischen Praxis Eingriffe vor, die über eine körperliche Veränderung zu einer Veränderung derjenigen Eigenschaften einer Persönlichkeit führen sollen, die zuvor unter deren psychischen Funktionen zusammengefasst wurden. Darunter fallen beispielsweise alle aktuellen, den Körper direkt involvierenden Maßnahmen der Psychiatrie, wie der Einsatz von Psychopharmaka oder die Tiefenhirnstimulation.10 Rechtfertigungsstrategien für diese Eingriffe werden zumeist über die Feststellung einer Erkrankung geführt, mitunter auch mit Rückgriff auf die vermeintliche Wiederherstellung eines natürlichen Zustandes oder einer Art Kernpersönlichkeit sowie auf Wünsche höherer Ordnung. Zum anderen können körperliche Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit ausgemacht werden, die zwar mit einer Veränderung psychischer Funktionen einhergehen können (und zumeist auch werden), aber die dies nicht zum Hauptziel haben. Darunter könnten letztlich alle medizinischen Eingriffe, welche die Körpergrenze überschreiten
9
Zu Eingriffen, Einwilligungen und deren juristischen Bedingungen siehe Schroth 2007.
10 Für den Einsatz von Psychopharmaka bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung siehe Schmahl, Bohus 2006; Fiedler 2001. Für den Einsatz von Tiefenhirnstimulation im Rahmen psychiatrischer Störungen siehe Kuhn et al. 2010; Nuttin 2007.
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und nicht schon zu den Fällen weiter oben gezählt werden, verstanden werden. Hier werden allerdings nur diejenigen betrachtet, die einen veränderten Körper als eine veränderte Eigenschaft der Persönlichkeit auffassen und zum Ziel haben. Unter solche Eingriffe fallen beispielsweise Schönheitsoperationen oder Geschlechtsumwandlungen. Diese Veränderungsziele betreffen häufig als gesund angesehene Körper. Zwar könnten auch in diesem Bereich von Eingriffen mitunter psychische Störungen als Motivatoren für einen solchen Eingriff ausgemacht werden,11 allerdings dürfte für die meisten dieser Fälle eine Argumentation zur Rechtfertigung der Eingriffe über das Phänomen der Krankheit sich als schwierig erweisen. Diese eben erwähnten Fälle stellen für ethische Argumentationen tatsächlich große Herausforderungen dar, da es nicht trivial ist, zu entscheiden, ob die Befolgung des Wunsches der betreffenden Persönlichkeit nach der Veränderung beispielsweise eine Wahrung ihrer Integrität oder eine Förderung des Wohlergehens darstellt oder ob dazu die Bewahrung des Körpers in seiner ursprünglichen Form nötig wäre. Vertritt man letzteren Standpunkt, dann ist die Grenze schwer zu finden, ab der eine Unverfügbarkeit des Körpers zu gewährleisten ist. Ist eine Tätowierung bereits ein solcher Eingriff? Welche Rolle spielen die gesellschaftliche Beurteilung der Mittel zur Veränderung und die Denkstilcharakteristika über Phänomene wie Geschlechtsumwandlungen?
2
ABWÄGUNGSMÖGLICHKEIT MITHILFE DER V IER -P RINZIPIEN -E THIK
Eine in der Medizinethik beliebte Methode, um zu einer begründeten Entscheidung hinsichtlich moralisch schwieriger Fragestellungen zu gelangen, besteht darin, zwischen Prinzipien mittlerer Reichweite abzuwägen. Diese Prinzipien sind Autonomie, Nichtschaden, Benefizienz und Gerechtigkeit.12 Es ist zwar keinesfalls unumstritten, ob diese Prinzipien und deren Abwä-
11 Ein Beispiel für als gewöhnlich pathologisch angesehene Wünsche, seinen Körper als Eigenschaft einer Persönlichkeit zu verändern, könnten die sogenannten Body Integrity Identity Disorders sein; hierzu siehe auch Kapitel IV.1 und Müller 2009. 12 Vgl. Beauchamp, Childress 2001, S. 12 ff.
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gung gegeneinander ausreichen, um nicht auch für Fragen der Praxis auf eine Letztbegründung angewiesen zu sein.13 Selbst wenn diese spannende Auseinandersetzung an dieser Stelle nicht hinreichend geführt werden kann, soll dennoch darauf hingewiesen werden, dass die Art und Weise der Verbreitung dieses Abwägungsmodells durchaus bereits Züge eines Denkstils aufweist, was zumindest reflektiert werden sollte. In Kapitel V.5 werden dann auch ethische Überlegungen eingeführt, die auf Theorien basieren, die eine Letztbegründung voraussetzen. In Folge soll zumindest deutlich werden, wie eine Abwägung der Prinzipien mittlerer Reichweite im Fall von Eingriffen zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit angewendet werden könnte. Bei der Beurteilung der Legitimität von Eingriffen in den Körper einer Persönlichkeit zur Verbesserung ihrer Eigenschaften – wie auch in den meisten anderen Fällen moralischer Dilemmasituationen – widerstreben die vier Prinzipien einander. Insbesondere wird eine Abwägung in solchen moralischen Konfliktsituationen zwischen dem Prinzip des Respekts vor Autonomie und dem Benefizienzprinzip häufig von Interesse sein. Das Prinzip der Benefizienz stellt ein anerkanntes Prinzip mittlerer Reichweite in der Medizinethik dar. Inhaltlich wird es häufig eng mit dem Prinzip des Nichtschadens verbunden.14 Unter dem Benefizienzprinzip kann eine moralische Verpflichtung verstanden werden, die Interessen einer Person bzw. einer Personengruppe voranzubringen und zum Wohle anderer zu handeln. Die konkrete inhaltliche Bestimmung des Wohls hängt allerdings unter anderem von der zugrunde liegenden ethischen Position ab. Das Benefizienzprinzip kann beispielsweise im utilitaristischen Modell in die Nähe der Nützlichkeit gebracht werden.15 Demgegenüber kann Benefizienz auch als Pflicht gegenüber anderen im Sinne Kants interpretiert werden. Je nachdem, welcher ethischen Grundposition Folge geleistet wird, ändern sich die berücksichtigten Aspekte und die Verbindlichkeit bzw. die Priorität, die diesem Prinzip zugeordnet werden. Das Prinzip der Schadensver-
13 Zu dieser Auseinandersetzung siehe Rauprich 2005 und Clouser, Gert 2005. 14 Vgl. Beauchamp, Childress 2001, S. 165 ff.; Hildt 2006, S. 157 ff.; nach Beauchamp und Childress hat das Prinzip des Nichtschadens gegenüber dem des Wohltuns nicht nur Verbotscharakter, sondern es kann auch universell und unparteilich angewendet werden; vgl. Rauprich 2005, S. 20. 15 Vgl. Beauchamp, Childress 2001, S. 166.
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meidung stand in der ärztlichen Tradition ursprünglich an höchster Stelle und kann in dem Grundsatz hippokratischer Tradition »Primum nil nocere« verdeutlicht werden.16 Eine Einführung des Prinzips des Nichtschadens kann angebracht sein, wenn es um die Vermeidung von Schäden Dritter oder um den Schutz des Betroffenen geht. Gerechtigkeit, in der »Prinzipienethik« verstanden als Verteilungsgerechtigkeit, kann sowohl mit dem Prinzip der Benefizienz als auch mit dem der Autonomie in Konflikt stehen. Autonomie wird dort sowohl negativ, als Abwesenheit von Zwang, als auch als »positives Recht auf Förderungen der Entscheidungsfähigkeit« verstanden.17 Bevor auf die einzelnen Prinzipien und deren Zusammenhang mit der Fragestellung der Arbeit näher eingegangen wird, werden in Folge verschiedene Möglichkeiten skizziert, wie die Prinzipien hier in Konflikt geraten könnten. Will man primär Schaden von Dritten abwenden, kann bezüglich Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche Dritte gefährden könnten, argumentiert werden, dass diese Eigenschaften per Eingriff beseitigt werden sollten. Dies würde aber die positive und negative Selbstbestimmung der vom Eingriff Betroffenen beeinträchtigen. Eine Abwägung zwischen diesen beiden Prinzipien wird notwendig. Die Entscheidung für eines dieser Prinzipien hängt wiederum von vielen Faktoren ab. Welches Autonomieverständnis wird zugrunde gelegt? Werden die Betroffenen aufgrund des Autonomieverständnisses als nicht einwilligungsfähig eingestuft? Wenn der Eingriff bei der betroffenen Persönlichkeit keinen Schaden anrichten soll, dann muss geklärt werden, was für die Persönlichkeit einen Schaden bedeuten könnte. Ebenso kann hier ein Konflikt mit dem Prinzip der Autonomie offensichtlich werden. Die Autonomie der Persönlichkeit weist im Rahmen der Abwägung von Prinzipien mittlerer Reichweite eine Art Doppelrolle auf. Sie kann zum einen im standesethischen, sittlichen oder auch pragmatischen Sinne, aber auch als weit gefasstes Autonomieprinzip verstanden werden. Letzteres enthält auch Ansprüche, die dem Schutz der körperlichen und psychischen Integrität genauso gelten wie dem Verbot der Instrumentalisierung einer Person.18 Daraus erwächst nicht nur ein potenziell höheres Gewicht des Autonomieprinzips als des Prinzips der
16 Frei übersetzt bedeutet es so viel wie »zuerst einmal nicht schaden«. 17 Vgl. Marckmann 2000, S. 74. 18 Vgl. Vossenkuhl 2007, S. 12.
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Schadensvermeidung.19 Ebenso kann daraus resultieren, dass die Wahrung von Autonomie Bestandteil des Nichtschadens sein kann. Das Prinzip der Gerechtigkeit spielt in die Abwägungen ebenfalls hinein, wenn die Güter zur Verbesserung der Eigenschaften einer Persönlichkeit begrenzt sind. Verstärkt rückt dieses Prinzip in den Fokus, wenn die Grenzen zwischen einer Heilbehandlung und Eingriffen im Sinne des Enhancements verschwimmen. Zwar kann es dem Prinzip der Benefizienz entsprechen, wenn Eingriffe zum Ziel des Enhancements vorgenommen werden sollen. Die Eingriffe können unter Umständen auch allen Kriterien des Prinzips der Selbstbestimmung gerecht werden. Dennoch ist es gleichzeitig möglich, dass die Eingriffe an sich zu kostspielig sind oder sich zu viele diesen Eingriff wünschen und somit der Eingriff zu einem mangelnden Gut wird. Die Vormachtstellung des Nichtschadensprinzips, aber auch des Benefizienzprinzips, hat gegenüber dem Prinzip des Respekts vor Autonomie seit dem hippokratischen Eid an Deutlichkeit verloren. Für diesen Verlust kann man zum einen den viel diskutierten Wertepluralismus, zum anderen die rasant voranschreitende Entwicklung der technischen, diagnostischen, therapeutischen und präventiven Möglichkeiten in der Medizin verantwortlich machen. Durch die Entwicklungen in der Medizin steht plötzlich eine fast unüberschaubare Menge an Therapieoptionen zur Verfügung, inklusive deren Nebenwirkungen. Damit führen diese aber auch zu der Notwendigkeit, sich für die am meisten der Benefizienz entsprechende und am wenigsten schädliche Methode zu entscheiden.20 Ein weiterer Sachverhalt wird durch Rössler ausgedrückt: »Strittig ist diese Frage auch im einzelnen Fall: Verändern sich die Kriterien für Fürsorge und Unschädlichkeit je nach der Persönlichkeit des Patienten?«21 Ein weit diskutierter Konflikt zwischen dem Prinzip der Benefizienz und dem der Autonomie wird bei der Betrachtung paternalistischer Handlungen sichtbar. Paternalistische Handlungen drücken sich einerseits zumeist in irgendeiner Form von Gewalt, Zwang oder Vorenthaltung von In-
19 Vgl. Vossenkuhl 2007, S. 12 f. Vossenkuhl weist darauf hin, dass auch dem Prinzip des Schädigungsverbots ein allgemeiner Würdeschutz der Person immanent ist. 20 Vgl. auch Rössler 1991. 21 Rössler 1991, S. 74.
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formationen aus und können gemeinhin als die Restriktion autonomer Handlungen definiert werden.22 Andererseits stellen sie den Versuch dar, Schaden zu verhindern und Benefizienz walten zu lassen. Eine etwas weiter gefasste Definition von Paternalismus würde auch die Überstimmung nicht autonomer Entscheidungen inkludieren.23 Diesem umfassenderen Begriff nach wäre Paternalismus zu definieren als: »[…] the intentional overriding of one persons known preferences or actions by another person, where the person who overrides justifies the action by the goal of benefiting or avoiding harm to the person whose preferences or actions are overridden.«24
Feinberg unterscheidet in einen schwachen und einen starken Paternalismus. Schwacher Paternalismus würde eine substanziell nicht autonome Entscheidung in eine andere Richtung als von der Person gewählt beeinflussen. Damit wäre beispielsweise gemeint, dass eine Person nicht adäquat informiert ist oder ein Suchtverhalten die autonome Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt.25 Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie würden im Sinne Feinbergs einen schwachen Paternalismus darstellen, da diese Personen bereits durch die Erkrankung in ihrer Autonomieausübung eingeschränkt wären. Will hingegen eine als psychisch gesund beurteilte Persönlichkeit ihre psychischen Eigenschaften ohne medizinische Notwendigkeit und mit Mitteln verändern, die beispielsweise einen massiven körperlichen Eingriff und weitreichende Nebenwirkungen nach sich ziehen würden, dann würde dies aktuell zumeist zu einer Ablehnung seitens des Arztes führen. Die Ablehnung würde mit dem Prinzip der Benefizienz begründet werden, obwohl es sich um eine autonome Person handelt. In diesem Fall würde eine stark paternalistische Handlung vorliegen. An diesen Beispielen wird vielleicht schon deutlich, dass die beschriebenen Prinzipien so stark in Konflikt geraten können, dass es mitunter angebracht scheint, weitere Kriterien heranzuziehen. Die hinzugezogenen
22 Vgl. Beauchamp, Childress 2001, S. 178. 23 Vgl. Kleinig 1983, S. 8 f. 24 Beauchamp, Childress 2001, S. 178. 25 Vgl. Feinberg 1986; zu Grenzen und Problemen des schwachen bzw. weichen Paternalismus siehe Mayr 2010; Gutwald 2010.
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Kriterien wie etwa das Vorhandensein von Krankheit, können jedoch auch zusätzliche Probleme aufwerfen. Zum Teil – wie im Fall des Kriteriums psychische Krankheit – sind sie stark von Denkstilen geprägt. Selbst wenn die Abwägung mithilfe der Vier-Prinzipien-Ethik nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führt – wie wir noch sehen werden – und häufig den Rückgriff auf andere Theoriebausteine oder Kriterien zu benötigen scheint, kann sie zumindest meist etwas dazu beitragen, bestimmte Prämissen zu präzisieren oder Argumentationen zu strukturieren und somit Entscheidungen zu erleichtern. Deshalb werden in Folge die einzelnen Prinzipien als ein gewisser Leitfaden weiterer Überlegungen verwendet. Für ethische Argumentationen wird besonders häufig Autonomie bemüht, um verschiedene Formen von Eingriffen zur Veränderung der Persönlichkeit, insbesondere im Bereich psychischer Störungen, zu rechtfertigen. Aus diesem Grund wird in Folge dieser Aspekt ethischer Überlegungen zuerst etwas näher betrachtet.
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AUTONOMIE
ALS
ARGUMENTATIONSGRUNDLAGE
Folgt man bei Eingriffen zur Veränderung der Persönlichkeit dem ethischen Gebot, Selbstbestimmung zu gewährleisten, dann scheinen alle Eingriffe erlaubt, solange die betroffene Person zugestimmt hat. Was kann man normativ überhaupt gegen Eingriffe einwenden, solange die Person zustimmt? Prinzipiell hängt die Antwort auf diese Frage davon ab, welche Wertigkeit wir in einer moralphilosophischen Theorie der Selbstbestimmung beimessen. Theorieunabhängig scheint ein Einwand gegen Eingriffe mit Zustimmung vorzuliegen, wenn die Selbstbestimmung eingeschränkt ist. Eine solche Einschränkung kann – wie später noch diskutiert wird – bereits vorliegen, wenn die gesellschaftliche Bedingtheit von Veränderungswünschen in die Betrachtungen hineingezogen wird. Gesellschaftliche Einflüsse prägen nämlich, wie im Falle von Schönheitsoperationen leicht ersichtlich ist, häufig auch die Entstehung von Veränderungswünschen körperlicher Natur. Damit sind solche Eingriffe nicht per se nicht selbstbestimmt, die Selbstbestimmung kann jedoch durch solche Einflüsse bereits stark eingeschränkt sein. Nach diesen einleitenden exemplarischen Bemerkungen dazu, was einen absoluten Vorrang des Autonomieprinzips reduzieren kann, werden im
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Folgenden verschiedene Argumentationsstrategien aufgezeigt, die bei medizinischen Eingriffen in die Persönlichkeit auf Autonomie basieren. 3.1 Verbesserung der Autonomiefähigkeit Sieht man in der Praxis beispielsweise die Leiden der von einer Persönlichkeitsstörung Betroffenen, neigen die meisten dazu, jede bestehende Therapieoption auszuschöpfen und bei diesen Personen eine Besserung ihrer Symptome zu erzielen. Ebenso scheint es für den Praktiker selbstverständlich, weitere Forschungen zur Verbesserung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zu befürworten. Eine ethische Auseinandersetzung, die zu einer kritischen Einschätzung dieses Sachverhalts führt, dürfte auf die meisten Kliniker geradezu abwegig wirken. Wehren sich Patienten mit psychischen Erkrankungen gegen bestimmte Therapien, dann kann in bestimmten Fällen immer noch argumentiert werden, dass bei diesen Patienten die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht vorhanden sei. Selbst wenn nicht gegen den ausdrücklichen Willen psychisch kranker Patienten gehandelt wird, dann stellt die Annahme, man könne durch Therapien die Autonomiefähigkeit bei psychisch Kranken erhöhen, eine viel verbreitete Annahme und Rechtfertigungsstrategie für Eingriffe zur Veränderung der Persönlichkeit dar. In diesem Kapitel wird zunächst exemplarisch für Persönlichkeitsstörungen gezeigt, mit welchem Verständnis von Autonomie eine eingeschränkte Autonomie in der Praxis angenommen werden könnte. Dazu werden ebenfalls hypothetische Prämissen aufgestellt, die Kliniker bei ihren Urteilen über eingeschränkte Autonomiefähigkeiten leiten könnten. Die Schilderungen werden der Übersichtlichkeit halber zwar am Beispiel von Persönlichkeitsstörungen durchgeführt, sie ließen sich allerdings ebenfalls auf viele andere Phänomene der Praxis übertragen, bei denen eine Einschränkung der psychischen Funktionsfähigkeit festgestellt wird. Zunächst einige Worte zu Autonomie im Allgemeinen. Freiheit, eine oft gebrauchte Begrifflichkeit für Autonomie, zeichnete in der Antike gewisse Personen aus, die im Gegensatz zu den Sklaven um ihrer selbst willen vor Unterdrückung geschützt und mit gleichwertigen politischen Rechten ausgestattet lebten. Autonomie in dieser Weise verstanden lässt sich durch Eingriffe zur Persönlichkeitsveränderung kaum erhöhen. Die politische Freiheit kann bis heute verstanden werden als Freiheit von
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fremder Gewalt, wird also, vereinfacht gesagt, negativ bestimmt, die persönliche Autonomie dagegen weist in eine Richtung, in der man seinem Tun selbst einen bestimmten Inhalt gibt, also selbstbestimmt handelt.26 Für den Begriff der Autonomie wird im Gegensatz zum Begriff der Freiheit häufig die reflektierte Selbstbestimmung hervorgehoben. Wird Autonomie als politisches, gesellschaftliches Ideal verstanden, ist eine maximale Verwirklichung wegen vielfältiger Zwänge und Einflüsse des Lebens kaum zu erwarten.27 Es ist jedoch durchaus vorstellbar, dass einzelne Eingriffe Autonomie, verstanden als zweckrationale Autonomie, verbessern können. Damit ist gemeint, dass die therapierten Personen wieder oder erst in die Lage versetzt werden, ihre selbst gesetzten Ziele in einer zweckrationalen Art und Weise zu verfolgen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, im Sinne des informed consent in bestimmte Eingriffe einzuwilligen. Es kann beispielsweise sein, dass die Person erst durch die Therapie Informationen verstehen und verarbeiten kann. Wie später erläutert wird, gilt eine solche Autonomieverbesserung aber nur so lange, bis die Autonomiegenese ebenfalls beachtet wird. 3.1.1 Zweckrationale Autonomie Um die weiteren Überlegungen zu möglichen Annahmen einer Autonomieeinschränkung nachvollziehbarer zu machen, werden nun potenzielle Prämissen vorgestellt, die bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen leitend sein könnten. Die Hauptprämisse eines Persönlichkeitsstörungen (oder andere psychische Erkrankungen oder von anderen Einschränkungen psychischer Funktionsfähigkeiten Betroffene) behandelnden Psychiaters oder Psychologen ist mit großer Sicherheit eine inhaltlich der Hilfestellung gegenüber den Leiden dieser Personen zugewandte.28 Die Hauptprämisse (HP) könnte beispielsweise lauten:
26 Vgl. Höffe 2002, S. 67 f. 27 Vgl. Hildt 2006, S. 50 ff. 28 An dieser Stelle kann nicht auf die einzelnen Wissenschaftsbereiche, die sich mit der Persönlichkeit beschäftigen, eingegangen werden. Gemeint sind hier also zunächst Psychotherapeuten jeglicher Couleur, Psychologen, Psychiater und andere Wissenschaftler aus dem Bereich der Neurowissenschaften, die sich mit der Persönlichkeit beschäftigen.
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»Menschen, die unter ihrer eigenen Persönlichkeit leiden und die freiwillig oder im Falle von Selbst- oder Fremdgefährdung unfreiwillig in Behandlung gelangen, sollte geholfen werden.«
Diese Hauptprämisse lässt sich in viele weitere Bestandteile zergliedern. Fokussiert man dabei auf Aspekte von Autonomie und versteht diese Aspekte als Teil der Persönlichkeit, dann kann in den Zuständen psychischer Krankheit auch die Verminderung rationaler Fähigkeiten der Persönlichkeit betont werden. Mit dem Argument der Nichtrationalität lassen sich dann sowohl Krankheitszuweisungen als auch paternalistische Eingriffe in die Persönlichkeit rechtfertigen. Die fürsorgliche Haltung dem Patienten gegenüber bekommt nämlich in der Praxis besonderes Gewicht und rechtfertigende Kraft, wenn die Einwilligungsfähigkeit des Patienten aufgrund seiner nicht intakten Rationalität eingeschränkt zu sein scheint. Man kann hierfür erneut Prämissen formulieren, die diesen Sachverhalt im Sinne eines Praktikers hypothetisch wiedergeben könnten. »Einer Persönlichkeit, die ihre Wünsche und ihre Ziele nicht in einer rationalen Weise verfolgen kann und darunter oder zudem an einer psychischen Erkrankung leidet, sollte geholfen werden.« (Teilprämisse 1, TP 1) »Eine Persönlichkeit kann in bestimmten Phasen ihrer psychischen Erkrankung im Sinne der Fürsorge auch gegen ihren Willen behandelt werden, da ihre Fähigkeit zur Rationalität bzw. ihre Autonomiefähigkeit vermindert ist.« (Teilprämisse 2, TP 2)
Die Annahme der praktischen Seite wäre bei TP 2 demnach, dass Autonomie bereits durch die Erkrankung eingeschränkt ist. Für TP 2 ist aber bedeutsam, welches Autonomieverständnis zugrunde gelegt wird. Ist es zweckrationale Autonomie, dann wird TP 2 je nach Verständnis von zweckrationaler Autonomie, aber meist wohl bei ganz wenigen psychiatrischen Krankheitsbildern zutreffen. Personen mit einer Persönlichkeitsstörung sind beispielsweise meist in der Lage, Informationen zu verstehen und zu verarbeiten. Auch etliche Patienten in einem psychotischen Zustand dürften hierzu noch in der Lage sein. Für letztere Gruppe von Patienten dürften jedoch andere Rationalitätskriterien häufig nicht zutreffen. Jedenfalls wird hier ersichtlich, dass sowohl für TP 2 (solange sich dort Autono-
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mie auf zweckrationale Autonomie bezieht)29 als auch für TP 1 notwendig ist zu klären, was unter Rationalität verhandelt wird. Es reicht nicht, dabei auf die empirische Prüfung der Einwilligungsfähigkeit zu verweisen, denn auch diese unterliegt bestimmten Annahmen des Denkstils und ist nicht notwendigerweise unbeeinflusst von bestimmten Interessen. Neben vielen kritischen Stimmen zu der empirischen Testung der Einwilligungsfähigkeit gibt es beispielsweise auch Hinweise, dass die Tests eher angewendet werden, wenn Patienten in Therapien nicht einwilligen.30 Es lässt sich jedenfalls aus den TP 1 und 2 ableiten, dass sie für Persönlichkeitsstörungen nicht notwendigerweise zutreffen, solange lediglich zweckrationale Autonomie gemeint ist. Damit sie für diese Krankheitsbilder zutreffen, bedarf es eines Verständnisses von authentischer Autonomie, wie weiter unten noch diskutiert wird. Hier gilt es zunächst, einige Möglichkeiten aufzuzeigen, was mit Rationalität gemeint sein kann, wenn angenommen werden soll, dass ein Mangel an Rationalität Autonomie vermindern kann. Es geht hier nicht darum, ein bestimmtes Verständnis oder einen Aspekt von Rationalität als richtig auszuweisen. Vielmehr soll die Aufzählung dazu dienen, in praktischen Kontexten darüber reflektieren zu können, was eigentlich gemeint ist, wenn TP 1 oder 2 in ähnlicher Form ausgesprochen wird. Damit soll sie reflexhaften Denkstilmustern in solchen Aussagen und damit verbundenen Rechtfertigungsstrategien entgegenwirken. Als rational gilt eine Person gemeinhin dann, wenn ihre Entscheidungen von rationalen Gründen abhängig sind, d. h. gute Gründe bieten, und sich somit ein Wunsch aus den sonstigen Einstellungen ergibt.31 »Rationalität impliziert also einen gewissen Holismus der propositionalen Einstellungen.«32 Dieser Aspekt weist am meisten in Richtung authentischer Autonomie. Es können sich aber neben diesen Aspekten von Rationalität mehrere notwendige Bedingungen für Autonomie ergeben, die mit Rationalität verbunden sind. Die Bedingung der Konsistenz fordere, dass der proposi-
29 Es wird noch zu sehen sein, dass bei TP 2 meist Bezug auf authentische Autonomie genommen wird. 30 Hierzu siehe z.B. Helmchen 1986; ein bekanntes Testverfahren ist das MacArthur Competence Assessment Tool-Treatment (MacCat-T); eine Studie hierzu siehe Vollmann et al. 2003. 31 Vgl. Baumann 2000, S. 187. 32 Baumann 2000, S. 187.
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tionale Gehalt eines Wunsches logisch und semantisch konsistent sei, die Wünsche aus logischen und semantischen Gründen miteinander verträglich seien, die jeweilige Person nicht indifferent bezüglich der Optionen sei und die Person praktische Überlegungen durchführe.33 Diese Forderungen lassen sich bei der Einwilligung in medizinische Eingriffe wiederfinden.34 Es kann für Eingriffe zur Veränderung der Persönlichkeit aber auch rational sein, eine Revidierbarkeit zu fordern, da man die neue Eigenschaft womöglich nicht hinreichend antizipieren kann. Für Rationalität kann es ebenfalls von Bedeutung sein, für die Verwirklichung von Zielen die besten Mittel zu wählen.35 Für die Beurteilung des Vorhandenseins eines Autonomieverlustes aufgrund von Rationalitätsverlust kann es wesentlich sein, wie die Motivation zu dieser Mittelwahl erfolgt.36 Die Frage, ob Motivationen existieren, die per se rational sind, würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Angenommen, für die Beurteilung von Autonomiefähigkeit in der Praxis ist die Wahl der Mittel ausschlaggebend, die eine Person trifft, um ihren Wunsch zu verwirklichen. Dann sollte bei der Beurteilung nicht nur überlegt werden, ob der Wunsch von gesellschaftlichen Faktoren und Denkstilcharakteristika geprägt oder motiviert wurde, sofern man nicht in einem denkstilgeprägten Circulus vitiosus verharren möchte. Ebenso sollte in einem solchen Fall die Wahl der Mittel an sich und deren Beurteilung auf ihren gesellschaftlichen Kontext hin untersucht werden. Die Wahl der Mittel und deren Beurteilung sind nämlich auch von wissenschaftlichen Denkstilen und gesellschaftlichen Normen abhängig. Welches Mittel als rational beurteilt wird, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen, unterliegt gerade bei Veränderungen der Persönlichkeit historisch gesehen starken wissenschaft-
33 Vgl. Baumann 2000, S. 189 ff. 34 Zur informierten Einwilligung in medizinische Eingriffe siehe juristisch betrachtet bei Schroth 2007 und medizinethisch bei Beauchamp, Childress 2001, Kapitel 3. 35 Vgl. Baumann 2000, S. 191 ff. 36 Für eine Einführung in die Motivationspsychologie siehe Heckhausen et al. 2005. Unter intrinsisch motiviert werden in der Psychologie gemeinhin jene Tätigkeiten verstanden, bei denen der Antrieb im Vollzug selbst liegt, im Gegensatz zu denen, wo es eines extrinsischen Motivs bedarf; vgl. Heckhausen et al. 2005, S. 333.
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lichen und gesellschaftlichen Schwankungen. Um bestimmte Eigenschaften an sich zu verändern, macht es einen deutlichen Unterschied bei der Mittelwahl, ob man sich beispielsweise an einen Geistlichen oder an einen Psychotherapeuten wendet oder Psychopharmaka oder Tiefenhirnstimulation anwendet. Eingriffe zur Veränderung einer Persönlichkeit können nach dem Gesagten durchaus, ähnlich wie in den hypothetischen Prämissen TP 1 und 2, durch einen Rückgriff auf verminderte Autonomie im Krankheitsfall im Sinne zweckrationaler Autonomie gerechtfertigt werden. Dabei muss aber offenbart werden, auf welche Aspekte von Rationalität dabei rekurriert wird. Daneben sollte bei einer solchen Rechtfertigungsstrategie beachtet werden, dass die einzelnen Komponenten von Rationalität denkstilabhängig sind. Ferner ist die Schwierigkeit, zweckrationale Autonomie empirisch zu erfassen – gerade bei psychiatrischen Krankheitsbildern – zu beachten. 3.1.2 Einklang mit dem eigenen Lebenskonzept Eine weitere Prämisse, die in der Hauptprämisse implizit enthalten sein bzw. genutzt werden kann, um diese zu rechtfertigen, könnte folgendermaßen lauten: »Ist die Persönlichkeit phasenweise oder dauerhaft in einer Weise verändert, die sie als quälend erlebt,
ist
der
Urzustand oder
ein
erstrebter Idealzustand
(wieder-)herzustellen.« (Teilprämisse 3, TP 3)
Diese Annahme bereitet auf der Ebene des Persönlichkeitsverständnisses bereits einige Schwierigkeiten. Sie impliziert zum einen ein Persönlichkeitsverständnis, das von einer Art Wesenskern der Persönlichkeit ausgeht. Zwar wurden zuvor Strukturen der Persönlichkeit angenommen, die relativ zeit- und kontextstabil existieren. Die Annahme eines Kerns oder einer Kerneigenschaft, die sich nicht verändert und zu der man in diesem Sinne zurückkehren könnte, wurde allerdings abgelehnt. Zum anderen lässt Prämisse TP 3 die Schlussfolgerung zu, dass es für kommunizierte Eigenschaften einer Persönlichkeit einen Idealzustand gäbe. Dies mag für den Einzelnen tatsächlich so erscheinen, die Wertgeladenheit einer solchen Annahme und der daraus resultierenden Mittel zu ihrer Umsetzung darf dabei jedoch nicht vernachlässigt werden. Ein Wunsch nach Veränderung der Persönlichkeit hin zu einem bestimmten Ideal wird im Kontext der psychiatrischen
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Behandlung vermutlich anders ausfallen als im Priesterseminar. Dabei könnte ausschlaggebend sein, dass Wünsche und Begehren auch immer das Begehren des anderen sind, wie wir spätestens seit Jacques Lacan wissen.37 Die Ausrichtung der Wünsche an gesellschaftlichen Vorgaben ist aber auch immer ein Resultat des aktuellen wissenschaftlichen Denkstils. Jenseits dieser Bemerkungen zu der hypothetischen Prämisse TP 3 kann diese auch im Hinblick auf deren Autonomieverständnis betrachtet werden. Sie könnte folgendermaßen umformuliert werden: »Gefährden Gefühle und Handlungen einer Persönlichkeit im Allgemeinen oder in bestimmten Phasen ihre ¿Wünsche höherer Ordnung¾, sollte dieser Persönlichkeit durch eine Veränderung ihrer Handlungen und Gefühle geholfen werden, ihre Wünsche höherer Ordnung zu verwirklichen.«38 (Teilprämisse 4, TP 4)
Die von TP 3 zu TP 4 veränderte Prämisse enthält weitere Voraussetzungen, die benannt werden müssen. Es ist erstens nicht selbstverständlich, Gefühle als etwas Beherrschbares zu betrachten. Dennoch wurde diese Formulierung für TP 4 gewählt, da in der Behandlungsbegründung der meisten als pathologisch erachteten Persönlichkeiten diese Voraussetzung implizit beinhaltet ist. Ebenso ist es nicht selbstverständlich, die Verwirklichung von Wünschen höherer Ordnung mit dem Erreichen des Ur- bzw. Idealzustandes von Persönlichkeiten gleichzusetzen, wie bei der Umwandlung von TP 3 zu TP 4 geschehen. Diese Gleichsetzung ist jedoch an dieser Stelle sinnvoll, da in der Praxis ein Wunsch nach einem Ur- oder Idealzustand der Persönlichkeit zumeist als ein Wunsch höherer Ordnung aufgefasst werden kann. Dabei kann es sich beispielsweise um den Wunsch handeln, weniger negative Gefühle zu entwickeln, um dann mehr Energie für Aktivitäten zu haben oder um glücklicher zu sein (Wunsch höherer Ordnung). Der Wunsch nach der Ur- oder Idealpersönlichkeit wäre in diesem Fall als der nach einer glücklichen, aktiven Persönlichkeit zu kennzeichnen. Ebenso kann beispielsweise angestrebt werden, mit einem impulsiven Verhalten aufzuhören, um mehr Freunde zu haben (Wunsch höherer Ordnung). Demnach wäre das Ur- oder Idealbild dieser Persönlichkeit das einer ausgegli-
37 Vgl. Evans 2002, S. 56; Lacan 2007; Deleuze, Guattari 1995. 38 Zu Wünschen höherer Ordnung siehe weiter unten und Kapitel III.
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chenen, sozial beliebten Persönlichkeit. In ähnlicher Form ließen sich sowohl die meisten Aussagen von Hilfesuchenden als auch die Diagnosekriterien von Persönlichkeitsstörungen umformulieren. Demnach kann bei einem Autonomieverständnis, das mit Wünschen höherer Ordnung operiert und zuvor als authentische Autonomie benannt wurde, durchaus eine Autonomieverminderung bei psychischen Erkrankungen konstatiert werden. Die Frage ist, ob diese Verminderung ausreicht, um Eingriffe zur Verbesserung von Autonomie in diesem Sinne zu rechtfertigen. Zunächst aber etwas genauer zu einer solchen – in Kapitel III bereits kurz skizzierten – Autonomiekonzeption. Nimmt man einen Autonomieverlust von Personen in der Form von TP 4 an, also durch eine Nichtverwirklichung von Wünschen höherer Ordnung, dann wird ein hierarchisches Modell als Grundlage von Autonomie ersichtlich. Bei einer hierarchischen Konzeption als Autonomieverständnis ist eine Identifikation mit den eigenen Wünschen von wesentlicher Bedeutung. Ebenso ist für eine solche Konzeption von Autonomie die Struktur des Willens relevant.39 Eine kritische Reflexion der Wünsche und Vorstellungen erster Stufe ist ebenso erforderlich wie eine Umsetzungsfähigkeit der Wünsche höherer Ordnung.40 Bei Persönlichkeitsstörungen beispielsweise kann davon ausgegangen werden, dass eine effektive Umsetzung der Volitionen höherer Stufe nicht immer gelingt.41 Möchte jemand als langfristiges Ziel sein impulsives Verhalten nicht mehr an den Tag legen (Wunsch höherer Ordnung), kann er durch seine Persönlichkeitsstruktur bzw. durch den aktuellen Wunsch, seinen Impuls auszuagieren (Wunsch niedrigerer Ordnung), an der Umsetzung des Wunsches höherer Ordnung gehindert werden. Analysiert man dieses Misslingen, könnte bei dem Agenten des Misslingens von einem Verlust oder von einer Verminderung von Autonomie gesprochen werden. Gleichwohl findet dabei keine Berücksichtigung, dass Wünsche erster Ordnung bei dem Beispiel von Persönlichkeitsstörungen langfristigen Charakter besitzen und die Beurteilung dessen, was als höhere Ordnung angegeben wird, nicht von gesellschaftlichen Einflüssen entkoppelt werden
39 Vgl. Baumann 2000, S. 177. 40 Vgl. Dworkin 1988, S. 108. 41 In dieser Arbeit wird keine Differenzierung zwischen Volitionen und Wünschen vorgenommen.
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kann. Ähnlich diesem Einwand wurden Bedenken gegen hierarchische Modelle von Autonomie im Allgemeinen geäußert. Ein Einwand betrifft die mangelnde Klarstellung des Zusammenhangs zwischen Rationalität und Autonomie. Zudem könnte ein Regressproblem vorliegen. Wünsche zweiter Stufe könnten sich außerdem als Wünsche erster Stufe entpuppen. Inhalt und Quelle der Wünsche bleiben ebenso ungeklärt. Letztere könnte auch durch Manipulation zustande gekommen sein.42 Diese Möglichkeit ist interessant, wenn die Autonomiegenese als wesentlicher Aspekt von Autonomie in den Vordergrund rückt. Ist ein Wunsch höherer Ordnung primär Resultat von Denkstileinflüssen und gesellschaftlichen Normen, dann muss dies zwar dem Autonomiegedanken nicht unbedingt widersprechen, da eine unbeeinflusste Autonomieentwicklung kaum vorstellbar ist. Die Einflussfaktoren und Erwartungshaltungen, die jene Wünsche prägen, sollten jedoch zumindest offengelegt werden. Der Inhalt von Wünschen ist wiederum für die in Kapitel III vorgestellte Universalisierungsautonomie relevant. Um dieser Form von Autonomie gerecht zu werden, müsste die Persönlichkeit nicht nur nach ihren Wünschen höherer Ordnung handeln, sondern zusätzlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den eigenen Handlungsmaximen auf deren Verallgemeinerbarkeit hin führen. Dies scheint zunächst zu viel verlangt, gerade wenn es um psychische Erkrankungen geht. Es ist jedoch keineswegs abwegig, diese Überlegungen als Handlungsgrundlage zu fordern, wenn man die philosophiegeschichtliche Tradition betrachtet. Den Ausführungen zur authentischen Autonomie folgend, ist es zwar häufig möglich, von einem Autonomieverlust oder der Verminderung der Autonomiefähigkeit bei einer Persönlichkeit mit einer psychischen Erkrankung zu sprechen. Jedoch sollte dabei stets bedacht werden, welchen Einwänden dieses Autonomiemodell ausgesetzt ist. Dies gilt umso mehr, wenn damit Eingriffe zur Autonomieverstärkung durch Persönlichkeitsveränderung gerechtfertigt werden sollen. Ein Punkt wurde in der Darstellung noch nicht explizit behandelt. Um die Wünsche höherer Ordnung zu verwirklichen, bedarf es unter Umständen einer Erweiterung der Fähigkeiten der Persönlichkeit. Diese Erweiterung kann zwar weiterhin denkstilgeleitet sein, aber sie eröffnet neben der Wunscherfüllung höherer Ordnung womöglich auch ganz neue Handlungs-
42 Vgl. Baumann 2000, S. 156 ff.; Frankfurt 2001, S. 10 ff., 20 ff.; Quante 2002.
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spielräume, die weder vom Denkstil vorhergesehen noch erwünscht sind. Um neue Fähigkeiten zu erwerben, ist es ganz ähnlich dem zuvor Geschilderten notwendig, sich der eigenen Fähigkeiten bewusst zu werden und diese in Bezug zu den eigenen Zielen zu verändern. Selbst wenn die Bedingungen (wie etwa ein Denkstil) nicht alle verändert werden können, kann diesen manchmal bereits durch Reflexion in bestimmten Situationen ein anderes Gewicht verliehen werden.43 Verändern sich durch die neuen Fähigkeiten zudem unwillkürlich die Spielräume der Persönlichkeit, ist zumindest die zuvor angesprochene Denkstilgebundenheit ein wenig aufgebrochen. Die Veränderung der Spielräume der Persönlichkeit durch Reflexion und den Erwerb neuer Fähigkeiten gehört gleichermaßen auch zu den impliziten Zielen der Psychologie bzw. der Psychiatrie. So sind beispielsweise die Fähigkeiten von Persönlichkeiten, welche die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung aufweisen, in bestimmten Situationen eine große Variation emotionaler und kognitiver Bewältigungsstrategien umzusetzen, im Vergleich zu anderen Personen vermindert. Dies kann entweder als Resultat langer Lernprozesse, die eine Entwicklung vielfältiger Strategien verhinderten, als Resultat traumatischer Erfahrungen, als Resultat biologischer Prozesse oder als Resultat eines Zusammenspiels all dieser und anderer Faktoren erachtet werden. In therapeutischen Prozessen geht es häufig darum, verhinderte Fähigkeiten neu oder wieder zu erlernen. Damit wachsen automatisch die Spielräume dieser Persönlichkeiten. Dennoch gelten auch hier die Einwände, die zuvor für die authentische Autonomie skizziert wurden. Einflüsse des Denkstils auf die Notwendigkeit und Art der Fähigkeitsveränderung (zum Beispiel durch Eingriffe in die Persönlichkeit) sollten zumindest benannt werden. Dies wird besonders deutlich, wenn die Autonomiegenese betrachtet wird. 3.1.3 Autonomiegenese Nimmt man auf Basis der zuvor dargelegten Bedingungen für Autonomie eine Verminderung der Autonomiefähigkeit bei bestimmten psychischen Erkrankungen an, scheint eine Therapie zur Verbesserung von Autonomie der jeweiligen Persönlichkeit gerechtfertigt. Im Rahmen einer Therapie kann die Verbesserung der Autonomiefähigkeit einer Persönlichkeit sowohl
43 Vgl. Vossenkuhl 2006, S. 216 ff.
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als instrumentelles als auch als finales Ziel erstrebt werden.44 Die Problematik einer solchen Rechtfertigungsstrategie im Hinblick auf die Autonomiegenese wird besonders deutlich, wenn Eingriffe präventiv zur Förderung von Autonomie vorgenommen werden bzw. wenn für einen späteren potenziellen Autonomiezugewinn auf die Ausübung der Autonomie verzichtet wird. Die mögliche Problematik der Autonomiegenese lässt sich am folgenden Beispiel verdeutlichen: »Auch eine ansonsten ethisch schätzenswerte Persönlichkeit wie die Mutter Teresa wird nicht als hinreichend für personale Autonomie gelten können, wenn die Weise der Erzeugung dieser Persönlichkeit manipulativ vonstatten gegangen ist.«45
Dieses Zitat offenbart das Problem, dass eine Identifikation mit Wünschen und Handlungen auch lediglich auf einer Manipulation beruhen könnte. Unter Manipulation werden gemeinhin Handlungen verstanden, die Handlungen anderer Personen meist in einer nicht offenen Weise beeinflussen oder lenken sollen. Man kann sich dabei fragen, ob nicht alle Wünsche in irgendeiner Form einer von früh an beginnenden sozialen Beeinflussung unterworfen sind. Aber selbst wenn man in dieser allgemeinen Form von Beeinflussung für das Zusprechen von Autonomie keinen Widerspruch sieht, können ausgeprägtere Manipulationen Autonomiegenese behindern.46 Die Frage, die sich dabei stellt, ist, welche Manipulationen als ausgeprägt zu gelten haben bzw. was mit einer nicht manipulierten, »richtigen« Genese von Autonomie gemeint sein könnte. Es ist zunächst verlockend, auf die häufig beschworene Begrifflichkeit »Authentizität« zurückzugrei-
44 Zu finalen und instrumentellen Zielen einer Autonomieverbesserung in der Psychotherapie siehe Kottje-Birnbacher und Birnbacher in Wiesing et al. 2004, S. 203 ff. 45 Quante 2002, S. 179. 46 Sofern man keine Inkompatibilitätsthese zwischen Autonomie und der Prägung durch Sozialisation vertritt (eine solche Inkompatibilitätsthese würde letztlich auch eine Verneinung der Möglichkeit von Autonomie bedeuten, da eine Entwicklung des Menschen ohne Sozialisation nicht möglich ist), ist es durchaus plausibel, anzunehmen, dass Sozialisation nicht nur Autonomie gefährdend, sondern auch fördernd sein kann; vgl. Quante 2002, S. 182 ff.
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fen, um diese Frage zu beantworten – zunächst deshalb, weil dies dazu führt, ebenfalls den Gehalt von Authentizität bestimmen zu müssen. Eine »richtige« Genese von Autonomie hätte in diesem Sinne authentisch stattgefunden. Eine verbreitete Idee von Authentizität scheint – wie bereits im Rahmen der Schilderung authentischer Autonomie gezeigt – es zu sein, dass eine Entscheidung mit Werten und langfristigen Plänen im Einklang ist und eine Identifikation mit Präferenzen und Wünschen, die durch Reflexion erworben wurden, besteht. Für einige Autoren ist die moralische Reflexion für authentisches Handeln besonders wichtig.47 Ob sich bei diesen Identifikationsprozessen und langfristigen Plänen einer Persönlichkeit nicht auch Fälle von Manipulation befinden können, ist aber damit noch nicht geklärt. Die langfristigen Pläne oder die Wünsche höherer Ordnung einer Persönlichkeit können schließlich auch lediglich Resultat nicht transparenter Beeinflussung eines Denkstils sein. Versteht man Authentizität im wörtlichen Sinne als Echtheit, dann wird eine authentisch zustande gekommene Autonomie frei sein müssen von Eingriffen, die diese Echtheit gefährden können. Um das für einzelne Eingriffe beurteilen zu können, ist aber zumindest ein Rückgriff auf Überlegungen zur Künstlichkeit und Natürlichkeit erforderlich. Die in Kapitel V.4 geführte Auseinandersetzung mit Künstlichkeit und Natürlichkeit offenbart jedoch ebenfalls eine starke Abhängigkeit von vorliegenden Denkstilen. Eine Forderung nach Authentizität von Autonomie scheint ebenfalls notwendig, wenn dabei das Ideal der ständigen Konversion, des unablässigen Infragestellens im Sinne Sartres, verfolgt wird.48 Authentizität im Verständnis Sartres, also »[…] eine Übernahme des verdorbenen Seins durch sich selbst […]«49, ist auch Voraussetzung, um Unaufrichtigkeit zu entgehen. Ob die Erfüllung dieser Anforderungen allein eine hinreichend »gute« Autonomiegenese gewährleistet, bleibt ebenso wie bei den anderen Interpretationen von Authentizität fraglich.
47 Vgl. Hildt 2006, S. 95 ff.; Dworkin 1988; Frankfurt 2001. 48 Vgl. Wildenburg 2004, S. 92. Unter Konversion versteht Sartre nach Wildenburg, den Entwurf des Für-sich, An-sich-Für-sich zu werden, aufzugeben; vgl. Wildenburg 2004, S. 89; zum Authentizitätsbegriff Sartres siehe auch die ausführliche Analyse von Schönwälder-Kuntze 2001. 49 Sartre 2006, S. 159, Fußnote.
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Ein womöglich banalerer Weg, um der Frage nach der »richtigen« Genese von Autonomie zu begegnen, besteht darin, eine Nichtadaptivität von Wünschen zu fordern. Ist nämlich die Generierung der eigenen Wünsche lediglich durch Adaption an Erwartungen des Umfeldes oder des Denkstils zustande gekommen, sind sowohl Bedingungen an Rationalität als auch an die unterschiedlichen Verständnisweisen von Authentizität nicht erfüllt.50 Es gilt dann jedoch wiederum zu klären, welche Grade von Adaption noch eine »richtige« Autonomiegenese gewährleisten. Quante bietet eine Formel an, die für diese Klärung hilfreich sein könnte. Er versucht damit, dem Problem des Erwerbs von Wünschen durch die Erweiterung des hierarchischen Modells mit einer biografischen Dimension als Bedingung für personale Autonomie zu begegnen: »Eine Person P ist gegenüber einer mentalen Einstellung M nur dann autonom, (i)
wenn P entweder auf den Prozess der Herausbildung von M in ihrer Persönlichkeit aufmerksam wird und keinen Widerstand gegen diese Herausbildung leistet, oder wenn P keinen Widerstand geleistet hätte, falls sie auf den Prozess der Herausbildung von M aufmerksam geworden wäre; und
(ii) wenn der Widerstand von P gegen die Herausbildung von M nicht deshalb ausbleibt (oder ausgeblieben wäre), weil dabei Einflussfaktoren wirken (würden), die eine reflexive Identifikation unmöglich machen; und (iii) wenn die in (i) unterstellte faktische oder kontrafaktische reflexive Identifikation (minimal) rational frei von Selbsttäuschung ist.«51
Wendet man diese Formel auf Beispiele dieser Arbeit an, dann wird ersichtlich, wie schwierig es sein kann, bei bestimmten Therapien (verstanden als Eingriffe) von einer »richtigen« Autonomiegenese zu sprechen. Wird auf eine solche Wert gelegt bei der Autonomiebestimmung, dann ist eine Therapie rechtfertigende Argumentation wiederum nicht unproblematisch, die auf Autonomieerhöhung oder Wiederherstellung abzielt. Es kann beispielsweise angenommen werden, dass infolge therapeutischer Eingriffe (z.B. durch medikamentöse Veränderung der Transmitterproduktion MV) bei Persönlichkeiten mit der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung zum Teil die Möglichkeit verloren geht, frei von Selbsttäu-
50 Zu Nichtadaptivität als Bedingung von Rationalität vgl. Baumann 2000, S. 200. 51 Quante 2002, S. 180.
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schung (iii) eine in (ii) geforderte reflexive Identifikation zu erreichen, die eine Ausbildung eines bestimmten Wunsches (z.B. Wunsch = ein bestimmtes Therapieziel T) verhindern würde. Zwar kann es sein, dass diese Persönlichkeit nach der Behandlung MV rationaler wirkt, ihr Wunsch T als Wunsch höherer Ordnung angesehen werden kann und T zu einer Vergrößerung ihrer »Spielräume« führen könnte. Ist sie allerdings aufgrund MV nicht in der Lage, eine (minimal rational) selbsttäuschungsfreie reflexive Identifikation mit T zu vollziehen, dann erfüllt sie nicht alle geforderten Bedingungen für Autonomie. Mit einem durch den therapeutischen Eingriff bereits veränderten Transmitterhaushalt könnte dann auch die für Autonomie geforderte reflexive Identifikation mit einem Wunsch lediglich eine Folge des Eingriffes darstellen. Die Selbsttäuschung (iii) könnte bei der eben genannten Überlegung bereits in den mangelnden Informationen über die Folgen des therapeutischen Eingriffes bezüglich der Wunschveränderung liegen. Bei der Abschätzung der Folgen von Eingriffen in die Persönlichkeit ist man wie bereits skizziert mit methodenspezifischen Problemen konfrontiert. Im psychotherapeutischen Bereich beispielsweise sind die exakten sozialen Folgen der therapeutischen Maßnahmen nicht hinreichend benennbar. Ferner könnte die Selbsttäuschung auf der Art der wissenschaftlichen Wissensgewinnung über diesen Eingriff, auf Denkstilcharakteristika und deren sozialer Erwünschtheit beruhen. Wie die Anwendung der von Quante angebotenen Bedingungen als absolute Forderung an Autonomie aussehen könnte, ist schwer vorstellbar, da dann alle sozialen Einflüsse bis hin zum infinitiven Regress begutachtet werden müssten. Es ist dennoch wichtig, der Genese von Autonomie bei der Autonomiebestimmung einen Wert beizumessen, um Manipulationen zu vermeiden und auch Versuche zu unternehmen, zumindest Anhaltspunkte (wie etwa bei Quante) zur Überprüfung der Autonomiegenese anzubieten. Mit Quantes oder einem ähnlichen Konzept kann eine nicht absolut zu verstehende, aber eine Reflexion über die Autonomiegenese fördernde Analyse erfolgen. Die leitende Frage dabei sollte sein, ob es sich bei bestimmten Maßnahmen zur Autonomiesteigerung tatsächlich um eine Steigerung von Autonomie handelt, sofern auch die Genese mitbedacht wird. Besonders wichtig werden diese Überlegungen, wenn präventive Eingriffe in eine Persönlichkeit erwogen werden.
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3.2 Einwilligung und Autonomieverzicht 3.2.1 Allgemeine Anmerkungen Eingriffe zur Veränderung einer Persönlichkeit werden nicht nur dann mit Autonomie gerechtfertigt, wenn die vermeintlich eingeschränkte Autonomiefähigkeit bei psychischen Krankheiten wieder aufgehoben oder verbessert werden soll. Eine solche Argumentation spielt auch eine bedeutende Rolle, wenn die Integrität von Persönlichkeiten bei Eingriffen in deren Körper gewahrt werden soll. Dabei schafft eine Einwilligung in die Eingriffe zumindest Rechtssicherheit. Der Verzicht auf die Ausübung von Autonomie stellt dabei ein spezielles Problemfeld dar. Die Einwilligung und ein Autonomieverzicht stehen mit dem bisher Gesagten im engen Kontext, werden im Folgenden aber auf einige Spezifika hin beleuchtet. Überschreiten Eingriffe die Körpergrenze der betroffenen Persönlichkeit, ist eine Einwilligung der Persönlichkeit in diese Eingriffe aus juristischer Sicht in jedem Falle geboten. Die Einwilligung kann dabei unterschiedlich gestaltet sein und reicht von der Annahme des mutmaßlichen Willens bis zu einer schriftlichen Einwilligung. Einwilligungsfähigkeit ist ein Begriff, der im juristischen Sinne jemanden befähigt, der Verletzung eigener Rechtsgüter zuzustimmen.52 Bei Eingriffen zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit im Bereich psychischer Erkrankungen kann eine Einwilligung, verstanden als »informed consent« (wie bereits dargelegt), dadurch erschwert sein, dass die hierfür notwendige Einwilligungsfähigkeit nicht durchweg vorliegen könnte. Diese Fähigkeit ist eng an Vorstellungen von Autonomie gebunden. Bei verminderter Erfüllung von Bedingungen, die an personale Autonomie gestellt werden können, kann auch von einer verminderten Einwilligungsfähigkeit ausgegangen werden. Eine Annahme von Autonomieverminderung für neurowissenschaftliche (und insbesondere psychiatrische) Fragestellungen kann, wie bereits gezeigt wurde, angenommen werden, wenn zur Konzeption von Autonomie sowohl hierarchische Modelle als auch Rationalitätsargumente herangezogen werden. Die Ergebnisse Macklins weisen auf ein Problem bei der Feststellung solcher Verminderungen hin, nämlich dass Bewertung von Einwilligungs-
52 Zur informierten Einwilligung in medizinische Eingriffe siehe juristisch betrachtet bei Schroth 2007 und medizinethisch bei Beauchamp, Childress 2001, Kapitel 3.
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fähigkeit je nach Zustimmung oder Ablehnung des Eingriffs unterschiedlich ausfällt.53 Will jemand auf die Ausübung seiner Autonomie verzichten, ist dies mit weiteren spezifischen Überlegungen verbunden. Die Beurteilung eines Autonomieverzichts wird zum hohen Grade davon abhängen, wie weitreichend der Verzicht ist. Eine geringfügige Aufgabe von Autonomie kann beispielsweise thematisch erfolgen, wenn man in eine Therapie zur Raucherentwöhnung einwilligt und sich damit verpflichtet, für eine gewisse Zeit Nikotinpflaster zu tragen. Dabei verzichtet man gegebenenfalls auf die Möglichkeit, diese Pflaster nach aktuellen Wünschen zu entfernen, und agiert bei dem Verzicht im Sinne der authentischen Autonomie. Der begrenzte Verzicht führt also möglicherweise sogar zu einer Erhöhung der Autonomiefähigkeit. Ebenfalls kann eine größere Einschränkung von Autonomieaspekten als lokal bezeichnet werden, wenn es sich um eine zeitlich begrenzte Situation handelt. Ein Beispiel hierfür wäre die Art von Patientenverfügung, der sogenannte »Ulysses contract«, die Patienten mit psychischen Erkrankungen in der Phase eines erneuten Krankheitsschubes an den von ihnen im Vorfeld (im »gesunden« Zustand) verfassten Vertrag binden soll, selbst wenn sie später eine gegenläufige Willensäußerung kundtun. Von diesem lokalen Verzicht könnte ein globaler Verzicht unterschieden werden. Global soll dabei bedeuten, dass entweder das gesamte Lebenskonzept der Person davon betroffen ist oder eine Revision nicht möglich ist. Sollten sich beispielsweise bestimmte Eingriffe zur Veränderung der Persönlichkeit in dieser Weise darstellen, dann wäre bei einer Einwilligung in einen solchen Eingriff von einem globalen Autonomieverzicht zu sprechen. Es wäre zum Beispiel vorstellbar, in eine Maßnahme per Tiefenhirnstimulation einzuwilligen, obwohl bekannt wäre, dass nach dem Eingriff weitreichende, aber im Vorfeld nicht konkretisierbare Veränderungen auftreten werden, die weder mit dem Lebenskonzept der Person in Einklang stehen dürften noch revidierbar wären. Eine solche Einwilligung wäre dann als globaler Verzicht zu bezeichnen. Es dürfte intuitiv einleuchten und auch argumentativ leicht zu vertreten sein, dass ein globaler Autonomieverzicht im höheren Maße als ein lokaler zu rechtfertigen ist. Meines Erachtens erhöht sich bei einem globalen Verzicht auch die Notwendigkeit, denkstilge-
53 Vgl. Helmchen 1986, S. 338.
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bundene Annahmen bezüglich des Eingriffs offenzulegen und zu reflektieren.54 Ferner sind Verzichte auf die Ausübung von Autonomie bei Eingriffen kritisch zu prüfen, die lediglich für ihr Ergebnis, aber nicht für ihren Entstehungsprozess eine reflexive Identifikation zulassen.55 Ebenso kritisch und auf ihre Denkstilaspekte zu reflektieren sind Eingriffe, die bereits präventiv, also vor dem Auftreten bestimmter Eigenschaften einer Persönlichkeit, die Entstehung dieser Eigenschaften verhindern sollen. Solche Eingriffe müssen auch als ein globaler Verzicht auf die Ausübung von Autonomie gewertet werden, wenn sie nicht revidierbar sind. Ein präventiver Eingriff, beispielsweise zur Verhinderung der Ausbildung der Eigenschaft »Aggressivität«, kann beträchtliche Aspekte einer Autonomieentwicklung verhindern und somit einen wesentlichen Aspekt der Integrität einer Persönlichkeit verletzen: die freie Entfaltung der Persönlichkeit.56 Daher wird hier zumindest bei präventiven Eingriffen mit globalem Charakter des Autonomieverzichts dafür plädiert, diese Eingriffe nicht vorzunehmen, sondern die Ausbildung bestimmter Eigenschaften abzuwarten. Die Entscheidung über eine potenzielle Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit dann zu treffen, ist immer noch diffizil genug. Schließlich sind auch – wie bereits skizziert – nach der Ausbildung von Eigenschaften der Persönlichkeit Entscheidungen zu deren Beseitigung seitens der Betroffenen weder frei von Beeinflussung intersubjektiver und wissenschaftlicher Natur noch von adaptiven Präferenzen.57 3.2.2 Zwangsbehandlung Eine Sonderrolle bei Einwilligungen in Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit nehmen Zwangsbehandlungen ein. Diesem im Rahmen der Psychiatrieethik häufig diskutierten Problem kommt in doppelter Hin-
54 Zur Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen des Autonomieverzichts sowie zum Ulysses contract vgl. Quante 2002, S. 187 ff.; zum Ulysses contract siehe auch Macklin 1987. 55 Vgl. Quante 2002, S. 189 f. 56 Dieses Rechtsgut ist im Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes aufgenommen; siehe Deutscher Bundestag 1949. 57 Zu adaptiven Präferenzen siehe Elster 1987.
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sicht eine Sonderrolle zu.58 Zum einen betreffen Zwangsbehandlungen zumeist sowohl den Körper als auch psychische Funktionen. Es wird also nicht nur eine Veränderung der Handlungen und des Denkens angestrebt, sondern hierzu auch eine den Körper involvierende Therapie durchgeführt. Zum anderen sind paternalistische Zwangsbehandlungen (ohne Einwilligung) nur mit der Rechtfertigung möglich, dabei ein Rechtsgut zu schützen.59 Das schützenswerte Rechtsgut ist dabei aber, anders als bei den Beispielen zuvor, nicht nur einer Persönlichkeit zuzuordnen, sondern auch einer Gemeinschaft. Zwangsbehandlungen sind nur möglich, wenn das Leben einer Person vor einer drohenden Selbstgefährdung (z.B. Suizid) oder die Gemeinschaft vor einer Fremdgefährdung durch die Person geschützt werden sollen.60 Bei einem potenziellen Suizid ist der Verlust der gesamten Persönlichkeit zu befürchten. Diese Feststellung liefert allerdings noch keine normative Aussage darüber, warum dies zu verhindern ist. Diese ist erst möglich, wenn das Leben als Rechtsgut auch gegen eine autonome Entscheidung, die sich gegen das Leben wendet, verteidigt werden soll, oder wenn in dem Wunsch, einen Suizid vorzunehmen, per definitionem keine autonome Entscheidung gesehen wird, sondern eine von Krankheit geprägte.61 Im zweiten Fall wäre davon auszugehen, dass nach einer Heilung keine Wünsche nach Suizid mehr bestünden. Da Suizid bzw. ein »Komplettverlust« der
58 Zu medizinethischen Überlegungen der Zwangsbehandlung siehe Peele, Chodoff 1999. 59 Die Zwangsmaßnahmen können hier nur als paternalistisch formuliert werden, wenn man nicht von einem starken Verständnis von Paternalismus ausgeht. Zum starken und schwachen Paternalismus siehe Feinberg 1986. 60 Zur Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung psychisch Kranker siehe Dreßing, Salize 2004. 2011 gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug; vgl. BverfG 2011. Dies hat die Bedingungen für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen verschärft und bereits zu Protesten und Stellungsnahmen seitens der Ärzte geführt, so auch in der Stellungsnahme 2011 der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde; siehe Müller et al. 2012. 61 Psychiater gehen im Falle eines Suizids bei hohen Prozentzahlen (über 90 %) von dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung aus; siehe beispielsweise in Heyd, Bloch 1999; zu einzelnen Zahlen der Komorbidität siehe Bronisch 2003b.
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Persönlichkeit hier nicht das Hauptthema ist, sondern lediglich die Veränderung ihrer Eigenschaften, werden dazu nur zwei weitere Anmerkungen gegeben. Die psychiatrische Literatur bestätigt die Aussage, dass nach einer Therapie meist keine Suizidwünsche mehr bestehen, also eine therapierbare psychische Pathologie im Fall von Suizidwünschen und -handlungen anzunehmen ist. Meist ist damit auch die Annahme verbunden, dass bei Suizidhandlungen die Autonomiefähigkeit ebenfalls reduziert oder nicht vorhanden ist, was eine höchstens schwach paternalistische Handlung seitens der Psychiater implizieren würde. Allerdings wurde zum einen bereits darauf hingewiesen, wie stark die Erfassung psychischer Krankheit von aktuellen Denkstilen abhängt. Zum anderen können auch Fälle existieren, wo zwar die Suizidhandlung als ein psychisch pathologisches Geschehen interpretiert werden kann, aber die Selbstbestimmung – je nach Autonomieverständnis – der Person nicht von der Krankheit betroffen ist. Ebenso müsste die nach einer Zwangsbehandlung wiederhergestellte Autonomie auf ihre Genese hin überdacht werden, wenn man allen Aspekten von Autonomie entsprechen will. Das zweite schützenswerte Rechtsgut im Fall von Zwangsbehandlungen kann sich auf die Gesellschaft beziehen. Was in einer Gesellschaft und vor welchen Eigenschaften einer Persönlichkeit eine Gesellschaft geschützt werden soll, ist allerdings nicht noch stärker von Normen und Denkstilen abhängig als für selbstgefährdendes Verhalten dargestellt. Zusammenfassend lässt sich anmerken, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, eine verminderte Autonomiefähigkeit bei einer Einschränkung psychischer Funktionsfähigkeit anzunehmen. Dies kann sowohl bei einem Autonomieverständnis erfolgen, das auf Rationalitätsüberlegungen, als auch bei einem, das auf Wünschen höherer Ordnung beruht. Jedoch sind beide Verständnisweisen stark mit aktuellen Denkstilen und gesellschaftlichen Normen verbunden, was nicht beseitigt werden kann, aber zumindest transparent gemacht werden sollte, wenn mit Rückgriff auf Autonomieerhöhung oder -wiederherstellung Eingriffe in eine Persönlichkeit gerechtfertigt werden sollen. Besonders deutlich wird dies, wenn die Autonomiegenese zusätzlich berücksichtigt wird. Ähnliche Probleme ergaben sich bei der Untersuchung von Einwilligung in Eingriffe und von Autonomieverzicht. Zwangsbehandlungen bei psychisch Kranken stellen die Schwierigkeiten einer auf Autonomie beruhenden Rechtfertigungsstrategie für Eingriffe in
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die Persönlichkeit besonders deutlich dar. Ferner wird an ihnen der Konflikt zwischen dem Prinzip des Respekts vor Autonomie und dem der Benefizienz anschaulich.
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Eingriffe zur Veränderung von Persönlichkeit können auch gerechtfertigt werden, indem sie zum Wohle der Person vorgenommen werden und ihr nicht schaden. So pauschal formuliert klingt eine solche Argumentationsstrategie plausibel. Im Detail ist es jedoch nicht ganz so einfach zu bestimmen, was unter dem Wohl der Person anzunehmen ist und wann ein Schaden für die Persönlichkeit vorliegt. Zum einen hängen beide nach den vorherigen Ausführungen auch immer stark vom aktuellen Denkstil ab. Zum anderen können sie sehr unterschiedlich konkret bestimmt werden. Es kann darunter verstanden werden, die Würde der Person nicht zu verletzen, ihre Integrität zu wahren, aber beispielsweise auch, ihr keinen körperlichen Schaden zuzufügen. Letztere Interpretation wäre sehr viel enger als die Ersteren, könnte aber auch noch weiter verengt werden auf bestimmte körperliche Schäden hin. Unter Wohl oder Schaden der Person können aber nicht nur körperliche, sondern auch psychische Aspekte fallen. Hier können nicht alle Möglichkeiten diskutiert werden, die als Wohl oder Schaden einer Persönlichkeit interpretiert werden könnten. Es werden in Folge nur einige, sehr verbreitete Argumentationsmuster aufgegriffen. 4.1 Verlust personaler Identität und körperliche Unversehrtheit In den letzten Jahren ist durch Erweiterungen neurowissenschaftlicher Methodik immer wieder diskutiert worden, ob diese neuen Möglichkeiten personale Identität gefährden könnten. Dabei hat sich auch die philosophische Debatte um personale Identität weiter differenziert, wie weiter oben bereits dargestellt wurde. Auf normativer Ebene ist dabei bedeutsam, dass durch die potenzielle Gefährdung personaler Identität auch die Wahrung personaler Integrität gefährdet ist. Letztere ist für normative Argumentationen jeglicher Orientierung von hoher Bedeutung. Ein Verlust personaler Identität würde personale Integrität auf jeden Fall gefährden, unabhängig davon,
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welche Kriterien für personale Identität angenommen würden. Wie in Kapitel IV.1 diskutiert, ist es jedoch äußerst fraglich, ob neurowissenschaftliche Eingriffe zur Veränderung von Persönlichkeit, beispielsweise mit Psychopharmaka oder mithilfe von Tiefenhirnstimulation (THS), personale Identität an sich gefährden können. Durch die mir aktuell vorstellbaren Eingriffe der Neurowissenschaft mit einem therapeutischen Ziel werden weder die physischen noch die psychischen Kontinuitätsrelationen so stark beeinträchtigt, dass personale Identität gefährdet wäre. Durch die Eingriffe wird kaum jede psychische Verbundenheit verloren gehen oder die physische Kontinuität unterbrochen werden. Dazu müsste man annehmen, es gäbe »kritische« und »weniger kritische« Nervenzellen oder essenzielle psychische Verbindungen für personale Identität. 62 Empirische Untersuchungen sprechen aber weder für solche »kritischen« Zellen oder Verbindungen noch für einen Komplettverlust der Verbundenheit psychischer Funktionen durch bestimmte Eingriffe der Neurowissenschaften.63 Selbst wenn man den Fokus in der personalen Identitätsdebatte auf Theorien der narrativen Identität legt, ist ein kompletter Verlust der Kontinuität und Kohärenz des Selbsterlebten durch neurowissenschaftliche Methodik kaum zu erwarten.64 Im Gegensatz zu einem Verlust personaler Identität ist meines Erachtens also eher zu fragen, ob jede Veränderung der Persönlichkeit mit Mitteln der Neurowissenschaft als zum Wohle und nicht zum Schaden der Persönlichkeit zu werten ist. Eine Veränderung der Persönlichkeit, die primär als Schaden beurteilt werden kann, kann dann nämlich ebenfalls die Wahrung personaler Integrität gefährden. Zunächst aber noch zu einer Argumentation, die in der Konsequenz ähnlich der Sorge um personale Identität die körperliche Unversehrtheit sehr stark in den Vordergrund rückt. Mit der Befürwortung der »Würde des Leibes« geht für viele Autoren eine »Unverfügbarkeit« auch des eigenen Körpers »bloß als Mittel« einher. Werden eine »Würde des Leibes« und daraus folgend »Rechte des Leibes« vertreten,
62 Für eine solche Debatte vgl. beispielsweise Parfit 1987, S. 236 ff. Für eine Aufarbeitung dieser Debatten vgl. Northoff 2001, S. 67 ff. 63 Eine detaillierte empirische Untersuchung verschiedener relevanter Aspekte für die personale Identität nach operativ-implantativen Eingriffen findet sich bei Northoff 2001. 64 Die letzten Zeilen waren in ähnlicher Form schon Gegenstand eines Artikels zur THS; vgl. Friedrich 2013 (im Druck).
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dann scheinen diese Argumente schwerwiegender zu sein als ein bloßes Berufen auf den Körper.65 Eine solche Argumentation lässt dann vermehrt Eingriffe, welche die Körpergrenze überschreiten und zur Verbesserung von Eigenschaften der Persönlichkeit dienen sollen, zunächst unabhängig von dem Krankheitsbegriff als unerwünscht erscheinen. Mit dieser Argumentationsgrundlage wären etliche Eingriffe in den Körper dann eher als Schaden und weniger zum Wohle der Person zu interpretieren. Eine Sorge über den Erhalt personaler Identität bei aktuellen neurowissenschaftlichen Eingriffen zur Veränderung von Persönlichkeit scheint mir ebenso übertrieben wie eine Argumentation, die auf eine weitestgehende Unversehrtheit des Körpers und einem Instrumentalisierungsverbot desselben beruht. Zum einen ist bei Eingriffen im therapeutischen Bereich kein Verlust personaler Identität zu erwarten. Zum anderen müssten mit einer Argumentation, die die Benutzung des Körpers bloß als Mittel weitreichend ablehnt, viele alltägliche Eingriffe abgelehnt werden. Das heißt aber nicht, dass der Körper bzw. der Leib nicht vor bestimmten Eingriffen und Veränderungen seitens der Neurowissenschaft geschützt werden sollte. Wie noch zu sehen sein wird, kann auch ein Instrumentalisierungsverbot als Argumentationsgrundlage gegen Eingriffe zur Persönlichkeitsveränderung sehr wohl hilfreich sein. Dieser bezieht sich dann aber nicht primär auf die körperliche Veränderung per se, sondern vielmehr auf Aspekte von Autonomie. Verlässt man die eher drastischen Argumentationspfade wie die von Wahrung personaler Identität für neurowissenschaftliche Eingriffe, dann ist es jedoch sehr schwer zu erfassen, welche Veränderungen zum Wohle und nicht zum Schaden einer Persönlichkeit dienen. Sich dabei lediglich am Konzept der Krankheit zu orientieren, hat sich insbesondere für psychiatrische Fälle bereits in vorhergehenden Kapiteln als nicht eindeutig zielführend, da stark denkstilgebunden, erwiesen. Eine Argumentation über eine Verbesserung der Autonomiefähigkeit als zum Wohle der Persönlichkeit dienende Maßnahme ist – wie zuvor erörtert – ebenfalls sehr voraussetzungsreich.
65 Vgl. Birnbacher 2006b, S. 66 ff. und S. 132 ff.; Birnbacher kritisiert solche Konzepte und bringt etliche Gegenargumente gegen verselbstständigte Rechte des Leibes ins Spiel.
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Im Folgenden werden noch einige andere Argumentationsmuster aufgegriffen, die ebenfalls herangezogen werden könnten, um für Eingriffe zur Persönlichkeitsveränderung das Wohl oder den Schaden für die Person zu erfassen. 4.2 Künstliche Natürlichkeit? Im Kapitel IV wurde erörtert, warum ein Bezug auf Krankheit im Falle von Persönlichkeit meist unscharf und stark denkstilabhängig bleiben muss. Dies gilt auch für Versuche, Veränderungen von Persönlichkeit anhand der Grenze von Krankheit zu rechtfertigen. Denkstiltypisch wurden dort naturalistische und objektivistische Krankheitsbilder in Bezug auf Persönlichkeit identifiziert. Im Bild von dem, was als krank angesehen wird, ist neben dem dort Geschilderten häufig die Idee von Natürlichkeit versus Künstlichkeit enthalten. Im Folgenden wird zu klären sein, ob diese Begrifflichkeiten einen Rahmen bieten, um als Maßstab für Urteile über Eingriffe in Persönlichkeiten zu dienen. Die Frage ist dabei, ob der Erhalt von Natürlichkeit als zum Wohle der Person interpretiert werden kann bzw. ob Künstlichkeit der Persönlichkeit schadet. Zunächst wird vorwiegend anhand der Ausführungen Dieter Birnbachers zum Begriff der Natürlichkeit erläutert, was darunter verstanden werden kann.66 Gewisse Eigenschaften einer Persönlichkeit werden häufig als natürlich und daher als gesund angesehen, andere wiederum scheinen unnatürlich und somit krank. Die These der Natürlichkeit kann sich dabei sowohl auf die subjektive Empfindung von Leid als auch auf normativ oder naturalistisch verstandene objektive Aspekte von Abweichungen der Persönlichkeit beziehen. Natürlichkeitsargumente lassen sich ebenfalls anbringen, wenn der Bereich vermeintlicher Krankheit verlassen wird und Eingriffe zur »Verbesserung« der menschlichen Natur verhindert werden sollen.67 Im
66 Siehe Birnbacher 2006b. In diesem Werk fasst Birnbacher verschiedene Theorien bezüglich Natürlichkeit zusammen, um eine potenzielle Bevorzugung von Natürlichkeit in der Alltagsmoral zu bewerten. 67 Eine Verbesserung von Fähigkeiten des Menschen jenseits von Therapie wird auch als Enhancement bezeichnet; für andere Definitionen von Enhancement und andere Beiträge zum Thema Enhancement im Bereich kognitiver und emo-
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Umgang mit sich selbst, also auch im Umgang mit seiner Persönlichkeit, »ist der Begriff der Natürlichkeit von dem Begriff der Normalität nicht zu trennen. (…) Der Natürlichkeitsbegriff [ist] abhängig von einem bestimmten kulturellen Verständnis von Normalität.«68 Ein Hauptproblem von Argumentationen entlang der Natürlichkeit ist für das hier untersuchte Feld, die Natur des Menschen zu bestimmen. Viele Aspekte der Persönlichkeit, die zuvor bestimmt wurden, gehören nach diversen Interpretationen zur Natur des Menschen.69 In diesem Kapitel geht es im Hinblick auf die menschliche Natur mehr um die Frage, inwieweit das Vorgegebene des Menschen als Natur zu gelten hat und wie (und ob) dies jenseits von Normen bestimmt werden kann. Wird Natürlichkeit als Argument für oder gegen Krankheitszuschreibungen und Eingriffe in die Persönlichkeit angeführt, muss zunächst geklärt werden, von welcher Art Natürlichkeit die Rede ist. Der Begriff genetische Natürlichkeit drückt die »natürliche« Entstehungsweise im Allgemeinen aus und verweist auf den Aspekt der schaffenden Natur (natura naturans).70 Die genetische Natürlichkeit ist laut Birnbacher abstufbar und kann sich auf mehrere Dimensionen beziehen. Eine Dimension nehme Bezug auf die Eingriffstiefe der Veränderung in Strukturen und Prozesse. Eine davon als unabhängig betrachtete Dimension stelle die Dichte der Wechselwirkungen zwischen der Kultur und dem natürlichen Substrat dar. Das Ausmaß der Intentionalität eines Eingriffes könne als eine weitere Dimension wahrgenommen werden. Dabei sei auch wichtig, inwieweit sich die Naturveränderung an kulturellen Leitbildern orientiere.71
tionaler Fähigkeiten mit Mitteln der Neurowissenschaft (Neuroenhancement) siehe beispielsweise Schöne-Seifert et al. 2009. 68 Birnbacher 2006b, S. 103; Hervorhebung im Original. 69 Vielfältige Versuche, die Natur des Menschen zu bestimmen, sind Gegenstand der Anthropologie. Verschiedene Varianten des grundsätzlichen Naturverständnisses finden sich beispielsweise bei Birnbacher 2006a, S. 145 ff. und Böhme 1992; Stevenson, Haberman 2004 stellen grob zehn Theorien von Konfuzianismus über Aristoteles bis Sartre mit deren Bezug auf die Natur des Menschen vor. 70 Vgl. Birnbacher 2006b, S. 9 ff. 71 Vgl. Birnbacher 2006b, S. 9 ff.
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Inwieweit ein persönlichkeitsverändernder Eingriff mit diesem Verständnis der Natürlichkeit noch als natürlich eingestuft wird, wird sich bei den von Birnbacher angeführten Dimensionen immer an einer Vergleichsoder Leitnorm orientieren müssen. Ebenso wird eine Kopplung an den Begriff der Krankheit oder Gesundheit für solche Argumentationen stattfinden müssen. Die genetische Natürlichkeit wird bei geringer Ausprägung einzelner Dimensionen eher für Argumente gegen Eingriffe zur Verbesserung Gesunder dienen. Weist ein Eingriff beispielsweise eine kleine Eingriffstiefe in die Eigenschaften einer Persönlichkeit auf, wird Natürlichkeit als Norm für die als gesund erachteten Personen eher als Argument gegen den Eingriff ins Feld geführt werden. Vom Krankheitsbegriff unabhängig kann laut Birnbacher die genetische Natürlichkeit erst angeführt werden, wenn Natürlichkeit ein intrinsischer Wert zugeschrieben wird.72 Die qualitative Natürlichkeit bezieht sich auf die Beschaffenheit, auf das Erscheinungsbild. Diese Form von Natürlichkeit kann ebenfalls verschiedene Dimensionen aufweisen, zu denen die Form, die Zusammensetzung, die Funktionsweise und die raumzeitliche Dimensionalität gezählt werden können.73 Eine Argumentation, die jegliche verändernden Eingriffe in eine Persönlichkeit ablehnt, ist anhand qualitativer Natürlichkeit durchaus denkbar. Eine solche Argumentation wäre allerdings zum einen mit dem Problem natürlicher Veränderungen konfrontiert. Persönlichkeiten verändern sich stetig durch Einflüsse der Umwelt. Würde vorhergehende Argumentation nur Eingriffe mit »künstlichen« Mitteln ablehnen, müsste sie klären, was alles dazuzurechnen ist, also ob beispielsweise der Konsum von Kaffee oder Wein nicht schon einen solchen Eingriff darstellt. Kann sie eine solche Klärung bezüglich Eingriffen herbeiführen, dann könnte sich diese Argumentation mit dem Problem konfrontiert sehen, warum nicht gerade auch die Suche und Umsetzung der Möglichkeit einer künstlich bis technisch bewirkten Veränderung zur qualitativen Natur des Menschen zu rechnen sei. Eine Berufung auf die qualitative Natürlichkeit wird aber meist eher erfolgen, wenn es darum geht, vermeintlich von der Natur abweichende Eigenschaften einer Persönlichkeit zu beheben. Die Festlegung der qualitativen Natürlichkeit im Bereich der Persönlichkeit steht dann allerdings
72 Vgl. Birnbacher 2006b, S. 106 ff. Einen intrinsischen Wert vertritt beispielsweise Siep 2004. 73 Vgl. Birnbacher 2006b, S. 8 und 13 ff.
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im engen Zusammenhang mit der Bestimmung des Krankheitsbegriffs. Welche Schwierigkeiten bei der Bestimmung und welche verschiedenen Möglichkeiten des Krankheitsverständnisses auftreten können, wurde zuvor bereits thematisiert. Argumentiert man bei der Rechtfertigung von Therapie einzelner Merkmale der Persönlichkeit mit qualitativer Natürlichkeit als Ziel, kann ebenso eine Akzeptanz künstlicher Mittel, also einer Künstlichkeit bei der Genese (»genetische Künstlichkeit«), erfolgen. Bedenkt man jedoch die Denkstilgebundenheit bei der Erfassung qualitativer Natürlichkeit, ist es keinesfalls geboten, Rechtfertigungsstrategien zur Herstellung qualitativ natürlicher Eigenschaften einer Persönlichkeit mit künstlichen Mitteln unreflektiert zu akzeptieren. Vielmehr müssen auch die Mittel und die Wertgeladenheit deren Einsatzes hinterfragt werden. Ein künstlicher Eingriff im genetischen Sinn kann also als Resultat ein qualitativ natürliches Ergebnis bedeuten. Normalität oder Natürlichkeit im qualitativen Sinne sind bei vielen künstlichen Eingriffen ja Ziel und Zweck des Eingriffs. Je stärker sich jedoch auch die qualitative Natürlichkeit durch einen künstlichen Eingriff ändert, beispielsweise wenn man stoffliche Veränderungen durch Implantate zur Stimulierung bestimmter Neurotransmitter in Erwägung zieht, desto stärker werden genetische Natürlichkeitsargumente unabhängig von der Bestimmung von Krankheit laut. Argumente der Natürlichkeit sind jedoch – wie auch immer geartet – im Bereich der Persönlichkeit häufig mit Krankheitszuschreibungen verbunden. Auch anders herum wird für Persönlichkeitsbeschreibungen im Zusammenhang mit Krankheit häufig auf den Begriff der Natur Bezug genommen. Wie wir bereits diskutiert haben, sind dabei aber Krankheitszuschreibungen nicht notwendigerweise einfach an der Natur ablesbar. Die Natur stellt im Rahmen der Deskription auch einen Teil des Betrachtenden selbst dar.74 Im Kontext mit dem Begriff der Natur stellt sich analog zum Begriff der Krankheit erneut die Frage, inwieweit die Wahrnehmung von Natürlichkeit gesellschaftlichen Wertauffassungen und Denkstilen unterliegt. Die Erforschung und Therapie neuerer Diagnosen der Psychiatrie wie
74 Vgl. Lanzerath 2000, S. 167. Eine Argumentation, die sich gegen die Möglichkeit einer Erfassbarkeit aller Eigenschaften der Person, sowohl gesunder als auch kranker, mit naturalistischen Methoden richtet, wurde im vorhergehenden Kapitel behandelt und befürwortet.
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Persönlichkeitsstörungen und das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom lassen vermuten, dass es hier einen starken Zusammenhang gibt. Für die Betrachtungen von Künstlichkeit und Natürlichkeit im Rahmen von Persönlichkeitsbeschreibungen und Veränderungen ist ebenfalls wichtig zu betonen, dass der Mensch trotz seiner Sonderstellung in die Natur eingebunden ist. Dabei kommt der Fähigkeit, Veränderungen aus sich selbst heraus zu bewirken, eine wichtige Bedeutung zu. Diese Fähigkeit ist laut Dirk Lanzerath mit Intentionalität verknüpft und ist gewöhnlich mit einem antizipierten Ziel, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten und reflexiven Elementen der Persönlichkeit verbunden.75 Die Setzung der Ziele einer Veränderung und die Bewertung der Zielerfüllung als das »Gute« oder als »Glück« lassen sich nur innerhalb enger Schranken von Denkstilen freisprechen. Wenn beispielsweise das Ziel, störende oder abweichende Elemente einer Persönlichkeit zu überwinden, einer Krankheitszuschreibung unterworfen ist, dann ist dieses Ziel von vorherrschenden Denkstilen geprägt. Selbst wenn man bestimmte Güter wie das Streben nach Gesundheit, Leidensfreiheit oder Schmerzfreiheit als nicht kulturrelative Grundgüter voraussetzt, bleiben die Bewertung und die Interpretation der zu quantifizierenden Elemente von Abweichungen der Eigenschaften einer Persönlichkeit kulturrelativ.76 Dafür sprechen auch neuere Ergebnisse von Studien, die Kulturen und ihre Bewertung von Persönlichkeitsauffälligkeiten vergleichen.77 Das muss wiederum nicht bedeuten, dass jeder Veränderungswille einer Persönlichkeit, der auf Krankheitszuschreibung beruht und womöglich denkstilgebunden ist, abgelehnt werden muss. Dies ist auch nicht der Fall, wenn die Veränderung mit »künstlichen« Mitteln erfolgen soll. Es ist nämlich auch möglich, ein Menschenbild vorauszusetzen, nach dem der Mensch in Form eines Kulturwesens dazu bestimmt ist, technische Fortschritte auch unter Inkaufnahme einer gewissen Künstlichkeit zu erzielen. Ein solches Bild wird beispielsweise von Helmuth Plessner gezeichnet. Dabei dürfte eine gewisse Beeinflussung durch Denkstile implizit mitgedacht
75 Vgl. Lanzerath 2000, S. 150 f.; Lanzerath benennt diese Veränderungsmöglichkeit, die von einem selbst ausgeht, als Streben. 76 Vgl. Lanzerath 2000, S. 155; auf die Unterschiede bei der Wahl der Grundgüter kann hier nicht eingegangen werden. 77 Siehe beispielsweise in Alarcón et al. 1998.
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worden sein. Da hier dem Ansatz Plessners zugestimmt wird, erfolgt im Anschluss ein kurzer Exkurs hierzu. Im Konkreten geht Plessner in seinem ersten anthropologischen Grundgesetz, dem »Gesetz der natürlichen Künstlichkeit«, davon aus, dass der Mensch als exzentrisch organisiertes Wesen sich zu dem, was er schon ist, erst machen müsse.78 Aus Gründen seiner Existenzform sei er von Natur aus künstlich, was einen Schmerz um die unerreichbare Natürlichkeit anderer Lebewesen zur Folge habe. Die von Natur aus gegebene Halbheit des Menschen mache Künstlichkeit zu einem Mittel, ein Gleichgewicht in der Welt und mit sich zu erlangen.79 Die Anforderungen an sich selbst stelle der Mensch laut Plessner aufgrund der Exzentrizität seiner Positionalität.80 Die »vermittelte Unmittelbarkeit«, wie es im zweiten anthropologischen Grundgesetz heißt, die Verschränkung von Vorgegebenheit und Aufgegebenheit, die die menschliche Natur zu konstituieren scheint, wirkt sich auf das Verhältnis aus, das der Mensch als Ich zu dem Verhältnis von Selbst und Leib einnimmt.81 Die Einheit von subjektivem Ich und biologischem Organismus könne dann verstanden werden als eine Identität des Körpers als Leib mit dem Ich und zugleich als eine exzentrische Positionalität des Ichs gegenüber dem Körper als Leib. Krankheit könne dem Menschen besonders deutlich die gleichzeitige Identität und Nichtidentität von Körper und Leib vor Augen führen. Die Doppelaspektivität ermögliche es bei vollzogener Diagnose und Therapie, den Organismus zu vergegenständlichen. Gleichzeitig müsse aber durch die Einheit von Ich und Organismus die Integrität des Organismus besonders gewahrt und respektiert werden.82 Bestimmte Qualitäten des Lebens, besondere Verhaltensweisen, einzelne oder zu Konstellationen zusammengefasste Eigenschaften einer Persönlichkeit können mit der Herangehensweise Plessners auf der einen Seite als vorgegeben, auf der anderen Seite als Ergebnis von Interpretation beurteilt werden. Diese Interpretation wird dabei immer von kulturellen Einflüssen wie Denkstilen geprägt sein. Zudem kann aus dem Exkurs geschlossen werden, dass nicht zwingend die Künstlichkeit das zu Beanstandende ist, wenn es
78 Vgl. Plessner 1975, S. 309 ff. 79 Vgl. Plessner 1975, S. 309 ff. 80 Vgl. Plessner 1975, S. 317. 81 Vgl. Plessner 1975, S. 321 ff.; Lanzerath 2000, S. 218 f. 82 Vgl. Lanzerath 2000, S. 220 ff.
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um Persönlichkeitsveränderungen geht. Meines Erachtens ist vielmehr kritisch zu sehen die Unreflektiertheit über denkstilgebundene Faktoren bei dieser Veränderung sowohl natürlicher als auch künstlicher Natur. Für diese Arbeit wurde zuvor einem normativ-subjektiven Krankheitsverständnis für Fragestellungen von »gestörter« Persönlichkeit Vorzug eingeräumt, selbst wenn dieses Verständnis erhebliche Schwierigkeiten aufweist, wenn es um die objektive Aussagekraft geht. Denkstiltypisch wurden jedoch naturalistische oder zumindest normativ-objektivistische Ansätze erachtet. Es scheint aber sowohl mit dem hier bevorzugten Ansatz des Krankheitsverständnisses als auch mit hauptsächlich objektivierenden Ansätzen nicht möglich, den Begriff der Krankheit als einziges Kriterium zur normativen Beurteilung von Eingriffen in die Persönlichkeit heranzuziehen. Um anhand des hier favorisierten Krankheitsverständnisses Eingriffe zu beurteilen, müssten die Bezüge der Persönlichkeit zur Welt, also auch zu den in der Welt existierenden und wirkenden Denkstilen und Normen, zusätzlich ersichtlich werden. Das konträre Modell von Krankheit, in dem es hauptsächlich um objektive Erfassbarkeit einzelner Komponenten der Persönlichkeit geht, kann zur Beurteilung einzelner Eingriffe in die Persönlichkeit ebenfalls nicht ausreichen, da es sich auf reduzierbare Elemente der Persönlichkeit und auf ein enges Verständnis von Persönlichkeit bezieht. Dabei werden beeinflussende Denkstile zur Krankheitsbestimmung genauso vernachlässigt wie zur Beurteilung bestimmter Eingriffe zur Veränderung der Persönlichkeit. Ebenso ist nach den vorhergehenden Überlegungen eine alleinige Argumentation für oder gegen Eingriffe in die Persönlichkeit schwierig, wenn sie auf Natürlichkeit oder Künstlichkeit basiert. Der Mensch wird hier nämlich als Kulturwesen verstanden, dem es auch natürlich erscheinen kann, gewisse technische Fortschritte auch unter Inkaufnahme von Künstlichkeit zu erwirken. Zudem bedarf es einer genaueren Analyse der verschiedenen Formen von Künstlichkeit, um überhaupt Aussagen über Eingriffe anhand dieser Begrifflichkeit treffen zu können. Mit einer Trennung in qualitative und genetische Künstlichkeit und Natürlichkeit können zumindest etliche Nuancen bei der Erfassung von Schwierigkeiten mit Eingriffen benannt werden. Allerdings scheinen alle Formen von Aussagen über Künstlichkeit zu einem gewissen Anteil von Denkstilen geprägt zu sein. Für Entscheidungen hinsichtlich Eingriffen in die Persönlichkeit müssten daher weiterhin zusätzliche Kriterien als lediglich Krankheit
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und Natürlichkeit angeführt werden, die auch auf die Denkstilgebundenheit und Wertgeladenheit dieser Begriffe Bezug nehmen. 4.3 Moralische Erziehung und Nutzenerwägungen 4.3.1 Maximaler Nutzen Für die Prinzipien der Benefizienz und des Nichtschadens bietet es sich an, eine Art Kosten-Nutzen-Kalkulation für einzelne Eingriffe und für die jeweilige Persönlichkeit anzubieten. Es wurde in der Literatur bereits häufig behandelt, dass eine solche Kalkulation aber bestimmter normativer Annahmen bedarf. Mit einem deontologischen Hintergrund sind KostenNutzen-Kalkulationen mit vielfältigen Problemen behaftet, die aus Gründen der Stringenz hier nicht behandelt werden können. Rekurriert man auf den maximalen Nutzen, der mit einem Eingriff einhergeht, dann greift man für die Prinzipien mittlerer Reichweite von Benefizienz und Nichtschaden meist auf Elemente einer utilitaristischen Theorie zurück.83 Diese Theorie der Moralphilosophie hat im Gegensatz zur Prinzipienethik keinen kohärentistischen Begründungsansatz, sondern eine Letztbegründung zum Ziel. Für eine utilitaristische Hintergrundannahme kann es zwar bedeutsam sein, den Nutzen des Einzelnen aus einem bestimmten Eingriff zu ermitteln, aber für eine rechtfertigende Kraft des Ansatzes, also warum dieser Nutzen ermittelt wird, müssen Überlegungen zu einem Gesamtnutzen ebenfalls betrachtet werden. Zunächst aber zu einigen Überlegungen, die den Nutzen für den Einzelnen betreffen. Können beispielsweise bei Persönlichkeitsstörungen mithilfe hierarchischer Konzeptionen des Willens oder mit Formulierung von Rationalitätsbedingungen an Autonomie Einschränkungen der Autonomiefähigkeit festgestellt werden, dann ist es im Sinne von Benefizienz zunächst naheliegend, diese Aspekte des personalen Lebens verbessern zu wollen. Umgekehrt wird es meist als unerwünscht gelten, wenn ein Eingriff diese Fähigkeiten vermindert. Ferner kann es als ein Nutzen betrachtet werden, wenn eine Persönlichkeit durch Veränderungen mit neurowissenschaftlichen Mitteln ihre Fähigkeiten in einer Weise erweitert, dass sich ihr neue
83 Zum Utilitarismus siehe Darwall 1998, Kapitel 12 und 13; Darwall 2007; Mill 2006; Düwell et al. 2002, S. 95 ff. Eine Diskussion unterschiedlicher Verständnisweisen von Gesamtnutzen kann an dieser Stelle nicht geführt werden.
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Handlungsspielräume eröffnen. Selbstredend wird sie damit auch ihr Leiden lindern, was als ein anerkannter Maßstab für Handlungen zum Wohle der Person im medizinischen Bereich gilt. Allgemein kann man sagen, dass ein neurowissenschaftlicher Eingriff zur oder mit einer Veränderung der Persönlichkeit (also auch als Nebenwirkung) für den Einzelnen dann als nützlich gelten kann, wenn er sein Leben danach wieder oder weiterhin in einer von ihm erwünschten Weise gestalten kann. Damit steht der Nutzen für den Einzelnen bei Persönlichkeitsveränderungen in einem sehr starken Zusammenhang mit seiner Autonomie. Bis zu welchem Schaden für den Körper eine solche Verbesserung beispielsweise zu vertreten ist, ist damit aber noch genauso wenig bestimmt wie der Einfluss vorherrschender Denkstile auf die Veränderungswünsche oder die Auswirkungen des individuellen Nutzens für die Gemeinschaft. Wenn beispielsweise ein erhöhter Gesamtnutzen für die Gesellschaft, sagen wir mit einem Menschenbild des Homo oeconomicus, als ein weiteres Ziel propagiert würde, dann könnten auch Eingriffe mit einer starken Verletzung der Körperintegrität gerechtfertigt werden.84 Der Individualnutzen stünde nicht notwendigerweise im Vordergrund. Stattdessen könnte durch die Veränderung bestimmter Eigenschaften einer Persönlichkeit auch für die Gesellschaft ein maximaler Nutzen erstrebt werden. Ein erhöhter Nutzen für die gesamte Gesellschaft würde beispielsweise im Sinne des Menschenbildes Homo oeconomicus dadurch entstehen, dass die veränderten Individuen in ihren rationalen Absichten besser erfassbar wären und für verschiedene Aufgaben der Gesellschaft vermehrt zur Verfügung stünden. Sogar die Aufhebung subjektiven Leidens könnte, bei Verfolgung einer solchen Argumentation, nicht nur zu rationaleren Handlungen und effektiverer Verfolgung der eigenen Interessen führen, sondern auch daraus resultierend zu einem erhöhten gesellschaftlichen Nutzen. Sollten solche hier exemplarisch angeführten Hintergrundannahmen für bestimmte Eingriffe vorherrschen, dann sollten sie meines Erachtens zumindest kenntlich gemacht werden, um
84 Zum Homo oeconomicus, der rational, mehr in seinem eigenen Interesse oder nach feststehenden Präferenzen handelt, siehe Maikranz 2009, S. 76. NidaRümelin verweist auf die Grenzen der Verbindung von individueller Rationalität und Markt; siehe Nida-Rümelin 2009, S. 58, und darauf, dass die Interaktionen zwischen mehreren Individuen auch irrationale Komponenten haben und dem Eigennutzen widersprechen können.
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den Individuen die Möglichkeit zu bieten, alle Aspekte ihrer Selbstbestimmung wahrzunehmen. Verfolgt man eine andere, beispielsweise eher deontologisch orientierte Argumentationsstrategie, dann wird ersichtlich, dass die Maximierung des Gesamtnutzens als Rechtfertigungsstrategie für Persönlichkeit verändernde Eingriffe gegenseitige Anerkennungsverhältnisse, die sich moralische Subjekte schulden, nicht genügend berücksichtigt. Wenn dem Ziel des Gesamtnutzens zudem ein Menschenbild des Homo oeconomicus zugrunde liegt, scheint dies mit einer deontologischen Argumentation noch weniger verträglich. Demnach ist die Auslegung des Nutzens eines Eingriffs zur Persönlichkeitsveränderung nicht nur vom Denkstil, sondern auch von der zugrunde gelegten Moralphilosophie und dem Menschenbild abhängig. Wird primär das Einzelwohl im Sinne des Nutzens und somit auch der Leidenslinderung für den Einzelnen im Kontext der Persönlichkeit betrachtet, dann scheint dies in einem direkten Zusammenhang zu stehen mit der Selbstbestimmung des Betroffenen. Das Verständnis von Selbstbestimmung kann jedoch – wie zuvor erläutert wurde – sehr unterschiedlich ausfallen. Somit ist die Auslegung des Nutzens für den Einzelnen auch davon abhängig, welches Verständnis von Autonomie wir heranziehen. 4.3.2 Moralische Erziehung Nach der skizzenhaften Betrachtung dessen, wie eine Konkretisierung der Prinzipien Benefizienz und Nichtschaden mit primär utilitaristisch geprägten Annahmen aussehen könnte, wenn es darum geht, einen Eingriff zur Veränderung von Persönlichkeit zu bewerten, werden in Folge einige Überlegungen hierzu mit einem deontologischen Hintergrund erfolgen. Im Kontext einer Ausrichtung an der Sittlichkeit – wie sie in der exemplarisch herangezogenen deontologischen Theorie Kants verlangt wird – kann eine vollkommene und unvollkommene Pflicht gegenüber sich selbst und gegenüber anderen abgeleitet werden. Eine solche Pflicht kann es sein, die Eigenschaften der Persönlichkeit dahin gehend zu verändern, dass sie sich an der Sittlichkeit ausrichten. Eine vollkommene Pflicht gegen sich selbst im Sinne Kants wäre es, sich der Entleibung und der »Verstümmelung« zu enthalten.85 Als unvollkommene Pflicht gegen sich selbst kann die
85 Vgl. Kant VI, S. 421.
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Kultivierung der »Geistes-, Seelen- und Leibeskräfte« verstanden werden.86 Die gegenseitigen Anerkennungsverhältnisse moralischer Subjekte machen es zur Bedingung der Verantwortlichkeit, dass die mit Selbstachtung verbundene Ausrichtung an der Sittlichkeit auch zur Pflicht gegenüber dem anderen wird.87 Gleichzeitig sind die anderen in einer ebensolchen Pflicht, den nach Sittlichkeit Strebenden in seinen Bestrebungen zu unterstützen. Dies gilt jenseits der Unterscheidung in gesund und krank. Die Selbstachtung kann quasi als Bedingung der moralischen Achtung anderer angesehen werden und umgekehrt wird für die Ausbildung eines »vernünftig bestimmten Selbstwertgefühls« die moralische Achtung anderer benötigt.88 Moralische Selbstständigkeit des Einzelnen entspricht für Kant der moralischen Selbstständigkeit aller Personen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis.89 Dies wird weiter unten stärker ersichtlich, wenn die Verantwortlichkeiten für die Eingriffe betrachtet werden. Im Sinne der Selbstachtung und Achtung des anderen könnte es als Pflicht verstanden werden, Eigenschaften der Persönlichkeit so zu verändern, dass diese mit Sittlichkeit in Einklang gebracht werden können. Eingriffe, die einen solchen Einklang herstellen, wären demnach als zum Wohle der Person zu bewerten. Wenn auch nicht notwendigerweise mit diesem theoretischen Hintergrund existieren in der Praxis tatsächlich Versuche, für als pathologisch erkannte Zustände einer Persönlichkeit eine moralische Erziehung zu befürworten bzw. für unumgänglich zu halten, sofern eine Veränderung bestimmter Verhaltensweisen eintreten soll. Louis Charland beispielsweise bestreitet zwar nicht, dass innerhalb der Diagnosegruppe Persönlichkeitsstörungen auch Konditionen wie Depression auftreten (die der Achse I des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders [DSM] IV zugeordnet werden können) und somit eine pharmakologische Behandlung als medizinische Maßnahme benötigen. Dennoch schlägt er vor, Persönlichkeitsstörungen, die dem Cluster B zugeordnet werden, also die antisoziale, die histrionische, die narzisstische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung, nicht als genuin medizinische, sondern als moralische Gattung zu betrachten. Charland nennt für alle Cluster-B-
86 Vgl. Kant VI, S. 444 ff. 87 Zu Anerkennungsverhältnissen siehe Sturma 2008, z.B. S. 353. 88 Sturma 2008, S. 354. 89 Vgl. Sturma 2008, S. 315.
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Störungen moralische Anhaltspunkte der Diagnose; hier wird nur das Beispiel der Borderline-Persönlichkeitsstörung genannt. Mangelnde Empathie und mangelnde Achtung für andere kann man demnach in den Diagnosekriterien »inappropriate, intense anger« und »instability in interpersonal relationships« wiederfinden, die auf die Interpretation als moralische Mängel hinweisen. Diese bedürften für eine erfolgreiche Therapie auch einer moralischen Behandlung.90 Die von Charland für Therapien einzelner Persönlichkeitsstörungen benannte moralische Erziehung dürfte empirischen Ratschlägen im Sinne Kants nahekommen. Man kann nach Kant nicht nach bestimmten Prinzipien glücklich werden, denn zu einer Bestimmung dessen, was einen wahrhaftig glücklich macht, müsste man allwissend sein. Um glücklich zu sein, ist die Befolgung empirischer Ratschläge ratsam, welche die Lebensführung betreffen und das Wohlbefinden im Durchschnitt steigern.91 Um sich aber am allgemeingültigen Prinzip der Sittlichkeit auszurichten, müssten die praktischen Regeln, welche in die empirischen Ratschläge und in die von Charland beschriebene moralische Erziehung münden, in objektive Prinzipien überführt werden.92 Ob dies für alle in der Praxis zur moralischen Erziehung vorgesehenen Eigenschaften einer Persönlichkeit vollzogen werden kann, bleibt fraglich. Eine Veränderung zum Wohle der Persönlichkeit ist durchaus vorstellbar, die sich an der Sittlichkeit im Kantschen Sinne orientiert. Die von Charland angesprochene praktische moralische Erziehung im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen dürfte aber von einem objektiven Prinzip weit entfernt sein. Bei dieser Art der moralischen Erziehung stellt sich vielmehr die Frage, warum die Normativität der Kriterien zur Feststellung von Per-
90 Vgl. Charland 2004. Die bei Charland angesprochene moralische Behandlung soll allerdings nicht zu einer Gleichsetzung seiner Ideen mit der »moralischen Behandlung« der »Irrenbehandlung« des 18. und 19. Jahrhunderts führen. Diese sollte noch die moralische Erziehung zum Teil mit Mitteln wie einem »Zwangsstuhl« gewährleisten. Ähnlichkeiten könnten allerdings in der Doppelrolle des Arztes als zur Sittlichkeit anregender Erzieher und Arzt gesehen werden. Zur »moralischen Behandlung« in jener Zeit vgl. Schott, Tölle 2006, S. 50 ff. 91 Vgl. Kant IV, S. 418. 92 Zu subjektiven und objektiven Prinzipien bei Kant siehe Kant IV, S. 420, insbesondere Fußnote; auf S. 421 eine Formulierung des kategorischen Imperativs.
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sönlichkeitsstörungen in der allgemeinen psychiatrischen Literatur nicht verstärkt herausgehoben wird. Diese Frage ergibt sich auch für die von Charland angesprochene Therapie. Ist dabei eine moralische Erziehung für bestimmte Aspekte von Persönlichkeitsstörungen vonnöten, muss für diese neben einer medizinischen auch eine ethische Rechtfertigung erfolgen. Gleiches gilt für andere Krankheitsbilder, die neurowissenschaftlicher Therapie bedürfen und wo zum Wohle der Person beigetragen wird, indem moralische Eigenschaften der Persönlichkeit verändert werden. Eine Rechtfertigung hier thematisierten Therapien zum Wohle der Person mithilfe einer deontologischen Theorie wäre zwar denkbar, deckt sich aber wohl kaum mit deren Anforderungen. Es ist eher wahrscheinlich, dass eine moralische Erziehung bei normativ aufgeladenen Aspekten von Krankheitsbildern, die neurowissenschaftlich behandelt werden sollen, neben dem grundsätzlichen Argument der Leidenslinderung, eher im Hinblick auf die Gesellschaft und deren Nutzen gerechtfertigt werden kann. Wie bei Einflüssen von Denkstilen auf Diagnose und Therapie diskutiert, sollten meines Erachtens solche normativen Hintergründe von Eingriffen offengelegt werden, um alle Aspekte von Autonomie zu gewährleisten.
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Mithilfe der bisherigen Überlegungen ist es noch nicht gelungen, eindeutige Ergebnisse darzustellen für die Frage, wann und wie ein Eingriff zur Veränderung der Persönlichkeit mit neurowissenschaftlichen Mitteln geboten oder verboten erscheint. Ebenso bliebt weiterhin fraglich, wer die Verantwortung für solche Eingriffe übernimmt und wie. Insbesondere die Darstellungen von Autonomieaspekten können zwar zur Beantwortung dieser Fragen bereits von großer Relevanz sein. Dennoch wird in Folge versucht, anhand weiterer deontologischer Überlegungen noch klarere Antworten auf die Frage zu formulieren, ob bestimmte Eingriffe zur Veränderung von Persönlichkeit auf keinen Fall geboten sind. Dabei wird, aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit nur eines Ansatzes, primär auf die Theorien Kants rekurriert, obwohl diese sicherlich nicht die einzig diskussionswürdigen sind.
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5.1 Vollkommene und unvollkommene Pflichten gegen sich selbst Es stellt für die deontologische Ethik Kants eine Pflicht sich selbst gegenüber dar, seine Naturkräfte »als Mittel zu allerlei möglichen Zwecken«93 zu kultivieren. Kant, dessen Tugendbegriff mit dem von Aristoteles nicht dekkungsgleich ist, erachtet Handlungen, welche aus Gleichförmigkeit zur Notwendigkeit geworden sind, nicht als frei und als moralische Fertigkeiten.94 Es sei erforderlich, seine Affekte und Leidenschaften zu zähmen und dieser Herr zu werden.95 »[…] da ist diese Fertigkeit eine Beschaffenheit nicht der Willkür, sondern des Willens, der ein mit der Regel, die er annimmt, zugleich allgemein=gesetzgebendes Begehrungsvermögen ist, und eine solche allein kann zur Tugend gezählt werden.«96
Eine wesentliche Frage, die sich bei der Verbesserung eigener Anlagen stellt, ist, wie sich eine hinreichende Verantwortung der einzelnen Persönlichkeit, aber auch der Gemeinschaft, bezüglich einzelner Eingriffe zur Verbesserung von Eigenschaften einer Persönlichkeit erzielen und begründen lässt. Diese Verantwortung gilt es nicht nur dem Einzelnen gegenüber zu übernehmen, sondern auch stellvertretend im Einzelnen für die Gemeinschaft.97 »[…] sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der Thierheit (quod actum), immer mehr zur Menschheit, durch die er allein fähig ist sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten: […] die moralisch-praktische [Vernunft, O. F.] gebietet es ihm schlechthin und macht diesen Zweck ihm zur Pflicht, um der Menschheit, die in ihm wohnt, würdig zu sein.«98
93 Kant VI, S. 444. 94 Vgl. Kant VI, S. 407. 95 Vgl. Kant VI, S. 407. 96 Kant VI, S. 407. 97 Vgl. Kant VI, S. 392. 98 Kant VI, S. 387; Hervorhebung im Original.
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Zwecke, welche zugleich Pflichten sind, sind nach Kant die Förderung der eigenen Vollkommenheit und der fremden Glückseligkeit.99 Wie kann bei der Verbesserung der Eigenschaften einer Persönlichkeit die Erfüllung dieser Pflichten aussehen, sofern die Verantwortung für unsere Handlungen auch stellvertretend für andere übernommen werden soll? Sich des Lebens zu berauben, würde nach der verfolgten Argumentation auf jeden Fall dem widerstreben, die eigene Vollkommenheit zu befördern. Das Leben selbst zu zerstören kann nicht als Maxime zum allgemeinen Naturgesetz werden.100 »Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponiren, heißt die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) abwürdigen, der noch der Mensch (homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertraut war.«101
Der Versuch, einzelne Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit im maximal möglichen Maß an der Sittlichkeit auszurichten, muss mit derselben Argumentation als Pflicht angesehen werden.102 Die Maxime der Handlung zur Verbesserung von Eigenschaften einer Persönlichkeit kann ebenfalls als Pflicht gegen sich selbst angesehen werden, um in »[…] pragmatischer Rücksicht ein dem Zweck seines Daseins angemessener Mensch zu sein.«103 Es handelt sich bei der Vervollkommnung dieser Eigenschaften aber um unvollkommene Pflichten. Es ist keine innere Unmöglichkeit, diese Maxime als allgemeines Naturgesetz zu denken, aber es muss die Abwägung dessen, welchen Eigenschaften zur Vervollkommnung (sprich: »Geistes-, Seelen- und Leibeskräfte«) Vorzug gewährt werden soll und nach welchen Proportionen eine Gewichtung stattfinden soll, weiteren Überle-
99
Vgl. Kant VI, S. 384 ff. Eine Pflicht, die zugleich Zweck ist, kann als Tugendpflicht benannt werden; vgl. Kant VI, S. 383.
100 Vgl. Kant IV, S. 422. 101 Kant VI, S. 423; Hervorhebung im Original. 102 Siehe auch weiter unten. 103 Kant VI, S. 445.
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gungen überlassen werden.104 Die Verbesserung einzelner Verhaltensweisen und anderer Eigenschaften einer Persönlichkeit kann daher nur als eine »verdienstliche« weitere Pflicht interpretiert werden.105 »Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst in Ansehung seiner physischen Vollkommenheit [Geistes-, Seelen- und Leibeskräfte, O. F.] ist aber nur weite und unvollkommene Pflicht: weil sie zwar ein Gesetz für die Maxime der Handlungen enthält, in Ansehung der Handlungen selbst aber ihrer Art und ihrem Grade nach nichts bestimmt, sondern der freien Willkür einen Spielraum verstattet.«106
Spielräume, in denen sich die Eigenschaften einer Persönlichkeit entwikkeln können, entstehen unter anderem dadurch, dass, selbst wenn die Bedingungen, die in Handlungen ihre Wirkung entfalten, nicht alle verändert werden können, diesen durch Reflexion in bestimmten Situationen ein anderes Gewicht verliehen werden kann. Es besteht für eine Persönlichkeit nach dieser Sicht ein gewisser Spielraum, auch um sich zu vervollkommnen – sei sie für Dritte wahrnehmbar oder nicht; es bleibt also trotz eines Eingeständnisses an Determination eine gewisse Lücke für Freiheit.107 Die Möglichkeit, eigene Spielräume für die Selbstentfaltung oder auch Vervollkommnung zu nutzen, kann allerdings auf vielfältige Weise wahrgenommen werden. Sie kann auch beispielsweise beinhalten, der Welt ein nützliches Glied sein zu wollen. Auch dies kann als ein »Werth der Menschheit in seiner eigenen Person« verstanden werden und sollte somit nicht herabgewürdigt werden.108 Wird eine Veränderung der eigenen Eigenschaften der Persönlichkeit als ein Streben nach Sittlichkeit begründet, dann scheint ein solches Streben zumindest mit einer solchen moralphilosophischen Grundlage legitim oder gar geboten zu sein. Für einige Eingriffe zur Veränderung einzelner Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche beispielsweise die Integrität des Körpers verletzen, wird der Verweis auf die Pflicht der Vervollkommnung nicht hinreichend sein. Sind wir gezwungen, bei der Abwägung dessen, ob ein Eingriff zur
104 Vgl. Kant IV, S. 423 f. und Kant VI, S. 445. 105 Kant IV, S. 424. 106 Kant VI, S. 446. 107 Vgl. Vossenkuhl 2006, S. 216 ff. 108 Kant VI, S. 446.
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Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit legitim sein soll oder nicht, weitere Abwägungen in die Überlegungen einzuführen, dann kann dies – wie weiter unten zu sehen sein wird – erneut in eine Situation moralischen Dilemmas münden.109 Wir sehen uns bei der normativen Abwägung der Absicht, Eingriffe durchzuführen, um Eigenschaften einer Persönlichkeit zu verändern, Kant folgend insbesondere zwei Pflichten gegenübergestellt. Es ist – wie oben beschrieben – eine unvollkommene Pflicht, sich um seine eigene Vollkommenheit zu bemühen, sprich seine Eigenschaften der Persönlichkeit zu verbessern, um sich möglichst nahe an der Sittlichkeit ausrichten zu können. Bei manchen Eingriffen kann dem die Pflicht gegenüberstehen, und zwar bei Kant die vollkommene Pflicht, gegen uns selbst keine physische »Entleibung«, weder total noch partial, vorzunehmen.110 Unter partialer physischer »Entleibung«, also unter »Entgliederung« oder »Verstümmelung«, können nach Kant sowohl materiale als auch formale »Verstümmelungen« subsumiert werden.111 Eine materiale »Verstümmelung« würde bedeuten, sich integrierender Teile, also Organe, zu berauben.112 Formal wäre eine »Verstümmelung« dann, wenn man sich »des Vermögens des physischen (und hiermit indirect auch des moralischen) Gebrauchs seiner Kräfte beraubt«113. Eine solche könne auf einige Zeit oder für immer geschehen.114
109 Moralische Dilemmata kennzeichnen dabei moralische Konflikte im engeren Sinn, die ethisch nicht lösbar sind. Unter moralischen Konflikten im weiteren Sinn können moralischer Dissens und normative Überforderung gefasst werden; vgl. Vossenkuhl 2006, S. 120 ff. Moralische Dilemmata sind gekennzeichnet durch mindestens zwei mögliche Handlungsoptionen des jeweiligen Akteurs (die nach theoretischen Differenzierungsmöglichkeiten übrig bleiben), die einander ausschließen und beide moralisch geboten sind; vgl. Sellmaier 2008, S. 37 f. Vossenkuhl und Sellmaier zeigen, dass ein moralischer Dissens sowohl aus sittlichen als auch aus ethischen Gründen möglich ist; vgl. Vossenkuhl 2006, S. 29 und S. 120 ff. Von Moralkonflikten sprechen wir dann, wenn in einer bestimmten Situation mehr als eine Verpflichtung oder Regel gilt, aber man nur einer gerecht werden kann; vgl. Vossenkuhl 2006, S. 121. 110 Vgl. Kant VI, S. 421. 111 Vgl. Kant VI, S. 421. 112 Vgl. Kant VI, S. 421. 113 Kant VI, S. 421.
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Zu Lebzeiten Kants waren die Neurochirurgie oder die Therapie mit Psychopharmaka noch nicht in einem Stadium, dass Kant zu heute möglichen Eingriffen in das Gehirn zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit hätte Stellung beziehen können. Heutige Interpretationen seiner Theorie im Hinblick auf Ergebnisse der Neurowissenschaften können daher immer nur als gedankliche Stütze dienen; keinesfalls sollen sie als potenzielle Nachweise auf Kants Position diesbezüglich verstanden werden. Eine solche Gedankenstütze ist die Annahme, dass das Gehirn als ein integrierendes Organ zu verstehen ist.115 Mit der vollkommenen Pflicht, materiale »Verstümmelung« zu unterlassen, könnten einige physikalische Eingriffe in das Gehirn abgelehnt werden, die als Ziel oder als Nebenwirkung integrierende Funktionen des Gehirns verhindern. Ein Eingriff in das integrierende Organ »Gehirn« könnte zudem zu einem Verlust bzw. zu einer Verminderung des Gebrauchs seiner moralischen Kräfte führen, wenn dadurch die Autonomiefähigkeit (abhängig vom Autonomieverständnis) verringert wird. Für neurowissenschaftliche Eingriffe vorstellbare materiale und formale »Verstümmelungen« würden demnach also zu der Pflicht verleiten, solche Eingriffe in das Gehirn abzulehnen. Wie so oft bei moralischen Entscheidungen ist die Betrachtung aber nicht so einfach, da der vollkommenen Pflicht gegen sich selbst, sich nicht zu verstümmeln, die Pflicht gegen sich selbst (wenn auch unvollkommen), sich um den »Anbau (cultura) seiner Naturkräfte«116 zu bemühen, gegenüberstehen kann. Entscheidet man sich, ohne weitere Kriterien einzuführen und mit der Annahme, das Gehirn sei als Ganzes ein integrierendes Organ, für eine absolute Unverletzbarkeit des Gehirns, da der vollkommenen Pflichten sich selbst gegenüber eine höhere Wertigkeit zukäme als unvollkommenen, dann kann das für einzelne Eingriffe zu Ergebnissen führen, die weder mit neueren Forschungen der Neurowissenschaften noch mit unserer Alltagsintuition vereinbar sein dürften. Mit dieser Schlussfolgerung könnte ein psychochirurgischer Eingriff zur Therapie von Übergewicht genauso verboten sein wie eine Tiefenhirnstimulation bei Parkinson-Patienten, sofern sie beide in integrierende Teile des Gehirns eingreifen. Diese Schlussfolgerung wird vermutlich bei den meisten Menschen auf Widerstand stoßen.
114 Vgl. Kant VI, S. 421. 115 Siehe Fuchs 2008. 116 Kant VI, S. 444.
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5.2 Verstümmelung Um der eben genannten kontraintuitiven Schlussfolgerung zu entgehen, könnte der Versuch unternommen werden, integrierende Bestandteile des Gehirns näher zu bestimmen. Die Entscheidung, bei welchen Eingriffen es sich um eine Beraubung integrierender Bestandteile des Gehirns handelt und folglich um eine »Verstümmelung«, könnte empirischer Natur sein. Das Problem dabei ist, dass diese empirische Bestimmung zum einen von zugrunde liegenden Denkstilen geprägt sein wird. Zum anderen ist die Benennung dessen, was unter »integrierend« mit Bezug auf das Gehirn zu verstehen ist, mit theoretischen Problemen behaftet. Selbst wenn die dabei auftretenden normativen Hürden beiseitegelassen werden, bleibt die Frage offen, was das Gehirn notwendigerweise und in hinreichender Weise integrieren soll. Sind das bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit und wenn ja, welche? Es ist anzunehmen, dass bei einer längeren Verfolgung dieser Frage die meisten erneut auf die hier anfangs angestoßene Debatten personaler Identitäten kämen. Personale Identität wäre dann zumindest eine notwendige Bedingung für ein Gehirn, das trotz neurowissenschaftlicher Eingriffe seine integrierenden Funktionen übernimmt. Wir haben allerdings bereits am Anfang gesehen, dass es sehr unterschiedliche Kriterien geben kann, personale Identität zu bestimmen. Es wurde dort auch diskutiert, dass neurowissenschaftliche Eingriffe mit therapeutischen Zielen personale Identität unabhängig von den Kriterien ihrer Bestimmung nicht gefährden, solange man keine kritischen Nervenzellen oder psychische Funktionen ausmachen kann, deren Verlust mit dem Verlust personaler Identität einherginge. Zurzeit sind solche Zellen oder Funktionen für den therapeutischen Bereich nicht auszumachen. Eine materiale »Verstümmelung« wäre demnach für neurowissenschaftliche Eingriffe kaum zu erwarten. Es handelte sich dann auch nicht mehr um eine vollkommene Pflicht, der »Verstümmelung« zu entsagen. Die Entscheidung müsste ohne einen Rückgriff auf die Wertung vollkommener und unvollkommener Pflichten stattfinden. Würde eines Tages die Frage nach solch kritischen Zellen oder Funktionen bejaht, dann resultierte aus der kategorischen Ablehnung einer »Verstümmelung« auch ein Verbot des Eingriffs, welcher diese kritischen Zellen gefährdet. Personale Identität wurde weiter oben jedoch nur als eine notwendige Bedingung für den Erhalt integrierender Funktionen des Gehirns darge-
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stellt. Für die Möglichkeit, weitere Bedingungen zu benennen, läuft die Diskussion ähnlich wie im Kapitel über personale Identität darauf hinaus, dass bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit für normative Diskurse bei Fragen der Neurowissenschaft relevanter werden können als lediglich die Betrachtung personaler Identität. Dies wird auch in Folge, bei der weiteren Diskussion von »Verstümmelung« und unvollkommener Pflichten deutlich. Können wir also weitere Charakteristika von »Verstümmelung« für Fälle von Eingriffen in die Persönlichkeit so weit erfassen, dass wir »lediglich« zwischen unvollkommenen und vollkommenen Pflichten gegen uns selbst abwägen müssen? Zur Beantwortung dieser Frage scheint es notwendig, diejenigen Bedingungen weiter zu untersuchen, die neben der Bedingung, personale Identität zu erhalten, zur Wahrung der integrativen Funktionen des Gehirns gestellt werden können. Diese integrativen Funktionen scheinen – wie wir noch sehen werden – in die gleiche Richtung zu weisen wie Überlegungen zur »formalen Verstümmelung«. Unter einer »formalen Verstümmelung« haben wir zuvor im Anschluss an Kant subsumiert, wenn sich jemand »des Vermögens des physischen (und hiermit indirect auch des moralischen) Gebrauchs seiner Kräfte beraubt«117. In unserem Fall würde die Person ihre physischen (Kräfte) Fähigkeiten nicht mehr gebrauchen können, um bestimmte Eigenschaften ihrer Persönlichkeit zu entfalten. Bei Kant ist die Rede von moralischen (Kräften) Eigenschaften. In dem hier unterbreiteten Vorschlag werden diese um weitere Eigenschaften ergänzt. In Folge wird ein allgemeiner Vorschlag vorgestellt, wie zwei weitere wesentliche Bedingungen verfasst sein könnten, um »Verstümmelung« jenseits eines Verlusts personaler Identität für Eingriffe im Bereich der Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit zu erfassen. Um eine »Verstümmelung« handelt es sich bei Eingriffen demnach dann, wenn erstens, sie nicht revidierbare Konsequenzen für Eigenschaften einer Persönlichkeit haben und gleichzeitig zweitens, eine Persönlichkeit durch den Eingriff ihre Eigenschaften insgesamt nicht mehr in einer Weise autonom entwickeln, ausrichten und der Umwelt gegenüber umsetzen kann, dass sie zum einen ihrem leiblichen Da-
117 Kant VI, S. 421.
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sein als Selbstverhältnis und zum anderen moralischen Anerkennungsverhältnissen gerecht werden können. Das implizite Autonomieverständnis dieses Vorschlags richtet sich an dem zuvor als Universalisierungsautonomie benannten Verständnis aus. Diese setzt Autonomie im Sinne von Authentizitätsautonomie und zweckrationale Autonomie voraus. Revidierbarkeit als Kriterium stellt meines Erachtens ebenfalls einen wichtigen Aspekt von Autonomie dar. Sowohl unter Gesichtspunkten von Rationalität als auch mit Blick auf Lebenspläne kann es notwendig sein, bereits getroffene Entscheidungen für Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit auch revidieren zu können. Die Revidierbarkeit als notwendige Bedingung für eine »Nicht-Verstümmelung« insbesondere bei nicht kommunizierten Eigenschaften zu setzen, ist deshalb sinnvoll, weil die betroffene Person über diese nicht kritisch mit Vertretern des Denkstils abwägen kann. Für kommunizierbare Eigenschaften stellt eine Nichtrevidierbarkeit der Veränderung nach Eingriffen der Neurowissenschaft jedoch ebenfalls eine moralische Herausforderung im Hinblick auf die Selbstbestimmung dar. Trifft allerdings nur Punkt 1 des Vorschlags zu, dann handelt es sich um keine »Verstümmelung«. Es sind durchaus neurowissenschaftliche Eingriffe vorstellbar, die zwar zu einer Nicht-Revidierbarkeit bestimmter Eigenschaften führen. Oft ist dies vom Eingriff auch intendiert wie im Falle einer Depression beispielsweise. Trotz der Nicht-Revidierbarkeit kann es dann möglich sein, dass die Persönlichkeit die Bedingungen von Punkt 2 des Vorschlags nicht erfüllt. Treten jedoch beide Punkte nach einem Eingriff gleichzeitig auf, dann handelt es sich gemäß des obigen Vorschlags um eine Verletzung einer vollkommenen Pflicht gegen sich selbst und somit wäre ein solcher Eingriff moralisch nicht geboten. Um ein Beispiel für die Anwendung des obigen Vorschlags zur Bestimmung der Verstümmelung zu nennen: Nimmt man vorhergehende Bedingungen für »Verstümmelung« als Grundlage, dann sind Eingriffe, die entweder präventiv oder manipulativ vorgenommen werden, um Eigenschaften einer Persönlichkeit zu verändern, als »Verstümmelung« zu verstehen. Zunächst zu präventiven Eingriffen zur Verhinderung bestimmter Eigenschaften. Diese können als nicht revidierbar gelten. Werden nämlich Eingriffe im Vorfeld, vor der Ausbildung von Eigenschaften einer Persönlichkeit, ausgeführt, um diese zu verhindern, dann ist eine Revision höch-
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stens auf den Zustand der Persönlichkeit mit der noch nicht ausgebildeten Eigenschaft möglich. Damit ist aber womöglich die Ausbildung jener Eigenschaft für die Zukunft vollständig verhindert. Zum einen kann es sein, dass durch den Eingriff deren Ausbildung gänzlich unmöglich wird. Zum anderen sind weniger drastische Fälle vorstellbar, bei denen zwar die Ausbildung der Eigenschaft grundsätzlich noch möglich wäre, aber die Lebensphase zur Ausbildung bereits überschritten ist. Gleichzeitig ist es für solche Fälle mit einem globalen Verzicht auf eine bestimmte Eigenschaft im Vorfeld meines Erachtens nicht möglich, alle Aspekte von Autonomie zu wahren. Ohne die tatsächliche, leibliche Erfahrung einer bestimmten Eigenschaft ist die Autonomiegenese für den Wunsch ihrer Beseitigung als nicht befriedigend zu beurteilen. Der Wunsch nach einem globalen Verzicht auf jene Eigenschaft dürfte nicht als ausreichend frei von Einflussfaktoren beurteilt werden im Sinne einer hinreichend gelungenen Autonomiegenese. Ebenso ist eine Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche lediglich hinsichtlich des Endergebnisses als selbstbestimmt gelten kann, nicht aber hinsichtlich der Art und Weise ihrer Entstehung, gemäß Bedingung zwei des obigen Vorschlags als »Verstümmelung« zu betrachten. Gemeint ist beispielsweise ein auf Manipulation gründender Eingriff. Ein solcher Eingriff kann nämlich die Möglichkeit, sich selbstbestimmt vom Ergebnis des Eingriffs bzw. von dessen Durchführung zu distanzieren, unmöglich machen und erfüllt nicht die Bedingungen, die zuvor an die Autonomiegenese formuliert wurden. Kommt eine Nicht-Revidierbarkeit des Eingriffs hinzu, dann wären die Bedingungen an eine »Verstümmelung« erfüllt. Der Vorschlag, »Verstümmelung« zu bestimmen, bleibt allerdings für konkrete Fälle ebenfalls vage. Ist in den obigen Formulierungen von Manipulation die Rede, bleiben für konkrete Fälle Fragen offen. Wie weit täuschen wir uns selbst durch unsere Sozialisation bereits über die Intentionen unserer Handlungen und Narration? Gibt es Eingriffe, die trotz unserer Sozialisation und trotz Einflüssen von Denkstilen in hinreichender Weise die Bedingung von Revidierbarkeit und Nichtmanipulation erfüllen? Anders formuliert: Sofern einzelne Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit beispielsweise von der wissenschaftlichen Gemeinschaft erwünscht sind, kann dann noch von selbstbestimmter Revidierbarkeit und Erfüllung der Bedingungen von Autonomiegenese gesprochen werden bzw. wo verläuft die Grenze zur Manipulation?
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Wie bereits erwähnt, wird die exakte Bestimmung dieser Grenze hier für nicht möglich erachtet. Dennoch ist eine Auseinandersetzung mit Denkstileinflüssen auf solche Entscheidungen notwendig, um eine eventuelle Missachtung von Bedingungen der Autonomiegenese und von »NichtVerstümmelung« näherungsweise eingrenzen zu können und Trends innerhalb der Wissenschaft ersichtlicher zu machen, die in nicht reflektierter Form zu einer »Verstümmelung« im obigen Sinne führen könnten. Findet eine eindeutige »Verstümmelung« und somit eine Verletzung einer vollkommenen Pflicht gegen sich selbst statt, dann ist dieser Eingriff selbst dann nicht geboten, wenn das Argument der Selbstvervollkommnung, da eine unvollkommene Pflicht, ins Feld geführt wird. Für nicht eindeutig als »Verstümmelung« bestimmbare Eingriffe greifen erneut die Überlegungen und die darauf aufbauenden Abwägungsprozesse, die in den Kapiteln zu Autonomie und Wohltun erörtert wurden. Wer aber soll für solche Abwägungsprozesse bezüglich Eingriffen zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit die Verantwortung übernehmen und wie? 5.3 Verantwortung Folgt man der Frage nach Verantwortung mit einem deontologischen Ansatz, dann ist es selbstredend, dass Verantwortung nicht allein im Sinne eines Ansatzes einer Verantwortungsethik verstanden werden kann, welcher allein für tatsächliche Konsequenzen eines Eingriffs (zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit) die Übernahme von Verantwortung fordert.118 Zum einen geht es um die Übernahme bestimmter Pflichten. Zum anderen ist auch gerade für die nicht eindeutig bestimmbaren Folgen von Eingriffen ebenfalls Verantwortung zu übernehmen. Hier wird auf ein intersubjektives Verständnis von Verantwortung zurückgegriffen und diese in Anlehnung an Vossenkuhl intersubjektiv als Sorge verstanden. Verantwortung hat ferner sowohl retrospektiven als auch prospektiven Charakter.119 Mit dem weiter oben diskutierten deontologischen Ansatz zieht Verantwor-
118 Für eine kurze Zusammenfassung dessen, was unter Verantwortungsethik subsumiert werden kann, siehe Prechtl, Burkard 2008, S. 645 f. 119 Zur Verantwortung mit retro- und prospektivem Charakter und in Anlehnung an Heidegger verstanden als Sorge vgl. Vossenkuhl 2006, S. 164 ff. Zu wichtigen Aspekten von Verantwortung siehe Nida-Rümelin 2011.
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tung schon immer Intersubjektivität nach sich, sogar wenn Personen für sich selbst als Subjekte Verantwortung übernehmen. Immer ist dabei schon die Sorge um die Würde der Menschheit in der eigenen Person integriert. Mit der Fähigkeit des Menschen, Zwecke zu setzen, und »mit dem Zwecke der Menschheit in unserer eigenen Person«120 sind wir zu mehr verpflichtet und für mehr verantwortlich, als von der Gesellschaft abstrahierten eigenen Vorstellungen zu genügen. Die Persönlichkeit, der die Eingriffe gelten, hat also dafür Sorge zu tragen, sich selbst und alle anderen in ihrer Stellvertreterfunktion für die Menschheit nicht zu »verstümmeln« und ihre Abwägungsprozesse jenseits davon entsprechend zu gestalten. »Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein.«121 Das bedeutet für den oben betrachteten Bereich der »Verstümmelung«, die zu vermeiden als vollkommene Pflicht gilt, dass die jeweilige Persönlichkeit nicht nur subjektive, sondern auch intersubjektive Verantwortung für die Vermeidung von »Verstümmelung« zu tragen hat. Dabei kann der zuvor geschilderte Ansatz hilfreich sein. Ferner muss sie dafür Sorge tragen, dass ihre Abwägungsprozesse jenseits der Bestimmbarkeit von vollkommenen Pflichten gegen sich selbst auch im intersubjektiven Raum hinreichend reflektiert sind, beispielsweise im Hinblick auf alle zuvor aufgeführten Autonomieaspekte. Dies erfordert auch eine Reflexion über potenzielle Täuschungen und Manipulationen, die durch Denkstile und Gesellschaft auf die Verbesserungsansinnen von Verhaltensweisen stattfinden können. Eine vollständige Reflexion dieser Bedingungen ist nicht möglich, aber eine für das Subjekt realisierbare ist dennoch auch aus intersubjektiver Sorge heraus notwendig. Einige Anhaltspunkte, was es dabei zu berücksichtigen gilt, wurden in vorhergehenden Kapiteln angesprochen. Beispielsweise sollte das Subjekt unter anderem dafür Sorge tragen, dass durch jene Einflussfaktoren auch seine Eigenschaften der Innenwelt keiner Instrumentalisierung zum Opfer fallen. Ferner kann es in den Verantwortungsbereich des Subjekts gerechnet werden, sich darum zu bemühen, für zu verändernde Eigenschaften einen Einklang zwischen seiner »Innenwelt« und seinen »äußeren Tätigkeiten« herzustellen. Damit sorgt es dafür, dass auch andere Personen die Verbindung dieser Bereiche wahrnehmen können
120 Kant VI, S. 522. 121 Kant V, S. 87.
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und somit auch Veränderungsprozesse durch Eingriffe verfolgen und für diese Sorge tragen können. Im Gegenzug ist von Personen, welche nicht vom Eingriff betroffen sind, dafür zu sorgen, dass die jeweilige Persönlichkeit ihre Reflexionen anhand maximal möglicher Angaben über Einflüsse von Denkstilen und Normen vollziehen kann. Von dieser Pflicht sind die nicht Betroffenen, aber mit dem Eingriff Vertrauten auch nicht entbunden, wenn im Fall psychischer Erkrankung eine vermeintliche Einwilligungsunfähigkeit attestiert wird. Im Gegenteil: Auch für die Feststellung von Einwilligungsunfähigkeit müssen sie die sozialen und wissenschaftlichen Kontexte berücksichtigen, wenn sie dem Verständnis von Verantwortlichkeit im Sinne dieser Arbeit gerecht werden wollen. Selbst wenn die Verursacher und Beurteiler von Eingriffen in andere Persönlichkeiten die Auswirkungen auf deren Innenwelt nicht abschätzen können, tragen auch sie hierfür letztlich eine Mitverantwortung. Auch in diese Richtung erweist sich die Verantwortung nämlich als intersubjektiv. Meines Erachtens hat Emmanuel Lévinas diesen Punkt, also die absolute Andersheit des Anderen in besonders einprägsamer Weise herausgearbeitet und für den Anderen dennoch, oder gerade deshalb, eine besondere Verantwortung eingefordert.122 Sein Ansinnen in seinen eigenen Worten wiedergegeben: »Ich verstehe die Verantwortlichkeit als Verantwortung für den Anderen, das heißt als Verantwortung für das, was nicht meine Sache ist oder mich sogar nichts angeht (ne me regarde pas); oder auch gerade für das, was mich etwas angeht (me ragarde), dem ich mich als einem Antlitz annähere.«123
Eine im Sinne Lévinas’ verstandene Verantwortlichkeit implizierte auch die Verantwortung für die Verantwortlichkeit des Anderen.124 Ohne auf die Interpretationsmöglichkeiten eines solch weiten Verständnisses hier eingehen zu können, kann zumindest für die hier untersuchten Fälle festgehalten werden, dass dies nur möglich ist, wenn dem Subjekt eine Reflexionsgrundlage über die gemeinsamen lebensweltlichen Bedingungen bereitgestellt
122 Siehe beispielsweise in Lévinas 2007; die Schreibweise der »Andere« als Terminus wurde hier der Schreibweise Lévinas angepasst. 123 Lévinas 2008, S. 71; Hervorhebungen im Original. 124 Vgl. Lévinas 2008, S. 75.
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wird. Dazu gehört auch der Zusammenhang zwischen seinen Wünschen nach Veränderung seiner Eigenschaften, gesellschaftlichen Normsetzungen und Denkstilen. Ein Anfang hierzu besteht beispielsweise darin, auf die Doppelrolle von Personen hinzuweisen, die mit der Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit betraut sind. So haben Psychiater sowohl dem Patienten als auch der Gesellschaft gegenüber eine Verpflichtung, die sich auch in deren Verhältnis zur Wissensgewinnung und Krankheit ausdrückt. Gegen einen Missbrauch dieser Doppelrolle internationale Kodizes zu entwerfen, ist begrüßenswert und notwendig, allerdings ist dies nicht hinreichend, um die Verantwortung im obigen Sinne wahrzunehmen.125 Es müsste für dieses exemplarische Problemfeld auch aufgezeigt werden, mit welchen sozialen und wissenschaftlichen Kontexten und Konflikten einzelne Eingriffe in Zusammenhang stehen. Ferner wären Hinweise als Reflexionsgrundlage hilfreich, die beleuchten, wie bestimmte Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit unser Verständnis von Persönlichkeit, aber auch unsere Erwartungen an bestimmte Eigenschaften einer Persönlichkeit, beeinflussen. Die Reflexion über die lebensweltlichen Bedingungen eines Eingriffes zur Veränderung von Persönlichkeit sollte bei der Terminologie beginnen. Was wird unter Persönlichkeit verstanden? Im Anschluss sollten – wie in dieser Arbeit versucht – alle Elemente untersucht werden, die in die Prägung eines Denkstils in einem speziellen Bereich eingehen: Antworten auf psychophysische Fragen, die Art und Weise des Wissenserwerbs, aber auch das Verständnis von Krankheit. Viele Ausprägungen des in dieser Arbeit skizzierten Denkstils hinsichtlich Persönlichkeit wurden als Folge davon interpretiert, dass in der psychologisch-psychiatrischen Praxis eine vermeintliche Notwendigkeit besteht, Komplexitäten zu reduzieren. Diese scheint
125 Zu der Doppelrolle von Psychiatern und zu Darstellungen deren historischen Missbrauchs siehe Chodoff 1999; zu ethischen Kodizes in der Psychiatrie siehe Bloch, Pargiter 1999 sowie verschiedene Deklarationen im Anhang von Bloch et al. 1999. Ein Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, Psychiatrie-Enquête (1975; später ergänzt durch den Bericht einer Expertenkommission; vgl. Schott, Tölle 2006, S. 312 und S. 567), bietet interessante Einblicke in diese Thematik im deutschsprachigen Raum; siehe Sachverständigenkommission des Deutschen Bundestags 1975.
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den »Praktikern« deshalb gegeben, weil sie meinen, sonst keine Therapie zur Leidminderung anbieten zu können. Die Reduktion von Komplexitäten in diesem Sinne als notwendiger Bestandteil sozialer Systeme im Luhmann’schen Verständnis und zur Minderung von Leid mag zunächst sinnvoll erscheinen.126 Dennoch müssen sowohl eine solche Reduktion von Komplexitäten als auch alle daraus resultierenden Folgen für das Persönlichkeitsverständnis, die sich in den dargelegten Ausformungen eines Denkstils ausdrücken, kritisch reflektiert werden. Sie drücken nämlich auch immer spezielle Macht-Wissens-Verhältnisse aus. Für die Möglichkeit der Übernahme der geforderten Verantwortung bei Eingriffen zur Veränderung von Persönlichkeit können und müssen Macht-Wissens-Verhältnisse sowie deren Folgen in Ausprägungen eines Denkstils nicht komplett aufgelöst werden. Es ist hinreichend, wenn einzelne Tendenzen innerhalb eines Denkstils zumindest wie hier lokalisiert und transparent gemacht werden. Hierzu ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion, aber auch zur Reflexion über Wissenssysteme und über geltende Sitte erforderlich. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zur Erfüllung der hier geforderten Verantwortlichkeit notwendig ist, verschiedene Bedingungen zu beachten. Zum einen muss der Andere immer als der absolut Andere begriffen werden. Gleichzeitig muss im Anderen dennoch ein moralisches Subjekt gesehen werden, das gegenseitige Anerkennungsverhältnisse impliziert. Um der geforderten Verantwortung im Fall von Eingriffen in Persönlichkeiten hinreichend gerecht werden zu können, muss zudem beachtet werden, dass das Wissen über Eigenschaften einer Persönlichkeit in Denkstile und somit in Macht-Wissens-Verhältnisse eingebunden ist. Die einzelnen Charakteristika eines solchen Denkstils zu benennen ist eine Grundbedingung jener Verantwortung, selbst dann, wenn nicht alle Charakteristika verändert werden können oder sollen. Es ist vielmehr eine epistemische Achtsamkeit gefordert. Die einzelnen Ausprägungen eines Denkstils führen nämlich ihrerseits ebenfalls zu Veränderungen von Urteilen jener, die bestimmte Eingriffe beurteilen sollen. Manche bedeutenden Aspekte des Daseins können aus einer denkstilgerichteten Perspektive verloren gehen, andere werden vermehrt als Gefahren für den Einzelnen oder für den »Gesellschaftskörper« – wie in Folge dargelegt wird – wahrgenommen. Dadurch
126 Zum Thema Komplexitätsreduktion bei Luhmann siehe Luhmann 2008, S. 48 ff.
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verändern sich sowohl die Terminologie der Persönlichkeit als auch das vorhandene Menschenbild. Einzelne Ausprägungen eines Denkstils münden ferner in einen veränderten »Blick des Anderen«.127 Dieser wiederum kann die Selbstverhältnisse einer Persönlichkeit und somit auch ihre Wunschstruktur erheblich verändern.
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M ACHT -W ISSENS -V ERHÄLTNISSE
Es gehört nicht notwendigerweise zu ethischen Überlegungen, sich über Machtverhältnisse Gedanken zu machen. Im Rahmen einer Konzeption, die im Sinne der Verantwortlichkeit darauf Wert legt, auch die gesellschaftlichen Bedingungen bestimmter Eingriffe offenzulegen, gehören solche Überlegungen jedoch sehr wohl zu einer ethischen Analyse. Die reine Benennung kann existierende Machtverhältnisse nicht allein überwinden, aber sie kann helfen, Entscheidungen zur Veränderung von Persönlichkeit selbstbestimmter und verantwortlicher zu treffen. Michel Foucaults Werke liefern ein theoretisches Grundgerüst, mit denen einige Phänomene und Machtverhältnisse benannt werden können, die für die Fragestellung nach Persönlichkeitsveränderung mit neurowissenschaftlichen Mitteln relevant sein könnten. Seine Ideen scheinen in der philosophischen Denktradition nicht an die vorhergehenden deontologischen Überlegungen anschlussfähig zu sein, um zu konsistenten ethischen Analysen über die Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit zu gelangen. Dies trifft aber nur zu, wenn man Foucaults Entwürfe in einer Weise versteht, von der er auch selbst später Abstand genommen hat und die eine Unentrinnbarkeit für das Subjekt aus bestimmten Machtverhältnissen impliziert. Hier wird eher davon ausgegangen, dass eine Benennung möglicher Machtverhältnisse, oder aber auch Denkstile, zu einer Emanzipation des Subjekts führen kann. Sie erhöht die Möglichkeit selbstbestimmten und verantwortlichen Handelns und ermöglicht meines Erachtens somit eine Anschlussfähigkeit an vorherige deontologische Überlegungen. Zunächst soll eine Diagnose im Sinne Foucaults gegeben werden, wie die zuvor diskutierten Denkstilcharakteristika im Dienste bestimmter Machtstrukturen interpretiert werden könnten. Dabei wird das Aufzeigen dieser Möglichkeiten als ein Teil der Übernahme von Verantwortung hin-
127 Zum Blick des Anderen siehe Sartre 2006, S. 457 ff.
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sichtlich Eingriffen zur Veränderung der Persönlichkeit verstanden. Eine solche Diagnose ist, dass die Zusammenfassung von Verhaltensweisen zu Symptomkomplexen, wie dies im Falle von Persönlichkeitsstörungen erfolgt, mehr Phänomene aus der Lebenswelt der Psychiatrie zuführt. Eine solche Denkstilentwicklung, die sich an Symptomkomplexen orientiert, könnte auch vermehrt alle möglichen, zuvor in moralischer Hinsicht beurteilten Verhaltensweisen in die psychiatrische Diagnostik einbeziehen. Dieses Denkstilcharakteristikum erzeugt somit eine Vergrößerung des psychiatrischen Befugnis- oder (nennen wir es) Machtbereichs. Denkt man diese Erweiterung des Machtbereichs konsequent weiter, dann könnte theoretisch jedes Verhalten, das in Verbindung mit Unordnung, Unbelehrbarkeit, Unbeherrschtheit, Mangel an Empathie usw. steht, bei Bedarf der Gesellschaft, der Psychiatrie zugeführt werden.128 Um dies zu legitimieren, ist zuvor allerdings eine denkstilgerechte Rechtfertigung notwendig. Eine weitere Entwicklung kann hierbei nicht übersehen werden: die Betonung biologischer Ursachen und der Kindheit bei der Entstehung bestimmter Eigenschaften von Persönlichkeit. Biologische Ursachen werden verstärkt im Bereich der Psychiatrie ausgemacht. Andere Disziplinen, die beispielsweise auf psychoanalytischen Theorien beruhen, sehen die Verursachung bestimmter Eigenschaften einer Persönlichkeit in Erfahrungen, insbesondere in denen der Kindheit. Für Foucault dient die Kindheit quasi als Knotenpunkt der Interpretation der Verallgemeinerung des psychiatrischen Wissens und der psychiatrischen Macht.129 Ebenso ermöglichen die Kindheit und deren Verallgemeinerung als Problemfeld durch die Psychiatrie, mit der Neurologie und der allgemeinen Biologie in Verbindung zu treten. Die Interpretation der kindlichen Erfahrung funktioniere als Verbindungselement zwischen dem normativ Bestimmbaren und dem naturalistisch Erfahrbaren der Krankheit.130 Die Entwicklung, welche sich im aktuellen Denkstil bezüglich Persönlichkeit und deren Abweichungen manifestiert, lässt sich meines Erachtens anhand Foucaults Begriffs des »Zustands« allgemein gut beschreiben. Dieser »Zustand« ist charakterisiert durch ein gestörtes Gleichgewicht, die Elemente funktionieren nicht normal, auch wenn keine Krankheit vorliegt.
128 Vgl. Foucault 2003, S. 400. 129 Vgl. Foucault 2003, S. 399 ff. 130 Vgl. Foucault 2003, S. 399 ff.
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In die Kontrollsphäre der Psychiatrie rücken laut Foucault daher auch Verhaltensweisen, die an sich nicht pathologisch sind, aber in der gegebenen Konstellation im Sinne der Psychiatrie nicht vorkommen sollten. Das an sich gesunde Verhalten erscheint zu früh, zu spät oder zu unkontrolliert.131 Der »Zustand« kann also charakterisiert werden als allgemeines Defizit in der Koordinierungsinstanz eines Individuums. Dieser Begriff wird von Foucault für diese Arbeit übernommen, um eine weitere Charakterisierung des aktuellen Denkstils zu bieten, bezüglich des Umgangs mit vermeintlich abweichenden Eigenschaften von Persönlichkeit. Im Falle von Persönlichkeitsstörung wäre dies die Konstellation bestimmter Verhaltensweisenauffälligkeiten. Es handelt sich dabei um kein einzelnes, hervorstechendes Merkmal. Aus dem »Zustand« können alle möglichen pathologischen Verhaltensweisen oder aber auch abweichende körperliche Verfassungen resultieren. Als »Zustand« könne man die Gesamtheit struktureller Eigenschaften verstehen, wobei das betrachtete Individuum in seiner Entwicklung zurückgeblieben oder regrediert sei.132 Dieser »Zustandsbegriff« wird im weiteren Verlauf mit Theorien der »Disziplinarmacht« sowie der »Biomacht« gekoppelt werden, um seine volle Relevanz für ethische Analysen von Denkstilen im Hinblick auf gesellschaftliche Strukturen zu entfalten. Verschiedene Eigenschaften von Persönlichkeit zu bündeln und sie als Defizit in der Koordinierungsinstanz eines Individuums anzusehen, kann für ein Denkkollektiv hilfreich sein, wenn es darum geht, beispielsweise objektive Kriterien für die Verteilung von Gütern zu schaffen. Dieses dem aktuellen Denkstil über Persönlichkeit hier als immanent zugeschriebene Merkmal kann aber gleichzeitig darüber hinwegtäuschen, dass sich in jenen Defiziten auch psychosoziale Probleme widerspiegeln. Die Suggestion, psychosoziale Probleme ließen sich mit einem maximalen Objektivierungsgrad der Eigenschaften einer Persönlichkeit sowie derer Defizite lösen, mag in einem Denkkollektiv mit Bedarf zur Komplexitätsreduktion notwendig erscheinen. Sie muss aber, sobald mit dieser Idee auch Eingriffe zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit verbunden sind, kritisch betrachtet werden. Die gerichtete Wahrnehmung bezüglich Eigenschaften der Persönlichkeit und die dieser gerichteten Wahrnehmung entsprechende gedankliche und sachliche Verarbeitung des Wahrgenommenen sollten für
131 Vgl. Foucault 2003, S. 401 ff. 132 Vgl. Foucault 2003, S. 410 ff.
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Entscheidungen bezüglich Eingriffen zur Veränderung von Eigenschaften einer Persönlichkeit explizit reflektiert werden. Für eine solche Reflexion und die damit verbundene ethische Analyse sollte mehr benannt werden als die Deskription von Denkstilcharakteristika, nämlich deren Zusammenhänge mit weiteren gesellschaftlichen Phänomenen. Es müssen Ideen angeboten werden, wie es zu einer Kultur von Wissen kommen kann, das sich derart selbst begrenzt und in seiner Entwicklung reguliert. Foucault bietet auch hier Wege zum Nachdenken, indem er Verbindungen zur Gemeinschaft der Erzeuger von Wissen untersucht. Folgt man Foucault, dann ist (zumindest bis zu seinen späten Werken) dem Zusammenspiel aus Macht und Wissen nicht zu entkommen.133 Somit wären wir auch bei der Betrachtung der aktuellen Wissensgewinnung über Eigenschaften der Persönlichkeit den oben skizzierten Tendenzen der diskursiven Praxis, dem zuvor entworfenen Denkstil, ausgeliefert. Um dem Ausgeliefertsein an die Denkstilgebundenheit so weit zu entgehen, dass Verantwortung für Eingriffe in hinreichender Form übernommen werden kann, muss meines Erachtens genau diese Eingebundenheit in Denksysteme immer wieder thematisiert und für Einzelfälle ausformuliert werden. Zwar wird am Ende dieses Kapitels die Tragfähigkeit von Foucaults Analysen zur Macht eingegrenzt, weil sie nicht ausreichen, um dem Subjekt Verantwortung in der weiter oben geforderten Weise zuzuschreiben. Dennoch liefern seine Analysen eine fruchtbare Grundlage und viele treffende Diagno-
133 Auch in Foucaults Denken findet eine Abkehr von seinen Machttheorien in ihrer ursprünglichen Formulierung und eine Hinwendung zur Subjektivität statt. Foucaults späte Werke begegnen damit der berechtigten Kritik an der These, das Subjekt könne der Macht nicht entrinnen. Zuvor war das Subjekt bzw. dessen Widerstand gegen die Macht bei Foucault im Rahmen der dargelegten Entwicklung seines Machtbegriffs lediglich Produkt oder Korrelat der »diskursivierenden« Macht. Im späteren Verlauf seines Werkes kommt zu den »Achsen des Wissens und der Machtpraktiken« die »Achse der Subjektivität« hinzu, die die ersten beiden Achsen aus der Perspektive der Subjektivität denken lässt. Damit kehrt in Foucaults Denken eine positive Bewertung des existenziellen Selbstverhältnisses zurück und Freiheit wird wieder denkbar. Eine »zur Ethik orientierte Moral« lässt im Gegensatz zur codeorientierten Moral die Entwicklung souveräner Selbstpraktiken zu; vgl. Fink-Eitel 2002, S. 97 ff.
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sen für Überlegungen zum Verhältnis von Wissen und Macht und sollen daher in aller Kürze angeführt werden. Für Foucault besteht ein Verhältnis zwischen Wissen, Wahrheit, Macht und Gesellschaft. Das Wissen, das beispielsweise über den »Zustand« eines einzelnen Körpers, über Eigenschaften einer Persönlichkeit gewonnen wurde, kann in der Summe dann auch zur Regulierung des Gesellschaftskörpers benutzt werden. Daher könne sich die Psychiatrie beispielsweise mit den vermehrten Objektivierungstendenzen auch anbieten, als Schutz der Gesellschaft gegen die Bedrohungen zu fungieren, die von den Personen ausgehen, die sich in einem anormalen »Zustand« befinden.134 Bei Foucault wird die Psychiatrie durch die Aufgabe zur Verteidigung der Gesellschaft im Sinne der Biomacht zur Wissenschaft über den wissenschaftlichen Schutz der Gesellschaft. Um diesen Sachverhalt verdeutlichen und diskutieren zu können, muss kurz erläutert werden, was Foucault unter Biomacht zu fassen versucht. Da die von Foucault diagnostizierte Disziplinarmacht bei der Erstellung von Wissen über die Eigenschaften einer Persönlichkeit ebenfalls von Belang ist, wird auch diese Machtform kurz umrissen. Diese beiden Formen der Macht sind bei Foucault von der Souveränmacht zu unterscheiden. Bei Letzterem nimmt Macht eine hierarchische, sichtbare und gut lokalisierbare Form an. Diese Form der Macht repräsentiere den feudalen Gesellschaftstyp und übe die Macht von oben nach unten aus.135 Diese Form von Macht käme für die Betrachtungen dieser Arbeit nur dann zum Tragen, wenn Psychiatrie als Institution der Gesellschaft angesehen würde, die von einem Souverän bewusst zur Repression eingesetzt wird. Von dieser Annahme wird hier Abstand genommen. Die Disziplinarmacht sei hingegen nicht nur repressiv, sondern beinhalte auch einen produktiven Anteil, um beispielsweise Wissensproduktion zu betreiben.136 Die wichtigste Technik dafür sei die permanente Beobachtung. Gemäß dem in »Überwachen und Strafen« entworfenen »panoptischen Modell« kann Macht entpersonalisiert werden, da man etwa auf einen phy-
134 Vgl. Foucault 2003, S. 410 ff. 135 Vgl. Foucault 2001, S. 37 ff. 136 Vgl. Fink-Eitel 2002, S. 75 ff.
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sisch existierenden Wärter verzichten kann.137 Dieses Architekturprinzip, bei dem man durch perfektionierte Disziplinierung auf Körperstrafen verzichten kann, lässt sich für Foucault als Prinzip verallgemeinerter und wechselseitiger Kontrolle auf moderne Gesellschaften übertragen.138 Die vermehrte Beobachtung und Beachtung von Eigenschaften einer Persönlichkeit und deren Abweichungen, nicht nur durch die von der Gesellschaft dafür legitimierten Institutionen wie die Psychiatrie, sondern in der gesamten Lebenswelt, passt in diese Diagnose. Persönlichkeiten, deren kommunizierte Eigenschaften eine Auffälligkeit aufweisen, werden bereits von ihrem Umfeld beobachtet. Zum Teil produziert diese Beobachtung durch Laien, gepaart mit leicht zugänglichem wissenschaftlichem Wissen zu Störungen von Persönlichkeit, bereits ein ausführliches Wissen. Der Ursprung der Macht, in Form eines Souveräns, wird aufgehoben, sodass jeder in der geeigneten Position diese Funktion einnehmen kann.139 Es ist diesen Überlegungen folgend nicht nur die Institution der Psychiatrie dafür zuständig, Auffälligkeiten im menschlichen Verhalten zu bemerken und sie der Behandlung zuzuführen, sondern jeder, der beispielsweise in Kontakt mit von Persönlichkeitsstörungen Betroffenen steht, wäre aufgerufen, die potenziell (moralischen) Mängel einer Persönlichkeit und ein in irgendeiner Form (sittlich) beängstigendes Verhalten zu orten. Von Bedeutung ist für Foucault auch die architektonische Struktur des Panopticons, da diese zu den Ordnungsstrukturen, die ein Diskurs errichtet, analog gesehen werden kann. Beide schaffen Ordnung, ermöglichen Sichtbarkeit durch Raumgliederung, heben den Ursprung der Macht in Form eines Königs auf, sodass jeder in der richtigen Position diese Funktion einnehmen kann.140 Dies gilt auch für die Verbindung von Wissen und Macht im Fall von Eigenschaften einer Persönlichkeit. Mit dieser Feststellung wird besser verstehbar, wie es zu der denkstiltypischen Notwendigkeit und weitreichenden Akzeptanz von Komplexitätsreduktion kommen kann. Ein
137 Charakteristisch für panoptische Modelle (erstmals von Bentham für Gefängnisse entworfen) ist die Anordnung um einen zentralen Punkt, von dem aus sich alles beobachten lässt. 138 In seinen Schriften zur »Gouvernementalität« distanziert sich Foucault allerdings wieder von dieser Übertragung; siehe Foucault 2009. 139 Vgl. Sarasin 2005, S. 139 ff. 140 Vgl. Sarasin 2005, S. 139 ff.
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Hinweis auf diesen Umstand ist zwar noch nicht gleichbedeutend mit dessen Überwindung, aber ein solcher Hinweis leistet einen Beitrag für die Möglichkeit der Übernahme von Verantwortung. Das Ziel der Disziplinarmacht ist nach Foucault ferner die Isolierung, Überwachung, Einschließung und Transformation der Körper. Strafen haben die Psyche, die Anomalien, die Triebe und den Charakter zum Objekt. Die zu einer Tat motivierenden Kräfte sollen gezeigt und disziplinierenden, normalisierenden Bemühungen zugeführt werden. Orte der Machtausübung seien gleichzeitig auch Orte der Wissens- und Wahrheitsproduktion über den Gegenstand »Mensch«. Dabei werden für die Wissensproduktion Prüfungen besonders wichtig.141 Foucault sieht den Machttyp der Disziplinarmacht ferner als wesentlich bei der Errichtung des Industriekapitalismus an.142 Die Techniken der Disziplinarmacht sollen der Normalisierung dienen.143 Der Körper werde nicht etwa in Beschlag genommen, um ihn zu quälen, sondern vielmehr, um ihn zu disziplinieren, Normen zu unterwerfen und produktiv zu machen.144 Die meisten dieser Diagnosen Foucaults können nicht kommentarlos übernommen werden. Sehen wir uns diejenigen an, die für die Auseinandersetzung mit der Entstehung des hier skizzierten Denkstils wesentlich sind. Die Institute sind zahlreich, die im letzten Jahrhundert ausgebaut wurden, den Titel der Wissenschaftlichkeit erlangten oder neu entstanden, um Eigenschaften einer Persönlichkeit und deren Abweichungen zu studieren, Wissen über sie zu erwerben und weiterzugeben. Die Inhalte dieses gewonnenen Wissens werden auch vermehrt Gegenstand von Prüfungen. Der Erwerb des Wissens findet dabei durch permanente Beobachtung von Persönlichkeiten und deren Körpern an Orten statt, die gleichzeitig Orte der Wissensvermittlung sind, aber auch der Ausübung von Macht durch spezielle Therapieformen wie der Zwangsbehandlung dienen können. Zumindest sind diese Orte zu letzteren Handlungen legitimiert, wenn auch nur in besonderen Fällen und unter speziellen Vorgaben. Wie wir bei der Analyse »moralischer Erziehung« gesehen haben, können einige therapeutisch legitimierte Veränderungen von Eigenschaften einer Persönlichkeit im Bereich
141 Vgl. Sarasin 2005, S. 129 ff. 142 Vgl. Foucault 2001, S. 51 f. 143 Vgl. Fink-Eitel 2002, S. 75 ff. 144 Vgl. Sarasin 2005, S. 132.
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der Persönlichkeitsstörung vollzogen werden, wenn es dadurch zu einer Art moralischer Verbesserung kommt. Hierzu scheint es sinnvoll und denkstilkonform zu sein, Triebe, Anomalien und diejenigen Charakterzüge einer Persönlichkeit ins Visier der Beobachtung zu nehmen, die einer solchen Erziehung zugeführt werden könnten. Wie diese gebündelt auftreten können, wurde zuvor mit dem Begriff des »Zustands« beschrieben. Jene Diagnose Foucaults, welche sich auf die Produktivität bezieht, weist starke Ähnlichkeiten mit der Analyse dieser Arbeit auf, die moralische Erziehung und deren Zusammenhang mit utilitaristischen Tendenzen herausstellte. Wenn diejenigen Anteile von Persönlichkeit als störend erkannt werden, die Normen zuwiderlaufen, die mit der Produktivität oder gesellschaftlicher Akzeptanz zusammenhängen, dann wird eine potenzielle therapeutische Möglichkeit, diese Anteile gesamtgesellschaftlich zu disziplinieren, keinen Anlass zu Protest seitens der Gesellschaft bzw. eines Denkkollektivs bieten. Der Bezug zur Gesamtheit der Gesellschaft entsteht bei Foucault noch viel stärker bei der Idee von Biomacht. Durch die Theorie der Biomacht wechselt Foucault von der Ebene der Disziplinarinstitutionen zur »großen Politik«. Bei dieser Machtform entdecke der Staat die Bevölkerung als Ressource.145 Leben und Bevölkerung sind zentrale Bezugspunkte dieses Machttyps. Neu daran ist, dass auch das Leben zum Objekt der Macht wurde. Es ist nicht nur der »Körper-Mensch« wichtig, diese Machttechnik befasst sich mit dem Menschen als Lebewesen und mit dem »GattungsMenschen«.146 Relevant sind für die Biomacht Fragen nach Sterberate, Fruchtbarkeit, Geburt, Krankheit, Lebensdauer usw., also Fragestellungen, die »der Registrierung und der Steuerung der Bevölkerungsbewegungen in einer Gesellschaft«147 dienen. Der Versuch, Herr über Leben, Krankheiten und über nicht erwünschte Eigenschaften der Persönlichkeit im Kontext einer Gesamtgesellschaft zu werden, lässt Tendenzen hin zum skizzierten Denkstil verständlicher erscheinen. Die Biomacht richtet ihre Aufmerksamkeit auf den gesamten Lebenslauf, wirkt auf das »Wie« des Lebens ein, versucht, seine Mangelerscheinungen zu beheben, Unfälle zu vermeiden und Zufälle auszuschalten. Auch die Entwicklung und Ausformung der
145 Vgl. Sarasin 2005, S. 166. 146 Vgl. Foucault 2001, S. 286. 147 Sarasin 2005, S. 167.
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Persönlichkeit dürfte aus der Perspektive dieser Machtform nicht mangelhaft sein oder dem Zufall überlassen werden. Foucault geht in seinen Analysen sogar einen Schritt weiter, als die bisher beschriebenen Aspekte der Biomacht vermuten lassen. Er verortet einen Rassismus gegenüber denen, die von der Norm abweichen. Sie sollen eine Gefahr darstellen für jene Gruppe, die Macht und Vertretung der Norm innehat, sodass eine Verteidigung gegen sie bemüht wird.148 Das »Anormale« diene zur Differenzierung von Trägern und Nichtträgern eines bestimmten Zustandes, eines Stigmas, und nicht zwingend zur Verteidigung einer Gesellschaftsgruppe gegen eine andere. Unter Normalisierungsgesellschaft versteht Foucault wiederum eine Gesellschaft, in der die Norm der Disziplin und die Norm der Regulierung sich in einer orthogonalen Verknüpfung verbinden.149 Obwohl die Techniken der Biomacht und der Disziplinarmacht sich auf unterschiedlichen Ebenen bewegen und sich unterschiedlicher Instrumente bedienen, schließe die Technik der Biomacht die Disziplinartechnik nicht aus. Vielmehr werde diese integriert und benutzt, um die Biomacht zu etablieren.150 In der Disziplinartechnologie werde der Körper als mit Fähigkeiten ausgestatteter Organismus individualisiert, in der »Versicherungs- und Regulierungstechnologie« werde der Körper durch die biologischen Gesamtprozesse ersetzt. Die Medizin, die ja bestimmend ist bei der Feststellung des Krankheitsbegriffs, stelle gewissermaßen ein Bindeglied zwischen diesen beiden Techniken dar. Dabei spiele die Norm eine ausschlaggebende Rolle. Die Norm könne man nämlich ebenso gut auf den zu disziplinierenden Körper wie auf die zu regulierende Bevölkerung anwenden.151 In diese Erörterungen lässt sich die Vorstellung von Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche zunächst eine Bedrohung für die Regulierung darstellen und daher verändert oder beseitigt werden sollen, gut integrieren. Die vermehrte psychiatrische Diagnosestellung bezüglich einzelner oder zu Komplexen gebündelter Eigenschaften von Persönlichkeiten lässt sich aus dieser Perspektive als konsistent interpretieren. Gleiches gilt für die hierzu notwendigen speziellen Formen der Wissensgewinnung über Persönlichkei-
148 Vgl. Foucault 2001, S. 79 ff. 149 Vgl. Foucault 2001, S. 299. 150 Vgl. Foucault 2001, S. 285. 151 Vgl. Foucault 2001, S. 294 ff.
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ten, die als Denkstil charakterisiert wurden. Wenn ein solcher Bezug zwischen Wissen und Macht für Untersuchungen von Persönlichkeit besteht, dann bringt die Struktur von Denkkollektiven gleichzeitig mit sich, dass dieser Bezug von den Teilnehmern desselben Denkkollektivs nicht überwunden werden kann. Ein Denkkollektiv ist darauf ausgerichtet, bestehende Denkgebilde zu bestärken.152 Die Überwindung dessen muss jedoch nicht absolut sein, um Verantwortung für bestimmte Eingriffe übernehmen zu können, eine möglichst weitreichende Reflexion dieser Gegebenheiten wurde zuvor als ausreichend beschrieben. In diesem Kapitel haben wir gesehen, von welchen Macht-WissensVerhältnissen die Gewinnung und die Bewertung des Wissens über den Gegenstand Persönlichkeit abhängig sind. Zwar können diese Verhältnisse, die in den erörterten Denkstilen und Denkkollektiven in Erscheinung treten, nicht in einer Weise überwunden werden, dass sie danach nicht mehr existent wären. Sie können aber benannt und reflektiert werden, sodass sie der Übernahme von Verantwortlichkeit nicht mehr im Wege stehen.
152 Vgl. Fleck 1980, S. 140.
VI Pflicht zur Aufklärung über Denkstile der Neurowissenschaften
Diese Arbeit ging zunächst davon aus, dass bezüglich der Erfassung und beim Umgang mit Eigenschaften der Persönlichkeit insbesondere in den Neurowissenschaften eine bestimmte Art und Weise der Gerichtetheit der Wahrnehmung und deren Verarbeitung vorherrscht. Zur Bestimmung dieses Denkstils wurden verschiedene Charakteristika erarbeitet. Terminologisch wurde für die philosophische Debatte der personalen Identität festgestellt, dass sich in dieser die Bestimmung von Persönlichkeit primär an den jeweiligen Kriterien zur Bestimmung personaler Identität orientiert. Es wurde für diesen Bereich ferner gezeigt, dass eine solche Praxis für normative Rechtfertigungsstrategien anhand des Persönlichkeitsbegriffs problematisch ist. Das Verständnis von Persönlichkeit weist in diesem Bereich zudem einige Charakteristika auf, die mit dem aus den Neurowissenschaften vergleichbar sind. Zumeist wird dort ein enges Verständnis von Persönlichkeit vorausgesetzt und diese lediglich über Eigenschaften aus der Dritte-Person-Perspektive bestimmt, sei es über Verhaltensweisen oder über biografische Zuordnungen. Eine so enge Fassung von Persönlichkeit zeigt die pragmatische Notwendigkeit für die Neurowissenschaften auf, Komplexitäten zu reduzieren, um zu Strategien zu gelangen, die Leiden lindern können. Diese verständliche und moralisch zunächst selten beanstandete Haltung hinterlässt jedoch gewaltige Schwierigkeiten, wenn mit jenem Verständnis von Persönlichkeit bestimmte Eingriffe zu deren Veränderung gerechtfertigt werden sollen. Zum Teil sind Eigenschaften einer Persönlichkeit für Dritte nicht zugänglich, dennoch wird hier eine Wechselwirkung jener Eigenschaften mit dem gesamten Organismus und somit
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indirekt mit der Welt angenommen. Ferner wird auch für diese nicht kommunizierten oder zugänglichen Eigenschaften ein Veränderungspotenzial propagiert, das für die Welt und somit für ethische Rechtfertigungen nicht ohne Bedeutung bleibt. Eine strikte Trennung – als weiteres Denkstilcharakteristikum identifizierte Grundlage für den Persönlichkeitsbegriff – zwischen den biologischen Gegebenheiten und den Selbstverhältnissen von Persönlichkeiten ist bei Rechtfertigungsversuchen mit denselben Problemen behaftet. Gleichzeitig müssen solche Denkstilcharakteristika als Begriffsgrundlage für die Persönlichkeit als nicht befriedigend beurteilt werden, die das Material der Realisation der Eigenschaften einer Persönlichkeit als unerheblich darstellen. Die Aufnahme von Eigenschaften einer Persönlichkeit, welche jenseits von Narration oder Verhaltensweisen liegen, in unser Verständnis von Persönlichkeit erhöht sicherlich Komplexitäten. Eine solche Komplexitätserhöhung ist in dem in dieser Arbeit skizzierten Denkstil meines Erachtens nicht erwünscht. Zur Bereitstellung von Angeboten, um Leiden zu lindern, scheint es im Bereich der Neurowissenschaften notwendig, Komplexitäten zu reduzieren. Die Teilnehmer eines Denkkollektivs sind bereits durch die Vielzahl der Möglichkeiten einer Disziplin hierzu genötigt. Sind viele Disziplinen an einer Fragestellung beteiligt, dann vergrößert sich diese Notwendigkeit. Ein zu weit gefasstes Persönlichkeitsverständnis würde einer solchen Komplexitätsreduktion zuwiderlaufen. Ähnliches gilt für Annahmen zum psychophysischen Problem. Typisch für den Denkstil für psychophysische Fragen ist zum einen, das philosophische Problem phänomenalen Bewusstseins für naturwissenschaftlich lösbar zu halten. Damit treten »private« Eigenschaften, die keiner Objektivierung zuführbar sind, in den Hintergrund und eine extreme Komplexitätsreduktion wird ermöglicht. Zum anderen gibt es eine Tendenz in den Neurowissenschaften, Gesetzmäßigkeiten zwischen mentalen Zuständen und Verhaltensweisen bzw. physischen Prozessen zu postulieren. Eine Reduktion psychischen Erlebens auf physikalische Ereignisse (nicht nur ontologisch, sondern auch erkenntnistheoretisch) erleichtert Aussagen über Zusammenhänge zwischen Eigenschaften einer Persönlichkeit und Gehirnprozessen. Somit scheint sich auch eine solche Reduktion in einen Denkstil zu fügen, welcher auf Komplexitätsreduktion angewiesen ist. Die Aussagen zu Konsequenzen von Eingriffen sind jedoch mit einem solchen Verständnis psychophysischer Fragen gänzlich andere als mit einem nicht reduktionistischen Verständnis. Natur-
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wissenschaftlich nicht ganz abwegige Möglichkeiten, Zusammenhänge zwischen mentalen Zuständen und physischen Prozessen nicht reduktionistisch zu betrachten, sind beispielsweise Theorien einer nicht reduktionistischen Supervenienz oder Emergenztheorien. Wesentlich dabei ist eine Nichtvorhersagbarkeit bestimmter Prozessergebnisse. Aus reduktionistischen und nicht reduktionistischen Theorien bezüglich psychophysischer Fragen resultieren auch jeweils andere moralische Verpflichtungen und Verbote bezüglich Eingriffen zur Veränderung von Persönlichkeit. In dem in dieser Arbeit skizzierten Denkstil ist die Vorstellung weniger willkommen, dass es Eingriffe gibt, die von ihren Auswirkungen für das psychische Erleben von Personen in ihrer Komplexität nicht erkannt und damit unterschätzt werden. Es fehlt in einem so gerichteten Denken daher meist bereits der Gegenstand, über welchen normativ entschieden werden könnte. Solange sich keine eindeutigen, von diesem Denkstil akzeptierten Konsequenzen aus Eingriffen ergeben, mögen die Teilnehmer eines solchen Denkkollektivs sich in einer Art »moral luck« befinden.1 Zur Erfüllung der zuvor geforderten Verantwortlichkeit ist moralisches Glück allerdings keinesfalls in der Lage. Auf der Ebene der Zuschreibung von Pathologien der Persönlichkeit folgt die gedankliche und sachliche Verarbeitung des Wahrgenommenen einem ähnlichen Muster. Für die Bestimmung der Kriterien zur Feststellung von Persönlichkeitsstörungen wurden historische und diagnostische Entwicklungen dargestellt, die zum Ziel haben, zu einem möglichst objektiven Bild der Pathologie einer Persönlichkeit zu gelangen und Symptomkomplexe zu identifizieren. Ein Denkstil, der in diesem Bereich von einem objektiven Begriff der Krankheit ausgeht, produziert auch entsprechende Aussagen zu Therapiemaßnahmen, die eine Veränderung der Persönlichkeit bewirken sollen. Nicht nur die Pathologie der Persönlichkeit lässt sich in einem solchen Denkstil vermeintlich objektiv erfassen und rechtfertigen, sondern auch die Auswirkungen von Eingriffen, die an der Persönlichkeit
1
Zum »moral luck« siehe Nagel 2008, S. 45 ff. Wenn beispielsweise ein Autofahrer fahrlässig handelt, dann kann seine Handlung bei entsprechender Umgebung entweder folgenreich sein oder er kann Glück haben und seine Fahrlässigkeit hat keine Folgen. Im letzten Fall würde Nagel vom moralischen Glück sprechen.
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vorgenommen werden.2 Ein Denkkollektiv, welches auf subjektive Elemente der Krankheitszuschreibung weitgehend verzichten muss, da es zur Reduktion von Komplexitäten gezwungen ist, wird auch geneigt sein, Eigenschaften einer Persönlichkeit außer Acht zu lassen, die gänzlich dem Erkenntnisbereich des Subjekts zuzurechnen sind. Ein solches Denkkollektiv muss auf die Einbeziehung des subjektiven Erlebens von Krankheit auch aus dem Grund weitgehend verzichten, da es die Verteilung knapper Güter rechtfertigen muss. Dies kann ihm eher gelingen, wenn es Anhaltspunkte für die Verteilung findet, die für alle am Kollektiv Beteiligten nachvollziehbar sind. Die aus dem Bereich der Krankheit der Persönlichkeit verdrängte Subjektivität kehrt zwar in das Denkkollektiv zurück, wenn die Untersuchung und die Behandlung von Zuständen zunehmen, welche zuvor der Lebensqualität zugerechnet wurden.3 Werden diese Zustände allerdings wieder dem Versuch einer Objektivierung und einer Medikalisierung zugeführt, schwindet die in das Kollektiv eingeschlichene Subjektivität erneut. Zudem ist es typisch für den aktuellen Denkstil bezüglich Persönlichkeit, dass es im Bereich ihrer Pathologien vermehrt zur Konstatierung von Symptomkomplexen kommt und die Kindheit nicht nur gehäuft in den Fokus rückt, sondern auch als Verbindungsglied zu reduktionistischen Tendenzen einer biologistischen Anschauung dient. Ein weiteres Merkmal des hier erfassten Denkstils ist die Tendenz, in der Wissenschaftstheorie längst diskutierte Probleme bezüglich der Methoden von Theoriebildung zum Teil zu ignorieren. Eine solche Ignoranz gilt auch zum Teil der Induktionskritik. Zudem ist eine weitverbreitete Hinnahme atomistischer Fehlschlüsse zu konstatieren und dem aktuellen Denkstil der Neurowissenschaften zuzurechnen, wenn er sich mit Eigenschaften einer Persönlichkeit befasst. Damit gemeint sind beispielsweise Aussagen innerhalb der Neurowissenschaften, welche die Kenntnis einzelner Merkmale der Persönlichkeit zu einer Gesamtheit erweitern. Ebenso können referenzielle Fehlschlüsse als denkstiltypisch ausgemacht werden. Die Eigenschaften einer Persönlichkeit, auf welche sich beispielsweise die Referenzen von Bildern aus bildgebenden Verfahren beziehen, sind nicht immer so
2
Illouz spricht zwar nicht von Denkstilen, zeigt aber für die Psychotherapie auf, wie sie sich in der gesellschaftlichen Praxis ausbreitet und zum Teil das Denken dominiert; siehe Illouz 2009.
3
Vgl. Lanzerath 2000, S. 227.
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selbstverständlich, wie der herrschende Denkstil suggerieren möchte. Man könnte diese gar – in polemischer Weise – im Sinne Jean Baudrillards als hyperreales Phänomen interpretieren, also als System aus Simulationen – mit der Besonderheit, dass dabei die Simulationen keine Referenz mehr im Realen haben.4 Die Liste der Denkstilcharakteristika ist hiermit sicherlich nicht erschöpft. Bei dem Versuch, einige zu benennen, stand primär im Vordergrund, auf die mangelnde Reflexion des Verhältnisses von Neurowissenschaften, dem aus ihr resultierenden Denkstil und Wünschen nach Veränderung von Persönlichkeit hinzuweisen. Zudem sollten mit den ausgewiesenen Charakteristika einige Überlegungen angeboten werden für den Konflikt zwischen den Veränderungswünschen einer Person und einer vorausgesetzten Pflicht, bestimmte personale Eigenschaften zu schützen. Nimmt man die Wahrung der Integrität einer Person als ein wichtiges moralisches Gebot an, dann sind beide Seiten des Konfliktfeldes nicht zu vernachlässigen.5 Neurowissenschaftliche Eingriffe, bei denen ein Schutz bestimmter personaler Eigenschaften notwendig werden kann, können sehr unterschiedlicher Natur sein. Sie können in psychiatrischen, psychologischen Kontexten jenseits direkter körperlicher Veränderungen verortet werden. Eine Hauptschwierigkeit hierbei besteht in der mangelnden Benennbarkeit konkreter Folgen und Nebenwirkungen der Therapie. Therapeutische Gespräche können beispielsweise zu massiven Veränderungen der sozialen Beziehungen einer Person führen. Inwieweit und in welcher Weise diese eintreffen, ist jedoch im Vorfeld schwer vorherzusagen. Die meisten neurowissenschaftlichen Eingriffe, die einer ethischen Analyse bedürfen, werden jedoch direkt am Körper ansetzen, um Persönlichkeit zu verändern. Hat man dabei das Kriterium der Krankheit als eindeutiges Kriterium infrage gestellt, werden viele Argumentationsmuster schwammig, um diese Eingriffe ethisch zu
4
Vgl. Blask 2003, S. 10 und Baudrillard 1994, S. 30.
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Unter der Integrität der Person werden zumeist Eigenschaften wie Selbsttreue, Unversehrtheit, Integriertheit oder Ganzheit subsumiert, die eine gewisse Stabilität personaler Eigenschaften voraussetzen, sei dies physischer oder psychischer Natur. Zur Integrität der Person siehe Pollmann 2005. Zur Integrität der Person gehören jedoch auch dynamische Prozesse der Person und ihre Veränderungswünsche.
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rechtfertigen. Ein Rückgriff auf eine vermeintliche Kern- oder Idealpersönlichkeit ist dabei zum einen mit konzeptionellen Schwierigkeiten behaftet, zum anderen sehr stark von Normen und Denkstilen abhängig. Letzteres gilt auch für viele mögliche Argumentationswege mithilfe der Vier-Prinzipien-Ethik. Die Annahme einer Autonomieverbesserung – wobei Autonomie als eines der vier Prinzipien zu betrachten ist – durch neurowissenschaftliche Eingriffe ist zwar sowohl mit einem Autonomieverständnis möglich, das auf Rationalitätserwägungen beruht, als auch mit einem, das Wünsche höherer Ordnung in den Vordergrund stellt. Untersucht man beide Verständnisweisen im Detail, so erweisen sie sich stark von aktuellen Denkstilen abhängig. Dies sollte zumindest für Aufklärungsprozesse genauso in Betracht gezogen werden wie die Art und Weise der Autonomieverbesserung. Dabei könnten nämlich potenzielle Manipulationen eine solche Verbesserung gerade verhindern. Die Besonderheiten des Autonomieverständnisses und deren Folgen für normative Bewertungen von Eingriffen sollten dann besonders hervorgehoben werden, wenn ethisch stark rechtfertigungsbedürftige Fragen zur Disposition gestellt sind, wie im Falle präventiver Verhinderung bestimmter Eigenschaften oder bei Zwangsbehandlungen. Für Abwägungen der Vier-Prinzipien-Ethik müssen auch Überlegungen hinsichtlich der Prinzipien des Wohltuns und Nichtschadens ins Feld geführt werden. Da eine Orientierung an dem Begriff der Krankheit für den Bereich der Fragestellung hier als wenig hilfreich erachtet wurde, kann zumindest auf das Ziel der Leidenslinderung zurückgegriffen werden. Fragen nach einem Leiden der Persönlichkeit, das behoben werden soll, stehen immer in einem engen Kontext mit der Autonomie der Persönlichkeit, also weitestgehend mit der Frage, inwieweit eine Person in der Lage ist, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Daher decken sich viele Überlegungen mit solchen, die für das Prinzip des Respekts vor Autonomie einer Person angeführt wurden. Offen bleibt, welcher von außen angenommener Schaden noch mit einer erhöhten Selbstbestimmung vereinbar sein soll. Sich bei der Bestimmung des Schadens lediglich an einem Erhalt personaler Identität zu orientieren, scheidet bei dem Versuch, die Antwort darauf zu konkretisieren, schnell aus. Dabei ist es zweitrangig, welches Kriterium personaler Identität bevorzugt wird. Schäden, die einen Verlust personaler Identität bedeuten würden, sind nach therapeutischen Eingriffen der Neurowissenschaft nicht zu erwarten. Eine andere Möglichkeit, den potenziellen Scha-
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den zu bestimmen, bestünde darin, Natürlichkeit als Kriterium heranzuziehen. Auch dieser Weg hat sich jedoch als wenig fruchtbar erwiesen. Nicht nur erfordert er, zwischen verschiedenen Formen von Natürlichkeit und Künstlichkeit wie genetische oder qualitative zu unterscheiden, die jeweils andere normative Rechtfertigungsstrategien für Eingriffe bedingen. Natürlichkeit als Kriterium setzt auch Menschenbilder voraus, die wiederum stark geprägt sind von Normen und Denkstilen. Sieht man sich für die Prinzipien des Wohltuns und Nichtschadens nicht nur den Nutzen bzw. Schaden für den Einzelnen an, sondern auch für die Gemeinschaft – was in Abwägungen der Vier-Prinzipien-Ethik durchaus nicht unüblich ist –, dann ist das Ergebnis der Überlegungen, was einen solchen Nutzen bedeuten könnte, stark abhängig von der zugrunde liegenden moralphilosophischen Theorie. Einen Nutzen kann es beispielsweise darstellen, wenn eine Persönlichkeit nach einem Eingriff wieder arbeitsfähig ist oder im Sinne eines Homo oeconomicus in der Lage ist, rational zu handeln. Ein Nutzen kann aber auch bedeuten, eine Art moralische Erziehung durch den Eingriff durchlaufen zu haben. Beides könnte auch für den Einzelnen einen Zugewinn seines Wohlbefindens bedeuten. Wichtig dabei ist erneut, das Zustandekommen des Wunsches nach derartiger Veränderung auf Einflussfaktoren des Denkstils zu beleuchten, um allen Aspekten von Autonomie gerecht werden zu können. Da solche Abwägungsprozesse der vier Prinzipien erst vage Forderungen erbrachten, stellt sich die Frage, ob man zumindest jene neurowissenschaftlichen Eingriffe zur Veränderung der Persönlichkeit schärfer umreißen kann, die auf keinen Fall geboten sind, wenn man die Integrität der Persönlichkeit wahren will. Die Wahrung der Integrität der Person stellt für diese Arbeit ein – vermutlich zumeist wenig kontroverses und – hier nicht weiter begründetes Fundament der normativen Argumentation dar. Dabei bietet sich ein deontologischer Versuch an, da neben der persönlichen Präferenz eine solche Moralphilosophie zum einen die Integrität der Person stark berücksichtigt, zum anderen bestenfalls eindeutig genug sein kann, um weitere vage Abwägungsprozesse zu erübrigen. Im Sinne der argumentativen Figur einer »Nicht-Verstümmelung« habe ich es dabei als notwendig erachtet, wesentliche psychische, physische und moralische Funktionsfähigkeiten von Personen bei Veränderungsmaßnahmen zu erhalten. Aber was bedeutet wesentlich und wie weit sollen diese erhalten bleiben? Die Diskussion der letzten Jahre über personale Identität
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und Neurowissenschaften suggeriert erneut, dass eben dort die Lösungen zu finden seien. Demnach könnte personale Identität als wesentlich gelten und es müsste »nur« noch bestimmt werden, nach welchen Kriterien der Erhalt personaler Identität festgestellt werden kann. Wie hier gezeigt wurde, führt die ausdifferenzierte Debatte zur personalen Identität für unseren Konflikt zwischen den Veränderungswünschen einer Person und dem notwendigen Schutz bestimmter personaler Eigenschaften jedoch nicht zum gewünschten Ergebnis. Für therapeutisch relevante Veränderungsoptionen der Persönlichkeit durch die Neurowissenschaften scheint es nach den Analysen mit keinem Kriterium personaler Identität zu einem Verlust dieser Identität zu kommen. Es sind beispielsweise im therapeutischen Bereich kaum Eingriffe zu erwarten, die beabsichtigen (oder als wahrscheinliche Nebenwirkung haben), die gesamte Erinnerungsfähigkeit oder die evaluativen Selbstverhältnisse der Person absolut und irreversibel zu schädigen. Es geht also mehr um eine Beurteilung gradueller Veränderungen der Persönlichkeit als um deren Komplettverlust, wie sie eine Diskussion der personalen Identität zu vermitteln vermag. Um bei diesem Beispiel zu bleiben, können jedoch auch graduelle Einbußen an Erinnerungsfähigkeit und Veränderungen evaluativer Selbstverhältnisse normativ beanstandet werden. Nimmt man personale Autonomie als eine für Personen wesentliche Eigenschaft an – was in den meisten philosophischen Theorien (mit welchem Autonomieverständnis auch immer) der Fall ist –, dann ist auch die psychische Eigenschaft der Erinnerungsfähigkeit indirekt als wesentlich zu setzen. Dies liegt an der engen Verbindung, die die beiden Fähigkeiten aufweisen. Eine anterograde Amnesie macht es beispielsweise schwer, Bedingungen einer zweckrational begründeten Autonomie zu entsprechen. Bei einer retrograden Amnesie kann es erschwert sein, Bedingungen einer hier als authentische Autonomie benannten Form von Autonomie gerecht zu werden, da die Aufrechterhaltung bestimmter evaluativer Selbstverhältnisse und die Ausbildung einer biografischen Narration verhindert sein können. Ist neben der Autonomieeinbuße ein solches Ergebnis eines Eingriffs zudem nicht revidierbar, dann werden zwei hier formulierte Bedingungen an »Verstümmelung« erfüllt. Im Sinne der vorhergehenden deontologischen Argumentation wäre demnach ein durch neurowissenschaftliche Eingriffe herbeigeführter Verlust an Erinnerungsfähigkeit eine eindeutige Schwächung des Gebrauchs »moralischer
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Kräfte«, somit eine Verletzung einer vollkommenen Pflicht gegen sich selbst und damit eine zu unterlassende Handlung. Für viele Fälle neurowissenschaftlicher Eingriffe ist die Sachlage jedoch bei Weitem nicht so eindeutig, wie die letzten Zeilen suggerieren mögen. Das Ausmaß des Verlustes könnte beispielsweise verschwindend gering sein gegenüber dem Gewinn an Lebensqualität. Ein Verlust könnte zwar auch beabsichtigt sein, etwa um traumatische Ereignisse vergessen zu lassen, aber gerade dadurch Autonomie erhöhen, indem Lebenspläne erst durch diesen Eingriff realisierbar werden. Obiger Versuch, mit dem Aufgreifen der Argumentation der »Verstümmelung« eine vollkommene Pflicht gegen sich selbst für neurowissenschaftliche Zwecke zu konkretisieren, kann daher ebenfalls nur erste Anhaltspunkte liefern. Wie für Fälle präventiver Eingriffe gezeigt wurde, können jene Anhaltspunkte dennoch bereits hilfreich sein, um eine Auseinandersetzung mit beeinflussenden Faktoren wie dem Denkstil zu fordern. Für die eben exemplarisch angeführte Möglichkeit des Erinnerungsverlusts ist es daher ebenfalls notwendig, den Wunsch nach dem Eingriff auf dessen gesellschaftliche und an Denkstile gebundene Prägung hin zu analysieren. Erst dann kann gewährleistet werden, dass nicht auch hier Verluste von Autonomie bei den behandelten Personen vorliegen. Hierzu ist allerdings eine andere Art von Aufklärung notwendig als bisher praktiziert. Eine solche Aufklärung ist im Hinblick auf die Erinnerungsfähigkeit auch notwendig, weil sie Aspekte von Selbstvertrautheit sowie Selbstbewusstsein miteinander verbindet. Eine durch Eingriffe bedingte Störung dieser Verbindung kann für die Persönlichkeit erhebliche Folgen haben. Erinnerungsfähigkeit hat jenseits der eben diskutierten Möglichkeiten ihres Verlusts auch noch andere Bedeutungen für Diskussionen neurowissenschaftlicher Denkstile bezüglich der Persönlichkeit. Selbstvertrautheit und Selbstbewusstsein konstituieren sich nämlich auch mithilfe von Erinnerungen. Dabei spielen auch Erkenntnisse über die soziale Erwünschtheit bestimmter Eigenschaften eine besondere Rolle, die ebenfalls im Gedächtnis gespeichert werden. Verändern sich die Möglichkeiten (zum Beispiel durch steigende Angebote der Neurowissenschaften) zur Veränderung personaler Eigenschaften, dann kann daraus bereits eine veränderte Objektwahrnehmung seines Selbst resultieren. Diese Prozesse ebenfalls in die Überlegungen über neurowissenschaftliche Methoden einzubeziehen, scheint mir wesentlich
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und nur über die Diskussion potenzieller gesellschaftlicher Ziele bestimmter neurowissenschaftlicher Veränderungswünsche realisierbar. Ich habe die Erinnerungsfähigkeit im Kontext von Autonomie exemplarisch aufgeführt. Auch für andere Eigenschaften, die durch Eingriffe der Neurowissenschaft Persönlichkeit betreffen können, wurde in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt, dass deren Veränderung notwendigerweise auf deren soziale Einflussfaktoren wie Denkstile hin beleuchtet und reflektiert werden muss. Erst dadurch wird die Übernahme von Verantwortung ermöglicht und durch Denkstile geleitete Ausformungen von Macht können überwunden werden. In den letzten Kapiteln wurden etliche Denkstilcharakteristika aufgezeigt, über die es aufzuklären gilt. Dies setzt eine deutlich umfangreichere Aufklärung für Veränderungsmaßnahmen die Persönlichkeit betreffend voraus, als im Rahmen von »informed consent« gewöhnlich gefordert, und beinhaltet auch die kulturellen sowie wissenschaftlichen Rahmenbedingen der angestrebten Maßnahme. Eine vollständige Aufklärung über diese Rahmenbedingungen ist kaum möglich, zumal die »Aufklärer« dem eigenen System nicht entrinnen können. Einen Versuch bezüglich einer erweiterten Aufklärung zu wagen, ist meines Erachtens jedoch Voraussetzung für verantwortungsvolles Handeln in diesem Bereich. Die lediglich vage Eingrenzbarkeit von Risiken, die von wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Beeinflussung ausgehen können, sollte uns nicht von diesem Versuch abhalten. Schließlich sind auch bei der Aufklärung über potenzielle physiologische Risiken von Eingriffen oft nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Eine besonders starke Aufklärungspflicht im obigen Sinne besteht meines Erachtens, wenn es sich um potenziell von der Veränderung mit betroffene und für evaluative Selbstverhältnisse der Person essenzielle, aber epistemisch für Dritte unzugängliche Eigenschaften handelt. Im Gegensatz zu Veränderungen der Persönlichkeit im Rahmen einer »normalen« Sozialisation ist die Forderung nach Aufklärung über potenzielle gesellschaftliche Ziele einer Veränderung personaler Eigenschaften bei neurowissenschaftlichen Eingriffen ferner dann besonders vehement zu stellen, wenn Irreversibilität und/oder eine plötzliche Veränderung ohne Lernerfahrung zu erwarten sind. Selbst wenn beispielsweise bei der Erziehung oder im Rahmen einer Psychotherapie manipulative und somit Autonomie verhindernde Tendenzen bestünden, bliebe ein Spielraum für einen Abbruch und eine Umkehr der Veränderung. Bei einer plötzlichen und nicht reversiblen Veränderung personaler Eigenschaften bei neurowissen-
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schaftlichen Maßnahmen kann ein solcher Spielraum verloren gehen. Somit ist eine potenziell manipulativ zustande gekommene Wunschstruktur im Aufklärungsprozess verstärkt zu reflektieren, um einen Verlust wesentlicher Funktionsfähigkeit zu vermeiden. Für Aufklärungssituationen in diesem Bereich ist es zudem notwendig, auf die Grenzen der Veränderbarkeit der Persönlichkeit durch die Medizin hinzuweisen. Brüchigkeiten des menschlichen Lebens beispielsweise lassen sich durch medizinische Mittel nicht eliminieren. Es sind trotz vielfältiger und positiver Veränderungsmöglichkeiten durch Mittel der Neurowissenschaften gewisse Grenzsituationen im jasperschen Sinne nicht zu leugnen: das Leiden, die Endlichkeit, aber auch Zufälle des Lebens.6
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Für Jaspers sind solche Situationen Grenzsituationen, denen nicht ausgewichen werden kann; siehe Jaspers 1973, S. 201 ff.
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KörperKulturen Anke Abraham, Beatrice Müller (Hg.) Körperhandeln und Körpererleben Multidisziplinäre Perspektiven auf ein brisantes Feld 2010, 394 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1227-1
Arno Böhler, Christian Herzog, Alice Pechriggl (Hg.) Korporale Performanz Zur bedeutungsgenerierenden Dimension des Leibes März 2014, ca. 240 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2477-9
Aubrey de Grey, Michael Rae Niemals alt! So lässt sich das Altern umkehren. Fortschritte der Verjüngungsforschung 2010, 396 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1336-0
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KörperKulturen Elk Franke (Hg.) Herausforderung Gen-Doping Bedingungen einer noch nicht geführten Debatte Dezember 2013, ca. 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1380-3
Mischa Kläber Moderner Muskelkult Zur Sozialgeschichte des Bodybuildings April 2013, 276 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-2376-5
Sabine Mehlmann, Sigrid Ruby (Hg.) »Für Dein Alter siehst Du gut aus!« Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven 2010, 278 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1321-6
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KörperKulturen Karl-Heinrich Bette Sportsoziologische Aufklärung Studien zum Sport der modernen Gesellschaft 2011, 260 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1725-2
Nicholas Eschenbruch, Dagmar Hänel, Alois Unterkircher (Hg.) Medikale Räume Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit 2010, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1379-7
Karl-Heinrich Bette, Felix Kühnle, Ansgar Thiel Dopingprävention Eine soziologische Expertise
Nino Ferrin Selbstkultur und mediale Körper Zur Pädagogik und Anthropologie neuer Medienpraxen
2012, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2042-9
Juli 2013, 246 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2505-9
Franz Bockrath (Hg.) Anthropotechniken im Sport Lebenssteigerung durch Leistungsoptimierung?
Robert Gugutzer Verkörperungen des Sozialen Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen
2011, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1868-6
2012, 256 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1908-9
Julia Diekämper Reproduziertes Leben Biomacht in Zeiten der Präimplantationsdiagnostik
Charlotte Ullrich Medikalisierte Hoffnung? Eine ethnographische Studie zur reproduktionsmedizinischen Praxis
2011, 416 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1811-2
2012, 356 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2048-1
Karen Ellwanger, Heidi Helmhold, Traute Helmers, Barbara Schrödl (Hg.) Das »letzte Hemd« Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen und visuellen Kultur
Heinz-Jürgen Voss Making Sex Revisited Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive (3., unveränderte Auflage 2011)
2010, 360 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1299-8
Karen Wagels Geschlecht als Artefakt Regulierungsweisen in Erwerbsarbeitskontexten
2010, 466 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1329-2
Januar 2013, 276 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2226-3
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