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German Pages 603 [604] Year 2022
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber/Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) ∙ James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) ∙ Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Oda Wischmeyer
Paulus. Beiträge zu einer intellektuellen Biographie Gesammelte Aufsätze Band II Herausgegeben von
Eve-Marie Becker und Sigurvin Lárus Jónsson
Mohr Siebeck
Oda Wischmeyer, geboren 1944; 1993–2009 Professorin für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen mit den Forschungsschwerpunkten Neutestamentliche Hermeneutik, Leben und Werk des Paulus, das Markus-Evangelium, der Jakobusbrief und die Literatur des antiken Judentums, insbesondere Ben Sira. Eve-Marie Becker, geboren 1972; 2001 Dr. theol.; 2004 Habilitation; 2006–2018 Professorin für neutestamentliche Exegese an der Universität Aarhus/Dänemark; 2016–2017 Distinguished Visiting Professor of New Testament an der Emory University in Atlanta/USA; seit 2018 Professorin für Neues Testament an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. orcid.org/0000-0002-0398-6448 Sigurvin Lárus Jónsson, geboren 1978; 2016–2019 PhD Fellow am Department of Theology, Faculty of Arts, Aarhus University/Dänemark; 2019 PhD; seit 2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Neutestamentlichen Seminar an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. orcid.org/0000-0002-7992-5967
ISBN 978-3-16-161739-3 / eISBN 978-3-16-161740-9 DOI 10.1628/978-3-16-161740-9 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer aus der Times New Roman gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers Die in diesem Band versammelten 24 Aufsätze von Oda Wischmeyer gelten der Paulusforschung. Sie sind in den letzten knapp zwanzig Jahren – in unterschiedlichen Kontexten – erarbeitet worden und schließen an die Sammlung: Oda Wischmeyer: Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments (hg. v. E.-M. Becker; WUNT 173; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004) an. Vier der hier versammelten Aufsätze sind bisher unveröffentlicht (s. Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen). Die Aufsätze spiegeln nicht nur die dynamische Entwicklung der internationalen Paulusforschung in den letzten beiden Dekaden wider, sondern suchen gleichzeitig zu einer Entwicklung einer eigenen Paulusinterpretation vorzustoßen, die beyond the new, the radical new and the „Paul within Judaism“ perspectives on Paul ihren Ort findet: Es sind „Beiträge zu einer intellektuellen Biographie“ (s. programmatisch: Beitrag 1). Oda Wischmeyer versteht Paulus als eine von ihrer doppelten religiösen Biographie als Pharisäer und als Apostel Jesu Christi her zu erschließende ‚denkende Person‘: „Ich verstehe Paulus erstens als eigenständigen historischen Akteur in seiner Zeit, zweitens als Theologen, drittens als Verfasser anspruchsvoller Brieftexte und viertens als eine der Gestalten, die das europäische Denken geprägt haben, oder anders gesagt: als eine Gestalt der europäischen Ideengeschichte, deren Wirkung aber längst eine globale geworden ist“ (Einführung, S. 1). Zugleich gilt: „Paulusforschung lässt sich … nicht einseitig auf Epistolographieforschung, auf Theologiekonstruktion, auf religionsgeschichtliche Verortung oder auf frühkaiserzeitliche Sozial- bzw. Vereinsgeschichte fokussieren“ (Einführung, S. 2). Exegetische Fachdiskurse und ihre komparativen und religionsgeschichtlichen Fragen bilden daher im Gespräch mit kulturwissenschaftlich, literaturwissenschaftlich oder hermeneutisch orientierten Forschungsdiskursen die Kontexte, in denen Oda Wischmeyer sukzessiv ihre Sicht auf Paulus als den ersten christlichen Theologen und auf seine Briefe als Fragmente einer intellektuellen Biographie entworfen hat. Die „Liebe“ bleibt dabei ein Thema, das Oda Wischmeyers Arbeiten multiperspektivisch verknüpft, und doch mündet dieser Band in den Ausblick auf Paulus als „Hoffnungstheologen“. Wir danken den Herausgebern von WUNT für die Aufnahme des Bandes in ihre Reihe und dem Verlag Mohr Siebeck – besonders Herrn Markus Kirchner – für die verlässliche und professionelle Zusammenarbeit. Besonderer Dank gilt
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Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers
den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl des Neutestamentlichen Seminars der Universität Münster – cand. paed. Lydia Borengässer, stud. theol. et phil. Jan Christopher Hemling und cand. theol. et phil. Rebecca Meerheimb – für ihre zuverlässige und gründliche Mitarbeit bei der Erstellung der Druckfassung und der Register sowie Frau Kerstin Böckenhoff, M. A., für ihre Mithilfe bei der Einholung der Wiederabdruckgenehmigungen. Münster am 10. August 2022 Eve-Marie Becker Sigurvin Lárus Jónsson
Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
I. Forschungsstand 1. A Plea for an Intellectual Biography of Paul: Paul after the New Perspective and the Radical New Perspective . . . . . . . . . . . . . . . 2. Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert. Eine kritische relecture der ersten bis vierten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Paul: A Homo Novus? Adolf Deissmann’s Interpretation of Paul Revisited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics: Considered from a German Exegetical Perspective . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Themen 5. Paulus als Ich-Erzähler. Ein Beitrag zu seiner Person, seiner Biographie und seiner Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kosmos und Kosmologie bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerechtigkeit und Liebe. Das Verhältnis zweier theologischer Konzepte des Paulus im Römerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Principles of Paul’s Hermeneutics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Paulus als Hermeneut der ΓΡΑΦΗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Warum bleiben die Gegenspieler in den Schriften des Neuen Testaments namenlos? Beobachtungen zur anonymen Polemik . . . . . . 11. Emotionen als formative Elemente neutestamentlicher Ethik am Beispiel des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
III. Texte 12. Romans 1.1–7 and Mark 1.1–3 in Comparison: Two Opening Texts at the Beginning of Early Christian Literature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Römer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit. Ein anthropologisches Manifest . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39 . . . . . . . . . . . . 15. The Era of the Good: Paul and Politics in Romans 13 . . . . . . . . . . . . . 16. 1 Korinther 13. Das Hohelied der Liebe zwischen Emotion und Ethos . 17. „Die Liebe Christi dringet uns …“. 2 Kor 5,14f und die Liebe Christi bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. 2 Korinther 12,7–8. Ein Gebet des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Ego-documents on Religious Experiences in Paul’s Letters: 2 Corinthians 12 and Related Texts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Das Ereignis als Grundlage der lukanischen Geschichtserzählung von Paulus. Galater 1,16 und Apostelgeschichte 9,1–9; 22,6–10; 26,12–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Wie kommt Abraham in den Galaterbrief? Überlegungen zu Gal 3,6–29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Philippi und Jerusalem. Sind Phil 3,20 und Gal 4,24–26 politische oder ethische Texte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Rezeption 23. Paulus über die Liebe. Das dreizehnte Kapitel des 1. Korintherbriefs und sein Platz im europäischen Liebesdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 24. Paulus als frühchristlicher Hoffnungstheologe. Grundlagen, Struktur und Rezeption des Elpis-Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen 563
Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
Einführung 1. Gemeinsame Aspekte Die hier in Band II meiner Aufsätze1 gesammelten vierundzwanzig Beiträge – sechs davon in englischer Sprache – gelten der Paulusforschung. Sie stammen aus den letzten zwanzig Jahren. Die Beiträge Nr. 1.15.23.24 sind unveröffentlicht und wurden zwischen 2019 und 2021 verfasst. Alle Aufsätze verdanken sich unterschiedlichen Anlässen und Fragestellungen. Sie spiegeln die dynamische Entwicklung der Paulusforschung im genannten Zeitraum und meine eigenen Forschungsinteressen und -schwerpunkte. In rascher Folge wurden in den letzten Jahrzehnten neue Fragestellungen, Themen und Interpretationsmodelle, teils als perspectives bezeichnet, generiert, die neue Herausforderungen an die Paulusexegese zur Folge hatten.2 Ältere Methoden und Interpretationsmuster mussten geprüft und verändert werden. Innovative Fragestellungen aus anderen Fächern traten hinzu. Diese neuen ‚Perspektiven‘ auf Paulus fordern unterschiedliche exegetische Antworten: historisch-kritische Satz-für-Satz-Exegese, stilistische und rhetorische Analyse, religionsgeschichtlichen und philosophiegeschichtlichen Vergleich, sozialgeschichtliche Analyse, Erprobung kulturwissenschaftlicher Konzepte, rezeptionsgeschichtliche Darstellung, kritische Auseinandersetzung mit anderen Paulusinterpretationen im Rahmen der Forschungsgeschichte sowie der aktuellen Situation und schließlich eigene interpretatorische Entwürfe. Die Aufsätze sind nicht mit dem Ziel der Konstruktion einer konzisen neuen Paulusperspektive entstanden, sie sind aber Aspekte eines eigenen Zugangs zu Paulus und führen im Ergebnis zu einem neuen Ansatz in der Paulusinterpretation. Vier wesentliche Elemente, die die Aufsätze verbinden, hebe ich eingangs kurz hervor: Ich verstehe Paulus erstens als eigenständigen historischen Akteur in seiner Zeit, zweitens als Theologen, drittens als Verfasser anspruchsvoller Brieftexte und viertens als eine der Gestalten, die das europäische Denken geprägt haben, oder anders gesagt: als eine Gestalt der europäischen Ideengeschichte, deren Wirkung aber längst eine globale geworden ist. 1 Vgl. Band I: O. Wischmeyer, Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments (hg. E.-M. Becker; WUNT 173; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004). 2 Vgl. dazu O. Wischmeyer/E.-M. Becker (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (Tübingen: Francke, 20213).
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Einführung
Paulus steht neben historischen Gestalten der Zeitenwende wie Herodes, Augustus, Philon, Jesus, Seneca, Nero und Josephus. Paulusforschung lässt sich daher nicht einseitig auf Epistolographieforschung, auf Theologiekonstruktion, auf religionsgeschichtliche Verortung oder auf frühkaiserzeitliche Sozial- bzw. Vereinsgeschichte fokussieren. Paulus ist zuerst historischer Akteur. Seine Person erschließt sich im Zusammenspiel seiner religiös-kulturell-intellektuellen Traditionen, seiner ethnischen Herkunft, zeitgeschichtlicher Faktoren, religiöser Institutionen und Personen, eigener missionarisch-gemeindegründender Aktivitäten und Leitungsansprüche, literarischer Tätigkeit und äußerer und innerer Biographie. Die vier ersten Aufsätze dieses Bandes (Teil I) beschäftigen sich schwerpunktmäßig in verschiedenen forschungsgeschichtlichen Skizzen mit der Entwicklung eines neuen Zugangs zur Person und Biographie des Paulus. Paulus ist mit Rudolf Bultmann weiterhin als der erste christliche Theologe zu verstehen. Dies Urteil impliziert nicht eine einseitige religionsgeschichtliche Einordnung des Paulus in das entstehende „Christentum“. Es handelt sich vielmehr um eine wirkungs- und rezeptionsgeschichtliche Aussage. Die letzten Jahrzehnte der Paulusforschung haben die Zugehörigkeit des Paulus zum Judentum nach allen Seiten hin vertieft nachgewiesen und damit zugleich die Konstruktion des „Urchristentums“ nachhaltig differenziert. Die Aufgabe der Paulusexegese liegt nun in einer neuen Ausarbeitung der Position des Paulus in der historischen, kulturellen, religiösen, ethischen und institutionell-politischen Gemengelage des 1. Jahrhunderts n. Chr., die politisch durch die Vormachtstellung der Römer und geistes- und kulturgeschichtlich durch die lange Zeit des Hellenismus (Angelos Chaniotis) geprägt ist. Ebenso wenig impliziert das Urteil vom ersten christlichen Theologen Paulus, dass die exegetische Arbeit an Paulus in eine „Theologie des Paulus“ münden müsse. Sieben der hier gesammelten Aufsätze (Teil II) analysieren vor allem einzelne Gedankenzusammenhänge oder theologisch-thematische Versuche, verschiedene Begriffsbildungen, Argumentationsübungen, Wirklichkeitsbeschreibungen und ethisch-kommunitäre Verhaltensentwürfe der paulinischen Briefe. Sie alle dokumentieren nicht ein in sich geschlossenes oder gar nach außen abgeschlossenes theologisches System, sondern die rastlose äußere und innere Auseinandersetzung des Paulus mit der religiösen und kulturellen Wirklichkeit, die er erlebte, reflektierte und auf der doppelten Basis seiner religiösen und kulturellen Tradition, aus der er kam, und der grundlegenden neuen religiösen Erfahrungen, die er als junger Mann machte, durchdenken, interpretieren und gestalten wollte. Weder seine materielle Existenz und seine intellektuelle Erziehung und Bildung noch sein Lebensweg erlaubten ihm eine systematische Ausarbeitung seiner Weltdeutung in einem eigentlich theologischen oder philosophischen Format. Die exegetische Arbeit an einzelnen Paulustexten ist weiterhin die Basis jeder Paulusinterpretation. Im vorliegenden Band sind elf Studien zu kürzeren Text-
Einführung
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einheiten aus dem Römerbrief, dem 1. und 2. Korintherbrief, dem Galaterbrief und dem Philipperbrief gesammelt (Teil III). Hier geht es um Philologie und historische Rekonstruktion, um Fragen der Syntax, der Semantik, der Textstruktur und Textlogik, der literarischen, rhetorischen und religionsgeschichtlichen Detailanalyse sowie um die Erprobung neuer Fragestellungen und Konzepte aus den Altertums- und Kulturwissenschaften. Die kontinuierliche exegetische und religionsgeschichtlich vergleichende Textarbeit führt in die nur in Fragmenten zugängliche Gedanken-, Kommunikations- und Handlungswelt des Paulus ein. Ich gehe davon aus, dass wir in den mehrheitlich unbestrittenen Paulusbriefen die Stimme des Paulus zwar nicht hören, das Diktat seiner Stimme aber lesen. Das macht ihre besondere Bedeutung aus. Die Paulusbriefe bleiben allerdings stets eine Teil-Literatur, weil die Antwortschreiben seiner Korrespondenz nicht erhalten sind wie in der korinthischen Korrespondenz oder weil ein Teil der Kommunikation durch mitgesendete Vertreter der Gemeinden oder des Paulus mündlich vonstattenging. Daher gehört es zu den Aufgaben der Textexegese, die verlorenen oder nur mündlich erfolgten Teile der brieflichen Gesamtkommunikation so weit wie möglich zu rekonstruieren und den paulinischen TeilDialog in die ursprünglichen religiös, philosophisch, theologisch und ethisch bestimmten Dialoge einzuzeichnen. Die Bedeutung des Paulus erschöpft sich nicht darin, dass er eine historische Person des 1. Jahrhunderts n. Chr. war. Die radikale Begrenzung der Paulusexegese auf die Rekonstruktion der historischen Position des Paulus, die sich vor allem Ferdinand Christian Baur und seiner Schule verdankt, findet ihre notwendige korrespondierende Ergänzung bzw. Ausweitung in der Kanonforschung und der schon genannten Rezeptionsgeschichte. Die Sammlung der Paulusbriefe wurde zum Nukleus des Kanons des Neuen Testaments. In diesem Format entfalteten die Texte eine Wirkung, die die christlichen Kirchen Europas und des Orients entscheidend prägte, religions- und ideengeschichtlich in die europäische und interkontinentale Gegenwart weitergetragen wurde und gegenwärtig Teil des globalen Christentums ist. Die Texte des Paulus werden weltweit in den christlichen Gottesdiensten verlesen und gepredigt und an allen christlichen Ausbildungsstätten diskutiert und kommentiert. Es gehört zu den Aufgaben einer zeitgemäßen Paulusexegese, die rezeptionsgeschichtliche Perspektive auf die Paulustexte in die historische Arbeit einzubeziehen, auch wenn dies stets nur aspekthaft geschehen kann. Zwei der hier gesammelten Aufsätze (Teil IV) nehmen die rezeptionsgeschichtliche Perspektive auf und verfolgen die Anstöße, die Paulus zum Umgang mit der Liebe und der Hoffnung gibt, auf einigen Stationen der europäischen Ideen- und Kulturgeschichte.
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Einführung
2. Die Beiträge aus dem Bereich „Forschung“ Der Eröffnungsbeitrag, „A Plea for an Intellectual Biography of Paul“, stellt meinen eigenen Zugang zu Paulus in Auseinandersetzung mit der Paulusforschung der letzten Generation vor. In diesem Aufsatz fließen die unterschiedlichen Ergebnisse meiner Paulusstudien zu einem neuen Forschungsansatz zusammen. Dieser Forschungsansatz versteht sich als Antwort auf die Paulusinterpretation der letzten Jahrzehnte, die wesentlich durch die neuen, vor allem in der angelsächsischen Paulusexegese entworfenen Paulusperspektiven geprägt ist, deren Entwicklung allerdings gegenwärtig zu stagnieren scheint: Vertreter und Vertreterinnen gerade der Paul within Judaism-Perspektive neigen zu inner-perspektivischen Repetitionen und im Ergebnis zu einer inner-fachlichen Verengung der Paulusforschung. Die Paulusinterpretation kann sich aber nicht in der historischen Einordnung ihres Protagonisten erschöpfen, indem sie ihn immer neu religionsgeschichtlich und philosophiegeschichtlich zwischen antikem Judentum, hellenistisch-römischer Götter- und Heroenverehrung, philosophischer Welterklärung und Ethik sowie kaiserzeitlicher Vereinsgeschichte und frühchristlicher Gemeindebildung und Gemeindetheologie hin und her schiebt und gleichsam prozentual vermisst. Mein Beitrag entwickelt demgegenüber in Auseinandersetzung mit den angelsächsischen Perspektiven Leitbegriffe und Leitfragen für eine intellektuelle Paulusbiographie beyond historical-religious categorizing. Die drei folgenden Beiträge gelten wichtigen Stationen der paulinischen Forschungsgeschichte. Der Beitrag: „Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert“, stellt den Fortgang der Paulusforschung in den vier großen Paulusartikeln der RGG von Wilhelm Bousset über Rudolf Bultmann und Günther Bornkamm bis zu Samuel Vollenweider dar. Der dritte Beitrag hebt die nach wie vor grundlegende Bedeutung von Adolf Deissmann für eine historisch grundierte Paulusinterpretation hervor und diskutiert das interpretatorische Potential der Begriffe homo novus und homo religiosus, die Deissmann seinerzeit für Paulus verwendete, für eine neue Paulusinterpretation im Vergleich mit Cicero. Der vierte Beitrag gilt der Hermeneutik, die dem großen Pauluswerk von N. T. Wright zugrunde liegt, einem der eigenständigsten Vertreter der new perspective, die von der deutschsprachigen Paulusforschung von Bousset bis zu Bornkamm abweicht und zur dominierenden Forschungsperspektive geworden ist.
3. Die Beiträge aus dem Bereich „Themen“ Der fünfte Beitrag mit dem Titel: „Paulus als Ich-Erzähler. Ein Beitrag zu seiner Person, seiner Biographie und seiner Theologie“ kann als eine der Vorarbeiten von Aufsatz eins verstanden werden. Er trägt bereits zu einer neuen, biographisch basierten Paulusinterpretation bei, indem die literaturwissen-
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schaftlichen Konzepte der Ego-Dokumente und der Ich-Erzählung auf die paulinischen Briefe appliziert werden. Die Beiträge sechs bis neun gelten theologischen Grundthemen des Paulus. Aufsatz sechs ist einem präziseren Verständnis des Verhältnisses von Kosmologie und Apokalyptik bei Paulus gewidmet. Kosmologische Texte (Platons Timaios und Philons De opificio mundi) werden mit 1 Kor 15,35–49 verglichen, um den eigenen Beitrag des Paulus zur Kosmologie zu akzentuieren. Beitrag sieben: „Gerechtigkeit und Liebe. Das Verhältnis zweier theologischer Konzepte des Paulus im Römerbrief“, widmet sich zwei der wichtigsten theologischen Konzepte des Paulus, stellt sie im Vergleich dar und beleuchtet die Neukonzeption der Agape durch Paulus.3 Die Aufsätze acht und neun gelten der paulinischen Hermeneutik, besonders dem Schriftverständnis des Paulus. Beitrag neun steht im speziellen Zusammenhang mit der in den letzten Jahren vehement geführten theologisch-systematischen Debatte um die Stellung des „Alten Testaments“ in der zweiteiligen christlichen Bibel. In dem Aufsatz wird herausgearbeitet, in welcher Weise Paulus die „Schrift“ vom „Evangelium“ her interpretiert. Paulus löst die Spannung zwischen „Schrift“ und „Geist“ nicht auf, sondern bestimmt den theologischen Ort der „Schrift“ zwischen Gottesrede, Evangelium und Geist. Das paulinische Schriftkonzept gehört ebenso wie seine Interpretation von Gerechtigkeit und Liebe zu seinen genuinen theologischen Diskursanstößen, die gerade in der reformatorischen Theologie aufgenommen und weitergeführt wurden. Die Beiträge zehn und elf antworten ebenfalls auf bestimmte Forschungsfragen bzw. -situationen. Beitrag zehn trägt zur Frage der Gegenspieler des Paulus bei und verwendet Beobachtungen aus der literarischen Polemikforschung, indem die Unterscheidung zwischen der namentlichen und der anonymen Polemik bei Paulus nachgezeichnet wird. Diese Unterscheidung gewinnt im historischen Zusammenhang der verzweigten Welt der leitenden Apostel, der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus und seiner Gegner, d. h. der rivalisierenden Missionare, besondere Bedeutung. Die Unterscheidung ist ein Instrument der Selbstbehauptung des Paulus im Feld der sog. Urapostel, ein Mittel der Leitung seiner Gemeinden und Stützung seiner Mitarbeiter sowie das früheste Zeugnis eines Umgangs mit Gegnern der ἐκκλησία, die ungenannt bleiben. Der elfte Aufsatz: „Emotionen als formative Elemente neutestamentlicher Ethik am Beispiel des Paulus“, widmet sich der in den letzten Jahrzehnten stark ausgeweiteten Emotionenforschung und schlägt einen Bogen von der Emotionenthematik zur Ethik. Als erhellend für diese Verbindung erweist sich die Sicht auf die Emotionen 3 Vgl. monographisch O. Wischmeyer, Liebe als Agape. Das frühchristliche Konzept und der moderne Diskurs (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015; engl.: Love as Agape: The Early Christian Concept and Modern Discourse, transl. by W. Coppins, Studies in Early Christianity, Waco/ Tübingen: Baylor/Mohr Siebeck, 2021).
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in der Rhetorik des Aristoteles. Paulus kombiniert Elemente von Emotionen und von Tugenden und arbeitet an einer kommunitären Agape-Ethik, die nicht präskriptiv funktioniert. Ziel ist eine Kultivierung des Umgangs der Christusbekennenden Gemeindeglieder miteinander.
4. Die Beiträge aus dem Bereich „Texte“ Die Beiträge zwölf bis fünfzehn gelten dem Römerbrief. „Romans 1.1–7 and Mark 1.1–3 in Comparison“ steht im Zusammenhang eines umfassenderen Vergleichs der Anfangsliteratur des entstehenden Christentums und betont die zentrale Rolle, die die Kommunikation des Evangeliums in beiden literarischen Gattungen, dem Gemeindebrief und dem Jesusbuch des Markus, spielt. Die Beiträge dreizehn („Römer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit“) und vierzehn („Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39“) gehören inhaltlich zusammen. Sie dienen dem Nachweis, dass sich von Röm 1,18–3,21 ein theologisch-konzeptioneller Bogen zu 8,31–39 spannt. Der reich gegliederten Gerichtsrede Gottes gegen alle Menschen in Kap. 1–3 antwortet das komprimierte finale Prozessszenario des richtenden Christus von Kap. 8, das mit einem endgültigen Freispruch endet. Dabei sind in Kap. 8 verschiedene prophetisch-apokalyptisch grundierte Teilhabe- und Trennungsszenarien zu einem literarisch hoch ambitionierten Text zusammengestellt. Beitrag fünfzehn interpretiert Röm 13,1–7 vor dem Hintergrund der Paul and Empire-Debatte. Der Text erweist sich als ein wichtiges Element in der Entwicklung einer Ethik des Guten und der Agape, die Paulus in Röm 12–14 für die „Jetztzeit“ skizziert. Zugleich gibt dieser Beitrag Hinweise auf die Wirkungsund Rezeptionsgeschichte von Röm 13 bis zur aktuellen Gegenwart. Er kann daher auch als dritter Beitrag der in Teil IV zusammengestellten rezeptionsgeschichtlichen Aufsätze des vorliegenden Bandes gelesen werden. Die Beiträge sechzehn bis neunzehn beschäftigen sich mit Texten der beiden Korintherbriefe. 1 Kor 13 wird aus der Perspektive der Emotionenforschung interpretiert. In 2 Kor 5,15 f. wird das Syntagma der „Liebe Christi“ als ein genuines Theologumenon erwiesen, das ins Zentrum der paulinischen Soteriologie führt. Die beiden folgenden Aufsätze gelten 2 Kor 12. Beitrag achtzehn analysiert das Gebet des Paulus in 2 Kor 12,8 f. im Zusammenhang frühjüdischer Gebete. Beitrag neunzehn stellt 2 Kor 12 in den Zusammenhang der religionsgeschichtlichen Konzepte von ego documents, personal religious experience und body. Aufsatz zwanzig trägt zu der Debatte um den geschichtswissenschaftlichen Begriff des „Ereignisses“ und des historischen Narrationsdiskurses bei, indem Gal 1,16 vergleichend in den Zusammenhang der drei lukanischen Erzählvarianten des „Damaskuserlebnisses“ in der Apostelgeschichte gestellt wird. Beitrag 21 bietet eine ausführliche argumentative Analyse von Gal 3 mit einem Aus-
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blick auf Röm 4. In den beiden Abrahamtexten sucht Paulus nach theologischen Lösungen, die Segensverheißungen, die sich an Abraham knüpfen, auch den ethnischen Nichtjuden, denen seine Mission gilt, zusprechen zu können. Der letzte Beitrag dieses Teils: „Philippi und Jerusalem: Sind Phil 3,20 und Gal 4,24–26 politische oder ethische Texte?“ ist Teil der Debatte um Paul and Politics. Beide Sätze erweisen sich als primär ethische Texte im Zusammenhang der kommunitären Gemeindekultur, die Paulus vor allem im Philipperbrief entwickelt.
5. Die Beiträge aus dem Bereich „Rezeption“ Die beiden längeren Beiträge zu den Themen Liebe und Hoffnung verfolgen zwei paulinische Grundthemen sowohl traditionsgeschichtlich rückwärts in die Theologie Israels hinein als auch rezeptionsgeschichtlich in die europäische Ideen-, Kultur- und Religionsgeschichte. Paulus erweist sich gerade bei diesen Themen – wie auch bei dem Thema der ἐξουσίαι in Röm 13 – als ein selbständiger Denker, der die ethischen und eschatologischen Traditionen Israels im Lichte seiner Christus-erfahrung neu bearbeitet und seine Ideen in Texten, die zur großen religiösen Literatur gehören, an die kaiserzeitlichen, spätantiken und europäischen Ideen-, Religions- und Kulturwelten weitergibt. Es sind Themen wie Liebe und Hoffnung, Gerechtigkeit und Glaube, die zu einer Art religiösen Alphabets der christlichen Welt geworden sind. Die rezeptionsgeschichtliche Perspektive eröffnet neue Verstehensmöglichkeiten, die über eine rein historischkritische Analyse der Paulustexte hinausführen, indem das Zukunftspotential der entsprechenden Texte freigelegt wird. Der Beitrag zu „Paulus als frühchristlicher Hoffnungstheologe“ ist meinem langjährigen Kollegen Otto Merk gewidmet, der Anfang des Jahres 2021 starb und mit dem mich eine kollegiale Freundschaft auf der Grundlage der Bultmannschen Theologie verband.
6. Zum Schluss Die hier zusammengestellten Aufsätze dokumentieren in einer Retrospektive meine Beiträge zur Paulusforschung aus den Jahren 2004–2021. Einige Texte – Röm 13; 1 Kor 13; 1 Kor 15; 2 Kor 12 – und Themen – Liebe, Emotionen, Gebet, Hermeneutik, Person des Paulus – haben immer wieder mein Interesse erweckt, zu neuen Untersuchungen geführt und neue Schwerpunkte gesetzt. Die Aufsätze sprechen nur bestimmte Aspekte der Paulusforschung an. Zugleich können sie aber auch als Grundrisszeichnung einer Perspektive auf die Paulusexegese verstanden werden, die aus gegenwärtigen Verengungen, Positionierungen, perspectives und Sackgassen ins Offene und Freie führt. Paulusforschung war immer innovativ, theologisch relevant und umstritten – so möge es bleiben.
I. Forschungsstand
1. A Plea for an Intellectual Biography of Paul Paul after the New Perspective and the Radical New Perspective* As often in the history of theology, research on Paul is once again one of the flash points of New Testament scholarship. At present the “Paul within Judaism” perspective is at the center of interest in international Pauline studies. In recent decades we have seen dynamic movements and fundamental shifts within international research on Paul. The significance of the German-language interpretation of Paul, at whose center the interpretation of the theological phrase δικαιοσύνη θεοῦ long stood, has continually declined. The great paradigms – New Perspective (NP) and Radical New Perspective (RNP) – as well as the leading lines of questioning – Paul and Politics, Paul and Empire, Paul and Rhetoric, etc. – come from the English-speaking world. While German-language research on Paul scarcely finds an echo in recent Anglo-American scholarship on Paul, the leading German-language monographs on Paul critically take up impulses of the NP and RNP, though without discussing the fundamental challenges of the new paradigms in a deeper way. Instead, a theological model of understan ding that stands in a complex way in the tradition of Rudolf Bultmann’s theologically focused interpretation of Paul continues to form the basis for these works. There is no real critical engagement, let alone mutually constructive dialogue from the side of German-language scholarship.1 Rather, a mutual speechlessness prevails.2 Paul the Jewish thinker as new paradigm receives much support and stands against the old paradigm of Paul the first Christian theologian. This presents a challenge for a New Testament exegesis that comes from the Ger-
* I would like to thank Wayne Coppins for the translation and for numerous valuable references. 1 U. Schnelle, Wege, enters into critical debate with the RNP. His argumentation, however, remains within the sphere of the history of religion in the early imperial period. The question of how the RNP can be brought into discussion with the concept of the “theology of Paul” would lead beyond this framework. Schnelle develops his approach further in U. Schnelle, “Theologie,” 14–155. Schnelle speaks of “new intellectual concepts.” (147) He describes Pauline theology in general as a “new concept of knowledge” (148–150) and takes his orientation here from the parameters of metaphysics and ethics. 2 This asymmetrical research situation is unsatisfactory.
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I. Forschungsstand
man-language, Lutheran-influenced3 university tradition, which has been shaped predominantly by Rudolf Bultmann and his school and yet also takes note of anglophone scholarship on Paul in its basic tendencies and further embedding in religious and cultural studies.4 In the present essay I take up this challenge and make a case for a new conception of the biography of Paul beyond the primarily theological or history-ofreligions placement of his person. I choose a new starting point, the historical person of Paul, and a new format, the intellectual biography. The individual intellectual profile of Paul will be traced in the historical context of the first century ce. Through this approach the current concentration of Paul interpretation on either the Christian theologian or the Jewish thinker can be overcome. In what follows, I introduce the significance of scholarship on Paul (1). I specify the limits of German-language scholarship since Bultmann (2) as well as the limits of the paradigms of Anglo-American exegesis (3). I search for new answers to important methodological problems that have emerged from the reading of Margaret Mitchell and Daniel Boyarin (4, 5, and 6). Following this history-of-research and methodological foundation, I reflect upon the historical person of Paul (7 and 8) and on the project of an intellectual biography of Paul (9 and 10). A concluding brief comparison between Paul and Peter (11) underscores the significance of approaching the interpretation of Paul through the format of intellectual biography, not least with a view to the question of the historical role of the tradition bearers in early Christianity (F. C. Baur).
1. The Interpretation of Paul as Old and New Task Since the second century ce, more precisely since the time of Marcion, the task of Pauline interpretation has been perceived as a theological and exegetical endeavor. Over the centuries the respective religious, confessional, scholarly-historical, contemporary-historical, and institutional determinants of interpretation have become increasingly diverse and varied. Here, I will focus especially on 3 A presentation from the perspective of Catholic German-language scholarship on Paul would set certain accents differently. For example, Catholic scholarship worked out the fundamental significance of Judaism for Paul at an earlier point. The Paulus Handbuch (ed. F. W. Horn) presents itself as a transconfessional project. Thus also already O. Wischmeyer/ E.-M. Becker (ed.), Paulus, engl.: Paul, though without explicitly thematizing and reflecting on the enduring significance of the different confessional traditions of Pauline interpretation. Something similar can be said with regard to the English-language handbooks on Paul. The well-known handbook Blackwell Companion (ed. S. Westerholm) attempts to do justice to this aspect through a detailed history of interpretation or reception. Stephen Westerholm speaks of “certain communities of readers” (“Introduction,” 1–5, 3). The confessional affiliations of the contributors are not discussed. 4 On this horizon, cf., in general, O. Wischmeyer et al. (ed.), Lexikon.
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German-language and anglophone interpretations of Paul over the last few decades for two reasons. First, they have obtained special influence in international scholarship. Second, in the productive and dynamic process of research and interpretation, distinct paradigms have emerged that stand in competition and material dispute with each other and that have greatly advanced scholarship on Paul. In the process, the mutual perception has proceeded unevenly. We observe an incongruent scholarly communication, which is part of the most recent history of interpretation and as such a starting for my reflections. The last generation of predominantly anglophone male and increasingly female exegetes5 has critically worked out the limitations and also the possibly latent danger of a theologically centered interpretation of Paul grounded in the Reformation6 and especially in Lutheranism. As a result, the classic influential German-language presentations of Paul in the “theologies of the New Testament” from Bultmann via Hans Conzelmann to Ferdinand Hahn have fallen under the suspicion of one-sidedness. This is similarly applicable to the large monographs on Paul that have appeared since Günther Bornkamm’s influential book,7 reaching from Jürgen Becker8 via Eduard Lohse9 down to Udo Schnelle10 and Michael Wolter,11 since they all work, in one way or another, with the coordinate system of Protestant theology or at least with the basic categories of Christian dogmatics in the broadest sense.12 A brief examination of Bultmann’s approach, which has so fundamentally shaped scholarship on Paul, is necessary here. Bultmann worked on the foundation of the existential philosophy of his time13 with a hermeneutical model that I characterize here, in a very simplified way, as the model of core and shell.14 In his Theology of the New Testament, which is to a great extent a theology of 5 The growing number of women scholars within Pauline studies represents a welcome development in both Anglophone and German-language scholarship. 6 In what follows I use either the terms “reformational” and “Reformation,” which are not restricted to Luther but also include Melanchthon’s Pauline interpretation as well as the great reformed Pauline interpretation since Calvin, or the more general terms “Protestant” and “Protestantism.” 7 G. Bornkamm, Paulus, engl.: Paul. 8 J. Becker, Paulus. 9 E. Lohse, Paulus. 10 U. Schnelle, Paulus, engl.: Paul. 11 M. Wolter, Paulus, engl.: Paul. 12 This also applies to the historically designed works of Martin Hengel (see n. 22, 34, and 60). Hengel explicitly advocates the view that Luther’s interpretation of justification does justice to Paul in a special way. Thus also H. D. Betz in his commentary on Galatians (H. D. Betz, Galatians). On this, cf. the introduction of F. Watson, Paul, 1–22, which presents the history of scholarship concisely from a non-Lutheran perspective. 13 Bultmann did in his time exactly what contemporary Pauline exegesis must do in our time – work with current scholarly resources. 14 Core: the existential analysis that uncovers the truth about human beings before God and to this extent has a normative claim. Shell: the so-called mythological clothing (apocalyptic etc.)
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Paul, Bultmann presents the Pauline anthropology in its main features as a true description of the conditio humana before God, which can be described with the categories of existential philosophy. The exegete is personally involved in this analysis. To withdraw oneself from the analysis would not represent adequate scholarly behavior but rather would mean missing one’s own existence. This is the origin of the exegetical “we” that predominated in the Pauline (and Johannine) textual analysis of Bultmann and his school and that made the study of Paul in particular so important for the German-speaking students of the last generation. The person who comes from this exegetical and theological school has learned to work with the conviction that exegesis and theology fall together, so to speak, in the interpretation of Paul, that “our” work always involves the search for existential truth and that “we” work, so to speak, on the open heart of theology. Related to exegesis, this means for Bultmann that Paul writes not only for but also concerning or about “us.” Without Bultmann constantly saying it, it is clear that for him in the theology of Paul the concern is with existential truth. According to Bultmann, Paul describes human existence as it is. His statements about human beings have general validity. Thus, Pauline theology in its existential-anthropological content is at the same time normative. The leading place of New Testament scholarship and particularly Pauline studies for German-language Protestant exegesis in the last generation has its basis here. For German-language Protestant exegesis this approach has implicitly remained decisive into the most recent presentations, even where the theological pattern of the presentation is no longer determined by Luther’s interpretation of justification or Bultmann’s existential interpretation and where at least the NP has indeed been taken into account.15
2. The Limits of German-Language Pauline Interpretation Why do current presentations of the “theology of Paul” no longer display the paradigmatic power that Bultmann’s “theology” had? There are many reasons for the current weakness of German-language Paul interpretation in the international comparison. Some important elements may be mentioned here. On the one hand, the existential-philosophical koine that represents the foundation of the Bultman15 Cf. e. g. U. Schnelle, Paul, 46: “Paul was a significant theological thinker; his work does have a systematic quality” (Paulus, 25). Cf. also O. Wischmeyer, “Themes,” 277–304 (“Themen,” 471–506). O. Wischmeyer emphasizes that Paul is “the one early Christian apostle who took part in a high-quality, detailed epistolary correspondence with his churches” and “developed from this literary communication theology in the sense of individual aspects and elements of apostolic teaching and instruction” (“Themes,” 304; “Themen,” 505). Similarly, M. Wolter, Paul, 1: “Not only are his letters the oldest preserved Christian texts in general, but also in them theological reflection on the Christian faith takes place” (Paulus, 1). For Paul and epistolography see Chr. Hoegen-Rohls, “Form,” 247–278.
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nian conception has since then become part of the history of philosophy and can no longer be used without further ado as an analytical tool for the presentation of Pauline thought. On the other hand, we can observe the long process of the detachment of North American exegesis from the German tradition and its path to “independence”16 as well as the closely connected increase of the linguistic barriers that have led to a one-sided reception of English-language literature in Germany, while the extremely extensive and vibrant Anglo-American literature is largely self-sufficient and just as little takes German-language literature into account as it does literature in the Romance languages.17 Furthermore, we stand before the phenomenon of the creativity and potential for innovation of the North American cultural and religious sphere, which has produced new, not only post-modern but also post-European and specifically post-German and post-theological lines of questioning and textual approaches and made the aforementioned turning away from European and specifically German lines of questions and conceptions internally plausible. In this cultural and societal environment – which is not only interconfessional or interdenominational but also interreligious – the Protestant-theological focus of Pauline interpretation is perceived as too particular and neither generally communicable nor generally relevant. Moreover, the Lutheran based Pauline scholarship – which, alongside Jesus research, has been one of the classic domains of German-language Protestant exegesis since the later Tübingen school at the latest18 – has been deeply damaged by the German history of the twentieth – in retrospect also already of the nineteenth – century. The German-language Jewish scholarship and religious perspective on the emergence of Christianity and especially on Jesus and Paul came to a violent end. Not least for the humanities, the Holocaust and World War II caused a lasting, painful break of tradition both politically and in terms of the ethics of scholarship. The new approaches to Paul in Great Britain and North America have, in turn, been opened up and worked out to a significant extent either through Jewish researchers19 or through intercultural lines of questioning and interreligious hermeneutical horizons in which Judaism had and has a significant share. The perspective of Jewish scholars – Paula Fredriksen speaks
16 Cf. the very helpful introductory overview of M. M. Mitchell, “Paulus,” 10–21. On this, see below. 17 This tendency applies to all the humanities (Geisteswissenschaften) and requires a fundamental discussion that cannot be carried out here. Cf., by way of introduction, J. Mittelstraß/J. Trabant/P. Fröhlicher, Wissenschaftssprache. 18 Cf. U. Köpf, “Schulen,” 9–52. 19 Cf. e. g. the important essays of C. Montefiore, Judaism, which were taken into account much more strongly in the English-speaking world than in German-language scholarship. On this, cf. D. R. Langton, “Readings,” 455–471. The Scandinavian Lutheran theologian and bishop Krister Stendahl opened the critical view of the Lutheran Pauline perspective for current Pauline scholarship: K. Stendahl, “Paul,” 199–215.
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of Paul as a Jewish thinker20 – has lastingly called into question our Germanlanguage Christian-theologically shaped picture of Paul and opened up indispensable interpretive approaches.21 The challenge that this perspective involves from a historical or history-of-religions viewpoint has indeed been taken up in many history-of-religions individual questions of the last generation of Germanlanguage scholarship on Paul and has led in the sphere of the Hengel school to decisive results.22 By contrast, the overall presentations have not thematized and critically discussed the Jewish perspective in its theological relevance. The format of “New Testament theology” functions as a barrier here. Moreover, the history-of-religions challenges23 of anglophone scholarship on Paul – de signated with the catch phrases “New Perspective on Paul”24 and “Radical New Perspective”25 – demand a greater response than the very specialized history-ofreligions detailed reconstructions with a primary focus on early Judaism, with which German-language scholarship has reacted thus far.26 New research approaches and new formats of presentation are fundamentally necessary.
3. The Limits of the New Perspective and the Radical New Perspective on Paul The NP has already brought about a significant distancing from the presentation of Paul’s interpretation of the world and humanity with the help of basic terms and of the inner system of Protestant theology. Through this a fundamentally new situation has arisen, especially for every interpretation of Paul that stands in the tradition of German theology shaped by Lutheranism. The RNP has sharpened this tendency. From this perspective, Paul becomes an inner-Jewish 20 Thus, O. Stewart Lester understands P. Fredriksen’s presentation of Paul as a “historically robust portrayal of Paul as a first-century thinker” (BMCR 2018.06.29). P. Fredriksen, Paul. This designation of Paul as a Jewish thinker is, despite its clear one-sidedness, one of the foundations of my reflections on an intellectual biography of Paul. 21 Cf. now again the accusation of anti-Jewish misinterpretation of Paul by Christian authors since the second century ce in P. Fredriksen, Paul, 71. This accusation is then also made against later Christian interpretations of Paul into the present. 22 Cf. above all the great Pauline studies of M. Hengel, Paulus; M. Hengel/A.-M. Schwemer, Paulus, engl.: Paul; M. Hengel (ed.), Paulus und Jakobus. 23 These challenges are summarized in M. Zetterholm, Approaches, 161–162. 24 See esp. E. P. Sanders, Palestinian Judaism; idem, Paul; J. D. G. Dunn, “New Perspective,” 95–122; idem, Theology; idem, New Perspective, esp. chapter 1; N. T. Wright, “Paul,” 61–88; idem, Paul. 25 On this, see M. Zetterholm, Approaches, 127–164. Important representatives include L. Gaston, Paul; S. K. Stowers, Romans; M. D. Nanos, Mystery; J. Gager, Paul; R. M. Thorsteinsson, Paul’s Interlocutor; M. D. Nanos/M. Zetterholm (ed.), Paul; M. Thiessen, Paul; P. Fredriksen, Paul (review: O. Stewart Lester, in: BMCR 2018.06.29). See now also J. P. Mortensen, Paul. 26 M. Bachmann (ed.), Paulusperspektive.
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history-of-religions phenomenon. The advocates of the RNP – in the accurate formulation of Magnus Zetterholm – “work from the general assumption that Paul belonged to first-century Judaism – not that he left it.”27 In the “Paul within Judaism” perspective the concern is accordingly with much more than historical adjustments and possibly also ethical corrections to older presentations of Paul, as important and necessary as these corrections are and will remain. This is more than a new case for “Paul, the Jew.”28 Moreover, the concern is with more than historical or material justice for a Judaism that has been implicitly or explicitly presented negatively29 in favor of a broader anthropological perspective. Finally, it is also more than a critique of Luther’s interpretation of Paul. Rather, the concern is with the fact that, according to the RNP, Paul can no longer be understood without discussion as the first and normative (Christian) theologian, as Bultmann did at the conclusion of his review of scholarship in the classic statement: “I think that the more one clarifies the existential character of Paul’s thinking, the more one will see that the worldhistorical meaning of Paul lies nowhere else than in the fact that he was a theologian.”30 By this, of course, Bultmann means Christian theologian. The RNP opens a decidedly different path. When Paul is interpreted entirely as a Jew not only ethnically and in his religious practice but also in his thought world, he loses his significance as the “first Christian theologian.” This gives rise to difficult questions that have been worked through neither by the RNP itself nor by German-language theological interpretation of Paul nor by the early church history: Who replaces Paul as the first Christian theologian? The evangelist John? Justin Martyr? Marcion? Irenaeus? Tertullian? Clement? Origen? When does Christian theology begin? What constitutes Christian theology? What and above all who defines Christian theology?31 The complex debate over the parting(s) of 27 M. Zetterholm, Approaches, 161. In detail: M. D. Nanos/M. Zetterholm (ed.), Paul. On “the Paul within Judaism school of thought,” cf. M. F. Bird, Review. 28 Cf. the almost confessional introductory statement of J. Frey, “As long as he lived Paul was a Jew, even as an apostle of Christ” (J. Frey, “Jewishness,” 57; “Judentum,” 48). That this statement also requires a nuanced and critical material concretization is self-evident. 29 Very confidently presented in J. Frey, “Jewishness” (“Judentum”). 30 R. Bultmann, “Geschichte,” 26–69, 59. Cf. The rather broad-brush juxtaposition in B. J. Malina/J. J. Pilch, Commentary, 25. Malina/Pilch juxtapose “Paul is the source of theology” and “Paul is focused on interpersonal relations in Jesus-group formation.” The fact that this confrontation is not illuminating, since it compares incommensurable things, is readily apparent. Nevertheless, Malina succinctly expresses a certain position within North American scholarship on Paul. For a better understanding of the Bultmannian position, one must take into account the fact that he is opposing, at least implicitly, the history of religions school’s interpretation of Paul. 31 Impulses toward a further-reaching discussion have been given with the aid of (1) Ferdinand Hahn’s Theologie des Neuen Testaments in C. Breytenbach/J. Frey (ed.), Aufgabe, and with the aid of (2) Michael Wolter’s Paulus: Ein Grundriss seiner Theologie, engl.: Paul: An Outline of his Theology, in J. Frey/B. Schließer (ed.), Theologie (in this volume, see esp. B. Schließer, “Paulustheologien,” 1–79); cf. B. Schließer, “Paul,” 21–70. In the Blackwell
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the ways shows how difficult it has become to draw boundaries and assign certain designations to specific persons. Not only Paul stands between the religions, but the interpretation of Paul, since the NP and RNP, also moves between the religions and their textually interpreting experts.32 It is no longer the exclusive and self-evident object of Christian theology and its theological exegesis. Pauline interpretation cannot, of course, stop with the paradigm of “Jewish thinker.” The interpretive proposals of the RNP are not to be understood as results in the sense of a fait accompli or an historical “it was thus.” Magnus Zetterholm’s equally accurate and unclear statement that some exegetes regarded the RNP as “the beginning of a formation of a scientific paradigm in which certain assumptions simply are taken for granted”33 makes clear – perhaps in a different way than Zetterholm intends – that with RNP a model of interpretation has arisen that has become so rigidified that it must, in turn, be scrutinized. An examination of the Deutero- and Trito-Pauline letters and Acts, for which Paul is the great agent of emerging Christianity, raises new questions. Similarly, Paul’s self-presentation already shows that such a clear assignment precisely does not do justice to his complicated self-understanding (Gal 2.20; 1 Cor 9.19– 23; Rom 7.15). The alternatives “Jewish Paul or Christian Paul,” “normal Jew or deviant Jew,” and “common Jew or Jew who misunderstands his own Judaism” miss both the self-presentation of Paul and the pictures of Paul produced by his immediate followers and by his first biographer Luke. Here, we must look for new historically valid parameters for description. In sum, I understand the Anglo-American paradigm that culminates in the Radical New Perspective on Paul as a necessary and productive attempt to analyze the understanding of Judaism in Paul from a history of religions perspective. The RNP can serve as a basis for critically illuminating the understan ding of Judaism in Paul or presenting it as one-sided.34 Other advocates of the Companion to Paul, Stephen Westerholm makes an important decision when he places what is designated “theology” in German Pauline scholarship in Part III (505–604) of the handbook under “The Legacy of Paul” together with “Art” and “Literature.”: “Christian Theology: Sin and the Fall; Christian Theology: The Spirit; Christian Theology: Ethics; Christian Theology: The Church”. There is no entry on “Jesus Christ.” 32 Clearly voiced in M. Zetterholm, Approaches, 162. This circumstance is very important hermeneutically. The frequently advocated opinion that religious or confessional affiliations have no influence upon exegesis is hermeneutically naïve. 33 M. Zetterholm, Approaches, 224. 34 I regard this as methodologically questionable. Paul was himself a Jew and interpreted Judaism from his perspective. The same thing applies to all so-called deviant forms of Judaism. A historical concentration on a “normal Judaism” does not do justice to the diversity of the forms of Judaism at the time of the late republic and in the early imperial period, as the debate around E. P. Sanders presentation of common Judaism has shown (E. P. Sanders, Judaism). On this, see M. Hengel/R. Deines, “‘Common Judaism’,” 392–479 (“‘Common Judaism’,” 1–70). Just as little can such a focus be a basis for a moral evaluation. This can relate only to the later interaction of the Christian churches and exegetes with the Pauline texts. Interpretations that
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RNP defend the Pauline position as inner-Jewish and seek to facilitate a new appreciation for its value.35 In the history-of-religions focus lies the relevance and yet also the limitation of the paradigm: Paul cannot be reduced to his relation to his Judaism. The search for a new Pauline interpretation after the NP/RNP and the model Paul within Judaism is as such a scholarly given and requires no justification.36 What is sensible and necessary, however, is a reflection on the triggering driver of this dynamic, on the questions that should generate new interpretations, and on the categories with which they should work. The significance of the RNP is beyond doubt. The concern is with a thinking further that starts from the perception of the fundamental significance that the NP/RNP has for every subsequent work on the interpretation of Paul.
4. New Reading Partners? Where can new coordinates be found? Margaret Mitchell introduced her review of American research on Paul with the idea that what is decisive for the construction of an image of Paul is “the respective selection of a certain group of reading partners (ancient, modern, in-between), with which the contemporary scholar encounters Paul.”37 According to the American perception, Luther – or Calvin or John Wesley – was up to now our first reading partner; I would add that for many of us, it was also Rudolf Bultmann.38 This would mean that we, in any case, have drawn our interpretive categories (exclusively) from great theologians of the past. Here, despite all one-sidedness, something decisive is observed. German-language exegesis since Bultmann39 has interpreted Paul primarily with theological categories. accuse Paul himself of incorrectly understanding the Judaism of his time go off into nothing. Rather, he has his own view of the Judaism of his time and of his own Judaism. Explicit antiJewish statements in Paul, such as 1 Thess 2.15–16, are also part of his Judaism. They can just as little be the object of moral criticism from exegetes as the corresponding pagan attacks can be from ancient historians. Rather, “anti-Jewish” statements of the Jew Paul must be part of the portrayal of his person as a critical Jew. 35 Thus, e. g. K. Ambrose, Jew (following P. Fredriksen). 36 Succinctly, M. Wolter, Paul, 1: “The project of writing an outline of Paul’s theology need not be justified on the basis of the subject matter, but only with respect to its execution” (Paulus, 1). 37 M. M. Mitchell, “Paulus,” 12. 38 The line of reading partners is especially emphasized in the contributions in The Blackwell Companion to Paul, Part II: Readers of Paul (299–503). Here, however, F. C. Baur and Rudolf Bultmann are both missing, i. e. the protagonists of modern Pauline exegesis are not perceived as “reading partners” or readers, without this being reflected upon. 39 The difference from the so-called history of religions school is significant. Cf. the RGG articles by W. Bousset and R. Bultmann. On this, see O. Wischmeyer, “Paulusinterpretationen,” 649–685.
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The “reading partners” from Luther to Bultmann have already held a different value for some time now. They were not done away with, and they also did not prove to be “false.”40 However, they have changed from normative to historical leaders for the understanding of Paul and thus recede – as already occurred earlier with Augustine in Protestant interpretation of Paul – into the series of great figures in the history of Pauline interpretation, which, since the end of the history of religions school, has been theologically dominated in the German-language sphere.41 We must, however, seek out new reading partners, new terminological coordinates, and thus also a post-theological (in the sense of post-dogmatic or post-reformational) theoretical42 paradigm.43 To me, the hidden driver – figuratively, the spring in the watch – which propels us to find a new language and new categories for the interpretation of Paul appears to lie here, at least for works in the context of German-language Pauline interpretation.44 The question for German-language scholarship in particular therefore reads as follows: Which reading partners can we find when theological figures such as Luther and Bultmann have experienced a decline their ability to disclose meaning?45
5. Wrestling with Paul? Could Daniel Boyarin help us here? In the introduction to his influential book A Radical Jew: Paul and the Politics of Identity, Boyarin describes his “wrestling with Paul”46 as a male American Jew of the twentieth-century who practices his 40 This
must be stated in a fundamentally critical way in relation to the approach of Pauline scholars such as D. Boyarin (D. Boyarin, Jew). With the categories of “false” or “true” we do not get very far in the realm of interpretation. 41 On this, cf. W. Wischmeyer, “Rezeption,” 579–591, engl.: “Reception,” 355–365; see, in detail, S. Westerholm (ed.), Blackwell Companion, 299–504. 42 Thus Gerd Theissen, in succession, with “sociology, “religion,” and “psychology.” 43 The same applies to the interpretation of Bultmann. 44 On this, cf. also M. Wolter’s reflections on the presentation of the theology of Paul (M. Wolter, Paul, 1–7; Paulus, 1–6). Wolter distances himself from presentations that are based on “a salvation-historical structure” (Paul, 3; Paulus, 3), but also stresses his own “constructive activity” with respect to the structure of his presentation (Paul, 3; Paulus, 3). 45 This rather compressed expression (an erschließender Bedeutung verloren haben) is meant to point out, on the one hand, that neither Luther nor Bultmann can be understood as “false” interpreters of Paul, but that we, after the NP, contextualize them historically to a greater extent than before, with the result that they fall back a bit further into history. However, it is precisely there that they retain their place and their significance as classic interpreters of Paul whom we could now choose again as “reading partners” – in clear consciousness of this historical contextualization. On the other hand, there have, of course, always also been other meaning-disclosing models, if we think here only of Catholic exegesis or the reformed theologians since Calvin. 46 See D. Boyarin, Jew, 1 ff.
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Judaism and asks which figure of the Jew Paul he wanted to give to Judaism. He thus “wrestles” with a fellow Jew.47 This approach is ruled out from the outset for non-Jews. Thus, it would establish an interpretive barrier that must be taken seriously, even though this is not Boyarin’s intention. Could a non-Jew wrestle with a Jew? In this case, another barrier would be gender. A female (Christian) exegete is doubly barred in Boyarin’s approach. A Christian exegete could, however, take up Boyarin’s impulse methodo logically and ask in modified form: On what basis can we, as German-language male or female theologians from Lutheran or reformed theological traditions, wrestle with Paul? A simple answer in analogy to Boyarin’s question – in that case we would leave the Paul within Judaism perspective out of consideration – would run: “We wrestle as male and female Christians of our time with the earliest fellow Christian Paul.” This answer is meaningful insofar as it describes the difficult interaction of many present-day male and female Christians and Christian churches with Paul. In the German university system, however, it cannot suffice, for we, as male and female exegetes, are not only academic tradition bearers of Protestantism or our churches, but we also work in the line of tradition of the development of historical-critical scholarship on the New Testament48 as followers of the critical scholarship on Paul since Ferdinand Christian Baur – and this ultimately means: in critical distance not only toward confessional spheres but also toward the Christian framework as a whole.49 On the other hand, the so-called contextual Bible hermeneutics50 and its exegetical advocates have much in common with the approach of Boyarin. In particular, the contextual hermeneutics of the so-called Global South, in its ecclesial and societal contexts, strives to wrestle with the theological and ethical solutions that Paul offers.51 By contrast, the conditions of so-called western academic exegesis include a historically defamiliarizing distance toward these contexts and attempted solutions, which refrains from normative interpretations from the outset. As we have shown, the RNP has demonstrated the legitimacy – indeed necessity – of this form of distance. These different academic contexts must, for their part, be laid bare and tested with respect to their hermeneutical relevance. At present, German-language Protestant New Testament scholarship seeks its primary dialogue partner in 47 D. R. Langton, “Readings,” 465, speaks of Paul as “a fellow-traveler on the path of religious self-understanding” for Boyarin. 48 For the interpretation of Paul, reference must be made here especially to F. C. Baur, “Christuspartei,” 1–206, engl.: Christ Party. 49 Exegesis likes to credit itself with this critical distance, though without reflecting on what hermeneutical significance lies in the confessional affiliation and above all in the religious affiliation of the male and female exegetes and their scholarly institutions (faculties etc.). 50 U. H. J. Körtner, “Bibelhermeneutiken,” 344–345. 51 Cf. the study document: E.-M. Becker/K. Mtata (ed.), Hermeneutics.
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the philological, historical, and sociological environment of the humanities or cultural studies. Here, a brief examination of the extensive scholarship on Paul alongside the Paul within Judaism perspective is necessary. First, the RNP shows its only limited reach in the larger framework of the cultural turn.52 In this framework the historical contextualization of Paul in its different aspects becomes possible. Social historical interpretation in the broadest sense – which inquires into the social identity or identities of Paul in the religions, cultures, institutions, society, economics, and politics of the Mediterranean world in the early imperial period and reads his letters in the context of this cultural texture53 (a special interpretive tool is the honor and shame motif 54) – is well suited to make Paul plausible not only as a religious representative but also as citizen and actor in the imperium Romanum of the first century ce.55 The new interest in “Paul among the philosophers”56 is a distinct aspect of this historical contextualization, as is his aforementioned rhetorical, epistolographical, and literary classification as an author.57 Another variety of contextualization, which is indeed based on the aforementioned historical approaches and yet transcends these and sets a different focus, is presented by interpretations of Paul that move within the framework of contextual hermeneutics and take as their starting point questions of gender, class, race, ethnicity, body, power, violence, empire,58 etc. On the one hand, such interpretations locate Paul’s position statements on the aforementioned themes historically. On the other hand, they critically interrogate them with a view to their present-day significance and incorporate them into the current discourse.59 Lines of questioning that reach beyond the history-of-religions categorization and classification also open up here. On this, see, by way of introduction, M. Zetterholm, Approaches, 195–224. See esp. W. A. Meeks, Christians (Urchristentum); B. J. Malina, World (Welt). 54 Jewett’s Romans commentary: R. Jewett, Romans. Cf. also social figures such as the gift, the character of benefactions, and the like (J. M. G. Barclay, Paul). On the social identity approach, cf. C. A. Baker, “Identity,” 129–138; S. Byrskog/R. Hakola/J. Jokiranta (ed.), Memory; P. Esler, Conflict; R. Hakola, Identity; R. Hakola/N. Nikki/U. Tervahaut (ed.), Others. 55 This is a special focus of N. T. Wright’s interpretation of Paul. Cf. also J. A. Harrill, Paul. 56 Cf. above all the works of A. Malherbe, H. D. Betz, S. Stowers, and T. Engberg-Pedersen. Cf. also K. Divjanović, Paulus. 57 On this, see E.-M. Becker/J. Rüpke (ed.), Autoren. 58 On the topic “Paul and Empire,” see R. A. Horsley (ed.), Paul; N. Elliott, Arrogance; C. Heilig, Criticism. For the more general framework of “Empire Studies”, see A. Winn (ed.), Introduction. 59 From the many works in this sphere of interpretation, I mention by way of example only the careful study of K. B. Neutel, Ideal. An example from the sphere of philosophy is the rediscovery of Paul by several philosophers influenced by Marxism, such as Agamben. On this, see, by way of introduction, P. Travis Kroeker, “Philosophers,” 440–454; J. P. Mortensen, “Auseinandersetzung.” 52 53
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6. Three Methodological Insights Three insights emerge from what has been said up to this point: (1) First, it is no longer sufficient for exegetes to reconstruct Pauline theology in the terminology of Christian theological language. However, an adequate presentation of the “theology of Paul” remains a necessary aspect of Pauline interpretation, so long as the sectoral nature of the topic, the specific and legitimate ecclesial and Christian-theological interest in the line of questioning, and the particular scholarly and ecclesial history of this subject matter are kept in view and made part of its presentation. Several clarifications are necessary here. The concept of theology was developed in the early church, i. e., in the framework of a fully developed, institutionally and religiously independent Christianity, in order to be able to place Christian thinking in an intellectual, philosophically shaped coordinate system. When we speak of the “theology” of the rabbis, which is said to have been a basis for the theology of Paul,60 we use a scholarly metaphor that stands for systematic and didactic thinking in the realm of a theoretically demanding religious world-interpretation. Whether ancient Judaism sought to cultivate or cultivated such thinking is controversial. For Paul the linguistic usage that I have explained elsewhere is suggested:61 I speak of “theological thinking” instead of “theology.”62 In this way, the following double phenomenon can be presented. On the one hand, Paul, at least in the first and second part of Romans, reflects conceptually on the relation between God and human beings. On the other hand, he never develops a coherent theological system or a clear definition of leading terms because he does not use extrabiblical (philosophical) terminological categories, which have constituted, after all, the nature of Christian theology since the early church. Accordingly, it is advisable that we not inquire in a theological-systematic way about the doctrine of Paul but rather ask about his interpretation of God, the world, and human beings, and about his ethical instruction. Paul just as little has an “ethics” in the sense of the Aristotelian or Stoic doctrine of virtue as he has a “theology.” His theological thinking, to which suggestions and instructions for individual and communal life conduct correspond, can be presented only with reference to individual themes and thematic complexes – themes that encompass both classical theological topoi and individual aspects of Paul’s lifeworld and that give us insight into the tense relation between tradition and innovation in his thinking. 60 M. Hengel, Paul, 47, “This is not the place to enumerate all the ingredients in Pauline theology which may – presumably – come from the Pharisaic school in particular and from Jewish Palestinian thought in general” (“Paulus,” 177–293, 249–250). 61 O. Wischmeyer, “Themen,” 471–506, engl.: “Themes,” 277–304. 62 Similarly, J. D. G. Dunn often speaks of Paul’s “theologizing” rather than simply speaking of his “theology.” See J. D. G. Dunn, Theology, 2, 18–19, 24, 28, 84, 298, 601, 716.
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What we especially need to pursue further is, on the one hand, Paul’s ideational and argumentative interaction with Jewish traditions about God and Israel, about Scripture, scriptural interpretation, law, covenant, patriarchs, and about Jewish understandings of the world and time (from primordial time, with Adam, to the end time, with the returning Christ) and, on the other hand, the ideational processing of the faith statements of the Christ-confessing apostle and community, which relate to Jesus Christ, the Spirit, and the communities of Jesus Christ as well as to the new creation and the end.63 To this we can add the inquiry into cosmological and mythological figures of interpretation, which belonged to the common property of world-interpretation in the early imperial period. (2) From the new approaches follows the insight that the theology of Paul himself – however we understand and reconstruct it – cannot (or can no longer) be presented per se as a normative entity and expression of existential truth. Instead, a new historical contextualization is necessary. (3) Therefore, a new form of critical engagement with Paul is sought. This occurs, however, not as a “wrestling with Paul the first Christian,” to take up Boyarin in modified form, but precisely within the horizon of the neighboring disciplines of ancient historical studies and the lines of questioning of cultural studies in the broadest sense. In this way, the methodological question, which follows on Margaret Mitchell, is answered: We seek our communication partners not (only and primarily) in earlier interpreters of Paul, i. e. in the theological past, but anew in the academic present, i. e., in that sphere of present-day scholarly approaches that can best explain the person, work, thinking, and writing of Paul. In summary, for today’s scholarship on Paul the challenge no longer consists in defending individual aspects of a Lutheran or Bultmannian interpretation of Paul and perhaps even playing Luther off against Bultmann but rather in setting forth our own interpretation of Paul after Luther and Bultmann as well as after the NP/RNP. This interpretation will take their insights into account as well as the new themes and lines of questioning from cultural studies. It will no longer view Paul as a normative teacher of theology whom we must present “only” correctly and possibly correct or criticize at specific points – thus especially with respect to his understanding of Judaism and his attitude toward women, empire, slaves, homosexuality, etc. Rather, it will seek to make him plausible as one of the most important persons of the first century ce, whose thought world and activity must be newly disclosed in their significance beyond the coordinates of Judaism and Christian “theology.” This post-existential and post-theological perspective is the answer to the methodological question raised by Daniel Boyarin.
The topic “Antiochene traditions” belongs here.
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1. A Plea for an Intellectual Biography of Paul
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7. The Person of Paul: Letters, Religion, World-Interpretation How can the new lines of questioning be made fruitful for an interpretation of Paul? As point of reference I choose the person of Paul. The central question of this new interpretation of Paul reads as follows: How and why can Paul be described as a historically significant person of the first century ce?64 In this way, the classic material aspects that have thus far dominated Pauline research are summarized under a new line of questioning and in a new interpretive approach: the letters (1), the religious affiliation (2), and the theological thought, i. e. the world-interpretation of Paul (3). Leading questions of German-language and Anglo-American Pauline interpretation become important aspects of the new leading question about the person of Paul and can be taken up afresh in a different methodological overall framework. What can that look like? (1) The letters of Paul represent the most important part of the textual basis from which we reconstruct and interpret his person. They are at the same time the most intensively commented and interpreted field of investigation of scholarship on Paul. In the last generation, important results have been achieved in research on Pauline epistolography65 and rhetoric,66 which shed new light on the aspect of the person of Paul as a writer and assign him a place in the HellenisticRoman epistolography. This applies especially to his literary self-fashioning.67 (2) As we have shown in connection with the “Paul within Judaism” paradigm, one of the key questions of contemporary research on Paul concerns his religion. How can the religious-ethnic position of the deviant Pharisaic diaspora Jew Saul/Paul from Tarsus between contemporary Judaism and initial Christ-confessing groupings in Jerusalem, Antioch, and Rome be described within the framework of the study of persons (Personenforschung)?68 His religious affiliation and his new interpretation of this religion form the substratum of his world-interpretation, his mission, and his practical life conduct. He is, in the full sense of the term, a homo religiosus, without his identity being exhausted in this description.69 A task of the intellectual biography of Paul will be to make 64 The theme “Paul as historical person” is taken up in R. S. Schellenberg/H. Wendt (ed.), Handbook. 65 On this, see now, by way of introduction, E.-M. Becker, “Paulus,” 155–166. 66 For orientation, see P. Lampe, “Analyse,” 170–190; J. P. Sampley/P. Lampe (ed.), Paul; J. N. Aletti, “Rhetoric,” 232–247; C. Tornau, “Rhetoric,” 1–94 (58–60 on Paul); T. Schmeller, “Dissimulatio artis?” In general, see S. E. Porter, Handbook. 67 E.-M. Becker, “Paulus als doulos,” 205–222 (lit.). 68 Possibly also in confrontation with contemporary philosophical and moral positions. 69 On this term of A. Deissmann, cf. O. Wischmeyer, “Paul,” 55–72. J. Rüpke points to the individual components of religion. See J. Rüpke, Roman Religion. The focus lies on individual religious actors. See further Janico Albrecht et al., Religion, https://d oi.org/10.1080/ 0048721X.2018.1450305; V. Gasparini et al. (ed.), Religion; J. Rüpke, Religion, engl.: Religion; J. Rüpke, Pantheon, engl.: Pantheon.
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the difficult concept of religion meaningful for the interpretation of the person of Paul. (3) As we have already indicated, another central question concerns his theological thought. Which systematic terminological coordinates are especially well suited to describe Paul’s statements about God, the Kyrios Jesus Christ, the Spirit, the end time, and the guiding principles of the life of the Christ-confes sing ἐκκλησίαι and their members? From the perspective of intellectual biography what we, in the tradition and especially in German-language scholarship, have called Paul’s theology70 is placed in a new light. The concern is not with an initial doctrine of faith or a developed confession of faith but with the presentation of the result of the epistolarily mediated self-view, worldview, world-interpretation and ethical and social recommendations of Paul and, accordingly, with a significant contribution to the religious-intellectual thought world of the early imperial period. In the process, Paul joins his theology so closely to his personal religious experience that the intellectual biography must give special attention to this connection of individual experience and general world-interpretation.71 In summary, the letters, religion, and theology are a part of and an expression of the person of Paul and his activity. They can be interpreted from this central organizing point.72
8. The Person of Paul: Heuristics The superordinate question about the person of Paul is relatively new.73 Thus, the right heuristics plays a special role. Different approaches are, however, already available. Bruce Malina, together with J. H. Neyrey, has constructed Paul from the perspective of the ancient understanding of persons.74 In his social science commentary on the Pauline letters he understands Paul as a “change agent” and points thereby under a new banner to one of the most important questions regarding the person of Paul. How should we interpret the so-called Damascus Road experience, as a change of religions, as inner-Jewish new interpretation of Judaism? Should we interpret it as a departure from Pharisaism, as a fulfillment of what he always already wanted, as apostasy and thus as a break in his person, 70 For example in R. Bultmann, “Paulus,” 1019–1045, engl.: “Paul,” 111–116. On this, cf. O. Wischmeyer, “Paulusinterpretationen,” 662–669. 71 See O. Wischmeyer, “Ego-documents,” 181–198. 72 This also applies in reverse, of course. Formally, the texts always constitute the starting point. 73 An initial thematization took place in E.-M. Becker/P. Pilhofer (ed.), Biographie. 74 B. J. Malina/J. H. Neyrey, Portraits.
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as an experience of mental illness,75 or as a religious experience of an individual commissioning? Elsewhere I have used the terminology of great “disruption” or “interruption.”76 Paul does not leave Judaism but since Damascus he knows himself to be placed under the authority of the Kyrios, whose called or commissioned απόστολος he becomes, as he previously had been the απόστολος of the Sanhedrin. The terminology of “change agent” contains important historical aspects here, insofar as it raises the following questions: Whom does Paul regard as his leader, in whose authority and at whose instruction he becomes active and whose rule he never called into question again? Is it the apostles in Jerusalem – as successors of the Sanhedrin – or in Antioch or representatives of other communities? Is it the Kyrios? These questions lead to the center of the person of Paul, to his self-understanding, as he expresses it in Rom 1.1–5. How can his selfunderstanding, his self-estimation, and his own claim to authority derived from his Christ revelation be captured? Eve-Marie Becker has made important contributions to the theme of the person of Paul. She develops the line of questioning of current studies on persons and biographies.77 Her heuristics encompasses the physiognomy of Paul (regarding this we do not have any primary sources); his interaction with his body; his personal characteristics; his activity as epistolary author, autobiographer, and composer of ego-documents; in connection with this, his self-understanding (at present the topic is often discussed under the line of questioning about identity or multiple identities);78 and his strategies of self-presentation. Furthermore, it includes his activity; his life conduct (here we encounter again the theme of ἰουδαϊσμός79) and his leading of human beings as apostle; his possible status as member ‘of two religions’; his achievements of thinking and interpretation; and his claim to set forth a new world-interpretation. Recently, Eve-Marie Becker has again identified a special aspect of this field of investigation, which asks about Paul as an individual person, namely, the ‘I’ or inner self of Paul. In this way, his self-construction is illuminated not only by the epistolographical perspective but also by the philosophical.80 The view of Paul as a person who can be grasped historically and who acts in history is especially significant. Ryan S. Schellenberg and Heidi Wendt pursue 75 On this, see the critical comments of M. Göttel-Lypold/J. H. Demling, “Persönlichkeitsstruktur,” 125–148. 76 O. Wischmeyer, “Religion,” 322. 77 E.-M. Becker/P. Pilhofer (ed.), Biographie, 67–87; E.-M. Becker, “Autobiographisches,” 99–124 (lit); eadem, “Die Person,” 125–140 (lit); eadem, “The Person,” 121–132. Cf. eadem, “Person. Character. Self.” 78 Cf. E. Kobel, Paulus. 79 His ἰουδαϊσμός, i. e. his cultural and ethnic belonging to the ἔθνος Ἰουδαίων, with its implications of rites and eating customs etc., represents a fundamental element of his life conduct. Did Paul also live as a Jew after his calling to be the missionary to the Gentiles? 80 E.-M. Becker, “Das introspective Ich,” 310–331; eadem, “Epistolary Self,” 253–271.
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this new approach in the project of a handbook on Paul as a historical person.81 Paul is not only the best documented historical figure of earliest Christianity,82 but also, comparatively, one of the well documented persons of the first century ce in general.83 The historical significance of Paul must be sketched between the fact that there is no extra-Christian mention of his person84 and the fact that the author of Acts devotes the second part of his diegesis to the missionary activity of Paul and has Paul go to Rome to be tried85 before the emperor.86 Something similar applies to the relationship of Paul to the political world in which he is active. His itinerant and missionary activity takes place between multiple centers – the cities of the eastern half of the empire with its different urban and religious institutions and milieus;87 the Jerusalem authorities and Jewish regional rulers; and, at least according to Luke, the emperor and Rome. Paul himself states a position on the imperium thematically in Rom 13. In this text he views the imperium neither as a historical nor as a political entity but as toll, tax, and penal authorities, in theological terms as a regulatory institution that is active in the commission and under the rule of God.88 Is this a distinct political contribution or a traditional Jewish viewpoint? Or is it both? Although Paul neither “made history” nor attacked the imperium Romanum, we must nevertheless permit the question of how much historically and politically or socio-politically restorative, innovative, or revolutionary potential is contained in his texts.
T & T Clark Handbook to the Historical Paul. monographs of Schnelle and Wolter take this into account insofar as they incorporate biographical aspects into their presentations. New, further-reaching reflections on the topic can be found in E.-M. Becker, “Person. Character. Self.” 83 This judgment includes Jesus of Nazareth. While we have detailed narrative presentations of his public activity and death, there are no so-called ego-documents from his own hand. From the Jewish sphere, only Philo and Josephus are comparable – the latter can be captured much better historically. On Philo, cf. M. E. Niehoff, Philo. 84 The situation is different with John the Baptist, Jesus, and James, who are mentioned in Josephus. 85 On this, see H. Omerzu, Prozeß. 86 With this Paul stands alongside Jesus: see the Lukan Doppelwerk. Luke composes Pauline mission and community speeches but is silent about the letters. On the theme, see J. M. G. Barclay, “Letters,” 289–301. Barclay convincingly argues that personal presence and oral speech and apostolic deeds were more esteemed in the communities than letters. This corresponds to the presentation of Luke. The letters first develop their intellectual potential in the reception history. 87 Synagogue communities and temple collegia. Paul preferred Roman coloniae. 88 O. Wischmeyer, “Philippi,” 298–319; eadem, “Era.” Cf., by way of contrast, the different understanding of the Imperium Romanum in Philo and Josephus. 81
82 The
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9. The Intellectual Biography of Paul All the reflections advanced thus far come together in the project of an intellectual biography of Paul, the presentation of his person from the perspective of his ideas, attitudes, and actions.89 While a continuous historical biography90 in the sense of the reconstructive presentation of his life, activity, and thinking cannot be written for Paul from our sources, since we do not know anything about large parts of his life,91 we have sufficient material to write an intellectual biography of Paul. The religious-theological conceptual world of Paul and his worldview or world-interpretation can be understood in this context as part of a religiously dominated history of ideas or intellectual history and as such also as part of the continuing world-interpretation discourse of the western world.92 Why an “intellectual” instead of a “religious” biography? With regard to the early Christians, Hartmut Leppin writes: When the intellectual achievement of intellectual Christians comes into view, people sometimes speak of a Hellenization of Christianity … To me, by contrast, the term intellectualization seems more helpful, since this avoids the danger of arguing too much from peoples (Völkern) or even from characteristics of peoples (Völkereigenschaften) … Intellectual authority was an alternative to authority of office, though more precarious than the latter. It is said to require confirmation in debates and through presentations; the written word possessed more duration. Since Christians, due to the deficient beginnings
89 I prefer “biography” to “profile” because a biography has a temporal dimension and includes developments or changes. 90 Cf. e. g. the recent ruler biographies on Augustus (J. Bleicken, Augustus, engl.: Augustus; W. Dahlheim, Augustus), Marcus Aurelius (A. Demandt, Marc Aurel), Herod (E. Baltrusch, Herodes; cf. the excellent review of T. Klär: “Review of Baltrusch,” www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-19668). Baltrusch works with the concepts of multiple identities and with reception history. J. A. Harrill, Paul, proceeds in a similar way. Harrill approaches the task of a biography of Paul from two sides. On the one hand, he emphasizes the need to write a historical biography of Paul (1). On the other hand, under the heading “This Book Is Not A Traditional Biography” he reflects on (2) the methodological presuppositions of biographical writing and decides to write an “antibiography” that takes the tradition situation just as seriously as the calling into question of our ability to find an “essential self (a fixed identity)” instead of “many different Pauls” (3). Harrill argues for a methodologically considered understanding of historical biography, which distinguishes between “historical Paul” and “scholarly reconstruction” and assigns great significance to reception history, which is especially important with Paul. Harrill does not present an intellectual biography. By contrast, N. T. Wright, Biography, writes with the claim of understanding Paul’s person from the inside out. For further-reaching reflections, see E.-M. Becker, “Person. Character. Self.” 91 We have no precise knowledge about Paul’s origin, family, upbringing, youth, first missionary years, time in Rome, or death. The chronology of his travels and his letters as well as his Roman citizenship remain controversial and cannot be biographically reconstructed with certainty. A simple or critical adoption of details from Acts is not possible. 92 Cf. M. E. Niehoff, Philo.
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of their religion were especially dependent on the word, it is not surprising that intellectual authority was at times highly regarded among them.93
Leppin finds this process of intellectualization already in Paul. Some Christians made use of the intellectual instruments of philosophy. They used the arts of interpretation that had been developed by the Greeks and already used by Jews such as Philo of Alexandria. Thus, in a tradition that goes back to Paul, they formulated Christian tenets in the language of Greek philosophy. The Christians shared this possibility of feeling superior to others due to their special textual knowledge or their behavior with some philosophical groups and also with Jews. This, too, supports the view that the Christian faith was attractive for ambitious persons who did not come from the poorest strata but for whom the way to the top was closed: The seemingly unconquerable class boundaries of the Roman empire could be … crossed due to a personal decision and individual achievement.94
The Areopagus scene in Acts 17 has historical significance, even if it is regarded as a construction of Luke.
10. Five Components of an Intellectual Biography of Paul An intellectual biography of Paul can be based on five components: (1) the autobiographical details of the undisputed Pauline letters, (2) the post-Pauline sources – Acts and the post-Pauline letters, (3) the parameters of present-day critical historical biography writing, (4) above all the lines of argumentation and themes of the Pauline letters, and (5) the specific intellectual discourses in which Paul participates and which he leads or initiates himself.95 (1) The historical-autobiographical specifications of Paul96 show in their selectivity how Paul understands, communicates, and reflects on his own biography. Paul does not speak about important biographical details such as family, hometown, education,97 citizenship, and many other matters. Why are these areas of his biography not important to him in his epistolary communication, whereas he reflects in detail and in a complicated way on his own person and his inner-self (E.-M. Becker)? Here, we find a key to his self-understanding as an important aspect of his intellectual biography.
H. Leppin, Christen, 436–437. H. Leppin, Christen, 428. The approach based on intellectuality is also chosen by Schnelle, “Theologie,” 145: “Early Christianity was a charismatic-intellectual movement.” 95 E.-M. Becker, “Person. Character. Self.” 96 See, by way of introduction, E.-M. Becker, “Autobiographisches.” 97 T. Schmeller, Schulen; T. Vegge, Paulus; T. J. Bauer, Paulus; W. Horbury, “Pedagogues,” 95–127; K. M. Hogan/M. Goff/E. Wasserman (ed.), Pedagogy; K. Vössing, “Schule,” 1160– 1186; A. Falcetta, Teachers. 93 94
1. A Plea for an Intellectual Biography of Paul
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In order to attain to a comprehensive portrayal of the person of Paul, the presentation must be developed from the perspective of his specific – and this means: individual98 – intellectuality, which can be reduced neither to an anthropology or philosophy of the time, nor to a systematic construction of theology in the sense of a doctrine of God, human beings, and the world and its fate, nor to a messianically colored interpretation of Judaism, but rather includes his whole person, his continual positioning in polemics and apologetics, and his activity. Here, a few pointers must suffice as a provisional indication of what should be taken into view. There is no presentation of the intellectual person of Paul without the visionary foundation in the sentence: “Have I not seen the Lord?” (1 Cor 9.1), without his “mystical” Christ identity: “I live, yet not I but Christ lives in me” (Gal 2.20), without his anchoring in Judaism: “circumcised on the eighth day, from the people of Israel, from the tribe of Benjamin, a Hebrew from Hebrews, according to the law a Pharisee” (Phil 3.5), without his extensive scriptural knowledge, without his transreligious and transcultural claim: “I am a debtor to Greeks and to Barbarians, to the wise and to the foolish” (Rom 1.14) and: “I became to the Jews as a Jew, in order that I might win Jews” (1 Cor 9.19– 23), without his organizational empire-wide approach: “from Jerusalem and all the way around to Illyria I have completed the gospel of Christ” (Rom 15.19), and without his rigorous interaction with his own person (peristasis catalogues). His person (Rom 1.1–5), his experience (Gal 1), his body (2 Cor 12), his work (1 Cor 9), his existence of travelling and proclamation (Rom 15; 2 Cor 5.11–21; 11.21–33), his fate of death (Phil 1.18–26), his inner self (Phil 1) and his personal attachment to Christ (Phil 1–3), as well as his comprehensive interpretation of the world and the future (1 Cor 15; Rom 1; 8) are foundation and aspects of his thinking, which he himself attests and answers for with his life (Phil 3). Just as the first resurrection witnesses make their whole existence and their world-interpretation dependent on the fact that Christ, as the risen one, “appeared” to them (1 Cor 15.5), so Paul also basis his whole existence ἐν Χριστῷ on the fact that “last of all, (Christ) appeared also to him, as to one untimely born” (1 Cor 15.8). When he reasons, “by God’s grace I am what I am” (1 Cor 15.10), then he bases his person completely on God, which by implication means that God bases himself in a special way on him and his activity (Rom 1.1, 5). (2) We come to the second source of a biography of Paul, the early reception of Paul since the Deutero-Pauline writings. What image of Paul is mediated by the Deutero-Paulines? And above all, what image of Paul does the auctor ad Theophilum sketch? Both images of Paul are of the highest significance for our attempt to approach Paul, since they reflect the general ancient and specifically early Christian understanding of Paul, i. e. the first attempts at a fashioning-inter On this, see J. Rüpke, Roman Religion.
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pretive approach to the person of Paul. Let us begin with Luke.99 When Luke designates Paul multiple times as a citizen from Tarsus and as a civis Romanus, he assumes – irrespective of whether he took this status designation from the tradition or “invented” it himself – that Paul was a person who could have had this double citizenship. The significance of this consideration can be demonstrated with reference to the example of the presentation of Jesus of Nazareth. The wri ter Luke would never have sought to help Jesus gain more importance by making him a civis Romanus. He chose instead the genealogy that went back to David, Abraham, Adam, and God himself. Luke provides no genealogy for Paul but describes him as a civis Romanus who is at home in the imperium and can negotiate freely and as an equal with all the office bearers of the imperium. This is the decisive point in the question regarding the citizenship of Paul, which we know about only from Acts – not the historicity but the historical plausibility. Something analogous applies to Luke’s saying that Paul was to be brought before the Roman emperor. Here too, the fact that Luke regards this as possible and plausible is more important than the historical question. Luke presents Paul as a sovereign actor in the religious, political, and philosophical world of ancient Judaism, of cities in Asia Minor and Greece, and of the Roman administration of the empire. High points are the aforementioned Areopagus speech (Acts 17), on the one hand, and the speech before Agrippa and Festus, on the other hand (Acts 26). The Deutero-Paulines use the figure of Paul in the sense of literary ethopoeia in order to promulgate a developed teaching about God and Christ under his authority and regulate the ethos of the Christ-confessing communities and their members. Here, Paul becomes the christologically productive theologian and community ethicist – a situation that becomes important for the critical interaction with the NP and the RNP. When Paul is placed entirely within Judaism by the RNP, the question arises of how the Deutero-Paulines and the author of Acts came to their images of Paul and their placement in history. The early reception history100 of Paul is astonishing and must be understood as part of his person and singular impact. The reception history of the other apostles, including Peter and James, is not comparable to Paul in significance. The reception of Paul begins in the writings that were later compiled to form the New Testament. Acts is devoted to his missionary activity in its second part and is thus at least partly a “Paul book” in analogy to the Gospel of Luke as the “Jesus book.”101 As indicated above, the so-called Deutero- and Trito-Pauline 99 Cf.
D. Marguerat, Paul. J. Schröter/S. Butticaz/A. Dettwiler (ed.), Receptions. For a recent argument that Pauline biography should start with the early reception of Paul and not with the securing of authentic Pauline epistles, see B. White, “Tradition.” Cf. also idem, Paul. 101 Serious differences, however, must be noted here. Thus, there are no narrative passages on the origin and family of Paul or on his death. Luke lets the reader see that he has information about these themes but does not use it narratively. 100 Cf.
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letters102 already use the person of Paul in the sense of literary prosopopoeia. His Wirkungsgeschichte is not limited to the literary-theological aspect but is documented in the history of the communities that he founded and visited. Corinth and Rome are in focus here, as shown by 1 Clement. The sphere of reception history and Wirkungsgeschichte includes in a special way the question of the collection and canonization of his letters – an innovative and creative event in the history of emerging Christianity, which was quickly imitated.103 The emergence of “Paul literature” is just as important. These two developments helped the figure of Paul to obtain the significance that it occupies in the realm of Christian theology and with which we engage critically after the NP. (3) Present-day research on biographies presents the third pillar of an intellectual biography of Paul. In her article “Person. Character. Self,” Eve-Marie Becker stresses distance as a basic attitude of modern biographical writing. Biographies are historiographical constructions and not direct presentations of a person. Letters lead, however, to the “person” and are an especially valuable source for biographies. Letters, however, cannot simply be understood as witnesses of a past reality but must be understood as consciously shaped documents whose literary and psychological strategies need to be analyzed. The goal of the biography is to place Paul in the first century ce and to make him plausible there in his activity and significance. (4) The argumentative and metacommunicative parts of the Pauline letters give insight into the world-interpretation of Paul and into its coordinates: first, the foundations of the religion of Israel with its implications for the beginning and end of the cosmos and of human history; second, the specific history of God with Israel; and third, his new history with Israel and humankind since Jesus Christ (Gal 4.4; Rom 11.25–27). The presentation of the world-interpretation of Paul is the core of the intellectual biography. Here, the results of the “theological” analyses of the Pauline exegesis are placed in a new non-normative framework of interpretation. (5) Finally, the discourses in which the protagonist of the biography participates and which he drives forward or first initiates are decisive for an intellectual biography. Paul takes up discourses from different contexts. I mention only the most well known of these: the philosophical discourse on the νόμος ἄγραφος in Romans 2, the Stoic discourse on the fable of Menenius Agrippa from Livy, which Wilhelm Nestle assigns to the ὁμόνοια literature,104 in 1 Cor 12 and Rom 2; the Jewish discourse on δικαιοσύνη in Rom 3–8; the discourse on the ancient Colossians, Ephesians, 2 Thessalonians, 1 Timothy, 2 Timothy, and Titus. The corpus of the Deutero-Pauline and of the Catholic Epistles. However, the concern here is with so-called pseudepigraphical writings. To this extent, the early collection of the original Pauline letters is without analogy. 104 Ab urbe condita II 32.9–12. On this, see W. Nestle, “Fabel,” 502–516. 102 103
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I. Forschungsstand
understanding of language in 1 Cor 14;105 the cosmological discourse in 1 Cor 15; and especially the discourse on the government ἐξουσίαι in Rom 13.106 Alongside this, there is the discourse on Abraham and the δικαιοσύνη θεοῦ, which Paul shares with early Judaism. He shapes this discourse decisively through the connection with a fundamental anthropology, which has sin as an anthropological constant at its center (Rom 1.1–3.20), and with πίστις.107 The intellectual history of Paul’s influence has not yet come to an end. Jacob Mortensen now draws attention to the historico-ideological inspiration of contemporary philosophers by Paul and pleads for reading Paul also “as a classic of the history of religion or ideas.”108
11. Looking Forward: Peter and Paul Finally, the necessity of setting forth an intellectual biography of Paul becomes clear through a comparison with the already mentioned Peter. According to all that we know, Peter was the most important disciple of Jesus and is named as the first of the resurrection witnesses in 1 Cor 15. During the missionary activity of Paul, he belongs, together with James and John, to the leading apostles in Jerusalem (Gal 2.1–10), then in Antioch, and perhaps also in Corinth. Accor ding to the tradition, he came to Rome and, like Paul, died as a martyr there. According to the Gospel of Matthew, the “church of Jesus Christ” was built on him (Matt 16.18–19). While Peter and his fellow apostles were active in mission, i. e. with oral presentations and with deeds of power and healing, without being literarily active, Paul developed in his sometimes lengthy letters in ever new approaches his ideas on the institutions that he grounded, on their ethos and their religious and theological foundations, as well as his ideas on the future of the world and of human beings in Israel and in his communities. These letters were not only part of his missionary activity, so to speak, as written sermons, but in this literary activity he developed his own person and an inner biography. At the same time, he set the early Christian literary-intellectual activity in motion. The following generations of community teachers composed writings in the wake of Paul. In the process, not only were other writings assigned to Paul, but letters to communities were also ascribed to Peter and other apostles, because the letters of Paul were successful and the needs of the communities for written theological, institutional, and ethical teaching and instruction increased. Post festum, the Urapostel and other church leaders or community leaders also had N. Treu, Sprachverständnis. S. Krauter, Studien; O. Wischmeyer, “Era.” 107 This becomes visible in the reaction of the author of the letter of James (Jas 2.14–26). Cf., in general, J. Frey/B. Schließer/N. Ueberschaer (ed.), Glaube. 108 J. P. Mortensen, “Auseinandersetzung,” 593–609, 609. 105 106
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to be presented as theologians who formulated their theology and ethics in community writings. While the person of Peter is not graspable in the Petrine epistles (just as his presentation in Acts also remains stereotyped), the intellectual claim that Paul had connected with the proclamation of his εὐαγγέλιον nevertheless became the standard for the next generation of community leaders and at the same time was transferred back to the beginnings and to the first apostles.
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2. Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert Eine kritische relecture der ersten bis vierten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ 1. Einführung Das zwanzigste Jahrhundert hat mehrere Phasen der Paulusinterpretation durchlaufen.1 Bestimmte Paradigmen erhielten für einen gewissen Zeitraum eine Leitfunktion. Am Anfang des Jahrhunderts stand die religionsgeschichtliche Schule mit Paulus als theologisch-religiöser Persönlichkeit vor allem im hellenistisch-religiösen Kontext (W. Wrede,2 W. Bousset,3 A. Deissmann4). Es folgte Rudolf Bultmanns existential-anthropologische Interpretation, die von seinen Schülern in unterschiedliche Richtungen hin weiterentwickelt wurde (G. Bornkamm, E. Käsemann, H. Conzelmann). Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelte sich in der New Perspective auf der Grundlage der Neukonstruktion des zeitgenössischen Judentums durch W. D. Davies,5 E. P. Sanders (common Judaism, covenantal nomism, rituelle und observante Aspekte des Gesetzes als identity markers)6 und J. D. G. Dunn (rituelle und ob1 Im Folgenden geht es nicht um eine eigene Forschungsgeschichte, sondern lediglich um die Erarbeitung einiger grundlegender Tendenzen in der Gesamtinterpretation des Paulus im letzten Jahrhundert. Solche forschungsgeschichtlichen Rückblicke können dabei helfen, standardisierte Urteile aufzubrechen, wie sie sich beispielsweise gern in dem Format der students’ books finden (z. B. M. Zetterholm, Approaches). Wir verdanken Andreas Lindemann einen derartigen kritischen Überblick über die Geschichte der ZNW, der deutlich macht, wie sehr sich die Wissenschaft vom Neuen Testament und der Alten Kirche im letzten Jahrhundert entwickelt und verändert hat: A. Lindemann, „Jahrgang“, 159–173. Vgl. nach A. Schweitzer, Geschichte, die Forschungsberichte: R. Bultmann, „Paulus-Forschung“, 26–59; ders., „Paulusforschung“, 229– 246; ders., „Paulusforschung“, 1–22; E. E. Ellis, Paul; B. Rigaux, Paul, dt.: Paulus und seine Briefe; H. Hübner, „Paulusforschung“, 2649–2840; O. Merk, „Paulus-Forschung“, 1–81. Vgl. jetzt auch das Themenheft von EC 1 (2010), bes. F. Watson, „Editorial“, 11–14. Für die gegenwärtige Paulusforschung ist es außerdem unerlässlich, die eigene Perspektive zu benennen und kritisch zu reflektieren. Die hier vorgelegte Darstellung erfolgt aus der Perspektive der deutschsprachigen protestantischen Paulusexegese. 2 W. Wrede, Paulus. 3 W. Bousset, Apostel. 4 A. Deissmann, Paulus. 5 W. D. Davies, Rabbinic Judaism; ders., „Paul“, 678–730. 6 E. P. Sanders, Judaism; ders., Law; ders., Paul.
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I. Forschungsstand
servante Aspekte des Gesetzes als boundary markers)7 eine neue Paulusinterpretation.8 Diese sog. New Perspective machte mit der seit Krister Stendahls9 Kritik wachsenden Distanz zum Rechtfertigungsmodell der lutherischen Paulusinterpretation, die aus Stendahls Sicht besonders in der deutschen Exegese dominierte, ernst und schlug vor, die Aussagen des Paulus zum Gesetz nicht im Zusammenhang des christlichen dogmatischen Begriffs des Gesetzes, der mindestens in der Theologie Luthers negativ grundiert war, zu interpretieren, sondern im Rahmen des frühjüdischen Gesetzesverständnisses zu lesen, das, wie immer es auch im Einzelnen rekonstruiert wird, stets eine positive Größe im Kontext der Gnade Gottes gegenüber Israel darstellt.10 Ob im Vergleich mit der New Perspective auch die Neuakzentuierung der antiken Mittelmeerkultur als eines Interpretationsrahmens für die Paulusbriefe als eigenes Paradigma gewertet werden sollte, kann hier offen bleiben.11 Gleichzeitig entstanden im Zusammenhang sogenannter engagierter Interpretationszugänge12 und im Horizont des cultural turn13 eine Vielzahl von Neuansätzen für die Paulusinterpretation, die bei aller Breite und Offenheit der Fragestellungen eine Gemeinsamkeit haben: Sie gehen über die klassische exegetische Aufgabe von Rekonstruktion und Interpretation im historischen und theologischen Rahmen,14 die auch für die New Perspective maßgeblich geblieben war, hinaus, indem sie bestimmte gegenwärtige soziale, politische und kulturelle Situationen, Analysen und Ideologien als Ausgangs‑ und Bezugspunkt ihrer Interpretation definieren (kontextuelle Theologie) und die gegenwärtige politische und soziale Situation ebenso wie die eigene Biographie und die damit verbundene persönliche Perspektive der Exegetinnen und Exegeten in die Kontextualisierung des untersuchten Gegenstandes einbringen (engagierte Lesarten).15 In diesem Feld hat sich nicht ein inhaltlich oder methodisch klar definiertes dominantes Paradigma herausgebildet, wohl aber eine paradigmatische Fragehaltung, die die historischkritische Grundfrage: „Wer war Paulus?“ oder „Wie muss Paulus in seiner Zeit gelesen werden“? ebenso hinter sich lässt wie die klassisch-theologische Frage: „Was verkündigt Paulus?“ oder „Wie interpretiert Paulus den Menschen vor J. D. G. Dunn, „Perspective“, 95–122 (wiederabgedruckt in: ders., Perspective). Vgl. auch die erweiterte und veränderte Position der New Perspective bei F. B. Watson, Paul; neue Auflage: ders., Paul (2007). 9 K. Stendahl, „Apostle“, 199–215. 10 Vgl. jetzt J. Frey, „Jewishness“, 57–96. 11 S. Vollenweider, „Paulus“, 1035–1065 wertet diesen Ansatz als einen der drei Neuaufbrüche der Paulusexegese der letzten Generation (1043). 12 Vgl. dazu M.-Th. Wacker/U. Schnelle/D. Dormeyer u. a., „Bibelkritik“, 1474–1486. 13 Vgl. dazu S. Scholz, „Cultural Turn“, 121 f. 14 G. Figal/F. W. Graf, „Historismus“, 1794–1796. Bes. wichtig die Bultmannsche Verbindung von historischer und theologischer Perspektive, die sich in anderer Gestalt auch bei M. Hengel findet. 15 Vgl. U. H. J. Körtner, „Bibelhermeneutiken“, 344 f. und D. Erbele-Küster, „Bibelhermeneutik(en)“, 440 f. 7
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Gott?“ Stattdessen wird gefragt: „Wie könnte Paulus uns in unserer Situation helfen und uns befreien?“ (emanzipatorische Interpretation)16 oder aber: „Wie können wir uns von Paulus befreien?“ (kritische Interpretation).
2. Tendenzen der Paulusinterpretation des 20. Jahrhunderts im Spiegel der Paulus-Artikel der RGG1–4 Nun verbraucht sich in der Zeit der perspectives on Paul oder der bloßen neuen readings oder approaches der einfache Anspruch auf „neue Paulusperspektiven“17 schnell. Wissenschaftlich stellt sich stattdessen immer neu die Frage, wie diese Perspektiven im breiten Strom der Paulusinterpretation zu verorten sind und was sie wirklich an Neuem oder mindestens Eigenem zu Tage fördern. Ich möchte im folgenden Beitrag nur die großen Tendenzen der Forschungsgeschichte des letzten Jahrhunderts ansprechen. Diese Tendenzen und Entwicklungen lassen sich in prominenter Weise in den entsprechenden Artikeln von Wilhelm Bousset (1913), Rudolf Bultmann (1930), Günther Bornkamm (1961) und Samuel Vollenweider (2003) in den verschiedenen Auflagen der Religion in Geschichte und Gegenwart ablesen. Ich zeichne daher diese Artikel in ihrem jeweiligen Ansatz nach.18 2.1 Wilhelm Bousset (RGG 1. Auflage) Im Jahr 1913 erschien der Artikel „Paulus, Apostel“ von Wilhelm Bousset19 in der ersten Auflage der Religion in Geschichte und Gegenwart,20 eine umfassende So der Ansatz der Hermeneutik von Klaus Berger. Zu dem Anspruch des „Neuen“ vgl. z. B. R. Bultmanns Rezension zu J. Munck, Paulus und die Heilsgeschichte, Kopenhagen 1954: R. Bultmann, „Paulus-Verständnis“, 481–486 (wiederabgedruckt in: ders., Kritik, 491–496). Bultmann fragt detailliert nach dem „Neuen“ bei Munck und kommt zu einem negativen Ergebnis. 18 Zugrunde gelegt werden folgende Artikel: W. Bousset, „Paulus“, 1276–1309; R. Bultmann, „Paulus“, 1019–1045; G. Bornkamm, „Paulus“, 166–190; S. Vollenweider, „Paulus“, 1035–1065. 19 Vgl. J. M. Schmidt, „Bousset“, 97–101. Schmidt betont die „Befreiung der Paulusexegese von dogmatischer Befangenheit“ bei Bousset, die mit der Abwertung des Paulus gegenüber Jesus einhergeht (100). Vgl. Boussets Vorwort zur 1. Auflage des „Kyrios Christos“: W. Bousset, Kyrios, VII–XVII: aus der Verbindung pharisäischer Frömmigkeit und religiöser Literatur aus dem Umkreis hermetischer und Zauberliteratur mit „der neuen Christusreligion“ „ist nun die Gedankenmasse des Paulus in Fluß geraten und hat sich zu wunderlichen Massen aufgetürmt, und das Ergebnis war – die paulinische Theologie“ (XVI). Vgl. auch: W. Bousset, Jesus, 40: die „Verdoppelung des Glaubensobjektes“ bei Paulus ist „ein starkes und bedrückendes Rätsel“. S. u. zu Punkt D von Boussets Artikel. 20 Vgl. W. Bousset, „Paulus“, 1276–1309. Im selben Jahr erschien die erste Auflage von „Kyrios Christos“. Zur ersten Auflage der RGG vgl. R. Conrad, Lexikonpolitik; vgl. bes. 303– 309 zum allgemeinen religionsgeschichtlichen Programm der RGG und den Exkurs „Der 16 17
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Darstellung des Paulusbildes der religionsgeschichtlichen Schule.21 Der Artikel darf geradezu als klassischer Ausdruck der Interpretationsperspektive der religionsgeschichtlichen Schule gelten, deren „Hauptthese“ H. D. Betz darin sieht, „von den urchristl[ichen] Geisterfahrungen als Realitätsbasis auszugehen und die theol[ogischen] Begriffslehren als Sekundärphänomene einzustufen“22. Bousset konstruiert seine Paulusinterpretation nach eben diesem Muster: Frömmigkeit und theologisches Denken liegen bei P. so sehr ineinander, daß beides auch nur miteinander darzustellen ist. Nun kann kein Zweifel sein, daß beides bei P. sein Zentrum in der Person Christi hat, die ebenso sehr das neue Leben des Christusgläubigen bestimmte, wie vorher das Gesetz des Mose das Leben des Pharisäers. Würden wir in erster Linie von dem theologischen Denken des P. ausgehen, so müßten wir seine Christologie in den Mittelpunkt rücken; gehen wir aber mehr, wie in der folgenden Darstellung versucht werden soll, von seiner frommen Erfahrung aus, so müssen wir die Frage stellen, wie und in welcher Form er die Kraft des erhöhten Christus nach seiner Meinung erlebt hat. Und hier kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Paulus erlebte den ‚Christus‘ in den Wirkungen des ‚Geistes‘. Er sagt einmal geradezu: der Herr ist der Geist (II Kor 3,17). Der ‚Geist‘ ist die sein jetziges Leben regierende und erfüllende Kraft.23
Das zentrale Stichwort ist hier das religiös verstandene „erleben“. Bousset gibt dem Artikel folgende Gliederung vor: A. Lebensgang, B. Lebenswerk und Persönlichkeit, C. Frömmigkeit und Theologie. In abgewandelter Form sollte die Gliederung in Biographie, Werk und Theologie für die späteren RGG-Paulusartikel maßgeblich bleiben. Für Boussets Konzeption sind die Doppelformulierungen von B. und C. charakteristisch: „Persönlichkeit“24 und „Frömmigkeit“ des Paulus werden von ihm besonders ausführlich rekonstruiert und durchaus als erschließende Begriffe verstanden. Wichtig für seine Konzeption ist auch ein vierter Großabschnitt D.: „Jesus und P[aulus]“, der in dieser Form in keinem der Nachfolgeartikel wieder erscheint.25 Das biographische Bild, das Bousset zeichnet, ist bemerkenswert differenziert und ausgewogen: Paulus ist ein Jude aus Tarsus,26 griechischsprachig, mit der Artikel ‚Religionsgeschichte und Religionsgeschichtliche Schule‘ als Indikator theologiepolitischer Profiländerungen in RGG1–3“. 21 Vgl. G. Lüdemann/A. Özen, „Schule“, 618–624; F. Hartenstein/H. D. Betz, „Schule“, 321– 325. Bousset nennt in seiner Bibliographie Wrede, Deissmann, Gunkel, Heitmüller, J. Weiß, Dibelius, Wendland, Reitzenstein, vor allem Wrede (zweimal). – Im Literaturverzeichnis finden sich zwei nicht-deutsche Titel: Renan und Goguel! Englische Titel fehlen ganz. 22 A. a. O., 324. 23 W. Bousset, „Paulus“, 1289. Bousset scheint zunächst die Christologie in den Mittelpunkt zu stellen, interpretiert diese dann aber von der Geisterfahrung her. – Vgl. die sehr andere Option bei S. Vollenweider, „Paulus“. 24 Vgl. dazu O. Merk, „Persönlichkeit“, 29–45. Merk arbeitet die Bedeutung des Persönlichkeitskonzeptes für Boussets Paulusdeutung vorbildlich heraus. 25 Das Thema wird in den Nachfolgeartikeln an unterschiedlichen Stellen behandelt. 26 Auf die Rekonstruktion der historischen Einzelheiten (Tarsus, Gischala usw.) gehe ich hier nicht ein.
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„jüdisch-alexandrinischen“ wie der „palästinisch-rabbinischen“ Exegese ebenso vertraut wie von der „wesentlich auf Rhetorik gestellten Bildung der ihn umgebenden Kulturwelt berührt“27, zu der Bousset auch die Popularphilosophie mit ihrer Tendenz zum systemischen Denken rechnet. Bousset sieht Paulus allerdings nicht so sehr in der jüdisch-hellenistischen Diaspora verortet, sondern stärker im „rabbinischen Schulbetrieb“ in Jerusalem.28 Für das Paulusbild von Bousset ist zusätzlich wichtig, dass er die lukanische Angabe, Paulus habe das römische Bürgerrecht besessen, für historisch hält und folgert, dass Paulus „aus einer vornehmeren und besitzenden Familie stammte“29. An biographisch wichtigen Stationen betont Bousset Damaskus, Antiochia, Jerusalem und dann die Missionsstationen von Thessaloniki bis Rom: in seiner Sprache zunächst die „Bekehrung“, bei der Bousset sehr vorsichtig die Anteile von Umschwung und Kontinuität diskutiert,30 dann Antiochia31 („hier erst kam P. an den Ort, an den er gehörte, wo er das wurde, wozu er angelegt war, der Führer des jungen Christentums bei seiner Befreiung aus den Fesseln einer national bedingten Religion“32), das Apostelkonzil („dann trat ein Ereignis ein, das den P. von nun an als den unbestrittenen Führer der universalistischen Bewegung im Christentum erscheinen ließ“33) und „die Zeit der Wirksamkeit des P. im großen Stil“34. Hier entwirft Bousset das Bild von Paulus als dem „unbestrittenen Führer der universalistischen Bewegung im Christentum“35. Insgesamt setzt Bousset die Wirkung des Paulus äußerst hoch an: Paulus ist eine von den Persönlichkeiten, die eine Welt aus den Angeln gehoben und dem Lauf der menschlichen Geschichte eine andere Richtung gegeben haben.36
W. Bousset, „Paulus“, 1277. A. a. O., 1278. Hier wie oft wird „pharisäisch“ mit „rabbinisch“ gleichgesetzt. Die Kritik an dieser eher ahistorischen Konstruktion wurde deutlich von P. Schäfer formuliert: P. Schäfer, „Pharisäismus“, 125–176. Schäfer stellt die Quellenlage kritisch dar und warnt vor einer Gleichsetzung bzw. vor der Konstruktion einer historischen und personalen Kontinuität von Pharisäern und Rabbinen (Lit.). Vgl. aber auch die Erwägungen von M. Hengel (a. a. O.., 172– 175). 29 W. Bousset, „Paulus“, 1279. Die Verfasser der Nachfolgeartikel halten an dieser Einordnung fest. 30 Allerdings überwiegt doch die Diskontinuität: „Die unmittelbaren Jünger Jesu waren Juden geblieben, als sie zu Jesus kamen; Paulus hörte auf, Pharisäer zu sein, als er Christ wurde“ (1281). 31 Bousset betont, dass hier schon vor dem Eintreffen des Paulus eine Gemeinde aus Juden‑ und Heidenchristen bestanden habe. 32 A. a. O., 1280. Das Thema „Universalismus“ sollte das ganze letzte Jahrhundert hindurch kontrovers verhandelt werden, vgl. bes. D. Boyarin, Jew. 33 W. Bousset, „Paulus“, 1281. 34 Ebd., Bousset datiert die Reise von Apg 13 f. mit Hinweis auf Gal 1,21 nach dem Apostelkonzil. 35 Ebd. 36 A. a. O., 1283. 27 28
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I. Forschungsstand
Bousset macht diese Bewertung an folgenden Punkten fest: (a) Universalismus der Heidenmission,37 (b) besonders erfolgreiche Missionstätigkeit, (c) erfolgreiche Organisation der Gemeinden, (d) Begründung der christlichen Theologie,38 (e) Eröffnung der christlichen Literatur. Konzeptionell ist die Verbindung von Universalisierung/Befreiung der christlichen Religion mit der Person des Paulus von besonderer Wichtigkeit. Hier wird eine als weltgeschichtlich qualifizierte Bewegung eng an eine religiöse Biographie gebunden. Dementsprechend wichtig ist für Bousset der „Charakter“ des Paulus.39 Bousset entwickelt ihn strikt von der religiösen Seite her: Schon seiner ganzen Art nach ist der Charakter P. gleichsam nach der Seite der Religion, der Frömmigkeit hin veranlagt;“40 und: „So wird Religion Ein und Alles in seinem Leben.41
Als Wesenszüge der Frömmigkeit bestimmt Bousset „Hingabe“ und „Selbstverzicht“, die im Gehorsam gegenüber Gott und dem Kyrios Jesus Christus Gestalt annehmen. Dem entsprechen „Wille“, „Tat und Energie“, die Paulus kennzeichnen und über körperliche Schwächen und äußere Widerstände siegen.42 Bousset zeichnet den Charakter des Paulus besonders von seiner Bekehrung her: P. gehört zu denen, die durch einen Bruch in ihrer Entwicklung hindurchgegangen sind, zu den ‚Bekehrten‘.43
Dieser Bruch wird durch das Kontinuum: die Kraft der Persönlichkeit, aufgefangen. Diese Perspektive macht Bousset besonders sensibel für die Autorität und die Ausübung von persönlicher Macht bei Paulus:
37 Dieser Punkt wird von ihm an den Anfang gestellt und besonders akzentuiert: „Er hat am meisten dazu beigetragen, die Religion in ihrer zukunftkräftigen Form, die Religion des Evangeliums, von den Fesseln und Schranken der Nation zu lösen und die Verbindung zwischen Judentum und Evangelium zu sprengen … Er hat damit den von allem Partikularismus freien Monotheismus und die von allen Zeremonien gelöste reine Geistigkeit des Evangeliums zu klarem Bewußtsein gebracht und die Überzeugung davon zum Gemeingut der christlichen ‚Kirche‘ gemacht … [I]n Pauli Person kristallisiert sich der große Befreiungsprozeß. Der Kampf um die Sache verdichtete sich zu einem Kampf um die Person“ (ebd.). 38 Hier fällt der bemerkenswerte Satz: „Die Geschichte der Auslegung der paulinischen Briefe wäre, wenn jemand sie schriebe, geradezu ein Stück der Geschichte des christlichen Geistes“ (1284). Dieser Aspekt wird in der rezeptionsgeschichtlichen Konzeption des Artikels von Vollenweider aufgegriffen. 39 39 Die Terminologie schwankt zwischen Persönlichkeit (1283), Person (ebd.), Charakter, Charakterbild (1284), Menschenbild (1289) u. a. Definitionen oder Abgrenzungen gibt Bousset nicht. 40 Ebd. 41 A. a. O., 1284. 42 A. a. O., 1285. 43 A. a. O., 1286.
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Sein ganzes Wirken ist von einem starken, oft geradezu unheimlichen Autoritätsbewußtsein getragen … [E]r kannte seinen persönlichen Wert … Dann und wann erscheint es uns, als wenn er seine Person zu sehr in den Vordergrund rücke.44
Ein einseitiges Fazit möchte Bousset nicht ziehen, da Paulus auch Ekstatiker, Intellektueller, emotional empfindsamer Freund und Lehrer wie Rigorist war. In Boussets Worten liest sich dies widerspruchsvolle Charakterbild so: Ein Prophet, der eine alte Welt stürmt und stürzt, ein Organisator, der mit weiser Besonnenheit eine neue baut, ein weltverlorener Sinner und Grübler, ein Mystiker, der in den Gluten der Gottes‑ und Christusliebe vergehen möchte.45
Wir finden hier viel Rhetorik und Pathos46 aufgewendet, die einem Umstand geschuldet ist: der Überzeugung Boussets, es bei Paulus mit einer absolut außergewöhnlichen Persönlichkeit zu tun zu haben. Trotz seiner Weigerung, diesen „Charakter“ auf eine Formel zu bringen, finden wir bei ihm doch einen Ausdruck, der die Perspektive Boussets auf Paulus deutlich macht: Paulus ist „eine königliche Herrschernatur, die es verstand, ihren Willen den Personen und Verhältnissen aufzuzwingen“47. So beschwört Bousset hinter allen Schroffheiten und Gegensätzen des Paulus „die unerschöpfliche Tiefe einer einheitlichen Persönlichkeit“48. Die umfangreiche Darstellung der Theologie des Paulus enthält viele Details, auf die ich hier nicht eingehen kann. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Ansatz bei der Geistfrömmigkeit, denn von hier aus konstruiert, wie schon erwähnt, Bousset die Theologie als „Frömmigkeit und Theologie“ des Paulus. Die Erfahrung des Geistes beschränkt Bousset nicht auf den Aspekt der Wundermacht, sondern interpretiert sie als „die ganze neue Art, wie er als Christ sein Leben führt“49, d. h. auch als ethische und eschatologische Größe. Paulus versteht die Welt von dem Gegensatz von Geist und Fleisch her, von himmlischer und irdischer Welt, die Bousset als „zwei wesensverschiedene … Welten“ interpretiert.50 Hier kommt die Religionsgeschichte besonders ins Spiel. Bousset rekonstruiert folgendermaßen: Mit dieser Vergeistigung und Vertiefung der jüdischen Eschatologie rückt P. sichtlich in die Nähe der Gedankenwelt nicht so sehr der griechischen Philosophie, als der in 44 A. a. O., 1287. Bousset spricht hier auch von der „Gewalt seiner Persönlichkeit“, und von seinem „Herrscherwillen“ und zeigt Verständnis für das Gefühl seiner Gegner, „er tyrannisiere sie“. Vollenweider wird in sehr vorsichtiger Form auf diese wichtigen Aspekte bei Paulus zurückkommen, ohne aber die Autoritätsfrage weiter zu diskutieren. 45 A. a. O., 1289. 46 „Heros“, vgl. a. a. O., 1288. 47 A. a. O., 1287. 48 A. a. O., 1289. Vgl. dagegen das Bild von der widersprüchlichen Persönlichkeit bei S. Vollenweider, „Paulus“. 49 W. Bousset, „Paulus“, 1289. 50 A. a. O., 1291.
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I. Forschungsstand
zahlreichen Sekten und in der Schicht der Halbgebildeten populär gewordenen hellenistischen mysteriösen Frömmigkeit, in der Grundstimmungen eines vergröberten und popularisierten Platonismus und Stoizismus weiterwirken.51
Bei Paulus verbinden sich „jüdische Eschatologie“ und „hellenistische … mysteriöse … Frömmigkeit“ zu einem neuen verschärften Dualismus, den Bousset als „eine eigentümlich neue, ungemein dunkle Weltanschauung, die eine starke Hinneigung zur Askese hat“, zeichnet.52 Dieser Ansatz bei der Religion macht Bousset aber keineswegs für Paulus als Theologen blind: Paulus war der erste christliche Theologe … Er hat in einer Umgebung, die im Wesentlichen von eschatologischen Phantasien und Spekulationen beherrscht war, das Recht und die Macht des zusammenfassenden Gedankens eingeführt.53
Es ist sprach‑ und ideengeschichtlich bemerkenswert, wie Bousset hier „Weltanschauung“ und „Theologie“ voneinander unterscheidet: Ihm lag nichts an einer geschlossenen Weltanschauung; er hat seine Gedanken hingeworfen wie erratische Blöcke. Aber an diese Gedanken hat die christliche Theologie aller Jahrhunderte angeknüpft.54
„Weltanschauung“ steht hier für System, „Theologie“ für gedankliche Durchdringung der Wirklichkeit ohne notwendigen systemischen Anspruch.55 Die einzelnen gedanklichen Zusammenhänge der paulinischen Theologie ergeben sich nach Bousset denn auch nicht aus einem theologischen Grundansatz wie dem Monotheismus, der Soteriologie, der Christologie56 oder der zentralen Rolle des Evangeliums,57 sondern aus der Geisterfahrung und dem daraus folgenden Dualismus: einer entsprechenden Anthropologie, die den „Hintergrund für die Zeichnung des Erlösers Christus“ bildet.58 Hier liegt der Akzent auf „Tod und Auferstehung Jesu“59, der „Erlösung für die in den Banden des niederen Daseins gekettete Menschheit“60. Von daher leitet Bousset die Christusfrömmigkeit des Paulus ab, die ihm besonders wichtig ist:
Ebd. (mit Verweis auf R. Reitzenstein: Poimandres; Hellenistische Mysterienreligionen). Ebd. Das Motiv der sexuellen Askese (Ehelosigkeit) taucht bei Vollenweider in anderer religionsgeschichtlicher Beleuchtung wieder auf, vgl. S. Vollenweider, „Paulus“. 53 W. Bousset, „Paulus“, 1284. 54 Ebd. 55 Allerdings geht Bousset auch mit den Begriffen „Weltanschauung“ und „Theologie“ eher sorglos um. Ihm liegt nichts an Definitionen. 56 So bei S. Vollenweider, „Paulus“. 57 Vgl. die vereinfachende Tabelle bei O. Wischmeyer, „Themen“, 472–474. 58 W. Bousset, „Paulus“, 1292. 59 A. a. O., 1293. 60 Ebd. 51 52
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So ist Christus für P. der eine große Befreier und Erlöser. Hier gewinnt seine Frömmigkeit ihren mystischen Schwung und ihre enthusiastische Begeisterung.61
Es geht um die „Lebensgemeinschaft mit Christus“62. In Analogie zum persönlichen Erleben des Paulus konstruiert Bousset das paulinische Gemeindeverständnis, das ebenfalls auf Lebensgemeinschaft mit Christus beruht und sich in Glaube, Taufe und neuem Leben realisiert. Die praktische Ethik der Christen leitet Bousset aus der eschatologischen Situation her – daran wird Bultmann anknüpfen. In die zwiespältige Situation zwischen altem und neuem Sein gehören für Bousset auch die „sakramentale[n] Handlungen“63, da sich die Hoffnung auf den neuen Leib auch dinglich darstellen lässt. Die Kirche versteht Bousset vom Gemeinschaftsgedanken her. Schließlich: Die ganze Anschauung des P. wird durch seine Lehre vom Ende gekrönt.64
Bousset interpretiert konsequent auch die paulinische Eschatologie von der Geisterfahrung her: Am Ende „wird nur die lichte und neue pneumatische Welt sein und Gott darin alles in allem“65. Bousset hat Person und Lehre des Paulus vollständig dargestellt, ohne die „Rechtfertigungslehre“ zu erwähnen. Erst in Paragraph C.2. stellt er in einem ausführlichen Nachtrag „eine besondere Gruppe von Gedanken [dar] …, die von P. im Zusammenhang mit seinem Lebenswerk, der Heidenmission, zu deren Begründung und Verteidigung entwickelt werden“66. Dieser Abschnitt ist forschungsgeschichtlich von hohem Interesse. Für seine Rekonstruktion von Frömmigkeit und Theologie des Paulus brauchte Bousset, wie ich gezeigt habe, die – vorhandenen und von ihm wahrgenommenen – „Gedankenmassen“67 der Rechtfertigungslehre nicht. Daher fügt er diese nun auch nicht aus der gedanklichen, sondern aus der biographisch-lebensweltlich-historischen Perspektive in sein Gesamtbild ein. Die Heidenmission bildet für Bousset die weltgeschicht61 A. a. O., 1294. Bousset verweist hier auf die Mysterienreligionen und die Gnosis. Das Stichwort „Mystik“ wird von Vollenweider wieder aufgegriffen. 62 A. a. O., 1295. 63 A. a. O., 1298. Bei Boussets stark apologetisch gefärbter Erklärung des paulinischen Sakramentsverständnisses („naturhaft“, „dingliche Mittel“) wird besonders deutlich, wie sehr er Paulus stets im Kontext eines allgemeinen Bildes von der zeitgenössischen „Religiosität“ interpretiert – hier ad bonam partem: „Es kam hinzu, daß der Glaube an die Wirksamkeit dinglicher Mittel, heiliger Handlungen, Waschungen und Reinigungen, heiligen Essens und Trinkens usw. ungemein weit in der ganzen damaligen religiösen Welt verbreitet war. Unbewußt nahmen die hellenischen Gemeinden ihn von dorther auf … P. ist hier schwerlich schöpferisch vorgegangen; er hat eher eingedämmt, aber einen Tribut hat er seiner Zeit doch gezahlt.“ Bousset ist mit solchen Sätzen nicht weit von dem Schale-Kern-Modell entfernt, das sich bei Bultmann finden lässt. 64 A. a. O., 1299. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd.
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liche Leistung des Paulus. Und diese ist es, die die theologische Auseinandersetzung des Paulus mit dem jüdischen „Zeremonialgesetz mit seinen bestimmten Forderungen von Beschneidung, Sabbath‑ und Fest-Feier, seinen Vorschriften über Rein und Unrein“68 erforderlich macht. Paulus stellt diesen Bereich unter den „Gegensatz von Gesetz und Glaube“69. An diesem Punkt geht Bousset zunächst auf das Thema „Das Alte Testament bei Paulus“ ein und stellt anhand der Argumentation des Paulus mit Abraham dar, wie Paulus das Alte Testament gegen die umfassende Bedeutung des Gesetzes liest. Hinzu kommt die christologische Vertiefung durch die Kreuzestheologie. Schließlich kann Bousset auch die Rolle der Werke unter dem Gegensatz „Glaube, Werke“ erklären: Glaube ist im Grunde nichts anderes als die neue religiöse Grundstimmung, das rechte Verhältnis zu Gott, das im Pharisäismus verschüttet und verdorben war; nicht der zureichende Grund, sondern nur die unerläßliche Bedingung für die dem Menschen aus freien Stücken sich neigende göttliche Gnade. Diese Gedanken hat P. gekleidet in seine berühmte Lehre von der Rechtfertigung.70
Bousset übt hier trotz aller lobenden Rhetorik sachliche Kritik. Er findet in der Rechtfertigungslehre überholtes pharisäisches Rechtsdenken: Und es muß freilich zugestanden werden, daß er hiermit keine besonders glückliche Formulierung seines Grundgedankens gefunden hat. P. ist hier noch von seiner pharisäischen Vergangenheit abhängig. In einer Frömmigkeit, in der das ganze Verhältnis der Frommen zu Gott als ein Rechtsverhältnis aufgefaßt wurde, kam alles darauf an, daß Gott den Frommen ausdrücklich seines Rechtsanspruches auf seine Geltung vor ihm versicherte. In die neue Frömmigkeit paßt jene Prozeßformel eigentlich nicht mehr.71
Anders steht es mit dem Gegensatz zwischen Gesetz und Geist. Hier kann Bousset innerlich zustimmen. Seine Darstellung der Theologie des Paulus kehrt zum Ausgang zurück und schließt mit einem Ausblick auf Röm 8: das neue Leben in der Freiheit des Geistes. Die umfangreichen Ausführungen zum Verhältnis von Paulus und Jesus, die für eine Darstellung der Geschichte des Urchristentums sehr wichtig sind, beleuchten Boussets Paulusverständnis besonders scharf und relativieren zugleich bis zu einem gewissen Grade das teilweise geradezu heroisch-geniale72 Bild, das Bousset bis dahin von Paulus vermittelt hat. Bousset fragt hier sehr A. a. O., 1300. A. a. O., 1299. 70 A. a. O., 1302. Hier findet sich jene Art von sachlicher Polemik gegen eine historische Gruppierung, die – unabhängig von ihrer historischen Richtigkeit – spätestens seit der New Perspective als antijudaistisch verstanden wird. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Bousset auch Paulus in derselben Weise kritisiert (ebenfalls in der Rechtfertigungslehre!). 71 Ebd. Vgl. hierzu, was Bousset, a. a. O., 1278 zur juristischen Denkweise des rabbinisch ausgebildeten Paulus sagt. 72 A. a. O., 1300: „In geradezu genialer Weise windet dann P. seinen Gegnern die mächtigste 68 69
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ernst und genau danach, wie das „vielfach komplizierte Gebilde der Frömmigkeit und Theologie des Paulus neben dem Evangelium Jesu“ stehe, und wägt den Zusammenhang und die Verschiedenheiten gegeneinander ab. Die Gemeinsamkeiten sieht er „in einer verwandten Grundstimmung … einer durchaus eschatologischen Frömmigkeit“73. Auf diesem Feld beobachtet Bousset eine Entwicklung von Jesus zu Paulus: Schon Jesus hat die chiliastischen74 Züge der jüdischen Eschatologie auf ihren religiösen Kern zurückgeführt und ist an diesem Punkt nach Bousset Paulus sogar überlegen, andererseits hat Paulus „die Schranken der Nation und des Gesetzes“ gesprengt.75 „Was Jesu Stimmung unausgesprochen, ja unbewußt zugrunde lag, das finden wir im paulinischen Universalismus zur hellen Erkenntnis und auf die klare Formel gebracht.“76 Dasselbe gilt nach Bousset für „die Befreiung des Evangeliums vom Gesetz“77 und für die Sündenvergebung als Basis der Ethik. Dem stehen die Unterschiede gegenüber, die sich für den von einer starken Jesus-Frömmigkeit geprägten Bousset vor allem in der „beherrschende[n] Rolle, welche die Person Christi selbst im Glauben und in der Frömmigkeit des P. spielt“, konzentriert.78 Wenn Bousset auch versucht, zwischen der Notwendigkeit einer sich entwickelnden Christologie, in der „Jesus das kultisch verehrte Haupt seiner Gemeinde“ wurde, und den „Schwierigkeiten“ einer Verunklarung des Monotheismus, „die schließlich in das Labyrinth des trinitarischen Dogmas … führten“79, zu unterscheiden und abzuwägen, setzt hier doch wieder seine Kritik ein. Paulus habe „die Korrektur durch das lebendige Bild Jesu“ gefehlt. Und: Trotz aller mystischen Glut seines persönlichen Verhältnisses zu dem erhöhten Christus ist das Bild, das er sich von ihm macht, ein wesentlich gedankenmäßiges.80
Bousset bedient sich hier der eigentümlichen Unterscheidung, die er in „Kyrios Christos“ ausgearbeitet hat: Der ‚Herr‘ ist ihm der Geist, der Quellpunkt des neuen Lebens; der ‚Christus‘ vor allem ein überweltliches Wesen – ein Gebilde seines Denkens und des Dogmas.81
Was fehlt, ist Jesus. Mit dieser – zunächst ja auch historisch-biographischen – Feststellung verlässt Bousset schließlich die historische Perspektive und gleiund gefährlichste Waffe, deren sie sich gegen ihn bedienen konnten, aus der Hand: das Alte Testament.“ 73 A. a. O., 1303. 74 A. a. O., 1304. 75 Ebd. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 A. a. O., 1305. 79 A. a. O., 1306. 80 Ebd. 81 Ebd.
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tet in die allgemeine Theologie hinein. Er charakterisiert Paulus als Vertreter der „Tatsachen-Theologie“,82 kritisiert seine Opfertheologie,83 den „schroffen Supranaturalismus in der Pneuma-Lehre“84 und den damit verbundenen „Pessimismus“, die Neigung zum sakramentalen Denken, die „juristische Betrachtungsweise“ und den „künstelnden Schriftbeweis“.85 Alle diese Beobachtungen bringen Bousset zu dem Schluss, „der Paulinismus“ – so heißt nun deutlich abwertend die paulinische Frömmigkeit und Theologie – sei „in keiner Weise die einzig mögliche, auch nicht die für alle im wesentlichen zutreffende Ausprägung des Christentums“86. Gegenüber diesem Verdikt mag der Schlusssatz kaum zu überzeugen: Aber sehen wir von hier noch einmal auf die bleibenden Grundlinien zurück, die P. mit Jesus verbinden, so werden wir ihm das Ehrenprädikat des größten Jüngers seines Meisters nicht vorenthalten.87
Die Jünger-Metapher ist deplatziert. Ein methodisch klarer und sachlich tragfähiger Vergleich ist Bousset nicht gelungen, da er historische, theologische und religionsgeschichtliche Aspekte und Urteile in ihrer Eigenart nicht reflektiert, sondern vermischt und seine Jesusfrömmigkeit zum theologischen Maßstab macht. Trotzdem lässt dieser vergleichende Abschnitt Boussets Paulusbild noch deutlicher hervortreten: Eckpunkte sind die Betonung des paulinischen Universalismus, die Befreiung vom Gesetz, die neue Sittlichkeit und die „neue Religion“ des Paulus.88 Bousset entwirft Paulus als eine Person, deren Bild in seinem Reichtum und seiner Farbigkeit faszinierend ist. Bousset hat zweifellos nicht nur die Perspektiven und Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Forschung seiner Zeit zum Urchristentum für Paulus fruchtbar gemacht, sondern auch die Grundlage für alle weitere Arbeit an Paulus in der deutschsprachigen Exegese des zwanzigsten Jahrhunderts – in Zustimmung und Kritik – gelegt. Die erschließenden Kategorien und Darstellungsformen, die Bousset verwendet: die historische Biographie und die Rekonstruktion der zeitgenössischen Religion, 82 A. a. O., 1307. – Sicherlich ein ganz unglückliches Urteil. Auch die Charakteristik bei Vollenweider („kontextuelle Theologie“), S. Vollenweider, „Paulus“, bleibt plakativ. Die Anwendung von Typen christlicher Theologie auf Paulus ist im Zusammenhang einer historischen Argumentation immer irreführend. 83 Allerdings weist er entschuldigend darauf hin, dass der gesamten religiösen Kultur der Mittelmeerwelt „selbstverständlich war, daß die Gottheit durch blutiges Opfer versöhnt werden könne“ (1308). 84 Gerade dies Urteil überrascht aus Boussets Mund, nachdem er anfangs die Frömmigkeit des Paulus ganz aus der Geisterfahrung hergeleitet hat. 85 A. a. O., 1308. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 A. a. O., 1305.
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erweisen sich als ungemein ergiebig.89 Es entsteht das Bild einer historischen Person mit allen biographischen Details ihres Charakters und ihrer Wirksamkeit in ihrer historischen Umgebung. Analog konstruiert Bousset die Theologie aus der persönlichen Frömmigkeit, d. h. er versteht die Theologie von der religiösen Erfahrung her und kontextualisiert sie historisch und biographisch. Beide Faktoren machen seine Paulusdarstellung so lebendig und homogen.90 Auch seine Kritik gehört unmittelbar in diesen Zusammenhang: Er kritisiert, was bei Paulus nicht in die Koordinaten der religiösen Erfahrung passt, wie sie sich der Religionsgeschichtlichen Schule darstellen: das Thema des Gesetzes und des juridischen Denkens. Diese Kritik ist folgerichtig, weil Bousset zurecht bemerkt, dass sich die „Bekehrung“ des Paulus nicht aus einem Erleben der Insuffizienz des Gesetzesgehorsams herleiten lässt, sondern nach Boussets Urteil den äußeren Notwendigkeiten der Heidenmission entsprach. Sicher liegt hier zugleich die Grenze der Darstellung Boussets. Seine Rekonstruktion dessen, was er entweder Rabbinismus91 oder Pharisäismus92 nennt und mit scharfsinniger Schriftauslegung und juristischem Denken verbindet, erhellt die religiöse Kultur des hellenistischen Juden Paulus so unzureichend, dass die gesamte Rekonstruktion Boussets darunter leidet.93 Das Bild, das wir erhalten, ist das des Individuums Paulus und seiner weltgeschichtlichen Wirkung. Boussets „Paulus“ mangelt es weder an zeitgeschichtlicher Kontextualisierung noch an Skepsis gegenüber „Theologie“. Beide Aspekte sind nicht erst die Errungenschaften einer post-theologischen Paulusinterpretation, wie uns viele Kritiker der „lutherischen Paulusinterpretation“ seit Krister Stendahl sagen. Die liberale und religionsgeschichtliche Paulusinterpretation hatten beides bereits vollständig ausgebildet. Deutlich wird bei Bousset auch schon, wo die Eigenart dieser Darstellung liegt:94 in einer doppelten Kontingenz, nämlich in der Verbindung einer speziellen historischen mit einer individuellen biographischen Konstellation, die als Entstehungsbedingungen der 89 Sie werden von Bultmann kritisiert, implizit bei Bornkamm und explizit bei Vollenweider wieder aufgenommen. 90 Trotz einer öfter überzogenen Rhetorik. 91 A. a. O., 1278. 92 Vgl. dazu Anm. 28. 93 Ich verzichte auf eine wiederholende Darstellung der bekannten Defizite der Rekonstruktion des antiken Judentums in der religionsgeschichtlichen Schule. Was hier wichtig ist, ist der Umstand, dass Bousset die Rechtfertigungstheologie und das Gesetzes‑ und Gerechtigkeitsverständnis nicht positiv in seine Darstellung der Frömmigkeit und Theologie des Paulus einzeichnen kann, sondern externe Gründe, die Heidenmission, zur Begründung heranziehen muss. Ein Blick auf den Römerbrief macht diese Lösung aber unmöglich: Hier ist die Gerechtigkeitsthematik von Kap. 1–11 leitend. Andererseits hat Bousset rigoros jene Zweiteilung paulinischen Denkens und Argumentierens beleuchtet, auf die Vollenweider unter neuen Bedingungen hinweist. 94 Das Problem der unzureichenden Rekonstruktion der jüdischen Religion habe ich schon angesprochen. Vgl. dazu im Zusammenhang der Besprechung des Artikels von Vollenweider.
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I. Forschungsstand
paulinischen Briefe fungieren. Die hermeneutische Perspektive ist eine ausschließlich historische,95 nicht nur was die Bedingungen und zeitgeschichtlichen Kontexte angeht, sondern auch in Bezug auf die Inhalte, die nach ihrer historischen Wirkung dargestellt und bewertet werden. Es geht bei dieser Darstellung um das persönliche Erleben eines großen Mannes und die Wirkungen, die dies Erleben hervorgebracht hat, nicht um so etwas wie „Theologie“, d. h. anthropologische Daseins‑ oder theologische Weltbeschreibung. Forschungsgeschichtlich gesehen gibt Bousset der Paulusforschung des 20. Jahrhunderts ein großes Thema auf: das historische Verstehen der Person und des Wirkens96 des Paulus, realisiert besonders aus religionsgeschichtlicher und biographischer Sicht. Boussets Wurf einer biographisch-hermeneutischen Interpretation der Paulusbriefe in seinem RGG-Artikel ist eine bleibende Herausforderung an die neutestamentliche Wissenschaft. 2.2 Rudolf Bultmann (RGG 2. Auflage) Nur siebzehn Jahre nach Boussets Paulus-Artikel hat sich die exegetische Landschaft weitgehend geändert. Rudolf Bultmanns Paulus-Artikel in der zweiten Auflage der RGG von 193097 liest sich als korrigierende Antwort auf den Vorgängerartikel und sollte seinerseits selbst magistrale Bedeutung für mindestens eine Generation von Exegeten erhalten. Ich stelle ihn vor der Folie des BoussetArtikels dar.98 Bultmann schreibt nach dem 1. Weltkrieg und nach dem Durch95 Umso stärker fallen theologische Urteile wie diejenigen im Abschnitt über Jesus und Paulus aus dem historischen Untersuchungsrahmen heraus. Sie machen deutlich, wie schwer eine Distanzierung von der eigenen Theologie und Frömmigkeit für Vertreter der historischen Theologie bleiben. – Bultmann wird ganz auf die „Theologie“ abheben, während Bornkamm und deutlicher dann Vollenweider historische und theologische Perspektiven verbinden möchten. 96 Nicht primär der „Wirkung“, obwohl er diese in einer sehr umfassenden historischen Perspektive ebenfalls in den Blick nimmt. 97 R. Bultmann, „Paulus“, 1019–1045. Vgl. die vertiefte Analyse in: K. Hammann, Rudolf Bultmann, 168–178, dort zur biographischen und bibliographischen Einbettung. Wichtig ist der Hinweis auf Bultmanns Luther-Seminare: a. a. O., 169, Anm. 204. Gerade dieser Hinweis macht allerdings deutlich, wie sehr sich Bultmann von Luther entfernte. Bultmann hat nicht Luther wiederholt, wie die New Perspective insinuieren könnte, sondern als einen großen Paulusinterpreten studiert. A. a. O., 170. Anm. 207 weitere Lit. 98 Schon bei dem Vergleich von Bousset und Bultmann wird deutlich, dass Differenzen sich auf einem breiten Sockel von Übereinstimmung artikulieren. Boussets Darstellung fußt bereits auf mehreren Generationen historisch-kritischer Arbeit (seit F. Chr. Baur). Ein erheblicher Teil gerade der historischen Detailfragen ist bereits vollständig durchgespielt worden, und bestimmte Grundeinsichten – zum Beispiel die deutliche Herkunft des Paulus aus dem Judentum – sind wissenschaftliches Gemeingut. Kontrovers sind eher die Perspektiven, besonders die Einschätzung des zeitgenössischen Judentums in historischer (Pharisäismus, Rabbinentum, Diaspora) Sicht und in der Wertung als Religion (national-partikulares Judentum versus universales paulinisches Christentum?).
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bruch der Dialektischen Theologie.99 Im Aufriss ähnlich konzipiert wie Boussets Artikel – Quellen, Lebensgang, Theologie100 – ist Bultmanns Neufassung grundsätzlich eine Darstellung der Theologie des Paulus. Hier liegt alles Gewicht. Die Rekonstruktion seines kulturell-religiösen Herkunftsmilieus und seines Lebensganges dient nicht der Zeichnung seiner Persönlichkeit wie bei Bousset, sondern einem tieferen Verständnis seiner Theologie. Dieser Perspektivenwechsel hat natürlich von vornherein zur Folge, dass der „historische“ oder „biographische“ Paulus als der „theologische“ Paulus in den Blick kommt.101 Bultmann redet aber nicht einer konservativen oder reaktionären neuen Theologisierung das Wort, sondern nimmt die Aussagenstruktur, den propositionalen und argumentativen Gehalt vieler Passagen der Paulusbriefe ernst. Aus diesen Texten erschließt er die Gehalte, die er zu einer „Theologie“102 zusammenstellt.103 Diese sind für ihn theologische Urteile, die – von der historisch-kritischen Analyse erhoben – dann unabhängig von der Person des Paulus und von seiner historischen Situation gelten und diskutiert werden müssen. Bultmann rekonstruiert das Judentum des Paulus deutlich anders als Bousset, wenn er es vom Diasporajudentum her versteht und das Studium bei Gamaliel d. Ä. historisch bestreitet.104 Dadurch entfällt von vornherein die „dunkle“ Folie der Gesetzlichkeit und des juridischen Denkens als Teil der jüdischen Bildung des Paulus, vor der Bousset seine Kritik an der Rechtfertigungslehre artikulierte. Zu der Frage, weshalb Paulus als Jude Christen verfolgt habe, äußert Bultmann die Vermutung, Paulus habe schon damals ein gesetzeskritisches Judenchristentum kennengelernt,105 was dann auch historisch erklären würde, weshalb Paulus sich später zum Heidenmissionar berufen fühlte. Damit ist für Bultmann auch die Frage beantwortet, in welcher Weise und vor welchem Erfahrungshintergrund mit der Berufung bei Damaskus eine Abkehr vom Gesetz und eine spezifische Berufung zur Missionierung von Heiden verbunden gewesen seien.106 Biographisch dargestellt bei K. Hammann, Rudolf Bultmann. „Persönlichkeit“ erscheint unter „Theologie: 1. Voraussetzungen: a) Persönlichkeit und Bekehrung“ (R. Bultmann, „Paulus“, 1019). „Frömmigkeit“ begegnet nicht als eigener Gliederungspunkt. 101 Damit wird die Logik des Boussetschen Ansatzes geradezu umgedreht: Bousset entwirft die Theologie des Paulus aus seiner Frömmigkeit und seiner persönlichen Erfahrung. 102 Zu dem Ansatz von Bultmanns Theologie vgl. O. Wischmeyer, „Themen“, 475–479. 103 Beachte den Hinweis bei O. Wischmeyer, „Themen“, 479, dass eine Darstellung der „Theologie“ des Paulus nicht nur eine ordnende Darstellung seiner Gedankenwelt sein kann, sondern eine offengelegte und begründete Struktur haben muss. Vertieft: A. Lindemann, „Grundzüge“, 1–34. 104 R. Bultmann, „Paulus“, 1019. 105 M. Hengel untersuchte später die Rolle der „Hellenisten“. 106 Paulus erwähnt in Gal 1,16 zwar die „Verkündigung bei den Heiden“, was noch nicht mit „Mission der Heiden“ identisch sein muss, erwähnt aber nicht das Gesetz. Bultmann geht in seiner weiteren Darstellung davon aus, dass Paulus Heidenmission betrieb und diese auch der Anlass für das Apostelkonzil und den antiochenischen Zwischenfall bildete (1023). 99 100
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I. Forschungsstand
Das „Damaskuserlebnis“ hat die Position der gesetzeskritischen Judenchristen, die Paulus verfolgt, bestätigt: „Christus“ löst das „Gesetz“ ab.107 Weiter wird bereits hier deutlich, dass Bultmann in viel höherem Maß als Bousset die christlichen Gemeinden vor Paulus in seine historische Rekonstruktion einbezieht. Das sogenannte urchristliche Kerygma und die vor‑ und nebenpaulinischen hellenistischen Gemeinden spielen für Bultmanns Paulusdarstellung eine ebenso wichtige Rolle wie Judentum und zeitgenössische pagane Religion. So benennt er für „die theologische Begriffsbildung und Explikation des Kerygmas“ zunächst eben das „Kerygma der Urgemeinde“108, dann die rabbinische Bildung des Paulus, die jüdisch-hellenistische Theologie, die „Diskussion über das Gesetz … im hellenistischen Judentum und im vorpaulinischen hellenistischen Christentum“109, den Kyrioskult und die Sakramente sowie „Gnosis und Pneumatikertum“110. Aufgrund seiner historischen Rekonstruktion lehnt Bultmann es strikt ab, die Bekehrung111 des Paulus psychologisch zu erklären,112 sowohl was eine latente Kontinuität mit der Situation des Paulus vor der Bekehrung betrifft, als auch in Bezug auf Spekulationen über eine frühere innere Krise,113 und weist höchst nachdrücklich darauf hin, dass Paulus keine negative jüdische Vorgeschichte hatte, sondern im Gegenteil mit Stolz auf seine Vergangenheit zurückblickt. „Er ist nicht von einer Last befreit worden, sondern er hat eine stolze Vergangenheit zum Opfer gebracht.“114 Analog dazu „weiß er nichts davon, daß das Gesetz für das subjektive Empfinden des Juden eine Last sei, und niemals in seinem christlichen Kampf gegen das Gesetz stellt er den Glauben als die Befreiung von solcher Last dar“115. Gerade Bultmann, dem gern mangelnde Sensibilität für das Judentum unterstellt wird, hat hier mit wenigen Strichen eine Grundeinsicht des späteren historischen Konstrukts des „covenantal nomism“ vorweggenommen, und zwar nicht durch eine genaue Rekonstruktion frühjüdischer religiöser Quellen, sondern durch sorgfältige Lektüre des Paulus. Auch die weitere Interpretation der Bekehrung des Paulus enthält wichtige Züge der Bultmannschen Paulusinterpretation. Paulus leidet nicht unter seiner Unfähigkeit, das Gesetz zu 107 R. Bultmann, „Paulus“, 1021: „Das ergibt sich daraus, daß für ihn die Frage nach der Annahme der christlichen Botschaft identisch ist mit dem Entweder-Oder: das Gesetz oder Jesus Christus.“ 108 Ebd. Die umfangreichen Ausführungen Boussets zu „Jesus und Paulus“ (s. o.) haben ihre Entsprechung bei Bultmann in C.1.b. 109 A. a. O., 1029. 110 A. a. O., 1030. 111 Bultmann benutzt diesen Ausdruck undiskutiert. 112 Der kritische Bezug auf Bousset (1279 f.) ist hier ganz deutlich. 113 Bultmann weist jede autobiographische Konnotation des Ich von Röm 7 scharf zurück, vgl. a. a. O., 1023. 114 Ebd. 115 Ebd.
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erfüllen, – Bultmann polemisiert scharf gegen eine biographisch-psychologische Interpretation von Röm 7116 – sondern versteht seit dem Damaskuserlebnis117 seine Existenz neu. Bultmann wählt zur Illustration seines existenzialen Ansatzes eine dezisionistische Erklärung: Die Bekehrung war für P. der Entschluß, sein ganzes bisheriges Selbstverständnis, das durch die christliche Botschaft in Frage gestellt war, preiszugeben und seine Existenz neu zu verstehen. In Frage gestellt war der Weg, seine Gerechtigkeit durch Werke des Gesetzes selbst zu suchen, wenn Gott die Zeit des Heils durch die Sendung des Messias schon hatte anbrechen lassen. Und hatte Gott das Heil herbeigeführt, indem er den Messias sandte und kreuzigen ließ, so hatte er den jüdischen Heilsweg vernichtet und damit über alles Menschliche, das im Judentum seinen Höhepunkt hatte, das Urteil gesprochen.118
Hier unterscheidet sich Bultmanns Interpretation grundsätzlich von der biographisch-frömmigkeitsbezogenen Perspektive bei Bousset. Andererseits zeigt er sich bei seinem schon erwähnten Urteil, die Vorstellungswelt des Paulus zeige „Bekanntschaft mit heidnischen Kulten und orientalisch-gnostischer Mythologie“119 und die Christologie setze jüdisch-apokalyptische Vorstellungen voraus, nachhaltig von der religionsgeschichtlichen Schule beeinflusst.120 Bultmann nennt hier die Begriffe der korinthischen Pneumatiker: geistig-seelisch, Erkenntnis, Freiheit, Vollmacht sowie mythologische Vorstellungen wie die von den zwei Äonen, von Satan, Archonten und Geistermächten, vom ersten und zweiten Adam, von den Engeln als den Gesetzgebern, vom Herabsteigen Christi und vom kosmischen Enddrama.121 Im schroffen Gegensatz zu diesen Elementen eines „dualistische[n] Daseinsverständnisses“122, die kosmologische und mythologische Aspekte enthalten, entwickelt Bultmann dann die Theologie des Paulus. Diese ist nach Bultmann nicht metaphysisch-kosmologisch konzipiert, sondern hat zum Gegenstand „den Gott des Menschen …, dessen Tun sich primär nicht im kosmischen Geschehen, sondern in der Geschichte am Menschen vollzieht“, während der Mensch „immer in seiner Stellung zu Gott verstanden ist“123. Bultmann verwendet das
A. a. O., 1022. Ebd. weigert sich Bultmann, eine irgendwie geartete biographisch-psychologische Erklärung dieses Ereignisses zu geben. Bultmann polemisiert gegen exegetische „Phantasien“. 118 Hier beobachten wir die theologische Gleichsetzung von Judentum und Menschheit (in dem unscharfen Ausdruck „das Menschliche“ wohl vorsichtig angesprochen), die im Rahmen der negativen Anthropologie des Paulus auch zu einer negativen Qualifizierung des Judentums führen musste. 119 A. a. O., 1021. 120 Vgl. W. Bousset, „Paulus“, 1279 f. Vgl. auch Bultmanns positive Besprechungen der Arbeiten von Bousset u. a. in ThR NF 1 (s. Anm. 1). 121 R. Bultmann, „Paulus“, 1030 f. 122 Ebd. 123 A. a. O., 1031. 116 117
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Strukturschema, das er später in der Theologie des Neuen Testaments wiederholen sollte:124 Die ‚Theologie‘ läßt sich als Anthropologie darstellen. Ebenso die ‚Christologie‘.125
Bultmann disponiert also: 1. der Mensch vor der Offenbarung des Glaubens, 2. der Mensch unter dem Glauben.126
Mensch und Gott, die anthropologischen Begriffe, Christologie, Predigt, Wort, Kirche, Glaube, neues Leben und schließlich die Liebe sind die einzelnen theologischen Topoi, die Bultmann darstellt. Die anthropologischen Begriffe stehen für Bultmann im Mittelpunkt. Sie bezeichnen jeweils von einer bestimmten Perspektive aus die conditio humana, den ganzen Menschen, nicht etwa Teile des Menschen:127 Leib, Seele, Geist, Denken, innerer Mensch, Herz, Gewissen, Fleisch, Sünde, Gesetz. Das Gesetz gehört zu den anthropologischen Begriffen. Hier befinden wir uns im Kernbereich von Bultmanns Paulusinterpretation: Das Gesetz bedeutet, daß es im Sein des sündigen Menschen eine Tatsache gibt, die ihm trotz des grundsätzlich falschen Verstehens seiner selbst den Anspruch Gottes immer wieder hörbar macht. Diese Tatsache ist gegeben in den dem Menschen faktisch immer begegnenden konkreten Forderungen, die ihn darauf hinweisen, daß er nicht sich selbst gehört. Von seinem christlichen Verständnis des Gesetzes aus sieht P., daß diese konkreten Forderungen faktisch daraus erwachsen, daß der Mensch stets mit anderen Menschen verbunden ist, denen er zur Verfügung stehen soll. Denn das erscheint ihm als der letzte Sinn aller Gesetzesbestimmungen, daß der Mensch seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst.128
Keineswegs enthistorisiert, spiritualisiert oder gar dämonisiert Bultmann das Gesetz bei Paulus: Das Gesetz Gottes (ist für Paulus) „nicht das ewige Sittengesetz …, nicht die Idee des Guten … Vielmehr ist das Gesetz der ganze Komplex der historisch gegebenen konkreten, sittlichen und rituellen Forderungen, die dem Juden in seiner konkreten geschichtlichen Gemeinschaft begegnen.“129 Daher gilt: Paulus „kritisiert nicht das Gesetz von seinem Inhalt aus, sondern er kritisiert das Gesetz hinsichtlich seiner Bedeutung für den Menschen; er kritisiert das Gesetz, so wie es für jüdisches Verständnis erscheint“130. Das bedeutet auch: Die Forderung des Gesetzes gilt auch für den Christen, denn sie ist ja im Liebesgebot wieder aufgenommen; und auch für ihn ist Gott der Richter.131 124 R. Bultmann, 125 R. Bultmann,
Ebd.
126
127 A. a. O.,
Theologie. „Paulus“, 1031.
1032. Regel: „Ich“ kann substituiert werden (1033). A. a. O., 1036. 129 Diese Perspektive wird Bornkamm ausweiten, vgl. hierzu weiter unten. 130 Beide Zitate a. a. O., 1036. 131 Ebd. 128
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Bultmann macht ganz klar, dass nicht das Gesetz selbst, sondern die Interpretation des Gesetzes zwischen Paulus und dem Judentum, wie der Jude Paulus es erlebt und verstanden hat, umstritten war und dass dieser Streit Gegenstand der exegetischen Rekonstruktion und der theologischen Darstellung ist. Nach Bultmanns Darstellung betreffen die Auseinandersetzungen um das Gesetz bei Paulus also den sachlichen Beitrag des Paulus zum jüdischen Gesetzesverständnis des 1. Jahrhunderts n. Chr., nicht einfach eine Antigesetzes‑ und damit antijüdische allgemeine „christliche“ Theologie. Diese Tatsache gilt es im Blick auf die New Perspective im Blick zu behalten.132 Bultmann formuliert sehr präzise: Für Paulus ist „die eigentliche Sünde … das ‚Rühmen‘.“133 Die neue Rolle, die Paulus dem Gesetz gibt, ist die Hinführung auf Christus: Unter dem Gesetz hat sich … das Verständnis für Christus ausgestaltet.134
Bultmanns Fazit ist dann Bousset diametral entgegengesetzt: So sehr die Gesetzeslehre des P. eine polemische Auseinandersetzung ist, so wenig ist sie etwas Gelegentliches und Nebensächliches, sondern sie enthält seine zentralen Gedanken.135
Bultmann illustriert dies Ergebnis eindrucksvoll mit dem Hinweis nicht auf den Galater‑ und Römerbrief, sondern auf 1 Kor 4,7 und 1,31. Erwartungsgemäß sind die Ausführungen zum „Menschen unter dem Glauben“, d. h. der Soteriologie, weniger umfangreich als diejenigen zur Anthropologie, die für Bultmann das Herzstück der existentialen Analyse bilden. Ausgangspunkt ist die Gerechtigkeit als Zustand der „Eigentlichkeit“ des Menschen: Mit dem Judentum stimmt P. überein, wenn er diese Eigentlichkeit als Gerechtigkeit versteht.136
Von diesem Ansatz her wertet Bultmann im Gegensatz zu Bousset den Begriff der Gerechtigkeit positiv als „forensisch“ und „eschatologisch“137. Gerechtigkeit meint die Geltung des Menschen vor Gott „im letzten Gericht“138. Nach Bultmanns Rekonstruktion verändert Paulus das Verständnis von Gerechtig132 Wenn M. Zetterholm, Approaches, 76, urteilt: „Evidently, Bultmann reads Paul through Lutheran idiologically-colored eyeglasses, against the background of the negative image of Judaism handed down throughout the entire history of the church, and explicitly expressed by the scholarly tradition of which Bultmann was part“, so bedient er einfach die Linie der New Perspective, ohne eigene Bultmannlektüre zu betreiben. Das führt zu Pauschalurteilen, die zu Vorurteilen gerinnen und der internationalen exegetischen Wissenschaft eher schaden als nützen. 133 R. Bultmann, „Paulus“, 1037. Dieser Gedanke wird von Vollenweider aufgenommen. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd. 138 A. a. O., 1038.
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keit an zwei Punkten: erstens im Zeitverständnis, zweitens im Verständnis der Bedingung für „Gerechtigkeit“. Die Gerechtigkeit ist im Glauben an Gottes Heilstat schon Realität, und: Die Gerechtigkeit ist nicht verdient, sondern geschenkt, daher ist sie „Gerechtigkeit Gottes“139. Daraus folgt die soteriologische Deutung des Sterbens und Auferstehens Jesu Christi: Die Heilstat Gottes, durch die er die Gerechtigkeit für den Menschen wirklich macht, ist ihrem Sinne nach Vergebung. Diese Vergebung aber vollzieht Gott nach P. im Tode und in der Auferstehung Jesu Christi als des menschgewordenen Gottessohnes.140
Gerechtigkeit im Sinne der Rechtfertigung der Sünder, verstanden als Gottes Vergebung in Jesus Christus, steht also über Bultmanns Rekonstruktion der Soteriologie des Paulus. Diese soteriologisch verstandene Christologie ist bei Bultmann anders als bei Bousset nicht letzten Endes ein Gegenstand der Verlegenheit, da gnostisch oder von den Mysterienreligionen beeinflusst, sondern Chiffre von Gottes Heilshandeln.141 Allerdings werden dann die eigentlichen Aussagen des Paulus zur Christologie unter „religionsgeschichtliche[n] Voraussetzungen“ abgehandelt.142 Hier ist Boussets Einfluss deutlich.143 Bultmann hält die Christologie ganz knapp und weist äußerst konzentriert auf ihre anthropologische Folge hin: Das historische Faktum des Kreuzes [ist] Gottes Urteil über die Sünde und über die Welt.144
Vielmehr ist Bultmann an der Wirkung des Heilsgeschehens für die Menschen interessiert. Hier gilt: Wer im Glauben dies Urteil übernimmt, [ist] frei von der Sünde.145
Die „neue Existenz“ beschreibt Bultmann als durch Predigt/Wort der Versöhnung, Gemeinde, Glauben, Hoffnung und Liebe bestimmt. Einer eigenen „Ethik“ „bedarf es natürlich für den nicht mehr, der in der Liebe steht, so sehr 139 Ebd. Bultmann setzt hinzu, dass Paulus statt von „Rechtfertigung“ auch von „Versöhnung“ sprechen kann. 140 Ebd. 141 Ebd.: Das „in Christus Geschehene [hat] nicht den Sinn eines menschlich-irdischen Ereignisses im Zusammenhang des irdischen Geschehens, sondern [ist] Gottes Tat“. 142 A. a. O., 1029 f. 143 Das wird sich auch bei Bornkamm und Vollenweider nicht ändern. Alle Autoren stehen unter dem Eindruck, die „Christologie“ habe keine eigene theologische Sprache, sondern werde mit Hilfe jüdischer und hellenistischer Terminologie und Interpretamente expliziert. 144 Hier könnte man direkt an Boussets „Tatsachentheologie“ denken! – Bultmann behandelt die Christologie aber sachgemäß im Rahmen seiner „Theologie des Paulus“ wie die eigentliche Theologie: Sie lässt sich nur im Modus ihrer Bedeutung für die Menschen darstellen, als Anthropologie und Soteriologie. Wo dieser Rahmen verlassen wird, also spätestens bei Vollenweider, wird die Lösung Bultmanns wieder zur Verlegenheit. 145 A. a. O., 1038.
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brüderliche Mahnung, wie P. sie selbst übt, den andern auf seine Verantwortung hinweisen und ihm zeigen kann, was er zu tun hat“146. Bei der Würdigung des paulinischen Wirkens verstärkt Bultmann die theologische Perspektive, wenn er – zurecht – darauf hinweist, dass die „eigentliche“147 Bedeutung des Paulus nicht in seiner Missionstätigkeit, auch nicht in der gesetzesfreien Heidenmission, noch in seiner Konzeption einer Ekklesia oder in seiner schriftstellerischen Leistung148 liegt – so sehr Bultmann alle diese Punkte anerkennt und akzentuiert – sondern eben darin, „daß er als Theologe dem christlichen Glauben das sachgemäße Verständnis seiner selbst gegeben hat“149. Bultmann spricht hier als Existenz-Theologe, und wir finden auch schon seine Entmythologisierungstheologie in nuce. Das christliche Erkennen Gottes vollzieht sich als „existentielles Denken“150. Eine Herleitung der Theologie des Paulus aus seiner Persönlichkeit lehnt Bultmann mit großer Schärfe ab. Wieder wendet er sich konzeptionell gegen Bousset. Bultmann setzt demgegenüber bei dem sachlichen Gehalt der Theologie an und weist darauf hin, dass auch ihre Voraussetzungen „sachlicher Art“ sind.151 Bultmann stellt den Begriff des „existentiellen Denkens“ gegen die Konzeption von „Persönlichkeit“: Fragen wir nach dem sachlichen Gehalt der Theologie des P., so wäre es falsch, auf die Persönlichkeit des P. zurückzugehen, um von ihr aus seine Theologie zu verstehen.152
Bultmann begründet dies Urteil vor allem damit, dass der Mensch „seine ‚Gestalt‘ erst im Wirken gewonnen“ habe.153 Das Charakterbild eines Menschen habe „einen ästhetischen Reiz“, trage aber „für das Verständnis der Sache“ nichts aus.154 Das bedeutet: Bultmann liegt nichts an Paulus als einem historischen Individuum, alles aber an der Existenzdeutung, die er in den Paulusbriefen findet. Diese wird der Sachkritik unterzogen, nicht der historisch-bio146 A. a. O., 1043. Eine ausführliche Würdigung der paulinischen Paränese findet sich weder bei Bousset noch bei Bultmann. 147 A. a. O., 1024. „Eigentlich“ benutzt Bultmann hier im Sinn von „am bedeutendsten“ und „nur bei Paulus zu finden“. 148 Bultmann schätzt diese sehr hoch ein: Als Schriftsteller übertraf Paulus „alle anderen an Rang und Einfluß“ (1025). Bultmann weist hier nicht darauf hin, dass Paulus der erste christliche Schriftsteller ist und in vielfacher Hinsicht maßgeblich wirkte. 149 A. a. O., 1026. Wohltuend wirkt hier die Abwesenheit des Pathos, mit dem Bousset die Leistungen des Paulus beschreibt. 150 Ebd. 151 A. a. O., 1027. Vgl. R. Bultmann, „Brief“ und „Kyrios“, 774–780 (wiederabgedruckt in: ders., Kritik, 252–259). Bultmann schreibt: „Erfreulich ist es, daß der Verf. sich nicht durch den höchst persönlichen Charakter des Briefes verleiten läßt, ihn als ein biographisches Dokument zu interpretieren und die Exegese auf ein psychologisches Verständnis und die Gewinnung eines Charakterbildes des Paulus abzustellen, sondern daß er den sachlichen Gehalt der paulinischen Aussagen zu erheben sucht“ (774/252). 152 R. Bultmann, „Paulus“, 1026. 153 Ebd. 154 A. a. O., 1027.
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I. Forschungsstand
graphischen Analyse. Das Ergebnis dient dementsprechend letztlich nicht der historischen, sondern der existentialen Erkenntnis. Der philosophisch-anthropologisch verstandene Aspekt der „Person“ tritt bei Bultmann an die Stelle der historisch-biographisch modellierten „Persönlichkeit“.155 Was damit gewonnen, aber auch verloren ist, werde ich am Schluss diskutieren. 2.3 Günther Bornkamm (RGG 3. Auflage) Zwischen Rudolf Bultmanns Artikel und dem Beitrag Günther Bornkamms in der dritten Auflage der RGG156 liegen dreißig Jahre, ein Zeitraum, der in der deutschen Theologie zunächst und grundsätzlich durch das Dritte Reich, den „Kirchenkampf“, den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit gekennzeichnet war, in den exegetischen Fächern besonders durch die starke Stellung der Existenzialen Interpretation und den überragenden Einfluss von Bultmanns Theologie. Dementsprechend liest sich Günther Bornkamms „Paulus“ weder als Anti-Bultmann noch als neues Paradigma, sondern als teils fast wörtliche, teils kommentierende, manchmal auch korrigierende Neuauflage des Bultmannartikels. Bornkamms Zugriff ist exegetischer, weniger „theologisch“, insgesamt „professioneller“ im Sinne exegetischer Rekonstruktion und Interpretation, weniger magistraler Wurf, mehr Einführung in die Texte. Im Einzelnen setzt Bornkamm dann doch sehr eigene Akzente. Das zeigt sich schon in der Disposition. Bei Bornkamm entfallen die Stichworte „Persönlichkeit“ und „Religionsgeschichte“. Damit verliert der Rückbezug auf Bousset ganz an Bedeutung. Die „Theologie“ wird nicht mehr nach Bultmanns Schema gegliedert, sondern eher in – sehr freier, thematischer – Verwendung dogmatischer Terminologie (unter Beibehaltung einzig der „anthropologischen Begriffe“ von Bultmann) vorgetragen: Der Schöpfungsgedanke – Anthropologische Begriffe. Die Verlorenheit des Menschen – Christologie und Heilsgeschehen – Die Gegenwart des Heils – Das neue Leben.157 Bornkamm entwirft zunächst ein Bild des Milieus, in dem Paulus aufwuchs, das sich nur graduell von Bultmanns Darstellung unterscheidet. Er rückt Paulus noch etwas näher an das hellenistische Judentum heran und weist auf das Fehlen der „für rabbinische Schriftgelehrsamkeit so wichtige[n] Kasuistik“ hin.158 Zugleich zweifelt er an der besonderen Bedeutung der Zugehörigkeit zu den Vgl. zu den Konzepten von „Person“ und „Persönlichkeit“ W. Sparn, „Einführung“, 9–28. „Paulus“, 166–190. G. Bornkamms Paulusbuch, dessen Paulusbild sich deutlich von Bultmanns Rekonstruktion unterschied, erschien 1969. Hier sind die neuen Impulse, die in dem RGG-Artikel nur andeutungsweise erscheinen, ausgearbeitet. Bornkamms Artikel umfasst 35 Spalten und ist damit der längste und ausführlichste der vier Artikel. 157 A. a. O., 166. 158 A. a. O., 168. 155
156 G. Bornkamm,
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Pharisäern für Paulus.159 Neben der Bekanntschaft des Paulus mit „heidnischen Kulten und orientalisch-gnostischer Mythologie“ betont Bornkamm „die Kenntnis … stoischer Begriffe und Gedanken“160. Gleichzeitig verschweigt er aber nicht die Unterschiede zu der Bildung und der intellektuellen Mission Philons und der Apologeten. Den Komplex von: vorchristlicher Paulus – Bekehrung – neue Aufgaben, stellt Bornkamm ganz in der Tradition Bultmanns dar: Damit wurde das Entweder – Oder: Das Gesetz oder Jesus Christus zur entscheidenden Frage seines Lebens.161
Es geht um das neue Selbstverständnis des Paulus, das wie bei Bultmann sachlich-theologisch, nicht persönlich-psychologisch verstanden ist. Wie Bultmann verteidigt Bornkamm „die Bekehrung des P. in verschiedener Richtung gegen Mißdeutungen“162: keine Gewissensangst (wie bei Luther), keine biographische Interpretation von Röm 7, keine theologische Missachtung oder Verurteilung des Gesetzes, keine psychologische Deutung. Einen eigenen Akzent setzt Bornkamm in dem Abschnitt über die Wirksamkeit des Paulus als Apostel.163 Hier fließen bei Bornkamm Ergebnisse nicht nur der deutschsprachigen, sondern auch der angelsächsischen und französischen exegetischen Arbeit besonders der fünfziger Jahre ein.164 Das Bild der paulinischen Gemeinden und der „Gegner“ entwickelt sich. Der Missionar und Seelsorger Paulus tritt stärker hervor als bei Bultmann. Paulus wird stärker als Akteur in die Geschichte des Urchristentums hineingestellt. Bornkamm bleibt trotzdem bei der grundsätzlichen Einschätzung Bultmanns: Die eigentliche geschichtliche Leistung des P. zeigt sich aber erst in der Art, wie er jüdische und urchristliche Tradition, aber nicht minder auch Vorstellungen, Sprach‑ und Denkformen, die ihm die heidnische Umwelt anbot, verarbeitete und dem Evangelium dienstbar machte, m.a.W. in seiner Theologie und Verkündigung.165
Bornkamms Formulierung zeigt aber trotz der grundsätzlichen Orientierung an Bultmann ein neues setting: Evangelium und Verkündigung treten neben die strenge Existenztheologie Bultmanns. Damit nimmt Bornkamm zwar nicht die „Frömmigkeit“ Boussets wieder auf, die ja individuell-psychologisch konzipiert war, aber er erweitert die „Theologie“ doch um den persönlichen und Hier wäre der Hinweis auf Josephus wichtig gewesen. Ebd. Diese Einsicht wird in jüngster Zeit wieder stärker akzentuiert (T. EngbergPedersen). Bei Vollenweider wird das Thema „Paulus und die antike Philosophie“ nur am Rande erwähnt. 161 A. a. O., 169. 162 A. a. O., 170. 163 In Bultmanns Artikel B 3. 164 Die Arbeiten von Schmithals, Georgi, Wilckens, Käsemann und Brandenburger werden im Literaturverzeichnis genannt, aber auch H. Jonas, J. Bonsirven, W. D. Davies (fälschlich B. D. Davies), W. C. van Unnik und J. Dupont. 165 A. a. O., 175. 159
160
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I. Forschungsstand
historischen Faktor der Verkündigung des Paulus. Bornkamm orientiert sich an einer Art dogmatischem Leitfaden, behält aber den Schwerpunkt der anthropologischen Begrifflichkeit bei, die in dem bereits genannten Aufbau von: Schöpfung – Christologie – Gegenwart des Heils – neues Leben wie ein begrifflicher Fremdkörper wirkt. Bornkamms Skizze des Schöpfungsgedankens geht sachlich nicht über Bultmann hinaus, ist aber anders akzentuiert und ausgeweitet. Benennt Bultmann die Einleitung in die Darstellung der Theologie „Theologie und Anthropologie“166 und statuiert dort kurz die gegenseitige Bezogenheit von Theologie und Anthropologie, da „Gott für P. nicht als ein metaphysisches Wesen Gegenstand der Spekulation ist, sondern der Gott des Menschen“167, um sogleich zum „Menschen“ überzugehen, so entfaltet Bornkamm den „Schöpfungsgedanken“ bei Paulus als eine Art inneren Gerüstes: Denn tatsächlich trägt der Schöpfungsgedanke die Theologie des P. im ganzen, ihre Aussagen über die Verlorenheit des Menschen vor Gott ebenso wie über das Geschehen der Erlösung (2 Kor 4,6) bis hin zur Lehre von der Auferstehung der Toten.168
Wenn Bornkamm zur dogmatischen Terminologie zurückkehrt, die ihm näher an den Paulustexten zu liegen scheint als die Existenzterminologie Bultmanns, dann redet er nicht einer neuen Dogmatisierung der paulinischen Theologie das Wort, sondern verwendet die biblische, d. h. historisch gesprochen die jüdische Begrifflichkeit, die im Fall der „Schöpfung“ auch die der späteren christlichen Dogmatik werden sollte. Dass auch diese Terminologie eine gewisse Verfremdung oder mindestens eine Interpretation der Paulustexte ist, weiß Bornkamm, denn er leitet den entsprechenden Abschnitt mit dem Hinweis darauf ein, dass der „Schöpfungsgedanke“ bei Paulus „eigenartig zurück[tritt]“169. Sein Festhalten an dem Schöpfungsgedanken als der inneren oder unterliegenden Struktur paulinischer Theologie ermöglicht es ihm aber, in einer neuen und eigenen Weise die Anthropo-logie als die für Paulus eigentlich relevante Seite der Theo-logie darzustellen.170 Daher sind die umfangreichen Ausführungen zu den anthropologischen Begriffen auch nicht einfach eine Bultmann-Reminiszenz, sondern inhärenter Bestandteil der neuen Strukturierung. Von besonderem Interesse ist Bornkamms Interpretation des „Gesetzes“ bei Paulus, das er vor allem aus dem Römerbrief entwickelt. Er denkt Bultmanns Ansatz dahingehend weiter, dass er eine analoge Struktur zwischen Schöpfung, R. Bultmann, „Paulus“, 1031. Ebd. 168 G. Bornkamm, „Paulus“, 178. 169 Ebd. 170 Vollenweider akzenzuiert die Schöpfungstheologie eher in einer anderen Richtung: auf eine „theozentrische“ Interpretation der Christologie im Horizont des jüdischen Monotheismus (S. Vollenweider, „Paulus“, 1046). 166 167
2. Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert
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universalem Gesetz und universalem göttlichem Heilshandeln erkennt. Hatte Bultmann die Gültigkeit des Gesetzes auch für die Heiden nach Röm 2,14 f. als Nebengedanken behandelt171 und den jüdischen Ansatz des Paulus betont,172 so nimmt Bornkamm die universale Reichweite des Gesetzes bei Paulus ernst: Wichtig … ist, daß er unbeschadet der Auszeichnung Israels durch das Gesetz … es als Kundgabe des göttlichen Willens für alle, Juden und Heiden, versteht …, wie denn auch den Heiden in der Schöpfung die Forderung Gottes begegnet … und schon Adam längst vor Mose das göttliche Gebot vernahm.173
Von hier aus kann Bornkamm wohl noch präziser als Bultmann die Stellung des paulinischen Gesetzesverständnisses im zeitgenössischen frühjüdischen und popularphilosophischen Zusammenhang bestimmen: So ist die faktische, aber nun auch gottgewollte Funktion des Gesetzes – dem jüd. Verständnis diametral entgegen – nicht mehr die, die Sünde zu verhindern, sondern sie groß zu machen.174
Direkt zu Bultmann zurück führt dann die abschließende Situierung des Gesetzes. Die paulinische Lehre vom Gesetz hat „ihren Ursprung … nicht in einer liberalen Gesetzeskritik (hellenistisches Judentum), aber auch nicht in einer verzweifelten Erfahrung, die am Menschen selbst abzulesen ist, … sondern in der Gnadentat Gottes selbst in Christus … Dieser ist ‚das Ende des Gesetzes‘.“175 Im Hinblick darauf, dass die angelsächsische Richtung der Paulusinterpretation, die zur New Perspective führte, ungefähr gleichzeitig mit Bornkamms Artikel ihren Anfang nahm, ist das folgende Resümee Bornkamms von besonderem Interesse: Von hier aus erweist sich der naheliegende Einwand als irrig, P. habe den Bundes‑ und Gnadencharakter des Gesetzes im AT … verkannt und durch Zerreißung von berît und tôra seinen innersten Sinn verfehlt (Schoeps). Dabei ist übersehen, daß P. nicht das Wesen des Gesetzes vom Standpunkt des AT aus beschreibt, sondern von der geschichtlichen Erfahrung und Situation des Menschen unter dem Gesetz her denkt … Diese Erfahrung … enthüllt sich freilich erst unter dem im Evangelium verkündeten Gnadengeschehen.176
Dieser Satz beleuchtet gleichsam ante festum einen Kern der Diskussion der New Perspective. Da Bornkamms Paulusinterpretation177 die deutschsprachige R. Bultmann, „Paulus“, 1036. „Ausführlich erörtert er die Situation des Menschen unter dem Gesetz am Juden, weil für ihn selbst als Juden die eigentliche Verkörperung des Gesetzes das Mosesgesetz ist“, ebd. 173 G. Bornkamm, „Paulus“, 182. 174 A. a. O., 183. Aus unserer gegenwärtigen Perspektive würde man genauer formulieren, entweder im Sinne von: „dem jüdischen Verständnis, so wie Paulus es nach seiner Bekehrung interpretierte“, oder aber: „und damit eine neue jüdische Interpretation des Gesetzes eröffnend“. 175 Ebd. 176 A. a. O., 183 f. 177 Dies gilt besonders für sein Paulus-Buch von 1969. 171 172
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I. Forschungsstand
Paulusexegese einerseits nachhaltig geprägt hat, andererseits verhältnismäßig bald von der New Perspective gleichsam überholt wurde, empfiehlt es sich, am Ende dieses Beitrages diesen Punkt seiner Paulusinterpretation noch einmal genauer zu beleuchten. Was ist nun diese „Heilstat“ für Paulus? Bornkamm bemüht sich im folgenden Abschnitt sehr um den Nachweis, dass Paulus die Heilstat Gottes nicht im Sinne eines „universalgeschichtliche[n] Schema[s]“, d. h. einer apokalyptisch verstandenen Äonenlehre, wie Bornkamms eigener Ansatz bei der Schöpfung implizieren könnte, sondern „unter dem Aspekt seiner Bedeutung für den Menschen entfalte[t]“178. Es handelt sich „um die Wende von der Verlorenheit zur Erlösung, vom Nicht-Glauben zum Glauben“179. Die christologische Seite dieses Geschehens macht Bornkamm aber nicht viel verständlicher als Bultmann. Von seinem schöpfungs‑ und anthropologiebasierten Ansatz her kann er allerdings besser die Universalität des Heilshandelns Gottes in Christus erklären.180 Bornkamm füllt das Grunddatum der Heilstat in Christus exegetisch stark auf, ohne aber zu mehr Klarheit in der Darstellung der Christologie zu kommen.181 Die entscheidende Rolle spielen – wie schon bei Bultmann – die paulinischen Begriffe von „Rechtfertigung“ und „Glaube“. Bornkamm verteidigt die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Theologie des Paulus rigoros182 – zwei Jahre vor der skeptischen Einschätzung der Bedeutung der Rechtfertigungslehre durch den Lutherischen Weltbund.183 Er weist noch deutlicher als Bultmann auf die Bedeutung der alttestamentlichen „Gerechtigkeit Gottes“ hin und formuliert das „Neue“ bei Paulus vor diesem (unverzichtbaren) Hintergrund: Ist die formale Begrifflichkeit von AT und Judentum vorgegeben, so ist das grundlegend Neue der Botschaft des P. in der Erkenntnis beschlossen, daß in Christi Tod und Auferstehung die eschatologische Gerichtsentscheidung ergangen ist, und zwar ohne daß zuvor der Mensch durch die Werke des Gesetzes die Bedingungen der Rechtfertigung erfüllt hätte.184
Die Aussagen zu Glauben, Gegenwart des Heils (Wort Gottes, Sakramente, Geist und Kirche) sowie neuem Leben müssen hier nicht im Detail kommentiert 178 A. a. O., 179 Ebd.
184.
180 Dabei weist er eine zu starke Betonung eines „universalgeschichtliche[n] Schema[s]“ zurück: „In Wahrheit zersprengt die Christusbotschaft dieses Schema.“ Letztlich bleibt das Christusgeschehen auch bei Bornkamm sprachlich und vorstellungsmäßig unverfügbar, und Bornkamm kehrt zu Bultmann zurück: Paulus kann „das Christusgeschehen nur unter dem Aspekt seiner Bedeutung für den Menschen entfalten“ (ebd.). – Die Metapher des Sprengens nimmt wohl Vollenweider auf, wenn er formuliert: Die paulinische Christologie ist „Zement und Dynamit in einem“ (S. Vollenweider, „Paulus“, 1045). 181 Einzelinterpretamente s. G. Bornkamm, „Paulus“, 184. 182 Gegen Wrede und A. Schweitzer: A. a. O., 185. 183 Rechtfertigung heute, in: Offizieller Bericht, 522–529. 184 G. Bornkamm, „Paulus“, 185.
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werden. Aufmerksamkeit verdient der Schlusshinweis auf die Schöpfung nach Röm 8,18 ff. Hier findet Bornkamm noch einmal seine These von der Schöpfungsstruktur der paulinischen Theologie bestätigt. Bornkamms Artikel ist ein Dokument des Übergangs: von der Theologie Bultmanns zu neuen Einsichten und Fronten, von der deutschsprachigen zu einer eher internationalen Exegese, von einer immer noch deutlichen Bindung an grundlegende Topoi und Sätze der christlichen Dogmatik zu einer stärker textgebundenen Darstellungsweise. Paulus der christliche Missionar und Gemeindegründer tritt uns im Kontext seiner Mitmissionare entgegen. 2.4 Samuel Vollenweider (RGG 4. Auflage) Vierzig Jahre später erschien der Paulus-Artikel in RGG4, verfasst von Samuel Vollenweider.185 Neunzig Jahre liegen zwischen dem hochgemuten Ton der religionsgeschichtlichen Schule und der aktuellen RGG, die nicht mehr das Organ der Religionsgeschichtlichen Schule ist186 und sich auch nicht mehr von der Existenztheologie und von der Bultmannschule beeinflusst zeigt, sondern sich „keiner bestimmten theologischen Tendenz oder Schule verpflichtet“ weiß und als ihr Ziel angibt: Die Artikel sollen eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Wissensstandes bieten, die jeweilige Methodenproblematik darstellen sowie auf offene Fragen und künftige Forschungsaufgaben aufmerksam machen.187
Was ist der „gegenwärtige Wissensstand“, und wo liegen die „offenen Fragen“? Die Disposition zeigt an, dass in diesem Paulus-Artikel neue Wege beschritten werden: I. Person und Werk,188 II. Wirkungsgeschichte im Neuen Testament, III. Wirkungsgeschichte vom 2. bis 20. Jahrhundert.189 Der Artikel ist also grundlegend von der rezeptions‑ und wirkungsgeschichtlichen Hermeneutik der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts geprägt. Den vorherigen Artikeln entspricht nur noch Teil I der Neukonzeption. Nicht so sehr die Vorgeschichte und die zeitgeschichtliche Kontextualisierung werden nun als Interpretationshilfen herangezogen, sondern die große Bandbreite historischer Wirkungen, die in einer neuen Weise nicht mehr primär die historische Bedingtheit der Person und der Briefe des Paulus, sondern der Paulusinterpretationen verdeutlicht. Nicht mehr nur Paulus, sondern auch die Paulusinterpreten – letztlich bis hin zum Verfasser S. Vollenweider, „Paulus“. Vgl. das Vorwort zur 1. Auflage von F. M. Schiele, bes. IX. 187 Vorwort zur 4. Auflage von H. D. Betz u. a., V. 188 Dieser Teil umfasst 18 Spalten (zum Vergleich: Bousset 33 Sp., Bultmann 26 Sp., Bornkamm 35 Sp.). 189 Diese beiden Teile umfassen zusammen 12 Spalten. 185 186
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I. Forschungsstand
des Artikels – werden kontextualisiert und damit grundsätzlich historisiert.190 Die Einbeziehung der Paulustradition im Neuen Testament ermöglicht zudem einen innovativen Umgang mit dem Phänomen der Deutero‑ und Tritopaulinen und der Apostelgeschichte. Diesem Konzept entspricht das reflexive Niveau des Artikels. Vollenweider entwickelt anders als seine drei Vorgänger sein Paulusbild konsequent in der Auseinandersetzung sowohl mit der exegetischen Literatur als auch mit den Human‑ und Kulturwissenschaften und macht diese Auseinandersetzung explizit.191 In viel stärkerem Maße als bei Bornkamm sind die wichtigen Vertreter der aktuellen Paulusforschung192 Vollenweiders „Gesprächspartner“. Die Leser werden dadurch nicht nur über „Paulus“, sondern auch über den Stand der Paulusforschung informiert. Offene Fragen und weitere Forschungsfelder benennt Vollenweider allerdings nicht direkt,193 da sich ihm die wissenschaftliche Arbeit an den Paulustexten eher als dauerndes Projekt einer sich selbst historisierenden theologischen Hermeneutik darstellt: Die Vielfalt der gesch. Paulusportraits zeigt, wie sich jede Epoche ihr Verständnis christlicher Identität zu guten Teilen im Blick auf die kontroverse Gestalt des Völkerapostels erarbeitet.194
So wegweisend dieser wissenschaftliche Zugang ist, so eröffnet er auch Fragen und neue Möglichkeiten. Geht es nur um die christliche Identität? Ist nicht mindestens seit zwei Generationen auch die jüdische Identität betroffen, und ist nicht „Paulus“ längst ebenso ein Thema jüdischer Historiker? Weiter: worin besteht das kontroverse Potential des Paulus? Ist dieser Ansatz schon wissenschaftlich durchgearbeitet? Läge hier eine „neue“ Paulusperspektive? Seinem Ansatz entsprechend unterscheidet sich Vollenweiders Diktion von der seiner Vorgänger. Er konstatiert nicht, er lehrt und dekretiert nicht, sondern schlägt Formulierungen vor. Von Anfang an entwirft Vollenweider zudem ein multiperspektivisches Paulusbild, das die unterschiedlichen neutestamentlichen Paulusbilder bündelt: Im NT … tritt er uns als Theologe, Missionar, Seelsorger, Mystiker, Märtyrer und Frömmigkeitsvorbild entgegen. In seiner Person begegnen uns ein traditionsbewusster Jude, ein die Gotteserkenntnis kultivierender Hellenist und ein Mitglied der globalen röm. Gesellschaft.195 190 Die Reflexion auf den eigenen Standort der zeitgenössischen Exegese nimmt diese nicht etwa aus der Geschichte heraus und versetzt sie in einen „posthistorischen“ Zustand, sondern dehnt den Bereich gleichzeitiger historischer Determiniertheit und Kontingenz auf die eigene Perspektive aus. 191 S. Vollenweider, „Paulus“, 1039, zur Frage nach humanwissenschaftlichen Erklärungsmodellen für die „Bekehrung“, a. a. O., 1042 f. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten einer Darstellung der paulinischen Theologie, a. a. O., 1043 zu „neuen Paulusperspektiven“. 192 Zu einem ganz erheblichen Teil englischsprachige Autoren. 193 S. Anm. 187. 194 S. Vollenweider, „Paulus“, 1035. 195 Ebd. Einzelne Termini könnte man in Zweifel ziehen. „Kultivierte“ Paulus die „Gottes-
2. Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert
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Mit diesem – um einen Begriff von Boyarin zu benutzen – kaleidoskopartigen Ausgangssatz hat Vollenweider zugleich implizit die Aufgabe seines Artikels vorgegeben: aus diesem multiperspektivischen Bild die Identität der Person des Paulus neu zu erarbeiten.196 Dass hier die eigentliche Aufgabe der gegenwärtigen Paulusforschung liegt, ergibt sich auch aus dem Eröffnungssatz: Nur wenige Persönlichkeiten der röm. Kaiserzeit sind uns besser bekannt als der Jude und Christ P.197
Wie geht Vollenweider vor? Nach knappen, aber gehaltvollen Angaben zu Quellen und Chronologie widmet er sich der „Biographie“.198 Er entnimmt den Briefen „das Profil einer ausgesprochen kompetitiven Persönlichkeit mit großer kommunikativer und intellektueller Begabung, aber auch einer konfrontativen Tendenz“199. Hier finden wir in eigentümlich gedämpfter und gleichsam humanwissenschaftlich-terminologisch gezähmter Gutachter-Sprache das Thema der „Persönlichkeit“ wieder, das Bousset unnachahmlich behandelt hatte und das von Bultmann als theologisch irrelevant verbannt worden war. Vollenweider betont wieder stärker den pharisäischen Joudaismos des Paulus.200 Mit Bultmann und Bornkamm akzentuiert er die „Bekehrung“ bzw. „Berufung“Beauftragung201 des Paulus christologisch: Der christologische Aspekt ist am besten bezeugt: P. identifiziert den gekreuzigten Jesus als Messias und Gottessohn, der zur Rechten Gottes erhöht ist.202
Und: Jesus Christus rückt als Orientierungsgröße an die Stelle, die vordem der Tora zukam.203
Gemäß seinem Ansatz diskutiert Vollenweider auch soziologische und psychologische Erklärungsmodelle für die „Bekehrung“, um dann doch die Erklärung zu bevorzugen, die Paulus selbst gibt: erkenntnis“? Gab es eine „globale“ römische Gesellschaft, und in welcher Weise gehörte Paulus ihr an? Ist damit auf seine römische Staatsbürgerschaft angespielt? 196 Es geht ja nicht nur um die von Vollenweider apostrophierte Frage der christlichen Identität in der Arbeit an den Paulusporträts, sondern zuerst um das wissenschaftliche Bild von Paulus, das im vorliegenden Artikel gezeichnet wird. S. o. Anm. 48 zu dem Bild der „einheitlichen Persönlichkeit“ des Paulus bei Bousset. 197 Ebd. Die programmatische Kühnheit dieses Satzes liegt nicht so sehr in der geradezu insinuierten doppelten religiösen Identität des Paulus, sondern in der schnörkellosen Verwendung des Terminus „Christ“, die mindestens im angelsächsischen Sprachraum problematisch, da anachronistisch erscheint. 198 A. a. O., 1037–1042. 199 A. a. O., 1037. 200 Mit Hinweis auf M. Hengels Studien. 201 Hier bringt Vollenweider einige religionsgeschichtliche Überlegungen ein (Thronsaal vision und prophetische sowie transformative Aspekte der Bekehrung bzw. Berufung). 202 A. a. O., 1038. 203 A. a. O., 1038 f.
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I. Forschungsstand
P. selbst deutet seine Erfahrung jedenfalls als Ereignis göttlicher Gnade schlechthin.204
In die Darstellung der Missionstätigkeit des Paulus geht viel exegetische Detailforschung der letzten Generation ein: so die „universale Konzeption“ seiner Mission seit dem Abschied von Antiochia,205 sein „geographischer Horizont“206 und seine Inkulturationsbemühungen in der Welt der hellenistischen Städte. Hier wird deutlich, dass vieles, was sich bei Bornkamm schon abzeichnete, inzwischen im Detail untersucht worden ist, so dass unser Bild von den Kontexten, in denen sich die Wirksamkeit des Paulus abspielte, nicht nur plastischer geworden ist, sondern auch viel exegetische Aufmerksamkeit und Arbeit beansprucht. Bornkamm zeigt sich an diesem Punkt als der große Anreger.207 Auch in Vollenweiders Teil I nimmt die Theologie die zentrale Stellung ein. Vollenweiders Gliederung ist ganz selbständig, nicht systematisch und spiegelt die Forschungsentwicklung der letzten Generation wider: a) Neue Perspektiven auf Paulus, b) Theologie in Briefform, c) Kulturelle Matrix, d) Christologische Zentralperspektive, e) Menschliche Existenz in kosmischen Dimensionen, f) Im Horizont der Gerechtigkeit Gottes, g) Die Gemeinschaft der Glaubenden in Christus, h) Verhalten als Resonanz auf Christus, i) Der Raum der Hoffnung.208 Die Punkte a bis c nehmen die wichtigsten neuen Aspekte der Paulusforschung auf und markieren den forschungsgeschichtlichen Ausgangspunkt, während Vollenweider in den Punkten d) bis i) klassische dogmatische Topoi terminologisch selbständig umspielt. Vollenweider stützt die Sicht auf Paulus als „Theologen“ durch den Hinweis auf seine Rezeptionsgeschichte in der Kirche. Zwei Bestimmungen sind für ihn zentral: Paulus vertritt eine kontextuelle und kommunikative Theologie. Damit nimmt er die Anstöße der „neuen Perspektiven“, wie er verschiedene Forschungsrichtungen zusammenfassend nennt,209 der Epistolographieforschung210 und der neueren umfang‑ und facettenreichen Erforschung der hellenistisch-rö A. a. O., 1039. A. a. O., 1040. 206 Ebd. 207 Das spiegelt sich in seinen zahlreichen in‑ und ausländischen Schülern. Vgl. dazu F. Hahn, „Günther Bornkamm“, 137–145. Vollenweiders Aufgabe war dann eine andere: die neue Ordnung der inzwischen dramatisch veränderten exegetischen Situation (Ausweitung der exegetischen Literatur, Internationalisierung, programmatische Abkehr von als „deutsch“ und „lutherisch“ verstandenen Paradigmen). 208 A. a. O., 1042. 209 Auffallend ist Vollenweiders Desinteresse an den „emanzipatorischen“ Pauluszugängen, auf die er nicht weiter eingeht. Damit bleibt das Bild der gegenwärtigen Paulusforschung doch zu sehr auf die Auseinandersetzung mit der New Perspective konzentriert. Vgl. dazu M. Zetterholm, Approaches, 200–224. 210 Die Einbeziehung der Epistolographie‑ und Rhetorikforschung in die Theologie des Paulus stellt einen Fortschritt dar. Die Bedeutung der angelsächsischen Rhetorikforschung für die Paulusbriefe ist allerdings zu gering veranschlagt. 204 205
2. Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert
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mischen Mittelmeerwelt und ihrer jüdischen und christlichen Gruppierungen auf.211 Bemerkenswert unaufgeregt, ja abgeklärt behandelt Vollenweider die New Perspective, die für ihn nur ein Aspekt der zahlreichen Neuansätze „nach Bultmann“ ist. Vollenweiders Analyse trifft den Kern der Frage, wenn er nach der religionsgeschichtlichen Würdigung der New Perspective konstatiert: Unter den genannten Umbrüchen in der Paulusforschung ist die ‚new perspective‘ am bedeutsamsten. Sie stellt vor die Aufgabe, die theol. Kontinuität wie Differenz zw. P. und dem Frühjudentum auf möglichst hohem Niveau zu rekonstruieren. Allerdings sticht auch ihr Defizit ins Auge, das sie mit dem kulturtheoretischen Ansatz teilt: Die Konversion von genuin theol. zu soziologischen Themen ist darauf hin zu befragen, ob nicht das einzigartige hermeneutische Potential des pln. Denkens verspielt wird.212
Vollenweider versteht hier „Hermeneutik“ wohl als theologische Existenzhermeneutik, d. h. als theologische Auslegung des Menschen in der Welt durch das Christusgeschehen. Mit dem programmatischen Satz: Die das Evangelium prägende christologische Perspektive des P. steuert seine anthropologische, kosmologische, pneumatologische, ekklesiologische, ethische und eschatologische Reflexion,213
verlässt Vollenweider definitiv die anthropologische Systematik paulinischer Theologie, wie Bultmann sie geschaffen hatte. „Christologie“ erscheint nicht mehr als Soteriologie, sondern eben als Christologie. Trotz dieser Schwerpunktsetzung gelingt es Vollenweider ähnlich wie Bornkamm nicht, über die eher additiv-deskriptive Zusammenstellung von Gemeindetraditionen, Titeln und Theologumena – Monotheismus, Kreuz, „österliche Theologie“ der Auferstehung Christi (apokalyptischer Horizont),214 Rückgriff auf „Jesus und seine Passion“215, Abraham –, wie sie schon von Bornkamm geleistet wurde, zu einer theologischen Hermeneutik der „Christologie“ zu kommen, wie sie Bultmann 211 S. Vollenweider, „Paulus“, verhandelt dies einmal unter der „antiken Paulusperspektive“, in der Paulus „als Exponent wie als Kritiker der antik-mediterranen Kultur“ verstanden wird (1043), zum andern unter dem Stichwort der kulturellen Matrix. Hier wird Paulus noch einmal als „Bürger zweier Welten [sc. Judentum und Hellenismus], ja sogar als Exponent der einen, nachhaltig hellenisierten … Mittelmeerkultur“, die für Vollenweider ein eigenes Forschungsparadigma darstellt, angesprochen (1044). Zugleich kann Vollenweider aufgrund der umfangreichen Forschungen zum frühen Judentum ein genaueres Bild der jüdischen Matrix des Paulus zeichnen: Neben seine pharisäische Prägung treten apokalyptischer Einfluss (Thronsaalmystik) und hellenistisches Judentum (1044 f.). Wichtig ist die Betonung der Apokalyptik, die, nachdem Bultmann sie in Reaktion auf A. Schweitzer noch abgelehnt hatte, bei Bornkamm schon eine Rolle spielte. 212 A. a. O., 1043. 213 A. a. O., 1046. – Hier auf der niedrigeren Ebene der Einzeldarstellung tritt die Nähe zur Dogmatik wieder in Erscheinung, die Vollenweider auf der oberen Ebene vermeidet. 214 A. a. O., 1047. 215 Ebd.
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I. Forschungsstand
in seinem anthropologisch-soteriologischen Modell entworfen hat.216 Rechtfertigung und Versöhnung ordnet Vollenweider erstaunlich nahtlos in diesen Zusammenhang ein: Seine Rechtfertigungslehre … wie seine Kreuzestheol. … lassen sich als Versuche verstehen, das Evangelium als Inbegriff der rettenden … dýnamis theoú … in je verschiedenen situativen und kulturellen Kontexten zu artikulieren.217
Das erinnert an Bousset, bleibt aber inhaltlich unterbestimmt. Auf der anderen Seite warnt Vollenweider vor einer einseitigen Privilegierung der Rechtfertigungslehre. Auf ein von Bousset bekanntes Motiv stoßen wir, wenn Vollenweider im Anschluss an das Selbstverständnis des Paulus als Apostel (Christomorphie, Christusmimesis) die „Religiosität“ des Paulus anspricht und als „Mystik“ bezeichnet.218 Hier kommen Themen und Motive, die seit Bultmann aus der paulinischen Theologie herausgedrängt wurden, wieder ins Spiel, ohne dass schon deutlich würde, inwieweit die Forschung hier letztlich über Bousset hinausgekommen ist. „Frömmigkeit“ bzw. „Religiosität“ werden wieder – aber in einer noch nicht geklärten Weise – mit „Theologie“ zusammengebracht. Vollenweider bedient sich der Kategorie der Partizipation (Sanders), die religionsgeschichtlich-deskriptiv ist und gleichzeitig theologisch-christologische und theologischanthropologische Valenzen hat. Unter diesem Stichwort kann Vollenweider auch die Anthropologie beschreiben, wobei er zusätzlich Kategorien Käsemanns aufnimmt (Machtbereiche, Äonen).219 Im Zuge der Darstellung der „Gerechtigkeit Gottes“ setzt sich Vollenweider nochmals inhaltlich mit der New Perspective auseinander. Dabei greift er auf bewährte Argumente seiner Vorgänger zurück. Abgesehen davon, dass der „soziologisch-ekklesiologische“ Kontext der Heidenmission,220 den die New Perspective akzentuiert, bereits von Bousset aufgerufen worden war, kann Vollenweider mit der „anthropologischen Universalisierung“ im Galater‑ und Römerbrief – so schon Bultmann und verstärkt Bornkamm – und der Gerechtigkeit als „einer Chiffre für das schöpfungsweite Heilswirken Gottes in Jesus Christus“ – so schon Bornkamm – argumentieren.221 Bei dem Thema des „Gesetzes“ greift Vollenweider direkt auf Bultmann zurück, wenn er formuliert:
Bornkamm hat eine Verbindung beider Ansätze versucht. A. a. O., 1046. 218 A. a. O., 1048. 219 Ebd. 220 A. a. O., 1049. 221 Ebd. und a. a. O., 1050. Das Motiv des Rühmens, das schon Bultmann in diesem Zusammenhang anführt, kann Vollenweider durch den Rückgriff auf die antike Mittelmeerkultur akzentuieren. 216 217
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P. [sic] Ringen mit dem Problem des Gesetzes wird verständlicher, wenn man von einem – in seiner Berufungserfahrung angebahnten – theol[ogischen] Paradigmenwechsel ausgeht, in dem der gekreuzigte und auferstandene Christus an die Stelle der Tora rückt.222
Die paulinische „Ekklesiologie“ – spätestens hier greift Vollenweider ganz massiv auf die spätere dogmatische Terminologie zurück – versteht er von der Teilhabevorstellung her. Wichtig sind die Bemerkungen zu der gegenwärtigen Forschung zu Vereinswesen und Patronage sowie die Zurückhaltung gegenüber Vorstellungen von einem „theopol[itischen] Programm“ bei Paulus.223 Vollenweider schließt mit einigen Überlegungen zu Ethik und eschatologischer Hoffnung, in denen er eigene Akzente setzt.224 Vollenweiders Artikel zeigt eindrücklich, wie die neutestamentliche Exegese der letzten Generation vielfältige neue Fragestellungen, Anregungen, Konzepte und Erklärungsmodelle aus der Judaistik, den Altertumswissenschaften, den Human‑ und Kulturwissenschaften insgesamt aufgenommen hat und weiter verfolgt. Zusätzlich haben cultural turn und „Rezeptionsgeschichte“ ein neues Methodenbewusstsein und ein erhöhtes Reflexionsniveau geschaffen, das synthetische Darstellungen, wie sie Bousset und Bultmann jeweils auf ihre eigene Weise vorgelegt haben, erschwert. Vollenweider selbst sucht eine Synthese einerseits in einem neuen Rückgriff auf die Person des Paulus, zum andern in seiner christozentrisch verstandenen Konstruktion der paulinischen Theologie. Für beide Bereiche rechnet er mit Dichotomien und Brüchen. Das „kontroverse Potential“, das Vollenweider zurecht bei Paulus findet, muss neu mit diesen Brüchen und Dichotomien in Relation gesetzt werden.
3. Rückblick und Ausblick Die zahlreichen methodischen und theoretischen Neuansätze aus der Zeit G. Bornkamms und aus der aktuellen Diskussion, wie sie S. Vollenweider zusammenfasst, zeugen von der großen Dynamik der Paulusforschung im letzten Jahrhundert. Daneben stehen die bleibenden Aufgaben und die unerledigten Fragen, auf die ich in einem kurzen Rückblick und Ausblick eingehen will.
A. a. O., 1050. A. a. O., 1052. 224 Mit Lindemann weist er auf das Fehlen Tora-orientierter ethischer Vorschriften hin (a. a. O., 1051), bei der Eschatologie betont er nochmals die Bedeutung der Apokalyptik (a. a. O., 1052). 222 223
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3.1 Boussets Themen Drei Themenbereiche, die bereits W. Bousset am Anfang des letzten Jahrhunderts im Kontext der Religionsgeschichtlichen Schule akzentuiert hat und die durch Bultmanns Existentiale Interpretation der Theologie des Paulus unterdrückt wurden, müssen neu und verstärkt bearbeitet werden: die Rolle (1) der Person des Paulus, (2) seiner Religion oder Religionen und (3) der Kultur oder der Kulturen, denen er angehört. Paulusforschung ist und bleibt so gesehen in erster Linie ein Unternehmen der historischen Interpretation von Texten – Paulustexten, zeitnahen Texten, die sich auf Paulus berufen oder von ihm berichten, und Texten, die uns die kulturelle und religiöse „Matrix“ des Paulus, um den glücklichen Terminus Vollenweiders zu benutzen, erschließen. Während die Konzepte von Kultur/Kulturen und Religion/Religionen für Paulus in ständiger exegetischer Diskussion und im Austausch mit Kultur‑ und Religionswissenschaft weiterentwickelt werden, wird das wichtigste Thema Boussets, die Person des Paulus, aber kaum behandelt.225 Neue historisch-biographische, literatur‑ und kulturwissenschaftliche Konzepte nicht von „Persönlichkeit“, sondern von „Person“ müssen hier erprobt und verbessert werden, denn Paulus ist, wie Vollenweider richtig betont, eine der am besten bekannten Personen der römischen Kaiserzeit. Dies lässt sich der gegenwärtigen Paulusforschung aber kaum entnehmen. Da wir vorwiegend autobiographische Zeugnisse von ihm besitzen, die zugleich literarische und rhetorische Qualität haben, muss die Autobiographieforschung ebenso herangezogen werden wie bereits die Epistolographie und die Rhetorik, zumal auch und gerade die autobiographischen Texte des Paulus rhetorisch konzipiert sind226 und in brieflich-situativen Zusammenhängen erscheinen. Es werden neben den bekannten „Selbstzeugnissen“ Texte wie 1 Kor 9,19–23 sein, die neu interpretiert werden müssen. Hier liegt das Potential einer „neuen“ Paulusinterpretation, die – um noch einmal mit Vollenweider zu sprechen – sicher ebenso kontrovers sein wird, wie Paulus sich selbst den Korinthern in verwirrender und paradox scheinender Weise jenseits und außerhalb der Kategorien seiner eigenen jüdischen und ihrer eigenen (überwiegend) heidnischen Kultur präsentiert: Ich bin den Juden wie ein Jude geworden (er ist Jude!), denen unter dem Gesetz wie unter dem Gesetz (er ist nicht unter dem Gesetz!) und den Gesetzlosen wie ein Gesetzloser (er ist ἔννομος Χριστοῦ!).
225 Vgl.
zum Thema E.-M. Becker, „Person“, 187–204 (Lit.); dies., „Person“, 128–134. diesen Zusammenhängen vgl. noch einmal die Fragestellung, die Einführung (E.M. Becker) und die Einzelbeiträge in: Becker/Pilhofer (Hg.), Biographie. – Zum Vergleich siehe die entspannte und selbstverständliche Art, in der W. Dahlheim die Persönlichkeit des Augustus am Ende seiner großen Biographie zeichnet: W. Dahlheim, Augustus, 385–405. Hier finden wir etwas von der Art wieder, mit der Bousset Paulus gezeichnet hat. 226 Zu
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Paulus entwirft seine Person, sich selbst, jenseits fester ethnisch-ethisch-religiöser Bindungen und in grundsätzlicher Distanz zu ihnen: in einer Art utopischer Existenz, oder besser: in „der neuen Schöpfung“. Auf der anderen Seite verliert er nach Gal 2,20 sein „Ich“, seine Person in Christus: Ich lebe nun nicht mehr als ‚ich‘, sondern es lebt in mir Christus.227
Ebenso wichtig wird daneben eine kritische Neuinterpretation von Texten wie 1 Kor 9,1 sein: Habe ich nicht Jesus unsern Herrn gesehen?
Paulus gründet hier seine Existenz als Apostel und sein apostolisches Zeugnis, sein Kerygma und seine Autorität auf eine individuelle Erfahrung. Auch und gerade in den „Traditionstext“228 1 Kor 15,8 bringt er als Spitze des Arguments seine eigene Erfahrung ein, verbunden mit einer paradoxen Verbindung von Selbsterniedrigung (ἔκτρωμα) und Selbsterhöhung (V. 10). 3.2 Bultmanns Thema Hat Vollenweider Themen wieder aufgenommen, die Bultmann verdrängt hatte, so ist es ebenso wichtig, das große Thema Bultmanns, die „Theologie“ des Paulus, neu aufzugreifen, das bei Bornkamm und Vollenweider schrittweise zurücktrat bzw. erst im Neuaufbau begriffen ist. Die New Perspective hat nicht nur die Notwendigkeit deutlich gemacht, unsere historische Rekonstruktion des antiken Judentums neu zu konzipieren, sondern darüber hinaus das Bultmannsche Modell einer theologischen Exegese selbst in Frage gestellt. So haben auch alle Artikel gezeigt, dass für Paulus die Christologie, d. h. seine neue Welt‑ und Menschendeutung seit der Auferweckung Jesu und seinem sogenannten Damaskuserlebnis einerseits im Zentrum seines Lebens und Denkens steht und andererseits ihre Darstellung besonders schwierig ist. Hier scheint die größte Herausforderung für die Paulusforschung zu liegen, solange „Paulus“ nicht nur ein historisches, sondern auch ein theologisches Thema der neutestamentlichen Disziplin im Rahmen der Theologie ist.229 Eine letzte Frage sei hier angeschlossen. Blickt man auf die führenden Paradigmen der Paulusinterpretation des zwanzigsten Jahrhunderts zurück, so ist eines von Anfang an sehr deutlich: Keines dieser Paradigmen und keiner der Neuansätze war noch direkt oder gar ausschließlich durch den Ansatz der Theo Vgl. dazu O. Wischmeyer, „‚Heimat‘“, 576–582. dazu O. Wischmeyer, „‚Traditions‘“, 177–189. 229 Ein Votum für einen „christozentrischen“ Ansatz (Vollenweider) kann nur einen Anfang darstellen. 227
228 Vgl.
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logie Luthers geprägt.230 Die vor allem amerikanisch geprägte Wahrnehmung, die bei Krister Stendahl231 dargestellt und von ausgezeichneten Paulusforschern wie Daniel Boyarin232 immer noch wiederholt wird, ist ein polemisches Konstrukt. Die „Gesprächspartner“ der protestantischen deutschsprachigen Paulusforscher, um ein Bild von Margaret M. Mitchell233 aufzugreifen, waren bereits andere: Die religionsgeschichtliche Schule war historisch und biographisch-religionspsychologisch ausgerichtet.234 Ihre Gesprächspartner waren die Texte der hellenistisch-römischen Religion in der Interpretation der Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule. Bultmann arbeitete primär mit den Kategorien der Heideggerschen Existenzphilosophie, aus denen er seine eigenen theologischen Kategorien und ihre Struktur entwickelte.235 Die New Perspective wählte die frühjüdischen Texte zu ihren Gesprächspartnern und wirkte an dem neuen Bild vom antiken Judentum mit, in das dann Paulus – im Ergebnis durchaus kontrovers – eingezeichnet wurde. Bornkamms theologischer Gesprächspartner war in erster Linie noch Bultmann, daneben traten bereits zahlreiche deutschsprachige und angelsächsische Exegeten, so dass sich eine Art internen exegetischen Diskurses entwickelte. Bei Vollenweider ist der Dialog mit den exegetischen Kollegen ausgeweitet und die Diskussion mit den Vertretern der Humanwissenschaften sowie der neuen Philosophie eingeleitet. Daneben findet sich – anders als bei Bultmann – eine selbstbewusste236 Art von selbstverständlichem und nicht diskutiertem Rückgriff auf die Sprache und Terminologie der christlichen Theologie und speziell der Dogmatik, die gleichzeitig mit kulturwissenschaftlichen Begriffen benutzt wird.237 Hier wird mehr Reflexion und neue Arbeit notwendig sein. Die Frage heißt daher: Welche Gesprächspartner will sich die zukünftige Paulusforschung suchen, und in welcher Form will die Paulusforschung das bleibende Thema Bultmanns, die Theologie des Paulus, unter den Bedingungen von Kultur‑ und Humanwissenschaften neu konzipieren? So sehr die vier RGG-Artikel über Paulus den Diskussionsstand ihrer Zeit nicht nur spiegeln, sondern auch mit gestalten und damit selbst zu wichtigen und kaum zu überbietenden Wegmarken der Paulusforschung geworden sind, so sehr bleibt die Aufgabe der Paulusdeutung unabgeschlossen.
Das gilt auch für R. Bultmann, „Paulus“. K. Stendahl, Paul. 232 D. Boyarin, Jew. – Zum Nachleben dieser These in students’ books vgl. Anm. 132. 233 M. M. Mitchell, „Paulus“, 12. 234 O. Merk, „Persönlichkeit“, 29–45. 235 Hier wird deutlich, inwiefern Bultmanns Ansatz keine Wiederholung der Theologie Luthers war, sondern in besonderer Weise zukunftsweisende Valenz besaß. Er sprengte im Gegenteil die Koordinaten einer bloß historischen Rekonstruktion ebenso wie die enge Bindung an die (lutherische) Dogmatik. 236 S. Vollenweider, „Paulus“, 1046. Vgl. Anm. 213. 237 Ebd. 230 231
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In der kritischen Rückschau auf die vier Paulusartikel der RGG ergibt sich folgender Ausblick: Die aktuelle Frage der Paulusforschung ist die nach den Gesprächspartnern, die sich die zukünftige Paulusforschung suchen will. Will sie stärker zur systematischen oder biblischen Theologie zurückkehren? Will sie die Perspektive und die Kategorien der allgemeinen Kulturwissenschaften verwenden? Sollen die Judaistik und/oder die antike Kulturwissenschaft Hauptgesprächspartner bleiben? Die aktuelle Aufgabe kann eine doppelte sein: (1) das bleibende Thema Boussets: die Person bzw. die Persönlichkeit des Paulus und ihre historische Wirkung, (2) das bleibende Thema Bultmanns: die Neukonzeption der Theologie des Paulus in Auseinandersetzung mit und unter den Bedingungen von Kultur‑ und Humanwissenschaften.
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3. Paul: A Homo Novus? Adolf Deissmann’s Interpretation of Paul Revisited* The reflections presented in this essay fall within the framework of intellectual history1 and belong in the larger nexus of the question of the intellectual portrait of Paul. Here, I take up Adolf Deissmann’s interpretive category homo novus and investigate the possibilities that this interpretive category offers for an interpretation of Paul beyond the construction of a “theology of Paul.” The linking of the intellectual portrait of Paul with the homo novus theme assumes the perception that in essential spheres Paul thinks and acts innovatively rather than in a traditional manner and must to a great extent independently develop or – as one likes to say today – invent his religious, literary, and political role as well as his world interpretation. Thus, the object of my investigation is the intellectualinnovative element in Paul. Concepts of interpretation for the “intellectual Paul” have scarcely been tested. The reason for this is easy to see. The aspect of theoretical reflection and the development of interpretive patterns2 is predominantly handled under the rubric of the “theology” of Paul and thus apprehended entirely from the thematic or material dimension – that is, from the structures and patterns of meaning formation or world interpretation.3 Here the intellectuality of Paul is coextensive with his theology as the construction of a religiously founded system of world interpretation. That the theological thinking of Paul is the most foundational expression of his intellectuality is uncontested.4 There are, however, three aspects that cannot be described in this concept of Paul as a theological thinker – the communicative quality, the innovation, and the individuality of Paul’s thinking in comparison to the different intellectual contexts in which Paul lived and * This essay was translated by Wayne Coppins and Christoph Heilig. 1 To a greater extent than the history of ideas, intellectual history is interested in the historical and social contexts of ideas and especially focused on political ideas. For an introduction cf. D. Kelley, Descent. For an older foundational work, see D. LaCapra/S. Kaplan (ed.), History. 2 Schnelle consistently speaks of “meaning formation” (so, e. g., U. Schnelle, Paulus, 10–16, 658–664; Paul, 34–40, 598–603). 3 Cf. only Schnelle, who presents “The Basic Structures of Pauline Thought” under the key terms of Christian dogmatics (Paul, 387–597; Paulus, 417–657). 4 So also R. Bultmann, “Paulus”; idem, “Paul.” On this cf. O. Wischmeyer, “Paulusinterpretationen.”
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acted. Thus, what can be called – in an anticipation of later Christian reflection – “theology of Paul” will always be, to a considerable extent, construction5 on the basis of the categories of later Christian dogmatics, as Michael Wolter has rightly stressed again.6 The intellectuality of Paul as a pre-systematic and pre-dogmatic form of thinking cannot be adequately portrayed in this construction.
1. Adolf Deissmann, Paul as Homo Novus (1) As is well known, the homo novus concept does not refer in the first instance to Paul, and it was not explicitly used by him. Rather, it has its place in the history of the Late Republic, especially in Cicero. But what can Paul – the ἀπόστολος ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ from Tarsus, who probably met his death under Nero7 – have to do with Cicero – the homo novus from Arpinum, the consul of 63 bce, who was murdered in 43 bce? To understand how it was possible for the homo novus concept to be related to Paul, we will first take a look at the history of Pauline exegesis. For if we are to speak of Paul in the framework of the homo novus concept associated with Cicero, mention must be made of Adolf Deissmann,8 one of the leading New Testament scholars within the extended circle of the history of religion school.9 The theologian Deissmann (1866–1937) was Professor of New Testament in Heidelberg and Berlin, rector in Berlin from 1930– 31, founder of the Heidelberg Eranos together with the classical philologist and historian of religion Albrecht Dieterich (1904),10 distinguished as epigraphist, papyrologist, and philologist of New Testament Greek and the author of the famous work Licht vom Osten (Light from the Ancient East),11 promoter of the excavations in Ephesus,12 as well as member of the German Democratic party 5 This construction is a hermeneutical necessity in order to make possible the understanding of Paul’s situational and communication-guided thinking and argumentation in new contexts. It stands in the service of theological and ecclesial questions that starts from the writings of the New Testament. 6 For the systemic aspect of this presentation cf. M. Wolter, Paul, 2: “If … one wants … to attempt a presentation of Pauline theology, it is necessary to construct from the theological statements of the letters, by way of an abstracting and systematizable restructuring, a context of meaning that is in itself coherent and plausible” (cf. M. Wolter, Paulus, 2). To be sure, the question remains of whether the “theology” of Paul was, in fact, coherent and plausible. Wolter attempts to convey this aspect with his special organization of the material, cf. Paul, 3–6; Paulus, 3–6. On this see, with further nuances, O. Wischmeyer, “Themes.” 7 On this see now M. Marotta, “Death.” 8 Cf. the extensive study of A. Gerber, Deissmann. 9 Cf. O. Eissfeldt,“Schule”; F. Hartenstein/H. D. Betz, “History.” 10 On this see A. Deissmann, “Selbstdarstellung.” 11 A. Deissmann, Licht (references are to the fourth ed.), engl.: Light. On the work and its influence in the English-speaking world, see A. Gerber, Deissmann, 48–59. 12 On this see A. Gerber, Deissmann, 155–206.
3. Paul: A Homo Novus?
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in close connection to Friedrich Naumann,13 and active in politics, society, and church as a leading ecumenical figure14 together with Nathan Söderblom and George Bell – this extremely multifaceted and active Deissmann designated Paul as homo novus. Eve-Marie Becker15 has recently drawn attention again to the opening passage with which Deissmann introduced his 1911 monograph on Paul: An Anatolian, Paul, a man of the ancients, a homo novus, rising from the mass of the insignificant many, heeded by no man of letters among his pagan contemporaries, yet destined to be a leading personality in the world’s history; a homo religiosus, at once a classic of mysticism and a most practical man of affairs; a prophet and dreamer, crucified to the world in Christ, yet for ever memorable as a citizen of the world and traveler in it, and still moulding the world at the present moment …16
When we read the exalted language built upon antitheses as what it is – namely, an expression of academic rhetoric and scholarly pretention of the “mandarins” of the late Wilhelminian period, on the one hand, and of great personal enthusiasm, on the other hand – then, beyond the rhetoric, we nevertheless encounter the academically, politically, and ecumenically active Deissmann, who is sensitive to the different aspects of the figure of Paul in a special way. Substantially we find the two central interpretive categories – homo novus and homo religiosus. I will briefly examine them both. (2) They are – like most interpretive categories – “borrowed.” As mentioned already, the homo novus concept or, at least, the corresponding formulation goes back not to Paul but to Cicero.17 To summarize in a very simplified manner, when Cicero refers to himself as homo novus, he draws attention to the fact that he, as the first non-member of the nobility, has obtained the highest offices of the republic.18 The fact that Deissmann nevertheless characterized Paul – a Jew from the early imperial period who lived and acted in a completely different historical, political, and social-historical environment than Cicero – as a homo novus can be explained with reference to Deissmann’s combination of his social-historical view of emerging Christianity with his history-of-religion shaped understan ding of personality.19 Here the social pathos of the religion of the poor, of the “small people,” of the groups on the margins, of the uneducated, of the lower strata, of the slaves – regardless of how the social-historical reconstruction is On this see A. Gerber, Deissmann, 209–245. On this see A. Gerber, Deissmann, 283–341. 15 E.-M. Becker, “Person.” 16 A. Deissmann, Paul, viii; Paulus (1911), v; Paulus (1925), ix. 17 The homo novus concept is closely associated with the social history and political history of the late Roman Republic. I will not enter into the discussion of whether we are dealing at all with a concept in Cicero or rather only with a well-chosen ad hoc term. E. Badian, “Homo novus,” 740: “A term used in the late Republic […] for the first man of a family to reach the Senate […] and in special sense for the first to attain the consulate.” 18 Cicero, Agr. 2.3. 19 On this cf. O. Merk, “Persönlichkeit.” 13 14
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accented in the details – stands in the background20 in connection with the concept of personality of the great religious hero, which was cultivated by the history of religion school. Tertium comparationis is the phenomenon of the social climber, of the achiever, of the great shaper, of the religious and political-social dynamic of the individual who works himself up without help. To this one can add the fact that Deissmann could use the category of “the new” for his interpretation of Paul also independently of the social-historical connection, namely, in the history-of-religion sense. Deissmann understands Paul from a social-historical and history-of-religion perspective as homo novus – not, however, in the sense of Cicero and in the context of the cursus honorum of the Roman Republic but in the individualized sense of the social climber.21 In doing so Deissmann detaches himself at a decisive point from the concept of Cicero, when he neglects the important aspect that the homo novus in the Ciceronian sense does not regard the new as something positive but rather as a category that has to be overcome, since he longs precisely for integration into the existing social and political structures.22 Thus, Deissmann uses the homo novus concept in a very independent and selective manner and adapts it to what he finds in Paul.23 Nevertheless, it remains the achievement of Deissmann – with his unorthodox and metaphorical interaction with the homo novus concept of Cicero – to have directed attention to aspects of the person and activity of Paul that are disclosed by neither a theological nor a history-ofreligion perspective. (3) At first glance the interpretive category homo religiosus, which Deissmann probably formed by analogy to homo novus, appears to be a more natural fit for an interpretation of Paul. However, when one looks more closely, it becomes apparent that the interpretive category homo religiosus belongs to the concept of religion of the history-of-religion school,24 which wanted to understand religion as an independent anthropological entity. Deissmann very consciously used the term religion so that he could describe the elements of personal experience and 20 Cf. A. Deissmann, Urchristentum. On this topic cf. most recently the critical assessment of A. Weiss, Elite. 21 Cf. A. Deissmann, Paul, 77: “Through the inexhaustible springs of the power of personality that was in him, this homo novus, Paul, standing in his own place, amongst the common people of the ancient world, rises high above the mass that surrounded him. Yes, his figure rises, too, above his famous contemporaries who sprang from the upper class. There is no single person of Nero’s days who has left such permanent marks on the souls of men as Paul the homo novus,” Paulus, 63. 22 For the question of whether Paul with his sustained claim to be “apostle of Jesus Christ” in the sense of the last witness of the resurrected Christ does not seek, after all, to overcome his “new-ness” in an analogous manner to Cicero, see below. 23 As a whole Deissmann works closely with the texts and epigraphical and papyrological witnesses without special interest in a strict terminology. 24 Cf. A. Deissmann’s connection to scholars such as Albrecht Dieterich.
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mysticism in the letters of Paul.25 By contrast, in the current religious studies discussion – insofar as this is still determined by paradigms such as those of the Handbuch der religionswissenschaftlichen Grundbegriffe26 – the concept of “religion” is used only with great reserve or in a historically nuanced manner.27 At the same time, however, the last generation of scholarship has already redefined the importance of religion for ancient cultures, so that ancient cultures can no longer “be adequately understood without their religious dimension” – so the Bochum ancient historian Bernhard Linke in his introduction to Die antike Religion.28 Linke describes the phenomenon of Greco-Roman religion very pragmatically under the following aspects: sacral powers, sacral rituals, sanctuaries, and priests. In general, the political or polis-related dimension of religion is strongly emphasized in the history of ancient Greco-Roman religion. However, a private, individual, or personal component, as Deissmann rightly presupposes it for Paul, is lacking also in this current conception.29 At the same time, the task of understanding Paul as homo religiosus is more complex than it may appear according to Deissmann’s formula. While Paul lived in a world that was shaped by Greco-Roman religion and its almost infinite regional variants, as a Jew he did not belong to it. Two aspects are connected with the fact that he belonged to the Judaism of his day.30 First, Paul is located in a firm ethical-religious framework, in which, 25 So
already in his habilitation thesis: A. Deissmann, Formel. For the current view of mysticism in Paul cf. R. v. Bendemann, “Christusgemeinschaft.” See further D. Marguerat, “Paul”; G. Theissen, “Paulus.” The specific formulation homo religiosus, which Deissmann chose in parallel to homo novus, was conceptually developed later by Mircea Eliade in his anthropology of religion. On this see in detail J. A. Saliba, “Homo religiosus” in Mircea Eliade. 26 H. Cancik/G. Burkhard/M. Laubscher (ed.), Handbuch. The Handbuch interprets religion in the framework of cultural studies and sociology. Here, the turn from the anthropology of religion, which understood religion as an anthropological constant, to the sociology and ethnology of religion is implemented and appraised, and the phenomenon of religion is interpreted as a particular aspect of culture. 27 For ancient religion cf. now, as an introduction, B. Linke, Religion, who introduces the history of scholarship and provides a very extensive and detailed bibliography (63–146). 28 B. Linke, Religion, 2. 29 For the connection between social history and the significance of the personality in the history of religion school, cf. O. Eissfeldt, “Schule,” 1900: “… the history of religion school readily investigates the environment of the great religious heroes, the ground upon which they grew up. It does not, however, lose the view for the significance of the personality. Rather, it remains mindful of the fact that precisely in religion gifted individuals have leadership …” A new view of the “religious individual” in the context of group identity is made possible by J. Rüpke, “Groups.” Rüpke summarizes: “By replacing an essentialised concept of ‘traditions’ or even ‘religions’ by a complex model of collective identities of individual agents and the agency that is attributed to them in a situation we are able to analyse processes of the formation of religious groups in their different paths and varying strength” (5). 30 In contrast to Acts (21.39 and elsewhere), Paul himself is extremely reserved in his use of the term ᾿Ιουδαῖος. In Gal 2.15 he designates himself and Peter as φύσει Ἰουδαῖοι. He never designates himself as ἀνὴρ Ἰουδαῖος (cf., however, the pronounced self-designation as ἀνὴρ
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I. Forschungsstand
alongside the general-ancient aspects, certain group-specific phenomena, including the physical and ritual demarcation from all other religions, play the decisive role: temple-, land-, and Jerusalem-theology, covenant theology (with the identity markers of circumcision, Sabbath observance, and food and purity laws), monotheism, “Holy Scripture”/“Law of Moses,” the study of the Scriptures, festivals, synagogal assembly, and a life according to the commandments of Scripture – and this means an ethics and practical way of life that were grounded in the religion of Israel. Second, the Judaism of the Second Temple to which Paul belongs is defined by an extremely complex ensemble of ethnic, religious, and cultural characteristics in which religion is only one factor among others – though an absolutely fundamental one.31 For this reason, current scholarship does not investigate “the Jewish religion” but rather the historical phenomenon of ancient Judaism as the construction of a distinct ethnos, which lives “according to the ancestral laws,”32 which also and first and foremost include what can be called “religion.” In this perspective Paul is a member of the ἔθνος ᾿Ιουδαίων and not merely a member of the Jewish religion or simply a homo religiosus. The strong, indeed one-sided emphasis on the mystical and thus at the same time subjective and individualized element of the Pauline “religion” in Deissmann underestimates the institutional, ritual, and moral (devoted to the concrete way of life) aspects of what he calls “religion” in Paul. Nevertheless, the interpretive category homo religiosus is illuminating. Paul is what can perhaps most fittingly be called a “religious agent,” that is, someone who devotes his whole life not only to the study but to the institutional propagation of “his” religion – first as a Pharisee and authorized delegate of the Jerusalem religious authorities and then as self-proclaimed authorized delegate of the kyrios Jesus Christ. The classification as religious virtuoso definitely does not fit Paul, but the category of religious functionary probably does.33
Ἰουδαῖος in Acts 22.3; cf. Acts 21.39). In 1 Cor 9.20 he stresses his distance to his – ethnically viewed – Jewish identity. In Gal 1.13 he speaks of his “way of life in Judaism.” In Phil 3.5–6 and Rom 11.1 and 2 Cor 11.22 he designates himself as Ἰσραηλίτης or ῾Εβραῖος. Cf., by way of introduction, J. Frey, “Jewishness.” Foundational and unsurpassed remains M. Hengel, “Paulus,” engl.: Paul. While Deissmann does not overlook the fact that Paul is rooted in Judaism but rather gives it an extensive and balanced presentation (Paulus, 67–89; Paul, 85–110), he does not adequately connect it with the general concept of religion. However, if one had paid attention to statements by Deissmann, such as his dictum: “To the end Paul remained a pious Bible-Jew, a Septuagint Jew” (Paul, 99; Paulus, 79), many subsequent asseverations of the content “Paul was a Jew” would have been unnecessary. 31 Cf. the introduction (and bibliography) of J. J. Collins, “Judaism.” Collins avoids the term “religion” and consistently speaks of “Early Judaism.” “Religion” does not appear as a headword in The Eerdmans Dictionary of Early Judaism (EDEJ). 32 This is consistently the main argument of Josephus. 33 K. Waldner, “Märtyrer.”
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2. Paul as Self-Made Man (1) It has become clear that Deissmann’s social-historical and history-of-religion or religious studies classification of Paul cannot simply be repeated in our contemporary research context.34 Nevertheless, a new reading of Deissmann points to a category that has largely been lost to Pauline interpretation since the end of the history-of-religion school35 and has not been regained or further developed by the group- and institution-related social-historical Pauline interpretation of the last generation: the social-historically accented category of the individually acting social climber – designated as homo novus by Deissmann, understood as a religious, political, and literary self-made man, who creates his own environment in each case and is not so much a recipient of religious traditions as he is a producer of new world interpretations. Self-Made man in religious-political-literary perspective: how can these three aspects be concretized? Let us turn first to the literary aspect. This aspect receives contours for Paul when it is placed in the context of scholarship on person36 and author37 conceptions, more precisely in the context of the selffashioning of authors in the framework of ancient religious literature, and here, more precisely, in the context of the specific social and cultural dynamic of philosophical-religious literature in the imperial period.38 Understanding Paul as homo novus in the area of literature makes it possible to overcome the conventionally narrow, exclusively text-related themes of the argumentation, rhetoric, and epistolography of the Pauline letters39 and to describe Paul as an in34 Thus, this aspect, “Paul in the context of Greco-Roman religion” is not treated, for example, in F. W. Horn (ed.), Paulus Handbuch. 35 For the quickly disappearing influence of the works of Deissmann after his death cf. A. Gerber, Deissmann, 343–365. Gerber appears to underestimate the influence that Bultmann’s theology with its strictly theological approach to Paul began to exercise and that caused approaches such as those of Deissmann, which suffered under terminological imprecision, to appear obsolete. 36 See E.-M. Becker, “Person.” 37 O. Wischmeyer, “Paulus als Autor.” 38 Especially the work of Plutarch. On the religious dimension of philosophical literature in the late republic and early imperial period see very generally U. Schnelle, “Christentum,” 113– 143: “All great thinkers in the temporal environment of the New Testaments were theologians (e. g. Cicero, Philo, Seneca, Epictetus, Plutarch, Dio Chrysostom). This is not surprising, since every significant system of Greco-Roman philosophy climaxed in a theology” (135). This judgment applies when one understands “theology” in the broadest sense of speech about God or the gods. 39 Here, reference must again be made to Deissmann. His thesis that Paul was “not epistolographer but letter writer” (Paul, 12; Paulus, 9), and his verdict about the “unliterary character of Paul’s letters” (Paul, 12; Paulus, 9) are connected with his social-historical classification of Paul. Deissmann’s observations (further developed in A. Deissmann, “Prolegomena”) remain important and cannot simply be set aside in favor of an upgrade of Pauline education. On the other hand, Romans at least – as Jewett’s commentary (Jewett, Romans) shows – is not to be
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I. Forschungsstand
novative producer of religious literature. For this nexus, religious studies scholar Jörg Rüpke has coined the slightly provocative expression “religious (small) businessmen” as a designation for religious authors.40 This not only means that Paul stands at the very beginning of the literature of the Christ-confessing communities within the imperium Romanum in the early imperial period but also that he always reinterprets his own person in his community letters and sets forth his own author conception and an epistolary hermeneutic.41 The political-institutional aspect in the portrait of the homo novus Paul cannot be regarded highly enough. As a missionary, Paul was certainly not a small businessman – even though the ἐκκλησίαι that he founded may have been small. Rather he thought and acted in the greatest conceivable sphere, the imperium Romanum, which he himself understood as his domain of activity and for which he claimed to take responsibility. In his self-claim the closest comparison in this regard is to a provincial governor, a general, and ultimately to the emperor himself.42 Within this framework the interpretation of Paul as a diaspora-Jewish homo novus, who moved about in the Roman Empire with great naturalness, is especially convincing. Something analogous applies to the third and at this point most important aspect of the person and activity of Paul – the sphere of religion or, more specifically, of the interpretation of religion, of theology. Paul as homo novus et homo religiosus can be constructed beyond the currently predominant alternative between conceptualizing him as either the first Christian theologian or as an early Jewish religious thinker.43 (2) For the three aforementioned fields of activity both demarcations and new ascriptions can now be identified. First, there are clear demarcations. Paul was not a littérateur – which also applies, by the way, in different ways to Cicero, characterized as the product of a “letter writer”: Deissmann’s epistolographic reflections must be readjusted. 40 J. Rüpke in the flyer for the conference “Die Stimme des Autors. Religiöse Innovation in hellenistisch-römischer Zeit. Authorial voices and religious innovation in Hellenistic-Roman times: From ben Sira to Tertullian,” May 20–22, 2015, Max Weber Kolleg Erfurt. 41 E.-M. Becker, Schreiben; eadem, “Paulus.” 42 Cf. M. Hengel, “Paulus,” 201–202; O. Wischmeyer, “Mission.” 43 Two prominent examples: In 1992 H. D. Betz wrote as the opening sentence to his great Paul article in the Anchor Bible Dictionary: “Paul … An early Christian apostle who was perhaps the most important and creative figure in the history of the early Church, whose formulations of Christian faith as expressed in his epistles to fledgling churches have become part of the foundation for orthodox Christian theology” (H. D. Betz, “Paul,” 186). By contrast, N. T. Wright expresses the following judgment in 2013: “The first move in my overall hypothesis, then, is to propose that Paul remained a thoroughly Jewish thinker … This opening (theological) move is correlated with my basic (historical; an earlier generation would have said, ‘religio-historical’) assumption about where Paul stood in relation to the thought-worlds of his day. Like many other Jewish thinkers of his and other days he radically revised and rethought his Jewish tradition (in his case, the viewpoint of a Pharisee) around a fresh understanding of the divine purposes, thus gaining a fresh hermeneutical perspective” (N. T. Wright, Paul and the Faithfulness of God, 609; cf. O. Wischmeyer, “Hermeneutics,” 86–88).
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Philo, Seneca, and Plutarch. He also did not aim to become part of what can be described – with Eve-Marie Becker – as the beginning of early Christian literary activity.44 Similarly, he was not a politician, nor did he seek political offices and political influence in the imperium Romanum, nor did he want, conversely, to subversively transform it.45 We do not know whether he even thought – or could think – in the categories of the Roman cursus honorum. And he was not a founder of a religion and certainly did not want to establish a new “world religion.” And yet – so the new ascriptions – he acted de facto as an author and as the first and most important cause of that new early Christian form of literary activity, of early Christian letters, which begins with him and is continued by the so-called “Pauline school”46 and copied by other early Christian authors, who felt obligated to the first apostles.47 Further, he acted at the same time in some sense politically or at least within a political horizon, namely, as a founder of new social bodies that he called ἐκκλησίαι.48 He also acted as a mission strategist who did everything – thought, wrote, successfully acted, lived his life49 and met his death – on the scale of provinces and the imperium.50 Thus, in his self-claim and vita the homo novus Paul is not as far from the homo novus Cicero as it first appears. A new ascription also applies to the third aspect – the new interpretation of what Deissmann could still relatively easily call the “religion” of Paul. Current scholarship on Paul is largely in agreement in no longer seeing the element of “the new” in Paul in the establishing of the new religion of Christendom and in assigning him to a so-called primitive Christianity: Paul is not simply “Christian” in the sense of the old catholic church. And when the important Pauline scholar Udo Schnelle – with reference to William Wrede, another important 44 On
this see E.-M. Becker, “Activity.” the so-called fresh perspective on Paul (N. T. Wright). 46 On the problems of a “Pauline school,” cf., by way of introduction, J. Herzer, “Paulusschule.” The fact that the letters of Paul so quickly gave rise to sequel-literature (Nachfolgeliteratur) is a substantial example for the general thesis that Paul as homo novus was not so much a reproducer as a producer who generated something like his own literary scene. 47 Catholic Epistles. 48 Cf. the significance that Deissmann assigns to this term: Light, 112–113; Licht, 90–91. For the actual discussion and the meaning of the term cf. J. Eyl, “Voids.” Eyl rightly polemicizes against the English translation of ἐκκλησία with “church.” However, her thesis that Paul refers to the “‘day of the ekklesia’ in the Septuagint, when God’s people gathered at Sinai/Horeb” and thus made “quasi-Judeans out of gentiles” (315) belongs in the vicinity of the radical perspective, which overlooks the innovation in the Pauline conception of religion. 49 Jewett’s interpretation of Romans as an “ambassadorial letter” is important in this context: R. Jewett, Romans, 42–46; cf. especially Jewett’s nuanced concluding sentence: “While none of these details proves that particular letter like Romans fits the ambassadorial type, they serve to sustain the suggestion that the use of such rhetoric would be a natural expression of Paul’s self-identity” (46). 50 On this see F. W. Horn (ed.), Ende. 45 So
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I. Forschungsstand
representative of the history of religion school alongside Adolf Deissmann and Wilhelm Bousset51 – introduces Paul at the beginning of his substantial monograph on Paul as the one who “created something enduringly new: Christianity as a world religion,”52 then he makes recourse to liberal theology53 and the history of religion school in a linguistically not very fortunate way. Against this one must uphold a demarcation from both older and more recent research paradigms. Against older interpretations Paul cannot simply be described as a “Christian” let alone as the founder of Christianity,54 especially since he himself does not use the designation Χριστιανός, which was probably created by Roman officials for the Christ-confessing community in Antioch.55 On the other hand, a similar demarcation also applies to the so-called new perspective and the so-called radical new perspective, whose representatives place Paul in different ways entirely within Judaism.56 Against this view, the new ascription must take the following into account: Paul is not simply a Jew who understands himself as the founder of a new Jewish αἵρεσις or philosophy alongside Pharisees – he was, after all, himself a Pharisee – and Sadducees as well as Essenes and the so-called (by Josephus) “foreign” fourth philosophy of the Zealots.57 At the same time, he does not leave “Judaism” but claims a new status. Paul himself does not have a term for his new status.58 Rather, he uses different linguistic phrases that express his attachment to Jesus as Christ – apostle of Jesus Christ, servant of Jesus Christ, being “in Christ.”59 On multiple occasions he finds a paradoxical or mysticizing terminology: “I live, but no longer I but Christ lives in me” (Gal 2.20); “For to me to live is Christ” (Phil 1.21). (3) The added value of the interpretive category homo novus in specific connection with the interpretive category homo religiosus lies in the possibility of bundling different important aspects of Paul’s activity – his going from Judaism into a new religiously based world interpretation that he entirely alone seeks to define for the first time, his self-acquired predominant position in the new 51 W. Wrede,
Paul. Paulus, 1, engl.: Paul, 25. 53 Schnelle’s first footnote refers to Wrede, the second to Adolf von Harnack. 54 In an important essay Frey has once again clearly pointed out the anachronistic nature of a designation of Paul as a Jew who has converted to Christianity. See J. Frey, “Paul,” 564. 55 Acts 11.26; 26.28. 56 New perspective: E. P. Sanders, James D. G. Dunn, and N. T. Wright among others. Radical new perspective: Lloyd Gaston, J. Gager, S. Stowers, N. Elliott, M. Nanos, P. Eisenbaum, among others. 57 It is not by chance that Paul – in contrast to John the Baptist, Jesus, and James – is not mentioned in Josephus, which means that Paul precisely does not fit any longer in the schema “righteous and pious men” from Judaism, which Josephus uses for the aforementioned figures. 58 Regarding religion, he can distinguish “Jews” and “Gentiles/nations” but does not add “Christians” as a new category. 59 This central expression was the theme of Deissmann’s habilitation thesis: Die neutestamentliche Formel “in Christo Jesu” untersucht. 52 U. Schnelle,
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world of institutions – which was largely created by him – of the ἐκκλησίαι Ἰησοῦ Χριστοῦ in Asia Minor and Greece, his religious-political reach into the whole imperium Romanum including Spain, his literary activity with the goal of guiding the new institutions of ἐκκλησίαι, his world interpretation and moral guidance, as well as his constant activity in the public space of cities and – if Acts is correct – not only before Roman magistrates but also before the emperor.60 Paul himself can indeed formulate these intentions of his in a programmatic manner, namely both in their political-geographical and in their personal-biographical dimension. He formulates his geographical program most clearly in Romans 15.19 and 23: So that from Jerusalem and all the way around to Illyricum I have completed the gospel proclamation of Christ … But now I have no task any longer in these regions, but I have desired to come to you for many years, when I travel to Spain.
In addition there are consequences for his own person. The Jew Paul frames himself beyond the classical Jewish dichotomy between Jews and non-Jews or Gentiles – usually designated by him from a Jewish perspective as “nations” (ἔθνη)61 – as “under obligation to Greeks and Barbarians, to the wise and the ignorant” (Rom 1.14),62 that is, not only according to his religious but also according to his cultural and philosophical claim. What this means biographically for the conduct of life of the Jew Paul is spelled out by Paul in 1 Cor 9.20–21: I became to the Jews as a Jew in order that I might win Jews, to those living under law as one under law, although I myself am not under law, in order that I may win some under law, to those not living under law as one not living under law – although I am not without law before God but am in the law of Christ, in order that I might win those who live without law.
(4) Thus, the homo novus concept can be used as a heuristic concept, through which the intellectual dimensions of Paul as a decisive religious agent in the early imperial period can be grasped: first, the author Paul, who writes his letters without a model; second, the apostle Paul, who advances a mission of imperial dimensions without traditional legitimacy and without external support; and third, the Christ-confessing Jew Paul, whose trans-religious vision of a community of faith beyond the determinants of existing religions, ethnicities, social status, and gender is without precedent in his religion:63 “There is neither Jew nor Greek, there is neither slave nor free person, there is not male and female. For you are all one in Jesus Christ” (Gal 3.28).64 60 On
the theme of the appellatio ad Caesarem, cf. now H. Omerzu, “Trial,” 198–199. So Rom 1.5 and often elsewhere. 62 Ἕλληνες instead of ἔθνη in Rom 1.14,16 and elsewhere. 63 Paul formulates here directly against Gen 1.27. 64 See K. B. Neutel, Ideal. 61
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I. Forschungsstand
In all areas of his activity Paul appeals more to himself than to the traditions in which he stands as Jew and as member of the Christ-confessing communities. He independently thinks through all the questions of his gospel and the conduct of life in the young communities and refers only rarely to Jesus traditions and to his co-apostles and co-missionaries and only secondarily to “Scripture.”65 The narrative of Paul’s calling in Gal 1.10–24 provides an example of his self-understanding as a homo novus “in Christ”: For I have not received/taken over or learned it [the gospel] from a human being but through a revelation of Jesus Christ … at that time I did not consult with flesh and blood, nor did I go up to Jerusalem to those who were apostles before me, but I went away at once into Arabia. (1.12,16–17)
(5) At this point the intellectual factor of the interpretive category homo novus – which was mentioned at the outset of this essay – comes more explicitly into play than was the case in Deissmann’s own conception. The task of further drawing out this line of interpretation must be reserved for another study. Here, I can only summarize a few leading aspects. Such a comprehensive commission and such a complicated conduct of life and ambiguous identity-determination as that of Paul – not by chance is it disputed in the exegetical literature whether or not Paul himself continued to keep the commandments and prohibitions of the Torah even for his person66 – cannot be presented only as part of his theology of apostleship or his apostolic self-understanding. Here, we require also the perspectives of history of religion, history of institutions, and intellectual history. The existence of Paul demanded, on the one hand, a considerable talent for organization and communication, and, on the other hand, a considerable measure of intellectual courage and depth, and of constantly reassuring reflection, self-reflection, selfdoubt, self-testing, and internal and external smart organization. Not only the literary self-fashioning but also his highly ambitious plan to establish ἐκκλησίαι θεοῦ in the whole imperium Romanum are aspects of the intellectual abilities of this homo novus. Finally, to take up Deissmann’s interpretive category one last time, while Paul does not designate himself as homo novus, as an intellectual contemporary he does make a diagnosis of “the new” – a category that he can formulate both in a creation-theological-eschatological manner and in a christological-biographical way: If anyone in Christ – new creation. The old has passed away. Behold: New has arisen. (2 Cor 5.17)
On this see O. Wischmeyer, “Paulus als Hermeneut.” The discussion is carried out especially with reference to the keeping of the food laws. Cf. the presentation of the debate in M. Zetterholm, Formation, 129–177 and, more generally, in M. Zetterholm, Paul, 127–163. 65 66
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But whatever things were gain to me, these things I have regarded as loss for Christ’s sake. Indeed, what is more: I regard all things as loss because of the surpassing worth of the knowledge of Christ Jesus, my Lord, for whose sake all things have become loss to me … . (Phil 3.7–8)
Paul is convinced that he is already living in a new time and that he has the task of announcing this time: “Behold, now is the time of grace, behold, now is the day of salvation” (2 Cor 6.2 following Isa 49.8 LXX).67
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I. Forschungsstand
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I. Forschungsstand
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4. N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics Considered from a German Exegetical Perspective* N. T. Wright’s volumes on Paul – Paul and the Faithfulness of God (PFG)1 – deserve a substantial analysis and a qualified response. In particular, his biblical hermeneutics is a challenging topic, especially for a scholar who herself was educated in the German theological and hermeneutical traditions shaped mainly by Rudolf Bultmann and Hans-Georg Gadamer. Apart from the hermeneutical statements of Wayne A. Meeks and Francis B. Watson and some meaningful remarks on Paul’s interpretation of scripture and Wright’s own interpretation of Paul, Wright himself does not pay too much attention to the subject of hermeneutics, at least not in an explicit way.2 So, at first we will have to find our way to Wright’s predominantly hidden hermeneutics. The most successful way to interpret texts is to uncover and consider both positions, namely the hermeneutical position of the author and that of the author’s interpreter. Therefore, I will start by investigating my own academic hermeneutical and exe getical experiences, then move to general questions of N. T. Wright’s implicit hermeneutics and especially his implicit Pauline hermeneutics, and finally try to draw a picture of what one could label his Biblical hermeneutics.
1. Hermeneutical Approach: The German Tradition and its Impact on the Topic in Question Exactly one hundred years after the publication of Wilhelm Bousset’s great Paul article in the first edition of Religion in Geschichte und Gegenwart,3 N. T. Wright in his two-volume work Paul and the Faithfulness of God has again struck that sonorous tone4 which one could probably last hear in Germany in the Pauline
* Translated by Wayne Coppins and Christoph Heilig. 1 N. T. Wright, Paul and the Faithfulness of God (Christian Origins and the Question of God 4; Minneapolis: Fortress Press, 2013). 2 W. A. Meeks, “Hermeneutics,” 176–186; F. B. Watson, Paul. 3 W. Bousset, “Paulus,” 1276–1309. Cf. O. Wischmeyer, “Paulusinterpretationen,” 649–685. 4 Cf. also the tone in the presentation of A. Deissmann, Licht.
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I. Forschungsstand
research of the history of religion school. With his exceptionally extensive and independent presentation, Wright gives new expression to the fundamental claim and the ingeniousness of Paul’s world interpretation (Weltdeutung) in its historical-political, religious, and theological dimensions. At the first reading of Wright, it is the perception of the lofty tone, the liveliness of the historical narration and methodological discussion, and finally the certainty, elegance, and joy in the details of the presentation that excites an exegete who comes from the Bultmann school. Pauline exegesis in the German language sphere has passed through the acid bath of the strict Bultmannian existentialist systematic, though accompanied by a high-spirited, theologically grounded self-interpretation of the existence of the interpreters. What followed was, on the one hand, the countless stimulating exegetical detail studies of the post-Bultmann period, and, on the other side, the demanding and sometimes tantalizing readings of the hermeneutic of suspicion and the endless discussion for and against the New Perspective on Paul with its hermeneutical implications – a discussion which is still not concluded.5 But amidst all excitement and innovation, in the course of time the huge amount of scholarly production and the open question concerning the integration of individual aspects into a coherent image of Paul have come to lie like mildew upon the exegetical work.6 Against this background the basic hermeneutical perception upon reading Wright’s work is even clearer: Wright writes today as Bousset – whom Wright mentions a few times more in passing, but with whose history of religion paradigm he is not involved – wrote a hundred years ago and as one does not write in contemporary German-language exegesis. He writes as a free master of his subject, fearless and eager to fight, somnambulistically self-confident, without analytical brakes and without a guilty conscience, under obligation to give an account to no one but “his Paul,” extraordinarily discursive with constant double reflection, on the one hand, on himself and his endeavor to present Paul in a comprehensive way, and, on the other hand, on Paul as the one who brought something new into the world, all the while being fully aware that the category
Cf. J. D. G. Dunn, “Perspective,” 347–358, and P. Stuhlmacher, “Understanding,” 359–374. Cf. M. Hengel, “Discipline,” 460–461. N. T. Wright, “‘Atonement’,” 357 judges similarly: “For such people, as well, the endless and increasingly labyrinthine productions of the Great Exegetical Factory, especially the older Germans on the one hand and the newer Americans on the other, leave them cold. The lexicographical, historical, sociological, and rhetorical mountains of secular exegesis all move, and every so often there emerges a ridiculous mouse that squeaks some vaguely religious version of a currently popular self-help slogan.” I thank the editors for the reference to the text. (This twenty-second chapter in N. T. Wright, Pauline Perspectives was published originally, in slightly shorter form, as “Reading Paul, Thinking Scripture,” 59–72.) I share the feeling of the “overproduction” of the exegetical literature on Paul, but I cannot fail to note that precisely exegetes like Hengel and Wright himself have contributed in different ways to this overproduction. 5
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4. N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics
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“new” always raises doubts and opposition among postmodern (and classical) historians, for historians always search for continuity and analogy: But – a new way of life? One can already hear in the background, at the very suggestion of such a difference between Pliny and Paul, a whirring of cogs in the postmodern imagination … Sometimes this proposal is part of the contemporary drive to make Paul simply yet one more Hellenistic thinker and writer. He can’t, people think, be as different as all that! It must ‘really’ be all about social manipulation. (PFG 6)
This feel for the difference between what is possible in German and Anglo-Saxon scholarly language has hermeneutical significance, which can be formulated in the question: How should an analysis of the Wrightian hermeneutic take place from a German-language exegetical-hermeneutical perspective? This question, of course, immediately provokes the counter-question: Is a “national” analysis necessary? Exegetes will readily answer in the negative with the argument that the texts that must be interpreted are the same in Germany and Great Britain, and therefore the results should also be identical.7 Hermeneuts will judge differently. There are differences in the interpretations, and they are hermeneutically relevant. For what may apply to data, so-called historical facts, and the sphere of textual reconstruction,8 does not apply to textual interpretation. In textual interpretation, the interpreter, in addition to the author and the text, comes into play as a distinct species in the potentially infinitely large host of readers: there is no interpretation without the pre-understanding of the interpreter and his or her traditions, on the one hand, and simultaneously no critical interaction with an interpretation without a discussion of these very conditions of understanding of the interpreter and the critic, on the other hand. This gives rise to the unending chain of interpretations and hermeneutical reflections in which we ourselves stand. In the field of hermeneutics, the question of the perspective of the respective exegetical tradition is fundamental, and without a corresponding reflection an approach to Wright’s work remains hermeneutically irrelevant. Thus, there are different theological, cultural, and biographical traditions that influence the interpretation of biblical texts as well as the understanding of great theological texts from the history of Christianity, and this means positively that such traditions make interpretations possible in the first place and give them their individual meaning. For “German” ears or, more specifically, for a hermeneutical perception from the German-language exegetical tradition it is first – this deserves to be repeated once more – Wright’s tone or style that demands our full attention. It is the tone of the United Kingdom, its language
7 Fortunately, Wright himself does not represent this undifferentiated position. Cf. the introduction in ch. 13 where Wright portrays his first encounter with “German” hermeneutics (PFG 1320). 8 But even here there are national, denominational, and cultural preferences.
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I. Forschungsstand
and its way of thinking. Here there are “princes,”9 “the kingdom of God,” “the master,” “the Messiah,” “Caesar,” “the empire,” and “the glory.” And last but not least we read that kind of narration that reminds a German reader of Mommsen or of Churchill, but not of contemporary exegetical scholarship. It would be hermeneutically negligent to think that these terms have no other valence in the United Kingdom than in Germany in the year 2015 and that no hermeneutically relevant signals are sent here. Behind the pages of Wright we hear Handel’s music and Shakespeare’s language and we might not only be impressed by the force and energy of the presentation, but even saddened, or at least discontent, that we ourselves have lost this tone so completely and can no longer rhetorically orchestrate “grandness.” Or we react critically and regard this tone as too pious, too triumphalistic, too self-assured, not analytical enough – depending on our own academic background. Precisely these signals should be observed hermeneutically. Why this difference in the tone of the presentation? The German history of the twentieth century teaches enduring caution in relation to all lofty tones of professorial rhetoric and all academic self-confidence. The one question – namely, “Where was the great German Pauline scholarship during the National Socialist rule?” – is sufficient to destroy false romanticism, false claims, and false certainties with regard to the earlier academic glory of the German philosophical and theological university faculties. This applies in particular when the concern is with a key question of New Testament scholarship: How do we want to understand Paul? Precisely this question is virtually poisoned by the bitter history of völkisch “German” Luther interpretations, whose traces some exegetes have claimed to find also in Bultmann’s interpretation of Paul, which was regarded for a long time as magisterial:10 Can we understand Paul at all from the German tradition? And can we, as German scholars, after the Shoah still interpret Paul? These problems stand behind many exegetical debates that are carried out with great scholarly effort, without the hermeneutical question being openly discussed in each case. Remembering the end of World War II in May 2015 should force us once more to deal with these questions most sensitively. After Rudolf Bultmann, in his perhaps not explicitly courageous,11 but certainly methodologically exemplarily clear and terminologically and materially incorruptible manner that avoids every false rhetoric, had already removed the overly great grandioseness from the Pauline interpretation of the Harnack 9 The
book is dedicated (PFG vii) to Richard Hays: “A prince among exegetes.” M. Zetterholm, Approaches, 69–76. In the Anglo-American exegesis there is still suspicion of a combination of Luther’s doctrine of justification, Bultmann’s existential Paul interpretation, and anti-Semitism. Cf. the influential analysis in E. P. Sanders, Paul, 33–59. 11 This statement on the extent to which Bultmann was “courageous” refers to the political level (cf., however, the address at the beginning of the Spring Semester on May 2, 1933: R. Bultmann, “Task,” 159–65; Bultmann’s advance to “demythologizing” was extremely courageous). 10 E. g.
4. N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics
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period12 and the history of religion school and replaced the image of the religious hero with an anthropological framework, the exegetical generation of the postwar and post-National Socialism period received a possibility of engaging with Paul in a new way. Objectification in the sense of minute reconstruction of the historical, social, economic, cultural, philosophical, and religious lifeworlds (Lebenswelten), etc. replaced the “great picture.” Critical and controversial description of details replaced the theological fundamental structure. The crisis of hermeneutics after Gadamer then prohibited every form of Nachempfindung (responsive sensation) with what had been set forth in the grand pictures of the personality of Paul13 in the sense of Wilhelm Bousset, Adolf Deissmann, William Wrede, and Johannes Weiß. But the same also soon applied to the theological Einverständnis (agreement) with Bultmann’s anthropological-soteriological structure analysis of human beings and thus also of the “I” of the exegete, which my generation had, in our studies with Ernst Käsemann, Hans Conzelmann, Erich Dinkler, Günther Bornkamm, and other Bultmann students, experienced as a given presupposition of exegesis and whose emotional and intellectual power enlivened and energized our studies. Instead, the last generation of German-language Pauline scholarship has been concerned with the scholarly honorable,14 but hermeneutically not always fruitful, parameters of true and false in the sense of ever new approximations toward the historical placement of Paul and its evaluation. And the concern is with the question of anti-Judaism and antisemitism not only with respect to individual German theologians, but also with respect to the texts of the New Testament and Paul himself. Was Paul a Judenfeind (Jew enemy)? Or, conversely, was he a Jew and nothing but a Jew, and had the German Paul scholarship not perceived Paul the Jew? And for what reasons? And, even more fundamentally, had the Christian tradition taken Judaism away from Paul? Here first Krister Stendahl and later the New Perspective on Paul (which is initially connected with Ed. P. Sanders and James D. G. Dunn, but also with N. T. Wright) opened up a debate that has deeply and enduringly changed the “German” Paul perspective (which had been shaped by Bultmann during the time of my studies) and has unsettled the relation to Paul as a whole by calling into question the fundamental line of existential theology from Paul via Augustine to Luther and Bultmann in its theological valence and moral integrity. At the same time the field of the Septuagint and early Jewish writings became a focus of attention again, decisively fuelled above all by the publications of Martin Hengel – who took the field See e. g. A. von Harnack, Hohe Lied, 132–164. For this term cf. W. Sparn, “Einführung,” 9–28. 14 This sort of documenting scholarship that starts in the nineteenth century did not, however, hinder the catastrophic scholarly development of the German-language universities between 1933 and 1945. 12 13
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I. Forschungsstand
“to fight the spirit of Marburg”15 – and his school. The historical approach to the writings of the New Testament via ancient Judaism, which the international Qumran studies had already pioneered, was expanded and with it the horizon of interpretation. The deep, indeed lethal Judaism-oblivion (Judentums-Vergessenheit) of German scholarship since the violent expulsion in the 1930s and 1940s of leading representatives of ancient history, history of art, and literature and philosophy (to name just these spheres) found its late end,16 and Paul became what he was by origin and ethnicity, namely a figure of early Judaism. But the hermeneutic bound up with this remained largely determined by the hermeneutical tool of suspicion: On the one hand, by the suspicion that Paul was not sufficiently integrated into early Judaism and was read too much from an – anachronistic – Christian and at the same time per se anti-Jewish perspective; on the other hand, by the suspicion that Paul himself at the core (however this was specified) had an anti-Jewish stance. What remained of Bultmann’s claim that Paul was the first Christian theologian? Through the debate over the New Perspective, Bultmann’s Paul interpretation was – wrongly – connected so closely with Luther (not with Melanchthon, which would have been more appropriate!) that the catchphrase of the Lutheran Perspective caused the Heideggerinfluenced existentialist analysis of Bultmann and Bultmann’s own hermeneutic to recede into the background. But, as I have already mentioned, the so-called Lutheran Perspective17 stood and stands, in turn, under the suspicion of an unexplained or directly inimical relationship to Judaism.18 Since then, Lehrbücher (textbooks) that in addition to the historical framework present the theology of Paul by means of a cautious-conservative normal theological systematic have not by chance held the field in German-language Paul scholarship.19 Every personally accounted picture of Paul that is set forth beyond the generally accepted theological basic categories stands under suspicion of one-sidedness from the outset.20 In summary, an analysis of the hermeneutic of N. T. Wright from the perspective of the German exegetical-hermeneutical tradition will first perceive the lofty language and the wide horizon, then the freedom and independence of the Cf. M. Hengel, “Discipline,” 462–463. Cf. the short presentation in O. Wischmeyer, “Konstruktion.” 17 Strongly influenced in support and opposition by Scandinavian exegetes who originated from Lutheran state churches. 18 But cf. my position statement in O. Wischmeyer, “Paulusinterpretationen,” 681–682; in the twentieth century Paul scholarship had long emancipated itself from Luther’s theology. 19 R. Bultmann’s Theologie was already a Mohr-Lehrbuch. The same applies for U. Schnelle, Paulus, engl.: Apostle; M. Wolter, Paulus, engl.: Paul. The aspects of the comprehensive contextualization, the fair presentation of different interpretative approaches, the correct description of details, and the safeguarding of results predominate. 20 The best example for this intention to avoid any interpretative one-sidedness is F. W. Horn (ed.), Paulus Handbuch. There, any overall picture of Paul is avoided, indeed, even rendered impossible. 15 16
4. N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics
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thinking and the forgoing of continual self-justification, further the fundamental Christian perspective in the combination of connectedness and lack of anxiety vis-à-vis the topic of Judaism, and finally the underlying certainty that one is dealing with one of the most important subjects of theology and church. Since Wright himself has actively and critically collaborated on the development of the New Perspective on Paul, he has especially great interpretative elbow room at this point. By contrast, contemporary German New Testament scholarship is given neither the hymnic tone of the concluding statement (PFG 1516–1519), the stupendous rhetoric, and the sovereign treatment of the topic “Paul the Jew,” nor the un-anxious trust of having obtained in the course of a scholar’s life the freedom and right to write down one’s own reconstruction or construction without continuous justification, without a sea of footnotes, yet with constant awareness of the scholarly context of Cultural Studies and Ancient History. Now this cannot, however, mean that a new hermeneutic of suspicion is needed in relation to Wright, which asks about “right and wrong”21 like a schoolmaster and everywhere sees missing literature, lacking mastery of texts, appreciation of problems, and incorrect thematic emphases – reproaches that belong to the standard reactions to important new publications in the German exegetical literature. Instead, a critical examination of the Wrightian hermeneutic coordinates can be a welcome double exercise: for a better understanding of N. T. Wright from the German-language tradition and vice versa. And beyond this it promises a fresh view on Paul. This brings us to the end of the hermeneutical self-enlightenment of my essay, which forms the foundation for my attempt to understand Wright’s interpretation of Paul and its underlying hermeneutics.
2. Wright’s Implicit Hermeneutics What then do we mean by hermeneutics in general and by hermeneutics with reference to Paul and Wright’s Paul monograph? To what extent does a distinct hermeneutic underlie Wright’s presentation? And what does “biblical hermeneutics” mean? I begin with the question of general hermeneutics. A theoretical doctrine of understanding of its own cannot be developed in a historical monograph,22 but nonetheless there will be an implicit hermeneutic underlying it. In PFG, a practical, text-based hermeneutic in the form of one or multiple methods of interpretation is applied, and this means: methods that not only explain the texts of Paul in the sense of a commentary on the subject matter, but integrate them in an eigene (independent) overall interpretation of the ideational and argumentative world of Paul and his activity. I apologize for this wordplay. For Wright’s hermeneutic, see also N. T. Wright, Scripture. I refer here only to PFG.
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Wright himself places special emphasis on his combination of exegesis and the worldview models: It is an indication of how the implicit hermeneutical spiral of my own method is supposed to work: having begun (a long time ago) with exegesis, I have been driven to worldview models to try to understand what early Christianity was all about. At every point, the aim is to be able to return to exegesis, not saying ‘well, that was an interesting diversion; now let’s get on with the real thing’, but ‘now at last we can make sense of what before was incomprehensible.’ Where, then, to start? The obvious answer is to begin with what seems the largest, framing story of all, which also happens to be the one element of narrative which is allowed even by the contemporary proponents of ‘apocalyptic’: the story of God and the world. (PFG 502; the emphasis is mine)
What general understanding of interpretation guides Wright in his presentation? I wish to highlight four features of Wright’s hermeneutical approach: 1) Wright always starts from the texts. 2) Wright works with the tools of Clifford Geertz in order to demonstrate the connection between Paul’s worldview and theology. 3) Wright’s own person is always in play. 4) Wright writes not in an exegetical insider or textbook language but rather argues and, first and foremost, narrates. 2.1 Wright always starts from the texts It belongs to the surprising and extraordinarily inspiring reading experiences to read as the opening of a monumental 1,500-page work on PFG a precise exegetical miniature about two short letters of the early imperial period, namely a letter of Pliny (Ep. 9.24) and Paul’s Letter to Philemon. The careful compa rison leads to the following result: “Paul does not say, as Pliny does, ‘He seems genuinely penitent, so you’d better let him off.’ He says, ‘Put it on my account’” (PFG 20). And: This is what most clearly marks Paul’s letter to Philemon as breathing a different air from Pliny’s to Sabinianus. Paul’s Jewish worldview, radically reshaped around the crucified Messiah, challenges the world of ancient paganism with the concrete signs of the faithfulness of God. That is the summary both of the letter of Philemon and of the entire present book. (PFG 21)
Wright discusses this thesis under three different aspects: I take these various topics in the order they will appear in the overall structure of the present book: first worldview/mindset (the ‘mindset’ being the individual’s particular variation on the present ‘worldview’ of the community to which he or she belongs), then theology, then history. This may seem counter-intuitive to those who are used to seeing ‘history’ as the kind of preliminary work, the bedrock for everything else, but all these elements are at any case involved in a continual hermeneutical spiral, and the particular argument I wish to advance in the book as a whole begins where a preliminary historical survey leaves off (our brief study of Philemon doing duty, synecdochically and
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representatively, for the larger picture) and moves forwards from there with the questions we have just raised. (PFG 24)
Hermeneutically this means that Wright interprets the letters of Paul first from what he calls “mindset.” According to Wright, this individual form of general convictions and views that are shared by a community can be presented in a quadrangle of mutually influencing entities, namely story, praxis, symbols, questions.23 The last of these is especially important. With this term Wright records the opinions and ideas that represent the foundation of the symbolic and practical world of a person: “Who are we, where are we, what’s wrong, what’s the solution and what time is it?” (PFG 33). Wright points out that the mindset of the pagan inhabitants of the cities of western Asia Minor differed markedly from Paul and that a discussion of these fundamental convictions can lead to a change of people and societies. Explained with reference to the Letter to Philemon, Wright’s thesis about the possibility of change reads as follows: Paul is teaching Philemon, and indeed Onesimus … to think within the biblical narrative, to see themselves as actors within the ongoing scriptural drama: to allow their erstwhile pagan thought-forms to be transformed by a biblically based renewal of the mind.24 Here we see one of the most fundamental differences between Pliny and Paul. Pliny’s appeal, we remind ourselves, reinscribed the social dynamics already present. Paul’s subverted them. (PFG 15)
2.2 Wright works with the methodological tools of Clifford Geertz in order to demonstrate the connection between Paul’s worldview and theology He writes as follows about the so-called “thick description”: ‘Thick description’, in Clifford Geertz’s now famous phrase, is what is required: a laying out of as much of the picture as possible, so that one may make connections and avoid generalizations … It is time to relocate ‘theology’. Not to marginalize it, as though the study of everything else … is ‘real’ and theology is to be dismissed as irrelevant theory. (PFG 26)
Wright also makes recourse to Wayne A. Meeks’s sociocultural hermeneutic.25 This methodological approach leads Wright to the point in his Paul interpretation that, ultimately, is decisive for him: 23 It is important that Wright adds two general entities to this quadrangle, namely culture and worship (PFG 35). The significance of these entities is often underestimated not only for the reconstruction of the lifeworld but also of the theology of Paul. 24 Wright refers here to Exod 21 and Deut 15. The fact that in Philemon Paul does not quote the Scripture would probably not unsettle Wright. He assumes that a Jew always associates the topic “slave” with the liberation of Israel out of Egypt. But slavery was also part of the Jewish society and economy (see A. F. Botta, “Slaves, slavery,” 1232–1233, lit.). 25 W. A. Meeks, “Hermeneutics,” 176–186.
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The life of the mind was itself elevated by Paul from a secondary social activity, for those with the leisure to muse and ponder life’s tricky questions, to a primary socio-cultural activity for all the Messiah’s people … For Paul, there is no question that the praxis of the Messiah-following people created a context within which it made sense to think the revolutionary thoughts he urged his converts to think. (PFG 27)
By connecting worldview and theology Wright succeeds in two things. First, Wright succeeds in overcoming the accusation with which Paul has been (and continues to be) charged, especially in the last generation of German-language sermons, namely that he was, allegedly, unrealistic and “overly theological.” Secondly, he succeeds in presenting a new integrated Paul interpretation: Paul is not overly theological, elitist, and incomprehensible for the communities; rather, his theology makes it possible for community members to think theologically in the first place. He does not “think” for them and fob them off with paraenesis; rather, he lets them share in his theology and makes theological thinking part of their existence. According to Wright this is not simply democratic, but revolutionary in terms of ancient intellectual and educational history.26 Thus, Wright always combines the political-social reality of the empire and the everyday circumstances of Paul with his message and forgoes a purely theological structural analysis in favor of a double synthesis: first, of theology and history, and, secondly, of scholarly theology and ecclesial proclamation. In his words, this reads as follows: But to allow this theology to be detached from history, either in general or, in particular, from the actual historical exegesis of texts written by Paul and the other early Christians, is to alter quite radically the character of that theology itself. The present book has approached the task of this greater reconciliation from the side of history, attempting to place Paul in his actual (if complex) historical setting and offering a historical/exegetical account of his writings and especially of his newly minted ‘theology’ itself. (PFG 1517)
Wright formulates very precisely the result that he hopes to achieve for the understanding of Pauline theology on the basis of this connection (or atonement) of theology and worldview: In fact, one of the extraordinary achievements of Paul was to turn ‘theology’ into a different kind of thing from what it had been before in the world either of the Jews or of the pagans. One of the central arguments of the present book is that this was the direct result and corollary of what had happened to Paul’s worldview. Paul effectively invented ‘Christian theology’ to meet a previously unknown need, to do a job which had not, until then, been necessary. (PFG 26)
26 Here there is a material connection with the reevaluation of the relationship between education and early Christianity, as this is developed by U. Schnelle, “Christentum,” 113–143.
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2.3 Wright’s own person is always in play This may, first, be shown in a small endearing detail, and, then, described as a consistent structure. At the end of the preface – an important place after all – Wright reports that he has worked on this book for “most of my life.” This could sound boastful, or at least overly dramatic. Therefore, Wright corrects himself in a rather ironic fashion: “I did not think much about Paul between the ages of five and fifteen” (PFG xxvi) – but at the age of five he read the Letter to Philemon with his sister because it was so short and Wright could already read: “Philemon, a single page, and something like a real story. We read it together. That is where I began” (PFG xxvi). He read it from the Bible that he received as a gift from his parents on the day of the crowning of queen Elizabeth II – on the day of the birthday of his mother. Does this have a hermeneutical significance, or is it “only biography”? It is both: Wright narrates – the narrating is significant – an important episode from his childhood. One could recall Goethe’s Dichtung und Wahrheit. This episode shows, on the one hand, the continuity between Wright’s first encounter with the Bible and his great work on Paul, the history between Paul and N. T. Wright, and, on the other hand, the continuity of the monarchy, which has accompanied his life so far from the beginning. For him the two belong together biographically and are connected in his own action, and to this extent we have here a building block of Wright’s Paul interpretation. And the great line, the structure: Wright already begins to speak with the reader on the second page (PFG 4): “We met him in an earlier volume.”27 Contact is established. Wright maintains the communicative “we” until page 1516. And already on page 7 it is joined by the “I” of the author, which is tangible and almost addressable for the reader, and always vivid in his reflections and judgements, and especially in his narratives. Wright wants to take the reader along with him. Let us just hear the impressive beginning of ch. 12: “The Lion and the Eagle: Paul in Caesar’s Empire” (PFG 1271). Wright begins with an equally general and picturesque description of the significance that Caesar had for the activity of Paul: Every step Paul took, he walked on land ruled by Caesar. Every letter he wrote was sent to people who lived within Caesar’s domain, who paid taxes to Caesar and whose civic leaders were eager to impress on them how lucky they were to enjoy the peace and prosperity that the Caesars had brought to their region. Paul himself declared that he had long wanted to visit Rome, Caesar’s capital city; according to Acts, the way he got there was as a prisoner under guard, being looked after by Caesar’s soldiers until Caesar himself would hear his case. (PFG 1271)
Cf. also the account he gives of his own journey of thought with Paul (PFG xviii).
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Here a historical picture emerges, which may be more or less correct, but is in the first place vivid and makes clear the level on which Wright situates his Paul, namely on an equal level with Caesar. But it does not remain with the suggestion of the picture. The following sentence is surprisingly formulated as a question: “Was Caesar insignificant for Paul? Hardly. But was that ‘significance’ merely a matter of trivial outward circumstances, or of inner meaning?” (PFG 1271). And at once there begins a detailed discussion with the history of research about the question of what “Caesar” meant for Paul.28 The way in which Wright deals with the history of research and current discussion is always simultaneously personal and accountable to the reader, not a Lehrbuch but his own interpretation with a running record of his argumentation for the readers – in constant communication.29 2.4 Wright does not solely write in an exegetical technical language, but he argues and narrates Are we dealing here too with a hermeneutically relevant matter? This question can be best clarified on the basis of an example from the conclusion of his book. Wright writes: The inevitable sadness and frustration of the ‘not yet’, well known to all who work in the church, is always to be balanced, in prayer and hope, with the ‘already’, the ‘now’ of the gospel. For that to happen in prayer, there must be theology; for it to happen in theology, there must be prayer. Not just any prayer, and not just any theology. At the heart of it all, shaping thought and firing devotion, there is ‘the love of God in the Messiah, Jesus our lord.’ (Romans 8.39) (PFG 1518)
And then the last sentences, which refer to the doxologies in the letters of Paul: The renewed praise of Paul’s doxologies takes its place at the historically situated and theologically explosive fusion of worlds where Paul stood in the middle, between Athens and Jerusalem, between the kingdom of God and the kingdoms of the world, between Philemon and Onesimus, between history and theology, between exegesis and the life of the church, between heaven and earth. Collection at a middle point. This is language forged and fashioned in the shape of the cross, both as the decisive apocalyptic event in which the covenant faithfulness of the creator God was unveiled once and for all and as the character shaping truth which was now carved into world history and into the hearts 28 However, Wright never interacts with the question of why “Caesar” is never mentioned in Paul. Philippians 4.22 mentions only “people from the imperial palace” without mentioning Caesar’s name. This attests that Paul had proximity not only to provincial governors but also to the imperial palace but not that this perspective was as important for him as for Luke: Acts 25.12. The text of Wright is magnificent and the historical text is correct. But how is it with the personal perspective of Paul? 29 E. g. at length on PFG 1269 where he presents his plan in its development.
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and lives of all those ‘in the Messiah’, all those with Messiah-faith. For Paul, prayer and theology met in his personal history, as in the once-for-all history of the crucified and risen Messiah. Paul’s ‘aims’, his apostolic vocation, modelled the faithfulness of God. Concentred and gathered. Prayer became theology, theology prayer. Something understood.30 (PFG 1519)
What we read here is part of a homily, which flows at the end into hymnic speech. This is no accident but part of Wright’s interpretation. He mirrors in his language the linguistic ductus of those sentences of Paul, which are decisive for his Paul interpretation. Wright’s language is echo and answer to the language of Paul: narrative, autobiographical, paraenetic, hymnic-doxological, exegetical in relation to the Scripture. Thus, for Wright – as for Paul in Wright’s interpretation – theology is not systematics but speaking of God in the different language forms of narrative, argumentation, theological presentation, homily, and prayer. Correspondingly, Wright’s language is neither popular-scholarly language nor academic technical language but rather an instrument for passing on his interpretation of Paul.
3. Interpreting Paul’s Texts This leads us to the heart of the specific hermeneutical implications of Wright’s Paul interpretation. I will restrict myself to three central aspects, which viewed together make up the distinctive character of Wright’s Paul interpretation: 1) Wright starts from the unity of Pauline theology (synthesis as an Interpretationsfigur, an interpretative tool). 2) Wright understands Paul as a Jewish thinker. 3) Wright speaks throughout of the “theology” of Paul. 3.1 Wright starts from a unity or a center of gravity in the theology of Paul Wright attempts to describe all the aspects of the Pauline worldview, life reality, and theological thinking in their connectedness, but without taking a system as a basis like Bultmann did: The hypothesis I shall now present, as the material centre of my argument, is that there is a way of understanding Paul’s theology which does justice to the whole and the parts, to the multiple historical contexts within which Paul lived and the multiple social and ecclesial pressures and questions he faced – and, particularly, to the actual texts of the actual letters. (PFG 609)
30 I am grateful for J. Th. Hewitt’s note that this last phrase is a direct allusion to the closing line of George Herbert’s poem “Prayer (I).”
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This announcement is carried out in the different synthetic lines of interpretation. The foundation is formed by the Interpretationsfigur of the great biblical narrative, which holds everything together. I will return to this in my discussion of the biblical hermeneutic. 3.2 Wright understands Paul as a Jewish thinker, who newly defines the Jewish tradition He formulates this as follows: The first move in my overall hypothesis, then, is to propose that Paul remained a thoroughly Jewish thinker … This opening (theological) move is correlated with my basic (historical; an earlier generation would have said, ‘religio-historical’) assumption about where Paul stood in relation to the thought-worlds of his day. Like many other Jewish thinkers of his and other days,31 he radically revised and rethought his Jewish tradition (in his case, the viewpoint of a Pharisee) around a fresh understanding of the divine purposes, thus gaining a fresh hermeneutical principle. In other words, I proceed on the assumption that, however we describe what happened to Paul on the road to Damascus (‘conversion’? ‘call’?), its effect was not that he rejected everything about his Jewish life and thought and invented a new scheme, with or without borrowed non-Jewish elements, but that he thought through and transformed his existing Jewish worldview and theology in the light of the cataclysmic revelation that the crucified Jesus had been raised from the dead. (PFG 611; the emphases are both mine)
Wright’s most important hermeneutical decision actually lies here. To understand Paul as a “Jewish thinker” is neither a given nor a historical statement but rather an interpretation. I will contrast it with just a single definition in order to highlight the fundamental significance of Wright’s interpretation. In 1992, Hans Dieter Betz writes as the opening sentence to his great Paul article in the Anchor Bible Dictionary – another of those influential lexicon articles of the twentieth century on Paul in addition to those in the four editions of the Religion in Geschichte und Gegenwart: Paul … An early Christian apostle who was perhaps the most important and creative figure in the history of the early Church, whose formulations of Christian faith as expressed in his epistles to fledgling churches have become part of the foundation for orthodox Christian theology.32
The two interpretations – Paul as Christian apostle and as Jewish thinker – demonstrate how different the paradigms are that underlie Pauline hermeneutics and steer the exegetical work. Here it is of special significance that Wright does not merely say: “Paul was and remained a Jew,” but more pointedly: “Paul One would like to know whom Wright means here: Philo? Josephus? H. D. Betz, “Paul,” 186; the emphasis is mine.
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remained a Jewish thinker” – i. e. a Jewish theologian. With this Wright does not make it easy for himself in light of the fact that it is controversial whether a Jewish theology existed at all.33 Wright comments on his own Paul interpretation in connection with 1 Cor 9.19–23, esp. v. 20: “I became to the Jews as a Jew in order that I might win Jews!” In particular, he introduces an annotated dialogue with Paul about this sentence, which introduces hermeneutical differentiation into the topic “Paul the Jew”:34 ‘I became a Jew!’ Surely, Paul, we want to say, you are a Jew; you can’t become one. No, indeed; and Paul will, on reflection acknowledge the point and even use it within his argument … But his most fundamental identity is no longer found in his ethnic identity, however significant that is in itself. As in Philippians, he has looked at all that and declared it to be skybala. What then are the symbols of Paul’s own deepest identity? In Philippians 3, as we shall see presently, it is the Messiah himself. (PFG 393–394)
The Interpretationsfigur of the Jewish thinker is then concretized by Wright in connection with his reconstruction of the “theology” of early Judaism in such a way that the main elements of ancient Judaism form the unified center of gravity: “I take as the framework the three main elements of second-Temple Jewish ‘theology’, namely monotheism, election and eschatology” (PFG 610). Here, with a certain rhetorical exuberance for oneness, Wright speaks of “One God; one people of God; one future of God’s world” (PFG 179). The fact that he simultaneously speaks against understanding soteriology as the center is a result of his non-Lutheran theological tradition (PFG 611). While this may be understandable or at least a clear theological option that can be debated,35 from a hermeneutical perspective, this formation of slogans is at least fragwürdig (questionable, “question-worthy”) in the literal sense. It should be uncontroversial that εἷς θεός is a representation of both Jewish confession and Pauline theology. However, this confession is not only Jewish but also known in the religious mix of Asia Minor among non-Jewish God-fearers, about which there is a wealth of history-of-religion literature.36 In light of εἷς θεός inscriptions of Asia Minor in particular, the hermeneutical capacity of this to function as a point of con33 The discussion around how one should define “theology” and whether theology is not a priori a purely inner-Christian phenomenon has long been carried out with quite different results not only in connection with Jewish thinking. It is likewise controversial whether and how one can speak of a pagan or philosophical theology, for instance in Plato, Cicero, or Plutarch. Currently a corresponding debate is being carried out about “Islamic theology.” 34 Cf. also the remarks in PFG, 1434–1449. 35 This is not the place to deliberate on what “Lutheran” theology means. But one remark is of hermeneutical importance. There is no point in commenting critically on “Lutheran Paul” without reflecting the theological tradition behind the person who comments on another tradition. The Anglo Saxon theological tradition which is different from the German Lutheran theology is as much to question as the Lutheran tradition itself. Only Selbstaufklärung on either side will lead to fresh insights. 36 Cf. W. Wischmeyer, “ΘΕΟΣ ΥΨΙΣΤΟΣ,” 149–168.
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tact must be emphasized. By contrast, the relevance of the other two slogans is unclear to me, for neither the question – controversially discussed in early Judaism between the so-called αἱρέσεις – of who is chosen nor the abundance of eschatological scenarios evokes the “oneness” rhetoric. And while εἷς θεός is found in Paul, it occurs in connection with a second entity of equal status, who is qualified by Paul not merely as Messiah but as creator: εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς δι᾽ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς δι᾽ αὐτοῦ (1 Cor 8.6). At this point there arises the challenge of describing the theological significance of Christ. Wright calls this “the christological reworking of monotheism” (PFG 393) – one could, however, just as well call it also the end of ancient Jewish monotheism. But here too the concern is not primarily with “right and wrong” but with the interpretation of complex sentences that follow their own logic and initially are neither “monotheistic” nor “non-monotheistic,” neither “Jewish” nor “non-Jewish” nor “Christian,” but precisely withdraw themselves from these assignments to modern terminology. As with the topic “Paul the Jew,” a differentiated hermeneutic must again reflect first on the terms used in the exegesis and their suitability for the description, on the one hand, and for current understanding – an issue that is always important for Wright – on the other hand. 3.3 Wright speaks throughout of the theology of Paul How does he construe “theology”? From the German perspective we could also ask: Do we find in Wright a new model of interpretation after Bultmann? One must – this much has already become clear – answer this question affirmatively and stress that with Wright a New Testament scholar again understands Paul vehemently as a theologian – even if this is done explicitly against Bultmann. For Wright’s work is set up in such a way that it represents his own interpretation not only of Paul but also of what he wants to understand as “theology.”37 The “Theology of Paul after Bultmann” presents an integrated viewing together of “Paul’s world,” “Paul’s mindset,” “Paul’s theology,” and “Paul in his world,” which only in its entirety represents “the theology of Paul.” Wright writes as follows: I have argued, in particular, that a historical study of Paul and his communities, and the worldview which Paul does his best to inculcate in his communities (Part II), necessarily required that Paul would develop what we must call his theology, as a quite new sort of 37 In this respect Daniel Boyarin’s reference to Bultmann (in the endorsements for the book; PFG i) is justified. Here we find a new and fundamentally different paradigm, a counterparadigm. The extent to which it will have resonance and how long it will survive is open. In view of the abundance and variety of current New Testament conceptions, I doubt that it is still possible at all for works experienced as magisterial as Bultmann’s Theologie to emerge. The great length of the book could perhaps also prove problematic.
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discipline, consisting of scripture-based, communal and prayerful reflection and teaching on God, God’s people and God’s future. Without this theology, Paul believed, the central worldview-symbol of a united and holy church would be a far-off fantasy … But to allow this theology to be detached from history, either in general or, in particular, from the actual historical exegesis of texts written by Paul and the other early Christians, is to alter quite radically the character of that theology itself. (PFG 1515–1516)
Neither recourse to an existentialist philosophy (so Bultmann) nor to the formal terminological structure of Christian dogmatics (so recent German-language presentations of the “theology of Paul”) form here the background for the interpretation, but rather does the integrative overall concept of “Paul and his world,” which underlies Wright’s understanding of theology precisely on the basis of his Paul interpretation. Here we find a classic example of the hermeneutical circle, which is indispensable for every individual understanding: Wright interprets theology from the perspective of his Paul interpretation and finds in Paul this “theology” from the perspective of his integrating trans-systematic approach. It is a part of hermeneutical fairness not to designate Wright’s model from the perspective of Bultmannian strict conceptuality as pre-theological or simply pious or ecclesial. It is sufficient to point to the different traditions of thought and life worlds.
4. Wright and Biblical Hermeneutics Wright’s use of biblical hermeneutics can now be presented in conclusion as an essential part of, and as the actual foundation of, his Paul interpretation. The expression biblical hermeneutics encompasses various concepts, which can incorporate the canonical approach as well as less decidedly canon-oriented models that work more with the model of intertextuality.38 Wright should rather be assigned to the latter model, whereby for him the concept of story, or of narrative, however, plays the decisive role in the hermeneutical sense and not only in the literary sense. That Wright ultimately understands this story as the great theological narrative of the history between God and human beings becomes clear in a sentence such as the following: Deuteronomy 27–30 … functioned for many second-Temple Jews (including, most likely, the kind of Pharisee that Paul of Tarsus had been) not merely as a type, or as the model of an abstract pattern of divine action in history, but as long-range narrative prophecy. It told a story: Israel would fail, would be disloyal to YHWH and would fall under the ‘curse’. The ultimate sanction of that ‘curse’ was exile, not as an arbitrary punishment but precisely because the covenant had always been about the land. There would come a time, however, when God would circumcise the hearts of his people so that they at last were able 38 Cf. A. Schart, “Canonical Approach,” 115; J. A. Loader/O. Wischmeyer/W. Wischmeyer/ Ch. Schwöbel, “Biblische Hermeneutik,” 90–95.
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to fulfil Torah. That was when the great renewal would come. This is the second-Temple story, rooted in Deuteronomy, which Paul inherited. (PFG 502)
The summary at the end of the chapter on “The Plot, the Plan and the Storied Worldview” is even shorter: “I have restrained myself in particular from setting out what seems to me a strong implicit story, consistent across his writings, about the people of God in the Messiah, indwelt by the spirit” (PFG 536; the emphasis is mine). In the short study on Pliny and Paul there is already an initial pointer to this hermeneutical deep structure of the Wrightian work: The major difference between Pliny and Paul is that the heart of Paul’s argument is both a gently implicit Jewish story, the story of the exodus which we know from elsewhere to have been central in his thinking, and still more importantly, the story of the Messiah who came to reconcile humans and God, Jews and gentiles, and now slaves and masters. Paul’s worldview, and his theology, have been rethought around this centre. Hence the world of difference. (PFG 22)
Both terms, “restrained” and “gently implicit,” together are best translated with “deep structure.” This deep structure is made explicit by Wright in his chapter on “The Faithfulness of the God of Israel,” the first large chapter of his monograph, upon which everything that follows depends.39 Under the title “The Continuous Story,” Wright discusses with great clarity and precision how he reads Paul, or in other words, how he understands Paul’s “biblical hermeneutics.” According to Wright, Paul stands in the line of Pharisaic understanding of the Bible, which is less a typological understanding (Philo) but rather is narrative in character.40 This is not the place to present Wright’s very detailed reconstruction of Pharisaic worldview and Pharisaic understanding of the Bible.41 What is important, however, is to see what kind of Pauline understanding of the Bible Wright derives from this reconstruction. For Paul the Bible is: not merely a source of types, shadows, allusions, echoes, symbols, examples, role-models and other no doubt important things. It was all those, but it was much, much more. It presented itself as a single, sprawling, complex, but essentially coherent narrative, a narrative still in search of an ending. (PFG 116)
Wright distinguishes here very clearly between the allegorical-typological interpretation of the Torah by Philo and the historical-messianic understanding that he finds not only in the Pharisaically stamped early Jewish writings but above
39 PFG 75–196. It is preceded only by the introduction with the interpretation of Pliny’s letter to Sabinianus and the letter to Philemon. 40 See PFG 114, 117, 139. Wright often refers to Deuteronomy, Psalms, Prophets, especially Daniel, 4 Ezra, 2 Baruch, Judith, Sirach, 1–4 Maccabees, 1 Enoch 85–90, Damascus Document, and others up to Psalms of Solomon and Josephus. 41 Cf. J. H. Charlesworth, “Paradigm,” 207–234.
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all in Josephus.42 Again we strike here not upon an exegetically correct result – the importance of τύπος for Paul’s understanding of Scripture is evident,43 and, unlike in the speeches of Acts, a narrative of Israel is lacking precisely in the letters – but on a fundamental Interpretament (tool for interpretation). Wright’s biblical hermeneutics is not affected by this absence of explicit manifestations of story and narrative, which is not unknown to him. He appeals not primarily to the texts of the letters – his aforementioned nearness to the texts notwithstanding – but to the religious background of the Pharisee Paul, which connects Paul to a certain degree with Josephus. This background, and not “the Scripture,” presents – in Wright’s reconstruction – the framework for his biblical hermeneutics. Furthermore, it is clear that for Paul the historical dimension in the form of the history of Israel and the history of humanity since Adam and Abraham had fundamental significance, as texts such as Rom 5 and 1 Cor 15 or Gal 3 and 4 show. But this perception of the text can be placed in different nexuses. Wright chooses the nexus of the “Continuous Story” of God and of the Bible as “story retold” (PFG 114) and establishes in this way a framework that Paul certainly knew and within which he thought and argued. Paul, however, also had entirely different parameters for making clear the historical dimensions of his message. He reflected on time as fulfilled present and could place Jesus Christ in “the time” (Gal 4.4–5) or sketch the new history of the Christ-confessing communities, without invoking or narrating the history of Israel.44 The exceedingly emphatic sketching of the Pauline thinking in terms of the hermeneutic category of biblical narrative truncates the other possibilities of the Pauline interaction with Scripture.45 What applies for the concept of story can also be developed in relation to another concept that plays a central role and has perhaps given his Paul interpretation the decisive hermeneutical stamp, namely the Messiah title. Wright always writes of “Jesus the Messiah” (PFG 815–1042). In Paul, however, we read not Ἰησοῦς ὁ Μεσσίας,46 but Ἰησοῦς Χριστός. When Wright does not reflect this usage of Paul in an explicit and careful way he has made a hermeneutical decision, and he is very conscious of the significance of this.47 He takes up the debate on the very first page of his great Jesus-Messiah passage and enters into critical 42 PFG Parts I and II; see esp. 116–117 with reference to the significance of Daniel. Paul quotes Daniel only once (Dan 2.46–47a in the mixed citation in 1 Cor 14.25b). For this topic see recently F. Wilk, “‘Schriften’,” 189–220 (literature). Cf. especially the table on 219–220. 43 Cf. O. Wischmeyer, “Speech,” 341–355. Paul, of course, knew the content of what is narrated in the speeches of Acts, i. e. the summaries of the history of Israel. But did he preach in this way? And were these retrospectives so important to him? Cf. the question in n. 28 above. 44 Cf. O. Wischmeyer, “Konzepte,” 361–392; E.-M. Becker, “Konstruktion,” 393–422, especially the table on 369–370 with the corresponding lexemes. 45 Cf. S. Moyise, “Understanding,” 165–180. 46 Cf. John 4.25: “the Messiah, who is called the Anointed.” 47 He already claims that Χριστός and “Messiah” are equivalent in PFG xxii.
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I. Forschungsstand
debate especially with Martin Hengel, who interprets Χριστός with reference to a non-Jewish audience as part of the double name Jesus Christ (PFG 817 n. 128). In the framework of a hermeneutical analysis the concern cannot be with the question “name, title, or honorific,” which can be controversially discussed,48 but with the question of how far the title Χριστός actually evoked the Jewish Messiah concept in a non-Jewish environment – if this concept existed in this unity at all.49 In any case we must take into account the Greek semantics that included “anointed ones” also in the context of non-Jewish religious ceremonies. More important is the fact that in addition to the Χριστός-title Paul used the κύριος- and the υἱός-titles. From a hermeneutical perspective this should prohibit a Messiah-story from being a “grand narrative” of the Pauline εὐαγγέλιον. Every biblical hermeneutic is naturally concerned especially with the topic of “Scripture.” In ch. 15 Wright returns once more in detail to the topic “Paul and Scripture.”50 He enters into critical debate with F. B. Watson’s monograph Paul and the Hermeneutics of Faith.51 What is at issue is above all the interpretation of Hab 2.4. The exegetical details cannot be discussed here. For the topic of biblical hermeneutics, however, a statement of Wright’s is especially important: It will come as no surprise, though, that I find Watson’s account focused far too much on scripture as ‘normative’ and far too little on scripture as ‘narrative’. When Watson speaks of scripture as ‘normative’ for Paul he regularly seems to move to abstractions: it is ‘normative saving truth’, speaking of a ‘proper relationship to God’ or an ‘ordained way to salvation’. There are times when the summaries of Paul’s message sound almost Bultmannian, which it seems is less a problem for Watson than it would be for me. (PFG 1459)
Here one could, of course, ask again whether a nearness to Bultmann must always be a problem. But that would be rather cheap polemic. Hermeneutically relevant in Wright’s statement is the question that is, in fact, closely connected with Bultmann’s portrayal of Paul: How does a Paul interpretation like that of Wright deal with the fact that Paul predominately writes in a nominal style and often conceptually, that he argues in an extremely complicated way with “Scripture,” and that he narrates only rarely and almost only in autobiographical contexts – and there in an extremely restrained manner?52 With this question I would like to conclude, for my contribution is primarily focused on the presentation of Wright’s biblical hermeneutics in PFG. However, the topic “concept (Begriff) versus narrative” is so central for every biblical hermeneutic and especially for Wright that I have to go beyond Paul and the Faithfulness of God at this point and draw on a short essay in which Wright reflects on his Paul inter Cf. A. H. I. Lee, “Messianism,” 375–392. Cf. just the qualifications in K. E. Pomykala, “Messianism,” 938–942. 50 PFG 1449–1472: “Paul and Israel’s Scriptures.” 51 F. B. Watson, Paul. 52 Cf. O. Wischmeyer, “Paulus,” 88–105. See there for the relation of narrativity and argumentation in Paul. 48 49
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pretation and especially on the relationship between narrative and concept, but in which he uses “doctrine” instead of “concept,” namely “Reading Paul, Thinking Scripture.”53 This essay leads us to the most important hermeneutical decision of Wright, namely his pastoral-ecclesial interpretation of Pauline theology. I will compile briefly the most important ideas from this essay and comment on them critically. Firstly, Wright begins with the narrative: the canon as it stand is irreducibly narrative in form, enclosing within that of course any number of other genres, but displaying an extraordinary, because unintentional to every single individual writer and redactor involved, overall storyline of astonishing power and consistency.54
Wright speaks of a “massive narrative structure” of the canon.55 We are already familiar with this thesis. It refers to the structure of the canon between “in the beginning” of Gen 1 and the “new heaven and new earth” in Revelation. Between these lie the formulations of the new beginning in Mark 1 and John 1 and the continuity between Malachi and the coming of Jesus in Luke 1 as well as the genealogies of the Gospel of Luke and the Gospel of Matthew. Wright himself points out that this great structure is that of the church, which put together the biblical canon, but he is simultaneously certain that Paul had sufficient insight into this great narrative, although he did not know all the parts of this narrative. This is undoubtedly correct, for Paul also looks back to Adam and ahead to an “end” of the great history of God with human beings (1 Cor 15.28) at whose culmination point the coming of Christ stands (Gal 4.4). Wright concludes: “But with Paul, we are ‘thinking Scripture’ all the way, and that means ‘thinking narrative.’”56 With this Wright has laid a foundation for his further argumentation, which is devoted to the applicative hermeneutic in the sense of an ecclesially bound Scripture hermeneutic. His actual interest is devoted to the question of how far a narrative can have doctrinal character: “How can a narrative, or more specifically this narrative, relate to the abstract questions, cast frequently in non-narratival mode, which have formed the staple diet of doctrine and dogma?”57 Secondly, the topic “concept or doctrine and narrative” comes into play here. Wright develops the attractive thesis of doctrines as portable narratives: “I want to propose that we see doctrines as being, in principle, portable narratives.”58 Doctrines and their terminology are cupboards or suitcases in which the
53 Now,
in slightly modified form, N. T. Wright, “‘Atonement’,” 356–378. Cf. n. 6 above. “‘Atonement’,” 357. 55 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 358. 56 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 358. 57 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 359. 58 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 359. 54 N. T. Wright,
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I. Forschungsstand
great narratives are made transportable59 and stored for quick and short communication. Wright finds this back and forth between narrative and doctrine or conceptuality in Paul and describes this finding very vividly and accurately: “Part of my general point … about Paul is precisely that he is constantly doing this packing and unpacking, compressing and expanding, hinting in one place and offering a somewhat fuller statement of the same point elsewhere.”60 Thus, Wright is very conscious of the theoretical, conceptual (begrifflich) – so Bultmann would say – or doctrinal – so Wright says – quality of the language and the texts of Paul. The fact that he nevertheless uses the category of narrative so vehemently as a hermeneutical key category for the theology of Paul is explained by his deep conviction of the significance of the “story of Israel”: The thing to which the church has persistently given far too little attention (including, I believe, the classic creeds themselves) … [is] the story of Israel. It is this story that drives the whole of the New Testament, which is not surprising because it is what drove Jesus himself. When Paul says that ‘the Messiah died for our sins according to the scriptures’ he does not mean that one can find a few helpful proof texts if one looks hard enough. What he means – and what we see in the great sermons in Acts, particularly chapters 7 and 13 of which many subsequent summaries are just that, summaries of the longer biblical narrative – is that the story of Israel from Abraham to the Messiah is seen as the plan of the one creator God to save the whole world. It is remarkable how difficult it is to get this across to people who are deeply embedded in a rather different story, namely one that reads simply ‘creation-sin-Jesus-salvation.’ Interestingly, of course, if you miss the ‘Israel’ stage of the story you not only become a de facto Marcionite, as many alas in both Protestant and Catholic traditions seem to be, but you also leave yourself, most likely, without an ecclesiology, or with having to construct one from scratch far too late in the narrative.61
Thus, Wright does not restrict himself to a formal understanding of what is called γραφή in Paul, but he sees behind the Pauline quotations of Scripture always the history of God with Israel and with humanity. This is certainly correct but not yet sufficiently concrete. The “story of Israel” is common to contemporary Jews of different αἱρέσεις and early Christian authors of different character. But it is at the same time in the form of Scripture the object of controversy, of interpretation, indeed of different and opposing claims to possession. Thus, Paul as well and in particular – whether on account of his Pharisaic education or a general Hellenistic education need not be discussed here – uses Scripture not only and also not primarily as the great narrative of God to which he implicitly refers in the compressed doctrine, but he actively and often polemically participates in the interpretation of the γραφή in the sense of the written Torah. And this interpretation is highly controversial between the Christ-confessing communities 59 German readers will recall here Heinrich Heine’s metaphor of the bible as portable fatherland (“portatives Vaterland”), in: Geständnisse (1854). 60 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 361. 61 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 363.
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and the Jewish scribes as well as among different groups or heads of Christconfessors. The best example of this is the synoptic controversy dialogues in their thematic specification and gnomic brevity and precision. Paul proceeds in a much more intellectual – the word may be permitted – and much more differentiated manner than Mark. It is sufficient to point to Gal 3 and 4: We exegetes find it difficult today to trace the complexity of the Pauline argumentation. To be sure, in this text Paul wants to retell God’s history with Israel and human beings in a compressed manner,62 but he does so by means of terms such as Scripture, law, sin, and faith in a complex polemical line of argument against another kind of understan ding of the law (Gal 4.21). James 2 highlights how difficult and often probably hopeless it could be to come to an understanding about the Scripture. Paul and the author of James completely agree in the recognition of the great history of God with Abraham.63 But they draw opposing theological conclusions. A hermeneutic that is obligated to understanding and interpreting the texts of Paul will perceive precisely this textual structure and describe it as what it is, namely an equally learned and up-to-date polemical dispute over the interpretation of the Scripture of Israel in light of the present, which is characterized for Paul by the “sending of the Son of God” (Gal 4.4). Wright, of course, knows all this. But here what is at issue is the question of emphasis, and this brings us to the third point. Wright’s hermeneutic always has an eye on proclamation. He reads the letters of Paul as “Scripture” not although but precisely by placing them so consequently into their world and into the manner in which this world is reflected in the thought of Paul – into his worldview: To begin with, it means that we must constantly struggle to hear Paul within the world of his implicit, and often explicit, narratives, especially the great story that starts with Abraham … Protecting Paul from that story – the phrase is not too strong – has been a major preoccupation both of some academic exegetes who have wanted to locate him solely within a Hellenistic world and of some dogmaticians and preachers who have wanted to make sure he is relevant to, and addresses clearly, the pastoral and evangelistic issues of which they are aware.64
Here we find for the last time the hermeneutical tool of the synthesis. Wright wants to reconcile academic and pastoral “Scripture interpretation.” His actual goal is scriptural proclamation, which he understands as narration of the history of God with Israel and humankind.
The highest degree of compression is reached in Gal 4.4. need not be discussed here whether and how James “answers” Paul. It is certain that the concern is with the controversial interpretation of the “righteousness of Abraham.” 64 N. T. Wright, “‘Atonement’,” 377. 62
63 It
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All that remains a great challenge at the level of pastoral and ecclesial practice. But I think, as well, that at the academic level we need to see far more open exchange between serious historical exegesis – not done in a corner or by bracketing out questions of meaning, doctrine, and life, but engaging with the realities of which the text speaks – and a dogmatic theology which itself remains open to being told that it has misread some of its own key texts; a dogmatic theology, in other words, which itself does not hide in a corner or bracket out questions of history, text, and original sense.65
5. Hermeneutical Prospectus The pastoral-ecclesial interpretation of the theology of Paul is, of course, legitimate and stands in a great tradition that leads in changing historical form from the ancient church via – I may be forgiven for mentioning this – Luther and in a certain way also via Bultmann down to the immediate present.66 But in order to at least indicate that a Pauline hermeneutic can lead also in another direction and to consider how open this task – necessarily – always remains, I refer to the thirteenth chapter of 1 Corinthians. First Corinthians 13 is a text that combines nominal and verbal aspects, that makes use of Septuagint vocabulary, on the one hand, and is close to the Aristotelian emotion teaching, on the other hand, and that describes love as active subject and human characteristic and simultaneously narrates its eschatological history. With such a text, which Wright himself rightly accentuates in particular as a great ethical text,67 little is gained by referring to the Jewish thinker Paul and the story of God, the Messiah, and the end time. References to popular philosophy or Stoic ethics, let alone Plato, ultimately help us even less. What would benefit us hermeneutically – i. e., what would help us to understand why Paul wrote this text in the way in which he did, although he also could have written it in a completely different way – would be the tracing of Paul’s own voice in each particular text (of which we have not many, and therefore they are most valuable), a voice that we hear here in 1 Cor 13 without God, without the Messiah, without God’s people, and without the apocalyptic end perspective – even though all this is present in Paul’s worldview and this chapter, like all other Pauline texts, would not have emerged without this background. I would therefore like to ask N. T. Wright how from the pen of Paul or the stylus of his secretary this particular text could have arisen, which appears to stand so obliquely to everything or, rather, which does without everything that Wright has 65 N. T. Wright,
“‘Atonement’,” 378. is no accident that the title of Bultmann’s collected essays is Glauben und Verstehen (i. e. “faith and understanding,” in allusion to Anselm of Canterbury). In this way the hermeneutical approach of Bultmann is deeply Christian in the sense of the self-interpretation of existence through the message of the New Testament. 67 N. T. Wright, PFG Parts III and IV, esp. 1118–1120. It is, however, not only an ethical but also an important theological text. 66 It
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vividly presented to us on so many pages as Paul’s religious and ethical “background” and his story? Precisely here a new hermeneutical endeavor would begin, which would aim to understand the texts of Paul in detail, without applying them ecclesially, pastorally (or via an existentialist analysis). Perhaps the British author Kenneth Grahame could help us here with his text on ἀγάπη:68 “See,” said my friend … “how this strange thing, this love of ours, lives and shines out in the unlikeliest of places! You have been in the fields in early morning? Barren acres, all! But only stoop – catch the light thwartwise – and all is a silver network of gossamer! So the fairly filaments of this strange thing underrun and link together the whole world. Yet it is not the old imperious god of the fatal bow – ἔρωι ἀνίκατε μάχαν – not that – nor even the placid respectable στοργή – but something still unnamed, perhaps more mysterious, more divine! Only one must stoop to see it, old fellow, one must stoop!”69
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68 69
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II. Themen
5. Paulus als Ich-Erzähler Ein Beitrag zu seiner Person, seiner Biographie und seiner Theologie 1. Die Fragestellung Die Briefe, die Paulus an verschiedene Gemeinden schreibt, wurden zumindest von den korinthischen Hörern als „gewichtig und kraftvoll“ empfunden und konnten die Gemeinden durchaus „erschrecken“ (2 Kor 10,9f). Die Person des Paulus trat den Erstlesern seiner Briefe also wuchtig vor Augen. So hörte die römische Gemeinde bei der ersten Verlesung des an sie gerichteten Briefes, der Absender richte als berufener Apostel „den Gehorsam des Glaubens auf unter allen Heiden“ (Röm 1,1–7). Paulus milderte daher in Röm 15,14ff die Wucht seines großen Briefes selbst ab und verwies lobend auf die christliche Einsicht der Adressaten, eben um diese nicht zu erschrecken. Paulus selbst macht seine Stärke und Durchsetzungskraft, deren er sich sehr wohl bewusst ist und die er rhetorisch-pragmatisch souverän einsetzt, weder an seinem Auftreten noch an seinem Briefstil, sondern in paradoxer Weise an seiner krankheitsbedingten Schwäche fest, indem er diese Schwäche als jene, die Christi δύναμις Platz gibt (2 Kor 12,1–10), interpretiert. Nun wissen wir, dass die intellektuelle und auktoriale Stärke einer Person zu einem erheblichen Teil in der sprachlichen und sachlichen Präzision ihrer Selbstartikulation liegt. Eben dies Phänomen treffen wir bei Paulus an. In den unterschiedlichsten literarischen Formen, Begriffen und Argumentationsfolgen hat Paulus in seinen Briefen die persönliche Dimension seiner Verkündigung und seiner Theologie artikuliert. Eine dieser Möglichkeiten ist der Rückgriff auf die eigene Geschichte, niedergelegt in autobiographischen Passagen. Hier wird besonders das Element der Erfahrung hervorgehoben und zur Durchsetzung eigener Ziele eingesetzt. Die Plausibilität liegt gerade im literarischen Modus der Erzählung, die den Charakter des Authentischen, Realen, Eindringlichen und persönlich Verantworteten hat. Die genannten Aspekte, das Ich des Paulus, d. h. der Einsatz und das Selbstverständnis seiner Person, seine Vergangenheit als prägende Größe und sein Erzählverhalten, lassen sich unter dem Stichwort „Autobiographie des Paulus“ bündeln. Eve-Marie Becker hat das Thema „Autobiographisches bei Paulus“
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II. Themen
neu in die Diskussion gebracht, strukturiert1 und eine „Heuristik der Auswertung autobiographischer Aussagen und Texte“ vorgelegt.2 Ich beschäftige mich im Folgenden mit einigen von Eve-Marie Becker genannten Texten, die ich als Gruppe zusammenstelle. Es handelt sich um jene Texte, in denen Paulus in IchForm im Tempus der Vergangenheit erzählt. Ich verstehe diese Untersuchung als Beitrag zur Person und zur Theologie des Paulus. Zwei wesentliche Fragen zur Person und zur Theologie des Paulus lassen sich an dieser Textgruppe klären. Erstens ist zu fragen, wie Paulus mit seiner Person erzählend umgeht. Dabei geht es um die eigene Konstruktion seiner Person im Medium seiner Korrespondenz und um den literarischen Einsatz dieser autobiographischen Konstruktion. Die zweite Frage betrifft die Rolle, die seine Lebenserfahrung und seine Biographie für die theologische Argumentation in seinen Briefen spielen. Meine Interpretation der Textgruppe erfolgt über die Wahrnehmung seines Erzählmodus. Mit Gérard Genette nenne ich diesen Erzählmodus zunächst allgemein autodiegetisch. Diese Autodiegese ist eine der drei Erzählmöglichkeiten, die Genette in die literaturwissenschaftliche Erzählforschung bzw. die Narratologie3 eingeführt hat und die sich weitgehend durchgesetzt hat.4 Genette unterscheidet zwischen der heterodiegetischen, der homodiegetischen und der autodiegetischen Erzählung. In Letzterer ist der Erzähler die beherrschende Figur der Diegese. Unter Umständen erzählt er sogar seine eigene Geschichte, d. h. er tritt als Ich-Erzähler eines nicht-fiktionalen, sondern faktualen Erzähltextes, eben seiner Autobiographie, in Erscheinung. Für die Interpretation der Paulusbriefe hat dieser Umstand zwei methodische Konsequenzen. Erstens gilt: Die Paulusbriefe müssen auch erzähltheoretisch gelesen werden. Bei den autobiographischen Erzähltexten kommt zweitens zugleich die literaturwissenschaftliche und historische Autobiogaphieforschung5 ins Spiel. Zunächst zur Erzähltheorie. „Die Erzähltheorie untersucht mit unterschiedlichen Modellen und Verfahren die spezifisch narrative Dimension von Erzähltexten“6, die grundsätzlich in „der sprachlichen Gestaltung zeitlich angeordneter Ereignisse und Situationen“ gefunden wird.7 Folgt man dem Modell von Gérard Genette, dann stehen „die Analyse der Beziehungen zwischen erzählten Geschichten und der Form ihrer Wiedergabe“ sowie die Differenzierung
E.-M. Becker, „Autobiographisches“, 67–87. E.-M. Becker, „Autobiographisches“, 82. 3 Vgl. R. Zeller, „Erzähler“, 502–505; A. Nünning, „Erzähltheorie“, 513–517; M. Schmeling/ K. Walstra, „Erzählung“, 517–519; M. Martinez/M. Scheffel, Einführung. 4 G. Genette, Erzählung, bes. 176 ff. („Discours“, 65–273); ders., Nouveau discours. 5 J. Lehmann, „Autobiographie“, 169–173. 6 A. Nünning, „Erzähltheorie“, 513. 7 Ebd. mit Genette. 1 2
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zwischen der Frage: Wer spricht? (Erzählung) und Wer sieht? (Fokalisation) im Mittelpunkt.8 Allerdings ergibt sich eine Differenzierung für die einfache Anwendung dieser narratologischen Fragen auf die Texte, in denen Paulus als Ich-Erzähler auftritt, und hier kommt zum ersten Mal der spezifisch autobiographische Aspekt der Thematik, der Sonderfall der Autodiegese in den Blick. Denn Paulus versteht sich nicht als fiktionaler literarischer Autor, der als führender Erzähler im Sinne der Literaturwissenschaft agiert und eine Erzählung schreibt. Vielmehr greift er erzählend auf reale Begebenheiten aus seiner vita zurück. Damit bewegen wir uns in unterschiedlichen weiteren Kontexten: im Bereich der Historiographie mit ihrer gattungsgeschichtlichen Spezialform der historischen Autobiographie und ihren Vorformen9, so dass wir den Erzähldiskurs der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft berücksichtigen müssen10, weiter in der schon genannten literaturwissenschaftlichen Autobiographieforschung, die darauf hinweist, dass nur bei der nicht-fiktionalen Autobiographie der Erzähler, der die Geschichte erzählt, „identisch ist mit dem empirischen Autor“11 und daher keine „Erzählung“ im Sinne Genettes verfasst12, schließlich im Bereich der Rhetorik, d. h. der antiken Rede mit ihrer argumentativen Struktur, zu der auch die sog. narratio gehört. Nun also zur Geschichtswissenschaft. Hierzu müssen einige kurze Hinweise ausreichen. Lawrence Stone hat 1979 den Revival of the Narrative diagnostiziert.13 Vor allem Studien über den heuristisch-historischen „Wert von Romantechniken, … (von) Beschreibung, (von dem) Gebrauch rhetorischer Figuren … (und) der Rolle der Einbildungskraft in der Arbeit des Historikers“14 hängen mit der sog. Wiederkehr der Narrativität in die Geschichtswissenschaft zusammen. Am grundlegendsten aber wirkte die heftige Debatte um die Bedeutung des linguistic turn auf die Geschichtswissenschaft. Beide Seiten des literarischen Umgangs mit Geschichte sind davon betroffen: die Seite der literarischen Darstellung, d. h. die Welt der sog. Quellen in ihrer ganzen Breite, und die Auswertung der Quellen durch die Geschichtswissenschaft in der wissenschaftlichen Darstellung, d. h. die Welt der Geschichtsschreibung und – seit dem 19. Jahrhundert – der Geschichtswissenschaft. Beide Bereiche, die Quellen und die Geschichtswissenschaft, rücken näher zusammen und sind miteinander in einer gewissen Unschärferelation 8 Ebd. mit Genette: story und plot. Vgl. dazu einführend Th. A. Schmitz, Literaturtheorie, 68–75. 9 H. Görgemanns, „Autobiographie“, 348–353, 353. 10 Vgl. H. White, „Value“, 5–27. Allgemeiner P. Ricœur, Temps, dt.: Zeit; ders., Geschichtsschreibung. 11 R. Zeller, „Erzähler“, 502. 12 G. Genette, Erzählung, bes. 199: Die Erzählung ist der schriftliche und mündliche Diskurs, der von der Gesamtheit der Ereignisse erzählt. Dies gilt für fiktionale Texte. 13 G. Noiriel, „Wiederkehr“, 355–370. – L. Stone, „Revival“, 3–24. Vgl. die Tabelle Noiriels zu Stone, G. Noiriel, „Wiederkehr“, 356. 14 A. a. O., 364.
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verbunden, die letztlich jede sprachliche Gestaltung von Vergangenem – sei sie eher faktual oder fiktional intendiert – als Akt der Konstruktion einer neuen Textwelt vor dem Hintergrund der vergangenen realen Welt versteht. Stellt man nun die autodiegetischen Texte des Paulus in diesen Problemhorizont, dann haben sie zugleich den Status autobiographischer Quellen und autobiographischer Konstruktionen. Und ebenso gilt: Auch bei unserer exegetischen Behandlung dieser Texte verbinden sich kritische Rekonstruktion und produktive Paulusinterpretation, die das Werk der Exegese bleibt. Die Gattung der Autobiographie wird literaturwissenschaftlich als „Gattung nichtfiktionaler, narrativ organisierter Text im Umfang eines Buches, dessen Gegenstand innere und äußere Erlebnisse sowie selbst vollzogene Handlungen aus der Vergangenheit des Autors sind“15, beschrieben. Wichtig ist der Modus der Sprechhandlung in der Autobiographie: „Der Autobiograph setzt sich sprachlich handelnd in ein je nach Typus verschiedenes (rechtfertigendes, informierendes, unterhaltendes u. a.) Verhältnis zu seiner Umwelt“.16 Es ist deutlich, dass diese Definition von Autobiographie kaum hinter Augustins Confessiones zurückgehen kann.17 Herwig Görgemanns trägt zur Klärung der Frage, wieweit der Autobiographiebegriff für Texte der griechisch-römischen Antike zutreffe, bei, indem er zwischen Autobiographie und autobiographischen Zügen differenziert: „Die A(utobiographie) ist im Gegensatz zur Biographie in der Ant(ike) nie als lit(erarische) Gattung betrachtet worden. Neuzeitliche Muster (Rousseau) legen es nahe, introspektive Selbsterfahrung zu einem wesentlichen Kriterium der A(utobiographie) zu machen; aber in der Ant(ike) tritt Vergleichbares erst spät bei Gregor von Nazianz und Augustinus auf. Autobiographische Elemente finden sich freilich zerstreut in verschiedenen Zusammenhängen“.18 Zu den Ursprungsberichten der antiken Autobiographie zählt Görgemanns u. a. die Rhetorik, den Brief und die Hypomnemata. Diese drei Gattungen haben häufig eine Tendenz zur Selbstrechtfertigung.19 Stellt man nun Paulus in diese Zusammenhänge, dann ist zunächst ganz deutlich: Paulus hat weder im antiken noch im modernen Sinn eine Autobiographie geschrieben. Wir finden aber autobiographische Züge in seinen Briefen, und die Briefgattung ist, wie wir sahen, eine der autobiographischen Trägergattungen. Der autobiographische Erzähl15 J. Lehmann,
„Autobiographie“, 169. Ebd. 17 J. Lehmann verweist auf Platons 7. Brief (der allerdings nur dann autobiographische Bedeutung hat, wenn er echt ist [vgl. dazu Th. A. Szlezák, „Platon“, 1095–1110: Unechtheit nicht nachgewiesen, 1099], und auf die Antidosis-Rede des Isokrates [353 v. Chr.]). Für beide Texte betont Lehmann „die Instrumentalisierung von Autobiographien zum Zwecke der Verteidigung, Erläuterung und Legitimierung eigenen Handelns“ („Autobiographie“, 170). Szlezák weist darauf hin, dass der 7. Brief Platons „keine vollständige Autobiographie geben will“ („Platon“, 1095). 18 H. Görgemanns, „Autobiographie“, 348–353. 19 Dies gilt auch für die römische Gattung der commentarii. 16
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gestus ist tendenziell selbstrechtfertigend. Diese Tendenz findet sich in weiten Teilen der paulinischen Briefe. Erzählung in argumentativem Zusammenhang ist das Thema der RhetorikForschung. Die Einsicht in den Umstand, dass die Paulusbriefe aus der Perspektive der antiken Rhetorik, vor allem im Licht des Genus der Gerichtsrede, zu interpretieren sind, verdanken wir Hans Dieter Betz.20 Uns interessiert hier jener Teil der Rede, der narratio21 genannt wird. Die narratio wird bei Lausberg als „Mitteilung der (in der argumentatio zu beweisenden) Sachverhalts an den Richter (Quint. 4,2,1 ut, praeparato per haec quae supra dicta sunt indice, res de qua pronuntiaturus est, indicetur)“ bezeichnet. Die narratio ist dementsprechend die „parteiisch-vereindringlichende Detaillierung des nüchtern-knapp in der propositio Ausdrückbaren“.22 Die drei genera der narratio sind: „die parteiische Tatverlaufschilderung vor Gericht“, „die Erzählung als Exkurs“ und „die literarische Erzählung, deren Behandlung eigentlich in die ars poetica gehört“ und bei der Vorgangserzählung (fabula, historia und argumentum) und Personenerzählung unterschieden werden.23 Die Erzählung muss nicht narratio continua sein, sondern kann auch als narratio partilis auftreten, in die argumenta oder Exkurse eingeschaltet sind. Es ist deutlich, dass die Formen der rhetorischen narratio nicht wie eine literarische Erzählung die Funktion der Unterhaltung haben, sondern im Dienst des Beweises eines Sachverhaltes stehen. Auf diesen Sachverhalt einer argumentativ gerahmten und verwobenen narratio weist von ganz anderer Seite die gegenwärtige Diskurskritik hin. Peter V. Zima akzentuiert die Bedeutung der Semiotik von A. J. Greimas für das Verhältnis zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Erzähltexten folgendermaßen: „Einer der wesentlichen Verdienste der Greimasschen Semiotik ist sicherlich die Erkenntnis, daß auch nichtfiktionale (politische, juristische oder wissenschaftliche) Diskurse ‚Erzähltexte‘ sind und eine aktantielle Struktur aufweisen, deren dramatischer und polemischer Charakter soziale Konflikte ausdrückt“.24 Statt des sozialen Erklärungsrahmens ist bei Paulus ein religiöser Bedeutungsrahmen vorausgesetzt. 20 H. D. Betz, Galaterbrief, 54 ff. Betz versteht den Galaterbrief als „Beispiel für die Gattung des ‚apologetischen Briefes‘“ (55). Die narratio findet er in 1,12–2,14. Vgl. dazu modifizierend R. Longenecker, Galatians, p. C ff. (Epistolary and Rhetorical Structure). Kritisch differenziert auch St. E. Porter (Hg.), Handbook, 533–586. Neue Lit.: R. D. Anderson, Theory; J. S. Vos, Kunst; F. Tolmie, Galatians. Vgl. dazu jetzt allg. M. M. Mitchell, „Paulus“, 10–21, bes. 13 (und Lit.). 21 Vgl. Cicero, De inventione 1.19.27: „Narratio est rerum gestarum aut ut gestarum expositio“. De inv. 1.20.28: „Nunc de narratione ea, quae causae continet expositionem, dicendum videtur“. 22 H. Lausberg, Handbuch, 163 f. 23 A. a. O., 165 f. 24 P. V. Zima, Ideologie, 244, bezogen auf A. J. Greimas, Sémiotique, 96. – Den Hinweis auf Zima verdanke ich meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Stefan Scholz.
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Ein letzter Faktor muss vorab angesprochen werden: die „Vergangenheit“ in ihrer Spannweite von historischer bis zu mythischer und imaginierter Zeit. Ich habe die Gruppe der autodiegetischen Texte bei Paulus, mit denen ich mich hier thematisch beschäftige, auf die Ich-Erzählungen im Zeitmodus der Vergangenheit begrenzt. Seine Ich-Berichte im Modus der Gegenwart oder Zukunft, wie sie sich z. B. in Röm 15,23–29 oder 1 Kor 16,3–9 finden, behandle ich hier nicht, weil sie sich nicht auf Ereignisse beziehen, die zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Texte schon die Person des Paulus geprägt hatten. Dies trifft nur für Begebenheiten zu, über die er im Modus der Vergangenheit berichtet, d. h. die schon ihre Wirkung an seiner Person entfalten konnten. Wir befinden uns damit im Problembereich von Erzählen und Zeit, einem Thema, das seit zwei Generationen zu den wesentlichen Fragen der Literaturtheorie gehört.25 Für meine Fragestellung ist aus diesem Bereich nur der genannte Aspekt von Bedeutung: die sog. Vergangenheit als jener unermessliche Zeitraum, dessen Ereignisse nur durch gegenwärtiges „Erinnern, Wahrnehmen/Deuten und Entwerfen“26 auszusagen sind, da er selbst – wie alle drei Zeitformen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – keinen ontologischen Status hat. Für den Zeitmodus der Vergangenheit ist daher die sprachliche Erzählung die einzige Expressions- und Darstellungsform. Die Ereignisse der Vergangenheit haben also in der jeweiligen Gegenwart ausschließlich sprachlich-narrativen Charakter. Über die verschiedenen Wirklichkeitsbezüge dieser Erzählungen und ihren faktischen oder fiktionalen Status ist damit noch nichts gesagt. Zugleich ergibt sich daraus erzähltheoretisch, dass eine vorab getroffene Unterscheidung zwischen autobiographischen, weil auf die realen Lebensumstände des Paulus bezogenen, und mythischen, weil auf das adamitische bzw. generische Ich bezogenen, Texten, wie wir sie auch bei Paulus finden, von sekundärer Bedeutung ist. Das hat für jene Texte Konsequenzen, in denen Paulus die Autodiegese in einem vagen vorzeitlichen πότε ansiedelt und damit ein mythisches Erzählkonzept mit der Autodiegese verbindet (Röm 7,7–13) oder aber in einer distanzierenden und verfremdenden Spielart der Autodiegese in der 3. Person27 von seinen religiösen Erlebnissen spricht (2 Kor 12,1–10).
25 Seit E. Staiger, Zeit, später H. Weinrich, Tempus. Vgl. G. v. Wilpert, „Zeit“, 916f; D. Stocker, „Tempus“, 58; B. Dücker, „Zeit“, 687–689. 26 Vgl. B. Dücker, „Zeit“, 688. 27 Zum Verhältnis der Erzähltypen zu den grammatischen Formen vgl. RDLW 1, 503 (zwischen Personalpronomina und dem Modus der erzählten Welt besteht „keine eindeutige Zuordnung“).
5. Paulus als Ich-Erzähler
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2. Die Texte Die ältesten Ich-Erzählungstexte im Tempus der Vergangenheit finden wir im 1. Thessalonicherbrief: 2,1–12.17f; 3,1–5. In 1 Thess 2,1–12 blickt Paulus auf die nahe Vergangenheit zurück, auf seinen Gründungsaufenthalt in Thessaloniki. Paulus selbst befindet sich während der Abfassungszeit des Briefes in einer nicht genannten Stadt – nach der exegetischen Mehrheitsmeinung in Korinth. Sein Schreiben entstand wohl im Jahr 50 n. Chr.28 In 2,1 nennt Paulus das Thema des Abschnitts: sein Auftreten in Thessaloniki in der Gründungssituation der Gemeinde (εἴσοδος). Zunächst ist auffallend, dass die ganze Passage das kollektive Subjekt „Wir“ hat. Spricht Paulus hier überhaupt von sich selbst? Das Phänomen des „Wir“ in den Paulusbriefen hat Eve-Marie Becker neu untersucht. Sie hat deutlich gemacht, dass das „Wir“ in den Briefen zwei Aspekte hat: „Zum einen dient das biographische ‚Wir‘ dazu, dass der Absender von gemeinschaftlichen Erlebnissen (im Mitarbeiter- oder Absenderkreis) berichtet. Zum anderen stellt das paritätische ‚Wir‘ sicher, dass dem ‚Ihr‘ der Adressatenschaft, das Paulus öfter im Brief direkt anspricht, ein ‚Wir‘, d. h. eine Gemeinschaft von Absendern gegenübersteht“.29 Gerade unser Text macht nun deutlich, dass Paulus hier an wichtigen Punkten ausschließlich von sich selbst spricht. In V. 7 bezieht sich der Aposteltitel auf ihn. In V. 9 beschreibt er seine eigene Lebensform (vgl. 1 Kor 9,1–18). Zugleich aber stellt das „Wir“-Subjekt diese autobiographischen Aussagen in den größeren Zusammenhang seiner Mitarbeiter. Was erzählt Paulus in dieser Form von sich selbst? Nur wenige Erzählzüge im Sinne einer Ereignisfolge lassen sich identifizieren: Er hatte in Philippi gelitten und war misshandelt worden und begann trotzdem mit seiner Evangeliumsverkündigung in Thessaloniki. Diese fand „unter viel Kampf“ statt (V. 2). Worauf sich der Kampf bezieht, bleibt ungesagt. Paulus wirkte in freundlich-milder Weise unter den Thessalonichern und befreundete sich persönlich mit ihnen. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt selbst und predigte in den Abend- oder Nachtstunden. In diese narrativ kaum strukturierte Autodiegese sind zahlreiche (V. 3–7a.10) apologetische Sätze eingefügt, die den Erzählgang verunklären und den Charakter der Passage als Erzählung fast unkenntlich machen. Paulus schreibt hier offensichtlich nicht mit autobiographischem erzählerischem Interesse, sondern er rekapituliert seine Wirksamkeit als Apostel, indem er sie zugleich vor den Thessalonichern rechtfertigt. Er schreibt apologetisch. Dazu greift er in argumentativer und pragmatischer Abzweckung auf einzelne Begebenheiten zurück, die autobio28 Zur Diskussion vgl. U. Schnelle, Einleitung, 62 f.; ders., Paulus, 177 ff.; E. Reinmuth, „Brief“, 105–158, 105–108. 29 E.-M. Becker, Schreiben, 154. Vgl. auch E. Reinmuth, „Brief“, 126: „Wir gehen davon aus, daß das ‚wir‘ des Briefes regelmäßig dem Autor Paulus gilt und zugleich die beiden Mitabsender in die Botschaft des Schreibens einbezieht“.
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graphischen Charakter haben, ohne dass sich diese zu einer deutlichen autobiographischen Erzählung zusammenschließen. Es ist auch deutlich, dass die beschriebene Ereignisfolge so nahe zurückliegt, dass sie noch nicht richtig zu erzählbarer Vergangenheit geworden ist. Insgesamt ist dieser Ich-Erzähltext im Tempus der Vergangenheit weder primär narrativ noch autobiographisch. Er enthält aber derartige Elemente. Wir stoßen also schon hier auf das Phänomen, dass Paulus – in unterschiedlichster Weise30 – seine Person und seine Biographie im Rahmen seiner Brieftheologie einsetzt, d. h. dass er narratio argumentativ im Sinne der Rhetorik einsetzt. 1 Thess 2,17f ist ein weiterer Splitter dieser Ich-Erzählung. Wir erfahren, dass Paulus Thessaloniki verlassen hat, mit der Gemeinde innerlich sehr verbunden war und sie erneut besuchen wollte. Der „Satan“ aber „hinderte“ ihn. Das Motiv des Gehindert-Werdens begegnet auch im Römerbrief (1,13; 15,22). Im 1. Thessalonicherbrief ist es mythisch aufgeladen.31 1 Thess 3,1–6 stellt einen letzten Splitter jener fraktierten Ich-Erzählung des Paulus dar, in der er sein Ergehen seit seinem Gründungsaufenthalt in Thessaloniki rekapituliert. Paulus war in Athen, verlangte nach Nachrichten aus Thessaloniki und sandte Timotheus nach Thessaloniki. Timotheus kehrte mit guten Nachrichten zu Paulus zurück, so dass Paulus νῦν (V. 8), d. h. zum gegenwärtigen Zeitpunkt, getröstet ist und seinen Brief aus dieser Situation heraus schreibt. Im 1. Korintherbrief finden wir folgende einschlägige Texte: 2,1–5; 3,1f; 9,19– 23; 13,11. Auch in 2,1–5 handelt es sich thematisch um den Gründungsaufenthalt des Paulus – diesmal in Korinth. Paulus selbst befindet sich während der Abfassung des Briefes in Ephesus. Der Brief entstand – nach der exegetischen Mehrheitsmeinung – im Jahre 54 oder 55.32 Paulus blickt auf seine Mission in Korinth zurück, diesmal im Ich-Stil. Erzählzüge im Sinne einer Ereignisfolge sind: Er predigte das Kreuzeskerygma, und sein Zustand und sein Auftreten waren durch Schwäche gekennzeichnet – ob körperlicher oder seelischer Art bleibt offen. Auch hier tritt die Erzählung hinter der argumentativ-exemplarischen Pragmatik zurück. Der kurze Rückblick auf seine Missionspredigt dient nicht der autobiographischen Selbstversicherung mittels Erzählung, sondern der argumentativ eingesetzten narratio bezüglich des λόγος τοῦ σταυροῦ mit 1,18. 3,1f knüpft noch einmal an das Thema von 2,1–5 an. Paulus spricht meta phorisch über den Modus seiner Erstverkündigung bei den Korinthern. Anders ist die Thematik in 9,19–23. Paulus erzählt im Ich-Stil im Tempus der Vergangenheit33 von seinem religiösen Verhalten in den unterschiedlichen re Theologisch wichtig ist die μιμητής–μιμηταί-Vorstellung Zum Satan vgl. auch unten bei 2 Kor 12,7. Interessant ist, dass die Apg das Motiv der Verhinderung an den Geist bindet (Apg 16,6). 32 Vgl. U. Schnelle, Einleitung, 75 und O. Wischmeyer, „Der 1. Korintherbrief“, 299–329. 33 Er benutzt Aorist und Perfekt. 30 31
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ligiösen Gruppierungen, mit denen er es bei seiner Mission zu tun hatte. V. 23 schließt dann im Präsens. Auffallend ist jede Vermeidung autobiographisch fassbarer Folgen von Ereignissen oder Situationen. Obgleich Paulus einen kurzen, stilistisch eindrucksvollen, thematisch bedeutenden autobiographischen Text schreibt, erzählt er nicht von sich, sondern stellt seine Position trotz der Verbalsatzfolge (ἐγενόμην – γέγονα) in religiöser Begrifflichkeit dar. Im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes findet sich ein Satz, in dem Paulus, der sich in den Versen 1–3 als ideales gegenwärtiges religiös-ethisches Ich entwirft, in einem Bild von einem „generisch und nicht autobiographisch“ gemeinten Ich in der Vergangenheitsform spricht.34 In V. 11 werden zwei zeitlich aufeinanderfolgende Zustände: Kindheit und Erwachsenenalter, kontrastiv nicht eigentlich erzählt, sondern nur genannt. Der 2. Korintherbrief ist der Paulusbrief, der am meisten Einblicke in die Person des Paulus gibt. Einzelsätze, Satzverbindungen und Textpassagen, in denen Paulus von seiner Person erzählt, finden sich in 1,8–9.15f; 2,1.12f; 7,5– 7.13b; 8,6.18.22; 9,3–5; 11,7–9.23–27.32f; 12,1–10. Der letztgenannte Text ist der wichtigste Ich-Erzählungstext im 2. Korintherbrief. 2 Kor 1,8–9 bezieht Paulus sich auf seine Situation während seines Schreibens. Ich gehe mit Eve-Marie Becker von einer Entstehung der Einzelbriefe, die im 2. Korintherbrief zusammengefasst sind, in den Jahren 54/55 aus.35 Die Briefe wurden in Makedonien geschrieben. Paulus berichtet den Korinthern von der lebensgefährlichen Situation, in die er bei seiner Wirksamkeit in Ephesus geriet (Apg 19f). Wieder benutzt er das „Wir“. Und wieder erzählt er nicht im Sinne der Entfaltung von Situations- und Ereignisfolgen, sondern er benennt lediglich die ausgestandene Gefahr mit dem andeutend-deutenden Substantiv θλῖψις und beschreibt in drei Wendungen seine Verzweiflung und Todesangst. Da sich Paulus hier anders als im 1. Thessalonicherbrief und im 1. Korintherbrief nicht auf Ereignisse bezieht, die den Lesern bekannt waren, stellt sich die Frage, ob und wie die Korinther diese erzählenden Hinweise überhaupt verstehen konnten. Ich nehme an, dass die Briefüberbringer der Gemeinde von den Ereignissen in Ephesus berichteten und dass Paulus eben dies voraussetzte. Die Briefpassagen selbst dienen nicht dem Bekanntmachen der Gemeinde mit den Erlebnissen des Paulus, sondern der Argumentation. 1,15f berichtet Paulus über seine ursprünglichen Reisepläne, deren Aufgabe er in 1,23f–2,1ff begründet: Hier erzählt er gar nicht von Ereignissen oder
34 W. Schrage,
Brief, 308. Vgl. auch O. Wischmeyer, Weg, 129: Das Ich ist typisch. „2. Korintherbrief“, 331–368; vgl. dies., „Letter Hermeneutics“, 66 f. – Vgl. auch die allgemeine Einführung bei U. Schnelle, Einleitung, 94 f. Die Abfassung in Makedonien ist communis opinio. Schnelle und Thrall (s. u. Anm. 36), die den 2 Kor gar nicht oder nur in 1–9 und 10–13 teilen, gehen von einer Entstehung im Jahr 55 bzw. 56 n. Chr. aus. Vgl. auch U. Schnelle, Paulus, 250–253. 35 E.-M. Becker,
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Situationen, sondern ausschließlich von seinen früheren Reiseplänen und inneren Überlegungen. In 2,12f stoßen wir dann wieder auf eine Erzählspur: Paulus kam nach Troas, predigte dort erfolgreich, fand aber Titus nicht vor und kehrte nach Makedonien zurück. Hier haben wir ein kleines Fragment eines Paulus-Itinerars vor uns, dessen Fortsetzung in 7,5–7.13b vorliegt. Paulus reiste nach Makedonien und traf dort Titus, der ihm gute Nachrichten aus Korinth brachte. Beide freuten sich an diesen Nachrichten. In den beiden Kollektenkapiteln stoßen wir auf Erzählsplitter: 8,6.18.22 berichtet Paulus, er habe Titus und einen weiteren Bruder mit dem Einsammeln der Kollekte in Korinth beauftragt. 9,3–5 kommt Paulus noch ebenso kurz wie undeutlich auf sein zurückliegendes Verhalten bei der Kollekteneinsammlung zurück. Er selbst erscheint in diesen Sätzen als der Leiter und Organisator der Einsammlung. Neben diesen fragmentarischen Sätzen finden sich in Brief E (2 Kor 10– 13) zwei größere Texte, in denen Paulus Ich-Erzählungen im Tempus der Vergangenheit schreibt. 11,7–9 teilt Paulus im Rahmen einer heftigen apologetischen Argumentation einige autodiegetische Erzählsplitter mit: Er hat in Korinth unentgeltlich gepredigt und sich von fremden Gemeinden unterstützen lassen. Besonders hat er sich aus Makedonien finanziell helfen lassen. Im Zusammenhang der sog. Narrenrede 11,16–12,13 teilt er in 11,23–27.32f wesentliche Ereignisse seines Lebens als Missionar mit, seine Mühen, Gefangenschaften, Todesgefahren, einen Katalog von Strafen und Unglücksfällen auf seinen Reisen und bei der Missionsarbeit. Gerade diese Ereignisse, die sich besonders zur Erzählung eignen und zum Teil in den narrativen Episoden der Apostelgeschichte wiederbegegnen, geraten Paulus unter der Hand zur nummerierten Aufzählung, eben zum substantivischen Katalog ab V. 26b. Das gilt schon für die Verbalsätze von V. 23b bis 26a. Lediglich in 11,32f können die Korinther, die Erzählungen missionarischer Helden- und Leidenstaten erwarten, eine Erzählepisode lesen – auch diese fällt ganz kurz aus. Die Rettung über die Mauer hat etwas Spektakulär-Extravagantes. Dies mag der Grund dafür sein, dass Paulus an diese Episode die Entrückungserzählung anschließt.36 12,1–1037 gibt einen Rückblick, der autobiographisch datiert ist: ungefähr auf das Jahr 40 n. Chr. Neben Gal 1,13–2,14 ist dies die einzige genau Zeitangabe, die Paulus über sein Leben macht. Mehr Autobiographisch-Erzählendes gibt 36 Zu den exegetischen Erklärungsversuchen des Ortes dieser Episode in der Narrenrede vgl. M. Thrall, Commentary, 763–771. M. Thrall selbst bevorzugt die Erklärungsmöglichkeit (c), die die Episode als Beispiel von Schwäche interpretiert (765 f.). 37 Vgl. O. Wischmeyer, „2 Korinther 12,1–10“, 29–42 (vgl. dies., Ben Sira, 277–288).
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der kurze Text aber kaum her. Paulus erzählt im distanziert-verschlüsselten Modus der 3. Person von seiner Entrückung in die himmlische Welt (V. 1–4) und antithetisch dazu von seiner Krankheit und seinem nicht erhörtem Heilungsgebet.38 Dabei berichtet er, dass der erhöhte Kyrios zu ihm gesprochen habe, und zitiert dies Logion (V. 9). Es ist schon immer besonders beachtet worden, wie kurz und verschwiegen dieser Text ist.39 Die Korinther, die Erzählungen von pneumatischen Phänomenen und Erfahrungen ihres Apostels anmahnten und erwarteten, waren sicher nicht durch diese Erzählung, die mehr verschweigt als erzählt, befriedigt. Zugespitzt formuliert: Die zeitliche Notiz von 12,2 hält nicht, was sie verspricht. Gerade hier, wo zwei Erzählmöglichkeiten bzw. -notwendigkeiten bestanden, nämlich eine faktuale autobiographische Erzählung der Umstände und Eigenart seiner Entrückung im Jahre 40 n. Chr. und eine apokalyptische Erzählung der Himmelswelten, in die er entführt wurde,40 verhält Paulus sich fast anti-erzählend. Die autobiographisch interessanteste Passage findet sich im Galaterbrief. Gal 1,12–2,14 stellt einen durchgehend autobiographischen Text dar, der seiner früheren ἀναστροφή und den Ereignissen bei und nach seiner Berufung zum Apostel gewidmet ist. Der Erzähltext ist zeitlich und topographisch gegliedert, enthält die zweite chronologische Angabe der Paulusbriefe und stellt bestimmte wichtige Episoden aus dem Leben des Missionars Paulus dar. Soweit der erste Eindruck von diesem Text, der der Schlüsseltext für die Rekonstruktion der paulinischen vita ist und dessen historisch-biographische Details hier nicht diskutiert werden können. Nun ist seit dem Kommentar von Hans Dieter Betz41 deutlich, dass es sich mindestens in Gal 1,12–2,14 um eine Apologie handelt – und damit um einen Text aus dem Genus der Gerichtsrede. Paulus verteidigt sein Evangelium als „nicht von menschlicher Art“ (1,12 vgl. 1,1). Er hat es vielmehr „durch eine Offenbarung Jesu Christi empfangen“ (1,13). Um diese These zu verteidigen, schreibt er die narratio 1,12–2,14.42 Die narratio bzw. διήγησις ist „die Darstellung des Vorgangs“, auf den sich der Redner – hier Paulus – bezieht.43 Betz weist darauf hin, dass es sich hier mit Cicero um „jene Form von Erzählung, die die Darstellung eines Rechtfalles enthält“, handelt.44 Das erklärt die starken apologetischen Argumentationszüge innerhalb der narratio: 1,16.17.19.20; 2,6.8. Das Interesse des Textes liegt in der mehrfach variierten Versicherung, Paulus habe nach seiner Offenbarung (1,16) die Inhalte seiner Evangeliumsverkündigung Vgl. O. Wischmeyer, „2 Korinther 12,7–8“, 467–479. O. Wischmeyer, „2 Korinther 12,1–10“, 36. 40 Vgl. H.-C. Meier, Mystik; B. Heininger, Paulus. 41 H. D. Betz, Galaterbrief, 54 ff. Die These muss hier nicht weiter diskutiert werden. Vgl. dazu Anm. 20. 42 Vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 58 ff. zur Gliederung. 43 H. D. Betz, Galaterbrief, 122. 44 Ebd. 38 39
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nicht „von Menschen“, d. h. von den Jerusalemer Aposteln empfangen. Dies Motiv weitet er nun aus: Auch bei seinem späteren Jerusalembesuch habe er überhaupt nur Petrus und Jakobus zwei Wochen lang besucht. Auch bei dem Apostelkonvent sei er seinem Evangeliumsauftrag ganz und gar treu geblieben und habe von den „Säulen“ keine Änderungen seiner Verkündigung hinnehmen müssen. Die Freiheit des Evangeliums für die Heidenchristen habe er schließlich auch gegenüber Petrus und Barnabas in Antiochia verteidigt.45 4,14f erinnert Paulus die Galater – ähnlich wie im 1. Thessalonicher- und 1. Korintherbrief – an seine Erstmission, bei der er unter einer – unter Umständen entstellenden – Krankheit litt.46 Hier begegnen wir wieder der verhüllenden Sprache, die wir aus 2 Kor 12,7 kennen. Die Problematik Stark-Schwach im Zusammenhang der Mission ist dieselbe. Aufschluss über seine Krankheit gibt Paulus hier nicht. Im Römerbrief finden sich zwei erzählende Ich-Passagen im Tempus der Vorzeitigkeit: 7,7–13 und 15,17–22. Der Text 7,7–1347 gehört zu den theologischen Spitzentexten des Paulus über das Gesetz. Paulus verteidigt das Gesetz gegenüber dem Verdacht, den seine eigene Theologie befördert haben wird – das Gesetz sei Sünde. Mit einem dreigliedrigen Argument stellt sich Paulus diesem Fehlschuss entgegen: (1.) Das Gesetz entlarvt die Begierden des Menschen, indem es sie warnend-verbietend benennt. Ziel ist, dem Menschen das Leben in der Abwehr dieser Begierden zu eröffnen. (2.) Die Sünde nimmt dies zum Anlass, alle Begierden zu wecken und so den Menschen zum Übertreten der Gebote, die das Begehren bestimmter Größen verbieten, zu reizen. (3.) Der Mensch übertritt die Gebote und ist damit des Todes schuldig. So kommt es zu der scheinbaren Paradoxie: Das Gesetz, das Leben will, bewirkt Tod. Dass diese Argumentation die Adamsgeschichte voraussetzt, ist deutlich. Denn das Argument, der Mensch habe vor dem Gebot bzw. Verbot nicht begehrt und daher auch nicht gesündigt, ist nur in diesem Zusammenhang plausibel. Anders als in Röm 5 nennt Paulus hier Adam nicht. Vielmehr trägt er seine Argumentation zum Verhältnis von Gesetz – Begierde – Sünde – Tod in der narrativen Form einer äußerst „kurzen mythisch formulierten adamitischen Ideal-Autobiographie“ vor.48 Dieser Sachverhalt ist in unserem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Erstens benutzt Paulus hier den mythischen Erzählgestus des „Einst“, zweitens verbindet er den Blick in die adamitische Zeit mit seiner Person. Die Ich-Erzählung im Tempus der Vergangenheit bündelt mehrere Faktoren. Lohse weist 45 Soweit der Gedankengang in größter Kürze. Für alle Details verweise ich auf die Kommentare, vor allem auf J. D. G. Dunn, Epistle. 46 Vgl. dazu die ausgezeichneten Ausführungen bei H. D. Betz, Galaterbrief, 387 ff. Betz weist auf die dämonologische Sprache hin und zieht zurecht die Parallele zu 2 Kor 12. 47 Vgl. allg. U. Wilckens, Brief, 72–83; J. A. Fitzmyer, Romans, 462–472; E. Lohse, Brief, 211–218; O. Wischmeyer, „Menschsein“, 90 ff. 48 O. Wischmeyer, „Menschsein“, 91.
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auf die konkretisierende und veranschaulichende – früher hätte man gesagt: existentielle – Funktion dieser Ich-Erzählung hin. Damit hängt ihre generischgrundsätzliche Bedeutung zusammen.49 Eine dritte Komponente ist nun aber trotz des generischen oder idealen Ich eben das Faktum der autobiographischerzählenden literarischen Gestaltung. Denn Paulus spricht hier durchaus in einer sehr spezifischen Weise über sich selbst: Adamitischer Mensch ist auch er! Sein Geschick hat sich bereits in der adamitischen Zeit vollzogen, und er versteht seine Identität als jüdischer Mensch50 als die des adamitischen Sünders, dessen Tod schon vorweggenommen ist. An diesem Punkt fallen das generische oder ideale und das individuelle, autobiographische Ich zusammen. Hier liegt auch der – berechtigte – Grund des Auslegungsstreits um das „Ich“ in Röm 7 – eines Streites, der zu den klassischen exegetischen Debatten zählt. Denn die adamitische Ideal-Biographie ist eben zugleich die Autobiographie des Menschen Paulus. In dieser Hinsicht gibt Paulus gerade in den Sätzen von Röm 7,7ff einen der wichtigsten Beiträge zum Selbstverständnis seiner Person, die wir von ihm haben. Röm 15,17–22 ist einer jener Texte, in denen Paulus in apologetischen Kontext auf seine missionarische Tätigkeit zurückblickt. Der Abriss seiner Mission „von Jerusalem bis Illyrien“ in V. 19 ist erzählend im Modus der Vergangenheit geschrieben, hat aber nicht autobiographisch-geographischen, sondern idealimperialen Charakter, denn weder in Jerusalem noch in Illyrien hat Paulus missioniert. In Philemon 10 fällt ein Lichtstrahl auf eine ganz begrenzte Episode im Leben des Paulus, die für den kurzen Philemonbrief aber von Wichtigkeit ist: Paulus, der sich bei der Abfassung des Briefes in Gefangenschaft – vielleicht in Ephesus, eher aber in Caesarea oder Rom51 – befindet, hat dort den Sklaven Onesimus zum Christentum bekehrt. Diesen autobiographischen Sachverhalt erzählt Paulus zwar, aber in einer Doppelmetapher verschlüsselt: „Ich bitte dich für mein Kind, das ich in den Fesseln gezeugt habe, Onesimus“. In Phil 3,4–16 gewährt Paulus der Gemeinde in Philippi Einblicke in seine Existenz. Der Text ist apologetisch gegen konkurrierende judenchristliche
49 Lohse in seinem sehr klaren und ausgewogenen Exkurs: „Das ἐγώ in Röm 7“, Brief, 213– 216, 215. Lohse verweist auf 1 Kor 13,1–3 (s. o.). 50 Kap. 7 passt nur auf Juden. Dass auch die Nichtjuden demselben Geschick unterliegen, hat Paulus in Kap. 1–3 nachgewiesen. 51 In Ephesus in den Jahren 53–55 n. Chr. (so jetzt wieder P. Lampe in: N. Walter/E. Reinmuth/ P. Lampe [Hg.], Briefe, 205). Weitere Exegeten, die für Ephesus plädieren: vgl. U. Schnelle, Einleitung, 167 Anm. 461. Rom: vgl. Schnelle, ebd. Caesarea: Dibelius, Lohmeyer, Kümmel, Thornton (vgl. Schnelle, ebd.). Die Frage nach der Lokalisierung und der damit verbundenen Datierung kann hier nicht erörtert werden. Allerdings sollte der Altershinweis in Phlm 9 ernstgenommen werden.
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oder jüdische Missionare gerichtet.52 Zunächst gestaltet Paulus in V. 5 und 6 seine polemische Selbstdarstellung in der Form eines jüdisch ausgelegten Tugendkatalogs. Der Katalog ist substantivisch formuliert. In V. 7 bricht er mit diesem Schema und wechselt in das autobiographische Ich im Modus der Vergangenheit. Der kurze, inhaltlich wesentliche Erzählsatz lautet: „Aber was mir Gewinn war, das eben habe ich Christi wegen für Schaden erachtet“. Diesen Gedanken führt Paulus dann wieder im Präsens aus. Die Passage endet mit einem futurischen Ausblick auf die Auferstehung in V. 11. Phil 4,15f finden wir einen weiteren Rückblick des Paulus auf seinen Missionsanfang in Philippi und seine enge Verbindung mit der Gemeinde.
3. Ergebnisse und theologische Würdigung Wenn wir nun zurückblicken, so wird deutlich, dass Paulus autodiegetische Sätze und Kurztexte geschrieben hat. Wir finden allerdings keine längeren einheitlichen autodiegetisch-autobiographischen Texte. Vor allem finden wir keine narrativen Erzählzüge in nicht-argumentativem Zusammenhang. Die beiden einzigen umfangreicheren und in ihrer Kontextfunktion selbstständigen derartigen Texte, nämlich 2 Kor 12,1–10 und Gal 1,12–2,14, machen diesen Umstand deutlich. Denn gerade diese Texte sind von apologetisch-polemisch argumentierenden Sätzen durchzogen. Mehr noch: ihre Intention ist nichts weniger als autobiographisch, d. h. auf die persönliche Biographie des Paulus und damit auf seine Vergangenheit gerichtet. Vielmehr sind sie stets für die Gegenwart bestimmt. Ob Paulus von seiner Berufung, seiner Entrückung, dem Apostelkonvent, seinen Erstmissionen oder seiner Kollektenplanung erzählt – niemals sind diese Begebenheiten selbst und ihre Bedeutung für sein eigenes Leben in seinem Blick. Im Gegenteil: er spart sorgfältig alles aus, was von spezifisch autobiographischem Interesse sein und die zurückliegenden Stationen und Epochen seines Lebens narrativ-episodisch beleuchten und den Adressaten näherbringen könnte. Einblicke in sein reiches und ereignisreiches Missionsleben gibt es höchstens in knappen Katalogreihen, die auf jedes individuierende Erzählelement verzichten, niemals in ausführlichen Erzählungen. Dasselbe gilt für seine Geschichte mit Gott und mit dem Kyrios Ἰησοῦς. Er gestattet weder den Korinthern einen Blick in den dritten Himmel oder ins Paradies noch den Galatern einen Einblick in sein Berufungserlebnis.53 Nicht einmal den Ort des 52 Vgl. dazu N. Walter, „Gegner“, 88 ff. – Zu den schwierigen und kontroversen Einleitungsfragen vgl. U. Schnelle, Einleitung, 153 ff. Für Phil gelten analoge Überlegungen wie für Phlm. Die Datierung und Lokalisierung nach Rom erscheinen mir am plausibelsten. 53 Eben dies ist der Grund, weshalb wir nicht rekonstruieren können, wie sein Missionsauftrag im Einzelnen aussah und ob von Anfang an die gesetzesfreie Heidenmission dazugehörte.
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Berufungserlebnisses nennt er. Dasselbe gilt für wesentliche autobiographische Fakten: Eltern, Geburtsort, Erziehung, Beruf, sozialen Status. Viele dieser Lücken füllt die Apostelgeschichte. Wir können die lukanische Apostelgeschichte geradezu als Gegen- bzw. als Ergänzungsschrift zu den Paulusbriefen betrachte. Hier wird im engeren Sinne erzählt. Der Verfasser erzählt von der Berufung des Paulus. Durch ihn kennen wir die biographischen Angaben zu Geburtsort, Erziehung, Beruf und sozial-juridischem Status. Er erzählt in dem bekannten dramatischen Episodenstil von Erstmissionsaufenthalten, Reiseerlebnissen und Gefahren aller Art. Er erzählt ausführlich vom Apostelkonvent. Ich weise zum Verhältnis von Paulusbriefen und Apostelgeschichte hier nur auf einen Umstand hin, nämlich auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen kurz erzählerisch grundiertem Bericht bzw. kurzer Erwähnung oder Allusion einer Begebenheit einerseits und der intentional narrativen Gestaltung derselben Begebenheit andererseits.54 Ich möchte diese Ergebnisse in mehrfacher Hinsicht abschließend kommentieren. Zunächst im Zusammenhang der Erzählforschung: Es ist sehr deutlich geworden, dass Paulus auch dort, wo er autodiegetische Erzählpassagen schreibt, sowohl von der allgemeinen Intention als auch von der sprachlichen Gestaltung her der berichtenden Rede, besonders der Argumentation im engeren Sinne verpflichtet ist. Seine narratio ist stets und grundsätzlich diejenige der Gerichtsrede55, nie der literarischen Erzählung. Sein Interesse gilt stet der Gegenwart und seinen Gemeinden, nicht der Vergangenheit und seiner eigenen Person. Seine erzählenden Texte müssen daher im Rahmen rhetorischer Analyse interpretiert werden. Zweitens im Zusammenhang der Autobiographie und damit auch bis zu einem gewissen Grade seiner Person: Paulus erzählt weder von sich, noch entwirft er eine Autobiographie als literarische Größe. Er argumentiert lediglich mit seiner Person. Wenn er seine Person entwirft, dann denkt und schreibt er im Fadenkreuz religiös-mythischer Anthropologie von adamitischem und christusförmigem Menschen. Drittens im Zusammenhang seiner Mission: Paulus enthält – mindestens in seinen Briefen – den Gemeinden eben das vor, was sie wollen und was andere konkurrierende Missionare ihnen reichlich bieten, exempla aus seinem ersten bzw. alten und seinem gegenwärtigen bzw. neuen Leben.
54 Vgl. H. Weinrich, Tempus, 44 ff. Gegensatz zwischen erzählender und berichtender Rede. Besonders interessant ist Weinrichs Hinweis darauf, dass die besprochene Welt einen engagierten, die erzählte Welt einen entspannten Sprecher hat. Die Rede des besprochenen Sprechers „ist ein Stück Handlung … Daher ist nicht-erzählende Rede gefährlich“ (50). 55 Daher ist die „rhetorische Wende“ in der Paulusexegese, die H. D. Betz eingeleitet hat, von grundsätzlicher texterschließender Bedeutung.
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Die Apostelgeschichte schließt diese Lücken und entwirft ein missionswirksames erzählendes Apostelbild. Vielleicht sicherte „Lukas“ damit dem Paulusbild in der entstehenden Kirche den bleibenden Erfolg. Diese erzählende Aposteltheologie war allerdings gegen die eigenen Intentionen des Paulus gerichtet. Sie war vielmehr der Vergangenheit in sichernder Erzählung und Erinnerung verpflichtet. Wir beobachten hier eine strukturelle Parallele zum Umgang des Verfassers des Markusevangeliums mit den Jesusüberlieferungen. „Markus“ entwirft eine Erzählung der ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ und stellt damit die Weichen für eine Hineinnahme der Geschichten und Worte Jesu in die biographische Historiographie56, wie sie dann Lukas in seinem Evangelium ausarbeitet. Hier bietet sich – anknüpfend an Weinrich – eine Anschlussüberlegung an: Machte „Markus“ die Jesusüberlieferung ungefährlich, indem er sie in eine Erzählung von der ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου brachte – und verharmloste „Lukas“ Paulus, indem er von ihm erzählt? Ist Erzählung Verharmlosung, wenn sie nicht im Zusammenhang rhetorischer narratio, sondern epischer Erzählung begegnet? Und waren analog die Erzählungen von Jesus und von Paulus am Ende gerade nicht das, was sie doch sein wollen: Hinführungen zu ihrer Person? Paulus jedenfalls hat dem Druck der Gemeinden, von sich selbst zu erzählen, in seinen Briefen nicht nachgegeben, weil er seine Person nicht über seine Biographie definierte und explizierte.
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6. Kosmos und Kosmologie bei Paulus 1. Einführung in das Thema Kosmologie bei Paulus – dies Thema könnte irritierend wirken, denn mag die Paulusforschung auch Vieles diskutieren, seine Kosmologie liegt auf den ersten Blick nicht im Forschungstrend. Zu sehr ist die Paulusforschung nach wie vor mit den Fragen der religionsgeschichtlich angemessenen Verortung des Paulus im antiken Judentum und dem diffusen Etwas, das wir kaum noch entstehendes Christentum oder origins of Christianity zu nennen wagen, beschäftigt, als dass sie die Aussagenwelt des Paulus mit einer Fragestellung, die nach griechischrömischer Philosophie klingt, in Verbindung bringen möchte. Bei genauerer Betrachtung finden sich aber Anzeichen dafür, dass das Thema selbst vielleicht schon Teil einer Neuorientierung in der Paulusforschung sein könnte. An zwei Indizien möchte ich dies einleitend skizzieren. Der Kopenhagener Neutestamentler Troels Engberg-Pedersen hat in seinem Vortrag The Material Spirit: Cosmology and Ethics in Paul, den er im August 2008 auf der Tagung der Studiorum Novi Testamenti Societas in Lund gehalten hat1, einen Versuch unternommen, bestimmte Dichotomien in der Paulusinterpretation zu überwinden. Besonders eine Dichotomie hält er für überholt: This essay argues that the traditional dichotomy between ‚apocalypticism‘ and philosophy should be transcended with regard to Paul’s understanding of the pneuma in relation to sarx2.
Engberg-Pedersen verortet die konkrete Kosmologie des Paulus in der mittleren Stoa und zeigt, dass dem Text von Röm 8,1–13 der Pneuma-Begriff der Stoa unterliegt. Er legt seiner Paulusinterpretation die stoische Überzeugung zugrunde, dass die Anthropologie Funktion der Kosmologie ist. „In Stoicism, for instance, the anthropology is embedded in the cosmology“3. Ich schicke schon hier voraus, dass diese Überzeugung nicht erst für die Stoa und später für Paulus, sondern bereits seit der vorsokratischen4 und platonischen philosophischen Kosmologie gilt. Erschienen in NTS 55 (2009), 179–197. A. a. O., 179. Vgl. auch 180, 187 und 195. 3 A. a. O., 189. 4 Vgl. G. Graßhoff, „Kosmologie“, 769–778, 774 zum Corpus Hippocraticum. 1 2
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Das bringt mich zu meinem zweiten Indiz: der 2008 erschienenen Dissertation von Lorenzo Scornaienchi: Sarx und Soma bei Paulus. Der Mensch zwischen Destruktivität und Konstruktivität5. Scornaienchi stellt die Anthropologie des Paulus energisch und ohne Berührungsängste in die zeitgenössische philosophische Kosmologie und Anthropologie hinein und versteht sie als eigenen eminenten Beitrag des Paulus im zeitgenössischen, vor allem stoisch geprägten ethischen Diskurs6. Engberg-Pedersen und Scornaienchi versuchen mit ihrem Ansatz in mehrfacher Hinsicht, etablierte Positionen der Paulusforschung zu überwinden. Zunächst einmal hüten sie sich vor dem Trend, der mit einem Teil der Epistolographie- und Rhetorikforschung einhergeht, die Paulusbriefe gänzlich von ihrer kommunikativen Situation und ihrer rhetorischen Strategie her zu interpretieren, so dass die Propositionalgehalte der Texte gleichsam verdampfen7. Weiterhin überspringen sie die Hürde, die gegenwärtig noch zwischen Paulus und der zeitgenössischen philosophischen Literatur aufgebaut ist8, ohne sich mit einer Neuauflage einer philosophiegeschichtlichen Einordnung im Sinne eines Ableitungsmodells zu begnügen. Vielmehr interpretieren sie die Position des Paulus in Kosmologie, Anthropologie und Ethik gerade von den Propositionalgehalten seiner Briefe her als eine eigene Stimme im früh-kaiserzeitlichen Diskurs. Schließlich vertritt besonders Engberg-Pedersen mit Nachdruck die These, eine Darstellung des paulinischen Denkens dürfe nicht einfach in eine „Theologie“ des Paulus münden, die die wesentlichen Propositionalgehalte seiner Briefe systematisch ordnet und als unabhängige oder wenn überhaupt, dann vom antiken Judentum beeinflusste, Größe sui generis versteht, sondern müsse die Interdependenz zwischen allen seinen Denkbereichen und seiner Kosmologie aufdecken9, die für Engberg-Pedersen deutlich philosophisch grundiert ist. NTOA/StUNT 67, Göttingen 2008. So auch Engberg-Pedersen in dem SNTS-Paper, 1: „The fundamental claim is that Paul’s ‘theologizing’ should be understood as standing in ‘direct confrontation’ with other contemporary accounts of the world, in the sense that while they would all give opposed accounts of the world (hence ‘confrontation’), they were also all logically operating at the same level (hence ‘direct’)“. Der Satz findet sich nicht in der Druckfassung. 7 Vgl. R. Jewett, Romans, 23: „While older commentaries and even some published recently view Romans ‘primarily as a repository of theology’, this commentary follows the lead of recent developments that view the letter as a work of Christian rhetoric, aiming to persuade“. Jewett baut damit unglücklicherweise in seiner bewundernswert umsichtigen und informativen Einführung eine jener Dichotomien auf, die es gerade abzubauen gilt. 8 Anders: O. Wischmeyer/E.-M. Becker (Hg.), Paulus. Dort stehen die Beiträge J. Frey, „Judentum“, 47–104 und B. Heininger, „Umwelt“, 105–154, gleichberechtigt nebeneinander. B. Heiningers Beitrag führt auch in die zeitgenössische Philosophie ein und stellt besonders die Ethik des Paulus in den philosophischen Diskurs. 9 Dies Votum müssen besonders diejenigen Exegeten sorgfältig prüfen, die die propositionale Welt der Paulustexte letztlich für die „Theologie“ des Paulus reklamieren (so z. B. paradigmatisch J. Frey, „Judentum“, 100). Engberg-Pedersen bezieht sich auf J. L. Martyn, „Deapocalypticizing Paul“, 61–102. Martyn rezensiert T. Engberg-Pedersens Monographie: Paul. 5 6
6. Kosmos und Kosmologie bei Paulus
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Vor diesem Hintergrund bietet das Thema „Kosmos und Kosmologie bei Paulus“ eine willkommene Gelegenheit, in der genannten Richtung weiterzufragen. Texte wie Röm 1,18–32; 8,18–23; 1 Kor 15,20–55 und 2 Kor 5,17–21 erlauben uns einen Blick auf das Weltverständnis des Paulus. Dabei knüpfe ich auch kritisch an meine eigene frühere Interpretation dieser Texte an. Ich hatte 1994 der apokalyptisch-theologischen Deutung des paulinischen Weltverständnisses nahe gestanden und geschrieben: Die Bedeutung von κόσμος hat sich für Paulus im Gefolge des hellenistischen Judentums vom griechischen Ursprung der ‚Ordnung‘ und ihrer philosophischen Anwendung auf ‚Norm‘ und ‚Weltganzes‘ entfernt und bezieht sich auf die von Gott geschaffene Welt, im engeren Sinn auf die Erde und die Menschen.10
Diese Einschätzung möchte ich im Folgenden noch einmal kritisch überdenken. Ich stelle dazu zwei Thesen auf und werde diese anhand eines Textvergleichs mit Platon und Philon plausibel zu machen versuchen11. Den Ausgangspunkt bildet die klassische These Rudolf Bultmanns: „Die paulinische Christologie ist Soteriologie“. Bultmann hat in großer Stringenz und mit hohem Methodenbewusstsein eine innertheologische Definition auf der Basis der dogmatischen Begrifflichkeit und im Anschluss an Melanchthon gegeben. Ich möchte Bultmanns These modifizieren. Dabei bewege ich mich hier in der Thematik antiker Kosmologie und knüpfe in der Formulierung an die Philosophiehistoriker A. A. Long und D. N. Sedley an. Die bedeutenden Kenner der hellenistischen Philosophie wagen in ihrer Einführung in die stoische Naturphilosophie folgende Definition: Die Physik der Stoa „ist in letzter Analyse Theologie“12. Dementsprechend wage ich die Formulierung: Die Kosmologie des Paulus ist in letzter Analyse Christologie. Soweit meine erste These. Meine zweite These schließt sich an Troels Engberg-Pedersens Satz an: „The anthropology is embedded in the cosmology“. Diese These drehe ich bewusst um und formuliere: Bei PauVgl. auch Engberg-Pedersens Antwort auf Martyn: „Response“, 103–114. Die Debatte geht letztlich um die Frage, ob es sinnvoll sei, „apokalyptische Theologie“ im Sinne Ernst Käsemanns philosophischer „Weltanschauung“ gegenüberzustellen und damit „Eigentliches“ bei Paulus zu retten. Engberg-Pedersen zeigt sich gegenüber dem Ansatz („Die Apokalyptik als die Mutter christlicher Theologie“) und den häufig verwendeten Kategorien Käsemanns skeptisch. Die Schlüsselfrage ist: Gibt es genuine „Theologie“ im Sinne eines propositionalen Aussagegefüges über Gott und die Menschen, das unabhängig von zeitgenössischen philosophischen Vorstellungen ist? Oder stellt die frühjüdische Apokalyptik ein eigenes kosmologisches Verstehensparadigma dar, das zugleich „theologische“ Qualität hat? 10 O. Wischmeyer, „ΦΥΣΙΣ“, 219. 11 Wünschenswert wäre ein weiterer Vergleich mit (Pseudo-)Aristoteles, De mundo; Ocellus von Lukanien, De universi natura und (Pseudo-)Philo, De aeternitate mundi. Vgl. zu diesem Zusammenhang die Einführung von D. J. Furley, Aristotle, 333–343 (Lit.). Vgl. allgemein W. Kranz, Kosmos; J. Kerschensteiner, Kosmos; H. F. Weiss, Untersuchungen; R. Mohr, Cosmology; D. J. Furley, Cosmologists; M. Baltes, Platonismus. Zu Timaios: W. Mesch, „Kosmologie“. 12 A. A. Long/D. N, Sedley, Philosophen, 318.
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II. Themen
lus wird die Kosmologie zur christologischen Anthropologie. Die Nähe dieser meiner zweiten These zu Rudolf Bultmann ist ebenso deutlich wie die Zurückhaltung gegenüber einer Formulierung, die ausschließlich mit dogmatischen Begriffen arbeitet.
2. Platon: Timaios Der literarischen Gattung nach ist der Timaios ein sokratischer Dialog. Allerdings haben die dialogischen Elemente wie in anderen Spätwerken Platons lediglich noch eine situativ-fiktionale Funktion, sie dienen nicht als Movens der philosophischen Diskussion. Dementsprechend werden die beiden Hauptteile: 21a–26d (Kritias’ Bericht über Ur-Athen) und 27c–92c (Timaios’ Lehrrede Περὶ φύσεως τοῦ παντός oder Περί γενέσεως τοῦ κόσμου, 28a–29d und 92c) als monologische Reden gestaltet. Kritias bezeichnet seinen Vortrag als παλαιὸς λόγος (21b)13, und auch die Lehrrede des Timaios wird als λόγος angekündigt und mit einer Anrufung der Götter eingeleitet. In 92c endet die Rede des Timaios mit einer kurzen, präzisen definitorischen Schlusspassage, deren letzte Apposition durchaus hymnischen Charakter trägt: μέγιστος καὶ ἄριστος κάλλιστός τε καὶ τελεώτατος γέγονεν εἷς οὐρανὸς ὅδε μονογενὴς ὤν. Für die Interpretation des Werkes ist seine Zweiteiligkeit wichtig. Die einleitende Rede des Kritias über Ur-Athen, die im Dialog Kritias ihre Fortsetzung und Vertiefung findet, ist nicht mehr situativ wie die Dialograhmung, sondern thematisch substantiell. Die kurze Rekapitulation der Rede des Timaios am Beginn des Dialogs Kritias zeigt geradezu schlaglichtartig den inneren Zusammenhang beider Dialoge: dem λόγος über „das Entstehen der Götter“ folgt nun der weitaus schwierigere λόγος über die Menschen. Kritias macht sehr deutlich, welche Aufgabe die schwierigere und wohl auch wichtigere sei: „Bei himmlischen und göttlichen Dingen sind wir zufrieden, wenn sie nur mit ein bisschen Ähnlichkeit dargestellt werden; die Darstellung der sterblichen und menschlichen Dinge unterwerfen wir dagegen einer strengen Prüfung“ (Kritias 107d). Voller Ironie ist daher sein Satz: „Hinsichtlich der Götter aber, da wissen wir, wie es um uns steht“ (Kritias 107b) – eine höchst doppelbödige Bemerkung, die übrigens auch die Bedeutung des Dialogs Timaios selbst durchaus relativiert. Auch im Timaios macht Platon immer wieder darauf aufmerksam, dass es in Bezug auf „die Götter und die Entstehung des Weltalls … nicht gelingt, durchaus und durchgängig mit sich selbst übereinstimmende und genau bestimmte Aussagen aufzustellen“ (29c)14. Der ganze Abschnitt 29c.d ist eine reservatio in Bezug auf die Eindeutigkeit und Klarheit der nachfolgenden Rede. Vor allem die Vgl. 20e: „eine gar seltsame, aber durchaus wahre Sage“ (λόγος). Vgl. G. Figal, „Welt II“, 1390.
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Rede über den Demiurgen bezeichnet Platon als εἰκὸς μῦθος, eine (bloß) wahrscheinliche Geschichte (29c). Andererseits macht die Kritiasrede im Timaios den inneren Zusammenhang zwischen Kosmologie und Staatslehre evident. Kosmos und Menschenwelt stehen in einem Entsprechungsverhältnis zueinander, das durch den Begriff der besten Ordnung oder einfach des Guten15 bezeichnet wird. Die wichtigsten Eigenschaften des Kosmos lassen sich zunächst in Kürze zusammenstellen. Timaios beginnt apodiktisch: Γέγονεν (29c), der Kosmos ist geworden. Alle anderen Eigenschaften des Kosmos gehen aus dieser einen ersten hervor: Er hat einen Körper (σῶμα) und ist wahrnehmbar. Damit gehört er zum Gewordenen und Erzeugten. Er bedarf einer Ursache. „Also den Urheber und Vater dieses Weltalls (ποιητὴν καὶ πατέρα τοῦ παντός) aufzufinden ist schwer und, nachdem man ihn auffand, ihn allen zu verkünden, unmöglich“ (28c). Da aber der Kosmos schön ist, ja das Schönste unter den Gewordenen (κάλλιστος τῶν γεγονότων) (29a), ist der Kosmos das Abbild (εἰκών) des Unvergänglichen (τὸ ἀίδιον). In einem ersten Durchgang entwirft Timaios nun eine Lehre des von der Vernunft Hervorgebrachten (29c–47e). Der Kosmos selbst ist ein „beseeltes und mit Vernunft begabtes Lebewesen“ (30c), des Näheren ein „sichtbares Lebewesen, welches alle von Natur mit ihm verwandten Lebewesen in sich fasst“ (30d). Das All hat eine Seele (ψυχὴ τοῦ παντός) (41d). Platon betont, dass es nur einen Himmel gebe. Der Grund ist ein ideeller: „Denn was da alle durch die Vernunft erkennbaren Lebewesen umfasst, dürfte wohl nimmer als zweites neben einem anderen sein“ (31a). Die Einzelheiten der Erschaffung (ποιεῖν) der Welt durch „den Gott“ müssen wir hier nicht rekapitulieren. Wichtig erscheinen folgende Züge: erstens die Bedeutung der Elemente, besonders von Feuer und Erde, zwischen denen Luft und Wasser eingefügt werden, so dass „der Körper des Alls erzeugt wurde“ (σῶμα τοῦ κόσμου) (32c), zweitens die begriffliche Differenzierung zwischen dem immer seienden Gott (ὄντος ἀεί) und dem Gott, „der einmal sein sollte“ (ποτὲ ἐσόμενον) (34a), sowie drittens die Vorstellung vom Kosmos als einem „vollkommenen, aus vollkommenen Körpern bestehenden Körper“ (34b), der beseelt ist (σῶμα und ψυχή) und selbst ein „seliger Gott“ ist (εὐδαίμων θεός)16. Zum Kosmos gehört die Zeit: χρόνος δ᾿ οὖν μετ᾿ οὐρανοῦ γέγονεν (38b). Denn der Himmel ist „zu aller Zeit geworden, seiend und sein werdend“ (38c). Die Planeten „erzeugen“ die Zeit (γένεσις χρόνου)17. Sie sind lebendige Körper (σώματα ζῷα), die durch beseelte Bande zusammengehalten werden (38e). In 15 Das Gute: Timaios 29a: „Ist aber diese Welt schön (καλὸς ὁ κόσμος) und ihr Werkmeister gut (δημιοργὸς ἀγαθός)“. 16 Ebd. 17 Ebd.
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diesem Kosmos existieren die ζῷα als Einzelkörper. Platon teilt sie in vier Kategorien ein, zuerst das himmlische Geschlecht der Götter, zum größten Teil aus Feuer bestehend. Es umfasst die Fixsterne, ζῷα θεῖα ὄντα und ewig bleibend, und „die erste und ehrwürdigste aller Gottheiten, die innerhalb des Himmels geworden sind“, die Erde (40c). Platon nennt diesen Teil des Kosmos „die sichtbaren und entstandenen Götter“ (40d). Die traditionellen vorolympischen und olympischen Gottheiten stellt Platon mit jener gehörigen Ironie und Distanz dar, die wir schon kennengelernt haben. Der Schöpfergott (ὁ τὸ πᾶν γεννήσας) erläutert den Göttern die Art ihres Seins folgendermaßen: Ihr seid „auch als entstanden nicht unsterblich noch durchaus unauflösbar, werdet aber nicht wieder aufgelöst werden, noch dem Lose des Todes anheimfallen, da ihr in meinem Willen ein noch stärkeres und mächtigeres Band erhalten habt als jene, mit denen ihr bei eurem Entstehen zusammengebunden wurdet“ (41a und b). Ihre Aufgabe wird es nun, in der absteigenden Hierarchie der ζῷα des Kosmos die übrigen drei Arten zu schaffen, zunächst die Menschen. Damit ahmen die Götter den Schöpfergott nach (μιμούμενοι, 41c). Hier verläuft die Grenze zwischen Unsterblichkeit und Sterblichkeit: Die Götter weben das Sterbliche dem Unsterblichen an18. Die Grundzüge der hierarchischen Anthropologie des Timaios, die eine Lehre von der Seelenwanderung einschließen (42d–90e), interessieren im Zusammenhang unseres Themas nur in einer Hinsicht: Da die Menschen – zunächst nur männlichen Geschlechts – an der Seele des Alls nur im zweiten und dritten Grad der Reinheit teilhaben, müssen sie mit negativen Leidenschaften, nämlich Lust, Schmerz, Liebe, Furcht und Zorn kämpfen. Gelangten die Menschen „nun zur Herrschaft über diese, so würden sie in Gerechtigkeit leben, unterlägen sie ihnen aber, in Ungerechtigkeit“ (42b), lehrt Timaios. Die Begriffe ἀδικία und κακία eröffnen das Feld des Ethos und des Rechts: Einer „tierischen Natur“ steht die menschliche Natur gegenüber, die, wenn sie der Seele des Alls folgt, sich durch λόγος auszeichnet. Nach einer knappen Anthropogonie (42e–47e) beginnt der zweite Teil der Schöpfungslehre des Timaios: die Darstellung des durch die Notwendigkeit Hervorgebrachten (48a–69a). Timaios beginnt noch einmal mit dem Thema der γένεσις τοῦ κόσμου (48a), da diese ja aus „einer Vereinigung von Notwendigkeit und Vernunft“ hervorgegangen sei. Nun geht es um die ἀρχή der vier Grundelemente πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως (48b). Dieser zweite Durchgang ist schwieriger. Es bedarf jetzt neben den beiden Begriffen des Urbildes, der Idee (εἶδος παραδείγματος) und des Abbildes (μίμημα παραδείγματος) eines dritten Begriffs, jener mit der singulären Metapher „Amme des Werdens“ (πάσης γενέσεως τιθήνη) bezeichneten Zwischengröße19. Die Diskussion um die 41d: ἀθανάτῳ θνητὸν προσυφαίνοντες. 49a. Platon nennt diese dritte Größe χώρα (Platz, vgl. dazu J. Derrida, Chora), ἕδρα (Sitz), ὑποδοχή (Aufnahme), ἐκμαγεῖον (Prägemasse). 52a gibt Platon eine klare Definition der dritten 18 19
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Bedeutung dieser Zwischengröße kann ich nicht führen, deutlich und für unseren Zusammenhang wichtig ist aber, dass Platon mit dieser Begrifflichkeit hinter die Elemente zurückgeht und die φύσις selbst, die hinter allen Gestalten, die die Elemente bilden, steht, in den Blick nimmt20. Platon betont in 51a, er meine ein „unsichtbares, gestaltloses, allaufnehmendes Gebilde“, das eben vor den vier Elementen zu denken sei. Platons Überlegungen zu den Elementen (53c–69a), ihrer Körperlichkeit und den Verbindungen und Veränderungen der Elemente können wir hier übergehen. Im dritten und letzten Teil (69a–92a) entwirft Platon nach einer kurzen Rekapitulation eine zweite Anthropogonie, die sehr schnell in Physiologie, Anatomie, Medizin und Psychologie übergeht. Der Mensch besteht aus Körper und Seele, die Seele ist vom λόγος geprägt, und je mehr der Mensch göttliche Gedanken denkt, desto näher kommt er der Unsterblichkeit (90c). Die Urbild-Abbildstruktur von Kosmos und Mensch fasst Platon abschließend zusammen: „Nun sind die Gedanken und Umläufe des Alls dem Göttlichen in uns verwandte Bewegungen. Diesen muss jeder folgen, die bei unserm Entstehen in unserm Kopfe verdorbenen Umläufe dadurch wieder in Ordnung bringen, dass er Harmonien und Umläufe des Alls erkennen lernt, und muss so dem Wahrgenommenen das Wahrnehmende seiner ursprünglichen Natur gemäß ähnlich machen, durch diese Verähnlichung aber das Ziel jenes Lebens erreicht haben, welches den Menschen von den Göttern als bestes für die gegenwärtige und die zukünftige Zeit ausgesetzt wurde“ (90d). Das intellektuelle Satyrspiel der Entstehung der Frauen, der Luft-, Landund Wassertiere aus ungerechten und feigen Männern (90e) ist hier insoweit interessant, als diese Depravationen auf intellektueller und ethischer Minderwertigkeit von Männern beruhen, d. h. minderwertige Nebenprodukte des Menschen, der Mann ist, darstellen.21 Für die Stellung der Anthropologie gilt bei Platon: Im Timaios ist sie ganz in die Kosmologie eingebettet und in doppelter Hinsicht Ausdruck der schöpferischen Kräfte und Gesetze des Kosmos und des Demiurgen. Das Interesse liegt auf der Entstehung und Strukturierung des Kosmos und der Welt der Körper, die er umfasst.
Größe als der – sprachlich nicht darstellbaren – Vermittlung zwischen unvergänglicher Idee und vergänglichem Abbild. 20 50b: ὁ αὐτὸς δὴ λόγος καὶ περὶ τῆς τὰ πάντα δεχομένης σώματα φύσεως. 21 Die Zählung des dritten und vierten Geschlechts wird von Platon nachlässig vorgenommen: ein Zeichen für die Geringschätzigkeit, mit der er Frauen und Tieren begegnet.
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3. Philon: De opificio mundi Philons Traktat über die Schöpfung leitet seine Schriften über das Gesetz ein22. Die Strukturparallele zum Timaios, aber auch zum stoischen Ideal des κατὰ τὴν φύσιν ζῆν ist deutlich (Opif. 3). De opificio ist kein Kommentar im engeren Sinn, sondern eine lehrhafte Abhandlung über die „Weltschöpfung“ auf der Basis der „Gesetze des Mose“23. Zu Beginn betont Philon die Geschaffenheit der Welt gegen Aristoteles24. Gott ist, stoisch gesprochen, die Wirkursache und der Geist des Weltganzen (νοῦς τῶν ὅλων), dem der Kosmos als das Leidende entspricht (8), sowie antiepikureisch die Vorsehung (9), zugleich in der Sprache des Schöpfungsberichts, die aber auch die Sprache Platons ist, „der Vater und Schöpfer“ (10). Speziell eingeführt wird er nicht. Theologie erscheint hier ausschließlich als Kosmopoiie. Im Zusammenhang der antiepikureischen Bemerkung stellt Philon eine bemerkenswerte Überlegung zum Chaos an, das sonst keinen Platz in seiner Darstellung hat: „Wertlos aber und unnütz ist die Ansicht, die in dieser Welt wie in einem Staate Anarchie annimmt, so dass sie keinen Aufseher, Lenker oder Richter hätte, von dem alles gerechter Weise regiert und geleitet werden muss“ (Opif. 11). Nach diesem sehr kurzen, eher positionellen als definitorischen Vorspann folgt im ersten Teil die Darstellung der Schöpfung nach dem Sechstagewerk, d. h. die Schaffung der Welt und ihrer Geschöpfe bis zu den Tieren. Die Interpretation des ersten Schöpfungstages erlaubt es Philon, Platons Urbild-Abbild-Theorie zu übernehmen. Zuerst wird der κόσμος νοητός geschaffen, erst an den späteren Tagen der κόσμος αἰστητός (Opif. 16.17). Die Ideen sind unkörperlich und befinden sich in Gottes νοῦς25. Die ideelle, die erste Schöpfung fasst Philon in folgendem Satz zusammen: „… δῆλὸν ὅτι καὶ ἡ ἀρχέτυπος σφραγίς, ὅν φαμεν νοητὸν εἶναι κόσμον, αὐτὸς ἂν εἴη (τὸ παράδειγμα, ἀρχέτυπος ἰδέα τῶν ἰδέων) ὁ θεοῦ λόγος“ (Opif. 25). Diese Zusammenfassung hat eine doppelte Bedeutung: Zunächst stellt sie die entscheidende Aussage Philons über die „beiden Schöpfungen“ dar, die Philon aus dem „ersten Tag“ der Schöpfung entnimmt, indem er ihn als „einen“ (Opif. 15 f.) Tag interpretiert, eben jenen „Tag“, an dem Gott die Idee des Kosmos 22 Vgl. De opificio mundi 3 und De Abrahamo 2–4. Philo stellt hier in der Nachfolge des Timaios dar, wie Kosmos und Nomoi aufeinander bezogen sind. Die Patriarchen versteht er als die „Urbilder“, die Einzelgesetze selbst als die „Abbilder“ der Nomoi. Vgl. De Abrahamo 3–6. Zum Traktat vgl. allg. D. T. Runia, Philo. 23 Opif. 1 und 2. Zur Kommentarform bei Philon vgl. M. Niehoff, „Questions“, 337–366. Eher kommentarartige Werke Philons: Legum allegoriarum lib. I–III und Quaestiones in Genesim et Exodum. 24 Opif. 7–12. Vgl. auch seine philosophische Frühschrift De aeternitate mundi, dazu D. T. Runia, „De aeternitate mundi“, 105–151. 25 Chaos nochmals in 20–22: gegen Güte Gottes (Liste der Nicht-Bestimmungen in 22) 28: nichts ist schön in Unordnung (33).
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schuf. Zweitens macht Philon bereits hier die Erschaffung des Kosmos auf die Erschaffung des Menschen hin durchsichtig: so wie der ganze sichtbare Kosmos Abbild Gottes ist, so ist auch der Mensch μίμημα θεῖας εἰκόνος (Opif. 25). Zur ideellen, unkörperlichen Schöpfung des ersten Tages gehört für Philon auch der Himmel (οὐρανός) (Opif. 26), den er im stoischen Sinn als feinste Materie, nämlich als reines Feuer versteht, sowie die Erde, die Luft und der leere Raum. Wieder im stoischen Sinne betont Philon die Bedeutung der Idee des Lufthauches und, dem Text der Genesis folgend, dann auch die Bedeutung des Lichtes (πνεῦμα und φῶς) (Opif. 30–35). In den Paragraphen 36–130 stellt Philon nun anhand des HexaemeronSchemas die Erschaffung des sinnlich wahrnehmbaren, körperlich verstandenen Himmels26, der Erde und ihres Pflanzenreichs27, des Himmels mit den Gestirnen28 sowie den „Arten der sterblichen Wesen“29 dar. Philon beschreibt die Erschaffung der Lebewesen als „Stufenfolge“ (ἀκολουθία)30, in der das Prinzip: ‚vom Niederen zum Höheren‘ herrscht. Damit verwendet er das klimaktische Schema der Genesis im Gegensatz zu dem absteigenden System im Timaios. Direkt spiegelbildlich beginnt er mit den Meerestieren und beschreibt die Erschaffung des Menschen als Höhepunkt und Abschluss der Schöpfungstage. Ausführlich widmet sich Philon der Auslegung von Gen 1,26: τὸν ἄνθρωπον γεγενῆσθαι κατ᾿ εἰκόνα θεοῦ καὶ καθ᾿ ὁμοίωσιν. Die Gottesebenbildlichkeit bezieht sich aber nicht auf den Körper (σῶμα), „denn weder ist Gott anthropomorph noch der Mensch θεοειδές“ (Opif. 68–70). Die Gottesebenbildlichkeit bezieht sich vielmehr auf den νοῦς, der die Seele leitet31. Gen 1 ist nach Philon nur der Bericht über die ideelle Erschaffung des Menschen. Damit ist das Sechstagewerk im Ganzen abgeschlossen. Die Paragraphen 72– 88 widmet Philon der Beantwortung von zwei Fragen, die anscheinend an den Text von Gen 1 gerichtet wurden32. Es handelt sich um den Plural in 1,26 (72– 76) und nochmals um die Frage, weshalb der Mensch zuletzt erschaffen worden sei (77- 88)33. Die Paragraphen 89–128 gelten dem Lob der Zahl Sieben. Für unser Thema besonders interessant sind dann die Paragraphen 131–150. Hier kommentiert Opif. 36 f. Zweiter Tag. Opif. 38–44. Dritter Tag. 28 Opif. 45–61. Vierter Tag. 29 Opif. 62–88. Fünfter und sechster Tag: τὰ θνητὰ γένη ζῳοπλαστεῖν ἐνεχείρει (62). 30 Opif. 65–68. Philon erklärt diese Reihenfolge, wohl um den Dissens zwischen der Genesis und Platon auszugleichen. 31 Opif. 69. Beachte das Enkomion auf den Nous in 69–71. 32 Ob es sich dabei um echte Fragen oder um in Frageform gebrachte Detailargumente handelt, lässt sich nicht leicht klären. Vgl. 1 Kor 15, wo Paulus ebenfalls weiterführende Fragen aufwirft und beantwortet. 33 Philon nimmt diese Frage sehr ernst. Er gibt vier Gründe an und fügt noch einen Ausblick hinzu. 26 27
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Philon Gen 2, den zweiten, älteren Schöpfungsbericht, der ihm sehr gelegen kommt, kann er doch mit diesem Text seine These bestätigen, Gen 1 betreffe nur die Idee des Menschen, während in Gen 2 der Mensch als wahrnehmbares Wesen erschaffen wird: Er „bestand aus Körper und Seele, war Mann oder Weib und von Natur sterblich“ (φύσει θνητός) (Opif. 134). Der geschaffene Mensch war zusammengesetzt ἔκ τε γεώδους οὐσίας καὶ πνεύματος θείου (Opif. 135). Den Lebensodem versteht Philon als πνεῦμα θεῖον. Daher kommt es zu der doppelten Bestimmung des Menschen. Der Mensch steht nach Philon auf der Grenze „zwischen der sterblichen und der unsterblichen Natur, da er an beiden soviel, wie nötig ist, teilhat und da er zugleich sterblich und unsterblich geschaffen ist, sterblich in Bezug auf seinen Körper, unsterblich hinsichtlich seiner διάνοια“ (Opif. 135). Es folgt eine Spekulation über den Protoplasten als ἀρχηγέτης, καλὸς καὶ ἀγαθός (Opif. 136), noch einmal in seiner Schönheit und Vollkommenheit Vorbild und Urbild der späteren Geschlechter. Philon malt ihn als „einzigen Kosmopoliten“ (Opif. 142), der nach göttlicher Rechtssatzung oder Verfassung des „größten und vollkommensten Staatswesen(s)“ (πολίτευμα [Opif. 143]) lebte, dem ὀρθὸς λόγος τῆς φύσεως (Opif. 143), also nach den kosmischen Ordnungsgesetzen, die vor dem Menschen schon die himmlischen Wesen, die Gestirne (Opif. 27), befolgten. Dieser Protoplast verbrachte im Verkehr mit den göttlichen Gestirnen „seine Zeit in ungetrübtem Glücke; ganz nahe verwandt mit dem Weltenlenker, da doch der göttliche Hauch (πνεῦμα) voll in ihn geflossen war, bestrebte er sich, alles nur zum Wohlgefallen des Vaters und Königs zu reden und zu tun …“ (Opif. 144). Der erste Mensch war weiterhin aus den vier Elementen zusammengesetzt (146), ein Abbild auch des Kosmos, Weiser und mit außerordentlicher Herrschermacht (δύναμις) über die Welt der Geschöpfe ausgestattet (Opif. 148–150). Die abschließende Darstellung der Depravation durch die Erschaffung der Frau, der Lust und der Sünde übergehe ich ebenso wie die bedeutenden Ausführungen zur Allegorie34. Interessant ist der Umstand, dass der erste Mensch nie „Adam“ genannt wird. Philon schließt seinen Traktat mit der Formulierung von fünf Lehrsätzen: Gott existiert. Gott ist einzig. Die Welt ist geschaffen. Die Welt ist einzig. Gott lässt der Welt seine Fürsorge angedeihen. (Opif. 170–172)
Überblickt man Philons Text, so wird deutlich, dass er am Ende so etwas wie einen philosophisch relevanten Extrakt fixiert, der seinen Traktat in die zeitgenössische Kosmologieliteratur hineinstellt. Im Verlauf des Textes ist sein Interesse deutlich anders fokussiert. Exegetische Einzelfragen, Zahlensymbolik Opif. 154–164, Stichworte συμβολικῶς, δείγματα τύπων, ἀλληγορία.
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und einzelne Aspekte der Genesisauslegung – so eben besonders Überlegungen zur philosophischen Bedeutung der beiden Schöpfungsberichte und zur Stellung des Menschen in der Abfolge der Schöpfung –, schließlich seine Überlegungen zum Protoplasten zeigen seine eigenen Interessen. Am wichtigsten ist der intellektuelle Gestus des Traktats. Philon hat die Aufgabe, die Übereinstimmung von Platon und Mose hinsichtlich der Erschaffung der Welt aufzuweisen. Das tut er, indem er den Gang des ersten Schöpfungsberichts und einzelne Sätze und Wendungen des Textes erläutert. Seine Perspektive ist dabei – unter Umständen ohne dass er sich darüber genaue Rechenschaft ablegt – diejenige von Gen 1, nicht diejenige des Timaios. Sein Interesse gilt den Geschöpfen, nicht dem kosmischen Körper und den Körpern im Kosmos. Zwei wichtige Elemente der philosophischen Kosmologie betont er aber: die Ideenlehre Platons, die er als gegeben hinnimmt, und die Logos-, bzw. Pneumalehre der Stoa, mit deren Hilfe er das Wirken Gottes erklärt. Beide Lehren findet er mühelos im Genesisbericht. Zusammengefasst: Philon ist in diesem Traktat nicht kosmologischer Philosoph, sondern auslegender Hermeneut mit philosophischer Bildung und philosophischem Anspruch, der seine synthetische Aufgabe darin sieht, den Genesisbericht mit dem großen kosmologischen Text des Timaios und mit den entscheidenden stoischen Ideen zur Weltentstehung zu harmonisieren. Dabei bleibt er dem Genesistext in jeder Hinsicht treu. Sein eigentliches Interesse ist nicht kosmologischer Art. Er rezipiert aber die platonische Kosmologie, soweit er sie für die zeitgemäße Auslegung des Genesistextes benötigt. Eklektisch verwendete Philosophie wird ihm – wie in der Kaiserzeit üblich – zur ethisch relevanten Lehre35. Die Anthropologie bleibt im kosmologischen, hier schöpfungstheologisch beschriebenen Rahmen, gewinnt aber überdeutlich an Interesse gegenüber den anderen kosmologischen Themen.
4. Paulus: 1. Korinther 15,35–49 Paulus hat weder eine Kosmologie noch eine Kommentierung der Genesis verfasst. Er agierte literarisch weder als Philosoph noch als Exeget. Und dennoch findet sich in seinem sehr schmalen überlieferten Werk, das lediglich aus mehr oder weniger situationsbezogenen Briefen besteht, ein Text, dessen Vokabular und Thematik sehr deutlich in die Zusammenhänge der kosmologischen Literatur weisen: 1 Kor 15,35–49. Im folgenden Interpretationsversuch werde ich den Paulustext vor dem Hintergrund des Timaios und des Philontextes lesen. 35 Opif. 170: Die Kosmopoiie des Mose lehrt uns vieles, besonders aber fünf Lehrsätze (πολλὰ μὲν καὶ ἄλλα ἡμᾶς ἀναδιδάσκει). Zum Platz Philos in der geistigen Welt der frühen Kaiserzeit vgl. M. Niehoff, „Philo’s views“, 134–158. Über die allgemeine Rezeption des Timaios sowohl bei Philon wie im Mittel- und Neuplatonismus vgl. M. Niehoff, „Timaeus“, 161–191.
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Damit verbinde ich keine Aussage zu der historischen Frage, ob Paulus Platon und/oder Philon gelesen habe. Eine Platonlektüre möchte ich ausschließen. Eine Philonlektüre würde voraussetzen, dass Philons Werke in den dreißiger oder vierziger Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. in der Bibliothek von Antiochia oder in den fünfziger Jahren in Ephesus vorlagen und dass Paulus ein Benutzer dieser Bibliotheken war. Weder Paulus noch Lukas geben uns aber den leisesten Hinweis darauf. Wenn ich hier diesen Textvergleich anstelle, dann liegt dem das Urteil von D. J. Furley zugrunde, der über den Autor von De mundo schreibt: „The paramount difficulty is that the author was an eclectic, living in an age when eclecticism was the fashion and there was a great deal of common ground between different schools“36. Dasselbe gilt für Paulus. Er ist ein Eklektiker und zugleich ein eigenständiger religiöser Denker, der nicht außerhalb, sondern innerhalb des frühkaiserzeitlichen Kosmologiediskurses steht, ohne selbst philosophisch aktiv zu werden. Sein Beitrag erfolgt in Briefen, die an christusgläubige Gemeinden gerichtet sind37. Zu Beginn möchte ich einen Text aus dem 2. Brief an die Korinther in Erinnerung rufen: 4,1–6. Thema ist die Vermittlung der göttlichen Welt an die Schöpfung. Dafür verwendet Paulus wie Philon eine Variante der Urbild-AbbildVorstellung, die im weiteren Sinne auf Platon zurückgeht: die εἰκών-, πρόσωπονoder Spiegel-Vorstellung38, hier auf Christus als das Bild und den Spiegel der göttlichen Ideen bezogen, die den Menschen die Kenntnis Gottes vermitteln39. Paulus basiert auf Genesis 1,3: „Gott, der sprach, aus der Dunkelheit scheine Licht, der hat es in unsern Herzen hell gemacht zur Erleuchtung der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi“ (2 Kor 4,6). Paulus interpretiert Gen 1,3 wie Philon ganz von der kommunikativen Bedeutung des Lichtes her (Opif. 30). Φῶς und πνεῦμα werden bei Philon und Paulus parallel gebraucht. 2 Kor 4,6 macht deutlich, dass Paulus nicht nur selbstverständlich Gen 1 als einen besonders wichtigen Text kennt, sondern ihn auch im Sinne Philons versteht. Man könnte vereinfachend sagen: Paulus hat wie Philon als gebildeter Jude Kompetenz in Kosmopoiie und kann die kosmologische Koine seiner Zeit benutzen, auch wenn er kaum von dieser Kompetenz Gebrauch macht. Auch 1 Kor 15,35–49 ist kein kosmologischer oder kosmopoietischer, sondern ein eschatologischer Text, und mein Interesse wird es sein, diesen Text als einen sehr selbständigen und überraschenden Beitrag des Paulus zu den Kosmologien und Kosmopoiien seiner Zeit zu lesen und zu erwägen, wie hier Eschatologie und Kosmologie aufeinander bezogen sind. Kapitel 15 lässt sich insgesamt D. J. Furley, Aristotle, 335. Vgl. auch G. H. van Kooten, Cosmic Christology. Insofern steht er den brieflichen Traktaten der zeitgenössischen Philosophen nicht ganz fern (vgl. D. J. Furley, Aristotle, 338). 38 1 Kor 13,12. 39 In 1 Kor 13 werden die Metaphern anders benutzt. 36 37
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als ein Traktat über die Auferstehung bezeichnen40, in dem Paulus von verschiedenen Diskursen her die Auferstehung der Toten plausibel macht, zunächst vom Gemeindekerygma und seiner eigenen Erfahrung her (1–11), dann als inhaltliche Entfaltung der Gemeindeüberlieferung (12–19), weiter als apokalyptische Rede (20–28) und in auto-biographischer Perspektive (29–34). Mit V. 35 setzt die Frage nach dem „Wie“ der Auferstehung ein, ποίῳ σώματι ἔρχονται οἱ νεκροί (15,35), die das Thema unseres Textes bildet. Wir haben es hier also mit einer jener Schulfragen zu tun, die wir auch bei Philon gefunden haben41. Es folgt ein Schultext, sorgfältig durchgestaltet. Paulus arbeitet mit der Analogie zwischen der Beschaffenheit der Körper des Kosmos und der Auferstehung der Körper der Menschen. Thema ist nicht die Auferstehung als solche, sondern die Körperlichkeit der Auferstehung. Und hier greift Paulus auf kosmologisches Wissen seiner jüdisch-hellenistischen Kultur zurück. Die Welt der σώματα ist vielfältig und seit dem Hexaemeron geordnet: Gott gibt jedem Samen42 (σπέρμα) „sein eigenes σῶμα“ (15,38). Paulus erläutert diese Lehre in zwei Anläufen: in Bezug auf die σάρξ der belebten Geschöpfe und in Bezug auf die δόξα der nicht belebten Körper. Hier ist er der Genesisdarstellung am nächsten: Menschen, Landtiere, Vögel und Wassertiere werden nacheinander aufgezählt, übrigens nicht nach der Reihenfolge von Gen 1, sondern nach der platonischen Reihenfolge. Die Darstellung der Gestirnwelt unter dem Begriff σῶμα ist wohl der deutlichste Hinweis darauf, dass Paulus die kosmologische Koine beherrscht, ohne dass er hier differenzierend tätig würde. Was ihn interessiert, ist nicht die „Wie“-, sondern die „So“-Seite der Analogie in den Versen 42–49. Für seine Argumentation benötigt er aber die kosmologische Lehre von der materiellen Differenziertheit der belebten und der unbelebten körperlichen Welt43. Auf diesem Unterschied baut die „So“-Seite des Gesamtarguments auf: die Differenz zwischen den Kategorien der Körper macht auch die Differenz zwischen dem Zustand des gestorbenen und des wieder auferweckten menschlichen Körpers plausibel. Die Differenz wird in dem Gegensatzpaar ψυχικός und πνευματικός ausgedrückt. Dass wir hier nicht σαρκινός lesen, liegt an dem zweiten Genesiszitat, auf das Paulus sich in diesem Text stützt. Gen 2,7 heißt es: ἐγένετο ὁ πρῶτος ἄνθρωπος Ἀδὰμ εἰς ψυχὴν ζῶσαν, dementsprechend, folgert Paulus, wird ὁ ἔσχατος Ἀδὰμ εἰς πνεῦμα ζῳοποιοῦν. Gegen Platon und gegen Philon betont Paulus nun aber, dass nicht der erste, sondern der zweite Mensch der pneumatische sei. Er vertieft diese Behauptung durch die anschließende O. Wischmeyer, „1. Korinther 15“, 243–275. Dazu M. Niehoff, „Questions“. 42 Zur Samenvorstellung vgl. W. Schrage, „Brief“, 280–288. 43 Hier ist Paulus auf der Seite Philons, der zwischen unbelebten und belebten Wesen der Schöpfung unterscheidet, während für Platon schon der Kosmos selbst ein belebter Körper ist. 40 41
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Kette von Antithesen, die der ebenfalls auf Gen 2 basierenden Differenz „irdisch-himmlisch“ gelten. In diesen Text findet nun – letzten Endes unausgesprochen – die Christologie Eingang. Denn der letzte Adam, der zweite Mensch, ist Christus, wie Paulus in dem vorangehenden Passus 1 Kor 15,20–26 dargelegt hat. Und damit komme ich zu meiner These: Die Kosmologie des Paulus ist in letzter Analyse Christologie. Christus spielt bei Paulus dieselbe Rolle wie der Mensch des ersten Schöpfungstages: Er ist vollkommen, Herrscher und Inbegriff des Lebens. Aber was bei Philon für den ersten Menschen gilt, gilt bei Paulus für den zweiten Menschen. Hier finden wir eine weitere Umstellung der Rangfolge gegenüber Platon. Bei Philon muss die Stellung des ersten Menschen am Ende der Schöpfungswerke erklärt werden, bei Paulus erhält nun der zweite Mensch die entsprechende Würde. Der erste Mensch dagegen ist sterblich. Aber viel grundlegender ist die zeitliche Anordnung. Bei Platon und bei Philon wird über die Urzeit im Rahmen einer Kosmologie gesprochen, die in ihrem Anfang zeitlich gedacht ist, aber kein Ende hat und nach dem Abschluss der Kosmopoiie stets in dem Gefälle von Abbild und Urbild verharrt. Paulus dagegen ist nicht am Anfang interessiert und teilt damit auch nicht die kosmologische Perspektive, die Platon und Philon eint, sondern geht von einer zeitlichen Inversion aus44. Das Vollkommene liegt in der Zukunft, die Paulus in den Versen 20–28 mit apokalyptischen Vorstellungen von feindlichen Mächten, Kampf und Vernichtung, gleichsam in der apokalyptischen Koine zeitgenössischer jüdischer und nichtjüdischer Literatur beschrieben hat. In unserm Text aber benutzt er nicht mehr die kosmologische Perspektive, wohl aber die kosmologische Koine und wendet sie inversiv auf die Zukunft an. Ich habe eingangs Troels Engberg-Pedersen zitiert. Er will die Dichotomie zwischen einem „apokalyptischen“ und einem „kosmologischen“ Deutungsmodell für Paulus überwinden. 1 Kor 15 unterstützt diesen Versuch. Ganz deutlich verwendet Paulus kosmologische und apokalyptische Semantik, Motivik und Vorstellungszusammenhänge, um seinen eigenen Ansatz ausdrücken zu können: die Rolle des auferstandenen Christus in apokalyptischen und kosmologischen Sprach- und Denkzusammenhängen darzustellen45. Den Anknüpfungspunkt bilden die kosmologischen Überlegungen zum Menschen bei Platon und zum „ersten Menschen“ bei Philon. Die Neuakzentuierung der Zukunft statt der Herkunft stammt aus seinem Auferstehungsglauben als Pharisäer. Insoweit ist Paulus ebenso Eklektiker wie Philon. Die Ausrichtung auf die Zukunft des Menschen gibt seiner Kosmologie aber eine ungleich stärkere anthropologische Relevanz, als es Platon mit der Idee des Menschen und Philon mit dem idealen 44 Den Begriff verdanke ich L. Scornaienchi. Die Beobachtung der Perspektivenumkehr findet sich auch bei A. Lindemann. 45 Auch die Vorstellung von der „neuen Schöpfung“ in 2 Kor 5,17 und Gal 6,15 im Vergleich mit der Offenbarung des Johannes (21,1.5; vgl. 2 Petr 3,13). Die Vorstellung von der „zweiten Schöpfung“ ist apokalyptisch und kosmologisch.
6. Kosmos und Kosmologie bei Paulus
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ersten Menschen erreicht haben. Der Mensch tritt nun ganz in den Vordergrund, und die Kosmologie stellt nur noch Vorstellungsinstrumente für eine eschatologische Anthropologie zur Verfügung. Ermöglicht wird diese eschatologische Anthropologie aber dadurch, dass Paulus den gekreuzigten Jesus von Nazareth als kosmologische Größe verstehen kann: als zweiten „Menschen“, der wie der erste Mensch die Menschheit in sich schließt. Diese hochspekulative Idee entwickelt Paulus in 1 Kor 1,18 ff. als „Ärgernis des Kreuzes“, d. h. des gekreuzigten Christus. Zugleich entwirft er damit eine neue Anthropologie, die nicht mehr an der Kosmologie und dem Urmenschen orientiert ist, sondern auf eine neue Schöpfung wartet. Ist es diese radikal-anthropologische Perspektive, die die Attraktion des entstehenden Christentums ausmachte?
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II. Themen
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7. Gerechtigkeit und Liebe Das Verhältnis zweier theologischer Konzepte des Paulus im Römerbrief Die thematische Verbindung von Gerechtigkeit und Liebe nimmt in der Theologie des Römerbriefs eine Schlüsselstellung ein, deren theologische Bedeutung sich thesenartig in zwei Sätzen zusammenfassen lässt: (1) Paulus arbeitet im Römerbrief das alttestamentliche theologisch-ethische Konzept von der Gerechtigkeit Gottes christologisch neu aus. (2) Zugleich macht er ἀγάπη zum neuen Konzept1 einer christologisch-pneumatologisch begründeten Theologie und Ethik. Konzept hat hier heuristischen Charakter und ist das Ergebnis einer interpretatorisch-hermeneutischen Bemühung. Eine interpretierende Lektüre findet in den einzelnen Texten bestimmte Muster von Beziehungen, Ähnlichkeiten, Abhängigkeiten, Neueinsätzen und Variationen, die dem strukturellen Verstehen erschlossen werden können. Damit ist nicht gemeint, dass Paulus eine Lehre von der Gerechtigkeit und der Liebe oder eine systematisch entwickelte WerteEthik (moral values) habe. Beides findet sich weder in den Schriften des Alten Testaments noch bei Paulus. Es geht vielmehr um die paulinischen Konzepte von Gerechtigkeit und Liebe, die Paulus im Römerbrief mit einem deutlichen theologischen Anspruch verbindet.2 Vgl. dazu O. Wischmeyer, Liebe. Robert Jewett betont in seinem großen Kommentar, ders., Romans, 1, die Bedeutung der Briefsituation für die Interpretation des Römerbriefs: „The basic idea in the interpretation of each verse and paragraph is that Paul wishes to gain support for a mission to the barbarians in Spain, which requires that the gospel of impartial, divine righteousness revealed in Christ be clarified to rid it of prejudicial elements that are currently dividing the congregations in Rome“. Dem ist zuzustimmen, allerdings formuliert Jewett mit einer gewissen exkludierenden Einseitigkeit, die Eduard Lohse in der Einleitung zu seinem Kommentar vermeidet; vgl. E. Lohse, Brief, 42–48. Auch Lohse geht von einer situativen Lektüre des Briefes aus: „[…] die Situation, in der Paulus sich an einer Wende seines apostolischen Wirkens befindet, hat ihn dazu veranlasst, an die Christen in Rom zu schreiben“ (a. a. O., 41), betont aber andererseits mit (kritischem) Bezug auf Günther Bornkamm die theologische Bedeutung des Briefs (a. a. O., 45). Eine theologische Lektüre des Römerbriefs bezieht ihr Recht weniger aus formalen Zuschreibungen wie „Testament“ (G. Bornkamm, „Römerbrief“, 120–139) oder „Summe des Evangeliums“ (E. Lohse, a. a. O., 45 f.) als vielmehr aus zwei Sachverhalten. Erstens berührt Paulus zwischen 1,16 und 15,13 kein situatives Thema (auch nicht in 12,1–15,12), sondern entfaltet eine allgemein gültige, zusammenhängende und aufeinander aufbauende Rede 1 2
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II. Themen
1. Gerechtigkeit Gerechtigkeit, צ �ד ָ ָֽקה,ְ 3 δικαιοσύνη, iustitia, gehört zu den zentralen Konzeptionen der großen antiken Mittelmeerkulturen. Nicht nur Israel und das antike Judentum, sondern auch die altorientalischen Staatsgebilde,4 Griechenland und Rom5: alle diese Kulturen mit ihren wechselnden Staatsformen waren zutiefst davon überzeugt, dass Gerechtigkeit der höchste Wert eines Gemeinwesens sei, von den Göttern oder der einen Gottheit garantiert und den Händen der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Staatsführung anvertraut. Religionsführer, Herrscher, Philosophen stritten um die Frage, wie Gerechtigkeit zu verstehen und durchzusetzen sei. Denn Gerechtigkeit war immer umstritten und bedroht. Die Armen und Unterdrückten schrien nach Gerechtigkeit, die Gesetzgeber verankerten die Gerechtigkeit einerseits in göttlichen Bereichen und fassten sie andererseits in Gesetze,6 um Gerechtigkeit im politischen und privaten Leben durchzusetzen, und versuchten diese Durchsetzung der Gerechtigkeit durch ein Gesetzes- und Strafsystem zu stützen, das durch Justizorgane durchgesetzt wurde.7 Die Reichen und Mächtigen fürchteten häufig die Gerechtigkeit und versuchten, sich ihr zu entziehen und das Recht zu beugen. Die griechischen Philosophen fragten, was denn Gerechtigkeit sei, und die Propheten in Israel forderten sie leidenschaftlich ein. Die Herrscher schmückten sich mit dem Titel,8 Garanten und Verteidiger der Gerechtigkeit zu sein, und waren doch oft die ersten, die sie verletzten. Vielleicht war kein Konzept umstrittener als die Gerechtigkeit, in der sich religiöse, politische, soziale und juridische Eigenschaften verbanden. Und keine Kultur und keine Religion schätzte Gerechtigkeit höher als das antike Judentum, in dessen Gefolge das Christentum entstand. Aus der reichen exegetischen Literatur zu diesem Thema werde ich mich paradigmatisch auf einige neuere Beiträge beziehen, die ich für besonders erhellend halte. Damit möchte ich deutlich machen, dass jeder Versuch – so auch der vorliegende Beitrag –, das Thema „Gerechtigkeit im Frühen Judentum und bei Paulus“ zu von Gott, von Christus, von den christusgläubigen Menschen, von den Juden, von dem Leben der christusgläubigen Menschen und von dem Verhalten innerhalb der Gemeinden. Zweitens hat der Römerbrief neben dem Johannesevangelium (und in gewisser Weise der Johannesoffenbarung) die wichtigste theologische Rezeptionsgeschichte der neutestamentlichen Schriften, die schon mit Origenes beginnt. 3 Zur Literatur vgl. M. Witte, „Gerechtigkeit“, 64 f. 4 Vgl. einführend G. Pfeifer, „Gerechtigkeit“, 15–35 (Lit.). 5 Vgl. A. Dihle, „Gerechtigkeit“, 233–360. Dihle macht auf die Übergänge von philosophischethischen zu juridischen Konzeptionen von δικαιοσύνη und iustitia zwischen Karneades und Cicero aufmerksam (a. a. O., 288). 6 Vgl. P. Scheibelreiter u. a., „Nomos“, 978–1106. 7 Vgl. G. Thür/P. E. Pieler, „Gerichtsbarkeit“, 360–492, die allerdings überwiegend die römische Spätantike behandeln. 8 Vgl. schon Hammurabi (CH i 27–49; v 14–25); W. Eilers, Codex; dazu G. Pfeifer, „Gerechtigkeit“, 21; G. Elsen-Novák/M. Novák, „‚König‘“, 131–156.
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behandeln, an viele vorangehende Untersuchungen anschließt und nur in Kontinuität und Korrektur der aktuellen wissenschaftlichen Literatur erfolgen kann. Diejenigen Grundlinien, die exegetisch unumstritten sind, werden hier nur ganz kurz in Erinnerung gerufen. Im Anschluss an die Tradition Israels war das antike Judentum zutiefst davon überzeigt, dass der Gott Israels, der zugleich der Schöpfer der Welt und der Herrscher über alle Völker war, Gerechtigkeit verkörpere, garantiere und im Verhalten und in der Grundprägung von den Menschen fordere. Markus Witte hat gerade wieder auf die Spannweite und Bedeutung der Gerechtigkeit in den Schriften des Alten Testaments hingewiesen: „Das Motiv der Gerechtigkeit hat im Alten Testament zwei Achsen: die Gerechtigkeit Gottes und die Gerechtigkeit des Menschen. In beiden Fällen berührt das Motiv […] kosmologische, geschichtliche, anthropologische, theologische und ethische Dimensionen“9. Nun wird die Konzeption von der Gerechtigkeit Gottes in den Schriften des Alten Testaments zu den komplementären Konzepten von Gottes (richtendem) Zorn und seinem Erbarmen bzw. seiner Barmherzigkeit10 in Beziehung gesetzt. Eduard Lohse entwirft in seinem Römerbriefkommentar ein ebenso knappes wie ausgewogenes und prägnantes Bild von den Gerechtigkeits- und Barmherzigkeitsvorstellungen des Frühen Judentums, das besonders aus den Qumrantexten gewonnen ist: Der Erweis der Gerechtigkeit Gottes besteht in seinem gnädigen Handeln, in dem er den Sünder annimmt und ihn in die rechte Beziehung zu sich setzt, so daß er nunmehr Gott seine Gerechtigkeit nennt und sich zu ihm als dem Grund seines Heils bekennt. Erst diese Gnade aber bringt nach dem Verständnis der Gemeinde von Qumran den Menschen in die Lage, Gottes Gesetz zu erkennen und der Auslegung der Tora zu folgen, wie sie in der gesetzestreuen Gemeinde gelehrt und gelebt wird. Die Rechtfertigung aus Gnaden verpflichtet dazu, das ganze Gesetz zu halten, so daß dem „allein aus Gnade“ ein „allein durch das Gesetz“ entspricht.11
Auf der Schnittstelle zwischen Judentum und jener neuen religiösen Bewegung, die sich im 1. Jh. n. Chr. aus dem Judentum heraus entwickelte und die wir heute eher Jesusbewegung, christusgläubige Gemeinden oder Early Christianity als „Urchristentum“12 nennen, finden wir Paulus: den „Israeliten“ und „Pharisäer“, der „gemäß der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig war“ (Phil 3,6), der ἀπόστολος Jesu Christi wurde und dessen wichtigstes theologisches Lebensthema die Neuinterpretation der Gerechtigkeit Gottes und im Zusammenhang damit das neue Verständnis seiner eigenen Gerechtigkeit war, die Luther 9 M. Witte, „Gerechtigkeit“, 39. Dort auch Lit. zum Thema. Vgl. auch R. Feldmeier/ H. Spieckermann, Gott, 287–309; 466–491. 10 Ex 34,6 f. (hebr. ֶר ֶחםund )ה ֶסד. ֶ Vgl. H. Spieckermann, Heilsgegenwart, 291. 11 E. Lohse, Brief, 79. 12 So jetzt wieder D.-A. Koch, Geschichte. Koch setzt sich kritisch mit der Infragestellung des Begriffs auseinander und plädiert für dessen – kritisch perspektivierte – Beibehaltung.
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1500 Jahre später als „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt,“ interpretieren sollte. Wenn Paulus den ersten Teil seines Römerbriefs dem Thema der Gerechtigkeit widmet, bereitet er also einerseits seine Spanienmission vor – das ist der situative Rahmen des Briefes, andererseits beteiligt er sich aber mit allen ihm zur Verfügung stehenden Argumenten und geradezu tödlichem Ernst in der Argumentation13 an dem vielleicht zentralsten theologisch-sozial-ethisch-juristischen Diskursthema jener beiden Kulturen, an denen er partizipierte: der Gerechtigkeit.14 Damit legt er zugleich, ohne es zu beabsichtigen, den Grund für das spezifische christliche Verständnis von Gerechtigkeit als δικαιοσύνη θεοῦ, das er substantiell von den Texten des Alten Testaments her entwickelt, das sich daher in der paulinischen Fassung nicht in den Grundlagen, in der Fragestellung und im Ansatz, sondern erst im Ergebnis vom Judentum unterscheidet, und das in der christlichen Theologie immer wieder umstritten, vergessen und neu interpretiert worden ist und weiterhin interpretiert werden muss.15 Die offensichtliche allgemeine Kontinuität zwischen jüdischem und frühchristlichem Gerechtigkeitskonzept in Thema und Fragestellung spricht noch einmal Lukas Bormann an, wenn er schreibt: „Die neutestamentlichen Gerechtigkeitsdiskurse knüpfen an den antik-jüdischen an, indem sie Gerechtigkeit theozentrisch denken“16. Karl-Wilhelm Niebuhr präzisiert diese Aussage inhaltlich, indem er auf eine frühjüdische Entwicklung im Gerechtigkeitsbegriff Israels hinweist, die für Paulus entscheidend sein sollte: Eine wesentliche Modifikation im Verständnis der Gerechtigkeit Gottes im Frühjudentum ergibt sich allerdings daraus, dass Gerechtigkeit zunehmend mit Aussagen über die Tora verbunden wird, die als heilsame Gabe und Lebensordnung Gottes für sein Volk Israel gilt. Der Bund Gottes mit Israel kann damit als Ausdruck seiner Gerechtigkeit verstanden werden.17
Dieser Hinweis auf die frühjüdische Verbindung von Gerechtigkeit Gottes, Gesetz als Lebensordnung, die den Israeliten Gerechtigkeit ermöglicht, und Bund ergänzt die Analyse Lohses und benennt den Ausgangspunkt des paulinischen Gerechtigkeitskonzeptes. Damit ist zugleich die Grundlage gegeben, auf der sich die Verschiebungen benennen lassen, die bei Paulus erfolgen. Michael Theobald hat mit seiner prägnanten Formulierung: „‚Rechtfertigungslehre‘ auf dem Stand des Römerbriefs meint zuerst Rede von Gott und seiner ‚Gerechtigkeit‘ […], weshalb die Theozentrik auch das entscheidende Struktur13 Diese wäre für eine bloße Bitte um Hilfe bei der Spanienunternehmung nicht notwendig gewesen. 14 E. Lohse, Brief, 80: „Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes wird ebenso wie seine jüdischen Zeitgenossen auch den Juden Paulus gründlich beschäftigt haben“. 15 Vgl. einführend M. Witte, „Gerechtigkeit“. 16 L. Bormann, „Gerechtigkeitskonzeptionen“, 93. 17 K.-W. Niebuhr, „Rechtfertigungslehre“, 351.
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moment der Christologie bleibt“18, jüngst wieder die Bedeutung des Themas der Gerechtigkeit für den Römerbrief betont, wobei die starke Akzentuierung der Theozentrik allerdings erklärungs- bzw. auch korrekturbedürftig ist, wie ich zeigen werde. Ich zeichne zuerst die Argumentation zur δικαιοσύνη θεοῦ in Röm 1–3 in wenigen Strichen nach. Für Paulus ist in der Tat Gerechtigkeit die Grundeigenschaft Gottes, aber – und dies ist entscheidend – in der Gestalt, die im Evangelium offenbart worden ist und die von Paulus verkündet wird. Es ist eine neue, gleichsam moderne, zeitgenössische Interpretation von Gerechtigkeit Gottes, die Paulus hier gibt, wobei zeitgenössisch die anbrechende Endzeit meint, wie Paulus sie in Röm 13,11–14 aufruft19 und in der er seiner Überzeugung nach lebt. Diese neue, zeitgemäße Interpretation der Gerechtigkeit formuliert Paulus in Röm 1,16 f.: Ich schäme mich des Evangeliums nicht, Kraft Gottes nämlich ist es zur Rettung für jeden, der glaubt, zuerst für Juden, und auch für Heiden. Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.20
Bevor Paulus diese propositio generalis21 seines Briefes in 3,21–8,39 ausführt, beschreibt er zunächst in Röm 1,18–3,20 Gottes Gerechtigkeit ohne die Offenbarung des Evangeliums und befindet sich damit im frühjüdischen Gerechtigkeitsdiskurs. Nach Röm 1,18 ff. hat Gott im Gesetz seine Gerechtigkeit zugleich zur Grundstruktur und zur Norm der Schöpfung und der Geschöpfe gemacht.22 Gott ist gerecht und will, dass die Menschen dementsprechend gerecht leben. Hier ist die Theozentrik deutlich. Dafür hätten die Menschen Gott verehren und seine Gebote, die der Schöpfung inhärent waren, halten müssen. Stattdessen haben die Menschen „Geschöpfe“ verehrt. Gottes Gesetz haben sie nicht gehalten. Daher hat Gott sie „in die Ungerechtigkeit dahingegeben“, und das bedeutet für Paulus zweierlei, zum einen theologisch: die Menschen sind falschen Religionen bzw. Kulten anheimgefallen; und zum anderen ethisch: die Menschen sind der Unmoral in all ihren hässlichen Erscheinungsformen überantwortet. Beide Aspekte sind den Schriften des Frühjudentums geläufig und gehören für Paulus unlöslich zusammen, denn Gottes Gerechtigkeit ist einerseits seine Eigenschaft,23 andererseits Norm für das richtige Leben der Menschen. In einer großen rhetorischen Geste kann Paulus daher schon am Anfang von Röm 2
M. Theobald, „Römerbrief“, 225. Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Konzepte“, 361–392. 20 Vgl. Hab 2,4. 21 J.-N. Aletti, Dieu, 36. M. Theobald, „Rechtfertigungslehre“, 354–357, spricht für Gal 2,16 und Röm 1 vom „Kanon“ des Paulus (a. a. O., 354). 22 „Eigenschaft“ im Sinne eines Wesenszuges und des entsprechenden Verhaltens. 23 Diesen Ausdruck kann man durchaus verwenden, ohne eine philosophische Gotteslehre zugrunde zu legen. 18 19
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ein erstes Fazit seiner anthropologischen Analyse in der literarischen Form der Diatribe ziehen: Darum bist du unentschuldbar, oh Mensch, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verurteilst du dich selbst, der du dasselbe tust, was du richtest. (2,1)
Ich habe diese Anthropologie als „universale Schuldanthropologie im Rahmen (s)eines juridischen Gottesbegriffs“24 beschrieben, Theobald spricht – ebenfalls mit Bezug auf Röm 2,1 – von der „anthropologischen Universalisierung“25 und verweist auf die bekannten analogen anthropologischen Aussagen in den Qumrantexten.26 Paulus bewegt sich hier also im Feld einer negativen Anthropologie, wie sie der Tendenz nach auch im zeitgenössischen Judentum vertreten werden konnte. Wichtig wird hier die Frage, was diese fundamentalanthropologische Analyse bei Paulus für Israel bedeutet. Paulus diagnostiziert in Röm 2, dass nicht nur die Menschheit, sondern auch ganz spezifisch das Volk Israel das Gesetz übertreten habe. Gottes strafende und tötende Gerechtigkeit trifft daher wirklich alle Menschen, die „Völker“ sowohl als auch das Volk Israel. Dies Urteil des „Israeliten“ Paulus (Röm 11,1) gilt also der Religion und dem Ethos der griechischrömischen Mehrheitsbevölkerung des Imperium Romanum ebenso wie der Judenschaft in Jerusalem und in der Diaspora, den „Israeliten“ bzw. „Israel“ (Röm 11,25), obgleich diesen alle religiösen Privilegien gegeben sind (Röm 9,4 f.). Sein negatives anthropologisches Urteil ist trotz der Nähe zu alttestamentlichen und frühjüdischen anthropologischen Aussagen keineswegs selbstverständlich, vor allem nicht was das Judentum angeht. Denn während die Beter in den Qumrantexten anthropologische Aussagen als Grundlage ihrer Frömmigkeit, ihrer Reue und ihres Vertrauens auf Gottes Barmherzigkeit formulieren, entwirft Paulus eine theoretische Anthropologie. Ihm liegt in Röm 1–3 eben nicht an Frömmigkeit, sondern an der Entwicklung eines allgemeinen anthropologischen Urteils. Wenn Paulus trotz der Überlegungen in 3,1–8 ohne jede Differenzierung alle Menschen verurteilt, hebt er damit faktisch den Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden auf, obgleich er selbst als Jude ständig in diesem Unterschied denkt und lebt.27 Sein Entwurf einer negativen universalen Schuldanthropologie ist in ihrem theoretischen Anspruch nicht einfach jüdisches Allgemeinwissen, sondern bedarf einer sorgfältigen Begründung. Paulus arbeitet in Röm 1,18–3,20 daher ausführlich an der Plausibilisierung28 seiner Aussagen.29 Er führt ihre Konsequenzen nicht nur in den drei Lasterkatalogen in Kap. 1, sondern ebenso O. Wischmeyer, „Römer 1.1–24“, 376. M. Theobald, „Rechtfertigungslehre“, 357. 26 1QH IV,29–37; XII,31. Dazu einführend E. Lohse, Brief, 78–81. Vgl. auch die Hinweise bei K.-W. Niebuhr, „Rechtfertigungslehre“, 353: 4 Esr 7,46.68; 8,35. 27 Vgl. vor allem Gal 2,15. 28 Die elaborierteste Disposition des Römerbriefs findet sich bei R. Jewett, Romans, vii–ix. 29 Das gilt besonders, wenn man bedenkt, dass die Mitglieder der römischen Gemeinden zu einem erheblichen Teil nicht jüdisch waren, dazu R. Jewett, Romans, 59–74. 24 25
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in verstörend direkter und zugespitzter Weise in Kap. 2 weiter aus. Er braucht insgesamt fünf verschiedene Argumentationsgänge, die jeweils ein eigenes literarisches Profil haben: erstens die allgemein-anthropologische Argumentation, die der frühjüdischen Götzenpolemik entstammt (Röm 1,18–32),30 zweitens eine diatribische Kurzansprache, in der Paulus „den selbstgerechten Menschen“ schilt und auf das gerechte Gericht Gottes verweist (Röm 2,1–11), drittens einen Verweis auf das innere moralische Gesetz, das alle Menschen haben und das sich im Phänomen des Gewissens manifestiert (2,12–16),31 viertens dann eine literarisch hoch aufgeladene aggressive Polemik gegen die religiöse Heuchelei jüdischer Lehrer, die sachlich in der Nähe zu frühchristlicher Jesusüberlieferung steht (2,17–24)32 und die Paulus ausdrücklich mit einem Schriftzitat aus Jes 52,5 beschließt: Denn „der Name Gottes wird euretwegen unter den Heiden gelästert“, wie geschrieben steht. (2,24)
An das Schriftzitat schließt er eine kurze Belehrung über das Verhältnis von Beschneidung und Gesetz an (Röm 2,25–29). Im fünften Argumentationsgang setzt Paulus die vertiefte Belehrung über die Frage: „Was ist nun der Vorzug des Juden?“ fort (Röm 3,1–8). Im Anschluss an diesen Abschnitt formuliert er zunächst in 3,9 das Ergebnis seiner Gesamtargumentation (προῃτιασάμεθα γὰρ Ἰουδαίους τε καὶ Ἕλληνας πάντας ὑφ᾽ ἁμαρτίαν εἶναι) und hängt in einem sechsten und letzten Argumentationsgang in 3,10–12 eine ausführliche Berufung auf „die Schrift“ an: Wie geschrieben steht: Keiner ist gerecht, auch nicht einer, keiner ist ein Verständiger, keiner ist da, der nach Gott fragt, alle sind sie gestrauchelt, und alle miteinander taugen nichts, es gibt niemanden, der das wirklich Gute tut, keinen einzigen.33
Diese Katene von Zitaten aus dem Buch Prediger und dem Psalter mit eingearbeiteten Bezügen auf Jesaja und Sprüche setzt Paulus zum endgültigen Beweis von 3,9 ein. Damit ist die Übereinstimmung seines anthropologischen Urteils mit der Tora nachgewiesen. Angesichts der dichten expliziten Zitatfolge könnte man geneigt sein zu sagen, Paulus deduziere sein anthropologisches Urteil direkt aus der Schrift und betreibe jüdische Anthropologie als Toraauslegung. Dazu könnte passen, dass Paulus in 3,19 f. eine hermeneutische Schlussregel zur Toraauslegung34 anschließt, die zugleich seine zentrale theologische Einsicht zur Gerechtigkeit Gottes enthält: 30 Beachte die Dichte von inhaltlichen Parallelen zu frühjüdischen kanonischen und nichtkanonischen Schriften. 31 Mit dem zweiten Hinweis auf das Endgericht „gemäß meinem Evangelium“. 32 Mt 23. 33 Zitate aus Pred 7,20; Ps 14,1–3. 34 Weder Lohse noch Jewett beachten die grundlegende hermeneutische Bedeutung dieses Satzes.
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Wir wissen aber, dass das Gesetz das, was es sagt, denen im Gesetz sagt, damit jeder Mund verstumme und die ganze Welt vor Gott schuldig sei, weil aus Werken des Gesetzes niemand vor ihm gerecht gesprochen wird – durch das Gesetz nämlich [kommt] Erkenntnis der Sünde.
Damit wird im Rahmen der universalen Schuldanthropologie dem Gesetz die theologische Aufgabe zugewiesen, als Indikator der allgemeinen Abweichung von der Norm der Gerechtigkeit Gottes zu fungieren.35 Statt des Weges zum Leben wird es damit faktisch Indikator des Todes (1,31). Folgt man dem Argumentationsgang von Röm 1–3, so wird sich aber die These, Paulus treibe hier primär Toraauslegung, nicht bestätigen. Vielmehr betreibt Paulus – übertragen gesprochen – Evangeliumsauslegung. Denn er setzt die Wirklichkeit und Wahrheit der schon genannten propositio generalis, die Gottes und der Menschen Gerechtigkeit nicht mehr vom Gesetz her bemisst, voraus. Friedrich Wilhelm Horn formuliert prägnant: „Die von Paulus beschriebene […] Allgemeinheit der Sünde unter Heiden und Juden […] ist […] letztlich – zumal in ihrer unverhältnismäßigen polemischen Ausweitung – Explikation der Logik des Evangeliums.“36 Das umfassende fundamentalanthropologische Urteil geht auf 1,17 zurück und stellt die negative Konsequenz der positiven Neuinterpretation der Gerechtigkeit Gottes in der propositio generalis des Römerbriefs dar. Zur Bestätigung seiner These zieht Paulus dann „die Schrift“ heran, um den paradoxen Sachverhalt aufzudecken, dass die Schrift, die ja in gewisser Hinsicht mit dem Gesetz identisch ist, selbst der neuen Definition ihrer theologischen Funktion zustimmt. Dieser abschließende Argumentationsgang ist zunächst das letzte theologische Wort des Paulus nicht zur Gerechtigkeit, wohl aber zum Gesetz: „Nun aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden“ (3,21). An dieser Stelle, d. h. vor der christologischen Interpretation der δικαιοσύνη θεοῦ, lassen sich bereits bestimmte Grundlinien des Beitrags, den Paulus zum Gerechtigkeitsdiskurs leistet, benennen. Wie bereits gesagt, basiert das Konzept auf der Gotteslehre der Septuaginta und muss im jüdischen Kontext gelesen werden. Zugleich hat es bereits eigene Schwerpunkte und Neuakzentuierungen: (1) Gerechtigkeit wird streng als theologischer Begriff von der δικαιοσύνη θεοῦ als genitivus subjectivus37 her entwickelt. Aber andererseits gilt auch: Dieses alttestamentliche Thema wird vorausgesetzt und kurz benannt, aber eben nicht thematisch entfaltet. Es ist daher auch schwierig zu benennen, was denn Gerechtigkeit Gottes eigentlich sei. Wie Lohse ausführt, geht es zunächst um die Treue und Unbestechlichkeit Gottes als des Richters.38 Paulus kann auch die 35 Wieweit dieses Fazit sich noch mit zeitgenössischen jüdischen Aussagen deckt, muss gefragt werden. 36 F. W. Horn, „Juden“, 368. 37 Vgl. L. Bormann, „Gerechtigkeitskonzeptionen“, 84. 38 E. Lohse, Brief, 79.
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Bundestreue Gottes betonen (3,24–26). Daneben ist Gerechtigkeit Gottes in 1,18– 32 ein Synonym für seine Göttlichkeit. Viel mehr als die allgemeine Definition von צ �ד ָ ָֽקה, ְ die Witte gibt: „Gerechtigkeit beschreibt im Alten Testament immer eine konkrete Beziehung zwischen zwei Größen. […] Aus dem Beziehungscharakter der Gerechtigkeit ergibt sich ihr dynamisches und prozesshaftes Wesen“39, lässt sich auch für die δικαιοσύνη θεοῦ in Röm 1,18–3,20 kaum sagen. Es geht um Gottes Rechtsetzung für die Menschen, erkennbar im Gesetz, das befolgt werden soll (Röm 2,13). Paulus ist nicht an der Darstellung oder an dem Lob der göttlichen Gerechtigkeit als solcher interessiert,40 sondern ganz und gar und ausschließlich an ihren Auswirkungen auf die Menschen. Gottes Gerechtigkeit trifft auf die Ungerechtigkeit der Menschen. Das Thema des Paulus ist also nicht die Gerechtigkeit Gottes an sich, sondern das Verhalten der Menschen im Hinblick auf die Gerechtigkeit.41 Kurz gesagt: Der Ausgangspunkt des paulinischen Gerechtigkeitskonzepts ist theozentrisch, wie Theobald formuliert; sein Interesse gilt aber den Menschen. Hier rückt (2) das Gesetz als die Größe, die Gottes Gerechtigkeit unter den Menschen ermöglichen und durchsetzen soll, in den Fokus. Zweifellos denkt Paulus auch hier ganz von jüdischen theologischen Voraussetzungen der Tora bzw. des νόμος her, auch wenn er in Röm 2,12–15 einen allgemein-hellenistischen Gesetzesbegriff einführt, der ihm die argumentative Basis für seine Universalanthropologie zur Verfügung stellt.42 Denn es geht ihm nicht um Gesetze im juridischen Sinn, sondern um die Grundzüge von Religion und Ethos wie schon in Kap. 1. Auch hier nimmt Paulus nun eine wichtige Modifikation vor, wenn er die positive lebenspendende Wirkung des Gesetzes für die Realisierung und Durchsetzung der Gerechtigkeit Gottes grundsätzlich bestreitet und damit zwischen ursprünglicher Funktion und tatsächlicher Wirkung des Gesetzes unterscheidet. Der Sünde des Menschen hat das Gesetz nichts entgegenzusetzen.43 Dem Gesetz bleibt lediglich die aufdeckende Funktion als Indikator der Ungerechtigkeit. Von hier aus entwickelt Paulus (3) seine negative Universalanthropologie. Auch hier liegt eine Verschiebung vor: Es geht nicht nur um ungerechte Juden oder um verstockte Heiden oder um das Gebet eines frommen Juden, der seine eigene Sünde erkennt, sondern um den Menschen oder um die Menschheit. Dem gerechten Gott und seiner Gerechtigkeit steht die Menschheit gegenüber. Der kategoriale Unterschied zwischen der Gerechtigkeit Gottes und der Ungerechtigkeit bzw. Sünde aller Menschen wird durch das Gesetz manifest gemacht und lässt für die Menschen nur die Verurteilung durch Gott zu. Paulus spricht davon in juridischen Kategorien: Todesschuld (1,32), Gottes Urteil (2,2 f.), Tag des 39 M. Witte,
„Gerechtigkeit“, 39. Anders in Bezug auf die Liebe: 1 Kor 13. 41 Dies ist am deutlichsten von Rudolf Bultmann herausgearbeitet worden. 42 Dazu A. Dihle, „Gerechtigkeit“. 43 Röm 7,9–13; 8,3. 40
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Zorns und der δικαιοκρισία Gottes (2,5). Gott richtet durch Christus (2,16;44 3,6). Der ganze Kosmos ist vor Gott ὑπόδικος (3,19). Ein positiver Gerechtigkeitsbegriff im Sinne einer Tugend- oder Soziallehre oder gerechter Menschen hat in dieser negativen Fundamentalanthropologie keinen Platz.45 Stattdessen kommt die ἀγάπη ins Spiel.
2. Liebe Bevor ich die Argumentation von Röm 3,21 bis 8,39 weiterverfolge, dürfte es hilfreich sein, sich den Unterschied im allgemeinen Stellenwert von Texten zur Liebe und solchen zur Gerechtigkeit zu vergegenwärtigen. Dass Liebe in all ihren Erscheinungsformen in den Kulturen der Mittelmeerwelt eine zentrale Rolle gespielt hat, muss nicht eigens ausgesprochen werden. Aber anders als bei der Gerechtigkeit wird das, was im Deutschen mit Liebe bezeichnet wird, in der griechisch-römischen Kultur in sehr unterschiedlichen Lexemen ausgedrückt, als Liebe zwischen den Geschlechtern, als Freundschaft oder Philanthropie ganz verschiedenen Lebensbereichen zugeordnet und lässt sich daher kaum einheitlich bzw. konzeptionell fassen.46 Liebe wird kaum als höchster Wert oder als Konzept, das richtiges Leben ermöglicht oder – philosophisch gesprochen – zur Glückseligkeit führt, genannt. Sie ist auch nicht eine der Haupttugenden. Ausnahmen finden sich in den Dialogen Platons47 und Plutarchs48. Eine wichtige Differenzierung gegenüber der älteren Forschung zur Liebe in der griechischrömischen Welt hat jüngst Roland Kany in seinem RAC-Artikel „Nächstenliebe und Gottesliebe“49 vorgenommen. Er stellt die bekannte Dichotomie Anders Nygrens von Eros und Agape50 nicht ganz in Frage,51 relativiert sie aber sachlich, indem er auf die religiösen Dimensionen der Liebe in der griechisch-römischen 44 Daneben werden aber auch die „Unbeschnittenen“, die das Gesetz erfüllen, die „Beschnittenen“ richten (2,27). Vgl. zur fehlenden Systematik in diesem Zusammenhang die richtigen Bemerkungen bei L. Bormann, „Gerechtigkeitskonzeptionen“, 84. 45 L. Bormann, „Gerechtigkeitskonzeptionen“, 88, weist darauf hin: „Paulus verbindet jedenfalls das Wortfeld Gerechtigkeit nicht direkt mit Gerechtigkeitserwägungen der sozialen und rechtlichen Sphäre“. Sein Hinweis auf 1 Kor 8,13 f. und die Isotes ist zutreffend (ebd.), Paulus benutzt aber in diesem Zusammenhang gerade nicht die Gerechtigkeitssemantik. 46 Vgl. einführend R. Kany, „Nächstenliebe“, 652–720, bes. 654 f.; ausführlich: O. Wischmeyer, Liebe. 47 Neben Platons Phaidros vgl. auch z. B. Eukleides, Simon, Simmias u. a. (Diog Laert 2,108.122.124). Zu Platon vgl. S. Ebbersmeyer, „Liebe“, 307–312. 48 H. Görgemanns, „Einführung“, 20–25, bes. auch Anm. 1 und 55. Dort sind die Texte und die gelehrte Literatur zusammengestellt. 49 Vgl. R. Kany, „Nächstenliebe“. 50 A. Nygren, Eros. 51 Die semantischen Unterschiede zwischen dem LXX-Substantiv ἀγάπη einerseits und ἔρως als dem leitenden Lexem der griechischen Literatur andererseits sind evident.
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Kultur hinweist und damit den Abstand zwischen jüdisch-frühchristlicher und griechisch-römischer Liebesauffassung verkürzt.52 Trotzdem lässt sich festhalten, dass es in den großen Mittelmeerkulturen kein Konzept von Liebe gibt, das religiöse, ethische, gesellschaftliche, lebensweltliche und physische Dimensionen des Begriffs Liebe in einem Diskurs verhandelt, wie dies für die Gerechtigkeit gilt. Eine gewisse Ausnahme bildet hier die theologische Kultur Israels. Denn die wichtige, wenn nicht entscheidende Rolle, die Liebe in den Schriften Israels spielte, kommt bereits einem Konzept nahe. Aussagen zur Liebe Gottes zu Israel wie: „Ich habe dich mit ewiger Liebe geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer 31,3; LXX 38,3), und zu der Verpflichtung Israels Gott zu lieben wie: „Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (Dtn 6,4 f.), sind Grundaussagen der Theologie Israels, die sich nicht nur im Deuteronomium, sondern in allen Schriftgruppen des Tanakh bzw. der Septuaginta finden und im Zusammenhang von Bund, Gesetz, Geboten, Vätergeschichte etc. formuliert werden. Die zahlreichen Aussagen zu den emotionalen, körperlichen und karitativen Aspekten von Liebe im Alten Testament übergehe ich hier.53 Im Zusammenhang meines Themas ist zunächst wichtig, dass Paulus auch bei seinem zweiten theologischen Lebensthema, der ἀγάπη, eng an die Theologie Israels anknüpft. Die alttestamentliche Basis dieses Konzeptes hat besonders Hermann Spieckermann in verschiedenen Studien herausgearbeitet.54 Anders als beim Thema Gerechtigkeit betritt Paulus aber im griechisch-römischen Kontext mit dem Thema der ἀγάπη eher Neuland. Das gilt zunächst für die zentrale Stellung, die die ἀγάπη in der Ethik des Paulus einnimmt. Ein Text wie 1 Kor 13, der ganz der ἀγάπη gewidmet ist, stellt durchaus ein Novum in der jüdischen Ethik, aber viel eher noch in der griechisch-römischen philosophischen Ethik dar, die – wenn überhaupt – von φιλία handelt. Michael Wolter möchte die Verbindung der ἀγάπη zur hellenistischen Ethik durch das Begriffspaar von Glaube und Liebe55 herstellen: „Mit der Verknüpfung von Glaube und Liebe [nimmt Paulus] die interpretatio Christiana einer alten Tradition der hellenistischen Ethik vor“56. Eine andere Perspektive verfolgt Kany, wenn er über52 R. Kany, „Nächstenliebe“, 660–662 (über „liebende Gottheiten“ und „menschliche Liebe zu Göttern“). Insgesamt entwirft Kany seine Systematik nach dem alttestamentlich-frühchristlichen Liebeskonzept. Das ist ausgesprochen erhellend, macht aber nur begrenzt deutlich (so die Einschränkung a. a. O., 667), dass die griechisch-römische Antike kein allgemeines Konzept von Liebe hat. 53 Vgl. dazu O. Wischmeyer, Liebe; ausführlich H. Jauss, Gott. 54 Vgl. R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hg.), Liebe; H. Spieckermann, Liebe; R. Feldmeier/ H. Spieckermann, Gott. 55 Gal 5,6 u. ö. 56 M. Wolter, „Liebe“, 449. Die Belege geben eine solche begriffsgeschichtliche Ableitung nicht her.
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zeugend die Breite hellenistisch-römischer philosophischer Texte zum Themenbereich von Philanthropie, Gastfreundschaft, Bruderliebe, Nächstenliebe und auch Feindesliebe dokumentiert.57 Diese Perspektiven, die die Liebe von der hellenistischen Ethik her in den Blick nehmen, haben ihr Recht, verunklaren aber die zentrale ethisch-theologische Rolle der ἀγάπη bei Paulus. Die paulinische Konzeption von Liebe ist keine primär ethische, sondern eine theologisch-christologische und sagt das neue gerechte Verhalten Gottes in Jesus Christus aus. Paulus macht damit aus den Traditionen zur Liebe, die er in der Septuaginta und den nichtkanonischen frühjüdischen Schriften vorfand, eine neue eigene theologisch-ethische Konzeption.
3. Nochmals: Gerechtigkeit Nach dieser kurzen Einführung in die ἀγάπη komme ich auf die neue Form der Gerechtigkeit, die Paulus in Röm 3,21 f. proklamiert, zurück: Nun aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden, bezeugt von dem Gesetz und den Propheten,58 die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus für alle, die glauben.
Wie kann es zu dieser neuen Wendung kommen, zu dieser Möglichkeit der Rettung angesichts der fundamentalanthropologischen Aussage, alle Menschen seien ungerecht und des Todes schuldig? Paulus denkt und argumentiert ab 3,21 nicht mehr von der alttestamentlichen Gerechtigkeit Gottes, sondern von seinem Evangelium her, das die neue Gerechtigkeit Gottes von seiner Liebe in Jesus Christus aus entwirft, die die Menschen gerecht macht. In Röm 3,24– 26 verweist Paulus auf die Erlösung durch Christus als ἱλαστήριον.59 Wo in Röm 3,24 f. Gemeindetradition vorliegt, kann hier unerörtert bleiben.60 Wichtig ist der abschließende Satz in V. 26, in dem Paulus nachdrücklich das Thema der Gerechtigkeit Gottes an die Christologie knüpft: „zum Aufweis seiner [sc. Gottes] Gerechtigkeit zum jetzigen Zeitpunkt, damit er gerecht sei und den aus Glauben an Jesus gerecht mache“. An eben diesem Punkt verbindet Paulus das alttestamentliche Konzept von der Gerechtigkeit Gottes und der Gerechtigkeit der Menschen mit dem neu interpretierten Thema der Liebe Gottes. Beide Themen aber sind christologisch neu bestimmt. Was Röm 3,24–26 unterliegt, spricht Paulus am prägnantesten in 2 Kor 5,14–21 aus. Es ist die Liebe Christi: R. Kany, „Nächstenliebe“, 662–667. Diese eher sorgfältige als stilistisch gelungene Formulierung macht die Prioritäten deutlich. Das Gesetz selbst bezeugt seine Ablösung durch den Glauben. 59 Vgl. dazu E. Lohse, Brief, 134 f.; C. Breytenbach, „Interpretationen“, 325. 60 Vgl. dazu allg. C. Eschner, Sünder. 57
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Die Liebe Christi nämlich zwingt uns zu folgendem Urteil: Einer ist für alle gestorben, also sind sie alle gestorben […]. Wenn jemand in Christus ist, ist neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden […]. An Christi Stelle nun sind wir Gesandte, und Gott selbst mahnt gleichsam durch uns, wir bitten um Christi willen: lasst euch mit Gott versöhnen! Den, der Sünde nicht kannte, hat er an unserer Stelle zur Sünde gemacht, damit wir die Gerechtigkeit Gottes in ihm würden.
Hier sind Christi Liebestat und die Gerechtigkeit der Menschen zusammengedacht. Christi Tod wird in einer kühnen sachlichen Wendung als Tat der Liebe bestimmt.61 Das gilt auch für Röm 3,21–26, und zwar unabhängig von der kontroversen Frage, ob ἱλαστήριον in Röm 3,25 im Sinne der Opferterminologie oder des „heiligen Ortes“ zu interpretieren sei. Cilliers Breytenbach betont zu Recht die Bedeutung der Liebe in diesem Zusammenhang.62 Die Liebe Christi also bestimmt die Botschaft des Paulus und bildet das Zentrum seines Evangeliums: die Liebe Christi, die die neue Gerechtigkeit der Menschen ermöglicht. 2 Kor 5 erweist sich geradezu als hermeneutischer Schlüssel für den Römerbrief. In Röm 5,5–9 gibt Paulus dieser neuen, christologisch begründeten Gerechtigkeit Gottes, die als Liebe agiert, die theologisch schlüssige Gestalt: […] die Liebe Gottes ist in unseren Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Denn Christus ist schon damals,63 als wir noch schwach waren, für die Gottlosen gestorben. Nur schwer nämlich stirbt jemand für einen Gerechten; für den Guten nämlich wagt jemand vielleicht zu sterben. Es erweist aber Gott seine eigene Liebe zu uns (darin), dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden nun wir, die wir in seinem Blut gerechtfertigt worden sind, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden.
Gerechtigkeit, Sünde, Schuld, Verurteilung, Liebe, Entschuldung, Versöhnung und neue Gerechtigkeit als Tun der Liebe: Diese Geschichte Gottes mit den Menschen stellt Paulus in den ersten acht Kapiteln des Römerbriefes dar und fasst sie am Ende noch einmal in einem großen Bild zusammen.64 Er ruft das himmlische Tribunal auf und kommt nach einer Kette kühner rhetorischer Fragen „Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist da, der gerecht macht“ (8,33), „Wer kann verurteilen? Christus Jesus ist da“ (34) und „Wer kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ (35), zu dem Schluss: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus unserm Herrn ist“ (39). Die Liebe Gottes ist also das letzte Wort des Paulus zur Frage nach der neuen Gerechtigkeit. Damit ist die neue Situation der Menschen, die an Christus 61 So später auch im Johannesevangelium. Zum Römerbrief vgl. C. Breytenbach, „Interpretationen“, 330. 62 S. oben Anm. 59. 63 W. Bauer/K. Aland/B. Aland, Wörterbuch, 825, übersetzt κατὰ καιρόν mit „damals“. Zum doppelten ἔτι vgl. E. Lohse, Brief, 169. Eine komplizierte traditionsgeschichtliche Interpretation gibt R. Jewett, Romans, 357–359. 64 Zu Röm 8 vgl. O. Wischmeyer, „Beobachtungen“, 799–809.
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glauben, dargestellt. Paulus beschreibt in Röm 8 diese Situation als Freiheit. Zu dem Spannungsbogen von Gerechtigkeit und Liebe, der Paulus aus der Schrift vorgegeben war und den er einer christologischen Neuinterpretation unterzieht, tritt die Freiheit als dritte Komponente, die das Gefüge zwischen Liebe und Gerechtigkeit entscheidend verändert: „Wo der Geist des Herrn ist, ist Freiheit“ – nicht mehr Gesetz (2 Kor 3,17), und deshalb auch nicht mehr Streben nach Gerechtigkeit, sondern Leben im Status des Gerechtfertigtseins (Röm 3,26). Gerechtfertigtsein bedeutet im Ergebnis durchaus Gerechtsein, ist aber nicht mit einer ethischen oder moralischen Überzeugung gleichzusetzen, die im Sinne eines moralischen Urteils von der eigenen oder einer anderen Person sagt: „Ich bin gerecht“ oder: „Du bist gerecht“. Solche Urteile haben juridischen oder fundamentalethischen Charakter, der Satz „Ich bin gerechtfertigt“ dagegen ist prozessual und kommunikativ gemeint und hat einen strikt theologischen Charakter: Gott hat „in“ Jesus Christus die Menschen gerecht gesprochen und damit von der Ungerechtigkeit und zur Heiligung befreit. So wenig wie die negative universale Anthropologie einfach einleuchtet, ist die Wendung zur Rechtfertigung der Menschen, die an Jesus glauben, einfach plausibel. Dort wie hier muss Paulus einerseits auf Erfahrungswissen verweisen und andererseits theologisch argumentieren. Die einzelnen Argumentationsgänge von Röm 4–8 muss ich hier nicht darstellen. An das Erfahrungswissen appelliert Paulus in Sätzen wie Gal 3,2, wo er die Geisterfahrung in den Gemeinden zur Basis ihres Verhältnisses zum Gesetz macht: „Dies allein will ich von euch erfahren: habt ihr aus den Werken des Gesetzes den Geist empfangen oder aus der Botschaft (ἀκοή) des Glaubens?“ Wilhelm Bousset65 hat wie kein anderer Exeget die Bedeutung des Geistes als erlebter Wirklichkeit in den paulinischen Missionsgemeinden betont. Die Erfahrung des Geistes beschränkt Bousset nicht auf den Aspekt der Wundermacht, sondern interpretiert sie als „die ganze neue Art, wie er als Christ sein Leben führt“66, d. h. auch als ethische und eschatologische Größe. Paulus versteht die Welt von dem Gegensatz von Geist und Fleisch her, von himmlischer und irdischer Welt, die Bousset als „zwei wesensverschiedene […] Welten“67 interpretiert. Hier wird deutlich, dass schon Bousset auch die enge Verbindung von Geist und Ethik bei Paulus sieht. Diese Thematik hat unter ethischem Vorzeichen Horn bearbeitet,68 der besonders darauf hingewiesen hat, dass der Geist nach Paulus die Liebe Gottes vergegenwärtigt:69 „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). 65 Vgl. bes. W. Bousset, „Paulus“, 1276–1309. Vgl. dazu insgesamt O. Wischmeyer, „Paulusinterpretationen“, 648–685. 66 W. Bousset, „Paulus“, 1289. 67 A. a. O., 1291. 68 F. W. Horn, Angeld. 69 A. a. O., 406–409.
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Der Geist ist der Modus, in dem sich die Menschen, die an Christus glauben, dessen Liebestat aneignen können. Wenn man die Frage nach der materialen Art der Teilhabe an der Liebestat Christi stellen will, hat Troels Engberg-Pedersen eine Antwort mit dem Hinweis auf den stoischen πνεῦμα-Materialismus gegeben.70 Theologisch wichtiger scheint mir der Rekurs des Paulus auf den Menschen Jesus und die Interpretation seines Straftodes als Hingabe für die Menschen. Dabei unterscheidet Paulus nicht zwischen der Liebe Christi, der sich selbst hingibt, und der Liebe Gottes, der seinen Sohn hingibt. Das Ziel ist bei beiden theologischen Interpretationsfiguren dasselbe: die Rettung der Menschen. Die Liebe Gottes, die sich in der Liebestat Christi in contrario realisiert, ist die neue Interpretation jener grundlegenden Beziehungsgröße der Gerechtigkeit Gottes, von der Paulus in Röm 1–3 spricht.
4. Gerechtigkeit und Liebe Aber eine Grundfrage ist nach Röm 8 im Blick auf Gerechtigkeit noch ungeklärt: Nach welchem Maßstab soll der Mensch, der an Christus glaubt und an seiner gerecht machenden Liebe partizipiert, sein Leben führen, wenn die Tora doch lediglich die Sünde des Menschen dokumentiert? Wo ist der neue Maßstab? Wo sind die neuen Regeln? Die Antwort, die Paulus in Röm 12 und 13 gibt, heißt noch einmal: Liebe, ἀγάπη, und nur Liebe: Bleibt niemandem etwas schuldig. Nur die gegenseitige Liebe seid ihr einander immer schuldig. Denn wer liebt, hat das ganze71 Gesetz erfüllt. Denn das „Du sollst nicht töten“ […] und was es an anderen Geboten gibt, ist in diesem einen Satz zusammengefasst, in dem „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Erfüllung des Gesetzes nun ist die Liebe. (13,8–10)
Mit diesem kurzen Text, der textlogisch gesehen ein Anhang zu 13,7 mittels Stichwortanschluss ist und gleichsam nur eine Ausnahme von dem Prinzip: „Begleicht eure Schulden bzw. Verbindlichkeiten“ (13,7) formuliert, kommt Paulus noch einmal grundsätzlich auf ein großes Thema, das Gesetz, zurück. Niemals hat er den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Gesetz aus den Augen verloren. Ausgehend von Lev 19,18 in Kombination mit dem zweiten Teil des Dekalogs und einem großzügigen Hinweis auf alle „anderen Gebote“ interpretiert Paulus die Liebe ebenso lakonisch wie praktisch ex negativo, vergleichbar der Goldenen Regel:72 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses.73 Sein Interesse liegt hier aber nicht bei der Liebe, sondern bei der Thematik des Gesetzes. Mit dem folgenden theologischen Urteil: „Erfüllung des Gesetzes Vgl. z. B. T. Engberg-Pedersen, Paul. das andere. Zur Übersetzung vgl. R. Jewett, Romans, 804. 72 Vgl. Mt 7,12 (ex positivo). Vgl. A. Dihle, Regel. 73 Vgl. 1 Kor 13,4. 70
71 Griechisch:
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II. Themen
ist nun die Liebe“ (Röm 13,10) schafft sich Paulus die theologische Basis für eine Ethik der ἀγάπη, die einerseits der Intention des Gesetzes entspricht – hier wünscht Paulus Kontinuität – und andererseits offen für alle ethischen Motive ist, die sich der Kategorie des Guten zuordnen lassen – hier wünscht Paulus einen Neuanfang. Paulus löst den Liebesbegriff damit von der Gebotsstruktur von Gottes- und Nächstenliebe, mehr noch: Er löst sein Denken überhaupt von Gesetzes- oder Gebotsstrukturen und damit von dem Gesetz im Sinne der Tora als der Größe, die die Lebensvollzüge der christusgläubigen Gemeinden hinreichend und ausschließlich normieren könnte. An die Stelle des Gesetzes als eines ethischen Steuerungsinstruments, das in der Form des Gebots normativ auf das Leben der Menschen einwirkt, tritt in Röm 12 das offene Prinzip des Guten, das den Menschen in Form werbender Verhaltensformen, d. h. als ἀγάπη, begegnet.
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7. Gerechtigkeit und Liebe
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8. Principles of Paul’s Hermeneutics Paul’s hermeneutics can be studied from a number of different perspectives. At the beginning of my essay, I shall refer to two important aspects that I have selected out of a multitude of approaches, most of which are familiar and therefore do not need to be touched upon here in detail.
1. Asking Paul himself Let us first ask Paul himself. Imagine the following scenario: One evening, after work, you leave your home in Ephesus to attend a meeting of a newly established religious group, whose members the Roman authorities have recently called Χριστιανοί. You will listen to a lecture delivered by one of their religious leaders, Paulos, who uses to give courses on the doctrines and way of life of this new community. The lectures take place in the στοά of Tyrannos. After the lecture you have the opportunity to ask Paul, “What is your doctrine on ἑρμηνεία”?1 Paul will probably answer, “Well, we have the gift of ἑρμηνεία in our assemblies. Many members of the congregation can speak in tongues, and the community appreciates this spiritual gift. But, I argue, glossolalia should be interpreted in the service, since otherwise people will not understand what the spirit reveals in tongues. Therefore, ἑρμηνεία, interpretation, is a special gift of the Spirit and an indispensable part of our services.” Since this answer does not satisfy you, you will explain that your question does not refer to interpreting glossolalia but to understanding God’s ways of communicating with human beings in general. Since you are Lutheran you expect some plausible comment on reading and understanding Scripture. But you will surely be amazed by Paul’s second answer: [I see. What you refer to is the εὐαγγέλιον], the gospel of God which he promised beforehand through his prophets in the holy scriptures, the gospel concerning his Son, who was descended from David according to the flesh and was declared to be Son of God with power according to the spirit of holiness by resurrection from the dead, Jesus Christ our Lord, through whom we have received grace and apostleship to bring about the obedience
Ἑρμηνεία only 1 Cor 12.10; 14.26.
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of faith among all the Gentiles for the sake of his name, 6 including yourselves who are called to belong to Jesus Christ. (Rom 1.6)
The opening phrase of Romans makes us immediately understand that this teacher, philosopher or prophet, who knows who he is and what his self-description as ἀπόστολος Ἰησοῦ Χριστοῦ actually implies, does not speak about the interpretation (ἑρμηνεία) of the sacred book of the Jews, which he only touches on briefly as “Holy Scriptures,” but about himself and his proclaiming of the Gospel. He introduces himself as God’s interpreter, adding however the strange term εὐαγγέλιον for God’s message that will needs further explanation.
2. Probing scholarship Now let us take a second step and ask ourselves as theologians and biblical scholars: what is it what we are investigating? What are we looking for when we discuss Paul’s principles of hermeneutics within the framework of contemporary scholarship and today’s church and life? When we leave aside the whole field of recent cultural hermeneutics, and instead deal with hermeneutics in the classical sense of understanding written texts, we always face a twofold mission: the more or less practical exercise of reading, translating, explaining and interpreting and often also preaching the texts in question on the one hand, and the problem of understanding the conditions under which this understanding and interpretation developed on the other. This applies in particular to the Christian Bible, the most important collection of seminal texts for the Western world and beyond, which has had its own interpreters since Origen of Alexandria. The practical work of interpreting the Bible takes place in the fields of Old and New Testament philology and exegesis – biblical studies in academia – while the issue of understanding belongs not only to theology but also to philosophy. To ponder on understanding as such has, first and foremost, been a classical topic of philosophy since Plato and Aristotle. In light of the fact, however, that the Christian faith affirms that the Bible reveals God’s message for humankind, fundamental hermeneutics has also been a major topic in Old and New Testament exegesis and theology and in systematic and practical theology since the times of the Church fathers, in particular since Augustine’s De doctrina christiana, the most important work of ancient Christian biblical hermeneutics.2 In other words: our quest for hermeneutics cannot be understood without this long, learned and controversial history of biblical hermeneutics. In the general quest how to comprehend the Bible, the next question relates to the correct interpretation of earliest oral preaching and subsequent written texts See O. Wischmeyer (ed.), Handbuch.
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that aim at encapsulating God’s message for the world. The lasting importance of biblical hermeneutics can be interpreted in contradictory ways. On the one hand, as a result of the multitude of different interpretations, there has, for centuries, been the constant reproach that the Bible has been misunderstood or simply cannot be fully understood. From this perspective, words and texts that have originally been meant to give advice and to clarify issues turn out to be the source of misunderstandings, quarrels, fights and separation or, even worse, give rise to enmity. There is a another, positive perspective however, one that underlines the importance of interpretation: understanding and application depend on time, on context and, what is sometimes underestimated, on the individual or the interpreter, and are thereby necessarily manifold and often divergent. Interpretation and application in particular are related to their historical place and cultural environments. People who devote their lives to the interpretation of holy texts will always examine in which ways the texts speak to their time and to their conditions of life and what significance they have for themselves and for the persons they serve in the church, academia and in society. Thus we learn how general hermeneutics are intertwined with the practical task of interpreting texts that promise to introduce us to God’s communication with human beings. Therefore, we should start our investigation of Paul’s hermeneutics by stating that the constant need for renewed interpretation and application as well as the controversy over different interpretations are a result of the normative status of the Tanach, the Septuagint and later the Christian Bible. This includes Paul’s letters which, since Irenaeus, have turned out to be the most controversial among those texts that we know as the New Testament.
3. The Jewish foundation of Paul’s hermeneutical concept So far, we have gained an insight into the twofold dimension of biblical hermeneutics: its theoretical and practical task. When we want to deal with Paul’s hermeneutics more in detail, we are confronted with the same scenario, that is to say with practical and theoretical issues. Investigating Paul’s hermeneutics leads us in different directions: first the practical task of interpreting his letters, beginning with his terminology and mindset, delineating rules of Paul’s way of communicating with the communities through letters and explaining his way of preaching and teaching. In the context of Paul’s impact on Lutheran hermeneutics it is more important to map Paul’s theoretical or theological concepts of reading Scripture and his new way of understanding ἐν Χριστῷ. Since our interest lies in Paul’s general concept of understanding God and God’s way of communicating with humankind ἐν Χριστῷ, our overarching question concerns not only his interpretation of Scripture, but his understanding of God’s com-
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munication with humankind. In other words: we do not limit ourselves to asking how Paul uses and interprets Scripture, which he knows and refers to in the form of the Septuagint canon, what kind of authority he claims for his interpretation, and to which extent he understands Scripture as God’s revelation and as given by the Spirit, but primarily, at what point he leaves Scripture behind and dares to argue beyond Scripture. Scripture and Spirit are the references and sources of Paul’s hermeneutics. In which way do they fit together? First and foremost Paul’s concept of theological hermeneutics – that is of revelation, understanding and interpretation – is based on the Jewish concept of Scripture that is part of the Jewish theology of the Second Temple period and, more precisely, the result of Israel’s encounter with Hellenism and the anti-Hellenistic Maccabean revolt. The Qumran scrolls on the one hand and Philo’s commentaries on the other are the most significant witnes ses to the eminent status of Scripture in early Judaism. Paul’s personal experience with Scripture is that of a devout young Jewish student, a Pharisee, who studied the Torah, probably in Jerusalem. This means that Paul, although he originated from Hellenistic Tarsus, was brought up in a very particular way of thinking, far removed and deeply separated from the predominant culture of his time. His intellect was trained in reading “holy Scripture,” a specific concept of “sacred books” that is unparalleled in the manifold world of ancient pagan or GrecoRoman religion. Ancient religion in general does not work by sacred books, but by sacrifice and rites and worship, performed by priests and citizens, not by scholars. In other words: Paul’s commitment to interpret Scripture which means the Septuagint is by no means self-evident. James L. Kugel points to the fact that, None of these elements was absent from Second Temple Judaism, but along with them, and ultimately displacing them, was the oddest sort of act: reading words written centuries earlier and acting as if they had the highest significance for people in the present age.3
The only parallel in the ancient world, and not a very close one, is Homer. It is with Homer that young boys were taught to read and write. Homer’s texts needed a considerable ethical explanation in order to avoid interpreting the narrations of the Homeric Gods in ways that no longer fitted the moral and philosophical standards of the Hellenistic-Roman age. Homer’s anthropomorphisms were interpreted in ways similar to those that Philo of Alexandria and other Jewish exegetes applied to those texts of the Jewish Scripture that failed to meet the standards of early Jewish ethics. But, Homer is the cultural, not the religious basis of Hellenism. Greco-Roman polis-religion recognizes and worships the Homeric or Olympic pantheon without reading Homer as the holy document of its mani fold and diverse polytheistic religion. Therefore, when Paul argues by quoting or interpreting Scripture, he argues to a large extent outside the Greco-Roman J. L. Kugel, “Interpretation,” 121–141, here 122. Cf. also E. Ulrich, “Scriptures,” 97–119.
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religious and cultural world. Hence, Paul’s concept of scriptural hermeneutics is by no means universal or self-explanatory and a necessary part of every religion and therefore expected by his addressees. Rather, it is a very particular concept that depends on the religion and culture of ancient Judaism. In other words, we are right to portray Paul as a person who understands hermeneutics as the interpretation of the holy text of the Septuagint and interprets and applies Scripture according to certain methodological rules that had been developed by Jewish scholars since Hellenistic times. This is what he does often in Romans, 1 and 2 Corinthians and Galatians but, unexpectedly enough, not in 1 Thessalonians, Philippians or Philemon. To sum up: it is crucial that whenever we think of hermeneutics in terms of explaining Scripture in order to recognize God’s nature and essence, God’s covenant and commandments, we think and argue within the basic Jewish paradigm of hermeneutics. Only once we recognize that the rootedness of Paul’s hermeneutics in ancient Judaism has remained a part of our present hermeneutical theology and our practical work in biblical studies, can we try to go one step further und to look for the other element of his hermeneutics, the Spirit. Here we meet Paul’s actual contribution to the issue of understanding and interpreting God’s revelation. And this brings us back to the evening in Ephesus in the στοά of Tyrannos and the hermeneutical key concept of εὐαγγέλιον.
4. 2 Corinthians 3: The Spirit In some sense we continue to act as the inheritors of the Jewish concept of scriptural hermeneutics and walk in Paul’s footsteps. True as this may be, it is only half the truth. Actually, Paul goes far beyond the theological and religious concepts of Jewish Scripture and its hermeneutics. His own hermeneutics is based on the Spirit as the eschatological mediator and interpreter of God’s salvific history with humankind. The Spirit is not against Scripture as Romans 1 demonstrates. But, as I have already mentioned, in some of Paul’s letters there is no reference to Scripture. That means that reference to Scripture is no longer indispensable, since Paul and the Christ confessing communities have received the Spirit (1 Thess 1.5; Gal 3.2–5). We can examine his fundamentally individual approach to the whole issue of understanding God and God’s covenant in the light of the Spirit in Paul’s Second Letter to the community of Corinth. Therefore, instead of reviewing all Pauline texts that deal with Scripture in one way or the other I shall focus on one basic text: 2 Corinthians 3.1–4.18. In 2 Corinthians 3, Paul interprets God’s communication with humankind in a way that ultimately constitutes a new paradigm of theological hermeneutics and of Scripture based on Jesus Christ, the Spirit, and on the εὐαγγέλιον proclaimed by Paul himself.
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Although and because Paul is concerned with defending himself and his apostleship in 2 Corinthians 1–7,4 chapter 3 turns out to be something like Paul’s hermeneutical compendium or manifest. Paul develops his personal concept of hermeneutics by interpreting Exodus 34, the second version of the basic narrative of Moses receiving the Ten Commandments at Mount Sinai inscribed on two tablets of stone. Paul does so in a fresh and unexpected, but also complicated and sophisticated way of interpretation while, at the same time, significantly modifying the text in Exodus. His interpretation is a bold comparison between the narrative of the people of Israel and Moses, the Corinthian community and his own person. By choosing this narrative episode, Paul unexpectedly connects one of the summits of Israelite covenantal theology to his own mission, referring back to Moses, but primarily stating the superiority of the Corinthian community and of his own ministry over that of Moses. The subject matter is God’s revelation. Paul emphasizes that although Moses spoke to God and heard God’s voice and returned with the tablets, it was not only he himself and the people of Israel who were forbidden to see God’s glory,5 but what was worse: “The people of Israel could not gaze at Moses’ face because of the glory of his face, a glory now set aside” (2 Cor 3.7). To prove this, Paul changes the Exodus text in two points: first, he maintains that the Israelites could not look at Moses’ face, while, according to the Septuagint, Moses talked to the Israelites while his face showed the brightness of God’s splendor and the Israelites were able to see his face (Ex 34.35). Second, Paul interprets Exodus 34.34 (when Moses went to the Lord, he removed the veil from his face) as follows: When a person turns to the Lord, the veil is removed.6 These corrections aim at downgrading Moses’ revelation and Israel’s encounter with the Lord for the sake of emphasizing Paul’s εὐαγγέλιον and the status of the Corinthian community. Paul’s strategy is to outdo Moses’ revelation without revoking the fundamental continuity between Moses’ and his own revelation, while affirming the significant superiority of his ministry. But Paul also has a second different strategy. In 2 Corinthians 3, he outlines the basic discontinuity between Moses and himself, and the Israelites and the Corinthian community. In order to emphasize the fundamental discontinuity he works with a series of antitheses: ink vs Spirit (3.3), tablets of stone vs tablets of human hearts (3.3), old covenant vs new covenant (3.6,14), letter vs Spirit (3.6),7 death vs life (3.7,8), condemnation vs justification (3.9), splendor that fades away vs splendor that is permanent (3.11,13), and the veil that remains vs a veil that is removed (3.13–16). But discontinuity, even the ultimate division between life and death, is 2 Cor 1.12–14 works as the propositio generalis (general theme) of the whole letter. As it is already narrated in Exodus 33.18–23. 6 Luther translates, When Israel turns to the Lord […]. 7 See Romans 7.6. 4 5
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not Paul’s last word. Instead of announcing the end of the old covenant he opens up the perspective of hope and a future of freedom and glory: but “when one turns to the Lord, the veil is removed.” Now the Lord is the Spirit, and where the Spirit of the Lord is, there is freedom. And all of us, with unveiled faces, seeing the glory of the Lord as though reflected in a mirror, are being transformed into the same image from one degree of glory to another; for this comes from the Lord, the Spirit. (2 Cor 3.16–18)
Paul alludes to the veil covering Moses’ face according to Exodus 34, arguing that the reading of Moses, the study of Scripture now (ὁ νῦν καιρός), under the presence of the Spirit, can be done in freedom. The concise phrase of “old covenant” “may be Paul’s own formulation”8 that came to him in connection with the semantic and metaphorical field of old and new and with the early Christian terminology of “new covenant” for the Last Supper. Although he points to the Pentateuch, the phrase does not mean “Old Testament” in the sense of the later bipartite canon of the ancient church. Paul always thinks in terms of revelation, not codification; in other words, in terms of God’s communication with humankind, not of a holy book or Scripture. That is, why he coins the new term of διαθήκη πνεύματος (3.6).
5. The case of authority: Christ, the Spirit, the Gospel and the Apostle In some ways we have now returned to Ephesus. For Paul, it is the Spirit and the gifts of the Spirit that constitute present reality. As he argues in Romans 1, God spoke through the prophets in the past, foreshadowing the gospel (προεπηγγείλατο, Rom 1.2). Today, God speaks through the gospel that is preached by Paul (εὐαγγέλιον). The gospel is about Jesus Christ, God’s son and the Lord of the communities. In Romans 1.3 f., Paul tries to map a Christology that combines Jesus’ life and death with his pneumatic status post resurrectionem. Paul’s authority derives from his message and from the interpretation of the era in which he lived. The gospel, that is his preaching, proclaims and at the same time fits the era of the Spirit that began with Jesus’ resurrection. Paul’s message is the right expression of the new time: the time post resurrectionem Christi.
6. Pauline hermeneutics between Scripture, freedom and Spirit Paul’s hermeneutics is based on the Scripture as the source of God’s words for Israel. Paul does not question the authority of Scripture; he is convinced M. E. Thrall, Epistle, 266.
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that God’s will is communicated by Scripture and is not subject to change. But Paul does not think in the categories of “the older is better or even best” or the metaphysical concept of constant eternity, but in terms of salvific history: then and now, old and new, promise and fulfillment and, most important of all, the time to come. He lives in the period of fulfillment that is characterized by the coming of Jesus Christ and points ahead to the future: But when the time had fully come, God sent forth his son, born of woman, born under the law, to redeem those who were under the law, so that we might receive adoption as sons. (Gal 4.4)
And, For he [God] says, “At an acceptable time I have listened to you, and on a day of salvation I have helped you” (Isa 49.8 LXX). See, now is the acceptable time; see, now is the day of salvation! (2 Cor 6.2)
And once more in the words of 2 Corinthians 3.16–18: [B]ut when one turns to the Lord, the veil is removed. Now the Lord is the Spirit, and where the Spirit of the Lord is, there is freedom. And all of us, with unveiled faces, seeing the glory of the Lord as though reflected in a mirror, are being transformed into the same image from one degree of glory to another; for this comes from the Lord, the Spirit.
Thus Paul is entirely free to interpret God’s will and revelation due to the καιρός, according to the gospel of Jesus Christ. In other words, in the “modern” way, the way that is appropriate for his time. He lives under the conditions of the presence and the action of the Spirit. He may quote Scripture, he may alter Scripture’s sense in the light of the gospel, he may put aside Scripture, or he may state that his concept of love is fulfilling the law9 or that Christ is the end of the law.10 So, the following sentence, addressed to the Corinthians, expressed in laconic brevity, applies not only to the apostles, but also to Paul’s hermeneutics: all things are yours (1 Cor 3.21).
7. Conclusion First, according to Paul, the principal dimension of Christian hermeneutics is the message of the Gospel, not the interpretation of Scripture. Whether or not or to which degree this hermeneutical principle includes the New Testament texts is a theological issue in its own right. But, we should always bear in mind that Paul did not know about what later on turned out to become the “New Testament.”
Romans 13.10. Romans 10.4.
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His letters are not “the gospel” (εὐαγγέλιον), but a means of communication with his communities during his absence. Second, we as Christians live in constant dialogue with two religions defined as religions based on a holy book or as “religions of the book.” Accordingly, the interpretation both of the Tanach and the Qur’an is a crucial concern of Jewish and Muslim theologians. In order to participate in this exercise, Christian theology often interprets the Christian religion in the same way, for example by interpreting the Abraham narrative. This begs the question if and how, especially our Lutheran theological hermeneutics of Scripture, meets or misses Paul who emphasizes the Spirit as the ultimate way of God’s communication with humankind and states: the Lord is the Spirit.
Bibliography J. L. Kugel, “Early Jewish Biblical Interpretation,” in: EDEJ (ed. J. J. Collins/D. Harlow; Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans, 2012), 121–141. M. E. Thrall, The Second Epistle to the Corinthians 1. 2 Corinthians 1–7 (ICC; London/ New York: T & T Clark, 1994, 2004). E. Ulrich, “The Jewish Scriptures: Texts, Versions, Canons,” in: EDEJ (ed. J. J. Collins/ D. Harlow; Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans, 2012), 97–119. O. Wischmeyer (ed.), Handbuch der Bibelhermeneutiken (Berlin/Boston: de Gruyter, 2016).
9. Paulus als Hermeneut der ΓΡΑΦΗ 1. Fragestellung und Begriffsklärungen (1) Bei der Thematik: „Hermeneutik des Alten Testaments“ geht es nicht so sehr um historische und philologische Sachverhalte, sondern eher um Zuschreibungen und Deutungen, anders gesagt: eher um Hermeneutik als um Exegese. Was wir in der Debatte um die Thesen von Notger Slenczka zur Stellung des Alten Testaments im Zusammenhang der christlichen Bibel verhandeln, hat weiterhin in erheblichem Maße mit Terminologie und mit theologischer Urteilsbildung zu tun und mit dem Kampf um die Deutungshoheit über theologisch und historisch ebenso grundlegende wie komplexe und kontroverse Begriffe wie Israel, Judentum, Christentum, Bibel, Bibelhermeneutik, Altes und Neues Testament, Christus, „Schrift“ – um nur die wichtigsten jener Begriffe zu nennen, die in der großen Auseinandersetzung über Slenczkas Position im Zentrum stehen.1 Kombattanten gehören vor allem der Alttestamentlichen Wissenschaft und der Systematischen Theologie an. Als Neutestamentlerin mit einer historisch-exegetischen Agenda stellt sich mir daher zunächst eine methodische Grundfrage: Was kann die Neutestamentliche Wissenschaft zu dem Thema „Hermeneutik des Alten Testaments“ beitragen? Nimmt man das Thema beim Wort, muss die erste Antwort lauten: nichts, denn für die neutestamentlichen Schriftsteller und ihre Texte gab es „das Alte Testament“ noch nicht, da es auch „das Neue Testament“ noch nicht gab. Die ersten Christianer – ich benutze hier den Begriff, mit dem die Christusbekennenden Gemeinden und ihre Mitglieder nach Apg 11,26 in Antiochia genannt wurden –, die selbst als Autoren tätig wurden, lasen und zitierten die γραφή, die Schrift, oder die heilige Schrift,2 d. h. die Bibel Israels, in Gestalt ihrer griechischen Version, der Septuaginta.3 Das Alte Testament dagegen gibt es erst und nur im Zusammenhang mit dem Neuen Testament, d. h. als erstes Buch der zweiteiligen christlichen Bibel. Historisch gesehen befinden wir uns bei den Fragen zu „Altem und Neuem Testament“ also von vornherein im Bereich 1 Vgl. E. Gräb-Schmidt/R. Preul (Hg.), Das Alte Testament. Darin: J. Schröter, „Das Alte Testament“, 49–81; N. Slenczka, „Kirche“, 83–119; F. Hartenstein, „Bedeutung“, 738–751. 2 Bei Paulus nur Röm 1,2 („heilige Schriften“). 3 Auf die mögliche Benutzung anderer Übersetzungen kann ich an dieser Stelle nicht eingehen.
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der christlichen Kanongeschichte und damit bei der Alten Kirchengeschichte. Die Septuaginta, die kanonische Büchersammlung des griechischsprachigen Judentums,4 ist als „Altes Testament“5 in der Verbindung mit dem „Neuen Testament“,6 der Zusammenstellung frühchristlicher, als apostolisch geltender Schriften, auf uns gekommen. Als kanonische Sammlung des ersten Teils der christlichen Bibel ist das „Alte Testament“ in der Alten Kirche beheimatet.7 Die Sammlung diente der Verlesung in den Gemeinden, wurde von den Kirchenschriftstellern kommentiert und war die Grundlage der Masse altkirchlicher Predigten und theologischen Werke seit Justin und vor allem seit Origenes. Die Antwort auf die Frage, ob die christlichen Kirchen diesen Umgang mit dem ersten Teil ihrer kanonischen Schriftensammlung beibehalten oder aber modifizieren sollen oder wollen, wird daher auch letztlich nicht von der wissenschaftlichen Theologie bzw. von der Universitätstheologie, auch nicht von der Judaistik entschieden, sondern liegt bei den Kirchen und nur bei den Kirchen, denn die zweiteilige christliche Bibel ist das Buch der Kirchen.8 Was die Universitätstheologie in ihren unterschiedlichen Disziplinen diskutiert, ist die Frage, wie die jeweiligen Kirchen zu ihrer Bibel kamen, wie sie ihre Bibel definiert haben – das ist die kirchengeschichtliche Kanonfrage – und welchen Gebrauch sie von diesem Schriftencorpus machen – das ist die Frage der Praktischen Theologie. Daneben steht die Thematik der Schrift – scriptura – als einer der Grundlagen oder sogar der Grundlage christlichen Glaubens – das ist die systematische Frage nach der „Bibel als Quelle und Norm christlichen Glaubens“ und Lebens.9 Zu diesen Debatten kann die Neutestamentliche Wissenschaft als historischexegetische Wissenschaft nichts Eigenes beitragen. Wohl aber stellt sie – gemeinsam mit der Alttestamentlichen Wissenschaft – mit den ihr zugehörigen Mitteln der Textbewahrung, Texterschließung und Textinterpretation die Grundlagen für die genannten Diskurse zur Verfügung. (2) Auf der Basis dieser Klarstellungen möchte ich im Sinne der allgemeinen theologischen Urteilsfindung vorab sechs Punkte zum Thema zu bedenken
4 Damit hängt unter Umständen das Ende des Gebrauchs der Septuaginta im Judentum nach dem 2. Jüdischen Krieg zusammen. Vgl. kritisch dazu L. J. Greenspoon, „Septuagint“, hier 1219. 5 Die Bezeichnung zuerst bei Melito von Sardes um ca. 180 n. Chr. (Euseb, h. e. 4,26,14). 6 Die Bezeichnung zuerst in einer antimontanistischen „Schrift gegen die Häretiker“ um ca. 190 n. Chr. (Euseb, h. e. 5,16,3). Vgl. L. Alexander, „Neues Testament“, 410 f. 7 H. von Campenhausen, Entstehung. 8 Dementsprechend sollten auch die Reaktionen auf die Auseinandersetzung um den Status des christlichen Alten Testaments im Gefüge der christlichen Kirchen und der christlichen Theologie vonseiten der Wissenschaft vom antiken Judentum und von jüdischen Institutionen nicht als Sachvoten, sondern als kommentierende Äußerungen jüdischer Glaubensüberzeugung und Geschichtsdeutung gelesen und diskutiert werden. Der Tanach, seine Stellung und seine Auslegung sind von der Diskussion nicht betroffen. 9 W. Härle, Dogmatik, 111–139 („Die Bibel als Quelle und Norm des christlichen Glaubens“).
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geben.10 Erstens noch einmal: wenn wir die Frage nach der Hermeneutik des „Alten Testaments“ stellen und diese Fragestellung ernst nehmen, bewegen wir uns grundsätzlich im Bereich der zweiteiligen christlichen Bibel und der christlichen Theologie. Es geht dann weder um die Interpretation des Tanach noch der Septuaginta als der beiden – von der Sprache und vom Umfang her deutlich verschiedenen – kanonischen Sammlungen des antiken Israels und – im Falle des Tanach – auch des gegenwärtigen Judentums, sondern eben um die Interpretation des „Alten Testaments“ als des ersten Teils des Kanons der christlichen Kirchen. Wenn die zweiteilige Bibel das Buch der Kirchen ist, gilt zweitens, sofern man nicht die gute wissenschaftliche Praxis differenzierender Wirklichkeitsbeschreibung vernachlässigen will: Die Frage nach der Hermeneutik des Alten Testaments lässt sich nicht unabhängig von den konfessionell geprägten Versionen des „Alten Testaments“ erörtern. Das „Alte Testament“ der Alten Kirche war die Septuaginta, die bis heute das „Alte Testament“ der griechisch-orthodoxen Kirche und in der lateinischen Gestalt der Vulgata das Alte Testament der katholischen Kirche ist. Damit schloss und schließt die katholische Kirche – wie auch die orthodoxen Kirchen – an die jüdisch-hellenistische Version der „Schrift“ Israels an, wie sie auch die ersten christlichen Schriftsteller verwendeten. Diese Anknüpfung schafft eine besonders enge Beziehung zwischen dem, was wir „Altes“ und „Neues“ Testament nennen. Die protestantischen Kirchen dagegen beziehen sich auf den hebräischen Kanon des Tanach,11 in Diskontinuität zu den ersten christlichen Schriftstellern – und das heißt aus 10 Vgl. einführend a. a. O., 124–127 („Die Anwendbarkeit der Begründung der Schriftautorität auf das Alte Testament“). Härles Unterscheidung zwischen hebräischer bzw. jüdischer Bibel einerseits und dem „Alten Testament“ andererseits (124 f.) ist ebenso klar wie hilfreich. Analoges gilt für seinen Hinweis darauf, dass Jesus Christus „für das Judentum […] nicht den Charakter der letztgültigen Selbstoffenbarung Gottes“ hat (125), was impliziert, dass sich „die Autorität der ‚jüdischen Bibel‘ […] ebenfalls vom Gehalt der Schrift her, d. h. von der in ihr bezeugten Gottesoffenbarung begründen“ lässt, d. h. ohne Christus (126). Dieser Differenzpunkt ist entscheidend und darf vonseiten der christlichen Theologie nicht verwischt werden. Aus der christlichen Perspektive dagegen „wird die Gottesoffenbarung in Jesus Christus […] zur letztgültigen […] Offenbarung, und zwar auch im Hinblick auf seine Stellung zum Offenbarungszeugnis Israels. Eben damit wird die ‚jüdische Bibel‘ für die Christen zum Alten Testament und damit zu einem Teil ihrer Heiligen Schrift“ (126). Im christlichen Kontext ist daher der Begriff der hebräischen oder jüdischen Bibel „als ihre Bezeichnung für das Alte Testament“ ein „Übergriff“ (125 Anm. 17). Wichtig ist schließlich der folgende Hinweis: „Die christozentrische Begründung der Autorität des Alten Testaments schließt aus christlicher Sicht die christozentrische Kritik des Alten Testaments ein. Dasselbe gilt […] auch für das Neue Testament“ (127). Härle äußert sich auch kritisch zu E. Zengers Sprachgebrauch vom „Ersten Testament“, der nur im Zusammenhang mit dem Neuen als Zweitem Testament sinnvoll wäre – wobei die Nachordnung des ersten als des überholten Testaments bestehen bliebe (125 Anm. 17). 11 Siehe E. Ulrich, „Scriptures“, 97–120; L. T. Stuckenbruck, „Apocrypha“, 143–162. Vgl. auch die Artikel des Lemmas „Hebraica veritas“: J. A. Loader/W. Wischmeyer/U. H. J. Körtner/ G. Stemberger, „Hebraica veritas“, 239–242.
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II. Themen
der Kanonperspektive: des Neuen Testaments, aber in Kontinuität zum vorhellenistischen antiken Judentum und zum Judentum nach 70, spätestens nach 136 n. Chr. Dieser Unterschied ist hermeneutisch bedeutend, müssen doch die protestantischerseits so genannten alttestamentlichen Apokryphen in der orthodoxen und katholischen Theologie in ein hermeneutisches Gesamtkonzept des „Alten Testaments“ einbezogen werden. Drittens steht im Gesamtgefüge wissenschaftlicher Theologie mindestens im protestantischen Verständnis die philologisch-historische Perspektive auf „die Bibel“, d. h. die zweiteilige christliche Bibel, wie sie in den Kirchen aller Konfessionen benutzt wird, neben, nicht unter der systematisch-dogmatischen Perspektive der „Schrift“ als einem der großen Grund-Prinzipien der Reformation.12 Zu dieser historischen Perspektive aber gehören in einer nicht unkomplexen und jedenfalls spannungsreichen Weise einerseits die historischen Kontexte der Einzelschriften und der Corpora sowie ihre jeweilige Entstehungsgeschichte, andererseits die religionsgeschichtliche Dimension der Texte. Diese Perspektiven können mindestens in der protestantischen Theologie nicht hinter der dogmatischen Perspektive einer Lehre von der Heiligen Schrift zurückstehen. Als Teildisziplin der Theologie bearbeitet die Neutestamentliche Wissenschaft vor allem die kanonischen Texte, die im „Neuen Testament“ zusammengestellt sind.13 Sie interpretiert die neutestamentlichen Texte aber nicht als Offenbarungsurkunden.14 Viertens: wenn sich Theologen und speziell Vertreter der protestantischen Dogmatik, zu deren zentralen Themen „die Schrift“ (scriptura) in der Gestalt beider Testamente als Quelle der Offenbarung gehört, kritisch zum Thema „Schrift als Offenbarungsquelle“ bzw. zum solus Christus und sola scriptura in Bezug auf das „Alte Testament“ äußern wollen,15 können und müssen sie das tun. Die theologische Systematik ist mindestens aus protestantischer Sicht kein Organ der Kirche, sondern eine wissenschaftliche Veranstaltung auf der Basis des christlichen Glaubens, deren Diskussionen, Thesen und mögliche Ergebnisse von den Kirchen angenommen, modifiziert oder abgelehnt werden können. Dieser Umstand ermöglicht die Freiheit, die mindestens die protestantische Theologie immer für sich in Anspruch nimmt: eine Freiheit der Gedanken, der Diskussionen und der Urteilsbildung, und zwar gerade an schwierigen Punkten.16 Dazu W. Härle, Dogmatik, 35 f. nicht kanonisch basierte Konzepte reichen von Early Christianity bis zu rewritten Bible (neutestamentliche Texte als Teilliteratur des vielgestaltigen frühkaiserzeitlichen Judentums). 14 Dasselbe gilt für die Alttestamentliche Wissenschaft. 15 Zur Schriftauslegung und zu solus Christus bzw. „was Christum treibet“ als hermeneutischen Regeln vgl. W. Härle, Dogmatik, 137–139. 16 John Galsworthy, Der Patrizier, lässt den Protagonisten während einer Debatte über die mögliche Zensur des Alten Testaments sagen: „Besser, daß darum gestritten wird, als daß es nicht der Mühe wert ist, darum zu streiten“ (45). 12
13 Andere
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Damit gilt aber auch umgekehrt, dass die Kirchen die Thesen der Systematik, die sich im reformatorischen Sinn den Kirchen in theologischer Verantwortung verpflichtet fühlt und als Korrektiv kirchlicher Lehre versteht – Stichwort: Wächteramt –, ablehnen können.17 Der fünfte Punkt unterstreicht die Überlegungen von Punkt drei und vier. Weder die „Schrift“ noch die zweiteilige Bibel Alten und Neuen Testaments ist Gegenstand eines christlichen Glaubensbekenntnisses. Die Bibel steht in der Alten Kirche als gleichwertige Größe neben, nicht über oder unter dem Bekenntnis. Die Reformation hat nicht einmal den Umfang der „Bibel“ in den Bekenntnisschriften festgeschrieben. Schließlich gilt sechstens, dass die christlichen Theologien als Universitätsfächer der Wahrheitssuche verpflichtet sind und dass Auseinandersetzungen im Rahmen der Universitätstheologie weder primär moralisch noch kirchlich-magistral, sondern primär argumentativ geführt werden.
2. Der Umgang des Paulus mit der Schrift Ich kehre nun zu der Frage, was die Neutestamentliche Wissenschaft zu dem Thema „Hermeneutik des Alten Testaments“18 avant la lettre beitragen könne, zurück. Mein Vortrag gilt Paulus, einem der großen Benutzer der γραφή aus der Anfangszeit der frühchristlichen Literatur.19 Was tat Paulus mit der γραφή? (1) Fangen wir mit Lukas an, dem ersten Biographen des Paulus. Lukas entwirft in der Apostelgeschichte das Bild des schriftinterpretierenden Heidenapostels – dies Bild gehört also bereits zur frühen Paulus-Rezeption. Bei Lukas geht es nun nicht um paulinische Brieftheologie, sondern um die paulinische Predigttätigkeit. In der ersten großen Synagogalpredigt im pisidischen Antiochia (Apg 13,13–41), die Lukas als λόγος παρακλήσεως, als „Wort der Ermahnung / des Trostes“, bezeichnet, betätigt sich Paulus – nach lukanischer Darstellung – als gewandter und eindrucksvoller Schrifthermeneut, der die Geschichte Israels zunächst überwiegend in eigenen Worten paraphrasiert und dabei dann auch prophetische Worte (re)zitiert. Wie Gregory E. Sterling gezeigt hat, besteht die paulinische Predigt aus drei Teilen: Auf die „Story of Israel“ (V. 16–25) folgt die Proklamation des „Gospel as the Fulfillment of Scripture“ (V. 27 ff.); die Rede
17 In Härles Dogmatik vermisst man eine Diskussion dieser Fragestellung. Härle bindet die Dogmatik in sehr differenzierter Weise an den Glauben des Dogmatikers, ohne aber auf die Kirche einzugehen (W. Härle, Dogmatik, 19–21). 18 Vgl. dazu einführend D.-A. Koch, „Altes Testament“, 13 f. 19 Er steht neben Jesus und den Evangelisten und der Apostelgeschichte einerseits, dem Hebräerbrief andererseits und dem Apokalyptiker Johannes dritterseits.
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schließt mit „Pauline Conclusions“ (V. 38 ff.).20 Das rhetorisch effektvolle Ende bildet das Zitat aus Hab 1,5. Soweit das Bild, das Lukas von der Tätigkeit des Paulus gibt. Wie stand es aber historisch mit der γραφή in den Gottesdiensten der von Paulus gegründeten Gemeinden?21 Spielte sie dieselbe zentrale Rolle wie in den synagogalen Gottesdiensten, so dass christliche Schriftauslegung von vornherein ebenso notwendig wie selbstverständlich gewesen wäre? Hier fehlt uns das Wissen. Wir wissen nicht, wie wir uns diese Gottesdienste vorstellen sollen und welche Rolle in diesen Versammlungen die Verlesung und Interpretation der γραφή spielte. Sicher wissen wir nur, dass die Briefe des Paulus in den Gemeindeversammlungen verlesen wurden (2 Kor 7,8 u. ö.). Weiter wissen wir, dass in den gottesdienstlichen Versammlungen Lieder, Psalmen und Hymnen gesungen (1 Kor 14,26) und Gebete sowie glossolalische Rede, Interpretation der Zungenrede und Prophezeiung vorgetragen wurden (1 Kor 12–14). Daneben erwähnt Paulus Lehre und Offenbarung (1 Kor 14,26). Über die Art der Lehre wissen wir nichts.22 Explizite Hinweise auf Schriftlesung und Auslegung der Schrift vermissen wir hier. Erst in 1 Tim 4,13 ist von Vorlesen, Lehren und Ermahnen die Rede, so dass wir Schriftlesung und Schriftauslegung als Elemente des Gemeindegottesdienstes erschließen können.23 Es mag Zufall sein, dass ältere Belege fehlen. Wir können aber nicht mit Sicherheit sagen, dass Schriftlesung und -auslegung – in Form der Homilie – tatsächlich zu den Gottesdiensten der paulinischen Gemeinden gehörten. Lukas entwirft sehr unterschiedliche Szenarien: Paulus predigt in Antiochia in der Synagoge unter Bezug auf die Schrift, in Lystra und Athen spricht er in der Öffentlichkeit, ohne die γραφή zu erwähnen.24 Er spricht auf Gemeindeversammlungen25 und vor den verschiedensten politischen Würdenträgern. Hat er auch in den Christus-gläubigen gottesdienstlichen Versammlungen „die Schrift ausgelegt“? Oder nur in seinen Synagogalvorträgen? Ist Apg 28,23 f. ein synagogales Szenario oder das Abbild paulinischer Gemeindeversammlungen? Dort heißt es von den Juden in Rom:
G. E. Sterling, „‚Do you understand what you are reading?‘“, hier 103 ff. Dazu D. Zeller, Brief, 381 f. Zeller ist sehr vorsichtig mit Aussagen über den Gottesdienst. Lit.: L. T. Johnson, Experience; P. Wick, Gottesdienste, 168–243 zu Paulus. 22 Gal 1,12 geht es einfach um Weitergabe, hier des Evangeliums. 23 P. Wick, Gottesdienste, 221, entnimmt Röm 15,4; 1 Kor 10,11 und 2 Kor 3,4–18, dass in den Hausversammlungen „die heiligen Schriften gelesen und interpretiert“ werden. Das mag sein, steht aber nicht in den Texten. Nicht auszuschließen ist, dass die Mehrzahl der Mitglieder der Hausgemeinden den Synagogalgemeinden so verbunden waren, dass sie weiterhin die γραφή dort hören und lesen konnten. 24 Apg 14,15–17; 17. 25 Apg 20,1–12.17–38. 20 21
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[…] viele kamen zu ihm in die Herberge, denen er auseinandersetzte und bezeugte das Reich Gottes, indem er sie zu überzeugen versuchte [von seiner Botschaft] von Jesus von dem Gesetz des Mose und den Propheten her.
Wir mögen uns vorstellen, dass Lukas hier von der Realität in den frühchristlichen Gemeindeversammlungen ausgeht, aber sicherer ist es, sich auf die Briefe des Paulus zu stützen, die sich so häufig auf die „Schrift“ beziehen, dass wir bei seiner Hörer- bzw. Leserschaft jedenfalls gute Schriftkenntnisse voraussetzen dürfen, seien sie in der Synagoge, im Gemeindegottesdienst, in der Unterweisung oder in der Lektüre erworben. (2) Bleiben wir also bei den Briefen des Paulus und fragen zunächst: Wie verteilen sich die Schriftbezüge auf die Briefe? Der folgende Umstand wird nicht immer bedacht: In drei der sieben unumstritten als paulinisch geltenden Briefe – im 1. Thessalonicher-, Philipper- und Philemonbrief – findet sich kein expliziter Hinweis auf die Schrift.26 Nähmen wir den nicht unumstrittenen Kolosserbrief 27 hinzu, kämen wir sogar auf ein Verhältnis von vier zu vier. In seinen großen und theologisch gewichtigen Gemeindebriefen – dem 1. und 2. Korintherbrief, dem Galater- und Römerbrief – setzt sich der Apostel dagegen vielfach und ausführlich mit der γραφή auseinander. Hier schreibt Paulus als Interpret der γραφή. Dieser Umstand ist kaum überraschend und entspricht dem Paulus-Bild, das sich aus der Rekonstruktion seiner Biographie ergibt: Der zum Pharisäer ausgebildete Diasporajude Paulus schöpft zeitlebens aus der Septuaginta als dem zentralen Referenzwerk seines theologischen Denkens. Sehen wir also auf die vier großen Gemeindebriefe, dann gehört Schriftbenutzung bzw. -auslegung zu den Wesensmerkmalen paulinischer brieflicher Argumentation. Denken wir aber an die drei vorher genannten Schreiben, ändert sich das Bild. Paulus kann ebenso in seinem wohl frühesten Gemeindebrief – dem 1. Thessalonicherbrief – wie auch in seinen wahrscheinlich spätesten, eher persönlich gefärbten Schreiben – im Philemonund Philipperbrief – auf Schriftauslegung ganz verzichten. Schriftauslegung und
26 Unbewusste – rein sprachliche – oder auch bewusste, aber nicht explizierte Anspielungen auf Wendungen der γραφή finden sich in allen Paulusbriefen. Vgl. die sorgfältige Analyse für das Jesajabuch bei F. Wilk, Bedeutung. Bei Wilks Analyse geht allerdings der Unterschied zwischen bloßer Allusion und argumentativ, autoritativ oder interpretierend eingesetztem Zitat verloren. Hier ist D.-A. Koch, Schrift, 11–20, differenzierter. Koch gibt dann eine „Liste der Zitate in den Briefen des Paulus“ mit Referenztexten. Koch unterscheidet Zitate „mit eindeutiger Einleitungsformulierung“ (21), „im Kontext bereits ausdrücklich angeführte Zitate“ (22), „durch nachträgliche Interpretation hervorgehobene Zitate“ (22), „mit dem Kontext inkongruente Zitate“ (23) – hier ist wohl an die polemische Verwendung im brieflichen Kontext gedacht –, „Zitate mit stilistischer Differenz zum Kontext“ (23), „lediglich indirekt markierte Zitate“ (23), „völlig ungekennzeichnete Zitate“ (23). Die erste Gruppe ist mit 66 von 89 Nummern die umfangreichste. In der Auflistung bei Koch begegnen der 1. Thessalonicher-, Philipper- und Philemonbrief nicht. 27 Anders als im Epheserbrief fehlen auch im Kolosserbrief Hinweise auf die γραφή.
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-interpretation gehören also offenbar nicht konstitutiv oder mindestens nicht notwendig zur paulinischen brieflichen Argumentation und Paränese. Zusammengefasst: Unser Wissen von der institutionellen Verankerung der γραφή bei Paulus und seinen unterschiedlichen Auditorien ist lediglich sekundär. Wir können uns weder ein deutliches Bild von der Rolle der Schrift in den paulinischen Gemeindeversammlungen und von dem Horizont der Gemeindeglieder machen noch von der Art, wie und in welchem Umfang Paulus in seinen öffentlichen Vorträgen auf die Schrift Bezug nahm. Was uns zur Verfügung steht, sind nur seine Briefe. Ich werde daher im Folgenden fragen: Wann und wie verwendet und interpretiert Paulus in seinen Briefen die Schrift? In welchen brieflichen Situationen wird Schriftinterpretation nötig und möglich? Und: welche Schrifthermeneutik entwirft er?28 Die Paulus-Forschung ist mit dem Thema „Paulus und die Schrift“ in jüngerer Zeit stark befasst.29 Ich kann hier nur auf zwei besonders wichtige Beiträge hinweisen, auf die sich meine Analyse häufig bezieht. Die große Monographie von Dietrich-Alex Koch, „Die Schrift als Zeuge des Evangeliums“ von 1986, führt in die paulinische Textgrundlage und seine Zitiertechnik ein,30 um sich dann „der Verwendung der Schrift“31 und schließlich „dem Schriftverständnis“ des Paulus zuzuwenden.32 Dies Kapitel hat zwei umfangreiche Teile. In einem ersten Durchgang stellt Koch die paulinischen Zitate in den Kontext der „zeitgenössische(n) Schriftexegese“33 und behandelt Allegorie, Typologie sowie Midraschstrukturen und Pescher-Kommentierungen bei Paulus. In einem zweiten Durchgang stellt er „das Verständnis der Schrift“ unter den Stichworten „literarische Funktion, thematische Zuordnung und zeitliches Verständnis der Schriftzitate“ dar.34 Abschließend erläutert Koch sein Verständnis der Schrift bei Paulus: „Die Schrift als Zeuge des Evangeliums“.35 Kochs Darstellung ist im Grundsatz unüberholt. Exegeten wie Florian Wilk haben in philologischer Hinsicht weitergearbeitet, besonders was die Rekonstruktion der Textvorlagen im Zusammenhang der Septuagintaforschung betrifft. Mit seiner Studie „Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus“36 hat Wilk den Versuch unternommen, 28 Ich frage im Folgenden nicht nach der Schrift-Theologie (theologische Interpretation der Schrift) des Paulus, die von seiner Schrift-Hermeneutik (Umgang mit der Schrift) zu unterscheiden ist. Dazu sehr ausführlich: N. T. Wright, „Reading Paul“, 356–378. 29 Außer den bereits genannten Studien vgl. R. Hays, Echoes of Scripture; C. D. Stanley, Paul; S. E. Porter/C. D. Stanley (Hg.), As It Is Written. Einführend F. Wilk, „Schriftbezüge“, 479–490 (Lit.). Ganz knapp: J. Frey, „Prägung“, 59–66. 30 D.-A. Koch, Schrift, 11–101. 31 A. a. O., 102–198. 32 A. a. O., 199–321. 33 A. a. O., 199–256. 34 A. a. O., 257–321. 35 A. a. O., 322–353. 36 F. Wilk, Bedeutung.
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nicht nur den argumentativen Umgang des Paulus mit Jesajazitaten darzustellen, sondern auch sein theologisches Verständnis dieses Buches zu rekonstruieren. Daraus ergeben sich interessante Fragen: Wieweit nimmt Paulus nicht nur die „Schrift“ als ganze wahr, sondern denkt sich in ein Buch, eben das Jesajabuch, hinein? Dieser Frage kann ich hier nicht nachgehen.
3. Die γραφή: Bezeichnungen und Bedeutung (1) Beginnen wir mit der nächstliegenden Frage: Wie bezeichnet Paulus die γραφή?37 Zunächst überrascht die semantische Vielfalt. Neben γραφή38 finden wir ἐντολή39 bzw. einmal ἐντολαί40 („Gebote Gottes“) und νόμος41 bzw. das Gesetz des Mose42 und „das Gesetz und die Propheten“43 sowie λόγος bzw. Wort Gottes als Äquivalent von γραφή.44 Wichtiger sind die verbalen Formulierungen. Neben dem sehr häufigen γέγραπται, „wie geschrieben steht“,45 begegnen φησίν46 und λέγει,47 entweder formelhaft ohne Subjekt im Sinne von „es heißt“ oder aber mit verschiedenen Subjekten und Adressaten: das Gesetz sagt,48 die Schrift sagt,49 die Schrift sagt zu Pharao,50 die Schrift sagt von Elija,51 die Gerechtig37 Die maßgeblichen neutestamentlichen Arbeiten zum Thema von D.-A. Koch und F. Wilk haben diese Basisfrage übersprungen. Wir kommen aber gerade bei den Bezeichnungen für die „Schrift“ dem besonders nahe, was den Schriftgebrauch des Paulus auszeichnet. Ich stelle diesen Punkt daher hier ausführlicher dar. Zum Thema auch F. Wilk, „‚Schriften‘“, 189–215 (vgl. die Bibliographie, dort auch weitere Beiträge zum Thema von F. Wilk). 38 Röm 1,2; 4,3; 9,17; 10,11; 11,2; 15,4; 1 Kor 15,3.4; Gal 3,8.22; 4,30. 39 Röm 7,8.9.10.11.12.13; 13,9. 40 1 Kor 7,19 (das Halten der Gebote Gottes). 41 Sehr oft. Die Wendungen „im Gesetz steht geschrieben“ u. Ä. führe ich hier nicht auf. Wichtig für unser Thema vor allem: Röm 3,19 (was das Gesetz sagt, sagt es denen unter dem Gesetz); 3,21 (bezeugt vom Gesetz und den Propheten); 4,13 (denn kam nicht durch das Gesetz die Verheißung an Abraham?); 7,7 (wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: du sollst nicht begehren); 7,14 (wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist); 10,5 (Mose schreibt über die Gerechtigkeit aus dem Gesetz: beachte die Differenz zwischen „Mose“ und „Gesetz“); Gal 3,24 (so dass das Gesetz unser παιδαγωγός geworden ist auf Christus hin: Gesetz als strenger Lehrmeister); 5,14 (das ganze Gesetz ist in einem Satz / Wort erfüllt, in dem „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“). 42 1 Kor 9,9. 43 Röm 1,2 und 3,21. 44 Singular oder Plural, mit oder ohne θεοῦ. 45 1 Kor 1,19.31; 2,9; 3,19; 4,6; 10,7; 14,21; 15,45.54; 2 Kor 4,13; 8,15; 9,9; Gal 3,10.13; 4,22.27; Röm 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17.23; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,18.26; 12,19; 14,11; 15,3.4.9.21. 46 1 Kor 6,16. 47 Röm 4,3.6.9 (λέγομεν); 7,7; 9,15.17.25; 10,6.8.11.16.18.19.20.21; 11,2.4.9; 12,19; 14,11; 15,10.12; 1 Kor 9,8.10; 11,34; 2 Kor 6,2; Gal 3,16; 4,30. 48 Röm 7,7. 49 Gal 4,30. 50 Röm 9,17. 51 Röm 11,2.
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keit spricht,52 Mose sagt,53 Jesaja sagt,54 Jesaja wagt zu sagen,55 Jesaja ruft über Israel,56 Jesaja sagt voraus,57 David sagt,58 David preist die Menschen selig.59 Ein Spitzensatz ist Gal 3,8: Die Schrift „vorverkündigte dem Abraham“ (προευηγγελίσατο).60 Hier ist das Evangelium des Paulus in einen Genesistext vorverlegt. Die Basis bildet die Überzeugung: Gott spricht, genauer: Es ist immer Gott, der spricht. Gott spricht zu Mose,61 Gott spricht durch Hosea,62 der Kyrios sagt.63 Einmal benutzt Paulus die Wendung „Mose schreibt“.64 Eine Anwendung dieses Satzes findet sich in 2 Kor 3,15: „Wenn Mose vorgelesen wird“. Ausführlicher sind die analogen Wendungen „im Gesetz des Mose steht geschrieben“65 bzw. „im Gesetz steht geschrieben“66 sowie das logische Oxymoron „das Wort, das geschrieben steht“ – eine besonders aussagekräftige Formulierung.67 Wichtig sind die Textpassagen Röm 9 und 10, wo sich die Bezugnahme auf die Schrift häuft und die unterschiedlichen Nuancen des paulinischen Schriftgebrauchs deutlich werden. Ausgangspunkt ist die Klarstellung in Röm 9,6: „Nicht aber so, dass das Wort Gottes hinfällig geworden ist“. Gemeint ist die Verheißung an Israel (ἐπαγγελίαι, V. 4).68 In dem folgenden, auf Differenzierung beruhenden Schriftbeweis verwendet Paulus nebeneinander die Wendungen ἐρρέθη mit nachfolgendem Genesiszitat („es wurde zu Rebekka gesagt“, V. 1269) und begründend καθὼς γέγραπται mit nachfolgendem Maleachizitat („wie geschrieben steht“, V. 1370). Dabei behandelt er das Maleachizitat als Schriftbegründung für das Genesiszitat, das er als Gottesrede einführt. Im weiteren Verlauf seiner Argumentation in Röm 9–11, in der Paulus nachweisen will, dass Gott ganz (πᾶς) Israel retten wird, zitiert Paulus weiter so, dass er die Schrift gleichsam mit ihr selbst und mit Israel in einem Dialog hält. Einmal spricht Gott zu Mose (9,15), dann spricht die Schrift zu Pharao (V. 17). Gott spricht durch Hosea (V. 25), Jesaja ruft aus über Israel (V. 26) und hat „vorhergesagt“ (V. 29). Der Röm 10,6. Röm 10,19. 54 Röm 10,16; 15,20. 55 Röm 10,20. 56 Röm 9,27. 57 Röm 9,29. 58 Röm 11,9. 59 Röm 4,6. 60 Bezug auf Gen 12,3. 61 Röm 9,15. 62 Röm 9,25. 63 2 Kor 6,17 f. 64 Röm 10,5. 65 1 Kor 9,9. 66 1 Kor 14,21. 67 1 Kor 15,54. 68 Zu den Verheißungen vgl. D.-A. Koch, Schrift, 309–312. 69 Es folgt Gen 25,23 LXX. 70 Es folgt Mal 1,2s LXX. 52 53
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erste Abschnitt der Argumentation schließt mit dem knappen „wie geschrieben steht“ (V. 33 mit Bezug auf Jes 28,16). Es folgt die lange Passage in Röm 10 und 11, in der verschiedene Schriftzitate in der Weise in eine eigene Diatribe des Paulus verarbeitet werden, dass ein Gespräch zwischen der Schrift, Paulus und den Adressaten entsteht: „Mose schreibt“, „die Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht“, „was sagt sie?“, „denn die Schrift spricht“, „wie geschrieben steht“, „denn Jesaja spricht“, „als erster spricht Mose“, „Jesaja aber wagt zu sagen“, „zu Israel aber spricht er“ (Jesaja). „Elija spricht“, „aber was sagt ihm die göttliche Antwort“?71 Paulus springt hier von 3 Bas 19,10 zu 19,18, um das Gespräch zwischen Gott und Elija auf den Punkt zu bringen. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass für Paulus kein Unterschied zwischen Gottes Rede und der „Schrift“ besteht. Auch die Schrift im engeren Sinn, d. h. die Mosetora, sowie die Prophetenbücher und das Psalmenbuch, sind für ihn stets lebendiges Wort Gottes, wobei er Mose und Jesaja und Hosea als Autoritäten, nicht als Autoren nennt. Ein formal verstandenes „Schriftlichkeitsprinzip“ kennt Paulus nicht.72 Die „Schrift“ ist stets Werkzeug der Rede Gottes. Da stets Gott spricht, hängen alle Schrifttexte zusammen und können zueinander in Beziehung gesetzt werden. Sie bilden gleichsam einen einzigen Sprech-Text Gottes. An einigen Stellen interpretiert Paulus die Schrift bereits durch die Wahl seiner Einführungswendungen. Hier kommen wir schon der Frage nach seinem Schriftverständnis nahe. Es handelt sich um die Interpretamente von Verheißung und Erfüllung, die Paulus in 1 Kor 15,54 (Erfüllung),73 Röm 1,2 (Vor-Verheißung) und Röm 9,9 (Verheißung) verwendet. Hinzu kommen die prophetisch grundierten Wendungen von Gal 3,8: „Die Schrift hat es vorausgesehen“, und Röm 9,29: „Jesaja hat vorhergesagt“.74 Paulus benutzt aber nicht nur die Konstruktion der Prophetie, sondern auch die der Heilsgeschichte,75 und zwar in seiner Argumentation in Gal 3,6–4,20.76 Er spricht hier vom „nachträglichen Gegebensein“ des Gesetzes (Gal 3,17.19) gegenüber der viel früheren Abrahamsverheißung bzw. dem Bund, διαθήκη (Gal 3,17).77 Damit konstruiert er das heilsgeschichtliche Prä des Abraham-Bundes vor der Mosetora. (2) Kürzer fasse ich mich bei dem zweiten Aspekt: Was bedeutet „die Schrift“ für Paulus? Zunächst ist sie sein exklusiver Referenztext für das Thema und die Aufgabe, die seine Existenz bestimmen: das Evangelium von Jesus Christus 71 Xρηματισμός, „Gottesspruch“, Hapax legomenon im Neuen Testament. Xρησμός, „Orakelspruch“, wird von Philo für Toraworte verwendet (Mos. 2,188). Vgl dazu F. Siegert, „Homerinterpretation“, 159–171. 72 Aber 1 Kor 4,6. Dazu s. u. 73 Ins Ethische gewendet Röm 13,8; Gal 5,14. 74 Zum pro bei Paulus: E.-M. Becker, „Konstruktion“, hier 410. 75 J. Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger (Hg.), Heil und Geschichte. 76 Zum Thema: O. Wischmeyer, „Konzepte“, 361–392. 77 Dass Bund und Gesetz bei Paulus nicht gegeneinander, sondern nebeneinander stehen, zeigt Röm 9,4 f.
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und die Verkündigung dieses Evangeliums (Röm 1,1–7). Wie ist das Verhältnis von Evangelium und Schrift? Das Evangelium ist zwar Verkündigung des neuen Bundes (2 Kor 3,6) und schafft eine neue Existenz (2 Kor 5,17; Gal 6,15), es ist aber nicht in dem Sinn neu, dass es aus dem Nichts käme, sondern es kommt von dem Gott, der immer war und der zu Israel gesprochen hat. Israel ist Hüter der Worte Gottes: Den Juden „ist anvertraut, was Gott geredet hat“ (ἐπιστεύθησαν τὰ λόγια τοῦ θεοῦ, Röm 3,2). Die Schrift garantiert die Verankerung der Verkündigung des Paulus in Gottes Reden zu und seinem Handeln an Israel. Die Verkündigung des Paulus erfolgt in Übereinstimmung mit der Schrift als dem Medium, in dem Gottes Wort an Israel aufgehoben ist. Diese Übereinstimmung kann unterschiedliche Gesichter tragen: die schon genannte Erfüllung von Verheißungen und Vorhersagen des göttlichen Handelns an Israel und die Heiden, die sachliche Übereinstimmung im Ethos (Gal 5,14 und Röm 13,8–10) oder die Überbietung des früheren Gotteshandelns durch sein gegenwärtiges Handeln (Gal 3 und 4; 2 Kor 3 und 4) bei Wahrung der Kontinuität des Handelnden: Gott ist unwandelbar (Röm 3,3 f.; 9,6). (3) An diesem Punkt müssen wir nach dem Verhältnis von „Schrift“ und „Gesetz“ fragen, auch wenn wir uns damit auf ein exegetisch diffiziles Gebiet begeben.78 Im Zusammenhang der Hermeneutik der γραφή bei Paulus nehme ich nur das sachliche Verhältnis zwischen dem Oberbegriff Schrift / γραφή als ganzer und dem Teilbegriff Tora / νόμος als 1. bis 5. Mose in den Blick, nicht aber die theologische Deutung, die Paulus in seinem Diskurs um die δικαιοσύνη („Gerechtigkeit“)79 dem Gesetz als dem Gegenbegriff zu πίστις („Glaube“) gibt und die er prägnant in das Syntagma ἔργα τοῦ νόμου („Werke des Gesetzes“) fassen kann. Im δικαιοσύνη-Diskurs geht es um die Befolgung der Gebote des Gesetzes als Lebensform.80 Dieser in seiner exegetischen und theologischen Deutung umstrittene Diskurs setzt aber eines voraus, das uns hier interessieren muss, nämlich dass das „Gesetz des Mose“ Teil der γραφή ist, als solches Autorität hat und von Paulus argumentativ eingesetzt wird.81 Das ist besonders signifikant in argumentativen Zusammenhängen wie Gal 3,10–14, wo Paulus mit dem Verweis auf die Schriftstellen Dtn 27,26 („Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei allem, das im Buch des Gesetzes [ἐν τῷ βιβλίῶ τοῦ νόμου] geschrieben ist, dass er es tue“), Hab 2,4 und Lev 18,5 LXX seine These von der Glaubens78 Vgl. einführend M. Meiser, „Verhältnis“, 444–449. Meiser gibt eine differenzierte Einführung in den Forschungsstand seit 1989. Allerdings macht er nicht den Unterschied zwischen Tora / νόμος als der textlichen Größe des Pentateuch und dem „Gesetz“ als einer theologisch qualifizierten Größe bei Paulus deutlich. 79 Vgl. den Römer- und Galaterbrief, aber auch prägnant Phil 3,6.9. 80 Paradigmatisch Gal 3,10 und Röm 10,5: Mose schreibt von der Gerechtigkeit, die aus dem [scil. der Befolgung des] Gesetz[es] kommt. Hierhin gehört auch die Maxime von Röm 3,19: „Wir wissen aber, dass das Gesetz das, was es sagt, denen ‚im Gesetz‘ sagt“. 81 Z. B. 1 Kor 9,8.9; 14,21.34
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gerechtigkeit, die nicht aus dem Tun des Gesetzes kommt, autoritativ stützt. Paulus erklärt und stützt also seine theologische Beurteilung des „Gesetzes“ als Lebensform mit dem hermeneutischen Verweis auf das Gesetz als Gottesrede. Dass das Gesetz Mose gegeben wurde und Mose der Schreiber der Tora war, ist dabei für Paulus einerseits selbstverständlich,82 andererseits bezieht er sich eher selten auf Mose.83 Das Gesetz ist als Gottesrede ἅγιος und πνευματικός, „heilig“ und „geistlich“ (Röm 7,12.14), und als solche ist auch die ἐντολή, das „Gebot“, „heilig und gerecht und gut“ (Röm 7,12).84 Als Teil der in der γραφή niedergelegten Gottesrede ist das Gesetz geistlich. Paulus entwickelt also nicht die Antithese von νόμος und πνεῦμα, von „Gesetz“ und „Geist“, sondern spricht von dem geistlichen – d. h. christologischen – Umgang mit den Geboten des νόμος. Prägnant formuliert: νόμος meint technisch gesehen den Pentateuch.85 Νόμος ist damit ein Teil der γραφή, und zwar jener Teil, den Paulus nicht nur am häufigsten zitiert, sondern mit dem er sich auch besonders auseinandersetzt, wenn es um die anwendungsbezogene Dimension des Gesetzes geht. Das unterscheidet den νόμος von den Propheten, die Paulus stets zustimmend in seiner Argumentation heranzieht.86 Namentlich beruft sich Paulus einmal auf Hosea (Röm 9,25), fünfmal auf Jesaja,87 zweimal auf David.88 Insgesamt ist seine Textauswahl sehr begrenzt und selektiv. Dietrich-Alex Koch weist darauf hin, dass Paulus damit zwar nicht aus dem Judentum herausfällt, wohl aber mit seiner Konzentration auf Jesaja und die Psalmen doch sehr eigenständig ist.89 Wir finden bei Paulus also keinesfalls ein formal vollständiges Schriftprinzip, das auf der hermeneutischen Prämisse, alle γραφή sei gleichwertig im Sinne von gleich verpflichtend, basiert. Paulus wählt nicht nur aus, sondern gewichtet.90 (4) Das bringt uns zu der Frage: Wie verwendet Paulus die Schrift?91 Grundsätzlich gilt zweierlei. Erstens: Paulus legt die Schrift nicht aus, sondern er be82 1 Kor
9,9. 5,14; 9,15; 10,5.19; 1 Kor 9,9; 10,2; 2 Kor 3,7.13.15. 84 Vgl. Röm 1,2: heilige Schriften. 85 Das gilt auch für Röm 9,4: „[…] die Israeliten, denen die Sohnschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse (διαθῆκαι) und die Gesetzgebung (νομοθεσία) und der Gottesdienst und die Verheißungen, denen die Väter angehören […].“ 86 „Die Propheten“ nur Röm 1,2 und 3,21 formelhaft. Paulus beruft sich aber häufig auf Jesaja (vgl. F. Wilk, Bedeutung). Im Übrigen zitiert er die Propheten einfach unter γέγραπται. Vgl. zu den Schriftzitaten und Allusionen die Tabellen bei F. Wilk, „‚Schriften‘“, 216–220. 87 Röm 9,27.29, 10,16.20; 15,12. 88 Röm 4,6 (Ps 31,1 f. LXX) und 11,9 (Ps 68,23 f. LXX). 89 D.-A. Koch, Schrift, 47. F. Wilk weist nach, dass auch der Verfasser des Markusevangeliums sich neben der Tora vor allem auf die Psalmen und Jesaja bezieht (vgl. die Tabelle bei F. Wilk, „‚Schriften‘“, 192). 90 Zu der These „Das Gesetz ist von Engeln verordnet durch die Hand eines Vermittlers“ (Gal 3,19) s. u. 91 Vgl. außer der bereits genannten Literatur auch: F. Wilk, „Schriftbezüge“. 83 Röm
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nutzt sie. Und zweitens: Paulus entwickelt seine Verkündigung nicht aus der γραφή, sondern kann umgekehrt die Verkündigung auf die γραφή stützen. Er liest die γραφή nicht um ihrer selbst willen. Anders als Philo von Alexandria ist Paulus also kein Exeget und kein Kommentator, d. h. ihm liegt nicht an der Interpretation der Schrift um der Erklärung der Schrift willen, sei es in allegorischem, ethischem oder speziell-exegetischem Zusammenhang.92 Seine Briefe gelten stets der Situation der Adressaten, wie er sie sieht, und seiner eigenen, auf die Gemeinden und auf seine eigene Person bezogenen brieflichen Argumentation. Daher ist er auch nicht an einer literarischen Anknüpfung an oder Weiterführung von biblischen Gattungen, Narrativen oder theologischen Themen93 im Sinne der rewritten Bible interessiert. Seine Beziehung zur „Schrift“ ist nicht die des Weiterschreibens, sondern die der argumentativen und paränetischen Benutzung, sie ist streng funktional. Er zitiert oder alludiert sie zur Unterstützung, zur Bestätigung, auch zur autoritativen Durchsetzung seiner jeweiligen eigenen Absicht. Dabei kann „Schrift-Bezug“ durchaus als polemisch-aggressives Argument eingesetzt werden.94 Ihre Autorität verliert die Schrift für Paulus auch dann nicht, wenn er ihre Geltung für die „Zeit des Evangeliums“ infrage stellt oder neu interpretiert.95 Das impliziert die zweite Abgrenzung: Paulus ist kein Schrifttheologe – wie der Verfasser des Hebräerbriefes. Er entwickelt seine Argumentation aus dem εὐαγγέλιον, dem „Evangelium“, nicht aus der γραφή. Besondere Anlässe für Schriftzitate hat Florian Wilk zusammengestellt: die „Herrschaft der Sünde […] und des Todes“, Christologie, „Glaubens- und Gottesgerechtigkeit“, „Apostolat des Paulus“, Israel, das Gesetz, das Schicksal der Gemeinden und „Aspekte christlicher Lebensführung“.96 An vielen wichtigen Punkten seiner eigenen Theologie post resurrectionem Christi hält Paulus also die Übereinstimmung mit der „Schrift“ für wichtig. 92 Vgl. zuletzt D. T. Runia, „Philon“, 605–627. Vgl. auch G. E. Sterling, „Philo“, 1063–1070; M. Niehoff, „Commentary“, 1070–1072; dies., „Philo“, 1074–1076. Dort Bibliographie zu Philos Schrifthermeneutik. 93 Z. B. Themen weisheitlicher Theologie oder prophetischer Eschatologie. Er hat seine eigene Weisheitstheologie und vor allem seine eigene Eschatologie. Anders N. T. Wright, „Reading Paul“. Kritisch zu Wright: O. Wischmeyer, „N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics“, 73–101. 94 Zu den Möglichkeiten literarisch-argumentativer Verwendung von Zitaten vgl. D.-A. Koch, Schrift, 258–273. Polemisch: besonders Gal 4,21; 5,14 f. 95 Dazu s. u. 96 F. Wilk, „Schriftbezüge“, 484 f. D.-A. Koch, Schrift, spitzt stärker zu: Christologie, Gerechtigkeit Gottes und Gesetz, Israel, Paränese (285–302). Auf S. 299 f. fasst er zusammen: „Im Gesamtvergleich zeigt sich, daß die Schriftverwendung des Paulus dort besonders dicht ist, wo er sich theologisch in direkten Widerspruch zur bisherigen (und d. h. im wesentlichen: jüdischen) Schriftauslegung begibt und dieser seine eigene Schriftinterpretation entgegenstellt“. Das gilt besonders für „die Themenbereiche des Gesetzes und der Erwählung Israels“ (300). – Im vorliegenden Beitrag kann dies Thema nicht weiterverfolgt werden, da es zu der δικαιοσύνη-Diskussion gehört.
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(5) Schließlich muss geklärt werden, in welchen thematischen Kontexten „die Schrift“ im Gesamtgefüge der theologischen Themen des Paulus steht. Wir könnten hier ein hermeneutisches Viereck der Offenbarungsmodi zeichnen: Gottesrede – Schrift – Evangelium – Geist. Diese vier Größen werden durch ein theologisches Grunddatum zusammengehalten: Gott spricht. Daher gilt sowohl für die ganze γραφή wie auch für ihren zentralen Teil, den νόμος, dass die Schrift niedergelegtes Gotteswort ist. Gott hat zu den Vätern, zu Abraham und zu Mose gesprochen, er hat zu den Propheten und durch die Propheten gesprochen und durch die Propheten sein Evangelium (Röm 1,2) vor-angekündigt, das nun von Paulus „nicht nur im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem heiligen Geist“ verkündet wird (1 Thess 1,5). Gegenstand der Offenbarung ist Gottes „Sohn Jesus Christus […], der geboren ist aus dem Geschlecht David nach dem Fleisch und erhöht ist zum Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung von den Toten“ (Röm 1,3 f.). Die Gottesrede ist, soweit sie an die Väter und die Propheten erging, in der Schrift niedergelegt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber, d. h. zur Zeit des Paulus,97 wird die endgültige Gottesrede, das Evangelium von Jesus Christus, vom Apostel mündlich verkündet. Sie ist nicht Produkt des Schriftstudiums, auch nicht verschriftlicht, sondern Gabe des Geistes.
4. Schrifthermeneutik und Geisthermeneutik (1) Um einen Weg zu der argumentativ verschränkten und kleinteiligen Schrifthermeneutik des Paulus zu finden, wähle ich den Ausgangspunkt bei der hermeneutischen Terminologie: ἑρμηνεία, τύπος, ἀλληγορεῖν. Ἑρμηνεία, „Auslegung“ oder „Übersetzung“, und ἑρμηνευτής, „Interpret“, begegnen im Neuen Testament ausschließlich bei Paulus, und zwar in der Abhandlung über die Charismen in 1 Kor 12–14, d. h. fokussiert auf die Auslegung oder Übersetzung der sogenannten Zungenrede.98 Das Verb ἑρμηνεύειν im allgemeineren Sinne von „übersetzen“ finden wir viermal in den neutestamentlichen Texten. Nur einmal, in Lk 24,27, begegnet διερμηνεύειν in seiner speziell hermeneutischen Bedeutung: „Und er begann von Mose und allen Propheten ihnen auszulegen, was in allen Schriften über ihn gesagt war“.99 Hier haben wir das, was wir christologischen Schriftbeweis nennen und was Paulus in 1 Kor 10,4100 und Gal
97 O. Wischmeyer,
„Konzepte“, 371–375. 1 Kor 12,10; 14,26.28. Dazu N. Treu, Sprachverständnis. 99 Διερμηνεύειν als „übersetzen“: Apg 9,36; 1 Kor 12,30; 14,5.13.27. 100 „Der Felsen war Christus“. Zu den Voraussetzungen der Allegorie in der Exegese Philos vgl. D. Zeller, Brief, 328. Zeller ist gegenüber einer Christologie, die den „Logos schon im Alten Testament“ findet (Apologeten), zu Recht skeptisch. Dass aber die Präexistenz Christi, 98
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3,16101 mit großer Selbstverständlichkeit anwendet, ohne das Verb zu benutzen. Christus ist Abrahams Erbe und als solcher in Gen 13,15; 17,8 und 24,7 genannt. Und Christus war beim Exodus der Israeliten geistlich anwesend. An diesen Stellen scheint etwas von der sogenannten hohen Christologie des Paulus auf, die die kosmisch-pneumatische Präexistenz Christi statuiert, wie sie explizit in Phil 2,6–8 formuliert ist: Christus war gottgleich und nahm (erst zu einem bestimmten Zeitpunkt) menschliche Gestalt an.102 Vorher war er in pneumatischer Gestalt anwesend. Anders gesagt: Es gibt eine Zeit vor der Christusoffenbarung, aber keine Zeit ohne Christus. Paulus kann diese spekulative Christologie typologisch103 einführen wie in 1 Kor 10,11, wo er Strafen über Israel typologisch deutet: „Dies geschah ihnen [den Israeliten] als ein Vorbild (τυπικῶς), geschrieben aber wurde es uns zur Mahnung, zu denen das Ende der Zeiten gekommen ist“. Typologie ist hier ein hermeneutisches Instrument der Applikation. Applikation als Herstellung einer – meist moralischen oder lehrhaften,104 auf jeden Fall aber aktualisierenden – Beziehung zwischen zwei Texten übt Paulus besonders in 1 Kor 9,9.10.105 Hier deutet er Dtn 25,4 so: „Sorgt sich Gott etwa um Ochsen, oder spricht er überall um unsertwillen (δι’ ἡμᾶς)? Um unsertwillen nämlich steht geschrieben: Auf Hoffnung hin soll der pflügen, der pflügt, und der drischt, soll in der Hoffnung dreschen, dass er sein Teil empfangen wird“.106 Das Verb ἀλληγορεῖν107 verwendet Paulus einmal: Gal 4,24 im Zusammenhang der Frage nach der Interpretation der Abrahamsverheißung. Das wichtige Thema „Wer ist Kind oder Sohn Abrahams?“ greift Paulus später noch einmal in Röm 9 auf. In Gal 4,24 setzt er das Verb im korrekten hermeneutischen Sinn als „Erhebung eines geänderten Bedeutungsgehaltes“.108 In Gal 4,21–31 unterzieht Paulus Gen 15 und 21 – Hagar gebiert Ismael und Sara gebiert Isaak – einer allegorischen Interpretation, indem er die Frauen als „zwei Bundesschlüsse“ interpretiert.109 Allegorische Interpretation dieser Art finden wir öfter die hier im „war“ zum Ausdruck kommt, für Paulus gegeben war, lässt sich nur schwer bestreiten. 101 Abrahams Nachkomme ist Christus. 102 Vgl. Gal 4,4. Zu dem frühchristlichen Motiv von der „Erfüllung der Zeit“ vgl. R. N. Lon genecker, Galatians, 170. 103 Vgl. 1 Kor 10,6: „Dies ist zum τύπος für uns geschehen“; Röm 5,14: „Adam ist der τύπος dessen, der kommen soll“. Vgl. D.-A. Koch, Schrift, 216–221. 104 So Röm 15,4. Vgl. F. Wilk, „‚Zu unserer Belehrung geschrieben …‘ (Röm 15,4)“, 560– 579. 105 Auch Röm 4,23 f. 106 Unbekanntes Zitat, vgl. D.-A. Koch, Schrift, 41 f., anders D. Zeller, Brief, 306 mit Anm. 166: Zeller will ἐγράφη zurück auf die Deuteronomium-Stelle beziehen, so dass 1 Kor 9,10b paulinisch ist. 107 Neutestamentliches Hapax legomenon. 108 J. Ulrich, „Allegorie/Allegorese“, hier 6. 109 Siehe dazu O. Wischmeyer, „Philippi“, 298–319.
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bei Paulus.110 Paulus steht dabei einerseits im Zusammenhang der alexandrinischen Allegorese,111 andererseits eröffnet er neben physischer, ethischer und mystischer Dimension einen weiteren Übertragungsbereich für Texte der γραφή: die Heilsgeschichte. Wir müssen hier nicht wiederholen, dass und wie Paulus die exegetischen Regeln der Midraschim und der Pescharim beherrscht und anwendet und wie benachbart diese Praktiken den hellenistischen hermeneutischen Regeln sind.112 Carol Bakhos definiert Midrasch folgendermaßen: „‚Midrash‘ refers to a form and method of scriptural interpretation“, die vornehmlich rabbinisch sind.113 Bakhos unterscheidet zwischen exegetischen und homiletischen Midraschim. Beide Spielarten entstanden „out of an attempt to understand laconic or obscure biblical verses, to make biblical ordinances relevant to the contemporary Jewish community, to teach moral lessons, and to maintain the Jewish metanarrative that shaped and continues to sustain the Jewish people“.114 Pescher wird ähnlich wie Midrasch verwendet. Shani Berrin Tzoref definiert: „The Hebrew term pesher […] means ‚interpretation‘ and is used to denote both a particular kind of contemporizing biblical interpretation found in some of the Dead Sea Scrolls, and a type of Qumran composition that is comprised of such exegesis“.115 Wir haben gesehen, dass Paulus Gegenwartsdeutung auf der Basis der γραφή treiben kann. Das deutlichste Beispiel ist Gal 4, wo er, wie erwähnt, das Verb ἀλληγορεῖν verwendet. Wichtig ist, dass Paulus nicht nur das Mittel hellenistischer Allegorese, sondern eben auch die Regeln (vor) rabbinischer Exegese und Homiletik anwenden kann. Die griechischen und hebräischen Begriffe und Interpretationsformen liegen nahe beieinander. Sein Ziel ist aber wieder nicht die Erklärung oder Aktualisierung der Schrift, sondern die Bestätigung des Evangeliums. Zusammenfassend lässt sich sagen: Paulus kennt und verwendet griechische und frühjüdische hermeneutische Methoden bei seiner Interpretation der γραφή, die auf die Unterstützung seines Evangeliums zielt.116 (2) Ich komme nun zu den beiden hermeneutisch grundlegenden Texten und beginne mit Gal 3, wo Paulus im Zusammenhang der Bestätigung der paulinischen Glaubenspredigt (ἀκοὴ τῆς πίστεως) durch die γραφή den Gegensatz von διαθήκη und νόμος, von „Bund“ und „Gesetz“, entwickelt. Wir befinden D.-A. Koch, Schrift, 202–216: 1 Kor 9,9; Gal 4,21–31; 1 Kor 10,1–13. Vgl. F. Siegert, „Allegorie/Allegorese“, 7 f. Siegert spricht von pergamenisch-alexandrinischer Exegese. 112 D.-A. Koch, Schrift, 224–227. 113 C. Bakhos, „Midrash, Midrashim“, 944–949 (Lit.). 114 A. a. O., 945. 115 S. Berrin Tzoref, „Pesharim“, hier 1050. Vgl. D.-A. Koch, Schrift, 227–230. 116 Vgl. D.-A. Koch, Schrift, 230–232, betont neben der Ähnlichkeit hermeneutischer Regeln („grundsätzlich jüdisch-hellenistische Provenienz“, 230) auch die jeweiligen Unterschiede und paulinischen Eigenarten. 110 111
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uns in dem schon erwähnten Gerechtigkeitsdiskurs. Ich gehe auch hier nur auf den hermeneutischen Aspekt des Textes ein. Paulus will seine Botschaft von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, durch die Schrift bestätigen (Gal 3,8) und setzt dazu die Autorität von Schriftzitaten aus Gen 15,6 und 12,3 u. a. ein (Gal 3,6.8): Abraham ist aus Glauben gerecht geworden, und dasselbe wird für seine Erben zutreffen. In Gal 3,14–18 spitzt Paulus diese These auf Christus zu: „Die Segnung Abrahams geschieht durch Jesus Christus“ (V. 14.16). Diese Verheißung bezeichnet Paulus in Gal 3,17 als Testament oder Bund (διαθήκη). Sie sei an Abraham vierhundertdreißig Jahre, bevor das Gesetz erlassen wurde, ergangen (Gal 3,17). Die weitere Konstruktion eines heilsgeschichtlichen Zeitplans können wir nicht verfolgen, da Paulus hier – wie schon erwähnt – vom νόμος als einer theologischen Größe schreibt. Für unser Thema ist zweierlei wichtig, erstens dass Paulus trotz seiner heilsgeschichtlichen Konstruktion eines inversiven Heilsplans den νόμος nicht abwertet, da es nur einen Gotteswillen und einen Heilsplan gibt, zu dem das Gesetz gehört. Daher kann er in Gal 3,22 wieder von der γραφή sprechen: „Aber eingeschlossen hat die Schrift alles unter die Sünde“. Zweitens führt Paulus hier bereits den Begriff διαθήκη in die hermeneutische Thematik ein. Die Differenzierung von Abrahamsverheißung und Mosegesetz – denn darum geht es hier letztlich – vermag uns exegetisch sicher nicht zu überzeugen. Für Paulus ist sie plausibel, da er nie von einem Schriftprinzip oder gar einem Autorenkonzept her denkt, sondern stets von der Gottesrede: Gott hat zuerst zu Abraham im Modus der Verheißung bzw. des Bundes, der διαθήκη, gesprochen, erst später dann zu Mose im Modus des νόμος, des Gesetzes. Die διαθήκη als die ursprüngliche Gottesrede hat Bestand. Beides ist in der γραφή – dem Pentateuch – niedergelegt. Daher wird auch der νόμος des Mose nicht abgewertet, sondern als Gottesrede zwischen der früheren διαθήκη Abrahams und dem εὐαγγέλιον des Paulus heilsgeschichtlich eingeordnet. (3) Der Begriff der διαθήκη wird im 2. Korintherbrief hermeneutisch ausgearbeitet. Der wichtigste Gedanke des Paulus zur Schrifthermeneutik ist die Unterscheidung zwischen παλαιὰ und καινὴ διαθήκη, „altem“ und „neuen Bund“, in 2 Kor 3,1–4,6. In diesem Text steht der Bundesbegriff im Mittelpunkt. Paulus diskutiert mit Hilfe der Antithese von γράμμα und πνεῦμα, von „Buchstabe“ und „Geist“, die Frage nach der Autorisierung seiner Offenbarung im Gegenüber zur γραφή und vertieft sein Konzept des hermeneutischen Vierecks, indem er die Rolle des Geistes betont. Die These, die Paulus verteidigt, ist: Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. (2 Kor 3,6)
Seine Argumentation beruht auf der in einer bestimmten Hinsicht negativen Bewertung der Moseoffenbarung auf dem Sinai nach Ex 34. Mose – ich paraphrasiere 2 Kor 3,4–18 – habe die Gesetzestafeln empfangen, aber das Gesetz habe sich als eine tötende Kraft erwiesen, weil die Israeliten das Gesetz nicht
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erfüllen konnten.117 Γράμμα übersetzen wir am besten mit „buchstäbliches Verständnis“ oder „buchstäbliche Anwendung“. Damit sind wir wieder in dem paulinischen Gerechtigkeitsdiskurs von der Anwendung des Gesetzes. Dem Begriffspaar von „Buchstaben (γράμμα) in Stein“ und „Tod“ auf der Seite der Offenbarung an Mose korrespondiert antithetisch das Begriffspaar von „Geist (πνεῦμα) (in den Herzen der Gemeinde)“ und „Leben“,118 also nicht ein neues Schriftwerk, das die Mosetafeln, die pars pro toto für die Tora stehen, überbieten könnte. Das erste Begriffspaar interpretiert Paulus als „Dienst des alten Bundes“ (mit Mose), das zweite als „Dienst des neuen Bundes“ (καινὴ διαθήκη), geknüpft an seine eigene Person: Er selbst ist es, der diesen Dienst ausführt.119 Die Antithese Alt - Neu bezieht sich nicht auf zwei unterschiedliche Schriftencorpora – so dass den Mosetafeln und damit letzten Endes so etwas wie dem „Alten Testament“ nun etwa das „Neue Testament“ gegenüber stände120 –, sondern ist heilsgeschichtlich im Sinne der Christusverkündigung zu verstehen. Es geht auch nicht um einen personalen Gegensatz zwischen Mose und Christus, sondern zwischen Mose und Paulus. Christus steht über diesen Gegensätzen. In diesem Textzusammenhang erfindet Paulus gleichsam nebenbei die Hermeneutik der Schrift neu als Hermeneutik des Geistes. Die „Verlesung des Mose“ bei den Juden (3,15 f.) – hier wechselt Paulus von den Gesetzestafeln der Vergangenheit zur synagogalen Toralektüre seiner Gegenwart –, also vor allem der Pentateuch, wird den Juden dann Gottes volle Offenbarung bringen – und das heißt: sie zu Christus-Bekennern machen – wenn „sie sich zum Herrn bekehren“121 und den Geist empfangen. Das impliziert zweierlei: Die γραφή kann nur vom Christusbekenntnis und vom Geistempfang her in ihrer eigentlichen Intention verstanden werden. Und andererseits: vom Christusbekenntnis her verstanden, ist sie aber selbst bereits Christusverkündigung. Von hierher braucht Paulus kein „Neues Testament“ im Sinne eines neuen Schriftencorpus. Paulus spielt in diesem Zusammenhang noch mit einer weiteren doppelten Antithese: verhüllen - aufdecken und Verstockung - Freiheit. Was für Paulus das eigentliche hermeneutische Kriterium ist, bringt er in die Sentenz, die die These von 2 Kor 3,6 aufgreift und vertieft: Dieser Gedanke wird hier nicht weiter ausgeführt. Vgl. dazu Röm 1–8. Paulus fügt noch „Verurteilung“ auf der Seite des Mosegesetzes hinzu, korrespondierend dazu „Gerechtigkeit“ für seinen eigenen Dienst der Verkündigung. 119 In 2 Kor 3,1–3 ist diese Interpretation schon angelegt: Die Korinther sind der Brief des Paulus an die Welt. Das im Einzelnen nicht stimmige Bild zeigt aber ganz deutlich die Parallele zwischen Mose und Paulus bzw. den Gesetzestafeln (aus Stein) und (den Herzen) der Gemeinde. So wie „das Gesetz“ die Offenbarung durch Mose leitete, leitet „der Geist“ nun die Offenbarung, die im Evangelium des Paulus erstrahlt. 120 Unabhängig von dem Anachronismus ist eine Beobachtung wichtig. Paulus denkt hier nicht an seine Briefe, sondern an die (mündliche) Evangeliumsverkündigung, die im Geist geschieht. 121 Ex 34,34. Hier hat Paulus den Septuagintawortlaut (γράμμα) gänzlich verändert. 117 118
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Der Herr aber ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, [da ist] Freiheit. (2 Kor 3,17)
Der Vordersatz: „Der Herr ist der Geist“ kommentiert V. 16, wo Paulus Ex 34,34 aufgreift: „Sobald sich aber jemand zum Herrn bekehrt, wird die Decke [des Mose] weggezogen [von dem ‚alten Bund‘]“. Paulus interpretiert den „Herrn“ aus dem Zitat in 2 Kor 3,16 als „Geist“, d. h. der „neue Bund“ des Geistes bringt Freiheit gegenüber der Buchstabenlektüre des Gesetzes. Aber Paulus scheint hier noch weitergedacht zu haben: Im neuen Bund gibt es direkte Offenbarung als Spiegelung der Herrlichkeit Christi. Damit rückt die „Schrift“ endgültig in die zweite Reihe, ohne aber ihren Offenbarungscharakter und ihre Dignität als Gottesrede einzubüßen.122 Zusammenfassend lässt sich 2 Kor 3 Folgendes entnehmen: Paulus denkt Offenbarung nicht von dem verschriftlichen Text oder der kanonischen Buchsammlung der γραφή her, die ausgelegt werden muss. Vielmehr denkt und argumentiert er vom Geist her: Nur das will ich von euch wissen: Habt ihr den Geist aus den Werken des Gesetzes empfangen oder aus der Predigt des Glaubens? (Gal 3,2)
Medium der Offenbarung Gottes seit dem Kommen Christi ist der Geist, der sich in der Predigt den Glaubenden mitteilt. Diese Geist-Hermeneutik eröffnet die Möglichkeit souveräner Textbenutzung und Textinterpretation ebenso wie den Verzicht auf Textbenutzung. (4) Ich stelle die Ergebnisse meiner Untersuchung zu „Paulus als Interpret der γραφή“ in drei Thesen dar, die jeweils die Spannung in der Konzeption des Paulus abbilden: Erstens: Die „Schrift“ in Gestalt der Septuaginta123 ist für Paulus die Basis seiner Argumentation, sowohl theologisch als auch ethnisch-kulturell. „Die Schrift“ ist Gottesrede an Israel. Paulus verwendet keine anderen Bücher oder Autoritäten, wie es beispielsweise Philo tut, wobei seine Auswahl von Septuaginta-Quelltexten deutlich selektiv ist.124 Paulus ist ohne die γραφή und ihre umfassende Autorität nicht denkbar. Andererseits gilt: Paulus hat in drei seiner Briefe (Phil, Phlm, 1 Thess) keinmal die Schrift zitiert. Er kann sein Evangelium auch ohne Schriftbezug darlegen. Röm 3,2; 9,4–6. Zu abweichenden Textvorlagen vgl. D.-A. Koch, Schrift, 48–88. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Paulus den Septuagintatext zitiert, ohne den Umfang der Bücher des Tanach zu überschreiten. Zitate aus Sirach und Sapientia fehlen („Die Zitate des Paulus beschränken sich auf diejenigen Bücher, die nach 70 n. Chr. vom pharisäisch-rabbinischen Judentum endgültig als kanonisch anerkannt wurden“, 47). 124 Dazu D.-A. Koch, Schrift, 47 f.: „Die deutliche Bevorzugung einiger Schriften (Jes, Ps, Gen, Dtn, XII) entspricht zeitgenössischer jüdischer Zitier- und Auslegungspraxis“ (ebd.). Allerdings registriert Koch „eine weitere Reduktion“ (ebd.) mit der fehlenden Bezugnahme auf die Geschichtsbücher. 122 123
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Zweitens: Paulus sieht seine Evangeliumsbotschaft vollständig im Einklang mit „der Schrift“, die sich im Kommen Christi „erfüllt“. Andererseits gilt: Das Kommen Christi überbietet „die Schrift“. Diese „Überbietung“ oder „Überholung“ kann unterschiedlich dargestellt werden, als Vorwegnahme, Kontinuität, Identität oder eben Überbietung. Drittens: Auf dem Evangelium beruht seine Einschätzung der Septuaginta als Teil des alten Bundes (παλαιὰ διαθήκη) „im Buchstaben“, dem der neue Bund (καινὴ διαθήκη) „im Geist“ gegenübersteht. Dieser eigene hermeneutische Grundgedanke des Paulus ist aber nicht die theoretische Basis der späteren zweiteiligen christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments, obgleich die Diktion der Kirchenschriftsteller125 auf Paulus zurückgreift, sondern die Basis für die Evangeliumspredigt, die nicht aus der Schrift, sondern aus dem Geist kommt und die den Anbruch der neuen Schöpfung und des neuen Bundes ansagt. In dem hermeneutischen Viereck des Paulus (Gottesrede, Schrift, Evangelium, Geist) hat nicht ein Neues Testament, sondern das Evangelium seinen Platz. An ein „Neues Testament“ als Pendant zur „Schrift“ und als zweites und eigentliches Referenzwerk der „Christianer“ hat Paulus nicht gedacht.
5. Leistet die Paulusexegese einen Beitrag zur Frage nach dem Status des Alten Testaments in der zweiteiligen christlichen Bibel? Folgen wir Hans von Campenhausen, werden wir diese Frage grundsätzlich bejahen müssen. Von Campenhausen schreibt in der Einleitung zu seinem großen Werk „Die Entstehung der christlichen Bibel“ von 1968: Schon die paulinischen Worte über die alte Schrift und der Gebrauch, den er von ihr macht, sind von großem prinzipiellen Gewicht, und auch das, was Justin und Irenäus, Tertullian und Origenes über ihren Kanon jeweils zu sagen haben, beruht durchaus auf einer „ernsthaften dogmatischen Denkarbeit“.126
Seine abschließenden Thesen zum Thema „Paulus und das Alte Testament“ lauten: Paulus hat die Voraussetzungen geschaffen, unter denen es möglich wurde, die alte Schrift zu übernehmen und neben das „Alte“ in deutlicher Unterscheidung ein „Neues“ Testament zu stellen. Tatsächlich hat die christliche Bibel eine paulinische oder doch von Paulus inaugurierte Konzeption der Heilsgeschichte zu ihrer bleibenden Voraussetzung und ist insofern ohne Paulus nicht denkbar.127
125 S. Anm. 5
und 6. H. von Campenhausen, Entstehung, 2, mit Bezug auf Theodor Zahn. 127 A. a. O., 46. 126
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Diese Einschätzung von Campenhausens verdankt sich dem Blick des Patristikers, der von dem Vorhandensein der Bibel „Alten“ und „Neuen“ Testaments ausgeht und ihre Entstehungsgeschichte rekonstruiert. Dafür bietet sich die Begrifflichkeit des 2. Korintherbriefes als Ausgangspunkt an. Aus der Sicht der Neutestamentlichen Wissenschaft verschieben sich aber die Akzente. Blickt man nämlich nicht rückwärts von der zweiteiligen christlichen Bibel der beiden Testamente auf die Gemeindebriefe des Paulus, sondern vorwärts von der γραφή auf ihre Benutzung durch den Pharisäer und Apostel Jesu Christi Paulus, zeichnet sich gerade kein „Neues“ und damit eben auch kein „Altes“ Testament ab. Auf ein „Neues Testament“ zielen seine Briefe nicht. Die „Schrift“ in Gestalt der Septuaginta ist vorhanden, und sie ist und bleibt Gottesrede und braucht keine schriftliche „zweite“ Gottesrede. Die Gottesrede des jetzigen Zeitpunktes, des νῦν καιρός, ist mündlich und geistlich, d. h. geistgewirkt: das Evangelium, das Paulus verkündigt. Wir finden bei Paulus nicht die Intention, die γραφή aufzugeben, da sie das gegenwärtige Heil vor-ansagt. Ebenso wenig finden wir die Intention, eine neue γραφή zu schreiben, da solche neue γραφή nicht notwendig ist. Die Begrifflichkeit von altem und neuem Bund bezieht sich, wie erläutert, nicht auf verschiedene Schriftencorpora. Das bedeutet erstens, dass Paulus ohne „Neues Testament“ auskommt, da er selbst Träger des Evangeliums ist, zweitens, dass er auch ohne „die Schrift“ argumentieren kann, diese aber niemals aufgibt, da sie für immer Gottesrede ist. Auf die Frage nach der Bedeutung des Alten Testaments für die christlichen Kirchen wäre die Antwort des Paulus: „Die Schrift“ bleibt, da sie auf das Evangelium verweist. Eine zweite, gleichsam „christliche“ Schrift ist überflüssig, denn „der Geist steht uns in unserer Schwachheit bei“ (Röm 8,26).128 Plausibler ist der Hinweis von Campenhausens auf die Heilsgeschichte als Grundlage der zweiteiligen Bibel der Kirche.129 Wie sollen wir das paulinische Konzept von Heilsgeschichte verstehen? Heilsgeschichte im Sinne des Paulus ist Teil der Christologie oder, wenn wir theologisch-systematisch denken, Teil von Gottes Heilshandeln an den Menschen. Dies beginnt nicht erst mit der Menschwerdung Christi, sondern ist von Anbeginn der Welt an wirksam und war und bleibt auch dann vornehmlich auf Israel bezogen, wenn in Christus als dem neuen Adam (Röm 5) die ganze Menschheit einbezogen wird (Röm 9–11), ohne dass Israel und seine Geschichte aufgegeben werden. Diese theologische Überzeugung stellt tatsächlich die Grundlage der späteren zweiteiligen Bibel der Alten Kirche dar – allerdings findet sich eine eigene heilsgeschichtliche Theologie auch in den synoptischen Evangelien.130 128 Die Frage muss gestattet sein: Hätte Paulus zur Erbauung die Evangelien gelesen bzw. lesen wollen? 129 Dazu: F. Avemarie, „Heilsgeschichte“, 357–383. 130 Dazu: R. Deines, „Erkennen“, 403–441.
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Schließlich will ich noch einmal die Rolle der Evangeliumsoffenbarung als eines Wortgeschehens im Rahmen der eschatologischen Situation, die durch die Freiheit des Geistes gekennzeichnet ist, betonen. Weder die γραφή noch eine neue Schrift sind in der „Jetztzeit“ (ὁ νῦν καιρός) entscheidend. Mit dem Anbruch der καινὴ κτίσις, der „neuen Schöpfung“, ist die Berufung auf die Schrift eigentlich überflüssig geworden, jedenfalls kann sie entfallen. Andererseits kämpft Paulus mit den transrationalen Geistesgaben und kann gegenüber den Korinthern auf „das, was geschrieben steht“, verweisen.131 Es sind dieselben Korinther, die er als „geistlichen Brief“ des Evangeliums bezeichnet.132 Die Spannung zwischen Schrift und Geist löst Paulus nicht auf. Beide Größen gehören bleibend zu dem hermeneutischen Viereck von Gottesrede – Schrift – Evangelium – Geist. Es gibt keine glatte Lösung, kein Votieren „für oder gegen die Schrift“. Paulus lebt im νῦν καιρός, der καινὴ διαθήκη. Was er tut, ist Interpretation der Schrift von seinem Evangelium her, und zwar Interpretation der γραφή als der παλαιὰ διαθήκη, die aber nicht aufhört, Gottes und damit bereits auch Christi Wort zu sein.
Literatur L. Alexander, „Neues Testament“, in: LBH (2013), 410 f. F. Avemarie, „Heilsgeschichte und Lebensgeschichte bei Paulus“, in: Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (hg. J. Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger; WUNT 248; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 357–383. C. Bakhos, „Midrash, Midrashim“, in: EDEJ (2010), 944–949. E.-M. Becker, „Die Konstruktion von ‚Geschichte‘. Paulus und Markus im Vergleich“, in: Paul and Mark. Comparative Essays Part I. Two Authors at the Beginnings of Christianity (hg. O. Wischmeyer/D. C. Sim/I. J. Elmer; BZNW 198; Berlin: de Gruyter, 2014), 393–422. H. von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel (Tübingen: Mohr, 1968; Nachdruck 2003). R. Deines, „Das Erkennen von Gottes Handeln in der Geschichte bei Matthäus“, in: Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (hg. J. Frey/ S. Krauter/H. Lichtenberger; WUNT 248; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 403–441. J. Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT 248; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009).
131 Kor 4,6. Zum Text vgl. D. Zeller, Brief, 180 f. Dort Diskussion der Literatur. Ich verstehe den Vers mit A. Lindemann, Korintherbrief, 102, als Verweis auf die Schriftzitate von 1 Kor 3,19 f. 132 Kor 3,3.
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II. Themen
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1 0. Warum bleiben die Gegenspieler in den Schriften des Neuen Testaments namenlos? Beobachtungen zur anonymen Polemik 1. Anonyme Polemik Jede Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums und jede Analyse der Religionsgeschichte der frühchristlichen Schriften steht vor dem Dilemma, dass diese Schriften zwar auf gegnerische Positionen und Gestalten anspielen und diese teilweise heftig attackieren, aber kaum Namen nennen. Außer dem einen Simon Magus, auf den sich das vehemente Interesse der christlichen Schriftsteller des 2. und 3. Jh.s richtete,1 finden wir bei den neutestamentlichen Autoren keinen namentlich genannten außergemeindlichen Gegenspieler von Format, der die entstehenden Gemeinden und ihre theologischen und ethischen Grundüberzeugungen angegriffen oder wesentlich verändert hätte oder auf der Basis anderer Vorstellungen selbst in die Gemeindeleitung hätte aufsteigen wollen.2 Ähnliches gilt erstaunlicherweise auch für die innergemeindlichen Gegner. Der Verfasser der Johannesoffenbarung greift seine aus den Gemeinden stammenden Gegenspieler bzw. die Gegenspielerin unter Decknamen an.3 Wir kennen nur zwei Ausnahmen: Hymenaios und Alexander bzw. Philetos werden im 1. und 2. Timotheusbrief namentlich als abgefallene Gemeindeglieder mit
1 Apg 8,9–24; Justin, 1 Apol. 26,1–3; Irenaeus, Haer. I,23,1; Tertullian, Apol. 13; Eusebius, Hist. Eccl. II,13. Zum Text der Apg vgl. R. I. Pervo, Acts, 206–216. Vgl. weiter J. Zangenberg, „Dynamis thou theou“, 519–540; S. Haar, Simon Magus. 2 Eine zweite Ausnahme neben dem prominenten Simon ist Elymas bzw. Barjesus (Apg 13,6.8). Er wird von Lukas als „Pseudoprophet und Jude“ bezeichnet, der gegen Barnabas und Saulus (Paulus) agitiert. Die von Eusebius in Hist. Eccl. III,26 und 28 genannten Menander und Kerinth (vgl. C. Markschies, „Kerinthos“, 755–766) dagegen finden in den neutestamentlichen Schriften keine Erwähnung (Kerinth zuerst in der Ep Apost 1,12). C. Markschies, „Kerinthos“, 763 stellt eine gewisse Beziehung zum johanneischen Schrifttum her: „Die meisten direkten Berichte u. auch die wenigen indirekten Angaben […] weisen nach Kleinasien u. in die Metropolis der Asia, Ephesus, als Wirkungsraum des K.“ 3 Zu Nikolaos s. u. Anm. 93 f.
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einer eigenen Position benannt4 – daneben stehen aber die vielen τίνες deren Lehren von den neutestamentlichen Schriftstellern, die selbst zum Teil unter geliehenen apostolischen Namen schreiben, d. h. im historischen Sinne anonym sind, abgelehnt und bekämpft werden, ohne dass ihre Namen genannt würden. Eigene schriftliche Dokumente von inner- oder außergemeindlichen Gegenspielern fehlen vollständig, was nicht darauf hinweisen muss, dass diese Gegner entweder nicht existierten oder nicht literarisch tätig wurden. Sie gründeten aber keine nachhaltigen eigenen Organisationen, die ihre Dokumente aufbewahrt hätten. Dieser Umstand macht die historische und religionsgeschichtliche Rekonstruktion so schwer und teilweise geradezu unmöglich. In meinem Beitrag werde ich nicht versuchen, Licht in das Dunkel zu bringen, das über den frühesten Differenzierungen und Konflikten der entstehenden Christengemeinden und ihrer religiösen Lehre und Leitung liegt, und die vitalen personalen, religiösen und institutionellen Entwicklungs- und Korrosionsprozesse nachzeichnen, die zweifellos in dem Entstehungsprozess der Christusbekennenden Gemeinden der ersten drei Generationen stattgefunden haben, sondern nur fragen, weshalb die neutestamentlichen Schriftsteller offensichtlich absichtlich keine Namen nennen, obgleich Paulus – die für uns wichtigste Person der ersten Generation – die gesamte Entstehungs-, Differenzierungs- und Trennungsgeschichte von Anfang an miterlebte, mitgestaltete und alle ihre Protagonisten kannte und später Lukas eben diese Geschichte historiographisch dargestellt hat. Weshalb also die weitestgehend anonyme Polemik und der Mangel an konkurrierenden Namen? Dabei muss Paulus deshalb im Vordergrund stehen, weil er selbst eben nicht pseudonym oder anonym schreibt und außerdem viele seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen namentlich nennt.5 Beginnen wir mit einem allgemeinen Blick auf das Phänomen. Anonyme Polemik scheint auf den ersten Blick etwas geradezu Paradoxes zu haben. Die angegriffene Person kann sich ohne Weiteres von den gegen sie erhobenen Vorwürfen distanzieren, indem sie sich einfach nicht zu ihnen äußert und insofern nicht betroffen scheint. Wäre es so, dann ginge die anonyme Polemik von vornherein ins Leere. Folgen wir aber Peter von Möllendorff, der in seinem Beitrag: „‚Soweit meine offenen Worte an dich …‘. Form und Funktion von Polemik in den Schriften des Lukian von Samosata“ in dem Sammelband zur Polemik im Neuen Testament6 das Phänomen der großenteils anonymen Polemik bei Lukian 4 Diotrephes in 3 Joh 9 f. scheint keine andere christologische Position als der „Älteste“ zu haben, sondern lediglich seine Rolle als Gemeindeleiter (V. 9) auszuspielen. 5 Für eine weitergehende Analyse müsste natürlich berücksichtigt werden, dass außer Paulus und Johannes, dem Verfasser der Offenbarung des Johannes, alle neutestamentlichen Schriftsteller anonym oder pseudonym schreiben. Das weist in die literarische Kultur des Judentums, die weniger den selbstverantworteten Autor kennt als die pseudonyme Traditionsschrift (s. u.). 6 P. von Möllendorff, „‚Worte‘“, 55–75. Wichtig für unsere Frage ist auch der Umstand, dass Lukian – dies ist eine Analogie zu den Schriften des Neuen Testaments – nur zwei Kontrahenten
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behandelt und dieser Form der Polemik wichtige Überlegungen gewidmet hat, dann kommen wir zu einer anderen Bewertung. Von Möllendorff spricht nicht nur den bedenklichen ethischen Aspekt anonymer Polemik im Sinne von Denunziation an, sondern weist auch auf zwei weitere Aspekte hin, die weniger offensichtlich sind. Erstens errichte Lukian „eine Bildungsschranke“ vor dem Leser:7 Der ungebildete Leser könne die Polemik nicht entdecken. Hier geht es also um ein Insiderwissen, das der Autor voraussetzt und das ihn in eine superiore Position bringt. Zweitens – und raffinierter – mache es Lukian mit seiner anonymen Polemik den Angegriffenen faktisch unmöglich, sich zu verteidigen. Von Möllendorff schließt daraus: „Tatsächlich könnte Lukians Intention darin bestanden haben, seine Feinde mundtot zu machen, ihnen die Möglichkeit der Verteidigung zu rauben.“8 Hier könnte ein wichtiges Motiv für die anonyme Polemik im Neuen Testament benannt sein. Im Folgenden knüpfe ich an diese Überlegungen zu Denunziation, Insiderwissen und Unterdrückung anderer Meinungen durch anonyme Polemik an und suche nach Bestätigung und möglicherweise auch nach weiteren Motiven für dieses Phänomen in den Schriften des Neuen Testaments. Zuvor aber möchte ich auf weitere Fragestellungen hinweisen, die wir verschiedenen anderen Beiträgen des genannten Bandes verdanken. Manuel Vogel hat das Phänomen der anonymen Polemik im 2. Korintherbrief untersucht und betont, dass „Paulus genau an der Stelle anonymisiert, an der seine Argumentation polemisch wird“. Er benennt dieses Phänomen des unscharfen sachlichen Gegnerprofils mit dem glücklichen Ausdruck der „Rhetorik des Unbestimmten“9. Auch Vogel erörtert die ethische Problematik dieser paulinischen Rhetorik und Polemik.10 In eine etwas andere Richtung führen die Beiträge von Eve-Marie Becker zum Philipperbrief, Tor Vegge zum Kolosserbrief, Gerd Häfner zu den Pastoralbriefen und mein eigener Aufsatz zum Jakobusbrief in dem genannten Sammelband. In diesen Beiträgen wird im Grundsatz übereinstimmend konstatiert, dass es bei der Polemik weniger um eine sachliche Auseinandersetzung mit religiösen, theologischen und missionspolitischen Positionen von Gegnern – und das heißt: um gleichgewichtige Positionen gleichrangiger Konkurrenten – gehe als vielmehr um die Modellierung der eigenen Position. Eve-Marie Becker schlussfolgert für den Philipperbrief, derartige „Polemik [sei] kaum gegen reale Gegner oder
namentlich nennt: Peregrinus Proteus und Alexander von Abonuteichos. Beide waren bereits tot, als Lukian die entsprechenden Satiren (Alexander und De morte Peregrini) verfasste. Eine Reihe anderer Gegner bleibt eben anonym. 7 A. a. O., 65. 8 A. a. O., 66. 9 M. Vogel, „‚Briefe‘“, 183–208, hier 192. 10 Vogel verweist auf P. Lampe, „Worte“, 231–246.
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akut auftretende Agitatoren in Philippi gerichtet“11. Sogar im Jakobusbrief ist das Gegnerprofil so klischeehaft, dass es in der exegetischen Forschung keine Übereinstimmung darüber gibt, ob die paulinische Rechtfertigungslehre und damit eine historisch zu verifizierende gegnerische Position im polemischen Fokus ist oder nicht.12 Es wird auch diskutiert, dass der Verfasser seine eigene Position dadurch definieren will, dass er eine Art von Strohmann-Gegner entwirft. Diese Möglichkeit würde natürlich die Anonymität am ehesten zufriedenstellend erklären. Jedenfalls geht es hier auch immer um Identitätsfindung oder – modischer ausgedrückt – -konstruktion mit Hilfe polemischer Argumentation. Dieses Schema entdecken wir unter Umständen ebenfalls im 1. Johannesbrief. Die zahlreichen Formulierungen: „Wenn jemand sagt, dass …“ können nicht jedes Mal auf einen Gegner oder eine oppositionelle Gruppe verweisen, die genau diese Sätze als Parole ausgeben. 1 Joh erweckt eher den Eindruck, dass der Verfasser verbale gegenüber nominaler Formulierung bevorzugt und zugleich das paränetische Element einer halb-dialogischen Gesprächssituation ausnutzt.13 Ich möchte daher zu den bereits genannten Motiven der Denunziation, des Insiderwissens und der Unterdrückung anderer Meinungen die folgenden weiteren Motive hinzufügen: die Rhetorik des Unbestimmten, die Identitätskonstruktion und die paränetische Funktion von Gegnerpolemik in der Gemeindekommunikation. Während diese zweite Motivtrias mindestens mit der Möglichkeit der literarischen Figur rein fiktiver, d. h. imaginierter Gegner rechnet und zu der Hypothese einer bloßen Gegnerkonstruktion führen kann, setzen Denunziation etc. reale Personen oder Gruppen voraus, die von den neutestamentlichen Schriftstellern als „Gegner“ wahrgenommen werden. Mit den sechs Motiven ist ein heuristischer Rahmen für meine folgenden Überlegungen erstellt. Wieweit die Motive sich bewähren, wird die Analyse zeigen.
2. Namen, Personen, Gruppierungen, Parteien, Positionen, Konflikte, „Gegner“: eine Skizze Im Folgenden unternehme ich ein kurzes, überblicksartiges mapping derjenigen Texte und Begriffe, die für das Gegnerthema von Bedeutung sind. Dabei gehe ich im Wesentlichen chronologisch vor, und zwar von den Jesuserzählungen der Evangelien (1) über die Paulusbriefe (2) zu den späteren Briefen (3) sowie zu den entsprechenden zeitlich und sachlich parallelen Texten in der Apostelgeschichte (4). Am Schluss steht die Offenbarung des Johannes (5). Als Begleittext lässt
11 E.-M. Becker,
„Polemik“, 233–254, hier 251. O. Wischmeyer, „Polemik“, 357–379. 13 Zu den Gegnern im 1 Joh vgl. E. E. Popkes, „Polemik“, 331–355. 12
10. Warum bleiben die Gegenspieler in den Schriften namenlos?
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sich Dietrich-Alex Kochs „Geschichte des Urchristentums“ heranziehen,14 in dessen Darstellung der frühesten Geschichte der Christus bekennenden Gemeinden das Schema von Entstehung, Konsolidierung und Krisen bzw. Konflikten15 zwar nicht strukturbildend ist, aber doch eine gewisse Rolle bei der Stofferschließung spielt.16 (1) Das Wirken des Täufers Johannes und Jesu Wirken werden in allen Evangelien vor dem Hintergrund der frühjüdischen Religionsgruppierungen der Pharisäer und Sadduzäer und der häufig kontroversen Schriftauslegung der sog. Schriftgelehrten (γραμματεύς) erzählt.17 Die Ursprünge des frühesten Christentums sind damit historisch in den debattenfreudigen und faktionierten religiösen und politischen jüdischen Kontext eingeordnet, den einerseits die Evangelisten und andererseits viel detaillierter Josephus schildern.18 Träger sind, soweit wir sehen, die von Josephus so genannten αἱρέσεις, Gruppierungen mit religiösen Sondermeinungen, die zu bestimmten Fragen von Josephus so genannte Schulmeinungen bzw. -positionen vertreten. Namen nennt Josephus hier nicht. Sowohl der Täufer als auch Jesus und Jakobus19 begegnen dagegen namentlich bei Josephus. Sie werden von ihm allerdings eher als „weise bzw. gerechte Männer“20 mit eigener Biographie denn als Mitglieder neuer jüdischer Religionsgruppierungen dargestellt, wenn sie sich auch durchaus so verstehen lassen.21 Dasselbe Bild vermittelt die Perspektive der synoptischen Evangelien: Die drei genannten Leitungsgestalten und andere Apostel werden namentlich von den Evangelisten genannt, während die Gegner aller Art entweder als D.-A. Koch, Geschichte. So in Kap. 7 (Hellenisten), Kap. 9 (Antiochenischer Zwischenfall), Kap. 10 (Trennung von Antiochia), Kap. 11.5 (Krise mit galatischen Gemeinden und der korinthischen Gemeinde). Die Gegnerthematik wird von Koch nicht eigens behandelt. 16 Dabei bezieht er sich nicht auf Ferdinand Christian Baurs dialektisch-dynamische Konstruktion der frühchristlichen Geschichte. 17 Auf die Gruppierung der Zeloten weist vielleicht Lk 6,15; Apg 1,13. Hinweise auf die Essener und Therapeuten finden sich nicht, aber mehrfach werden die Herodianer und die Hohenpriester, die ebenfalls primär politisch agieren, erwähnt. 18 Zu den jüdischen αἱρέσεις vgl. Josephus, Ant. Iud. XIII,171–173; Bell. Iud. II,119–166; Vita 10–12. Interessant ist der Umstand, dass Josephus nirgends Namen von Pharisäern, Sadduzäern oder Essenern nennt, dagegen aber seinen asketischen Lehrer Bannus. – Josephus ist selbst ein großer Polemiker (vgl. M. Tilly, „Formen“, 77–101). 19 Test Flav: Josephus, Ant. Iud. XVIII,63. In XVIII,116–119 wird Johannes der Täufer von Josephus als religiöser Führer dargestellt. Ebenso Jakobus (Ant. Iud. XX,197–200, dort bezeichnender Weise „Jakobus und einige andere“: auch hier fehlt weitere Namensnennung), aber weder Petrus noch Paulus, die Josephus offensichtlich nicht mehr als „gerechte Juden“ verstehen konnte. Synoptiker: nur Mt nennt im Zusammenhang der Gefangennahme Jesu namentlich den Hohenpriester Kaiphas (Mt 26,3.57; vgl. Joh 18). Genannt werden auch einzelne Gestalten des jüdischen Königshauses. 20 Josephus spricht für Johannes von δίκαιος ἀνήρ, für Jesus von σοφὸς ἀνήρ. 21 Vgl. Apg 24,14. Hier lässt Lukas Paulus von seinem Glauben als ὁδός sprechen, den die Juden αἵρεσις nennen. 14 15
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Gruppe oder als Vertreter von Gruppen auftreten22 und namenlos bleiben. Die jüdischen Religionsgruppierungen sind offensichtlich bei den Evangelisten wie bei Josephus durch Positionen, noch nicht durch einzelne Gelehrte und „Schulhäupter“ gekennzeichnet.23 Wir finden auch kein Äquivalent zu den griechischen Philosophenschulen mit ihren Namenslisten und individuellen Lehrmeinungen und Biographien.24 Polemik als kontroverse Schriftauslegung oder Gegnerschaft als Auseinandersetzung über bestimmte Glaubensüberzeugungen zwischen den Gruppierungen ist selbstverständlicher Bestandteil jüdischer religiöser Kultur in Israel und in der Diaspora.25 Ein besonders erhellendes Beispiel dafür finden wir in der Apostelgeschichte. Dort führt der theologische Topos der Auferstehung zur στάσις zwischen Pharisäern und Sadduzäern und zu erregten Auseinandersetzungen um Paulus (Apg 23,1–9). Namentlich wird aber nur Paulus genannt. Analog sind die zahlreichen polemischen Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern und anderen religiösen Gruppierungen in den markinischen Apophthegmata zu verstehen, so die paradigmatische Auseinandersetzung über die „Überlieferung der Alten“ in Mk 7,6–15.26 Der Verfasser des Matthäusevangeliums setzt diese Tendenz fort und baut in Kap. 23 Elemente aus Mk 12,37b– 40 zu einer großen allgemeinen Invektive gegen „die Schriftgelehrten und Pharisäer“ aus – eine Komposition, die ganz ohne gegnerische „Partner“ auskommt und sich deutlich von der argumentativen Grundstruktur der markinischen Apophthegmen unterscheidet. Wo finden wir namentliche Polemik und damit u.U. Gegnerschaft in den Evangelien? In den synoptischen Jesuserzählungen verbindet sich bittere persönliche Polemik nicht mit namentlich genannten gegnerischen Personen aus den jüdischen Religionsgruppierungen, sondern nur mit dem ersten Jesusjünger, Petrus. Die Auseinandersetzung um das Leiden und Sterben des Menschensohnes führt zu Jesu persönlicher Invektive27: „Geh hinter mich, Satan, denn du sinnst nicht das, was Gottes, sondern was der Menschen ist“ (Mk 8,33).28 Hier Z. B. „ein Schriftgelehrter“ (Lk 10,25). So aber die Rabbinen nach 70 n. Chr. (vgl. aber auch schon Hillel und Schammai und ihre „Häuser“). Zu einem wichtigen Aspekt der Polemik der Rabbinen vgl. M. Morgenstern, „Polemik“, 103–119. 24 Vgl. die Philosophenbiographien von Diogenes Laertius. 25 Vgl. L. Scornaienchi, „Jesus als Polemiker“, 381–413; ders., Der umstrittene Jesus. Für die Jünger des Täufers gilt dasselbe wie für die anderen jüdischen Gruppierungen (Mk 2,18– 22 par.). 26 Vgl. dazu ders., „Jesus als Polemiker“, 395 (Historische Entwicklung: 390). 27 Zum Begriff der Invektive vgl. S. Koster, „Invektive“, 39–54. Vgl. auch die scharfe Invektive gegen die Händler Mk 11,17. 28 Vgl. Mt 16,23, fehlt bei Lk (und Joh). Vgl. Mt 4,10 – dort ein Wort Jesu gegen den Satan selbst. U. U. verschärft das noch den Angriff auf Petrus: So hat Jesus schon mit dem Satan selbst gesprochen. – Im Johannesevangelium ist die Invektive auf Judas bezogen: Joh 6,70 f. (vgl. Lk 22,3: auch dort das Satansmotiv zusammen mit Judas Ischariot). 22 23
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liegt allerdings nicht Gegnerschaft, sondern Invektive gegenüber dem situativen Fehlverhalten einer Person innerhalb der eigenen Gruppe vor. Für einen Augenblick wird Petrus zum Gegenspieler Jesu, nicht aber zum Gegner. In den synoptischen Evangelien findet sich weder orthonyme noch anonyme Gegnerschaft innerhalb der Jesusjünger.29 Die gegnerische Front verläuft also ausschließlich zwischen bestimmten Positionen der jüdischen Religionsgruppierungen einerseits und Jesus, der als Einziger nicht nur einen Namen, sondern auch ein persönliches Profil hat, andererseits. Die Invektive der Pharisäer in Mk 3,22: Βεελζεβοὺλ ἔχει zeigt die Schärfe der gegnerischen Frontziehung aus der markinischen Perspektive. Das Johannesevangelium kennt ebenso wie die synoptische Tradition „die Pharisäer“ und die „Hohenpriester“ und lässt sie als anonyme Gruppen Jesus gegenübertreten.30 Eigene Namen fügt der Verfasser des Evangeliums seiner Erzählung mehrfach aus seinen Jesustraditionen hinzu, nicht aber Namen von Gegnern. Neu gegenüber den Synoptikern ist aber, dass das Johannesevangelium das Szenario von der grundsätzlichen sachlichen und persönlichen Gegnerschaft zwischen „den Juden“31 und Jesus32 entwirft, die in den synoptischen Evangelien noch unbekannt ist.33 Die historische Distanz zu Jesus von Nazareth ist evident. Die johanneische Polemik Jesu gegen die Juden kulminiert in der groben Pauschalinvektive: „Ihr seid aus eurem Vater, dem Teufel“ (Joh 8,44).34 Wieder begegnet der Sprachgestus der Petrusinvektive, historisch sind wir aber bereits weit entfernt von Jesus und der synoptischen Jesusgeschichte. Was den Vorwurf der Nähe zu Beelzebul bzw. dem Teufel angeht, ist zu unterscheiden zwischen Jesu Invektive gegenüber Petrus, die keine Gegnerschaft beinhaltet, sondern ein aktuelles Fehlverhalten tadelt, und der Invektive der Pharisäer gegen Jesus im Matthäusevangelium und Jesu gegenüber „den Juden“ im Johannesevangelium. Beide Male steht die Invektive für eine grundsätzliche Gegner-
29 Einzelne Missverständnisse und überhaupt anhaltendes Nicht-Verstehen sind nicht Aspekte von Gegnerschaft. Auch der Verrat des Judas ist nicht Ausdruck von sachlicher Gegnerschaft. 30 „Schriftgelehrte“ begegnen nur in der interpolierten Ehebrecherin-Perikope Joh 8,3. 31 Daneben auch Erwähnung der Gegnerschaft der Pharisäer und Priester. 32 Anders 11,45: dort eine Notiz darüber, dass viele „aus den Juden“ an Jesus glaubten. 33 Dort Ἰουδαίοι im Sinne einer von außen gegebenen distanzierten Gruppenbezeichnung aus redaktioneller bzw. Autoren-Perspektive (ohne polemische Gegnerschaft) gebraucht: nur Mt 28,15; Mk 7,3; Lk 7,3; 23,51. Außerdem im term. techn. „König der Juden“. Auch in Mk 13 par. fehlt ein Hinweis auf „die Juden“. Es wird lediglich auf Synagogalstrafen verwiesen (13,9; Lk 21,12; Mt 10,17). Vgl. aber auch schon den Gebrauch von „die Juden“ in 1 Thess 2,14. Paulus argumentiert hier (nur hier!) wie später das Johannesevangelium. Vgl. auch die häufige generalisierende Bezeichnung „die Juden“ in Apg. 34 Zu Joh 8 vgl. E. E. Popkes, „Polemik“, 340–346.
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schaft.35 Interne Konflikte innerhalb der Jesusbewegung werden nur in Joh 6,60– 71 gespiegelt. Dabei wird Petrus völlig entlastet.36 (2) Ich gehe weiter zu Paulus. Seit Ferdinand Christian Baurs Studie: „Die Christuspartei in der korinthischen Gemeinde, der Gegensatz des petrinischen und paulinischen Christenthums in der ältesten Kirche, der Apostel Petrus in Rom“ (TZTh 1831) knüpfte sich die Vorstellung von innergemeindlicher Parteiung und Gegnerschaft im Urchristentum an die Namen von Petrus und Paulus. Ich beginne meinen kurzen Streifzug durch die Gegnerproblematik bei Paulus37 daher mit dem 1. Korintherbrief. Baur dachte an theologische Fronten und Auseinandersetzungen um verschiedene Typen frühchristlicher Theologie, die miteinander um Einfluss und Anerkennung rangen, eine Spur, die so nicht mehr verfolgt wird.38 Textgrundlage ist 1 Kor 1,10–17, semantische Ausgangsbasis sind σχίσματα und ἔριδες (1 Kor 1,10.11). Die αἱρέσεις von 1 Kor 11,1939 können wir hinzunehmen. Es scheinen sich Gruppen gebildet zu haben, die sich über die Zugehörigkeit zu Führungspersonen, Paulus, Apollos, Kephas – und vielleicht auch Christus40 – definieren und nach ihnen benennen (1 Kor 1,12 f.). Die unübersichtliche neuere Debatte wird von Dieter Zeller in seinem Korintherkommentar geordnet. Wichtig ist folgender Hinweis Zellers: Überhaupt ist beim Versuch, die Gruppen gegeneinander zu profilieren, zu beachten, dass sie sich in erster Linie durch ihre Verabsolutierung von Führerpersönlichkeiten, nicht durch feste Lehren und Programme unterscheiden.41 35 So auch in der Johannesoffenbarung. Vgl. zu den Satansmetaphern der Johannesoffenbarung und zu Apg 13,10 O. Wischmeyer, „Offenbarung 2,13 f.“, 97–110, hier 104. 36 Da es sich bei allen Evangelien um Jesuserzählungen handelt, gibt es keine innergemeindlichen Gegnerschaften. Diese werden in den ntl. Briefen thematisiert. Die Frage, wieweit sich die synoptischen Evangelien und das Johannesevangelium als Sprachrohr gegnerischer theologischer Gruppierungen innerhalb der Führungskräfte der Christus-bekennenden Vereinigungen des 1. Jh.s und damit als Ausdruck anonymer Polemik lesen lassen, kann hier nicht erörtert werden. Dazu paradigmatisch G. Theißen, „Kritik“, 465–490. 37 Ich verzichte im Folgenden auf die Darstellung der anonymen Gegner, die nicht aus den Christus-bekennenden Gemeinden stammen. Die Polemik des Paulus gegen „die Juden“ kann nur im Zusammenhang des parting of the ways erörtert werden und ist nicht Gegenstand dieses Beitrages. Zum Thema einführend: W. Pratscher, „Gegner“, 257–266; St. E. Porter (Hg.), Paul. 38 Bei D.-A. Koch, Geschichte findet sich keine Spur dieser Konzeption mehr. Baur wird nicht bibliographisch erwähnt. Die mögliche Petrus-Paulus-Kontroverse in Korinth wird lediglich in Anm. 59 auf S. 413 erwähnt, ohne dass auf das Problem der „Parteien“ hingewiesen würde. Anders noch D. Georgi, Gegner, 8–10. 39 Vgl. Gal 5,20: διχοστασίαι αἱρεσεις φθόνοι. 40 Von hier könnte eine Spur zu der aus Apg 11,26; 26,28; 1 Petr 4,16 bekannten Bezeichnung „Christianer“ führen. Wahrscheinlich ist „Christianer“ aber eine von außen kommende Bezeichnung (zum Thema vgl. M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus, 340–351). Gerade 1 Kor 1,12 f. weist darauf hin, dass in Korinth Χριστός schon eher als Eigenname denn als Titel verstanden werden konnte. Könnten die korinthischen „Christianer“ schon ein innergemeindlicher Reflex der Fremdbezeichnung sein? 41 D. Zeller, Brief, 93. Auch Zeller erinnert nicht an Baur (nur Anm. 43 Hinweis auf Käsemanns Einleitung in die Neuauflage von Baurs Schrift).
10. Warum bleiben die Gegenspieler in den Schriften namenlos?
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Ich würde dieses Urteil gerade angesichts von 1 Kor 15,5–7 noch präzisieren: Von einer programmatischen Gegnerschaft zumal gegen Petrus kann im 1. Korintherbrief nicht die Rede sein. Hier stoßen wir also auch nicht auf personale Invektive, sondern lediglich auf Gruppierungen um „Führerpersönlichkeiten“ herum, die Paulus aus theologischen Gründen kritisiert. Hier liegt also weder Invektive ad personem noch anonyme Polemik gegen namenlose Gegner vor. Anders stellt sich die Situation in 1 Kor 15,12 dar. Es spricht Paulus von „einigen unter euch“ (1 Kor 15,12.29). Die Gemeindeglieder werden nicht namentlich genannt, wohl aber der sachliche Streitpunkt: die Auferstehung der Toten. Dabei bleibt trotz der ausführlichen Argumentation des Paulus die eigentliche Front, gegen die er spricht, unklar.42 Die deutlich deliberative Tendenz der Argumentation würde auch die Ansicht erlauben, die „einigen“ als fiktive Größe zu verstehen, gegenüber denen Paulus seine eigene Lehre von der Auferstehung der Toten plastisch darstellen kann. Das muss hier offenbleiben.43 Jedenfalls handelt es sich bei den τίνες offensichtlich nicht um Gegenspieler, wie das später für Hymenaios und Philetos in 2 Tim 2,17 f. gilt, sondern um einfache Gemeindeglieder.44 Namen sind hier nicht wichtig, sondern die Plausibilisierung der paulinischen Position. Paulus braucht mehrere Argumentationsgänge, um seine Lehre von der Auferstehung vorzutragen. In Korinth scheint bei „Einigen“ Unklarheit zu herrschen, eine „Front“ lässt sich jedenfalls aus der paulinischen Perspektive nicht erkennen. Vielmehr herrscht bei Paulus das Motiv der Belehrung der Gemeinde vor. Der Galaterbrief ist das Dokument, in dem die Gegner des Paulus zum Teil hart bekämpft werden, einmal in Gestalt der als konkurrierend verstandenen Jerusalemer Apostel, zum andern in Gestalt gegnerischer Missionare, deren Namen Paulus nicht nennt. In Bezug auf die Namensnennung beobachten wir zwei unterschiedliche Strategien: Auf der einen Seite nennt Paulus sowohl Kephas/Petrus45 als auch Jakobus46 und Johannes47 mehrfach namentlich, Petrus sogar mit seinen beiden Namen, wobei er offensichtlich voraussetzt, dass den Galatern beide Namen vertraut sind. Namentlich nennt er zudem auf seiner eigenen Seite auch Titus48 neben Barnabas,49 die feindlichen Missionare dagegen
42 Vgl. die Dokumentation des Forschungsstandes a. a. O., 456–459. Festzuhalten bleibt unbedingt, dass die Formulierung, die Paulus wählt, die stereotype Formulierung des sadduzäischen Standpunktes ist, der in Korinth aber nicht vorausgesetzt werden kann. 43 Meine Position habe ich dargestellt in O. Wischmeyer, „1. Korinther 15“, 243–275. 44 Dazu s. u. 45 Kephas: Gal 1,18; 2,9.11.14; Petrus: 2,8 f. 46 Gal 1,19; 2,9.12. 47 Gal 2,9b. beachte das Epitheton „Säulen“. Es handelt sich um das autorisierte Jerusalemer Leitungsgremium. 48 Gal 2,1.3. 49 Gal 2,1.9.13 (sonst nur noch 1 Kor 9,6).
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sind τίνες/τις50. Auch die Mitarbeiter des Jakobus sind τίνες51 und bleiben – anders als die eigenen Mitarbeiter – namenlos. Dies ist ein wichtiges Indiz: Personen, deren Namen nicht genannt werden, erfahren dadurch eine bewusste Bedeutungsminderung. Die Auseinandersetzungen mit den namentlich genannten Akteuren, den Jerusalemer Säulen und Petrus und Barnabas, sind zwar sachlich ernst, ohne dass Paulus aber den Anschein erweckt, es sei daraus eine unversöhnliche bleibende Gegnerschaft entstanden. Genau das trifft aber für die Fremdmissionare zu. Sachlich macht Paulus den in Galatien wirkenden Fremdmissionaren und ihren Anhängern in den Gemeinden drei Vorwürfe, die mindestens indirekt auf die Agitation der namenlosen Gegner zurückfallen: das andere Evangelium (1,6– 9), Rückfall in kosmologisch begründete kalendarische Bräuche (4,8–11) und nachträgliche Beschneidung von Nicht-Juden (Kap. 5 und 6). Im Galaterbrief entwirft Paulus ein doppeltes Szenario: Erstens bestehen deutliche Konflikte zwischen Petrus und Jakobus52 einerseits und Paulus und seinen Mitarbeitern in der theologischen Leitung und praktischen Lebensführung der Gemeinden andererseits53. Zweitens besteht eine offene und grundsätzliche Gegnerschaft zu konkurrierenden Missionaren, die „eine andere Botschaft“ als Paulus verkünden und die wieder ungenannt bleiben.54 Das Thema der „Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief“ ist mit der einflussreichen Monographie von Dieter Georgi verbunden, die das religiöse Profil der Gegner in 2 Kor 10–13 religionsgeschichtlich typologisierte (θεῖος ἀνήρ) und laut Untertitel in die „religiöse Propaganda der Spätantike“ einordnete.55 Ich kann und muss hier das Bündel von Rekonstruktionen der korinthischen Korrespondenz und des Gegnerprofils in 2 Kor 10–13 nicht behandeln. Für unser Thema ist Zweierlei wichtig: Erstens setzt sich Paulus in mehreren geradezu verzweifelt wirkenden Argumentationsgängen mit τίνες auseinander, die den „Wandel“ des Paulus für „fleischlich“ halten und damit die unglückliche Dichotomie von Geist und Fleisch, die Paulus selbst theologisch einsetzt, gegen seine Person und Autorität und Integrität als Apostel Jesu Christi ins Feld führen (2 Kor 13,2).56 Zweitens: obgleich es sich ganz eindeutig um konkurrierende Gal 1,7.9. Vgl. auch 4,17, wo Paulus einfach unvermittelt von „sie“ spricht. Vgl. 5,12; 6,12 f. Gal 2,12. 52 Wobei beide Apostel in unterschiedlicher Weise in eine Konfrontation mit Paulus geraten. 53 Dieser Gesichtspunkt wird von I. J. Elmer hervorgehoben (I. J. Elmer, „Pillars“, 123–153). 54 Vgl. dazu D. Sänger, „Strategien“, 155–181: „Die Anonymisierung der Gegner ist Teil der literarischen Strategie, sie zu isolieren und aus der Gemeinschaft der ‚wir‘ auszuschließen“ (177). 55 D. Georgi, Gegner. 56 Ob 2 Kor 13,7 an 1 Kor 1,12 anschließt und ein weiterer Hinweis auf eine pneumatische Christologie der Gegner ist, muss dahingestellt bleiben. Die in 1 Kor 1,12 genannten Führerpersönlichkeiten – Apollos und Petrus – hätten sich nach dieser Rekonstruktion zu wirklichen missionarischen Konkurrenten und theologischen Gegnern entwickelt, die Paulus sein Apostelamt 50
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Missionare handelt, die „einen anderen Jesus“, „einen anderen Geist“ und „ein anderes Evangelium“ – so schon die Formulierung des Paulus gegen die Gegner in Galatien – predigen (2 Kor 11,4), nennt er doch nicht ihre Namen.57 Stattdessen begegnet hier noch einmal die böse Invektive von „Dienern des Satans“ (2 Kor 11,14 f.), die wir aus Mk 8,33 in der Invektive Jesu gegen Petrus kennen. In 2 Kor 11 spielt Paulus aber nicht auf Petrus an. In seinem Blick sind judenchristliche Missionare (11,21 f.), und zwar mehrere Personen, die anscheinend ein identisches Profil haben und als Apostelgruppe auftreten. Streitpunkte sind die Integrität, die geistliche Kompetenz und die apostolische Autorität des Paulus. Ob auch die paulinische Evangeliumsbotschaft umstritten ist, bleibt zu fragen.58 Wenn auch aus meiner Sicht die Apologie in 2 Kor 10–13 gegen reale konkurrierende Missionare gerichtet ist, die stark gegen Paulus agitieren, so lassen sich doch missions- oder gemeindegeschichtliche Zuordnungen ebenso wenig vornehmen wie Namensnennungen. Eine rein literarisch-fiktionale Lektüre der Kapitel 10–13 lässt sich allerdings im Blick auf 10,2.10.12; 11,4 f.u. a. kaum plausibel machen. Welche Motive zur Selbstverteidigung sollte Paulus haben, wenn er nicht von starken Personen angegriffen wurde? Der Philipperbief bietet aus der Perspektive meiner Fragestellung nichts Überraschendes. Wieder muss die Literarkritik nicht erörtert werden. Gegner werden in der heftigen Invektive Phil 3,2–21 nicht namentlich genannt. Ihr Profil erinnert an den Galaterbrief: Paulus wird von jüdischen Christus-bekennenden Missionaren angegriffen und weist auf seine eigene tadellose jüdische Herkunft hin. Er spiritualisiert bzw. theologisiert die Beschneidung (Phil 3,2–5).59 Dass es sich in Kapitel 3 um die in Phil 1,15–18 genannten „Brüder“ handelt, ist unwahrscheinlich, da diesen ja nicht abgesprochen wird, Christus „richtig“ zu predigen.60 In Kapitel 1 geht es also nicht um einen „anderen Christus“ oder „ein anderes Evangelium“, sondern einfach um das persönliche Verhältnis dieser Missionare zu Paulus, anders in Phil 3. Paulus hatte es also nach seinem eigenen Urteil mit verschiedenen Gegenspielern zu tun61, einmal mit Missionaren, die aus seiner Sicht egoistische Motive bei ihrer Predigttätigkeit (Bezahlung?) verfolgten, zum andern mit Missionaren, die die Beschneidung der nicht-jüdischen Christus-bekennenden Gemeindeglieder forderten.
unter dem Vorwurf, er wandele und agiere nicht „geistlich“, streitig machen. Dagegen spricht, dass anders als in 1 Kor hier keine Namen genannt werden. 57 Vgl. dazu M. Thrall, Commentary, 667–670. Vgl. auch M. Vogel, „‚Briefe‘“, 203, Anm. 40. 58 S. die kritischen Argumente von Bultmann bis Vogel, a. a. O., 203–206. 59 Vgl. dazu J. Reumann, Philippians, 470–481. Reumann sieht hier judaistische Missionare am Werk, die Christus bekennende Heiden beschneiden wollen. 60 Vgl. dazu a. a. O., 202–208. Reumann hält bei dieser Gruppe persönliche Motive wie Neid, „pretense“ und „Greek factionalism“ (207) für zentral. 61 Ob in Ephesus, in Rom oder anderswo kann hier nicht diskutiert werden.
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Im Römerbrief schließlich findet sich eine einzige Gegnerpolemik: in 16,17 f. Der kleine Abschnitt 16,17–20 wird öfter als Glosse gewertet.62 So stimmt Robert Jewett der Analyse von Wolf-Henning Ollrog und anderen Exegeten zu, die hier eine Glosse aus dem Umkreis der Pastoralbriefe finden. Friedrich Wilhelm Horn plädiert dagegen für die paulinische Verfasserschaft und versteht den polemischen Abschnitt als „Versuch […], die römische Gemeinde möglichst weitgehend von diesem sie bereits erreicht habenden oder ihr drohenden Antipaulinismus fernzuhalten“63, den Paulus bereits in Galatien und in Korinth erlebt hat. Die Frage der Wahrscheinlichkeit möglicher Interpolationen im Römerbrief kann hier nicht entschieden werden. Deutlich ist aber, dass sich aus der Gegnerpolemik dieser Sätze kein eigenes Profil entwickeln lässt. Der Stil ist generell, unspezifisch, höchst polemisch64 und erinnert zumindest an die Gegnerpolemik der späten neutestamentlichen Briefe.65 Zusammenfassend wird deutlich, dass Paulus zwei Strategien in seinen Kämpfen um die Gemeinden und um seine Autorität benutzt. Die Jerusalemer Apostel werden stets namentlich genannt. Sie sind Träger jener Autorität, die Paulus auch für sich selbst in Anspruch nimmt. Er scheut nicht die persönliche und brieflich dokumentierte Auseinandersetzung, unterdrückt aber die Positionen der „Säulen“ auch nicht. Er stellt in seinen Briefen Gleichberechtigung her, nicht Gegnerschaft. Allerdings werden schon die Mitarbeiter des Jakobus im Gegensatz zu den eigenen Paulusmitarbeitern nicht namentlich genannt und damit in die zweite Reihe gestellt. Dasselbe trifft für alle anderen namenlosen, nur τίνες genannten Missionare zu, die Paulus polemisch attackiert. Sachlich geht es bei den Auseinandersetzungen des Paulus mit seinen Gegnern – wir lernen allerdings stets nur die paulinische Sicht kennen –, um seine Autorität als Apostel Jesu Christi und um sein Evangelium und die beschneidungsfreie Heidenmission. Dadurch, dass er stets seine Mitarbeiter namentlich nennt, verschafft er sich zugleich ein gewisses Übergewicht über die Jerusalemer Apostel. (3) Wichtige neue Signale finden sich in den nachpaulinischen Briefen. Bereits in den Deuteropaulinen taucht das Gespenst einer Lehre (διδασκαλία)66 auf, die als „Lehre von Menschen“ apostrophiert und im Kolosserbrief mit „Philosophie“ verbunden wird.67 Wie diese Lehre in Kol 2,16–23 instrumentiert wird, muss uns hier nicht beschäftigen. Deutlich ist zweierlei: Die Verfasser Dokumentation bei R. Jewett, Romans, 986–988. F. W. Horn, „Götzendiener“, 209–232, zum Text: 224–229, Zitat: 229. 64 Σατανᾶς ist bei Paulus nicht ungebräuchlich. 65 Diese Beobachtung gilt unabhängig von der Hypothese, der Text sei „eine nachträglich eingeschobene Interpolation in sachlicher Nähe zu den Pastoralbriefen“ (a. a. O., 226). Röm 16 zeigt eher, dass sich die Polemik der deutero- und tritopaulinischen Schriften durchaus auf Paulus stützen konnte. 66 Kol 2,22; Eph 4,14. Bei Paulus ist „Lehre“ positiv konnotiert und noch nicht mit der Gegnerthematik verbunden. Anders eben in Röm 16,17! Vgl. auch Hebr 13,9: fremde διδαχή. 67 Kol 2,8 (ntl. hap. leg.). Vgl. auch Kol 2,4 πιθανολογία. 62 63
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der Briefe nehmen die falschen Lehren durchaus ernst, stellen sie zugleich abwertend dar, nennen aber keine Namen. Es handelt sich nicht um eine wirkliche Gefahr. Ein eigenes, neues Motiv findet sich in Eph 4,17–19: Hier treten „die Heiden“ als pauschale gegnerische Gruppe auf,68 vergleichbar den „Juden“ im Johannesevangelium: Die christlichen Gemeinden treten nun ganz in die Welt der griechisch-römischen Religion ein. Zunehmende Bedenken gegenüber Vielfalt der Lehre und falscher Lehre, mehr noch: Misstrauen gegenüber der Lehre und gegenüber Lehrern überhaupt69 sowie teilweise heftige Invektive und Gegnerbeschimpfung bestimmen die spätere Briefliteratur. Die Horizonte der Angst: die Endzeit und das Wirken des Satans, werden deutlich abgesteckt.70 Aus der Angst entsteht sprachliche Gewalt gegen Gegenspieler, die nun definitiv dem Reich des Bösen zugeordnet werden.71 Besonders vehement kämpft der Verfasser des 2. Thessalonicherbriefes für richtige und gegen falsche Lehre – ob in Briefform oder in der Predigt, wie er ausdrücklich schreibt (2 Thess 2,15). Die Thematik der falschen Lehre findet sich ebenso in den Pastoralbriefen. Der 1. Timotheusbrief beginnt mit einer scharfen Warnung vor dem ἑτεροδιδασκαλεῖν.72 Hier wie auch in den anderen Pastoralbriefen und in den katholischen Briefen entsteht eine polemische Semantik, die einerseits als literarisches Mittel eingesetzt wird und ebenso unterhält und belehrt – ein Gesichtspunkt, der nicht zu vernachlässigen ist – wie andererseits auch verleumdet und abschreckt. Der Argumentation dient sie weniger. Gewarnt wird vor fortwährendem Streit (διαπαρατριβή)73, μύθοι,74 ψευδολόγοι,75 ψευδοδιδάσκαλοι,76 λογομαχία77 und (nutzlosen) Fragen (ζητήσεις)78. Die Gegner sind „Anderslehrer“ bzw. Falschlehrer und Vertreter der bösen Lehre.79 Aber –
68 Vgl.
1 Petr 2,12. der Jakobusbrief (vgl. O. Wischmeyer, „Polemik“). Bei Paulus ist „Lehre“ eines unter vielen nützlichen Charismen: der Zustand der Gnade des Anfangs! 70 Beide Elemente sind aber von Anfang an in der frühchristlichen Literatur vorhanden (s. o.). Endzeit: 1 Tim 4,1; 2 Tim 4,3; vgl. 1 Petr 4,7; 2 Petr 2 f.; 1 Joh 2,18 ff. (Verbindung von Endzeitund Antichristthematik). Wirken des Satans: 1 Tim 1,20;4,1;5,15; 1 Petr 5,8; 1 Joh 3 u. ö. 71 Vgl. dazu S. Luther, Sprachethik. Vgl. auch Röm 16,17 f. Zur polemischen Sprache des Paulus vgl. F. W. Horn, „Götzendiener“. Zu der entsprechenden moralisch und intellektuell diffamierenden Polemik, die Josephus gegen die judenfeindlichen Schriften Apions u. a. Schriftsteller einsetzt, vgl. M. Tilly, „Formen“, bes. 95–98: Tilly spricht von Delegitimierung und Diskreditierung der Gegner. 72 1 Tim 1,3; 6,3. 73 1 Tim 6,5. 74 1 Tim 1,4; 4,7; 2 Tim 4,4; 2 Petr 1,16; Tit 1,14 (jüdische μύθοι). 75 1 Tim 4,2. 76 2 Petr 2,1. 77 1 Tim 6,4. Vgl. 1 Tim 1,6 ματαιολογία und Tit 1,10: ματαιολόγοι. 78 1 Tim 6,4; 2 Tim 2,23; Tit 3,9. 79 1 Tim 4,6: „gute Lehre“; 2 Tim 4,3: „gesunde Lehre“. Vgl. die generelle Warnung vor Lehrern in Jak 3,1 ff. 69 So
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bis auf die schon erwähnten Hymenaios und Alexander bzw. Philetos80 – treffen wir wieder nur τίνες81. Wie wenig auch hier den Namen zu trauen ist, zeigt die Konfusion zwischen 1. und 2. Timotheus. Das Bild von wenigen Anderslehrern ändert sich dann signifikant im Titusbrief. In Tit 1,10 werden wir Zeugen eines Dammbruchs: Es sind nämlich viele Ungehorsame, Hohlredner (ματαιολόγοι) und Verführer, vor allem die aus der Beschneidung, die man zum Schweigen bringen muss, die ganze Häuser zerstören, die lehren, was man nicht lehren darf, um schmählichen Gewinns willen.
Es sind nicht mehr „einige“, die nicht genannt werden müssen und deren Ansichten als unbedeutend dargestellt werden, sondern es sind nun „viele“. Ihre Ansichten sind falsch und, was wichtiger ist, böse sowie finanziell – d. h. unmoralisch82 – begründet. Sie können nicht in den Gemeinden bleiben, sondern müssen ausgeschlossen, ja dem Satan übergeben werden.83 Tit 3,10 fällt das neutestamentliche hapax legomenon von dem αἱρετικὸς ἄνθρωπος, der nun nicht mehr einfach einer Gruppe angehört, sondern als solcher Sünder und verworfen ist (Tit 3,11). Namen fehlen aber auch hier. Eine ähnliche, weiter zugespitzte Situation spiegeln die katholischen Briefe. Ich verweise nur auf 2 Petr 2,1 f. Der Verfasser findet bei seinen Adressaten ψευδοδιδάσκαλοι, οἵτινες παρεισάξουσιν αἱρέσεις ἀπωλείας. Die Gegner verleugnen Christus. Literarisch vielleicht eindrucksvoll als Schmährede, vom ethischen Standpunkt aus aber minderwertig ist die Invektive in 2 Petr 2,12.22,84 die nicht namentlich genannte Gegner moralisch vernichten will, ohne zu sagen, was ihnen sachlich vorgeworfen wird.85 Das geschieht erst in 3,4: Sie leugnen die Parusie Christi. Namen fehlen, dafür erscheint der Hinweis auf Balaam/Bileam,86 der in Offb 2,14 seine Parallele findet. Theologisch ist die Situation für den oder die Verfasser in den Johannesbriefen am gefährlichsten. Hier haben die anonymen Gegner die Gemeinde verlassen (1 Joh 2,18–27). Der Verfasser des 1. Johannesbriefes entwirft ein endzeitliches Szenario und stellt die „Abtrünnigen“ in diesen Zusammenhang. Er bezeichnet sie als ἀντίχριστοι (2,18.22; 4,3)87 und macht damit deutlich, dass es sich bei dem Streit mit den Abtrünnigen um das Zentrum der Christologie handelt.88 Die Vorstellung eines eschatologischen 80 1 Tim 1,20 (Hymenaios und Alexander); 2 Tim 2,17 (Hymenaios und Philetos); 4,14 (Alexander). 81 1 Tim 1,3.6.18; 4,1;5,15. 82 So aber schon Paulus in Phil 1,17; 3,19. 83 So aber auch schon Paulus in 1 Kor 5,5. 84 Vgl. Jud 8–13 (19: hap. leg. ἀποδιορίζοντες). 85 2 Petr 1,20 und 3,16 deuten auf Kontroversen im Schriftverständnis (vgl. dazu auch 1 Tim 1,7). Außerdem weist Kap. 3 auf eine kontroverse Eschatologie. 86 2 Petr 2,15; Jud 11 (s. Offb 2,14). 87 Vgl. 2 Joh 7. 88 Weiteres bei E. E. Popkes, „Polemik“, 335–339.
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Gegenspielers (H. J. Klauck)89 zu Christus ist hier nicht im Blick. Für unsere Fragestellung kann die Rekonstruktion der gegnerischen Christologie unerörtert bleiben. Was wichtig ist, ist das Fehlen von Namen: „Sie (anonym!) sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns“ (2,19). Der anonyme Verfasser, der sich in der Einführung literarisch als Jesusjünger inszeniert, schreibt als jemand, der seinen Gemeinden bekannt ist. Die „Abtrünnigen“ werden als „viele“ bezeichnet. Ihre Positionen werden nicht unterdrückt, sondern ausführlich genannt und als falsch und sündig bezeichnet.90 Ihre Namen aber werden verschwiegen, um ihren Führern die Bedeutung zu nehmen und sie nicht als gleichwertige Gegner anzuerkennen. (4) Die Thematik von Gegenspielern und Gegnern der frühchristlichen Protagonisten vermutet man vor allem in der Apostelgeschichte.91 Einerseits treten hier die Apostel und die Gemeindeleiter der ersten Christus-bekennenden Generation namentlich auf, andererseits werden in mehreren Erzählepisoden Gegner der Protagonisten namentlich genannt. Der Erzähler nennt zunächst die „Elf“, die durch Matthias ergänzt werden. Diese Männer haben Jesus „von der Taufe des Johannes“ bis zu Jesu Himmelfahrt begleitet (Apg 1,21 f.).92 Es folgt die Einsetzung der Sieben (5,5). Zu diesen beiden Gremien treten im Lauf der Erzählung andere leitende Personen und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hinzu, angefangen mit Barnabas (4,36 f.). Der wichtigste Akteur wird Saulus-Paulus.93 Zwei Gegenspieler werden namentlich genannt und in eigenen Erzähleinheiten charakterisiert: Simon Magus (8,9–25)94 und Barjesus/Elymas (13,6–12).95 Gibt es in der deutlich personenzentrierten und personeninteressierten lukanischen Erzählung auch anonyme Gegner? Wir finden nur wenige Hinweise. Apg 11,2 spricht von „denen aus der Beschneidung“ (οἱ ἐκ περιτομῆς), 15,1 von den τίνες. Das erinnert an Gal 2. Lukas folgt beide Male der Strategie des Paulus, keine Namen bei den innergemeindlichen Auseinandersetzungen zu nennen, hält sich aber verglichen mit dem, was Paulus zur Konkurrententhematik schreibt, aufs Äußerste zurück. Lediglich bei seiner Abschiedsrede in Ephesus weist der lukanische Paulus warnend auf „Männer, die Falsches reden“ (ἄνδρες λαλοῦντες διεστραμμένα) hin, die nach seinem Weggang in die Gemeinden kommen werden. Hier ist die Nähe zu den späteren Briefen ebenso unübersehbar wie Im Anschluss an J. Ernst, Gegenspieler; vgl. D. R. Streett, They Went Out from Us. In 1 Joh 3,8–10 wird wieder mit der Teufelsmetapher gearbeitet. 91 Ich übergehe die Auseinandersetzung des Paulus mit den Philosophen in Athen und vor allem die verschiedenen Episoden der Konfrontation mit den Juden, die in dem Schlussvotum der römischen Juden kulminiert: „Von dieser Sekte ist uns bekannt, dass ihr überall widersprochen wird (ἀντιλέγεται)“ (Apg 28,22). 92 Ideale Konstruktion: die Jüngerberufung erfolgte nach der Taufe Jesu (Lk 3 und 5). 93 Die Liste der Namen ist einerseits erheblich (vgl. besonders auch die Liste von Antiochia in Apg 13,1), andererseits aber im Vergleich mit den Paulusbriefen (z. B. Röm 16) doch begrenzt. 94 S.o. Anm. 1. 95 S.o. Anm. 2. 89 90
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die deutlich mildere Formulierung. Die Apostelgeschichte zeichnet ein harmonisches Bild von der Entwicklung der paulinischen Gemeinden. Ihr ist nicht an der Darstellung innergemeindlicher Gegnerschaften gelegen. Das unterscheidet sie nicht nur von Paulus, sondern auch von der gesamten Briefliteratur des frühesten Christentums. Als Quelle ist sie daher an diesem Punkt, an dem wir Vergleichsmöglichkeiten in der Briefliteratur haben, nur sehr bedingt geeignet. Immerhin hat Lukas die beiden großen Konflikte, die Auseinandersetzung zwischen Paulus und den Gegnern, die die Beschneidung Christus-bekennender Heiden forderten, und zwischen den Gemeindeleitern und -lehrern der dritten Generation, die vor dem Zerfall der Gemeinden warnten, abgebildet. (5) In der Johannesoffenbarung setzt die moralische und sachliche Verunglimpfung der Gegner unter pejorativ besetzten Decknamen aus der jüdischen Tradition ein: Bileam96 und Isebel97, daneben die Nikolaiten98. Dabei stoßen wir vielleicht zuerst auf einen Gegnernamen, auf einen Nikolaos, der als namentlicher Gruppenführer oder erster erfolgreicher Häretiker, der aus den Gemeinden kommt, firmiert.99
3. Ergebnis Ich komme auf die sechs Motive zurück, die ich den Beiträgen des Polemikbandes entnommen habe: Denunziation, Insiderwissen und Unterdrückung anderer Meinungen durch anonyme Polemik auf der einen sowie Rhetorik des Unbestimmten, Identitätskonstruktion und die paränetische Funktion von Gegnerpolemik in der Gemeindekommunikation auf der anderen Seite. Dienten diese Motive der Er96 Zu Balaam in Offb 2,14 vgl. D. E. Aune, Revelation 1–5, 185 f. mit Hinweisen auf die parallelen jüdischen Gestalten Jannes und Jambres (dazu der Beitrag von H. Lichtenberger, „‚Jannes und Jambres‘“, 207–218) sowie auf Nadab und Abihu sowie Korah. Vgl. auch D. T. Olson u. a., „Balaam“, 357–373. 97 Offb 2,20. Vgl. zu dem Decknamen und zur Person D. E. Aune, Revelation 1–5, 203. Aune weist darauf hin, dass es sich um eine wohlhabende Frau in einer leitenden Stellung in der Christus bekennenden Gemeinde in Thyatira gehandelt haben muss. 98 Offb 2,6.14 f. 99 Ob es sich um den Nikolaos aus Apg 6,5 handelt, lässt sich nicht klären. Irenaeus in Haer. I,26,3 führt die Nikolaiten auf Nikolaos in Apg 6,1–6 zurück. Zum Profil der Nikolaiten vgl. R. Heiligenthal, „‚Nikolaiten‘“, 133–137; D. E. Aune, Revelation 1–5, 148 f. Aune geht davon aus, dass die Nikolaiten sog. Götzenopferfleisch essen (s. auch den Exkurs zum Thema [191– 194]), dass das Verhalten der Balaamgruppierung mit den Nikolaiten identisch ist und dass die Isebelgruppe in Thyatira eine lokale Nikolaitengruppierung darstellt. A. a. O., 148 f. stellt Aune Weiteres zur nachträglichen Profilierung der Nikolaiten bei den Kirchenvätern zusammen. Zu Ignatius vgl. besonders P. Prigent, „L’Hérésie“, 1–22. Prigent vergleicht die Ignatiusbriefe mit den Briefen der Apokalypse und kommt zu dem Schluss, dass die Nikolaiten eine laxe Haltung gegenüber der paganen Religion haben und das Martyrium vermeiden wollen (10–12, 12 ff. patristische Texte). H. Löhr, „Nikolaiten“, 891–898 spricht von N. als einer „herausragende[n] (Gründer-?) Gestalt“ (892). Die Beziehung zu Apg 6,5 lässt Löhr offen.
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schließung des Themas? Wie weit in den Rundschreiben der Johannesoffenbarung Denunziation im Spiel ist, lässt sich schwer sagen. Die Decknamen der Offenbarung setzen Insiderwissen, aber noch mehr Perhorreszierung der Gegner voraus. Identitätskonstruktion und Paränese lässt sich in allen Gegnerpassagen der neutestamentlichen Schriften finden. Die Grenze zwischen realer und fiktiver Polemik liegt gerade bei den Paulusbriefen oft im Ermessen der Exegeten. Der Vergleich zwischen namentlicher Auseinandersetzung und anonymer Polemik zeigt aber, dass der eindeutige Schwerpunkt weniger auf der Unterdrückung anderer Meinungen als vielmehr auf der Unterdrückung der Namen und damit der Bedeutung der Gegenspieler der neutestamentlichen Schriftsteller liegt. Dieses Ergebnis lässt zwei Interpretationen zu. Entweder fehlen die Namen, weil es keine realen Gegenspieler gab – so die Interpretation der Exegeten, die die Briefe primär als literarische Erzeugnisse lesen und mit dem Motiv der Fiktionalität arbeiten –, oder sie werden bewusst unterdrückt. Ich neige grundsätzlich der zweiten Möglichkeit zu. Es geht hier vor allem um Autorität und Superiorität derer, die Namen haben, gegenüber denen, die namenlos gehalten werden. Diese – mindestens im 2. Korintherbrief – sehr aufwendige und für Paulus selbst riskante Strategie wäre ohne reale Gegenspieler nicht sinnvoll. Im Hintergrund steht die Entstehung der lukanischen Konzeption des „apostolischen Zeitalters“, das von den Personen und Namen der „Apostel“ getragen wird, zu denen Paulus auf jeden Fall gehören will, nach Lukas allerdings nicht gehört.100 Die Gegnerpolemik in den Paulusbriefen kreist vor allem um die Frage der apostolischen Autorität des Paulus. Die Vehemenz, mit der Paulus dieses Thema in vier seiner Gemeindebriefe verhandelt, lässt sich aus meiner Sicht schwerlich nur als literarische Attitüde oder Übung zur Klärung der eigenen Identität und zur besseren Verständlichkeit seiner Argumentation verstehen. Mindestens aus seiner Sicht werden „seine“ Gemeinden von sekundären Missionaren besucht und fehlgeleitet. Hier ist für Paulus sachliche Polemik notwendig, nicht aber persönliche und namentliche Auseinandersetzung, die seine Gründer- und Leitungsfunktion relativieren und diese Missionare aufwerten und erst zu echten Gegnern machen würde. Historisch gesehen hat Paulus diesen Kampf um die Anerkennung als letzter Apostel nicht gewonnen, theologisch aber hat er das Feld behalten. Seine Briefe, die seine Theologie enthalten, wurden in seinen Gemeinden tradiert und wurden verhältnismäßig bald zum Grundstock des „Apostolos“-Teils der frühchristlichen Schriften. Namen und Theologie seiner Konkurrenten wurden nicht überliefert. Der Unterschied zwischen der namentlichen und der anonymen Polemik des Paulus ist evident und gewinnt im historischen Zusammenhang zusätz100 Hier liegt der bekannte Unterschied zwischen Paulus und Lukas. Obgleich Lukas Paulus ins Zentrum seines zweiten λόγος stellt, behält er den Aposteltitel den Männern vor, die Jesus selbst erwählt hat (Apg 1,1 f.). Paulus ist Zeuge, nicht Apostel.
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liche Bedeutung. Die namentliche Polemik trifft nicht Gegner, die für Paulus per se nicht bedeutend sind, sondern die leitenden Apostel: Petrus, Jakobus, Johannes.101 Ihre Mitarbeiter werden von Paulus nicht mit Namen genannt. Stattdessen führt er seine eigenen Mitarbeiter überall mit Namen ein: auch dies eine Leitungsproklamation. Die Jerusalemer Apostel dagegen werden von Paulus nicht als Gegner, sondern als gleichberechtigte Gemeindeleiter apostrophiert, denen er ebenbürtig sein will. Hier gibt es sachliche Auseinandersetzungen, nicht aber feindliche Fronten und keine Verdrängungsstrategien. Genau das gilt aber für die vielen τίνες, die den Schriftstellern der zweiten und dritten Generation nach ihrem eigenen Urteil das Leben schwermachen. Die späten Briefe zeigen dann, dass die Unterdrückungs- und Anonymisierungsstrategien im Lauf der Zeit und angesichts der schnellen und teilweise divergenten Entwicklung in den Gemeinden nicht mehr nützen. Die Gemeindeleiter werden von Angst vor Spaltungen getrieben und reagieren einerseits mit rüder Polemik, andererseits nun doch mit Namensnennung. Diese Namen sind aber nicht mehr mit vorhandener oder abzusprechender apostolischer Autorität verbunden, sondern werden seit der Nennung von Hymenaios und Alexander und Nikolaos denunzierend eingesetzt. Zugleich beginnt die neue Bewegung mit der denunzierenden Belegung von αἱρέσεις mit negativen Namen aus der Vergangenheit Israels. Auf der anderen Seite entsteht eine pseudepigraphe Legitimationsliteratur in Gestalt der Briefe der Paulusschule und der katholischen Briefe, die die Autorität der Apostel für den Kampf gegen das, was sie als verderbliche αἱρέσεις verstehen, aufnehmen.
Literatur D. E. Aune, Revelation 1–5 (WBC 52A; Dallas: Word Books, 1997). E.-M. Becker, „Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2– 4a“, in: Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte (hg. O. Wischmeyer/L. Scornaienchi; BZNW 170; Berlin/New York: de Gruyter, 2011), 233–254. I. J. Elmer, „Pillars, Hypocrites and False Brothers. Paul’s Polemic against Jerusalem in Galatians“, in: Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte (hg. O. Wischmeyer/L. Scornaienchi; BZNW 170; Berlin/New York: de Gruyter, 2011), 123–153.
101 Hier müsste die Frage aufgenommen werden, was es bedeutet, dass die Paulusschüler bzw. -mitarbeiter selbst nicht namentlich auftreten und die nachpaulinische Literatur durchgehend anonym oder pseudonym ist und dass die pseudonymen Zuschreibungen der später kanonisierten nichtpaulinischen Literatur der zweiten und dritten Generation ausschließlich den genannten Aposteln Petrus, Johannes und den Herrenbrüdern Jakobus und Judas gelten. D. h. die „apostolische“ Literatur wird im Sinne der in diesem Beitrag herausgearbeiteten Linie apostolischer Namensautorität generiert.
10. Warum bleiben die Gegenspieler in den Schriften namenlos?
235
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II. Themen
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11. Emotionen als formative Elemente neutestamentlicher Ethikam Beispiel des Paulus Ethik und Emotionen zueinander in Beziehung zu setzen, ist für die Neutestamentliche Wissenschaft eine notwendige, aber auch herausfordernde Aufgabe. Sowohl das Thema der Ethik der neutestamentlichen Schriften als auch Emotionen im Neuen Testament finden gegenwärtig starke Aufmerksamkeit. Die Literatur ist immens. Die Forschung diffundiert in alle Richtungen, und jeder weitere Beitrag muss sorgfältig seine eigene Fragestellung im Zusammenhang der großen Forschungsfelder definieren. Der innere Zusammenhang zwischen Ethik und Emotionen ist ein offenes Untersuchungsfeld. Ich konzentriere mich im vorliegenden Beitrag auf die paulinische Ethik und stelle einen von verschiedenen möglichen Zugängen zur Verbindung von Ethik und Emotion bei Paulus vor, indem ich meine Untersuchung auf die rhetorische Situation des Paulus fokussiere. Die emotionale Komponente paulinischer Ethik wird in der Forschung oft in den Zusammenhang antiker Moralphilosophie1 gestellt. Ich weise hier auf einen anderen Zugang hin: den praktischen Zusammenhang, der in der aristotelischen Rhetoriklehre zwischen öffentlicher Rede und πάθη einerseits und Ethos andererseits hergestellt wird. Paulus baut mit seiner öffentlichen Evangeliumsverkündigung Missionsgemeinden auf und legt auch in seinen Briefen die Rolle des Redners nicht einfach ab. Er bedient sich der emotiven Wirkung der öffentlichen Rede nach beiden Seiten: um seine eigene Glaubwürdigkeit und ethische Vorbildrolle zu demonstrieren und um die Hörerschaft zu überzeugen. Zugleich entwirft er auf der Grundlage von Lev 19,18 und der frühjüdischen Rezeption des Gebotes der Nächstenliebe sowie der synoptischen Tradition der Nächstenliebe eine eigene kommunitäre ἀγάπη-Ethik für die Gemeinden, die in dem Konzeptbegriff ἀγάπη emotionale Elemente und Tugendelemente verbindet. Ethik und Emotion sind Begriffe, die breite und hochdynamische Themenfelder betreffen. Daher gebe ich in einem ersten Teil terminologische Hinweise und führe im zweiten Durchgang in den gegenwärtigen Forschungsstand im Hinblick auf die wichtigen Aspekte des Themas ein. Teil 3 ist der Terminologie der Emotionen bei Aristoteles gewidmet. Diese dient dann in Teil 4 in modifizierter 1 Vgl. J. T. Fitzgerald (Hg.), Passions, darin: D. E. Aune, „Passions“, 221–237; T. EngbergPedersen, „The logic of action“, 238–266.
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II. Themen
Form als kontrastive Folie für die Darstellung der emotiven Ethik bei Paulus, die ich an drei Beispielen skizziere.
1. Kurze Begriffsklärung Der Begriff der Ethik (1) und der Begriff der Emotion/en (2) sind Teil eigener terminologischer Begriffscluster, die durch Einflüsse aus verschiedenen Sprachen – Griechisch2, Lateinisch, Französisch, Englisch –, aus verschiedenen Epochen der jeweils nationalen und internationalen Ideen- und Literaturgeschichte3 sowie aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen und -sprachen – von der antiken Philosophie bis zur gegenwärtigen Psychologie, zu den Neurowissenschaften und der Evolutionsbiologie – gekennzeichnet sind. Eine zusätzliche Problematik ergibt sich daraus, dass die Begriffe in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Fachdiskussion anders als in den englischsprachigen und französischen Wissenschaftsdiskursen verwendet werden, um nur die wichtigsten westlichen Wissenschaftssprachen zu nennen. Die Übersetzungen deutschsprachiger Beiträge vor allem ins Englische verstärken die Schwierigkeiten im semantisch-definitorischen Feld: ist Moral als moral values zu übersetzen, Ethik als ethics oder moral, Gefühl als feeling oder emotion oder sensation und vice versa? Definitionen der deutschsprachigen Terminologie sind in dieser Situation hilfreich. Daher werden dem vorliegenden Beitrag kurze definitorische Klarstellungen zur Terminologie vorangestellt. (1) Die Bedeutung von Ethik ist gegenüber Ethos auf der einen Seite und Moral auf der anderen Seite abzugrenzen. Die ganze Breite dessen, was unter Ethik subsummiert wird, kann hier nicht dargestellt werden.4 Stattdessen fokussiere ich mich direkt auf das Gebiet der Ethik des Neuen Testaments. Friedrich Wilhelm Horn hat eine hilfreiche definitorische Differenzierung zwischen den drei Termini für das Feld der Ethik des Neuen Testaments vorgeschlagen: „Ethik ist eine theoretische Reflexion über ein gefordertes menschliches Verhalten und sie legt dessen Begründung, Inhalt und Zielsetzung dar … Die Darlegung einer Ethik des Neuen Testaments ist in jedem Fall eine konstruktive Aufgabe der Exegese. Demgegenüber beschreibt Ethos das faktische, oft unreflektierte, übliche Verhalten in den neutestamentlichen Schriften. Der Begriff Moral wird in 2 Wesentliche Überlegungen zur Sprache der Emotionen im Hebräischen, die für das griechischsprachige antike Judentum und für das Neue Testament wichtig sind, finden sich zusammengefasst bei F. Mirguet, „Study of Emotions“, 563–569. 3 Damit ist das komplexe Feld der Begriffsgeschichte bzw. der historischen Entwicklung und kulturellen Determiniertheit der begrifflichen Sprache berührt. Dazu grundlegend: E. Müller/ F. Schmieder, Begriffsgeschichte. Zu den Emotionen die grundlegende und umfassende Einführung von J. Plamper, Geschichte. 4 Zur antiken Ethik als einem übergeordneten Rahmen unserer Fragestellung siehe die klare Einführung von: P. Richard, „Ancient Ethical Theory“.
11. Emotionen als formative Elemente neutestamentlicher Ethik
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der deutschsprachigen Exegese in Entsprechung zur antiken Verwendung von moralia/ἠθικά oft äquivok mit Ethik gebraucht, in der angloamerikanischen Exegese (als „morality“) hingegen eher mit Ethos gleichgesetzt“5. Horn weist darauf hin, dass „in den neutestamentlichen Schriften diese theoretische Reflexion weder umfänglich angestrebt noch in wünschenswerter Klarheit in auch nur einer einzigen Schrift geboten wird“. In dem vorliegenden Beitrag geht es, folgen wir Horns Definition von Ethik, also nicht um eine motivischbiblizistische Auflistung ethischer Anweisungen oder Themen, die nun durch emotionale Motive ergänzt werden, sondern um den Versuch einer Reflexion über neutestamentliche Verhaltensforderungen und -ratschläge und deren emotionale Komponenten.6 Dabei soll aber die Tendenz zur theoretischen Durchdringung des Regulativs menschlicher Verhaltensformen bei Paulus nicht unterschätzt werden. (2) Im Bereich der Emotionenforschung ist die Terminologie komplex und erfordert besondere Aufmerksamkeit.7 Wichtige deutschsprachige Begriffe sind Emotion, Affekt, Pathos.8 Das primäre deutsche Äquivalent zu den genannten Begriffen, nämlich Gefühl – ein zentraler Begriff in der deutschen Literatursprache – spielt im wissenschaftlichen Diskurs als terminologisch international zu wenig anschlussfähig9 keine führende Rolle. Während das Griechische die Emotionen mit dem einen Substantiv πάθος/πάθη bezeichnet, stehen im Lateinischen passio und affectus zur Verfügung. Alle drei Begriffe finden sich im Deutschen als Fremdwörter: Pathos, Passion und Affekt. Diese Begriffe haben eigene umfangreichere oder speziellere Bedeutungsbereiche entwickelt.10 Daneben stehen die Begriffe Emotion und Gefühl, die ein breites, eher un F. W. Horn, „Ethik (NT)“ (Lit.). Ethische Sprachmodi im Neuen Testament sind allerdings nicht durchweg fordernd. Hier muss Horns Definition erweitert werden. Zur Bandbreite ethischer Sprachmodi im Neuen Testament ausführlich: O. Wischmeyer, „A New Testament Approach“, 324–346. 7 Aus deutschsprachiger Perspektive einführend: O. Wischmeyer, „1 Korinther 13“, 343–359, 345 f. (Lit.). Aus englischsprachiger Sicht umfassend: F. Mirguet, „Study of Emotions“, 6 (beachtenswert die umfassende Bibliographie am Schluss des Beitrags). 8 Vgl. die methodischen Überlegungen bei E. Müller/F. Schmieder, Begriffsgeschichte, 758–764. Müller/Schmieder zitieren U. Frevert u. a. (Hg.), Gefühlswissen, 18: „Begriffe wie Gefühl, Affekt, Leidenschaft gehören nicht in erster Linie zur politisch-sozialen Sprache, sondern verweisen auf das, was man menschliche Grundausstattung nennen könnte. Eine historische Semantik kann zeigen, wie variabel die Vorstellung dessen, was zum Humanum gehört, jeweils war und welchen Einfluss gesellschaftliche, politische und kulturelle Prozesse darauf ausüben“. 9 Vgl. aber neue Untersuchungen zu feeling/s: R. Boddice, History of Emotions; F. S. Spencer (Hg.), Feelings (beachtenswert die nebenordnende Terminologie: „feelings and passions“!). 10 Das gilt besonders für „Affekt“. Hier spielen in der deutschen Sprache das Unkontrollierte, die plötzliche, kurze Gefühlserregung eine besondere Rolle (siehe J. Plamper, Geschichte). Vgl. unten Anm. 42 zur affective theory. Die Affekttheorie stellt inzwischen ein eigenes Forschungsgebiet dar, das seinerseits weit gefächert ist und einerseits in die Psychologie, andererseits in die Rechtswissenschaft hineinreicht. 5 6
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II. Themen
spezifisches Bedeutungsspektrum umfassen.11 Der deutsche Begriff Emotion, der im vorliegenden Beitrag verwendet wird, geht sprachgeschichtlich auf das französische émotion zurück, das aus dem lateinischen emovere gebildet wurde und als sog. Fremdwort in die deutsche Sprache kam. In der neueren Sprachentwicklung wird Emotion allerdings eher vom englischen emotion-Diskurs geprägt. Das deutsche Äquivalent Gefühl bzw. Gefühle steht – ähnlich wie Emotion – weiterhin als klassischer umbrella-term zur Verfügung12 und macht die Verbindung zwischen dem Emotionen-Thema und der Psychologie einerseits und der deutschen Literatur andererseits besonders deutlich.13 Wenn im Folgenden Emotion als Partnerbegriff zu Ethik verwendet wird, muss der Begriff ähnlich weit und erfahrungssprachlich definiert werden wie Ethik. Ich schließe mich der Begriffsbestimmung an, die in dem einflussreichen Sammelband von Hilge Landweer und Ursula Rengs zu klassischen Emotionstheorien von Platon bis Wittgenstein14 vorgenommen wird. Der Begriff der Emotion wird als heuristischer Sammelbegriff für das gesamte Feld von Gefühlen und Emotionen ohne semantisch-terminologische Differenzierung verwendet. Gesucht wird nach inneren „Bewegungen“15 oder Gemütszuständen, die klarer konturiert als Gefühle bzw. Empfindungen oder Stimmungen (sentiments16) und weniger kurzlebig und flüchtig als Affekte sind, die wiedererkennbar und -erlebbar sind, sich sprachlich beschreiben lassen und gewisse habituelle Wahrnehmungs-, Leidens-, Verhaltens- und möglicherweise auch Handlungsmuster generieren (sog. scripts), die wesentlicher Bestandteil der jeweiligen psy11 So wählt J. Plamper, Geschichte, den Begriff „Gefühl“ für den Obertitel seines Werkes über die „Emotionsgeschichte“. Er verwendet „Emotion als Metabegriff“, daneben als „Synonym“ auch „Gefühl“ (22). Affekt dagegen ist für Plamper kein Metabegriff, weil das Wort „in der letzten Zeit unter dem Eindruck der Neurowissenschaften zunehmend die Bedeutung des rein körperlichen, vorsprachlichen, unbewussten Emotionalen angenommen hat“ (22). 12 U. Francke u. a., „Gefühl“, 82: „Als eigenständiger philosophischer Begriff wird das deutsche ‚G.‘ … zuerst im 18. Jh. reflektiert und terminologisch schärfer umrissen als ‚moralisches G.‘ und als ‚ästhetisches G.‘“ … „In der Neuzeit wird der Begriff zunächst unspezifisch verwendet sowohl zur Bezeichnung von G.en im Sinne von Gemütsbewegungen (emotions) im weiteren und Leidenschaften (passions) im engeren Sinne als auch zur Benennung von Sinnesempfindungen (sensations).“ Mit dieser Definition ist der gegenwärtige (vorwissenschaftliche) allgemeine deutsche Wortgebrauch gut beschrieben. Vgl. auch E.-M. Engelen, Gefühle (kommentierte Lit.). 13 M. Harbsmeier/S. Möckel, „Antike Gefühle“, 9–24. – In der deutschen Literatur spielt neben „Gefühl“ auch „Empfindsamkeit“ eine wichtige Rolle und wird zur Bezeichnung einer eigenen literarischen Epoche. 14 H. Landweer/U. Rengs (Hg.), Handbuch. 15 Vgl. J. Plamper, Geschichte, 20 f. mit Hinweis auf William James’ Aufsatz „What is an emotion?“ (1884). Plamper weist weiter darauf hin, dass das Phänomen der „Gemüthsbewegung“ bzw. Emotion sich auf movere rückbezieht: Bewegung kann als tertium comparationis für die unterschiedlichen Definitionen von Emotion dienen. 16 Vgl. L. A. Schökel, Hermeneutics, 157 zu der „world of sentiments in the psalms or in the narratives or in the prophets“ (vgl. J. Corley/R. Egger-Wenzel, „Preface“, V–XII, V).
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chischen, sozialen und ethischen Kultur ihrer Zeit sind.17 Den historischen Ausgangspunkt der Emotionenthematik hat Aristoteles mit seiner Kartographierung der πάθη bzw. affectus gesetzt.18 Wieweit und in welcher Weise seine Pathoslehre zum Verständnis neutestamentlicher Texte zu den Emotionen herangezogen werden kann, ist Teil der folgenden Überlegungen. Einen pragmatischen Weg geht Françoise Mirguet in ihrem großen Beitrag über Emotionen in der frühjüdischen Literatur von 2019. Statt nach einer möglichst präzisen historischen oder gegenwärtigen Definition zu suchen, beschreibt sie das Phänomen der Emotion einerseits heuristisch von den verschiedenen Wissenschaften her, die sich mit diesem Thema beschäftigen.19 Darüber hinaus entwickelt sie eine Struktur, mit deren Hilfe sie das Phänomen der Emotion eingrenzen kann. Sie untersucht „different approaches to emotions, distinguished here for the sake of clarity but in effect overlapping: philology and the history of the self; the construction of identity; structures of power, including gender; experiences with the divine; and emotions as adaptive structures.“20 Mirguet stellt fest, dass Emotionen einerseits zum Wesen des Menschen gehören21, sich andererseits aber in den verschiedenen Kulturen und Epochen der Geschichte stark unterscheiden. Ihre Beschreibung anhand von Strukturen ermöglicht es, ein bewegliches Bild der Emotionen zu entwerfen. Die Emotionen konstituieren nicht nur die eigene Person oder das inner self, sondern auch und gerade Gruppenidentität, wie Mirguet für die Qumrangemeinschaft feststellt.22 „A sense of belonging can crystallize around a feeling“.23 Mirguet weist darauf hin, dass in Joseph und Asenath ähnlich wie bei Philon ἔλεος und φιλανθρωπία als identitätsstiftende Emotionen des Judentums verstanden werden.24 Dazu F. Mirguet, „Study of Emotions“, 5: „Emotions can be conceptualized as scripts or scenarios, prototypical narrative sequences where a certain situation is likely to elicit a given emotion“. 18 Ch. Rapp, „Aristoteles: Bausteine“, 45–68. Weiteres s. u. Zurecht warnt J. Plamper, Geschichte, 49, davor, klassische Kategorien – wie die des Aristoteles – einfach als überzeitliche Beschreibungen zu verwenden. Plamper legt deshalb besonderen Wert darauf, Emotion als Metakategorie zu verstehen, um der historischen Differenzierung Raum zu geben. Den großen antiken thematischen Rahmen stecken die Sammelbände von A. Chaniotis (Hg.), Unveiling Emotions, und E. Sanders/M. Johncock (Hg.), Emotion, ab. 19 Plampers binäre Strukturanalyse in: Geschichte, ist dagegen systematisch angelegt. Er ordnet die verschiedenen Felder der Emotionsforschung zwei Bereichen zu: „Sozialkonstruktivismus: Ethnologie“ (J. Plamper, Geschichte, 7), „Universalismus: Lebenswissenschaften“ (J. Plamper, Geschichte, 8) und versucht, die Emotionsgeschichte (J. Plamper, Geschichte, 9) diesen Bereichen zuzuordnen. 20 F. Mirguet, „Study of Emotions“, 3. 21 Siehe U. Frevert u. a. (Hg.), Gefühlswissen. 22 F. Mirguet, „Study of Emotions“, 14: „correct emotions“. 23 A. a. O., 13. 24 A. a. O., 15, weist auf das Paradox hin, dass ein jüdischer Schriftsteller die griechische Tugend der Philanthropie als Eckstein jüdischer Identität übernimmt. Dazu ausführlich F. Mirguet, History (Rez. von A. R. Krause, in: BMCR 2018.11.44). 17
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II. Themen
Weiter führt Mirguet zum Thema der Gewalt aus: „Emotions are intimately connected to power“.25 „Cultures impose scripts that dictate which emotions are appropriate and how they should be felt“.26 Emotionen ermöglichen andererseits Begegnungen mit dem Göttlichen in Gebet und Ritus.27 Und Emotionen haben die Fähigkeit, prosoziales Verhalten zu befördern.28 Mirguets Strukturvorschlag kann als eine Art von Blaupause zur Ordnung der Emotionen in den neutestamentlichen Schriften gelesen werden. Vor allem die Aspekte von Identität und prosozialem Verhalten bieten Anschlussmöglichkeiten zur Ethik: Paulus entwickelt für seine ἐκκλησίαι ein Konzept eines Gemeindeethos, das wichtige emotionale Komponenten einschließt.29
2. Einführung in die Fragestellung (1) Die Ethik des Neuen Testaments wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts thematisch rekonstruiert und vor allem in Lehrbuchform in deutlicher Nähe zur „Theologie des Neuen Testaments“ dargestellt.30 In diesem Format gehört sie zu den festen Bestandteilen der Neutestamentlichen Wissenschaft in Forschung und Lehre. Sie ist darüber hinaus seit den letzten Jahrzehnten zu einem der zentralen Themenbereiche neutestamentlicher Wissenschaft geworden und hat eine neue Welle von Lehrbüchern31, Monographien, Sammelbänden und Aufsätzen hervorgebracht.32 Ethik der neutestamentlichen Schriften hat sich als ein eigenes Schlüsselthema etabliert, das unterschiedliche Themenbereiche und ältere und neue methodische Ansätze zusammenführt.33 Auf der einen Seite stellt die historische Kontextualisierung mit ihren realgeschichtlichen, sozial-, F. Mirguet, „Study of Emotions“, 16. A. a. O., 17. 27 A. a. O., 22. 28 A. a. O., 24. Siehe unten zu Phil 2. 29 Auf die johanneischen Schriften kann hier nur kurz hingewiesen werden: Die Lehrer der johanneischen ἐκκλησίαι oder Liebesgemeinschaften fokussieren ihre Ethik ganz auf die ἀγάπη, die am Schnittpunkt von Ethos und Emotion liegt. Sowohl der Verfasser des Johannesevangeliums als auch der Verfasser des 1. Johannesbriefes fassen dies emotive Ethos unter dem Stichwort „neues Gebot“ (Joh 13,34) bzw. „altes Gebot“ (1 Joh 2,7) in eine umfassende, theologisch-christologisch begründete Ethik der ἀγάπη. 30 Erste Gesamtdarstellung: H. Jacoby, Ethik. 31 C. Spicq, Théologie Morale; H.-D. Wendland, Ethik; S. Schulz, Ethik; W. Schrage, Ethik; R. B. Hays, Moral Vision. 32 Vgl. die großen Literaturberichte von F. W. Horn, „Ethik des Neuen Testaments 1982– 1992“, 32–86; ders., „Ethik des Neuen Testaments 1993–2009“, 1–36.180–221. Einführend: F. W. Horn, „Ethik (NT)“. 33 Vgl. vor allem die Reihe „Kontexte und Normen der neutestamentlichen Ethik/Contexts and Norms of New Testament Ethics“, die als Unterbereich der „Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament“ (= WUNT 1. und 2. Reihe) erscheint (bisher 10 Bände: Tübingen 2009–2019). Vgl. auch R. Zimmermann (Hg.), Ethik. 25 26
11. Emotionen als formative Elemente neutestamentlicher Ethik
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institutionen- und wirtschaftsgeschichtlichen sowie den philosophie- und religionsgeschichtlichen Aspekten in der frühen Kaiserzeit vor allem im Osten des Imperium Romanum von Iudaea bis Griechenland die Leitperspektive dar. Gesucht wird vor allem nach Vergleichsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite stehen literaturgeschichtliche, sprachwissenschaftliche und terminologische Fragen nach der Motivik und Semantik neutestamentlicher ethischer Texte, nach leitenden Begriffen, nach einer oder mehreren möglichen ethischen Begriffssprachen und nach literarischen Formen der ethischen Instruktion im Fokus der Untersuchungen. Daneben hat sich zudem eine in der mittlerweile globalen Neutestamentlichen Wissenschaft geführte Diskussion um eine aktuelle Kontextualisierung bzw. um Applikationsmöglichkeiten neutestamentlicher Ethik entwickelt, die auf der Kanonizität der neutestamentlichen Texte und ihrer damit verbundenen aktuellen und situativen Bedeutung für die christlichen Kirchen beruht.34 Diese Diskussion ist von leitenden Begriffen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurse geleitet und vor allem um bestimmte Themen zentriert, auf die hin die neutestamentlichen ethischen Texte kritisch untersucht werden: Körper (body), Geschlecht (gender), Sexualität (sexuality), Frau, Rasse (race), Macht (power), Gewalt (violence), Politik (politics), Herrschaft (empire), sozialer und wirtschaftlicher Status (class), Identität (identity), Autorität, Dienst, Schwäche, Gemeindestruktur, Ökologie.35 Neben diesen überwiegend der gegenwärtigen Wirklichkeit und der diese reflektierenden und analysierenden Wissenschaftssprache entnommenen Begriffen sind auch die primär biblisch geprägten Begriffe Nächstenliebe (ἀγάπη)36, Barmherzigkeit (ἔλεος)37 und Demut (ταπεινοφροσύνη)38 ebenso wie der aktuell geschätzte Begriff der Empathie39 für das Thema der Emotionen anschlussfähig. (2) Die Emotionenforschung ist eine junge Disziplin, die sich schnell zu einem weit verzweigten Unternehmen entwickelt hat40, das in sehr unterschiedliche Forschungsgebiete hineinreicht. In ihrem bereits genannten Beitrag von 2019 hat Françoise Mirguet einen aktuellen Überblick über das Tableau der Emotionenforschung gegeben. Sie nennt folgende mit dem Phänomen der Emotionen befasste Gebiete, die sich zum Teil überschneiden41: Anthropologie, Linguistik, Neurowissenschaften, Psychologie, Kognitionswissenschaften, affective theo34 Darauf weist hin: F. W. Horn, „Ethik (NT)“, 5. Für Paulus vgl. D. G. Horrell, Christian Morality; für die neutestamentliche Liebesethik vgl. O. Wischmeyer, Liebe, 217–265, und R. Zimmermann, Logik. 35 Siehe speziell dazu den applikativen Ansatz von D. G. Horrell, Christian Morality. 36 O. Wischmeyer, Liebe (Lit.). 37 A. a. O., 184–186 (Lit.). Im Zentrum der Studie von F. Mirguet, History. 38 E.-M. Becker, Demut (Lit.). 39 F. Breithaupt, Kulturen; Th. Breyer (Hg.), Grenzen. 40 J. Plamper, Geschichte, 17, spricht davon, dass die Emotionsgeschichte im Augenblick „förmlich explodiert“. 41 F. Mirguet, „Study of Emotions“, 2. Vgl. auch dies., History.
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ry42, Soziologie, cultural studies, Religionswissenschaft und Geschichtswissenschaft. Dabei handelt es sich nicht um eine systematische Aufzählung, sondern um eine heuristische Nennung von Untersuchungsfeldern, die sich mit dem vielgesichtigen Phänomen der Emotionen beschäftigen.43 Hinzuzufügen sind vor allem Philosophie und Literaturwissenschaften. Der Zugang zu dem Phänomen der Emotionen lässt sich von diesen sehr verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten und ihren methodischen und begrifflichen Instrumentarien und Forschungsinteressen entsprechend unterschiedlich organisieren. Emotionen werden je nach der gewählten Ausgangsperspektive beschrieben bzw. konstruiert, da die Fragestellungen und wissenschaftlichen Interessen die Ergebnisse wesentlich mitbestimmen. Mehrere dieser Aspekte überschneiden sich und erhellen einander gegenseitig. Damit stehen für jede Fragestellung unterschiedliche methodische Zugänge zur Verfügung, wie Mirguet betont: historische Zugänge können von psychologischen, neurophysiologischen und soziologischen Fragestellungen inspiriert werden.44 Die philosophischen Zugänge werden dagegen in dem umfangreichen Artikel emotion von Andrea Scarantino und Ronald de Sousa in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (2018) betont. Hier wird eine philosophisch-wissenschaftstheoretische Steuerungsperspektive für die Beschreibung der verschiedenen Fachgebiete der Emotionenforschung entwickelt.45 An Bedeutung hat in den letzten Jahrzehnten die historische Emotionsforschung gewonnen. Die history of emotions-Forschung stellt gegenwärtig46 einen entscheidenden Bereich der Emotionenforschung dar. Sie entstand als eigener Wissenschaftszweig als eine Facette des cultural turn. Robert Boddice spricht vom „affective turn“.47 Im vorliegenden Zusammenhang konzentriere ich mich auf den Zeitabschnitt der hellenistisch-römischen Antike. Zu den Gegenständen der history of emotions-Forschung in diesem Bereich gehört neben der antiken Philosophie, Literatur und Rhetorik seit einigen Jahrzehnten vermehrt
42 Allg. P. Clough/J. Halley (Hg.), Affective Turn; für die Bibelwissenschaften: F. C. Black/ J. L. Koosed (Hg.), Reading with Feeling, darin: F. C. Black/J. L. Koosed, „Introduction“, 1–12. 43 Die englischsprachige Literatur ist immens (vgl. die Bibliographien bei Mirguet und Scarantino/de Sousa [Anm. 45]). 44 F. Mirguet, „Study of Emotions“, 3.32, weist auf die verschiedenen Zugänge und die damit erschlossenen unterschiedlichen Untersuchungsfelder hin; vgl. auch die strukturelle Einteilung von J. Plamper, Geschichte. – Besonders die US-amerikanische Emotionenforschung arbeitet mit dem Austausch zwischen naturwissenschaftlich basierten Zugängen und historischen Phänomenen. Grundlegend: L. Feldman Barrett/M. Lewis/J. M. Haviland-Jones (Hg.), Handbook. – Ein Beispiel aus dem Bereich der Neutestamentlichen Wissenschaft ist die Studie von C. Shantz, Paul. 45 A. Scarantino/R. de Sousa, „Emotion“. Vgl. auch J. E. Annas, Philosophy. 46 F. Mirguet, „Study of Emotions“, 2, Anm. 11 mit Lit. 47 R. Boddice, „Affective Turn“, 147–165. Siehe auch ders., History of Emotions; History of Feelings. Vgl. U. Frevert, Emotions.
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die Textwelt des Alten Israel48, des antiken Judentums49 und im Zusammenhang damit des entstehenden Christentums.50 In der deutschsprachigen Exegese ist es den Anstößen Gerd Theißens und seiner Schule zu verdanken, dass vermehrt Studien zu Emotionen im Neuen Testament erscheinen. Theißen selbst ist auf diesem Gebiet mit mehreren umfangreichen Darstellungen zur urchristlichen Psychologie hervorgetreten.51 In der Folge dieser ‚psychologischen Wende‘ hat vor allem Theißens Schülerin Petra von Gemünden über Affekte gearbeitet. Sie und ihre Schülerinnen haben das Thema vorangebracht.52 Theißens Schüler Lorenzo Scornaienchi interpretierte Römer 7 vor dem Hintergrund aristotelischer, stoischer und epikureischer Affektenlehren.53 Einen eigenen Zugang verfolgte Abraham J. Malherbe mit seinen zahlreichen Publikationen zur hellenistisch-kaiserzeitlichen Ethik.54 Auf dieser Linie haben David E. Aune55 und Troels Engberg-Pedersen im spezialisierten Rahmen philosophiegeschichtlicher Fragestellungen über die Spielarten antiker Affektenlehre und ihre mögliche Rezeption bei Paulus gearbeitet.56 Stephen C. Barton hat das benachbarte Thema von „Eschatology and the Emotions in Early Christianity“ bearbeitet.57 Tanja Dannenmann hat eine Arbeit zum Verhältnis von Emotion und Ethik in den Parabeln des Matthäusevangeliums vorgelegt, in der sie u. a. auch die Beziehungen zwischen Ethik und Emotionen in der Antike reflektiert.58 Für diese Fragerichtung möchte auch der vorliegende Artikel einen Beitrag leisten. Es geht hier folglich nicht um das Thema der Emotionen im Neuen Testament insgesamt oder bei Paulus, sondern um die Rolle, die Emotionen für die paulinische Ethik spielen. Die persönlichen Emotionen des Paulus – besonders im 2. Korintherbrief – sind hier nicht im Blick. Stattdessen F. Mirguet, „Emotion in the Hebrew Bible“, 442–465 (Mirguet rät zur Vorsicht bei einer direkten Projektion gegenwärtiger Emotionskonzepte auf die Literatur Israels); F. Mirguet/ D. Kurek-Chomycz, „Emotions“, 435- 441. Lit. zum Alten Testament: 435, Anm. 1. 49 F. Mirguet, „Study of Emotions“. 50 Vgl. F. Mirguet/D. Kurek-Chomycz, „Emotions“, 436, Anm. 4. Weiter: O. Wischmeyer, „1 Korinther 13“; E.-M. Becker, „Tränen“, 361–378; O. Wischmeyer, „Prayer“, 335–349; E.-M. Becker, „Krázein“, 351–366. 51 G. Theißen, Aspekte; ders., Erleben (Lit.). 52 Vgl. die allgemeine Einführung bei P. von Gemünden, „Affekte“, 249–269; vgl. auch G. Theißen/P. von Gemünden, „Affekte“, 255–284; dies., „Emotions/New Testament“, 829–831. Monographien ihrer Schülerinnen: A. Inselmann, Freude; A. Nürnberger, Zweifelskonzepte. Vgl. auch die ältere Monographie: Th. Vogt, Angst. 53 L. Scornaienchi, Sarx. Zur Affektenlehre besonders 307–323; 54 Besonders wichtig für unser Thema: A. J. Malherbe, „Hellenistic Moralists“, 267–333. 55 D. E. Aune, „Passions“. Aune gibt einen informativen Literaturbericht. 56 T. Engberg-Pedersen, Paul. 57 St. E. Barton, „Eschatology“, 571–591. (Lit.). Barton führt ähnlich wie Mirguet in die verschiedenen Emotionstheorien ein. Er konzentriert sich dann auf λύπη lupē als die Emotion der Trauer. 58 T. Dannenmann, Emotion (Zur Beziehungen zwischen Ethik und Emotionen in der Antike insb. 12–86; zur Methodik der ethischen Emotionsanalyse insb. 153–221). 48
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komme ich noch einmal auf einen besonderen Bereich der frühjüdischen Literatur zurück, der bei Mirguet angesprochen wird, ohne im Mittelpunkt zu stehen. Philon von Alexandria bezieht sich ausführlich auf die πάθη und beruft sich vor allem auf die stoische Analyse der Emotionen. David Winston hat eine sorgfältige Studie zum Thema vorgelegt.59 Philon verwendet das stoische Schema der vier πάθη: ἐπιθυμία, ἡδονή, φόβος, ὀργή (prob 159) und verfolgt das Ziel der ἀπάθεια. Er kennt aber auch das peripatetische Argument der Nützlichkeit der πάθη.60 Wichtig für die hier verfolgte Fragestellung ist: Philon nimmt explizit und umfangreich an dem antiken philosophischen Diskurs über die Emotionen teil und verwendet das Fachvokabular.61 Ähnliches gilt – in einer anderen literarischen Gattung – für das 4. Makkabäerbuch.62 Eine vergleichende philosophiegeschichtliche Analyse der paulinischen Briefe trifft auf eine gänzlich andere Situation, wie ich im Folgenden zeigen werde.
3. Die Begriffssprache der Emotionen bei Aristoteles als Basis für die Analyse von Emotionen als formativen Elementen von Ethik in paulinischen Texten (1) Es ist deutlich geworden, dass die Frage nach den Emotionen mit Hilfe sehr unterschiedlicher Steuerungsinstrumente verfolgt werden kann, die jeweils eigene sprachlich-terminologische Instrumentarien verwenden und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Wenn ich mich im Folgenden für die Terminologie auf Aristoteles stütze, verfolge ich nicht eine philosophiegeschichtliche Einordnung der paulinischen Ethik und seines Umgangs mit Emotionen in die frühkaiserzeitliche philosophische oder popularphilosophische Ethik – so die Fragestellung bei den bereits genannten Beiträgen von Abraham J. Malherbe, David E. Aune und Troels Engberg-Pedersen. Im Fokus meines Interesses steht vielmehr die eigene Ethik des Paulus mit ihren emotionalen Komponenten. Es geht also nicht um Ableitung, sondern um Beschreibung unter der Fragestellung:63 Wieweit und 59 D. Winston, „Philo“, 201–220. Vgl. auch O. Kaiser, „Aretē“, 379–429 (Lit.); ders., Philo, besonders 208 f. 60 D. Winston, „Philo“, 212. 61 O. Kaiser, „Aretē“, 385: Philon verwendet 954 mal ἀρετή und 536 mal πάθος. Es handelt sich um zentrale Begriffe in seinen Schriften. Wichtig ist die philosophiegeschichtliche Differenzierung: Philons stoisch beeinflusste „Gegenüberstellung von Tugend und Leidenschaft“ wird durch den „Einfluss des platonischen Timaios insofern modifiziert, als er in Leg. 2.4–6 die Wahrnehmungsfähigkeiten … als notwendige Tätigkeiten der Seele anerkannte“, 397 f. 62 H.-J. Klauck, 4. Makkabäerbuch; D. A. de Silva, 4 Maccabees. 63 Damit ist der vorliegende Beitrag in doppelter Weise anders fokussiert als der umfangreiche Beitrag von Mirguet zur frühjüdischen Literatur, der sich (1) auf die frühjüdische Literatur ohne die Schriften des Neuen Testaments bezieht und (2) ganz dem Thema der Emotionen ohne expliziten Blick auf die Ethik gewidmet ist.
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in welcher Weise tragen Emotionen zum Aufbau von Ethik in den paulinischen Christus-bekennenden Gemeinden des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei? Historisch orientierte Einordnungen, die stets die sprachlich-terminologische Distanz des Paulus zur Sprache der philosophischen Schulen der frühen Kaiserzeit und seine Nähe zur Septuaginta berücksichtigen müssen64, müssen einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben. Als antiken Gesprächspartner wähle ich Aristoteles nicht, weil davon auszugehen wäre, dass Paulus sich implizit auf Aristoteles bezöge – wir haben keinen Hinweis darauf, ob und in welcher Weise Paulus Aristoteles über die Vermittlung der kaiserzeitlichen Peripatetiker kannte –, sondern weil Aristoteles ein scharfer Beobachter der politischen, sozialen und intellektuellen Realität seiner Zeit war. Seine deskriptiven und normativen Beschreibungen des Zusammenhanges von Ethos, Pathos und Rhetorik stellen ein sprachliches und sachliches Instrumentarium bereit, das als Vergleichsbasis für die Lektüre ethischer Belehrung im Kontext brieflicher Rhetorik des Paulus dienen kann.65 Im Folgenden unternehme ich daher weder eine originäre Interpretation des Verhältnisses zwischen Ethik und Emotionen bei Aristoteles, was im vorliegenden Rahmen gar nicht zu leisten wäre, noch den Nachweis einer besonderen philosophiegeschichtlichen Verbindung ethischer oder emotionaler Motivik zwischen Aristoteles und Paulus, sondern ich frage einerseits nach einer antiken terminologischen Folie für die Sprache der ethisch relevanten Emotionen bei Paulus und andererseits nach einem Verstehensschlüssel für den engen Zusammenhang zwischen Ethik und Emotionen bei Paulus. In Buch I 2 seiner Ars Rhetorica setzt Aristoteles die Rahmenbedingungen seiner Darstellung der Rhetorik, indem er zwischen drei Weisen der Überzeugung durch die Rede unterscheidet: ἦθος (der Charakter des Redners), πάθος (die Emotionen, die der Redner beim Auditorium weckt) und λόγος (das Argument).66 In diesem Zusammenhang wendet Aristoteles die Perspektive des öffentlichen Redners und seines Publikums, nicht die Perspektive des Individuums und der individuellen ψυχή auf das Gebiet der Emotionen an.67 Allerdings integriert er in Buch II seiner Ars Rhetorica auch den psychologischen Aspekt der Emotionen. Er legt ein Handbuch der πάθη, der philosophischen Psychologie aus rhetorischer Perspektive vor, das als eine Art von hellenis64 Vgl. die Septuagintazitate. – Zur Sprache des Paulus: T. Nägeli, Wortschatz (immer noch unverzichtbar); C. J. Classen, „Philologische Bemerkungen“, 321–335; M. Vahrenhorst, Sprache; T. Schumacher, Sprache; T. Vegge, „Prägung“, 66–72. 65 Die historische Distanz zwischen Aristoteles und Paulus wird hier angesichts der situativen Nähe (öffentliche Rede) vernachlässigt. 66 Analyse bei Ch. Rapp, Aristoteles, Rhetorik, 5: The Three Means of Persuasion. 67 Gerade letztere Perspektive wird in der aktuellen Emotionsforschung oft gewählt (vgl. die Dimension des Humanen in der Beschreibung der Emotionen bei F. Mirguet und U. Frevert) und auch auf die neutestamentlichen Texte angewendet (Untersuchungen zu Trauer, Tränen, Freude, Angst etc. in den synoptischen Jesuserzählungen).
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tischem manual der Identifikation, Benennung und Bewertung von Emotionen gelten kann und vor allem heuristischen Wert hat und über den rhetorischen Zweck hinausgeht.68 George E. Kennedy hebt die Bedeutung von Ars Rhetorica II 2–11 hervor: These famous chapters on the emotions, although reflecting some ideas of Plato found in Phaedrus and Philebus …, are the earliest systematic discussion of human psychology. It is possible that they originated in some other context for they have been only partially adapted to the specific needs of the speaker.69
Gerade die von Kennedy erwähnten Überschüsse und Abweichungen von dem eigentlichen rhetorischen Rahmenthema machen Buch II für die historische Emotionenforschung besonders interessant: Aristoteles untersucht jeweils ausführlich in kleinen Exkursen drei Aspekte der Emotionen: die Gemütsverfassung der Personen, die bestimmte Emotionen haben (πάθη), die Objekte ihrer Emotion und die Gründe für die Emotion (II 1.9). Damit entstehen ausführliche Bilder der jeweiligen Gefühlsbewegung, die sowohl über den Anlass der Schrift, die Einführung in die Rhetorik, als auch über die Erfahrungswelt des Aristoteles hinaus auch eine gewisse Allgemeingeltung innerhalb der hellenistisch-römischen Kultur beanspruchen können und so für die frühjüdischen und frühchristlichen Schriften von Bedeutung sind. Die Emotionen sind gegenständig geordnet, so dass positive (konstruktive) und negative (destruktive) Ausformungen der πάθη in die Grundemotionen von λύπη und ἡδονή einander gegenüberstehen (II 1.8). Das sprachliche Register des Aristoteles kann daher als Folie für das entsprechende Lexikon des Paulus dienen. Seine Bezeichnung und Beschreibung der πάθη ist flexibel und erlaubt einen strukturellen Vergleich mit der eigenen paulinischen Sprache der Emotionen im ethischen Kontext. In den Rahmen, den Aristoteles vorgibt, kann die emotive Ethik des Redners Paulus in Divergenz und Konvergenz eingezeichnet werden und ihre eigene Kontur gewinnen. (2) Der Zugang zu den Emotionen über die Rhetorik des Aristoteles muss noch etwas genauer begründet werden. Bekanntlich thematisiert Aristoteles die Emotionen (πάθη) in unterschiedlichen Zusammenhängen70: in seiner Lehre über die Seele, in den Ethiken und in der Schrift über die Rhetorik71. Er kann 68 Wieweit und an welchen Stellen frühjüdische und frühchristliche Beschreibungen von Emotionen von Aristoteles abweichen, muss im Einzelnen beschrieben werden. 69 Aristoteles, On Rhetoric, 113. Zum Thema Emotionen vgl. auch J. Krajczynski, „Emotionen“, 227–231. 70 Zu Aristoteles vgl. die umfassende Studie von D. Konstan, Emotions, sowie die einflussreiche Untersuchung von W. W. Fortenbaugh, Aristotle on Emotion. Fortenbaugh stellt den Zusammenhang zwischen Ethik, Rhetorik und πάθη her, der für den vorliegenden Beitrag wichtig ist. Vgl. auch W. W. Fortenbaugh, Aristotle’s Practical Side. 71 Besonders umfassend ist die Aufzählung der πάθη in der Nikomachischen Ethik (1105b1– 23): „Begierde, Zorn, Furcht, Mut, Neid, Freude, Zuneigung, Hass, Sehnsucht, Eifersucht, Mitleid, überhaupt alles, was mit Lust und Schmerz verbunden ist“. Vgl. auch de anima 403a17–18: „Mut, Sanftmut, Furcht, Mitleid, Wagemut, ferner Freude, Lieben und Hassen“. In de anima
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die πάθη also aus der Perspektive der ψυχή im Sinne des humanum72 entwickeln oder sie entweder in die Nähe der Tugenden und des ethischen Handelns oder aber in die Nähe der öffentlichen Rede rücken.73 Paulus hat – ganz anders als Philon – weder über die Seele noch über die Tugenden noch über die πάθη oder über die Kunst des Redens in einem theoretischen Rahmen nachgedacht. Vor allem fehlen die erschließenden aristotelischen Begriffe des πάθος bzw. der πάθη74 und des ἦθος75 bei Paulus fast ganz. Πάθος bzw. πάθη wird zudem ausschließlich ethisch negativ konnotiert und im Zusammenhang mit ἐπιθυμία gebraucht.76 Aber Paulus hat als religiöser Redner in der Öffentlichkeit agiert und in dieser Funktion mit dem Phänomen der πάθη praktisch zu tun gehabt.77 Von Aristoteles’ Schrift über die Rhetorik78 lässt sich daher eine sachliche Brücke zu Paulus schlagen, weil dies praktische Untersuchungsfeld eine deutliche Nähe zur Tätigkeit des Paulus hat. Ich konzentriere mich daher im Folgenden nicht auf die Ethiken des Aristoteles, sondern auf seine Rhetorik. Zwei Richtungen sind hier von Bedeutung: erstens der Redner selbst und zweitens die Hörerschaft, die der Redner überzeugen will. Ich beginne mit der Person des Redners. Paulus als Redner79 stand vor eben derselben Situation, die Aristoteles zum Ausgangspunkt seiner Darstellung in Buch II macht: Der Redner darf sein Augenmerk nicht nur auf seine Aussage oder Botschaft richten80, „sondern [muss] auch auf sein eigenes Auftreten [achten] und darauf, den Urteilenden zu beeinflussen“ (II 1.2). Es geht also um die Glaubwürdigkeit der Person des Redners, die zu seinem Erfolg beiträgt, und hier kommen die Emotionen bzw. Affekte ins Spiel. Die dauernde briefliche
402.403 betont Aristoteles die Verbindung der Affekte mit dem Körper und definiert sie als „begriffliche Verhältnisse (Logoi) an der Materie“ (403a). 72 Siehe oben Anm. 8, U. Frevert u. a. (Hg.), Gefühlswissen. 73 Die gegenwärtige Emotionenforschung mit ihren unterschiedlichen Ansätzen ist, wie Mirguets Überblick zeigt, strukturell nicht weit von Aristoteles entfernt. 74 Vgl. das oben zu Philon Gesagte. 75 Nur im Sprichwort in 1 Kor 15,33. 76 Nur drei Belege im NT: Röm 1,26 (πάθη ἀτιμίας); Kol 3,5 (zusammen mit πορνεία und ἀκαθαρσία und ἐπιθυμία κακή) und 1 Thess 4,5 (ἐν πάθει ἐπιθυμίας): ausschließlich als (negative) sexuelle Leidenschaft verstanden. D. E. Aune, „Passions“, betont diesen philosophiegeschichtlich wichtigen Befund nicht hinreichend, wenn er unkommentiert darauf hinweist, dass Paulus πάθος als „illicit sexual desire“ verwendet, 236, Anm. 49. Allerdings betont er in Anlehnung an A. J. Malherbe, „Hellenistic Moralists“: [Paul] „avoids philosophical models for mastery of the passions“ (221). D. E. Aune, „Passions“, 224–226 referiert Arbeiten zu „Paul’s rhetorical use of emotional appeal (pathos)“, ohne aber klar herauszuarbeiten, dass Paulus selbst mit rhetorischen Mitteln Emotionen bei seiner Leserschaft hervorruft, ohne dabei in den philosophischen πάθη-Dikurs einzutreten. 77 St. E. Porter, Handbook; P. J. Sampley/P. Lampe (Hg.), Paul. 78 Ch. Rapp, Aristoteles, Rhetorik. Vgl. ders.: „Aristotle’s Rhetoric“. 79 Dazu: T. H. Olbricht/J. L. Sumney (Hg.), Paul. 80 Bei Paulus entspricht dem das εὐαγγέλιον.
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Selbsterklärung81 und Selbstverteidigung des Paulus vor seinen Gemeinden, die ihren Höhepunkt in 2 Kor 10–13 findet, macht deutlich, dass Paulus bei seinen Missionsreden nicht nur mit denselben Problemen kämpfte wie öffentliche Redner in unterschiedlichen Funktionen, sondern auch ein vergleichbares Publikum hatte. Die Hörerschaft wollte überzeugt werden, und ein wesentlicher Faktor bei diesem Prozess war die persönliche Glaubwürdigkeit des Paulus, die er immer wieder nachweisen musste. Dies ist der Grund für die andauernde Selbstverteidigung des Paulus. Aristoteles nennt drei Ursachen, aus denen Zuhörer Rednern Glauben schenken: Die Person des Redners muss „Einsicht, Tugend und Wohlwollen“ (φρόνησις, ἀρετή, εὔνοια, II 1.5) verbinden. Damit benennt Aristoteles präzise eine Schnittstelle zwischen Ethik und Emotionen, so wie sie sich ihm darstellt: die Grundlagen der rhetorischen Überzeugungskraft des Redners. Diese beruht auf dem Zusammenspiel von Argument, Ethik und Emotionen. Während φρόνησις dem Argument gilt und ἀρετή der persönlichen ethischen Integrität – auf Beides legt Paulus größten Wert (z. B. 1 Kor 4,1–5; 9; 2 Kor 8,16–24) –, führt die dritte Größe, die εὔνοια82, zu den Affekten. Aristoteles sagt: „Über Wohlwollen (εὔνοια) und Freundschaft (φιλία) müssen wir im Abschnitt über die Affekte sprechen“ (II 1.8). Er definiert: Unter Affekte verstehen wir das, durch dessen Wechselspiel sich die Menschen in ihren Urteilen unterscheiden und dem Kummer (λύπη) und Vergnügen (ἡδονή) folgen, z. B. Zorn, Mitleid, Furcht und so weiter, sowie das Gegenteil davon. (II 1.8)
Es geht also um die individuellen Empfindungen, die Gefühlslagen, die geistige Verfassung83 und die Verhaltensformen der Hörer. Damit sind wir bei der zweiten Dimension der Rhetorik: den Hörern bzw. den Gemeinden des Paulus, die seine Briefe vorgelesen bekommen und denen das Argument des Redners – das εὐαγγέλιον des Paulus – durch die Erweckung von Emotionen nahegebracht werden soll. Redner können nur erfolgreich sein, wenn sie die jeweilige Gemütsverfassung ihres Auditoriums verstehen, um den state of mind ebenso wie das Ethos des Publikums zu beeinflussen, indem sie es etwa zu Zorn, Vergeltung und Rache oder aber zu Mitleid und Sanftmut bewegen. Die rhetorische Perspektive, wie Aristoteles sie für die Emotionen in die Geistesgeschichte eingeführt hat, kann daher einer vollständigeren und sensibleren Beschreibung der Emotionen und Verhaltensformen und damit des Ethos nicht nur des Redners, sondern auch der Hörer- und Leserschaft der frühchristlichen Schriften, d. h. der Christus-gläubigen Gemeinden dienen. Welche Emotionen werden von Aristoteles genannt? Im Verlauf des zweiten Buches der Rhetorik definiert und 81 Er verweist auf seine Biographie und stellt sich selbst als Vorbild dar (Μίμησις-Motiv 1 Kor 4,16; 11,1; 1 Thess 1,6; 2,14 [auch Eph 5,1]): H. D. Betz, Nachfolge. 82 Im NT nur Eph 6,7. 83 Kennedy spricht von „state of mind“: Aristoteles, On Rhetoric, 118 und im Folgenden sehr häufig.
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analysiert Aristoteles nacheinander folgende Emotionen, die sich sowohl auf die Überzeugungskraft der Person des Redners als auch auf die Erweckung von Zustimmung bei den Hörern beziehen: Zorn (ὀργή II 2) gegen Sanftmut (πραότης, πράϋνσις II 3) Freundschaft (φιλία II 4) gegen Feindschaft (ἔχθρα) und Hass (τό μισεῖν II 4.30) Furcht (φόβος II 5) gegen Zuversicht (θάρσος II 5.16) Scham (αἰσχύνη II 6) gegen Schamlosigkeit (ἀναισχυντία II 6.23) Wohlwollen bzw. Freundlichkeit (χάρις II 7) gegen Unfreundlichkeit (ἀχαριστία II 7.5) Mitleid (ἔλεος II 8) gegen Entrüstung (τὸ νεμεσᾶν II 9) Neid (φθόνος II 10) gegen Rivalität bzw. Wettstreit (ζῆλος II 11). Nehmen wir diese Liste als heuristisches Inventar der Affekte, wie Aristoteles sie im Zusammenhang mit dem überzeugenden Verhalten des Redners definiert, dann zeigen sich deutliche Übereinstimmungen mit psychologisch-ethischen Verhaltensweisen, die vor allem in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen angesprochen werden. Die Mehrzahl der aristotelischen Emotionen begegnet bei Paulus im Zusammenhang ethischer Ausführungen, aber mehrfach in deutlich abgewandelter Terminologie: Zorn (ὀργή)84, Sanftmut (πραΰτης)85, Freundschaft (φιλαδελφία)86 und Liebe (ἀγάπη)87, Scham (εὐσχημοσύνη)88, Mitleid (verbal: ἐλεέω, adjektivisch: ἐλεεινός und ἐλεήμων, substantivisch: ἔλεος)89, Wohlwollen bzw. Freundlichkeit (χάρις)90, Wettstreit (ζῆλος)91, Hass (verbal: μισέω)92, Furcht (φόβος)93, Neid (φθόνος)94. 84 Eph 4,31; Kol 3,8. Vgl. Jak 1,19 f. – Ich verweise auch auf die Belege in den übrigen Briefen. 85 1 Kor 4,21; Gal 5,23; 6,1; Eph 4,2; Kol 3,12; 2 Tim 2,25; Tit 3,2. Vgl. Jak 1,21; 3,13; 1 Petr 3,16. Πραϋπαθία 1 Tim 6,11. 86 Φιλία begegnet nicht im NT (nur Jak 4,4 negativ), φιλαδελφία: Röm 12,10; 1 Thess 4,9; Hebr 13,1; 1 Petr 1,22; 2 Petr 1,7, φιλόστοργος: Röm 12,10. Zum Thema O. Wischmeyer, Liebe, 186–190, mit Lit. 87 Siehe unten. 88 Αἰσχύνη wird bei Paulus nur negativ als „Schande“ gebraucht. Für „Scham“ im Sinne des Wohlanständigen steht: εὐσχήμων 1 Kor 7,35; 12,24, εὐσχημόνως Röm 13,13; 1 Kor 14,40; 1 Thess 4,12, εὐσχημοσύνη 1 Kor 12,23. 89 Bei Paulus überwiegend von Gottes Erbarmen gebraucht. Ethisch konnotiertes Verb: Röm 12,8. Ethisch konnotiert außerhalb der paulinischen Briefe: Mt 9,23; 23,23; Lk 10,37; Jak 2,13; 3,17. Ἐλεήμων: Mt 5,7. 90 Paulinisches Vorzugswort. 91 In den Paulusbriefen als destruktive Emotion: Röm 13,13; 1 Kor 3,3; 2 Kor 12,20; Gal 5,20; Phil 3,6; Jak 3,14.16. (An anderen Stellen positiv). 92 Tit 3,3; 1 Joh 2,9 und öfter. Dazu O. Wischmeyer, Liebe, 178–181, mit Lit.
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Vor dem Hintergrund der Ars Rhetorica wird deutlicher, dass die genannten paulinischen Gefühls- und Verhaltensweisen nicht einseitig im Zusammenhang von Tugend- und Lasterkatalogen oder -reihen zu lesen sind, sondern sich gleichzeitig von ihrer psychologisch-affektiven Qualität wie von ihrer ethischen Dimension her beschreiben lassen und den jeweiligen ‚Tugenden‘ bzw. guten Verhaltensformen eine emotive Qualität hinzufügen.
4. Die ethisch-emotionale Kultivierung der paulinischen Gemeinden Ich richte nun den Blick noch einmal auf unser Thema, das am Schnittpunkt von ancient ethical theory und history of emotions-Forschung liegt. Eine Darstellung der paulinischen Ethik aus der Perspektive emotionaler Kultivierung ist noch nicht geschrieben worden. Besonders reizvoll ist die Frage, ob Paulus eigene Akzente im Bereich der emotiven Ethik gesetzt hat. Ich verenge im Folgenden nochmals die Perspektive und konzentriere mich auf ein Teilthema aus dem Bereich der konstruktiven Emotionen: auf Freundschaft und Liebe als paulinische Begriffe, die in besonderer Weise ethische und emotionale Komponenten miteinander verbinden. In den Paulusbriefen und den Briefen der ‚Paulusschule‘ werden um diese Begriffe herum neue Formen des emotional-ethischen kommunitären Miteinanders entwickelt, empfohlen und gelehrt, die das eigene emotive Ethos der Christus-bekennenden paulinischen Gemeinden ausmachen. In drei Texten wird die konstruktive ethische Dimension emotionaler Aspekte bei Paulus exemplarisch deutlich: in 1 Kor 13, in Phil 2 und im Brief an Philemon. (1) Paulus leitet seinen Text über die ἀγάπη mit dem ethisch konnotierten Begriff des „Weges“ ein:95 Und ich zeige euch einen Weg (ὁδός), der alles übersteigt. (1 Kor 12,31)
Damit lässt sich Kapitel 13 zunächst als eine rhetorisch ausgearbeitete96 Aufforderung, ἀγάπη im Sinne von Nächstenliebe zu üben, verstehen. In Röm 13 wie schon früher in Gal 5,14 verweist Paulus selbst auf Lev 19,18, das Gebot der Nächstenliebe. Sieht man sich aber an, wie Paulus in 1 Kor 13 die ἀγάπη beschreibt, wird deutlich, dass hier nicht einfach ein ethischer Text bzw. eine amplificatio zu Lev 19,18 vorliegt. Von Anfang an wird die ἀγάπη nicht 93 Röm 8,15; 13,3.7; 1 Kor 2,3; 2 Kor 7,5.11.15; Eph 6,5; Phil 2,12; 1 Tim 5,20. Mehrfach in Hebr; 1 Petr; 1 Joh; Jud 23. 94 Röm 1,29; Gal 5,21 (Lasterkataloge); Phil 1,15. 95 Vgl. O. Wischmeyer, Weg. Die Wege Metapher organisiert in der frühjüdischen Zweiwegelehre die Ethik (vgl. Die Testamente der Zwölf Patriarchen). Im NT: Mt 7,13; 21,32; 22,16. Zum Text vgl. J. A. Fitzmyer, First Corinthians, 487- 507; D. Zeller, Brief, 405–421; O. Wischmeyer, Liebe, 84–88. 96 Zur Rhetorik von Kap. 13 vgl. J. A. Fitzmyer, First Corinthians, 487 f. (Lit.).
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nur zu ethischen Verhaltensformen wie Besitzverzicht und Selbstopfer (V. 3) in Beziehung gesetzt, sondern ebenso oder eher deutlicher zu den Charismen (V. 8–11), wie in 12,31 thematisch vorangestellt. Dabei wird schon deutlich, dass ἀγάπη nicht nur eine Tugend bzw. Verhaltensform oder eine Geistesgabe ist. Denn pneumatische Fähigkeiten (V. 1), Geistesgaben (V. 2) und ethische Verhaltensformen (V. 3) sind ohne die Liebe „nichts“. Die Liebe ist also eine eigene Größe, den Geistesgaben und dem ethischen Verhalten benachbart, aber eigenständig. V. 12 und 13 stellen ἀγάπη dann in eine endzeitliche Perspektive, die durch das Futur der Verben und durch „das Vollkommene“ (τὸ τέλειον)97 angedeutet wird. In V. 12 wird ἀγάπη als Inbegriff personaler eschatologischer Begegnung angesprochen: „Wir werden von Angesicht zu Angesicht sehen“ und: „Ich werde vollständig erkennen, wie ich vollständig erkannt bin“. Diese Wendung führt in die Nähe der Sprache, die die Septuaginta auch für die sexuelle Vereinigung wählen kann. Die Verse 4–7 sind ein Zeugnis für die Sprache der Liebe, die Paulus entwickelt. Er beschreibt die ἀγάπη weniger von ihren Handlungsformen als von ihren Verhaltensformen her, die deutlich emotionale Züge tragen. Paulus benutzt hier das kontrastive Strukturprinzip von konstruktiven und destruktiven Verhaltensformen, wie es Aristoteles in Buch II der Rhetorik anwendet: langmütig oder großherzig sein, freundlich sein98, nicht eifern99, nicht prahlen, sich nicht aufblasen100, nicht ungehörig sein, nicht den eigenen Vorteil suchen, sich nicht zum Zorn reizen lassen (παροξύνεται)101, das Schlechte nicht nachtragen, sich nicht über das Unrecht, sondern über die Wahrheit freuen (χαίρειν).102 Die Verse 7 und 8a zeichnen das Bild einer geduldigen, treuen und ausdauernden Existenz. Ergibt sich ein Gesamtbild? Paulus entwirft einen „Weg“, der weit mehr umfasst als tätige Nächstenliebe, wie sie in Jak 2 durchbuchstabiert wird. Dort heißt es: Erweist den Armen Respekt (2,1–7), gebt den Bedürftigen Kleidung und Nahrung (2,14–17). Das ist es, was „das königliche Gesetz der Schrift“ sagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (2,8). Dasselbe Ethos des Tuns ist in klassischer Weise in Lk 10,25–37 in eine Gleichniserzählung umgesetzt. Die erklärende Schlusspointe der Erzählung heißt: „Geh hin und tu (ποίει) desgleichen“. Im Vergleich dazu entwirft Paulus ein Konzept von ἀγάπη, das über Besitzverzicht und Charismenbesitz gleichermaßen hinausgeht und eine eigene ethisch und konstruktiv-emotional geprägte Gemeindekultur entwickelt. So soll es in der korinthischen Gemeinde zugehen: liebevoll, freundlich, großherzig, rücksichtsvoll im Umgang miteinander und zugleich auf das Eschaton 97 Der Ausdruck
verbindet ethische und eschatologische Bedeutungsmomente. zu Freundschaft. 99 S.o. Anm. 91 zu ζῆλος im Sinne von Rivalität, Wettstreit. 100 S.o. zu Sanftmut statt Hochmut. 101 S.o. zum Zorn. 102 S.o. zu Freundlichkeit. 98 S.o.
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ausgerichtet. Paulus bewegt sich ständig zwischen eher ethischen und eher psychologisch-emotionalen Verhaltensformen hin und her und bringt sie in einen Dialog. V. 12 öffnet endgültig die Perspektive: „Dann (τότε) werden wir in einer eschatologischen Liebesbeziehung leben“. Paulus gibt der ἀγάπη jene emotionalen Züge von „Liebe“, die über eine bloß praktisch-karitative Anwendung von Lev 19,18 hinausweisen. (2) In Phil 2,1–4 beschwört Paulus die Gemeinde in Philippi, einträchtig zu sein, ja mehr noch: in Nachahmung Jesu Christi Demut zu üben und den/die Anderen/Andere höher zu achten als sich selbst: Wenn es nun so etwas wie tröstende Ermahnung (παράκλησις: consolatio/exhortatio) in Christus [gibt], wenn es etwas wie ein Trostmittel der Liebe (παραμύθιον ἀγάπης103) [gibt], wenn es eine Art von Gemeinschaft im Geist (κοινωνία πνεύματος104) [gibt], wenn es eine Form von innerster Barmherzigkeit (σπλάγχνα καὶ οἰκτιρμοί105) [gibt], macht meine Freude (χαρά) vollkommen, dass ihr dasselbe denkt (τὸ αὐτὸ φρονῆτε106), indem ihr dieselbe Liebe (ἀγάπη) habt, einträchtig seid (σύμψυχοι), ein und dasselbe denkt (τὸ ἓν φρονοῦντες), nicht aus Eigennutz107 und nicht aus leerer Ruhmsucht108 [handelt], sondern in Demut (ταπεινοφροσύνη) einander als höher erachtet als euch selbst, indem jeder nicht auf das eine sieht, sondern alle auch auf das, was die anderen betrifft (τὰ ἑτέρων ἔκαστοι). Denkt (φρονεῖτε) das untereinander, was auch in Christus Jesus [ist bzw. gedacht werden muss].109
Dieser Text führt wie in einem Brennglas die Motive von persönlicher (auf Paulus bezogen) und sachlicher (auf die Hörer bezogen) emotionaler Rhetorik und ethischer Weisung zusammen. In der viergliedrigen Protasis (V. 1) bemüht Paulus acht Substantive – ein Verb fehlt –, um eine sprachlich-emotionale Brücke zur Gemeinde in Philippi herzustellen. Der briefeschreibende Redner benutzt auch in diesem Text die Sprache der Liebe110. In der kurzen Apodosis (V. 2a) formuliert er seine eigene Emotion: die χαρά111, die er für sich selbst in Anspruch nimmt und der Gemeinde vermitteln will (1,25). Sein Ziel ist, eine emotional gefärbte ethische Haltung in der Gemeinde in Philippi herzustellen, gleichsam ein kommunitäres Klima von Freude, Einheit, Liebe. Diese Haltung wird in den sechs Bestimmungen zur Apodosis entfaltet (V. 2b–4). Es geht um
„Liebevoller Zuspruch“ (Gen. qual.). Wohl am besten mit „geistgewirkte Gemeinschaft“ zu übersetzen. 105 „Liebe voller Erbarmen“ (Hendiadyoin). 106 Vgl. Röm 12,16; 15,5; 2 Kor 13,11; Phil 4,2. 107 Ἐριθεία: Eigennutz oder Streitsucht, W. Bauer, Wörterbuch, 826. 108 Κενοδοξία: ntl. hap.leg. Adjektiv: Gal 5,26 ebenfalls ntl. hap.leg. 109 Vgl. zum Text: P. A. Holloway, Consolation; ders., Philippians, 111–113; J. Reumann, Philippians, 297–333; E.-M. Becker, Demut; O. Wischmeyer, „Paraklēsis en Christō“. 110 Vgl. die ausführliche Analyse des Vokabulars bei J. Reumann, Philippians, 298–304. 111 Zu χαρά allgemein siehe: A. Inselmann, Freude. Χαρά ist ein paulinischer Vorzugsbegriff zusammen mit dem Verb χαίρειν (besonders in Phil: χαίρειν und συγχαίρειν). 103 104
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eine Ethik der κοινωνία112, deren Herkunft und Wesen geistlich, d. h. geistgewirkt ist (V. 1) und die sich in Einheit und Eintracht realisiert, mehr noch: in der höheren Wertschätzung des Anderen.113 Paulus fasst dieses Ethos in dem ethischnoetischen Konzeptbegriff der ταπεινοφροσύνη zusammen und unterlegt diesem Begriff das Verhalten Jesu Christi als Paradigma (Phil 2,6–11). Eve-Marie Becker hat die Demut bei Paulus „zwischen Ethos und Verstandestugend“ angesiedelt114 und übersetzt ταπεινοφροσύνη als „Niedriggesinnung“.115 Damit ist ein weiteres Beziehungsfeld für die Konstruktion der Ethik des Paulus geöffnet: die φρόνησις.116 Paulus benutzt φρονεῖν häufig im Philipperbrief, besonders markant in 2,5. Hier finden wir das Motiv des λόγος (Argument) aus der Rhetorik des Aristoteles. Das paulinische Konzept von Ethik umfasst Elemente des Tuns, des Verhaltens, der zwischenmenschlichen Beziehungen (Liebe)117, d. h. Emotionen, und der Einsicht. Ein letztes Element ist das öffentliche Erscheinungsbild der Gemeinde, das Paulus überall wichtig ist.118 In Phil 1,27 stellt Paulus seine παράκλησις unter die Überschrift: Wandelt bzw. führt euer Leben (πολιτεύεσθε119) nur würdig des Evangeliums des Christus, dass – sei es, dass ich komme und euch sehe oder dass ich abwesend bin – ich über euch höre, dass ihr in einem Geist steht, mit einer Seele (μιᾷ ψυχῇ120) mitkämpft für die Glaubwürdigkeit (πίστις) des Evangeliums.
Die emotionale Komponente der paulinischen Ethik, die gerade im Philipperbrief deutlich hervortritt, muss also mit den praktischen, noetischen und kommunitären Facetten zusammengesehen werden. Die Ethik des Paulus liegt nicht nur am Schnittpunkt von Tun- oder Tugendethik und emotiver Zuwendung zum Anderen, sondern auch am Schnittpunkt von φρόνησις und öffentlicher Präsenz und Verantwortung. (3) Schließlich ist der Brief an Philemon ein besonderes Beispiel für die emotive Interpretation von ἀγάπη bei Paulus.121 Hier liegt nicht ein Gemeindebrief, sondern ein persönliches Schreiben vor. Paulus stellt durch sein 112 Paulinischer Vorzugsbegriff. Vgl. auch κοινωνεῖν (monetäre Bedeutung) und κοινωνός mehrfach bei Paulus. 113 Dies ist ein sehr moderner Gedanke (Emmanuel Levinas). 114 E.-M. Becker, Demut, 161. 115 A. a. O., 164. 116 Nur Eph 1,8. Φρόνιμος: Röm 11,25; 12,16; 1 Kor 4,10 (kritisch); 10,15; 2 Kor 11,19 (kritisch). 117 O. Wischmeyer, Liebe, 3: „Liebe ist zuerst ein Beziehungsbegriff“. 118 Exemplarisch: 1 Kor 14,20–25. Paulus versteht auch den Gemeindegottesdienst als mindestens potentiell öffentliche Veranstaltung. 119 Πολιτεύεσθαι: Apg 23,1 (sein Leben führen) und Phil 1,27; πολιτεία: Apg 22,28 (Bürgerrecht) und Eph 2,12 (Bürgerrecht Israels); πολίτευμα: Phil 3,20. 120 Gegenbegriff: „Zweiseeler“ (δίψυχος) Jak 1,8; 4,8. 121 Vgl. P. Müller, Brief, besonders 140–144 zu „Grundlegende(n) Begriffe(n)“ und „Sprachbilder(n) für die neue Wirklichkeit“ (140.142).
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Schreiben122 eine Atmosphäre von „Liebe, Glaube, Gemeinschaft“123 her, die Ethik und Emotion in paradigmatischer Weise verbindet und zum Vorbild für spätere pastorale Schreiben und pastorale Sprache wurde. Paulus verzichtet auf den Sprachmodus der apostolischen Anordnung und bittet stattdessen Philemon, den Sklaven Onesimus wieder in sein Haus aufzunehmen. Er wählt nicht die Sprache des autoritativen Befehls (V. 8 ἐπιτάσσειν), sondern die Sprache der Liebe (διὰ τὴν ἀγάπην) und der Bitte (V. 9.10 παρακαλῶ) mit der starken Metaphorik der Familie: Paulus, der Vater des Onesimus, der ihn in der Gefangenschaft gezeugt hat, Onesimus der geliebte Bruder (ἀδελφός ἀγαπητός) des Philemon (seines Herrn) und der geliebte (ἀγαπητός) Philemon, der Bruder des Paulus. Die Beziehung zwischen Philemon und Paulus ist von Liebe, Freude (χαρά), Trost (παράκλησις) und Erquickung (ἀνάπαυσις) bestimmt. Zentraler emotiver Begriff ist das Innerste, das eigene Herz (V. 7.12.20 σπλάγχνα). Paulus appelliert an das Mitleid des Philemon, indem er auf seinen Status als alter Mann und Gefangener hinweist (V. 9). Der Brief ist trotz der Sprache von Liebe, Brüderlichkeit und innerer Bewegtheit nicht ein rein emotionales Schreiben. Die Autorität des Paulus bleibt durchaus gewahrt: „Im Vertrauen auf deinen Gehorsam schreibe ich dir“ (V. 21). Ethisches Handeln und ethische Verpflichtung – in diesem Fall die Wiederaufnahme des Onesimus – werden nicht aufgegeben oder nur auf der emotionalen Ebene angesprochen. Vielmehr schafft Paulus mit seinem Schreiben ein Klima des kommunitären Ethos innerhalb der Christus-gläubigen Gemeinden, das emotional vertieft wird und zu einer eigenen Lebensgemeinschaft führen soll. In den Gemeinden, die Paulus gegründet hat, und zwischen den Mitgliedern dieser Gemeinden soll nicht nur ein Ethos des Tuns herrschen, wie Paulus es in der Kollekte für die Armen in Jerusalem selbst vorantreibt, sondern darüber hinaus ein emotional vertieftes Ethos der ἀγάπη im Sinne der Bruder-Liebe. Von den hier exemplarisch besprochenen und ähnlichen Texten lässt sich die kommunitäre Ethik der paulinischen Gemeinden konstruieren, die ihr Ziel weder in der individuellen Vollkommenheit der Tugenden noch in der emotionalen Empathie findet, sondern in einem gemeinschaftlichen Verhalten, das Ethos, Emotion und Sozialverhalten zu einer neuen Kultur im Horizont des Eschaton verbindet (1 Kor 13,12).
122 A. a. O., 68–78: Müller ordnet den Brief den Bittbriefen zu, weist aber auf den individuellen Charakter des Schreibens mit seinen Elementen von Freude und Gemeinschaft hin. 123 A. a. O., 140.
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III. Texte
12. Romans 1.1–7 and Mark 1.1–3 in Comparison Two Opening Texts at the Beginning of Early Christian Literature* Romans 1 and Mark 1 are the opening sections of two of our earliest Christian texts and therefore can be regarded not only as historical records or sources but also as important theological statements at the outset of early Christian literature1. This general insight leads to the following foci in my comparison: (1) the textual dimension; (2) the literary dimension related to the issue of genre; (3) the literary dimension concerning the question of authorship and audience, the social setting of both texts, as well as the issue of textual pragmatics; (4) the literary dimension of quotations and references; and (5) the literary function of the key term εὐαγγέλιον. Though a comprehensive comparison would necessitate the inclusion of historical and theological2 issues, in this contribution I am focussing especially on the beginnings of Christian literature. Of particular interest is its function as an instrument for the written communication of the central message of those newly-formed groups of Jews and Gentiles who confessed Jesus of Nazareth as Χριστός. My point of departure is the observation that both of these opening sections refer to this central message as εὐαγγέλιον, and give this theme a dominant place at the very beginning of their deliberations or narrative, respectively. This means that in a literary comparison of both texts special attention should be paid to the term εὐαγγέλιον and its meaning and function regarding the writtenness of the gospel.
* I am particularly grateful for the helpful references and critical comments of Elizabeth Struthern Malbon and Margaret M. Mitchell in the discussions during the Copenhagen conference and to Dieter T. Roth, University of Mainz, for his assistance for the English version of this paper. 1 In the following I shall use the term ‘early Christian literature’ in the precanonical sense of: ‘literature of Christ-confessing authors and communities’. 2 One of the most important contributions to the question of the theology of Rom 1 is to be found in G. Agamben’s interpretation of Rom 1.1 (idem, Il tempo); See also O. Wischmeyer, “Konzepte.”
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III. Texte
1. The texts 1.1. Mark 1 The beginning of the Gospel of Mark has often attracted significant scholarly attention, largely due to the fact that the opening verses of the first Gospel permit an initial and crucial consideration of the intentio auctoris, irrespective of the fact that the author remains anonymous3. Most scholars agree that the quotation from Isaiah functions as the key statement for interpreting Jesus as Χριστός (1.1) and υἱὸς θεοῦ (1.1)4 throughout the entire narrative. The function of verse 1, along with the extent and the syntactic structure of verses 1–3 or 1–4, is, however, disputed. If one regards the indication of time, places, and personae as the main components in constructing a narrative, it is evident that the first narrative unit begins with ἐγένετο in verse 4 and includes verses 4–135. The persona is John the Baptist, whose agency, place, and time seem to be known by the intended audience; therefore, the author feels that he does not need to provide a biographical, historical, or topographical introduction of either John, the time, or the place of his baptizing ministry. The author does not comment on any of these in detail. This means that the intended audience is expected to have at least some knowledge of the historical and geographical conditions in which 3 For the interpretative consequences of the term intentio auctoris see: H. Utzschneider et al., “Autorenintention,” 63–66. For traces of the intentio auctoris in the Gospel of Mark see O. Wischmeyer, “Identity Formation,” 355–378. I prefer referring to the text as having a ‘hidden author’ instead of considering it an ‘anonymous writing’ (see footnote 118). 4 For the discussion of the textual variants involving υἱὸς θεοῦ see the commentaries of J. Gnilka, Evangelium; J. Marcus, Mark 1–8; M. E. Boring, Mark; A. Yarbro Collins, Mark. M. Peppard, Son, focuses on the political dimension of the Roman title ‘Son of God’, and argues that the early Christian title for Jesus must be read in this hermeneutical context. Unfortunately, however, he does not consider the quotation of Isaiah and the whole Jewish tradition. 5 On the theme of a Markan “prologue” see E.-M. Becker, “Mark 1:1,” 91–106. Becker gives a thorough overview of the discussion since the 19th century, and on that basis argues convincingly against H.-J. Klauck, Vorspiel. She states “that already Mk 1:4 opens up the Gospel narration and that only Mk 1:1–3 has to be regarded as a literary unity: Mk 1:1–3, however, is in no case part of a ‘Markan prologue’ or a ‘prologue’ in itself. These verses are rather more to be understood as a prooemium to the overall prose-text of the Gospel narrative, consisting of a ‘Buchüberschrift’/title (1:1) and an opening introductory close (1:2–3)” (91). – A different division is preferred by J. Gnilka, J. Marcus, M. E. Boring, and A. Yarbro Collins who read vv. 2–15 as the first narrative unit. See the careful discussion in J. Marcus, Mark 1–8, 137 f. Lit.: J. Gnilka, Evangelium, 39, footnote 1. For my own reading see: O. Wischmeyer, “Zitat,” 175– 186. For a highly detailed discussion of the various types of divisions see M. E. Boring, “Mark 1:1–15,” 43–82. Boring understands v. 1 as a title: “Mark 1:1 is best understood as the author’s title to the whole Gospel, rather than as an element in the first sentence of the narrative” (Mark, 29). – Recently Morna Hooker has argued that the Gospel of Mark should be read in the context of the movement of the ancient Greek tragedy and that Mk 1.1–13 works as prologue: M. Hooker, “News,” 165–180, 166.
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John’s and Jesus’ ministry took place. In other words, the author writes from an internal perspective6 and expects a Christ-believing readership that already has a certain prior understanding of what will follow in the narrative7. In contrast to the beginning of Mark’s narrative, Matthew and Luke chose a neutral or external perspective for the initium of their narratives by introducing their protagonists through genealogies, nativity stories, and precise dating. The second narrative unit in Mark begins with the temporal phrase μετὰ δέ (v. 14) that indicates a change of time and at the same time leads the reader to a new place, namely, to the region of Galilee8. The structure of verses 4–13 is shaped by the copulative conjunction καί. The textual unit is composed of small narrative sub-units that are connected by καί+verb (vv.5a,b,6,7,9a,b,10,11,12,13a, b,c). Regarding the personae, the appearance of Jesus in verse 9, as a second person after John, causes a slight break within the first unit that carries the narrative forward. In short, Mark 1.4–13 functions as the prehistory of the Jesus narrative in that the verses combine the mission of John the Baptist and the first public appearance of Jesus. This structure means that 1.1–3 must be read in syntactical contrast to 1.4–13. These first three verses constitute a textual unit of their own, functioning as an opening clause for both the gospel as a whole and the first narrative unit9. Since, however, the grammatical structure and the function of verse 1 in relation to verses 2–3/4 remain disputed, despite the many discussions of the interpretation of verses 1–4, I shall briefly outline the four syntactic proposals: (1) Verse 1 is an independent sentence without predicate (cf. Mt 1.1) and functions as a heading or title, either of the first narrative unit or of the whole Gospel. Verses 2–4 constitute one compound sentence that compares a quotation from Isaiah with John the Baptist: “According to what is written in Isaiah, … [so] was John in the desert.” In this reading, however, the expected οὕτως would be lacking in v. 410. The OT quotation would – at least initially – be heard or read as an interpretation of John’s message. (2) A different reading integrates verse 1 syntactically into verses 1–3. Verses 1–3 constitute one compound sentence and work as the thematic and narrative 6 See D. E. Aune, “Genre Theory,” 145–175, 164: “Mark was produced by a member of a particular discourse community and was intended for intramural consumption.” I basically share this perspective; however, in my contribution on “Identity Formation by Literature” I have pointed out (as did A. Yarbro Collins) that a narrative is in any case written for a broa der audience. 7 See point 3 of this paper. 8 The same division is found in Nestle-Aland. Collins divides the units between vv. 15 and 16, Marcus reads vv. 14,15 as sub-unit of what he calls the “Markan Prologue (1:1–15),” Mark 1–8, 137. 9 With J. Marcus against E.-M. Becker, “Mark 1:1.” 10 This is the proposal of Nestle-Aland. A. Yarbro Collins chooses this reading and in her translation inserts the missing οὕτως in brackets, 133.
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opening of the Gospel11. The καθώς of verse 2 corresponds to the opening phrase ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου in verse 1. The story of John the Baptist begins in verse 4 and leads the reader into the narrative. The reading of verse 4 as a new and independent sentence makes grammatical sense because the phrase ἐγένετο Ἰωάννης without καί marks the beginning of an independent narrative unit (cf. 14.1 as opening clause of the passion narrative as a whole unit). Furthermore, this rea ding avoids the problems that are caused in the first proposal by the lack of the particle οὕτως. The problem with this proposal, however, is the lack of a verb in v. 1; nevertheless, in my opinion this proposal remains the most probable one. (3) A third view divides verses 1–4 into three sub-units: verse 1 is a title without predicate (as in the first proposal). Verses 2–3 are one compound sentence. Verse 4 is a new opening clause for the narrative of John the Baptist12. In this reading verse 1 functions as a title for the whole Gospel. (4) A forth approach is based on the tradition-historical (traditionsgeschichtliche) method. Joachim Gnilka understands verses 2–15 as the initium of the Gospel of Mark that was composed by Mark, who brought together different traditions13. According to this perspective, Gnilka translates verses 1.2.3 as se parate and independent sentences without verbs and continues by identifying verse 4 as a new and the first complete sentence. Although I prefer the second proposal, the text offers no definitive indication in one or the other syntactical direction. In other words, it is impossible to achieve certainty concerning the precise syntactical structure of Mark 1.1–3. Eve-Marie Becker has pointed out correctly that the verses 1–3 have a “unique … structure”14 in regards to the combination of verse 1 (without predicate) and vv. 2–3 with its complicated mixed quotation. She prefers the idea that v. 1 functions as a “Buchüberschrift”15, but that ἀρχή “remains polyvalent”16, so that we cannot precisely state whether the author refers to the biography of Jesus, to the prophetic roots of the Heilsgeschichte, or to the book initium. In any case, it is, first of all, clear that the Greek of the author, and especially his syntactical skill, is rather unpolished. At the very least, he wrestles stylistically with the quotation17. Secondly, the opening unit’s use of the scriptures (καθὼς γέγραπται) reveals not only the author’s interest in Isaiah 40 (ἐν τῷ Ἠσαῖᾳ τῷ προφήτῃ) but also its hermeneutical significance for the Jesus narrative as a whole and the story of John 11 This is the proposal of J. Marcus, Mark 1–8, 141, with which I agree (O. Wischmeyer, “Zitat,” 179). This view was proposed as far back as H. A. W. Meyer, Evangelien, 12–14. 12 This is the reading of E.-M. Becker, Markus-Evangelium, 238–252 (cf. also her contribution on the Markan prologue, above footnote 5). Becker reads v. 1 as a heading. Her interpretation of vv. 1–4 is similar to that of J. Marcus (proposal 2). 13 J. Gnilka, Evangelium, 40. 14 E.-M. Becker, “Mark 1:1,” 103. 15 Op. cit., 100. See the four different options on p. 101. 16 Loc. cit. 17 See the considerations concerning the quotation below.
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the Baptist in particular. Thirdly, the term of ἀρχή indeed remains polyvalent, as E.-M. Becker argues18. It is obvious that the author intends to allude to Old Testament opening formulae such as Gen 1.1 or – more specifically – Hos 1.2b19. In this sense he writes in the tradition of the Scriptures. In addition, however, M. E. Boring points to Phil 4.15, where Paul uses the syntagma of ‘the beginning of the gospel’ in the sense of his missionary proclamation of Jesus Christ20. It is possible that Mark 1.1–3 draws together these two areas of religious and literary knowledge shared by both the author and his audience. 1.2. Rom 1 Rom 1.1–7 is the expanded greeting of a letter addressing a variety of themes that was written by Paul to the members of the early Christian communities (κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ) in Rome. These verses constitute a complex, but grammatically correct, syntactic unit whose basic structure is that of the particular Pauline letter opening. This address differs from the Greek form in that instead of employing the usual form: “Paul, to all who are in Rome χαίρειν” he writes: “Paul […], to all […] who are in Rome χάρις […] ὑμῖν.” Scholars do not agree on the explanation for the origin of the structure of the Pauline letter opening21, but it is a common observation that the expanded address of Rom 1.1–7 requires special attention, both because of its historical context and because of its theological significance. The text begins in the conventional manner with the name of the letter wri ter. It is undisputed that Romans is an orthonymous document and that we are therefore reading an authentic Pauline letter. Paul writes under his usual Greek name but without referring to any co-writers, or at least other addres sors, as he does elsewhere. The same applies to the addressees, the members of the house churches in Rome, in that Paul does not here mention anybody by name. However, we have some knowledge about a considerable number of named individuals on account of the list of greetings that is added in chapter 16. Since Paul is not known personally by most of the Roman Christians, he introduces himself in an official way, using a tripartite title that includes not only his name22, but also the titles δοῦλος Ἰησοῦ Χριστοῦ23 and κλητὸς ἀπόστολος24. See also M. E. Boring, Mark, 32. See A. Yarbro Collins, Mark, 131. 20 M. E. Boring, Mark, 32. Mark 1.1 is close to Paul in more than one point, and the later authors choose very different introductory phrases see below. 21 This question is of no importance in the context of this investigation. 22 See R. Jewett, Romans, 99 f.: “Paul” is a signum. 23 Also Phil 1.1 (along with Timotheus). Also Tit 1.1: δοῦλος θεοῦ. 24 Also 1 Cor 1.1. 18 19
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Paul adds a further explanation to the second title: ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ25. This last phrase provides Paul with the opportunity to explain the main content and fundamental meaning of εὐαγγέλιον θεοῦ, which he accomplishes by inserting a comment with four primary emphases: (1) the previous history of the εὐαγγέλιον θεοῦ in v. 2, (2) the subject of the εὐαγγέλιον θεοῦ in verses 3–426, (3) his own authority and charge regarding the εὐαγγέλιον θεοῦ in verse 5, and (4) the role of the addressees in the process of announcing the εὐαγγέλιον θεοῦ in verse 6. Analogous to his threefold introduction, Paul addres ses the Romans with care and respect by applying three titles to them as well: ‘Romans’27, ἀγαπητοί, and κλητοί – the same characterization that he applied to himself 28. In this way, he intends to construct and express an equal religious and social status for himself and his addressees. In verses 5 and 6 Paul includes himself and the Roman communities into the process of communicating the εὐαγγέλιον to ‘all nations’. Paul closes his address with his usual29 greeting, which by combining greeting and blessing thereby gives more weight, authority, and religious power to the addressor. The opening as a whole is the expression of Paul’s high self-assessment as well as of his attempt to attribute equal honour to the Roman Christians. Furthermore, the elevated language of his address is part of his literary strategy of introducing himself (not his co-workers or other communities) to the Romans (not only to those he knows personally) by means of a tightly constructed and argued document that functions as a kind of official, theological manifest. In Rom 1.1–7 Paul opens a line of communication with the Roman Christian communities, combining personal communication with a more formal approach. The opening section is so carefully written that we can speak of a literary text in the proper sense of the word. 1.3. Comparing Mark 1 and Rom 1 By comparing the short texts found at the outset of Mark and Romans in terms of their textual structure we can observe a pattern of vocabulary, ideas, and arguments that have much in common. Both texts very closely connect (1) the authority of the prophets with (2) a ground breaking message (εὐαγγέλιον) and with (3) the person of Jesus as Messiah (Χριστός) and son of God (υἱὸς θεοῦ). At 25 See Gal 1.15 in an autobiographical summary. The phrase is not found in any other letter opening. 26 This passage is twofold: v. 3 is concerned with the origin of Jesus, v. 4 is more elaborate and deals with his divine function. 27 See Gal and 1 Cor. Different from Galatians, Paul does not use the address the ‘Romans’, but ‘all Christians in Rome’. 28 See the use of κλητοί in v. 6. 29 See 1 Cor 1.3; 2 Cor 1.2; Gal 1.3; 1 Thess 1.1; Phil 1.2; Phlm 3.
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the same time, the lack of a personal introduction by the author of the Gospel of Mark contrasts sharply with the number of titles through which Paul emphasizes his authorship, his person, his mission, and his authority. The Gospel of Mark directs the focus of its audience exclusively to the narrative of Jesus Christ, son of God. The opening of Paul’s letter to the Romans, by contrast, claims the author’s apostolic authority to proclaim and comment on the εὐαγγέλιον θεοῦ. Roughly the same holds true for the addressees or the audiences: Paul, in his respectful and detailed address to the Christ-believing communities in Rome, combines a personal concern in a current situation with the expression of appreciation and high regard; whereas, the author of the Gospel of Mark gives no indication of the nature of his audience. To put it briefly: both texts deal with the same message (εὐαγγέλιον θεοῦ), but whereas Paul employs an elaborate strategy of pursuing personal communication on equal terms with the Christian communities in Rome, the author of the Gospel of Mark avoids an explicit connection with his audience and instead, by quoting Isaiah, establishes a type of general literary-religious communication with his audience.
2. Literature: the question of genre This first observation leads us to a consideration of the different genres of both texts, as their respective genres have important implications for the different communicative situations discussed above. The Letter to the Romans belongs to the epistolographic genre; the Gospel of Mark is a narrative. Since scholars have not been able to agree on the specific definition of either the genre of Paul’s letter or of the Gospel of Mark, I shall briefly consider the present state of the discussion30. 2.1. Romans For the Letter to the Romans, Robert Jewett31 has summarized the main positions advocated in scholarly work since the publication of Karl Paul Donfried’s “The Romans Debate” in 197732. Jewett points out that before Wilhelm Wuellner’s
30 The following remarks may demonstrate that despite the ingenious critique of D. E. Aune, “Genre Theory,” concerning the concept of literary genres as a whole, genre questions still remain important and indispensable interpretative instruments for reading the New Testament texts. Only a careful discussion of the genre issues will provide a reliable basis of fresh interpretative approaches. 31 R. Jewett, Romans, see also idem, “Romans,” 5–20. 32 K. P. Donfried (ed.), Romans Debate.
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new approach33 two major paradigms of interpreting the genre and the purpose of the letter were advanced. On the one hand, Romans was interpreted as “a theological treatise or a circular letter,” and on the other hand, as “a situational letter.” Jewett observes: “The conclusion one is inclined to draw from these valuable essays … is that the conflict is irresolvable”34. This statement sheds light on the important scholarly impact made by Wuellner’s approach. Jewett argues that Wuellner took a first and decisive step forward by introducing rhetorical theory into the issue and by pleading for the interpretation of Romans as part of the epideictic genre instead of the deliberative or apologetic or forensic genre. Jewett himself offers new and promising perspectives for interpreting the genre of Romans by considering the theory of rhetoric and the theory of epistolography in more detail. He aims to modify Wuellner’s hypothesis and present it in a concrete form by applying Theodore C. Burgess’ categories of epideictic literature35. He pays special interest to Burgess’ 19th category of “ambassador’s speech”36. On this basis he interprets Romans as “a unique fusion of the ‘ambassadorial letter’ with several of the other subtypes in the genre: the parenetic letter, the hortatory letter, and the philosophical diatribe”37. Both scholars, Wuellner and Jewett, combine and mix characteristic features from different fields including epistolography, rhetoric, rhetorical theory, theory of literary genres, and philosophical genres, without, however, discussing the connection between these items. Jewett, moreover, fails to name any literary examples of ambassadorial letters38. Nevertheless, Jewett’s labelling of the Letter of Romans is extraordinarily helpful because he widens the interpretative horizon of the genre-discussion by pointing out that Paul claimed a “diplomatic role”39 for himself and that “Paul’s self-identity”40 was strongly shaped by his self-understanding as an ambassador (πρεσβευτής41) of God42. These observations create the opportunity for a particular political reading of Romans in the sense that Paul understood his apostolic mission within the framework of the imperium Romanum (1.5)43.
33 W. Wuellner, “Paul’s Rhetoric,” 330–351 (reprinted in: K. P. Donfried [ed.], Romans Debate. Rev. ed., 128–146). 34 R. Jewett, Romans, 42. 35 Th. C. Burgess, Studies, 110–113. 36 R. Jewett, Romans, 43. 37 Op. cit., 44. 38 But see Philo’s Legatio ad Gaium. The Legatio is not an ambassadorial letter, but the legatio is the reason for Philo’s report. 39 R. Jewett, Romans, 45. 40 Op. cit., 46. 41 See 2 Cor 5.20. 42 See R. Jewett, Romans, 44–46. The term ambassador fits Paul better than the more general label of agent that is often used in recent scholarship on Paul. 43 See also S. Byrskog, “Epistolography”; G. Theissen, Entstehung, 105 f.; O. Wischmeyer, “Mission,” 90–121.
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If one agrees with Jewett’s analysis44, the leading role of the term εὐαγγέλιον in the address will become more evident. The ἀπόστολος45 or πρεσβευτής writes an official letter to a city or a province (in the case of Romans to the Christian communities in Rome) announcing his arrival and promoting and interpreting his broader mission (in the case of Romans the εὐαγγέλιον). He presents the values which he wants to get the people (in the case of Romans the Christian communities in Rome) to embrace and expresses the desire for them to help him with his further mission (in the case of the Christians in Rome with his mission in Spain). Interpreted through the lens of Jewett, the letter is the instrument of previous communication of the εὐαγγέλιον, which can be interpreted as the basic concern of the ambassador’s mission. If we read Romans from this perspective, the letter appears as what it is: an instrument of communication within a particular literary strategy of the apostle or ambassador Paul that, at the same time, retains its evident theological, i. e. propositional, character. 2.2. Mark The debate over the gospel genre is perhaps even more complicated and intriguing than the debate concerning the genre of Romans. Adela Yarbro Collins gives an outline of the current state of research in her commentary46, sketching the development of the most prevalent view since Charles H. Talbert47, namely, the biography-hypothesis. I will not discuss the earlier history of research and the works of, e. g., Johannes Weiß and Friedrich Leo nor the studies of Richard A. Burridge48, Klaus Baltzer49, and Detlev Dormeyer50. Collins herself contri butes to the further development of the biography-hypothesis by proposing “a new classification, according to function”51, listing six types of biography (encomiastic, scholarly, didactic, ethical, entertaining, historical biography). She tends towards the view that the “historical type of biography is the one that is most similar to the Gospels”52, but also notes their “important affinity 44 For details see O. Wischmeyer/E.-M. Becker (ed.), Paulus, 441 f. In my analysis I point out that 1.18–3.20 should be read as τύπος κατηγορικός and 3.21–8.29 as τύπος αἰτιολογικός Romans has a rich internal structure, a factor that is implicitly conceded by Jewett when he adds – not very clearly however – the aspects of parenesis and diatribe to his main characteristic of Romans as an ambassadorial letter. 45 See R. Jewett, Romans, 44. 46 A. Yarbro Collins, Mark, 19–43. 47 Ch. H. Talbert, What is a Gospel?; idem, “Biographies,” 1619–1651. 48 R. A. Burridge, What are the Gospels? 49 K. Baltzer, Biographie. 50 D. Dormeyer, Markusevangelium. 51 A. Yarbro Collins, Mark, 30. 52 Op. cit., 33.
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with … the didactic type”53. Further, for Collins the gospels are “close to the historical monograph, which focuses on a single person”54. Collins argues: “Whether one defines Mark as a historical biography or a historical monograph depends on one’s perception of where the emphasis in Mark lies: on the activity and fate of Jesus or on God’s plan for the fulfilment of history in which he played a decisive role”55. In this scholarly context Collins herself enriches the category of ‘historical biography’ or ‘historical monograph’ through the inclusion of the eschatological dimension with a view towards Mark 13. Accordingly, she defines Mark as an “eschatological historical monograph”56. It is clear that Collins is not particularly interested in a definitive decision on the question of genre in terms of either biography or historiography, but in the particular Jewish category of eschatology. Though Collins thereby – like Jewett for Romans – introduces nonliterary, that is theological or religious, categories into the discourse on the genre of the Gospel of Mark, her definition makes sense in that one cannot speak about history and historiography in Mark without acknowledging the eschatological or, more precisely, the apocalyptic character of the idea of history in the first Gospel. To some degree this eschatological aspect distinguishes the Gospel of Mark from Greek and Roman historiographical monographs57. Whereas Adela Collins leaves the question of the biography-hypothesis open, and finds the eschatological dimension of Mark more significant, Eve-Marie Becker has mo dified the discussion concerning the biography-hypothesis, which recently has been advanced once again by Gerd Theissen58. She argues in the other direction by painstakingly connecting Mark to Hellenistic historiography and interpreting Mark’s narrative as a new sub-genre – ‘gospel’ – in the broader flexible and innovative literary framework or laboratorium according to which Hellenistic historiography is defined by contemporary classical scholars. Her definition has three clear advantages compared to the biography-hypothesis. (1) She argues strictly within the field of Hellenistic genre-theory without including additional elements from the fields of history of religions or theological interpretation. (2) The definition enables us to understand the author’s literary task as shaping a historical narrative on the basis of various traditions and thereby to take seriously 53 Loc.
cit. cit. See also E.-M. Becker’s definition of Mark as “personenzentrierte Geschichtsschreibung,” Markus-Evangelium, 191–194.264 f.411. 55 A. Yarbro Collins, Mark, 33. 56 Op. cit., 42. 57 There is, however, a certain eschatological perspective in some Hellenistic-Roman historiographical writings, esp. in Josephus. See also the future dimension of Pliny’s panegyricus on Traian 17 and 18 (R. A. B. Mynors, XII Panegyrici Latini). See: W. Kühn (ed.), Plinius. Kühn comments on paragraph 17 as follows: “Eine Vision des Triumphs, den Trajan nach siegreicher Beendigung des 1. Dakerkrieges i.J. 103 feierte. Wenn die Überarbeitung des Panegyrikus nicht später als 101 anzusetzen ist, dann war dies eine echte Prophezeiung” (187). 58 See Theissen’s support of the biography-hypothesis: Entstehung, 84–92. 54 Loc.
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the history of traditions behind the coherent narrative. This means that we cannot read Mark simply on the synchronic level like a novel, but must always consider the prior tradition and the author’s interest in passing down this tradition to his audience by embedding it in the context of his narrative. (3) Interpreting Mark as at least partly belonging to the genre of historiography leads to the recognition of the general historical dimension of the first Gospel. While Paul and the author of Mark share an apocalyptic view of history as God’s activity in regard to humanity, the historical dimension of the Gospel of Mark and the historiographical approach to Jesus are not in focus in Romans or in Paul’s letters in general59. David E. Aune has recently written a remarkable article on “Genre Theory and the Genre-Function of Mark and Matthew”60 that gives a valuable critical update of the broader genre-discussion, in particular from the perspective of contemporary literary criticism. Aune once more takes Richard A. Burridge’s monograph on the genre of the gospels as his point of departure61. He argues along the lines of the biography-hypothesis, but modifies the hypothesis by introducing the aspect of parody: “… the Gospel of Mark …, represents both an imitative and transformative reaction to existing literary genres, i. e., Mark in particular is a type of Greco-Roman biography in the special sense that it is a parody of that genre”62. Aune arrives at his definition through a comparison of Mark with Hellenistic-Roman biographies. He notices the differences between the literarycultural milieu and the values that are predominant in the Hellenistic-Roman literature and those that are passed on in the Gospel of Mark63. Aune’s new attempt to read Mark as a critical contribution to Greco-Roman biographical literature, however, is not as far removed from the historiography hypothesis as one might assume. He stresses the affinity of his genre hypothesis with historical truth: “Mark’s narrative is designed to convey truth and meaning as well as autho rity, plausibility, and realism”64. I would like to place even more emphasis on 59 This statement does not deny that Paul had an idea of history in general and of the historical dimension of Jesus in particular. But in his letters he does not elaborate on the history and mission of Jesus between Galilee and Jerusalem, but focuses rather on the present and future impact of the death and resurrection of Christ for ‘Jews and Greeks’. See the contribution on ‘History’ by E.-M. Becker in Paul and Mark (ed. O. Wischmeyer/D. C. Sim/I. J. Elmer). 60 D. E. Aune, “Genre Theory,” 145–175. 61 R. A. Burridge, What are the Gospels? Though Aune argues convincingly along the lines of contemporary genre theory, I would like to have seen discussion on the historiography hypothesis and the genre discussion in the classics. See the article by W. Kofler on “Gattungen,” 189–193. W. Kofler refers to a ‘Kreuzung der Gattungen’ (W. Kroll) for the Hellenistic-Roman literature (192). 62 D. E. Aune, “Genre Theory,” 147. Aune understands ‘literary parody’ as defined by S. Dentith, Parody. It is a “cultural practice which provides a relatively polemical allusive imitation of another cultural production or practice” (Dentith, Parody, 9, quoted by Aune on p. 169). 63 Aune, “Genre Theory,” 167 f. 64 Op. cit., 165.
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the historical impact of the Gospel of Mark for the shaping of the overall Jesus narrative. But what Aune certainly ignores in his contribution is the question of whether Mark only de facto works as a parody of the Greco-Roman biography or whether this effect is intended. The latter would result in a substantial difference of scholarly constructions of the author because it would take for granted that at least in some way the author not only knew biographies, but beyond that had the intention of giving a literary answer to them in the form of a parody. In other words, in this case the author would have interacted in a sophisticated way with the Hellenistic-Roman literary scene. It seems to me as though it may be a bit bold to make such a claim. 2.3. Comparative interpretation Defining the genre of Mark has two consequences for a comparative interpretation. In the first place, it means that the Gospel was written as a coherent narrative and should be interpreted using the methods of narrative criticism65. Because neither the author nor the audience of the first Gospel is known to us, all questions concerning the literary purpose and the pragmatics of the text remain controversial. The modern reader and interpreter can only refer to and is thus entirely dependent on the narrative itself. Secondly the narrative itself is neither a novel nor a romance – that would mean it is a literary fiction – nor is it an apocalyptic outline of God’s meta-history – this would mean it is an apocalypse in the proper literary sense. Rather, it contains numerous elements of a historical narrative: real topographical, chronological, prosopographical, and political data66. But these criteria also apply to the genre of biography and chapter 13, at least, adds the aspect of apocalyptic expectation to the narrative. The Letter to the Romans on the contrary is a document contemporary to its time and references the current situation, including the autobiographical situation of Paul himself (ch. 15 and 16). Paul does not offer historical data or allusions to contemporary history in his address to the Romans67, whereas Mark begins his narrative with the well-known historical figure of John the Baptist. It would be too simple to claim the contrast between past and present as the main difference between Mark 1 and Romans 1, but it is important that a comparison of the genres consider the different concepts of time of both authors68. Furthermore, though both texts share an apocalyptic view of the future (Romans 13), this view must be part of the comparison too. See esp. E. Struthers Malbon (ed.), Author; eadem, Mark’s Jesus. This is confirmed in D. E. Aune, “Genre Theory,” 165 f. 67 One can argue that Paul mentions historical David, but in his argument David is first and foremost a theological figure. 68 See O. Wischmeyer, “Konzepte.” 65 66
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In sum, the discussion concerning the genre of Mark or the attempt to attach a particular genre label to the gospel is open. Proposals that combine characteristics from different fields (as A. Yarbro Collins does) seem to be reasonable, since the Gospel of Mark is a hybrid piece of religious literature. At any rate, it is an example of narrative literature in the Early Christian communities. To some degree it corresponds to Hellenistic-Roman narrative genres, but at the same time it is also something new and immediately successful in that creates its own successors. Concerning the genre of Romans, the proposal of R. Jewett is particularly promising and it has certain elements in common with the composite proposals for Mark. The category of an ambassadorial letter is also a hybrid, a synthesis of form and content, but nevertheless seems to fit the letter quite well. Like the Gospel of Mark, the Letter to the Romans was successful in terms of genre-building: texts like Ephesians or Hebrews make use of the expanded letter form and its elevated style.
3. Literature: authors, audiences, and textual pragmatics Comparing both texts in respect to their literary character beyond simply the question of genre requires, first of all, discussion concerning their different literary settings and conditions, in particular discussion concerning authorship and the role of the authors, to the extent that they can be reconstructed from the introductory passages of both texts. According to the recent shifts from Redaktionsgeschichte to Rezeptionsgeschichte and the interest in interpreting New Testament texts, and especially the gospels, from the perspective of orality69 rather than of writtenness, New Testament scholarship has focussed extensively on the issue of the audience of the gospel narrative. Many scholars underscore the oral
69 In this contribution I cannot discuss the concept of orality that is promoted by a group of scholars in connection with the Gospel of Mark (see the introduction to oral tradition in the gospels in the well-balanced article by W. H. Kelber, “Oral tradition (NT),” 30–34). Kelber is right in stating: “Whatever the genetic history of the Gospels, their narrative design appeals to the ear more than to the eye … There is no suggest that the Gospels are oral traditional literature, e. g., direct transscriptions of the same oral story … The marks of textuality are unmistakably present in the Gospels. But textual constructions and dependencies notwithstanding, the gospel narratives still operate in the interest of an aesthetics of hearing” (32). I share Kelber’s evaluation, but it applies to almost every kind of Greco-Roman literature and therefore does not work well for defining the particular literary attributes of the gospels. In my view the Gospel of Mark is a first attempt of a member of an Early Christian community to author a book on τὸ εὐαγγέλιον Ἰησοῦ Χριστοῦ in the shape of a written narrative. Therefore I utilize the term author instead of narrator or even storyteller. E. Struthers Malbon avoids the fallacy of mere orality by applying the method of narrative criticism to the Gospel of Mark. She argues that narrative criticism analyses the text itself and outlines its narrative quality: E. Struthers Malbon, “Narrative Criticism,” 23–49.
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performance of the early Christian texts in community gatherings70 and attempt to interpret the Gospel of Mark along the lines of its supposed function in the services. I have commented elsewhere on this approach71, pointing out that our knowledge of the earliest history of community-services is far too limited for precise statements concerning the role of the gospels in these services. In addition, the Gospel of Mark clearly is a coherent and well-composed narrative of considerable length that has been passed down to us as a written document. It is, therefore, best interpreted as written by an author and to be understood as intended to be read or recited as a whole72. At the same time, of course, the Gospel of Mark was recited in Early Christian communities. Public and private oral performances were part of the literary life of the Greco-Roman culture, and it is vital to consider the communicative factor of the recital of literary texts both in the Greco-Roman and in the Jewish culture to which the emerging Christian communities of the first century A. D. still belonged. Public recitals of narrative and poetic literature, as well as of rhetorical texts or other prose texts (Sachprosa), do not negate the significance or the conception of the literary author in Greek and Roman literature. To the contrary, the author remains one of the vital components of literary criticism (Literaturwissenschaft), especially after the renowned and protracted debate on the ‘death of the author’73, the outcome of which was not only the rehabilitation of the category74, but also a fresh awareness of the interpretative implications of the concept. In any case, the comparison of the literary role of the author of Romans and the Gospel of Mark sheds light on the importance of the concept for our enterprise. 3.1. Comparing the authors The ambassadorial epistle to the Romans – if we label Romans in this way – has been shown to be a text that functions as a tool for establishing successful communication between Paul and the Christ-confessing communities in Rome. The Letter to the Romans is not an epistle in the philosophical or literary sense; nevertheless, its meticulous rhetorical structure, stylistic quality, vitally significant subject matters, and underlying pragmatics reveal that Romans has meta-communicative virtue75 that certainly allows the letter to be viewed as 70 See e. g. A. Yarbro Collins, Mark, 598. More detailed: M. Müller, “Place,” 259–269, 260 f. (with reference to Lars Hartman). 71 O. Wischmeyer, “Identity Formation,” 367. 72 This is not meant to imply that Mark must or should always be read or recited all at once but that it was meant to be received as a whole and not in separate textual units. 73 See: F. Jannidis et al. (ed.), Texte; J. A. Loader et al., “Autor,” 60–63. 74 See: F. Jannidis et al. (ed.), Rückkehr. 75 E.-M. Becker, Schreiben und Verstehen, 133–140.
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high-quality religious literature76. As I have already pointed out, Paul, taking advantage of the opportunity presented in the form of the letter opening, presents himself as a religious leader and shapes his official position extremely conspicuously, autonomously, and independent as God’s direct minister (δοῦλος) and agent (ἀπόστολος) or ambassador. He continues and strengthens this personal presentation in verses 8–1577. In this way, though the stress on Paul’s authorship in Rom 1 is partly due to the letter genre, verse 1 also expresses Paul’s particular and excessive self-conceptualizing and Rom 1.1–7 works as the literary selfpresentation or self-fashioning of Paul’s person at the beginning of the letter78. He claims the title of an apostle for himself 79 and thereby attributes to himself the utmost honour in the religious and social communities of the earliest Christians. Moreover, he connects his person so tightly with God’s salvific plans that he appears to play a particularly vital role in God’s salvation history. We have no evidence for any other person in the first generation of Christians claiming a comparable position for their own person80. Quite the contrary: the texts that aim to honour and dignify the person and the religious role of Peter (Mt 16.17–19; John 21.15–19) are part of the authors’ narrative, not instruments of the personal, self-presentation of Peter. The author of the Gospel of Mark uses a different literary strategy. He begins his communication with his literary audience with the phrase Ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ θεοῦ, a phrase that must be read first of all in continuity with the Hebrew prophets, and especially as analogous to Hos 1.2: Ἀρχὴ λόγου κυρίου πρὸς Ωση. Comparing Hosea with Mark, however, is important not merely to become aware of the same introductory terms in ἀρχὴ λόγου κυρίου and ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ81, which establish a clear connection between the two texts, but also in order to notice a major difference regarding the literary setting. The opening of Hosea names a person from the Jewish past, the prophet Hosea. Though Hosea is not directly introduced as the author of the biblical ‘Book of Hosea’ or as the author of the λόγοι, nevertheless, the name ‘Hosea’ marks a historical person with whom the Book of Hosea is connected and from whom it has taken its point of departure and its distinct authority. But who is the person with whom the Gospel of Mark is affiliated? Or, in other words, who is the person who ‘authorises’ the following narrative? For this term see G. Theissen, Entstehung. See also 15.14 ff. and Gal 1.1,11 f.,15. 78 Compare the cultural gesture of ‘self-fashioning’ by the English renaissance authors (Stephen Greenblatt). 79 Compare the different manner in which Luke constructs his depiction of Paul in Acts. 80 R. Jewett reads Paul’s self-presentation and his estimation of the Roman Christians as expression of the honor-shame concept, Romans, 46 ff. This reading makes sense particularly for Rom 1,1–7. 81 See A. Yarbro Collins, Mark, 131. 76 77
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It is not the prophet Hosea because even though the wording of verse 1 can be heard or read as an allusion to the Book of Hosea, it does not allude to the prophet as author. John the Baptist (v. 4) is the person through whom the author dates the beginning of his narrative; yet, he is part of the narrative and not its author. The prophet Isaiah is quoted in verse 2, but he is not part of the history of the ἀρχή in that he only predicts the history of the ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ. John’s mission is interpreted by the quotation from Isaiah, and in this way, both the prophet and John function as the theological and historical point of departure for the Gospel narrative, but not as the authority behind the following texts. Actually, Jesus himself is the individual in focus at the very beginning of the Book of Mark. It is Jesus about whom the book is written. Jesus is the subject of the author’s narrative, but even Jesus is not introduced or thought of as the author of the Gospel82. The second double genitive, Ἰησοῦ Χριστοῦ, can be interpreted as either an objective or as a subjective genitive (in the sense of Mk 1.14); however, it does not name the author in the sense of ‘the εὐαγγελίον, written by Jesus’. The author’s name or person simply is not made known to the audience. Instead, the author creates a literary setting that leads the auditor to expect a prophetic narrative83. An audience educated in the Jewish tradition would remember the beginning of the Book of Hosea and its prophetic message and at the same time recognize the prophetic quotation from Isaiah. In this scenario, no self-introduction by the author is needed. In sum, the opening to the Gospel uses the term εὐαγγέλιον in an ambiguous way, disguising both whether εὐαγγέλιον Ἰησοῦ Χριστοῦ should be read either as a subjective or an objective genitive and the exact nature of the relationship between the εὐαγγέλιον and Isaiah. There is no author – neither God nor Jesus Christ nor a prophet nor a person like Μᾶρκος – and there is no address to an audience. The authority that underlies the narrative is the authority of Jesus Christ in continuity with the prophets that is to say of the εὐαγγέλιον itself. The authority of the Gospel of Mark is not that of an author but rather the foundation upon which the narrative is constructed. The questions of whether or to what extent the author reflected upon his own role in writing the narrative of the ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ cannot be answered. But it is obvious that the author was not interested in the role of an author, whether in regard to his own person, to his authority, to the apostolic dignity of his sources, or to his literary competence. In this respect what the author writes comes to the audience as a direct narrative report without an author84. The narrative obtains its authority by 82 Against G. Theissen, Entstehung, who speaks somewhat vaguely or metaphorically of Jesus as the charismatic figure at the beginning of the Gospel. 83 This observation is close to A. Yarbro Collins’ definition of the genre of Mark. 84 This is very different from the Gospel of Luke and the Gospel of John. It is only in the Gospel of Matthew that the author hides himself in the same way.
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its brevitas, its evidence, and first and foremost by its content: the message of the εὐαγγέλιον Ἰησοῦ Χριστοῦ. The self-understanding and self-presentation of the authors turns out to be one of the primary issues in the comparison of Romans and Mark. On the one hand we find one of the leading persons of early Christianity interpreting himself as ἀπόστολος Ἰησοῦ Χριστοῦ without any substantial personal connection to or even knowledge of Jesus of Nazareth, and on the other hand we read the oldest report on what Jesus of Nazareth did and said as recorded by an author who does not give any reference either to his own person and authority or to his sources85. As a result, the author does not provide his literary audience with insight into his commission. There is no reference to a commission mediated either by Jesus himself, a community, or the apostle Peter. This literary attitude may lead New Testament scholarship to a fresh discussion of the different concepts of authorship, authority86, self-presentation, and reference – questions that need to be considered not only in some type of labelling such as ‘apostolic’ or ‘deutero-apostolic’ or ‘orthonymous’, ‘pseudonymous’, or ‘anonymous’ writing, but which need to be located within the broader context of contemporary Greek, Roman, and Jewish literature and their concepts of authoring their books87. 3.2. Comparing the audiences The analysis of the audience leads to results corresponding to those concerning the authorship. By drawing from the Letter to the Romans scholarship has achieved significant insights into the particular character of the early Roman Christian communities. The first audience of the Letter to the Romans has been reconstructed by the groundbreaking study on the early Roman Christianity by Peter Lampe88. Lampe reconstructs about seven Christian groups in Rome that were founded by returning refugees after the edict of Claudius. Only the house of Aquila and Prisca seems to have named their assembly ἐκκλησία. Jewett argues that the majority of Roman Christians belonged to what he labels “tenement churches.” He calls into question the hypothesis of house-churches by stating: 85 Notice the different way in which a person like Papias of Hierapolis authors his collection of λόγια κυρίου. 86 The theme of the authority of Paul’s letters is also discussed in G. Theissen, Entstehung, 105; 134. 87 Possible concepts are: eyewitness, informants, historiographical studies, reference to documents and sources, old tradition, inspiration, and other kinds of authorizing. In particular interesting is the way of authorizing public declarations like laws or edicta by beginning with a political self-presentation. Quite another way of authorizing is the concept of pseudepigraphy as writing under the name of one of the leading figures of Israel that is an essential part of Jewish literary culture. 88 P. Lampe, Christen.
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“If the evidence of agapic communalism were taken seriously, it would be clear that at least in Rome and Thessalonica the numerical preponderance of groups fell in the category of tenement churches”89. For my purposes in this contribution it is unnecessary to refer to the historical details of Lampe’s and Jewett’s reconstructions; however, it is important to stress that Romans 1690, with its rich and unparalleled data concerning the Roman Christians, documents not only of Paul’s interest in Christian persons – male and female – and his personal approach to his mission of preaching the εὐαγγέλιον, but highlights his abi lity to establish personal connections even with communities to whom he was unknown. We come to realize that Paul would not write a letter without commenting on his own person, creating a communicative situation, and addressing a particular audience. Adela Yarbro Collins provides a detailed and balanced introduction to the issue of the “Audience and Purpose” of Mark’s Gospel91. She, to a certain degree, rejects the Galilee-hypothesis (W. Marxsen), the Rome-hypothesis (B. Incignieri), and Hendrika Roskam’s monograph on the purpose of Mark as an apology for the Galilean Christians after 70 A. D. in a situation of persecution92, but Collins also finds Richard Bauckham’s idea of “The Gospels for all Christians”93 rather speculative. Her conclusion is modest and fair: “The evidence is not strong enough to point definitively to either Rome or Antioch, but it is compatible with both locations (and others). With regard to the purpose of Mark it is likely that the author had more than one aim”94. If we follow Adela Yarbro Collins95, we can conclude that the audience of Mark was not restricted to a certain city or region, as Joel Marcus or Henrika Roskam contend, but that it can be reconstructed as an ordinary early Christian community in one of the urban centres of the imperium Romanum – such as Antioch, Smyrna, Ephesus, or Rome96 – where communities of reasonable size had already formed. These communities were not as homogeneous as some scholars assume. Robert Jewett has convincingly demonstrated the plurality of factions among the communities in Rome97, and we need not comment on the obvious factions in Corinth and in R. Jewett, Romans, 69. See R. Jewett, Romans for the purpose of ch. 16, 949–984. Jewett’s excellent analysis shows that the deliberations concerning the original place and role of chapter 16 in Paul’s correspondence (see, O. Wischmeyer/E.-M. Becker [ed.], Paulus, 430–432) often overlook the communicative situation of the letter. Ch. 16 is best read as an original part of Romans. 91 A. Yarbro Collins, Mark, 96–102. 92 H. Roskam, Purpose. See also A. Winn, Purpose. 93 R. Bauckham, “Gospels,” 9–48. See J. Marcus’ discussion against Bauckham, Mark 1–8, 26–28. I. H. Henderson, “Audience,” 6–28, argues in favor of Bauckham’s proposal. 94 A. Yarbro Collins, Mark, 101 f. J. Marcus pleads for Antioch and for a historical context of persecution, 33–37. 95 See the detailed analysis in: O. Wischmeyer, “Identity Formation.” 96 There is no evidence pointing to Alexandria in either the papyri or early Christian tradition. 97 R. Jewett, Romans, 70–72. 89 90
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Antioch. It can therefore be concluded that there is neither a need to reconstruct the social milieu of the audience of the Gospel of Mark in a particular regional sense nor a need to outline the author’s (or the book’s) distinct purpose. The only issues concerning which there is relative certainty are, on the one hand, the close affinity of the audience to the Septuagint – at least in the author’s mind and in his literary strategy – and, on the other hand, the interest of the audience in a ‘Jesus-narrative’. The audience wants to hear or to read a detailed account of Jesus’s life, his teaching, and in particular of his death. It is through the manner in which the author of the Gospel structures and presents the εὐαγγέλιον that we find the main difference between the audience of Romans and the audience of the communities of the Gospel of Mark. 3.3. Comparing pragmatics The issue of pragmatics can be addressed rather briefly. As I have already contended, the pragmatics of the Letter to the Romans has been outlined convincingly by Robert Jewett. The letter serves a primary purpose98, namely the mission to Spain, and thereby contains concrete textual pragmatics. Paul writes as part of his preparation for the mission to Spain, and the members of the Roman Christ-believing communities are asked to support his mission. As for comparable textual pragmatics of Mark, I agree with the statement of Adela Collins that Mark functions as a narrative. Unlike the Letter to the Romans, Mark serves a number of different purposes and need not be reduced to concrete practical purposes. Even if one concedes that 13.14 includes a dramatic address to the readers with a concrete demand, one need not reduce the whole narrative with its broad narrative and parenetic materials to a call to leave Jerusalem. If the advice to flee had been what the author had in mind, he would have presented it in another way and in a manner that the audience could follow. After all, is it really reasonable to state that the rather long and detailed narrative of Mark served the purpose of warning the Christ-believing communities to leave Jerusalem? It is obvious that both texts are operating, from the outset, with different pragmatics. This difference arises out of the different communicative situations and corresponds to the different genres and different concepts of authorship and authority. In other words, the difference is due to the differing literature involved. We need not restrict ourselves to the genre difference, however, and can advance the discussion by raising the specific issue of the literary function of both texts. I would like to suggest that the author of the Gospel of Mark wrote 98 Op. cit., 80–941. In my view Jewett’s analysis is an important step forward concerning the topic of “The Reason for Romans” (see A. J. M. Wedderburn, Reason).
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the first Christian book99, and thereby, for the first time, introduced early Christianity into the different fields and contexts of contemporary literary activity, i. e., the Greco-Roman and the Jewish literature of the 1st century A. D.100. Additionally, I would contend that only Mark, and not Romans, functions as a book and is thereby to be regarded as a genuinely new attempt to create religious literature.
4. Quotations and references The topic of the book101 can be explored further by discussing the function of references and quotations in both opening texts. Whereas Mark begins with a long mixed quotation attributed to Isaiah, in Romans 1 Paul refers to the prophets and their holy scriptures in general. The Letter to the Romans was probably written by Paul in the spring of 56 A. D. during his stay in Corinth in the house of Gaius. The letter was dictated to Tertius, who also was a member of the Christian community in Corinth. Paul seems to have had suitable circumstances for the composition of a very long and complicated letter, namely, being hosted by Gaius and being equipped with a secretary. At that moment he seems to have been enjoying a good relationship with the members of the Corinthian community, a community that he not only established, but that also was one of his most important and successful102. For my argument here, the presence of prosperous former members of the Jewish community in Corinth, who had been converted103 to the Christian confession104, is of special interest. Perhaps they were able to provide Paul with Greek manuscripts of at least Isaiah and the Psalms. Be that as it may, he was in a location where ‘Scripture’ was well known and also, in some way or the other, available. 99 This statement does not intend to interpret the εὐαγγέλιον in Rom 1.1 in the sense of the ‘book of the Gospel’; see M. E. Boring, Mark, 31: “Here, however, ‘the gospel of Jesus Christ’ refers not to a book but to the good news of God’s saving act in Jesus Christ, the message proclaimed by the church of Mark’s day.” 100 In my view it is one of the most remarkable characteristics of the culture of the first century A. D. that three cultural spheres existed side by side: the highly developed and most prestigious Greek literature, a rather young, but already extremely advanced Latin literature, and the Greek literature of the Jews who lived within the Roman Empire. The Jewish literature of the 1st century is quite varied in terms of genre, topics, and style and includes authors such as Philo, Josephus, the author of 4 Macc etc. New Testament scholarship should realize that 1st century Greek speaking Jewish culture had a manifold and high ranking literary activity that achieved, at least to some degree, the level of the contemporary Hellenistic-Roman literature. 101 See the new approach to the issue of the codex in: R. S. Bagnell, Books. 102 See the introduction in D. Zeller, Brief, 29–45. See also the contributions in: Ch. Karakolis/K. Bezelos/S. Despotis (ed.), Paul. 103 For the term ‘conversion’ see D. Stökl Ben Ezra, “Confession, Judaism.” 104 1 Cor 8.6; 12.3 and Rom 10.10. The term is ὁμολογεῖν.
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The notable stylistic and aesthetic quality of Romans in general, along with the meticulously outlined prescript that serves as rhetorical exordium105, fit this scenario. As we have already seen, in Romans Paul is not far from some kind of literary activity in the narrow sense of the word. It is within this framework that Rom 1.2 must be interpreted. The wording of ὃ προεπηγγείλατο διὰ τῶν προφητῶν αὐτοῦ ἐν γραφαῖς ἁγίαις has no parallel in the New Testament writings and attracts the attention of the audience by its elevated style106. Some similar, or at least related, aspects can be found in the complicated introductory passage of Mark107. The author combines different quotes from the prophets ascribing them to Isaiah108. Though the passage of Mk 1.1–4 is somewhat opaque in its syntax, as I have already demonstrated, the brief and tightly structured text is striking and attracts the attention of the audience in the same way as Romans 1. The passage is the beginning of a book and addresses the author’s purpose in connecting his book with ‘scripture’. Thus, the introductory passage is the expression of both the author’s consistent approach to his own way of writing some kind of narrative, only later designated a ‘gospel’, and his connection to ‘scripture’, i. e., the normative library of early Christianity that was also the normative library of Judaism109. It is the same kind of combining old and new that we find in the prescript of Romans. As I have pointed out, we know almost nothing about the author of the Gospel of Mark and about his audience, but there is at least some evidence for positing that both author and audience are to be located with a Jewish and early Christian literary environment similar to that which Paul benefitted from at Corinth110. The collection of the Jewish texts which we label the ‘Septuagint’ undoubtedly served as the one and only basic library for Paul and for the author of the Gospel of Mark. For both authors ‘scripture’ is the constant interlocutor111. It is not necessary to demonstrate this point anew; however, to mention it helps See R. Jewett, Romans, 95–126. See Op. cit., 103 for details and for relevant literature. 107 For the grammar, the vocabulary, the style, and the composition of the Gospel, see the recent article by D. Stökl Ben Ezra, “Markus-Evangelium.” Stökl points to the Semitic, Aramaic, Greek, and Latin linguistic aspects of Mark as well as to the sermo humilis: M. Reiser, Syntax; J. K. Elliott (ed.), Language. 108 For an analysis, see O. Wischmeyer, “Zitat.” 109 Whether this refers to the Septuagint or to other Greek versions of the Jewish scriptures cannot be discussed here. 110 See my considerations in “Identity Formation.” 111 See Stökl, „Markus-Evangelium“, 186: “Wie Sprache, Vorstellungswelt u[nd] Theologie erkennen lassen, ist das M. ein jüd[isches] Ev[angelium], das für Leser geschrieben wurde, die mit jüd[ischen] Traditionen u[nd] Institutionen vertraut waren.” I agree with the use of the term ‘jüdisches Evangelium’, insofar as the term mainly identifies a cultural and literary milieu. I also generally agree with Stökl’s conclusion: “Ein der nichtjüd[ischen] Literatur u[nd] Religionen Unkundiger kann das M. problemlos verstehen. Andersherum war u[nd] ist dies nicht möglich” (192 f.). But the Gospel also must have been read and understood by non-Jews. 105 106
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round off my argument. All the scholarly work that has been done on the issues of quotations, intertextuality, and audience in Mark has pointed to the same conclusion: the Markan world of ideas and its basic point of reference is the world of ‘Scripture’, i. e., the Jewish literature and literary activity. Daniel Stökl Ben Ezra’s important observation concerning Mark: “Wichtiger ist für das Verständnis vom Verhältnis des Autors zur nichtjüd[ischen] Welt die Beobachtung, dass keine nichtjüd[ischen] Quellen zitiert werden“112, also applies to Paul. But at the same time, Paul was able to win non-Jews for the Christian communities and the Gospel of Mark, at least to a certain extent, was written for a non-Jewish audience. We have to realize that the cultural boundaries between Jewish and non-Jewish literature were not as rigid as they often seem to be in scholarly discussions. Both authors, Paul and ‘Mark’, were deeply rooted in the Jewish culture and nevertheless created something at least partly new – the gospel genre and the community-letter – that was soon accepted by a certain number of nonJews and further developed by members of the growing Christian communities. When Paul refers to the prophets at the very beginning of his most important letter, a letter that we have seen is close to epistolographic literature, he demonstrates not only the general connection between his message and the Jewish scriptures, but also affiliates himself to the sacred library of Judaism. Moreover, the practice of quoting from normative, formative, or classical li terature that we find in the beginning of Mark is part of the common, traditional literary culture of Greco-Roman literature that is shared not only by Jewish authors like Philo and Josephus, but that is also used in the Qumran pesharim113, which make their own contribution to Jewish literature.
5. Two ways of the communication of the εὐαγγέλιον My analysis of the introductory passages of the Letter to the Romans and the Gospel of Mark intends to reshape the reconstruction of the very beginnings of early Christian literature. Early Christian literature, recently reconsidered by Gerd Theissen as a matter of ‘Literaturgeschichte’114 in order to reconstruct the development of early Christianity, is a phenomenon that is neither sufficiently considered or portrayed as contributing to ancient ‘religious literature’ nor adequately discussed in terms of its theoretical relevance by now. In my view, the emergence of a distinct literature as early as the first generation of Christ-con112 See Stökl, “Markus-Evangelium,” 192. Stökl also discusses very carefully possible allusions. 113 See 1QS 8,13 ff. in comparison with Mk 1,2. See the magisterial article by H. Hübner, “OT quotations.” Concerning the citation praxis in the pesharim see D. Diamant, “Pesharim, Qumran”; C. McCarthy, “Pesharim”; A. Lange/M. Weigel, Quotations. 114 G. Theissen, Entstehung.
12. Romans 1.1–7 and Mark 1.1–3 in Comparison
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fessing Jews and non-Jews deserves more scholarly attention. The communities did not have an automatical need for their own literature because they were rooted in the Septuagint and additionally may have used several non-Septuagint texts including sapiential, apocalyptic, and narrative works of Jewish origin. To a certain degree they were also familiar with Jewish exegetical literature. Therefore it is rather astonishing that a ‘literature of their own’ developed with the first or second generation of Christ-confessing communities. Paul, an individual without a permanent residence, not to mention a residence of his own, became the first Christian author115, and the author of the Gospel of Mark wrote the first Christian book. Both authors introduced a literature of their own for the early Christian communities. The overall purpose was not to establish a ‘Christian’ li terary culture, but to better communicate the εὐαγγέλιον. The εὐαγγέλιον116 was primarily oral proclamation, that is, preaching (Rom 1.15; Mk 1.14 f.); however, Paul, ever since his Letter to Thessalonica (about 50 A. D.117), communicated with his communities not only face to face, but also in written form, not only for the purpose of transmitting information, but also in order to shape his message of the εὐαγγέλιον by developing and explaining it in detail through a letter in written form. This is precisely what he did in the first eleven chapters of Romans. My contribution on “Paul and Mark” focused on this issue: the comparison of the communication of the εὐαγγέλιον in Paul’s letters and the communication of the εὐαγγέλιον by a Jesus-book, written by a ‘hidden author’118. If we understand this configuration as the twofold ‘origin’ of Christian literature and theological culture, we will also be able to make important contributions to the question of early Christian identity. ‘Christology’ in its twofold appearance as literary narrative and as argumentative communication shapes the beginnings of early Christian social, institutional, individual, and intellectual identity. Comparison in this sense works neither ‘motivgeschichtlich’ nor ‘traditionsgeschichtlich’, but attempts to understand the intellectual and cultural dynamic of Christian origins to the extent that we are able to reconstruct it from its literary heritage.
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See O. Wischmeyer, “Paulus.” See A. Lindemann, “Evangelium.” 117 See E. Ebel, “1 Thessalonians,” 139–148, 144. 118 For the concept of the hidden author see G. B. Conte, Author. 115 116
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III. Texte
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13. Römer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit Ein anthropologisches Manifest* Die vorliegende exegetische Studie beschäftigt sich mit einem Kapitel aus dem Römerbrief. Sie ist den Römerbriefkommentaren und den Untersuchungen zu Röm 2 besonders verpflichtet, auch wenn nur einzelne Arbeiten explizit erwähnt werden. Das Interesse des Beitrags liegt auf dem Verstehen der Argumentation und der Kommunikation des Textes in seinem engeren und weiteren Kontext. Weder können die zahlreichen exegetischen Einzelfragen von Röm 21 behandelt werden, noch geht es um die Erstellung einer detaillierten Strukturanalyse2 oder einer rhetorischen Analyse.3 Auch die gerade neu diskutierten Probleme einer allgemeinen Deutung der paulinischen Theologie vor dem Hintergrund des Frühjudentums und im Rahmen des Imperium Romanum stehen hier nicht im Mittelpunkt.4 Im Mittelpunkt steht vielmehr die möglichst angemessene Interpretation eines Paulustextes, der sich dem Verstehen nicht ohne Weiteres erschließt.
1. Problemanzeige Röm 2 gehört nicht zu den bevorzugten Texten der Römerbriefexegese. Die heftige Polemik der Redeabschnitte, die karikierende Zeichnung eines heuchelnden jüdischen Gesetzeslehrers, die unklare theologische Perspektive, die an Buße und gute Werke zu appellieren und den Heiden, deren Todesverfallenheit Paulus in Kapitel 1 dramatisch dargestellt hat, die Möglichkeit endzeitlicher Rettung und Herrschaft zu eröffnen scheint – all dies macht die Auslegung von Röm 2 eher schwierig. * Der Aufsatz geht auf ein main paper bei dem 60. Meeting der SNTS in Halle 2005 zurück. 1 Vgl. dazu die großen Kommentare, bes. stets J. A. Fitzmyer, Romans. 2 So z. B. jüngst zu Röm 5: D. Hellholm, „Universalität“. 3 Vgl. dazu W. Wuellner, „Rhetoric“, 330–351 (wiederabgedruckt in: K. P. Donfried [Hg.], Romans, 133–146 = 2. Aufl., 128–146); E. Lohse, Brief, 94–97; F. W. Horn, „Paulusforschung“, 30–59; J. D. G. Dunn, Romans 1–8; ders., „Epistle“, 2842–2890. 4 Vgl. dazu B. W. Longenecker, „Critiquing“, 263–271.
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III. Texte
Dass es sich bei Röm 2 um einen problematischen Text handelt, wird häufig – wenn auch mit Unbehagen5 – festgestellt. Ed P. Sanders hat gemeint, die Behandlung des Gesetzes in Röm 2 „cannot be harmonized with any of the diverse things which Paul says about the law elsewhere“.6 James D. G. Dunn beobachtet eine „confusion among commentators over the purpose and theology of chap. 2“.7 Wie auch bei anderen Paulustexten haben derartige Beobachtungen möglicher inhaltlicher Inkohärenz oder aber möglicher Selbständigkeit im größeren Kontext zu Interpolations- oder Traditionshypothesen für Röm 2 geführt,8 die ich hier nicht erörtern kann.9 Wichtig ist der Umstand, dass derartige Hypothesen aufgestellt werden konnten. Denn sie sind ein Signal dafür, dass Kapitel 2 ungeachtet seiner festen Situierung im Argumentationszusammenhang der Kapitel 1–3 ein weitgehend selbständiger Text10 ist, der einer eigenen Untersuchung bedarf. Von besonderem Interesse war immer die Frage nach den Ansprechpartnern in Röm 2. Wer ist der „Mensch, der sich nicht entschuldigen“ kann? Die älteren Kommentare haben nicht erst für 2,17f, sondern schon für 2,1–16 an den „Rabbi und Jude(n), der mit Verachtung auf das verworfene Heidentum blickt“, gedacht. Otto Michel greift dies auf, weist aber darauf hin, „daß Pls … die Gleichheit der menschlichen Situation vor dem Gericht Gottes verkündet“.11 Ernst Käsemann weist 2,1–11 ganz deutlich dem Judentum zu: „Das Folgende ist einzig als Polemik gegen jene jüdische Tradition begreiflich, welche sich am deutlichsten in Sap. Sal 15,1 ff. äußert.“12 Udo Schnelle interpretiert im gleichen Sinn 2,1–3,8 konsequent als Text über „die Verblendung der Juden“. „Das Evangelium trifft nicht nur auf die in ihrer Gotteserkenntnis verfinsterten Heiden, sondern auch auf die in ihrer Sünde gefangenen Juden (vgl. Röm 2,1–3,8).“13 Auch Ulrich Wilckens überschreibt 2,1–11 entsprechend: „Der die Heiden verurteilende Jude vor Gottes Gericht“.14 Interessant ist seine Beobachtung zum Verhältnis von Thematik und Stil. Den Diatriben-Stil benutze Paulus durchweg an Stellen, an denen er sich bewusst sei, „auf massive jüdische Interessen im Kreise seiner Adressaten zu treffen, die dem Skopos seines Gedankens wider-
E. Käsemann, Römer, 48. E. P. Sanders, Paul, 123–135, 123. 7 J. D. G. Dunn, Romans 1–8, 77. 8 So pointiert: J. C. O’Neill, Letter, 264–271. Das Kapitel ist ein hellenistisch-jüdischer Traktat, der nachträglich in den Brief eingefügt wurde. 9 Vgl. analog die Lit. zu Römer 13,1–7 bei O. Wischmeyer, „Staat“, 228–242. 10 O. Michel, Brief, 72, betont die Selbständigkeit von 2,1–16 gegenüber Kap. 1. 11 O. Michel, Brief, 73 mit Anm. 2; zur Forschungsgeschichte auch J. A. Fitzmyer, Romans, 296. 12 E. Käsemann, Römer, 49. 13 U. Schnelle, Paulus, 344. 14 U. Wilckens, Brief, 122. 5 6
13. Römer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit
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streiten“.15 Wilckens denkt an judenchristliche Gegner der paulinischen Rechtfertigungslehre. Klaus Haacker ist vorsichtiger und weist auf die Reichweite der Anrede „O Mensch“ hin.16 Eduard Lohse überschreibt 2,1–29: „Die Juden unter dem Zorn Gottes“, differenziert aber ebenfalls: „Zwar wendet Paulus sich an alle Menschen als seine Zuhörer; doch die inhaltliche Begründung seiner Ausführungen nimmt in hohem Maß jüdische Traditionselemente auf und kehrt sie gegen deren Vertreter.“17 Ähnlich urteilt Joseph Fitzmyer, der die Frage sehr ausführlich diskutiert. Insgesamt beziehe sich Kap. 2 auf Juden und Heiden: „God’s judgement manifested against Jews – indeed against all human beings (2:1–3:20)“18, aber innerhalb des Kapitels 2 gelte: „vv 1–16 constitute an implicit indictment of Jews, which becomes overt in v 17“.19 J. D. G. Dunn schließlich liest die Anrede in 2,1 genau, wenn er schreibt: „In vv 1–11 the indictment is posed in general terms which would command widespread assent (from both Jew and Gentile)“, während in der Folge des Kapitels die Zuspitzung auf die Juden erfolge.20 Dies führt zu der weiteren Frage: Enthält Röm 2 vor allem antijüdische Polemik? Ist das Kapitel damit Teil des Spezialdiskurses des ntl. Antijudaismus?21 Oder enthält Röm 2 einen eigenen theologischen Beitrag im Zusammenhang des Israel-Diskurses? Und wie lässt sich dieser bestimmen? Mein Beitrag geht dieser Frage nach. Bei der Bearbeitung dieser Frage gehe ich davon aus, dass Paulus im Römerbrief grundsätzliche Fragen seiner Verkündigung einer Klärung zuführen will, ohne allerdings die Gattung „Brief“ zugunsten etwa eines theologischen Traktats im engeren Sinne zu verlassen.22 Den Unterschied zwischen einer antijudaistischen Polemik und einer kritischen theologischen Aussage im Zusammenhang des Israel-Diskurses umreiße ich in Kürze folgendermaßen: Eine antijüdische Polemik richtet sich gegen das ἔθνος Ἰουδαίων oder gegen die Religion der Juden, um beides zu verunglimpfen und Juden Schaden zuzufügen. Eine kritische theologische Aussage im Kontext des innerjüdischen Israel-Diskurses gilt Grundfragen der Gesetzes- und Bundestheologie, der Observanz und des Ethos sowie möglicherweise den Heilserwartungen Israels. Dieser Diskurs durchzieht vor allem die prophetische und deuteronomistische Literatur Israels. Die Grenzen zwischen beiden Diskursen lassen sich in frühjüdischneutestamentlicher Zeit nicht immer deutlich bestimmen. Der Jude Paulus, der Röm 11 als Abschluss der gesamten Evangeliumsthematik von Röm 1–11 15 U. Wilckens,
Brief, ebd. Brief, 59. 17 E. Lohse, Brief, 97. 18 J. A. Fitzmyer, Romans, 296. 19 J. A. Fitzmyer, Romans, 297. 20 J. D. G. Dunn, Romans 1–8, 77. 21 J. Dan/P. Schäfer/B. Schaller, „Antisemitismus/Antijudaismus“, 556–559. 22 Vgl. O. Wischmeyer, „Römerbrief“, 429–469. 16 K. Haacker,
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III. Texte
formuliert, hat 1 Thess 2,13–16 geschrieben, einen eindeutig antijudaistischen Text, der den gemeinantiken Hasstopos vom odium generis humani des jüdischen Volkes transportiert. Vor diesem Hintergrund müssen die Adressatenschaft und die Pragmatik des Kapitels untersucht werden. Röm 2 stellt eine weitere Frage zur Textpragmatik. Die beiden Redeabschnitte Röm 2,1–10 und 17–24 zielen zunächst auf eine ethische Grundwahrheit: Nur das gelebte Ethos zählt, nicht die ethische Überzeugung oder Lehre. Implizit wird damit das bekannte Thema der ethischen und religiösen Heuchelei behandelt,23 auch wenn das Stichwort ὑποκριτής bzw. ὑπόκρισις nicht fällt.24 In seinem ersten Kommentar V. 11–16 bringt Paulus das Thema auf den Punkt: οὐ γὰρ οἱ ἀκροαταὶ νόμου δίκαιοι παρὰ [τῷ] θεῷ, ἀλλ᾿ οἱ ποιηταὶ νόμου δικαιωθήσονται (V. 13). Nun erwartet man eine ethisch-applikative Textpragmatik, die zu guten Taten aufruft, vergleichbar der Täuferrede, die ebenfalls mit dem künftigen Zorngericht und einem Scheltwort beginnt, um dann fortzufahren: „Seht zu, bringt rechtschaffende Früchte der Buße“ (Lk 3,8). Diese Textpragmatik fehlt aber in den kommentierenden Abschnitten in Röm 2. Paulus erwähnt zwar in 2,4f die Buße, tut dies aber nur, um polemisch darzustellen, dass der Ansprechpartner keine Buße tut. Weder in den Anreden noch in den Kommentaren wird zu Buße und guten Werken aufgerufen. Stattdessen folgen auf die beiden scharfen Anreden jene grundsätzlichen Erwägungen, die die Problematik und die Anklagen noch vertiefen. Worin liegt dann die Intention der Rede? Problematisch im Hinblick auf die Pragmatik ist auch die apokalyptische Spitze der ersten Anklagerede 2,1–10: Der Tag des Zorns wird, wie Paulus in einem Zitat aus Ps 61,13 LXX (vgl. Spr 24,12) sagt, „jedem nach seinen Werken geben“ (2,6).25 Diese Perspektive, die Paulus mit großer Schärfe und Deutlichkeit vertritt und biblisch fundiert, widerspricht seiner ebenso klaren Aussage in 3,20, die einer erzieherischen oder ermahnenden Textpragmatik den Boden entzieht: „Denn aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch vor ihm, d. h. vor Gott, gerechtfertigt werden, durch das Gesetz nämlich (kommt nur) Erkenntnis der Sünde“. Diese These ist das negative Pendant zur positiven Ausgangsthese von 1,16 und 17, die zusammengefasst lautet: Die Gerechtigkeit Gottes, d. h. diejenige, die Gott zukommt und vor ihm Geltung hat, entsteht aus dem Glauben. Versteht man beide Sätze als hermeneutischen Rahmen für Kapitel 2, dann stellen sich verschiedene Fragen: Weshalb die Polemik in Kapitel 2? Was sollen bzw. können die Reden und deren Kommentare in Kapitel 2 bewirken? Haben sie ein positives Ziel? Weshalb überhaupt Kapitel 2? Ist nicht mit Kapitel 1 Sir 1,28 ff.; 32,15; 33,2; Mt 6,2–4.5–15.16–18; 7,3–5 par; Lk 12,54 ff.; 13,15 f.; Gal 2,13; Jak 2. Stichworte im Gesetzesdiskurs der synoptischen Evangelien. Bei Paulus in Gal 2,13 im Zusammenhang des antiochenischen Zwischenfalls ὑπόκρισις. 25 Vgl. dazu allg. M. Konradt, Gericht, dort 501–513 zu Röm 2. 23
24 Beliebte
13. Römer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit
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schon alles über die Ungerechtigkeit der Heiden gesagt, und stellt nicht Kapitel 3 erschöpfend die Ungerechtigkeit der Juden und schließlich aller Menschen fest? Und schließlich besonders wichtig: führt Paulus in Röm 2 entgegen dem Duktus seines εὐαγγέλιον wieder das Gericht nach den Werken ein? Insgesamt ist jetzt schon deutlich, dass Kapitel 2 nicht nur ein Übergangskapitel ist, sondern eigene Interpretationsprobleme stellt, die auf der Ebene des Kapitels und auf der Ebene der Argumentation der Kapitel 1–3 neu bedacht werden müssen.
2. Röm 2 im Kontext von 1,16–3,20 Ich wende mich jetzt dem Text von Röm 2 zu und beginne mit der Bestimmung seiner Situierung im Kontext. Grundsätzlich gilt Folgendes: Die Ausführungen des Paulus sind auf der brieflichen Ebene an die Christen in Rom gerichtet (1,15). Die propositio generalis eröffnet in jüdischer Diktion eine Universalperspektive: παντὶ τῷ πιστεύοντι Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι. 1,18–3,31 entfalten die geoffenbarte Glaubensgerechtigkeit von 1,16 und 17 für alle Menschen vor dem Hintergrund der allgemeinen göttlichen Strafgerechtigkeit, die die Menschen zum Tode verurteilt. In 3,28–31 fasst Paulus diese Argumentation wiederholend in ihrem positiven Ergebnis zusammen und bezieht sich damit auf 1,16f zurück: Juden wie Heiden werden vor Gott durch den Glauben gerecht.26 In 3,28 lässt Paulus die religiös-dichotome jüdische Sondersprache wieder hinter sich und spricht ganz allgemein vom „Menschen“: Der Mensch wird aus Glauben gerecht. Diese Perspektive durchzieht Kapitel 1–3, wobei Paulus mit unterschiedlichen Koordinatensystemen arbeitet: einmal mit dem jüdischen Begriffspaar JudenNichtjuden bzw. der rhetorischen Anrede „du Jude“ (2,14), zum anderen mit dem allgemeinen Begriff „Menschen“ bzw. der rhetorischen Anrede „O Mensch“ (2,1). Beide Koordinatensysteme setzt er – nicht theoretisch, sondern im rhetorischargumentativen Vollzug – zueinander in Beziehung und verschränkt sie miteinander, um in der Gesamtargumentation sowohl die jüdisch-religiöse „JudenNichtjuden“-Thematik als auch die anthropologische „Menschheitsthematik“ jenseits des religiösen Dualismus zu erfassen. Dabei haben die einzelnen Argumentationsabschnitte eigene Pointen, die nicht ohne weiteres miteinander systematisierbar sind. Trotzdem bilden die Einzeltexte von 1,18–3,20 eine rhetorisch-argumentative und formale Einheit, innerhalb deren Kapitel 2 als Subeinheit fungiert. Das gemeinsame Thema ist die neue, endzeitliche, im Evangelium offenbarte rettende Gottesgerechtigkeit, die allen Menschen gilt, in ihrer Beziehung zur Offenbarung der vorherrschenden strafenden Gottesgerechtigkeit, die Heiden wie Juden trifft, die Paulus aber vor 26 Dem entspricht die negative Formulierung in 2,11: „Denn es gibt kein Ansehen der Person vor Gott“.
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III. Texte
allem in Bezug auf die Juden plausibel machen muss. Die Gerichtsreden und ihre Kommentare in 1 und 2 werden von Paulus in 3,9 als Anklagereden identifiziert. Sie sind in eine Argumentation eingebettet, die ihrerseits im Zusammenhang der brieflichen Kommunikation steht. Für Kapitel 2 folgt daraus, dass die Argumentation zur Strafgerechtigkeit Gottes und zu seiner neuen Rettungsgerechtigkeit sowie ihre universale Reichweite für die Menschen besondere Aufmerksamkeit verdient.
3. Röm 2 – Formen, Argumentation, Propositionen, Pragmatik Ich gehe nun zu den Teiltexten von Kapitel 2 über und stelle ihre Formen, ihre Argumentation, ihre Propositionen und ihre Pragmatik im Einzelnen dar. Paulus schreibt zwei ungemein heftige, rhetorisch wirkungsvolle Kurzreden. Die erste Rede greift einen Menschen an, der „richtet“, während er selbst eben das tut, was er verurteilt, die zweite einen frommen Juden, der andere das Gesetz lehrt, während er selbst es gravierend übertritt. Beide Reden sind ad personam formuliert. Es schließt sich jeweils ein Kommentar an, der erste sachlich, der zweite zunächst weiterhin persönlich gehalten. Daraus ergibt sich eine klare Gliederung für den Textzusammenhang von Kapitel 2: 2,1–10 2,11–16 2,17–24 2,25–29
Erste Rede Erste kommentierende Erwägung Zweite Rede Zweite kommentierende Erwägung.
Die Einzeltexte werden durch die Juden-Heiden-Thematik zusammengehalten und gleichzeitig mit ihrem Kontext verknüpft (1,18 ἄνθρωποι und 3,1 περισσὸν τοῦ Ἰουδαίου). 3.1. Formen Zunächst zu den Teiltexten. 2,1–10 ist eine apokalyptische Gerichtsrede an einen imaginierten Hörer der Rede von 1,18–32, also eine Folgerede.27 In V. 1–4 wird der selbsternannte Richter über Gesetzesverfehlungen, dem es um seine eigene Entschuldigung geht, zum Angeklagten gemacht,28 V. 5 spricht das Urteil über den Angeklagten, V. 6–10 sagen das zukünftige Gericht für den Angeklagten an. V. 5 ist in spezifischer Weise apokalyptisch formuliert. Der Themenkomplex: Ethos–Gesetzeserfüllung ist in dieser Rede in den Zusammenhang des als Of27 Vgl. das διό von 2,1 mit den begründenden Partikeln in 1,19.24.26 sowie dem begründeten καθώς in 1,28. 28 Vgl. die Stephanusrede. Dort wird Stephanus vom Angeklagten zum Ankläger.
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fenbarungsgröße verstandenen Gerichtes Gottes eingezeichnet. Das κρίμα folgt auf die ὀργή. Die epistolographische Ebene des Gesamttextes bleibt hier verdeckt. Paulus spricht weder die Christen in Rom noch eine gedachte christliche Leserschaft an. 2,11–16 stellt eine begründende (γάρ) Reflexion bzw. Kommentierung der ersten Rede dar. V. 11 liefert die unumstrittene Basis der Kommentierung.29 Die Begründungen folgen in V. 12.13 (γάρ) und in dem Satzgefüge von V. 14 (γάρ) bis 16. Die Reflexion ist nicht mehr explizit an den Hörer der vorangehenden Rede gerichtet, sondern bewegt sich im Bereich der epistolographischen Argumentation. Sie wendet sich damit an das Verstehen der römischen Gemeinde. 2,17–24 ist eine zweite kurze Rede, wieder an einen imaginierten Hörer gerichtet, der schon die erste Rede gehört hat (δέ), d. h. nochmals eine Folgerede zu 1,18–32. Es handelt sich wieder um eine polemische Rede, um einen verbalen Angriff. Die V. 17–20 zeichnen ein polemisches Bild des Selbstverständnisses des Angegriffenen, V. 21–23 formulieren mittels rhetorischer Fragen die Anklage. V. 24 enthält eine verallgemeinernde (δι᾿ ὑμᾶς) Schlussbegründung in Form eines Schriftzitats. 2,25–29 enthalten die zweite begründende (γάρ) Reflexion bzw. Kommentierung, bezogen auf die zweite Rede, bis V. 27 noch mit der Anrede „Du“ weitergeführt. Erst die Begründung in V. 28 f. bewegt sich wieder im Bereich der epistolographischen Argumentation und wendet sich damit auch an das Verstehen der römischen Gemeinde. Die Formen dieser Einzeltexte sind doppelt literarisch überarbeitet, erstens im Zusammenhang eines begründenden Kommentars zu der apokalyptischen Gerichtsrede gegen die Menschheit in 1,18–32, zweitens als selbständiger Teiltext der brieflichen Argumentation des Paulus. Ich beginne mit einigen Bemerkungen zur Gattung der prophetischen Gerichtsrede in Kapitel 1,18–32. Paulus arbeitet hier mit deutlich erkennbaren Elementen der klassischen prophetischen Gerichtsrede: Einleitung, Anklage, Botenformel mit „darum“ und Gerichtsankündigung.30 1,18 formuliert die Anklage, V. 19– 23 liefern die begründende Entfaltung, V. 24–28 enthalten das „Darum“ der Botenformel sowie die Gerichtsankündigung, diese aber in einer wesentlichen Brechung, nämlich nicht im Modus der Zukunft, sondern im Modus der in die Gegenwart reichenden Vergangenheit bzw. des bereits Geschehenen und noch Geschehenden. Die Zukunft, auf die sich in der klassischen prophetischen Gerichtsrede die Ankündigung des Handelns Gottes bezieht, ist hier ausgespart. Sie begegnet erst in Kapitel 2, und hier nun in apokalyptischer Wendung in V. 5 und 16, wie bereits gezeigt. Die prophetische Gerichtsrede in Kapitel 1 erhält also ihre futurische Zuspitzung erst in Kapitel 2. Ihren Abschluss bildet die Ver J. A. Fitzmyer, Romans, 303, Belege. C. Westermann, Grundformen; A. Schoors, Königreiche, 108–116.
29 30
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kündigung des göttlichen Todesurteils über alle Menschen, die in Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit leben, in Kapitel 3. Kapitel 2 selbst als Teiltext von 1,18–3,20 stellt sich formal betrachtet als begleitender Kommentar zu 1,18–32 dar, und zwar in der Gestalt einer Diskussion über den angemessenen Umgang mit dem Gesetz. Die beiden Reden und ihre Kommentare sind zunächst in den Gesamtduktus der Anklagerede 1,18–3,20 eingebunden, dessen Fazit Paulus in 3,19 zieht: ὑπόδικος γένηται πᾶς ὁ κόσμος τῷ θεῷ. Diese universale Schuldzuweisung ist ihrerseits in eine begründende Argumentationsstruktur eingebunden, deren Ziel Paulus in 3,20 expliziert: „Aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden“. Die gesamte Diskussion ist stets in den apokalyptischen Rahmen eingebunden, der seit 1,17 und 18 die Argumentation beherrscht. Die begründende Argumentation von Kapitel 2 wird also in 3,1–20 zu Ende geführt. Mit dem Satz: προῃτιασάμεθα γὰρ Ἰουδαίους τε καὶ Ἕλληνας πάντας ὑφ᾿ ἁμαρτίαν εἶναι (3,9), interpretiert Paulus den Text von 1,18 bis 3,19 selbst mit dem ntl. hapax legomenon προαιτιᾶσθαι31 als Anklagetext im juridischen Sinne. V. 19 spricht das Urteil (ὑπόδικος), V. 20 gibt eine abschließende Begründung. Im Rahmen des Römerbriefes befindet sich Kapitel 2 außerdem im Zusammenhang der brieflichen Kommunikation des Paulus mit den Christen in Rom. In diesem Zusammenhang stellen 1,18–3,20 eine Begründung (γάρ) der propositio generalis in 1,16 f. dar. Diese wiederum ist im Sinne der brieflichen Kommunikation die theologische Selbstvorstellung des Paulus vor den römischen Christen bezüglich seines εὐαγγέλιον. Paulus hat sich in 1,1 als „berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes“, eingeführt und in 1,15 darauf hingewiesen, dass er auch in Rom das Evangelium verkündigen möchte (εὐαγγελίσασθαι). In 1,16f hat er das Evangelium soteriologisch (εἰς σωτηρίαν) definiert und in seiner apokalyptischen Dimension beschrieben. Im Sinne der brieflichen Kommunikation ist also der gesamte Text von 1,18–3,20 als Explikation der Evangeliumsverkündigung des Paulus gedacht. Dabei stellen 1,18–3,20 die Basis dar, während die positive Formulierung in 3,21–31 geliefert wird. 3.2. Argumentation und Propositionen Paulus leitet seine Anklagerede 2,1–10 gegen einen Menschen, der andere richtet, obgleich er selbst wie diese anderen handelt, mit dem bekannten und umstrittenen διό in V. 1 ein. Versteht man 2,1 nicht wie Bultmann als Glosse,32 dann 31 προαιτιάομαι = „wir … haben vorher die Anklage erhoben, dass“, W. Bauer, Wörterbuch, 1407. 32 R. Bultmann, „Glossen“, 281 f. Dagegen J. A. Fitzmyer, Romans, 298 f.
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macht das διό – wie schon oben angezeigt – deutlich, dass sich der Text 2,1–10 schlussfolgernd auf Kapitel 1 zurückbezieht und im Rahmen der Argumentation von Kapitel 1 zu verstehen ist. Das διό von 2,1 nimmt 1,19.21.24.26 auf und führt damit die Darstellung der ἀδικία und ἀσέβεια der Menschen im Horizont von Gottes Zorngericht in 1,18– 32 fort. Weiterhin sind die Adressaten „die Menschen“ von 1,18, hier aber exemplarisch im Singular angesprochen. 2,1–10 zeigt also eine wesentliche Facette der ἀδικία der Menschen. Sie ist durch die Haltung des κρίνειν gekennzeichnet. Das Richten bzw. Verurteilen anderer Menschen gehört für Paulus zur conditio humana und tritt dementsprechend in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen auf. So beschreibt Paulus in Röm 14 dies Verhalten im Umgang von Juden- und Heidenchristen untereinander. Dort bezieht sich das κρίνειν auf Fragen des Ritus, deren Einhaltung oder Nichteinhaltung zur Verurteilung durch die Starken oder die Schwachen führt. Wer sind in Röm 2 jene Menschen, die „richten“? Deutlich ist, dass Paulus weder eine distinkte religiöse Gruppe wie die Pharisäer (Mt 23) im Blick hat noch eine reale Personengruppe aus der Gemeinde (1 Kor 15,12 oder Röm 14) oder eine ganze Gemeinde wie in Gal 3,1 (ὦ ἀνόητοι Γαλάται) anspricht. Die Anrede ὦ ἄνθρωπε πᾶς ὁ κρίνων ist auch nicht religionsspezifisch, sondern allgemein ethisch gewählt und zielt auf den Typus des richtenden Menschen, d. h. auf den ethisch-urteilenden Blick der Menschen aufeinander, der sich am jeweils geltenden expliziten oder impliziten Normengefüge orientiert. Diese urteilende und verurteilende Orientierung vertieft Paulus durch das Motiv der eigenen ἀδικία der Kritiker.33 Vers 2 macht mit der Wendung οἴδαμεν ὅτι deutlich,34 weshalb hier ἀδικία vorliegt. Die Menschen, die andere wegen ihres unrechten Tuns kritisieren – die Wendung τοὺς τὰ τοιαῦτα πράσσοντας bezieht sich auf Kapitel 1 zurück und lässt sich aus dem Lasterkatalog 1,29ff auffüllen – vergehen sich an Gottes κρίμα. Für die ἀδικία der Menschen ist Gottes Richterzorn zuständig. Der „Mensch“ von 2,1ff vergeht sich nicht nur ethisch, sondern verletzt Gottes ausschließliche Richterkompetenz. Die angemessene menschliche Haltung gegenüber der ἀδικία der anderen Menschen ist nicht das Verurteilen, sondern die Buße, da jeder Mensch selbst sündigt. Demjenigen, der verurteilt, werden Verstockung und ein unbußfertiges Herz vorgeworfen.35 Dementsprechend wird diesem exemplarischen Menschen Gottes Urteil (V. 2) und sein „Zorn und Grimm“ am Gerichtstag zugesagt (V. 5). Paulus stellt damit das ethische Phänomen in den Zusammenhang jüdisch-apokalyptischen theologischen Gerichtsdenkens. Das Stichwort „Gericht“, in prophetischer Diktion U. Wilckens, Brief, 124. E.-M. Becker, „ΕΙΣ ΘΕΟΣ“, 65–100. 35 Beides hapax legomena im Neuen Testament. Σκληρότης begegnet in LXX. Vgl. die exakte Sachparallele in Lk 18,9–14. 33
34 Vgl.
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umschrieben als „Tag des Zorns“, evoziert eine längere, zweiteilige, antithetisch strukturierte und chiastisch angeordnete Phrase über das Schriftmotiv der Vergeltung nach den Werken (V. 7–10). Das Gericht nach den Werken wird doppelt modifiziert. Erstens verändert sich die jüdisch-religiös formulierte Antithese „Gesetzeswerke contra (heidnisches) Leben gegen Gottes Wahrheit“ zu der allgemein ethischen binären Opposition „Böses tun contra Gutes tun“.36 Zweitens wird die Menschheitsthematik in V. 9f expliziert, jetzt allerdings in den jüdisch- religiösen Kategorien „Juden und Griechen“.37 Damit verschränkt Paulus die ethische Thematik mit der Vorstellungs- und Argumentationswelt der Eschatologie des zeitgenössischen Judentums.38 Grundlage ist die Vorstellung von der ἀδικία aller Menschen, hier exemplarisch an einem Menschen dargestellt. In V. 11 wird der Gedanke, nicht schon die Religionszugehörigkeit, sondern erst das gelebte Ethos bzw. die Übereinstimmung von Gesetz und Handeln könne den Menschen vor Gott gerecht machen, formuliert. Paulus entwickelt diesen Gedanken, indem er die alttestamentlich-frühjüdische Überzeugung, Gott richte unparteilich wie ein guter Richter, weitreichend umformt und auf die Religionszugehörigkeit der Menschen vor Gottes Gericht bezieht. Der Satz steht zwischen 2,1–10 und 2,12–16 und lässt sich sowohl als Ergebnissicherung der Anklagerede als auch als Ausgangsthese des ersten Kommentars verstehen.39 In dem Kommentar V. 11–16 wird die Gerichtsthematik weitergeführt, und zwar weiterhin im Zusammenhang mit der Gesetzesthematik, denn das Gesetz ist das Kriterium für das Gericht.40 Die argumentative Bedeutung dieses Kommentars liegt in der Behauptung des Paulus, im Endgericht41 gelte nur das allgemeine Sittengesetz, das für Heiden wie Juden gleich sei. Die Pointe dieses Kommentars im Duktus der Gesamtargumentation hat Ulrich Wilckens benannt: Es kommt Paulus „lediglich darauf an, … herauszustellen, dass das Gesetz in seinem Inhalt auch den Heiden sehr wohl bekannt ist, wie sie in ihrem Tun erweisen, und von daher also keineswegs ein Unterschied zwischen Juden und Heiden besteht“.42 Zugespitzt formuliert: die Juden haben hier kein περισσόν. 36 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Gut und Böse“, 66–73. Die mögliche eschatologische Einbettung dieser Antithese scheint bei Paulus durch, wird aber in den Versen 9 und 10 eigentümlich unscharf. 37 Die jüdische Perspektive. 38 Besonders in der pharisäischen Vorstellungswelt, vgl. allg. A. I. Baumgarten, „Pharisäer“, 1262ff, Lit. vgl. besonders G. Stemberger, Pharisäer. 39 Das gilt auch von der Form her: die stilistisch reich gestalteten Verse 7–10 schließen mit 10. V. 11 kann ebenso als abschließende thetische Zusammenfassung verstanden werden wie als Neueröffnung. Προσωπολημψία vgl. Eph 6,9 und Kol 3,25 sowie Jak 2,1. 40 Vgl. dazu bes. P. J. Tomson, „‚Täter‘“, 183–223. 41 Nur hier begegnet Jesus Christus in Kapitel 2. V. 16 ist nicht als Glosse zu werten (gegen R. Bultmann, „Glossen“, 282f), sondern als Kurzverweis auf den eschatologischen Topos der Verkündigung des Paulus (1 Thess 1,9f), vgl. E. Lohse, Brief, 107. 42 U. Wilckens, Brief, 136.
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Dieser Gedanke wird explizit in 3,1–20 verhandelt. Paulus argumentiert hier also nicht in Bezug auf Heiden, sondern in Bezug auf Juden, und zwar so, dass sich der erste Kommentar als Provokation für Juden liest. Nicht schon die Vorstellung von V. 14f, Heiden könnten φύσει τὰ τοῦ νόμου tun, ist dabei die Provokation, sondern die weiterführende Folgerung, Heiden, die dieses täten, seien „sich selbst Gesetz“ (V. 14). Denn damit hebt Paulus im Theoretischen die Bedeutung der Tora als der Ordnung Gottes für die Welt auf, und das nicht erst im Zusammenhang der apokalyptischen Offenbarung der rettenden Gottesgerechtigkeit, sondern im Zusammenhang der Reflexion auf die Gesetzesforderung selbst. Das Endgericht bildet den Fluchtpunkt der Argumentation (V. 16). Damit wird Kapitel 1 weitergeführt und ausgeweitet. In der Argumentation von Kapitel 2 erhält der einzelne Mensch, der als sein eigenes Tribunal verstanden wird, eine zentrale Bedeutung im eschatologischen Zusammenhang von Gericht und Ethos, die über die „Entdeckung des Gewissens“ hinausreicht. Die theologischen ad hoc-Vorstellungen des sog. Naturgesetzes und des Gewissens müssen hier nicht in ihrer Herleitung diskutiert werden.43 Wesentlich ist, dass Paulus den einzelnen Menschen als ein Tribunal versteht und ihn damit in dem juridischen Rahmen, den Gott und sein Handeln an den Menschen darstellt, interpretiert. Dies Gericht wird als inneres und äußeres Tribunal thematisiert. Der Mensch ist beim Endgericht (V. 16) sein eigener Gerichtshof mit folgenden drei Faktoren: erstens dem Gesetz, zweitens einer inneren Instanz, die bezeugt, dass der Angeklagte das Gesetz kennt – diese Instanz ist das Gewissen, und drittens mit Zeugen für das Gewissen – diese Instanz sind die Gedanken, die die Rolle des Anklägers und des Verteidigers übernehmen (V. 15), d. h. in sich noch einmal dialektisch gespalten sind. Die erste Instanz ist extern, die zweite und dritte sind intern. Die zweite Rede 2,17–24 gilt nun explizit einem Juden, der als Gesetzeslehrer vorgestellt wird. Die Klimax des Gerichts wird weitergeführt. Jetzt wird der explizit die Tora lehrende Jude, der sich auch auf die Tora verlässt, angegriffen. V. 23 bringt die Anklage auf den Punkt: Paulus denkt an einen Juden, der sich des Gesetzes rühmt und zugleich Gott entehrt, indem er das Gesetz übertritt. Paulus formuliert hier in verschärfter Form den Vorwurf der ersten Rede. Die Zuspitzung liegt vor allem darin, dass hier ein Lehrer, der Inbegriff des Stolzes Israels, so ungeheuer scharf angegriffen wird, dass der Text als antijüdische Satire gelesen werden kann. Paulus selbst schließt die Anrede mit einem Jesajazitat44 und setzt sich damit in Kontinuität zu der prophetischen Israelschelte. Seine Rede erhält dadurch den Ernst und die Autorität der Schrift, jener Autorität, mit
43 Zu φύσις bei Paulus vgl. O. Wischmeyer, „ΦΥΣΙΣ“, 207–228. Zum Gewissen vgl. H.J. Eckstein, Begriff. 44 Vgl. dazu F. Wilk, Bedeutung, 73; 230 f.
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der sich der angegriffene Jude fälschlich schmückt. Das Zitat macht zugleich deutlich, dass der Text nicht antijüdisch, sondern innerjüdisch intendiert ist.45 Der zweite Kommentar in 2,25–29 führt den anklagenden Gedanken der zweiten Rede weiter, indem er das Problem aufdeckt, das 2,17–24 stellt: Ist es denn überhaupt möglich und vorstellbar, dass ein Jude Derartiges tut? Dass es in V. 17–24 um Juden geht, macht V. 25 deutlich. In 2,25–29 wird weiterhin ein beschnittener Jude attackiert. Schützt ihn aber nicht die Bundeszugehörigkeit, körperlich in der Beschneidung vorfindlich und dokumentiert, vor Verstößen wie den oben dargestellten? Paulus antwortet auf der Basis der behaupteten Faktizität der Gesetzesübertretung frommer Juden, ohne diese eigens zu thematisieren, da sie nach seiner Wahrnehmung keinen Beweis benötigt. Die Kondition „Wenn du ein Übertreter des Gesetzes bist“ (V. 25), wird als vorfindliche Wirklichkeit verstanden. Paulus ist an der Folgerung interessiert: Für den Gesetzesübertreter gilt der Bundesschutz der Beschneidung nicht mehr. Dieser Gedanke könnte hier genügen, um den – falschen – Stolz jüdischer Gesetzeslehrer zu zerstören46 und unter Umständen eine Bußrede anzuschließen. Dies unterbleibt.47 Stattdessen führt Paulus das Argument analog zum ersten Kommentar mit höchst unerwarteten Überlegungen weiter: Wenn ein Heide gemäß dem Gesetz handelt, ist er erstens vor Gott (V. 26) Bundesglied. Und mehr noch: Er wird den Juden, der das Gesetz übertritt, richten (V. 27).48 Die Gerichtsklimax erreicht ihren Höhepunkt und schlägt gleichzeitig um: Jetzt richtet einer der Heiden, die in Kap. 1 in toto des Todes schuldig waren, einen frommen Lehrer Israels. Die beiden Säulen des Bundesnomismus sind hier den Juden aus der Hand genommen und theoretisch an ethisch gerechte Heiden (V. 26) gegeben. Dass diese Überlegung nicht praktisch gemeint ist und eine künftige Realität abbildet, geht aus Kapitel 1 hervor. Das Interesse des Paulus gilt nicht moralisch hochstehenden Heiden, sondern liegt darin, noch einmal zu zeigen, dass es keinen essentiellen Unterschied zwischen Heiden und Juden gibt. Das heißt auch, dass die Juden kein περισσόν haben. In 3,1–9 legt er seine eigenen Überlegungen zum περισσόν der Juden offen. Paulus durchdenkt das Thema des „Vorzugs“ der Juden anhand der Beschneidung und verfolgt damit die Linie von 2,25–29. Seine Argumentation reicht über 3,9 hinaus bis 3,18. Sie ist eigenartig gebrochen. 3,1–8 besteht auf dem Vorzug der Juden, dargestellt aber nicht als Bundesmitgliedschaft der beschnittenen Juden, sondern als Treue Gottes, die den Juden nicht den Bund, sondern Gottes λόγια Zur Polemik des Textes s. u. im Sinn von 2 Kor 10,5 – dort gegen christliche γνῶσις gerichtet. 47 Vgl. dieselbe Denkfigur in der Stephanusrede. Auch hier unterbleibt die Wendung zur Buße (s. o. Anm. 28). 48 Hier schwingt die auch im Judentum anzutreffende Vorstellung mit, die sich auch 1 Kor 6,2 findet, (gerechte) Menschen würden mit Gott und Christus zusammen am Endgericht mitwirken (vgl. weiter Mt 12,41 f. par; H. L. Strack/P. Billerbeck, Kommentar, 124. 45
46 Etwa
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anvertraut hat. Es handelt sich also um einen passiven Betrauungsvorgang, nicht um ein aktives Handeln der Juden. In V. 9 lenkt Paulus erst zu V. 1 zurück,49 um dann auf die „vorherige Anklage“ zurückzugreifen: Alle Juden und Griechen stehen unter der Sünde. Die Kette der Schriftbeweise müssen wir hier nicht im Einzelnen betrachten, wohl aber den generalisierenden Schluss in 3,19 f. Zunächst behaftet Paulus die Juden bei ihren Sünden gegen die Tora, um noch einmal ganz deutlich zu machen, dass sie von dem allgemeinen Schuldspruch gegen den Kosmos eben nicht ausgenommen sind (V. 19). Dann gibt er noch einmal eine Begründung, die die Funktion der Tora ebenfalls im juridischen Paradigma klärt. Die Tora wirkt aufklärend wie ein Ankläger, indem sie ἐπίγνωσις ἁμαρτίας schafft. Im Rechtsstreit Gottes mit den Juden50 fungiert sie als Staatsanwalt. Die Argumentation gipfelt in dem allgemeinen Schuldspruch: ὑπόδικος γένηται πᾶς ὁ κόσμος τῷ θεῷ (V. 19). Diese Sentenz macht ebenso wie der Nachsatz ganz deutlich, dass Paulus in diesem Text das gesamte Verhältnisgefüge zwischen Gott und Menschen als Rechtsverhältnis in einem endzeitlichen Rahmen versteht und zu dem Urteil gekommen ist, die ganze Menschheit – für ihn aus Griechen und Juden bestehend – habe sich grundlegend verfehlt und sei vor Gott des Todes schuldig. Dies Urteil gilt im Lichte der offenbaren und offenkundigen Strafgerechtigkeit Gottes, die in Kapitel 1 und 2 dargestellt wird. Der Götterdienst und die Unmoral der Heiden liegen ebenso zutage und sind eben solche Zeugen dieser Strafgerechtigkeit wie die Urteilssucht und die Heuchelei der Juden. Fragt man zusammenfassend noch einmal gesondert nach den Propositionen, so empfiehlt es sich, mit Joseph A. Fitzmyer von bestimmten „topics“ zu sprechen, mit denen sich Paulus beschäftigt.51 Fitzmyer findet in 2,1–3,20 sechs Grundaussagen: erstens das allgemeine Prinzip von Gottes unparteilichem Gericht (V. 11), zweitens den Hinweis darauf, dass nicht schon der Besitz des mosaischen Gesetzes eine Garantie gegen Gottes Zorn darstellt (V. 12), drittens dass sich Gottes Zorn gegen Heiden wie gegen Juden aufgrund ihrer mangelnden Gotteserkenntnis und ihrer Lebensführung richtet (1,18ff und 2,17ff), viertens dass die Beschneidung die Juden nicht einfach vor Gottes Zorn schützt (2,25ff). Fünftens beschäftigt er sich mit den religiösen Privilegien der Juden (3,1ff), sechstens bestätigt er, dass alle Menschen Sünder sind und dem göttlichen Strafgericht verfallen (3,9ff).
Ich lese den Text mit Hilfe des Nestle-Interpunktionsvorschlages. richtet sich speziell an Juden. Dass die Heiden vor Gott schuldig seien, ist hier mit Kapitel 1 wieder vorausgesetzt. Das zeigt das generalisierende Schlussurteil. 51 J. A. Fitzmyer, Romans, 296 f. 49
50 3,19
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III. Texte
3.3 Pragmatik Die Frage nach der Textpragmatik wird vor allem für die beiden anklagenden Reden wichtig. Sie erklärt sich im Zusammenhang der Diatribe, die Teile von Kapitel 2 kennzeichnet. Zugleich gibt sie weiteren Aufschluss über die Frage, wer der Mensch von 2,1 sei und wie Kapitel 2 in der paulinischen Anthropologie situiert ist. Zunächst ist ein Blick auf die Pragmatik motivisch benachbarter Texte hilfreich. Wir lesen in der kanonischen Textsammlung des Neuen Testaments einige herausragende Texte, die der menschlichen Schuldfrage gewidmet sind. Die Frage wird sehr unterschiedlich behandelt und auf ganz unterschiedliche Personen bezogen: in Joh 8 auf eine überführte Ehebrecherin, in Röm 7 auf eine theologische Größe, nämlich das literarische „Ich“, das in Sünde verstrickt ist, in Luk 3 auf „die Menge“ (ὄχλοι 3,7), die Johannes der Täufer als „Schlangenbrut“ anspricht, in Mt 23 auf die Schriftgelehrten und Pharisäer, in Jak 4 auf eine ekklesiologische Größe, nämlich die christliche Lesergemeinde des Briefes, die der Verfasser literarisch in toto als „Sünder“ anspricht (4,8), in Apg 7 auf das Synhedrium, schließlich in Mt 7,1–5 auf das heuchlerische Richten allgemein. Welche Pragmatik bieten diese Texte an? Eine einfache eifernde Pragmatik finden wir in der schon erwähnten Täuferrede in Lk 3,7 ff. Diese Art der Pragmatik liegt nicht in der Intention des Paulus. Johannes der Täufer vertraut in der lukanischen Rede der Möglichkeit der Umkehr der Hörerschaft, während der Paulustext keinen Weg zu Buße und Umkehr eröffnet. Auch eine gruppenspezifische Schelte gegen besonders fromme jüdische Lehrer wie in Mt 23 scheidet aus, obgleich sie sich von Röm 2,17 her zunächst nahezulegen scheint. Jesus schilt die Schriftgelehrten und Pharisäer, und zwar formal logisch an eben jenem Punkt, den auch Paulus anspricht: λέγουσιν γὰρ καὶ οὐ ποιοῦσιν (Mt 23,3). Die Intention ist aber eine andere: Jesus tadelt die rituell-ethische Überfrachtung der Lehre, die die Lehrer den Juden aufbürden, ohne sie selbst zu praktizieren, während Paulus die richtende Heuchelei anklagt. Denkbar wäre auch die Intention, die Hörer und Leser des Römerbriefs aufzurufen, auf das (verurteilende) Richten zu verzichten, um nicht selbst Gottes Gericht auf sich zu ziehen. Der klassische Text in diesem Zusammenhang ist Mt 7,1: „Μὴ κρίνετε, ἵνα μὴ κριθῆτε“. Die Komposition von Mt 7,1–5 steht formal und inhaltlich Röm 2,1–10 und 17–24 sehr nahe. Der Topos „Nicht richten, um nicht gerichtet zu werden“ findet sich auch in unterschiedlicher Akzentuierung in der Beispielerzählung Mt 18,23–35, mehrfach bei Paulus (Röm 14,4; 1 Kor 4,5; 5,12) und im Jakobusbrief (4,11f). Die beiden Reden in Röm 2 folgen aber nicht der Intention, auf die Verurteilung anderer zu verzichten. Denn die angesprochenen – fiktiven – Personen werden nicht dazu aufgefordert, nicht zu richten, sondern sie werden im Gegenteil auf ihre – nicht aufzuhebende – Schuld angesprochen und – sit venia verbo – zu dieser Schuld geradezu verdammt, jedenfalls bei ihr behaftet. Auch die
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Lösung, die Joh 8 anbietet: die stumme Einsicht der richtenden Schriftgelehrten und Pharisäer (vgl. Mt 23) in ihre eigene Schuld und ihr ebenso stummer Verzicht auf eine Verurteilung, sind in Röm 2 nicht im Blick. Die Reden des Kapitels haben offensichtlich eine eigene Pragmatik. Der Redegestus des Passus 2,1–6 erschließt sich von der Diatribe her, wie sie Stanley Kent Stowers, Klaus Berger und Thomas Schmeller im Anschluss an R. Bultmann und in kritischer Diskussion seiner Thesen beschrieben haben.52 Wesentliche Elemente sind der plötzliche Einsatz der Anrede einer fiktiven Ansprechperson, Anrede in der 2. Person Singular, Anrede mit Titel – hier „o Mensch, der du richtest“ (V. 1 und 3), rhetorische Fragen, kommunikativer Plural, Liste von Untugenden bzw. Lastern.53 Der Textabschnitt ist allerdings sehr kurz, so dass Beispiele, Gleichnisse und Wortreichtum – wesentliche Elemente der Diatribe – wegfallen. Wichtig sind drei Motive, die zum Modus diatribischer Rede gehören: erstens die ethische Thematik der Diatribe/Dialexis, zweitens ihre Einbindung in den philosophischen Schulbetrieb, drittens ihre Einbettung in die philosophische Leitung und Seelenführung der Schüler.54 Paulus hat Elemente der Diatribe in seine literarische Gerichtsrede im Kontext der brieflichen Kommunikation aufgenommen. Er literarisiert also die mündliche Diatribe, indem er sie in einen Brief einbettet, und modifiziert damit auch die genannten Motive. Aber weiterhin gilt: Wenn Paulus in Röm 2 mit einem so deutlich diatribischen Textabschnitt einsetzt, müssen wir die Anklage gegen den „richtenden Menschen“ und gegen den „sich rühmenden Juden“ in diesem literarischen Zusammenhang lesen. Ähnliches gilt für die zweite Anklagerede 2,17–24: wieder der unvermittelte Beginn, die polemische Anrede in der 2. Person Singular, der Titel – hier „du nennst dich Jude“, eine Liste mit Untugenden, eine Kette scharf antithetischer rhetorischer Fragen, die zu der sentenziösen Pointe in V. 23 führen. Paulus formuliert eine skandalöse contradictio in adiecto mit dem Spitzengegensatz „rühmen“ und „schänden“. Stanley Stowers hat nun deutlich gemacht, dass Paulus seinen beiden diatribischen Redeabschnitten bekannte Typen aus der Diatribe unterlegt. In der ersten Rede ist es der überkritische Richter,55 in der zweiten Rede der philosophisch-moralische Heuchler und Angeber, wohlbekannt z. B. aus Lukians
52 St. K. Stowers, Diatribe, bes. 93–100. K. Berger, Formgeschichte, 110 f. Vgl. auch K. Berger, „Gattungen“, 1034–1432, bes. 1124–1132. Th. Schmeller, Paulus. 53 Mit K. Berger; St. K. Stowers, Diatribe, 94, rechnet οἴδαμεν nicht zu den diatribischen Stilzügen. – Allg. zum gegenwärtigen Stand der Diatribe-Forschung vgl. K.-H. Uthemann/ H. Görgemanns, „Diatribe“, 530–533. 54 K. Berger, „Gattungen“, 1126 f. (auch zum philosophischen Brief 1132–1145). 55 Plutarch, Moralia 515 D (De curiositate). 55 Plutarch, Moralia 515 D (De curiositate).
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III. Texte
Hermotimos,56 den schon Epiktet als ἀλαζών und ὑπόδικος beschrieben hat.57 Aber Paulus wandelt beide Typen für sein Lesepublikum ab und bezieht sie in den Gedankengang von 1,18–32 ein. Stowers beschreibt das so: „The function of 2:1–5 is to bring home, to concretize and to sharpen the indictment in 1:18–32 … for Paul’s audience. It takes the indictment of “them” in 1:18–32 and makes it into a personal indictment of any of the audience to whom it might apply.“58 Paulus zielt also nicht auf Juden als gens oder als religiöse Gruppierung, und es handelt sich nicht um antijüdische Polemik. Vielmehr zielt Paulus auf den Typus des ὑβριστής ὑπερήφανος oder ἀλαζών, hier für sein Publikum und aus seiner eigenen Erfahrung als κρίνων oder eitler jüdischer Gesetzeslehrer beschrieben. Paulus behaftet alle Hörer, die die Menschen aus seiner ersten Rede in 1,18ff verurteilen, bei ihrer falschen, weil prätendierten Arroganz. An diesem Punkt stoßen wir auf die anthropologische Relevanz der diatribischen Abschnitte in Kapitel 2. Stowers führt aus: „The technique is tied to the philosophical school and the pedagogy of its members. The phenomenon is particularly connected with a basic anthropological problem.“59 Während die Schuldiatribe den pretentiösen und arroganten Philosophen karikiert, wendet Paulus diese Typologie ins Religiöse. Stets aber ist die Spitze anthropologisch, d. h. allgemein. Die Pragmatik ist informativ. Sie agiert als elenchtische Schulpragmatik im Stil der sokratischen philosophischen Pädagogik.60 In diesem Zusammenhang wird nun ganz deutlich, dass die Pragmatik von Röm 2 „informativ“ ist, wenn wir die Terminologie des Textlinguisten Klaus Brinker verwenden.61 Unter den Textsorten, die der pragmatischen Intention der Information zugeordnet sind, befinden sich die Sachtexte, d. h. natürlich alle Lehr- und Schultexte. Und um einen solchen Text handelt es sich in Röm 2, worauf der Diatribenstil bereits hingewiesen hat. Die Form der Scheltrede mit der Anrede „O Mensch“ und „Du Jude“ kann die irrtümliche Vermutung aufkommen lassen, es handle sich hier textpragmatisch um die Appellfunktion.62 Die Anreden und die Kette polemischer Fragen sind aber stilistische Bestandteile des diatribischen Lehrvortrags, der mit diesen drastischen Mitteln auf Verstehen, nicht auf Handeln zielt. Die Textpragmatik ist eng mit der Form bzw. dem Stil des Kapitels verbunden. Kapitel 2 ist nicht ein ethisch-appellativer Traktat, der auf die Änderung des 56 Lukian, Hermotimos. P. v. Möllendorff erläutert im Kommentar die „Strategien subversiver Ironie“ (210), deren sich Lukian bedient. Röm 2 ist auch in diesem Zusammenhang zu lesen. 57 St. K. Stowers, Diatribe, 108–110. 58 St. K. Stowers, Diatribe, 110. 59 St. K. Stowers, Diatribe, 116. 60 Ebd. 61 K. Brinker, Textanalyse, 113–117. Vgl. O. Wischmeyer, Hermeneutik, 149–158. 62 K. Brinker, Textanalyse, 117–125.
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Ethos seiner Leserschaft drängt, sondern ein ethischer Schultext, der mit den beweglichen Formen und anschaulichen Motiven der Diatribe die allgemeine Anklagerede von 1,18ff durch das Beispiel eines „Menschen, der sich zu entschuldigen sucht, dabei aber ungerechtfertigt richtet“, und das zweite Beispiel eines „eitlen jüdischen Gesetzeslehrers, der gravierend gegen das Gesetz verstößt“, verdeutlicht. Die Beispiele sind krass, unrealistisch und gehen bis ins Absurde, setzen aber doch bei der Erfahrung an und behaften den Einzelnen bei seinen Untugenden. Sie übertreiben also bestimmte Phänomene, eben um sie zu verdeutlichen. Sie dienen der fundamentalen Anthropologie der Vorfindlichkeit und ihrer kritischen Valenz. So ist kein antijudaistischer Text entstanden, sondern ein belehrender Text von anthropologischer Dimension, und zwar aus jüdischer Perspektive, die die Menschheit in Juden und Heiden fasst. Dadurch wird der Text im Einzelnen zweideutig und entgeht nicht der Gefahr der sich verselbständigenden Polemik. Andererseits ist die Polemik Bestandteil der lehrenden Diatribe. Römer 2 gestattet uns einen Einblick in die Lehrtätigkeit des Paulus. Wir können davon aus- gehen, dass Paulus in dieser Weise lehren konnte und diesen diatribischen Lehrstil erfolgreich in seinem Schulbetrieb verwendet hat. Klaus Haacker weist zurecht darauf hin, dass Paulus diesen Lehrstil auch bei seiner Lehrtätigkeit in Rom (1,11) weiterpflegen will.63
4. Röm 2 im Zusammenhang des negativen Menschenbildes des Paulus Ich frage nun abschließend: Welchen Typus von Anthropologie finden wir in Römer 2? Röm 1,18–3,20 entfalten ein grundsätzlich negatives Menschenbild, literarisch gestaltet als große Anklagerede des Apostels gegen die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschheit, die in ein generelles Todesurteil mündet. Die Grundlage dieses Menschenbildes bildet die für Paulus offensichtliche Vorfindlichkeit und Faktizität beider Größen: der Gottlosigkeit, dokumentiert in der Unmoral, und der Ungerechtigkeit, demonstriert in der Sucht nach Verurteilung anderer Menschen. In der weiteren Argumentation des Römerbriefes verbindet Paulus diese Gegebenheiten, die sich als Sünde manifestieren („Darum hat Gott sie dahingegeben“ 1,24ff), mit weiteren anthropologischen Gegebenheiten: der Faktizität des Sterbens als der conditio humana und der dieser zugrundeliegenden Adamstheologie, wie Paulus sie in Röm 5 aus Gen 2,17 entfaltet.64 Der Tod der 63 K. Haacker, Brief, 58. Zum Thema „Paulusschule“ vgl. Th. Schmeller, Schulen; H. Merkel, „Lehrer“, 235–253; T. Vegge, Paulus. 64 Vgl. auch schon 1 Kor 15.
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III. Texte
Menschen wird als Folge der Sünde Adams und in Adam aller Menschen, d. h. als Folge eines grundsätzlichen Vergehens gegen Gott interpretiert. Der Tod weist auf Adams Sünde zurück. Die Sünde ist Indiz, das Gesetz, das von der Sünde übertreten wird, aufdeckende Anklageinstanz der Ungerechtigkeit. Diese Grundschuld fordert die Anklage und die Verurteilung geradezu heraus. Sie setzt den eschatologisch-juridischen Interpretationsrahmen. Wenn Paulus die Anklage formuliert: „Juden und Griechen sind alle unter der Sünde“ (3,9), dann proklamiert er Gottes Gericht über den ganzen Kosmos und entwirft zugleich damit eine einheitliche Anthropologie jenseits der Religionen bzw. jenseits von Bund und Gesetz. Diese Proklamation versteht er als Teil seines εὐαγγέλιον, das auf die Erfahrbarkeit der Offenbarung des Gotteszornes über die Ungerechtigkeit hinweist (1,18), um selbst die neue Glaubensgerechtigkeit zu offenbaren. Kapitel 2 ist in seinen Reden und Kommentaren dieser universalen Perspektive verpflichtet und stellt diese zugleich her, und zwar im Sinne einer allgemeinen Anthropologie, die als Korrelat zur Universalität von Gottes Gerechtigkeit verstanden wird. Die Paradigmatik der Reden macht deutlich, dass es hier nicht um religiös-ethnische Anti-Israel-Polemik, sondern um anthropologische Vorfindlichkeiten, dargestellt in ethischer Typologie, geht. Im ersten Kommentar in 2,11–16 weitet Paulus die Teilperspektive des Menschen, der andere verurteilt, im Sinne einer allgemeinen Stellungnahme zu Anthropologie und Handlungsethik aus, die sich aus einem neuen Verständnis Gottes ableitet: Gott urteilt nicht mehr nach der Religion der Menschen, nämlich ihrem Juden- bzw. Heidentum, sondern nach einem davon unabhängigen Kriterium.65 In diesem Zusammenhang entwickelt Paulus einen neuen, gleichsam postbzw. transjüdischen, allgemein-menschlichen Gesetzesbegriff (V. 14), der nicht mehr auf die Ganzheit der Tora Israels, sondern auf das Tun des ethisch verstandenen Guten66 bzw. des Sittengesetzes bezogen ist. Korrelat zu diesem allgemeinen Sittengesetz ist das Gewissen des Menschen unabhängig von seiner ethnisch-religiösen Gruppenzugehörigkeit zu Juden oder Heiden. Damit tritt zugleich, ohne dass Paulus diesen Gedanken ausspräche, der einzelne Mensch als vor Gott verantwortliches Individuum in den Blick.67 In 2,25–29 stellt Paulus klar, dass aus seiner Sicht im Gefüge des jüdischen Bundesnomismus die Gesetzeserfüllung über dem Zeichen des Bundes, der Beschneidung, steht und letztere daher dem jüdischen „Heuchler“ nichts nützt. 65 V. 11: Gott übt keine προσωπολημψία im Sinne der Bindung seines Urteils an religiöse Vorgaben, sondern bezieht sich ausschließlich auf das Tun der Menschen. 66 Paulus spricht dies nicht aus. Aus seiner Argumentation geht aber hervor, dass er an das „Sittengesetz“ denkt, das auch Heiden, die die Tora weder kennen noch praktisch einhalten könnten, erfüllen. Paulus geht von einer Übereinstimmung zwischen dem Ethos der Tora und dem Ethos der heidnischen Lebensregeln aus. 67 Vgl. Röm 7. Dazu Ch. Frevel/O. Wischmeyer (Hg.), Menschsein, 102–106.
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Damit löst er den Beschneidungsbegriff analog zur Ausweitung des Gesetzesbegriffes in 2,12–16 aus dem rituellen jüdischen Zusammenhang. Er behauptet die Möglichkeit einer „inneren“, d. h. ethischen, Beschneidung für Heiden, die er damit zugleich als potenzielle Mitglieder des Gottesbundes versteht, der nun nicht mehr primär den Juden gilt. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass Römer 2 die universale Anthropologie von Kapitel 1 ausarbeitet und argumentativ vertieft. Die Beispiele, so grell und überzogen sie gewählt sind, dienen Paulus als Ausgangspunkt grundsätzlicher anthropologischer Überlegungen. Sie illustrieren die ἀσέβεια und ἀδικία der Menschen. Wie lässt sich von hieraus nun das Menschenbild des Paulus beschreiben? Klaus Haacker spricht vom „anthropologischen Pessimismus“ des Paulus, Ekkehard Stegemann von seiner „tragischen Anthropologie“.68 Udo Schnelle verortet die Anthropologie des Paulus genauer in der „religiös-philosophischen Debatte über den Ursprung des Bösen und seine Überwindung“. Aber auch er sieht Paulus im Chor seiner Zeitgenossen, die „ein düsteres Bild vom Zustand der Menschheit“ zeichneten.69 Nun hat Paulus ebenso wenig wie die gesamte Vormoderne und Moderne bis ins 20. Jahrhundert eine explizite philosophische Anthropologie, wohl aber eine Vorstellung vom Menschen im Rahmen seines Gottesverständnisses. Und weder der antik-griechische literaturtheoretische Begriff der Tragik noch der aus der Philosophie des 19. Jahrhunderts stammende Pessimismusbegriff beschreiben das Denken des Paulus schon hinreichend. Vielmehr ist sein Menschenbild, wie Udo Schnelle selbst ganz deutlich gemacht hat, Teil seiner religiös geprägten Wirklichkeitswahrnehmung. Er erlebt und beurteilt die Menschheit und die Menschen von Gottes Wirklichkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit, die ihrerseits Recht setzt und einfordert, her. Der Realismus seiner Wahrnehmung hat eine theologische Matrix. Das lässt sich im Hinblick auf Römer 2 präzisieren. Sein anthropologischer Realismus, der in Röm 1,18–3,20 so unbarmherzig zu Tage tritt, ist – wie gezeigt – ein Korrelat seines universalen Gottesverständnisses und des daraus folgenden Gerechtigkeits-, Gesetzes-, und Gerichtsverständnisses. Weil Gottes Gerechtigkeitsforderung universal und real, d. h. auf das Tun des Gesetzes, bezogen ist, stellt sich die menschliche Wirklichkeit als die Wirklichkeit universaler Sünde dar, wie Paulus sie in 1,18–32 allgemein, in 2,1ff exemplarisch beschreibt. Die Realität der Forderungen der Tora und des heidnischen Sittengesetzes führt zu diesem Bild von der universalen Ungerechtigkeit und Todesverfallenheit aller Menschen, theologisch expliziert als Offenbarung des richtenden Gotteszornes. So entwerfen Röm 1,18–3,20 das Bild einer universalen Anthropologie einer Menschheit, die vor Gott schuldig ist und dem Tode K. Haacker, Brief, 80. E. Stegemann, „Apostel“, 45. U. Schnelle, Paulus, 578.
68 69
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III. Texte
verfällt. Paulus entwirft in Röm 1–3 eine universale Schuldanthropologie im Rahmen seines juridischen Gottesbegriffs. Im Zusammenhang der epistolographischen Argumentation im Römerbrief ist diese Anthropologie nun aber trotz ihrer Wirklichkeit nur ein Durchgangsstadium. Das Evangelium des Paulus, die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes als Glaubensgerechtigkeit, führt zu einer Neukonzeption der Anthropologie im Rahmen eines neuen, soteriologischen Gottesbegriffs, der christologisch bestimmt ist. So wird nun eine christliche Universalanthropologie der Existenz im neuen Adam, Jesus Christus, konzipiert, und zwar als neue Existenz in der Entschuldung (Röm 8,1) des „elenden Menschen in seinem Todesleib“ (Röm 7,24): οὐδὲν ἄρα νῦν κατάκριμα τοῖς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Ich halte abschließend einige Ergebnisse in thetischer Form fest: Röm 2 ist kein antijudaistischer Text, sondern zunächst Teil des innerjüdischen Israel-Diskurses, von dem er sich aber zugunsten einer universalen Verurteilung der Menschheit vor Gottes Forum fortentwickelt und damit universal-anthropologische Dimensionen annimmt. Die Heftigkeit der Polemik gegen bestimmte Juden resultiert aus der unerhörten These des Paulus, auch gesetzestreue Juden, die im Bund leben, seien vor Gott nicht gerecht, sondern schuldig. Um die Leserschaft von dieser These zu überzeugen, bedient Paulus sich einer so starken diatribischen Polemik, dass diese Texte trotz ihres Schulcharakters und ihrer anthropologischen Intention antijudaistisch wirken können. Weiterhin führt Paulus in Röm 2 nicht das Gericht nach Werken neu ein, sondern beschreibt den Ist-Zustand des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen in der adamitischen Welt, dies aber im Horizont der neuen Existenz in Christus, die Inhalt seines Evangeliums ist.70 Daraus entwickelt sich eine neue christologisch fundierte Universalanthropologie.
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14. Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39 1. Vorbemerkungen zum Stand der Exegese von Röm 8,31–39 Röm 8,31–39 stellt in formaler Hinsicht den argumentativen Abschluss des ersten Hauptteils des Römerbriefs dar. Der Text hat dementsprechend in den Kommentaren stets eine ausführliche Würdigung erhalten1 und ist darüber hinaus Gegenstand nicht nur zahlreicher Aufsätze2, sondern auch mehrerer Monographien.3 Die Sprache, der Stil, die Gliederung, die literarische Form und die Stellung des Textes im Kontext der Kapitel 1–8 haben immer wieder neue Beschreibungen gefunden. Besondere Aufmerksamkeit haben die Exegeten drei Fragestellungen gewidmet: – Spielt V. 32 auf das Isaak-Opfer an, so dass der Text in den Zusammenhang des Akedah-Themas gehört?4 – Hat Paulus christologische Traditionen benutzt, aus denen sich unter Umständen eine Vorlage rekonstruieren lässt, so dass wir es mit einem Text zu tun hätten, in dem Paulus eine Gemeinde-Vorlage kommentiert?5 – Welche Herkunft hat die Peristasenreihe? Das sehr spezielle Problem der Akedah-Problematik kann ich hier nicht ansprechen. In der exegetischen Literatur sind die Argumente ausgetauscht. Auf der argumentativen Ebene handelt es sich um eine christologische Aussage, die die ἀγάπη-Sätze in den Versen 35 und 37 vorbereitet. Die Frage nach den christologischen Traditionen im Sinne einer Vorlage ist in den neueren Kommentaren zurückgetreten. Rückgriffe auf urchristliche Traditionen in den Versen 32 und 34 sind jedenfalls deutlich. Die Peristasenreihen bei Paulus ent-
Vgl. besonders die ausführliche Würdigung bei R. Jewett, Romans, 531–554. Siehe u. a. Ch.-H. Cloutier, „Rm 8,31–39“, 325–341; G. Schille, „Liebe“, 230–244; A. H. Sny man, „Style“, 218–231; J.-N. Aletti, „Rhetoric“, 294–308. 3 Siehe P. von der Osten-Sacken, Römer 8; H. Paulsen, Überlieferung. 4 Vgl. J. A. Fitzmyer, Romans, 536–538 und R. Jewett, Romans, 39–41. 5 Siehe P. von der Osten-Sacken, Römer 8 und H. Paulsen, Überlieferung. Weiter: W. Popkes, Christus, 251–253; G. Schille, „Liebe“. 1 2
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III. Texte
halten Material aus der stoischen Diatribe, wie Martin Ebner in seiner sehr differenzierten Studie nachgewiesen hat.6 Unterschiedliche Verstehenssignale setzen die Überschriften der Kommentare für den Textabschnitt. Einige Kommentatoren beziehen sich auf die literarische Form des Textes: – „Ein Bekenntnis von unerschütterlicher Zuversicht als Fazit der Entfaltung des Evangeliums“ (K. Haacker).7 – „Hymn to the love of God manifest through Jesus Christ“ (J. A. Fitzmyer).8 Andere Ausleger benennen wichtige oder zentrale Themen oder Themenkomplexe des Textes: – „Das Sein im Geiste als Wirklichkeit der Überwindung“ (E. Käsemann).9 – „Die alles überwindende Liebe Gottes in Jesus Christus“ (H. Schlier).10 – „Getroste Zuversicht“ (E. Lohse).11 – „The triumph of God – his faithfullness and the assurance of truth“ (J. D. G. Dunn).12 – „The believer’s security celebrated“ (D. J. Moo).13 – „The Status of the Elect Based on Divine Love“ (R. Jewett).14 Es ist offensichtlich, dass die Überschriften notwendigerweise die Fülle der in Röm 8,31–39 angesprochenen oder latent anklingenden Begriffe und Propositionen reduzieren müssen, indem sie entweder einzelnen Begriffen eine zentrale inhaltliche Bedeutung zuweisen oder aber eine Meta-Sprache der Beschreibung des textlichen Sinngefüges benutzen. Dem steht aber die Kleinteiligkeit des Textes mit seinen zahlreichen Traditionselementen und seiner unruhigen Gliederung entgegen: christologische Traditionen, ein Septuaginta-Zitat, ein Peristasenkatalog, ein Mächtekatalog, eine Kette rhetorischer Fragen, die unklare Syntax der ersten Verse. Eine einheitliche Interpretationslinie will sich da schwerlich ergeben. Seit Eduard Norden15 und Johannes Weiß16 wird der hymnische Charakter des Textes angesprochen, entweder als Stilebene oder als Hinweis auf eine Gattungsbezeichnung. Dabei hatte die Analyse von Johannes Weiß auch noch eine andere M. Ebner, Leidenslisten, 365–386. K. Haacker, Brief, 172. 8 J. A. Fitzmyer, Romans, 528. 9 E. Käsemann, Römer, 234. 10 H. Schlier, Römerbrief, 275. 11 E. Lohse, Brief, 254. 12 J. D. G. Dunn, Romans 1–8, 496. 13 D. J. Moo, Epistle, 537. 14 R. Jewett, Romans, 531. 15 E. Norden, Kunstprosa, 509. 16 J. Weiß, „Beiträge“, 165–247. 6 7
14. Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39
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Interpretationsmöglichkeit eröffnet: die rhetorisch geschmückte Prosarede.17 Rudolf Bultmann18 führte dafür den Kunstbegriff der Diatribe ein, den Stanley K. Stowers19 in die Breite hinein ausgearbeitet hat. Thomas Schmeller hat eine sorgfältige Analyse des Textes und seiner diatribischen Elemente vorgelegt.20 Schmeller legt besonderen Wert auf die pragmatische Funktion dieser diatribischen Sprache und Argumentation. Dieser Stil soll eine persönliche und durchaus emotive Wirkung erzielen und die theologischen Ausführungen noch einmal gleichsam ad personam applizieren. Die sog. Diatribe dient der Anwendung und dem Lebensvollzug. Die neueren Kommentare schwanken hier in ihrer Terminologie. Ich zitiere hier exemplarisch Eduard Lohse, der vom „hymnischen Klang“ und „triumphierenden Worten“ spricht, aber auch die „engagierte Rhetorik“ des Textes beschreibt.21 Eine genauere Beschreibung von Stil und Form des Textes bleibt daher ein exegetisches Desiderat. Ich halte die exegetischen Überlegungen zu Form und Stil von Röm 8,31–39 für besonders wichtig für die Interpretation des Textes und werde am Schluss darauf zurückkommen. Ein weiteres Desiderat ist die Nachzeichnung der verschiedenen Vorstellungsbereiche, auf die Paulus in diesem Text anspielt. Die Kommentare haben in diesem Aspekt, der die Tiefenstruktur der Textorganisation betrifft, keine vertiefte Aufmerksamkeit entgegengebracht.22 Die dichte Verflechtung unterschiedlicher Szenarien in Röm 8,31–39 und ihre Beziehung zu Röm 1,1–8,30 bilden daher das engere Thema dieses Beitrags.
2. Beobachtungen zum Prozess-Szenario in Röm 8 Die folgenden Beobachtungen nehmen ihren Ausgang bei dem Rechtsvokabular in 8,31–39. Der Text steht unter der Antithese: für – gegen (V. 31). Aus dieser formalen Antithese entwickelt sich das nur sehr allgemein umrissene Bild einer möglichen („wenn“) Prozesssituation, die folgende Elemente enthält:
17 Vgl.
a. a. O., 165–168. Stil, 73. Bultmann ordnet 8,31–39 der dritten Gruppe diatribischer Passagen in den Paulusbriefen zu: „Es sind die Stellen, an denen sich die Rede zu begeistertem Schwung erhebt … Auch sie klingen nicht wie Briefstil, sondern wie begeisterte Rede … in dieser Weise redete Paulus in der Gemeindeversammlung“. 19 St. K. Stowers, Diatribe. 20 Th. Schmeller, Paulus, 389–405. 21 E. Lohse, Brief, 254 f. 22 D. J. Moo, Epistle, 538, weist darauf hin, dass der erste Teil (V. 31–43) von “judicial imagery” beherrscht wird. Im zweiten Teil (V. 35–39) herrschen nach Moo Sieg und Liebe vor, ohne dass er hier deutlicher wird oder die unterschiedlichen Szenarien in ihrer Beziehung zueinander diskutiert. 18 R. Bultmann,
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III. Texte
– „Wir“ als mögliche Angeklagte (καθ᾿ ἡμῶν)23 – Gott als – juristisch zunächst keiner klaren Rolle zuzuordnender – Helfer oder Gönner (ὑπὲρ ἡμῶν) in einem Gerichtsverfahren24 – Mögliche Ankläger oder feindliche Rechtsparteien (ἐγκαλεῖν)25 – Mögliche Richter, die eine Verurteilung aussprechen (κατακρίνειν)26 – Christus als Anwalt (ἐντυγχάνειν)27 – Gott als der Richter, der „uns“ freispricht bzw. für gerecht erklärt (δικαιοῦν)28. Die Kette von Verben mit juridischer Bedeutung: ἐγκαλέω, δικαιόω, κατακρίνω, ἐντυγχάνω29 unter dem Vorzeichen von „Für- oder Gegensein“ stützt das Gerichtsszenario. Dies Szenario wird durch die rhetorischen Fragen in V. 31b.32.33a und 34a und durch die Frage-Antwort-Struktur der Verse 31–34, die Teile eines Verhörs sein könnten, verstärkt.30 Das τίς in den Versen 31.33.34 evoziert Prozessgegner, die als Ankläger auftreten. Die Szene knüpft an das entsprechende große Gerichtsbild von 1,12–3,10 an: Der richterliche Zorn Gottes erstreckt sich auf die gesamte Menschheit. In 1,32 formuliert Paulus das Todesurteil für Heiden, in 2,1 für alle selbstgerechten Menschen, in 2,12 für alle Gesetzesübertreter, in 2,17ff besonders für Juden, die das Gesetz übertreten. 3,1ff weist Paulus nach, dass alle Menschen ungerecht sind. 3,19f zieht das Fazit: Die ganze Welt ist vor Gott schuldig (ὑπόδικος).31
23 Κατά im Sinne von „feindlich gegen“ 8,31.33; 11,2 (auch dort Gerichtsvokabular mit ἐντυγχάνω). Vgl. zum Gerichtsvokabular im Zusammenhang mit κατά auch Mk 14,55. 24 Ὑπέρ muss in der Antithese zu „gegen“ juridisch als „für, zugunsten von“ verstanden werden. Analogien: 8,27 (auch dort Gerichtsvokabular mit ἐντυγχάνω, auf den Geist als Anwalt bezogen, vgl. die Rolle des Parakleten im Johannesevangelium). Zur Rolle Christi als des Anwalts in V. 34 vgl. unten. Jewett erklärt das ὑπέρ in V. 31 christologisch-sakramental von 5,5–8 her. Damit nimmt er V. 32 vorweg. In V. 31 geht es noch nicht um Christi Tod, sondern um Gottes positive Rolle im Gerichtsverfahren. Der Modus dieser positiven Haltung, die Art von Gottes helfender Intervention wird in V. 32 beschrieben. 25 Ἐγκαλέω: hapax legomenon bei Paulus. Begegnet sechsmal in Apg im Sinne der Anklage oder Beschuldigung. 26 Κατακρίνω/κατάκριμα: Röm 2,1; 5,16; 8,1.3.34; 14,23; 1 Kor 11,32. Verurteilung, Verdammung (Röm 5,16). 27 Ἐντυγχάνω: Röm 8,24.34; 11,2 (s. o.). 28 Δικαιόω: sehr oft im Römerbrief; vgl. 8,30 als Stichwort für 8,31–39: es gibt keine erfolgreichen Ankläger für die Gemeindeglieder. 29 Οὐκ φείδομαι kann einen juridischen Nebensinn haben: Urteilsvollstreckung statt Milde. 30 Ich gehe davon aus, dass V. 31b.32b.33a.34a Fragen sind, 33b und 34b als Kurzrepliken zu verstehen sind. 31 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Röm 2,1–24“, 356–376.
14. Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39
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3. Beobachtungen zum Teilhabe-Szenario in Röm 8,31–39 Es ist unmittelbar einleuchtend, dass dies Szenario an die Gerichtsrede gegen die Menschheit in Röm 1–3 anknüpft32 und damit den ersten Teil des Briefes zum Abschluss bringt. Noch einmal wird der Freispruch der Menschen in juridischer Terminologie bestätigt: Gott ist für uns. Das Prozess-Szenario, das mit dem Urteil „unentschuldbar“ seit 1,1833 von Paulus literarisch inszeniert wird, wird in 8,31–39 literarisch zum Abschluss gebracht. Andererseits enthält der Text wesentliche eigene Züge, die ich im Folgenden etwas ausführlicher darstelle. Gott ist nach V. 32a zwar strafender Richter, der seinen eigenen Sohn für (die Sünden und das Todesschicksal der Menschen) geopfert hat34, aber zugleich hat er mit dieser Opfertat die möglichen Angeklagten befreit und ihnen gültige Rechtssicherheit geschenkt. Gerade diese Wendung, die formal im juridischen Rahmen bleibt, sprengt zugleich das Bild des Richters in gewisser Hinsicht. Der Richter beurteilt die Angeklagten nicht nach ihren Handlungen, sondern schafft selbst die Voraussetzungen, die dann zum juristisch korrekten Freispruch der Angeklagten führen. Und diese Intervention hat ihrerseits auch nur einen abgeleitet rechtlichen, nämlich Löse- oder Sühnecharakter, dessen Ergebnis zunächst nicht rechtlich („wir“ sind δίκαιοι oder ἐλεύθεροι), sondern im Sinne eines Klientelverhältnisses beschrieben wird: πάντα ἡμῖν χαρίσεται (V. 32b). Gott ist als Richter nicht nur derjenige, der die Menschen nach ihren Taten be- bzw. verurteilt (2,1–11). In Röm 8,31 ff. ist Gott zugleich der, der eine neue Wirklichkeit „für uns“, d. h. für die Gemeinden schafft, d. h. der Neuschöpfer, wobei hier das Schöpfungsverständnis anthropologisch fokussiert und soteriologisch begründet ist. Auch der Status, den die Angeklagten dadurch erhalten, wird zunächst nicht in rechtlichen, sondern in religiösen Vorstellungen Israels beschrieben. Die Angeklagten sind die ἐκλεκτοὶ θεοῦ in V. 33a. „Erwähnung“ ist keine rechtliche Kategorie, sondern entstammt der Bundestheologie Israels. Paulus bindet diese Vokabel35 in V. 33 allerdings gleich wieder an den juridischen Rahmen: die Erwählten macht Gott gerecht (θεὸς ὁ δικαιῶν). In V. 34 wird dieser juridische Vorstellungsbereich in kunstvoller Weise zugleich weitergeführt und verlassen. Christus ist – wie schon erwähnt – Anwalt der Gemeindeglieder in der himmlischen Welt (ἐστίν ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ, ὃς καὶ ἐντυγχάνει ὑπὲρ ἡμῶν). Er hat also eine präzise juristische Funktion. Zugleich gilt aber seine religiöse Rolle als Opfergabe weiter (V. 32). Sein Tod wird
Vgl. O. Wischmeyer, „Römerbrief“, 451 f. Ἀναπολόγητος 1,20 und 2,1. 34 Οὐκ φείδομαι mit Genitiv = nicht schonen, bes. im Krieg (Liddell-Scott). 35 Selten bei Paulus. Ἐκλεκτός noch Röm 16,13 für Rufus. Ἐκλέγεσθαι 1 Kor 1,27 f. 32 33
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III. Texte
nochmals betont. Andererseits hat er den Tod überwunden und ist bei Gott in richterlicher Position (ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ). In V. 35 wird die Rolle Christi von einer weiteren Seite beleuchtet: Paulus interpretiert Christi Opfer als Tat der Liebe (ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ). Damit ist die juridische Szenerie verlassen. Die neue Szenerie ist die der liebenden Anteilnahme (von der Seite Christi) oder der Teilhabe (von der Seite der Menschen). Die Liebe schafft eine absolute Verbindung, im Fall der Liebe Christi zu den Gemeinden erscheint sie als Teilhabe der Gemeindeglieder an Christus (κοινωνία36), die hier ex negativo durch χωρίζειν (auch V. 39) ausgedrückt wird, als Trennung oder Scheidung.37 κοινωνία erscheint nicht im Text, auch nicht die Formel σὺν Χριστῷ. Daher lässt sich nicht zwischen einem Teilhabe- oder einem Gemeinschaftskonzept differenzieren. Die leitende Vorstellung ist die Liebe Christi, die sich in der Hingabe zeigt und zugleich von feindlichen Mächten attackiert wird.
4. Beobachtungen zum Kampf-Szenario in Röm 8,31–39 Die folgenden Verse entwerfen zwei Trennung- bzw. Teilhabe-Szenarien, deren Bildlogik sich auf der Basis eines Kampfes entfaltet, den man sich als Raub von Menschen vorstellen muss.38 Statt der Prozessgegner treten nun Reihen feindlicher Mächte auf. Das erste Szenario ist ein irdisches, die feindlichen Mächte sind bekannte Erscheinungsformen apostolischen Leidens, das hier durch den Hinweis auf den Tod durch das Schwert (V. 35) in singulärer Weise radikalisiert wird.39 Martin Ebner hat vorbildlich herausgearbeitet, dass Paulus hier „Topoi der Strafenkataloge aufgreift, die im Gegenüber zu der genannten Sentenz40 die entsprechende Vergeltung Gottes gegen die Gottlosen ins Werk setzen“41. Die Peristasen bilden „damit den Text für die Gültigkeit der theologischen Behauptung von der Rechtfertigung der Gottlosen“42. Insofern stehen auch hier die Rechtfertigung und damit das juridische Modell im Hintergrund. Im Vordergrund aber entfaltet sich das Szenario einer möglichen gewaltsamen Trennung der Ge36 Im Sinne von 1 Kor 1,9; 10,16; Phil 3,10. Vgl. dazu M. Ebner, Leidenslisten, 357–359. Ebner macht sehr schön die Unterscheidung zwischen Freundschafts-Koinonia und kultischer Koinonia deutlich. Zu Letzterer vgl. H.-J. Klauck, Herrenmahl, 260–272. 37 Bei Scheidung hat χωρίζειν aber auch eine rechtliche Komponente: terminus technicus für Scheidung (1 Kor 7,10 f.). 38 Das Bild gilt besonders für Menschenraub im Krieg mit dem Ziel der Versklavung. 39 Vgl. M. Ebner, Leidenslisten, 365–386. Zum Schwert vgl. 371 f. Zu griechischen λιμός als Hungersnot 364 f. 40 Sc. „Denen, die Gott lieben, führt er alles zum Guten“ Röm 8,28. 41 Vgl. M. Ebner, Leidenslisten, 384. 42 Vgl. a. a. O., 385.
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meindeglieder von Christus: innere und äußere als personifizierte Mächte43 dargestellte Gefahren, die den Eindruck vermitteln, der Verfolgte sei von Gott verlassen bzw. von Christus getrennt, und die damit die Gemeindeglieder erneut in den Status der Ungerechtigkeit überführen wollen, erweisen sich als unfähig, die Teilhabe des Verfolgten an Christus zu zerstören. Das belegt Paulus mit dem Zitat aus Ps 43,23 LXX: Deinetwegen werden wir getötet den ganzen Tag, wir werden gehalten für Schafe, für die Schlachtbank bestimmt.44
Ebner macht deutlich: „Alternativ zur Gleichsetzung von Strafen und Peristasen werden im Lichte dieser biblischen Tradition die Peristasen schriftgemäß als Kennzeichen des leidenden Gerechten ausgewiesen“, nicht etwa als Tod im Sinne des Straftodes.45 Die Pragmatik gerade dieses Zitats ist eine hoch emotionale.46 Der Ton ist der des Pathos. Das Bild des Septuaginta-Zitats wird von Paulus analog in bildlicher Hinsicht eingesetzt. Das aus der Anschauung vertraute Todesbild der Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden, hat gleichzeitig imaginative Beziehungen zum Schicksal Jesu und zum Schicksal des Apostels, wie er es selbst versteht und darstellt. Auffallend ist, wie Paulus hier auch sein eigenes Schicksal paradigmatisch ins Spiel bringt, wenn er inklusiv „wir“ schreibt. Die Trennungsversuche durch die als Mächte vorgestellten Peristasen scheitern. Die Liebe Christi (wenn sich V. 37 auf V. 35 zurückbezieht) oder die Liebe Gottes (wenn V. 37 auf V. 39 vorausweist) lassen die Trennung der Gemeindeglieder von Christus nicht zu. Im Gegenteil: die Peristasen verbinden ja gerade im Leidens- und Todesschicksal Christus und die Gemeindemitglieder besonders stark. Eben diese höchste Steigerung wird in V. 37 als Sieg über die Trennung interpretiert: ἐν τούτοις πᾶσιν ὑπερνικῶμεν. Die trennenden Mächte der Peristasen, die bis zu einem gewissen Grade personifiziert werden47, werden siegreich in die Flucht geschlagen. Das paulinische hapax legomenon ὑπερνικάω enthält eine deutliche kriegerische Konnotation.48 Der kriegerische Menschenraub der feindlichen Mächte ist missglückt. An diesem Punkt wird bereits deutlich, wie „Das Schwert“ u. a. Das Zitat aus dem Klagepsalm des Volkes ist wörtlich. Es begegnet nur hier bei Paulus. In anderen ntl. Schriften findet es keine Verwendung. 45 Vgl. M. Ebner, Leidenslisten, 385. Vgl. die Darstellung in 1 Kor 1 und 2. 46 Die deutliche Emotionalität des Textes wurde besonders von Norden und Bultmann empfunden. R. Bultmann, Stil, 102, spricht unpräzise von „Wärme“. 47 Vgl. τίς in V. 35. 48 Weniger die Konnotation des sportlichen Wettkampfes wie in 1 Kor 9,24 f. Vgl. R. Jewett, Romans, 531 übersetzt „we are supervictors“ (vgl. schon M. Ebner, Leidenslisten, 376: „Supersieg“). Beverly Roberts Gaventa ordnet in ihrem paper „Romans 1,15“, 179–195, die Sprache dem „cosmic, apocalyptic horizon of the gospel“ zu. Sie betont besonders die Rolle der kosmischen Kräfte in Röm 9,31 ff. (vgl. auch das Wortspiel οὔτε δυνάμεις … δυνήσεται mit Hinweis auf R. Jewett, Romans, 553). 43 44
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III. Texte
das juridische Szenario und das Teilhabe-Szenario innerlich verbunden sind. Der juridische Status der Gerechtigkeit (V. 33b) ist durch die Liebestat Christi ermöglicht worden (V. 31f). Der juridische Status wird durch den Status der Teilhabe erst begründet. Dieser aber muss gegen mächtige Feinde verteidigt werden. Der Teilhabestatus ist seinerseits Folge der Forderung nach Gerechtigkeit. Im zweiten Trennungsszenario in V. 38 f. sind die Feinde im Gegensatz zu den Peristasen nun allgemeine anthropologische und kosmologische Größen, die literarisch personifiziert werden und dadurch an bedrohlicher Potenz gewinnen. Die Gegensatzpaare Leben und Tod, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes drücken eine totale Perspektive aus und bleiben zugleich sehr unbestimmt49, zumal unklar bleibt, wie die Gemeindeglieder überhaupt mit all diesen Größen zusammentreffen sollen. Wichtig ist die Wiederholung des Verbs χωρίζειν in V. 39, dessen erneute Verneinung deutlich macht: Die Teilhabe der Christen an Christus kann keine Macht in der Schöpfung (οὔτε τίς κτίσις ἑτέρα) zerstören. Am Schluss steht der zentrale Begriff des Anteilnahme- oder TeilhabeSzenarios: die ἀγάπη, die Paulus nun Gott in seinem soteriologischen Handeln in Christus zuordnet, womit er den Bogen zu den Versen 31 f. schlägt. Das gesamte Denkgefüge von 1,18 ff. (Gottes Zorn) über 5,1 ff. (Gottes Liebe) ist damit zu einem Abschluss gebracht.
5. Folgerungen für die Beschreibung von Form, Stil und theologischer Denkwelt Ich komme zu den abschließenden Folgerungen und formuliere knappe Antworten auf die eingangs gestellten Fragen. Die erste Frage lautet: Welches sprachliche und gedankliche Szenario wird in Röm 8,31–39 entworfen? Die Textbeobachtungen haben ergeben, dass hier ein Gerichtsszenario und ein doppeltes Trennungsszenario, dem eine Teilhabevorstellung zugrunde liegt, ineinandergeschoben sind. Die Verben und der Stil der Verse 31–34 geben der formalen Antithese „für“ – „gegen“ eine juridische Bedeutung. Das Szenario ist so knapp gezeichnet, dass das Meiste der Vorstellungskraft der Hörer- und Leserschaft überlassen bleibt: eine himmlische Gerichtsszene, mögliche Ankläger und Richter, Christus als Anwalt und Richter zugleich im Auftrag Gottes. Deutlicher als das gedachte Szenario ist die christologische Botschaft in V. 32a: das feste Traditionsstück in einer Argumentation, die die Gerechtigkeit der Gemeindeglieder endgültig darstellen will (V. 31). 49 Ob ὕψωμα und βάθος siderische Phänomene meinen, bleibt ungewiss (vgl. besonders H. Lietzmann, Römer, 88 f.).
14. Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39
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In den Versen 35–39 wird ein doppeltes Trennungs- bzw. Teilhabe-Szenario entfaltet: in zwei Reihen branden feindliche irdische und kosmische Mächte gegen die Gemeindeglieder an und versuchen, sie von Christus loszureißen und damit in den Zustand der Ungerechtigkeit zurückzustoßen. Die szenische Darstellung bedient sich der Bilder aus dem kriegerischen Menschenraub. Dass Paulus diesen Streit als Kampf auf Leben und Tod für die Gemeindeglieder versteht, macht die Kette der anthropologisch-kosmologischen Mächte deutlich. Ihre Funktion ist nochmals eine emotional-pathetische, der Bedeutung des Kampfes angemessen. Dies gilt aber auch bereits für die θλίψεις bzw. Peristasen, die das „Richtschwert“ einbeziehen und deutliche Hinweise auf die eigene Existenz des Paulus enthalten, auch wenn das „wir“ in der Schwebe bleibt. Die zweite Frage lautet: Wie lässt sich die dem Text unterliegende Logik der Argumentation darstellen? Im Lichte der dargestellten Szenarien und ihrer theologischen Zusammengehörigkeit ordnen sich die Textelemente zu einer kohärenten Argumentation. Die Verse 35–39 geben den theologischen RealGrund dieser These an: keine irdische oder kosmische Macht kann die Teilhabe der Gemeindeglieder an Christus zertrennen und die Gemeindeglieder in den Zustand der Ungerechtigkeit zurückversetzen. Die Traditionselemente: vorpaulinische Christologie, Peristasenkatalog, Katalog von Mächten, SeptuagintaZitat sind argumentative Bestandteile dieser letzten Wiederaufnahme der propositio generalis von 1,17. Die Verheißung des „Lebens“ wird durch Gottes Liebe garantiert. Der Prozess vor Gott ist abgeschlossen (Kap. 1–3), weil Gottes Liebe gesiegt hat (Kap. 5–8). Die dritte Frage schließlich lautet: Welche literarische Form wählt Paulus für diesen Textabschnitt? Es handelt sich nicht um einen Hymnus, sondern um eine präzise Argumentation50, eingeleitet durch V. 31a und abschließend gestützt durch die Überzeugungsformel: πέπεισμαι γὰρ ὅτι in V. 38. Die Argumentation arbeitet mit diatribischen Stilelementen: rhetorischen Fragen, kleinen skizzierten Szenarien, traditionellen Elementen, mythisch überhöhten Bildern und gesteigertem Pathos, um nicht nur zu überzeugen, sondern auch, um eine hohe emotive Wirkung zu erzielen. Insofern befinden wir uns hier auf dem Gipfel dessen, was Paulus im ersten Teil des Römerbriefs über die „Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt“, sagen kann. Er macht hier abschließend deutlich, dass in Christus die Gerechtigkeit, die Gott fordert und die vor ihm Gültigkeit hat, nicht aus der Erfüllung des Gesetzes, sondern aus der Teilhabe an Christus entsteht. Gott selbst bleibt als derjenige definiert, der Gerechtigkeit setzt und nur Menschen rettet, die gerecht sind. Gleichzeitig aber ist er derjenige, der die
So auch öfter R. Bultmann, Stil, z. B. 102.
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III. Texte
Menschen in diesen Status bringt, indem er ihnen die Teilhabe an Christus ermöglicht. Diese Aktion Gottes an den Menschen bezeichnet Paulus als „Liebe“.51
Literatur J.-N. Aletti, „The Rhetoric of Romans 5–8“, in: The Rhetorical Analysis of Scripture: Essays from the 1995 London Conference (hg. S. E. Porter/T. H. Olbricht; JSNTSup 146; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1997), 294–308. R. Bultmann, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe (FRLANT 13; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1910). Ch.-H. Cloutier, „Rm 8,31–39: Hymne ou plaidoyer?“, in: ScEs 45 (1993), 325–341. J. D. G. Dunn, Romans 1–8 (WBC 38A; Dallas: Word Books, 1988). M. Ebner, Leidenslisten und Apostelbrief: Untersuchungen zu Form, Motivik und Funktion der Peristasenkataloge bei Paulus (FzB 66; Würzburg: Echter, 1991). J. A. Fitzmyer, Romans. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 33; New York: Doubleday, 1993). B. R. Gaventa, „‚To Preach the Gospel‘: Romans 1,15 and the Purposes of Romans“, in: The Letter to the Romans (hg. U. Schnelle; BETL 226; Leuven: Peeters, 2009), 179– 195. K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHK 6; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 1999). R. Jewett, Romans: A Commentary (Hermeneia; Minneapolis: Fortress, 2007). E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a; Tübingen: Mohr, 1973). H.-J. Klauck, Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief (NTA 15; Münster: Aschendorff, 19862). H. Lietzmann, An die Römer (HNT 8; Tübingen: Mohr, 1971). E. Lohse, Der Brief an die Römer (KEK 4; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 200315). D. J. Moo, The Epistle to the Romans (NICNT; Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans, 1996). E. Norden, Die antike Kunstprosa vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance. Bd. 2 (Stuttgart: Teubner, 19585). H. Paulsen, Überlieferung und Auslegung in Römer 8 (WMANT 43; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1974). W. Popkes, Christus Traditus: Eine Untersuchung zum Begriff der Dahingabe im Neuen Testament (ATANT 49; Zürich/Stuttgart: Zwingli Verlag, 1967). G. Schille, „Die Liebe Gottes in Christus: Beobachtungen zu Röm 8,31–39“, in: ZNW 59 (1968), 230–244. H. Schlier, Der Römerbrief (HTKNT 6; Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1977). Th. Schmeller, Paulus und die „Diatribe“. Eine vergleichende Stilinterpretation (NTA 19; Münster: Aschendorff, 1987). A. H. Snyman, „Style and the Rhetorical Situation of Romans 8,31–39“, in: NTS 34 (1988), 218–231.
51 Vgl. D. J. Moo, Epistle, 546 f., der ebenfalls die Bedeutung der Liebe Gottes besonders hervorhebt und in 8,39 den endgültigen Abschluss von Kap. 5–8 sieht.
14. Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39
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St. K. Stowers, The Diatribe and Paul’s Letters to the Romans (SBLDS 57; Chico: Scholars Press, 1981). P. von der Osten-Sacken, Römer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie (FRLANT 112; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1974). J. Weiß, „Beiträge zur Paulinischen Rhetorik“, in: Festschrift B. Weiß. Theologische Studien (hg. C. R. Gregory u. a.; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1897), 165–247. O. Wischmeyer, „Röm 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit“, in: NTS 52 (2006), 356–376. O. Wischmeyer, „Der Römerbrief“, in: Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (hg. dies./ E.-M. Becker; UTB 2767; Tübingen: Francke, 20213), 429–469.
15. The Era of the Good: Paul and Politics in Romans 13* 1. The New Testament and Politics: General Reflections “The Bible and Political Thought” is a major topic in current scholarship. The designation “Bible” includes two different sets of texts: on the one hand there is Israel’s Bible, and on the other hand the two-testament Bible of the Christian churches.1 What types of political thought do we find in the second section of the Christian Bible, the section referred to as the New Testament? When we interact with the collection of early Christian texts that we know as New Testament, we find ourselves in a clearly defined geographical realm and a distinct historical and political context, namely, the Roman Empire in the first and second centuries ce. The writings of the earliest Christians were produced between ca. 50 and 130 ce and encompass three generations, that means they were written during the most successive and splendid epoch of the Roman history. The experiences of the first Christians with the political world took place primarily in the Eastern region of the Roman Empire, but even before Paul, early Christianity had already arrived in Rome.2 A partly different context can be found in Palestine3 and the political realities and relationships between Roman rule and the Jesus tradition, but also Paul’s experiences. The New Testament texts reflect a variety of cultural and political encounters of the first Christians with the Empire, and draft considerations of how to deal with the political and legal authorities. What could “political thought” mean for the small Christian communities that were unable to influence that which had been called “politics” since the time * Translated by Dieter T. Roth. – The paper was presented at the Conference on “The Bible and Political Thought” that took place at the Pontificio Istituto Biblico, Rome, on 27 and 28, September 2018. 1 The Old Testament is the basis of all New Testament texts and affects the New Testament thoughts on politics. This aspect cannot be elaborated in this paper. See the commentaries on Rom 13 and the analysis of Old Testament and ancient Jewish political concepts with S. Krauter, Studien, 180–184; idem, Bürgerrecht. 2 Cf. D.-A. Koch, Geschichte, 403–427. 3 I am here employing the term “Palestine” as a geographical designation since the political identification and affiliation were persistently changing, a state of affairs that cannot be taken up and reflected upon here. Cf. D.-A. Koch, Geschichte, 89.
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III. Texte
of Plato and Aristotle4 – namely, the formulation and realization of a “manner of life within a society” that set forth laws for itself – on the local, provincial, or even imperial level?5 These communities had neither political ambitions nor a political voice with regard to the Empire. Their members had no access to the Roman administration, i. e. to the positions of the provincial and municipal civil and military government that represented the imperium Romanum and its political power. But, from the beginning, they organized themselves as groups (ἐκκλησίαι) similar to Greco-Roman associations and by that could be perceived ad hoc by the Roman authorities as local religious troublemakers though they themselves pursued a balanced interior organization based on brotherly love, mutually respect and humbleness – in short on peace both, internally and externally. What the first Christians thought about the Empire may have depended on their religious traditions and their personal encounter with the Roman authorities. In any case, they were confronted with public suspicion. It was already the prefect Pontius Pilate who adopted a suspicious view of Jesus, and this view is officially communicated by Rome, at the latest by the time of Pliny the Younger.6 That those who confessed Christ attracted public attention can also be seen in the fact that already the first generation of Christians in Antioch were labeled Χριστιανοί (Apg 11,26), likely by the Roman authorities.7 The Latin identification Christiani is especially indicative of the rather “political” understanding of the group in the view of the Romans.8 The first Christians, however, did not understand themselves in this way. They were far more likely to identify themselves with religious terminology such as holy ones, elect, and, in particular, brothers and sisters.9 The early Christian communities had an inward focus and were interested in the growth of their own congregations, even though they also sought to live in 4 Plato, Politeia, Books VIII and IX; Aristotle, Nicomachean Ethics X 10. Πολιτεία means “citizenship, civil rights, constitution, regime” (C. Kauffmann, “Politik,” 358–363). For πολιτεία as “Roman citizenship”: Acts 22.28; as civil rights of Israel (metaphorical): Eph 2.12. Πολιτεία is not used in the New Testament with the meaning “constitution.” Cf., however, the discussion below concerning πολίτευμα. 5 C. Kauffmann, “Politik,” 358. See also H. J. Lietzmann/P. Nitschke (ed.), Politik; U. Schnelle, Wege, 1–44. 6 Pliny ep. 10,96. See, most recently, the discussion in E.-M. Becker, Birth, 55–59; H. Leppin, Christen, 345–380 (on Rom 13: 345–348). 7 M. Öhler, Geschichte, 175: “Es handelt sich … um die staatliche Benennung einer politischen Gruppierung,” that understood the Christians to be “Parteigänger des ‘Christos’” (288). It is not until the second century that the term became a self-designation; B. van der Lans/ J. N. Bremmer, “Tacitus,” 299–331. U. Schnelle, Wege, provides a convincing overview over the conflicts between the emerging Christian communities and the Roman state. 8 Ibid. Rome had little sympathy for the religious aspect of the new movement. Thus, Pliny refers to “depraved, excessive superstition” (superstitio prava et immodica, ep. 10,96.8). 9 Concerning the metaphor of the family and its sociological significance, cf. M. Öhler, Geschichte, 251.
15. The Era of the Good
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peace with “those outside” (1 Cor 5.12). Ἐκκλησίαι were established in the large cities and did not go unnoticed. Congregational life took place in various contexts involving certain tensions that were visible to those “outside” and could possibly lead to public consequences and conflicts. The fundamental tension took place between two poles. The one pole was the origin of the Christians in the ἔθνος Ἰουδαίων, which bound them both within and outside of Palestine – though often in an unclear manner – to the legal standing, life, supervision, and authority of the Jewish synagogue (συναγωγή).10 The other pole was their belonging to the ἐκκλησίαι θεοῦ/Ἰησοῦ Χριστοῦ from Judea to Rome as a new religious and social organization or institution of their own.11 Non-Jews were also taken up into these communities, which led to difficult questions of religious belonging and ethnic identity that could hardly be resolved. Paul, in particular, prompted these questions and they were especially significant in the Pauline congregations.12 The members of Jewish synagogues were part of the ἔθνος Ἰουδαίων, even if they lived in the so-called διασπορά, and were recognized as such by the Roman Empire.13 By way of contrast, the followers of Christ who did not have Jewish roots also did not have a clear legal status. Furthermore, the status of followers of Christ who had Jewish roots but joined the ἐκκλησίαι was similarly unclear. The extent to which such individuals still belonged to the ἔθνος Ἰουδαίων was debated both within and outside of the congregations and the synagogue and was the source of considerable conflict.14 The Roman authorities viewed these tensions, if at all, as yet a further instance of local unrest in the cities, unrest that they sought to suppress. Paul, the Jew, was himself repeatedly viewed as a troublemaker15 by local Jewish institutions and accused before city authorities and Roman administrators. Ultimately, the accusation of certain Jerusalem Jews led to Paul being arrested and later being executed in Rome.16 A general and widespread persecution of Christians by the Roman political authority did not occur during the first three generations of Christians,17 though 10 According to Acts, Paul preached in the synagogues. Paul himself mentions punishment by Jewish authorities (2 Cor 12.24 f.). 11 Concerning the Pauline congregations, cf. M. Öhler, Geschichte, 243–264. 12 The tremendous challenge presented by the relationship between the synagogue and the new ἐκκλησίαι is underscored by the intense discussion and controversy surrounding their relationship in contemporary Pauline scholarship. 13 They were, however, often viewed as troublemakers. Concerning Diaspora Judaism, cf. D.-A. Koch, Geschichte, 115–137 (lit.). 14 For a discussion of the current, exegetical debates, cf. M. Öhler, Geschichte, 167–179. 15 G. Theißen employs the term “troublemaker” quite often for Paul: G. Theißen, “Paulus,” 228–244. 16 D.-A. Koch, Geschichte, 345–374; A. Puig i Tàrrech/J. M. G. Barclay/J. Frey (ed.), Years. 17 Concerning the possible Neronian and Domitian persecutions, cf. the critical comments in M. Öhler, Geschichte, 286–293. Detailed discussion: M. Meier, Christenverfolgung. Meier
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III. Texte
there were individual executions as attested in the Revelation of John.18 It was not earlier than under the governor Pliny (111/112 ce) that the Christian communities became a political topic for the Roman state: the growing number of Christiani was perceived as threatening for the local residents. Though there was no official persecution of Christians in Bithynia, there apparently were numerous legal cases that resulted in the death penalty if the Christians did not recant their confession of Christ.19 Pliny and Trajan agreed that the pertinacia and obstinatio of the Christiani deserved the death penalty.20 Just as there was no tension-free coexistence of synagogues21 and Christian ἐκκλησίαι, there was no peaceful life of a simple and undisturbed existence as a citizen or as an assembly within the πόλεις for Christiani. Those who “confessed” Christ22 found themselves in perpetual danger of being accused or attacked.23 A further tension is less overt, though it is of greater significance for the question concerning the political thinking of early Christians. It is the tension between, on the one hand, the extremely small number of Χριστιανοί, the insignificant position of their leaders, and the predominantly low social status accompanied by minimal public influence of its members24 and, on the other hand, the ethical claims and philosophical-religious assertions by the New Testament authors. Over and against Jews as well as against non-Jews – i. e., followers of GrecoRoman religions – the Christian leaders claimed to be proclaiming the only true religious-ethical message. At the same time, in a very brief span of time, they created their own religious and ethical literature with their own recorded history: the Gospels and the Acts of the Apostles.25 Their interpretation of the past, the present, and the near future did not remain on the level of a theoretical description of their worldview but had eminently practical ramifications and consequences. Ἐκκλησίαι, i. e., their own associations, were established. A new type of cosmopolitan “citizen” was proclaimed:
argues that Claudius and Nero did not yet regard ‘Christianoi’ as a separate group, but rather considered them to be a Jewish splinter group. 18 Acta 7 (Stephanus); 12.2 (James); Rev 6.9–11 and 20.4. Cf. also individual persecutions of Χριστιανοί: 1 Pet 4.15–16. 19 Pliny, however, also mentions previous cases in which he did not participate. Cf. A. N. Sherwin-White, Letters, 772–787. 20 Pliny ep. 10,96.3. Roman citizens were sent to Rome (10,96.4). 21 Cf. the punishments that Paul received from “the Jews”: 2 Cor 11.24–25. 22 Pliny writes of confiteri (ep. 10,96.3). 23 M. Öhler, Geschichte, 283. A classic expression of this tension is already found in Acts 5.29: “One must obey (πειθαρχεῖν) God rather than men.” The author of Acts here created a scene of conflict between Peter and the Jerusalem authorities that had paradigmatic character – Concerning the persecution of early Christians in general, cf. D.-A. Koch, Geschichte, 459–493. 24 M. Öhler, Geschichte, 248–251. For the further development during the first centuries ce see W. Wischmeyer, Golgatha, 163–203. 25 Becker, passim, esp. 77, 99 f.
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There is neither Jew nor Greek, there is neither slave nor free man, there is not male and female. (Gal 3.28)26
Members of the congregation were addressed as “holy” (ἅγιοι) and “elect (κλητοί).” The message was connected to an ethos of perfection,27 including the willingness to suffer or even die,28 and was preparatory for the end of the world and God’s final judgment. Jesus Christ was proclaimed as the heavenly κύριος, who had “all authority (ἐξουσία) in heaven and on earth” (Matt 28.18), who would destroy “every ruler (ἀρχή) and every authority (ἐξουσία) and power (δύναμις),” (1 Cor 15.24), and would “reign” (βασιλεύειν; 1 Cor 15.25) until the eschatological, absolute rule of God. Even Paul, therefore, already predicts a cosmological end-time power struggle.29 This struggle and tension is manifested in a variety of ways in the early Christian communities, including an opposition between “insiders” and “outsiders” (1 Cor 5.12; Col 4.5; 1 Thess 4.12) or between the κόσμος and the holy ones.30 The Book of Revelation interprets this tension entirely along apocalyptic lines and, different from Paul, relocates the struggle between the Roman Empire and the heavenly powers to the eschaton. In sum, for the Roman authorities as well as for the synagogue, the ἐκκλησίαι of those following and confessing Jesus of Nazareth as Christ was an association that time and again became the focus of state suspicion.31 In contrast, from the very beginning, the leaders of these congregations themselves formulated not only the high standard of an ethos of “perfection”, but also the obligation for their congregations to live in peace with “all people.” A third tension arises out of the language employed by Christians: κύριος, βασιλεύς, βασιλεία (τοῦ θεοῦ), βασιλεύειν, σωτήρ, εὐαγγέλιον, ἐκκλησία, ἀπόστολος, and ἔθνη. Several of these key and central terms utilized by the authors of the New Testament texts had their own religious connotation in the Septuagint,32 even as they were also part of the lexicon of general, Greek political terms. Israel’s Greek Bible had already applied the vocabulary of rule and authority, including terms such as κύριος, βασιλεύς, βασιλεία (τοῦ θεοῦ), and σωτήρ, to the 26 K. B. Neutel, Ideal. Cf. also G. Theißen/P. von Gemünden, Römerbrief, 297–311 on the “soziale Dynamik christlicher Gemeinden” and the “Enstehung einer trans-ethnischen Identität” (299). 27 O. Wischmeyer, Liebe, 201–204, engl.: Love. 28 1 Pet 4.16; Rev 6.9–11; 20.4; Mark 8.34–38 par. 29 In contrast to the Book of Revelation, however, Paul does not make this aspect of the events of the eschaton a primary focus of his writings. He does not appear to see a conflict between his paraenesis concerning the good (Rom 12–14) and the events of the eschaton (1 Cor 15). 30 This is the perspective of the Johannine Scriptures in particular. 31 M. Öhler, Geschichte, 34–36. R. S. Ascough/Ph. A. Harland/J. S. Kloppenborg, Associations. 32 E. g., Κύριος, βασιλεύς, ἔθνη. This theme was treated by A. Deissmann in his seminal monograph Licht vom Osten.
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III. Texte
God of Israel. This fact offered Christian thought the possibility of criticizing, at least in part, the political realities of their day by the language they used on the basis of divine limitations set upon them, even as the Christians did not fundamentally question the legitimacy of political authorities, but they put them beneath the heavenly authority. It is precisely at this point that Rom 13 is to be located in regard to its theoretical aspiration and terminology. The terms εὐαγγέλιον, ἐκκλησία, and ἀπόστολος attest the implicit, institutional claims set forth by the early Christian communities. The same is true for the general claim on the part of Paul to be leading the ἔθνη to Christ. This abiding ambivalence of the early Christian theological language is quite evident in a sentence Paul penned in his letter to the Philippians: But our citizenship/commonwealth (πολίτευμα) is in heaven, and from there we are expecting the Savior (σωτήρ), the κύριος Jesus Christ. (Phil 3.20)33
Πολίτευμα is a classic, Greek notion of the state, but it is also used metaphorically and Paul here utilizes it as a religious term of contrast or conflict.34 With a view towards that which has been observed, it becomes clear that numerous closely related and interrelated tensions and problems in Christianity’s formative era could lead to “political thought” and indeed had to do so. First, there is the role of Jesus of Nazareth as a Jewish, eschatological prophet and his death on the cross as βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων under the Roman Prefect Pontius Pilate; second, Jewish apocalypticism with its βασιλεία-theology and religiously connotated language of rule and authority that could also be understood as including political claims; and third, the understanding of the risen Jesus as the Christ/Messiah and the heavenly κύριος. A fourth, both religious and political, consideration is the very concrete issue concerning taxes, which was especially virulent in Judea and led to the First Jewish War.35 It also played a role in Rome, at the latest by the time of Claudius and Nero.36 The explosiveness of this topic within the context of the Jesus tradition is evident in Mark 12.17, and Rom 13 presses the question into fundamental issues. In all these topics and concerns, the foundational questions deal with, on the one hand, the justification of authority, and, on the other hand, the preservation of peace, whether through conformity with the political and social environment or through persecution and suffering. See O. Wischmeyer, “Philippi,” 298–319. J. M. G. Barclay, “Roman Empire,” 364 on Deissmann’s “observations on the ‘polemical parallelism’ between the cult of the emperor and the cult of Christ.” Barclay discusses “the overlap of early Christian and ‘imperial’ vocabulary” and points out the different ways in which the vocabulary was used (also 376–379). See also the study on πολίτευμα by P. Sänger, Organisationsform. 35 The zealots were contemporaries of the post-Pauline NT authors both of the epistles and the gospels. See the article by J. S. McLaren, “Resistance Movements,” 1135–1140. 36 R. Jewett, Romans, 798 f. Comprehensive discussion in: J. Friedrich/P. Stuhlmacher/ W. Pöhlmann, “Situation,” 131–166. 33
34 See
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Most important is the absence of the thought of political resistance and violence. Nevertheless ultimately and right from the outset, the claims of the εκκλησίαι had an inherent (not a hidden), political dimension because of their institutional organization that aimed at covering the whole empire. There are important texts in the crosshairs of these problems, including Jesus’ dictum concerning taxes:37 Render to Caesar the things that are Caesar’s, and to God the things that are God’s, (Mark 12.17 par.)
which sets forth a clear delineation between the political and religious realms. Mark 10.41–44 expresses a harsh criticism of the “so called” political rulers: You know that those who are considered rulers over the Gentiles (ἄρχειν τῶν ἐθνῶν) lord it over them (κατακυριεύουσιν), and their great ones (μεγάλοι) exercise authority (κατεξουσιάζουσιν) over them. Yet it shall not be so among you; but whoever desires to become great among you shall be your servant (διάκονος). And whoever of you desires to be first shall be slave (δοῦλος) of all.
Instead, Jesus demands an opposite way of leadership within the communities (“among you”) that is determined by service.38 Perhaps the most rigorous criticism of political power and institutions is to be found in Matthew 4.8–11. Jesus is tempted by Satan’s offering him the world domination in conjunction with the adoration of Satan. Jesus rejects the offer. The ideological setting of Matthew 4 is close to Revelation. Other important texts that criticize political power are Matthew 26.52 and parts of the Sermon at the Mount (Mt 5). The Beatitudes conceive an ethos of humbleness and peace that can work as a counter model against political power. Jesus’s eschatological discourse about wars, the destruction of Jerusalem, and the persecution of his followers as part of the apocalyptic troubles (Mark 13 par.) is formulated from the perspective of an apocalyptic, universal theology of history. The apocalyptic text of Revelation has its own significance. In Rev 13, the early Christian prophet John sees an “animal,” upon which the dragon (Rev 12.13) bestows his power (δύναμις), throne, and great authority (ἐξουσία) and which kills many individuals. Which Roman Emperor is here in view – whether Nero or Domitian – remains, and likely will always remain, disputed.39 That 37 Luke 20.20 expands Mark concerning the question of taxes (κῆνσος) with: “so as to hand him over to the ἀρχῇ and ἐξουσίᾳ of the ἡγεμόνος.” Matt 22.19 specifies: τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου (the coin for the tax). 38 O. Wischmeyer, “Macht,” 355–369. In this paper, I cannot go into an analysis of the historical aspects of the conflict between Jesus and the Roman authorities (see A. Yarbo Collins, Mark, 498–504). The motif of service is a crucial one in the history of papacy and papal politics since Gregory the Great. 39 Concerning the basic questions of historical referentiality in Revelation, cf. D.-A. Koch, Geschichte, 481–491.
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which is significant for the present discussion is that the prophet John does not call for resistance against a posited illegitimate authority of the Roman Empire and its Caesar but rather commends the “victory” to God and the κύριος (Rev 17.14, νικᾶν; 19.6, βασιλεύειν). The apocalyptic perspective opens a front against the Roman Empire even as it forbids revolutionary violence, regardless of how great the duress one is under. The passion narrative in John offers a different textual center. The dialogues between Jesus and Pilate in the Gospel of John circle around Jesus as an earthly βασιλεύς or a heavenly-earthly βασιλεύς of truth: Pilate asked … “Are you the King (βασιλεύς) of the Jews?” Jesus answered … “My kingdom (βασιλεία) is not from this world. If my βασιλεία were from this world, my servants would be fighting to keep me from being handed over to the Jews. But as it is, my βασιλεία is not from here.” Pilate asked him, “So you are a king (βασιλεύς)?” Jesus answered, “You say that I am a king. For this I was born, and for this I came into the world, to testify to the truth.” (John 18.33–37)
Against this, “the Jews” counter: If you release this man, you are no friend of Caesar (φίλος τοῦ Καίσαρος); everyone who claims to be a king (βασιλεύς) sets himself against (ἀντιλέγει) Caesar (Καίσαρ). (John 19.12)40
In this exchange, the synoptic tradition of Jesus’s hearing and execution are reworked in a manner that highlights and sharpens the focus upon the rivalry between the political and religious dimensions in the interpretation of the person of Jesus along with the ambivalence of the title “king.” The text certainly allows for a political claim by Jesus, who speaks, as it were, on the highest level with Pilate. At the same time, the text transforms this claim into the philosophical and metaphysical realm in that it connects the kingdom of Jesus with ἀλήθεια.41 Other texts, such as 1 Tim 2.2 and Titus 3.1 take up the motif of praying for authorities42 and appeal for “a quiet and peaceable life in all godliness and dignity” (1 Tim 2.2).43 That this is not always possible, however, is clear in 1 Pet 4.16: “if any of you suffers as a Christian (Χριστιανός), do not be ashamed, but glorify God in this name.” It is the short, but very carefully formulated Pauline text in Rom 13.1–7 concerning the “governing authorities (εξουσίαι)” that had the greatest impact on 40 Concerning this passage, see J. Zumstein, Johannesevanglium, 694–702. Zumstein rightly refers to the fact that the βασιλεύς title belongs to the earliest Jesus tradition and could have been understood by Pilate “nur in einem politischen Sinn” (695) and at the same time been interpreted in a new way by the author of John’s Gospel. 41 J. Zumstein, Johannesevanglium, 697, employs the terms “eschatologisch und transzendent” for Jesus’s βασιλεία in John 18. 42 1 Tim 2.2: pray for “kings and all who are ἐν ὑπεροχῇ ὄντων”; Titus 3.1: “remind them to be subject to ἀρχαὶ and ἐξουσίαι” (cf. Rom 13.1). 43 Cf. Rom 12.18: “if it is possible, so far as it depends on you, live peaceably with all.”
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Christian theoretical thought on politics. Here one encounters a text that bundles Paul’s political thought as both a determinative, early Christian theologian and a practical missionary. In which context is Rom 13 to be read?
2. Romans 13 in the Context of Paul’s Life and Experiences I have already referred to the tension between the claims of the earliest Christian authors and the social reality confronting the congregations. The exalted claims and the high sense of worth on the part of early Christian leaders is perhaps best attested in Paul’s Epistle to the Romans. His text, addressed to “all in Rome who are beloved of God and called as saints,” opens with an unusually ambitious introduction: Paul, servant (δοῦλος) of Jesus Christ, called [as an] apostle (κλητὸς ἀπόστολος), set apart for the gospel of God (εὐαγγέλιον) …, of his son Jesus Christ, our κύριος. By him we received grace and apostleship (ἀποστολή) to call all the gentiles (ἔθνη) to the obedience of faith (ὑπακοὴ πίστεως) for his name’s sake. (Rom 1.1,4,5)
The one writing in such an elevated style is not Caesar nor a general nor a high ranking official or an ambassador but Paul. With his letter of introduction, Paul presents himself to the small Roman house or tenant churches of those who believe in Christ, the congregations that he desires to visit in order to prepare his mission to Spain. He wishes to come after first delivering the large donation of funds that was collected in Achaia, Macedonia, and Galatia for those Jews in Jerusalem who had become believers in Christ. Paul wrote his wide-ranging letter, whose contents are quite demanding, to the Romans in 56 ce. Caesar Nero has been reigning in Rome for two years.44 The Letter to the Romans presents an older man who understands himself as an ambassador45 and introduces himself as having a personal commission from God and the κύριος Jesus Christ. He understands his mission to be the preaching of the gospel, i. e., the public proclamation of God’s saving message for “all people” (Rom 1.16). The area for which Paul is responsible is the Roman Empire in its entire expanse. His mission is to the people of the Roman Empire that are not Jews, thus, the vast majority of the population, including the Romans. As a matter of course, Paul travels from province to province, from city to city, from the East to the farthest reaches of the West, and regularly returns to Jerusalem as to the center of his interior cultural and political map. He describes his task according to the standards and in the language of imperial, political religion: On some points I have written to you rather boldly as a way of reminder [so to speak], because of the grace given me by God to be a public servant/minister (λειτουργός) of Christ See the extended discussion in S. Krauter, Studien, 55–88. R. Jewett, “Romans,” 5–20.
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Jesus to the Gentiles/nations in that I serve the proclamation/gospel of God as a priest (ἱερουργεῖν), so that the offering (προσφορά) of the Gentiles/nations may be acceptable, sanctified by the Holy Spirit. (Rom 15.15–16) I have reason to boast (καύχησις) in Christ Jesus before God. For I will not venture to speak of anything except what Christ has accomplished through me to win obedience (ὑπακοή) from the Gentiles/nations, by word and deed, in the power of signs and wonders, in the power of the Spirit of God, so that from Jerusalem and as far around as Illyricum I have fully proclaimed the gospel of Christ. Thus, I make it my ambition (φιλοτιμούμενος) to proclaim the gospel, not where Christ has already been named, so that I do not build on someone else’s foundation … . (Rom 15.17–20)46
This imperial standard and its universal line of thought had to be upheld when travelling in the Roman Empire.47 Paul’s journeys brought him into regular contact with representatives of the state and municipal administrative structures and institutions in Asia minor and in Greece. The ἐξουσίαι or potestates of the cities, i. e., the city magistrates, as well as proconsuls encountered Paul in their judicial capacity.48 Because of disagreements and conflicts with members of the local synagogue or local trade associations, Paul time and again clashed with municipal officers responsible for public order.49 His Roman citizenship50 did not protect him from being beaten with rods by Roman authorities (2 Cor 11.25). The extent to which he had direct contact or interaction with tax or financial authorities is unknown.51 Acts emphasizes, in particular, Paul’s interaction with governors and client kings with whom he interacts at eye level and opens up the narratival perspective to Paul’s appeal to Caesar. In any case, Paul encountered numerous public authorities and had a vivid and realistic image of the different ἐξουσίαι or potestates with which Christians had to deal, both within and outside of Rome. Accordingly, it is the ἐξουσίαι he addresses in Rom 13, not the Empire as such. He does not reflect about the Empire and its constitution as a system of government in a theoretical way52, but gives advice for “everybody’s” behavior towards the public authorities. Paul brings together vocabulary from priestly, official, and “honor” language. M. Öhler, Geschichte, 215–242; O. Wischmeyer, “Mission,” 90–121. 48 Concerning Paul, cf. S. Krauter, Studien, 55–136. For a general discussion, see F. Jacques/ J. Scheid, Rom, 196–199. 49 Cf., for example, Acts 16.16–22: Paul is vilified as a Jew who agitates (ἐκταράσσειν) the city, is accused by the crowd (ὄχλος) and beaten by the στρατηγοί of Philippi before they thrown him into prison. The second half of the Book of Acts presents the various encounters that Paul has with different facets of the Roman potestas as a series of cases that, in its logical consequence, brings Paul before Caesar in Rome. 50 Concerning the problems surrounding this, cf. M. Öhler, Geschichte, 183–185. 51 In general, see F. Jacques/J. Scheid, Rom, 199 f. Concerning Paul, cf. S. Krauter, Studien, 229–235. At any rate Paul was concerned with money. The collection for Jerusalem was an independent financial action that required several years (see D.-A. Koch, Geschichte, 313–343). Also on this field Paul thought and planned “big.” 52 This is the presumption of the discourse on “Paul and Empire” (footnote 53). J. M. G. Barclay is right in stating that there is no emperor in Paul’s letters (“Roman Empire,” 383 footnote 46 47
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3. Romans 13 – What the Text Says Rom 13.1–753 is a thematically independent text with clear contours within the paraenesis of chapters 12 to 15.13 in the Epistle to the Romans. These paraenetic chapters are written explicitly from the thoroughly eschatological perspective of Paul, i. e., from the perspective of the καιρός. Rom 13.11–14 is a contemporary temporal statement with ethical consequences as Paul communicates to the Romans the present time (καιρός) in an eschatological sense: “νῦν our salvation is nearer to us than when we believed … the day is at hand (ἡ ἡμέρα ἤγγικεν)” (Rom 13.11,12).54 Within this context of an end-times distance from the world (μὴ συσχηματίζεσθε τῷ αἰῶνι τούτῳ), Paul does not promulgate the motto: “it no longer depends upon our behavior and action” (like the device in 1 Cor 15: “Let us eat and drink, because tomorrow we shall die.”) Quite the contrary, he appeals to his fundamental ethical theme: the good (τὸ ἀγαθόν). It is the time, the era in which confessors of Christ should do “the good,” which is explicated by Paul in that which ensues. In ch. 12, Paul first lists the ethical tasks and services (διακονία) in the congregation (σῶμα Χριστοῦ 12.5) and then the ethical-psychological manner of behavior between members of the congregation. In 14.1–15.6 Paul delves into a lengthy discussion of the more particular theme of the brotherly and sisterly treatment of different groups in the congregation, without making specific reference to Rome.55 Overall, he molds the structure, the behavioral 69), but I would like to add: there is no Empire in Paul either, but there is a distinct concept of political thought “in the καιρός”. 53 A discussion of all of the individual exegetical questions and contributions can be found in the careful analysis by S. Krauter, Studien, 161–242. See also the commentaries: O. Michel, Brief, 311–323; E. Käsemann, Römer; J. A. Fitzmyer, Romans; U. Wilckens, Brief, 28–66; R. Jewett, Romans; G. Theißen/P. von Gemünden, Römerbrief; M. Wolter, Brief, 306–329 (Lit.). – For a political reading see especially N. Elliott, “Romans 13:1–7,” 184–204. For the different approach from the perspective of “a more contextual analysis of the passage as part of the discourse of its contemporaneous culture” see J. A. Harrill, Paul, see 91–94 (quotation 93, see also Harrill’s statement against the concept of ‘hidden transscripts’). Harrill is right in pointing to the Jewish-apocalyptic background of Paul’s view of the Empire: “Paul’s support of human governing authorities (in Rom. 13) and his apocalyptic condemnation of human governing authorities in other passages (Rom. 8:38–39; 1 Cor., 15:24) were not culturally contradictory, but go hand in hand” (93). Harrill’s critique is directed against scholars who apply concepts as “hidden transcript”, “hidden criticism” or “counter-imperial subtexts” to Paul’s letters. J. M. G. Barclay, “Roman Empire,” 379–383, gives a brilliant critical analysis of the concept of “hidden transcript” applied to Paul’s letters. A critical assessment of these concepts is provided by Ch. Heilig, Hidden Criticism? (Cf. the review by D. J. Lull). Heilig criticizes the positions of N. Elliott and N. T. Wright on the one hand, but also adjusts the skeptical position hold by J. M. G. Barclay. 54 For Paul’s concept of time see O. Wischmeyer, “Konzepte,” 361–392. The philosophical reading of Rom 1.1 by G. Agamben, Zeit, highlights the eschatological theology of Romans. Agamben investigates the apocalyptic-messianic character of Paul’s concept of time (82–85). 55 It is supposed, however, that tensions between the Roman Christians are being addressed here.
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norms and forms of the ἐκκλησίαι τοῦ θεοῦ, i. e., of the “insiders.” In this way, something like his own conception of a “good” community at the eschaton takes shape. The fundamental approach and claim of Christian congregational ethics at the end of time that Paul presents here is evidently understood by him as counterpoint to the general ethics of the Greco-Roman political and social world. The latter challenged him to venture into a realm that was actually outside of his competence and to contemplate issues related to it: he felt he had to think not about the Empire as such but about the nature of ἐξουσία(ι) as those authorial organs of the state that were important for the Christ-confessing congregations. It is within this context that Rom 13.1–7 is to be located. When considering the text, Rom 13.1 immediately grabs the reader’s attention.56 Instead of a familiar congregational address like in 12.1, “I urge you therefore, brothers (ἀδελφοί), by the mercies of God …,” there is now a generalized, antithetically formulated emphasis: “Let every person (πᾶσα ψυχή) be subject (ὑποτάσσω) to the superordinated authorities (ὑπερεχούσαι ἐξουσίαι).” Instead of restricting himself to the ethical rule for members of the congregation formulated by him in Rom 12.17, “take thought for what is noble in the sight of all,”57 Paul inserts a thematic teaching concerning the interaction with state authorities in Rom 13.1–7.58 This passage has repeatedly been considered to be somewhat foreign in the flow of the text, but nevertheless it was conceptualized by Paul as part of his Roman paraenesis. At the same time, this instruction concerns all people, not just members of the congregation. We are not sure what precisely it was that led Paul to insert this teaching concerning one’s behavior towards authorities into his ἐκκλησία-paraenesis. The supposition is likely correct, however, that it was the fact of the congregation’s political surroundings in Rome. In any case, it is important to note that for Paul it was necessary to express himself concerning the Roman political community as part of his paraenesis for the Roman congregations.59 Here, therefore, one finds the situation which gave rise to the political thought in Romans. It is only in this epistle that Paul expresses himself concerning civil authorities, although he had to deal with them all his life. That which he writes is brief, argumentative, sententious, carefully formulated,60 rounded off, and from the outset makes a prescriptive claim due to its paraenetic context. For this reason, a rule of conduct of political ethics is found at the beginning of the passage: submit to political authorities. The reference 56 Concerning the interpolation hypotheses, cf. R. Jewett, Romans, 782–784. Also O. Wisch meyer, Staat. 57 Cf. Gal 6.10. 58 Concerning ἐξουσίαι ὑπερεχούσαι, cf. S. Krauter, Studien, 170–179. 59 G. Theißen/P. von Gemünden, Römerbrief, 82 f. emphasizes the inner connection between paraenesis concerning the congregation and the state. 60 Cf. S. Krauter, Studien, 162–170 and R. Jewett, Romans, 784 f. (“rhetorical disposition”).
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is, as Stefan Krauter has rightly noted, to the emperor, the client kings, and the provincial governors.61 The substantiating justification follows immediately: the authorities have been appointed by God. Here there is no sort of secular62 political realm that, for its part, could be evil or have its own independent existence. Neither do we find an apocalyptic frame of cosmic δυνάμεις as Günther Dehn’s reading of 13.1 suggested.63 Though Paul is moving within the context of Jewish and Greco-Roman ideologies of authority,64 he closely relates his conception of the legitimacy of authority to his ethical theme of the good. In this, one finds Paul’s own theoretical contribution to the topic of political and legal ἐξουσία: Do what is good, and you will have praise from it [the ἐξουσία]. It is God’s servant/civil servant (θεοῦ γὰρ διάκονός) for your good (σοὶ εἰς τὸ ἀγαθόν). (Rom 13.3–4)
This is a semantic surprise attack. The political reality with its own ethical logic (“outside”) is shown to be part of Paul’s theological ethics for the Christian community (“inside”). The intersection of these two realms is found in Paul’s labeling of the function of both, the congregational leaders and the public authorities. They are both θεοῦ διάκονοι.65 In this way, those holding a position or office in the congregation are functionally equal to the public authorities and conversely, this is also true for the authorities. These authorities are thus domesticated and in essence have a function no different than the one congregational leaders have.66 For this reason, reference is made (only) to the publically operative function of the authorities: judging, taxes, and public honors, not to their position of power and not to their overall political nature (empire, βασιλεία, ἡγεμονία). It is in this restriction of the view of the authorities to their functions that one finds that 61 See S. Krauter, Studien, 170–191 for a comprehensive presentation of the various exegetical positions. 62 “Secular” is to be understood metaphorically: the world from a perspective without the God of Israel and believers in Christ. 63 G. Dehn, “Engel,” 90–109. See the analyis of Dehn’s proposal in the wake of Barth’s conflict with the NS theology in: L. Bormann, “Politikbegriff,” 34–43. 64 See the extensive discussion in S. Krauter, Studien, 180–192. Impressive: Philo Legatio ad Gaium 143–147: praise of emperor Augustus and his reign (ἡγεμονία). Philo argues that Augustus established peace, welfare and order (τάξις). 65 Cf. also λειτουργοί in Rom 13.6 and ex negativo Rom 13.4 with ius gladii (written by Paul, who himself was executed by the sword according to Christian tradition). In 2 Cor 11.23, Paul relates the function of the θεοῦ διάκονος to himself (perhaps taking up a self-designation of his opponents). Concerning this issue, see A. Hentschel, Diakonia. 66 This explains the heavily disputed, vague semantics of the terms ἐξουσία and ἄρχοντες in ch. 13. Civil authorities are reduced to their societal function. This critical aspect of Rom 13 is often overlooked, especially by scholars who read the text as “Loyalitätsparänese” (R. Bergmeier, “Loyalitätsparänese,” 144–160). H. Leppin, Christen, 345, states: “Der letzte Satz der Passage [Rom 13.1–7] offenbart, worum es eigentlich geht: um Steuerzahlung. Der ganze Abschnitt ist gespickt mit Vokabeln aus der damaligen Verwaltungssprache und dürfte sich für die zeitgenössischen Leser recht bürokratisch angehört haben.”
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III. Texte
which is, if one is inclined to use the term, revolutionary in Rom 13. This becomes particularly evident in comparison with Mark 10.43. The Jesus tradition – or Mark himself – surmises a fundamental difference between forms of public power and violence on the one hand and congregational leadership on the other. In contrast, Paul creates a synthesis on the basis of public service.67 Both are valid: Paul approaches and works through the questions concerning political authority with common categories and terms of Jewish ethical and political thought – categories and terms that also have analogous elements in aspects of the Greco-Roman state ideology.68 At the same time, his conclusion is quite unique in that he draws the political world and its ethics into his own eschatological, congregational concept of ethics for the achievement of the good in the καιρός. His understanding of the Christ-confessing ἐκκλησίαι has already developed to the point that he not only views state institutions, embodied in their authoritative function, on the same level as his own institutions but also relates them to his eschatological, theological, and universal perspective. This perspective, however, is superior. Here the princeps and his magistrates become a part of the ethics of the good that the Christ-confessor is to live out. In this way, the first steps in Christian political thought are taken. The relationship between Christians and the Roman Empire is not set forth as one of fear,69 of conflict, of subordination or of substantial difference. Instead, the Empire is integrated into the ethical mission of the Christians to create the era of the ἀγαθόν. And nobody does more confide in the power of the good at the νῦν καιρός and in his own personal function in this process as Paul. Here, the ἐξουσίαι fulfill their necessary tasks of judging, collecting taxes, and honoring citizens in the public sphere whereas the congregations exercise ἀγάπη within the communities, which Paul extrapolates upon in Rom 13.8–10.70 Paul leaves no doubt that ἀγάπη exceeds though not overrides the ethos of ὑποταγή that he demands in 13.1–7. Only by the way another important aspect can be mentioned: Paul as διάκονος of Jesus Christ was occupied with taxes (“collection”) for Jerusalem, with mediation in the communities and with honoring members of the communities (Rom 16.1–4). At least partly, Paul constructed his obligations within the com67 J. A. Harrill, Paul, argues that “Paul’s use of exousia thus referred to the specific rights granted to municipal magistrates in a fixed term of office” (93) and in that fitted in the Roman context. 68 This is the perspective of Krauter. Cf. his comment on p. 284 (Studien): Paul develops a “Verhalten gegenüber Herrschenden,” that is “fest im antiken, insbesondere antik jüdischen politischen Diskurs verankert.” The most important text is Philo’s Legatio ad Gaium (6–7: reflection on the rewarding and punishing δυνάμεις both of which are part of the νόμος: reward of the good [τιμής ἀγαθῶν] and punishment of the bad [πονηρῶν κολάσεως]; 8–13: praise of the government of Gaius who started out well, εὔνομον, 8.20). 69 See Phil 1.20: the mode of παρρησία. 70 Cf. O. Wischmeyer, Liebe, 78–83. See also J. A. Harrill, Paul, 94: “The ultimate obligation is mutual love.”
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munities analagously to the public duties and functions. Accordingly, the attitude of humility and submission (ὑποταγή) was not only recommended by Paul towards the public authorities, but also within the communities: Gal 5.13; Phil 2.3; Eph 5.21.71 So it is in the Pauline communities that important standards of the public administrative tasks are realized. Both sides, those outside and those inside work for τὸ ἀγαθόν. To sum up: Paul has his own political theory of the state exercising τὸ ἀγαθόν, and the ἐκκλησίαι work as the eschatological analogy of the state, excercising ἀγάπη.
4. Romans 13 – Wirkungsgeschichte72 The Wirkungsgeschichte of Rom 13 begins in the later texts of the NT. It is quite evident that 1 Pet 2.11–17 refers back to Rom 13 as a model: Submit yourselves (ὑποτάγητε) to every human institution (κτίσις) for the κύριος’s sake, whether of the king (βασιλεύς) as the one in authority (ὑπερέχοντι) or of governors (ἡγεμών), as sent by him to punish those who do evil and to praise (ἔπαινος) those who do good … Honor (τιμήσατε) everyone, love the brothers, fear God, honor (τιμᾶτε) the king.
The same can be said concerning the prayer for authorities in 1 Clem 60–61 in which one reads: You, Lord, have given them the authority of rule (ἐξουσία τῆς βασιλείας) …, so that we, acknowledging the glory and honor that you have given them, may be subject (ὑποτάσσεσθαι) to them, contradicting your will in nothing.73
This line of thought leads from the Apostolic Fathers to the apologists,74 on to the acts of the martyrs,75 and further to the church fathers.76 The shifted set of circumstances brought about by Constantine affected not only the conduct of the state but also of the church. On the one hand, Rom 13 is now also related to the conduct of bishops who receive authoritative functions and, on the other hand, Augustine opens the door to the conception that the power of the state be This motif is emphasized by T. Engberg-Pedersen, “Paulus,” 66 f. For references to relevant literature, see U. Wilckens, Brief, 28 f. Wilckens notes that the Wirkungsgeschichte is more than the history of the exegesis of the text: “Röm 13 ist … ein signifikantes Beispiel dafür, daß die Wirkungsgeschichte biblischer Texte in der Geschichte ihrer Exegese nicht aufgeht, sondern ein viel breiteres Spektrum umfaßt: das christliche Leben mit diesen Texten im Horizont der jeweiligen Traditionen ihrer Auslegung bzw. Anwendung” (43 f.). Wilckens himself offers a detailed presentation of the Wirkungsgeschichte (43–66). In the following discussion, I presuppose the work of Wilckens and simply refer to a few texts that are important for my interpretation. 73 1 Clem 61.1. 1 Peter and 1 Clement are texts that are connected to Rome. 74 Cf., e. g., Justin 1. Apol. 17. 75 References can be found in U. Wilckens, Brief, 44, n. 187. 76 Cf. K. Aland, “Verhältnis,” 60–246. 71 72
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brought to bear against heretics.77 In this way there are realms of conduct of ἐξουσίαι who are now confessors of Christ themselves that never crossed Paul’s mind. Aspects of Rom 13, especially the idea of being subject to state authorities, developed a life of their own through the Reformation and beyond. In one stream the development led all the way to legitimizing every kind of authority78 and in another, led to debates concerning resistance as to the national socialist government in Germany between 1933 and 1945 and to the administration of the German Democratic Republic.79
5. Paul and Politics80 according to Romans 13: Concluding Reflections Romans 13 has been the focus of theological thought on politics since the time of the church fathers. During the past few decades a new debate on how to read Rom 13 has taken place. The possibilities for contemporary application of Rom 13 range from strictly historical interpretations of Paul’s posture to contemporary revolutionary approaches.81 At present, New Testament scholars continue to disagree quite substantially about both the genuine meaning of Rom 13.1–7 and the possible hermeneutical applications of the Pauline text. Whereas Stefan Krauter, in his exegetical study of Rom 13 published in 2009, bluntly denies the relevance of Romans 13 for modern, democratically-based political ethics,82 emi nent scholars from the previous generation, such as Helmut Koester and Dieter Georgi83 and in their wake contemporary colleagues such as Neil Elliott and Richard A. Horsley,84 read the Letter to the Romans, in particular, as a political text.85 U. Wilckens, Brief, 47, n. 204. Here the eschatological perspective of Paul functions as a critical element. A collapsing of political and congregational ethics or a blanket theological legitimizing of the power of the state was never in Paul’s view. 79 E. Käsemann, “Gottesdienst,” 198–204. – German exegesis and German scholarship in reception history have been very much concerned about Rom 13 after the Second World War. 80 D. C. Lopez/T. Penner, “Paul.” 81 See the wide and antagonistic array of the concept of “political theology“ that extends from Donoso Cortés and Carl Schmitt to Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann and the revolutionary concepts of mainly South American theologians. See below footnote 85. 82 Krauter ends his monograph with the conclusion, “dass im Kontext eines modernen demokratischen Rechtsstaates von Röm 13,1–7 zu einer theologisch verantworteten politischen Ethik kein Weg führt” (Studien, 287). 83 D. Georgi, Theocracy. 84 R. A. Horsley (ed.), Paul and Empire; idem, Paul and Politics. 85 In Liberating Paul, N. Elliott interprets Romans as a manifesto of a type of liberation theology. See also N. Elliott, Arrogance. Recently American exegetes have coined the term “Empire Studies,” see A. Winn (ed.), Introduction. For Jesus see R. A. Horsley, Jesus. 77 78
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Any application of Rom 13 depends to a significant degree upon the historical analysis of the text, on the one hand, and the current political systems at issue, on the other, whether those are Western democracies or totalitarian systems like China, illegitimate or failed states, or governments like various states in the global South and elsewhere. Scholars have to bear in mind that Paul wrote under political conditions that were far away from modern democracy. This also means that Paul’s personal experiences with political and administrative power and police violence have to be read as sub-text on Rom 13 and that Paul was closer to experiences of police power and political rule than current Western exe getes. Thereby Paul’s text takes on a new interpretative dimension: Western exe gesis has to be cognizant of and reflect upon the fact that perhaps Paul’s ideas of Roman governance have a specific meaning according to the political reality of many contemporary regimes outside the Western democratic world. At any rate, current, politically-oriented critical application of Rom 13 should not be restricted to the experiences in and political values of the Western world nor considered only within the model of democracy (pace Krauter) where submission is to be regarded as inappropriate behaviour. It is also vital and necessary to discuss the issue of the Bible and politics in what Westerners may consider dictatorial or illegitimate regimes – that perhaps are not far away from the political conditions under which Paul lived – and explore ways of reading and applying Rom 13 under these kinds of conditions that are as real as our Western democracies. Those scholars who deny the primary importance of Rom 13 for our own, contemporary political thought read the text, first and foremost, as an admonition to mere subordination (“Loyalitätsparänese”) that is no longer important or relevant or permitted in a democratic political system.86 I cannot hide the impression that readings as these fall short and are at least implicitly guided by a biblicistic hermeneutics that emphasizes especially Rom 13.1 (ὑποτασσέσθω). By way of contrast, my own reading takes its point of departure from Paul’s refusal to present an antagonistic or obsequious perspective on politics. Paul’s primary idea of government as promoter of τὸ ἀγαθόν in the public sphere opens up a fearless understanding of political negotiations. His understanding is an overall theological one and therefore goes hand in hand with “secular” endeavors 86 A current example of an explicit biblicistic reading of Rom 13 from: June 15, 2018 (Spiegel online, 09:35h): “Die Einwanderungspolitik von US-Präsident Donald Trump ist hoch umstritten. Besonders die Praxis, illegal eingewanderte Familien auseinanderzureißen und mitunter minderjährige Kinder von ihren Eltern zu trennen, stößt auf Kritik. US-Justizminister Jeff Sessions hat das Vorgehen mit einem Bibelzitat gerechtfertigt. ‘Ich möchte auf den Apostel Paulus und seine klare und weise Anordnung im Brief an die Römer 13 verweisen, wonach die Gesetze der Regierung befolgt werden müssen, weil Gott die Regierung zu seinen Zwecken eingesetzt hat’, sagte Sessions.” See the comments by M. Aymer/L. Nasrallah, “What Jeff Sessions Got Wrong.” See also other treatments of the issue, including B. Chilton, “Saint Paul”; P. N. Anderson, “Romans 13:1–7.” For the issue of “America and the Bible” see: F. Flannery/R. A. Werline (ed.), Bible (see the review by J. S. Williams).
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promoting “the good,” independent of the political system. For Paul, τὸ ἀγαθόν works as the political key term. This thought is far away from what we moderns call “political theology.”87 Comparable are the positions of Philo of Alexandria and of Seneca. Both the ambassador to Gaius and the tutor of Nero had severe resp. lethal conflicts with the empire. Both never question that the emperor and his officials have the task βουλὰς ἀγαθὰς εἰσηγεῖσθαι περὶ τῶν ὑποτεταγμένων καὶ πράττειν τὰ βουλευθέντα ὀρθῶς.88 The focus of this interpretation of Rom 13 is upon the welfare of human beings in a world that has suffered from and also suffers today from a huge variety of different political systems many of which are based on mere violence, but that, after all, is and remains under God’s rule as long as the νῦν καιρός will last. It seems to me that exactly this way of reading Rom 13 matches Paul’s intention best. What needs to be discussed is whether modern constitutions and democratic forms of government supersede or even finally fulfill the standards of accomplishing the good.
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87 For “Paul and Political Theology” see especially J. Taubes, Theologie; the contributions in: E. Reinmuth (ed.), Horizonte (especially A. Standhartiger, “Paulus,” 50–67). Recently: F. Tofighi, Letters (see the review by J. Twomey); E. R. Urciuoli, Servire due padroni. 88 Philo, Legatio ad Gaium 51. For Seneca see ep. ad Lucilium 73 (Seneca elaborates the hypothesis that wise men appreciate the task of magistratuum aut regum because the administration grants them otium et quies, 73.10).
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16. 1 Korinther 13 Das Hohelied der Liebe zwischen Emotion und Ethos Das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs wird gern als das „Hohelied der Liebe“ apostrophiert1 und dadurch in einen thematischen und poetischen Zusammenhang mit dem Hohenlied gestellt. Diese Analogie stützt sich auf zwei Beobachtungen. Erstens enthält der Text die sprachlich und definitorisch dichteste Formulierung der ἀγάπη-Konzeption, die wir bei Paulus finden. 1 Korinther 13 ist ein „Liebestext“2. Zweitens wirkt Harnacks Urteil, es handele sich um die „eindrucksvollste schriftstellerische Leistung des Paulus“3, nach. Auf jeden Fall ist 1 Kor 13 ein sorgfältig konzipierter und literarisch anspruchsvoller Text zum Thema „Liebe“. Beides gilt auch für das Hohelied, aber eine Bezugnahme auf das Hohelied lässt sich für 1 Kor 13 trotzdem nicht wahrscheinlich machen, zu unterschiedlich sind historische Situierung, Umfang, literarische Gattung, Thematik, Kontext und Textpragmatik – trotz der Verwendung des Substantivs ἀγάπη in der Septuagintafassung des Hohenliedes und in 1 Kor 13. Das Hohelied und 1 Korinther 13 taugen daher nicht als Beispiele biblischer Intertextualität unter semantischen und literarischen Gesichtspunkten. Die Metapher Harnacks führt eher in die Irre, als dass sie zum Textverständnis beitrüge. So ist auch von ἀγάπη als Emotion, sei diese nun eher als erotisches Gefühl oder auch nur als Sympathie verstanden, in den exegetischen Untersuchungen und Kommentaren4 1 So
bei A. von Harnack, „Hohe Lied“, 132–163. wird bei D. Zeller, Brief, übersehen. Sein Schlussurteil: „Die Bedeutung dieses Kapitels ist von Auslegern, die das Wesentliche der christlichen Religion im Ethischen sehen, maßlos übersteigert worden“, befremdet in seiner Schärfe (419). Zeller nennt Lietzmann und von Harnack, meint aber wohl auch Bultmann. Zeller hat recht, soweit er die Interpretation der ἀγάπη nicht wie Harnack auf ‚die schlichte Moral‘ reduziert wissen möchte. Er unterlässt es aber, die literarische Sonderstellung des Textes, seine thematische Zentrierung auf einen Begriff und die schriftstellerische Qualität des Textes zu erklären (vgl. dazu O. Wischmeyer, Weg, 217–223: Religiös-ethische Rede). Dagegen betont A. Lindemann, Korintherbrief, 294, die Bedeutung des Kapitels im Sinne Bultmanns: „Es bestätigt sich von daher in gewisser Weise die These Bultmanns in seiner Rezension von Barths Auslegung des 1 Kor (GuV I, 38–64), daß 1 Kor 13 und nicht 1 Kor 15 der Höhepunkt des Briefes ist“. – Ein weiterer „Liebestext“ liegt in 1 Joh 4 vor; vgl. dazu E. E. Popkes, Theologie. Auch hier stellt sich die Frage nach der ethischen oder emotionalen Dimension von ἀγαπᾶν, vgl. dazu O. Wischmeyer, „Gebot“, 207–220. 3 A. von Harnack, „Hohe Lied“, 135. 4 Lit. zuletzt bei D. Zeller, Brief, 11–27; ausführlicher: W. Schrage, Brief, 273–275. 2 Das
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zu 1 Kor 13 nicht die Rede. Vielmehr wird die Beschreibung der ἀγάπη entweder ganz im ethischen Kontext von Tugenden und Tugendkatalogen5 sowie dem Liebesgebot6 oder auch im Zusammenhang der Charismen verortet7. Es fragt sich aber, ob eine so strikt ethische Lektüre von 1 Kor 13 nicht zu einseitig ist und die emotionale Komponente von „Liebe“ ausblendet. Meine Fragestellung vor diesem Hintergrund lautet: Ist eine Analyse von 1 Korinther 13 im thematischen Zusammenhang von „Emotion“ sinnvoll? Die folgenden Ausführungen verstehen sich als ein Versuch, die Kategorie der Emotion für die Lektüre von Paulustexten heranzuziehen8. Dabei gehe ich von antiken Konzepten von „Emotion“ aus.
1. Emotionsforschung Das Thema der Emotionen erfährt seit gut dreißig Jahren9 in der Philosophie- und Geistesgeschichte große Aufmerksamkeit, die zu einer ausgedehnten Spezialliteratur geführt hat10. Dabei liegt ein gewisser Schwerpunkt auf der Philosophiegeschichte11 der griechischen und römischen Antike, gibt es doch seit Aristoteles und den Stoikern qualifizierte theoretische Diskurse über die Gefühle, die die sprachlichen und begrifflichen Voraussetzungen für trennscharfe Alternativen, Differenzierungen und Definitionen zur Verfügung stellen. Andererseits sind die Werke der klassischen Literatur seit Homer und den attischen Tragödien Schauplatz von Emotionen, und daher ist das Thema der Emotionen nicht nur von der Philosophiegeschichte, sondern auch von den Literaturwissenschaften und neuerdings von den Kulturwissenschaften aufgenommen und für ihre Interpretationsarbeit fruchtbar gemacht worden. Als prominentestes literarisches Beispiel mag der „Zorn des Achill“ (μῆνις) dienen, der am Anfang der abendländischen Literatur steht: Den Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohns Achilleus, den verderblichen, der zehntausend Schmerzen über die Achaier brachte.12
O. Wischmeyer, Weg, 210–213. Th. Söding, Liebesgebot. 7 So D. Zeller, Brief, 420. 8 Mein Beitrag ist damit auch eine Revision meiner Dissertation (s. o. Anm. 2), in der ich das Thema „Emotion“ nicht bearbeitet habe. 9 Vgl. W. W. Fortenbaugh, Aristotle; J. Craemer-Ruegenberg (Hg.), Pathos. 10 Für die neuere Literatur vgl. die kommentierte einführende Bibliographie in: E.-M. Engelen, Gefühle, 111–118. 11 Vgl. einführend den exzellenten Artikel von U. Francke u. a., „Gefühl“, 82–94. 12 Homer, Ilias 1,1. Vgl. dazu einführend M. Harbsmeier/S. Möckel, „Gefühle“, 9–24. Weiter: G. Most, „Anger“; E.-M. Engelen, Gefühle; dies., „Geschichte“, 41–73. 5 6
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Über die Interpretation dieses „Zornes“ hat sich eine philologische Debatte entwickelt, die sowohl die Struktur der Ilias13 als auch die Interpretation des „Zornes“ als eines konstruktiven oder destruktiven Affektes betrifft14. Fragen wir zunächst, womit es die historische Pathos- oder Emotionsforschung zu tun hat. Eine kurze semantische und begriffliche Diskussion der deutschen Lexeme ist unerlässlich, da das semantische Feld für „Gefühl“ weit ist. Im Lateinischen wird πάθος, πάθη mit passio oder affectus übersetzt15, beide Begriffe gehen als sog. Fremdwörter – „Passion“ und „Affekt“ – in die deutsche Sprache ein. Deutsche Begriffe sind „Leidenschaft“ oder das allgemeinere und eher offene Konzept des „Gefühls“, das sich dem 18. Jahrhundert verdankt16. Der lateinisch grundierte Begriff der „Emotion“ wird eher durch das englische emotion vor allem in die deutsche Fachterminologie vermittelt. In der deutschen Gegenwartssprache liegt die Semantik von „Gefühl“ und „Emotion“ dicht beieinander. Eva-Maria Engelen fasst einige Ergebnisse der Diskussion um die Semantik von „Emotion“ und „Gefühl“ zusammen17. Während „Emotion“ bzw. emotion eher zur Bezeichnung „unmittelbare(r) Reaktionen auf Erlebnisse oder Situationen“ verwendet wird, bezieht sich „Gefühle“ bzw. sentiments eher auf „lang anhaltende Zustände, die nicht die ganze Zeit über von einem Erregungspotential begleitet sind, sondern nur gelegentlich durch ein solches ins Bewusstsein gelangen“18. Die Begriffe „Pathos“ und „Affekt“ besetzen demgegenüber eher enge semantische Felder, die vor allem den Bereichen von Literatur und Sprache (Pathos) und Psychologie (Affekt) zugehören. Unabhängig von der von Engelen vorgeschlagenen allgemeinen Definition, die für die gesprochene Sprache gilt, wird in den gegenwärtigen deutschsprachigen philosophie- und geistesgeschichtlichen Studien der Begriff der „Emotion“ für das gesamte Feld von „Gefühl“ und „Emotion“ bevorzugt, so ist auch in der enzyklopädisch angelegten Sammlung „Klassische Emotionstheorien. Von Plato bis Wittgenstein“19 „Emotion“ als heuristischer Begriff gewählt. Catherine Newmark gibt in ihrer Studie zu den philosophischen Theorien der Emotionen zwischen Aristoteles und Kant20 zwei Gründe für die Wahl des Begriffs „Emotion“ an: (1) „Emotion“ wurde von den Theoretikern der Gefühle zwischen Aristoteles und Kant nicht verwendet und kann daher für diesen Zeitraum als „theorieunabhängiges Kunst J. Latacz, „Erforschung“, 381–414. Vgl. die Beiträge in: Ancient Anger (hg. S. Braund/G. Most). Zum Zorn bei Aristoteles vgl. B. Koziak, Emotion. 15 Englisch: passion oder emotion. 16 Vgl. zur Entwicklung der deutschen Synonyme zu passio und affectus C. Newmark, Passion, 9 f. Newmark arbeitet die Wende vom Affekt zum Gefühl bei Kant unter dem Stichwort „Übergang zum Gefühl“ heraus (204–221). 17 E.-M. Engelen, Gefühle, 8–10. 18 A. a. O., 8. 19 H. Landweer/U. Renz (Hg.), Emotionstheorien. 20 Vgl. oben Anm. 16. 13 14
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wort“ benutzt werden, (2) verweist der Begriff auf „eine bewegungstheoretische Konzeption“21. Begriffe wie Zorn, Hass, Neid, Furcht oder Liebe, Eifer, Zuversicht, Mitleid und Freude sind nun aber Phänomene, die nicht nur von der griechischen und römischen Literatur und Philosophie ausgearbeitet, sondern auch von den alttestamentlichen und frühjüdischen Schriften wahrgenommen und in eigene anthropologische, ethische oder psychologische Konzepte Israels und des antiken Judentums eingefügt werden. Das lässt sich exemplarisch an dem Motiv vom „Zorn Jahwes“ darlegen22. Dabei stellt die griechischsprachige frühjüdische Literatur eine bemerkenswerte Brücke zwischen den Konzepten der religiösen Literatur Israels und der griechischen Literatur dar23. Das gilt in semantischer Hinsicht für das gesamte Übersetzungswerk der Septuaginta24, vor allem aber für die Schriften Philon von Alexandria, der sich auf die stoische Affektenlehre bezieht und diese für seine eigene Anthropologie, die auf der Kommentierung des Pentateuch basiert, benutzt25. Für Philon stellt das schon erwähnte biblische Motiv vom Zorn Gottes, das er in seinen Genesiserklärungen mehrmals thematisiert, eine eigene interpretatorische Herausforderung dar. In Quod deus sit immutabilis erläutert er Gen 6,7 (Gott sagt: ἐθυμώθην ὅτι ἐποίησα αὐτόν) folgendermaßen: einige glauben, „wenn sie deine Worte hören, daß das Sein wütend und zornig werde (θυμοῖς καί ὀργαῖς χρῆσθαι τὸ ὄν). Es kann aber überhaupt von keinem Affekt (πάθη) ergriffen werden. Menschlicher Schwachheit ist es eigen, zu zürnen (τὸ κηραίνειν), Gott aber besitzt weder die unvernünftigen Leidenschaften der Seele (τὰ ψυχῆς ἄλογα πάθη)“ noch überhaupt die Teile und Glieder des Körpers (52). Philon fügt hinzu, dass die anthropomorphen Reden von Gott im Gesetz des Mose „einführender Belehrung“ dienen (εἰσαγογῄ, vgl. διδασκαλία, παιδεία und νουθεσία; 54). Im Fortgang seiner Gotteslehre erläutert er die Notwendigkeit, von „Gott, der nicht ein Mensch ist“, gleichzeitig so zu sprechen, als sei „Gott wie ein Mensch“ (69)26. Diese Sprache der Erziehung jener Menschen, die Freunde des σῶμα, nicht der ψυχή sind (55), können Gottes Gesetze und Gebote nur aus Angst vor Gottes „unerbittlichem Zorn“ (68) halten: οὕτως ὁ ἄφρων νουθετεῖται (68). Dem Gegensatz zwischen „Gott nicht wie ein Mensch“ und „Gott wie ein Mensch“ ordnet Philon nicht nur die Struktur von ψυχή und Einsicht versus Körper und „Stumpfheit“ (63) zu, sondern auch die C. Newmark, Passion, 10. Vgl. dazu J. Jeremias, Zorn. Kurzfassung: J. Jeremias, „Gottes Zorn“, 311–324. 23 Vgl. dazu P. von Gemünden, „Affekte“, 249–269. 24 Besonders 4 Makk 1,13–3,18: ein überwiegend stoisch geprägter Text, der die πάθη dem λόγος als αὐτοκράτωρ unterstellt (1,13). Klauck betont die eklektische Eigenständigkeit der Ausführungen von 4 Makk: H.-J. Klauck, 4. Makkabäerbuch, 691 Anm. 20a. Vgl. zu 4 Makk auch P. von Gemünden, „Affekt“, 55–74. 25 Zu stoischen Argumenten bei Philon vgl. H. A. Wolfson, Philo 1–2; weitere Literatur: siehe bei D. Runia, Philo. 26 Dazu gehören ζῆλος, θυμός, ὀργή. 21 22
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binäre Opposition von „Furcht“ und „Lieben“ des „Seienden“: πρὸς τὸ ἀγαπᾶν ἢ πρὸς τὸ φοβεῖσθαι τὸν ὄντα (69). Er unterscheidet weiterhin zwischen Affekt (πάθος) und Körperlichkeit als (beschränktem) menschlichem Verstehenshorizont des Göttlichen einerseits und der (richtigen) Gottesverehrung um der Gottheit selbst willen andererseits und schließt: Den einen „ist das Lieben am angemessensten (ἀγαπᾶν), den anderen aber das Fürchten (φοβεῖσθαι)“. Lieben ist für Philon also eine Tätigkeit der vernünftigen Seele und gehört deshalb nicht zu den Affekten, die er im stoischen Sinn als sarkisch und destruktiv (seelisch krank) versteht. Anders hatte Aristoteles argumentiert, dem in diesem Zusammenhang eine besondere thematische und philologisch-semantische Bedeutung zukommt. Er war der erste, der dem Gefühlsdiskurs unter dem Thema der πάθη τῆς ψυχῆς ein detailliertes griechisches Begriffs- und Definitionslexikon zur Verfügung stellte und damit die Grundlagen für die komplexen und gegensätzlichen Gefühlsdiskurse der antiken Philosophenschulen schuf, die eine reiche philosophische Wirkungsgeschichte bis zu Descartes hervorgebracht haben. Während die Definitionen des Aristoteles sowohl das destruktive als auch das konstruktive Potential der Emotionen beleuchten, um die mittleren Emotionen zu stärken, verstand die stoische Affektenlehre27 die Affekte als destruktiv und arbeitete sie akribisch in Listenform aus28, um sie bekämpfen zu können29. Die stoische ἀπάθεια eignet sich daher kaum als interpretatorische Folie für 1 Kor 13, wie auch der kurze Blick auf Philon gezeigt hat30, dagegen könnte der Weg über das Emotionen-Konzept bei Aristoteles erfolgversprechend sein31. Bevor ich weiter auf das Konzept des Aristoteles eingehe, stellt sich zunächst die methodische Frage: Wie kann eine Studie über einen Paulustext vor dem Hintergrund der aristotelischen Begrifflichkeit in 1 Kor 13 „Emotion“ finden, wenn Paulus doch anders als Aristoteles und die Stoiker offenkundig keine zusammenhängende theoretische Konzeption der Emotionen entwickelt und wir – anders als bei Philon – nicht wissen, ob und wieweit Paulus überhaupt Aristoteles und seine Begrifflichkeit kannte, so dass das interpretatorische Modell von li-
Vgl. dazu C. Newmark, Passion, 52–62; F. Buddensiek, „Stoa“, 69–94. C. Newmark, Passion, 58–62. 29 Vgl. Seneca, Ep. 116: „Ist es besser, beherrschte Leidenschaften (adfectus) zu haben oder gar keine? Das hat man oft gefragt: wir Stoiker vertreiben sie, die Peripatetiker mäßigen sie (nostri illos expellunt, Peripatetici temperant)“ (vgl. C. Newmark, Passion, 57 Anm. 128). In unserem Zusammenhang ist der Schluss von Ep. 116 besonders interessant. Seneca bezieht sich auf ein dictum des Panaitios zu der Frage an sapiens amaturus esset und mahnt zu Gleichmut und Vermeiden von Emotionen. 30 Vgl. aber das Motiv der ἐυπαθείαι, „der positiven Seelenregungen“ (C. Newmark, Passion, 52) und die Passage bei Diogenes Laertius, Vitae Philosophorum VII, 115–116 (Liebe als ἀγάπησις), C. Newmark, Passion, 61 mit Anm. 139. 31 Vgl. dagegen Cicero, Tusc. 4,10–32 zum stoischen Konzept. 27 28
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terarischer Abhängigkeit oder Motivgeschichte auf jeden Fall scheitern muss?32 Als Ausgangspunkt können die folgenden Textwahrnehmungen dienen: Erstens finden wir bei Paulus keine irgendwie geartete Bezugnahme auf die philosophische und rhetorische Diskussion seiner Zeit. Wohl aber finden wir zweitens eine selbständige qualifizierte Auseinandersetzung mit den Affekten im Rahmen seiner Darstellung der anthropologischen Konstanten von σῶμα, σάρξ, ψυχή und ἁμαρτία ebenso wie in seinen primär ethisch gerichteten Texten. Dabei gilt es zu beachten, dass der Begriff der πάθη nur in Röm 1,26 und 1 Thess 4,5 begegnet – beide Male in negativer ethischer Konnotation zusammen mit ἐπιθυμίαι und Elementen von Lasterkatalogen verwendet. Das bedeutet: Paulus benutzt ein negativ konnotiertes Konzept von πάθη, das in den ἐπιθυμίαι konkretisiert wird – einem Thema, dem er wesentlich mehr Aufmerksamkeit schenkt. Zugleich setzt er aber auch drittens Emotionen im Rahmen seiner rhetorischen, literarischen und theologischen Strategien in textpragmatischer Absicht ein33. Wir müssen daher nicht nur davon ausgehen, dass er selbstverständlich Emotionen kannte und ihnen selbst unterworfen war, wie Röm 7 in einer theologisch überarbeiteten Form zeigt34, sondern dass er sie auch im Sinne der antiken Rhetorik in seinen Briefen bewusst einsetzte und erzeugen wollte. Beides wird im 2. Korintherbrief besonders deutlich. Und damit sind wir bereits in direkter Nähe zu Aristoteles und dem 2. Buch der „Rhetorik“, denn in diesem Text werden die Emotionen im Zusammenhang rhetorischer Strategien ausgearbeitet. Die rhetorischen Strategien des Paulus haben seit den bahnbrechenden Untersuchungen von Hans Dieter Betz35 starkes exegetisches Interesse gefunden, ohne dass aber ihre psychisch-emotionale Komponente, der Aristoteles so große Aufmerksamkeit widmet, hinreichend untersucht worden wäre. Vielmehr gilt die Aufmerksamkeit der Rhetorikforschung zu den Paulusbriefen vor allem Fragen von Disposition, Genus, Stil, Pragmatik und Publikum. Andererseits haben Klaus Berger36, Gerd Theißen37
32 Ebenso wenig wissen wir natürlich, ob Paulus Philon und seine Schriften kannte und über diese Brücke Zugang zur griechischen Philosophie hatte. 33 Vgl. nur das Tränenmotiv (dazu: E.-M. Becker, „Tränen“, 361–378). 34 Der klassische Text ist Röm 7. Vgl. dazu L. Scornaienchi, Sarx, 307–329, der Paulus kenntnisreich und eindrucksvoll in die frühkaiserzeitliche Diskussion der Affekte stellt, allerdings ohne die hermeneutischen Implikationen dieser Einordnung zu diskutieren. 35 H. D. Betz, Galaterbrief. Vgl. zum gegenwärtigen Stand der Debatte um die Rhetorik bei Paulus den Sammelband: J. P. Sampley/P. Lampe (Hg.), Paul. A. T. Thiselton, Epistle, 4154.1028–1130, geht auf das Thema „1 Kor und Rhetorik“ ein. Mit Mitchell findet er in 1 Kor 13 „deliberative rhetoric“ „designed to persuade“, ohne dies aber zu vertiefen (A. T. Thiselton, Epistle, 1030, nach M. M. Mitchell, Paul, 273; M. M. Mitchell, Paul, 20–67, weist auch auf die Verbindung von Rhetorik und Emotionen hin). 36 K. Berger, Psychologie. 37 G. Theissen, Aspekte; G. Theissen, Erleben; G. Theissen/P. von Gemünden (Hg.), Erkennen. Berger bezieht sich ausschließlich auf antike Konzeptionen, während Theissen/von
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und Bruce J. Malina38 Untersuchungen zur historischen Psychologie des Paulus vorgelegt, ohne ihrerseits die Verbindungslinie zur Rhetorik zu beachten. Auch die neuen Ansätze zur Biographieforschung bei Paulus39, die die Paulusbriefe literarisch im Sinne von autobiographischen Dokumenten lesen und gleichzeitig ihre theologisch-anthropologische Qualität herausarbeiten, haben den Komplex von Emotion, Rhetorik und Autobiographie noch nicht thematisch in den Blick genommen. Hier bildeten einerseits die starke Ablehnung einer biographisch-psychologischen Paulusforschung, wie sie die Paulusexegese des 19. Jahrhunderts vorangetrieben hatte40, durch Rudolf Bultmann und seine Schule41, andererseits die konsequente Zuordnung des Paulus zum Religionsund Ethikdiskurs des antiken Judentums in der Hengelschule42 Schranken, die übergreifende Fragestellungen erschwerten. Diese Schranken lassen sich überwinden, wenn die heuristische und semantische Nähe zwischen Verhaltens- und Tugend- bzw. Lasterlisten in paulinischen Schriften und aristotelischen Texten zu πάθη bzw. den Affekten aus rhetorischer Perspektive berücksichtigt wird, so dass die affektive Seite der paulinischen ἀγάπη-Konzeption in den Blick kommen kann. Bei dieser Perspektive stellt die Rhetorik die verbindende Größe zwischen der allgemein akzeptierten „ethischen“ und der noch kaum versuchten „‚emotionalen‘“ Interpretation paulinischer Texte dar. Eben dies möchte ich an einem Ausschnitt präsentieren, der einen aristotelischen Text in einen Interpretationszusammenhang mit 1 Kor 13 bringt.
2. Aristoteles, Rhetorik II.2–11 und 1 Kor 13,4–7 im Vergleich Die intensive Beschäftigung mit der Rhetorik des Aristoteles, die in den monumentalen Kommentar von Christof Rapp mündete43, hat das allgemeine Bewusstsein für die essentielle Verbindung von Rhetorik als Kunst der öffentlichen Rede mit der Absicht der Einwirkung auf die Hörer und πάθη- bzw. Affektenlehre geschärft44. Diese Einsichten gilt es für die Paulustexte, die dem Konzept der Rhetorik verpflichtet sind und begrifflich oder textpragmatisch mit Emotionen arbeiten, fruchtbar zu machen45. Welche inneren Strebungen, Gemünden gegenwärtige psychologische Modelle zugrunde legen. Vgl. dazu die programmatischen Ausführungen (Erkennen, 9f). 38 B. J. Malina, Welt; B. J. Malina/J. H. Neyrey, Portraits. 39 E.-M. Becker/P. Pilhofer (Hg.), Biographie. 40 Vgl. dazu D. Havemann, „Apostel“, 53–88. 41 Vgl. exemplarisch die Wendung im Artikel „Paulus“ von RGG 1. Auflage zur 2. Auflage. 42 Vgl. z. B. J. Frey, „Judentum“, 47–104. 43 R. Kassel (Hg.), Ars Rhetorica; Aristoteles, Werke. 44 Vgl. dazu J. Wisse u. a., „Affektenlehre“, 218–252, und M. Kraus u. a., „Pathos“, 689–717. 45 Die gegenwärtig führenden Kommentare haben für 1 Kor 13 andere Interpretationskoordinaten gesetzt. Der jüngste Kommentar zum 1. Korintherbrief von Zeller (s. o. Anm. 2) ver-
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Bewegungen und Leiden der Seele bezeichnet Aristoteles mit πάθη τῆς ψυχῆς? Ich beginne mit einigen allgemeinen Überlegungen. Catherine Newmark hat darauf hingewiesen, wie „grundlegend für das Verständnis der Emotionen von Aristoteles bis ins 18. Jahrhundert … ihre Auffassung als passio animae, als Bewegung des appetitus sensitivus, das heißt des sinnlichen Strebevermögens der Seele“ ist46. Für Aristoteles ist die ὄρεξις „das Vermögen der Seele, bewegt zu werden und daraufhin selbst zu bewegen. Bewegt wird die Seele vom Guten und Schlechten, Lustvollen und Unlustvollen oder Nützlichen und Schädlichen, das sie in den Dingen erkennt oder wahrnimmt; sie bewegt ihrerseits wiederum den Körper zur Tätigkeit“47. Die πάθη sind eher aktive oder eher passive Strebungen oder Leiden der Seele. Das Affekten-Konzept spannt sich also zwischen Körper und Seele, zwischen Intellekt und sinnlicher Wahrnehmung, zwischen Aktiv und Passiv, zwischen „Wille“ und „Passion“ bzw. „Begehren“ und zwischen der eigenen Person und den Anderen aus48. Ein entsprechendes Koordinatensystem findet sich nun auch bei Paulus in einer seiner jüdischen Herkunft entsprechenden sprachlichen und argumentativen Form, besonders deutlich im 7. Kapitel des Römerbriefes49. Auch Paulus will seine Adressaten bewegen. Auch er arbeitet mit Affekten, um Emotionen zu erzeugen und dadurch seine Adressaten zu überzeugen und zu bestimmten Einsichten (Urteilsebene) und Verhaltensweisen (ethische Ebene) zu bringen. Ein Beispiel mag hier für viele stehen. Das rhetorische Pathos50 von Röm 7,24: „Ich elender Mensch! Wer wird mich aus dem Leibe dieses Todes reißen?“ ist zunächst Bestandteil der theologischen Emotion des Paulus angesichts seines Todesschicksals, das er als unausweichlich versteht, da sein Wille zum Guten durch die ἐπιθυμία vernichtet ist. Zugleich aber ist dies „Ich“ nicht nur autobiographisch, sondern Teil der adamitischen Biographie, mit der sich nicht nur Paulus selbst, sondern vor allem auch die Adressaten identifizieren sollen. So gibt Paulus die Emotion in dem identifikatorischen Ausruf: „Ich elender Mensch“ zugleich an seine Adressaten weiter, um ihnen die Dramatik ihrer Situation klarzumachen, sie zu erschüttern und auf sein Argument in Kapitel 8 steht 1 Kor 13 vorwiegend ethisch. Lindemann und Thiselton finden auch eine theologische bzw. christologische Dimension in dem Text. A. T. Thiselton, Epistle, schließt die Erklärung mit dem Satz: „Agape is more than a ‚moral virtue‘“ (1074). A. Lindemann, Korintherbrief, 294, attestiert 1 Kor 13 eine latente Beziehung zur Christologie, so auch schon O. Wischmeyer, Weg, 228–230. Dagegen: D. Zeller, Brief, 421 (Anm. 256 gegen Th. Söding, Liebesgebot). 46 C. Newmark, Passion, 19. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 Das „Streben“ ist hier mit dem Genesis-Begriff „Begierde“ konnotiert. Die Bewegung zum Bösen hin drückt Paulus in 1 Kor 12,2 folgendermaßen aus: „Ihr wisst, dass ihr, als ihr noch Heiden wart, zu den stummen Götzenbildern hingezogen wurdet, so als würdet ihr gezogen“ (ὡς ἂν ἤγεσθε ἀπαγόμενοι). 50 Vgl. dazu M. Kraus u. a., „Pathos“. Paulus verwendet faktisch Stilmittel des χαρακτὴρ δεινός (690).
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vorzubereiten: „So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Jesus Christus sind“ (8,1). Zwischen persönlicher Emotion, ihrer paradigmatischen Einordnung in die Adamsgeschichte und der textpragmatischen intentio auctoris lässt sich bei dieser rhetorischen Strategie gerade nicht unterscheiden. Bei Aristoteles finden sich mehrere Aufzählungen von Emotionen, die das thematische Feld abstecken. Die Listen von Emotionen in der Rhet. II.2–11, in De an. 403a 16–18, in der Eth. eud. 1220b 12–14 und in der Eth. nic. 1105b 21–23 (und öfter) umfassen sowohl Aufzählungen als auch Definitionen51. Die Heuristik des Aristoteles reicht von einer sehr kurzen Aufzählung in der Rhetorik (Zorn, Mitleid, Furcht)52 über die Eth. eud. (Zorn, Furcht, Scham, Begierde)53 bis zu den längeren Listen in De an. (Zorn, Sanftmut, Furcht, Mitleid, Zuversicht, Freude, das Lieben und das Hassen)54 und in der Eth. nic. (Begierde, Zorn, Furcht, Zuversicht, Neid, Freude, Freundlichkeit, Hass, Sehnsucht, Ehrgeiz, Mitleid)55. Dreierlei machen diese Listen sogleich deutlich. Erstens liegt Aristoteles nichts an einer stringenten Systematik oder einem geschlossenen System. Er arbeitet hier vielmehr heuristisch. Zweitens unterliegt den Listen mindestens teilweise eine antithetische Struktur, besonders deutlich bei „Lieben und Hassen“, die aus der Grundordnung von „guten“, d. h. konstruktiven, und „schlechten“, d. h. destruktiven Emotionen resultiert. Drittens spricht er nicht von ἀγάπη – ἀγάπη ist ein Septuagintawort –, sondern von φιλεῖν, φιλία. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Ausführungen in Rhet. II.1–11 im Vergleich mit 1 Kor 13,4–7, weil Aristoteles hier einzelne Definitionen und ausführliche Beschreibungen der Affekte und ihrer Symptome gibt und diese in den Zusammenhang seiner rhetorischen Wirkungstheorie stellt, die einen Vergleich beider Texte ermöglicht. Der Text von Rhet. II.1–11 stellt eine geschlossene Subeinheit zum Thema der Emotionen dar, die die Form eines Traktats hat56. Meine Textlektüre57, die auf die Möglichkeit eines Vergleichs mit 1 Kor 13 51 Vgl. Ch. Rapp, „Aristoteles“, 45–68; Aristoteles, Werke 4.2, 543–583. Weiter J. Krajczynski/Ch. Rapp, „Emotionen“, 47–78 (vgl. die Listen 64–67). 52 Rhet. 13778a 19–22. 53 Eth. Eud. 1220b 12–14. 54 De an. 403a 16–18. 55 Eth. nic. 1105b21–23. – Vgl. auch Cicero, Tusc. 3, die Listen zu den Affekten. 56 II.1 eröffnet Aristoteles das Thema: es geht um die Glaubwürdigkeit und damit verbundene Überzeugungskraft des Redners. Diese ist die Voraussetzung dafür, dass der Redner in seinen Hörern bestimmte Emotionen erwecken kann. II.11 schließt den Traktat über die Emotionen ab. II.12 eröffnet Aristoteles ein neues Thema: „Als nächstes wollen wir die Charaktertypen behandeln, von welcher Art man hinsichtlich der Emotionen und der Charaktereigenschaften entsprechend den Altersgruppen und den vom Glück abhängigen Faktoren ist“. Zu dieser Übersetzung vgl. Rapps Kommentar in: Aristoteles, Werke 4.2, 682 f. Aristoteles spricht von πάθη und ἕξεις. Rapp spricht von „emotionalen Reaktionen“ und „beständigen Neigungen“ (682), also jener Differenz, die sich im Deutschen am ehesten in der Unterscheidung von „Emotionen“ und „Gefühlen“ abbilden lässt. Dies Thema führt Aristoteles für „die Jungen“ und „die Alten“ durch. 57 Vgl. stets Aristoteles, Werke 4.2, 542–678.
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gerichtet ist, steht unter folgenden Fragestellungen: Wie definiert und beschreibt Aristoteles die konstruktiven Affekte von Sanftmut und Liebe? Welchen Platz haben sie im Zusammenhang seiner Rhetoriklehre? Welche ethischen Potenziale schreibt er ihnen zu? Aristoteles beginnt Buch II mit allgemeinen Überlegungen zur Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft des Redners. Der Redner benötigt drei Fähigkeiten bzw. Eigenschaften: Klugheit, Tugend und Wohlwollen, φρόνησις, ἀρετή, εὔνοια (II.1), um mit seiner Rede zu überzeugen. Aristoteles baut mit dieser Formulierung gleichsam das Portal für jede weitere Beschäftigung mit der Rede und den Mechanismen ihrer Überzeugungskraft. Seine Beobachtung stellt eine große Hilfe für die rhetorische Interpretation der Paulustexte dar. Paulus muss – wie der Rhetor – in immer wieder neuen Anläufen seine eigene Klugheit58, Tugend und Empathie für seine Gemeinden literarisch glaubhaft machen. Aristoteles eröffnet seine Untersuchung der πάθη mit dem antithetischen Paar von Zorn, ὀργή, und πράυνσις, der Sanftmut. Nun findet sich πραύτης zwar nicht im semantischen Inventar von 1 Kor 13, wohl aber zusammen mit ἀγάπη in 1 Kor 4,21 und Gal 5,23, so dass die Definition des Aristoteles für uns von Interesse ist: „Es sei also das Sanftmütigwerden eine Beilegung und Beruhigung des Zorns“ (1380a). Wenn Aristoteles die „Sanftmut“ im Gegensatz zum Zorn definiert, dann ist dies ein begriffliches Konzept, das Paulus nicht verwendet, da bei ihm der „Zorn“ ausschließlich Attribut Gottes und seiner strafenden Gerechtigkeit ist. 1 Kor 4,21 macht aber deutlich, dass Paulus die psychologische Konstellation von Sanftmut und Zorn kennt und in einer Metapher nutzt: „Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock (des Pädagogen) (zu euch) kommen oder in ἀγάπη und dem Geist der πραύτης?“ Auch hier stehen Zorn und Gewalt gegen Sanftmut. Aristoteles fügt eine Liste sanftmütiger Verhaltensformen an, die alle ex negativo konstruiert sind und als Aussetzung des Zornes gegenüber Personen, die einem Böses getan haben, verstanden sind. Es folgt das antithetische Paar von Lieben, φιλία – φιλεῖν und Hassen. Der Hass als menschlicher Affekt spielt bei Paulus ebenso wenig eine tragende Rolle wie der Zorn59. Spielarten des Zorns als eines destruktiven Affekts werden in Gal 5,20; 2 Kor 12,20 im Rahmen von Lasterkatalogen genannt, die Liebe wird aber nicht wie in „Antigone“ als Gegenstück zum Hass konstruiert. Für die Paulusinterpretation ist daher die Konzeption der φιλία bei Aristoteles wichtig, nicht die Antithese von „Hassen und Lieben“60. Die φιλία gilt dem φίλος. Aristoteles definiert sie als Streben, „für jemanden das zu wollen, was man für Güter (ἀγαθά) hält, um jener Person, aber nicht um seiner selbst willen, und nach 58 Dies geschieht häufig sub contrario, indem der Apostel seine Torheit oder – in kühner Verlängerung des persönlichen Argumentes unter Berufung auf die „Schrift“ – sogar die Torheit Gottes betont (1 Kor 1 und 2). 59 ὀργή ist bei Paulus auf „Gottes Zorn“ geschränkt (vgl. oben zu Philon). 60 Anders der 1. Johannesbrief!
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Möglichkeit dafür tätig zu sein“ (1380b–1381a). „Der Freund aber ist der, der liebt und dessen Liebe erwidert wird“ (φίλος δ᾿ ἐστὶν ὁ φιλῶν καὶ ἀντιφιλούμενος). Aristoteles schreibt weiter: „Legt man dies zugrunde, dann muss notwendigerweise der ein Freund sein, der sich über die guten Dinge mitfreut (συνηδόμενον τοῖς ἀγαθοῖς) und über die schmerzlichen Dinge mitleidet (συναλγοῦντα τοῖς λυπροῖς), nicht wegen einer anderen Sache, sondern jener Person wegen“. Die nachfolgende Liste von liebevollen Verhaltensformen und Zielpersonen der Liebe61 ist lang. Ich markiere einzelne Verhaltensformen. Man liebt, sagt Aristoteles, die Gerechten und Tugendhaften, die Guten und die Umgänglichen, „die es nicht darauf abgesehen haben, solche zu kritisieren, die Fehler begehen, und nicht streitsüchtig und nicht zänkisch sind“. Man liebt auch die, „die sich leicht versöhnen lassen … die nicht schlecht über einen sprechen und nicht die Nachteile der Nächsten oder von einem selbst bemerken, sondern die Vorzüge, der Gute nämlich tut dies“ (1381b). Wie fährt Aristoteles fort? Er lässt seiner kleinen thematischen Abhandlung über die Emotionen einen weiteren thematisch zentrierten Traktat über die „Charaktertypen“ (ἤθη) folgen (II.12–17) und unterteilt die ἤθη in „Emotionen“ (πάθη) und „Charaktereigenschaften“ (ἕξεις). Für unsere Fragestellung ist aufschlussreich, dass Aristoteles die ἕξεις als ἀρετὰς καὶ κακίας definiert (II.12), so dass an diesem Punkt die Ethik ins Spiel kommt. Diese Fortführung der Thematik der Emotionen zeigt die große Nähe zwischen Emotionen und Ethik, die Aristoteles in dem Begriff der ἤθη bündelt62. Im Gegensatz zu ἔθος ist ἦθος ein ethisch unterbestimmter Begriff, der aber durch die Konkretisierung mit Hilfe der Tugenden bei Aristoteles ethische Aussagekraft gewinnt, ohne den vorethischen Zusammenhang zu verlieren.
3. 1 Korinther 13 und die emotionale Komponente der ἀγάπη Ich stelle zunächst im Einzelnen zusammen, welche Bedeutung der Text aus der „Rhetorik“ für die Textexegese von 1 Kor 13 haben kann. Die Charakteristik der ἀγάπη im Mittelteil des Kapitels (13,4–7)63 zeigt auffallend ähnliche Zuordnungen wie die Passage über die φιλία bei Aristoteles. Die Motive der Freundlichkeit (χρηστεύεται), der Selbstlosigkeit (οὐ ζητεῖ τὰ ἑαυτής), der Vermeidung von Verbitterung (οὐ παροξύνεται)64, das Nicht-Anrechnen des Schlechten (οὐ λογίζεται τὸ κακόν) sowie die Doppelbestimmung: 61 Vgl. Aristoteles,
Werke 4.2, 584–678. ἦθος in LXX nur in Sir und 4 Makk, im NT nur 1 Kor 15,33 in einem Sprichwort. Anders als Lukas verwendet Paulus auch den Begriff ἔθος nicht. 63 Zu den Fragen der Gliederung und der literarischen Kleinformen von 1 Kor 13 vgl. D. Zeller, Brief, 405–421. 64 Hinter dieser Bezeichnung steht der „Zorn“ als Antithese zur Liebe. 62
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III. Texte
οὐ χαίρει ἐπὶ τῇ ἀδικίᾳ, συγχαίρει δὲ τῇ ἀλήθειᾳ, verbindet Aristoteles mit der φιλία als einer konstruktiven Emotion. Paulus arbeitet ähnlich wie Aristoteles in seiner Beschreibung mit Gegensätzen, um das Profil der ἀγάπη zu schärfen65. Aristoteles stellt die φιλία ausführlich im Modus von Verbalreihen vor, d. h. durch die Aufzählung einzelner Verhaltensweisen von Menschen, die φιλία haben und üben. Eine entsprechende Verbalreihe verwendet Paulus zur Konturierung der ἀγάπη. Diese verbale Diktion wird man, wenn man „Rhetorik“ II.1–11 berücksichtigt, nicht mehr sogleich als ethische Diktion verstehen, wie dies wieder Dieter Zeller in seinem Kommentar tut66, sondern auch ihre emotionale Komponente sehen. Wenn 1 Kor 13,4–7 vor dem Hintergrund der „Rhetorik“ für seine emotionale Dimension durchsichtig wird, wird der Duktus des ganzen Kapitels deutlicher. 13,1–3 stellt die ἀγάπη über die extremen religiösen πνευματικά (14,1), 13,8–13 eröffnet in apokalyptischer Diktion67 die endzeitliche Komponente der ἀγάπη, die mit der personal verstandenen Gottesliebe verbunden ist, die Paulus als reziproke Erkenntnis bzw. als Erkanntwerden beschreibt. Es würde überraschen, wenn eine ἀγάπη, die diese Dimensionen hat, im Mittelteil des Textes lediglich als ethisches Verhalten konzipiert wäre. Eine offen oder verdeckt erotische Konnotation von φιλία, die es erlaubte, die ἀγάπη von 1 Kor 13 in ein irgendwie geartetes intertextuelles Verhältnis zum Hohenlied zu stellen, hat sich bei der Lektüre des Aristotelestextes aber nicht ergeben, denn Aristoteles konstruiert „das Lieben“ (τὸ φιλεῖν) im Rahmen von „Formen der Freundschaft …: Kameradschaft, vertrauter Umgang, Verwandtschaft“ (II.4). Weder an Liebe zwischen den Geschlechtern noch an Homoerotik ist hier gedacht, wohl aber an das reine, nicht zweckgeleitete Interesse an der anderen Person, wie Aristoteles mehrfach betont. Diese Blickrichtung auf die personale Dimension der ἀγάπη mag auch für Paulus gelten, der seiner Gemeinde die ἀγάπη empfiehlt. Damit ist Paulus auch nicht so weit von dem johanneischen Konzept des „Liebens“ entfernt, wie es scheinen mag. Die Bruderliebe wird im 1. Johannesbrief durchaus auch von der emotionalen Seite her entwickelt. Abschließend möchte ich festhalten: Der Aristotelestraktat zu den Emotionen erschließt eine neue Verstehensdimension für den paulinischen Text über die Liebe. Die ἀγάπη, wie Paulus sie in 1. Korinther 13 konstruiert, ist unter be65 Vgl.
aber das oben zum Zorn Gesagte. Vgl. anders D. Zeller, Brief, 411, der hier „dauernde Verhaltensweisen“ aufgrund der Verbalreihen erkennt und die Beschreibung der ἀγάπη in die Nähe der Tugend- und Lasterreihen stellt (so auch schon z. B. O. Wischmeyer, Weg, s. o. Anm. 2, 210–213). Vgl. dazu die Textparallelen in: G. Strecker/U. Schnelle (Hg.), Neuer Wettstein, 371–374, besonders Epictetus, Diatr. III 2,14 und Seneca, Polyb. XXXII 2,5 und XXXIX 1,2–3 (πέρπερος), Dion Chrysostomos, Or. 3,2–3 (Mitfreude an der Wahrheit). 67 Vgl. D. Zeller, Brief, 421: „Deutlicher dagegen ist im dritten Abschnitt ein apokalyptisches Weltbild“. 66
16. 1 Korinther 13
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stimmten antiken Verstehensbedingungen nicht nur fragmentiert als ethische (13,4–7) oder pneumatische (13,1–3) oder apokalyptische (13,8–13) Größe zu lesen, sondern als konstruktives Streben der Seele zu Gott und zu den Menschen hin. Der Aristotelestext aus der „Rhetorik“ hat Paulus nicht als literarisches Vorbild gedient, sondern er gewährt einen Einblick in eine68 antike Interpretation von „Liebe“ im Schnittpunkt von Emotion und Ethos. Der Horizont dieser Interpretation ist die öffentliche Rede, die ein Publikum überzeugen will. Eben dies ist der Horizont der Briefe des Paulus. Wie weit eine Interpretation der Briefe des Paulus von der Emotionsforschung profitieren kann, müssen weitere Studien ausarbeiten.
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III. Texte
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17. „Die Liebe Christi dringet uns …“ 2 Kor 5,14f und die Liebe Christi bei Paulus Die folgenden Ausführungen gelten 2 Kor 5,14, einem in der exegetischen Analyse gern übersehenen und nur am Rande analysierten Vers. Meine Analyse des Verses wird zeigen, dass Paulus hier mit dem Syntagma von der ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ ein genuines Theologumenon, das soteriologisch ausgerichtet ist, prägt, ohne es allerdings weiter zu entfalten. Gerade in der verkürzenden Syntagmatik wird ein Spezifikum paulinischer Argumentation erkennbar. Der Satz: ἡ γὰρ ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ συνέχει ἡμᾶς, κρίναντας τοῦτο, ὅτι εἷς ὑπὲρ πάντων ἀπέθανεν, ἄρα οἱ πάντες ἀπέθανον ist Teil der Texteinheit 2 Kor 5,11–21, die die Argumentation von 2 Kor 2,14–7,4 zu einem theologischen Höhepunkt führt. Der Apostel verbindet seinen eigenen Dienst (ἡμᾶς) direkt mit dem Todesschicksal Jesu. In diesem Zusammenhang verwendet Paulus das Syntagma von der ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ, das nur noch einmal im Röm begegnet (Röm 8,351). Diese ganz seltene Wendung verdient besondere Aufmerksamkeit. Die Kommentarliteratur geht im Großen und Ganzen schnell über V. 14a hinweg, um sich V. 14b zu widmen. Einzig der Kommentar von H. Windisch2 hat das Motiv von der Liebe Christi als das beschrieben, was es ist: das „beherrschende … Motiv für die ganze folgende Entwickelung“3. Windisch versteht den Genitiv als gen. subi. Die Liebe Christi interpretiert er als „Werk der Liebe“4 und stellt seine Erklärung von 2 Kor 5,14–21 unter dies Thema. Die neueren Kommentare bleiben an Deutlichkeit hinter Windisch zurück. Das gilt auch für den profunden Kommentar von M. Thrall. Sie urteilt: „It is this conclusion, ἄρα οἱ πάντες ἀπέθανον, that poses the real exegetical problem“5 und konzentriert ihre exegetische Aufmerksamkeit auf die sechs interpretatorischen Möglichkeiten des „Alle sind gestorben“. Diese Bearbeitung ist schon geradezu klassisch geworden und wird von allen neuen Kommentaren aufgegriffen:6 Die exegetischen Bemühungen Verbal: Röm 8,37 und Gal 2,20. Vgl. H. Windisch, Korintherbrief, 181–184. 3 A. a. O., 181. 4 Ebd. 5 M. E. Thrall, Epistle, 409. 6 Vgl. auch A. J. M. Wedderburn, „2 Corinthians 5:14“. Wedderburn befasst sich ausschließlich mit den sechs Kategorien von M. E. Thrall, Epistle, 409–411. 1 2
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gelten fast ausschließlich der Frage, wie die Übertragung des Todes Jesu auf „uns“ vorzustellen sei. Erich Gräßer weist zwar darauf hin, dass V. 14b zeigt, „was konkret mit der Liebe Christi gemeint ist“7, indem Paulus vorpaulinische Tradition verwendet, um den Tod Jesu soteriologisch zu deuten, seine weiteren Ausführungen beziehen sich dann aber ausschließlich auf die Frage, ob V. 15a eher dem Sündopferritual oder dem Stellvertretungsmotiv zugehöre. So lässt auch Th. Schmeller8 in seiner Strukturanalyse die Liebe das übergeordnete Thema der V. 14–17 sein,9 kommt aber in der Exegese nicht auf die Frage zurück, weshalb Paulus hier gerade die Liebe Christi ins Spiel bringt und was diese Perspektive für die Christologie von 2 Kor 5 bedeutet, sondern konzentriert sich von vornherein auf das Thema von Stellvertretung, Partizipation oder Repräsentation.10 Ich gebe im Folgenden eine weiterführende Interpretation von 2 Kor 5,14f in der Linie von Windisch, indem ich vier Fragen untersuche: (1) Weshalb eröffnet Paulus die folgenden Ausführungen zur soteriologisch verstandenen Christologie so prononciert mit dem thematisch gesetzten Verweis auf die Liebe Christi? (2) Wie ist die Wendung συνέχει ἡμᾶς zu verstehen? (3) Wie verhalten sich die V. 14f zu den V. 19.21? (4) Welche Rolle spielt der Rekurs auf die Liebe Christi und den Dienst des Apostels in der rhetorischen und textpragmatischen Strategie von 2 Kor 2–7?
1. Ἡ ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ 2 Kor 5,14b macht deutlich, welche Vorstellung hinter V. 14a konkret steht: Christi Tod, den Paulus als Liebeshandlung interpretiert. Χριστοῦ ist als Gen. subi. zu lesen,11 und ἀγάπη bezieht sich nicht auf eine emotionale12 Zuneigung Jesu zu seinen Jüngern, zur Gemeinde oder zu Paulus,13 sondern eben auf seinen Tod. Um diese im Corpus Paulinum durchaus seltene Interpretation des Kreuzestodes Jesu zu verstehen, bietet sich zunächst ein Blick auf die Texte oder Textgruppen an, die in umfänglicher Weise die „Liebe“ Gott oder Christus oder auch den Jüngern Jesu personal zuordnen: Die johanneischen Schriften thematisieren – ganz anders als Paulus – die Liebe Jesu zu den Seinen (Joh 13,1) ausführlich. Als ein erster Kommentar kann Joh 15,13 herangezogen werden: „Niemand hat E. Grässer, Brief, 214. Vgl. T. Schmeller, Brief. 9 Vgl. a. a. O., 320: „Die Liebe Christi als bestimmende Kraft“ und „Die Folgen dieser Liebe“. 10 Vgl. a. a. O., 322. 11 Mit der großen Mehrzahl der Exegeten. 12 Zu ἀγάπη als Emotion vgl. O. Wischmeyer, „1. Korinther 13“ (in diesem Band 347–361). Die emotionale Seite von „Christi Liebe“ wird in den johanneischen Schriften ausgearbeitet. 13 So aber 1 Thess 1,4 in Bezug auf die Gemeinde und Gal 2,20 in Bezug auf Paulus. 7 8
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größere Liebe (ἀγάπη), als dass er sein Leben lässt für seine Freunde“. Zugrunde liegt hier die antike Vorstellung von einer vollkommenen Freundesliebe, die sich im Opfertod für die Freunde erweist.14 „Opfer“ ist in diesem Zusammenhang nicht religiös konnotiert, sondern im Sinne der persönlichen Aufopferung als ein letzter und höchster Liebesbeweis für eine andere Person oder Personengruppe, für Familienmitglieder oder Freunde zu verstehen. Mit seinem Tod rettet der Freund das Leben seiner Freunde. Im Joh weist Jesus in Kap. 15 ausdrücklich auf diese Vorstellung hin, wenn er den Jüngern erläutert: „Ihr seid meine Freunde“. Wenn in Joh 15 dennoch nicht φιλία,15 sondern ἀγάπη verwendet wird, dann ordnet der Verfasser des Joh Jesu Freundschaft zu seinen Jüngern in ein theologisch begründetes Liebesprinzip ein, das das antike Freundschaftskonzept, auf dem es basiert, ausweitet und überhöht.16 Jesus formuliert dies Prinzip in 15,9–12: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch; bleibt in meiner Liebe. Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander so liebt, wie ich euch liebe.“ Das Opfer des Freundes für die Freunde ist in diesem Zusammenhang der größte und endgültige Beweis der Liebe, die der Freund zu seinen Freunden hat. Dieser Freund, der sich opfert, hat seine Freunde ausgewählt, und sie bleiben seine Freunde, wenn sie aneinander so handeln, wie der Freund an ihnen gehandelt hat. Der 1 Joh wiederholt dies Konzept des bleibenden Liebesbundes sehr präzise und schärft seine ethische Pointe: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns gegeben hat, und wir sollen auch für die Brüder das Leben geben“ (1 Joh 3,16). Christi Tod wird zum ethischen Paradigma für „die Seinen“. Der Blick auf Joh 15 und 1 Joh 3 kann aber nicht mehr als eine erste Hinführung zu 2 Kor 5,14 bieten. Die erschließende Doppelfrage zu 2 Kor 5 heißt: Wen liebt Christus nach 2 Kor 5,14 und für wen ist er gestorben? Die Antwort ist eindeutig: Bei Paulus hat Christus nicht seine Freunde, sondern alle geliebt. Nicht Freundschaft als Verbindung zwischen einzelnen Personen oder einer bestimmten Menschengruppe, sondern universale Menschenliebe bestimmt hier die ἀγάπη. Paulus ist im 2 Kor weit von dem Rahmenkonzept der vollkommenen Freundschaft entfernt und schreibt auf der Grundlage eines eigenen Liebes-Konzepts.17 14 Zur Tradition vgl. M. Dibelius, „Joh 15,13“; H. Thyen, „‚Liebe‘“. Vgl. Plat. symp. 179b; Aristot. eth. Nic. IX 8, 1169s 18–20; Epikt. diss. II 7,3. Weiteres in: U. Schnelle (Hg.), Wettstein, 715–725; und bei H. Thyen, Johannesevangelium, 647–651. – Allg. zum noble death als Tod für den Freund vgl. D. Seeley, Death; J. W. van Henten/F. Avemarie, Martyrdom. 15 Das Substantiv begegnet im Neuen Testament nur einmal in negativer Konnotation in Jak 4,4. Das Verb dagegen kann im Joh gleichbedeutend mit ἀγαπᾶν verwendet werden. 16 Vgl. Jesu Wort 18,8. – Allerdings findet sich bei den Vorsokratikern Freundschaft als ein „kosmologisches Prinzip“, vgl. B. von Reibnitz, „Freundschaft“. 17 Anders: M. Wolter, „Heilstod“. Wolter bemerkt: „Überall dort, wo in Verbindung mit dem Heilstod Jesu von ‚Liebe‘ die Rede ist (Joh 15,12 f.; Röm 5,8; 2 Kor 5,14; Gal 2,20; Eph 5,2.25; 1 Joh 3,14–16) dürfte die hellenistische Freundschaftsethik im Hintergrund stehen, denn in
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III. Texte
Weshalb aber die Liebe zu allen Menschen? Und wie soll man sich diese Liebe vorstellen? Wieder ist man zunächst auf das Joh verwiesen, denn hier spielt nicht nur das Freundschaftsmotiv eine große Rolle, sondern auch das Theologumenon von der Liebe Gottes zu den Menschen. Wir begegnen hier einer eigenartigen Verschränkung von Vaterliebe und Menschenliebe Gottes. Es ist Gott selbst, der „die Welt (ὁ κόσμος) so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn gab“ – in der Logik des Johannesevangeliums allerdings nicht, damit alle gerettet würden, sondern damit „jeder, der glaubt, nicht verloren wird, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Die universale Liebestat Gottes findet ihre Entsprechung im Joh nicht in einer ebenso universalen Soteriologie, sondern die Rettung der Menschen bleibt an ihren Glauben gebunden. In 2 Kor 5,14 wird diese Einschränkung dagegen nicht thematisiert. Paulus nimmt jedenfalls in 2 Kor 5 keinen Bezug auf die Differenz, die wir im Joh zwischen der universalen Hinwendung Gottes zu den Menschen einerseits und der individuierenden Antwort des Glaubens andererseits finden. Er bringt die Rolle, die der Glaube bei der Rettung durch Christus spielt, weder im 1 Kor noch im 2 Kor in seine Argumentation ein.18 Auch in Röm 5–8 spielt die Frage, wie weit der Glaube Zugang zu dem neuen Leben in Christus (Röm 6,4) gebe, keine Rolle. Denn hier wird die Frage nach der individuellen Annahme des Heils, das Jesus Christus der Menschheit eröffnet, nicht gestellt. πίστις ist bei Paulus vielmehr stets mit der Frage nach der Interpretation der Gerechtigkeit Gottes seit dem Kommen Jesu Christi verbunden: Röm 1,17.19 Wenn man Paulus aus der Perspektive der theologischen Systematik liest, gehört πίστις in den Zusammenhang der Rechtfertigungslehre, nicht der Soteriologie. Trotz der genannten Unterschiede zwischen Paulus und dem Joh hinsichtlich der Rolle der πίστις bildet die Grundüberzeugung: ‚Gott ist es, der die Welt bzw. alle (Menschen) geliebt hat‘, doch die gemeinsame Basis von 2 Kor 5 und Joh 3.20 Paulus verwendet das Syntagma von der Liebe Gottes bzw. von dem Gott der Liebe im 2 Kor zweimal in herausgehobener, aber formelhafter Stellung: in den Schlussworten (13,11f) und dem triadischen Segenswunsch (13,13) am diesem Kontext wird das Sterben für andere immer wieder als Tat der Liebe gedeutet“ (a. a. O., 302). Wolter verweist auf Plat. Symp. 179b und Vita Philonidis 22. (S. o. Anm. 14!). Th. Söding, „Sühne“, differenziert dagegen zwischen dem antiken Freundschaftskonzept, wie es sich in Röm 5,6–8 spiegelt, und der Interpretation des Paulus: „Paulus leugnet eine Analogie nicht, setzt den Tod Jesu aber von diesen Proben selbstloser Tapferkeit ab. Dies geschieht nicht, weil er das hellenistische Ethos bezweifelte, sondern weil er von Gottes eschatologischem Heilshandeln spricht“ (a. a. O., 387). Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass die Vorstellungen der johanneischen Schriften und die christologischen Aussagen bei Paulus trotz einer gewissen Nähe deutlich unterschieden werden müssen. 18 Zur Abwesenheit der πίστις in 1 Kor 15 vgl. O. Wischmeyer, „1. Korinther 15“, 274. 19 Dem entspricht die Häufung der πίστις-Aussagen bei Paulus in den Abrahampassagen in Röm 4 und Gal 3. 20 Vgl. die Überlegungen von H. Thyen, Johannesevangelium, 213–218, zur Frage, ob das Joh wirklich den ganzen Kosmos meine: Thyen bejaht die Frage.
17. „Die Liebe Christi dringet uns …“
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Briefende.21 In 2 Kor 5,14 ist dies Gottesattribut aber auf Christus übertragen. Christi Liebestat ist in diesem Zusammenhang, wie schon angesprochen, nicht von liebendem Gefühl oder hoher freundschaftlicher Gesinnung bestimmt, sondern von der umfassenden Liebe Gottes zu den Menschen. Christus bildet in seiner Hingabe für alle Menschen Gottes Liebe zu den Menschen ab. Die Freundestat wird zur göttlichen Erlösungstat, der Freund wird zum göttlichen Retter. Damit entzieht sich die Logik von 2 Kor 5,14b der Analogie des Freundesopfers und wird analogielos. Die Qualifizierung des Todes Jesu als Tat der ἀγάπη verweist in der Logik von 2 Kor 5 auf Gott selbst, dessen Handeln analogielos ist. Dieser Umstand wird für die Frage nach den christologischen Vorstellungen von 2 Kor 5 wichtig werden.
2. Ἡ ἀγάπη συνέχει ἡμᾶς Zunächst frage ich weiter: Wie sollen wir das Verbum in 2 Kor 5,14a verstehen? Helmut Köster hat in seinem ThWNT-Artikel συνέχω, συνοχή,22 für das Verb die Übersetzung „in Anspruch genommen sein, ganz beherrscht sein“ gewählt.23 Ceslas Spicq fasst die Bedeutung des Verbs ähnlich, aber etwas allgemeiner. Nachdem er sechs Bedeutungsnuancen aufgezählt hat, die von „zusammenhalten“ bis zu „pressen“ reichen, bemerkt er zu 2 Kor 5,14: „Toutes les valeurs susdites s’insèrent dans l’agapè du Christ qui nous étreint … Plus qu’une pression, c’est une implusion“24. Dem ist im Ganzen zuzustimmen, Kösters Übersetzung führt aber zu einer präziseren Sinngebung im Kontext: „Es ist die Liebe Christi, die Paulus ganz beherrscht (2K 5,14), so daß es für ihn wie natürlich für alle anderen Glaubenden auf Grund des Todes Christi nur noch das Urteil gibt, nicht mehr für sich selbst, sondern für Christus zu leben. So verteidigt Paulus hier sein Verhalten vor den Korinthern; die Liebe Christi nimmt ihn dergestalt in Anspruch, daß er andern gegenüber nichts mehr für sich selbst sein kann, – im Gegensatz zu seinen Gegnern, die sich vor den Korinthern rühmen, daß sie religiös und geistlich an und für sich selbst etwas seien“25. Diese Interpretation des Verbs wird eine Grundlage für die Nachzeichnung der Argumentation in 2 Kor 2–7 bieten. 2 Kor 5,14a gibt bei aller Kürze und Prägnanz des Ausdrucks einen Einblick in das Selbstverständnis des Paulus, das im 2 Kor besonders hervortritt. Das Dazu s. u. H. Köster, „συνέχω“. Köster weist allerdings darauf hin, dass συνέχω in dieser Bedeutung meist im Passiv steht. Vgl. auch C. Spicq, Notes, 859–863. Bauer 5, 1562: „antreiben“. Liddell/ Scott, 1714, gibt für 2 Kor 5,14 an: „constrain or force“. 23 H. Köster, „συνέχω“, 881. 24 C. Spicq, Notes, 863. Diese Definition wird von mehreren Kommentaren aufgenommen. 25 H. Köster, „συνέχω“, 881. 21 22
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III. Texte
ἡμᾶς schließt zwar alle Adressaten ein, bezieht sich aber in der argumentativen Logik von Kap. 2–7 auf Paulus. Paulus definiert sein Weltverständnis und seine eigene Aufgabe direkt von Christi Tod her. Den Druck, unter dem er persönlich damit steht, thematisiert er mehrfach in der korinthischen Korrespondenz: so in 1 Kor 9,14–27, besonders in der Wendung: ἀνάγκη γάρ μοι ἐπίκειται26 und in 2 Kor 11,28f in Bezug auf die Gemeinden. In 2 Kor 5 hebt er dagegen nicht auf eine besondere Form des Verkündigungsdienstes ab, die mit seiner Biographie zusammenhängt, sondern treibt die allgemeine Argumentation voran.
3. κρίναντας τοῦτο, ὅτι εἷς ὑπὲρ πάντων ἀπέθανεν, ἄρα οἱ πάντες ἀπέθανον Das Urteil des Paulus, dass alle gestorben seien, wenn einer „für alle“ gestorben sei,27 gründet sich in 2 Kor 5,14 explizit auf die Liebe Christi. Sein Sterben wird als Liebestat interpretiert. Wir sahen schon, dass die Vorstellung von der universalen Liebe Gottes im Bereich menschlicher Erfahrung analogielos ist. Weder Freundschaft „bis zum Tod“ noch Liebe innerhalb der Familie kann diese universalanthropologische Reichweite haben. Christi Liebestat hat nur ein einziges Vorbild: die Liebe Gottes zu den Menschen. Besser gesagt: Christi Liebestat ist Teil der Liebe Gottes. Dieser Zusammenhang wird am klarsten in Röm 5,5–11 entwickelt. Hier probiert Paulus zunächst in V. 7 zwei Möglichkeiten durch, die den Tod eines Menschen für einen anderen plausibel machen könnten: erstens der Tod für einen Gerechten, (der ungerecht verfolgt wird), zweitens der Tod für einen Guten (der in Todesgefahr ist). In Bezug auf beide Möglichkeiten urteilt Paulus: Kaum jemand wird dies Opfer bringen. Entscheidend ist hier das, was fehlt: Paulus erwähnt weder den Tod für den Freund noch für die Familie.28 Seine Beispiele bewegen sich vielmehr ausschließlich im rechtlichethischen Raum. Denn vor diesem Hintergrund wird die Analogielosigkeit des Todes Christi umso stärker in seiner Überbietung menschlicher Möglichkeiten 26 Vgl. die Interpretation bei A. Lindemann, Korintherbrief, 208. Lindemann diskutiert die Nähe, aber auch die Differenzen zu Jer 20,9. Präziser W. Schrage, Brief, 323, im Anschluss an E. Käsemann: „Am treffendsten ist ἀνάγκη zu umschreiben als ‚die Macht der Gnade‘ und ‚die Macht des radikal fordernden, sich dem Menschen gegenüber mit seiner Forderung durchsetzenden, seinen Diener zu seinem Werkzeug machenden Gotteswillens‘“ (Zitate von E. Käsemann, „Variante“, 234). – Allgemein ist davon auszugehen, dass Paulus damit auf seine Berufung Bezug nimmt, vgl. Röm 1,1.5 und Gal 1,15 f. Paulus sieht sich stets in Bezug auf das Evangelium in einer passiven Rolle: er verkündigt „unfreiwillig“ (1 Kor 9,17). Das macht seine Verkündigung objektiver und verleiht ihm zusätzliche Autorität im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die sich auf ihre eigenen pneumatischen Qualitäten verlassen müssen. 27 Lit. zur Stelle bei T. Schmeller, Brief, 328 f. 28 S. o. Anm. 17 (besonders Th. Söding, „Sühne“). – Auch der Tod für Israel und für das Bekenntnis zu dem Einen Gott (so in den Makk) findet keine Erwähnung. Vgl. dazu: J. W. van Henten, „Martyrdom“.
17. „Die Liebe Christi dringet uns …“
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hervortreten: Er ist für die Gottlosen, für die Ungerechten, für die Sünder gestorben (V. 8). Nun hätte Paulus allerdings eine theologische Möglichkeit, die universalanthropologische Dimension des Todes Christi in einem christologischen Interpretationsschema explizit und vorstellbar zu machen: die schon erwähnte Adam-Christus-Typologie in 1 Kor 15,22.4529 und Röm 5,14. Wenn man davon ausgeht, dass die Korinther die Adam-Christus-Parallele bereits kennen, könnte tatsächlich auch in 2 Kor 5,14 diese Typologie die Grundlage der Argumentation bilden.30 Die Argumentationsfigur: ‚Einer stirbt für alle, und damit sind alle gestorben‘, hätte dabei nicht stellvertretende, sondern partizipatorische Bedeutung. Letzteres geht aus der Textlogik hervor, wie Schmeller noch einmal klargestellt hat,31 aber die Adam-Christus-Typologie wird im 2 Kor anders als 1 Kor 15 und Röm 5 nicht ausgesprochen und muss hier auch nicht vorausgesetzt werden.32 Stattdessen argumentiert Paulus direkt auf der Basis des Motivs von der Liebe Christi, die ihrerseits weder in Röm 5–8 noch in 1 Kor 15 eine Rolle spielt. Hier liegt der eigene Beitrag von 2 Kor 5,14 zur paulinischen Soteriologie. Der Versuch, das „Wie“ der Partizipation in 2 Kor 5,14f zu beschreiben, geht dagegen an der Textlogik vorbei. Sie ist hier nicht im Blick des Paulus.
29 Vgl. meine Interpretation von 1 Kor 15 in: O. Wischmeyer, „1. Korinther 15“, 273: „Paulus bindet sich an eine materialistische Ontologie“. Das gibt Paulus die Basis für die allgemeine Reichweite der ‚neuen Schöpfung‘. Vgl. auch T. Engberg-Pedersen, Cosmology. 30 Vgl. die Liste der Exegeten, die diese Interpretation wählen, bei T. Schmeller, Brief, 323 Anm. 87. Eine andere Möglichkeit ist die Annahme, der Vorstellung liege Jes 53 zugrunde. Vgl. die Dokumentation der Exegeten, die diese These bevorzugen, a. a. O., 323, Anm. 86. Allerdings findet sich in 2 Kor kein Hinweis auf Jes 53. Immerhin könnte hinter der Tradition in 1 Kor 15,3 eine Anspielung auf Jes 53 stehen (undeutlicher in Röm 5). Zu 1 Kor 15,3b vgl. die differenzierte Analyse bei A. Lindemann, Korintherbrief, 330f: „Möglicherweise ist an das vierte Gottesknechtslied gedacht“ (a. a. O., 330). Lindemann weist aber auch darauf hin, dass erst in 1 Petr 2,22–25 Jes 53 zitiert wird. Eine andere Lösung bietet W. Popkes, Christus Traditus, 254, an: „Jes 53 ist nicht die Wurzel der Dahingabe-Aussage, sondern diese zog den Rückgriff auf Jes 53 erst nach sich“. Auf jeden Fall muss insgesamt eine mögliche Bedeutung von Jes 53 für Paulus immer gänzlich hypothetisch bleiben, während die Adam-Christus-Typologie immerhin zweimal ausdrücklich formuliert wird. Vgl. aber J. D. G. Dunn, „Adam“. Dunn erwähnt 2 Kor 5 nicht, auch nicht unter den möglichen Allusionen. – Die scharfsinnige Analyse von G. Röhser, „‚Stellvertretung‘?“, die sich mit der Terminologie von O. Hofius auseinandersetzt, übergeht für 2 Kor 5 die Liebesterminologie und ihren Ursprung im Heilshandeln Gottes. 31 So mit der Mehrzahl der Exegeten, Dokumentation bei T. Schmeller, Brief, 322. Schmeller selbst kommentiert folgendermaßen: „Den Gedanken einer Stellvertretung kann man nur dann ausgedrückt finden, wenn man diese in einem juristischen Sinne versteht … oder wenn man eine Verbindung des Stellvertretungs- mit dem Partizipations- bzw. Repräsentationsgedanken annimmt“. Dem ist nur hinzuzufügen, dass der juridische Gedanke stärker betont werden muss, als Schmeller es tut. Das macht das κρίναντες deutlich. Im Röm ist die durchgehend juridische Perspektive deutlicher. Vgl. a. a. O., 315–317, auch die umfangreiche Literatur zu 2 Kor 5,14–21, die sich allerdings fast gänzlich auf die Versöhnungschristologie bezieht. 32 Vgl. J. D. G. Dunn, „Adam“.
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III. Texte
Zwei Texte machen das Motiv der Liebe Christi in seinem Zusammenhang und seiner Funktion deutlicher. In Gal 2,20 stellt Paulus fest: „Nicht aber lebe ich, es lebt (vielmehr) in mir Christus; was ich jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes,33 der mich liebt und sich selbst für mich dahingegeben hat“. Paulus benutzt in Gal 2 das typische „Ich“, das einerseits die eigene Erfahrung durchscheinen lässt und andererseits die Argumentation direkter macht.34 Insgesamt verleiht das typische „Ich“ der Argumentation Gewicht und Autorität, indem Paulus direkt Gegenstand des Heilshandelns Christi wird. An welcher Stelle benutzt Paulus im Gal das Argument von der Liebe Christi? Gal 2,20 ist nach der rhetorischen Analyse von H. D. Betz Teil der propositio: „Die propositio ist äußerst kurzgehalten und besteht hauptsächlich aus dogmatischen Kurzformeln, d. h. sehr kurzen formelhaften Zusammenfassungen von Lehrsätzen“35. Im Zusammenhang unserer Fragestellung ist die Position und Funktion von Gal 2,20 von besonderer Bedeutung. Als Teil der propositio ist die Aussage: „Christus liebt mich“ Bestandteil der Argumentation mit der christologischen Tradition und Teil der entscheidenden theologischen Passage des Briefes. Die verbale Formulierung der Liebe Christi begegnet nur noch in Röm 8,37 am Ende des ersten Teils des Röm.36 Auch hier in Röm 8,31–39 setzt Paulus das Syntagma von der Liebe Christi im Zusammenhang einer gewichtigen und rhetorisch aufgeladenen Schlusspassage ein. Röm 8,31–39 bildet den höchst kunstvoll komponierten Abschluss der Kapitel 1–8 des Röm. Hier werden die Ergebnisse der Abhandlung zur propositio generalis von Röm 1,17f formuliert.37 Auch in Röm 8 liegt ein christologisches Teilhabemodell vor, das als Szenerie „der liebenden Anteilnahme (von der Seite Christi) oder der Teilhabe (von der Seite der Menschen)“38 gestaltet ist. Robert Jewett weist in seinem Römerbriefkommentar auf diesen Aspekt von Röm 8,31–38 hin: „While the concept of the love of God derives from the OT …, the ‚love of Christ‘ is a distinctively Pauline concept, which articulates everything believers have received from him“39. 33 So mit Sinaiticus, A C D1 33. Die Lesart θεου και Χριστου findet sich bei Pap 46 B D* F G. Sie ist die lectio difficilior und gut bezeugt. B. Longenecker, Galatians, 94, weist aber darauf hin, dass nirgendwo bei Paulus die Wendung „Glaube an Gott“ begegnet. 34 H. D. Betz, Galaterbrief, 227, kommentiert: „Eigenartig ist jedoch die Form, in der sie [sc. die Thesen] vorgetragen werden; Paulus verwendet die 1. Ps. Sing., d. h. sich selbst als Prototyp des Christen im paulinischen Sinn. Rhetorisch bereitet diese Form keine Schwierigkeiten, aber die Analogie zu Aretalogien und sogar zu den synthemata der Mysterienkulte ist bemerkenswert“. 35 A. a. O., 215. 36 Zu den verschiedenen Gliederungsvorschlägen vgl. O. Wischmeyer, „Römerbrief“, 434 f. 8,31–39 stellen einen ersten Abschluss der Kap. 1–8 dar, die Thematik von 1,16f findet ihr Ende aber erst in Kap. 11. 37 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Beobachtungen“. Dort Lit. zum Liebesmotiv in Röm 8. 38 A. a. O., 804. 39 R. Jewett, Romans, 543. Jewett bezieht sich auf meinen Beitrag: O. Wischmeyer, „Untersuchung“.
17. „Die Liebe Christi dringet uns …“
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Die theologische Pointe von 8,31–39 liegt in der Aussage: Es gibt kein κατάκριμα mehr für „uns“, denn an die Stelle von Gottes Zorn und seiner strafenden Gerechtigkeit, die in der Verdammnis endet (Röm 1), ist die Liebe getreten. Paulus kann diese Liebe als umfassende Liebe Gottes (V. 39) aufrufen, wichtiger aber ist die Qualifizierung der Liebe Gottes als Liebe Christi.40 Hier stoßen wir zum Kern der Aussage von 2 Kor 5,14 vor. Ich fasse zunächst kurz zusammen, was der Vergleich von 2 Kor 5 mit Gal 2 und Röm 8 ergibt. Sowohl in Gal 2,20 und Röm 8,35.37 als auch in 2 Kor 5,14 verwendet Paulus das Theologumenon von der Liebe Christi im Zusammenhang besonders wichtiger Textabschnitte, die mit hoher stilistischer Sorgfalt41 und sachlichem Nachdruck („Ich“, „wir“) der Christologie gewidmet sind und auf verschiedene soteriologische Gemeindetraditionen zurückgreifen. In Röm 8, 31–39 sind dies: die Dahingabe des „eigenen Sohnes“42 (V. 32) und der Bezug auf das Kerygma (V. 34), in Gal 2,16–21 ist es wieder die Dahingabe des Sohnes,43 zusätzlich enthält V. 19 einen Hinweis auf die Kreuzigung. In 2 Kor 5,14–21 findet sich der Hinweis auf das Kerygma in V. 15. Im Textverlauf treten weitere christologische Interpretamente hinzu: die Versöhnung (καταλλαγή) und die Rechtfertigung (V. 21).44 Stets ist der Rückbezug auf Christi Tod gegeben. Nehmen wir nun die Aussagen des Paulus in Röm 5,1–11 hinzu, so vervollständigt sich das Bild. Auch Röm 5,1–11 nimmt einen hervorgehobenen Platz im Röm ein. Röm 5,1–11 bilden die theologisch ebenso grundlegende wie stilistisch durchgearbeitete Eröffnung der großen Abhandlung der Kapitel 5 bis 8 über das Leben in der Gerechtigkeit aus Glauben (5,1). Paulus stellt seine Ausführungen unter das Stichwort der „Liebe Gottes“ (V. 5) und exemplifiziert diese Liebe durch Christi Tod „für uns“. Dabei spielt er in V. 9 auf die sog. Sühnopferchristologie an (vgl. Röm 3,25f) sowie auf die δικαιοσύνη θεοῦ (V. 9) und die καταλλαγή (V. 10f). Christus aber ist Gottes Sohn, und Gottes Liebe wirkt „durch den Tod seines Sohnes“ (V. 10). Wir können nun das Muster in der Verwendung des Theologumenons von der Liebe Christi bei Paulus erkennen: Paulus spricht dann von der Liebe Christi, wenn er in besonders nachdrücklicher Weise die Heilsbedeutung des Todes Jesu ausdrücken will. Mit der Liebe Christi sind in Gal 2,20 und Röm 8,31–39 Sohn Gottes und Dahingabe verbunden, in Röm 5,1–11 fehlt das Element der Dahingabe. In 2 Kor 5 sind die Elemente von Liebe 40 Hier ist nicht der Ort, um die Frage nach der möglichen Akedahtradition in Röm 8 zu stellen. Vgl. dazu die ausgewogenen kritischen Überlegungen bei Jewett, Romans, 536–538. 41 Zur Stilanalyse von 2 Kor 5,14–21 vgl. T. Schmeller, Brief, 319–321: „Der Text ist in allen Teilen mit reichem rhetorischen ornatus versehen“ (320). 42 Hier ist Christus Objekt. 43 Hier ist Christus Subjekt. Zur Dahingabesemantik vgl. F. Büchsel, „δίδωμι κ.τ.λ.“. Büchsel weist darauf hin, dass παραδίδωμι ein „bei Darstellungen von Prozessen bzw. Martyrien üblich ist“ (a. a. O., 172). Einzelheiten bei W. Popkes, Christus Traditus. 44 Außerdem ein Hinweis auf Christi Sündlosigkeit.
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III. Texte
Gottes, Sohn und Dahingabe in dem Syntagma ἀγάπη Χριστοῦ eingeschlossen.45 Zusätzlich verbindet Paulus an den genannten Stellen das Argument von der Liebe Christi stets mit anderen, häufiger von ihm benutzten soteriologischen Deutungsschemata, vor allem mit dem Kerygma von Christi Tod und Auferweckung und mit der Versöhnung. Was ist in dem beschriebenen soteriologischen Begriffs- und Vorstellungsnetz die spezifische Leistung der ἀγάπη Χριστοῦ? Es geht um Gott selbst, um Gott und seinen eigenen (ἴδιος), einzigen und geliebten Sohn einerseits und um Gott und seinen Sohn im Verhältnis zu den Menschen andererseits. Es geht um die Qualifizierung Gottes als des liebenden Vaters, der seinen Sohn liebt, um die Qualifizierung der Liebe Christi von der Liebe Gottes her und zugleich um die Qualifizierung der Liebe Gottes als der Liebe zu den Menschen. Dahinter stehen nicht nur soteriologische Modelle, sondern tiefgreifende theologische Grundmuster, die Paulus – wie fast immer – nicht ausführt, sondern höchstens einmal andeutet. Zunächst ist deutlich, dass die Rede von der Liebe Gottes und der Liebe Christi auf der Vater-Sohn-Relation und damit auf der urchristlichen Deutungskategorie Jesu als des Sohnes Gottes beruht.46 Gott wird von der Vaterliebe47 her dargestellt. Gerade deshalb ist es nicht nur nicht selbstverständlich, sondern in höchstem Maße unvorhersehbar und eigentlich undenkbar, aber exegetisch kaum diskutiert, dass sich Gottes Liebe zu seinem Sohn in der Hingabe seines Sohnes in den Tod erweist.48 Diese Vorstellung lässt sich nur dann mit Sinn erfüllen, wenn hinter dem Opfer das gemeinsame Ziel der Erlösung der Menschheit und das „neue Leben“ stehen.49 Wenn Paulus in 45 Röm 5,10; 8,32. Röm 8,32 drückt diesen Gedanken am deutlichsten aus. Wieweit hier urchristliche Tradition zugrunde liegt, lässt sich nur hypothetisch erschließen. Popkes urteilt: Über das paul Material ist zu sagen, dass agapan aller Wahrscheinlichkeit nach bereits in der vorpaul Tradition mit paradidonai verbunden wurde, wie wir bei Gal 2,20 bemerkten“ (a. a. O., 249). Ich habe in dem Beitrag O. Wischmeyer, „Untersuchung“, vorsichtiger argumentiert und die Dahingabeformel für traditionsgebunden gehalten. Es lässt sich eher eine vorpaulinische Verbindung dieser Wendung mit dem Sohnestitel als mit der ἀγάπη plausibel machen. 46 Vgl. zum Sohnestitel einführend F. Hahn, Theologie, 204 f. Hahn weist auf die Verbindung mit Sendungs- und Dahingabeformeln und auf die urchristlichen Traditionen im Zusammenhang mit dem Sohnestitel hin. Ausführlich E. Schweizer u. a., „ὑιός κ.τ.λ.“. Schweizer weist auf die Verbindung der Sohnesvorstellung und der ἀγάπη hin: „Sohn beschreibt dabei die enge Liebesbindung zwischen Gott und Jesus, betont also die Größe des Opfers“ (a. a. O., 386). Siehe aber Anm. 45. 47 Die Wendung „Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi“ ist ganz selten bei Paulus und hat formelhaften Charakter: Röm 15,6; 2 Kor 1,3 und 11,31. Vgl. dazu Ch. Zimmermann, Namen, 137 f. Zimmermann geht nicht auf die Verbindung mit der Liebe Christi ein. – Die Verbindung von Vaterliebe zum „einzigen/geliebten“ Sohn und dessen Opfer stellen eine motivische Analogie zur Akedahtradition her (s. o. Anm. 40). Aber was für Abraham zutrifft (Gehorsam), gilt nicht für Gott. Gottes Liebeswerk entspringt seiner Liebe zu den Menschen. Das Gehorsamsmotiv begegnet nur in Phil 2,8 (substantivisch in Röm 5,19). 48 Exegetisch diskutiert wird die Frage, wie Christi Opfertod „für alle“ wirksam werden kann, nicht aber, welche Vorstellung von Liebe dabei zugrunde liegt. 49 Dazu s. u.
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Röm 5,5.8 Gott als Subjekt der Liebe definiert, dies aber immer im Zusammenhang mit dem Todesschicksal Christi, in Röm 8,35 und 2 Kor 5,14 dagegen Christus selbst Subjekt ist,50 dann ist die unterliegende Vorstellung eine umfassende: diejenige von der Liebe Gottes zu seinem einzigen Sohn, der diese Liebe selbständig weitergibt, indem er sich als Werkzeug der Liebe Gottes zu den Menschen dahingibt oder sich dahingeben lässt. Hinter dem Syntagma ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ steht damit Zweierlei: einmal die Liebe Gottes zu seinem einzigen Sohn, andererseits die Liebe Gottes und seines Sohnes zu den Menschen, die Jesu Tod notwendig macht. Das ist die Liebe Christi, die die διακονία des Apostels bestimmt. Wir finden hier das Liebeskonzept des Paulus, das sich von dem Liebeskonzept in den johanneischen Schriften durch seinen universalen Ansatz unterscheidet.
4. καὶ ὑπὲρ πάντων ἀπέθανεν, ἵνα οἱ ζῶντες μηκέτι ἑαυτοῖς ζῶσιν ἀλλὰ τῷ ὑπὲρ αὐτῶν ἀποθανόντι καὶ ἐγερθέντι In der exegetischen Literatur wird leicht übersehen, wie provokativ V. 14 formuliert ist und dass er sich keinesfalls ohne V. 15 lesen lässt. Jeder Hörer von V. 14b muss fragen: Weshalb sollen denn „alle sterben“? Was soll das nützen?51 Vor allen Dingen: Was für ein Liebeswerk soll das sein, das nicht nur den Tod Christi erfordert, sondern den Tod aller52 Menschen bewirkt? Paulus argumentiert hier in äußerster Verkürzung, weil seine briefliche Argumentation weder christologisch noch soteriologisch ausgerichtet ist, sondern auf seinen eigenen Dienst als Apostel in der Auseinandersetzung mit fremden Aposteln zielt.53 Nachdem er in V. 14 die Liebe Christi beschworen hat, springt er im nächsten Satz ohne weiteres zu dem zentralen Thema zurück: zum Dienst der Versöhnung (V. 18). Ich habe schon dargestellt, dass Paulus auch in den V. 15–21 christologisch-soteriologische Deutungsschemata verwendet, um wie in Röm 5 und 8 den V. 14 zu stützen. Seine Argumentation aber strebt voran, und sein Ziel ist deutlich: Die soteriologischen Sätze und Motive dienen der Klärung der ἱκανότης des Apostels und seiner διακονία. In 5,12f macht Paulus die Situation zwischen sich und der Gemeinde deutlich. Die Gemeinde wirft ihm vor, sich selbst zu empfehlen, statt von anderen Autoritäten mit Empfehlungsschreiben versehen zu werden (3,1). Paulus disqualifiziert diese Art der Empfehlung als 50 So mit C D F G und 33. Sinaiticus liest θεου, B verbindet Beides. Χριστου ist lectio difficilior. Zu der passiven und aktiven Dahingabe vgl. W. Popkes, Christus Traditus, 193–201. 51 Darauf weist E. Grässer, Brief, 215, hin: „Ohne Einbeziehung der Auferstehung in die Deutung des Todes Jesu wird dieser nicht zum Heilstod“. 52 Vgl. T. Schmeller, Brief, 322f Anm. 85. 53 Dabei geht es ihm um Diskontinuität zum ‚alten‘ Status, wie 5,17 zeigt. Dem entspricht die Betonung des Todes Jesu und aller Menschen.
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III. Texte
Ruhm ἐν προσώπῳ. Die Gemeinde fordert pneumatische ‚Zeichen‘ (2 Kor 11,12). Er verweigert eine Demonstration oder auch nur einen Hinweis auf seine pneumatischen Fähigkeiten (1 Kor 12–14 und 2 Kor 12). Stattdessen verweist er auf „die Liebe Christi“ als Grundlage seiner Tätigkeit. In diesem größeren Argumentationszusammenhang verschlüsselt das Syntagma ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ das ganze Netz der Liebe Gottes zu seinem Sohn und den Menschen und die Dahingabe Christi als Liebestat. Sieht man nach vorn auf 6,11–13, dann wird auch das Verhältnis des Apostels zur Gemeinde Teil dieses Netzes der Liebe. Textpragmatisch liegt der Akzent auf V. 15b: „damit die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist“. Die Argumentation ist geradezu überstürzt. Paulus deutet die Auferstehung Christi nur flüchtig an, das Thema des neuen Lebens der erlösten Menschen, das die komplexen Ausführungen von Röm 5–8 bestimmt, wird fast übersprungen. Wer sind οἱ ζῶντες? Im Sinne der Textlogik sind es Paulus und die Korinther, denn allein um diese Beziehung geht es hier. Die „neue Schöpfung“, die Paulus in V. 17 explizit ausruft, hat eine neue Logik. Nicht menschliche Verdienste – hier entweder die persönliche Kenntnis Jesu und vielleicht die Beauftragung durch ihn oder, was wahrscheinlicher ist, der ‚sarkische‘, d. h. unverständige Blick auf Christus54 – zählen in der neuen Schöpfung, sondern die Beauftragung mit der Versöhnungsbotschaft, hier als καταλλαγή apostrophiert.55 M. Wolter hat die traditionsgeschichtliche Frage nach den Typen urchristlicher Soteriologie durch die „synchronische Frage nach den Verwendungszusammenhängen, d. h. nach dem sachlichen und rhetorischen Ort, der dieser Deutung in den neutestamentlichen Texten zugewiesen wird“56, ergänzt. 2 Kor 5 ordnet er dem Thema der „christlichen Identität in Abgrenzung“57 zu. Er findet über den allgemeinen „paränetischen“58 Gebrauch hinaus einen „ekklesiologischen Bezug“ und eine Verbindung mit dem frühen Christentum als „Bekehrungsreligion“59. Das mag als allgemeine Strukturbezeichnung zutreffend sein. Für 2 Kor 5 allerdings greift sie zu kurz. Bei genauerer Betrachtung wird ein sehr konkreter Diskurs deutlich: die Frage nach der echten διακονία des Apostels und nach der wahren apostolischen Legitimität. In diesem Zusammenhang stellt die ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ für Paulus den Maßstab wahren apostolischen Handelns dar. Er versteht sein Handeln als Antwort auf die Liebe Christi.
54 Zu
beiden Möglichkeiten vgl. a. a. O., 324 f. (Lit.). Röm 5,10 f. 56 M. Wolter, „Heilstod“, 304. 57 A. a. O., 309. 58 A. a. O., 305. 59 A. a. O., 310 f. 55 Vgl.
17. „Die Liebe Christi dringet uns …“
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18. 2 Korinther 12,7–8 Ein Gebet des Paulus Im Zusammenhang der sog. Narrenrede in den Kapiteln 11 und 12 des 2. Korintherbriefes erwähnt Paulus ein Gebet. Das Gebet wird seit langem wegen seiner Besonderheiten als exegetisches Problem verstanden.1 Es lohnt sich, diesen Text noch einmal neu zu lesen, in den Zusammenhang der aktuellen religionswissenschaftlichen Fragestellung nach den religiösen Kommunikationsformen zu stellen und nach seinem Typus zu fragen.
1. Einführung in den Text Ich beginne mit einer Einführung in den Text von 2. Korinther 12,7–10.2 Paulus berichtet den Korinthern von einer Krankheit, die ihn so behinderte, dass er den Kyrios darum bat, sie von ihm zu nehmen. Der Kyrios aber wies die Bitte ab, so dass Paulus nun in einer ganz bestimmten Weise mit der Krankheit lebt. Paulus kommt in V. 7 auf seine Krankheit zu sprechen. Er formuliert wie so oft metaphorisch und bezeichnet sie als einen „Pfahl im Fleisch“ und als „Satansengel“. Wir können die Krankheit nicht genau identifizieren, Paulus verhindert dies bewusst durch die metaphorische Diktion.3 Allerdings gibt der Kontext einen wichtigen Hinweis. Das Thema des Paulus ist seit 12,1 die Übermacht seiner visionären Erfahrungen: die „Überfülle der Offenbarungen“. Wir befinden uns damit im Bereich der apokalyptischen religiösen Phänomene und der entsprechenden Sprache. Und von hieraus lässt sich das Doppelbild, das Paulus verwendet, erschließen. Die starke, provokative, gewalttätig-leibfeindliche Metapher vom „Pfahl im Fleisch“ bildet den Anfang des apokalyptischen Bildes. Wir kennen diese Bildersprache aus der Jesustradition. Die Bildworte vom Splitter und vom Balken im Auge der Bergpredigt zeigen dasselbe brutal-destruktive Körperverständnis wie die Paulusmetapher4. Der Engel ist ἄγγελος σατανᾶ, der 1 Vgl.
dazu ausführlich R. Gebauer, Gebet, 114–123. Vgl. dazu M. E. Thrall, Commentary, 806–825; O. Wischmeyer, „2 Korinther 12,1–10“, 29–41. 3 Vgl. dazu kurz O. Wischmeyer, „2 Korinther 12,1–10“, 36, Anm. 12; ausführlich M. E. Thrall, Commentary, 809–818. 4 Mt 7,1–5. 2
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III. Texte
apokalyptische Strafengel. So steht neben dem „Pfahl im Fleisch“ der „Satansengel, der Paulus schlägt“. Es ist derselbe Satan, der sich in einen „Engel des Lichtes verwandeln kann“ (1 Kor 11,22). Er soll Paulus schlagen, damit er sich nicht überhebe. κολαφίζω5 heißt „ins Gesicht schlagen, ohrfeigen“. Paulus benutzt hier ein sehr ausgefallenes Verb. Es begegnet in der neutestamentlichen Gräzität in der Passionsgeschichte Mk 14,65 par zusammen mit ῥαπίζειν, ins Gesicht schlagen6. Für das Bild in 2 Kor 12,7 heißt das: Der Engel verletzt Paulus am Kopf und fügt ihm dortbleibende starke Schmerzen zu, die seine Existenz beeinträchtigen. Dass der Satan bzw. der Satansengel Einfluss auf die σάρξ des Menschen habe, setzt Paulus in 1 Kor 5,5 und 7,5 voraus. Paulus deutet seine Krankheit also im Zusammenhang seiner apokalyptisch geprägten religiösen Zustände, die ihn in den Himmel, in seiner Diktion ins Paradies entrückten. Die Hypothese, Paulus spreche von migräneartigen Schmerzen7, gewinnt in diesem apokalyptischen Erfahrungs- und Bildkontext an Plausibilität. Paulus berichtet den Korinthern in V. 8 weiter: „Seinetwegen habe ich dreimal den Herrn gebeten, er möge von mir ablassen“. Damit kommen wir zu dem Gebet des Paulus im Zusammenhang mit seiner Krankheit. Paulus teilt den Wortlaut des privaten Rettungsgebetes nicht mit. Es muss ein ganz kurzes Gebet des Inhalts: „Herr, nimm diese Krankheit von mir“, gewesen sein. Das Gebet könnte auch gelautet haben: „Herr, lass den Engel des Satans von mir weichen“. Dies ist zunächst wegen der ausgefallenen Metaphorik eher unwahrscheinlich, gewinnt aber im Vergleich mit Mk 14,32 ff. an Wahrscheinlichkeit (s. u.). Es ist anzunehmen, dass Paulus dreimal den gleichen oder einen fast identischen Wortlaut gewählt hat. Wir können noch mehr über dies Paulusgebet sagen. Erstens ist es zwar ein privates Gebet, trotzdem erhält es durch mehrere Begleitumstände einen eher offiziellen Charakter. Denn Paulus ruft sehr förmlich „den Herrn“, d. h. Jesus Christus, an. Und der Herr antwortet mit einer geschliffenen Sentenz, die den Charakter eines Urteilsspruches hat. Zweitens ist es ein sehr kurzes Gebet, das erhellt aus der knappen Antwort. Und drittens ist es ein sehr dringendes Gebet, das ergibt sich aus der doppelten Wiederholung. Dreimaliges Beten begegnet hier als Modus der Dringlichkeit8. Das τρὶς τὸν κύριον παρεκάλεσα verstärkt 5 Das Verbum begegnet nach TLG in der Gräzität fast ausschließlich im Zusammenhang mit christlichen Zitierungen der neutestamentlichen Belege. Es ist kein Septuagintalexem und auch nicht ein Ausdruck der griechischen Literatursprache. 6 Mk 14,65 besonders brutal zusammen mit Ins-Gesicht-Spucken. Mt 5,39 ebenfalls in der Bedeutung des brutalen Ins-Gesicht-Schlagens. 1 Kor 4,11 begegnet das Verb in einem der paulinischen Leidenskataloge. Dieser Katalog steht in dem apokalyptisch gefärbten Kontext 4,6– 13: die Apostel als Schauspiel für Kosmos, Engel und Menschen. 1 Petr 2,20 bezieht sich auf das Schlagen von Sklaven. Hier ist die Nähe zu Mt 5,39 offensichtlich. 7 Vgl. M. E. Thrall, Commentary, 818: „If pressed for a decision, we should opt for migraine“. 8 Vgl. R. Mehrlein, „Drei“, 282 ff. Zu den dort genannten Belegen für dreimaliges gleich
18. 2 Korinther 12,7–8
379
zudem den bereits genannten offiziellen Charakter des Gebets. Wir können daher viertens vermuten, Paulus habe halblaut oder laut gebetet.9 Die Antwort des Kyrios teilt Paulus den Korinthern in V. 9 mit: „Es genügt dir meine Gnade; denn die Kraft vollendet sich in Schwachheit“. Paulus gibt damit ein Wort des erhöhten Herrn wieder. Dies Logion ist doppelgliedrig. Es besteht aus zwei ganz kurzen Aussagesätzen. Der erste Satz formuliert die Antwort auf die Bitte des Paulus, wie sie ein König gibt: „Für dich genügt meine Gnade bzw. Huld“. Die Antwort ist paradox. Denn auf der anderen Seite muss sich der Beter Paulus hochgeehrt fühlen. Auf der anderen Seite ist seine Bitte aber unausgesprochen abgelehnt, ohne dass er noch einmal bitten könnte, denn die Gestalt der Antwort ist definitiv. Der zweite ablehnende Satz wird antithetisch in Gestalt eines Oxymorons formuliert.10 Die Stärke vollendet sich nicht, wie erwartet, in Überstärke oder Allmacht, sondern in dem genauen Gegenteil, in Schwachheit. Das Logion sagt nicht einmal, die besondere Stärke des Kyrios, der auch der Apostel verpflichtet wäre, verwirkliche sich in Schwachheit. Der Kyrios formuliert vielmehr ganz allgemein. Der gnomischen Sentenz kann sich niemand entziehen. Was bedeutet das für das Gebet des Paulus? Der dialogische Vorgang von Rettungsgebet und Antwort ist definitiv abgeschlossen. Eine Fortsetzung durch ein weiteres Gebet ist nicht denkbar. Paulus wagt es also, den Korinthern die Geschichte seiner gescheiterten Bitte bzw. seines nicht erhörten Gebets mitzuteilen. Und er zieht in den V. 9b und 10 die entsprechende Folge: „So will ich mich nun lieber mit sehr großer Freude meiner Schwächen rühmen, damit die Kraft Christi bei mir wohne … Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“. Er bezieht also das Logion des Kyrios konsequent auf seine Existenz und erwartet von den Korinthern Einverständnis. Dass dies nicht einfach zu erzielen war, kann man sich leicht an einem Satz wie Weish 2,11 deutlich machen: τὸ γὰρ ἀσθενὲς ἄχρηστον ἐλέγχεται. Der Verfasser legt den Satz zwar den Gottlosen in den Mund und missbilligt ihn damit, dennoch spricht dieser Satz den common sense der hellenistisch-römischen Gesellschaft zum Thema der Schwäche aus.11 Man wird sich das sog. natürliche Empfinden der Korinther gegenüber einer eingestandenen Schwäche des Paulus ähnlich vorstellen müssen. Allerdings ist auch hier die Argumentation des Paulus bewusst und geradezu provokativ paradox. Denn seine Schwäche ist vom Kyrios gewollt, und mehr noch: Der Kyrios erklärt die Schwäche – auch des Paulus – zur Vollendung der Stärke. Damit macht Paulus sich in seiner Schwäche unangreifbar. lautendes Gebet füge hinzu: 2 Kor 12,8; Mk 14,32 ff. par und Didache 8,3 (dreimaliges Beten des Vaterunsers am Tag) sowie das Shemone Esre (ebenfalls dreimal täglich gebetet). 9 Vgl. dazu F. Graf, „Gebet III“, 832, zum lauten Beten in der Antike und zur Kritik am leisen Gebet. 10 H. Lausberg, Elemente. 11 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Macht“, 355–369.
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III. Texte
2. Gebet und religiöse Kommunikation Gebete gehören in der paganen, jüdischen und christlichen Religion der frühen Kaiserzeit gleichermaßen zur religiösen Praxis. Sie sind wesentlicher Bestandteil der religiösen Kommunikation. Die religiöse Kommunikation schlägt sich in der Antike besonders in Gebet, Fluch, Zeichen und Traum nieder.12 Wir beschränken uns hier auf das Gebet. „Beim Gebet in der griechischen Antike erfolgt die Kommunikation ‚von unten nach oben‘: Man lässt den Göttern Botschaften und Bitten zukommen“13. Im griechischen Bereich gibt es neben dem öffentlichen Gebet, in dem Repräsentanten der Polis agieren, das private Gebet. Im Privatgebet kann die einzelne Person, wann und wie sie will, mit der Gottheit Kontakt aufnehmen14. Nun gelten bestimmte Eigenarten für das griechische Gebet, die Tanja Scheer herausgearbeitet hat: Der Aufruf an die Gottheit, zu hören, zu kommen, die korrekte Namensnennung, die Intensivierung, in dem man sich an die Ohren der Gottheit oder ganz praktisch an ihr Standbild wendet, und schließlich das Opfer als zusätzliche Verstärkung des Gebets im Sinne der Reziprozität. Die frühjüdische Gebete kennen die Mehrzahl der genannten Elemente ebenfalls: den Aufruf, Gott möge hören, ebenfalls mit der Metapher der Ohren verbunden, die Nennung und das begleitende Opfer. Und auch die Zweiteilung des öffentlichen und des privaten Gebets ist frühjüdischer Brauch.15 Die Götter antworten, indem sie das Gewünschte gewähren: Gelingende Gebete werden erhört.16 Das gilt ebenso für den Gott Israels. Nun stellt Gregory D. Alles in seinem RGG-Artikel „Gebet“ das hier verwendete Verständnis des Gebets als religiöser Kommunikation in Frage: „G(ebet) ist nicht einfach rel(igiöse) Kommunikation“17. Er erläutert dies mit dem Hinweis, Kommunikation sei zweiseitig, das Gebet dagegen einseitig. „Im Gebet spricht nur der Mensch“18. G. D. Alles weist dementsprechend auf die Nähe zu den kommunikativ einseitigen religiösen Übungen von Divination und Magie hin, in deren Nähe er das Gebet situiert. Divination „bestand im griechischsprachigen Raum in der Erlangung einer verbalen Aussage über die Zukunft oder Problemlösung in Verbindung mit übernatürlichen Kräften“19. Magie lässt sich dementsprechend verstehen als ein Ensemble von „nicht in die Polis eingebundenen rituellen Aktivitäten …, dieses wird … im Verlauf des 4. Jh. v. Chr. Vgl. K. Brodersen (Hg.), Gebet. – Vgl. auch N. Förster, „Bemerkungen“. (Hg.), Gebet, 7 (K. Brodersen, „Einführung“). 14 Vgl. T. S. Scheer, „Götter“, 31–56. 15 Vgl. E. von Severus, „Gebet I“, 1134–1258. 16 So schon im ältesten griechischen Gebet, dem Gebet des Chryses zu Apoll: Ilias 1,35 ff.: „Da hörte ihn Phöbos Apollon“. Vgl. die Anthologie von F. Chapot/B. Laurot (Hg.), Corpus, 31 f. 17 G. D. Alles, „Gebet I“, 483. 18 Ebd. 19 J. N. Bremmer, „Divination“, 709. 12
13 K. Brodersen
18. 2 Korinther 12,7–8
381
auf Schadenzauber und Verwandtes eingeengt“20. Divination und Magie arbeiten mit starken verbalen Beschwörungsformeln und unterschiedlichen Praktiken, um einseitig, von sich aus, das Schicksal bzw. die Gottheit zu beeinflussen bzw. Einblick in das zukünftig Geschehende zu erhalten. Magie war auch und gerade im Umkreis des Frühen Judentums verbreitet.21 G. D. Alles gründet seine Zurückhaltung gegenüber dem Verständnis des Gebetes als Kommunikation auf diese Zusammenhänge. Seine Sicht ermöglicht eine differenzierte Wahrnehmung der magienahen Züge von Gebeten. Das gilt deutlich für das dreimalige Gebet des Paulus. Die Kürze und die Dreizahl sollen die Dringlichkeit und die Wirksamkeit des Gebetes erhöhen. Und das rückt das Paulusgebet durchaus in die Nähe magischer Anrufungen. Nun beziehen aber Kai Brodersen, Jörg Rüpke, Gregor Weber und andere Religionshistoriker anders als G. D. Alles gerade diese Momente antiker Religionen in eine Konzeption von religiöser Kommunikation ein.22 Dem schließe ich mich an und frage daher weiter: Wie positioniert sich das Paulusgebet in diesen praktischen und theoretischen kommunikativen Zusammenhängen? Die Antwort ist einfach. Paulus berichtet von einer wirklichen Kommunikationssituation, und dies ist das spannendste Moment des Textes. Denn der Kyrios antwortet auf die παράκλησις des Paulus. Paulus gibt den Wortlaut der Antwort wieder, womit er zugleich ein Logion des Erhöhten überliefert – und zwar eines ad personam Pauli.
3. Das Gebet Jesu in Joh 12,27 f. Dieser ganz besondere Umstand, dass gleichsam ein Dialog zwischen dem Beter und seinem Gott mitgeteilt wird, begegnet im Neuen Testament nun noch einmal: in Joh 12,27 f., hier allerdings nur literarisch. Wir lesen folgendes kurze Gebet Jesu am Ende seiner Rede vor den Griechen in Jerusalem: Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Es kam nun eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht, und ich werde ihn wieder verherrlichen.
Joh 12,27 f. stellt die einzige vollständige Sach- und Strukturparallele zu 2 Kor 12,8 f. dar. Auch Jesus bittet in großer Kürze, und Gott antwortet. Dabei handelt es sich um eine der drei Situationen in den Evangelien, an denen Gott selbst als Sprechender dargestellt ist.23 Diese apokalyptischer Offenbarungsvorstellung F. Graf u. a., „Magie“, 662. A. a. O., 661 (J. Wandrey). 22 J. Rüpke, „Religionen“, 13–30. 23 Weitere Stellen: Mk 1,11 par und 9,7 par. 20 21
382
III. Texte
begegnet nur bei Jesu Taufe, seiner Verklärung und hier im Johannesevangelium vor seiner Verhaftung. Der Text Joh 12,27 f. ist anders als der Paulustext in 2 Kor 12 nicht erzählendes Referat, sondern Teil der Jesusrede, die in 12,20–23 eingeleitet wird, die Verse 23b–32 umfasst, von einer narrativen Einheit in V. 29 f. unterbrochen wird und mit einem Erzählerkommentar in V. 33 schließt. Die V. 27 f. stellen einen inneren Monolog Jesu dar. 27a beginnt mit Ps 6,4 f.: Jesus stellt seinen Zustand dar. Es folgt eine ganz kurze Frage, die seine Ratlosigkeit in Anlehnung an den Psalm formuliert. Sie mündet in ein erstes Kurzgebet, das ebenfalls als Frage formuliert ist und daher nicht wirkliches Gebet wird: πάτερ, σῶσόν με ἐκ τῆς ὥρας ταύτης; Schon in der Frage verwirft Jesus dies Gebet um Rettung, das enge strukturelle und inhaltliche Nähe zum Paulusgebet aufweist. Er reflektiert diese Verwerfung in dem Gedanken: „Aber deswegen bin ich in diese Stunde gekommen“. Und dann formuliert er ein zweites Kurzgebet mit einem gänzlich anderen Inhalt: πάτερ, δόξαζόν σου τὸ ὄνομα. Beide Kurzgebete Jesu verhalten sich nicht kontradiktorisch zueinander, sondern das zweite Gebet vollzieht den Seitenwechsel bzw. Perspektivenwechsel von „mich“ zu „dein“. Jesus bittet also im ersten Gebet zugunsten seiner Person, im zweiten Gebet zugunsten Gottes. Formal gleichen sich die Gebete: Anrede, Imperativ, Ergänzung. Das rekonstruierte Kurzgebet des Paulus ist formal ähnlich: „Kyrios, nimm die Krankheit von mir“. Inhaltlich entspricht es dem ersten der beiden Jesusgebete. Deutlich sind aber auch die Unterschiede zwischen Jesu Gebet und dem Gebet des Paulus. Paulus bittet um Rettung aus der Krankheit. Erst durch die Antwort des Kyrios wird er darauf hingewiesen, dass seine Bitte nicht erfüllt wird und sein defizienter Zustand gottgewollt ist. Jesus dagegen hat bereits selbst in dem kurzen inneren Monolog in Joh 12,27 die entsprechende Einsicht. Er betet daher nicht um Errettung, die ja auch nicht gewährt würde, sondern um die Verherrlichung des Gottesnamens. Und diese Bitte wird von Gott erhört (V. 28). Wir kennen also aus dem Neuen Testament zwei Gebete, die eine vollständige Kommunikationssituation ergeben. Beide gehören in das Milieu der Apokalyptik mit ihren Epiphanie- und Entrückungsapparaten und ihrer endzeitlichen Konnotation.24 Beide sind durch eine extreme Notsituation bedingt. In beiden wird die Not aber nicht abgewendet, sondern als notwendig erkannt und anerkannt. Der Unterschied liegt in Folgendem: Paulus muss erst durch den Kyrios belehrt werden. Jesus belehrt sich selbst. Dementsprechend unterschiedlich ist die Funktion der literarischen Mitteilung des jeweiligen Gebets. Paulus erklärt und legitimiert seine körperliche Schwäche vor der korinthischen Gemeinde als apostolische Schwäche, die mit dem Kyrios in Einklang steht. Im Zusammen-
24 Im Johannesevangelium entsprechend uminterpretiert: 12,37–50 (Geschichtsrede im Modus der johanneischen präsentischen Eschatologie).
18. 2 Korinther 12,7–8
383
hang der synoptischen und johanneischen Passionsgeschichte dient das Jesusgebet der Erklärung der nicht aufgehaltenen Passion Jesu.
4. Das Gebet Jesu in Gethsemane Diese Beobachtung führt uns zu einem dritten Gebet, das ebenfalls auffallende Ähnlichkeit mit 2 Kor 12,8 f. aufweist: Jesu Gebet in Gethsemane, wie es die synoptischen Evangelien in Mk 14,32–42 par schildern. Die Gethsemane-Episode fehlt im Johannesevangelium. Vielleicht gehörte sie nicht zur ursprünglichen Passionserzählung25. Jedenfalls ist sie Markus vorgegeben. Wir konzentrieren uns hier auf die Gebetsthematik. Die Erzählepisode beginnt mit einer Ortsangabe, die sicher zum alten Bestand der Passionstradition gehört (V. 32). In einem zweiten Erzählbeginn unterscheidet Jesus zwischen allen Jüngern und den drei: Petrus, Jakobus, Johannes (V. 33).26 In V. 34 beschreibt Jesus seine Todesangst mit Psalm 42,6. Es folgt ein dreimaliges Gebet mit anschließender Jüngeransprache. Das Gebet ist – wie in der Antike üblich – laut und von einem nachhaltigen Gebetsgestus begleitet, der die Bedeutung des Gebets unterstreicht.27 Wir lesen hier zunächst eine referierende Inhaltsangabe wie bei Paulus (V. 35). Jesus betet um Rettung aus Todesnot – apokalyptisch verschlüsselt in der Metapher der „Stunde“. Der Gebetssatz hieße: „Abba, Vater, lass diese Stunde an mir vorübergehen“. Damit wären wir sehr nahe an dem Wortlaut des ersten Jesusgebets im Johannesevangelium. Inhaltlich würde es sich um denselben Typus des Kurz-Rettungsgebet handeln wie bei Paulus28. Allerdings fügt der Erzähler im Markusevangelium ein εἰ δυνατόν ein. Der Erzähler gibt danach das Gebet ausführlicher im Wortlaut wieder (V. 36). Jetzt ist das Gebet mehrgliedrig und argumentativ differenziert. Die Anrede ist zweigliedrig und wird von einer verbal formulierten Prädikation begleitet: Gott als Pantokrator. Es folgt das einfache Bittgebet: παρένεγκε τὸ ποτήριον τοῦτο ἀπ ἐμοῦ. Die apokalyptisch verschlüsselte Metapher für die Bedrohung ist variiert: nicht mehr temporal als die Stunde der Lebensgefahr, sondern modal als der Todestrank. Das Gebet weist nicht nur formal, sondern auch stilistisch und inhaltlich die größte Nähe zu dem Gebet des Paulus auf. Anschließend folgt eine zweite Gebetsbitte, die die Einschränkung von V. 35 expliziert: ἀλλ᾿ οὐ τί ἐγὼ θέλω ἀλλὰ τί σύ. Hier begegnet ein weiteres Motiv, das die einfache Bitte um Rettung bricht: der Wille Gottes, der über dem Rettungswillen des Beters steht. Die folgende Jüngeransprache besteht aus Jüngerschelte Mit D. Lührmann, Markusevangelium, 241. Diese Jünger waren nach dem Markusevangelium mit bei der Verklärung (9,2). Vgl. auch
25 26
13,3.
Vgl. dazu E. von Severus, „Gebet I“, 1160–1167. Dies könnte die Metapher „Satansengel“ im Paulusgebet wahrscheinlich machen (s. o.).
27 28
384
III. Texte
und Jünger-Gebetsbelehrung (V. 37). Der weitere Verlauf der Erzählung ist für uns nur soweit von Bedeutung, als Jesus dreimal dasselbe Gebet spricht. Eine Antwort Gottes fehlt anders als im Johannesevangelium.29 Es ist hier also keine vollständige Kommunikationssituation beschrieben. Das Gethsemanegebet findet sich auch in Mt 26,36–46 und in Lk 22,4–46. Die matthäische Bearbeitung enthält folgende für unser Thema wichtige Abweichungen: Matthäus streicht das Abba in der Anrede Jesu (V. 39) und lässt Jesus das Gebet beim zweiten Mal in leicht abgewandelter Form nochmals sprechen (V. 42). Lukas dagegen kürzt sehr stark. Das dreimalige Beten entfällt (V. 41). Die zentrale Bitte Jesu, der Wille Gottes möge geschehen, wird von Lukas der dritten Vaterunserbitte angeglichen: πλὴν μὴ τὸ θέλημά μου ἀλλὰ τὸ σὸν γινέσθω (V. 42).30 In allen drei synoptischen Versionen verhält sich Jesus wie im Johannesevangelium: Er stellt den Willen Gottes trotz seiner Todesangst über seine Bitte um sein Leben. Das unterscheidet ihn von Paulus.
5. Der Typus des Paulusgebets Wir können jetzt den Typus des Paulusgebets beschreiben und in seinen neutestamentlichen Zusammenhang einordnen. Das Markusevangelium und der 2. Korintherbrief machen deutlich, dass in außergewöhnlichen Situationen ein dreimaliges, kurzes, textidentisches Gebet gesprochen werden konnte. Der 2. Korintherbrief und das Johannesevangelium zeigen, dass in literarischen oder erfahrungsgeprägten apokalyptischen Zusammenhängen bei solchen Extremgebeten eine Antwort Gottes oder des Kyrios hörbar und mitteilbar wurde. Diese Gebete bestehen aus einem kurzen Satz mit einem Verbum des Wegnehmens/Befreiens + ἀπό. Beispiele sind: εἰ δυνατόν ἐστιν, παρέλθῃ ἀπ᾿ αὐτοῦ ἡ ὥρα. (Mk 14,35) ἵνα ἀποστῇ ἀπ᾿ ἐμου. (2 Kor 12,8)
Semantisch gehört die metaphorische Verschlüsselung der Lebensgefahr dazu: ὥρα und ποτήριον (Mk 14,35 f.) und σκόλοψ und ἄγγελος σατανᾶ (2 Kor 12,7), 29 Im Lukasevangelium tritt ein Engel in die Kommunikationslücke ein. Besteht hier ein Zusammenhang zu dem Missverständnis der Zuhörer in Joh 12,29: „Da sprach das Volk, das dabeistand und zuhörte: Es hat gedonnert. Die anderen sprachen: Ein Engel hat mit ihm geredet“? Zur lukanischen Version vgl. O. Wischmeyer, „Lukas 22,41–44“. 30 Im lukanischen Vaterunser fehlt ebendiese Bitte (11,2). – Die Texte lauten: Mt 6,10 γενηθήτω τὸ θελημά σου. Mk 14,36 οὐ τί ἐγὼ θέλω ἀλλὰ τί σύ. Mt 26,39 οὐχ ὡς ἐγὼ θέλω ἀλλ᾿ ὡς σύ.
18. 2 Korinther 12,7–8
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formal die dreifache Wiederholung: καὶ ἔρχεται τὸ τρίτον (Mk 14,41) und τρὶς τὸν κύριον παρεκάλεσα (2 Kor 12,8). Es gibt also im Neuen Testament Texte, die eine vollständige Kommunikationssituation beschreiben. Sie bleiben aber Ausnahmen. Diese Gebete werden zwar gehört und beantwortet, nicht aber erhört. Der Inhalt ihrer Bitte wird vielmehr in unterschiedlicher Weise gebrochen, sei es durch Jesus selbst oder durch das Logion des Kyrios. Das Gebet des Paulus und die von Paulus überlieferte Antwort des Kyrios stellen Paulus in einen engen Zusammenhang mit dem Jesus der Passionstradition. Ob Paulus diese gekannt hat, ist denkbar, muss aber historisch offenbleiben. Sachlich ergibt sich für das Paulusgebet: Der Apostel steht neben Jesus in Gethsemane, wie ihn die Passionstradition darstellt. Er verhält und artikuliert sich als Beter wie Jesus, ohne aber selbst den Willen Gottes über seine Bitte zu stellen. In dieser Hinsicht ist der Jesus der Evangelien als Beter dem Beter Paulus überlegen. Das korrigierende und erklärende Logion des Kyrios, das Paulus im 2. Korintherbrief mitteilt, entspricht in seiner Anweisung an die Lebensführung des Paulus der Gebetshaltung Jesu in Gethsemane. Das Motiv des Willens Gottes, der über dem Willen des Beters steht, ist bei Paulus durch die Offenbarung des Kyrios ersetzt, der ihm sein Leiden als Kraft erschließt. Der Verfasser des Johannesevangeliums interpretiert die Passion Jesu zwar ähnlich, nicht als δύναμις, wohl aber als Verherrlichung des Gottesnamens.
6. Ausblick Das Gebet des Paulus, von dem er den Korinthern berichtet, führt tief in die frühchristliche Gebetspraxis hinein. Wir stoßen auf den Typus des dringenden Kurzgebets in Lebensgefahr oder großer Bedrängnis, in der ein Beter – hier Paulus – so elementar und dringend um Hilfe bittet, dass sein dreimaliges Gebet fast in die Nähe einer magischen Anrufung kommen könnte. Dass diese Gefahr durchaus bestand, zeigt die Zurückhaltung, mit der die Evangelisten von einem entsprechenden Gebet Jesu in Gethsemane erzählen. Dass auch Paulus die Gefahr bemerkte, die in seinem Gebet lag, macht er dadurch deutlich, dass er den Korinthern die Zurückweisung seiner Bitte durch den Kyrios mitteilt. In den Nag Hammadi Texten findet sich ein Gebet des Paulus (NHC I,1)31. H.-G. Bethge und U.-W. Plisch datieren den Text „nicht vor der zweiten Hälfte des 2. Jh., besser aber vielleicht noch in das 3. Jh.“32. Wir lesen dort in A 21: „Verleihe (mir) Heilung meines Leibes, wenn ich dich bitte durch den Evangelisten“. Nun ist das koptische Substantiv für „Heilung“ beschädigt und ließe
In: H.-M. Schenke/H.-G. Bethge/U. U. Kaiser (Hg.), Schriften, 7–10. A. a. O., 8.
31 32
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III. Texte
sich auch im Sinne von „Vergehen“ ergänzen.33 Die Herausgeber bemerken allerdings: „Eine Bitte um Heilung des Leibes ist in einem Gebet des Paulus freilich nicht unmöglich“34. Es ist anzunehmen, dass sich die Herausgeber auf unser Gebet beziehen. Wenn die Heilungs-Lesart richtig wäre, hätten wie hier eine interessante wirkungsgeschichtliche Spur von 2 Kor 12. Die Wendung „durch den Evangelisten“ könnte die Vermutung unterstützen, wenn wir an Mk 14 par denken.
Literatur G. D. Alles, „Gebet I. Religionswissenschaftlich“, in: RGG4 3 (2000), 483–485. J. N. Bremmer, „Divination VI Griechisch“, in: DNP 3 (1997), 709–718. K. Brodersen (Hg.), Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike (Antike Kultur und Geschichte 1; Münster u. a.: LIT, 2001). F. Chapot/B. Laurot (Hg.), Corpus de prières grecques et romaines (RRR 2; Turnhout: Brepols, 2001). W. Fenske, „Und wenn ihr betet …“ (Mt. 6,5). Gebete in der zwischenmenschlichen Kommunikation der Antike als Ausdruck der Frömmigkeit (StUNT 21; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1997). N. Förster, „Bemerkungen zum Unterschied von Gebet und Magie auf dem Hintergrund neutestamentlichen Gebetsglaubens“, in: Identität durch Gebet. Zur gemeinschaftsbildenden Funktion institutionalisierten Betens in Judentum und Christentum (hg. A. Gerhards/A. Doeker/P. Ebenbauer; Studien zu Judentum und Christentum; Paderborn/München/Wien u. a.: Schöningh, 2003), 223–238. R. Gebauer, Das Gebet bei Paulus. Forschungsgeschichtliche und exegetische Studien (Gießen/Basel: Brunnen, 1989). F. Graf, „Gebet III. Griechenland und Rom“, in: DNP 4 (1998), 830–834. F. Graf u. a., „Magie, Magier III. Griechenland und Rom“, in: DNP 7 (1999), 662–672. H. Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik (Ismaning: Hueber, 199010). D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3; Tübingen: Mohr, 1987). R. Mehrlein, „Drei“, in: RAC 4 (1959), 270–310. J. Rüpke, „Antike Religionen als Kommunikationssysteme“, in: Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike (hg. K. Brodersen; Antike Kultur und Geschichte I; Münster: LIT, 2001), 13–30. T. S. Scheer, „Die Götter anrufen: Die Kontaktaufnahme zwischen Mensch und Gottheit in der griechischen Antike“, in: Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike (hg. K. Brodersen; Antike Kultur und Geschichte 1; Münster: LIT, 2001), 31–56. H.-M. Schenke/H.-G. Bethge/U. U. Kaiser (Hg.), Koptisch-Gnostische Schriften 2. Nag Hammadi Deutsch 1: NHC I,1–V,1 eingeleitet und übersetzt von Mitgliedern des Berliner Arbeitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften (GCS NF 8; Berlin/New York: de Gruyter, 2001). A. a. O., 10. Ebd.
33 34
18. 2 Korinther 12,7–8
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E. von Severus, „Gebet I“, in: RAC 8 (1972), 1134–1258. M. E. Thrall, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians 2: Commentary on II Corinthians VIII–XIII (ICC; Edinburgh: T & T Clark, 2000). O. Wischmeyer, „Macht, Herrschaft und Gewalt in den frühjüdischen Schriften“, in: Recht, Macht, Gerechtigkeit (hg. J. Mehlhausen; VWGTh 14; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1998), 355–369; wiederabgedruckt in: dies., Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments (hg. E.-M. Becker; WUNT 173; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 39–53. O. Wischmeyer, „2 Korinther 12,1–10. Ein autobiographisch-theologischer Text des Paulus“, in: Was ist ein Text? (hg. dies./E.-M. Becker; NET 1; Tübingen/Basel: Francke, 2001), 29–41; wiederabgedruckt in: dies., Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments (hg. E.-M. Becker; WUNT 173; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 277–288. O. Wischmeyer, „Lukas 22,41–44 und Hebräer 4,15. Überlegungen zur theologischen Bedeutung der neutestamentlichen Erzählung von Jesus“, in: Dogmatik erzählen? Die Bedeutung des Erzählens für eine biblisch orientierte Dogmatik (hg. G. SchneiderFlume/D. Hiller; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2005), 100–110.
19. Ego-documents on Religious Experiences in Paul’s Letters 2 Corinthians 12 and Related Texts* This article investigates the earliest Pauline text that gives account of an individual revelation and reports on personal religious experience in this field: 2 Corinthians 12.1–10. Paul is the only person from the first decades of the Christ-confessing movement who wrote ego-documents (first person reports) that are embedded in his letters to several communities and individuals. These texts serve predominantly the polemical dispute with opponents in the newly founded communities of Christ-confessors. Some of these texts are very brief narratives of interior religious experiences Paul had in earlier stages of his life. In 2 Corinthians 12.1–10 he reports on visions and revelations (ὅρασις and ἀποκάλυψις), on one or two raptures (ἁρπαγμός/raptus) and in contrast on an audition, on a λόγιον κυρίου that he understands as committing him to a life of weakness and disease even though he has urgently prayed for recovery. Though Paul uses his life and his religious experiences as a religious and moral example in this text, the text also opens up a window into his personal religious world that deserves special attention. Beyond its actual setting within Corinthian conflicts, 2 Corinthians 12 is an outstanding example of the hybrid character of Pauline religious experience: the text is situated at the interface of concepts of Ancient Judaism (especially apocalypticism, martyrdom, and the figure of Satan), pagan healingoracles (Asclepius), individual prayer that is shaped by a formula close to Jesus’ prayer in Gethsemane, and the Early Christian concept of the heavenly Christ Κύριος. Beyond that, the function of the text within the broader argument is of particular interest: Paul does not use his ἀποκάλυψις for demonstrating the strength and authority of his unique religious expertise or for deepening the religious imagination of the communities, but for the defense and the interpretation of the physical weakness of his person by referring to a particular λόγιον κυρίου that is transmitted only in 2 Corinthians. Thereby he provides his addressees an insight into his personal encounter with the heavenly κύριος and * Paper presented at the conference of “Lived Ancient Religion: Leaving the (disciplinary) comfort zone – Lived Ancient Religion ad 1 to 800” in Eisenach, 3–5 April 2017. I am grateful for valuable comments from the side of the participants.
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III. Texte
at the same time clarifies that religious communication with the κύριος neither means personal glory nor automatically leads to health, power and success. All in all the text works as a counter-revelation and expresses how cautious Paul is of using his personal religious experiences, i. e. revelations, for what he calls boasting (καυχᾶσθαι). The whole personal narrative is directed polemically against those charismatic missionaries who Paul names “hyper-apostles.” In contrast, he interprets his disease as the actual revelation of the χάρις and the δύναμις of the κύριος. The focus is not on the demonstration of Paul’s access to the heavenly world, but on the explanation of his weak physical condition as gift (χάρις) of the heavenly Christ and thereby on a religious interpretation of the physical condition of his body. His body is interpreted as a place of revelation.
1. New Testament Studies; Paul and the different aspects of the importance of his individual religious experiences Whether and how can a New Testament scholar contribute to the field of Ancient Religion under the fashionable but provoking and somehow threatening hea ding of “Leaving the (disciplinary) comfort zone – Lived Ancient Religion ad 1 to 800”? New Testament scholarship is committed to the interpretation of the canonical collection of Early Christian texts in their Greco-Roman and Ancient Jewish contexts and to the study of the history of their reception. New Testament scholars also investigate that part of the Early Christian literature of roughly the first two or three centuries ce, that is known and collected under the term “NT apocrypha”: texts of different genres that follow up and imitate viz. develop the New Testament literary genres. Nevertheless, we feel bound to our discipline and to the discussion of those particular subjects for exegetical debate that have arisen and still arise from the New Testament texts themselves. The extent of our canon is limited, and the texts have been interpreted since about 150 ce.1 There is no letter and no word in this collection of texts that has not been under discussion countless times, and there is no option for a scholar’s choosing of one hypothesis out of others without becoming associated with one or another New Testament “school” or “wing.” Therefore, it can be disputed whether New Testament studies are a real “comfort zone”; but the fact that New Testament scholars do work and argue within a specific “zone” – or perhaps better, that a New Testament scholar is a member of a highly specialized and at least partly closed academic “discussion-room of one’s own” that fosters its own agenda – cannot be denied.
1 As far as we know the first commentary on a NT book was written by the Gnostic theologian Herakleon on the Gospel of John (about 150 ce).
19. Ego-documents on Religious Experiences in Paul’s Letters
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It is the canonical status of our specific literature that causes this particular situation. Even if we try to interpret our texts without paying any attention to their authoritative status past or present, we must deal with the amount of learned literature which is the result of that specific status of “our” texts and which we should take seriously as long as we intend to follow the rules of good academic practice of the discipline. In this respect, it is something of a challenge to leave the boundaries of the New Testament scholarship and to navigate in the vast ocean of the history of Greco-Roman religion where “our” texts are not the focus and our interpretative battles and differences so far remain unknown or, at least, less important. As is generally known, however, some generations ago the situation was quite different from what I have briefly outlined here. The scholars of the so-called Religionsgeschichtliche Schule, professors from different faculties and fields of research of the University of Göttingen around 1890/1900, read the texts that later on would be collected in the “New Testament” in their “pagan” environment – especially against the backdrop of the so-called mystery religion(s), Gnosticism and religious syncretism as well as of different ecstatic and pneumatic phenomena and movements. But so-called Gnosticism is no longer understood as a pre-Christian movement and scholars especially of the two last generations have discovered more in depth the world of Ancient Jewish texts as “parallel text worlds” in comparison with the New Testament text collection. The category “Jewish texts” covers the Septuagint, Philo of Alexandria and Josephus as well as a large number of the amount of apocalyptic, didactic, sapiential and narrative pseudepigraphic texts and the fragments of the Jewish-Hellenistic authors besides the Septuagint. Still in the focus of contemporary scholarship is the exciting library of the Dead Sea Scrolls that have generated their own specialized scholarship. This vast and variegated literature is understood to be the original background of Paul, whom we know as the first Christ-confessing author. Since at least the last fifty years the scholarly focus is no longer on the embeddedness of the New Testament texts in their primarily “pagan” religious environment, but on the relation between Ancient Judaism and the origin of what later on was labelled as Ancient Christianity. In this wave of reconstructing the multifaceted world of Ancient Judaism and respectively Jewishness2, especially Paul was re-interpreted as a Jewish religious agent or a Jewish thinker, and scholars have lengthily debated about the best way of classifying Paul’s Judaism in the tableau of Jewish αἱρέσεις, as Josephus phrases it, or in a less classifying way, in the context of Jewish texts and their textual communities of the time before the first Jewish war. The debates on “Paul within Judaism” still go on and attract the interest of most of Pauline Recently D. Sänger, “Ἰουδαϊσμός.”
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III. Texte
scholarship so that scholars have paid less attention to the issue of Paul and ancient religion(s). Interestingly enough, there is also a focus on Paul’s relationship with popular philosophy, especially fostered by such leading scholars as Hans Dieter Betz3 and Abraham Malherbe4, and on Paul and Stoic and middle Platonic philosophy, inaugurated by the studies of Troels Engberg-Pedersen5 and Stanley Stowers.6 A second major issue is the emperor cult, with its specific combination of political and religious dimensions, in regard to Paul: recently labelled under the topic of “Paul and Empire”7 or “Paul and Politics”8 – the titles of two seminal collections of essays, edited by Richard Horsley.9 In comparison with these fields of research no large-scale initiative has been launched so far with the aim to revitalize or even to improve the approach from the side of the pagan – or perhaps better, the common – religious environment of Paul’s addressees in Asia Minor and Greece.10 My paper aims at pointing especially to this aspect of Paul’s religious mission in his encounters both with the Jewish religion from which he came (circumcised) and with “pagan” (ἔθνη) religion as the field to which he felt committed as agent of Jesus Christ κύριος. The majority of Paul’s addressees had shared the cult-practices of the cities in which they lived before Paul converted them to members of the Christ-confessing new associations, named ἐκκλησίαι (1 Thessalonians 1.9 f.; 1 Corinthians 12.1–3; Galatians 4.8–10); Paul himself, as a diaspora Jew born in Tarsus and educated as Pharisee, was also acquainted with “pagan” cults and their religious culture. The newly established Christ-confessing communities existed in an uncertain religious and legal status between the variety of pagan cults, Jewish synagogues and those small Early Christian institutions that had already been founded by the first apostles in Palestine and Syria. As far as we know, the Jesus-literature of the gospels was not yet written, and only some oral traditional materials about Jesus’ preaching and healing and about his death and resurrection circulated among the communities. The recently converted Christ-confessors had basically loosened or even cut off the public 3 H. D. Betz
(ed.), Writings. Paul; F. G. Downing, Cynics. 5 T. Engberg-Pedersen, Paul; idem, Cosmology. 6 For an introduction to the current state of scholarship see: St. Stowers, “Paul”; G. van Kooten/O. Wischmeyer/N. T. Wright, “Eschatology”; O. Wischmeyer, “Paul.” 7 R. E. Horsley (ed.), Paul and Empire. 8 R. E. Horsley (ed.), Paul and Politics. 9 Other major contributions by Neil Elliott, and John Dominic Crossan. Labelled as a “fresh” perspective on Paul by N. T. Wright in his 2000 Manson Memorial Lecture. 10 But see the major contributions by Hans Dieter Betz and Hans-Josef Klauck: H. D. Betz, Aufsätze; H.-J. Klauck, Context. There is also a lively scholarly debate on the issue of how to classify the Jesus movement and the early ἐκκλησίαι in the context of cultic, religious, and ethnic associations. Special studies touch the religious scene of Corinth, Thessaloniki, Philippi and Galatia in the 1st century ce. 4 A. J. Malherbe,
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and private participation (1 Cor 8) in the Greco-Roman cults and so far, had no deep knowledge of the Jewish imaginative religious background. Paul had to build up their discrete religious culture and knowledge – both practical and theoretical – as well as a particular exterior (house churches) and interior religious space (imaginations). The same was true for former Jews or God-fearers who were attracted by the Pauline ἐκκλησίαι. They too had lost parts of their Jewish religious heritage, especially their connection to the Temple cult, perhaps also to local synagogues, and to Jewish ritual and daily religious life. Be they for mer pagans or former Jews, each of the converts had to grapple with a massive loss of the religious environment they were brought up in and used to, and they had to conceptualize a new religious framework for their assemblies in their house churches and for their individual religious and social lives in their homes (aspects of “domestic religion”11). Since the topic of “The Pauline communities and Pauline religious advice in their overall religious context” has not yet been discussed sufficiently,12 I shall concentrate on Paul himself as we know him from his letters and on how he reacts to the situation of his communities. One of Paul’s resources to build up and to strengthen the domestic religion and the inner religious ideas and perceptions of the members of the Christ-confessing communities, was his personal religious experience – which could work as an example that should be communicated to the ἐκκλησίαι.13 At this point of my essay, I shall clarify in advance some overall aspects of the person and the religious agency of Paul in order to better connect the Pauline texts with the theme of religious experience. The concept of “lived ancient religion” that has been developed by Jörg Rüpke has not been applied so far to Pauline texts and cannot be simply tried out or applied here. However, in so far as the concept includes religious experience, it can help understand Paul and his communication with his communities. The look at the Pauline texts also broa dens the general world of texts of religious studies by integrating those from the allegedly independent worlds of Ancient Jewish and Early Christian texts into the text-corpus of Greco-Roman religious studies. Furthermore, we are able to reconstruct at least aspects of Paul’s religious experience.14 This endeavor can 11 This term is necessary for describing Jewish religion and Early Christian house church cult (1 Cor 11.17–34). 12 Exegetical literature is focused on the institutional status of the ἐκκλησίαι, not so much on the religious traditions, expectations and needs of their members. 13 We don’t have a recent monograph on “Paul and Religion” that matches the standards of today’s research in Greco-Roman religion. In contrast see the monographs of the “Religionsgeschichtliche Schule”: R. Reitzenstein, A. Deißmann, J. Weiß, W. Bousset, W. Wrede. 14 In the conference-paper ‘religious experience’ is defined “as a product of a wide range of sensory stimuli, affects and inner feelings that are articulated by subjects … as religious experience.”
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III. Texte
help us to attach a higher priority to Paul’s religious experience than has been paid to date in current Pauline studies as I have already mentioned.15 The starting point for our endeavor are the first person reports on individual religious experiences by Paul, written down in his letters to his communities, although these texts are literarily and argumentatively shaped by apologetic, polemical and exhortative intentions. Paul refers four times to visions or to similar encounters with the heavenly world.16 He was the first and for a considerable space of time the only person among the leading figures of Earliest Christianity – Peter, James the brother of Jesus and some of the “Twelve” – who did not limit himself to oral preaching, but wrote letters under his own name and in his own responsibility, and at the same time argued by using predominantly not Jesus, but his own person as an example of moral and religious instruction. He was quite aware of his persona and discussed his ἐγώ in different theoretical and biographical contexts without ever questioning that not only his message and his instructions, but also his person was of highest importance for his communities and in particular for his epistolary audience.17 Primarily, his way of arguing by means of his personal conduct of life and of his external and inner religious biography was a matter of claiming authority within, against or even above the given authority of the leaders of the communities of Christ-confessors of the first generation (about 30–60 ce). As we learn from his letters, but also from some passages of the Acts of the Apostles, Paul’s person was highly controversial not only in the environment of contemporary diaspora synagogues, but Paul was also an object of dispute between different religious parties within the Christ-confessing communities on the one hand and between rivalling missionaries or newcomers in the cities and regions where he had established communities on the other. So, Paul had to do a lot of self-explaining and self-defense in his letters. There was however another, still more important reason for his constant reference to his own thoughts and personal experiences. As I have already mentioned, the new religious movement of the Christ-confessing and Christbelieving18 communities, which Paul had established around 50 ce as ἐκκλησίαι in several main cities of western Asia Minor and Greece, had a strong need not only of institutional, doctrinal and moral advice, but also of imaginative and emotional support from him whom they thought of not so much as their
15 See the very short introduction by M. Lang, “Impulse.” This paragraph gives a clear picture of the marginal position of the topic in recent Pauline scholarship. 16 Gal 1; 1 Cor 9; 1 Cor 15; 2 Cor 12. Scholars point also to 2 Cor 4.6. Monographs: B. Heininger, Paulus; H.-C. Meier, Mystik. J. M. F. Heath, Piety focusses on 2 Cor 2.14–7.4, especially on 3.18. 17 2 Cor 10.10 on the impact of his letters in contrast to his preaching power. 18 Romans 10.9: If you confess with your mouth “Κύριον Ἰησοῦν” and believe in your heart that God raised him from the dead, you shall be saved.
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teacher, but as their founding father.19 That the communities themselves called for guidance is demonstrated by the dense communication between Paul and their leading figures.20 Paul himself was very much aware of his lasting responsibility for the members of the communities and of the importance of their personal and emotional guidance, as is demonstrated by his letters.21 In other words, the letters are documents not only of doctrinal, moral and institutional instruction, but also of constant efforts to build up, to strengthen and to enhance the personal and emotional communication, as well as the attachment, between his person and the addressees. In this regard, his letters are personal documents. We have also to take into consideration that the earliest Christ-confessing communities which were already known by the Roman authorities22 (who named them Χριστιανοί,23 whilst Paul himself does not use this label24) were constituted so to speak from out of the blue by Paul. These brand-new religious associations25, though having something like a religious club or association status and club or association rules from the outset and thereby some kind of inner structure and stability, nevertheless stood on extremely shaky ground. They were solely grounded in Paul’s message and in his organizational genius and persuasive power. Their relations, neither to the local synagogues nor to the different pagan religious associations, were not sorted out and their status in relation to the local authorities remained unclear. Paul took residence in the communities only for a short period of time, then left, and afterwards the new communities were left to themselves or to other missionaries, like Apollos in Corinth, whose status remained unclear – at least in Paul’s perspective. Further instruction, encouragement and personal proofs of the truth of Paul’s message were urgently needed, as the problems in Corinth (1 Corinthians 1.1226) and the array of questions that are asked by the Corinthians themselves demonstrate: questions about marriage, food sacrificed to idols, women’s behavior during the services, the Lord’s supper, spiritual gifts, leading positions in the communities, and resurrection of the dead.
Paul as father: M. Paynter, Evangelium, 245–249. Best example: 1 Corinthians and Corinthian correspondence as a whole. Introductory work: R. Bieringer (ed.), Correspondence. 21 Scholars classify some of his letters as “friendship”-letters: G. Theissen, Entstehung, 116. 22 According to Galatians 1.13,23 the Christ-confessing community of Damascus was known by the religious authorities in Jerusalem very early (already at about 33 ce). 23 At least according to Acts 11.26. That means that Χριστιανοί lived in an unclear legal status and always were in need of mental, emotional and – as far as possible – legal or political (Romans 13) support. 24 He speaks of ἐν Χριστῷ εἶναι. 25 M. Öhler, “Meeting at Home”. 26 Problems that are addressed by Paul: quarrel and strife. Paul mentions also problems in regard to sexual behavior and to legal questions. 19
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III. Texte
Paul was convinced that the religious experience of the Spirit worked in addition to his own support and affection. Accordingly, he pointed to the multifold manifestations of ecstatic pneumatic power and abilities like healing and performing miracles as well as speaking in tongues and prophesying in the assemblies of the Χριστιανοί. In his view not he himself, but these “gift(s) of the Spirit” are the real foundation and the backbone of the communities. In his letter to the Galatians, Paul argues that the appearance of χαρίσματα and πνευματικά during the community-services were the most convincing expression and confirmation of the power and the truth of his initial preaching and of the community’s belief in his message (Galatians 3.2). In 1 Corinthians 12–14 he draws an authentic and vivid portrait of the community’s assembly for service which – besides singing hymns and psalms and preaching – is characterized by multifold charismatic or pneumatic activities such as prophetic speech and speaking in tongues (γλωσσολαλία)27. But evidently the members of the communities needed more than their own pneumatic experience and more than Paul’s report on his personal experience. This becomes clear when we read 1 Corinthians 15.1–7. Here Paul in a fundamental way appeals to what later on will be called “apostolic tradition.” Not only tradition as such comes in, but Paul brings his own person into connection with this tradition. One may ask whether what Paul offered matched the needs of his communities, or whether Paul actually understood what the communities missed. But as far as we see, Paul uses reference to “Kephas and to the Twelve” and general recourse to the “tradition” (v. 3) as the first and most convincing tool in the whole argument of chapter 15. Anyway, his reaction was far from picturing his own experience extensively and in detail, when he repeated what he called τὸ εὐαγγέλιον, i. e., the message of Jesus Christ, in firm relation to the tradition, though also combined with reference to his own person and responsibility and his own religious experience. 1 Corinthians 15.3–8 is the key text for this kind of argument which is characteristic for Paul and for his kind of preaching: For I handed on to you as of first importance what I in turn had received: that Christ died for our sins in accordance with the scriptures, and that he was buried, and that he was raised on the third day in accordance with the scriptures, and that he appeared (ὤφθη)28 to Cephas, then to the twelve. Then he appeared to more than five hundred brothers and sisters at one time, most of whom are still alive, though some have died. Then he appeared to James, then to all the apostles. Last of all, as to one untimely born, he appeared also to me.29
27 N. Treu,
Sprachverständnis. Present time: ὁράω. 29 NRSV. 28
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By that Paul puts himself into the line of tradition of the resurrection witnesses. Scholars disagree in their analysis of the text30: how far delivers the text tradition, and at which point does Paul extend the original tradition by adding more witnesses and at last inscribing himself in person in that list? This question cannot be discussed here sufficiently. What matters in our context is that this document is the expression of Paul’s claim for apostolic authority in the context of the kind of apostolic authority that is already established in the communities. 1 Corinthians 15.8 does not provide insight into the religious experience Paul had, but only serves to demonstrate his absolute trustworthiness and his traditional apostolic authority. Already earlier in the first letter to the Corinthians, Paul refers to the same qualities, i. e. to his apostolic status, by asking a series of rhetorical questions: Am I not free? Am I not an apostle? Have I not seen (ἑόρακα)31 Jesus our Lord? Are you not my work in the Lord? (1 Corinthians 9.1)32
Paul uses the same verb: ὁράω (see), but a differently addressed object: Ἰησοῦν Κύριον instead of Χριστός.33 No further detail of this religious experience is reported by Paul. Astonishingly enough we encounter the same extreme brevitas in his letter to the Galatians 1.15 f.: But when God, who had set me apart before I was born and called me through his grace, was pleased to reveal his Son to me, so that I might proclaim him among the Gentiles, I did not confer with any human being, nor did I go up to Jerusalem to those who were already apostles before me, but I went away at once into Arabia, and afterwards I returned to Damascus.
Galatians 1.10–2.14 (or 2.21)34 is the most important of Paul’s autobiographical texts, something like his curriculum vitae, and thereby the bedrock of Pauline chronology and biography. But even in this lengthy text Paul is absolutely silent about any detail of his religious experience. What counts is the vocation by God and the exclusive mandate God has given him even before his birth. In other words, also Galatians 1 is about authority and legitimacy, not about religious experience – though we may imagine that Paul’s addressees longed exactly for that. To sum up so far, there are two main exterior reasons that urge Paul to refer to his personal religious experience: first, the constant questioning of his authority and legitimacy, and second, the communities’ demand for religious support, i. e., D. Zeller, Brief, 460–474. Present time: ὁράω. 32 NRSV. 33 Χριστός probably was part of the traditional formula. Jesus is the more personal name that points to a face-to-face encounter. 34 Scholars differ in their analysis of chapter 2: What is the extent of his biographical retrospection, and when does he start his current argument? 30 31
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III. Texte
for personally approved pictures of the heavenly world of the κύριος whose reign Paul proclaimed and of their own destiny (1 Cor 15).35 Paul however, reacts most restrainedly against these challenges, many times pointing to his apostleship, but only three times (!) to his experiences with the κύριος. He refuses to reveal any details of his personal experiences with Christ and nowhere draws a picture of the heavenly world in the contexts of his own experiences.
2. 2 Corinthians 12.1–10: a literary stylized report on Paul’s religious experience But there is at least one exception. Among the numerous more or less independent text-units which build up the argument of Paul’s letters we find one text in which we come closest to how Paul himself dealt with what we may call personal religion or the expression of individual religious experience: 2 Corinthians 12.1–10. It is this one particular text that is suited for drawing together all the threads from Ancient Jewish texts, Early Christian texts36 and the vast variety of so to speak pagan religious documents, materials and artifacts, in order to interpret Paul’s personal religious world from different angles. Besides its significance for the subject of “Paul and Greco-Roman religion,” the report may be of particular interest for scholars engaged in research about individual religious experiences beyond the boundaries of Ancient Judaism, paganism resp. Greco-Roman religion and Early Christianity, because Paul is a very well documented historical figure of the 1st century ce whose personal religious reports are unparalleled, at least in Earliest Christianity: It is necessary to boast; nothing is to be gained by it, but I will go on to visions and revelations (ὀπτασίας καὶ ἀποκαλύψεις Κυρίου) of the Lord. I know a person in Christ who fourteen years ago was caught up (ἁρπαγέντα) to the third heaven (τρίτου οὐρανοῦ) – whether in the body (σώματι) or out of the body I do not know; God knows. And I know that such a person – whether in the body or out of the body I do not know; God knows – was caught up into Paradise (Παράδεισον) and heard things that are not to be told (ἄρρητα ῥήματα), that no mortal is permitted to repeat. On behalf of such a one I will boast, but on my own behalf I will not boast, except of my weaknesses. But if I wish to boast, I will not be a fool, for I will be speaking the truth. But I refrain from it, so that no one may think better of me than what is seen in me or heard from me, even considering the exceptional character of the revelations (τῇ ὑπερβολῇ τῶν ἀποκαλύψεων). Therefore, to keep me from being too elated, a thorn was given me in the flesh, a messenger of Satan (ἄγγελος Σατανᾶ) to torment (κολαφίζω, ‘to buffet’, to strike37) me, to keep me from being too elated. Three times I appealed to the Lord about this, that it would leave me, but he In 2 Corinthians 10–13 Paul explores that topic in a polemical way. is only texts we have from Jewish and Early Christian communities of the first two centuries ce. 37 Liddell-Scott, 971. 35
36 It
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said to me, ‘My grace (χάρις) is sufficient for you, for power (δύναμις) is made perfect in weakness.’ So, I will boast all the more gladly of my weaknesses, so that the power of Christ may dwell in me. Therefore I am content with weaknesses, insults, hardships, persecutions, and calamities for the sake of Christ; for whenever I am weak, then I am strong.38 (2 Cor 12.1–10)
The text is characterized by some peculiarities and, all in all, by a remarkable lack of clarity which seems to be intended. In light of the carefully molded composition not only of 2 Corinthians 12.1–10, but also of the context (chapters 10– 13), we have to suppose that Paul plays with this ambiguity, using it as a stylistic device. He initiates his text – nolens volens as he says – by announcing a recital of his personal visions and revelations of the heavenly κύριος, but we can suppose that his report left the addressees disappointed, because he immediately drops the enumeration of revelations. Instead of narrating about his heavenly adventures he writes in an obscure way about a third person, who nevertheless seems to be Paul as the exact dating of the revelation may indicate.39 All in all, verses 1–5 are dominated by an obvious reservation towards exactly what he has announced to give: an explicit narration of his religious experiences with the κύριος. That restraint extends to both his person and the κύριος. He twice underlines that he does not know about the physical status of the “man in Christ” so that there remains “confusion about his bodily status.”40 He also twice ironically discloses that he is not allowed to report about those words that “the man in Christ” heard. Here he uses the twofold stylistic means of mystery and paradox (ἄρρητα ῥήματα): of a revelation that prohibits revealing.41 In addition it remains unclear whether Paul refers to two different experiences, one raptus (ἁρπαγμός) to the “third heaven” and another raptus to the paradise, or whether the wording of v. 4 is nothing but a stylistic variation of v. 2.42 The text is deliberately unclear not only on this point, but also in regard to the most important aspect: does Paul actually report on ὀπτασίας καὶ ἀποκαλύψεις Κυρίου? Heavenly journeys need not necessarily be linked to revelations or epiphanies of heavenly agents: in this context, of Christ. Scholars point to the lack of an explicit Christ epiphany in NRSV. M. E. Thrall, Epistle, 782. Of specific interest is that Paul points back to an experience that occurred to him about fourteen years ago (12.2). This exact biographical note makes clear that the experience was very important and an unforgettable one and that there have not been more important visions afterwards. 40 C. Shantz, Paul, 108. Colleen Shantz interprets this confusion as result of the neurobiological status of ecstasy in which Paul was during the raptus: “The disturbance of bodily perception is a telltale sign of ecstasy.” Similar M. E. Thrall, Epistle, 782: Thrall speaks of an “ecstatic phenomenon of the displacement of the ego.” 41 Shantz interprets the ἄρρητα ῥήματα in the same line: “The detail of ineffability is far more intelligibly understood as the result of neural tuning than it has been as an awkward remnant of esotericism” (C. Shantz, Paul, 108). If Shantz is right vv. 2–4 must be taken seriously as records of an ecstatic state of Paul’s mind and body. 42 See M. E. Thrall, Epistle, 791 f. Thrall votes for “one single experience” (792). 38 39
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III. Texte
2 Corinthians 12.1–5.43 Neither the rapture to the third heaven nor the rapture to the paradise seems to bring Paul to Christ or at least to the revelation of angels or patriarchs (cf. Luke 16.19–31). No vision is depicted at all, but only an enigmatic audition (ἤκουσα) – of whatever. Anyway, the dubious list of revelations comes to a premature end already with v. 5, where Paul explicitly refuses to boast of his visions. In v. 6 Paul continues his self-commentary, developing a fresh argument: his refusal is not motivated by the weakness of his religious experiences. He states in contrast: these experiences are outsized and even overwhelming (τῇ ὑπερβολῇ). When Paul declines to report about these visions (ἀποκαλύψεων), it is in order to avoid what we would name personality-cult. He labels his rejection of religious self-praise as waiver (φείδομαι) and limits the importance of his person to his external appearance (“what is seen in me or heard from me”): a physical parody of the pneumatic visions and auditions. In v. 7 Paul starts a second narration about a religious experience that underlines both the glory of his visions (about which he does not report) and the necessity and religious quality of his disease. Hans Dieter Betz has interpreted vv. 7–10 as a parody of a Christ-aretology: „Formgeschichtlich gesehen haben wir in V. 7–10 ein ‚Heilungswunder‘ vor uns, das im Stile einer Aretalogie vorgetragen ist.“44 Betz analyzes the structure of the text-unit: prayer – oracle – boast (an aretology, though not of the healing God, but of Paul himself).45 He refers to the Asclepius-inscriptions from Epidaurus. Betz’s famous classification affects the whole text and calls into question whether Paul records actual experiences at all. Scholars such as Margaret E. Thrall, who wrote the outstanding commentary on 2 Corinthians, and Thomas Schmeller, the author of a comprehensive commentary from 2016, criticize Betz’s doubts by pointing to the fact that Paul speaks of ὀπτασίας καὶ ἀποκαλύψεις Κυρίου, a phrase that can hardly be interpreted as parody. Thrall therefore states: “What we have here will be a serious account of real religious experience, and, as the exegesis will show, experience personal to Paul.”46 I follow Thrall in regard to 12.1–10 but take into consideration Betz’s literary approach to vv. 7–9, especially in regard to the Asclepius-cult.47 Perhaps the description of this sub-unit as “parodistic audition” would better match the structure of the text, because the λόγιον κυρίου is the point of the brief narration, not the – refused – healing miracle of the God (κύριος). Let us have M. E. Thrall, Epistle, 773–775. H. D. Betz, “Christus-Aretalogie,” 289. 45 This is the reason for Betz’s labelling the text as parody. 46 M. E. Thrall, Epistle, 777 f. 47 In that regard Aelius Aristides’ Hieroi Logoi are of interest. Aristides praises his God Asclepius for his healing power. Though Aristides in some respects always remains physically weak, he thanks Asclepius for protecting him. In contrast, Paul’s κύριος explicitly refuses help. 43 44
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a look at the details of the text in question. First, Paul reports a severe disease and interprets the disease as caused by a satanic figure. For depicting his disease as gravely as possible, he combines three elements: first, the violent metaphor of σκόλοψ48 τῇ σαρκί; second, the evil, i. e. destructive heavenly agent: the ἄγγελος Σατανᾶ; and third, a second metaphor of the angel’s violent striking of Paul’s face (κολαφίζῃ). In v. 8 even a fourth aspect is added: Paul understands the attacks of physical pain as caused by the angel of Satan, i. e. as actual assaults, not only as an interior state of feeling weak or ill. This combination is most remarkable: no angel is mentioned in the context of the heavenly world of vv. 1–4, as Paul’s addressees most likely may have expected, but when it comes to Paul’s physical existence and to his illness, he introduces an “evil angel”! Scholars have discussed to which kind of disease Paul alludes, or what he veils behind the metaphor of the “thorn in the flesh.”49 Since Paul deliberately hides the exact information about his disease,50 the conundrum of Paul’s illness will remain unsolved. The only thing we know is that he also mentions a state of physical weakness in his letter to the Galatians: Friends, I beg you, become as I am, for I also have become as you are. You have done me no wrong. You know that it was because of a physical infirmity (ἀσθένειαν τῆς σαρκός) that I first announced the gospel to you; though my condition put you to the test, you did not scorn or despise me, but welcomed me as an angel of God (ἄγγελον Θεοῦ), as Christ Jesus. What has become of the goodwill you felt? For I testify that, had it been possible, you would have torn out (ἐξορύξαντες)51 your eyes and given them to me. (Gal 4.12–15)
Also, in this text Paul on the one hand uses a metaphor of physical brutality (v. 15) and contraposes physical disgust and contempt to the metaphorically alluded heavenly world of angels and of Christ on the other. In Galatians 4.13–14, Paul demonstrates how violently he can speak about his own body (σάρξ, flesh) from the material point of view and to what degree his physical state matters for the communities. In Galatians 4.14 he interprets his person by using a counterrealistic metaphorical wording for the description of his weak body. Back to 2 Corinthians. In vv. 8–9 Paul refers to a different kind of revelation: an audition as the result of a prayer for healing that remained unanswered.52 The account of the second audition is antithetic to the first heavenly audition in v. 4. This time, the wording of the λόγος κυρίου is carefully communicated by Paul. The scenario is opened up by a formal three-time prayer to the κύριος: a cere Pale or thorn, Liddell-Scott, 1613. U. Heckel, “Dorn,” 84. M. E. Thrall, Epistle, 809–818. Thrall opts for migraine. 50 Perhaps the Corinthians knew about the particular illness. H. D. Betz, “ChristusAretalogie,” 290: “Stilgerecht spricht der Apostel über sein Leiden in mythischen und metaphorischen Wendungen.” Most likely we may suppose a kind of violent headache or migraine. See O. Wischmeyer, “2 Kor 12,7–8.” 51 ἐξορύσσω, to dig out, to gouge out: Liddell-Scott, 598. 52 O. Wischmeyer, “2 Kor 12,7–8.” 48 49
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III. Texte
monious or ritual setting of private prayer.53 The λόγος is initiated by a disclosure formula. The answer in v. 9a is perfectly styled:54 the first sentence works as oracle, the second sentence gives the reason. Stylistic means are: brevitas or laconism, chiasm, antithesis, obscurity, paradox. In vv.9b and 10 Paul draws the conclusion of the λόγιον: the heavenly δύναμις of Christ dwells (ἐπισκηνώσῃ) in his feeble or sick body, and accordingly his ἀρετή or καύχημα concerns his physical, not his pneumatic state. He confirms his conclusion by enumerating his περιστάσεις – a hardships-list. The closureformula of the text consists of a repetition of the λόγος κυρίου, related to his person (ego-document). This brief description of what we find in the text makes clear both that 2 Corinthians 12.1–10 is neatly composed by different small text-units that use specific sub-genres, and that these sub-texts, read as one coherent narrative, belong to the genre of a counter-revelation. Therefore, the text cannot simply be read as the outcome of Paul’s personal experiences, since Paul has molded these experiences into a deliberately composed pasticcio of small pieces of religious genres with the overall intention of foiling the Corinthians’ claim for stories about revelations. What we read is by no means an unfiltered record or minute of several revelations in the form of one or two visions and an audition, but a literary text, composed with the intention of rebuking and correcting the Corinthians who long for narrations of Paul’s personal religious experience, i. e. of heavenly encounters comparable to those recorded by Paul’s opponents (2 Cor 11.5–33). This is also true when we basically agree with Colleen Shantz who argues in favor of interpreting our text as a report on an actual ecstatic experience.55
3. Results We started our enquiry with the expectation that those texts Paul has written about his personal revelations can be interpreted as examples of his religious experience and fall within the field of private or individual religion. At the end of the exegesis two conclusions emerge: first, there is an obvious lack of narration of visions, revelations and auditions. With the introductory passage – “I will go on to visions and revelations (ὀπτασίας καὶ ἀποκαλύψεις Κυρίου) of the Lord” – Paul raises and then almost immediately definitely disappoints the Corinthians’ expectations: he claims that he has had exceptional revelations but does not narrate any details. Second, he points to a new field of religious experience: not the heavens, but his own body. This turn from heaven to Paul’s body 53 See
Jesus’ private prayer in Luke 22.39–49. H. D. Betz, “Christus-Aretalogie,” pass. See Aelius Aristides, Hieroi Logoi, I 71. 55 Cf. the positions of M. Thrall and Th. Schmeller. 54
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is authorized by the κύριος, and hence Paul himself, his body (σῶμα) and his flesh (σάρξ) become the place of this kind of revelation, not the third heaven and not the paradise, as the Corinthians believed. In terms of personal religion, not visions of the heavenly world, but the material body, with its status of disease and hardships, is the place where that religion, understood as communication with the heavenly κύριος, is experienced according to Paul. By that Paul opens up a space of religious experience that will be of increasing importance during the following centuries. This may be illustrated by a very brief look on the history of reception of Paul’s turn to his physical body as a religious place and as a bearer of revelation. Paul’s turn leads to the concepts of early Christian martyrdom (Acta Pauli) as well as to the earliest deve lopment of Christian monasticism. But also Heaven and Paradise as the most favored places of revelations retained their importance, as is illustrated by the Apocalypse of Paul and related texts. Finally, Paul’s interpreting his body as a religious place is not far from the ancient Jewish concept of martyrdom as ela borated in 4 Maccabees.56 Here the body of the martyr is the place of the demonstration of ἀρετή and of εὐσέβεια in order to demonstrate the divine laws (θείας νομοθεσίας).57 When we ask for the outcome of the exegesis for the issue of religious experience, we are relegated to a deliberately styled text, not to the possible experience itself. Paul’s emphasis is not on heavenly visions and mysterious words, on physical ecstasy of his body or mind, or on his own affects, but on his feeble body, on pain, and on a saying of the Lord that is very disappointing. What he wants to establish by his text is control of any kind of religious experience. The benchmark is the waiver of “boasting” of ecstatic experiences. It seems as if Paul wants to strictly confine those personal experiences he had undoubtedly gained to the private sphere. The context for the topic of religious experience is the fight over authority in the communities, and the means of communication are his letters. His opponents apprehended these letters as “heavy and impressive” weapons in comparison to his physical performance which is “weak and rhetorically miserable” (2 Corinthians 10.10). So finally, the opponents lead us back to the letters, i. e. to the texts that enshrine both Paul’s religious experiences and their critical domestication.
56 Scholars date 4 Macc between the end of the 1st and the first half of the 2nd century ce (earlier options also possible). 57 4 Macc 17.7,12,16.
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III. Texte
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20. Das Ereignis als Grundlage der lukanischen Geschichtserzählung von Paulus Galater 1,16 und Apostelgeschichte 9,1–9; 22,6–10; 26,12–18 Die Neutestamentliche Wissenschaft ist ihrer Geschichte und ihrer Stellung in der theologischen Fächersystematik nach keine historische Disziplin, sondern vor allem eine Textwissenschaft. Dass „Geschichte“ im Rahmen der neutestamentlichen Wissenschaft thematisiert wird, ist daher nicht selbstverständlich. Wie „Geschichte“ hier ins Spiel kommen kann, wird seit dem 19. Jahrhundert immer wieder bedacht und seit den neuen Geschichtsdiskursen auch für die Neutestamentliche Wissenschaft neu diskutiert. Mein Beitrag bezieht sich auf das Verhältnis von neutestamentlichen Texten und „Geschichte des Urchristentums“ unter den Bedingungen des Geschichts- und Narrationsdiskurses. Ich diskutiere im Folgenden zunächst, in welcher Weise „Geschichte“ ein Teilaspekt Neutestamentlicher Wissenschaft sein kann. Aus diesem Themenkomplex greife ich im zweiten Teil ein einzelnes Element heraus: das Ereignis, und stelle seine Bedeutung für das Unternehmen der „Geschichte des Urchristentums“ anhand der neutestamentlichen Texte zur Berufung bzw. Bekehrung des Paulus dar.
1. „Geschichte des Urchristentums“ als Teilaspekt der neutestamentlichen Wissenschaft (1) Zunächst frage ich nach der Möglichkeit und der Berechtigung, eine „Geschichte des Urchristentums“ zu entwerfen. Ich beginne mit der kritischen Perspektive auf das Thema und führe anhand von sieben Parametern1 in die Frage ein. Erstens gilt ganz allgemein: Neutestamentler haben keinen eigenen politischen, sozial- oder kulturgeschichtlichen Zeitraum, über den sie die Erzählhoheit haben, den sie als „den ihren“ erkunden, beschreiben, erklären und als Ereignis- und Sinnzusammenhang erzählend darstellen könnten. Der historische 1 Vgl. dazu H. Conzelmann, Geschichte. Conzelmann nennt „Personen“, „Orte und Landschaften“, „Zeiten“, „Ereignisse“ und „Fragenkreise“ (10 f.).
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III. Texte
Zeitraum2, auf den sie von ihrer Textsammlung verpflichtet werden, nämlich die Zeit von ca. 30 bis ca. 130 n. Chr., ist vielmehr ideal oder normativ konzipiert. Der normativ qualifizierende Aspekt liegt in der „Apostolizität“3, den die Alte Kirche diesen Texten der ersten Generationen frühchristlicher Autoren post festum zuschrieb. In der deutschsprachigen Exegese des 19. Jahrhunderts wurde dieser Zeitraum als „Urchristentum“ qualifiziert4, wodurch die alte normative Perspektive durch den historischen Aspekt modifiziert wurde.5 So verwendet auch Dietrich-Alex Koch den Begriff in seinem Lehrbuch „Geschichte des Urchristentums“ von 2013 wieder mit der Begründung, „beim Begriff ‚Urchristentum‘ geh(e) es … nicht darum, die Anfangsphase des Christentums zu verklären, sondern um die Wahrnehmung des geschichtlich grundlegenden Charakters dieser Epoche“.6 Die Texte und die hinter diesen Texten stehenden Verfasser und Gruppierungen selbst gehören in den Zeitraum der frühkaiserzeitlichen Reichs- und Provinzialgeschichte7, wie die historische Situierung der Geschichte Johannes des Täufers und Jesu im Markusevangelium von vornherein unmissverständlich deutlich machen.8 Die Datierungen und Synchronismen des Lukasevangeliums9 vertiefen 2 Vgl. dazu A. J. M. Wedderburn, History, 1: Wedderburn diskutiert das Ende des Zeitraums, den er beschreibt. Umstritten war und ist aber ebenso der Beginn: das Frühjudentum, Johannes der Täufer (so das Markusevangelium), Jesus, die Erscheinungen des Auferstandenen unter der Chiffre von „Ostern“ usw. Inwiefern liegt hier ein historisch qualifizierter „Beginn“? A. Lindemann, „Urchristentum“, 820: „Als Beginn des U. ist die Verkündigung der Auferweckung Jesu anzusehen. Diese Verkündigung geschieht zunächst allein innerhalb des Judentums; die Jesusgläubigen werden dabei vermutlich als jüd. ‚Sekte‘ oder ‚Partei‘ (αἵρεσις/ haíresis; vgl. Apg 24,5.14) wahrgenommen, was aber kaum ihrem Selbstverständnis entsprach“. D.-A. Koch, Geschichte, 25, bezieht sich auf die ersten drei oder vier Generationen. Ähnlich M. Tiwald, Frühjudentum, 48 f. – Von althistorischer Seite vgl. die einleitenden Bemerkungen von A. Mehl, „Raum“. 3 Zum Begriff „apostolisches Zeitalter“ vgl. D.-A. Koch, Geschichte, 22 f. 4 Vgl. dazu kritisch S. Alkier, Urchristentum. Alkier findet den Begriff zuerst bei J. B. Basedow, dort noch im normativen Sinn des Ursprungs (163). Einführend: A. Lindemann, „Urchristentum“. Jetzt D.-A. Koch, Geschichte, 23. 5 Dabei konnte an Denkmuster des Humanismus und der Reformation angeknüpft werden. 6 D.-A. Koch, Geschichte, 24. Kursive von mir. 7 Anfangs bezogen auf den syrischen Raum. 8 Zu den historiographischen Aspekten des Markusevangeliums vgl. E.-M. Becker, Markusevangelium. 9 Vgl. die Linie der Datierungen in den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums. Die erste Datierung in Lk 1,5 bezieht sich auf die Geschichte des jüdischen Staates unter Herodes d. Gr. Die zweite Datierung in 2,1f weitet den Blick auf das römische Reich unter Augustus aus. Erst die dritte Datierung in 3,1f ist als umfassender Synchronismus gestaltet. Auf dieser Eröffnung der Erzählung von der öffentlichen Wirksamkeit Johannes des Täufers liegt das erzählerische Hauptgewicht der Darstellung des Lukas. Lk 3,1 ist so etwas wie ein zweiter, offizieller Anfang der Evangeliumserzählung, die nun, anders als ihr literarisches Vorbild, das Markusevangelium, die ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου sorgfältig im historischen Zeitzusammenhang und mit der Regierungszeit des Tiberius datiert (dazu M. Wolter, Lukasevangelium, 154–156; Wolter fasst zusammen: „Die im Vergleich zu 1,5 und 2,1 ungewöhnlich präzise Datierung hat jedenfalls den Zweck,
20. Das Ereignis als Grundlage der lukanischen Geschichtserzählung von Paulus 409
diese historische Situierung ebenso wie die zahlreichen Bezüge der Apostelgeschichte auf die jüdische Zeitgeschichte10 und die hohen römischen Magistrate.11 Es gibt keine eigene „urchristliche Geschichte“ jenseits der frühkaiserzeitlichen Geschichte und der Provinzialgeschichte Galiläas und Jerusalem-Judäas, sondern nur im doppelten Kontext dieser beiden „Geschichten“. Damit ist auch schon das Fehlen einer eigenen frühchristlichen Chronologie angesprochen. Wir wissen weder etwas über eine derartige Chronologie, wie sie später in der römischen Bischofsliste auf Petrus zurückgeführt wird12, noch gibt es eine Evidenz von frühen Chronik-artigen Aufzeichnungen, etwa hinter der Apostelgeschichte. Zweitens: Die Personengruppe, die Gegenstand dieser Darstellung sein könnte, gegenwärtig am liebsten als „Jesus movement“, „Christ groups“ oder „Christ believing communities“ bezeichnet, – korrekter, aber noch schwerfälliger wäre „communities who are confessing Jesus as Christ“13 – ist klein, diffus und hat als Gruppierung keine eigenen materialen oder textlichen Zeugnisse in Form von Gebäuden, Inschriften oder Gründungsurkunden bzw. Gemeinschaftsordnungen14 hinterlassen. Ihre einzige Hinterlassenschaft liegt in den Texten, die im Neuen Testament gesammelt sind15, wobei auch hier die materiale Evidenz sekundär ist, da die ältesten Papyri frühestens aus der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts stammen – eine Diskontinuität der textlichen und historischen Überlieferung, die im Zuge der Formgeschichte, der überlieferungsgeschichtlichen Methode und des sog. mirror reading gern unterbewertet wird. Diesen im Einzelnen sehr unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen liegt die gemeinsame Annahme zugrunde, die Schriften des Neuen Testaments seien mehr oder weniger stark als Ergebnis traditionsbildender Prozesse zu verstehen, die sich auf gemeinschaftlicher Basis abgespielt hätten. Dementsprechend seien den Schriften auch spiegelbildlich Aufschlüsse über die Gruppen oder Gemeinden zu entnehmen, die Träger dieser Überlieferungen gewesen seien. So hat Richard Last16 die These von der Gemeindebezogenheit der Evangelien wieder gegen Richard Bauckham verteidigt und mit neuen Argumenten versehen. die Ereignisse, über die Lukas von jetzt an berichten wird, historisch genau festzulegen und sie als Bestandteil der Geschichte Israels und der Weltgeschichte zu identifizieren“, 156), statt sie lediglich als Konsequenz der Verkündigung der Propheten zu interpretieren. 10 Seit Apg 4,6 und 5,34. 11 Seit der Begegnung des Paulus mit Sergius Paulus in Apg 13,6–12. 12 Vgl. dazu: W. Wischmeyer, „Wahrnehmungen“, 263–276. 13 Röm 10. Zu diesem Aspekt G. Theißen, Religion. 14 Die Ratschläge der Pastoralbriefe sind Teil ständischer Ethik und können nicht als konkrete Gemeindeordnungen gelesen werden. Die Didache gehört nicht zu den neutestamentlichen Schriften. Ihre Datierung und ihre Situierung sind umstritten. Ihre Beziehung zum Matthäusevangelium ist unklar. Vgl. J. A. Draper, „Didache“, 17–38. 15 Einige nicht-neutestamentliche Texte wie das Thomasevangelium gehören in denselben Zeitraum. 16 R. Last, „Communities“, 173–198.
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III. Texte
Nun wird man weder bestreiten, dass die neutestamentlichen Schriften Traditionen verarbeiten, die von einzelnen Gemeindegliedern oder -gruppierungen tradiert und in den Gemeinden konserviert und weitergegeben wurden, noch in Zweifel ziehen, dass diese Schriften in christlichen Gemeinden entstanden sind oder sich wenigstens – wie die Paulusbriefe und die Offenbarung des Johannes – auf Gemeinden beziehen. Aber die Schriften des Neuen Testaments, so wie wir sie besitzen, selbst sind keine Gemeindeproduktion oder Gemeinschaftstexte17, sondern Autorentexte, auch wenn sich nur Paulus und der Verfasser der Offenbarung als orthonyme Autoren zeigen und erst der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes ein explizites Selbstverständnis als Autor hat, wenn er sich auch nicht namentlich nennt.18 Wieweit gerade das Matthäusevangelium die collegiaoder association-Struktur der „matthäischen“ Gemeinde(n) spiegelt, lässt sich kaum beantworten. Jedenfalls lassen sich Konzepte kollektiver Textproduktion, von denen aus religiöse Gemeinschaften als kollektive Träger und Textproduzenten zu erschließen wären, weder für die Evangelien19 noch für die anonymen und pseudonymen Briefe wahrscheinlich machen. Die einzigen neutestamentlichen Schriften, die überhaupt Hinweise auf kollektive Entstehung enthalten könnten, sind vielmehr gerade die Paulusbriefe.20 Dieser Umstand zeigt, dass unsere Kategorien von ‚kollektiv‘ oder ‚individuell‘ zu einfach sind. Denn die neutestamentlichen Autorentexte stehen ihrerseits in bestimmten Beziehungsund Abhängigkeitsgeflechten, die sich teilweise als Ergebnis von Schul- und Gemeindebindungen erklären lassen wie besonders die Gruppe der deuteropaulinischen Briefe und die johanneischen Schriften. Hier lassen sich auch Abfolge- und Entwicklungsphänomene beobachten, die eine gewisse historische Tiefenschärfe in die Gruppe der neutestamentlichen Schriften bringen, wenn sie auch nicht zu validen Datierungen führen können. Im Ergebnis lassen sich weder die Briefe noch die narrativen Texte des Neuen Testaments einfach als Quellen für die frühesten christlichen Gemeinden lesen. Die Texte sind vielmehr literarische Erzeugnisse einzelner Autoren und zunächst als solche zu interpretieren. Der Weg von den Texten zu einer historischen Rekonstruktion und Erzählung der Anfänge des Christentums führt nur über die historische und literarische Kritik. Drittens haben die Neutestamentler auch keinen Kreis historisch sichtbarer Akteure, die sie als Protagonisten der „Geschichte“ einer bestimmten Gruppe 17 Zum
Thema vgl. A. Runesson, „Communities“, 379–408 (bes. Anm. 23 und 39). M. Wolter, Lukasevangelium, 3–10. Wolter geht aber nicht auf das Autorkonzept des Verfassers ein. 19 Auch Papias setzt voraus, (1) dass die Träger der Jesustradition einzelne Männer sind und (2) dass die Evangelisten Autoren sind. 20 Dass Last gerade die Paulusbriefe als Gemeinschaftsproduktion verstehen will (195), führt aber in die Irre. Die Co-Adressen und gemeinschaftlichen Grüße gelten in der Logik der Kommunikationsstrategie der breiten Autorisierung der Briefe, nicht einer gemeinsamen Verfasserschaft. 18 Dazu
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darstellen können21. Zwar haben Johannes der Täufer und Jesus selbst eine sichtbare Wirkung entfaltet und bestimmte Personengruppen um sich versammelt. Ihre öffentliche Wirksamkeit brachte sie mit den politischen Autoritäten in Konflikt und endete mit ihrer Hinrichtung durch politisch bekannte Akteure. Diese Wirkung hat sich nicht nur in den Evangelien, sondern auch im Geschichtswerk des Flavius Josephus niedergeschlagen, während dagegen die zeitgenössischen nicht-jüdischen griechisch-römischen Historiker Johannes gar nicht, Jesus nur in diffusen Notizen erwähnen, und zwar als Verbrecher. Von einer historisch qualifizierten Wahrnehmung wird man weder bei Sueton noch bei Tacitus sprechen wollen.22 Petrus, Paulus oder andere urchristliche Missionare23 haben überhaupt keine Spuren in der nichtchristlichen zeitgenössischen Literatur hinterlassen, obgleich sie gemäß der christlichen Überlieferung alle mit der römischen Polizeimacht in Konflikt geraten sind.24 Über die Umstände ihres Todes wissen wir anders als bei Johannes und Jesus nichts Bestimmtes.25 Wir haben auch keine zweifelsfreien Nachrichten darüber, dass sich die urchristlichen Protagonisten als politische Akteure verstanden. Es ist viertens kaum möglich, auf Begebenheiten in den Gemeinden zurückzugreifen, die Ereignischarakter im Sinne der Geschichtswissenschaft haben26, und aus solchen Ereignissen einen Ereigniszusammenhang zu konstruieren, der die Grundlage einer Erzählung der Geschichte des Urchristentums bilden könnte. Die einzige Begebenheit, die die Schriften des Neuen Testaments als ein scharf konturiertes historisches Ereignis im eminenten Sinn des Begriffs und das heißt: als eine in den Ablauf der Geschichte eingezeichnete und diesen zugleich verändernde oder mindestens innovativ beeinflussende Größe qualifizieren und beschreiben bzw. erzählen, ist die Hinrichtung Jesu. Die Passionserzählung ist von Anfang an einerseits strikt historisch eingebettet27 und andererseits gleichzeitig geschichtshermeneutisch bzw. theologisch durch die Auferstehungserzäh-
21 H. Conzelmann, Geschichte, 10: „Insgesamt ist festzustellen, daß von allen hervorragenden Personen außer Paulus nur verwehte Spuren geblieben sind“. 22 Das gilt auch für den Pliniusbriefwechsel, der immerhin eine qualifizierte Wahrnehmung von „Christen“ durch die römische Verwaltung dokumentiert. 23 Allerdings tritt auch kein einziger anderer Missionar als deutlicher eigener Akteur in den neutestamentlichen Schriften auf. Das gilt für die „Zwölf Apostel“ (auch für Petrus) und den Herrenbruder Jakobus ebenso wie für die Mitarbeiter des Paulus. 24 Zu Paulus vgl. H. Omerzu, „Prozess“, 119–124. 25 Vgl. die Beiträge in: A. Puig i Tàrrech/J. M. G. Barclay/J. Frey (Hg.), Years. 26 Vgl. E.-M. Becker, „Ereignis“, 142 f. Weiter: N. Müller-Schöll (Hg.), Ereignis; darin: A. Demandt, „Ereignis“, 63–76. Weiteres s. u. 27 Es werden Ort und Zeit (nicht Jahr, aber der römische Präfekt) sowie die jüdischen als auch der römische Protagonist namentlich genannt. – Gleichzeitig entsteht eine theologisch unterlegte Erzählung, die ihre Deutungspotentiale aus der Septuaginta bezieht.
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III. Texte
lungen als Heilsgeschehen28 gedeutet.29 Anders gewichtet Paulus dies grundlegende Ereignis: Er beschreibt den Kreuzestod Jesu nicht in einem historischen Rahmen, sondern in einem apokalyptischen Deutungsschema als Beginn der Neuschöpfung.30 Fünftens: Die Neutestamentler haben zudem nur ein sehr kleines Ensemble von Texten, die sie als „Quellen“ zur Rekonstruktion eines distinkten Ereigniszusammenhanges verstehen, zur Konstruktion einer „Geschichte“ heranziehen und in eine eigene Geschichtsdarstellung einbringen können. Alle diese Texte sind gruppeninterne Zeugnisse. Das gilt auch für die gruppeninternen Quellen der „nachneutestamentlichen“ Zeit, vor allem für Eusebius. Zudem sind wichtige Quellen wie die Apostolischen Väter, der Kanon Muratori oder die von Eusebius zitierten Papiasnotizen nur schwer zu datieren. Die externen Zeugnisse sind so gering, dass sie über das bloße „Dass“ eines christusbekennenden Gruppenverbandes hinaus kaum weitere historische Aufschlüsse geben. Wie schwer, ja teilweise unmöglich es ist, für diesen Gruppenverband, der anfangs noch nicht einmal eine eindeutige Bezeichnung hatte31 und dessen Religionszugehörigkeit bzw. religiöse Identität jenseits des Judentums in der Forschungsliteratur gegenwärtig heftig umstritten ist, einen Ereigniszusammenhang zu konstruieren, der dann in eine erzählende Form mit zeitlichen, geographischen und personen- und ereignisbezogenen Parametern und Entwicklungstendenzen gebracht werden könnte, zeigt nicht nur das Markusevangelium, sondern auch die Apostelgeschichte, deren personenzentrierter Episodenstil diese Verlegenheit nur teilweise überspielen kann. Sechstens: Die neutestamentlichen Texte erlauben es nicht, für den Zeitraum von ca. 30 bis ca. 130 n. Chr. bereits von einer örtlich oder überregional verfassten Groß-Institution von ἐκκλησία zu sprechen.32 Die Texte verwenden ἐκκλησίαι überwiegend im Sinne von Versammlungen, unabhängig von der Frage, wieweit es sich um Hausgemeinden oder schon um Ortsgemeinden (Apg 8,1) handelt. Schon bei Paulus begegnet aber auch die Vorstellung von der ἐκκλησία τοῦ θεοῦ33 als übergemeindlicher und überörtlicher Größe. Und schon Paulus 28 Zur Heilsgeschichte vgl.: J. Schröter, „Lukas“, 237–262; J. Frey/S. Krauter/H. Lichtenberger (Hg.), Heil. 29 So auch E.-M. Becker, „Ereignis“, 143. Becker wertet auch die „Christophanien der JesusNachfolger (1 Kor 15,5–9) als geschichtlich-historische E.se“. 30 Ereignisse wie der Jerusalemer Apostelkonvent oder der Antiochenische Zwischenfall werden erst von der neutestamentlichen Wissenschaft zu historischen ‚Ereignissen‘, d. h. zu Vorgängen mit langanhaltender Wirkung gemacht. 31 Zu den „Christianern“ von Apg 11,26; 26,28; 1 Petr 4,16 vgl. M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus, 340–351; R. I. Pervo, Acts, 294 f.: „The designation ‚Christian‘ probably had its origin in popular usage and became the official legal designation sometime before 110CE, quite possible a good decade earlier“ (295). Plinius, ep. 10,96 benutzt „Christiani“. 32 Zu Mt 16,18 vgl. U. Luz, Matthew 8–20, 326: „It also seems clear that ‘my church’… means the whole church and not simply an individual congregation, for example, in Syria“. 33 Gal 1,13 u. ö.
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arbeitet mit Hilfe literarischer Kommunikation und finanzieller Unterstützung an einer möglichst engen Verbindung zwischen den Ortsgemeinden zwischen Jerusalem und Rom und denkt auch in noch größeren Verbänden (Gal 1,2).34 Die Tendenz zur Institutionenbildung wird in den Deutero- und Tritopaulinen deutlich und erreicht in der Didache bereits eine feste Gestalt. Siebentens: Die Neutestamentler haben keine eigene „große Erzählung“ – ich benutze die begriffliche Metapher hier nicht im Sinne Lyotards, sondern in dem ganz allgemeinen Sinn einer „Geschichte des Urchristentums“. Denn dies „Urchristentum“, das selbst ein Konstrukt ist35, war, wenn wir es auf seine wahre Gestalt zurückführen, noch keine historisch sichtbare Größe, sondern eine eher subkutane Bewegung, die ihren Weg in die Öffentlichkeit, damit ihre Sichtbarkeit und ihre mindestens potentielle historische Qualität erst in der Wahrnehmung des Plinius, und das heißt gegen Ende der Entstehungszeit der Schriften, die später zum „Neuen Testament“ zusammengestellt wurden, gewann. Jedenfalls sind die beiden Schreiben des Plinius und Trajans36 die ältesten Zeugen einer deutlichen Wahrnehmung der Gruppierung der Christen durch die hohe römische Administration.37 Klare jüdische Zeugnisse fehlen ganz. Und auch diese Wahrnehmung bezeichnet noch nicht den Eintritt „des Christentums“ in die Geschichte des Römischen Reiches, sondern stellt höchstens so etwas wie eine frühe Voraussetzung späterer Entwicklungen dar. Erst mit Eusebius trat das Christentum in die Geschichte ein in dem Sinn, dass es selbst Gegenstand einer umfangreichen historiographischen Darstellung wurde. Dem entspricht der Umstand, dass die „Geschichte des Urchristentums“ am ehesten als Einleitungskapitel im Rahmen einer Darstellung der Geschichte der sog. Alten Kirche geschrieben werden kann. Die nachkonstantinische Kirche ist ein deutlich sichtbares organisatorisches Gebilde mit institutionellem Eigengewicht, das in immer engere Beziehungen zum Römischen Reich tritt und dadurch Teil der allgemeinen Geschichte des Imperium Romanum wird. Leitfrage einer „Geschichte des Urchristentums“ ist aus dieser rückwärtsgewandten Perspektive der „Ursprung“ der altkatholischen Kirche, wobei diese Frage im Sinne der historischen Kausalität bzw. Entwicklung oder aber im Sinne der Normativität des Anfangs (ἀρχή) verstanden werden kann. (2) Nun ist das eben Gesagte aber nur die halbe Wahrheit und auch nur die halbe Realität in Bezug auf die Arbeit der Neutestamentlichen Wissenschaft/ Studies of Early Christianity. Man kann auch die entgegengesetzte Rechnung aufmachen: Den kritischen Überlegungen lässt sich eine positive Ar34 So
auch die Apostelgeschichte: 9,31 u. ö. So Alkier, Urchristentum. 36 Plinius, ep. 10,96 f. 37 Trotzdem kann man die Verfolgung der Christen unter Nero nicht vernachlässigen, auch wenn sie bei Tacitus post festum und nur äußerst knapp bezeugt ist. – Was ganz fehlt, ist eine historische Wahrnehmung bei Josephus. 35
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III. Texte
gumentation gegenüberstellen. Denn wenn die sieben genannten Parameter auch zu deutlichen Vorbehalten gegenüber dem Programm eines Selbstverständnisses der Neutestamentlichen Wissenschaft als einer auch historischen Disziplin führen müssen, die eine eigene „Geschichte des Urchristentums“ schreiben kann, so ist doch schon aus der kritischen Darstellung deutlich geworden, dass Neutestamentler berechtigterweise ein vitales Interesse an Geschichte haben und selbst zu einem nicht ganz unerheblichen Teil im Bereich der Geschichtswissenschaft arbeiten. Spätestens seit Ferdinand Christian Baur38 stellt sich diese Arbeit als ein genuines Interesse an der Geschichte des sog. Urchristentums dar. Die neutestamentliche Wissenschaft ist im 19. Jahrhundert aus dem Paradigma der Philologie und ihrer antiquarischen Hilfswissenschaften herausgetreten und hat sich die Kategorie der historischen Kritik und Rekonstruktion nicht nur ihrer Schriften, sondern auch der Entstehung des Christentums erschlossen. Die Neutestamentler haben sich in die sie betreffenden Bereiche der Alten Geschichte eingearbeitet und vielfältige Versuche einer eigenständigen Darstellung des „Urchristentums“39, des „Apostolischen Zeitalters“40, in jüngerer Zeit des Frühchristentums41 bzw. der Early Christianity unternommen, während, wie schon angedeutet, Kirchenhistoriker ihrerseits die Geschichte des Urchristentums als Prolegomena zur Geschichte der Alten Kirche entworfen haben.42 Das bereits genannte jüngste große Lehrbuch der „Geschichte des Urchristentums“ von Dietrich-Alex Koch führt diese Arbeit weiter. Allerdings hat sich in der letzten Generation eine Tendenz zur Übernahme gegenwärtiger historiographischer und literaturwissenschaftlicher Diskurse in die Exegese herausgebildet. In Weiterführung der klassischen Thematik von Erinnern, Erzählen, Traditionenbildung, Tradierung, Verschriftlichung und literarischer Gestaltung haben die Theorien von Narratologie, Oralität und Literarizität, individuellem und kollektivem Gedächtnis, Identitätsbildung und „großen Erzählungen“ zu einem neuen Bewusstseinsstand geführt, der die Einschätzung der frühesten christlichen Traditionen und ihrer Verarbeitung zu den Geschichtserzählungen der Evangelien und der Apostelgeschichte ebenso verändert wie die Darstellung der Geschichte der „ersten Christen“ – um eine Formulierung Gerd Theißens aufzugreifen. Im Vordergrund stehen Fragen von 38 Die großen Aufklärungsgestalten – ich nenne stellvertretend nur Lessing – kann ich hier nicht eigens würdigen, ebenso wenig Karl Heinrich Georg Venturini, dem S. Alkier ein eigenes Kapitel widmet: Alkier, Urchristentum, 187–200. 39 D.-A. Koch, Geschichte, 22–27. 40 Vgl. die wichtigen Arbeiten zum „Apostolischen Zeitalter“, die qua Begriff historisch orientiert sind: D.-A. Koch, Geschichte, 22 f. 41 Vgl. Alkier, Urchristentum, 261–266. Vgl. auch die Überlegungen bei Wedderburn, History, 1–7. 42 Vgl. die Werke von Hans Lietzmann und W. H. C. Frend, Rise.
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Faktualität und Fiktionalität, die in dem Terminus Narrativ zusammenfließen.43 Die literaturwissenschaftlichen Fragestellungen haben bereits für methodische und theoretische Differenzierung in unserm Verständnis von Geschichtsschreibung gesorgt. Erzähl- und Erinnerungstheorien haben unsere Vorstellung von historischen „Tatsachen“ und „objektiver Geschichtsschreibung“ sowohl der antiken Historiographen als auch der modernen Historiker gründlich in Frage gestellt und unsere Perspektive auf Beides verändert. Kurz gesagt wird antike Historiographie gegenwärtig stark unter dem Gesichtspunkt der Literatur betrachtet, und ebenso wird die gegenwärtige Geschichtsschreibung nach ihrem Anteil an der Konstruktion eines historischen Narrativs befragt, auch wenn sie sich mindestens im deutschsprachigen akademischen Raum als theoriebasiert und postnarrativ versteht. Wie konkretisiert sich diese Tendenz für die historische Perspektive auf die neutestamentlichen Texte? Die neutestamentlichen Texte werden in methodisch bewusster Aufnahme literaturgeschichtlicher bzw. literaturwissenschaftlicher Methoden einerseits und Anregungen aus der Rhetorikforschung andererseits nachdrücklich auf ihre rhetorischen Strategien und ihre literarische Selbstdarstellung und Fremddarstellung hin befragt. So wird beispielsweise die Methode der historischen Rekonstruktion in der „Gegnerforschung“, die in den Auseinandersetzungen des Paulus, aber auch des Jesus der Evangelien und der Verfasser der Johannesbriefe und der Offenbarung reale gegnerische Fronten und Personen fand und damit die Texte als Belege für frühe Kontroversen und – weitgehend namenlose – konkurrierende Missionare las, nicht nur hinterfragt, sondern mindestens teilweise obsolet.44 Die Rekonstruktion des historischen Tiefenprofils wird durch die Analyse von literarischem self-fashioning (Stephen Greenblatt), literarische Selbstrepräsentation, die ciceronianische persona-Theorie45 und rhetorische Argumentationsstrategien ergänzt oder auch ersetzt. Diese Tendenz ist Teil einer Art von Wiederentdeckung der rhetorischliterarischen Qualität der Schriften des Neuen Testaments, die sich antithetisch oder ergänzend zu einer einseitig historisch-rekonstruierenden Exegese verhält, ohne diese aber ablösen zu können. Sie profiliert vielmehr die Ergebnisse der historischen Exegese. Die sachliche Spannung zwischen dem Verständnis der neutestamentlichen Schriften als Texte und als Quellen bleibt auch in dieser neuen Konfiguration bestehen. 43 Vgl. dazu: G. Häfner, „Konstruktion“; S. Luther/J. Röder/E. D. Schmidt (Hg.), Geschichten. Weiter: E.-M. Becker, Birth. 44 D.-A. Koch, Geschichte, spricht eher von Krisen und Konflikten als von Gegnern, hält aber das Auftreten eigener judenchristlicher Missionare z. B. in Galatien für historisch nachgewiesen. – Der Sammelband von U. Mell/M. Tilly (Hg.), Gegenspieler, enthält mehrere Beiträge, die diesen literaturgeschichtlichen Trend auf die neutestamentlichen Texte anwenden. 45 M. Fuhrmann, „Persona“, 83–106. Vgl. die aktuelle Diskussion um den character-Begriff in den neutestamentlichen Erzählungen: C. Bennema, Theory.
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III. Texte
(3) Nach diesen Zwischenüberlegungen stelle ich nun noch einmal die Frage: In welcher Weise kann „Geschichte“ ein Teilaspekt Neutestamentlicher Wissenschaft sein? – diesmal aus einer positiven Perspektive, indem ich bei den neutestamentlichen Schriften ansetze, die unbestritten Quellencharakter haben und die historische Dimension neutestamentlicher Texte demonstrieren: dem lukanischen Doppelwerk, jenem „ersten Logos“, den der Verfasser „von allem“ gibt, „was Jesus von Anfang an tat und auch lehrte bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde“ (Apg 1,1), sowie dem zweiten Logos, der von der Zeugenschaft der Apostel (μάρτυρες) „in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde“ (Apg 1,8) handelt.46 Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte verstehen sich als personenzentrierte Diegese (διήγησις Lk 1,1)47 in einem klaren geographisch-historischen Rahmen. Im Lukasevangelium geht es um das, „was in jenen Tagen geschehen ist“ (τὰ γενομένα ἐν Ἰερουσαλὴμ ἐν ταῖς ἡμέραις ταύταις Lk 24,18). Im Mittelpunkt des „Geschehens“ steht das Schicksal Jesu: Er ist der historische Protagonist oder Akteur, dessen Taten und Worte von seiner Geburt bis zu seinem Tod erzählt werden.48 Daneben erscheinen die zwölf Apostel und die (namenlos bleibenden) weiteren Jünger als Handelnde im Sinne der Verkündigung der Gottesherrschaft (Lk 10,9). Die Protagonisten der Apostelgeschichte sind Petrus und Paulus als Jesu μάρτυρες, daneben begegnen eine Reihe anderer Apostel und Missionare. Sowohl die Geschichte Jesu als auch die Geschichte der Zeugenschaft der Apostel haben eine ganz klare und reale geographische und zeitliche Dimension, wenn man auch über ihre historiographische Qualität bzw. ihren historiographischen Anspruch als historische Erzählungen streiten kann. Im Evangelium rekurriert Lukas auf die Autopsie und die Kunde vom Anfang der Geschehnisse sowie die Darstellung in korrekter Reihenfolge: historiographische Topoi (Lk 1,2 f.). Ihr Ort ist das Imperium Romanum, ihre Zeit das 1. Jahrhundert n. Chr.49 Der Verfasser des lukanischen Doppelwerks passt die Jesusgeschichte und die Geschichte der Zeugenschaft von Jesus (Apg 1,8) in die Chronologie, die Topographie und die Prosopographie der Provinz Syrien, speziell Judäa-Jerusalems, Kleinasiens, Griechenlands, Süditaliens und schließlich Roms ein. Wie weit und in welcher Weise der Autor im gattungsgeschichtlichen Zusammenhang und in der Wahrnehmung und im Umfeld des literarischen Betriebes der hellenistisch-römischen
Vgl. dazu: M. Bauspieß, Geschichte. 1,1–2 stellt sich als διήγησις vor, die den πράγματα gilt, die „sich unter uns erfüllt haben“. Es handelt sich beim Lukasevangelium also um eine Geschichtserzählung einer Gruppe (Wir). 48 Die Erzählungen von Geburt und Tod sind jeweils genealogisch und theologisch deutend ausgeweitet. 49 Das verbindet sie mit Josephus’ historiographischen Werken. Bei der Gattung der Historiographie überwiegen demgegenüber die Unterschiede. 46
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Historiographie gearbeitet hat, kann an dieser Stelle offen bleiben.50 Die Einschätzung Richard Pervos: „Acts is a history“51, verbunden mit der Zuordnung zur volkstümlichen Literatur, deckt die Schwierigkeiten auf, die einer einfachen gattungsgeschichtlichen Einordnung der Apostelgeschichte in die antike historiographische Literatur entgegenstehen, ohne dass allerdings das Interesse des Lukas an der historischen Erzählung infrage gestellt wird. Zurecht weist Pervo außerdem auf das theologische Interesse hin, das beide Werke des Lukas verbindet: „The continuity of salvation history is a governing theme that integrates the two volumes“.52 Die heilsgeschichtliche Sinngebung erfolgt vor allem in den Reden der Apostelgeschichte, in denen Lukas bereits so etwas wie eine „große Erzählung“ der ersten Christen zu modellieren sucht. Das Lukasevangelium53 und die Apostelgeschichte verstehen sich selbst als historische Berichte, sie arbeiten mit und innerhalb der Dimension der Geschichte und verpflichten ihre Interpreten auf eine historische Perspektive. Wenn also aus der doppelten Außenperspektive von Alter Geschichte und kritischer Exegese eine „Geschichte des Urchristentums“ nur unter großen Vorbehalten zu schreiben ist, so drängt die frühchristliche Binnenperspektive genau dazu: Der Schriftsteller, den wir Lukas nennen, stellt die kurze Zeitspanne zwischen Jesu Wirken und dem Eintreffen des Paulus in Rom bereits aus historischer Perspektive dar. Damit sind die neutestamentlichen Exegeten doppelt herausgefordert: Einerseits geht es um die Frage, wieweit sie der Spur des Lukas folgen und eine „Geschichte des Urchristentums“ unter den Bedingungen der Gegenwart schreiben wollen. Andererseits steht die Kategorie der Geschichte für die Schriften des Neuen Testaments erneut zur Diskussion.54 (4) Zusammenfassend halte ich fest: Die Frage nach der „Geschichte des Urchristentums“ oder – mit dem nicht-normativen Terminus als Origins/Beginnings of Christianity bezeichnet55 – stellt sich vor dem doppelten Hintergrund der historischen Dimension mindestens des lukanischen Doppelwerkes einerseits und den Veränderungen in der literaturwissenschaftlichen Theorie von Narration andererseits als ebenso berechtigt wie herausfordernd dar. Wir müssen also für die neutestamentlichen Texte neu nach dem Verhältnis von Geschehen, Texten und „Geschichte“ fragen: Wie kommen wir von den Texten Vgl. E.-M. Becker, „Patterns“, 276–296. R. I. Pervo, Acts, 15. 52 A. a. O., 20. 53 Nach E.-M. Becker gilt Ähnliches aber schon für das Markusevangelium. – Eine eigene Thematik ist die historische Dimension der Offenbarung des Johannes. Die Beziehungen zwischen Apokalyptik als in die Zukunft verlegter Geschichte und Geschichtserzählung sind komplex und können hier nicht dargestellt werden. Ein innerer Zusammenhang von Historiographie und Apokalypse ist aber evident. Dazu zuletzt: K. Backhaus, „Tyrann“, 379–403. 54 Vgl. E.-M. Becker, „Konstruktion“, 393–422. 55 Zurecht weist M. Tiwald wieder auf die Unschärfe dieser Begriffe hin, die weniger eine erklärende als vielmehr eine vermeidende Strategie verfolgen: Tiwald, Frühjudentum, 31–33. 50 51
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III. Texte
zu den Geschehnissen vor den Texten?56 Wie kommen wir von den Texten, vor allem der lukanischen Geschichtserzählung, zu einem eigenen kritischen Erzählzusammenhang? Und: wie können wir das rekonstruierte Geschehen wissenschaftlich basiert nacherzählen oder in strukturierter Form darstellen? Es wäre nun reizvoll, die Ansätze und Darstellungen der Geschichte des Urchristentums seit Ferdinand Christian Baur57 über Carl Weizsäcker58 und Eduard Meyer59 bis zu Hans Conzelmann, Alexander Wedderburn, Martin Hengel und Dietrich-Alex Koch auf diese Fragen hin zu prüfen und eine Typologie der Darstellungen der „Geschichte des Urchristentums“ zu entwerfen. Ich kann das hier nicht tun und greife stattdessen eine Frage heraus: Aus welchen Bausteinen kann sich die Nacherzählung der „Geschichte des Urchristentums“ zusammensetzen? Oder: Wie wird ein Geschehen oder eine Begebenheit zu einem „Ereignis“, das als Baustein einer Geschichtserzählung des Urchristentums fungieren kann? Hier stoßen wir auf den Begriff des Ereignisses. Die bekannte Definition Lucian Hölschers besagt: Als ‚historisches Ereignis‘ bezeichnet man eine Begebenheit, die eine geschichtliche Veränderung herbeiführt.60
Das Ereignis ist so etwas wie ein Baustein und ein Initial für die Geschichtserzählung. Aber wie erkennt man ein Ereignis? Ist eine bestimmte Begebenheit einfach ein Ereignis? Oder macht erst die Rezeption durch einen klugen, historisch geschulten Betrachter die Begebenheit zum historischen Ereignis? Und wie erfahren wir, die Nachgeborenen, von dem Ereignis? Durch Texte, die von dem Ereignis erzählen? Und sind wir diesen Texten „ausgeliefert“, oder können wir sie kritisieren? Und wie verhalten sich Text und Ereignis zueinander? Schafft das Ereignis den Text oder erst der Text das Ereignis? Um diese Fragen an Texten des Neuen Testaments zu diskutieren, setze ich neu bei Hans Lietzmann und bei einem Beispiel ein, das die genannten Fragen konkretisiert und anschaulich macht, womit wir es zu tun haben, wenn wir nach der „Geschichte des Urchristentums“ fragen. Aus welchem Stoff ist die „Geschichte des Urchristentums“? 56 Diese Frage könnte im gegenwärtigen text- und literaturwissenschaftlichen Diskurs naiv erscheinen, ist aber für eine historische Untersuchung unerlässlich. 57 F. Ch. Baur, Paulus. Vgl. dazu: D. Lincicum/Ch. Landmesser/M. Bauspieß (Hg.), Baur. 58 C. Weizsäcker, Untersuchungen. 59 E. Meyer, Ursprung. 60 L. Hölscher, „Ereignis“, 72. Vgl. Becker, „Ereignis“, 142 f. – Der umfangreichen Definition Hölschers möchte ich den Aspekt der impliziten Sinngebung von geschichtlichen Ereignissen hinzufügen. Ein berühmtes Beispiel ist die Kanonade von Valmy, die durch Goethes Diktum eine historische Bedeutung erhielt, die dem Vorgang auf den ersten Blick keinesfalls innewohnte. Andererseits ist Goethes Deutung – unabhängig von der Frage, ob er das Diktum gleich nach dem Ereignis oder erst viele Jahre später geäußert habe – ein Indikator für die dem unspektakulären Vorgang inhärente Bedeutung, die die Kanonade zum „Ereignis“ werden ließ.
20. Das Ereignis als Grundlage der lukanischen Geschichtserzählung von Paulus 419
2. Vom biographischen Erlebnis des Paulus zum historischen Ereignis bei Lukas Paulus ist im Auftrag des Synhedrions nach Damaskus gezogen, schwerlich um etwa dort gefundene Christen ‚gebunden nach Jerusalem zu führen‘ – denn dazu fehlte dem Synhedrion die Kompetenz, – sondern um die dortigen Juden im Namen des Synhedrions zur Abwehr der neuen Gefahr zu ermuntern. Auf dieser Reise faßte ihn die Hand Gottes: am hellen Tage erschien ihm in blendendem Licht der auferstandene Jesus, den er verfolgte, und berief ihn zu seinem Apostel. Da ist er in die Wüste gegangen, wie es sich für einen berufenen Gottesmann ziemte: südöstlich von Damaskus dehnten sich die öden Steppen des arabischen Nabatäerreichs. Hier ließ er sein Erlebnis ausreifen, dann kehrte er nach Damaskus zurück und hub seine Predigt von Jesus dem Messias an.61
So erzählt der Altmeister der deutschsprachigen Darstellung der Geschichte der Alten Kirche, Hans Lietzmann, die sog. Bekehrung des Paulus im Fluss seiner Darstellung der „Anfänge“ der Alten Kirche von Johannes dem Täufer bis zur Bewegung der Gnosis. Lietzmann versteht das biographische Erlebnis der Damaskusepisode als historisches Ereignis und macht sie als solches zum Baustein seiner Geschichte der Alten Kirche. Christoph Markschies hat in seinem Vorwort62 Lietzmanns „historiographische Methode“ als „‘Geschichtserzählung’“63 charakterisiert und Lietzmanns Werk in den Horizont neuer geschichtstheoretischer und narratologischer Tendenzen gestellt. Markschies schreibt erläuternd: „Historisches Erzählen verlangt materiale Dichte“64, d. h. Quellenkenntnis und Quellenauswertung. Die Quellen, die Lietzmann benutzte, sind uns bekannt. Es sind die Texte der sog. Bekehrung des Paulus, die er selbst in Gal 1 f. erwähnt und die der Verfasser der Apostelgeschichte in drei unterschiedlichen Versionen erzählt, so dass vier verschiedene Textversionen vorhanden sind: Galater 1,15 f., Apostelgeschichte 9,1–9; 22,6–10; 26,12–18. Wie lesen wir sie heute? (1) Der längste und wichtigste autobiographische Text, der uns von Paulus selbst überliefert ist, findet sich in Gal 1,11–2,1465. Der Gesamttext ist Teil der apologetischen Strategie des Paulus in Hinsicht auf seine „beschneidungsfreie“ Evangeliumsverkündigung. 1,11 enthält die These: H. Lietzmann, Geschichte, I 103 f. V–XXIII. 63 A. a. O., VIII. 64 A. a. O., IX. Vgl. Die Gegenposition bei H. Conzelmann, Geschichte, 2: „Der Leser einer ‚Geschichte des Urchristentums‘ muß sich darauf gefaßt machen, mehr eine Darstellung von geschichtlichen Problemen vorgelegt zu bekommen, die studiert werden will, als eine flüssige Geschichtserzählung, die er sich genießend aneignen kann. Der Grund dafür liegt in der Sache selbst“. 65 Vgl. O. Wischmeyer, „Paulus“, 88–105; E.-M. Becker, „Konstruktion“, 403–406, weist auf den sorgfältigen Aufbau der paulinischen narratio in Gal 1 hin. 61
62 A. a. O.,
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III. Texte
Das Evangelium, das von mir gepredigt wird, ist nicht menschlich autorisiert.
V. 12 erläutert die These: Nicht nämlich habe ich es von einem Menschen überliefert bekommen oder bin ich unterwiesen worden, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.
Erst und nur in 1,16 erwähnt Paulus dann im Zusammenhang der Rechtfertigung seiner nicht von „Jerusalem“ bestimmten Evangeliumsverkündigung unter den ἔθνη seine persönliche Beauftragung durch Gott: Indem er seinen Sohn in mir offenbarte (deutsch: mir seinen Sohn offenbarte), damit ich ihn unter den Heiden verkündigen sollte.
Er schildert diese Beauftragung in V. 13 f. als ein Geschehen von Abbruch und Diskontinuität, indem er statuiert, dass zwischen seiner früheren Lebensweise und Aufgabe (πότε) im Ἰουδαισμός66 und seiner Lebensform und Aufgabe seit seiner Beauftragung durch Jesus Christus ein grundsätzlicher Graben liege (δέ V. 15).67 Sachlich wird weiter deutlich, dass sein Auftrag ihn vom Ἰουδαισμός und den Überlieferungen der Väter fortgeführt hat und statt dessen eine Hinwendung zu der ἐκκλησία θεοῦ bedeutet, deren Mitglieder er zuvor verfolgte: eine Kehrtwendung also vom Verfolger zum Apostel.68 In Bezug auf sein Verhältnis zu Gott aber herrscht gleichzeitig Kontinuität69: Ausgesondert und berufen zur Predigt des Evangeliums war Paulus bereits vor seiner Geburt.70 Seine Beauftragung zur Predigt des Evangeliums geschah nach seiner Darstellung im Galaterbrief also keineswegs als religiöse Bekehrung, sondern als institutionell-autorisierende Beauftragung mit einer Mission Gottes – der Verkündigung des Sohnes Gottes unter den Völkern – mittels einer Offenbarung des Sohnes Gottes „in ihm“ (V. 16).71 Diese Offenbarung muss man sich nach Paulus als religiöses Erlebnis, als ἀποκάλυψις, vorstellen. Dass es sich bei dieser Offenbarung um eine „Schau“ gehandelt habe, lässt sich aus 1 Kor 15,8 und 9,1 erschließen. Gal 1,16 lässt die Modalität der Offenbarung unkommentiert. Durch die zeitliche Bestimmung ὅτε und die Beschreibung der Beauftragung als ἀπο-
66 Das
Substantiv begegnet in den ntl. Schriften nur hier zweimal. sind hyperbolisch formuliert, ebenso die historisch eher zweifelhaften Verneinungen in V. 16 f. 68 Dass Paulus sich niemals als Gemeindemitglied, sondern von Anfang an als Apostel verstand, geht aus V. 17 hervor. 69 Vgl. O. Wischmeyer, „Religion“, 311–328. 70 Vgl. das Motiv der vorweg erfolgten Aussonderung Röm 1,1 und Gal 1,15. In Röm 1,1 stellt sich Paulus programmatisch unter dieser Perspektive den römischen Christen vor. 71 Zu der Deutungsalternative von Berufung oder Bekehrung: B. Kollmann, „Berufung“, 80–91. Vgl. auch den Literaturbericht von M. Konradt, „Bekehrung“, 96–122. Konradt plädiert für das niedrigschwellige „Lebenswende“ als Deutungsbegriff für Gal 1. Damit umgeht er die religiöse Problematik des Textes. 67 V. 13 f.
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κάλυψις wird deutlich, dass Paulus seine Beauftragung als biographisches „Ereignis“ im eminenten Sinn und als Neuanfang seiner Existenz interpretiert. Trotzdem verzichtet er auf die Beschreibung der zeitlichen und örtlichen Umstände dieser Offenbarung, obgleich er in Gal 1 und 2 zum Teil sehr genaue Orts- und Zeitangaben und Personenangaben macht.72 Diese stehen aber alle im Zusammenhang mit dem konkreten apologetischen Zweck des Textes, nicht mit einem autobiographischen Interesse. Weder seine frühere agency noch die Umstände seiner göttlichen Beauftragung und sein Eintritt in die christusgläubige Gemeinde in Damaskus finden daher erzählerisch Erwähnung. Vergleichbare Sätze in 1 Kor 9,1 und 15,8 lösen den narrativen Charakter der Offenbarung Jesu vor Paulus ganz auf. Was übrig bleibt, ist eine Formel, die Paulus als Auferstehungszeugen ausweist und argumentativ im Zusammenhang der apostolischen Selbstverteidigung gesetzt wird.73 In Phil 3,7 akzentuiert Paulus im Zusammenhang seiner Apologie gegenüber konkurrierenden Missionaren (3,1–16) deutlich die Diskontinuität zwischen seiner Existenz im Ἰουδαισμός und seiner Existenz in Christus unter den Stichworten „Gewinn“ und „Schaden“, in V. 8 interpretiert er „Schaden“ noch negativer mit der hässlichen Metapher „Schmutz“. Biographische Details über diese Diskontinuität erfahren aber auch die Adressaten des Philipperbriefes nicht.74 Die genannten Texte machen Zweierlei deutlich. Erstens versteht Paulus seine Biographie aus einer doppelten Perspektive heraus: von Gottes Seite her in großer Kontinuität, von seiner eigenen Seite, d. h. seiner Lebensaufgabe her, in deutlicher Diskontinuität, auf jeden Fall aber als zweigeteilt im Schema: früher – heute. Seine agency hat sich verändert. Zweitens gilt: Paulus kennt einen „historischen“ Einschnitt zwischen beiden biographischen Phasen seines Lebens und kann ihn zeitlich und geographisch genau einordnen, spricht ihn aber nur ein einzigen Mal in seinen Briefen in einem einzigen Satz an, so dass nicht leicht zu erkennen ist, wie es um die grundlegende Bedeutung, die diese Offenbarung für Paulus hatte, steht. Drittens spielt sich diese Wende in seinem Leben ausschließlich zwischen ihm und Jesus Christus ab. Es ist daher auch nicht sicher, ob das, worauf Paulus in Gal 1,16 kurz verweist, in der Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums überhaupt einen eigenen Platz einnähme und damit eben als „historisch“, d. h. als ein „Ereignis“ betrachtet würde, wenn wir nicht die lukanischen Texte in den Kapiteln 9, 22 und 26 der Apostelgeschichte hätten75. Paulus selbst tut jedenfalls 72 Gal 1 und 2 enthalten die einzigen quantifizierenden Zeitangaben in den neutestamentlichen Schriften außer den (nicht einheitlichen) Angaben zum Todestag Jesu. Den Ort der Offenbarung erwähnt Paulus nicht direkt, aus Gal 1,17 lässt sich aber Damaskus erschließen. 73 Vgl. 1 Kor 9,1 und 1 Kor 15,8 (Umformung in die Sprache des Gemeindekerygmas). Beide Texte dienen der Selbstverteidigung. 74 O. Wischmeyer, „Paulus“, 102. 75 Vgl. allg. Ch. Burchard, Zeuge, 51–135. Burchard stellt die Texte Apg 9,22 und 26 unter das Stichwort „die Wende“.
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III. Texte
alles, um seine Offenbarungen mit dem Schleier des Geheimen zu umgeben und sie dadurch einerseits aus der ‚Geschichte‘ herauszuhalten und andererseits mit höherer Autorität auszustatten.76 (2) Der Verfasser der Apostelgeschichte hat aus dem biographischen Ereignis, auf das Paulus in einem einzigen Satz verwies, eine der zentralen Erzählepisoden seines Werkes gemacht.77 Mit den beiden ausführlichen Wiederholungen in der literarischen Gestalt der biographisch-apologetischen Rede wird dies primär persönlich-biographische Erlebnis78 zur Schlüsselerzählung des „lukanischen“ Paulus und dem persönlichen Erlebnis ‚historische‘ Qualität verliehen.79 Luke Timothy Johnson legt besonderes Gewicht darauf, dass es Lukas schon in Kapitel 9 gelingt, „one of history’s most stunning and inexplicable turnouts“ erzählerisch plausibel zu machen und ins helle Licht seiner Geschichtserzählung zu rücken80. Allerdings muss hier kritisch angemerkt werden, dass wir natürlich nur durch die Darstellungen der Apostelgeschichte von dieser historischen Wende vor Damaskus „wissen“. Daneben betont Johnson auch einen wichtigen Aspekt der sachlichen Kontinuität zwischen der Selbstdarstellung der Beauftragung des Paulus und der lukanischen Darstellung: „Paul’s personality or motivations before or after the event appear to have little significance for Luke’s story“81. Dasselbe haben wir in der Tat in Gal 1 gefunden82. Paulus selbst benutzt, wie schon erwähnt, die Begriffe ἀποκάλυψις, ἀποκαλύψαι zur Beschreibung der himmlischen Seite seiner Beauftragung. Jede Zusatzbeschreibung fehlt aber.83 Ebenso fehlen bei Paulus, wie schon gesagt, genauere Zeit- und Ortsangaben sowie irgendwelche Personennamen, also jene Parameter, die Erzählungen in Zeit und Raum positionieren, zu historischen Darstellungen machen und die diese spezielle Erzählung zu einer autobiographischen oder gemeinde 2 Kor 12.
76
77 Zum Vergleich
der drei Fassungen: R. I. Pervo, Acts, 629 f. (Lit.). – Vergleichbar ist nur die kunstvoll wiederholend-variierende Erzählung von Petrus und Cornelius und der Reinerklärung der Speisen sowie der Heidenpredigt (Apg 10 und 11). 78 Es ist bezeichnend, dass Conzelmann in seiner „Geschichte des Urchristentums“ das Damaskuserlebnis als solches gar nicht erwähnt. Man muss es aus seiner Darstellung geradezu erschließen (65 f.). Das hängt selbstverständlich mit seiner Kritik an der Apostelgeschichte zusammen. Für Conzelmann sind das Apostelkonzil und „das Problem des ‚Aposteldekrets‘“ relevant (67–75). Anders M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus, 60–80. 79 Vgl. die Erzählung in Kap. 10,1–23 mit der Erweiterung in 10,24–48 und der Wiederholung in 11,1–17. Zum Erzählprinzip der Wiederholung vgl. J. Jervell, Apostelgeschichte, 278 f. Vgl. a. a. O., 277 die Literatur zum Vergleich der drei Berichte, besonders E. v. Dobschütz, „Berichte“, 144–147. 80 L. T. Johnson, Acts, 166–169, 166. 81 A. a. O., 167. 82 Vgl. dazu aber meine Schlussüberlegung in: O. Wischmeyer, „Paulus“, 105. Es stellt sich die Frage, ob nicht doch die Erzählung des Lukas die Intention von Gal 1 verändert, indem sie biographische Züge in die Beauftragung einträgt. 83 Aus 2 Kor 12,1–10 lassen sich keine zusätzlichen Einzelheiten entnehmen, da Paulus dort von einer Entrückung berichtet.
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geschichtlichen Begebenheit machen könnten. Der lukanische Bericht nennt zwar ebenfalls keine genauere Zeitangabe84, wohl aber genauere Ortsangaben und Namen (9,1–3a.10ff).85 Das Hauptgewicht liegt bei Lukas aber zunächst auf der erzählerischen Darstellung des religiös interpretierten Ereignisses: der Epiphanie (V. 3b–6), die mit einer Audition verbunden ist. Paulus sieht eine Lichterscheinung und erblindet für drei Tage.86 Zugleich hört er „eine Stimme“. Lukas schreibt nicht: „Der Herr sprach“, sondern Paulus habe „eine Stimme“ gehört. Jesus selbst offenbart sich ihm dann mit einem äußerst knappen „Ich bin-Wort“: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“. Es folgt eine kurze Anweisung gleichsam technischer Art in V. 6.87 Während die V. 4–6 also einen äußerst knappen Dialog enthalten, stellen die V. 7–9 die Wirkungen der Christusepiphanie narrativ dar. Es ist immer aufgefallen, dass Paulus in Gal 1,16 nicht davon spricht, in welcher Weise er unter den „Völkern“ das Evangelium verkünden sollte – mit gleichzeitiger Annahme des Ἰουδαισμός oder ohne Beschneidung. Inhalt der Offenbarung war lediglich die Beauftragung mit der „Verkündigung seines Sohnes unter den Völkern“. Paulus beschreibt in Gal 1,16 also nur exakt seine Beauftragung zum Apostel durch Jesus Christus, eben seine Autorisierung – nicht mehr und nicht weniger. Gal 1,16 ist damit Teil seiner argumentativen Strategie, seine apostolische Autorität nachzuweisen. Seine eigene theologische Konzeption einer gesetzesfreien Verkündigung leitet er nicht direkt von seiner Beauftragung ab, obgleich der argumentative Duktus von Gal 1 und 2 dies insinuieren könnte. Apg 9,10–22 verfährt sachlich zum Teil erstaunlich parallel, während der Erzählduktus ein anderer ist. Paulus verkündigt Jesus als „Sohn Gottes“88 und „Messias“, allerdings vor den Juden in Damaskus (V. 20.22). Die Beauftragung zum Völkerapostel in 9,15 erfolgt nicht im Rahmen der Erzählung selbst. Wie öfter bedient sich Lukas hier vielmehr der indirekten Erzählung: Der Auftrag des erhöhten Jesus wird nicht Paulus selbst gegeben, sondern Hananias in Gestalt einer Information über den Mann, den er taufen soll (V. 10–16). So erfährt auch die Leserschaft von der Beauftragung des Paulus, während Paulus selbst zunächst ganz passiv bleibt und einfach – wie alle neuen Mitglieder – in die 84 Das entspricht seinem Erzählstil. 9,1 nimmt einfach den Faden von 8,3 wieder auf. Dass sich sein Aufenthalt in Damaskus durch die Erwähnung des Königs Aretas in 2 Kor 11,32 historisch deutlicher einordnen lässt, als es die bloße Erzählfolge in der Apostelgeschichte ermöglicht, ist ein glücklicher Zufall. 85 Ob man hier von Lokalkolorit sprechen kann und auf eine schriftliche oder mündliche Überlieferung seitens der christusgläubigen Gemeinde in Damaskus oder von Paulus selbst schließen darf, muss offen bleiben. Vgl. die sehr ausgewogenen und sorgfältigen Überlegungen bei M. Hengel/A. M. Schwemer, Paulus, 139–146. 86 Hinzu kommt ein – ob freiwilliges oder unfreiwilliges – Fasten. Zu den religionsgeschichtlich vergleichbaren Texten vgl. G. Lohfink, Paulus; H. Windisch, „Christusepiphanie“, 1–23. 87 Erzählerisch dient sie dazu, den Herrschaftsanspruch des κύριος Ἰησοῦς darzustellen. Von nun an ist Paulus δοῦλος dieses Herrn, ein σκεῦος (9,16). 88 Vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 142 f. zum Sohnestitel in Gal 1,16.
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III. Texte
christliche Gemeinde aufgenommen wird.89 Die Erzählsequenz 9,1–22 stellt im Modus der direkten Erzählung (V. 1–9 und 17–22) die Aufnahme des Paulus in die christusgläubige Gemeinde in Damaskus dar, die auf den persönlichen Eingriff des Kyrios in einer Epiphanie90 erfolgt. Die Beauftragung des Paulus zur Verkündigung des Evangeliums unter den Völkern91 wird nur indirekt berichtet.92 Dieser erste Bericht des sog. Damaskuserlebnisses ist sachlich und im Gesamterzählzusammenhang der Apostelgeschichte der maßgebliche. Im Fokus steht nicht das biographische Detail, sondern die Epiphanie, die den Wendepunkt in der Tätigkeit des Paulus darstellt und die Bedeutung des Vorgangs literarischreligiös inszeniert. (3) Die erste Wiederholung in 22,1–16 ist eine Verkürzung der erzählerischen Einheit in Form einer Ich-Erzählung des Paulus. Der Verfasser gibt die Damaskusbegebenheit jetzt also aus der Erzählperspektive des Protagonisten wieder und steigert dadurch ihre Authentizität. Zugleich verändert er die Perspektive, indem er in Kapitel 22 Paulus erzählerisch pointiert als „Juden“ modelliert (V. 3)93, der das jüdische Publikum Jerusalems im Rahmen seiner Selbstverteidigung94 auf Aramäisch anspricht und seinen Auftrag in einem jüdischen Rahmen plausibel zu machen versucht.95 Im Sinne der Erzählstrategie des Lukas wird Paulus hier gegenüber einem jüdischen Publikum verteidigt, das ihm Abfall vom Glauben der Väter vorwirft.96 Dies geschieht in den V. 14f in einer weiteren indirekten Brechung innerhalb der Paulusrede, nämlich durch den Rekurs auf Hananias. Hananias spricht hier vom „Gott unserer Väter“ und nicht von den „Völkern“, sondern von „allen Menschen“, vor denen Paulus nicht Jesus als den Christus, sondern „den Gerechten“ bezeugen soll. Der letzte Teil von Kapitel 9 entfällt in Kapitel 22, da Lukas hier die Nähe des Paulus zu den Jerusalemer Juden betonen will, nicht aber sein Bekenntnis zu Jesus als dem Messias in den Synagogen von Damaskus. Stattdessen lässt Lukas Paulus von einer weiteren Offenbarung berichten, die im Tempel stattfand und in einer Beauftragung mit der Heidenmission gipfelte (V. 21), die damit auf ein Herrenwort gegründet wird. Kapitel 22 steht also ganz im Zusammenhang der apologetischen Erzählstrategie 89 V. 17–19 stellen die Aufnahme des Paulus in die Gemeinde dar: Handauflegung und Geistbegabung sowie Taufe. Eine eindeutige Reihenfolge ist hier nicht angegeben. Vielleicht verweist V. 9 auch auf das Tauffasten. V. 18 fügt noch die körperliche Wiederherstellung nach der Epiphanie hinzu. 90 Zu den gewaltsamen und strafenden Aspekten dieser Epiphanie vgl. bes. H. Windisch, „Christusepiphanie“, 1–23. 91 In 9,15 fügt Lukas hinzu: vor Könige und vor die Söhne Israels. 92 Die These E. Hirschs, der Bericht in Kapitel 9 entstamme der Damaszener Gemeindetradition (E. Hirsch, „Berichte“, 305–312) beruht auf derartigen Beobachtungen. 93 So schon 21,39. 94 22,1: ἀπολογία. 95 Dazu gehört auch der Zusatz: Jesus, der Nazoräer in V. 8. 96 Dies ist historisch plausibel: es wird der Vorwurf gewesen sein, der zur Verhaftung des Paulus in Jerusalem führte.
20. Das Ereignis als Grundlage der lukanischen Geschichtserzählung von Paulus 425
des Lukas.97 Das Evangelium des Paulus ist nicht gegen die Juden gerichtet, sondern wird immer zuerst den Juden verkündigt und von diesen verworfen.98 So empfängt Paulus in Kapitel 22 nach seiner eigenen Erzählung den Auftrag zur Verkündigung unter den Völkern erst später, mittels einer zweiten ἔκστασις in einer weiteren Vision und Audition des Kyrios im Tempel zu Jerusalem (!). Hier liegt keine Jerusalemer Quelle zugrunde, sondern eben die Erzählstrategie des Lukas. (4) In der zweiten Wiederholung in Kapitel 26 ist die Erzählstrategie des Lukas noch deutlicher ausgeprägt. Denn diesmal hält Paulus seine Verteidigungsrede (26,3.24) vor Agrippa II. und Berenice. Lukas stellt den König als „vorzüglichen Kenner der jüdischen Bräuche und Streitfragen“ dar (26,3). Dementsprechend ist der Interpretationsrahmen, in dem die Damaskusepisode erzählt wird, noch einmal konsequenter jüdisch modelliert. Der Autor lässt in der ersten Passage seiner Rede Paulus sich selbst – historisch korrekt – als Pharisäer vorstellen (26,4–8). Erst nach dieser Einleitung kommt Paulus dann auf das Damaskuserlebnis zu sprechen. Hier fallen einige Eigenarten der Erzählung auf: Paulus hört Jesus hebräisch – d. h. aramäisch – sprechen, das Jesuslogion in V. 14 ist zweigliedrig. Die Offenbarungsrede Jesu ist außerdem um einen weiteren Beauftragungstext ergänzt: V. 16b–18. Damit wird die Zweiteilung von Kapitel 9 zwischen Epiphanie und Auftrag aufgelöst. Jesus gibt Paulus bei der Epiphanie den Auftrag, sein ὑπερέτης und μάρτυς zu sein99. Paulus berichtet weiter, er habe „denen in Damaskus und in Jerusalem, im ganzen Gebiet Judäas und den Völkern die Buße und Umkehr zu Gott verkündigt“ (V. 20).100 Paulus schließt mit der Versicherung, seine Christusverkündigung, die er nochmals als Zeugenschaft apostrophiert, sei mit der Verkündigung der Propheten und des Mose konform (V. 22). Die Beauftragung oder Bekehrung des Paulus steht hier nicht mehr im Mittelpunkt. Weder seine Erblindung noch seine Taufe werden erwähnt, stattdessen steht die Bekehrung von Juden und „Völkern“ im Zentrum (26,19f). Erzählerisch ist die Wirkung dieser Paulusrede besonders wichtig: Agrippa, Festus und Berenike bestätigen und bezeugen die Unschuld des Paulus (V. 31f). Im Gesamtgefüge der Apostelgeschichte ist in diesem Text das Ereignis der Beauftragung des Paulus mit der Evangeliumsverkündigung bereits zur Episode in der lukanischen Gesamterzählung geworden, die nicht die Biographie des Paulus, So schon in Kap. 7 für Stephanus. 28,17–28. 99 Apg 22,15; 26,16. Der Aposteltitel fehlt. Zum Zeugentitel vgl. Ch. Burchard, Zeuge, 130–135: Der Zeugenbegriff „ist für Lukas kein beliebiges Wort. Es bezeichnet eine kraft ausdrücklicher und direkter Erwählung durch den Apostel verliehene Funktion. Diese haben außer Paulus nur die zwölf Apostel. Den Apostel macht nach Lukas … ein besonderer Akt der Erwählung durch den Auferstandenen“ (130). 100 Zum Vergleich: Röm 15,19 (von Jerusalem bis Illyrien). 97
98 Vgl.
426
III. Texte
sondern den Gang des Evangeliums von Jerusalem nach Rom zum Gegenstand hat – eine thematische Verschiebung, die aber durchaus die Intention des Paulus in Gal 1 trifft. Blickt man auf die dreifache unterschiedliche literarische Gestaltung und thematische Gewichtung des „Damaskusereignisses“ bei Lukas zurück, so werden zwei Dinge deutlich. Erstens gelingt es Lukas, die Beauftragung des Paulus für Juden und Nichtjuden plausibel zu machen und thematisch wie narrativ in den Mittelpunkt seiner Erzählung von der Missionsarbeit des Paulus zu stellen. Dazu gehört auch die μάρτυς-Terminologie. Zweitens beleuchtet er das „Damaskusereignis“ dreimal unterschiedlich und gewinnt dem Ereignis dadurch unterschiedliche Sinnaspekte ab. Dadurch wird die Geschichtsbedeutung des Ereignisses unterstrichen.
3. Erlebnis – Geschehen – Erzählung/Überlieferung – Ereignis – Text – Geschichte – Geschichtsschreibung – Geschichte des Urchristentums (1) Es ist deutlich geworden, dass Paulus selbst seine Evangeliumsverkündigung und sein Wirken als Apostel Jesu Christi auf eine Offenbarung, d. h. ein lokalisierbares und zeitlich punktuelles, genau zu datierendes persönliches religiöses Erlebnis zurückführte, das ihn von einem Beauftragten des Synhedriums zu einem Beauftragten des Kyrios Jesus Christus machte. Zu diesem persönlichen Erleben führt keine eigene Quelle außer Gal 1 zurück. Wir haben von diesem Erlebnis nur aus einem einzigen Satz im Galaterbrief authentische Kenntnis. Dieser Satz aber dient der argumentativen Autorisierung des Paulus, nicht einer autobiographischen Bekehrungs-Erzählung. Weder dort noch anderswo in den uns überkommenen Briefen des Paulus findet sich aber eine Passage, in der Paulus diesem Erlebnis eine eigene erzählende Gestalt gegeben und es damit unter Umständen selbst bereits zu einem Ereignis im historischen Sinn gemacht hätte. Trotzdem ist notwendig anzunehmen, dass Paulus mündlich von seiner Offenbarung berichtet hat: Sonst hätte er, der Verfolger, nicht Verkündiger Jesu Christi werden können. Dasselbe gilt für die Gemeinde in Damaskus101: Hier muss es mündliche Erzählungen von der „Bekehrung“ des Christenverfolgers Saulus gegeben haben.102 Spuren dieser mündlichen Überlieferung der Gemeinde von Damaskus hat der Autor der Apostelgeschichte aufgegriffen.103
101 Bemerkenswert ist dabei, dass Paulus die Gemeinde in Damaskus nicht erwähnt. Nach Gal 1 ist er allein dem „Sohn Gottes“ verpflichtet. 102 Basisbericht: Gal 1,13 f. Siehe Apg 8,3; 9,1 f.13 f.21.26; 22,4 f.19; 26,9–11. Besonders in den Texten der Apostelgeschichte klingt das Motiv der Bekehrung an: vom Verfolger Jesu zum Verkündiger, vom Verfolger der Christus-bekennenden Gemeinden zum Bruder und Prediger. 103 Bei Lukas spielt anders als in Gal Damaskus eine wichtige Rolle.
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Er war es, der aufgrund seiner Traditionen die sog. Bekehrung104 des Paulus für etwas hielt, was wir „historisches Ereignis“ nennen. Wieweit Lukas auch auf die Paulusbriefe zurückgreifen konnte, ist kontrovers. Falls er den Galaterbrief gelesen haben sollte, hätte er außer der mündlichen Überlieferung noch einen schriftlichen Satz gekannt, der als authentische Quelle fungierte. Lukas jedenfalls verstand die Damaskusepisode als Ereignis. Er gab diesem Ereignis eine literarische Gestalt in drei unterschiedlichen Texten. Damit verortete er das „Ereignis“ als wichtigste narrative Episode in seiner umfangreichen Erzählung von der Zeugenschaft der Apostel (μάρτυρες) „in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde“. Es sei nun noch etwas genauer gefragt, auf welche Quellen oder Traditionen Lukas zurückgreifen konnte. Christoph Burchard ist diesem Weg von den beiden Traditionsspendern und -formern – Paulus selbst und der Gemeinde in Damaskus – unter der Fragestellung von Tradition, Redaktion und Komposition detailliert nachgegangen. Seine Analyse von Apg 9 führt ihn zu folgendem Urteil: Was Lukas „für den frühen Paulus zur Verfügung stand, war wenig genug, kam nicht aus erster Hand, soweit es nicht überhaupt legendär war, und verdankte sein Überleben nicht dem Interesse an, sondern dem Streit um Paulus“.105 Die Traditionen, auf die sich Lukas stützt, sind nach Burchard nicht aus biographischem Interesse entstanden, sondern Widerhall der theologischen Auseinandersetzungen zwischen Paulus und konkurrierenden Aposteln – und damit eben Teil der Intention und Argumentationsstrategie, wie wir sie im Galaterbrief finden. Eine Beobachtung fügt sich aber nicht ohne Weiteres in das Bild, das Burchard zeichnet. Paulus wird in allen diesbezüglichen Texten mit dem Septuagintanamen Σαούλ statt dem im übrigen Text begegnenden Σαῦλος benannt.106 Das kann der schriftstellerischen Sorgfalt des Lukas zuzurechnen sein, kann aber auch auf ein Logion des Auferstandenen schließen lassen, das dann nur von Paulus hätte tradiert werden können. Gleiches gilt für die von den Kommentaren vermerkte Anlehnung an Ex 3,3; Gen 46,2 und 1 Sam 3,4.10.107 Auch für Apg 26,14b („Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken“) stellt sich die Frage, ob man mit Kommentatoren wie Conzelmann, Johnson und Pervo von Vgl. A. J. M. Wedderburn, History, 84–86, zur Terminologie. Ch. Burchard, Zeuge, 173. Burchards Urteil trifft allerdings nur zu, wenn Lukas die Briefe des Paulus nicht kannte, was eher unwahrscheinlich ist. Sichere Erkenntnisse darüber gibt es nicht. Historisch wahrscheinlicher ist, dass Lukas die Briefe kannte, ihnen aber im Vergleich zur Jesusüberlieferung (Mk, Q und lukanisches Sondergut im Lukasevangelium) keine eigene Quellenbedeutung beimaß. In diesem Fall verhielte sich Lukas ähnlich wie Papias, der auch nur Jesustradition sammelte und kein Interesse an Paulustradition oder Paulusbriefen zeigte, die ihm in Kleinasien doch leicht zugänglich gewesen wären. 106 Die Erörterung der unterschiedlichen Namensformen für Saulus in Apg fehlt bei K.W. Niebuhr, „Paulus“, 49–55, und J. Frey, „Judentum“, 50 f. 107 Vgl. L. T. Johnson, Acts, 163.435. 104 105
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III. Texte
einem Sprichwort oder sogar einem Euripideszitat ausgehen soll108 oder den zweiten Teil eines Wortes des Auferstandenen vor sich hätte, vergleichbar 2 Kor 12,9. Auf jeden Fall muss hier die Frage nach Traditionen neu gestellt werden, auch wenn Paulus selbst in der Argumentation des Galaterbriefes den Kyrios nicht zitiert. In unserem Zusammenhang bleibt Burchards abschließendes Urteil über Lukas als Historiker wichtig, das hier noch einmal zusammengefasst sei: (1) Lukas geht sorgfältig mit Traditionen um. (2) Er hatte nur sehr wenig Material aus der Zeit vor der Mission vor dem Apostelkonvent.109 (3) Sein Material „stammt nicht aus erster Hand“.110 (4) Die Traditionen über den frühen Paulus verdankten ihr „Überleben nicht dem Interesse an, sondern dem Streit um Paulus“.111 Gerade die letzte Beobachtung ist weiterführend. Hören wir noch die Auswertung, die Burchard selbst dieser Beobachtung gibt: Lukas interessiert an Paulus nicht die Theologie (er läßt ihn nichts anderes sagen als die Apostel, obwohl gelegentlich mit paulinisierender Einfärbung), nicht die Persönlichkeit im modernen Sinn des Begriffs, sondern die historische Rolle.112
Lukas versteht die Rolle des Paulus als die des persönlich beauftragten Zeugen von Jesus als dem Christus. Nach seinem historischen Urteil ist das Damaskuserlebnis der Beginn dieser Zeugenschaft113 und damit auch der Ausgangspunkt der so erfolgreichen Zeugen- und Verkündigungstätigkeit des Paulus, die Lukas als die zweite Phase der Ausbreitung des frühen Christentums erzählerisch von Kapitel 9 an modelliert. In diesem historisch konzipierten Erzählaufriss nimmt nun in der Tat die Bekehrung des Paulus eine Schlüsselrolle ein, einmal als eigene Erzählepisode, die, wie Burchard überzeugend dargestellt hat, mit den literarischen Mitteln der religiösen Konversionserzählung arbeitet, zweitens in der doppelten variierenden Wiederholung vor unterschiedlichen hochkarätigen Auditorien, die Paulus immer weiter an die Zentren der politischen Macht heran108 H. Conzelmann, Geschichte, 148 f. (griechisches Sprichwort, kein explizites Euripideszitat), L. T. Johnson, Acts, 435; R. I. Pervo, Acts, 631 (Euripideszitat: Bacchen 794 f.). 109 Das trifft auch dann zu, wenn man die Kenntnis der Paulusbriefe annimmt, denn dort finden sich außer in Gal 1f und 2 Kor 12 keine Rückblicke in die Zeit vor den Gemeindegründungen. Bemerkenswert ist aber die Übereinstimmung zwischen Gal 1 und den Texten der Apg für das Motiv der anfänglichen Verfolgung der Gemeinden durch Saulus. 110 Ch. Burchard, Zeuge, 171. 111 A. a. O., 173. 112 Ebd. 113 Vgl. dazu die Überlegungen bei Burchard. Er misst dem Umstand, dass der Zeugenbegriff erst in Kapitel 22 und 26 begegnet, traditionsgeschichtliche Bedeutung bei.
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führen, drittens in ihrer dreimal unterschiedlichen Sinngebung durch den Autor. Lukas macht das religiöse Erlebnis des Paulus, das bei Paulus selbst unerzählt bleibt und damit nicht historischen Ereignischarakter gewinnen kann, weil Paulus nicht historisch denkt bzw. sich selbst nicht in einer historischen, sondern einer eschatologischen Rolle sieht114, zum historischen Ereignis im Vollsinn des Wortes, wenn die oben zitierte Definition von Lucian Hölscher gilt: Als ‚historisches Ereignis‘ bezeichnet man eine Begebenheit, die eine geschichtliche Veränderung herbeiführt115
und wenn weiterhin zutrifft: Historische E(reignisse) bilden die wichtigsten Bausteine historischer Erzählungen und deren Referenzpunkte in der jeder historischen Erzählung vorgegebenen geschichtlichen Wirklichkeit.116
Der Vergleich zwischen dem Galaterbrief und den Erzählungen der Apostelgeschichte zeigt, was geschieht, wenn die mündliche oder schriftliche Überlieferung einer Begebenheit, die von der Person, die sie erfuhr, als wesentliches biographisches Erlebnis verstanden und schriftlich dokumentiert wird – erzählerisch zu einem historischen Ereignis gestaltet, zum Teil einer historischen Erzählung gemacht und im Sinne der literarischen Strategie des Autors modelliert wird. Loveday Alexander hat Recht, wenn sie argumentiert, dass die Genrefrage und damit die suggestive Trennung zwischen fact and fiction im literaturwissenschaftlichen Sinn nicht den Schlüssel zu Frage nach der historischen Wahrheit der Apostelgeschichte darstellt.117 Alexander formuliert: „Classifying a text as fiction does not necessarily rob it of historical value“. Man könnte Alexanders Urteil zuspitzen: Bei Lukas wird aus dem von Paulus bewusst nicht erzählerisch instrumentierten persönlichen Erlebnis durch wiederholte und variierte Erzählung ein Ereignis, das als Grundstein der großen Erzählung von der Geschichte der Zeugen Jesu Christi auf dem ganzen Erdkreis fungiert. (2) Wie gehen die Neutestamentler mit diesen Ergebnissen um? Hier ein sehr kurzer Überblick: anders als bei Lietzmann wird weder in den einflussreichen Sachartikeln zum „Urchristentum“ von W. G. Kümmel118 noch von A. Lindemann119 die sog. Bekehrung oder Beauftragung des Paulus erwähnt, d. h. sie scheint für die genannten Exegeten nicht zu denjenigen Ereignissen zu gehören, die „historischen“ Charakter haben und zum Aufbau eben der „Geschichte 2 Kor 5,17; 6,1 f. L. Hölscher, „Ereignis“, 72. 116 A. a. O., 73. Vgl. auch H.-J. Goertz, „Wirklichkeit“, 328–331. 117 Alexander formuliert nach G. W. Bowersock: L. Alexander, „Fact“, 136, Anm. 10. Alexanders eigene These zur literaturgeschichtlichen Einordnung der Apostelgeschichte (163) kann hier nicht erörtert werden. 118 W. G. Kümmel, „Urchristentum“, 1187–1193. 119 A. Lindemann, „Urchristentum“, 820–825. 114 115
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III. Texte
des Urchristentums“ beitragen. Dieser Umstand verdankt sich insbesondere der scharfen Kritik an der sog. historischen Glaubwürdigkeit des Lukas, die das Lukasbild im Gefolge Vielhauers bestimmte120. Alexander Wedderburn entzieht sich dieser Hyperkritik und widmet der „Conversion of Paul“ einen eigenen Passus in seiner Paulusdarstellung, wenn er auch zur Vorsicht rät: How much more Paul himself, or indeed Acts, attributes to this event, or traces back to it, is unclear, and it is therefore important, not to read too much into it.121
Aus dieser moderaten kritischen Perspektive kann man Lukas durchaus zustimmen, wenn er die Beauftragung des Paulus, die ein persönliches religiöses Erlebnis ist, das Paulus überhaupt nur einmal kurz erwähnt, als Konversionerzählung gestaltet, zum „Ereignis“ und zum Bestandteil seiner Geschichte des Evangeliums macht. Damit ist Paulus in der Geschichtsschreibung angekommen.122 Dietrich-Alex Koch dagegen entzieht sich dem Problem, indem er das Thema sehr vorsichtig untersucht und sozusagen vor-historiographisch analytisch votiert, darin Euseb nicht unähnlich.123
4. Ausblick Es bleibt zum Schluss das theoretische Grundproblem des Verhältnisses von Konstruktion und Referenz – so auch der Titel der Bilanz bei Gerd Häfner in seinem Beitrag: „Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion“ in dem Sammelband: Historiographie und fiktionales Erzählen, den Knut Backhaus und Gerd Häfner gemeinsam herausgegeben haben.124 Was haben wir aus den Textbeobachtungen zu dieser Frage gelernt? Das Ergebnis führt auf meine Ausgangsfrage zurück: Aus welchem Stoff ist die „Geschichte des Urchristentums“? Wir haben im Galaterbrief einen Text von der Länge eines Satzes, der die entscheidende Episode in der religiösen Biographie des Paulus berichtet. Vor dem Text liegt, soweit wir vermuten können, ein biographisches Schlüsselerlebnis des Paulus. Der Text selbst ist bereits das Ergebnis langer Stilisierung – die Begebenheit liegt weit zurück. Außerdem ist der Satz aus einer subjektiven Position heraus formuliert und muss sich damit von vornherein bereits historischer Kritik stellen. Die lukanischen Texte, die aus der Begebenheit ein historisches Ereignis machen und Dazu Ch. Burchard, Zeuge, 13–23. A. J. M. Wedderburn, History, 84. 122 B. Kollmann, „Berufung“, 80, betont die biographische Bedeutung des „Damaskuserlebnisses“, ohne allerdings die Linie zur Geschichte des Urchristentums auszuziehen: Das biographische Erlebnis wird nicht zum historischen Ereignis. 123 D.-A. Koch, Geschichte, 207–211. 124 BThSt 86; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2007, 67–96. 120 121
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diesem einen prominenten Platz in der großen Erzählung von den Zeugen des Evangeliums anweisen, sind später entstanden und verwenden spärliche und bereits überformte Traditionen. Der Schriftsteller Lukas gibt dem Erlebnis die literarische Gestalt des erzählten Ereignisses: Er schafft das Ereignis und die literarische Erzählung des Ereignisses und variiert sie mehrmals ganz nach den Erfordernissen seiner Diegese. Mit diesen Geschichtserzählungen hat Lukas Paulus in die „Geschichte des Urchristentums“ geholt und seine Beauftragung zum zweiten Initialereignis nach der Beauftragung der Jünger Jesu in den sogenannten Berufungserzählungen gemacht. Aus diesem Stoff ist die Geschichte des frühesten Christentums, mit der die neutestamentliche Wissenschaft es exegetisch und theoretisch zu tun hat. Historiker wie Hans Lietzmann, die selbst die Anfangsgeschichte des Christentums als Narrativ gestalten, haben sich Lukas angeschlossen und das Damaskuserlebnis zum historischen Ereignis gemacht. Primär quellenkritisch eingestellte Darstellungen sind dem Damaskuserlebnis gegenüber zurückhaltend geblieben und finden die „Geschichte des Urchristentums“ eher in der Diskussion einzelner Stadien der Entwicklung der Gemeinden als in der Nacherzählung historischer Ereignisse und dem Verständnis der Mission des Paulus als historischer Größe. So auch Euseb: Der Historiker Euseb, der keine durchgehende Geschichtserzählung, sondern eher eine Reihung von Traditionen aus der Geschichte der christlichen Kirche vorträgt125, erwähnt das Damaskuserlebnis nicht. Es hängt von den Historikern ab, ob sie in ihren primären Quellen, den neutestamentlichen Texten, historische Ereignisse finden und diese zu einer Geschichtserzählung verarbeiten oder nicht.
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125 H.e. I,1 nennt Euseb seine Themen: „die Nachfolger der heiligen Apostel … die Zeiten (seit Christus)… die ἱστορίαι der Kirchengeschichte“. Zu Euseb vgl. H. Ch. Brennecke, „Kirche“, 81–93; J. Ulrich, „Eusebius“, 277–287 (vgl. Lit. Anm. 1).
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21. Wie kommt Abraham in den Galaterbrief? Überlegungen zu Gal 3,6–29 1. Die Fragestellung Paulus beschäftigt sich in seinen Briefen zweimal ausführlich mit der Gestalt Abrahams: (1) im dritten Kapitel des Galaterbriefes und (2) im vierten Kapitel des Römerbriefes1. Die Kapitel erhalten dadurch besonderes Gewicht, dass von Paulus keine entsprechenden Texte über andere große Gestalten des Alten Israel überliefert sind. Auffallend ist, dass Paulus beide Male ganz unvorbereitet und gleichsam überfallartig Abraham in seine Argumentation hineinbringt, die Argumentation in einem mittellangen, thematisch zentrierten und rhetorisch durchgearbeiteten Text durchführt und diesen Text deutlich abschließt. Die Beschreibung von Gal 3 und Röm 4 als „Abrahamtexten“ trifft allerdings in dieser Vollständigkeit nur auf das 4. Kapitel des Römerbriefs zu.2 In Röm 4,1 setzt Paulus mit einem neuen Gedankengang ein. Nach Robert Jewetts Analyse handelt es sich um den Beginn des 5. Teils der ersten probatio. Jewett weist auf den grammatisch schwierigen Anfang mit der harten und unvollständigen Fügung: τί οὖν εὑρηκέναι Ἀβραάμ3 hin. Es folgt dann ein dichter Text über Abra1 In Röm 4 wird Abraham siebenmal genannt, dazu Sara, in Gal 3 begegnet Abraham achtmal. – Wir haben keine analogen Mosetexte von Paulus. Allenfalls der Text 2 Kor 3,12–18 ließe sich als Mosetext verstehen – allerdings als „Anti-Mose-Text“! Vgl. dazu M. E. Thrall, Commentary. – Literatur zu Abraham: K. Berger, „Abraham II. Im Frühjudentum“, 372– 382; ders., „Abraham“, 47–89; M. Böhm, „Abraham“, 377–395; N. L. Calvert, „Use“, 463– 476; H.-J. Eckstein, Verheißung; B. Ego, „Abraham“, 25–40; B. Ego/A. Lange, „‚Gerechtigkeit‘“, 171–192; L. H. Feldman, „Abraham“, 143–156; ders., „Abraham the General“, 43–49; St. Fowl, „Story“, 77–95; J. Frey, „Galaterbrief“, 369–396; B. C. Gregory, „Abraham“, 66–81; F. Hahn, „Gestalt“, 160–171; G. W. Hansen, Abraham; D.-A. Koch, „Abraham“, 71–89; M. Konradt, „‚Die aus Glauben‘“, 25–49; S. Kreuzer, „‚Der den Gottlosen rechtfertigt‘“, 208–219; B. W. Longenecker, Triumph; G. Mayer, „Aspekte“, 118–127; M. Müller, „Abraham-Gestalt“, 238–257; M. Neubrand, Abraham; G. W. E. Nickelsburg, „Abraham“, 151–175; M. Oeming, „Glaube“, 16–33; J. Roloff, „Abraham“, 231–254; S. Sandmel, Place; G. Sauer, „Abrahamgestalt“, 387–412; B. Schliesser, Faith; J. S. Siker, „Abraham“, 188–208; ders., Disinhereting; G. Vermès, Scripture, 67–126; F. E. Wieser, Abrahamvorstellungen; O. Wischmeyer, „Abraham“, 567–586. 2 Vgl. dazu B. Schliesser, Faith. 3 R. Jewett, Romans, 307.
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III. Texte
ham, den Jewett im Anschluss an Stanley K. Stowers, Thomas Schmeller und Dieter-Alex Koch4 als Verbindung von Diatribe und midraschartiger Exegese beschreibt.5 Dieser „Abrahamtext“6 wird mit einem „compact and persuasive parallelism“ abgeschlossen.7 Der formale Vergleich mit dem früheren Abrahamtext, dem 3. Kapitel des Galaterbriefes, führt für diesen zu einem etwas anderen Ergebnis. Gal 3,6–29 beginnt mit der Vergleichspartikel καθώς, die sich hier entweder auf das wörtliche Zitat aus LXX Gen 15,6 bezieht oder aber Abraham als Beispiel einführt.8 3,6 ist nach Hans Dieter Betz’ magistraler Analyse aber nicht der Beginn der probatio, sondern umfasst den zweiten (V. 6–14) und dritten (V. 15–18) Beweisgang sowie den ersten Teil des vierten (V. 26–29) Beweisganges innerhalb der probatio, die von 3,1 bis 4,31 reicht.9 Dieser „Abrahamtext“ schließt einerseits deutlich mit der Kombination zweier Schlussfolgerungen innerhalb des vierten Arguments der probatio, beendet aber andererseits weder dies Argument selbst noch die probatio, die erst in 4,31 ihr Ziel erreicht. Außerdem nimmt Paulus in 4,22 plötzlich noch einmal – in einem neuen exegetischen Zusammenhang – das Thema „Abraham“ kurz auf, so dass auch eine Ausdehnung des „Abrahamtextes“ auf 3,6–4,31 möglich wäre.10 In diesem Fall läge ein in formaler Hinsicht ebenso geschlossener Abrahamtext wie in Röm 4 vor, allerdings tritt Abraham in Gal 4 so stark zurück, dass man doch nicht eigentlich von einem Abrahamtext sprechen möchte. Konzentriert man sich auf Gal 3, so erfüllt dieser Text also nicht in derselben Weise wie Röm 4 die Kriterien für einen eigenständigen thematisch konzentrierten „Abrahamtext“, da die Passage nicht mit einem Teiltext der Gesamtdisposition deckungsgleich ist. Die Unterschiede zu dem kompakten, thematisch kohärenten und genau in die rhetorische Disposition eingepassten Abrahamtext in Röm 4 sind deutlich, ebenso aber auch die Parallelen. Als Fazit ergibt sich: Auch Gal 3,6–29 lässt sich als ein durchstrukturierter Abrahamtext verstehen, der als eigener theologischer Baustein im Zusammenhang einer größeren Argumentation fungiert. St. K. Stowers, Diatribe; Th. Schmeller, Paulus; D.-A. Koch, Schrift. R. Jewett, Romans, 305. 6 Grundsätzlich wichtig ist der Hinweis darauf, dass Paulus keine längeren Texte über Gestalten des Alten Testaments verfasst hat. Vgl. dagegen Philons Biographien über Abraham, Joseph und Mose. Dazu M. R. Niehoff, Figure, bes. 54–60. 7 R. Jewett, Romans, 342. 8 Nach H. D. Betz, Galaterbrief, 256 Anm. 9 (Lit.) typische Einleitungsformel. Anders B. W. Longenecker, Galatians, 112: „A number of translators … have begun to treat καθώς here as an exemplum reference more than a quotation formula“. Eine Entscheidung fällt nicht leicht. Wichtig ist hier der Umstand, dass beide „Abrahamtexte“ syntaktisch schwierige Anfänge haben. Weiteres s. u. 9 H. D. Betz, Galaterbrief, 61–66. Hinzu kommt der „Exkurs über die (jüdische) Tora“ in 3,19–25: a. a. O., 289. Vierter Beweisgang: 3,26–4, 11 (4,8–11: interrogatio); fünfter Beweisgang 4,12–20; sechster Beweisgang 4,21–31. 10 Auf jeden Fall ist Kapitel 4 aus der Sicht des Paulus argumentativ mit Abraham verbunden. 4 5
21. Wie kommt Abraham in den Galaterbrief?
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Trotzdem bleibt ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden Texten bestehen, der unsere Aufmerksamkeit verdient. Im Römerbrief argumentiert Paulus mit der Gestalt und dem Ethos Abrahams selbst, im Galaterbrief lediglich mit verschiedenen Schriftzitaten, die sich auf Abraham beziehen. Hieraus ergibt sich meine Frage zu dem Text Gal 3: Welch spezifisches Interesse hat Paulus im Galaterbrief an Abraham? Welches Gewicht haben dementsprechend seine Ausführungen zu Abraham? Anders formuliert: Handelt es sich wirklich um einen „Abrahamtext“ im engeren Sinn, oder ist Abraham eher eine argumentative Hilfsfigur? Falls Letzteres zutrifft: Wofür wird er argumentativ benutzt?
2. Das Argument und die Argumentation Wir finden im Galaterbrief ein Argumentationsgefüge vor, das darzustellen immer wieder eine exegetische Herausforderung bedeutet. Besonders dicht und komplex ist das Argumentationsgefüge in Kapitel 3. Der Galaterkommentar von Hans Dieter Betz hat für die Darstellung der argumentativen Zusammenhänge eine verlässliche Grundlage gelegt, auf der jede weitere Analyse aufbauen kann.11 Zugleich hat Hans Dieter Betz unser Verständnis für die rhetorische Art der Darstellung gerade in diesen Kapiteln vertieft, indem er darauf hingewiesen hat, dass die probatio den wichtigsten Teil einer Rede bildet12, dabei aber weniger durch strenge Logik als durch eine aufgelockerte und abwechslungsreiche Präsentation überzeugt. Ich unterscheide hier daher zwischen der Sachlogik einerseits, die im Argument, d. h. in den Propositionalgehalten der Ausführung und ihrer inneren logischen Zuordnung unabhängig vom argumentativen Fortgang des Textes, liegt, und der Textlogik andererseits, die sich in der Argumentation, Zur allg. Einschätzung der Argumentation vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 236–239. Ich schließe mich der Analyse von Betz an, die im Gal einen apologetischen Brief sieht (A. a. O., 54–57). Vgl. auch ders., „Defense“, 99–114. Wichtige Korrekturen bzw. Verbesserungen in Bezug auf die These von Betz bei D. Kremendahl, Botschaft, 149: (1.) „die apologetische Gattungsbestimmung erstreckt sich nur auf den ursprünglich konzipierten Brief (1,1–5,6)“ und (2.) „Die forensische Engführung der Gattung ‚Apologie‘ ist aufzugeben“. Kremendahls erste Korrektur kann hier nicht thematisiert werden. Seiner zweiten Korrektur stimme ich grundsätzlich zu. Seine Beobachtung, Gal sei „geradezu eine Inszenierung des biographischen Ichs“ (ebd.) weist darauf hin, dass Paulus hier wie in Röm 1–3 die Apologie literarisiert und ihres forensischen „Sitzes im Leben“ entkleidet, vgl. O. Wischmeyer, „Röm 2,1–24“, 356– 376. Allerdings muss man vorsichtig mit der Behauptung der Selbstthematisierung umgehen (D. Kremendahl, Botschaft, 268 ff.), vgl. dazu O. Wischmeyer, „Paulus“, 88–105. Richtig ist Kremendahls Betonung der christologischen Basis der sog. Selbstthematisierung des Paulus (Botschaft, 272 ff.). – Die im Einzelnen anregende Studie von V. Jegher-Bucher, Galaterbrief, legt den Akzent zu sehr auf die Redeelemente und wertet die Zugehörigkeit zur Briefgattung, zu der ihre Untersuchung Wesentliches beiträgt, zu gering. Ihre Zuordnung des Briefs zur symbouleutischen Gattung (72 ff.) vermag angesichts der deutlichen apologetischen Momente nicht zu überzeugen, zumal sie selbst auf das Phänomen der Mischung der genera hinweist (76 ff.). 11
12
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III. Texte
d. h. der aktuellen rhetorischen Textfassung für die Adressaten, entfaltet. Ich skizziere zunächst das Argument und dann in einem zweiten Schritt die textliche Argumentation.13 2.1 Die Sachlogik oder das theologische Argument Die Elemente des Arguments finden sich alle in Gal 3,1–14. Basis des Arguments sind zunächst zwei Grundüberzeugungen oder theologische Axiome14 des Paulus. Eine erste Überzeugung wird im Text selbst an einem Schriftzitat erläutert, während die andere unausgesprochen bleibt.15 Es geht um die doppelte Gewissheit des Paulus, das Gesetz verfluche erstens alle Übertreter (Dtn 27,26) und zweitens erfülle niemand das Gesetz.16 Aus diesen Axiomen zieht Paulus einen Schluss: Weil diese beiden Prämissen gelten – die erste ist ja selbst Bestandteil des Gesetzes –, sind alle Menschen unter dem Fluch des Gesetzes und müssen sterben. Paulus denkt hier die Gesetzeslehre anthropologisch weiter,17 nachdem er schon früher im Brief bei der Kommentierung des antiochenischen Zwischenfalls auf der Basis des jüdischen Selbstverständnisses die allgemein-anthropologische Perspektive eröffnet hat: εἰδότες δὲ ὅτι οὐ δικαιοῦται ἄνθρωπος ἐξ ἔργων νόμου ἐὰν μὴ διὰ πίστεως Ἰησοῦ Χριστοῦ (2,1618). Das Gesetz ist nicht nur das ethisch-juridische Normenwerk, sondern die selbst geradezu lebendige19 Todesmacht. So kann nach 3,21 das Gesetz nicht lebendig machen. Das gilt gerade dann, wenn die Menschen das Gesetz erfüllen wollen, um zu leben, d. h. es 13 Zur Argumentation vgl. A. Behrens u. a., „Argumentation“, 42–47. Ich verwende hier die Begriffe Argument und Argumentation leicht abweichend von Betz. Bei Betz ist das Argument jeweils ein kurzer geschlossener Beweisgang innerhalb der probatio. Ich verstehe unter Argument das kohärente Ensemble der Sätze des sachlichen Beweisganges im Unterschied zu der Argumentation, die das Argument im Zusammenhang der rhetorischen Strategie entwickelt. 14 Diese Axiome dürfen nicht mit den traditionellen urchristlichen Lehrsätzen verwechselt werden, die Betz im Galaterbrief findet (H. D. Betz, Galaterbrief, 72 ff.). Nur die Kategorie C bei Betz trifft sich mit dem, was ich als Axiome bezeichne (A. a. O., 74–76). 15 Die Ausführung dieser Überzeugung finden wir im Römerbrief. Was das für die Frage nach einer Entwicklung des paulinischen Denkens bedeutet, muss diskutiert werden. 16 Das wird hier nicht explizit gesagt, ist aber stumme Voraussetzung der Argumentation in Gal 3,10–14. Könnten „die aus den Werken des Gesetzes“ – wie vom Gesetz selbst gefordert – das Gesetz erfüllen, wären sie nicht unter dem Fluch, der (nur) all jenen gilt, die das Gesetz nicht erfüllen. Ausgeführt wird die Überzeugung, dass „die aus Werken des Gesetzes“ das Gesetz nicht erfüllen, im Römerbrief: 2,17–3,20. Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Röm 2,1–24“, 356–376. – Dass die ἔθνοι Sünder sind, muss Paulus nicht eigens wiederholen, da er diesen Tatbestand bereits in 2,15 vorausgesetzt und angesprochen hat. Vgl. dazu H. D. Betz, Galaterbrief, 212–217 mit dem Verweis auf 2 Makk 6,12–17 u. a. 17 Vgl. Bultmanns Darstellung des Gesetzes als anthropologischer Macht. U. Schnelle, Theologie, 258–294 anders. 18 2,16–21 ist ein christologisch-anthropologischer Grundtext, vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 212–235. Betz versteht 2,15–21 als propositio. 19 Vgl. die metaphorische Personifikation in 3,24 f.
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gilt in einer spezifischen Weise, die man tragisch nennen kann, für die Juden20, denen das Gesetz zum Leben gegeben ist. Der griechische Begriff der Tragik ist hier durchaus am Platz. Er macht die Verstrickung deutlich, der sich Israel nicht entziehen kann: Das Gesetz ist Israel „zum Leben“ gegeben – und bewirkt den Tod gerade dann, wenn „der Eifer“ um die Erfüllung des Gesetzes besonders groß ist.21 Die Grundüberzeugung, vor der die Ausführungen von Gal 3 und 4 erst sinnvoll und bedeutend werden, ist also die aus dem „Gesetz“ gewonnene tragische Anthropologie, die ihre Tragik in besonderer Weise für die Juden entfaltet.22 Dieser Fluch mit der aus ihm resultierenden Todesgeschichte der Menschheit ist nun nach der Überzeugung des Paulus in evidenter Weise aufgehoben, und das will er den Galatern deutlich machen. Wie? Durch Erfahrung23 und durch Schriftauslegung. Er setzt in Vers 2 mit dem Rekurs auf die Erfahrung des Geistes in den Gemeinden ein. Rhetorische Wirkung erzielt er, indem er die Erfahrung mittels einer rhetorischen Frage aufruft: „Habt ihr aus Werken des Gesetzes den Geist empfangen oder aus der Predigt vom Glauben?“ In V. 5 wiederholt, vertieft und verstärkt Paulus dies Argument durch eine weitere rhetorische Frage. Dabei wird deutlich, dass die galatischen Gemeinden enthusiastische Erfahrungen machen.24 Dieser Gedankengang setzt eine dritte Grundannahme (Axiom25) voraus: die Erfahrung des Geistes in den heidenchristlichen26 Gemeinden. Die Anwendung dieser Erfahrung im Ganzen des Arguments macht deutlich, dass sich Paulus in diesem Text gleichzeitig noch auf ein viertes Axiom stützt, das sich mit 2 Kor 3,6 darstellen lässt: τὸ δὲ πνεῦμα ζῳοποιεῖ27. Die Geisterfahrung hat für Paulus theologische Implikationen: Sie ist weder nur Mirakel oder Zeichen der Endzeit, sondern der Modus der neuen Existenz in Christus. In dem Motiv des Lebens aus Hab 2,4 und Lev 18,5 (Gal 3,11 und 12) klingt dies Axiom an.
20 Zum Begriff der Tragik im Zusammenhang mit der paulinischen Anthropologie vgl. O. Wischmeyer, „Röm 2,1–24“, 373–376. Ich distanziere mich dort von dem Begriff „tragische Anthropologie“, wie ihn E. W. Stegemann gebraucht: E. W. Stegemann, „Apostel“, 45. In Bezug auf das Schicksal Israels zwischen Gesetz und Tod trifft dieser Begriff aber doch zu! 21 Vgl. aber die andere Darstellung in Phil 3,1–11. 22 Auch dies wird hier nicht ausgesprochen, sondern vorausgesetzt. Von der Logik der Argumentation her hat Paulus es in Gal nicht mit dem „Judentum“ zu tun, sondern mit den galatischen Gemeinden und den Missionaren, die das „Judaisieren“ in ihre Evangeliumsverkündigung aufnehmen. 23 Vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 242 Anm. 40, der auf Luther verweist (argumentum ex experientia). 24 A. a. O., 243 (Terminologie). 25 Hier ist das Axiom eine Erfahrung, die evident ist und nicht kontrovers diskutiert werden kann, d. h. keine divergierenden Interpretationen gestattet. 26 Dazu J. M. Scott, Paul und Th. Witulski, Adressaten. 27 Vgl. Röm 7,6 und die christologisch-anthropologische Fassung in 1 Kor 15,45.
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III. Texte
Auf die Erfahrung folgt der Rekurs auf die Schriftauslegung. Paulus baut sein Argument so auf, dass er eine spezielle Bestimmung des Gesetzes zum Fluch heranzieht und dabei das Gesetz durch das Gesetz neu auslegt, nämlich Dtn 27,26 durch Dtn 21,23. Er benutzt dabei die Methode der gegenseitigen Auslegung von identischen Begriffen, hier von ἐπικατάρατος. Nach dieser Exegese legt das Deuteronomium mit seinen Straf- und Fluchbestimmungen selbst die Verfluchung des gekreuzigten Jesus als Basis des Segens für die Menschheit aus. Nach Dtn 27,26 impliziert die Kreuzigungsstrafe nämlich zugleich die Verfluchung, d. h. der Delinquent erleidet nicht nur die Strafe, sondern trägt zusätzlich den Fluch28. Paulus kann hier nun einerseits an die „historische Tatsache“ anknüpfen, dass Jesus gekreuzigt worden ist,29 also die Strafe getragen hat, andererseits an das Theologumenon, dass Jesus ohne Sünde war. Dabei handelt es sich um die fünfte Grundannahme (Axiom), die Paulus voraussetzt, ohne sie hier auszusprechen, dass nämlich Jesus das Gesetz eben nicht übertreten hat, so dass wohl die Strafe, nicht aber der Fluch an ihm wirksam werden kann.30 Er kann stattdessen den Fluch, der auf Anderen liegt, abgelten, indem er ihn auf sich selbst leitet, der er doch unschuldig ist und daher gleichsam „Platz“ hat, um einen Fluch zu tragen, der Anderen gilt. Dank seiner soteriologischen Vollmacht hat Jesus (als Unschuldiger31) den Fluch des (ganzen) Gesetzes auf sich gezogen, statt seiner eigenen Verfluchung die Verfluchung aller (anderen) Menschen auf sich genommen und diese damit für die Menschen unwirksam gemacht.32 Paulus findet also hier den Sinn dieser Hinrichtung Jesu in dem Wortlaut von Dtn 27,26 selbst: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt“. Paulus bezieht dies Verdikt nicht im ursprünglichen Sinne des Satzes aus dem Deuteronomium auf alle Verbrecher, die am Kreuz gestorben sind, sondern – gegen den Text – ausschließlich auf Jesus. Wir finden hier die gleiche universale Wendung der Anthropologie wie bei der Interpretation des Gesetzes als der Todesmacht.33 Zum Fluch in Israel vgl. W. Schottroff, „Fluch“, 683–685. Modus der Predigt dargestellt. Es handelt sich aber durchaus um einen Rekurs auf den „historischen Jesus“. 30 Vgl. 2 Kor 5,21. Diese Grundannahme entstammt nicht der „Schrift“, sondern wohl der vorpaulinischen Christologie. 31 „Der von keiner Sünde wusste“, vgl. M. E. Thrall, Commentary, 439–444 und „Excursus VII 5.18–21: Pre-Pauline tradition?“, 445–449. Thrall zieht in Zweifel, dass Paulus hier vorpaulinische (geformte) Tradition zitiert (vgl. ihre Auseinandersetzung mit der Lit. seit Käsemann). Für V. 21a rechnet sie aber mit dem Bezug auf Jesu historisches Leben, das Paulus nicht kannte. Daher muss für diese Aussage so etwas ein traditioneller Topos vorliegen; vgl. Joh 8,46 und Hebr 7,26, der in narrativer Form in der matthäischen Fassung der Taufperikope verarbeitet ist (Mt 3,13–17). U. Luz, Evangelium, 211, hält die V. 14 f. für matthäisch. Dem ist sicher zuzustimmen: Hier gilt das Gleiche wie für 2 Kor 5: Eine traditionelle Vorstellung wird vom jeweiligen Autor literarisch bearbeitet. 32 Hier sind die Annahme der Stellvertretung und der Vorstellung Jesu als des zweiten Adam, d. h. als des neuen Menschen mit im Hintergrund. 33 Vgl. unten das zu Abrahams universaler Bedeutung Gesagte. 28
29 Im
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Gal 3,1–2 stellt das erste Doppelaxiom und das Erfahrungsaxiom so hart, komprimiert, lakonisch und polemisch (Anrede in V. 1) nebeneinander, dass eine gedachte Gegenargumentation von vornherein unmöglich erscheint und keinen Raum erhält. Es ist auffällig, dass zwar der Hinweis auf Jesu Kreuzigung, der das Schriftargument vorbereitet, die Passage einleitet, in der Paulus die Galater direkt anredet (3,1–5), dass aber die Ausgangsbasis der gesamten Folgeargumentation doch die Erfahrung bildet. Ohne diese Erfahrung, die nicht weiter ausgeführt wird,34 wäre offensichtlich die weitere Argumentation nicht stichhaltig. Aber dasselbe gilt auch umgekehrt: Paulus geht von der Erfahrung zu Abraham über, d. h. zu Israel und der „Schrift“ als der Interpretation der Gestalten und der Geschichte Israels. Das heißt: Die Erfahrung muss mit der Schrift abgeglichen werden und sich im Rahmen der Schriftauslegung deuten lassen. Sie stellt die Mitglieder der galatischen christusgläubigen Gemeinden in die Geschichte Gottes mit Israel und den Völkern hinein und gibt ihr dadurch einen sinnvollen Bezugsrahmen. Wenn wir nun zunächst die fünf Axiome sowie die historischen und exegetischen Rekurse in eine sachlogische, d. h. hier in eine theologische Folge bringen, ergibt sich folgendes kohärentes Argument: Von den Menschen gilt erstens, dass sie das Gesetz erfüllen wollen, es aber nicht erfüllen, und zweitens, dass sie damit unter dem Fluch stehen, den das Gesetz für die Übertreter bereithält. Von Christus gilt erstens, dass er den Fluchtod der Kreuzigung erlitten hat, und zweitens, dass er diesen Tod unschuldig erlitten hat, da er sündlos war. Der Fluch, der objektiv (somatisch und rechtlich) mit der Kreuzigung verbunden war, konnte stattdessen gleichsam extern abgearbeitet werden: Da der Fluch Jesus nicht gelten konnte, hatte Jesus das Recht, andere Menschen von dem auf ihnen liegenden Fluch befreien. Er konnte daher drittens die Sünden aller Menschen auf sich nehmen. Daher ist ‚in der Jetztzeit‘, d. h. in der Gegenwart des Paulus und der galatischen Christusgläubigen, der Fluch, der auf den Menschen liegt, unwirksam geworden, so dass jetzt „der Segen Abrahams“ voll wirksam werden kann. Von der Erfahrung der galatischen christusgläubigen Gemeinden gilt, dass sie mit der Gabe des Geistes erfüllt worden sind und dass diese Erfahrung bedeutet, dass sie – im Modus des Vorbehaltes – jetzt bereits des eschatologischen Lebens unter dem Segen teilhaftig sind und nicht mehr unter dem tötenden Fluch stehen, der die Gesetzesübertreter trifft. Daraus lässt sich schließen, dass sich die Situation der Galater vor Gott jetzt bereits grundlegend und endgültig gewandelt hat: von der Situation des Fluches und des Todesschicksals hin zum Leben und zum Segen. Dies und eben dies will Paulus den Galatern vermitteln: Aufklärung über ihre gegenwärtige eigene 34 Sollen wir sie mit Hilfe von 1 Kor 12–14 konkretisieren? Vgl. H. D. Betz zur Stelle (Galaterbrief, 243 f.). Er weist auf 4,6 hin (vgl. Röm 8,15).
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Situation,35 die keine weiteren Stützen – wie die Beschneidung und andere religiöse Riten – braucht. Das Argument arbeitet in der Sache ganz und gar christologisch. Die Situation „der Menschen“ und damit auch der Galater wird im Lichte der Kreuzigung Jesu interpretiert. Die Bedeutung der Tatsache, dass Jesus schuldlos gekreuzigt wurde, ist die Basis des gesamten Arguments. Abraham spielt keine führende Rolle. Er hat keine tragende Funktion, er ist auch nicht umstritten. Wie also kommt Abraham in den Text? 2.2 Die Textlogik oder die Argumentation Diese Frage lässt sich beantworten, wenn nun in einem zweiten Durchgang die Textlogik nachgezeichnet wird. Die textlogische Argumentation verläuft komplizierter als die klaren Linien, die das sachlogische Argument bilden. Wir müssen im Einzelnen – abgesehen von den großen propositionalen Aussagen – zwischen dem aktuellen Thema, dem rhetorisch-argumentativen Umgang mit zentralen theologischen Begriffen und den speziellen pragmatischen Interessen unterscheiden. Wenn wir die argumentative Feinstruktur des Textes nachzeichnen, gewinnen wir einen Einblick in die Vorstellungswelten, die hinter den stets knappen und verdichteten Texten des Paulus stehen und sie steuern. Und in diesem Zusammenhang stoßen wir auch auf Abraham und auf seine Bedeutung in der Argumentation. Gal 3,1–5, der erste Beweisgang der probatio, setzt mit einer emotionalen und aggressiven Anrede an die Adressaten ein.36 Das heißt textpragmatisch: Hier geht es um die Adressaten. Die Anrede gehört zu der rhetorischen Ausgangsfrage, die in ein suggestives Bild37 – die Verzauberung durch Rhetorik – gefasst ist, so dass die Aufmerksamkeit der Adressaten sehr direkt auf Christus gelenkt wird. Das Verhältnis von Galatern und Jesus Christus wird dadurch zum thematischen Fokus der folgenden Ausführungen. Auf die Eingangsfrage folgt eine Kette weiterer fünf rhetorischer Anschlussfragen in vorwurfsvollem Ton, die sich alle auf das Verhältnis der Galater zu Christus beziehen. Der diatribische Stil des Beginns der probatio ist deutlich. Auffallend ist die wörtliche Wiederholung der zweiten Frage in der vierten: „Habt ihr den Geist empfangen ἐξ ἔργων νόμου ἤ ἐξ ἀκοῆς πίστεως;“ Dadurch wird die Bedeutung der Antithese: hier „Werke des Gesetzes“, dort „Predigt des Glaubens“38, erhöht. Die Fragen machen Eines S.u. zu 3,1. Richtig weist H. D. Betz, Galaterbrief, 240 f. darauf hin, dass hier ein geläufiger Stilzug der Diatribe vorliegt. Hier sollen gleichzeitig Aufmerksamkeit und Emotion geweckt werden. 37 Zu den exegetischen Einzelfragen vgl. stets A. a. O., hier 240 f. 38 A. a. O., 236 Anm. 2 weist richtig darauf hin, dass die Übersetzung von ἀκοή mit „Predigt“ 35 36
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deutlich: Es geht Paulus thematisch nicht um die Geisterfahrung selbst (wie im 1. Korintherbrief), sondern um den Grund der Geisterfahrung, das „Woher“ (ἐξ). Der starke Beginn der Argumentation mit der Erfahrung führt nur auf das eigentliche Thema hin, das zweimal in einer markanten Antithese formuliert wird.39 Das Thema ist also nicht mit dem Propositionalgehalt der Argumentation identisch, sondern ergibt sich lediglich aus diesem und lautet: „Wie bzw. wodurch sind die Galater in den Zustand des Heils oder Lebens40 gekommen?“ Die Frage ist – sit venia verbo – geradezu technischer Art. Paulus fragt hier noch nicht christologisch-soteriologisch, sondern erfahrungsgeschichtlich, bezogen auf seine eigene Predigt, die die Galater in den Zustand gebracht hat, in dem sie sich jetzt befinden. Allerdings macht der Duktus der Argumentation deutlich, dass das Syntagma ἀκοὴ πίστεως als erfahrungsbezogener Begriff Bestandteil der propositionalen Ebene ist. Auf der argumentativen Ebene dient der Begriff aber zugleich als sprachliche Chiffre für Grundzüge der Glaubens-Theologie des Paulus, die mit dem Syntagma auf der Erfahrungsebene verständlich und kontrollierbar gemacht werden. Analoges dürfen wir nun für das Syntagma ἔργα νόμου annehmen. Auch hier sind theologische Größe (Gesetz) und aktuell erfahrbare Beziehung zu den Adressaten (Werke, d. h. bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen als Ausdruck des Umgangs mit dem Gesetz41) zusammengebunden. Den erfahrungsbezogenen Syntagmata ἀκοὴ πίστεως und ἔργα νόμου unterliegt das erste antithetische theologische Begriffspaar: Gesetz versus Glaube. Dieser Antithese ist ein zweites theologisches Begriffspaar zugeordnet: Fleisch versus Geist. Diese beiden antithetischen Begriffspaare ordnet Paulus einander in der Weise zu, dass die theologisch grundierten Erfahrungsgrößen „Glaubenspredigt“ und „Gesetzeswerke“ als Aktualisierungen der großen theologischen Doppel-Antithese von Gesetz/Fleisch versus Glaube/Geist erscheinen, die das Schreiben des Paulus an die Galater theologisch dominiert, die vor allem aber die theologische Begrifflichkeit von Kapitel 3 bildet.42 Weiter gilt seit Gal 3,2: Gal 3 und Röm 4 sind die „Glaubenstexte“ bei Paulus, aber nur Gal 3 ist einer der großen „Gesetzestexte“ bei Paulus.43 Das Syntagma ἔργα νόμου begegnet dementsprechend nicht thematisch in Röm 4, wohl aber die Bedeutung verschiebt. Für Gal 3 fehlt die personale Komponente des Hörens (statt des Tuns der „Werke des Gesetzes“). 39 Wichtig ist der Hinweis von Betz auf die theologische Veränderung des Geist-Arguments von V. 1 in V. 5 (Betz, Galaterbrief, 248). 40 Vgl. dazu den Schluss der Argumentation. 41 Die umfangreiche und äußerst komplexe Debatte um eine adäquate Interpretation des Syntagmas „Werke des Gesetzes“ kann hier nicht geführt werden. Vgl. zuletzt einführend: M. Bachmann, „Schwierigkeiten“, 49–59. Bachmann führt umfassend in den gegenwärtigen Stand der Debatte ein (Lit.!). 42 Glaube: elfmal in Kap. 3 (fünfmal im übrigen Brief); Gesetz: 15mal in Kap. 3 (33mal im Brief). Zum Vergleich: Gesetz in Röm 4: fünfmal, Glaube in Röm 4: zehnmal. 43 Die thematischen Gesetzestexte finden sich in Röm 2 und Röm 7.
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in Gal 3.44 Die spezielle Antithese: Werke (des Gesetzes) versus Glaube (an die Predigt) findet sich neben Röm 4 und Gal 3 auch in Röm 3 thematisiert45, die allgemeinere Antithese von Glaube und Gesetz in Gal 3, aber auch in Röm 4.46 In Gal 3,1–5 hat Paulus indirekt durch die rhetorischen Fragen bereits alles angedeutet, was er auf der thematischen und theologischen Ebene in der propositio sagen will. Die folgenden Beweisgänge dienen – wie schon dargestellt – dem Ausbau der Argumentation sowie der Verdeutlichung und Bekräftigung von 3,1–5. Das beginnt mit dem zweiten Beweisgang 3,6–14, der auf die γραφή rekurriert.47 Und hier kommt unvermittelt Abraham ins Spiel. Das καθώς lässt sich, wie oben bereits angesprochen, als Kurzformel von „wie geschrieben steht“ und damit als Zitateinleitung verstehen48 oder aber als Einführung eines Vergleichs. Letzteres entspricht eher dem Text.49 Das Stichwort, das hier Abraham evoziert, ist πίστις.50 Durch den Rekurs auf die πίστις kommt also Abraham in den Galaterbrief, und wir können schon hier festhalten, dass Paulus davon ausgeht, dass dieser Rekurs selbstverständlich und plausibel und für die Adressaten ebenso bekannt wie bedeutsam ist. Darauf komme ich zurück. Paulus bringt Abraham und seine πίστις ins Spiel, indem er Gen 15,6 zitiert. Betz fasst die Bedeutung des Rekurses auf Abraham folgendermaßen zusammen: Mit diesem Zitat beansprucht Paulus als Beweis nicht nur die Schrift, sondern auch die Figur des Abraham, der nach jüdischer Tradition das größte Beispiel jüdischen ‚Glaubens‘ war. Paulus interpretiert den Begriff ‚Glauben‘ jedoch nicht im jüdischen Sinn, sondern im Sinn seiner eigenen Theologie. Seiner Ansicht nach zeigt das Beispiel von Abraham nicht, was Glaube und Vertrauen im jüdischen Sinn heißen, sondern was Glaube im paulinischen Sinn bedeutet.51
Damit bewegt sich Betz auf der Ebene der theologischen Begriffe. Die Alternative „jüdische versus paulinische Interpretation“ als solche ist allerdings noch nicht hinreichend aussagekräftig.52 Im Sinne der Argumentation müssen wir hier genauer werden. Die Argumentation bewegt sich sogleich zielstrebig auf das schon genannte Thema des Textes hin: „Wie bzw. wodurch sind die Galater in den Zustand des Heils oder Lebens gekommen?“ V. 7 macht dies deutlich: Es geht nicht ei44 Vgl. Röm 4,2 (ohne „Werke“), so auch 9,12.32 und 11,6. Das Syntagma begegnet in Röm 3,20.27.28. Gal 3,2.5 und 10. Weiter Gal 2,16 (dreimal). 45 Röm 3,20.28.29. 46 Gal 3,2.12.23.24. Röm 4,13.14.16. 47 Gal 3,8.10.13.22. 48 So G und Ambrosiaster vgclem, vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 256. 49 Vgl. auch die schwierige Einleitung des Abrahamtextes in Röm 4,1. Beide Male scheint Paulus nicht zitieren, sondern ein Beispiel einführen zu wollen. 50 Ebenso Röm 3,28–31 und 4,1. 51 H. D. Betz, Galaterbrief, 256. 52 Dass sie nicht den gegenwärtigen Stand der Paulusforschung wiedergibt, versteht sich von selbst.
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gentlich um Abraham, sondern um seine Kinder, und das heißt im Zusammenhang der Argumentation des Galaterbriefes um die Galater. Das γινώσκετε macht die Art des Adressatenbezuges besonders deutlich: Paulus will, dass die Galater ihre Situation erkennen. Es geht um Aufklärung, um die noetische Dimension des In-Christus-Seins. Im Folgenden vertieft Paulus die noetische Dimension in die sog. Heilsgeschichte, besser: die Geschichte Gottes mit der Menschheit hinein. Er entwirft mit wenigen Strichen eine theologische Anthropologie der Rettung, die der oben dargestellten tragischen Anthropologie antithetisch korrespondiert, indem sie diese außer Kraft setzt. Schon in Abrahams Glauben war nämlich „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“, vorhanden. Schon seit Abraham konnte also der tragische Fluch, der über den Anstrengungen der Menschen, Gerechtigkeit und Leben zu erlangen, liegt, überwunden werden. Schon in Abraham war „Leben“ 3,11 (nach Habakuk 2,4). Dass dies im Modus der Vorwegnahme, d. h. von der Seite Gottes und ausschließlich auf Abraham bezogen, geschah, stellt Paulus in dem Futurum des Schriftzitats aus Genesis 12,3 dar. Wichtiger ist die prophetische Personifikation der „Schrift“: προιδοῦσα δὲ ἡ γραφή und προευηγγελίσατο τῷ Ἀβραάμ. Abraham ist hier also nicht als er selbst in seiner Gegenwart, sondern in seiner Funktion als „Vater“, d. h. auf die Zukunft hin, im Spiel. Thematisch geht es um seine Nachkommen. Die Frage lautet: „Wer sind Abrahams legitime Nachkommen?“53 Die Bedeutung in der aktuellen Auseinandersetzung mit den Galatern ist offensichtlich. Wenn Paulus nachweisen kann, dass die Mitglieder der galatischen christusgläubigen Gemeinden – τὰ ἔθνη nach V. 8 – bereits „Kinder und Erben Abrahams und seines Segens“ sind, liegt es auf der Hand, dass sie keine Beschneidung brauchen. Die Frage, die Paulus verhandelt, ist Bestandteil des frühjüdischen Diskurses über „Abrahams Kinder“54. Die Kriterien, nach denen diese Frage nach den Kindern Abrahams beantwortet wird, sind die anthropologischen Konditionen, die Abraham selbst die Gerechtigkeit und das Leben gegeben haben und an denen das Erbe seiner Verheißung hängt. Die Antwort lautet: Einziges Kriterium ist der Glaube. Die Verse 7 bis 9 machen diesen Sachverhalt auf der Basis von Gen 15,6 und Gen 12,3 deutlich. Der Status Abrahams als eines durch seinen Glauben Gerechten von Gen 15,6 wird in V. 7 auf Abrahams Kinder übertragen. V. 8 nimmt Gen 12,3 zu Hilfe und stellt dadurch klar, dass der Segen Abrahams den ἔθνη gilt. V. 9 schließt daraus: Wenn Abraham durch seinen Glauben gerechtfertigt und gesegnet wurde und dieser Segen für die ἔθνη gilt, dann werden auch die (gegenwärtigen) ἔθνη durch den Glauben gerechtfertigt und des Abrahamsegens teilhaftig. Entscheidend ist das Urteil des 53 Dies erklärt die späte Wiederaufnahme des Themas „Abraham“ in Kapitel 4, das von der Kindschaft bzw. Sohnschaft handelt. 54 Vgl. O. Wischmeyer, „Abraham“, 567–586. Methodisch wichtig die Reflexion bei M. Konradt, „‚Die aus Glauben‘“, 38, Anm. 82.
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Paulus darüber, wer denn die Menschen seien, die wie Abraham „Gott glauben“ und daher seines Segens teilhaftig werden. An diesem Punkt bringt Paulus massiv „die Schrift“ ins Spiel, und zwar nicht einfach mit zwei Schriftzitaten, sondern mit Hilfe einer Personifizierung des Gesetzes im Sinne der πρόνοια als der Gehilfin Gottes (V. 8).55 Auch in V. 8 betreibt Paulus selbständige Schriftinterpretation anhand von Gen 12,3 und 18,18 vom Standpunkt des Evangeliums von Jesus Christus aus. Inhalt der „Schrift“ ist die Gewissheit, dass Abraham der Vater der ἔθνη, zu denen zur Zeit des Paulus sog. Heiden und Sympathisantenkreise gehörten, sei. Die Septuagintawendung ἐν σοί ist analog zu ἐν Χριστῷ in V. 14 verstanden und deutet auf die anthropologische Dimension Abrahams, auf die ich zurückkomme. Die Berufung auf Abraham als Vater des Glaubens und damit des Lebens und des Segens macht die Auseinandersetzung mit dem Gesetz, das ja de facto die Menschheit bis zu Jesus Christus hin bestimmt hat, unausweichlich. Damit ist die Frage von 3,19: Τί οὖν ὁ νόμος; bereits hier angelegt. Aber bevor Paulus sich mit der Frage beschäftigt, verfolgt er das Thema des Segens weiter. Im Sinne seines stets antithetischen Denkens in binären Oppositionen stellt sich für Paulus anhand des Segens Abrahams die Frage: Wer erbt den Fluch? Außerdem entnimmt Paulus dem Schriftzitat vom Glauben Abrahams die zweite Opposition: Glaube gegen Werke des Gesetzes. Hatte Paulus die Erben des Segens aus der Schrift bestimmt, so findet er auch die Bestimmung der Gruppe, der der Fluch gilt, in der Schrift: in Dtn 27,26. Die Verse 10–14 gelten der christologischen Vertiefung dieses Themas. Die Argumentation dieser Verse, die mit der unerwarteten und eigenwilligen Kombination verschiedener Schriftzitate aus Deuteronomium arbeitet, wurde bereits im Rahmen des „Arguments“ angesprochen. Hier reicht es daher, einen genaueren Blick auf die spezifische Art des Umgangs mit dem Text der Schrift zu werfen. Als Zitate ausgewiesen und daher mit besonderer argumentativer und autoritativer Kraft versehen sind: Dtn 27,26 und Dtn 21,23. Beide Sätze sind Verfluchungsbestimmungen. Sie dienen der Darstellung des Fluches im Gegensatz zum Segen, den Abraham spendet. Die übergreifende Frage lautet: „Wer empfängt unter welchen Bedingungen den Segen Abrahams?“ Die Antwort wird in V. 14 gegeben: Abrahams Segen empfangen die „Heiden“ in Christus. In den Versen 10–14 fragt Paulus zusätzlich: Was ist mit dem Fluch, der auf alle Menschen kommt, die das Gesetz nicht tun (V. 10)56? Die Antwort wird durch die christologische Interpretation von Dtn 21,23 möglich. Die Aufrufung von Hab 2,4 und Lev 18,5 stellt demgegenüber eine Unterstützung der Ausarbeitung des eigenen 55 Vgl. dazu H. D. Betz, Galaterbrief, 259 f. mit Anm. 38. Zum Zitat vgl. besonders J. D. G. Dunn, Epistle, 164 f. 56 Vgl. dazu oben Anm. 16.
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Glaubensarguments dar. Hier legt sich zweimal das „Gesetz“ selbst im Sinne der Glaubensgerechtigkeit aus (δῆλον), ohne dass ein markiertes Zitat nötig wäre. Paulus bezieht Hab 2,4 und Lev 18,5 durch das gemeinsame Stichwort ζήσεται aufeinander. In der Tat handelt es sich um zwei „Lebensformeln“, einmal auf das Heiligkeitsgesetz bezogen, das andere Mal auf die „Treue“ zum Gott Israels. Paulus entnimmt hier wie später in Röm 1,17 dem Habakuktext die anthropologische Möglichkeit, durch πίστις jenes Leben zu erlangen, das Israel mit der Erfüllung des Gesetzes verbindet. Dabei interpretiert Paulus auch den Habakuktext äußerst eigenwillig: nämlich christologisch. Rückwirkend erweist sich auch der Glaube Abrahams als christologisch bezogen, da Paulus schon in Vers 9 nicht zwischen dem Glauben Abrahams und jenem der Galater unterscheidet. In Vers 14 verbindet Paulus dann das Leben aus dem christologisch gerichteten Glauben mit dem Segen Abrahams und macht deutlich, dass es in der Argumentation zwar um allgemeine Christologie, aber in situativer Anwendung geht. Besonders schwerwiegend ist das „Wir“ von λάβωμεν. Auf der Ebene der Argumentation schließt sich Paulus mit den ἔθνη zusammen. Er empfängt auf der Ebene dieser Argumentation wie die ἔθνη Abrahams Segen als „einer aus dem Glauben“ (V. 9). Der Zielpunkt des Beweisganges57 ist mit V. 14 erreicht, die Argumentation kehrt in einer inclusio zu V. 5 zurück. Erfahrung und Schrift stimmen überein. Die nichtbeschnittenen christusgläubigen Mitglieder der galatischen Gemeinden brauchen sich nicht beschneiden zu lassen, da sie Empfänger des Segens Abrahams sind. Die Verse 15–18 fügen eine weitere Bestätigung der genannten These an. Paulus argumentiert hier mit dem Erbrecht, um die Frage: „Wer sind Abrahams Erben“? von der juridischen Seite („nach menschlicher Weise“) aus zu beleuchten. Allerdings basiert die Argumentation dieses dritten Beweisganges der probatio58 nach einer kurzen juristischen Einleitung zur Gültigkeit von Testament (διαθήκη) und Verheißung (ἐπαγγελία)59 wieder auf einer kühnen christologischen Deutung eines Schrifttextes, diesmal aus Gen 13,15: ὅτι πᾶσαν τὴν γῆν, ἣν σὺ ὁρᾷς, σοὶ δώσω αὐτὴν καὶ τῷ σπέρματί σου ἕως τοῦ αἰῶνος. Paulus interpretiert σπέρμα hier im Zusammenhang des Themas von Testament und Verheißung singularisch und personal auf einen Erben, nämlich Christus.60 Dazu H. D. Betz, Galaterbrief, 275 f. Vgl. a. a. O., 278. 59 Vgl. a. a. O., 278–281 zu den rechtlichen Fragen nach der Interpretation von διαθήκη als Testament/Schenkung (weiter B. W. Longenecker, Galatians, 128–130). In unserem Zusammenhang ist vor allem die unumstrittene Schlussfolgerung interessant: Eine Schenkung (mit E. Bammel, „ΔΙΑΘΗΚΗ“, 313–139) gilt über den Tod hinaus. Der Segen über Abraham ist einer solchen Schenkung vergleichbar und behält seine Wirkung über Abrahams Tod hinaus. Damit bleiben auch die Verheißungen (ἐπαγγελίαι) an Abraham gültig. 60 Zur jüdischen Interpretation des Genesissatzes vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 283 f., besonders Anm. 36, die die Möglichkeit einer Bezugnahme auf die Akedah-Tradition zurückweist. Vgl. auch die Darstellung bei B. W. Longenecker, Galatians, 130–132. 57 58
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Damit erhebt sich aber eine grundsätzliche Frage, die die Geschichte Gottes mit Israel und der Menscheit betrifft: Wie verhalten sich die Verheißung, die eine direkte Linie von Abraham zu Christus zieht, zum Gesetz, als νόμος des Mose verstanden, in dem Gott doch ebenfalls seine Geschichte mit der Menschheit fortgeführt hat, nun aber auf Israel zentriert? Zugespitzt könnte man fragen: Kennt Paulus zwei Geschichten Gottes mit den Menschen und mit Israel, eine, die über Abraham läuft, und eine zweite, die über Mose führt? In den Versen 17 und 18 konzentriert sich Paulus zunächst ganz auf das Thema: „Wer ist Erbe der Verheißung des Abraham“? und fertigt das „Gesetz, das Mose gegeben wurde“ als für dies Thema irrelevant ab. Der Beweis ist ein klassischer: Die Verheißung ist älter als das Gesetz.61 Hier wird nun die Bedeutung der juristischen Einleitung in Vers deutlich: Das jüngere Gesetz kann die ältere Verheißung nicht aufheben. Die Erbschaft – der Segen Abrahams – hängt an der Verheißung, sie wird nicht über das (jüngere) Gesetz erworben. Damit hat Paulus den dritten Beweisgang sauber abgeschlossen und seine These: „Wir sind die Erben der Verheißung und des Segens Abrahams“ zu einem Ergebnis geführt, das sich aus der „Schrift“ belegen lässt. Aber Paulus selbst ist mit dieser eher pragmatischen Lösung doch nicht zufrieden, wie der Fortgang des Textes zeigt. Es reicht nicht aus, den galatischen christusgläubigen männlichen Gemeindegliedern zu versichern, der Glaube an Christus mache sie zu Erben der Verheißung Abrahams, solange offen bleibt, was denn die Funktion des Gesetzes des Mose in der Rettungs- und Segensgeschichte Gottes mit der Menschheit und mit Israel sei. In den Versen 19–25 wendet er sich daher dieser theologischen Argumentation vertieft zu.62 Betz versteht diesen Abschnitt als „Exkurs über die (jüdische) Tora“ zwischen drittem (3,6–14) und viertem (3,26–29) Beweisgang. Allerdings führen diese Verse die (heils)geschichtliche Behauptung von V. 17 fort, so dass dieser Text höchstens in formaler Hinsicht als Exkurs zu beschrieben ist. Inhaltlich ist er ein weiterer wichtiger Teil der Argumentation zu der Frage: „Wer sind Abrahams Erben?“ Nur als solcher kann er hier gewürdigt werden.63 Im Zusammenhang der Argumentation muss Paulus zwei Probleme klären: (1) Wie verhält sich das Gesetz zu der Verheißung, die bereits Abraham gegeben ist und die seit Jesus Christus allen Menschen offensteht, und (2) wie verhält sich das Gesetz zum Glauben? Das heißt auf die leitende Themenfrage: „Wer ist Erbe der Verheißung Abrahams“ bezogen: Hat das „Kommen“ des Gesetzes die Konstellationen der Abrahamverheißung und damit die Bedingungen, des Segens Abrahams teilhaftig zu werden, geändert? Paulus antwortet zunächst mit einer Verneinung: Das Kommen des Gesetzes hat nichts an den Verheißungen an Abraham ge61 Mit
Ex 12,40. Zu den Zeitangaben vgl. H. D. Betz, Galaterbrief, 285, Anm. 45. Vgl. a. a. O., 290. 63 Zu den Einzelheiten der Argumentation vgl. a. a. O., 293. 62
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ändert. Nach wie vor kommt das Leben nur aus der conditio Abrahamitica: dem Glauben. Die Funktion des Gesetzes bestimmt Paulus als Regentin – Schulmeister oder Kerkermeister, die Metaphorik wechselt64 – für die Zeit bis zum Kommen Jesu Christi. Seit dem Kommen Jesu Christi steht der Menschheit der Zugang zu den Verheißungen an Abraham und damit das Erbe Abrahams offen, wenn sie glauben. Betz hat darauf hingewiesen, daß der Apostel trotz seiner Erklärungen vieles im Unklaren lässt … Es ist jedoch klar, dass sich zwei mythisch-historische Zeiträume unterscheiden lassen: die Zeit des Gesetzes und die Zeit des Glaubens … Vor dem Kommen Christi gab es Glauben nur ausnahmsweise, bei Abraham, und als Verheißung, in der Schrift. Zu einer allgemeinen Möglichkeit für die Menschheit wurde er erst, als Gott seinen Sohn und den Geist seines Sohnes (4,4–6; 3,2.5) sandte.65
Dem bleibt ein Doppeltes hinzuzufügen. Erstens ist Paulus die Struktur des phasenhaften Handeln Gottes an der Menschheit und speziell an Israel aus der Schrift vorgegeben, und zwar in der Geschichte der Bundesschlüsse. Zweitens ist es nun aber nicht so, als entwürfe Paulus auf dieser Basis ein ausgearbeitetes heilsgeschichtliches Modell, vielmehr ist sein Interesse ein ganz anderes. Im Grunde zieht er die gesamte Bundesgeschichte post Abraham zu einer als langer Augenblick verstandenen Kerkerzeit zusammen, in der Israel – von der Menschheit ist hier nicht die Rede – auf die Erlösung durch denjenigen wartete, der die Verheißungen Abrahams zur Erfüllung (4,4) brachte. Während des Zeitraums zwischen Abraham und Christus hat es keine wirkliche Gottesbeziehung gegeben. Damit verliert die Geschichte Israels zwischen Abraham, Mose, David und den Propheten ihre Ausdehnung und Bedeutung. Sie wird zu einem einzigen langen Augenblick der Finsternis komprimiert, der „jetzt“ vom Geist abgelöst worden ist (4,6).66 Die Zeitbestimmung des Satzes: „Nachdem der Glaube gekommen ist“, ist der einzige Fluchtpunkt seines Interesses, das weiterhin der Frage gilt: „Wer erbt unter welchen Bedingungen die Verheißungen Abrahams?“ Die Antwort gibt Paulus in V. 29, dem Schlusssatz von V. 26–29. Die Verse 26–29 stellen in der Gliederung von Betz den vierten Beweisgang innerhalb der probatio dar und bringen die ausführliche Argumentation zu einem vorläufigen Abschluss,67 der lautet: „Ihr seid Abrahams Samen und nach der Verheißung Erben“. Paulus findet hier ganz zu seinem aktuellen Thema, der Auseinandersetzung mit den Fremdmissionaren, zurück. Er bündelt den Ertrag seiner Ar Vgl. die ausgezeichnete Analyse a. a. O., 314–317. A. a. O., 312 f. 66 2 Kor 4,1–6 beschreibt diesen Vorgang als Lichtepiphanie. 67 Mit Betz halte auch ich den Abschluss der probatio erst mit dem Ende von Kapitel 4 erreicht. 64 65
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gumentation für seine Adressaten, indem er sie explizit zu Abrahams Samen erklärt. Dabei benutzt er den Begriff σπέρμα, den er in V. 16 auf Christus bezogen hatte, nun für die Galater. Diese kühne Identifikation muss ihrerseits, soll sie nicht reine Rhetorik bleiben, begründet werden. Für diese Begründung greift Paulus zum zweiten Mal auf die Erfahrung der christusgläubigen Gemeindeglieder zurück: Sie sind εἰς Χριστόν getauft worden. Die Deutung dieses Vorgangs nimmt Paulus äußerst knapp in der Bekleidungsmetapher vor.68 Im Rahmen seiner Argumentation ist ganz deutlich, dass er Tauflehre voraussetzt und argumentativ benutzt, nicht darstellen will. Er greift ebenso knapp wie selbstverständlich auf die Taufe als auf eine Realität zurück, die die Teilhabe69 der Christusgläubigen an Christus fraglos dokumentiert. Offensichtlich versteht er die Taufe aber nicht als Überbietung der Beschneidung, als neue rituelle körperliche Zuordnung70, als rituelles überbietendes Äquivalent zur Beschneidung, sondern lediglich als eine Möglichkeit (neben anderen) der Darstellung der Verbindung zu Christus. Medium dieser essentiellen Verbindung ist der Glaube (V. 20). So ist denn auch dieser vierte Beweisgang nicht so sehr ein „Tauftext“, sondern führt nochmals zu Abraham zurück, der nun aber durch Christus überboten ist. Der Text setzt daher ebenso überraschend wie folgerichtig nicht mit Abraham, sondern mit Christus ein: „Ihr seid nämlich alle Söhne Gottes durch den Glauben in Jesus Christus“. Die Logik der Argumentation in diesem Textabschnitt verläuft dann von Christus zu Abraham zurück: Wer zu Christus gehört, ist Abrahams Same und Erbe der Verheißung. Es ist deutlich, dass die Verse 26–29 schon zu einem neuen Thema vorstoßen, nämlich der neuen Lebensform ἐν Χριστῷ, die in Kapitel 5 dargestellt wird. Vers 28 ist einer jener verknappten Schlüsseltexte in diesem Zusammenhang.71 In einem einzigen Satz entwirft Paulus – wieder gleichsam im Vorübergehen – eine neue christusgegründete Fundamentalanthropologie, in der die klassischen Differenzierungen von race/ethnicity/religion/culture, class und gender aufgehoben sind zugunsten des neuen christusförmigen „Menschen“. Hier zeigt sich am deutlichsten die anthropologische Tiefenstruktur des gesamten „Abrahamtextes“ von Gal 3, auf die ich nochmals zurückkomme. Für die Nachzeichnung der Argumentation in Kapitel 3 scheint mir am wichtigsten zu sein, dass Paulus deutlich und argumentativ ungestüm über die Thematik der Abrahamverheißung hinauskommen und zu seinem eigentlichen weiteren Thema vorstoßen will: der πίστις δι᾿ ἀγάπης ἐνεργουμένη (5,6). Aller68 Vgl. zu den religionsgeschichtlichen Implikationen H. D. Betz, Galaterbrief, 328–333 und B. W. Longenecker, Galatians, 154–156. 69 Nur der Teilhabebegriff (E. P. Sanders, Paul, dt.: Paulus, 421–449; vgl. auch die Darstellung bei U. Schnelle, Paulus, 545–553) macht die Argumentation des Paulus im Zusammenhang des Taufverweises hier sinnvoll. 70 G. Theißen, Religion, 171–178. 71 Eine Würdigung dieses Satzes jenseits der Argumentationsanalyse muss hier unterbleiben.
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dings zeigt der Fortgang des Briefes in Kapitel 4, dass Paulus selbst mit seinem kühnen Vorstoß in die Zeit des „Kommens“ Jesu Christi hinein (3,23 und 25) das Thema der Zeit und der zeitlichen Ausfaltung des Handelns Gottes an der Menschheit und an Israel noch nicht hinreichend dargestellt hat. So muss er in der Fortführung des vierten Beweisganges in 4,1–11 dieses Thema vertieft untersuchen (4,4f). Die weiteren Beweisgänge der probatio können hier nicht mehr verfolgt werden. Ein kurzer Hinweis darauf, dass Paulus das Thema „Abrahams Nachkommen“ immer noch in seiner Argumentation in Kapitel 4 mitverfolgt, muss hier genügen (4,21ff).
3. Das Lesepublikum72 Die Frage nach den Adressaten wird von der Einleitungswissenschaft stets als Frage nach dem korrekten geographischen und politischen Verständnis von Galatia verstanden.73 Nur für die gegnerischen Missionare wird darüber hinaus nach dem religiös-kulturellen Profil gefragt. Das sog. mirror reading muss aber auch auf die Adressaten, die im Mittelpunkt des paulinischen Interesses stehen, angewendet werden.74 Paulus schreibt an organisierte öffentliche christliche Gruppen (ἐκκλησίαι) in Galatien75, die er gegründet hat und deren männliche Mitglieder, sofern sie nicht geborene Juden sind, sich bisher nicht haben beschneiden lassen, so dass die Männer nicht als Juden erkennbar sind. Dabei spricht er nicht von „Christen“, sondern von Menschen ἐν Χριστῷ oder Χριστοῦ oder von „Brüdern“ (3,23–29). Ihr „Christsein“ als Gruppenzugehörigkeit ist durch die Taufe bestätigt (3,27) und wird durch die Geistbegabung anschaulich. Der Sozialkörper der ἐκκλησίαι ist kulturell und religiös gemischt: „Juden und Griechen“ gehören ihm an. Dabei waren die Nicht-Juden wohl in der Überzahl, wie sich aus 4,8 und 9 erschließen lässt.76 Taufe, Geistbesitz, Kenntnis der paulinischen Evangeliumspredigt und „Unterricht im Wort“ (6,6) kennzeichnen die Gemeinden. Innerhalb der Gemeinden gibt es eine irgendwie geartete Gleichheit 72 Die Gemeinden müssen Vorleser und Abschreiber gehabt haben. Die Gemeindemitglieder werden die Paulusbriefe nicht selbst gelesen haben. Vgl. D. Erbele-Küster u. a., „Lesen“, 343– 347. 73 Vgl. J. M. Scott, Paul und Th. Witulski, Adressaten, zuletzt J. Frey, „Galaterbrief“, 378– 383. 74 Vgl. J. M. G. Barclay, „Mirror-Reading“, 73–93. Barclay bezieht sich auf die Gegner des Paulus, Analoges gilt aber auch für die Adressaten. 75 Vgl. dazu K. Strobel, „Galatia“, 741–745. 76 Vgl. dazu Th. Witulski, Adressaten, 82–175. Witulski will den Text (Gal 4,8–20) als eigenes Schreiben verstehen und bezieht ihn auf den Kaiserkult. Auch wenn man die Teilungshypothese – trotz wichtiger Beobachtungen Witulskis zur Eigenständigkeit des Textes – aus Gründen mangelnder Evidenz der Entstehung des Endtextes nicht teilt, weisen doch viele wichtige Beobachtungen auf die heidnische Herkunft der galatischen Christen hin.
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von Männern und Frauen, von Sklaven und Freien, von Juden und Griechen.77 Wie sich dies mit dem deutlichen Interesse der nichtjüdischen Männer an einer nachträglichen Beschneidung vertrug, wissen wir nicht. Interessant ist die Anrede als „Galater“ in 3,1. Hier werden die Gemeindeglieder nicht auf ihre religiöse, sondern auf ihre politische oder geographische Provinienz angesprochen.78 Nach 4,8 scheinen sie in ihrer vorchristlichen Zeit überwiegend Anhänger nichtjüdischer griechischer Kulte gewesen zu sein.79 Sie müssen großes Interesse an Religion haben, denn sie haben sich von Paulus zum „Evangelium von Jesus Christus“ bekehren lassen,80 einer ganz neuen und schwer zu fassenden religiösen Gruppierung, die keinen eigenen Namen hat, und sie sind zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes dabei, sich von „anderen“81 Missionaren dazu bringen zu lassen, wesentliche Punkte der jüdischen Religion zu übernehmen: die Beschneidung (5,2 und 6,12) und Elemente von Verehrung himmlischer „Mächte“ sowie besondere Kalendervorschriften.82 Das bedeutet aus religionsgeschichtlicher Perspektive: Die christusgläubigen Gemeinden in Galatien sind Orte einer noch unklaren messianischen jüdischen Gruppierung mit synkretistischen Tendenzen. Es ist hier nicht der Ort, diese synkretistische Bewegung der galatischen Gemeinden, die zur Zeit der Abfassung des Briefes zwischen einer Spielart messianischen Judentums und paganer Christusgläubigkeit changiert, zu rekonstruieren. Interessant ist aber eben das Phänomen des Synkretismus als solches, in das sich jüdische, pagane und bereits in diesem frühen Stadium des entstehenden Christentums konträre christliche Elemente einzeichnen.83 Mit dem entstehenden Christentum sind die Galater offenbar gut vertraut. In seinem autobiographischen Rückblick in Gal 1,10–2,14 muss Paulus nichts erklären. Die Adressaten kennen die Topographie, die Personen und die 77 Vgl.
dazu die Ausführungen bei H. D. Betz, Galaterbrief, 333–352, bes. 335–339. weist richtig darauf hin, dass es bei der Anrede nicht um eine Polemik gegen die geographische Herkunft der Gemeindeglieder geht, sondern um einen diatribischen Stilzug (A. a. O., 240 mit Anm. 26). Es ist auffallend, dass in anderen Paulusbrief kaum eine Anrede gewählt wird, die sich auf die Herkunft der Angesprochenen bezieht. Vgl. aber 2 Kor 6,11, dort in einer pathetisch-emotiven Anrede. Es scheint sich in Gal und 2 Kor um eine besondere Nähe zur mündlichen Ansprache zu handeln, d. h. um die Herstellung sprachlicher Nähe bei Abwesenheit. 79 Interessant ist die völlig unspezifische Terminologie in 4,8. Es wird nirgends in den Briefen des Paulus deutlich, dass er nähere Bekanntschaft mit der griechisch-römischen Religion gehabt hätte. Vgl. O. Wischmeyer, „Religion“, 311–328. 80 Vgl. die Terminologie in 4,8 f. 81 Vgl. die Terminologie in 1,6–9. 82 Die Terminologie in 4,3 macht es wahrscheinlich, dass es sich um jüdisch-synkretistische Vorstellungen handelt. Anders Th. Witulski, Adressaten, der hier Hinweise darauf sieht, dass die (süd)galatischen Gemeinden eine Beziehung zum Kaiserkult hatten. 83 Es ist ganz unzureichend, ja falsch, sich die Mitglieder der galatischen Gemeinden in toto als Heidenchristen vorzustellen, die nachträglich zu Juden werden sollen. Die galatischen Gemeindeglieder befinden sich – seit wann, wissen wir nicht – in einer nur als synkretistisch zu bezeichnenden unklaren Situation, aus der sie Paulus befreien will. 78 Betz
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Gruppierungen der christlichen Gemeinden, so dass Paulus selbstverständlich im Sinne eines Rückblicks darüber berichten kann.84 Sie beteiligen sich an der Kollektenaktion des Paulus und sind in den Zusammenhang der christusgläubigen Gemeinden, die Paulus gegründet hat, eingebunden. Dieselbe Vertrautheit gilt für Elemente des Judentums, besonders für „die Schrift“. Paulus kann sich jederzeit implizit (3,6) oder explizit (3,10) auf die Schrift berufen und die Septuaginta zitieren. Er geht davon aus, dass „die Schrift“ die gemeinsame argumentative Basis ist, die normative Geltung hat. Wie sind die galatischen Christen zu dieser Bibelkenntnis gekommen?85 Mit Sicherheit gab es geborene Juden aus frommen jüdischen Familien unter ihnen, die die Beschneidung ebenso vorbildlich wie die Familie des Paulus übten (Phil 3,5). Nicht alle waren geborene „Heiden“86. Die Mehrheit der männlichen Gemeindeglieder kann aber nicht zum ἔθνος Ἰουδαίων gehört haben, denn dann wäre nicht erklärbar, weshalb sie nicht beschnitten waren.87 Kannten diese die Septuaginta schon vor der Missionstätigkeit des Paulus in Galatien? Waren sie synagogale Sympathisanten aus dem Milieu der Gottesfürchtigen?88 Ich würde gern beide Fragen mit „Ja“ beantworten, ohne aber weitere „Beweise“ beibringen zu können, es sei denn, man will ihr offensichtliches Interesse an einer Beschneidung hier geltend machen. Matthias Konradt hat für die Rekonstruktion des philonischen Lesepublikums wieder auf die bekannten synagogalen Sympathisanten und speziell auf Izates von Adiabene89 hingewiesen.90 In einem ähnlichen Milieu müssen wir aber auch die Mitglieder galatischen ἐκκλησίαι vermuten. Nur eine derartige Adressaten Beachte die Einleitung mit ἠκούσατε in Gal 1,13. Dieselbe Frage kann man für alle paulinischen Gemeinden stellen. 86 Man muss die „Juden“ in Gal 3,28 ebenso ernstnehmen wie die „Frauen“! 87 Gegen B. J. Malina/J. J. Pilch, Commentary, 339. Malina/Pilch argumentieren dahin gehend, dass viele Juden außerhalb Judäas nicht beschnitten gewesen seien. Diese historisch sicher im ganzen zutreffende Beobachtung ist aber für die Argumentation des Galaterbriefes nicht relevant. Paulus hat die „Galater“, „die den Nicht-Göttern“ gedient haben (4,8), zum Glauben an Jesus den Christus gebracht. Es ist unwahrscheinlich, dass damit nicht beschnittene Juden gemeint sein sollen. Ebenso wenig ist es plausibel anzunehmen, dass religiös nicht korrekt lebende, da nicht beschnittene Juden, die von Paulus zu vollgültigen christusgläubigen Gemeindegliedern der ἐκκλησίαι θεοῦ in Galatien gemacht worden waren, nachträglich plötzlich auch noch beschnitten werden wollten. Hätten ethnische Juden (Ἰουδαῖοι) Paulus so missverstanden? Wesentlich leichter lässt es sich wahrscheinlich machen, dass ethnische Nicht-Juden, die mit dem Judentum sympathisierten, zunächst Mitglieder der paulinischen Gemeinden wurden und nachträglich dem Argument der Fremdmissionare, sie seien nur so etwas wie halbe Ἰουδαῖοι und müssten nun auch vollständig Juden werden, zuneigten. 88 Vgl. dazu Th. Witulski, Adressaten und M. Konradt, „‚Die aus Glauben‘“, 37 f. Konradt bezieht seine Aussagen auf die Leserschaft Philons. 89 Josephus, Ant Iud XX,34–53. 90 Zu dem religiösen Milieu vgl. O. Wischmeyer, „Speech“, 341–358 und W. Wischmeyer, „ΘΕΟΣ“, 149–158. Vgl. auch A. Fürst, „Christentum“, 496–518. Zum positiven Bild vom antiken Judentum vgl. L. H. Feldman, „Anti-Semitism“, 15–42; P. Schäfer, Judeophobia; E. Baltrusch, „Bewunderung“, 403–421; M. Goodman, Rome, bes. 383–396; O. Wischmeyer, „Criticism“, 59–84. 84 85
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schaft konnte den Brief des Paulus und die Anmutungen der gegnerischen Missionare gleichzeitig verstehen und ernstnehmen. Dass dies eher für die sog. südgalatische Hypothese und für Städte wie Antiochia in Pisidien spricht, halte ich für gegeben.91 Jedenfalls ist Paulus der Meinung, dass das Thema „Abraham“ für die Galater unabhängig von ihrer kulturell-religiösen Herkunft Beweiskraft habe.92 Damit steht er in sachlicher Kontinuität zu Philon, der in seinem Abraham-Traktat ebenfalls ein gemischtes Lesepublikum anspricht.93 Allerdings schreibt Paulus keinen Traktat, sondern einen mittellangen Brief. Trotzdem handelt es sich um ein literarisch und inhaltlich sehr anspruchsvolles Schreiben, dessen Propositionen, Argumentation und Pragmatik Paulus den Gemeinden zumutet.94 Das wirft Licht auf ihre Bildung, die sicher durch Septuaginta-Lektüre und synagogale Vorträge, aber auch und entscheidend durch die Verkündigungstätigkeit des Paulus geprägt ist (Gal 1 und 4,12 ff.). Besonders die Argumentation mit Abraham, Hagar, Isaak und Sara, die nicht genannt wird, was die Kenntnis von Genesis 16 voraussetzt, und die Betonung, dass Abrahams Segen auf den galatischen christusgläubigen Nichtjuden liege, weist notwendig auf eine „Septuaginta-Bildung“ der Galater hin. Das ganze Ensemble von Hinweisen auf das kulturelle und religiöse Milieu der Mitglieder der galatischen christusgläubigen Gemeinden ist ein Beleg für die hohe Anziehungskraft jenes „Israel“, das sich nicht primär ethnisch, sondern religiös-philosophisch im Sinne Philons von Alexandria konstruiert95, ohne dass Philon die ethnische Perspektive abrogieren würde. Die Textpragmatik ist, wie die Argumentationsanalyse gezeigt hat, zunächst ganz und gar darauf ausgerichtet, dass die Galater die Argumentation des Briefes verstehen96, ihr zustimmen und die Situationsbestimmung, die Paulus für sie vornimmt – Abrahams Segen gilt jetzt den „Völkern“, die glauben –, nachvollziehen. Daraus folgt dann ihr Handeln, das in diesem Fall ein Unterlassen ist: Sie sollen sich nicht beschneiden lassen. Nun gehört aber zur Textpragmatik die Notwendigkeit, den Adressaten in einem erheblichen Umfang „Schriftexegese“ zu91 Vgl. O. Wischmeyer, „Mission“, 90–121. Paulus würde dann auch die Galater auf ihre Provinzzugehörigkeit hin ansprechen. 92 Er rekurriert nur noch im Römerbrief auf Abraham, wo wir ein ähnliches Gemeindeprofil vermuten können. 93 Abraham in heidnischen Zusammenhängen: vgl. die Belege bei M. Stern (Hg.), Authors, 101. 94 Das zeigt nicht nur die rhetorische Analyse von Betz, sondern auch die hochkarätige Auslegungsgeschichte, die ja in gewisser Weise stets der Spiegel des Sinnpotentials eines Textes ist. Im Sinne der Rezeptionsgeschichte gehört daher gerade beim Galaterbrief die Kommentierung z. B. durch Luther zum Textverstehen (gegen die new perspective und ihre hermeneutisch wenig qualifizierte Idee, Luthers Paulusverständnis sei „falsch“). 95 Vgl. dazu unten die Auseinandersetzung mit S. Mason. 96 Allerdings darf man die textpragmatische Absicht nicht mit dem Verstehen der Adressaten gleichsetzen. Die Schwierigkeiten der Gemeinden, die Paulusbriefe zu „verstehen“, sind bekannt.
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zumuten. Die verwickelte Argumentation von 3,6–28, die oben nachgezeichnet wurde, konnte Paulus offensichtlich den Galatern zumuten, ja sie wurde wohl erwartet und war nach dem Auftritt der „judaisierenden“ Missionare notwendig. Paulus konnte nicht ohne „Schrift“ wie zum Beispiel im 1. Thessalonicherbrief oder im Philipperbrief, sondern nur aus der „Schrift“ argumentieren. Es ging um Abraham und seinen Segen und die ihm gegebenen Verheißungen und ihre Adressaten sowie um Mose und das Gesetz, das er am Sinai empfangen hatte, sowie um dessen Reichweite. Es ging um das Verhältnis zwischen Abraham und Mose und um die richtige Deutung Abrahams. Die Adressaten konnten offensichtlich diesen Themen folgen und waren in der Lage, kontroverse und detaillierte Debatten zu diesen Themen aufzunehmen. Weiter können wir dem Galaterbrief entnehmen, dass die Adressaten – unabhängig davon, ob sie Paulus oder den gegnerischen Missionaren zustimmten – die Autorität der „Schrift“ respektierten. Damit aber stimmten sie gleichsam automatisch auch der Bedeutsamkeit des Streites über die Schriftauslegung zu, die zur jüdischen Kultur als einer Kultur der Auslegung eines Corpus heiliger Schriften gehörte. Die galatischen Gemeinden sind also weder als rein enthusiastische Vereine, wie der Verweis auf die Erfahrungen des Geistes in den Gemeinden andeuten könnte, noch ausschließlich als schriftbezogene Synagogalgemeinden vorzustellen, sondern als ein kulturelles und soziales Novum, als Gruppierungen, in denen Geistbesitz und Schriftauslegung gepflegt wurden.
4. Abraham Vor diesem – nur knapp skizzierten – Hintergrund stellt sich nun die Frage: Welche Relevanz hatte Abraham für die galatischen Gemeinden? Oder anders gefragt: Weshalb empfindet Paulus weder seinen Verweis auf die Geist-Erfahrung der Gemeinden noch seine Schriftargumentation zur πίστις als hinreichend? Weshalb der Rekurs auf Abraham? Wir fragen also nach dem Grund für die argumentative Inanspruchnahme einer der größten Gestalten aus Gottes Geschichte mit Israel für die literarische und theologische Identitätsbildung der ἐκκλησίαι der galatischen Missionsgemeinden des Paulus, die nach der hier vertretenen Rekonstruktion mindestens mehrheitlich nicht-jüdischer Herkunft sind. Ich gehe von Gal 6,16 aus: Und alle, die gemäß dieser Regel wandeln werden, – Friede (komme) auf sie und Barmherzigkeit und (auch) auf das Israel Gottes.
Betz hat bereits vor der Debatte um the parting(s) of the ways in seinem Kommentar zu dieser Stelle sehr deutlich gemacht, dass die uns seit F. Chr. Baur vertraute Einteilung in „Judenchristen“ und „Heidenchristen“ eine Konstruktion darstellt, die die hochkomplexen ethnischen und kulturell-religiösen Milieus
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und Befindlichkeiten, mit denen es Paulus zu tun hatte, nicht angemessen beschreibt. Betz kommentiert den Ausdruck Ἰσραὴλ τοῦ θεοῦ folgendermaßen: Die Bedeutung des Ausdrucks setzt voraus, daß sich das Christentum zur Zeit der Galater noch nicht klar vom Judentum abgegrenzt hatte, daß eine Vielfalt von christlichen und jüdischen Bewegungen und Gruppen versuchte, das Problem Christus in ihr Denken einzuordnen, und daß der mit dem ‚Israel Gottes‘ zum Ausdruck gebrachte Anspruch gleichzeitig von mehreren Gruppen erhoben werden konnte,97
im vorliegenden Fall nicht von Juden98, sondern wohl von den gegnerischen Missionaren und in der Replik auch von Paulus. Beide Seiten, Paulus und die gegnerischen Missionare, waren religiös deviante, nämlich messianische Juden, die an Jesus als den Χριστός glaubten. Sie unterschieden sich nicht nach ihrer Herkunft, sondern nach der religiösen Modellierung ihrer Gruppierung und den Bedingungen der Mitgliederrekrutierung. Ich überspringe die ungemein reiche und komplizierte gelehrte Literatur der letzten vierzig Jahre zu dem Komplex verwandter Themen wie der Neubeschreibung des Common Judaism99, der New Perspective on Paul und der neuen Origins of Christianity- und Parting(s) of the Ways-Forschung, soweit sie sich auf Paulus bezieht, und gehe zu Steve Mason. Mason hat jüngst in einem beachtenswerten Beitrag über „Jews, Judaeans, Judaizing, Judaism: Problems of Categorization in Ancient History“100 die Doppelthese vertreten, „that there was no category of ‚Judaism‘ in the Graeco-Roman world, no ‚religion‘ too“101. Daraus folgt nach Mason: The Ioudaioi were understood until late antiquity as an ethnic group comparable to other ethnic groups, with their distinctive laws, traditions, customs, and God. They were indeed Judaeans.102
Mason trifft mit dieser Perspektive nun einen zentralen Nerv des intrikaten Problems: Wie lässt sich das frühkaiserzeitliche Judentum beschreiben? Seine Antwort lautet: als ἔθνος. Dies statement scheint den gordischen Knoten der H. D. Betz, Galaterbrief, 548. Das Judentum wird im Galaterbrief nicht thematisiert (s. o.). Gal 2,13–15 beziehen sich auf den antiochenischen Zwischenfall, 3,28 enthält eine allgemeine Aussage. „Israel“ begegnet nur in diesem Zusammenhang im Galaterbrief. 99 Im weiteren Sinn gehört selbstverständlich auch der Third Quest on Jesus dazu – kurz die ganze Neukonstruktion der religiösen Landschaft des Judentums und seiner devianten Gruppen, zu denen die verschiedenen Formen der entstehenden christusgläubigen Gemeinschaften ebenso wie die jüdischen „Religionsparteien“ oder „Schulen“ und die Träger der Texte der Qumranbibliothek zählen – seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. Einen komprimierten Überblick über den aktuellen Stand der Forschung gibt der Sammelband von J. H. Charlesworth (Hg.), Jesus. 100 In: JSJ 38 (2007), 457–512. 101 A. a. O., 457. Auf die zweite These (480–488) gehe ich hier nicht ein. Sie erfordert eine eigene Diskussion. 102 Ebd. 97 98
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Frage, wie sich das antike Judentum definieren lasse, in höchst willkommener Weise zu durchhauen, indem die Rekonstruktion des Judentums von der „religiösen Falle“103 befreit wird und stattdessen in die handhabbarere Kategorie der ethnicity als eines kulturellen Konzepts eingeordnet wird. Diese Antwort gibt die Außensicht der Juden seitens der Ägypter, Griechen und Römer, wie sie in der ethnographischen und historiographischen104 hellenistisch-römischen Literatur gespiegelt ist105, in der Tat sehr genau wieder. Aus dieser Perspektive sind die Juden in der Tat „Judäer“ mit einem Herkunftsterritorium, einer eigenen Geschichte und eigenen Sitten und Gebräuchen, zu denen unter anderem auch das zählt, was wir Religion zu nennen gewöhnt sind. Aber die Außensicht der griechisch-römischen Schriftsteller auf eine Barbarengruppierung ist nur eine Perspektive und daher nur bedingt geeignet, Gruppierungen wie Ägypter, Germanen oder eben Ἰουδαῖοι angemessen zu beschreiben.106 Sie ist durch mangelnde Kenntnisse der griechischen und römischen Autoren ebenso getrübt wie durch kulturelle Polemik und absichtliches oder unabsichtliches kulturelles Missverstehen. Außerdem ist gerade die Ethnographie, die eher zu einer unpolemischen Sicht als die historiographische Monographie neigt, durch ihre traditionale Sicht107 nur begrenzt geeignet, aktuelle historische Situationen zu beschreiben. Die Frage, was denn ein Ἰουδαῖος sei, ist also mit der Referenz auf die griechisch-römische Außensicht nur teilweise beantwortet, nämlich aus der Sicht der Mehrheitskultur des frühen imperium Romanum. Die Binnensicht des antiken Judentums auf sich selbst ist mindestens seit der Hellenisierung des syrischen Raumes und Ägyptens komplizierter und hat mehr mit „Religion“108 zu tun, als Mason zulassen möchte. Die makkabäische Krise führte zu einer Aufwertung der Beschneidung als eines Identitätsmerkmals, das nicht nur nationalen, sondern durchaus auch konfessorischen Charakter innerhalb des ἔθνος Ἰουδαίων erhalten konnte.109 Außerdem bildeten sich seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. die Vorläufer der späteren sog. Religionsparteien heraus, die bestimmte Modi oder eine bestimmte Intensität der Torabefolgung zum Kriterium echten Judentums machten. Die bloße ethnische Zugehörigkeit (Paulus spricht von den φύσει Ἰουδαῖοι110) reichte also nicht mehr unbedingt hin, um aus der
103 Zur Rekonstruktion eines aussagekräftigen Religionsbegriffs für die frühe Kaiserzeit vgl. H. Cancik, „System“, 373–396. 104 Letztere z. T. polemisch orientiert. 105 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Criticism“, passim. 106 Vgl. die reiche Lit. zur Wahrnehmung der Barbaren, bes. Y. A. Dauge, Barbare. 107 Weitergabe älterer Quellen. 108 Zum Religionsbegriff als neuzeitlichem Konzept vgl. H. Cancik/B. Gladigow, „Einleitung“, 17–40. Der Begriff ist als heuristischer Begriff zugleich unersetzlich. 109 Vgl. dazu M. Konradt, „‚Die aus Glauben‘“, 26–32. 110 Vgl. auch 1 Kor 10,18: das Israel nach dem Fleisch.
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III. Texte
Binnenperspektive das „Judesein“ hinreichend zu beschreiben.111 Das machen übrigens auch die Evangelien deutlich, wenn sie von „Zöllnern und Sündern“ sprechen, die ja überwiegend eben „Juden“ im Sinne von Judäern sind, aber nicht als solche bezeichnet werden. Diese Differenzierungen sind der Grund dafür, dass ich Masons Sprachgebrauch nicht übernehme.112 Daneben ist eine andere Entwicklung zu berücksichtigen, nämlich die wachsende Attraktivität der jüdischen Synagogalgemeinden in der griechisch-römischen Diaspora. Die durchaus vorhandene positive Beurteilung des Judentums durch gewisse griechisch-römische Personenkreise ist von Gelehrten wie Martin Hengel, L. H. Feldman, Peter Schäfer, Ernst Baltrusch und Martin Goodman eindrucksvoll beschrieben worden. Hier bildeten sich Sympathisantenkreise, die wir besonders für Alexandria voraussetzen können.113 Für diese Kreise wirkte das Judentum gerade nicht im Sinne einer Gemeinschaft (beschnittener) „Judäer“, sondern im Sinne einer ethischen und philosophischen Schule mit weiten Außenrändern, wie denn auch später Josephus die jüdischen „Religionsparteien“ als Philosophenschulen darstellt.114 Dass solche Interpretationen des Judentums wiederum auch heftigen Widerstand bei philosophisch gebildeten Griechen und Römern hervorrufen konnten, belegen nicht nur die Alexandrinischen Märtyrerakten115, sondern auch exemplarisch für das Lykien des frühen 2. Jahrhunderts n.Chr die Oinoanda-Inschrift.116 In der Spannung zwischen der Zugehörigkeit zum Judentum aufgrund der Herkunft (φύσει Ἰουδαῖος/Judäer) und der Bestimmung des Ἰουδαισμός vom Grad der Gesetzeserfüllung her ist der Pharisäer Paulus, aus einer frommen Diasporafamilie stammend und am achten Tag beschnitten, aufgewachsen. Zugleich kannte er, was in der exegetischen Literatur nicht immer genügend Beachtung findet, aus Tarsus jene schon erwähnten synagogalen Sympathisantenkreise, die seine eigene Bildung nachhaltig prägten. Als Pharisäer reichte ihm das Verständnis des Judeseins als ethnischer Zugehörigkeit nicht, sondern er maß in radikaler Weise das Judesein an der Erfüllung der Gesetzesvorschriften, wie er in Röm 2,17–29 ausführt. Dieser Text des Paulus gestattet uns einen Blick in die Debatte um das Problem, das später die Frage nach dem verus Israel genannt wurde.117 Wir wissen, dass diese Frage dann eine Frage innerjüdischer 111 Vgl. auch Röm 9,4f: Paulus beschreibt hier die Identität des Judentums gerade nicht national-ethnisch, sondern ganz und gar religiös. 112 Anders z. B. J. M. G. Barclay (Hg.), Josephus, XVII–LXXI, bes. LV–LXI („there are good reasons to translate the term Ἰουδαῖος by its more natural equivalent ‘Judean,’ rather than ‘Jew’“, LXI). 113 Dies Phänomen bildet wohl einen der Gründe für die heftige Feindschaft zwischen „Griechen“, Ägyptern und Juden in Alexandria. 114 Vgl. schon den Essenerexkurs bei Philo. 115 Dazu jetzt A. Harker, Loyalty. 116 P. W. van der Horst, „‚The Most Superstitious and Disgusting of All Nations‘“, 227–233. 117 M. Simon, Israel.
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Gruppierungen war, wenn „Jude“ nicht ethnisch, sondern in spezifischer Weise religiös verstanden wurde.118 Die Verus-Israel-Debatte ist eine Debatte von innen, sie wird zwischen jüdischen Gruppierungen geführt, denen das „JudäerSein“ nicht reicht. Der geborene Jude Paulus (Gal 2,15 u. ö.), der als Pharisäer den Gesetzesbegriff und damit auch den Begriff des „richtigen“ Juden von der korrekten und vollständigen Erfüllung des Gesetzes her interpretiert hat, ethisiert im Galater- und Römerbrief den Begriff Ἰουδαῖος und kommt zu dem neuen119 Begriff des „inneren Judentums“, ohne in Röm 1–3 konkret auszuführen, ob und wieweit sich dieser noch mit dem ethnischen Begriff deckt. Eine solche Konkretisierung findet sich aber in Gal 3 und 6, und sie bildet die Basis für den Umgang des Paulus mit der Abrahamgestalt im Galaterbrief. In Gal 6,16 definiert Paulus „Israel“ neu, und zwar als „Israel Gottes“. Dies neologistische Syntagma ist eine semantische Tautologie.120 Betz hat plausibel gemacht, dass die Wendung von den gegnerischen Missionaren stammt, die die Gemeinden an Israel binden wollten.121 Uns interessiert hier, wie Paulus dies Schlagwort versteht. Betrachten wir die Textlogik, so ist die Wendung „auch über das Israel Gottes“ lediglich ein Zusatz, der nicht das Hauptgewicht trägt. Der argumentative Akzent liegt auf V. 15 und 16a. Paulus selbst segnet die Personengruppe, die die Beschneidung nicht für notwendig hält. Der Segen ist direkt auf die galatischen Gemeinden bezogen. Er steht in spannungsvollem Gegensatz zu dem Fluch am Anfang des Briefes: Fluch über diejenigen, die ein εὐαγγέλιον predigen, das die Beschneidung umfasst, Segen für diejenigen, die die Beschneidung nicht für „etwas“ (sc. Notwendiges) halten (6,15). Die gegnerischen Missionare und die (nicht beschnittenen) Gemeindeglieder, die sich beschneiden lassen, sind nicht unter dem Segen. Andererseits gilt: Auch beschnittene Juden – wie Paulus selbst – sind dann unter dem Segen, wenn sie nach dem κανών leben, dass die Beschneidung nicht notwendig sei. Betz weist zurecht darauf hin, dass auch die Judenchristen, die sich „den Vereinbarungen des Jerusalemer Konvents in bezug auf die paulinische Mission“ angeschlossen hatten, unter diesem Segen stehen122: „So dehnt Paulus den Segen (Abrahams) über die galatischen Paulinisten auf die Judenchristen aus, die seiner ‚Regel‘ (κανών) von 6,15 folgen“123. Möglicherweise bezeichnet Paulus gerade diese Gruppe als das „Israel Gottes“.124
An dieser zweiten Möglichkeit halte ich gegen Mason fest. Aber prophetisch grundierten! 120 H. D. Betz, Galaterbrief, 547. 121 Ebd. Vgl. I. J. Elmer, Paul. 122 H. D. Betz, Galaterbrief, 548. Vgl. Röm 4,11 f. 123 Ebd. 124 Vgl. die sehr differenzierte Kommentierung von B. W. Longenecker, Galatians, 296–299, die in diese Richtung geht. 118 119
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III. Texte
Was bedeutet vor diesem Hintergrund der Rekurs auf Abraham in Gal 3? Wie schon erwähnt hat Matthias Konradt die frühjüdischen Abrahamtraditionen noch einmal zusammengestellt und auf die doppelte Sinngebung der Abrahamgestalt hingewiesen: auf der einen Seite als Vorbild der Beschneidung seit Ben Sira125, auf der anderen Seite als philosophisch-ethisches Vorbild, am deutlichsten in De Abrahamo von Philon ausgeführt. Das heißt: unter der Chiffre „Vater Abraham“ konnten unterschiedliche, ja gegensätzliche Gruppen ihre Identität modellieren.126 Diese beiden Deutungsvarianten lassen sich nicht einfach auf die Gegner und auf Paulus verteilen. Deutlich ist, dass die Gegner Abraham und „Israel“ für ihre „Verkündigung der Beschneidung“ reklamieren können.127 Aber was tut Paulus? Und warum tut er es? Er beweist ausführlich und sorgfältig, dass die Mitglieder der galatischen Gemeinden, die größtenteils keine Juden sind, doch „Abrahams Samen“ sind, „nach der Verheißung Erben“. Der sorgfältige Beweis gilt dem Umstand, dass nicht die Gesetzesbefolgung Anteil an dem abrahamitischen Segen Gottes erringt, sondern der Glaube, den Abraham nach Gen 15,6 hatte. Die Teilhabe am Segen Abrahams ist an den Glauben, nicht an die Beschneidung gebunden. Gal 3 ist am Segen Abrahams, nicht an Abraham als einer ethischen oder philosophischen Gestalt interessiert, die für Nichtjuden, die mit dem Judentum sympathisierten, attraktiv sein könnte. Vielmehr erscheint Abraham hier ausschließlich als Gestalt der Gerechtigkeitsgeschichte Gottes mit den Menschen (nicht ausschließlich mit den Juden), die seit Abraham eine Segensgeschichte ist. In diesem Rahmen aber besteht Paulus in 3,8 darauf, dass in Abraham, der ja mit Gen 17,5 „Vater vieler Völker“128 ist, alle Völker gesegnet seien (in Gen 12,3 werden in Abraham πᾶσαι αἱ φυλαὶ τῆς γῆς gesegnet, in 18,18 πάντα τὰ ἔθνη). Damit sagt Paulus implizit, Abraham sei nicht (nur) der Vater jener Menschengruppen, die ihre Identität durch die Erfüllung des „Gesetzes“ und durch die Beschneidung konstituieren. Das sind, wie wir sahen, in erster Linie die geborenen und der Gesetzeserfüllung verpflichteten Juden, im Rahmen der aktuellen Argumentation aber präzise die gegnerischen Missionare und die nichtjüdischen Gemeindeglieder, die sich beschneiden lassen. Interessant scheint mir nun der Umstand, dass Paulus in der gesamten Argumentation das Stichwort Ἰουδαῖος129 vermeidet. Es begegnet nur in der Schlussfolgerung in 3,28. Im Übrigen spricht Paulus einerseits von den ἔθνη und „denen aus dem Glauben“, andererseits von „denen, die aus Werken des Gesetzes sind“ (3,10). Paulus ordnet also Abraham in Gal 3 nicht primär in die Geschichte Israels ein, sondern gleichsam an dieser Geschichte vorbei in die Sir 44,19–21. Vgl. O. Wischmeyer, „Abraham“. 127 Ob sie es getan haben, wissen wir nicht, können es aber aufgrund des Diskurses um „Vater Abraham“ aber vermuten. 128 In Röm 4,17 wörtlich zitiert. 129 Vgl. 2,13.14.15. „Israel“ erscheint nur in dem Syntagma in 6,16. 125 126
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Segensgeschichte Gottes mit den Menschen, die sich zwischen Glaube und Gesetz ausspannt. Abraham wird so zu der exemplarischen anthropologischen Gestalt, die ihr Verhältnis zu Gott durch den Glauben begründet. Die Inanspruchnahme Abrahams als des „Vaters“ der galatischen Gemeinden hat also zuerst ihren Platz in der Theologie des Paulus, und zwar in seiner Anthropologie. Anthropologie stellt sich für Paulus als Geschichte Gottes mit den Menschen dar, genauer: als Fluch- und Segensgeschichte, als Todes- und Lebensgeschichte, als Gesetzes- und Glaubensgeschichte.130 Betz weist zurecht darauf hin, dass Abraham bei Paulus eine einzigartige Bedeutung zukommt: „Er war vor Christus der einzige, der das Evangelium kannte und daran glaubte“131 und – so fahre ich fort – damit universalanthropologische Bedeutung hatte.132 Verlassen wir hier für einen Augenblick die Argumentation und denken mit und gegen James D. G. Dunn selbst theologisch weiter133: Wenn es Paulus mit diesem Gedanken ernst ist, dann bestand seit Abraham die Möglichkeit des Heils für die Menschen. Dies wäre das Konzept einer ganz anderen Anthropologie, die auf dem Fundament einer vertrauensvollen Beziehung der Menschen zu Gott, der πίστις, wie sie auch aus Hab 2,4 herausgelesen werden konnte, basiert gewesen wäre. Christus wäre in dieser Konzeption ebenso wenig notwendig wie das Gesetz. „Heilsgeschichte“ im Sinne verschiedener Bundesschlüsse wären in diesem Konzept nicht notwendig gewesen. Paulus sagt nun nicht, weshalb das Modell „Abraham“ nicht „erfolgreich“ war, weshalb die Menschen also nicht so wie Abraham geglaubt haben. In der Fluchtlinie der heilsgeschichtlichen Argumentation in Gal 3 wird aber klar, dass Abrahams Glaube eine Vorschattung jenes Glaubens darstellte, der erst seit Jesus Christus den Menschen zugänglich ist. Auch Abraham ist christologisch interpretiert. Es gibt keine reale abrahamitische Anthropologie, sondern nur ein „In Christus-Sein“. In Röm 1,18 ff. deutet Paulus eine noch weiter gefasste positive Anthropologie an: „Seit der Erschaffung der Welt“ (Röm 1,20) konnten die Menschen Gott verehren und hätten sich damit im Zustand des Heils befinden können. Auch diese Möglichkeit wurde nicht zur Realität. Dieser kurze Blick auf zwei Möglichkeiten, Anthropologie von Gott dem Schöpfer und dem Gott Abrahams/Israels her zu entwerfen, macht deutlich, dass Paulus nicht einfach eine 130 Auch
in Röm 7. Dazu zuletzt J. Dochhorn, „Röm 7,7“, 59–77. H. D. Betz, Galaterbrief, 548. Anders scheint J. D. G. Dunn, Epistle, zu interpretieren: „… he would no doubt have recognized that wherever divine blessing is received in simple trust, there is the gospel at work“ (166). Aber V. 9 bezieht sich auf die gegenwärtige Situation des Paulus und der Galater! 132 Dasselbe gilt für Adam in 1 Kor 15,45–49. Dort ist Adam der Typos Christi. Aber während Adam und Christus in einem antithetischen typologischen Verhältnis zueinander stehen (das in Röm 5 deutlicher ausgeführt wird), verhalten sich Abraham und Christus nicht typologisch zueinander. Abraham nimmt das Verhältnis der Menschen zu Gott, das Christus erschließt, vorweg. Damit weist er auf Christus und auf den identisch bleibenden Heilswillen Gottes den Menschen gegenüber hin. 133 J. D. G. Dunn, Epistle, 159–167. 131
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III. Texte
dualistische oder tragische Anthropologie vertritt, sondern unterschiedliche vordualistische Entwürfe kennt, die er allerdings angesichts der Macht der Sünde134 ante Christum nicht für realisiert hält. Kehren wir zum Galaterbrief zurück. Abraham ist der Stammvater der gläubigen Menschen, die im richtigen Verhältnis zu Gott leben und daher unter Gottes Segen, der Abraham zuteil wurde, stehen. In Röm 1 beginnt Gottes Geschichte mit den Menschen mit der Schöpfung, in Gal 3 fokussiert Paulus sie auf Abraham. Beide Male vertritt Paulus eine universale Anthropologie, in Röm 1 und 2 auf der Erkenntnis Gottes basierend, in Gal 3 auf dem Glauben an Gott basierend. Das Judentum und die Geschichte Gottes mit Israel, die ja ebenfalls mit „den Vätern“ beginnt – den Israeliten gehören nach Röm 9,5 „die Väter“ – sind hier nicht im Blick. Ist das nun der „Ausstieg aus der Geschichte Gottes mit Israel“, wie die Schlussüberlegungen von Matthias Konradt zu Gal 3 nahezulegen scheinen?135 Nach allem, was ich hier vorgetragen habe, wird deutlich sein, dass diese Frage nicht im Zentrum des Abrahamtextes Gal 3 steht und nicht die Frage war, die Paulus hier klären wollte. Paulus wollte die Frage klären: „Wie bzw. wodurch sind die Galater in den Zustand des Heils oder Lebens gekommen?“ Seine Antwort hieß: ἐξ ἀκοῆς πίστεως. Paulus bindet die πίστις zurück an Abraham und stellt die galatischen Gemeinden damit in die Segensgeschichte Gottes mit den Menschen hinein. Eine israelbezogene Engführung fehlt hier. Auch Gal 3,15–25 ist ein anthropologischer Text, nicht ein Text zur Geschichte Israels. Trotzdem gilt auch das, was schon für das Profil der Adressaten des Galaterbriefes dargestellt wurde: Abraham ist nach der Septuaginta der Stammvater Israels, und Israels Geschichte wird hier nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil als Teil der Geschichte Gottes mit der Menschheit interpretiert. Abraham ist der Vater Israels und der „Vater vieler Völker“. Dies gilt mit zwei Präzisierungen. (1) Paulus bestimmt Israel neu als jenes Israel Gottes, das nach dem κανών von Gal 6,15 wandelt. (2) Israels spezielle Geschichte mit Gott zwischen Abraham und Christus verliert tatsächlich ihre eigene Bedeutung. Sie wird in Typologie und Allegorie aufgelöst und christologisch gelesen.136 Diese Textinterpretation wirft nun eine Schlussfrage auf: Was bedeutete diese Hineinnahme der Galater in die Segensgeschichte Gottes mit den Menschen seit Abraham für die Galater? Die gegnerischen Missionare boten ihnen einen klaren Status an, nämlich φύσει Ἰουδαῖοι zu werden, zum ἔθνος Ἰουδαίων zu gehören, Judaeans zu werden und damit auch den rechtlichen Status der Juden zu genießen – ein Motiv, auf das Paulus kritisch in 6,12f anspielt, das aber nicht im Vordergrund zu stehen scheint. Hier wurde eine neue ethnisch basierte Identität angeboten. Paulus stellte die galatischen Gemeindemitglieder dagegen in 134 Dies
wird erst im Römerbrief ausgeführt. Dies Thema behandelt Paulus explizit in Röm 9–11, nicht im Galaterbrief. 136 Vgl. Texte wie 1 Kor 10,1–13 oder Gal 4,21–31. 135
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das institutionelle und rechtliche Vakuum der ἐκκλησίαι Ἰησοῦ Χριστοῦ und des „Israel Gottes“ und machte sie zum „Samen Abrahams“ im Glauben. So waren sie wahrhaftig nun „weder Juden noch Griechen noch jüdische Sympathisanten noch Christen, sondern einer in Christus“. Und die Abrahamskindschaft stellte sie, die sie doch mehrheitlich nicht beschnitten waren und nicht zum ἔθνος Ἰουδαίων gehörten, ganz deutlich in die Heilsgeschichte der universal gedeuteten Vätergeschichte Israels hinein und brachte sie damit in das ethnische und religiöse Spannungsfeld zwischen dem „Volk der Juden“ und „den Völkern“ – in jenes unübersichtliche und gefährliche tertium, in dem sich das Christentum entwickeln sollte. Im Römerbrief wird Paulus die Bedeutung Abrahams endgültig universalisieren, wenn er von der Verheißung „an Abraham oder seinen Samen“ spricht, „Erbe der Welt“ (κληρονόμος τοῦ κόσμου) zu sein (Röm 4,13). Abraham als Vater der Menschheit, soweit sie „aus Glauben lebt“: Das ist die universalanthropologische Perspektive der Abrahamkapitel bei Paulus. Damit wird die Spaltung zwischen „den Juden“ und den „Völkern“ überwunden, und die Menschheit wird nicht mehr ethnisch oder religiös – hier fallen diese unterschiedlichen Kategorien137 wieder zusammen –, sondern ἐν Χριστῷ und als Erben Abrahams verstanden nach Gal 3,28 f.
5. Schluss Die Frage, die hier verhandelt wurde, lautete: Ist Gal 3 wirklich ein „Abrahamtext“ im engeren Sinn, oder ist Abraham nur eine argumentative Hilfsfigur? Ein Abrahamtext ist Gal 3 nur in einer spezifischen Weise. Abraham ist hier der Träger der Verheißung Gottes und der Vertreter der πίστις ante Christum. Seine πίστις ist die einzige Bedingung, der Verheißung Gottes teilhaftig zu werden. Insofern ist er textpragmatisch eine argumentative Figur, denn er soll die Argumentation des Paulus, der Glaube, nicht die ἔργα νόμου machten die Menschen vor Gott gerecht, belegen. Aber damit ist er keineswegs eine Hilfsfigur. Ganz im Gegenteil: er ist der einzige „richtige Mensch“, der die Möglichkeit der πίστις eröffnet hat, die seit Jesus Christus Wirklichkeit geworden ist. So wie Adam die Einheit der Menschheit im Sinne der Sterblichkeit in sich trägt, trägt Abraham Gottes Segen für die Menschen in sich. Paulus entschränkt die Reichweite des Segens, indem er sie allen Menschen, die glauben, zukommen lassen will. Damit wird Abraham zum Garanten der Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit ante Christum natum ebenso wie seiner Heilsgeschichte mit den ἔθνη. Adam und Abraham schließen vorwegnehmend die Möglichkeiten der Menschheit zwischen Sünde, Tod und Glauben und Gerechtigkeit in sich und
137
Vgl. das oben zu S. Mason Gesagte.
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III. Texte
sind die Garanten einer theologischen Anthropologie, die ihre Realität in Jesus Christus findet. Es ist nicht nur eine theologisch-christologische Anthropologie, die Paulus in Gal 3 mit der Hilfe der Gestalt Abrahams entwirft, also eine Lehre, sondern zugleich geht es um eine sehr persönliche, eine sehr adressatenbezogene und eine sehr polemisch-aktuelle Diskussion. (1) Persönlich: Paulus erhält durch diese Konstruktion des „gläubigen Abraham“ die Kontinuität zwischen seiner eigenen jüdischen Identität, seiner Zugehörigkeit zum „Samen Abrahams“ und dem verus Israel aufrecht, das durch Abraham verkörpert wird und dem er wie seine Gemeinden zugehören. (2) Adressatenbezogen: Darüber hinaus stellt er die galatischen Gemeinden in die Kontinuität des Heilshandelns Gottes an die Menschen hinein und gibt ihnen dadurch eine wahre Geschichte. (3) Polemischaktuell: Er eröffnet den Galatern die Möglichkeit, in Identität mit der wahren Geschichte Gottes mit Israel und der Menschheit zu leben, ohne ethnisch bzw. physisch Ἰουδαῖος werden zu müssen.
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III. Texte
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21. Wie kommt Abraham in den Galaterbrief?
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22. Philippi und Jerusalem Sind Phil 3,20 und Gal 4,24–26 politische oder ethische Texte? Ungemessen ist die Fülle des Lichtes, das sich, von Jahr zu Jahr zunehmend, über die griechischen, kleinasiatischen und syrischen Großstädte des Neuen Testaments ergießt, das eigentliche Missionsgebiet des Urchristentums erhellend … wer das alles geschaut … hat, der wird … ein Bleibendes besitzen: die Erkenntnis von der Großartigkeit jener „Welt“, von der ein Paulus zu sagen gewagt hat, sie sei im Vergehen: War dies Wort eines Handwerkermissionars vom ohnmächtigen Neid des Ausgeschlossenen diktiert, oder kam es aus dem Bewußtsein einer selbst dieser Welt überlegenen Kraft?1
In bewundernswerter Klarsicht hat Adolf Deissmann, einer der Pioniere frühchristlicher Religions-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte, das spannungsvolle Verhältnis zwischen den sozialen und politischen Rahmenbedingungen der Mission des Paulus und seiner eigenen religiösen Weltsicht formuliert. Die gegenwärtige kontextuelle Paulusforschung dagegen geht grundsätzlich von Beziehungen, Interdependenzen und Koinzidenzen zwischen den allgemeinen politischen Bedingungen der Prinzipatszeit, der Verfassung der kleinasiatischen und griechischen Städte, den kommunitären und kommunikativen Strukturen der frühchristlichen Gemeinden und den paulinischen Briefen aus, arbeitet aber im Hinblick auf den römischen Staat und die Rolle des princeps auch mit einem politischen Konfrontationsmodell. In diesem Zusammenhang wird in der exegetischen Literatur häufig auf Phil 3,20 und Gal 4,25 f. verwiesen – zwei prominente Paulustexte, die politische Interpretationen geradezu herauszufordern scheinen. Doch wird eine solche Deutung der Komplexität der Wechselwirkungen gerecht, die Paulus bei seiner Wahrnehmung der politischen und sozialen Bedingungen seiner Zeit und bei der Konzeption seiner eigenen Gemeinden geleitet haben? Die Absicht des vorliegenden Beitrages ist es, Phil 3,20 und Gal 4,25 f. von der Distanz her zu interpretieren, auf die Deissmann hingewiesen hat: Es handelt sich – so meine These, und so werde ich argumentieren – weder um allgemeinpolitische oder der Stadt-Thematik gewidmete, sondern um ethische Texte, mit 1 A. Deissmann, Licht, 240 f. – Der Beitrag ist Ekkehard W. Stegemann gewidmet, der selbst gewichtige Untersuchungen zur frühchristlichen Sozialgeschichte sowie zu neuen readings der Paulusbriefe beigesteuert hat.
470
III. Texte
denen Paulus das eigene Ethos seiner christusbekennenden Gemeinden entwickeln und stärken will. Bei meiner Interpretation nehme ich im kritischen Dialog auf drei benachbarte aktuelle Bereiche der Paulusforschung Bezug: erstens auf die politische und sozialgeschichtliche Interpretation von Phil 3,20 und Gal 4,25 f., zweitens auf einige Aspekte der Polis2- und drittens der „territoriality“bzw. „space“- oder „geographical awareness“-Forschung3.
1. Paulus und die Städte Beginnen wir mit der Wahrnehmung der Städte. Paulus war ein Stadtmensch4, und trotz seiner umfangreichen Reisen durch Syrien, Kleinasien und Griechenland, die ihn zwar über die guten römischen Straßen, dabei aber durch Gebirge, Wüsten und Flüsse führten und mit Räubern und Landbewohnern zusammenbrachten, konzentrierte er seine Wirksamkeit auf die zumeist in Küstennähe liegenden Städte, auch wenn diese für ihn ebenso gefährlich waren wie das Land (2 Kor 11,26). Die Städte waren seine politische Wirklichkeit. In den Städten waren die Menschen, denen seine Sendung galt. In den Städten predigte er das εὐαγγέλιον, lehrte er, gründete er eigene ἐκκλησίαι, in den Städten wurde er gehört, aber auch abgewiesen, verfolgt, verhaftet, ausgewiesen. Trotzdem zeigt er keine Furcht gegenüber den Städten der hellenistisch-römischen Welt. Die verschiedenen Stationen der paulinischen Missions- und Besuchsaufenthalte in den Städten des östlichen Mittelmeerraumes hat der Verfasser der Apostelgeschichte festgehalten. Er ist es auch, der uns das Bild von Paulus, dem πολίτης der „nicht unbekannten Stadt Tarsus in Kilikien“ (Apg 21,39) vermittelt, der zugleich Ῥωμαῖος ist (Apg 16,37; 22,25.26.27.29; 23,27), ja der diese πολιτεία nicht erst für viel Geld erworben, sondern schon geerbt hat (Apg 22,28). Paulus wird von Lukas die doppelte Stadtbürgerschaft von Tarsus und
2 Vgl. zur Definition K. L. Noethlichs, „Städte“, 117: „Eine ‚Stadt‘ ist … eine Gebietskörperschaft, bestehend aus einem eng bebauten Zentrum (der eigentlichen civitas) und einem dazugehörigen territorium, auf dem dasselbe Stadtrecht gilt. Das röm. Reich stellt sich also dar als eine flächendeckende Ansammlung einzelner Städte, insgesamt etwa 2000 zur Zeit der größten Ausdehnung … Die röm. Zentrale vertrat eindeutig das Prinzip kommunaler Autonomie“. Wichtig ist der Unterschied zwischen griechischer und römischer Stadt: „Bei den gr. poleis gab es keine rechtlichen Unterschiede … [Die Römer] erfanden ein abgestuftes System verschiedener städtischer Rechtskategorien“ (116). Dazu gehört der Status der colonia, der im Neuen Testament nur für Philippi erwähnt wird. Vgl. dazu P. Pilhofer, „Antiochia“, 154–165. 3 Zwei weitere Bereiche werden ebenfalls berührt, soweit sie mit Phil 3 und Gal 4 befasst sind: die umfangreiche motivgeschichtliche Forschung zum Thema der himmlischen Stadt und die Jerusalemtheologie der neutestamentlichen Schriften – letzteres ebenfalls ein Thema von E. W. Stegemann. 4 Vgl. den entsprechenden Beginn des Kapitels „Die urbane Umwelt des paulinischen Christentums“ (W. A. Meeks, Urchristentum), 24–110.
22. Philippi und Jerusalem
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von Rom attestiert. Über die Historizität der lukanischen Angaben ist viel gestritten worden, eine eindeutige Entscheidung wird sich weder für das tarsische noch für das römische Bürgerrecht fällen lassen.5 Wayne A. Meeks hat aber zurecht darauf hingewiesen, dass „der Verfasser der Apostelgeschichte … es, ob seine Information nun auf Wahrheit oder Fiktion beruhte, immerhin für glaubhaft [hielt], daß Paulus’ Vater sowohl Bürger von Tarsus als auch Bürger Roms war und dennoch seinen Sohn zum Studium bei Rabbi Gamaliel nach Jerusalem schickte“6. Auf jeden Fall hat sich das Leben des Paulus in Städten zwischen Tarsus, Jerusalem und Rom abgespielt. Er war in verschiedenen Städten erfolgreich – in anderen nicht – und wusste sich dort zu behaupten. Für die gegenwärtige Paulusforschung, besonders soweit sie sozialgeschichtlich geprägt ist7, ist daher mit guten Gründen die lukanische Wahrnehmung der städtischen Herkunft und des städtischen Missionsfeldes des Paulus von entscheidender Bedeutung.8 Sucht man bei Paulus selbst nach einem entsprechenden Echo der Erfahrungen mit Städten, findet sich nichts Derartiges. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die schwache eigene paulinische Wahrnehmung von Städten9 gegenüber der lukanischen Darstellung kaum Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die folgende Aufstellung dokumentiert zunächst, dass Paulus selbst in seiner Korrespondenz wesentlich weniger Städte als die Apostelgeschichte nennt.
5 Vgl. dazu die nüchterne und informative Zusammenstellung bei E. Ebel, „Leben“, 155–171 (Auseinandersetzung mit der Lit.). 6 W. A. Meeks, Urchristentum, 83. 7 Vgl. besonders: a. a. O. (dort das luzide Nachwort von G. Theißen, 382–387); G. Theißen, Studien; E. W. Stegemann/W. Stegemann, Sozialgeschichte. 8 Vgl. die klassische Darstellung bei W. A. Meeks, Urchristentum, bes. 88–110. Für die gegenwärtige, stark expandierte Forschungslage informativ der Einführungsartikel von K. L. Noethlichs, „Städte“, 116–123. Dort auch die folgenden Beiträge unter: „Einzelne Städte im Profil“ (127–177). Weiter D.-A. Koch, „Städte“, 205–246. Koch konzentriert sich auf die Poleis der Asia und auf die Poleis und Coloniae (Philippi und Korinth) in Griechenland als auf jene Städte, in denen Paulus erfolgreich und nachhaltig gewirkt hat. Hinzu kommt Rom als seine letzte Wirkungsstätte. – Wichtig sind die großen Monographien zu den „paulinischen“ Städten aus neutestamentlicher Sicht: A. Dauer, Paulus; Ch. vom Brocke, Thessaloniki; J. M. MurphyO’Connor, Corinth; P. R. Trebilco, Christians; St. J. Witetschek, Enthüllungen 1. Zu Philippi s. u. (vgl. auch zahlreiche Sammelbände zu den genannten Städten). 9 Πόλις begegnet nur Röm 16,23; 2 Kor 11,26.32. Vgl. dagegen die Stadt-Texte in Hebr u. Off.
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III. Texte
Städte, die in den Paulusbriefen genannt werden (außer Jerusalem) Antiochia am Orontes Athen Damaskus Ephesus Kenchreai Korinth Philippi Rom Thessaloniki Troas
Gal 2,11 1 Thess 3,1 (Athenaioi Apg) 2 Kor 11,32; Gal 1,17 1 Kor 15,32; 16,8 Röm 16,1 1 Kor 1,2; 2 Kor 1,1.23 (Corinthioi 2 Kor 6,11) Phil 1,1; 1 Thess 2,2 (Philippesioi10 Phil 4,15) Röm 1,7.15 (Romaioi fehlt, mehrfach in Apg) Phil 4,16 (Thessalonikoi 1 Thess 1,1) 2 Kor 2,12
Städte, die nicht in den Paulusbriefen, aber in der Apostelgeschichte und in den Deutero- bzw. Tritopaulinen genannt werden (Auswahl) Amphipolis Antiochia in Pisidien Apollonia Assos Attalia Caesarea maritima Beröa Derbe Hierapolis Iconium Kolossae Laodicae
Lystra Milet Neapolis Paphos Patara Perge Ptolemais Salamis Smyrna Tarsus Tyrus
Jerusalem in den Paulusbriefen11 Jerusalem
Röm 15,19 Röm 15,25 Röm 15,26 Röm 15,31 1 Kor 16,3 Gal 4,25.26
Hierosolyma
Gal 1,17 Gal 1,18 Gal 2,1
Im Vergleich zwischen der ersten und zweiten Städtegruppe fällt besonders auf, dass Paulus selbst nirgendwo Tarsus nennt und auch nicht auf die Städte im Lykostal verweist, die eng mit der paulinischen Missionstätigkeit verbunden sind. In der ersten Gruppe erstaunen das völlige Desinteresse des Paulus an dem Lob jener Städte, an deren Gemeinden er schrieb, sowie der äußerst seltene Verweis auf die wichtigen Städte selbst: auf Korinth, Philippi und Thessaloniki, aber auch auf Antiochia und Ephesus, jene Städte, in denen sich Paulus längere Zeit 10 Vgl. dazu P. Pilhofer, Philippi, 117 f. (mit Rückbezug auf W. M. Ramsay, „Philippians“, 114–116): Philippesioi ist die Gräzisierung von Philippenses. 11 Zu der unterschiedlichen Schreibweise vgl. M. Bachmann, Jerusalem, 13–66.
22. Philippi und Jerusalem
473
als Missionar und Handwerker aufhielt und die wichtige Gemeinden hatten.12 Auch Rom wird nicht als Hauptstadt thematisiert.13 Dagegen wird mehrfach Jerusalem14 genannt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass Jerusalem nur in Röm 15,19 und Gal 4,25 in thematischem, nicht nur in geographisch-biographischem Zusammenhang erwähnt wird. Trotzdem wird einzig jene Stadt, die nirgendwo als „Paulusstadt“ fungiert, nämlich Jerusalem, anders als alle anderen Städte und vor allem als Rom, ein eigenes Thema für Paulus.15 Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung der Städte zwischen Paulus und der Apostelgeschichte, die sich weder einfach sozialgeschichtlich noch biographisch erklärt, ist der Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen, deren Ziel es nicht ist, die urchristliche Sozialgeschichte zu relativieren, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass sich die eigene Wahrnehmung des Paulus, soweit wir sie aus seinen Briefen rekonstruieren können, sowohl von der Darstellung der Apostelgeschichte16 als auch von unserer Wahrnehmung und Rekonstruktion seiner politischen Welt unterscheidet. Paulus ist es in seinen Briefen nicht um die von Deissmann eingangs beschworene Größe der kleinasiatischen und griechischen Städte, in denen er sich aufhält, zu tun, um ihre besondere kulturelle Rolle, die beispielsweise immer wieder für Tarsus betont wird, um ihre Verwaltungs- und Bevölkerungsstruktur, oder um die Rolle Roms als urbs bzw. caput mundi. Paulus nimmt die Städte vielmehr als Sitze der frühchristlichen ἐκκλησίαι in den Blick, und nur um diese geht es ihm. Man muss nicht bezweifeln, dass er den Unterschied zwischen Städten wie Athen und Rom und zwischen πόλεις und coloniae (Philippi, Korinth, Troas17) gekannt und unter Umständen, gerade was letztere angeht, für seine Mission benutzt hat, aber er thematisiert ihn nicht.18 12 Ich
kann hier nur im Vorbeigehen darauf hinweisen, dass Paulus offensichtlich missionsstrategisch in Provinzen und Landschaften dachte und sich auf territorial-politische Ordnungsbegriffe des Imperiums bezog (Röm 15,17–29); vgl. O. Wischmeyer, „Mission“, 90–121. Aus geographischer Perspektive: K. Magda, Territoriality. Magda setzt sich kritisch mit J. M. Scott, Paul, auseinander. 13 Anders die Belege in der Apostelgeschichte. 14 Paulus erwähnt keine Studienzeit in Jerusalem! 15 K. Magda, Territoriality, 25, weist zurecht darauf hin, dass Jerusalem nicht im Zentrum des praktischen paulinischen Verständnisses von geographischem Raum-Territorium steht. Allerdings ist die Formulierung von Röm 15 Jerusalem-zentriert. Sie steht in deutlichem Gegensatz zu Gal 1,17. Vgl. dazu R. Jewett, Romans, 911–915 (mit Bezug auf J. M. Scott, Paul). Jewett sieht keinen Gegensatz zwischen Röm 15,19 und Gal 1,17: Paulus denkt in Röm 15 an den Apostelkonvent. 16 Vgl. die Anknüpfungsstrategien mit dem Städtelob z. B. in Athen. 17 Zu den coloniae vgl. J. E. Stambaugh, City. Zu der differenzierten Entwicklung der christlichen Gemeinden in den griechischen coloniae Philippi und Korinth vgl. D.-A. Koch, „Christsein“, 334–353. 18 Methodisch bleibt es fragwürdig, die Intentionen des Paulus bei seinen Missionsreisen von Details der historischen und politischen Gegebenheiten der Stadtlandschaften im Osten des Imperiums abhängig zu machen. Zum Verhältnis des Paulus zu den Städten seiner Gemeinden vgl. auch O. Wischmeyer, „Identity“, 355–378, bes. 359–362.
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III. Texte
Er benutzt die urbane Kultur der Osthälfte19 des imperium Romanum – was er thematisiert, und das heißt: was ihn beschäftigt, ist aber etwas sehr anderes, nämlich der „Wandel“ „seiner“ ἐκκλησίαι.
2. Das himmlische Politeuma der Gemeinde in Philippi Zwei Texte werden immer wieder für das Thema „Paulus und die Städte“ genannt: Phil 3,20 und Gal 4,25 f. Phil 4,20 ist zudem ein Schlüsseltext im Zusammenhang der Debatte um „Paul and Politics“. Ich frage zuerst, wieweit Phil 3,20 für dies Thema herangezogen werden kann. Im Rahmen einer seiner heftigsten polemischen Attacken20 gegen ungenannte Gemeindeglieder („viele“) – nicht gegen gegnerische Missionare –, die so leben, dass sie „Feinde des Kreuzes Christi“ sind, statuiert Paulus im Philipperbrief: ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει, ἐξ οὗ καὶ σωτῆρα ἀπεκδεχόμεθα κύριον Ἰησοῦν Χριστόν. (Phil 3,20)
Was in unserm Zusammenhang wichtig ist, ist die Interpretation von πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς. Dabei ist Folgendes zu beachten: Der Ausdruck ist als Metapher gesetzt, und der argumentative Kontext von Phil 3,20 muss berücksichtigt werden. Der Vordersatz entfaltet seine Bedeutung in der Spannung zwischen (1) dem Begriff πολίτευμα und (2) „den Himmeln“. Diese beiden Aspekte: (1) die politische und (2) die religiöse Semantik, stellen im Kontext der genannten Polemik die Basis meiner Interpretation dar, die im Ergebnis den Text als (3) ethischen, nicht aber als politischen Text liest.21 (1) Πολίτευμα22, neutestamentliches hapax legomenon23, bezeichnet nicht „die Stadt“ selbst, sondern das „politische Gemeinwesen“, die „Verfassung“ 19 Und
er plant für den ihm unbekannten Westen. Zu dieser Polemik vgl. die breite bibliographische Dokumentation bei J. Reumann, Philippians, 590 u. 592–602. Reumann denkt für Phil 3 anscheinend an sog. judaisierende gegnerische Missionare und an libertinistische Gemeindegruppierungen (vgl. bes. W. Schmithals, „Irrlehrer“, 297–341). 21 Zur Forschungsgeschichte vgl. die sehr klare Darstellung bei D. Schinkel, Bürgerschaft, 100–119. 22 Grundlegend: W. Ruppel, „Politeuma“, 268–277 und 433–454. Vgl. auch G. Thür, „Politeuma“, 27: P. bedeutet zunächst Staatsgewalt, Regierungs- und Verfassungsform, dann bes. im Seleukiden- und Ptolemäerreich „landsmannschaftliche Zusammenschlüsse z. B. der als Minderheiten lebenden Makedonen, Griechen, Perser und Juden, mit teilweiser Selbstverwaltung und eigener Gerichtsbarkeit“. – Den Unterschied zwischen „Heimat“, aus der Lutherübersetzung vertraut, und „Bürgerrecht“ verdeutlicht P. Pilhofer, Philippi, 128 f. Pilhofer votiert für die Übersetzung mit „Bürgerrecht“ (130). J. Reumann, Philippians, 575–577, fasst die Bedeutung enger: „our governing civic association“ (576); so schon R. S. Ascough, Associations, 78. Vgl. die ausführliche Diskussion bei D. Schinkel, Bürgerschaft, 54–67. 23 Vgl. aber Phil 1,27. Vgl. die Ausführungen P. Pilhofer, Philippi, 136–139 zu Phil 1,27 (epigraphischer Kontext in Philippi). 20
22. Philippi und Jerusalem
475
oder das „Bürgerrecht“ und gehört damit, wie immer das Substantiv im konkreten Zusammenhang zu verstehen ist, zu den Grundbegriffen der griechischen Polislexik.24 Die entsprechenden Lexeme πολίτης – so für Paulus in Apg 21,39 – und πολιτεία fehlen im paulinischen Lexikon, das Grundlexem πόλις selbst begegnet nur nebenbei in Röm 16,23 (auf die Tätigkeit des Erastos in Korinth bezogen) und 2 Kor 11,26 (Peristasenkatalog) und 32 (Damaskus), dagegen sehr oft bei den Synoptikern, in der Apostelgeschichte, im Hebräerbrief und besonders in der Offenbarung. Eine eindeutige Entscheidung zur Bedeutung von πολίτευμα lässt der Text nicht zu, da das Substantiv metaphorisch verwendet ist. Umso genauer ist der argumentative Kontext zu beachten, auf den der Satz in antithetischer Logik (ἡμῶν γὰρ) verbunden ist. Lukas Bormann setzt in seiner Studie über Philippi bei πολίτευμα an und formuliert in seinem Resumé: „Die Philippergemeinde fühlt sich einer anderen politischen Gemeinschaft angehörig (Phil 3,20)“25. Nun wissen wir nicht, wie sich die christusgläubigen Philipper fühlten und wie weit sie bereits eine klare Vorstellung davon hatten, eine eigene soziale und politische Körperschaft darzustellen. Wir können aber feststellen, dass Paulus sie wie auch seine anderen Gemeinden in der Tat als eigene Körperschaft versteht (Phil 4,15). Bormann nennt die organisatorischen und konzeptionellen Aspekte dieser Eigenorganisation und kommt zu dem weiteren Urteil, „daß hier Konkurrenz zum religiös-politischen Programm des Prinzipates im Entstehen ist“26. Auch dies ist sehr weit gegriffen, denn im fraglichen Text geht es nicht um die Regierungsform des Imperiums im 1. Jahrhundert n. Chr., sondern um Formen der Stadtverwaltung. Und selbst dabei muss offen bleiben, ob Paulus lediglich eine eigene Körperschaft konstituiert oder darüber hinaus auch schon eine Konkurrenz mit anderen, politisch geprägten Körperschaften intendiert. Direkte Hinweise auf eine solche Intention, die auf Konflikt und – wenn möglich – Ersatz der städtischen durch die neue christliche Bürgerschaft hinweist, finden sich im Philipperbrief jedenfalls nicht. Immerhin wäre es möglich, dass Paulus in Phil 3,20 doch einen eigenen stadtpolitischen Anspruch der Gemeinschaft der christusbekennenden Philipper formulierte, um ihr eigenes körperschaftliches standing in der colonia von Philippi zu betonen. Aber auch diese Interpretation ist zweifelhaft. Die Textlogik der paulinischen Polemik von Phil 3,20 weist in eine andere Richtung. 24 Das gilt auch in dem administrativ veränderten Rahmen der Colonia Iulia Augusta Philippensis. Vgl. dazu L. Bormann, Philippi, 66 f. u. 222–224, und P. Pilhofer, Philippi, 114– 134. Beide Arbeiten gewichten den Anteil der römischen Bevölkerung der Kolonie und die Rolle des Kaiserkultes und der imperialen Perspektive unterschiedlich (vgl. den knappen Vergleich bei P. Pilhofer, Philippi, 47f, der sich allerdings deutlich von seiner eigenen Darstellung auf S. 114–118 unterscheidet, wo wie bei Bormann das „römische … Milieu“ der Stadt betont wird, S. 117). Insgesamt kann an der Bedeutung der römischen Bevölkerungsgruppe kein Zweifel bestehen. 25 L. Bormann, Philippi, 223. 26 A. a. O., 222.
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III. Texte
Paulus polemisiert nicht gegen die städtischen Organe der colonia und ebenso wenig für eine eigene Organisation. Seine Polemik richtet sich vielmehr nach innen, nämlich gegen jene schon erwähnten „Vielen“, die als Feinde des Kreuzes Christi leben, „ehrlos“ und „irdisch gesinnt“ (3,19). Wie die von Paulus hart angegriffenen Gruppierungen in der Gemeinde zu bestimmen sind, muss hier nicht diskutiert werden.27 Deutlich ist, dass Paulus primär gegen eine falsche Ethik, ein falsches πολιτεύεσθαι in der Gemeinde kämpft. Das ἡμῶν in 3,20 bezieht sich ja auf die ἐκκλησία der Philipper (4,15). (2) Diese wird in der Polemik des Paulus nun auf ihre himmlische Bestimmung hin durchsichtig gemacht. „Die Himmel“ – singularisch oder pluralisch – werden bei Paulus ähnlich wie πολίτευμα selten erwähnt.28 „Himmel“ ist ein Grundbegriff antiker Kosmologie wie gemeinantiker religiöser Sprache29, in frühjüdischen und neutestamentlichen Texten besonders akzentuiert in apokalyptischen Zusammenhängen verwendet.30 Bei Paulus findet sich diese Konnotation in 1 Thess 1,10 und 4,16, unter Umständen auch in der Formulierung von Röm 1,18. Für das Verständnis des Philipperbriefs ist 2 Kor 5,1 f. von besonderem Interesse, denn hier setzt Paulus eine analoge Metapher: die Doppelmetapher (1) von „dem Haus (οἰκία) aus Gott“, „dem nicht mit Händen gemachten ewigen Haus in den Himmeln“, das dem „irdischen Haus dieses Zeltes“ entgegengesetzt ist, und (2) der „Behausung (οἰκητήριον) aus dem Himmel“. Das Syntagma ist hier Teil eines hochkomplexen religiösen Textes (5,1–10), der am Ende in ein apokalyptisches Szenario mündet.31 Nun wird die Hausmetapher – anders als die Bürgerrechtsmetapher in Phil 3,20 – von der Exegese nicht im Zusammenhang mit der Debatte um die frühchristlichen Hauskirchen32 und deren Strukturen gelesen, sondern von vornherein als das verstanden, was sie ist: als Bildgeber. Dasselbe gilt für Phil 3,20. Hier ist πολίτευμα Bildgeber. Beide Substantive, πολίτευμα und οἰκία bzw. οἰκητήριον33, werden von Paulus in derselben Weise metaphorisch verwendet, indem er sie mit dem Himmel als der Sphäre des „Herrn Jesus Christus“ (Phil 3,20) in Verbindung bringt, genauer gesagt: in den 27 Zur Bedeutung der Polemik-Forschung für die Frage nach den „Gegnern des Paulus“ bzw. nach unterschiedlichen Gruppierungen in den Gemeinden vgl. O. Wischmeyer/L. Scornaienchi, „Einführung“, 1–14. E.-M. Becker, „Polemik“, 233–254, interpretiert die Polemik in Phil 3 autobiographisch-rhetorisch. Der autobiographische Aspekt besteht in Phil 3,20 insoweit, als Paulus auch hier die „Gegner“ in explizitem Gegensatz zu seiner Person konstruiert (3,3–16: autobiographische Passage). 28 Röm 1,18; 10,6; 2 Kor 5,1 f.; 12,2; Gal 1,8; Phil 3,20; 1 Thess 1,10; 4,16. Vgl. A. Lumpe/ H. Bietenhard, „Himmel“, 173–212. 29 So in Gal 1,8 und Röm 10,6, auch 2 Kor 12,2. 30 Mk 13par. und Off. 31 Vgl. die Offenbarungsverben in Röm 1,18 und 2 Kor 5,10. 32 Zum Thema vgl. D. Horrell, „adelphoi“, 293–311. Zuletzt B. S. Billings, „Church“, 541– 569. 33 Beides selten und unspezifisch bei Paulus, d. h. vergleichbar mit πολίτευμα.
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Himmel verlegt und von einer himmlischen Behausung und einem himmlischen Bürgerrecht spricht. Wofür aber setzt Paulus die ganz und gar irdischen Größen von Haus und Bürgerrecht ein?34 Πολίτευμα und οἰκία stehen in ihrer eigentlichen Bedeutung für materiellen und ideellen festen Besitz, für ein Zuhause, für Rechte, für bürgerliche Freiheit und Ordnung, kurz: für die Grundlagen des sicheren und geordneten städtischen Lebens eines Polisbürgers.35 Eben diese Privilegien des πολίτης, Haus und Bürgerrecht, die gleichermaßen statisch, nämlich als Besitz und Rechtsposition, und dynamisch, nämlich als Lebensführung, zu denken sind, werden mittels der Metapher in „die Himmel“ transponiert,36 damit sachlich transformiert und in strikten Gegensatz zum Irdischen (τὰ ἐπίγεια Phil 3,19; ἡ ἐπίγειος ἡμῶν οἰκία 2 Kor 5,1) gestellt. Genau genommen handelt es sich in Phil 3,20 und 2 Kor 5,1 also um paradoxe Metaphern, denn „in den Himmeln“ gibt es weder Bürgerrecht noch Häuser, und Paulus will nicht von neuen Strukturen und Lebensverhältnissen im Eschaton sprechen.37 Mittels der paradoxen Metapher weist Paulus die Gemeindeglieder der christusbekennenden ἐκκλησίαι in Korinth und in Philippi vielmehr darauf hin, dass ihre Existenz und ihre Freiheit gerade nicht am Körper und einem irgendwie gearteten „irdischen“ Bürgerstatus hängen, sondern „in den Himmeln“, d. h. beim Kyrios, gegründet sind. Dort liegen ihre Sicherheit und ihre Ehre (Phil 3,21). 2 Kor 5,1–10 und Phil 3,20 lassen sich also weder auf eine politische noch auf eine religiöse, d. h. transzendente oder eschatologische Ebene reduzieren. Auch 2 Kor 5,1–10 hat eine starke ethische Intention. Dem „Wandel“ im Philipperbrief entspricht das Motiv der Ehre, für Christus εὐάριστοι zu sein (2 Kor 5,938) und im Endgericht zu bestehen. Als Fazit für Phil 3,20 ergibt sich: Die doppelte Dimension der christusgläubigen Gemeinde in Philippi – Sozialkörper und politische Körperschaft einerseits und Trägerin des himmlischen Bürgerrechtes andererseits – macht die Eigenart der paulinischen Argumentation in Phil 3 aus. In Phil 3,20 spricht Paulus durchaus von einer Konkurrenz, aber nicht zwischen der römischen Macht oder der Struktur der colonia und dem himmlischen Kyrios und seiner irdischen ἐκκλησία, sondern zwischen dem irdischen und dem himmlischen Wandel der Gemeindeglieder in Philippi (περιπατεῖν 3,17 f. bzw. πολιτεύεσθαι 1,27), also von einer Konkurrenz des Ethos innerhalb der Gemeinde, das in 4,8 f. noch einmal zusammengefasst wird. 34 Diese Frage wird in den Kommentaren zu 2 Kor 5 weniger behandelt als das Problem der gleitenden Metaphorik (Leib/Zelt/Haus/Gewand). Vgl. dazu Th. Schmeller, Brief, 281–290. 35 Insoweit trifft die Übersetzung der neueren Lutherbibel „Heimat“ einen Aspekt der Metapher. 36 Vgl. auch Lk 10,20 und Phil 4,3: die Namen sind im Himmel angeschrieben (Buchmetapher). 37 So der Verfasser der Johannesoffenbarung in visionärer Form. 38 In 2 Kor 5 und 6 geht es vor allem um den Wandel des Apostels.
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III. Texte
Phil 3,20 ist also kein politischer Text, sondern ein Text, der politische und religiöse Lexik (πολίτευμα und οὐρανοῖ) synthetisiert, um daraus eine eigene ethische Begrifflichkeit für die christusbekennende Gemeinde in Philippi zu schaffen. Dabei wird politisch geprägte Lexik Teil der ethischen Semantik.39 Mit Hilfe dieser ambiguen Semantik gelingt es Paulus, seine ethische Sprache gleichzeitig konkret zu halten und theologisch zu autorisieren.40 Eine solche ethische Interpretation von Phil 3,20 muss sich mit der schon genannten Debatte um die faktische oder zumindest potentielle politische Dimension der paulinischen Aussagen auseinandersetzen, einer Debatte, die vorwiegend am Römerbrief, aber eben auch im Zusammenhang mit Phil 3,20 geführt wird.41 Samuel Vollenweider hat die prominente Debatte um „Paul and Politics“ im Philipperbrief in den größeren Kontext der „Politischen Theologie“ gestellt.42Vollenweider arbeitet mit differenzierender Begrifflichkeit. Er unterscheidet zwischen einer ‚kratologischen‘ Interpretation der Machtfrage, die er für Paulus und im Besonderen für den Philipperbrief verneint, und einer Übernahme politischen Vokabulars. Hier, im sprachlich-begrifflichen Bereich, kommt Vollenweider dann zu dem vorsichtig positiven Urteil, Paulus habe durchaus Elemente der politischen Sprache seiner Zeit aufgenommen. Die Unterscheidungen, die Vollenweider zwischen politischer Sprache und politischen Intentionen vornimmt, müssen für interpretatorische Positionen wie die von R.A. Horsley, Neil Elliott oder N. T. Wright, die den Römerbrief als – offene oder versteckte – politische Willenskundgebung des Paulus gegen das imperium Romanum lesen43, weiter entwickelt werden. Unterschieden werden muss nicht nur zwischen der politischen und religiösen Lexik einerseits und Der linguistische Unterschied von Lexem und seiner semantischen Setzung, von Lexematik und Semantik ist für die hier vorgetragene Interpretation entscheidend (s. u. Anm. 49). 40 Ähnlich interpretiert D.-A. Koch, „Christsein“ (bes. 343), unter Verweis auf D. Schinkel, Bürgerschaft. Schinkel weist für die Interpretation des πολίτευμα ἐν τοῖς οὐρανοῖς und der ἄνω κλῆσις sowie des himmlischen Jerusalem auf einen wichtigen Sachverhalt hin: die Eschatologie der genannten Vorstellungen verselbständigt sich bei Paulus nicht, sondern dient stets der Situation der Gemeinden, sie steht also im Dienst einer kommunitären Ethik: Paulus „liegt nichts an der Ausschmückung dieses πολίτευμα ἐν τοῖς οὐρανοῖς in apokalyptischen Farben, sondern um die Deutung der Zukunftshoffnung von der Gegenwart her. Das was die Gemeinde im Hier und Jetzt bewegt, ist bei Paulus Dreh- und Angelpunkt seiner Verkündigung. Das politische Bürgerrecht, auf das die Menschen in Philippi stolz sind, nimmt Paulus auf durch das Motiv von der ‚himmlischen Bürgerschaft‘, indem er das Irdische transzendierend eine neue Bezugsgröße einführt“ (122). Ganz anders E. W. Stegemann, „Konstruktion“, 97: Stegemann versteht das himmlische πολίτευμα nicht als Metapher, sondern im Zusammenhang eines „apokalyptische(n) Mythos“. 41 Die politischen readings verstehen den Satz: „Unser Bürgerrecht ist in den Himmeln“ als theologische Feststellung, ohne die Metapher und den argumentativ-polemischen Kontext zu analysieren. – Vgl. zum Thema bes. A. Standhartinger, „Theologie“, 364–382. Auch Standhartinger liest Phil 3,20 als politisches Votum (366). 42 S. Vollenweider, „Theologie“, 457–469. 43 Vgl. dazu E. W. Stegemann, „Coexistence“, 243–266. 39
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Semantik andererseits, d. h. der semantischen Färbung des Lexems im Textzusammenhang, sondern auch zwischen Intention und Rezeption. Episoden wie die in Apg 16,16–22, in denen Paulus vorgeworfen wird, „ἔθη zu lehren, die römische Bürger nicht annehmen dürfen“, machen deutlich, dass das Wirken des Paulus von Anfang an und stets konfrontative stadtpolitische Folgen hatte, allerdings solche, die er gerade nicht intendierte. Der zweite Teil der Apostelgeschichte liest sich als Kommentar zu den städtischen und allgemein-politischen Reaktionen auf die Verkündigungstätigkeit des Paulus. Infrage kann daher bei der Exegese von Phil 3,20 nicht die politische Dimension stehen, die grundsätzlich in der paulinischen Botschaft und in seinem Wirken und in dem Aufbau christusbekennender Gemeinden lag oder mindestens liegen konnte, sondern infrage steht, wieweit Paulus eine politische Dimension seiner Texte intendierte. Hier also sind Autorenintention und Rezeptions- sowie Wirkungsgeschichte zu unterscheiden. Mit Hilfe dieser weiteren Differenzierung ist für Phil 3,20 als Ergebnis festzuhalten: 3,20 selbst in seinem Kontext ist kein politischer Satz, weder im Sinne der Imperiumskritik noch im Sinne der Proklamation einer eigenen Polis- bzw. Körperschaftsstruktur, die in Konkurrenz zu den Strukturen der colonia Iulia Augusta Philippensis entworfen wäre. Der Satz richtet sich seiner Intention nach vielmehr gegen ein falsches Verständnis von Evangelium (1,27), wie es die „Widersacher“ vertreten (1,28), und ruft zu einem Wandel (περιπατεῖν) nach dem Vorbild des Paulus auf (3,17).44 Die dabei von Paulus gewählte Lexik kann aber von vornherein von Außenstehenden – wenn sie denn seine schriftlichen Äußerungen lasen45, seien es Juden oder griechische oder römische Polis-Bürger, als konkurrierender stadtpolitischer oder sogar allgemein-politischer Anspruch verstanden werden.46 Die gegenwärtigen exegetischen politischen readings führen diese Rezeptionslinie weiter, indem ihre Interpretation die inhärente konkurrierende und konfrontative Potenz des paulinischen Satzes aufdeckt. Methodisch sind also drei Ebenen des Verstehens von Phil 3,20 zu unterscheiden: erstens die Autorenintention47, zweitens die zeitgenössischen Verstehensmodi, die 44 Daher war die ursprüngliche Lutherübersetzung: „Unser Wandel ist im Himmel“ nicht falsch. Zum ethischen Motiv des Wandels vgl. E.-M. Becker, „Ethik“, 219–234. 45 Vgl. dazu die wichtigen Überlegungen von A. Standhartinger, „Theologie“, 375–377. Standhartinger geht davon aus, dass Paulus in seiner Gefangenschaftssituation nicht offen schreiben kann: „Der Brief ist durchgehend von Andeutungen und verhüllender Rede geprägt, die mit dem Mitwissen und Mitarbeiten der Lesenden rechnet“ (382). Methodische Basis ist: J. C. Scott, Domination. Dies Modell müsste sorgfältig an der Diktion und Thematik derjenigen Paulusbriefe geprüft werden, die nicht in einer Gefängnissituation entstanden sind: Findet sich hier „offene Redeweise“ in rebus politicis? 46 Dasselbe gilt für eine eindimensionale religiöse Interpretation, die die Intention des Satzes im spirituell-transzendenten Bereich festmacht. 47 Diese ist für jedes Kommunikationsmodell unverzichtbar. Vgl. H. Utzschneider u. a., „Autorenintention“, 63–65.
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III. Texte
die Lexik, die der Autor gewählt hat, gegen ihre semantische und argumentative Intention im Text lesen konnten, drittens die gegenwärtigen readings als Teil des Rezeptionsprozesses. Für Phil 3,20 bedeutet das erstens: Die Autorenintention zielt auf die Ethik der Gemeinde in Philippi, zweitens: zeitgenössische Verstehensmodi konnten einen Satz wie Phil 3,20 als Äußerung interpretieren, die gegen die jeweilige städtische Ordnung gerichtet war48, drittens: gegenwärtige readings denken die lexematischen und motivischen Potentiale49 des Satzes weiter und stellen diese in den Zusammenhang der Auseinandersetzungen zwischen den frühchristlichen Gruppierungen und dem imperium Romanum der Prinzipatszeit.
3. Das obere Jerusalem als Mutter der galatischen Christen Jerusalemtexte spielen sowohl in der frühchristlichen Sozialgeschichte als auch in der Debatte um „Paul and Politics“ eine wichtige Rolle. Ein zentraler Text in diesen Debatten, ist Galater 4,24–26: Diese [beiden Frauen] sind zwei Bundesschlüsse: der eine vom Berg Sinai, der Knechte gebiert, der ist Hagar – der Ausdruck „Hagar“ aber ist der Berg Sinai in Arabien, er entspricht dem gegenwärtigen Jerusalem – es lebt nämlich mit seinen Kindern in Knechtschaft. Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, das ist unsere Mutter.50
Auf den ersten Blick handelt es sich hier in der Tat um einen Jerusalemtext, einen Text, der den Eindruck der Konkordanz bestätigt, Paulus habe die Stadt Jerusalem hervorgehoben, thematisiert und mit theologischer Bedeutung gefüllt. Eine Deutung, die die Ergebnisse der Exegese von Phil 3,20 und 2 Kor 5 berücksichtigt, wird diesen Eindruck aber modifizieren. Gal 4,25 f. hat dieselbe Struktur wie Phil 3,20: (1) eine politische, reale Größe, hier „Jerusalem“, wird (2) mit einer himmlischen Lokalisierung, hier „oben“, verbunden. Aus dieser Verbindung entsteht (3) etwas Neues, ein Tertium, dessen Bedeutung ich wieder als ethisch bestimme. Wie bei Phil 3,20 spielt auch hier nicht das Motiv – himmlisches Bürgerrecht und oberes Jerusalem – die entscheidende Rolle für die Interpretation, sondern die Metaphorik und die Position im argumentativen Kontext.
48 Das
ist aber keineswegs zwingend, wie Cicero De re publica, Somnium Scipionis 13 zeigt. linguistischer Sicht ist die Unterscheidung von Lexik und Semantik zentral, aus exegetischer Sicht die Unterscheidung von Motivik und argumentativer Setzung im Kontext. 50 Vgl. zu diesem Vorstellungsfeld die motiv- und religionsgeschichtliche Studie von D. Schinkel, Bürgerschaft, bes. 115–119. Schinkel bezieht sich ausführlich auf die materialreiche Studie von A. M. Schwemer, „Stadt“, 195–243 (ausführliche Bibliographie und Kommentierung älterer Lit.), und auf P. Söllner, Jerusalem. 49 Aus
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(1) Auch in Gal 4 begegnet mit der Nennung des „jetzigen“ (ἡ νῦν Ἰερουσαλήμ), des aus der Perspektive der Galater und des Paulus aktuellen51 oder zeitgenössischen Jerusalem ungefähr ein Jahrzehnt vor dem 1. Jüdischen Krieg, politische Lexik. Wie kommt Paulus auf Jerusalem zu sprechen?52 Jerusalem begegnet im Abschluss des großen Abrahamtextes53, der thematisch von Gal 3,6–4,31 reicht. Gal 4,21–31 ist in der rhetorischen Gliederung von Hans Dieter Betz der sechste Beweisgang (probatio) der propositio von 2,15–21. Es handelt sich um den „abschließenden Schriftbeweis“54, in dem Paulus „mit Hilfe der allegorischen Schriftauslegung [zeigt], daß Heidenchristen wie die Galater Nachkommen von Abrahams freigeborenem Weib Sara und nicht von der Sklavin Hagar sind“55. Ziel des Textes ist V. 31, also nicht der Verweis auf das obere Jerusalem, sondern der Beweis der Freiheit der christusbekennenden Galater vom Gesetz, speziell von der Beschneidung. Gal 4,21–31 ist also kein Jerusalem-Text, sondern gehört also in den Kontext der Abrahamargumentation. Betz weist darauf hin, dass Paulus hier, wenn er in V. 24 das Verbum ἀλληγορεῖν verwendet, typologisch56 exegesiert, indem er „historisches Material interpretiert“57. Das historische Material des Paulus ist der Bericht aus Gen 16,15 – Hagar gebiert Ismael – und 21,2 – Sara gebiert Isaak – sowie 21,2–13 – Isaak wird der Erbe. Abraham hatte also zwei Frauen und eine doppelte Nachkommenschaft (V. 12 f.). Die allegorische Interpretation beruht auf einer komplizierten exegetischen Tradition, die auf der Basis eines doppelten Bundes Hagar zuerst mit dem Sinai und dann mit dem gegenwärtigen Jerusalem verbindet,58 während Sara nur mit dem „oberen Jerusalem“ verbunden wird.59 Die Argumentation ist deutlich: Das Ergebnis der sechsten probatio findet sich in 4,31 formuliert: Analog zur Abrahamkindschaft der christusbekennenden Galater (3,29) entnimmt Paulus seiner typologischen Genesisinterpretation abschließend die Gewissheit, dass „wir“ Kinder nicht der Magd, sondern der Freien, also Sarakinder sind. Sara wird aber anders als Abraham nicht namentlich genannt, da mit ihrem Namen kein bekanntes theologisches Programm verbunden ist. 51 M. Bachmann, „Frau“, 126–158, betont richtig: „Während bei der Abraham-Argumentation von Kap. 3 heilsgeschichtliches und damit auch Zurückliegendes thematisch war, wird nun … eine Aussage über ein aktuelles Gegeneinander gemacht, in dem die Adressaten sich re-orientieren, die richtige Position finden sollen“ (151). 52 Vgl. die analoge Frage: Wie kommt Paulus auf Abraham zu sprechen? Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Abraham“, 119–163. 53 Vgl. a. a. O., 121–123. 54 H. D. Betz, Galaterbrief, 411. Die Einzelheiten des Schriftbeweises können hier nicht erörtert werden. 55 Ebd. 56 Vgl. M. Weigl u. a., „Typos/Typologie“, 601–605. 57 H. D. Betz, Galaterbrief, 411. 58 Zu dieser Gleichsetzung vgl. ausführlich A. M. Schwemer, „Stadt“, 198–202. 59 Hieraus könnte man eine eschatologische Interpretation ableiten. Paulus benutzt aber gerade keine temporale Bestimmung!
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III. Texte
Typologische Auslegung von Gen 16 und 21 in Gal 4,21–26: zwei Söhne Abrahams Erste Frau Magd Fleischliche Zeugung
Zweite Frau Freie Zeugung gemäß Verheißung
Erster Bundesschluss Berg Sinai Hagar [Ismael] Dienende Nachkommen Gegenwärtiges Jerusalem in Knechtschaft
[Zweiter Bundesschluss] ? [Berg Zion] [Sara]60 [Isaak], aber V. 28 Freie Nachkommen Oberes Jerusalem in Freiheit › WIR
Damals (V. 29) Fleischlich gezeugt (V. 29) Verfolger61 Kinder der Magd
Jetzt (νῦν V. 29) Geistlich gezeugt (V. 29) Verfolgter/Verfolgte Kinder der Freien
In dies typologische Netz ist Jerusalem eingezeichnet. Jerusalem ist die Stadt, die Paulus schon dreimal im Brief im Zusammenhang mit seinem autobiographischen Rückblick in den Kapiteln 1 und 2 erwähnt hat,62 die Stadt, die er mehrfach besucht hat, die Stadt des Petrus, des Jakobus und des Johannes, der Säulen – aber auch in leicht kritischer Wendung derer, „die in Geltung stehen“ (2,6)63 – und des sog. Apostelkonvents, auf dem Paulus sich mit dem Typus seiner Mission behauptet und zugleich die Verpflichtung zu einer Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde übernommen hat. In seinem polemischen Schriftbeweis gegenüber den christusbekennenden Galatern, die – nach der Darstellung des Paulus – „unter dem Gesetz sein wollen“ (4,21), erscheint diese Stadt Jerusalem nun als „Hagar“ und damit als diejenige, „die mit ihren Kindern in Knechtschaft ist“ (4,25). Von der christusbekennenden Gemeinde in Jerusalem und ihren wichtigen Mitgliedern, also der „ἐκκλησία der Jerusalemer“64, ist nicht die Rede, es geht um Jerusalem als jüdische Stadt und Erbin Hagars. Deutlich ist die negative Bewertung der Stadt. Wie weit in den Einzelheiten der typologischen Hagar-Reihe zeitgeschichtliche Anspielungen kodiert sind, muss offen bleiben. Ist die Knechtschaft außer auf das Leben unter dem Gesetz (4,5) auch auf den Status der römischen Herrschaft gemünzt? Und weist Ismael auf die Verfolgung der christusbekennenden Jerusalemer Gemeinde durch die jüdischen Religionsautoritäten hin? Jedenfalls konnte Paulus dieser Stadt nicht die Vgl. Röm 4,19; 9,9; Hebr 11,11; 1 Petr 3,6. Vgl. dazu die Parallelen in H. L. Strack/P. Billerbeck, Kommentar III, 575 f. 62 Es fehlt ein Hinweis auf seine Ausbildung in Jerusalem. – Vgl. zum „jetzigen“ Jerusalem A. M. Schwemer, „Stadt“, 197. 63 Übersetzung von H. D. Betz, Galaterbrief, 178. 64 Apg verwendet nur die lokale Bestimmung: Apg 5,11; 8,1 („Gemeinde in Jerusalem“); 11,22. 60 61
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christusbekennende Gemeinde in Jerusalem gegenüberstellen, da diese ja ganz überwiegend aus Judenchristen bestand, sondern nur ἡ ἄνω Ἰερουσαλήμ, (Sara), die Freie, die wahre Mutter der christusbekennenden Galater. (2) Hier stoßen wir wieder auf religiöse Lexik. Die Wendung ἡ ἄνω Ἰερουσαλήμ65 ist umstritten, erstens was ihre theologische Qualität angeht. Anna Maria Schwemer plädiert für eine eschatologische Interpretation: „Wenn Paulus die himmlische Stadt und das himmlische Bürgerrecht scheinbar nur rasch und nebenbei streift, so muß man doch unterstreichen, daß beide Vorstellungen ein wesentlicher Teil seiner endzeitlichchristologisch geprägten Ekklesiologie sind“66. A. M. Schwemer hat aber das Motiv der ‚himmlischen Stadt‘ einseitig zuungunsten der Argumentation in Gal 4 überbetont. Es geht argumentativ weder um Ekklesiologie noch um Eschatologie, sondern um einen Schriftbeweis zugunsten des ‚Wandels in Freiheit‘, den Paulus verteidigt. Peter Söllner67 hat überzeugend nachgewiesen, dass das obere Jerusalem in Gal 4,26 keine eschatologische Größe wie in der Offenbarung des Johannes ist, d. h. geglaubtes und ersehntes Zukunftsgut, sondern ein logisches Produkt des allegorischen Arguments der letzten probatio des Galaterbriefes. Paulus hat die Vorstellung ad hoc im Rahmen seiner schriftgelehrten Polemik gegen die sog. judaisierenden Fremdmissionare und ihre galatischen Anhänger gebildet: „Paulus kann mit Hilfe dieser antitypisch erschlossenen, nicht-christologischen (!) Größe die Abstammung von Sara für die galatischen Heidenchristen plausibel machen, ohne dass diese in Wirklichkeit deren leibliche Nachkommen sind“68 – dasselbe was er zuvor für die Abrahamskindschaft nachgewiesen hat. Paulus gewinnt so „ein himmlisch verortetes Beweisargument für seine beschneidungsfreie Heidenmission“69. Dies Ergebnis führt zu der zweiten Frage, die mit der Wendung des oberen Jerusalem verbunden ist: Ist Gal 4,25 antijüdisch? Diese Debatte70 kann hier nicht in extenso dargestellt werden. Eine Interpretation, die das „obere Jerusalem“ als schriftgelehrte Metapher in einem argumentativen Kontext versteht, der gegen die sog. judaisierenden Fremdmissionare in den galatischen Gemeinden gerichtet ist, wird sich nüchtern darauf beschränken, diese interne Polemik zu notieren. Es geht nicht um Jerusalem, sondern um den bleibenden Verzicht auf Beschneidung71 von Nichtjuden, die den christusbekennenden Ge Vgl. auch Phil 3,14: ἡ ἄνω κλῆσις und Kol 3,1–4 (τὰ ἄνω); Eph 2,19 und Diognetbrief 5,9. A. M. Schwemer, „Stadt“, 236. 67 P. Söllner, Jerusalem, 169. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Vgl. bes. M. Bachmann, Antijudaismus, Vf. Bachmanns Position ist der hier vertretenen ähnlich: „Nicht der Galaterbrief selbst, vielmehr erst seine Rezeption [trägt] antijudaistische Züge“, VI. 71 Und andere jüdische Bräuche (4,10). 65 66
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III. Texte
meinden beitraten. Die Intention des Beweisganges von Gal 4,21–31 ist nicht auf Israel und nicht gegen das Judentum gerichtet. Paulus findet vielmehr in diesem Beweis ein letztes, beweiskräftiges Schriftargument für seine propositio von 2,15–21, die sich gegen die Fremdmissionare richtet. Diese probatio beginnt mit der autobiographischen Feststellung: „Wir sind von Geburt Juden“ (4,15). Die Argumentation des Paulus bewegt sich gerade in dieser letzten probatio innerhalb des Gesetzes und bezieht daraus ihre Autorität: γέγραπται (4,22). Zusammengefasst: Gal 4,21–31 ist seiner Intention nach weder ein Jerusalemtext noch ein antijüdischer Text, sondern ein frühchristlicher Schriftbeweis, der mit allegorisch-typologischen Mitteln arbeitet, um andere Positionen in den christusbekennenden Gemeinden in Galatien zu bekämpfen. Soweit zur Intention von Gal 4,25. In dem Augenblick, in dem man nicht an die Intention des Paulus, sondern an die zeitgenössischen Verstehensmodi, in diesem Fall an eine jüdische Position, denkt, hat Betz dann aber Recht, wenn er schreibt: „Dies ist einer der schärfsten Angriffe von Paulus auf die Juden. Er zieht das Selbstverständnis der Juden nur heran, um es zu verwerfen“. Denn er beansprucht faktisch den jüdischen Satz: „Jerusalem ist unsere Mutter“ für die christusbekennenden Gemeinden in Galatien, die nicht jüdisch sind und mit Jerusalem nichts zu tun haben. Und es muss noch hinzugefügt werden: Das zeitgenössische Jerusalem als Sitz des religiösen Judentums wird durch die Verbindung mit Hagar und – dem ebenfalls nicht genannten – Ismael schlechtgemacht. Damit greift Paulus auch die Basis der sog. judaisierenden Gegner an. (3) Allerdings geht Betz in diesem Zusammenhang nicht darauf ein, dass diese Metapher wie diejenige in Phil 3 eben weder politisch noch religiös bzw. theologisch gelesen werden will, sondern ein Tertium aussagt. Die Intention der letzten probatio gilt nämlich wieder der Lebensführung, dem περιπατεῖν (Gal 5,16) der christusbekennenden Galater. 5,1 nimmt das Ergebnis der probatio auf und konkretisiert es: Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch das Joch der Knechtschaft bedrängen.
Im argumentativen Kontext erweist sich Gal 4,25 f. damit ebenso als ethischer Satz wie Phil 3,20. Eindimensionale politische oder religiöse Deutungen beider Texte hingegen greifen zu kurz – das ‚semantische Universum‘ des Paulus ist weitaus komplexer, und seine Texte gelten dem ‚Wandel‘ seiner Gemeinden, nicht den Städten, nicht dem Imperium und nicht einem sog. Antijudaismus.
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III. Texte
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22. Philippi und Jerusalem
487
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IV. Rezeption
23. Paulus über die Liebe Das dreizehnte Kapitel des 1. Korintherbriefs und sein Platz im europäischen Liebesdiskurs* Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe (Goethe, Wahlverwandtschaften, Aus Ottiliens Tagebuche).
In 1. Korinther 13 stellt Paulus die Liebe über alle nur denkbaren Möglichkeiten charismatischen und prophetischen Sprechens: Wenn ich mit den Zungen der Menschen und Engel redete, Liebe aber nicht hätte, so wäre ich ein hallendes Erz oder eine gellende Zymbel. Und wenn ich Prophetie hätte und wüsste alle Geheimnisse und alle Einsicht und wenn ich allen Glauben hätte, so dass ich Berge versetzen könnte, Liebe aber nicht hätte, so wäre ich nichts. (V. 1.2)
Adolf von Harnack hat diesen außergewöhnlichen Text des Paulus als das „Hohelied der Liebe“ bezeichnet.1 Harnack las den Paulustext als große religiöse Dichtung: Es handele sich um die „eindrucksvollste schriftstellerische Leistung“ des Paulus.2 Die Exegese ist dieser Spur, die in die Religionsgeschichte und in die Literatur führt, nicht gefolgt. Die Kommentare setzen einen eher nüchternen historischen Rahmen und ordnen das Kapitel der paränetischen Literatur zu.3 So formuliert Ceslas Spicq in seinem großen Werk über ἀγάπη, der Text sei „an important instruction on the basic reality of Christian morality“.4 Auch Joseph Fitzmyer hält das Kapitel für „an exhortation for Corinthian Christians“.5 Und Dieter Zeller warnt gerade hier vor jedem Überschwang und schreibt kritisch: Die Bedeutung dieses Kapitels ist von Auslegern, die das Wesentliche der christlichen Religion im Ethischen sehen, maßlos übersteigert worden.6 * Der Beitrag geht auf einen Vortrag im Rahmen der Eugen-Biser-Lectures „Über die Liebe“ am 11. 12. 2020 in München zurück. 1 A. von Harnack, Hohe Lied, 132–163. 2 A. a. O., 135; vgl. O. Wischmeyer, Weg, 12 f.; dies., Liebe, engl.: Love (Lit.). 3 Die wichtigsten Kommentare sind gegenwärtig: W. Schrage, A. Lindemann, D. Zeller, J. A. Fitzmyer. Sorgfältige Diskussion der Form und stilistische Analyse bei W. Schrage, Brief, 276–281. Auch Schrage ist der Zuordnung zum epideiktischen Genus gegenüber skeptisch: 277. 4 C. Spicq, Agape, 141. 5 J. A. Fitzmyer, Corinthians, 487. 6 D. Zeller, Brief, 419. Zeller bezieht sich vor allem auf H. Lietzmann. Er übergeht R. Bultmann, der in Kap. 13 den Höhepunkt des ganzen Briefes sah (R. Bultmann, Glauben, 64).
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IV. Rezeption
Belässt man es nicht bei dem exegetischen Blick, der sich auf die Einordnung des Kapitels in die frühjüdische und kaiserzeitliche Ethik und Literaturgeschichte fokussiert, sondern fragt rezeptions- und wirkungsgeschichtlich im breitesten Sinn weiter, verändert sich der Stellenwert des Textes. Er wird zu einem Element des europäischen Liebesdiskurses, in dem die unterschiedlichsten historischen religiösen, philosophischen und kulturellen Motive und Intentionen einander begegneten und sich gegenseitig beeinflusst haben.7 Das paulinische ἀγάπη-Konzept entfaltet in diesem Diskurs eine Dynamik, die über seine primäre religiös-normative Basis, über seine Intention und über die ursprüngliche Leserschaft des 1. Korintherbriefes weit hinausreicht und Bedeutungsverbindungen mit der europäischen Philosophie und Literatur eingegangen ist. Zudem differenziert sich die Frage nach dem paulinischen Konzept von Liebe in verschiedene Themen aus, die in der europäischen Geschichte des Begriffs Liebe durchgespielt werden: Gottesliebe, Nächstenliebe, Eigenliebe, Bruderliebe, Feindesliebe, Barmherzigkeit – caritas, aber auch Ehe-, Familien-, gender- und Sexualethik einerseits und der weite Bereich sozialethischer Theorie und Praxis und ihrer Institutionen andererseits. Alle genannten Einzelthemen sind bei Paulus unter dem Begriff der ἀγάπη subsumiert und haben sich eng mit der antiken und europäischen Geistes-, Kultur- und Sozialgeschichte verbunden. Im Folgenden versuche ich, in diesem umfassenden Rahmen zu einer speziellen Aufgabe beizutragen: das paulinische ἀγάπη-Konzept, dessen maßgeblicher Text 1. Korinther 13 ist, auf der Basis von Gottes- und Nächstenliebe im Alten Israel als intellektuelles Konzept und als eigene Stimme im Zusammenhang des europäischen Liebesdiskurses zu positionieren (1–7).8 Diesen Diskursrahmen skizziere ich eingangs historisch und thematisch (1–4). In zwei weiteren Schritten stelle ich zunächst das Bundeskonzept des Alten Israel vor, das die Grundlage der neutestamentlichen Liebestheologie darstellt (5), in einem weiteren Schritt die neutestamentliche Überarbeitung des Konzeptes (6). Ausführlicher behandele ich 1. Korinther 13 als den entscheidenden Liebestext des Paulus (7). Abschließend werde ich die Frage ansprechen, ob dies Konzept in einer globalen Welt wirken kann, in der die christlichen Kirchen zwar weiterhin eine bedeutende Rolle spielen, andererseits aber gerade die „westlichen“ wissenschaftlichen und intellektuellen führenden Elitediskurse sich als definitiv post O. Wischmeyer, „Leviticus 19,18“, 553–569, hier: 566–569. Der Artikel „Love“, 3–66 (Th. Römer u. a.), beschränkt sich auf ein – notwendigerweise ganz unvollständiges – und wenig ausgewogenes Inventar verschiedener Liebes-Motive vom Alten Testament bis zur Kunst und Musik der Gegenwart. Bei der Darstellung von Liebe im kulturellen Bereich dominiert die Hohelied-Thematik. Theologische Akzente werden nur in dem ausführlichen theologiegeschichtlichen Abschnitt gesetzt. Die enge Verflechtung biblischer und kultureller Konzepte bleibt ebenso unbesprochen wie das Verhältnis von Philosophie und Theologie. 7 8
23. Paulus über die Liebe
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christlich und postreligiös definieren (8).9 Diese Frage wird in den exegetischen Disziplinen nicht gestellt und führt auch über den Rahmen einer vornehmlich kulturgeschichtlich und kulturwissenschaftlich arbeitenden Rezeptionsgeschichte hinaus.10 Die Frage stellt sich aber von dem Selbstanspruch und der Wirkung eines Textes wie 1. Korinther 13 her und nimmt zugleich die aktuelle globale11 religiöse Präsenz dieser Texte als interpretatorische Herausforderung und als intellektuelle Aufgabe ernst.
1. Drei Vorüberlegungen (1) Eine erste Vorüberlegung gilt dem Begriff der Liebe in der deutschen Sprache. Was meinen wir, wenn wir Liebe sagen? Die deutsche Sprache fasst unter dem Verbum lieben und dem Substantiv Liebe Bereiche zusammen, die in anderen Sprachen mit unterschiedlichen Lexemen ausgedrückt werden. Besonders prägend ist die Spannung zwischen ἔρως und ἀγάπη im Griechischen und zwischen amor und caritas im Lateinischen. Das Griechische benutzt außerdem στοργή und vor allem φιλία, um Zuneigung und Freundschaft zu bezeichnen. Die Begriffspaare von ἔρως und ἀγάπη und amor und caritas haben die gesamte Thematik seit der Antike entscheidend geprägt. Die großen europäischen Sprachen außer dem Deutschen sind dieser Dualität gefolgt. Das deutsche Lexem Liebe umfasst demgegenüber wie das hebräische א ֲה ָבה ַ 12 die unterschiedlichen Aspekte der körperlichen und psychischen Lust und Begierde, der Liebe zwischen den Geschlechtern, der Emotion, der Tugend, zugleich auch die Bereiche der individuellen, familiären und sozialen Beziehungen, Verbindungen und Verpflichtungen und die religiöse Dimension.13 Wenn wir im 9 So z. B. P. Sloterdijk, Himmel, der sich mit dem Interpretament der „Theopoesie“ als später Nachfahre Nietzsches zeigt. Vgl. die Besprechung von D. Kehlmann, „Religion“: Der „Bewusstseinszustand, der solch ein Buch hervorbringen kann – so heiter gelassen, so freundlich gegenüber Gemütsverfassungen, die er als überwunden erkennt –, [ist] vielleicht wirklich das letzte Stadium auf dem langen Weg der Aufklärung …: nicht die Bekämpfung der Religion, wie sie Voltaire und Diderot noch vorschweben musste, sondern deren spöttische, fröhliche Wertschätzung als faszinierendes Relikt. Erst wenn so etwas möglich ist, ist Gott wirklich tot. Und bei Gott, das wäre keine schlechte Nachricht“. Vgl. aber einen ganz anderen Zweig der Theopoesie bei Hans Urs von Baltasar! 10 Th. Römer u. a., „Love“, 3–66. 11 Man spricht gerade im angelsächsischen Bereich gern von Western texts, übersieht aber, dass die Texte der christlichen Bibel seit mehr als 400 Jahren auch in der „nichtwestlichen“ Welt des Global South und des Ostens angekommen sind und dort selbst längst unabhängig vom „Westen“ weiterentwickelt werden und auf „westliche“ Debatten zurückwirken. 12 Vgl. J. Bergmann u. a., „ahab“. 13 Von ahd. liubī/lioba (9./11. Jh.), mhd. Liebe. https://w ww.dwds.de/wb/Liebe (2. 12. 2020). Vgl. got. liuba = leiks: B. T. Regan, Dictionary, 175. Die lexikalische Einpoligkeit von Liebe ist ein Ergebnis des 16. Jahrhunderts: das zweite mhd. Wort für „Liebe“, minne, verliert seit dem 16. Jh. seinen Status. https://w ww.dwds.de/wb/Minne (2. 12. 2020). Zu den möglichen Aspekten
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IV. Rezeption
Deutschen von Liebe reden, können immer ἔρως und ἀγάπη, amor und caritas im Spiel sein. Das Substantiv Liebe hält die emotionale und die körperliche Seite des gegenseitigen Begehrens mit der caritativen wie der familiären und freundschaftlichen Liebe, die wir als Sympathie, als Zuneigung, Zuwendung oder Zärtlichkeit, aber eben auch als Liebe bezeichnen, zusammen. Die emotionale und körperliche Liebe in ihren sexuellen Varianten wird ihrerseits ethisch befragt und begrenzt. Individuelle und soziale Aspekte stehen nebeneinander und greifen ineinander. Konzepte, die Liebe auf eine Dimension – sei es die religiöse, die physische oder die emotionale – reduzieren und Liebe sektorial definieren, müssen sich von der deutschen Semantik her stets kritisch befragen lassen. (2) Die zweite Vorüberlegung betrifft die Situierung des Themas. Wer hat vor uns von Liebe gesprochen, und welche Stimmen hören wir zum Thema? Das Thema Liebe, im Sinne des deutschen Lexems verstanden, hat eine europäische kulturelle Tiefendimension, die ebenso in die Bibel wie gleichzeitig in die griechisch-römische Antike zurückreicht. Fangen wir mit der Antike an. Liebe ist eines der großen Themen der griechischen und römischen Dichtung und Kunst seit Homer und Hesiod, ebenso eng verbunden mit der Lebenswelt zwischengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Liebe wie mit der griechisch-römischen Mythologie, mit dem Gott Eros, der Göttin Aphrodite, den Liebesgeschichten zwischen den olympischen Göttern und Göttinnen und ihren Liebesabenteuern mit den sterblichen Menschen. Aber auch die Welt der Nymphen, Dryaden, Satyrn und Faune, der Halbgötter und Heroen ist eine Welt der dauernden Liebesbeziehungen.14 Elternliebe, Kindesliebe, Geschwisterliebe, Freundesliebe, Liebe zwischen den Ehegatten, Treue, Verführung, Ehebruch: jeder dieser Aspekte wurde in der Literatur dargestellt. Koordinaten sind Schönheit, Leidenschaft, Begehren, Lust, Hingabe, Zeugung, ebenso Rache, Strafe, Liebeskummer, Tod – das gesamte Spektrum sexuell-erotischer und emotionaler Imagination. Körperliche Attraktion, gleichgeschlechtliche oder zwischengeschlechtliche Anziehungskraft, männlicher Eroberungs-, Verführungs- und Zeugungsdrang, Ästhetik und Emotion wirken als die großen Stimuli. Die bildende Kunst schafft zwischen Klassik und Hellenismus in den griechischen und römischen Städten und Villen ein großes Museum der immer neuen öffentlichen und privaten Darstellung des schönen und attraktiven männlichen und weiblichen Körpers – heute vielleicht nirgends besser dokumentiert als in den Vatikanischen Museen.
von Liebe vgl. die Einteilungen bei M. Hähnel/A. Schlitte/R. Torkler (Hg.), Was ist Liebe? (sachliche Einteilung); S. May, Love. A History (historische Einteilung). 14 Ovids Metamorphosen und seine Liebesdichtung: N. Holzberg, Ovid; V. Hösle, Enzyklopädie.
23. Paulus über die Liebe
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Die Liebesenkomien in Platons Symposion bewegen sich in Adaption und Kritik in dieser kulturellen Welt.15 Zugleich hat Platon die Liebe, als ἔρως verstanden, zu einem philosophischen Hauptthema gemacht und mit der Tugendlehre und der philosophischen Erkenntnis in Verbindung gebracht.16 Aristoteles dagegen ordnet die φιλία in seine Tugendlehre ein und eröffnet ein Verständnis von Liebe neben oder jenseits von ἔρως und mythologischen Rahmenbedingungen als Freundschaft der Tugendhaften.17 Damit entwirft die griechische Philosophie ihre Interpretationsmuster von Liebe zwischen ἔρως, Emotion und Tugend, ohne die physischen und erotischen Grundierungen des Begriffs einfach zu sublimieren oder gar zu eliminieren.18 Die Elemente des Amalgams aus Mythologie, Kunst, Literatur und Philosophie verzweigen sich im Verlauf der hellenistisch-römischen Antike und werden in christlich überschriebener Gestalt vor allem von Augustinus19 in das europäische Mittelalter weitervermittelt, um sich dort neu und selbständig zu formieren und in einem komplexen Geflecht von Nähe und Emanzipation mit dem dominierenden christlichen Liebesparadigma zusammenzuspielen oder sich von ihm zu entfernen. Die große europäische Liebesdichtung ist eine der wesentlichen Stimmen in dem umfassenden „westlichen“ Liebesdiskurs, zu dem auch die neuplatonische Philosophie wesentlich beigetragen hat.20 Das schon erwähnte zweite antike Liebesparadigma ist die Gottes- und Nächstenliebe, wie sie im Alten Israel und in der antiken christlichen Theologie entworfen wurden. Dies biblische Paradigma hat, wie noch zu zeigen ist, seine Basis in dem altorientalischen Konzept von Bundestreue und Bundesverpflichtung, das die Gesetzestheologen Israels benutzten, um das Verhältnis Israels zu seinem Gott darzustellen: Jahwes Bundstreue und Israels Liebesverpflichtung. Die frühchristlichen Theologen, vor allen anderen Paulus und der Evangelist Johannes, haben dann auf der Grundlage der religiösen Rede vom Gott Israels umfassende neue Konzepte von Gottes- und Nächstenliebe entwickelt, die tragende Bestandteile der christlichen Theologie und Ethik werden sollten. In der umfangreichen Literatur des Alten Israel, zusammengefasst in der hebräischen Bibel (Tanak) und ihrer griechischen Übersetzung (Septuaginta), wurde aber nicht nur das Bundeskonzept niedergelegt und normativ verpflichtend gemacht, sondern in der reichen prophetischen Literatur und in der 15 Dasselbe finden wir bei Plutarch (45–125 n. Chr.) in seiner Schrift Amatorius: Plutarch, Dialog. Dazu O. Wischmeyer, Liebe, 65–72; engl.: Love, 68–75. 16 Symposion. Dazu G. M. Most, „Eros“, 33–57. Die Linie der Philosophie des Eros zeichnet A. Pechriggl nach: A. Pechriggl, Eros. 17 Nikomachische Ethik VIII und IX. 18 A. W. Price, Love. 19 H. Arendt, Liebesbegriff, engl.: Love and Saint Augustine, ferner D. Leeb-Schrogl, Liebesbegriff; C. Lindberg, Love (51–65: Caritas: The Augustinian Synthesis of Biblical Agape and Hellenistic Eros). 20 Vgl. unten Anm. 35.
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IV. Rezeption
Psalmendichtung wurde eine Sprache der theologisch gegründeten Liebe jenseits normativer Verpflichtungen entwickelt. Daneben stehen die nicht-religiös bzw. nicht-theologisch basierte Liebesdichtung des Hohenliedes und die vielen Beispiele narrativer Liebesdichtung in den erzählenden Büchern der Bibel Israels, die europäische Dichter wie Goethe oder Herder21 immer wieder ebenso inspiriert haben wie die Erzählungen der griechisch-römischen Mythologie und die in den gemeinsamen Strom der europäischen Liebesliteratur geflossen sind. Zusammengefasst: Dichtung, Philosophie und biblische theologische Konzepte bilden den thematischen Rahmen, in dem das Liebeskonzept des Paulus entwickelt und tradiert wurde. (3) Die dritte Vorüberlegung richtet den Blick von den historischen Konzepten und der europäischen Geschichte des Liebesdiskurses auf die Akteure im gegenwärtigen intellektuellen und kulturellen Liebesdiskurs. Wer spricht gegenwärtig mit welcher Autorität von Liebe, und worauf berufen sich diese Akteure? Anders als bei dem großen komplementären Thema der Gerechtigkeit22 ist bei dem Thema Liebe nicht eine eigene Institution im Spiel, die Justiz mit ihrem theoretischen und praktischen Apparat und ihrer eigenen Autorität.23 Und anders als bei den großen Themen von Gleichheit, Freiheit oder Wahrheit spielt auch die Philosophie gegenwärtig bei dem Thema Liebe nicht die interpretatorische Hauptrolle. So stellt die Einleitung zu einer Auswahl von philosophischen Texten zur Liebe aus dem Jahr 2015 eingangs fest: Die zeitgenössische Philosophie tut sich trotz erster vorsichtiger Bemühungen immer noch schwer, die Liebe in den klassischen Kanon philosophischer Themen und Problemstellungen aufzunehmen.24
Allerdings beschäftigt sich die Spielart eines Neuaristotelismus, wie ihn Martha Nussbaum vertritt, nachhaltig mit dem Thema im Rahmen einer zeitgenössischen Verantwortungs- und Emotionentheorie.25 Hier liegt der neue, verengte Fokus der philosophischen Beschäftigung mit Liebe. Auch der Artikel „love“ in der Stanford Encyclopedia of Philosophy26 von Benett W. Helm stellt die Liebe in Goethe, Dichtung und Wahrheit, 4. Buch. Dazu M. Gerhards, „Goethe“; ders., „Herder“. O. Wischmeyer, „Gerechtigkeit“, 61–77. 23 Die christlichen Kirchen mit ihrer großen caritativen Tradition und ihrem traditionellen Anspruch auf Ordnung des Sexual- und Ehediskurses haben diesen regulierenden Einfluss verloren, ohne dass eine Nachfolgeinstitution gefunden worden wäre. Dazu s. unten. 24 M. Hähnel/A. Schlitte/R. Torkler (Hg.), Was ist Liebe?, 9. Zur philosophiegeschichtlichen Einordnung vgl. H. Kuhn u. a., „Liebe“, 291–328. Vgl. A. Pechriggl, Eros, 7, die polemisch gegen die ihrer Meinung nach liebesfeindliche, theologisch geprägte Philosophie konstatiert: „Der Eros-Begriff entzieht sich offenkundig der philosophia perennis“. Vgl. aber die eigenen Interpretationslinien bei A. Badiou (dazu O. Wischmeyer, Liebe, 233–235; engl.: Love, 239– 241) und M. Foucaults Werk über die Sexualität, das zwischen Psychologie, Soziologie und Philosophie changiert: M. Focault, Histoire 1–4. 25 Dazu O. Wischmeyer, Liebe, 235–240; engl.: Love, 242–246. 26 B. Helm, „Love“; vgl. B. W. Helm, Love. 21 22
23. Paulus über die Liebe
497
den Zusammenhang der Emotionenthematik und konzentriert sich auf Liebe als „personal love, or the love of particular persons as such. Part of the philosophical task in understanding personal love is to distinguish the various kinds of personal love.“27 Helm unterscheidet die Aspekte von union, robust concern, valuing und emotion.28 Auffallend ist, dass dabei – auch bedingt durch die sektoriale Bedeutung von love im Gegensatz zu Liebe – weder die klassische soziale29 und sozialpolitische30 noch die klassische theologische Dimension von Liebe länger in den Blick kommen.31 Es sind stattdessen vor allem die Naturwissenschaften32, besonders die Neurowissenschaften, Psychologie und Kulturwissenschaften33, daneben die Sozialwissenschaften34, die gegenwärtig das Thema dominieren und der philosophischen Analyse die Fragestellungen und Untersuchungsparameter liefern. Die großen kanonischen Erzählungen Griechenlands und Roms, vor allem in der Gestalt der immer wieder innovativen kulturellen Dynamik ihrer mythologischen Liebeserzählungen, haben demgegenüber seit der Aufklärung zwar nicht ihre kulturelle Attraktivität und visuelle Präsenz, wohl aber ihre inspirierende und interpretatorische Kraft, die vor allem an die höfische und höhere bürgerliche Kultur gebunden war, verloren. Ähnliches gilt für die Patriarchenerzählungen, für die Dichtung des Hohenliedes und für die europäische Liebesdichtung von Sappho bis zu Goethe. Die platonische, mittelalterliche und Renaissance-Philosophie zu dem Thema Liebe ist Teil der Philosophiegeschichte geworden.35 Insgesamt treten gegenwärtig die klassischen Akteure, Theologen, Philosophen, Schriftsteller und Dichter in den Hintergrund. Damit ist eine Fokussierung verbunden, die die Breite des europäischen Liebesdiskurses nicht mehr abbildet: der Strom scheint sich ein neues Bett gesucht zu haben.
27 Erster
Satz des Artikels. des Artikels. 29 So z. B. N. Luhmann, Liebe (vgl. O. Wischmeyer, Liebe, 223–226; engl.: Love, 229–232). 30 Dazu der katholische Entwurf in der Enzyklika Deus caritas est Benedikts XVI (dazu s. u.). 31 In seinem jüngsten Buch hat sich B. W. Helm aber der sozialen Dimension zugewandt: B. W. Helm, Communities. 32 Einführend thematisiert von G. Neumann, „Lektüren“, 17–19. 33 G. Neumann, „Lektüren“, 60–68 einführend zu Freud und Foucault. 34 So bei P. Dabrock u. a., Unverschämt. Vgl. die Analyse von U. Beck/E. Beck-Gernsheim, Chaos; dies., Fernliebe; bei O. Wischmeyer, Liebe, 226–229; engl.: Love, 232–235. 35 M.-Ch. Leitgeb, Concordia mundi. Auch moderne Konzepte wie Karl Jaspers’ erotischer Enthusiasmus (K. Jaspers, Psychologie, 107–122) werden nicht produktiv weitergedacht. Zum Bedeutungsverlust der sog. platonischen Liebe bereits im 19. Jahrhundert vgl. H. Heine, Teetisch (Sie saßen und tranken am Teetisch,/Und sprachen von Liebe viel./Die Herren waren ästhetisch,/Die Damen von zartem Gefühl./Die Liebe muß sein platonisch,/Der dürre Hofrat sprach./Die Hofrätin lächelt ironisch,/Und dennoch seufzet sie: Ach!). 28 Inhaltsangabe
498
IV. Rezeption
Dem korrespondiert die Skepsis gerade der zeitgenössischen Literatur gegenüber der Liebe als einem der großen Themen europäischer Literatur. Diese Skepsis ist kürzlich von Olga Martynova auf den Punkt gebracht worden. Sie schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Dezember 2020: [Bestimmte] Wörter kann man in einem literarischen Text nicht ohne weiteres verwenden, wie zum Beispiel „Schönheit“ oder „Heimat“ oder „Liebe“.36
Zusammengefasst: die europäische Liebestradition mit ihren starken religiösen, philosophischen und literarischen Determinanten, zu denen auch das paulinische Liebeskonzept gehört, hat seinen dominanten Einfluss eingebüßt. Die „Interpretationshoheit“ liegt gegenwärtig in den Bereichen von Neurowissenschaften und Emotionenforschung. Damit sind nicht nur die Dichter, sondern auch und vor allem die Theologen herausgefordert.
2. Über Liebe reden (1) Daher muss gefragt werden: Weshalb sollen wir gegenwärtig noch in einem gleichsam vorwissenschaftlichen, intellektuell-religiös-literarisch-kulturell gefärbten Kontext über Liebe reden bzw. ist dies noch möglich? Oder ist Liebe mit Martynova ein Wort, das man nicht ohne weiteres literarisch – und religiös – verwenden kann? Diese Frage muss nicht nur angesichts von Texten wie 1. Korinther 13 neu bedacht werden. Weder Platon noch Paulus noch die griechischen und römischen Dichter noch die Minnedichter des europäischen Mittelalters, Dante, Petrarca, Michelangelo, Vittoria Colonna37, Shakespeare oder Goethe hätten Martynovas Wahrnehmung unterstützt. Ganz im Gegenteil: sie eröffneten der Sprache der Liebe immer neue Räume und schufen damit zugleich neue Räume für das Gefühl. Ein beredtes Beispiel dafür ist die französische Schriftstellerin Louise Labé, die in ihrer 1. Elegie darstellt, wie die Dichtung ihr die Möglichkeit eröffnet, ihr Gefühl auszusprechen: Mit einer Leier hat er (Amor) mich beschenkt, Mit ihr der Frauen Lieb zu besingen Und meine unter Tränen vorzubringen.38
Wir beobachten aber auch eine literarische Gegenbewegung. Der seismographische Eduard Mörike, Pfarrer und Dichter im Schwäbischen, ging bereits 1828 mit der Wahrnehmung um, die „Liebe“ sei gefährdet. Allerdings ist diese Wahrnehmung selbst sprachlich hoch komplex in dem fünften Peregrina-Sonett 36 O. Martynova,
„Wortschutz“, 11. M. Musiol, Vittoria Colonna. 38 L. Labé, Torheit, 149. 37
23. Paulus über die Liebe
499
verarbeitet. Mörike findet eine dichte Sprache, indem er auf den Gott ἔρως in Platons Symposion und auf Jesus in Jerusalem anspielt, wenn er in lyrischer Verdichtung klagt: Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden, Geht endlich arm, zerrüttet, unbeschuht; Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht, Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.39
Gerade Mörikes Sonett weist in beide Richtungen: einerseits in die schon genannten historischen, religiösen, mythologischen, philosophischen und kulturellen Tiefendimensionen – poetisch, musikalisch, literarisch, künstlerisch – der europäischen Kultur40, andererseits in die Richtung zunehmender Skepsis gegenüber den großen Themen und Worten seit dem 19. Jahrhundert.41 Aber auch diese Skepsis hat nicht ohne Weiteres das letzte Wort, sondern muss ihrerseits kritisch befragt werden. In der europäischen Tradition war Liebe als eine wichtige oder die wichtigste Lebenserfahrung immer präsent. Von der Liebe wurde nicht klein gedacht42, weder im Positiven noch im Negativen.43 Liebe wird als eine Größe verstanden, die an die Grenze oder darüber hinaus geht. Sie ist faszinierend, gefährlich und ersehnt, sie macht Angst44, und sie ist Motor des Lebens und Inspiration der Sprache. Alle Tendenzen, sie entweder einseitig zu romantisieren oder zu rationalisieren, zu pazifizieren oder zu dämonisieren45, zu verniedlichen oder zu ethisieren46, zu materialisieren47 oder zu spiritualisieren, zu psychologisieren oder zu soziologisieren, sie egoistisch oder altruistisch, naiv oder idealistisch zu verstehen oder durch andere Begriffe – sei es Barmherzigkeit
39 M. Mayer, Mörike, 127–145. Mayer, 138, verweist auf die Bildbezüge zu Christus und zu dem Eros des Symposions von Platon (203 c/d). 40 Europäisch umfasst hier auch die amerikanische und australische Kultur, soweit diese von Europa beeinflusst waren und sind. 41 Vgl. die sog. Sprachskepsis um 1900 (H. von Hofmannsthal, Brief). 42 Einführend: C. Schmölders, Erfindung; H. Meier/G. Neumann (Hg.), Liebe (grundlegende Essays zu entscheidenden Aspekten antiker und europäischer Liebeskonzepte, besonders: G. Neumann, „Lektüren“, 9–79); M. Hähnel/A. Schlitte/R. Torkler (Hg.), Was ist Liebe?; S. May, Love. A History (dazu O. Wischmeyer, Liebe, 250–254; engl.: Love, 256–260; S. May, Love: A New Unterstanding). 43 Das gilt auch für Texte wie Schnitzlers Reigen. 44 Vgl. G. Neumann, „Lektüren“, 16. 45 Siehe aber Platon! 46 So wieder S. May, Love: A New Unterstanding (die Liebe zum Kind als neuer Weg, mit dem Phänomen der Liebe umzugehen). 47 So seit Voltaires Definition im Philosophischem Wörterbuch, vgl. Voltaire, „Amour“, 29– 31. Der Artikel beginnt mit dem berühmten Satz Vergils: „Amor omnibus idem“ (Georgica III, 244), den Voltaire kommentiert: „Hier müssen wir uns auf körperliche Dinge beziehen, denn Liebe ist ein Stoff der Natur, den die Phantasie bestickt hat“ (29). Dazu: H. Fisher, „Lust“, 81–112.
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IV. Rezeption
oder Empathie oder Sexualität – zu substituieren, bleiben hinter der Realität ihrer unauflösbaren Verbindung körperlicher, emotionaler und ideeller Kraft zurück. (2) Liebe ist eines der sehr großen Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit oder Wahrheit, die ihre Bedeutung und ihre Rahmenbedingungen stetig ändern, aber nicht aufgegeben werden können, sondern immer neue Herausforderungen darstellen. Damit ist eine Art von bewusstem Kontrapunkt zu der Äußerung von Olga Martynova gesetzt. Es handelt sich um Themen, die zu den Grundbedingungen und Grunderfahrungen menschlichen Lebens gehören und die seit der griechisch-römischen Antike und seit dem Alten Israel von Philosophen, Theologen, Propheten, Dichtern und Dichterinnen und Intellektuellen thematisiert werden. An diesen Themen hat die Theologie ebenso wie die Literatur ein genuines Interesse. Ihre theologische und ethische Währung kann nicht undiskutiert in das aktuelle sprachliche und psychologische Kleingeld von Solidarität, Empathie, Inklusion, kultureller Sensibilität, Respekt48, Achtsamkeit und Anerkennung von Alterität eingewechselt werden – dieses sprachliche Kleingeld, das gegenwärtig stark im Umlauf ist, durchaus seine Nützlichkeit bewiesen hat und gleichzeitig den Benutzerinnen und Benutzern ein angenehmes moralisch-politisches feeling gibt – Ähnliches tat sicher früher die christliche Liebestätigkeit –, aber aus Angst vor dem Anspruch des Wortes und der darin enthaltenen Verpflichtung den Zusammenhang mit der großen Währung der Liebe aufgegeben hat. Wörter wie Liebe und die in ihnen aufbewahrten Ideen und Traditionen sind aber nicht einfach austauschbar oder durch eine Vielzahl anderer Teilbegriffe ersetzbar. Es muss stattdessen stets neu sprachlich und konzeptionell um sie gekämpft werden. Gerade in den gegenwärtigen, oft eher trost- und perspektivlosen Debatten über den politisch korrekten Umgang mit Bootsflüchtlingen49 und angesichts der endlosen Ermittlungen zu immer schlimmeren Formen krimineller Sexualität50, wo und von wem diese auch immer geübt wird – Ermittlungen, die die Abgründe dessen zeigen, was unter ausschließlich sexuell gesteuerter Liebe verstanden werden kann wird –, muss Liebe neu gedacht, konzipiert und expliziert werden: es muss über Liebe geredet werden. (3) Womit haben wir es denn zu tun, wenn wir von Liebe sprechen? Liebe ist der stärkste Beziehungsbegriff unserer Sprache. In diesem Begriff bündeln sich die verschiedensten Formen von Beziehung, um sich wieder in verschiedene Richtungen und Beziehungen auszudifferenzieren: sie ist eine einfache Hin48 Vgl.
zu diesem aktuellen Schlüsselbegriff B. W. Helm, Communities. setzt die Empathie-Rede von Heinrich Bedford-Strohm an (siehe unten). 50 Noch in P. Dabrock u. a., Unverschämt, 142–151, wird dem Thema nicht die primäre Aufmerksamkeit zuteil, die es gegenwärtig verdient. Die Vereinfachung Ulrich Becks: „Sexualität verhält sich zu Erotik wie ist zu als ob“ (Beck, das ganz normale Chaos, 241) wirkt angesichts der sexuellen Kriminalität bestenfalls naiv oder ahnungslos, schlimmstenfalls verantwortungslos. 49 Hier
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neigung zum Gewohnten, Vertrauten, Bejahten, Geschätzten, im Gegenständlichen wie im Ideellen, zu anderen Menschen, zur Familie und zu Freunden, sie ist eine ethische Verhaltensweise, eine Tugend, die sich hilfreich und unter Umständen selbstlos auf den Anderen richtet und zugleich sich selbst vervollkommnet, und sie ist die größte Emotion, die die oder den Anderen für sich haben will.51 Liebe will Nähe und Geborgenheit und Verlässlichkeit vermitteln, sie will bewundern und anerkennen, geben und helfen, vielleicht auch sich aufopfern, aber sie will auch ganz und ausschließlich haben und besitzen, die am meisten geliebte oder einzige Person für den Anderen oder die Andere sein – für die Mutter, den Vater, den Freund. Sie will Gegenliebe, will selbst Anerkennung, Dauer und Treue. Sie steht in der Spannung zwischen Selbstliebe, Liebe des Anderen und uneigennütziger Liebe. Sie kann besessen sein von diesem Besitzenwollen, sie kann in Verzweiflung umschlagen und ist dann nahe beim Selbstmord – so in den „Leiden des jungen Werthers“52 –, beim Mord53 oder beim Hass. Hier treffen wir wieder auf die Literatur. Niemand hat die Beziehung zwischen Liebe und Hass geschliffener formuliert als Catull: Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris. Nescio. Sed fieri sentio et excrucior.54
Größe und Gefahr der Liebe sind schon lange vor Catull thematisiert worden. In den Tiefen der hebräischen Literatur des Alten Israel stoßen wir auf das 8. Kapitel des Hohenliedes Salomons: Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen noch die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?55 (Hoheslied 8,6 f.)
Dazu S. May, Love: A New Unterstanding; O. Wischmeyer, „Emotionen“, 25–39. Erschienen 1774. 53 Das Motiv des Mordes aus Liebe ist prominent in der Literatur und muss hier nicht kommentiert werden. Die schwedische Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf behandelt in ihrer Romantrilogie Die Lövenskölds (1925–1928) das schwierigere Motiv einer Liebe (Thea Sundler), die den geliebten Menschen (Pfarrer Karl-Artur Ekenstedt) gleichsam erstickt und ins Unglück treibt. Dem stehen die selbstlose Liebe Charlotte Lövenskölds und Anna Svärts gegenüber. – Zur Gewaltstruktur von Liebe: H. Fisher, „Lust“, 81–112, 81: „Viele Bewohner der westlichen Welt glauben, Liebe sei ein Zustand der Freude. Aber die Liebe ist eine mächtige, komplexe Kraft, die zutiefst verstörende, ja gefährliche Resultate zeitigen kann“. Fisher weist auf Mord, Misshandlung und Depression im Umfeld von Liebe hin. Hinzu kommen Selbstmord und Missbrauch. 54 Catull, Carmen 85. 55 H.-J. Heinevetter, Liebster; A. Hagedorn, „Aspekte“, 23–41; ders., „Love“, 90–106. – Die Datierung des Hohenliedes ist umstritten. U. U. stammt es aus frühhellenistischer Zeit. 51 52
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IV. Rezeption
Die Griechen drückten, wie schon gesagt, diese tödliche Gefahr56, die in der Liebe liegt, mythologisch aus. Sie verehrten den Gott Eros. Im 7. Jahrhundert vor Christus dichtete Hesiod in seiner Theogonie den hochgemuten Vers: Ἔρως, der schönste der unsterblichen Götter.57
Hesiod lässt Eros als vierten der Urgötter nach Chaos, Gaia und Tartaros entstehen.58 Bei Platon wiederholt und steigert Agathon das Lob Hesiods, das Liebe mit Schönheit verbindet, in seiner Preisrede auf den Gott Eros im Symposion59, allerdings um es anschließend von Sokrates kritisieren und gleichsam ad absurdum führen zu lassen. Ein uns namentlich nicht bekannter jüdischer Schriftsteller, den wir PseudoPhokylides nennen und der um die Zeitenwende lebte, hat aus seiner jüdischen Religion heraus scharf gegen den Gott Eros protestiert. Er antwortete ebenso kämpferisch wie realistisch und gleichsam passgenau auf Hesiod und auf Agathon: Nicht ist nämlich ἔρως Gott, sondern eine alle zerstörende Leidenschaft (πάθος).60
Auch Sokrates – und damit Platon selbst – beschreibt bekanntlich im Symposion ἔρως eben nicht als Gott, wohl aber als Daimon, als ein Mittelwesen zwischen Menschen und Göttern. Platon lässt Sokrates eine mythologische Erzählung fingieren, um einerseits die religiösen Elemente des ἔρως als Grundierung seines Konzepts durchscheinen zu lassen und andererseits sein eigenes philosophisches ἔρως-Konzept mit ironisch-narrativer Distanz im Gegensatz zu den Enkomien der anderen Sympsionteilnehmern entwickeln zu können. Eros sei der Sohn des Poros und der Penia und habe von ihnen sein Mittelwesen geerbt: Als des Poros und der Penia Sohn aber befindet sich ἔρως in solcherlei Umständen. Zuerst ist er immer arm und bei weitem nicht fein und schön, wie die meisten glauben, vielmehr rauh, unansehnlich, unbeschuht61, ohne Behausung, auf dem Boden umherliegend und unbedeckt schläft er vor den Türen und auf den Straßen im Freien und ist der Natur seiner Mutter gemäß immer der Dürftigkeit Genosse: Und nach seinem Vater wiederum stellt er dem Guten und Schönen nach, ist tapfer, keck und rüstig, ein gewaltiger Jäger, allezeit irgendwelche Ränke schmiedend, nach Einsicht strebend, sinnreich, sein ganzes Leben 56 Ein Echo des 20. Jahrhunderts auf die klassische Konstellation von Liebe und Tod ist Freuds Abhandlung: S. Freud, Jenseits des Lustprinzips. 57 Hesiod, Theogonie 120. Hesiod ist der erste, der den Gott Eros erwähnt. 58 Theogonie 108: „Sagt, wie am Anfang die Götter entstanden“. 59 Agathon preist im Symposion 195a den Gott Eros: Eros sei der glücklichste, der schönste und der beste aller Götter. Das Symposion entstand um die Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert v. Chr. Ähnlich Platon im Phaidros. Vgl. auch Plutarch, Amatorius. Die Vorstellung von Eros als dem größten und besten Gott wird in der europäischen Kultur seit der Renaissance in verschiedensten mythologischen und literarischen Variationen wieder aufgenommen. 60 Pseudo-Phokylides, Gnomai 194: P. W. van der Horst, Pseudo-Phocylides, 100. Ob PseudoPhokylides Hesiod und Platons Gastmahl kannte, wissen wir nicht. Sachlich ist seine Aussage ein erstaunlich genaues Gegen-Echo zu der Vorstellung von Eros als größtem und bestem Gott. 61 Siehe Mörike.
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philosophierend, ein arger Zauberer, Giftmischer und Sophist und weder wie ein Unsterblicher geartet noch wie ein Sterblicher, bald an demselben Tage blühend und gedeihend, wenn’s ihm gut geht, bald auch hinsterbend, doch auch wieder auflebend nach seines Vaters Natur.62
Sokrates entwirft dann im Verlauf seiner Lobrede ἔρως abstrakt als das Dazwischenstehende, das Liebende, als das Verlangen63, das zeugen will und zuerst nach Schönheit, dann nach Tugend und Erkenntnis strebt, d. h. als eine Quelle des Lebens, bei der Sexualität, Erotik, Ästhetik und Tugend und Philosophie in Gefahr, Kraft und Glanz des ἔρως zusammengedacht sind.64 So spielt Liebe als Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen. Nur in diesen gefährlichen Zusammenhängen von Religion und Dichtung, Verlangen, Leidenschaft und Tugend, die die europäischen Traditionen von Liebe prägen, lassen sich die nun folgenden Voten zur christlichen Liebe lesen, die sich in die verschiedenen Aspekte der Liebe Gottes zu den Menschen, der Liebe zu Gott und der Nächsten- und Bruderliebe wie der Feindesliebe ausfaltet.
3. Voten zur christlichen Liebe von außen Ich beginne mit Voten von außen, d. h. mit einer Auswahl von Stimmen nicht aus der Theologie, sondern aus der Literatur, die die Vielfalt, die Komplexität, die Tiefe und die Gefährlichkeit des Themas Liebe spiegelt und in der die unterschiedlichen Positionen hart aufeinanderprallen oder sich gegenseitig disqualifizieren und ausschließen.65 Diese Voten eröffnen einen kritischen Zugang zu den Themen von Feindesliebe, Nächstenliebe und ἀγάπη. Der Zugang ist nicht zufällig gewählt. Dass hier vor allem Voten aus der europäischen Literatur begegnen, hat seinen Grund darin, dass seit dem Hohenlied Salomons und seit der griechischen Lyrik die Dichtung ein entscheidender Träger dessen ist, was Menschen unter Liebe verstehen. Wie schon angedeutet: die Dichtung schafft die Sprache der Liebe, verknüpft immer neu ihre Motivstränge – oder verliert diese Sprache, wie Schnitzler zeigt. Die biblischen, theologischen und philosophischen Konzepte von Liebe sind vor dem Hintergrund der Direktheit, Intensität und Radikalität der europäischen66 Liebesdichtung und ihrer Sprache zu hören – gerade Platons Symposion hat hier die Maßstäbe gesetzt.67 Symposion 203d. Nach: Platon, Werke, 203. Symposion 202d–206a. 64 Zur Interpretation des Symposions vgl. S. Benardete, „Sokrates“, 169–196. 65 Vgl. auch die anders fokussierte umfangreiche Sammlung von R. Barthes, Fragments. Barthes bezieht sich in seinen alphabetisch geordneten Sachartikeln nicht nur auf die Literatur (besonders auf die Leiden des jungen Werther), sondern auch auf Musik und Bildende Kunst. 66 Hierin sind die amerikanische und australische Literatur eingeschlossen. 67 Das Symposion ist Dichtung mit hohem philosophischem Anspruch. Platon verbindet die 62 63
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IV. Rezeption
(1) Ein erstes Motiv, das in der Literatur kritisch gesehen wird, ist Vergebung als Liebe zu dem Bösen, also Feindesliebe. George Eliot lässt den Protagonisten ihres großen Romans Die Mühle am Floss lapidar sagen: „Was soll das Vergeben? Ich kann keinen Schurken lieben“.68
Tolstoi verfeinert in Anna Karenina das Argument über die Feindesliebe: „Liebet die, die euch hassen …“ flüsterte Darja Alexandrowna verschämt. Alexej Alexandrowitsch lächelte verächtlich. Das wusste er längst, aber das ließ sich auf seinen Fall nicht anwenden. „Liebet die, die euch hassen, aber die zu lieben, die man selbst hasst, ist unmöglich“.
Und Tolstoi kommentiert das mit der zeitgenössischen Theorie des Kampfes ums Dasein: Der Verstand entdeckte den Kampf ums Dasein und das Gesetz, das verlangt, alle zu erwürgen, die der Befriedigung meiner Wünsche entgegenstehen. Das wäre die Folgerung des Verstandes. Den Nächsten zu lieben konnte der Verstand jedoch nicht entdecken, denn das ist nicht vernünftig.69
(2) Ein zweites Motiv ist die ἀγάπη, wie Paulus sie in 1.Korinther 13 zeichnet. Nietzsche überzieht die ἀγάπη des Paulus mit Hohn: Aus der kleinen jüdischen Gemeinde kommt das Prinzip der Liebe her: es ist eine leidenschaftliche Seele, die hier unter der Asche von Demut und Armseligkeit glüht: so war es weder griechisch noch indisch noch gar germanisch. Das Lied zu Ehren der Liebe, das Paulus gedichtet hat70, ist nichts Christliches, sondern ein jüdisches Auflodern der ewigen Flamme, die semitisch ist. Wenn das Christentum etwas Wesentliches in psychologischer Hinsicht getan hat, so ist es eine Erhöhung der Temperatur der Seele bei jenen kälteren und vornehmeren Rassen, die damals obenauf waren; es war die Entdeckung, daß das elendste Leben reich und unschätzbar werden kann durch eine Temperatur-Erhöhung.71
Zugleich insinuiert er, der Verzicht auf den ἔρως zugunsten der ἀγάπη habe die erotische Liebe ins Laster verkehrt: Das Christentum gab dem ἔρως Gift zu trinken: – er starb zwar nicht daran, aber entartete, zum Laster.72
Der englische Schriftsteller Kenneth Grahame dagegen preist sublim gerade die ἀγάπη statt des ἔρως oder der στοργή, ohne die ἀγάπη selbst zu nennen: Darstellungsformen von rückblickender Rahmenerzählung, Dichterwettbewerb (unterschiedliche symposiale Enkomien), einer enthusiastischen Rede der Diotima und einer philosophischen Analyse des Sokrates sowie einer Rede des Alkibiades mit den Elementen von Ironie, Mythologie und philosophischer Analyse zu einem hochartifiziellen Dialog. 68 G. Eliot, Mühle, 500. 69 L. Tolstoi, Anna Karenina, 599 und 1197. 70 1. Korinther 13. 71 F. Nietzsche, Aphorismen, 571. 72 F. Nietzsche, Gut und Böse, IV 168, 639.
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„Schau“, sagte mein Freund …, „wie dieses seltsame Ding, unsere Liebe, an den unerwartetsten Orten lebt und leuchtet! Bist du schon in der Frühe auf den Feldern gewesen? Alles liegt öde. Aber bück dich nur und schau – das Licht muss jedoch schräg einfallen –, und alles wird zu einem silbernen Gewebe von Marienfäden! So unterlaufen und verknüpfen die Feenfäden dieses seltsamen Dings die ganze Welt. Doch ist es nicht der alte gebieterische Gott mit dem verhängnisvollen Pfeil – ἔρωι ἀνίκατε μάχαν73–, nicht der – auch nicht so sanft und milde wie στοργή74 –, sondern etwas immer noch Unbenanntes, geheimnisvoller, göttlicher vielleicht. Nur muss man sich bücken, um es zu sehen, alter Bursche, man muss sich bücken!“75
(3) Drittens können Nächstenliebe und Zuneigung (Empathie) verbunden werden. Der australische Nobelpreisträger Patrick White sieht beide Formen der Liebe kritisch: (Thelma Forsdyke) hatte jene Höhe76 erreicht, von der aus Nächstenliebe möglich ist.77
Und: „Aber ich liebte ihn“, sagte die Mutter. Thelma Forsdyke zog sich in sich selbst zurück. Sie fürchtete sich vor der Terminologie der Liebe. Für sie war Liebe gleich Lust, und sie hatte es immer vorgezogen, in den lauen Wassern der Zuneigung zu schwimmen. An allen Straßenecken sah sie diese stämmigen Männer mit roten Gesichtern und trüben Augen, zu denen auch ihr Bruder Ray gehörte.78
(4) Die theologisch grundierte Liebe als schöpferische Lebenskraft und als Charisma wird von der großen amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson besungen: Love is anterior to life, Posterior to death, Initial of creation, The exponent of breath.79
(5) Komplementär dazu stellt Ingeborg Bachmann das Ende der ἀγάπη, des Charismas der christlichen Liebe, wie Paulus sie in 1. Korinther 13,13 entwirft, dar: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Bachmann antwortet: Die eiserne Ration Glück aufgebraucht Verbraucht die drei Brosame Sophokles, Antigone 781. Zuneigung, Wohlwollen, Freundschaft. 75 K. Grahame, „Erntetag“, 85 f. 76 Während Grahame das Niedrigkeitsmotiv im Sinne der Demut der Agape positiv wertet, setzt White die Höhe ironisch ein. 77 P. White, Tree of Man, dt.: Baum des Menschen, 381. 78 A. a. O., 455. 79 E. Dickinson, Poems, dt.: Gedichte, nr. 980. Vgl. auch nr. 840: Love is that later Thing than Death – /More previous – than Life – /Confirms it at it’s Entrance – and /Usurps it – of itself. 73 74
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IV. Rezeption
Glaube Hoffnung Liebe Und erstickt daran …80
In der europäischen Literatur sind die verschiedensten Konzepte von Liebe in einen großen Diskurs, in ein großes Streitgespräch verwoben, der Gott Eros, die erotische Liebe, die körperliche, sexuell konnotierte Liebe, der ἔρως Platons, die Nächstenliebe des Alten und die ἀγάπη des Neuen Testaments, in der Nietzsche nichts als die Leidenschaft Israels findet, die Empathie – griechisch als στοργή oder auch als φιλία, als Freundschaft bezeichnet und gegen ἔρως gesetzt –, Emotion und caritas. Die Voten bewegen sich zwischen dem hohen Lob Emily Dickinsons und der tödlichen Verzweiflung Ingeborg Bachmanns, zwischen Zustimmung, Kritik, Ironie, Ablehnung, blanker Negation oder Hohn wie bei Nietzsche – wie es bei einem „großen“ Thema notwendig ist. Man spricht und schreibt nicht ungestraft über Liebe, weder lobend noch kritisch – sonst landet man in den lauen Wassern der Empathie wie Thelma Forsdyke.
4. Voten zur christlichen Liebe von innen Nach diesen von außen kommenden Voten folgen nun fünf unterschiedliche Beiträge, die das biblische Konzept von Liebe, das unser eigentliches Thema ist, gleichsam von innen beleuchten und bewerten. (1) Ich beginne mit einem Zitat von Etty Hillesum. Etty Hillesum war eine junge jüdische Intellektuelle, die Rechtswissenschaften in den Niederlanden studierte, zwischen 1941 und 1943 ein Tagebuch schrieb und 1943 zusammen mit ihrer Familie in Auschwitz ermordet wurde. Wir lesen hier: Und ich glaube auch, vielleicht kindlich, aber hartnäckig, dass die Erde wieder bewohnbarer wird durch die Liebe, über die der Jude Paulus im 13. Kapitel seines 1. Briefes an die Bürger von Korinth schrieb.81
Sie spricht von demselben Text – von 1. Korinther 13, dem „Hohelied der Liebe“ (Adolf von Harnack), – den Nietzsche mit der furchtbaren rassistischen DoppelMetapher „ein jüdisches Auflodern der ewigen Flamme, die semitisch ist“, charakterisiert.82 80 I. Bachmann,
Welt, 143. En ik meen dan ook, misschien kinderlijk, maar hardnekkig, dat deze aarde alleen weer iets bewoonbarder zou kunnen worden door die liefde, waarover eens de Jood Paulus schreef aan de inwoners van de stad Corinthe, in het dertiende hoofdstuk van zijn eerste brief. E. Hillesum, Complete Works, 955–956. Etty Hillesum, am Ende einer langen Beschreibung des Durchgangslagers Westerbork (S. 935–956 in der zweisprachigen Ausgabe). Geschrieben in Amsterdam, Ende Dezember 1942 (Brief Nr. 23) “Aan twee zusters in Den Haag” (an zwei Schwestern in Den Haag). 82 Ich habe das Tagebuch von Etty Hillsum erst im letzten Jahr in Rom kennengelernt und 81
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(2) Am 7. Dezember 1970 schrieb David ben Gurion an den Obersten Richter in Israel, Moshe Silberg, Folgendes: Eines der Prinzipien, die zum ewigen Wesen des Judentums gehören, ist: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.83
Ben Gurion erhebt hier eines der vielen praktischen Satzgebote aus dem Heiligkeitsgesetz in Levitikus 19,18 zu einem überzeitlichen Prinzip und schließt sich damit einer Entwicklung an, die mit der frühjüdischen und frühchristlichen Frage nach dem höchsten Gebot begann und die erstaunliche Entwicklung der Nächstenliebe zu einem ethischen Leitprinzip zur Folge hatte. (3) Die ganze Thematik biblisch-christlicher Liebeskonzepte erreicht einen Höhepunkt, zugleich aber auch eine neue Akzentuierung bei Johann Wolfgang von Goethe, der am 4. 1. 1824 zu Johann Peter Eckermann sagte: Gott … war sichtbar mit Christus und seinen ersten Anhängern, denn die Erscheinung der neuen Lehre der Liebe war den Völkern ein Bedürfnis.84
Goethe prägt hier, indem er von „Lehre“ schreibt, den Begriff der Religion „der Liebe“ für das Christentum, der diesem seither immer wieder kritisch vorgehalten wurde. Die Diktion Goethes ist nicht biblisch. Sie gehört schon in den großen Zusammenhang der Philanthropie des 18. Jahrhunderts, die sich schrittweise von der kirchlichen caritas-Arbeit und ihrer christlichen Grundlage trennt.85 (4) Niemand hat sich in jüngerer und jüngster Zeit der Aufgabe, die christliche Liebe zu bedenken und darzustellen, stärker gewidmet als zwei theologische Persönlichkeiten: Anders Nygren und Papst Benedikt XVI. Das epochale Werk Eros und Agape86 des schwedischen lutherischen Theologen und Bischofs Anders Nygren aus Lund (1890–1978)87 ist theologisch von besonderem Gewicht und hat das Themenfeld nachdrücklich strukturiert und sachlich geprägt. Nygren hat neu und vertieft nach dem theologischen Konzept der christlichen Liebe jenseits der sozialen Realität in den philosophischen, intellektuellen und religiösen Traditionen in und außerhalb Europas gesucht. Die ἀγάπη im Sinne der selbstlosen Liebe hat er als „die Antwort auf die religiöse und ethische Grundfrage der war von ihrem Votum zu 1 Kor 13 tief beeindruckt. Prof. J. Sievers (Pontificio Istituto Biblico Rom) wies mich freundlicherweise auf diesen Text hin. 83 D. B. Gurion, an Moshe Silberg. Zitiert nach T. Segev, David Ben Gurion, 694, mit Anm. 30: Zu den Grundsätzen, die „den ewigen Kern des Judentums“ ausmachen, gehört: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Levitikus 19,18). 84 J. P. Eckermann, Gespräche, 533. 85 Protagonisten der Philanthropie: Christian Fürchtegott Gellert, Die Menschenliebe (1743) (Der Menschenfreund 1748); Johann Bernhard Basedow, Vorstellung an Menschenfreunde (1768). Goethe bezieht sich in Dichtung und Wahrheit ausführlich auf Gellert und Basedow. 86 A. Nygren, Eros och Agape, dt.: Eros und Agape. Dazu: O. Wischmeyer, „Anders Nygren“, 164–172. 87 1947–1952 erster Präsident des Lutherischen Weltbundes.
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Menschheit“ bezeichnet. Das Neue Testament – so Nygren – antworte auf die Frage: „Wer ist Gott?“ mit „ἀγάπη“ (1 Joh 4,8.16) und auf die Frage „Was ist das Gute?“ ebenso mit „ἀγάπη“ (Röm 13,8–10).88 Mit der neu akzentuierten Frage nach dem summum bonum befinden wir uns auf der Höhe der systematischen Theologie, die die gesamte Überlieferung zum Thema Liebe – verstanden als ἔρως und ἀγάπη – sichtet und in eine antithetisch strukturierte Theorie bringt: ἔρως steht für die platonische Idee des Aufstiegs des Menschen zum Göttlichen und damit in gewisser Weise für den amor sui, ἀγάπη für Gottes bedingungslose Liebe zum Menschen, die sich in Christi Dahingabe manifestiert. Selbstlose Liebe, ἀγάπη, steht gegen Selbstliebe bzw. die Sehnsucht nach Selbstvervollkommnung, ἔρως.89 (5) Papst Benedikts Enzyklika Deus caritas est von 2004/5 setzt nicht bei der Nächstenliebe ein, sondern „bei dem theologisch anspruchsvollsten neutestamentlichen Liebestext: 1 Joh 4,16“90: Gott ist die Liebe (ἀγάπη); und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Benedikt entwirft auf der Grundlage der johanneischen Theologie eine „Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch“ (Dce § 17), wobei die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen die zuvorkommende Größe ist, auf die die Menschen antworten. Im zweiten Teil der Enzyklika widmet er sich der kirchlichen CaritasArbeit und schreibt über 1. Korinther 13: „Dieser Hymnus muss die Magna Charta allen kirchlichen Dienstes sein“ (Dce § 34). Den Überlegungen von Etty Hillesum bis zu Anders Nygren und Benedikt ist Eines gemeinsam: jüdische und christliche Religion werden gleichsam auf den Begriff der Liebe konzentriert oder reduziert. Anders gesagt: die Liebe wird zum alleinigen oder mindestens wesentlichsten Signe beider Religionen – andere Grundmotive wie der Eifer und der strafende und vergeltende Zorn Gottes in der Bibel Israels (2 Mose 20,5f) oder die Warnung vor dem Endgericht, das nach den Taten der caritas erfolgen wird, im Neuen Testament (Mt 25,31–46) bleiben theoretisch unberücksichtigt oder treten jedenfalls zurück. Sie sind aber immer in der Realität der Liebe als der größten Emotion enthalten: Jahwe eifert um sein Volk, das er liebt. Die Menschen, die die Werke der Barmherzigkeit, der caritas nicht tun, vergehen sich an Christus selbst. Anders als Nygren, der die christliche 88 O. Wischmeyer, „Anders Nygren“, 168: “From a theological point of view, according to Nygren the New Testament responds to the question “What is God?” with “Agape”. And in the same way it responds to the question “What is the Good – summum bonum, τὸ καλόν?”, with “Agape”. So, Agape is the answer to both, the religious and the ethical core question of humankind.” Vgl. auch die Aufnahme von Agape in das christliche Namensrepertoire (in Rom 86 Beispiele in Inschriften: Epigraphic Database Bari), die sich auch bei den Namen von Märtyrerinnen zeigt, bei denen neben Agape von Antiochia die bekannteste Agape von Thessaloniki ist: CSLA Database. 89 V. Lindström, „Eros“, 603–605. 90 O. Wischmeyer, Liebe, 241; engl.: Love, 247.
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Liebe auf die selbstlose Liebe reduziert, gelingt es Benedikt, den ἔρως in seiner platonischen Gestalt in seine große „Liebesgeschichte“ einzubeziehen und damit auch das Motiv des Eifers und jene personale Grundierung von Liebe, die wir im Hohenlied gefunden haben, in sein Konzept christlicher Liebe zu integrieren.
5. Grundlagen: Israels Schriften (1) Nachdem nun viele Stimmen zu dem großen Thema Liebe zu Wort gekommen sind, richte ich unser Interesse auf die Bibel Israels, in der wir die Basis für das Liebeskonzept des Paulus finden. Hier begegnen uns die hochgestimmten, autoritativen, kurzen Sätze, die sich mit Israels Rede von Gott verbinden. Israels Verständnis von der Liebe ()א ֲה ָבה ַ Gottes, der die Liebe Israels antwortet, beruht – kurz zusammengefasst – auf dem altorientalischen Konzept des Bundesgedankens, bezogen auf den Gott Israels und sein Volk.91 Dieser Bundesgedanke verbindet eine enge persönliche Beziehung und Verantwortung mit Loyalität, d. h. zurückgebendem Handeln und Verhalten. So klingt Jahwes Ansprache an Israel: Nicht weil ihr zahlreicher als alle Völker wäret, hat sich Jahwe zu euch geneigt und euch erwählt, denn ihr seid von allen Völkern das kleinste, sondern weil Jahwe euch liebte, und weil er den Eid, den er euren Vätern geschworen hat, gehalten hat, führte euch Jahwe mit starker Hand heraus, und er erlöste dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand Pharaos, des Ägypterkönigs. Darum sollst du erkennen, dass Jahwe, dein Gott, Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Treue denen gegenüber bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote halten, bis in tausend Geschlechter … . (Dtn 7,7–9)
Dem entspricht das Gebot, Gott zu lieben, das sog. Sch‘ma Israel: Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. (Dtn 6,4.5)
Es ist immer kritisch gefragt worden, in welchem Zusammenhang Liebe und Gebot stehen und ob Liebe denn befohlen werden könne. Es geht hier um ein reziprokes Bundesverhältnis, „bei dem das Volk auf Gottes vorauslaufende Liebe reagiert“.92 Diese erwählende, verpflichtende und beschützende Liebe Gottes, die die Liebe der Menschen ruft, haben die Propheten Israels in große Metaphern und in die hohe Sprache des Bildes der Liebe des Vaters zum Sohn gegossen und damit individuiert, indem sie „Israel“ als Gottes Sohn ansprechen und die Sprache der Liebe im Bundeskonzept stärkten:
O. Wischmeyer, Liebe, 22–27; engl.: Love, 22–27; dies., „Leviticus 19,18“, 553–569. O. Wischmeyer, Liebe, 24; engl.: Love, 25.
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IV. Rezeption
Als Israel jung war, hatte ich ihn lieb und rief ihn, meinen Sohn aus Ägypten … Ich ließ sie in Seilen der Liebe gehen. (Hos 11,1.4)
Dementsprechend lautet Jeremia 31,3: (3) Der Herr ist mir erschienen von ferne: ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte … (21) Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein liebes Kind? Denn sooft ich ihm auch drohe, muss ich doch seiner gedenken; darum bricht mir mein Herz, dass ich mich seiner erbarmen muss, spricht der HERR.
Jeremia kann die Liebesbeziehung Gottes zu seinem Volk aber auch als Liebe zwischen Bräutigam und Braut darstellen: So spricht der Herr: ich gedenke der Treue deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste, im Lande, da man nicht sät. (Jer 2,2)
Daneben steht die ambivalente Erfahrung Gottes mit seinem Sohn Israel in Jeremia 2,2 und 3,19 f.: Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste, im Lande, da man nicht sät. Und ich dachte, wie will ich dich halten, als wärst du mein Sohn, und dir das liebe Land geben, den allerschönsten Besitz unter den Völkern! Und ich dachte, du würdest mich dann ‚Lieber Vater‘ nennen und nicht von mir weichen. Aber das Haus Israel hat mir nicht die Treue gehalten, gleichwie eine Frau wegen ihres Liebhabers nicht die Treue hält, spricht der HERR.
Hier wie an vielen Stellen scheint wieder die Gefahr auf, die in der Liebe liegt: Untreue, Bruch des Bundes und Bruch der persönlichen Liebe, metaphorisch als Liebe zwischen Vater und Sohn oder zwischen Bräutigam und Braut oder Ehemann und Ehefrau dargestellt. (2) Aber auch die Sprache der Nächstenliebe ist nicht nur eine Sprache der verstehenden Empathie, sondern eine Sprache des Nachdrucks, der Verpflichtung und der persönlichen Anteilnahme. Das sog. Gebot der Nächstenliebe findet sich in Lev 19,17.18.33.34: (17) Du sollst deinen Bruder ()אח ָ nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich ladest. (18) Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst ;ּכ ֹ֑מוָך ְל ֵר ֲעָך֖ וְ ָ ֽא ַה ְב ָ ּ֥ת ָ ich bin der Herr. (33) Wenn ein Fremdling ( ֵ)ּג֖רbei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. (34) Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, denn ihr selbst seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der Herr, euer Gott.
Der „Nächste“ ist hebräisch ר ַע,ֵ das Mitglied der Rechtsgemeinde Israels, modern: der Mitbürger. Daher ist die Fortsetzung von V. 18 in V. 33.34 so
23. Paulus über die Liebe
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wichtig: für die Fremden, die nicht den Rechtsstatus des Bürgers Israels haben, sollen dieselben Regeln gelten. Die griechische Übersetzung der Bibel Israels, die Septuaginta, wählte für ֵר ַעdas Substantiv ὁ πλησίον, der Nahestehende. Damit rückte der Fokus von dem Rechtsstand eines Mannes weg von der nationalreligiösen Pointe auf das nachbarschaftliche Verhältnis – eine Folge des Verlustes der Eigenstaatlichkeit Israels im Zeitalter des Hellenismus und der jüdischen Diaspora. Die frühchristlichen Schriftsteller haben die Fokussierung auf die Nähe übernommen, und Luther hat diese zugleich individuierende wie auch persönlich fordernde Linie in seinem Neologismus „Nächstenliebe“ als Übersetzung von א ֲה ָבה/ ַ ἀγάπη verstärkt.93 (3) Für das Verständnis des theologisch-ethischen Ansatzes Israels sind drei Punkte entscheidend. Erstens hat die Rede von der Liebe Gottes zu seinem Volk und dessen Verhalten Gott und den Mitbürgern gegenüber eine grundsätzlich politisch-soziale Dimension. Israels Theologen dachten in politischen Bündnissen und in gesellschaftlich-rechtlichen Verpflichtungen der Bürgerschaft Israels. Der Rechts- und Schutz-Bund, den Gott mit Israel geschlossen hatte, und die darin enthaltenen Verpflichtungen Israels sind weder nur religiös noch nur individuell konzipiert, sondern umfassen das Volk Israel und das Verhalten der Israeliten. Zweitens folgt daraus die rechtliche Sprache: das Gebot. Was heute als Ethos verstanden wird und primär dem Individuum zugeordnet ist, war im Alten Israel Rechtssatzung der Bürgerschaft. Und was seit der europäischen Mystik des Mittelalters und der Neuzeit und später seit dem Pietismus persönliche Liebesreligion war, war im Alten Israel rechtliche Verpflichtung Jahwes gegenüber Israel und der Israeliten gegenüber Jahwe, die von beiden Seiten eingeklagt werden konnte. Umso wichtiger ist die Einsicht, dass das Gebot der Liebe zum Mitbürger auf die „Fremdlinge“ ausgedehnt war. Das Bundeskonzept ist also nicht ethisch und juridisch exkludierend, sondern gerade ethisch verpflichtend über die Grenzen des Volkes Israel hinaus und sprengt diese Grenzen bereits in gewisser Weise. Drittens: die Propheten arbeiten die personale Verpflichtung und die individuelle Tiefendimension der Liebe Gottes aus: es geht dem Gott Israels um Bundestreue, aber auch um das persönliche Verhältnis zu Israel, das mit den sprachlichen Mitteln menschlicher engster Beziehungen anschaulich gemacht wird. Zusammengefasst: was wir in der Bibel Israels finden, ist das Bundeskonzept, das nach dem Verständnis der Theologen Israels ein gegenseitiges Liebesverhältnis begründet, das ausschließlich verpflichtend ist, das eine emotionale, eine personale, eine ethische und eine soziale Komponente hat und den einzelnen Israeliten ebenso verpflichtet wie die Bürgergemeinde.
O. Wischmeyer, Liebe, 7; engl.: Love, 7 Anm. 26.
93
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IV. Rezeption
Die Septuaginta übersetzt Liebe ()א ֲה ָבה ַ einheitlich mit ἀγάπη und verzichtet auf ἔρως als Übersetzung der erotischen Liebe.94 Damit ist aber der Liebe in Israel keineswegs der Stachel der Leidenschaft genommen. ַא ֲה ָבהist immer leidenschaftlich, ob Gottes Liebe zu Israel oder die Liebe des Hohenliedes. ַא ֲה ָבה ist voller Glut und stark wie der Tod, wie das Hohelied Salomos formuliert.95
6. Christologisch-ethische Überarbeitung bei Paulus Das frühe Christentum und seine eigene theologische Literatur, gesammelt im Neuen Testament, liest und hört weiter die „Schrift“, d. h. die Bibel Israels in der sprachlichen Version der Septuaginta. Gottes Bund und seine Liebeszuwendung zu Israel sowie die Verpflichtung Israels auf die Liebe zu Gott und zu den Mitbürgern und Fremdlingen sind Teil der Verkündigung Jesu und der Jesustradition. Sie werden von den Jesus als Christus bekennenden Gemeinden übernommen. Damit werden diese Grundlagen der Theologie und des Selbstverständnisses Israels zugleich tradiert und modifiziert im Sinne der Ausweitung bzw. Partizipation – von Israel auf Christus bekennende Juden und Heiden. Im Lauf der Entstehung der paulinischen Theologie und Christologie lassen sich zwei Entwicklungen beschreiben. (1) Erstens wird das Konzept der Bundesliebe Gottes zu Israel bei Paulus christologisch überschrieben und zu einem umfassenden theologisch gelenkten Liebeskonzept ausgeweitet. Das Liebeshandeln geht wieder von Gott aus. Es wirkt durch Christus: Gott schließt in Christus einen neuen Bund mit den Menschen96 (1 Kor 11,25; 2 Kor 3,6.14; Gal 4,24), dessen Grundlage Jesu Tod für die Menschen ist. Dahinter steht die antike Vorstellung, dass der (Freundes)Tod für den Anderen diesen befreit und ihm Leben schenkt.97 Paulus fasst das in Gal 2,20, Röm 5,8 und in Röm 8.35.39 jeweils kurz folgendermaßen zusammen: Ich lebe, doch nun nicht ich, es lebt in mir Christus. Was ich aber nun im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich liebt und sich selbst für mich gegeben hat. (Gal 2,20) Es erweist aber Gott seine Liebe zu uns (darin), dass – als wir noch Sünder waren – Christus für uns gestorben ist. (Röm 5,8) Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?
94 Das gilt besonders für das Hohelied. Die griechische Dualität von Eros und Agape ist anders, als Nygren es möchte, der Eros und Agape so dezidiert trennte, durchaus in der Bundesund Liebestheologie der Bibel Israels eingeschrieben ( ַא ֲה ָבהist sachlich Eros und Agape). 95 Zu den verschiedenen Aspekten von ַא ֲה ָבהvgl. J. Bergmann u. a., „ahab“. 96 Grundtext ist Mk 14,24 par.: die Abendmahlstradition. 97 Siehe unten Anm. 117.
23. Paulus über die Liebe
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Weder Tod noch Leben … kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. (Röm 8,35.39)
Ausführlicher beschreibt Paulus die Liebe Christi in 2 Kor 5,14f: Denn die Liebe Christi drängt uns, weil wir urteilen, dass einer für alle gestorben ist und so alle gestorben sind. Und er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist.98
Der Schlüsseltext für die Liebeschristologie des Paulus ist aber Röm 5,1–11. Glaube, Geduld, Hoffnung und Liebe sind die Elemente des neuen Lebens im „Frieden mit Gott“ (5,1), eines Lebens in der Gnade Gottes (5,2), das durch die genannten Gnadengaben99 gekennzeichnet ist. Die Charismen von Glaube, Hoffnung, Liebe und Geduld verdanken sich der Liebe Gottes, die in unseren Herzen ausgegossen ist durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns damals noch Gottlose gestorben. Nur selten nämlich stirbt jemand für einen Gerechten. Denn nur mit Mühe wagt jemand vielleicht für einen Guten zu sterben. Gott aber hat uns seine Liebe zu uns erwiesen, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren. (Röm 5,5–8)
Hier wird besonders deutlich, wie Paulus die alttestamentliche Botschaft von Gottes Liebe zu Israel christologisch überschreibt und neu interpretiert. (2) In der Jesustradition der Evangelien und bei Paulus finden wir zweitens eine eigene Konzeption von Liebe als Gottes- und Nächstenliebe, die auf den zentralen Texten Lev 19,18 und Dtn 6,4f aufbaut. Während im Alten Testament Gottes- und Nächstenliebe nirgends konzeptionell verbunden sind, sondern in voneinander unabhängigen Geboten postuliert werden, wird in Mk 12,29–31 par. diese Verbindung hergestellt. Es entsteht das sog. Doppelgebot der Liebe. Jesus antwortet auf die Frage eines Gesetzeslehrers nach dem höchsten Gebot in der Tora mit zwei Geboten: Das höchste Gebot ist das: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften“. Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.
Jesus nennt also zwei Gebote, die durch das Thema der Liebe verbunden sind. Der Schriftgelehrte, der Jesus die Frage nach dem höchsten Gebot gestellt hat, stimmt zu und formuliert in seiner Wiederholung selbst das eine Doppelgebot: Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und In 2 Kor 5,18–21 interpretiert Paulus diese Liebestat als Versöhnung. Sachlich bezeichnet Paulus Glaube, Hoffnung, Geduld und Liebe hier als Gnadengaben, ohne aber den Begriff Charisma zu benutzen. 98 99
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IV. Rezeption
mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.100 (Mk 12,32 f.)
Die ethisch-theologischen Diskussionen, die um die Geltung der Tora und um ihre wichtigsten Gebote im 1. Jahrhundert geführt werden, müssen hier nicht dargestellt werden. Wichtig ist, dass zwischen jüdischen Gelehrten und Jesus von Nazareth selbst und dann auch unter frühchristlichen Theologen diese Diskussionen geführt wurden. So weitet Jesus die Nächstenliebe in der Bergpredigt Mt 5,43–48 (Lk 6,27–36) auf die Feinde aus: Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben“ und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. (Mt 5,43–45)
Jesus behauptet weiter, auch die Zöllner und die Heiden liebten ihre Brüder – damit wird die Nächstenliebe tendenziell als zu begrenzt kritisiert, und neue Geltungsbereiche werden eröffnet. Gilt für die Nächstenliebe in Lev 19,18 das letztlich moderate Kriterium „wie dich selbst“ – Selbstliebe wird gerade nicht verboten, sondern zum Standard für die Nächstenliebe – so geht die Feindesliebe darüber hinaus. Denn der Feind ist derjenige, der der eigenen Person, dem Selbst, schlimmen Schaden zufügen und sie töten kann. Das muss die Feindesliebe in Kauf nehmen. Neben diesen torabezogenen Auslegungsdiskussionen101 entwickelt sich der Diskurs um das höchste Gebot eine andere Richtung, in der der Blick von der Tora weg- und auf eine allgemeine Ethik hingelenkt wird: die ἀγάπη wird von Paulus als maßgebliche Verhaltensform in den Christus-bekennenden Gemeinden entwickelt. Paulus löst sich von der normativen Sprache der Tora und von der präskriptiven Gebotsstruktur ihrer ethischen Regeln. Er entwirft stattdessen eine deskriptiv-paränetische Gemeindeethik auf der Grundlage des Begriffs der ἀγάπη. Damit entsteht eine eigene christliche Gemeindeethik, die durch eine psychologisch-kommunitäre Kultur gekennzeichnet ist. Schlüsseltext ist 1. Korinther 13, der Text, dem wir bei Nietzsche und bei Etty Hillesum schon begegnet sind.
7. 1. Korinther 13 1 Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ καὶ τῶν ἀγγέλων, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον. 2 καὶ ἐὰν ἔχω προφητείαν καὶ εἰδῶ τὰ μυστήρια πάντα καὶ πᾶσαν τὴν γνῶσιν καὶ ἐὰν ἔχω πᾶσαν τὴν πίστιν ὥστε ὄρη μεθιστάναι, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐθέν εἰμι. 100 Parallelen in den frühjüdischen Schriften zu Gottes- und Nächstenliebe: Test. Iss. 7,6; Test. Dan 5,3. 101 So auch Rabbi Akiba (Sifre Qedoshim 4).
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3 κἂν ψωμίσω πάντα τὰ ὑπάρχοντά μου καὶ ἐὰν παραδῶ τὸ σῶμά μου ἵνα καυχήσωμαι, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐδὲν ὠφελοῦμαι. 4 Ἡ ἀγάπη μακροθυμεῖ, χρηστεύεται ἡ ἀγάπη οὐ ζηλοῖ, [ἡ ἀγάπη] οὐ περπερεύεται, οὐ φυσιοῦται, 5 οὐκ ἀσχημονεῖ, οὐ ζητεῖ τὰ ἑαυτῆς, οὐ παροξύνεται, οὐ λογίζεται τὸ κακόν, 6 οὐ χαίρει ἐπὶ τῇ ἀδικίᾳ, συγχαίρει δὲ τῇ ἀληθείᾳ 7 πάντα στέγει, πάντα πιστεύει, πάντα ἐλπίζει, πάντα ὑπομένει. 8 Ἡ ἀγάπη οὐδέποτε πίπτει· εἴτε δὲ προφητεῖαι, καταργηθήσονται· εἴτε γλῶσσαι, παύσονται· εἴτε γνῶσις, καταργηθήσεται. 9 ἐκ μέρους γὰρ γινώσκομεν καὶ ἐκ μέρους προφητεύομεν 10 ὅταν δὲ ἔλθῃ τὸ τέλειον, τὸ ἐκ μέρους καταργηθήσεται. 11 ὅτε ἤμην νήπιος, ἐλάλουν ὡς νήπιος, ἐφρόνουν ὡς νήπιος, ἐλογιζόμην ὡς νήπιος·ὅτε γέγονα ἀνήρ, κατήργηκα τὰ τοῦ νηπίου. 12 βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αἰνίγματι, τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον· ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην. 13 Νυνὶ δὲ μένει πίστις, ἐλπίς, ἀγάπη, τὰ τρία ταῦτα· μείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη.
1. Korinther 13 ist der einzige ausführliche thematische Text zur ἀγάπη, der uns von Paulus überliefert ist. Nur hier unternimmt er den Versuch, ἀγάπη als zentralen Begriff seiner Ethik und seiner Konzeption von Leben aus dem Geist zu formulieren. Es handelt sich um ein Stück ambitioniert gestalteter religiösethischer Literatur, das hohen stilistischen und rhetorischen Maßstäben gerecht wird102 und sich in eine Reihe literarischer Vorbilder und paralleler Texte einfügt, die große Tugenden und Begriffe beschreiben und loben. Paulus bewegt sich in 1. Korinther 13 bewusst in dem literarisch und thematisch ambitionierten Themenfeld des Lobes von ἔρως (Platon, Plutarch, Maximus von Tyrus103), Sophia (Sapientia Salomonis 7,22–8,1)104 und Wahrheit (3. Esra).105 In diese Begriffs- und Denkwelt führt er die ἀγάπη ein106 – ein Substantiv aus dem Wortschatz des griechischsprachigen Judentums, das vor Paulus noch keine Begriffs102 Allerdings ist der gesamte Traktat über die Gaben des Geistes (1. Korinther 12–14), dessen Mittelteil Kapitel 13 bildet, sehr sorgfältig formuliert. Vgl. auch 12,12–26: die Fabel über Leib und Glieder. 103 Das heißt nicht, dass Paulus Platon oder Maximus von Tyrus gekannt habe (Maximus von Tyrus gehört ins 2. Jahrhundert n. Chr.!) oder auf das Symposion anspiele, sondern dass er einen vergleichbaren Text zum Thema Liebe (ἀγάπη statt ἔρως) entwirft. Damit fällt Licht auf den Anspruch des Paulustextes. 104 Vgl. den Erkenntnisaspekt in 1 Kor 13,12. Die stilistischen und sachlichen Bezüge zwischen SapSal 7 und 1 Kor 13 sind auffallend, das Lexikon ist unterschiedlich: SapSal 7,23 nennt die Weisheit εὐεργετικόν, φιλάνθρωπον. 7,27: πάντα δύναται (öfter πάντα). 7,28: οὐθὲν γὰρ ἀγαπᾷ ὁ θεὸς εἰ μὴ τὸν σοφίᾳ συνοικοῦντα. Allerdings gilt das Interesse des SapientiaAutors vor allem der materialen (πνεῦμα νοερόν) und schöpfungsbezogenen Seite der Weisheit, nicht ihrem Ethos. Paulus folgt nicht der philosophischen Ambition des Autors der Sapientia. Er benutzt auch nicht die formale Enkomionstruktur, die der Autor von SapSal 7 wählt. Zur zeitlichen Einordnung vgl. K.-W. Niebuhr, „Einführung“, 32: „frühe römische Kaiserzeit“, d. h. zeitgleich mit Paulus. 105 3 Esr 4,35. Vgl. die Aspekte von Wahrheit und Gerechtigkeit in 1 Kor 13,6. 106 Zu Vergleichstexten siehe: H. Conzelmann, Brief, 267–269 (Texte von Tyrtaios, Platon,
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IV. Rezeption
qualität hatte.107 Diesen neuen Begriff konzipiert er nicht definitorisch, sondern poetisch im Stil der Weisheitsliteratur und Prophetie Israels108, gleichzeitig aber in deutlicher Nähe zu den Texten des Begriffslobes der griechischen Philosophie und Literatur. (1) Daher ist die formale Seite des Textes besonders wichtig. Ich habe eingangs auf Adolf von Harnack verwiesen. Sein literarischer Zugang zu 1. Korinther 13 ist als einseitig kritisiert worden. Harnack hat aber eine Spur gelegt, die verfolgt werden muss: Paulus arbeitet an einer eigenen religiösen Sprache. Dabei geht es nicht nur um Terminologie und Stil, sondern um die gesamte Textstruktur und Form, um den ethisch-theologischen Zugang und Anspruch und um den hohen Ton der Kommunikation mit den Korinthern. Hier liegt durchaus eine Sachparallele zu Platons Symposion. Paulus vermeidet Dreierlei: einerseits eine direkte Definition von ἀγάπη im Sinne von „Liebe ist gegenseitige Zuneigung und Sorge“.109 Dazu gehört auch der Verzicht auf Vergleiche oder Abgrenzungen gegenüber ἔρως, φιλία und στοργή. Paulus nähert sich der ἀγάπη nicht philosophisch, sondern von der Realität der pneumatischen Gaben in der korinthischen Gemeinde her. Andererseits verzichtet er auch auf die Annäherung von der Tora her, auf die Satzparänese – im Imperativ der zweiten Person Singular oder Plural –, die er in Röm 12 und 13 ausführlich anwendet. Röm 13,8–10 zeigt, wie sehr Paulus immer wieder mit dem Thema des Gesetzes und seinen Geboten beschäftigt ist. So zitiert er in 13,9 Dekaloggebote und Lev 19,18: τὸ γὰρ οὐ μοιχεύσεις, οὐ φονεύσεις, οὐ κλέψεις, οὐκ ἐπιθυμήσεις, καὶ εἴ τις ἑτέρα ἐντολή, ἐν τῷ λόγῳ τούτῳ ἀνακεφαλαιοῦται [ἐν τῷ]· ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν, um dann in V. 10 zu schließen: ἡ ἀγάπη τῷ πλησίον κακὸν οὐκ ἐργάζεται· πλήρωμα οὖν νόμου ἡ ἀγάπη. An diesem Punkt wechselt er vom Gebot zum Begriff. Im Zusammenhang von 1 Kor 12–14, in dem die Gesetzesthematik keine Rolle spielt, verzichtet er auf die Satzparänese und wählt gleich den Begriff.110 Drittens vermeidet Paulus die Länge und artifizielle Ausgestaltung seines Liebestextes. Die stringente Knappheit des Textes wird augenfällig beim Vergleich mit Sapientia Symposion 197 c ff., Maximus von Tyrus, 3. Esra); W. Schrage, Brief, 278 f. (Texte von Maximus von Tyrus, Sapientia Salomonis, 3. Esra). Vgl. auch Philo praem 11 zur Hoffnung. 107 Vgl. aber die Vorstufen einer Begriffsbildung in Pred 9,1.6 („Liebe und Hass“ als Zusammenfassung des menschlichen Lebens); Weish 3,9 (3,4 ἡ ἐλπὶς αὐτῶν ἀθανασίας πλήρης; 9·οἱ πεποιθότες ἐπ᾽ αὐτῷ συνήσουσιν ἀλήθειαν, καὶ οἱ πιστοὶ ἐν ἀγάπῃ προσμενοῦσιν αὐτῷ· ὅτι χάρις καὶ ἔλεος τοῖς ἐκλεκτοῖς αὐτοῦ: hier finden sich bereits Elemente der paulinischen Trias); 6,17.18. Siehe auch Jer 2,2. Auffallend ist das häufige Vorkommen im Hohenlied in der Bedeutung von erotischer Liebe (besonders 8,4–7). Vgl. auch die Belege von ἀγάπησις in Sir 40,20; 48,11; Hos 11,4; Hab 3,4; Zeph 3,17; Jer 2,33 (Tugend); 38,3. 108 Dazu die ausführliche Stilanalyse bei O. Wischmeyer, Weg (bezogen auf Syntax, Wortwahl, Metaphern, Stil und literarische Kleinformen). 109 Eine inversive Definition zu Hesiod findet sich im 1. Johannesbrief. Es heißt nicht „Die Liebe ist Gott“, sondern: „Gott ist Liebe“ (4,8.16). 110 Dass er ihm vertraut ist und nicht erst konzipiert wird, zeigt 1 Kor 4.
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Salomonis 7 und mit 1. Klemens 49 f.111 Und im Gegensatz zu Platons Symposion fehlen jede Ironie und jedes literarische Spiel. Paulus geht es auch in 1 Kor 13 um „die letzten Dinge“. Um den Begriff ἀγάπη mit Anschauung zu füllen, benutzt Paulus drei unterschiedliche kleine literarische Formen: erstens eine synkrisis zwischen ἀγάπη und Charismen unter der Frage: „Was nützt letztlich“? (V. 1–3). Hier bringt er die ἀγάπη ins Gespräch mit den anderen Charismen. Im zweiten Teil wählt er eine ekphrasis der ἀγάπη unter der Frage: „Wie handelt die ἀγάπη und wie verhält sie sich?“ (V. 4–7), und drittens wieder eine synkrisis, die nun als apokalyptische Offenbarung gestaltet ist und die ewige Dimension der ἀγάπη im Vergleich mit den Charismen unter der Frage: „Was bleibt?“ (V. 8–12) eröffnet. Das Kapitel schließt mit einer priamelartigen Gnome in V. 13, die das Motiv des Bleibens wiederholt. Die Exegeten haben stets nach einer literarischen Definition der Form des gesamten Kapitels gesucht. Hymnus oder Enkomion werden vorgeschlagen, daneben eine paränetische Zuordnung. Beide Kategorien passen aber nicht. Fitzmyer wählt einen Mittelweg: er behält zwar die Überschrift Hymnus aus Traditionsgründen bei, beschreibt die Form aber folgendermaßen: It is rather a descriptive, didactic, and hortatory passage composed with no little rhetoric, and differs considerable from the style of the rest of the letter … It has no liturgical traces, no parallelism, and contains no mention of Christ …, and even lacks all explicit reference to God. Many interpreters, however, continue to entitle it as a hymn or psalm …, and I have retained the title so often used, though I recognize it as structured prose, scarcely poetical or lyrical, yet marked with rhetorical and balanced pairs, antithesis, chiasmus, hyperbole, and anaphora. It is a rhetorical encomium of love, intended as an exhortation for Corinthian Christians.112
Löst man sich von beiden Vorschlägen, deren Einseitigkeit evident ist, wird deutlich: Der Text wird nicht durch eine einheitliche literarische Form zusammengehalten, sondern durch sein Thema. 1. Korinther 13 ist nicht ein Hymnus, ein Enkomion oder ein ethischer Lehrtext, sondern ein Liebestext. Paulus bringt verschiedene literarische Kleinformen zusammen, um verschiedene Aspekte der ἀγάπη zu beschreiben: die Beziehung zwischen ἀγάπη und Charismen, die Verhaltensweisen der ἀγάπη und ihre eschatologische Reichweite. Er entspricht damit der Absicht von 12,31, ἀγάπη als den besonders hervorragenden Weg darzustellen. Καὶ ἔτι καθ’ ὑπερβολὴν ὁδὸν ὑμῖν δείκνυμι ist eine paränetische Metapher, aber in rhetorischer Überhöhung und mit einer Tendenz zum Enkomion. Der Zweck des Textes ist – wie Fitzmyer sagt –, damit einerseits paränetisch. Die Korinther sollen verstehen, dass Liebe wichtiger ist als die Charismen (V. 1–3), dass sie eine psychologisch-ethische Kultur des Umgangs miteinander schafft Vgl. dazu O. Wischmeyer, Liebe, 102–105; engl.: Love, 107–111. J. A. Fitzmyer, Corinthians, 487.
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(V. 4–7). Andererseits geht Paulus „weit darüber hinaus“ und eröffnet in V. 8–12 die eschatologische und personale Dimension der ἀγάπη, die direkt zu Gott reicht (V. 8–12). Er schafft damit eine eigene Form und eine eigene Thematik. (2) Damit zum Thema: das Thema ἀγάπη ist nicht selbstverständlich, sondern wird durch Paulus in 1. Korinther 13 eher überraschend und ohne Vorlauf in den frühchristlichen ethischen Diskurs eingeführt.113 Paulus verbindet verschiedene alttestamentliche und frühchristliche Motivstränge. Die Grundlage bildet das Leviticuszitat, das in der Jesustradition und im frühen Christentum eine führende Stellung einnimmt.114 Paulus teilt diese Tradition und zitiert selbst das Gebot der Nächstenliebe mit der höchsten Wertschätzung: ὁ γὰρ πᾶς νόμος ἐν ἑνὶ λόγῳ πεπλήρωται, ἐν τῷ· ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν (Gal 5,14). In Röm 13,9 wählt er die substantivische Formulierung nicht nur für die Liebe, wie schon gesagt, sondern auch für das Motiv der Erfüllung: πλήρωμα οὖν νόμου ἡ ἀγάπη. Das Liebesgebot zitiert er in 1 Kor 13 nicht, sondern setzt es voraus. Andererseits greift er auf die sog. Trias von Glaube – Hoffnung – Liebe115 zurück. Er nimmt damit unter Umständen geprägte Tradition auf, expliziert sie aber und setzt sie selbständig theologisch ein. Paulus bezeichnet wie in Röm 5 weder die Liebe noch die Trias als Charisma, verbindet die ἀγάπη aber mit den Charismen durch die synkrisis in 13,1–3. Damit fällt auch Licht auf die ἀγάπη. Die ἀγάπη hat eine spirituelle Dimension und ist eine Art von Charisma, höher als die Charismen, die Ausdruck der neuen geistlichen Realität sind, die in den jungen Christus-bekennenden Gemeinden erfahren wird. In welchen Zusammenhang stellt Paulus damit die ἀγάπη? In 1. Korinther 12 werden die Charismen als pneumatische Fähigkeiten mit je eigenem Nutzen (V. 7) für die Gemeinde aufgezählt. Es geht um gottesdienstliche Redeformen und um Heilungs- und Demonstrationswunder. In 12,27–30 kommen Leitungsaufgaben in den Gemeinden hinzu. In 13,1–3 nennt Paulus zusätzlich zu den Redeformen und Demonstrationswundern – „Berge versetzender Glaube“ – noch „Hilfeleistungen“116, Besitzverzicht bzw. caritas und Selbsthingabe117, d. h. extreme Verhaltensformen des Verzichts auf die „Sorge für die eigene Person“. Die ἀγάπη 113 Es handelt sich um einen paulinischen Begriff. Das Johannesevangelium benutzt das Verb und greift nur sehr selten auf das Substantiv zurück. Erst der Gemeindetheologe, der den 1. Johannesbrief verfasst hat, macht das Substantiv zum theologischen Schlüsselbegriff. O. Wischmeyer, Liebe, 109–124; engl.: Love, 114–129, zur Definition „Gott ist agape“: 123. 114 Mt 5,43; 19,19; 22,39; Mk 12,31.33; Luk 10,27; Jak 2,8. Vgl. die Bedeutung des Dekalogs. 115 Th. Söding, Trias. In 1 Thess 5.8 setzt Paulus die Trias schon ethisch ein, in 1 Thess 3,6 auf Glaube und Liebe konzentriert als Beschreibung der Gemeinde in Thessaloniki, in Phlm 5 auf Philemon bezogen, in Gal 5,6 prägt er die Formulierung: „Glaube, der durch die Liebe tätig ist“. 116 D. Zeller, Brief, 409. 117 J. A. Fitzmyer, Corinthians, 494, denkt daran, dass jemand für einen anderen in die Sklaverei geht. D. Zeller, Brief, 409: „Die Formulierung lässt … an den freiwilligen Tod zum Wohl des Vaterlandes denken. Paulus hätte das auf seine dem Tod geweihte apostolische Existenz übertragen“. Möglich ist auch der Bezug auf den Tod für den Freund (Joh 15,13).
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aber steht über diesen Charismen, sie ist – so Paulus – allen Charismen überlegen. Besonders auffallend ist, dass ἀγάπη weder in der caritas noch in der Selbstopferung aufgeht, sondern gerade auch über diesen Verhaltensformen steht und diese erst in Verbindung mit der Liebe nützlich werden (V. 3). Positiv gesprochen: es ist die Liebe, die letztlich zählt und „nützlich“ ist im Sinne des Dienstes an der Gemeinde. Liebe wird zum obersten Kriterium für den Gottesdienst (1 Kor 14), für die Gemeindeethik und für das Zusammenleben der Gemeindeglieder. Liebe ist nicht mehr einzelne Tat oder bestimmtes situatives Verhalten gegenüber einem Nächsten, meist durch einen Akt praktischer Hilfe ausgedrückt118, sondern eine spezifische psychologisch-ethische Gemeinschaftskultur. Wie sieht diese aus? Paulus setzt das Gebot der Nächstenliebe in Haltungsweisen um und füllt seinen Begriff, die ἀγάπη, mit Anschauung, indem er die ἀγάπη zum Träger psychologischer Verhaltensformen, nicht zum sozialen oder caritativen Akteur oder zum ausführenden Organ von Barmherzigkeit macht119 – gleichsam zum barmherzigen Samaritaner. Den Kern dieses Verhaltens bilden Selbstlosigkeit, Altruismus, Freundlichkeit, Güte und Geduld, kurz die dauernde positive Einstellung zum Anderen und die Rücknahme der eigenen Person. ἀγάπη, so interpretiert, ist nicht länger an den Gesetzesdiskurs und die Thematik der „Werke des Gesetzes“ gebunden, sondern setzt einen eigenen, neuen Liebesdiskurs in Bewegung. Dabei ist ἀγάπη nicht als Akteurin gedacht, sondern als Dulderin.120 Hat Paulus im 2. Teil des Kapitels über die Rücknahme der eigenen Person geschrieben, führt er im letzten Teil die Person in neuer Form ein. Er arbeitet zwei weitere Dimensionen der ἀγάπη aus: die Liebe bleibt im Eschaton, und sie bezieht sich nicht nur auf ein gutes Verhalten dem Nächsten gegenüber, sondern zielt letztlich auf Gott. In V. 12 weist Paulus auf die tiefste Dimension der Liebe hin, die über die Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft und Geduld hinausgeht: auf ihre Personalität oder besser, ihre Suche nach der anderen Person. Diese Person ist letztlich Gott, der hier nicht genannt wird. Paulus benutzt aber in V. 12 die alttestamentliche Wendung „von Angesicht zu Angesicht sehen“, die erst im Eschaton realisiert werden kann. Das Ich sehnt sich nach der endgültigen Gotteserkenntnis, so wie es selbst von Gott erkannt ist. Liebe wird hier als gegenseitiges personales Erkennen interpretiert.121 Das führt über die Verse 4–7 hinaus und stellt eine implizite Verbindung zu dem christologischen Liebeskonzept her, das ich oben beschrieben habe. Es ist oft bemerkt worden, 118 So
in Jak 2. Angedeutet bei Benedikt XVI. in der Enzyklika Deus caritas est § 34: „In seinem Hymnus auf die Liebe lehrt uns der heilige Paulus (1 Kor 13), daß die Liebe immer mehr ist als bloße Aktion … Dieser Hymnus muß die Magna Charta allen kirchlichen Dienens sein“. 120 στέγειν: ertragen, ὑπομένειν: dulden. 121 Vgl. 1 Kor 8,3: εἰ δέ τις ἀγαπᾷ τὸν θεόν, οὗτος ἔγνωσται ὑπ’ αὐτοῦ. 119
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IV. Rezeption
dass Paulus weder Jesus Christus noch Gott in Kapitel 13 nennt, anders als in 8,1–6. In 13,8–12 benutzt Paulus die Sprache des eschatologischen Geheimnisses (ausführlicher in 15,50–55), die mit bloßen Hinweisen und literarisch qualitätvollen Metaphern arbeitet.122 Die doppelte reziproke Phrase „von Angesicht zu Angesicht“ und „ich werde erkennen, wie ich erkannt bin“ geben dem Text eine besondere Intensität. Damit weist Paulus auf die Kontinuität zwischen irdischer und himmlischer Liebe hin. Im Rückblick wird deutlich, dass Paulus weder einen philosophischen oder ethischen Traktat über das Wesen der ἀγάπη schreibt noch ein Enkomion auf die ἀγάπη dichtet, sondern in seiner Funktion als religiöser Denker und Führer –, als Apostel, wie er sagt – einen kurzen Text als „Wegweisung“ (12,31) formuliert. Er gibt seinen Gemeinden konkrete Ratschläge (1 Kor 14), setzt neue Standards für das Zusammenleben (1 Kor 5–11) und arbeitet gleichzeitig neue theoretische Positionen aus und stößt neue Diskurse an (1 Kor 13 und 15). Letzteres tut er in apostolischer brevitas ohne weitere Erklärung oder Kommentierung seines eigenen Denkweges. Kap. 13 wirkt nicht durch Länge, Kunstfertigkeit und Schmuck aller Art, sondern durch Kürze, Präzision, Intensität und Anspruch auf Wahrheit. Paulus entwickelt hier das Konzept der ἀγάπη, aber er hat keinen Traktat über ἀγάπη geschrieben, sondern beschränkt sich auf das Format der brieflichen Kommunikation. Später, in Phil 2,1–11, konzipiert Paulus dann die explizite Verbindung zwischen Nächstenliebe – ἀγάπη – und christologisch interpretierter Liebe Gottes, indem er – wieder in großer Kürze und in gebundener Rede – eine neue theologischchristologische Trias, Christus, Liebe und Geist, schafft123: Εἴ τις οὖν παράκλησις ἐν Χριστῷ, εἴ τι παραμύθιον ἀγάπης, εἴ τις κοινωνία πνεύματος, εἴ τις σπλάγχνα καὶ οἰκτιρμοί, πληρώσατέ μου τὴν χαρὰν ἵνα τὸ αὐτὸ φρονῆτε, τὴν αὐτὴν ἀγάπην ἔχοντες, σύμψυχοι, τὸ ἓν φρονοῦντες, μηδὲν κατ’ ἐριθείαν μηδὲ κατὰ κενοδοξίαν ἀλλὰ τῇ ταπεινοφροσύνῃ ἀλλήλους ἡγούμενοι ὑπερέχοντας ἑαυτῶν, μὴ τὰ ἑαυτῶν ἕκαστος σκοποῦντες ἀλλὰ [καὶ] τὰ ἑτέρων ἕκαστοι. Τοῦτο φρονεῖτε ἐν ὑμῖν ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ … . (Phil 2,1–5)
Das Denken und Verhalten der Christus bekennenden Philipper soll von Zurückstellung der eigenen Person und Wahrnehmung der anderen Person gekennzeichnet sein. Der anschließende sogenannte Christushymnus stellt Jesu ir122 Vgl. auch die Spiegelmetapher für undeutliche, nur geahnte Schau, die in SapSal 7,26 gegenteilig gesetzt wird: ἀπαύγασμα γάρ ἐστιν φωτὸς ἀιδίου καὶ ἔσοπτρον ἀκηλίδωτον τῆς τοῦ θεοῦ ἐνεργείας καὶ εἰκὼν τῆς ἀγαθότητος αὐτοῦ. 123 Dazu O. Wischmeyer, Paraklēsis, zu dem parakletischen Sprechmodus: „Wichtig ist bei diesem parakletischen Sprechmodus der Verzicht auf den ethischen Imperativ. Dieser wird durch die Bitte ersetzt oder durch die Beschreibung verschiedener Charakteristika der neuen Existenz in Christus. Ebenso wichtig ist der persönliche, in Phil 2 exaltierte, Ton“.
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disches Leben unter die Begriffe von Entäußerung (Kenosis124), Knechtschaft, Selbsterniedrigung (ταπεινοφροσύνη)125 und Kreuzestod. In Phil 2 finden sich die theologisch-christologischen und ethischen Koordinaten der neuen LiebesGesinntheit (φρονεῖτε) endgültig verknüpft.
8. Aktueller Ausblick Abschließend soll die Frage nach der aktuellen Resonanz oder Wirkung von Nächstenliebe und ihrer Integration und Interpretation in dem Liebeskonzept des Paulus gestellt werden. Auf 1. Korinther 13 bezogen: kann sich dieser große europäische Text, der er zweifellos ist, unter den Bedingungen gegenwärtigen „westlichen“ Denkens und „westlicher“ intellektueller und ethischer Diskurse noch verständlich machen oder sogar eine Leitfunktion einnehmen? „Nächstenliebe“ ist gerade in den letzten Jahren in der deutschen Sprache in den Hintergrund getreten zugunsten von „humanitärem Engagement“. 1. Korinther 13 fungiert im allgemeinen Bewusstsein (höchstens) als Trautext.126 Grund dafür ist der öffentliche Einflussverlust der Kirchen, der nicht nur ein Traditions- und Autoritäts-, sondern auch und gerade ein Sprachverlust ist. Dieser Verlust macht Eines (wieder) deutlich: das Liebeskonzept des Paulus ist nicht selbstverständlich und voraussetzungslos, sondern an die christologische Überschreibung des Bundeskonzeptes Israels geknüpft und bleibt damit Teil der christlichen Botschaft. Es ist nicht einfach in eine nach- oder nichtchristliche Humanität oder soziale Solidarität zu überführen. Es hat sich gezeigt, dass der allgemein humane Aspekt von 1 Kor 13,4–7 – der durchaus als Empathie oder Altruismus zu kennzeichnen ist – eben nur einer der Aspekte ist, den Paulus mit ἀγάπη im Blick hat. Das antike Konzept der Philanthropie, das im 18. Jahrhundert aufgegriffen und erneuert wurde und – in entwickelter Form – in den gegenwärtigen staatlichen und nichtstaatlichen Hilfswerken weltweit fortgeführt wird, unterscheidet sich von der ἀγάπη, wie Paulus sie entwirft.127 1. Korinther 13 zielt nicht auf Hilfsprogramme, sondern auf die personale und eschatologische Dimension von Liebe, die letztlich reziprok gedachte Gottesliebe ist. Diese Dimension von Liebe hat ihre Basis in der ַא ֲה ָבהGottes im Alten Testament, bei der immer die Verbindung von persönlicher Liebe und persönlichem Eifer Jahwes zusammengedacht werden. Die „lauen Wasser der Empathie“ erreichen E.-M. Becker, „Kenosis“, 114–117. dazu: E.-M. Becker, Demut, engl.: Humility. 126 https://w ww.paulusdom.de/gotteshaus/dompatron-heiliger-paulus/bibelarbeit-am-gro e ss ten-is t- d ie -liebe. 127 Vgl. O. Wischmeyer, Liebe, 186ff, engl.: Love, 192ff (Philanthropie fehlt im Neuen Testament, aber Philadelphie wird als Zusammenhalt in den Gemeinden empfohlen und praktiziert). 124
125 Ausführlich
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nicht die Temperatur personal gedachter Liebe.128 Im Rahmen des paulinischen Konzepts ist Liebe immer auch mit persönlicher Zuwendung verbunden und als personale Größe verstanden. Außerdem ist Liebe keineswegs auf praktische Unterstützung beschränkt, sondern auf die Zurücknahme der eigenen Person und auf die Annahme der anderen Person gerichtet. In jüngster Zeit haben Papst Benedikt XVI. und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, über Liebe als Zentrum christlicher Ethik und Lebensführung nachgedacht und geschrieben. Beide haben weder die Nächstenliebe – die Sprachschöpfung Luthers – noch die ἀγάπη von 1. Korinther 13 in den Mittelpunkt ihrer theologisch-ethischen Überlegungen gestellt und sprachlich verteidigt oder erneuert. Benedikt XVI. baut seine Enzyklika, wie dargestellt, von der johanneischen Theologie ausgehend auf der Liebe Gottes auf. Nächstenliebe begegnet in § 18, Barmherzigkeit in § 33 als praktisches caritatives Handeln. Benedikt argumentiert im Rahmen der katholischen Soziallehre, die – im Unterschied zu politischen Soziallehren des 19. Jahrhunderts – die persönliche caritative Zuwendung in den Mittelpunkt stellt und damit durchaus ein Element des paulinischen Liebeskonzepts berücksichtigt, ohne aber die allgemeine Liebeskultur, die Paulus begründet, in den Blick zu nehmen. Heinrich Bedford-Strohm hat 2015 im Zusammenhang der sog. Flüchtlingskrise, d. h. des syrischen Bürgerkrieges, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Versuch unternommen, das Lutherwort „Nächstenliebe“ durch Empathie und Barmherzigkeit zu ersetzen.129 Er schreibt: „Die damit verbundene Ethik der Empathie, die uns dazu bewegt, uns zu engagieren, und die mit einer Spiritualität der Barmherzigkeit zusammenhängt, ist tief in unserer Glaubenstradition gegründet“. Aber weder Barmherzigkeit, die immer patriarchal von oben nach unten agiert, noch Empathie, die die eigene Person nicht ins Spiel bringt, treffen die ethisch-eschatologische Dimension der ἀγάπη. Es fehlt das Element der paulinischen Kultur der Liebe. Bedford-Strohm argumentiert im Rahmen einer „gelebte(n) Verantwortungsethik“ und will mit seinem Votum einen Beitrag dazu leisten, wie „Funktionalität [staatlichen sozialen Handelns] und Humanität [kirchlichen Engagements] miteinander zu verbinden“ seien. Damit sind die Schwerpunkte paulinischer Ethik, die christologisch begründete und personenzentrierte Gemeindeethik ist, verschoben. Genauer gesagt: der An diesem Punkt hat Nietzsche 1 Kor 13 richtig gelesen. https://w ww.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/fluechtlingskrise-verantwortung-auschristlicher-gesinnung-13951414-p6.html. Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Leviticus 19,18“, 567– 569. Zur Barmherzigkeit im Verhältnis zur ἀγάπη vgl. O. Wischmeyer, Liebe, 184–186; engl.: Love, 190–192. Weitere Beiträge von Bedford-Strohm zum Thema: H. Bedford-Strohm, Mitgefühl; Pressemitteilung EKD Ratsvorsitzender 191 – 2020 vom 29. Dezember 2020: „Wer barmherzig ist, der erreicht Herzen“ (zur Jahreslosung 2021: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ [Lukas 6,36]). 128 129
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paulinische Interpretationsrahmen und seine alttestamentliche Basis sind verlassen. Kirchliches Handeln rückt in die Nähe sozial engagierter NGOs. Der Versuch, kirchliches ethisches Handeln in einer nicht- oder nachchristlichen Welt weiterhin plausibel zu machen, indem ein nichtchristlicher ethischer Bezugsrahmen und eine nachchristliche Sprache („Empathie“) gewählt werden, wirkt nicht überzeugend. Kirchliches Liebeshandeln ist dann nicht mehr bedeutungsvoll, wenn es nach den ethischen Prämissen des Sozialstaates spielt. Und es bleibt der Gesellschaft die eigene christliche Botschaft schuldig. Ein Rückblick auf die Voten zur Liebe aus dem Bereich der Literatur zeigt demgegenüber, dass es sinnvoll ist, das Potential des Liebesbegriffs von 1. Korinther 13 auszuschöpfen und um das Wort „Liebe“ eher zu streiten, als zugunsten von „Empathie“ darauf zu verzichten. 1. Korinther 13 hat seine Bedeutung nicht durch das Vokabular der Philanthropie bzw. Empathie, sondern durch das Vokabular der Liebe, der ἀγάπη, erhalten und ist so in dem großen Traditionsstrom europäischer Liebesliteratur weitergetragen worden. Die Kirchen und die Theologinnen und Theologen müssen sich vor diesem Hintergrund fragen, was sie verlieren und was sie der Gesellschaft vorenthalten, wenn sie den Liebesbegriff nicht mehr im Sinne des Paulus verwenden. Besser: sie müssen produktiv bedenken, was sie gewinnen und der Gesellschaft schenken, wenn sie an diesem Begriff selbständig weiterarbeiten – was mutatis mutandis auch für die zeitgenössische Philosophie und Literatur gilt.
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24. Paulus als frühchristlicher Hoffnungstheologe Grundlagen, Struktur und Rezeption des Elpis-Konzepts In memoriam Otto Merk (10. 10. 1933–7. 1. 2 021)
1. Einführung Weniger beachtet, als es sachlich geboten wäre, steht die Hoffnung selten im Fokus von Konstruktionen paulinischer Theologie.1 Im Folgenden werde ich argumentieren, dass Paulus als Theologe der Hoffnung bezeichnet werden kann und die Grundlage für die Ausarbeitung des Hoffnungsthemas in der westlichen Theologie gelegt hat. Bereits ein Blick in die Konkordanz zeigt, dass ἐλπίς und ἐλπίζειν fast ausschließlich in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen bezeugt sind.2 Hinzu kommt, dass sich Paulus in der Apostelgeschichte fünfmal auf seine pharisäische Herkunft und auf seinen Auferstehungsglauben beruft, in 23,6 ausgedrückt mit dem Hendiadyoin „Hoffnung und Auferstehung von den Toten“.3 Sowohl der Verfasser der Apostelgeschichte als auch die Gemeindeleiter und Lehrer, die in seinem Namen Briefe schrieben – also bereits die frühesten Vertreter der Rezeptionsgeschichte des Paulus – charakterisierten Paulus als Hoffnungstheologen.4 Die folgende Untersuchung wählt einen traditions- und rezeptionsgeschichtlich gleichermaßen weit gespannten Ansatz und fragt, welche Vorstellungen und Formen von Hoffnung Paulus kannte, wie er seine Hoffnungstheologie als 1 Einführend: U. Berner u. a., „Hoffnung“, 1822–1828. Monographisch: K. M. Woschitz, Elpis. Einführungen zu Paulus: R. Bultmann, Theologie, 320 f. (330: „Die πίστις … ist zugleich ἐλπίς“); F. Hahn, Theologie, 307–319; M. Wolter, Paulus, 182–226 (ausführliche Darstellung); R. Bultmann/K. H. Rengstorf, „ἐλπίς“, 515–531; Ch. Böttrich, „Auferstehung“, 461–471; J. Frey, „Gericht“, 471–479 (beide Artikel begrenzen die Hoffnungsthematik auf die Eschatologie). Kurzeinführung bei A. du Toit, „Hoffnung“, 1824–1826. Du Toit betont die Objektbezogenheit der ntl. Hoffnung sehr stark. Dass es sich um ein primär paulinisches Konzept handelt, wird nicht deutlich. Zu Paulus monographisch: G. Nebe, Hoffnung. 2 Vgl. dazu unten. 3 Apg 23,6; 24,15.21; 26,6–8; 28,20 (verbal: 26,7). 4 Übriges NT: ἐλπίς 1 Joh 3,3. Das Substantiv fehlt in den Evangelien, das Verb ist selten. Theologisch wichtig nur Mt 12,21 = Röm 15,12 (Zitat von Jes 11,10 LXX).
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IV. Rezeption
eigenes neues Konzept entwarf und wie sein Konzept in die europäische Religions-, Ideen- und Kulturgeschichte wirkte. Leitend ist die Einsicht, dass Hoffnung nicht nur eine auf das zentrale Hoffnungsobjekt „Auferstehung“ bezogene Erwartungshaltung ist, sondern von Paulus als eigene Existenzform der Christus bekennenden Gemeindeglieder entworfen wird. Die paulinische Hoffnungstheologie steht damit zwischen und neben verschiedenen Formen antiker religiös gegründeter Hoffnung: der hauptsächlich poetisch-prophetisch formulierten religiösen Hoffnungsdichtung Israels sowie der eschatologisch ausgeweiteten Vorstellung vom Schicksal der Gerechten und ganz Israels im antiken Judentum einerseits und der theologischen Ausarbeitung einer christlichen Hoffnungstheologie auf der Grundlage der Römerbriefexegese bei Augustin andererseits.5 Paulus als Hoffnungstheologe hat sowohl mit seiner ἐλπίς-Theologie als auch mit dem Theologumenon von der παρουσία Christi grundlegende Begriffe in die entstehende christliche Eschatologie eingespeist. Zugleich tat er mehr als das: Er hat eine christologisch basierte Hoffnung in die Geschichte der christlichen Religion und der christlichen Kirchen eingeführt, die ihre Wirkung bis in die Gegenwart erstreckt.6 Diese Hoffnung beschränkt sich nicht auf die frühjüdische Perspektive bzw. den Glaubenssatz von der Auferstehung der Toten, sondern ist eine universale Perspektive, die die zukünftige Existenz ebenso betrifft wie das Leben in der Gegenwart und nicht nur als Teil des 3. Glaubensartikels oder des Motiv-Tableaus der frühchristlichen eschatologischen Vorstellungen behandelt werden kann, sondern auch Teil der religiösen Ideengeschichte ist. Zugleich aber ist Paulus immer im Zusammenhang mit der Hoffnungsdichtung des Alten Testaments zu lesen, die ihre eigene religiöse und politisch-philosophisch-utopische Stimme im christlich fundierten europäischen Hoffnungsdiskurs bewahrt hat. Daher bleibt eine Darstellung der paulinischen Hoffnungstheologie, die sich auf die Analyse der verschiedenen Hoffnungsobjekte: Auferstehung der Toten, Parusieerwartung, Gericht7, fokussiert, ohne zugleich die literarische und visionäre Qualität seiner Hoffnungssprache als Resonanz der Hoffnungsdichtung Israels darzustellen, hinter ihren interpretatorischen Möglichkeiten zurück. Gerade bei dem genuin paulinischen Thema Hoffnung sind außerdem Ausblicke in die Literatur-, Kultur- und in die Ideengeschichte unerlässlich. Den Ausgangspunkt der Untersuchung zu Paulus bilden daher Überlegungen zur Sprache und Vorstellungswelt der religiösen Hoffnungsdichtung Israels. Sie 5 Vgl. den monographischen Art. „Hoffnung“, 1159–1250 (A. Dihle/B. Studer/F. Rickert). Zu Augustin: B. Studer, „Augustine“, 201–221. 6 Zur Bedeutung des Paulinismus des 4. Jahrhunderts für die Entwicklung der christlichen Theologie der Hoffnung vgl. die Hinweise bei A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1225: „Den eigentlich entscheidenden Anstoß zur Weiterentwicklung der Theologie der H. gab indes der im 4. Jh. stark aufkommende Paulinismus“ (vgl. die Beispiele 1225 und 1226). 7 Vgl. Ch. Böttrich, „Auferstehung“; J. Frey, „Gericht“.
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ist das wesentliche formierende Medium von Hoffnung der paulinischen Theologie. Zugleich aber ist sie mehr: sie ist ein bleibendes Element der westlichen religiösen Kultur. Israels Hoffnungsliteratur als Bestandteil des Alten Testaments der christlichen Kirchen ist bis in die Gegenwart ein selbständiger essentieller Bestandteil jüdischer wie christlicher Hoffnung neben den neutestamentlichen Hoffnungsvorstellungen geblieben, ein Kontinuum, das die Bibel Israels, das Neue Testament, die Alte Kirche8 und die christlichen Kirchen bis in die Gegenwart verbindet. Dabei spielt das Medium der Musik eine bedeutende Rolle: Zwischen der Psalmendichtung Israels und der europäischen Kirchenmusik besteht eine besonders enge Verbindung. Psalmenvertonungen9 bilden seit der Gregorianik eine Grundlage europäischer individueller und konfessioneller christlicher Frömmigkeit und kirchlicher Liturgie sowie monastischer Tagesgestaltung im katholischen wie im evangelischen Bereich.10 Sie fanden ihr Echo nicht nur in der geistlichen Musik, sondern auch in der protestantischen Liederdichtung, die ihrerseits einen wesentlichen Aspekt der Grundierung der neueren deutschen Dichtung seit Klopstock bildet.11 Die verschiedenen Schichten der religiösen und theologischen Hoffnungskonzepte Israels sind nicht zuletzt in den Medien der Musik und der Dichtung in der westlichen religiösen Kultur mit Motiven der paulinischen christologisch gegründeten Hoffnungstheologie zusammengeflossen. Sie müssen zumindest als Deutungshorizont in einer Darstellung der paulinischen Hoffnungstheologie, die über den Umfang und Anspruch eines Begriffsartikels12 hinausgeht und nicht nur an Herleitungen und historischer Semantik interessiert ist, sondern auch die Aspekte der Rezeptionsgeschichte einbezieht, angesprochen werden.13 Hier liegt eine besondere Herausforderung der Exegese, der diese mit Hilfe des rezeptionsgeschichtlichen Ansatzes zumindest aspekthaft nachkommen kann. 8 A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1224, weist auf die „im Anschluß an Origenes enorm entwickelte Psalmenexegese“ hin und betont: „Damit wurde die wichtigste atl. Quelle des christl. H.begriffes neu erschlossen“. Vgl. Studers Beispiele aus den Kirchenväterschriften des 4. Jh.s: a. a. O., 1224–1226. 9 H. Geyer/B. J. Wertenson (Hg.), Psalmen. Allgemein: S. Remmert, Bibeltexte (Psalmen: S. 3–81). Grundlegende Artikel sind: H. Avenary, „Musik“, 224–261; E. Werner/B. Stäblein/ L. Finscher, „Psalm“, 1668–1713; L. Finscher, „Psalm“, 1876–1897; H. Buchinger, „Psalm“, 459– 496 (reiche Lit., Buchinger bleibt sehr vorsichtig gegenüber „umfangreiche[m] liturgische[n] Gebrauch von P. oder gar des Psalters … noch in rabbinischer Zeit“, 462). 10 Zum Vortrag von Psalmenvertonungen im synagogalen Gottesdienst vgl. E. Werner/ B. Stäblein/L. Finscher, „Psalm“, 1675 f. 11 Analoges gilt beispielsweise für die englische Dichtung seit Milton, der seinerseits Klopstock beeinflusste. Auf die Entwicklung in den unterschiedlichen europäischen Kulturen kann hier nur allgemein hingewiesen werden. 12 Vorbildlich für dieses Format: A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1159–1250. 13 Zur Rezeptionsgeschichte vgl. jetzt R. Burnet, Exegesis. – Auf die großen ikonographi schen Topoi von biblisch inspirierten Hoffnungsbildern der europäischen Malerei kann in diesem Zusammenhang nur hingewiesen werden.
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IV. Rezeption
Die im Folgenden vorgenommene Konzentration auf die Dichtung Israels muss durch einen Blick auf die griechisch-römische Welt ergänzt werden: neben Israels Hoffnungsdichtung stehen die eigenen Hoffnungskonzepte der griechisch-römischen Religion und der platonischen Philosophie.14 Hat der bei Hesiod überlieferte Mythos von der Büchse der Pandora, in der allein die ἐλπίς eingeschlossen blieb, in der Antike keine besondere Wirkung entfaltet15, so erhielt der alte römische Spes-Kult16 eine gesteigerte Bedeutung im Zusammenhang mit dem „Kaiserhaus“, wie Franz Rickert ausführt: Die Zeitgenossen setzten auf die Herrscher ihre H. für eine gute Zukunft. Diesen Gefühlen verlieh u. a. der Titel Soter Ausdruck … Besonders mit dem Ende der Bürgerkriege unter Augustus wird die H. in der Literatur gefeiert.17
Eine strukturelle Nähe zu den politisch gefärbten Hoffnungsvorstellungen der prophetischen Literatur Israels ist deutlich. Für die griechische Philosophie ist besonders Platons Interpretation der Hoffnung als „Zukunftsbezug der Seele“ von Interesse.18 Im Philebos „nennt Platon neben dem Gegenwartsbezug der Wahrnehmung … und dem Vergangenheitsbezug des Gedächtnisses … die ἐ. als Zukunftsbezug der Seele. H., Verlangen … und Vorfreude … gelten als Vorgriffe der Seele auf Zukünftiges. … Nur das ‚höchste Gut‘ und der Eros berechtigen zu größten ‚H.en‘.“19 Albrecht Dihle stellt vorsichtig die „Anfänge einer Hoffnung auf das ewige Leben“ bei Platon dar.20 Diese positive Bestimmung des Hoffnungsbegriffs, seine Anbindung an die Zukunft und die Entschränkung über die Lebenszeit hinaus21 finden ein sachliches Äquivalent in späteren alttestamentlichen und frühjüdischen Texten.22 Albrecht Dihle weist allerdings auch auf einen grundlegenden Unterschied im Verständnis 14 Stark betont bei A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1242: „In der ganzen patristischen Überlieferung, wenn nicht schon zuvor, spätestens jedenfalls seit Justin, machte sich schließlich auch der Einfluß der platonischen Überlieferung geltend, nach welcher der Mensch in seinem Innersten auf das Verlangen nach Reinheit u. auf die Sehnsucht nach der Seligkeit bei Gott angelegt ist“. 15 Hesiod, Werke und Tage 80–82. Dazu A.-B. Renger/I. Musäus (Hg.), Mythos; J. Harst/ T. Schmid, „Pandora“, 54–550. 16 M. E. Clark, „Spes“, 80–105; R. Bloch, „Spes“, 811 f. Weiter: A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1244–1250. 17 A. a. O., 1246 mit Hinweis auf Horaz‘ carmen saeculare 73 f. 18 H.-G. Link, „Hoffnung“, 1158: Philebos 33c–34c; 39a–41b. 19 H.-G. Link, „Hoffnung“, 1158: Symposion 193d. 20 A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1163–1165. 21 So im Zusammenhang mit dem Tod des Sokrates. Phaidon 63c; 64a; 67b–68b: Hoffnung auf Wiedersehen der geliebten Menschen in der Unterwelt, Hoffnung auf Wahrheit und Weisheit in der Unterwelt; Apologie 40c–41c: „Also müsst auch ihr, Richter, gute Hoffnung haben in Absicht des Todes, und dies Eine Richtige im Gemüt halten, daß es für den guten Mann kein Übel gibt weder im Leben noch im Tode“ (Schleiermacher). 22 H.-G. Link, „Hoffnung“, 1160: „Die weitere Entwicklung des H.-Begriffs ist durch die Spannung zwischen dem griechischen und christlichen Verständnis bestimmt“.
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von Hoffnung der griechisch-römischen Philosophie und der biblischen Hoffnungskonzepte hin: Für philosophischen wie außerphilosophischen Sprachgebrauch gilt aber, daß sich H. oder Vermutung ebenso wie Wissen letztlich stets auf die Ordnung der Natur bezieht bzw. an ihr verifiziert oder falsifiziert werden kann. Es gibt für griechisches Denken keine Instanz außerhalb des Kosmos, auf die sich H. u. Vermutung oder Wissen beziehen könnte. Auch die Götter befinden sich im Kosmos. … Biblische H. bezieht sich demgegenüber direkt auf die Zusage oder das Handeln eines über der Weltordnung stehenden Schöpfergottes.23
In diesem Zusammenhang ist auch ein kurzer Blick auf den Begriff der Geduld hilfreich.24 M. Spanneut weist darauf hin, dass sowohl Aristoteles als auch die Stoa Geduld nicht mit Hoffnung, sondern mit dem „Ertragen harter u(nd) schwieriger Dinge“ verbinden (Cicero).25 Spanneut urteilt: „In diesem Punkt steht die G(eduld) der klassischen Philosophie im diametralen Gegensatz zur biblischen ὑπομονή, die von der Hoffnung kaum zu unterscheiden ist“.26 In der weiteren Geschichte der Philosophie spielt der Begriff der Hoffnung, wie Claudia Bloeser und Titus Stahl formulieren, eine eher nachgeordnete Rolle: Philosophy has traditionally not paid the same attention to hope as it has to attitudes like belief and desire. However, even though hope has historically only rarely been discussed systematically – with important exceptions, such as Aquinas, Bloch and Marcel – almost all major philosophers acknowledge that hope plays an important role in regard to human motivation, religious belief or politics.27
Die Psychologie bringt dem Begriff dementsprechend großes Interesse entgegen: „Psychologists and psychoanalysts have systematically investigated hope since the 1950s“.28 Damit rückt „Hoffnung“ in den Umkreis der expandierenden gegenwärtigen Emotionenforschung.29 Der Begriff der Hoffnung wird allgemein als positive innere Ausrichtung oder Haltung verstanden, bezogen auf die Zukunft oder auf bestimmte zukünftige Güter. Hoffnung ist eine Erwartungsemo23 A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1160. Dihles Aussage zur Hoffnung in der biblischen Theologie muss allerdings differenziert werden. Die Hoffnungsvorstellungen Israels sind nicht so geschlossen, wie Dihle hier insinuiert: dazu s. u. 24 M. Spanneut, „Geduld“, 243–294. 25 A. a. O., 250. 26 A. a. O., 253. 27 C. Bloeser/T. Stahl, „Hope“. Ernst Blochs Bedeutung kann aber für die deutsche politische und theologische Diskussion der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht unterschätzt werden: E. Bloch, Werkausgabe. Die ebenfalls nachhaltig einflussreiche theologische Antwort gab J. Moltmann, Theologie. Moltmann richtet den Blick auf die Neugestaltung der Gegenwart und interpretiert die existentielle Dimension des paulinischen Begriffs primär befreiungspolitisch. 28 C. Bloeser/T. Stahl, „Hope“. Vgl. auch H.-G. Link, „Hoffnung“, 1163: „Seit Descartes konzentriert sich das neuzeitliche Denken auf die ‚Erkenntnis des menschlichen Geistes‘. Das macht verständlich, weshalb das Thema der H. in der philosophischen Tradition der Neuzeit bis zum Existentialismus des 20. Jh. keine sonderliche Rolle spielt“. 29 O. Wischmeyer, „Emotionen“, 24–39.
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tion.30 In der altgriechischen Sprache und der griechischen Philosophie erscheint Hoffnung oft nur als eine – unter Umständen rational nicht begründete – Vermutung31, während in der Literatur des antiken Judentums und des frühen Christentums Hoffnung ein eminent positiv gefüllter Begriff ist.32 Philosophisch wird häufig die Rationalität der Hoffnung bestritten. Claudia Bloeser und Titus Stahl geben aber zu bedenken: It is an open question whether the contribution of hope to human agency is to be identified with that of the underlying desires or whether hope makes an independent contribution to motivation or reasoning. If one assumes that hope cannot make any independent contribution to practical reasoning but still motivates, this raises the suspicion that it distorts rational agency. While such an assessment can be found across the history of philosophy, many past and contemporary philosophers provide analyses of hope that add further elements to the belief-desire analysis and use these elements to explain why acting on one’s hopes is (sometimes) rational.33
2. Sprache und Sprachbilder aus der Literatur Beginnen wir mit der Sprache, die im Zusammenhang mit dem Begriff der Hoffnung von besonderer Bedeutung ist, da Hoffnung sich stets auf etwas noch Ausstehendes, noch nicht Realisiertes bezieht, das nur im Medium der Sprache oder des Bildes eine vorweggenommene Realität gewinnen kann. Die Objekte der Hoffnung bleiben in gewisser Weise immer in der Sprache gefangen oder aufgehoben. In dem Wort „Hoffnung“ (hebräisch qwh, sbr, jḥl, griechisch ἐλπίς, ἐλπίζειν, lateinisch spes) wird eine bestimmte menschliche Haltung gegenüber dem, was kommen wird, wiedergegeben. In der deutschen Sprache ist durchweg eine positive Erwartungshaltung gemeint („hoffen“ von mittelniederdeutsch: „hüpfen“), es geht um den Ausdruck von Sehnsucht, um Wollen, um die Beschwörung positiver Zukunftsbilder, um die Vorwegnahme des Gewollten, um die innere Erzeugung von Zuversicht. Hoffnung ist weniger ein Begriff als eine sprachliche Chiffre für eine positiv imaginierte Zukunft und als solche eine positive und motivierende Emotion. Die Hoffnungsbilder, die aus dieser Haltung entstehen oder sie zum Ausdruck bringen, sind zuallererst sprachliche Gebilde, die in den Kammern des Gedächtnisses oder inneren Haushalts gespeichert werden. So wird mit dem Wort Hoffnung Vieles angestoßen. Vieles nimmt, noch unausgesprochen, im Vorstellungsvermögen bereits sprachliche Gestalt an und 30 Bibliographie: http://h opeoptimism.com/resources?category=143&order=title&directio n =asc&v iewAll=1. 31 H.-G. Link, „Hoffnung“, 1157 f.: „Der mit ἐ. bezeichnete Zukunftsbezug des Menschen kann also unter drei verschiedenen Gesichtspunkten verstanden werden: 1. als illusionäre Annahme, 2. als rationale Voraussicht und 3. als existentielle Zuversicht“. 32 A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1159–1161. 33 C. Bloeser/T. Stahl, „Hope“.
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will auf die Lippen kommen, will zitiert, rezitiert, ja auch gesungen werden.34 In der deutschen Literatur gibt es vielleicht keine schönere Hoffnungs-Wendung als Goethes Vers: Im Tale grünet Hoffnungsglück. (Faust I, Osterspaziergang)
Goethe lädt das visuelle Bild vom jungen Grün der Blätter im Tal zweifach poetisch auf: zunächst indem es, soweit nicht unkonventionell, mit Glück – mit dem Glücksgefühl, das wir beim Anblick des ersten Frühlingsgrüns haben – in Verbindung gebracht wird. Dann aber klingt durch die Verbindung mit Hoffnung eine tiefere Note an: die Dimension der Zeit und des neu geschenkten Lebens im Frühling35, eine Wendung vom Visuellen zum Existentiellen, vom Äußeren zum Inneren, vom Bild zum Gefühl. Das prozesshafte Verb „grünen“, von den Pflanzen auf so kostbare immaterielle Güter wie Glück und Hoffnung übertragen, öffnet Zukunft und Leben – im Bild und ohne sentenziöse Erklärung, Belehrung und ohne ethische, religiöse oder metaphysische Reflexion. Gerade das aber finden wir bei Friedrich Schiller, von dem das deutsche Hoffnungsgedicht stammt: Hoffnung (1797) Es reden und träumen die Menschen viel von bessern künftigen Tagen; nach einem glücklichen, goldenen Ziel sieht man sie rennen und jagen. Die Welt wird alt und wird wieder jung, doch der Mensch hofft immer Verbesserung. Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein, sie umflattert den fröhlichen Knaben, den Jüngling locket ihr Zauberschein, sie wird mit dem Greis nicht begraben; denn beschließt er im Grabe den müden Lauf, noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf. Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn, erzeugt im Gehirne des Toren, im Herzen kündet es laut sich an: zu was Besserm sind wir geboren. Und was die innere Stimme spricht, das täuscht die hoffende Seele nicht.36 34 Ludwig van Beethoven, An die Hoffnung op. 32, überarbeitet op. 94 (Text: Christoph August Tiedge). 35 So auch Ludwig Uhland, Frühlingsglaube (1812, hier nicht Hoffnung, sondern Glaube!); Eduard Mörike, Im Frühling: „Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen, Sehnend, Sich dehnend In Lieben und Hoffen“ (1828). 36 Anders Ugo Foscolo in seinem großen Gedicht von 1807 Dei sepolcri: „Selbst die Hoffnung, uns letzte Göttin, scheut das Grab“.
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Mag man sich auch mit Schillers kalten Sentenzen, seiner stereotypen Topik und oft grellen Rhetorik schwer tun – die glückliche dichterische Wendung von der hoffenden Seele lässt aufhorchen: Eine Saite ist angeschlagen im Repertoire der Erinnerung. In der sechsten Strophe von Paul Gerhardts Lied „Befiehl du deine Wege“ von 1653 heißt es: Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt! Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.
Gerhardt vermeidet ganz und gar Schillers allgemeine Aussagen und geschliffene ethische Aphorismen: „Und was die innere Stimme spricht, das täuscht die hoffende Seele nicht“. Stattdessen spricht er die Seele direkt an, sowohl sein eigenes Selbst als auch die Seele des Gemeindegliedes, das diese Strophe singt. Paul Gerhardt erreicht damit die Verbindung größter Individualität mit gleichzeitiger Anrede an jeden Menschen, den „der Kummer plagt“. Der einfache Imperativ-Gestus der Ermunterung, der Aufforderung zur Hoffnung, hat etwas höchst Humanes. Hier wird nicht diskutiert und argumentiert, nichts wird erklärt oder vermeintlich bewiesen. Es wird nicht aufgetrumpft, sondern in großer Freundlichkeit und großem Mitgefühl, ja in großer Menschenliebe wird ein möglicher Weg eröffnet: „Hoff, o du arme Seele“. Diese innere Haltung manifestiert sich nach außen im sprachlichen Bild: die „Seele“, das Ich, wird angesprochen. Diese Metapher geht auf Psalm 42,6 zurück.
3. Israels Dichtung beschwört die Hoffnung als Lebens(er)haltung Damit ist der Weg zurück zu den Psalmen gefunden, den religiösen Dichtungen Israels, die den Ausgangspunkt und die Keimzelle für die Sprache der Hoffnung und für die Hoffnungsbilder des Alten Israel darstellen und auch eine Grundlage für Paul Gerhardts Dichtung bilden.37 Es sind Sätze wie die aus Psalm 27,14, aus 37,5 und 42,6.12, mit denen Israels betende Dichter ihre Not und ihre Hoffnung ausdrücken: Harre ַק ֵ ּ֗והdes Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn! (Ps 27,14)
F. Hartenstein u. a., „Psalmen/Psalter“, 1761–1785; R. Müller, „Psalmen (AT)“.
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Und: Befiehl dem Herrn deine Wege Und hoffe ּוב ַ ֥טח ְ auf ihn, er wird’s wohl machen. (Ps 37,5)
Und weiter in dem großartigen Selbstgespräch eines Dichters mit seiner Seele: Was betrübst du dich, meine Seele וח ִ֨חי נַ ְפ ִׁש֮י ֲ ה־ּת ְׁש ֹּ֬ת ִ מ, ַ und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott אֹלהים ִ ֽ ֵ֭;ֹהוח ִילי ל ִ֣ denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht,
so in Psalm 42,6 formuliert, variiert dann in Vers 12: Harre auf Gott אֹלהים ִ ֽ ֵ֭;ֹהוח ִילי ל ִ֣ denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Die Seele und die Hoffnung: das Innerste der Person, der ganze Mensch in seiner Konzentration, das Ich, hofft auf Gott. Der Mensch ist gleichsam Hoffnung. Eindringlich formuliert der Beter: Aus der Tiefe, rufe ich, Herr, zu dir … Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen; mehr als die Wächter auf den Morgen hoffe Israel auf den Herrn. (Psalm 130,1.5.6.7)
In diesem Text geht die Sprache für Bach-Kenner innerlich bereits in Bachs Musik über: Das Harren lässt sich am besten in dem Eingangschor der Kantate BWV 131 (Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir) erfühlen. Der dichte hebräische Text mit seiner doppelten Satzwiederholung, seiner komplizierten Variation und den drei unterschiedlichen Hoffnungsverben, die Luther dementsprechend unterschiedlich übersetzt, ist Ausdruck des Gefühls von Gottes- und Lebenssehnsucht, wie Bach sie in Töne setzt. Die wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen wäre etwa: Ich warte ֣יתי ִ קִּו, ִ Jahwe, meine Seele wartet קּוְ ָ ֣תה, ִ und auf sein Wort harre ich ֹהוח ְל ִּתי. ָֽ Meine Seele zum Herrn [ohne Verb], mehr als die Wächter gegen Morgen hin auf den Morgen. Harre יַ ֵ ֥חל, Israel, auf Jahwe, denn bei Jahwe ist Gnade und viel Erlösung bei ihm.
Indem Luther das fehlende Verb im zweiten Vers einsetzt, wird der drängende Duktus des Textes verstärkt.
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Kehren wir noch einmal zu Psalm 27 zurück. Der Elberfelder Kaufmann Johann Friedrich Raeder dichtete im Jahr 1845 im Anschluss an Psalm 27,14 das folgende zweistrophige Lied: Harre, meine Seele, harre des Herrn! Alles ihm befehle, hilft er doch so gern. Sei unverzagt, bald der Morgen tagt, und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach. In allen Stürmen, in aller Not wird er dich beschirmen, der treue Gott.38 Harre, meine Seele, harre des Herrn! Alles ihm befehle, hilft er doch so gern. Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht; größer als der Helfer ist die Not ja nicht. Ewige Treue, Retter in Not, rett auch unsre Seele, du treuer Gott!
Dies Lied, heute Nr. 596 im Anhang des Evangelischen Gesangbuchs für Bayern und Thüringen, hatte eine Karriere in den erweckten Kreisen des 19. Jahrhunderts und gelangte ins American Lutheran Hymnal-Book. Es ist keine Beleidigung Raeders, wenn man darauf hinweist, wie sehr sein Lied hinter dem Psalm und auch hinter Paul Gerhardt zurückbleibt. Raeder war kein Dichter, sondern ein frommer Kaufmann, der seine Dankbarkeit für die Errettung aus finanziellen Schwierigkeiten und Konkurs zum Ausdruck bringt und die sich darauf gründende Hoffnung weitergeben will. Dies ist Trostliteratur der neueren Erweckung. Dabei greift Raeder auf den Morgentopos aus Psalm 130 zurück, verwendet ihn aber – anders als der Psalmist – zusammen mit dem uns von Goethe bekannten Frühlingsmotiv als begründendes Natur-Beispiel für Hoffnung: Nacht – Morgen, Winter – Frühling. Der Psalmist als Dichter musste solche schwerfälligen begründenden Parallelen ebenso wenig explizieren wie Goethe. Bedeutsam ist Raeders Bitte, die Seele zu erretten. Das ist nicht das „inner self“, die נַ ְפ ִׁש֮יdes Psalmisten. Raeder denkt in einem nicht näher ausgeführten christlichen Kontext an endzeitliche Erlösung. Andererseits ist sein Schlussverweis auf Gottes Treue ganz psalmistische Frömmigkeit. Und damit zurück zum Alten Testament. Ich frage nun über die Sprache hinaus nach dem, worauf die Sprache verweist und was sie ausdrücken und sprachlich vorwegnehmen und kommunizieren will. All diese Rufe nach Hoffnung, all die Hoffnungsklagen, die Gebete, Bitten und Aufforderungen, die Bestätigungen und Bekenntnisse des einzelnen religiösen Dichters oder der Gemeinde Israels zu Gott oder der Dank an Gott – worauf zielen sie? Was ist ihr Gegenstand? Weshalb ist die Bitte um Hoffnung so wichtig? Worauf hoffen die Dichter Israels? Text: Johann Friedrich Raeder (1845) 1848. 3. Strophe: Carl Brockhaus 1858.
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Vieles lässt sich hier aufzählen: Die Psalmisten hoffen nicht auf Rosse und Wagen oder Könige und Heerführer39, also nicht auf Menschen, sondern auf Gott, auf Gott und auf sein Wort, auf seine Treue, seine Hilfe, seine Barmherzigkeit und Güte, auf seine Macht und sein Heil, d. h. auf „die Befreiung aus Unglück, Krankheit, Unterdrückung oder von andern, meist materiellen Übeln“40. Diese umfassende Hoffnung betrifft sowohl Gottes Handeln am einzelnen Beter als auch sein Verhältnis zu Israel. Ist die Hoffnung auch eine durchweg positive Haltung der Beter und wird für den Beter selbst auch immer nur Gutes erhofft, so hat sie doch auch ihre destruktiven Ziele: die Vernichtung der „Feinde“, und ohne diesen Aspekt ist sie nicht zu verstehen. Ja, Israels betende Dichter hoffen auf die Vernichtung ihrer Feinde. Hören wir noch einmal Psalm 37: Entrüste dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch auf die Übeltäter. Denn wie das Gras werden sie bald verdorren, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken. Hoffe ְּב ַ ֣טחauf den Herrn und tue Gutes … Befiehl dem Herrn deine Wege Und hoffe ּוב ַ ֥טח ְ auf ihn, er wird’s wohl machen. Denn die Bösen werden ausgerottet, die aber des Herrn harren, werden das Land erben. (Ps 37,1–5.9)
Immer wieder beten die frommen Dichter um den Untergang ihrer mächtigen Feinde, die sie bedrohen, und um ein eigenes Leben in Freude, Frieden, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Was ist der Erfahrungshintergrund? Die Antwort ist einfach: das bedrohte Leben, die Angst des einzelnen Beters nach innen, vor seiner Sünde und seinen Verfehlungen, und nach außen, vor den Verfehlungen Israels ebenso wie vor den realen Bedrohungen der Kranken, der in Rechtshändel Verstrickten und Beschuldigten, der Armen, der Witwen und Waisen, der am sozialen Rand Lebenden, ja schließlich eben aller Frommen und Gerechten in Israel, die sich als schwache, unterdrückte und bedrohte Minorität verstehen. So betet der Gerechte in Psalm 13,2 f.: Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?
Die Beter erleben sich „in der Tiefe“, in der Verfolgung. Sie durchleben intensiv Zeiten großer Angst und Sorge und Gefahr – das ist die Folie der Hoffnung in den Psalmen – und diagnostizieren dasselbe immer wieder für ganz Israel. Angst und Not – so in Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich O. Kaiser, „Hoffnung“, 1823. A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, 1171.
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verlassen“ – sind ebenso Hintergrund der Hoffnungsbilder der Psalmisten wie ihr Vertrauen auf Gott, das sich aus seinen früheren Wohltaten an Israel speist: Gott, wir haben mit unsern Ohren gehört, Unsere Väter haben’s uns erzählt, was du getan hast zu ihren Zeiten, vor alters. (Ps 44,2)
Die Psalmendichter sind geradezu Gott-besessen: Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. (Ps 42,3)
Ihre ganze Existenz gründen sie auf Jahwe, den Gott Israels und ihren Gott, von dem sie alles erwarten und alles erhoffen, der selbst lebendig ist und Leben schafft und erhält. Gott, das Ich und seine Hoffnung auf ein Leben in Gesundheit, Anerkennung und materieller Sicherheit bilden das Dreieck, um das die Dichtungen der Psalmisten kreisen. Israels religiöse Dichtung beschwört die Hoffnung als Lebens(er)haltung.
4. Der Tod ist die Grenze dieser Hoffnung Die Hoffnung der Psalmisten ist intensiv, existentiell, umfassend, expressiv, aber nicht grenzenlos. Je emotionaler, je ausgreifender die dichterische Hoffnung der Psalmisten ist, desto deutlicher formulieren sie doch ihre Reichweite und ihre Grenze. Mit großem Ernst und großer Nachhaltigkeit, die Brahms im Deutschen Requiem musikalisch umsetzt, betet der Dichter von Psalm 39: Herr, lehre doch mich, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Ach wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird.
Trotzdem oder besser: gerade deshalb fährt der Beter aber fort: Nun, Herr, wes soll ich mich trösten ֣יתי ִ ?ּקִּו ִ Ich hoffe auf dich וח ְל ִּ֗תי ַ ת. ֝ (Ps 39,5.6.7.8)
Ich hoffe auf dich – aber nur in dieser Zeit meines Lebens und eben deshalb so leidenschaftlich und oft so verzweifelt, mit Tränen und Schreien, denn die Zeit ist kurz und voller Gefahren, und es gibt keine andere Zeit. Ganz deutlich wird dieser Zusammenhang zwischen der Intensität der Hoffnung auf eine gute
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Lebenszeit und dem Wissen um das Ende dieses Lebens und seiner Zeit in den Schlussversen des Psalms: Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter. Lass ab von mir, dass ich mich erquicke וְ ַא ְב ִ ֑ליגָ ה, ehe ich dahinfahre und nicht mehr bin וְ ֵא ֶינּֽנִ י. (Ps 39,13.14)
Johannes Brahms hat Psalm 39 nur bis Vers 8 vertont und die Schlussverse des Psalms, die den Tod als Grenze jeder menschlichen Hoffnung markieren, nicht einbezogen. „Ehe ich dahinfahre und nicht mehr bin“: dieser Satz sagt in äußerster Kürze aus, was letztlich die oft geradezu unverschämte Bitte des Beters – um eine Wendung Jesu aufzunehmen – um die Eröffnung von Hoffnung begründet. Leben, Existenz gibt es nur jetzt, diesseits des Todes. Und oft ragt der Tod schon ins Leben hinein. So formuliert der Psalmist in Psalm 71,20: Du lässt mich erfahren viel Angst und Not und machst mich wieder lebendig und holst mich wieder herauf aus den Tiefen der Erde.
Der Beter will sein Leben leben. Dafür braucht er Gott, und dafür braucht er seine Dichtung, in der er mit Gott spricht und um Hoffnung und um dieses Leben im Jetzt bittet. Diesen Zusammenhang zwischen Gottes Gnade, der tödlichen Bedrohung des Beters und seiner Dichtung stellt exemplarisch Psalm 9 her: Herr, sei mir gnädig; Sieh an mein Elend unter meinen Feinden, der du mich erhebest aus den Toren des Todes, dass ich erzähle all deinen Ruhm, in den Toren der Tochter Zion, dass ich fröhlich sei über deine Hilfe. (Ps 9,14.15)
Kurz gesagt: der Psalmendichter hofft auf Gottes Hilfe gegen die todesähnlichen Gefahren und Bedrohungen im Leben, nicht nach dem Leben, und dankt Gott dafür mit seinen Liedern. Die Psalmendichter Israels kennen die Todesgrenze. Sie rennen nicht gegen sie an, aber sie wollen die Zeit und die Qualität ihres Lebens, das sie als Gabe Gottes verstehen, ausdehnen und ausleben. Daher ist die Hoffnung für sie so lebensnotwendig: Hoffnung und Leben sind untrennbar verbunden, Hoffnung ist Ausdruck des Lebens und des Lebenswillens. Das ist auch der Gedanke, den der Prediger Salomo formuliert: Das ist das Unglück bei allem, was unter der Sonne geschieht, dass es dem einen geht wie dem andern. Und dazu ist das Herz der Menschen voll Bosheit, und Torheit ist in ihrem Herzen, solange sie leben; danach müssen sie sterben. Denn wer noch bei den Lebenden weilt, der hat Hoffnung ;ּב ָּט ֹ֑חון ִ denn ein lebender Hund ist besser als ein toter Löwe. Denn
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IV. Rezeption
die Lebenden wissen, dass sie sterben werden, die Toten aber wissen nichts; sie haben auch keinen Lohn mehr, denn ihr Andenken ist vergessen. (Pred 9,3–5)
Kürzer hatte der Prediger schon in Kapitel 3 formuliert – auch hier ist Brahms, Ernste Gesänge, zu hören: Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben alle einen Odem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh; denn es ist alles eitel. Es fährt alles an einen Ort. Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub. (Pred 3,19–20)
Der Prediger bezieht sich auf Genesis 3,19: „Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du wieder zurück“ – die Basis für die Anthropologie Israels. Ebenso sagt der Psalmist (Ps 49,12.21): Der Mensch kann nicht bleiben in seiner Pracht, sondern muss davon wie das Vieh.
Und schließlich gilt: Im Totenreich ist Gott nicht: Denn im Tode gedenkt man deiner nicht; wer wird dir bei den Toten danken? (Ps 6,6; vgl. 30,10)
Noch bitterer klingt Psalm 88,11–13: Wirst du an den Toten Wunder tun? Oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? Wird man im Grabe erzählen deine Güte und deine Treue bei den Toten? Werden denn deine Wunder in der Finsternis erkannt oder deine Gerechtigkeit im Lande des Vergessens?
Deshalb fährt der Beter in V. 14 fort: Aber ich schreie zu dir, Herr, und mein Gebet komme frühe vor dich.
Hier wird deutlich, dass die Psalmendichter mit Gott um ihr Leben handeln, wie schon Abraham mit Gott handelte. Sie nämlich sind es, die Gott loben und ihm danken, die ihn anrufen und anflehen, die mit ihm kommunizieren: Das ist das Vorrecht der Lebenden, das Vorrecht der Menschen, dazu hat sie Gott geschaffen. So wie die Lebenden Gott brauchen, braucht auch Gott die Lebenden, denn mit den Toten kann er nicht kommunizieren. Gotteslob – das Echo der Schöpfungstat Gottes – erklingt nur aus dem Munde der Lebenden. Mit diesem aus der Erschaffung des Menschen abgeleiteten Gedanken ist zunächst die Grenze der Hoffnungen Israels für den Einzelnen und für die Gemeinde erreicht. Es bleibt dabei: Der Tod ist die Grenze der Hoffnung.
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5. Im nachexilischen Judentum greift die Hoffnung über die Lebenszeit hinaus Diese Grenze gilt auch für Israels Propheten, die Vieles von dem, was die Psalmendichter aussprechen, aufgreifen und ihrerseits formulieren. Ein Beispiel ist Jesaja 40,27–31: Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: ‚Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber‘? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren ֹ֤קוי ֵ ְו, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Ähnlich eindringlich ist das „Hohelied der Hoffnung“ – so Otto Kaiser41 – in den Klagelieder Jeremiae 3,18–33: Ich sprach: Mein Ruhm und meine Hoffnung auf den Herrn sind dahin. Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen, mit Wermut und Bitterkeit getränkt bin! Du wirst ja daran gedenken, denn meine Seele sagt mir’s. Dies nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch: Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen. Es ist ein köstlich Ding für einen Mann, dass er das Joch in seiner Jugend trage. Er sitze einsam und schweige, wenn Gott es ihm auferlegt, und stecke seinen Mund in den Staub; vielleicht ist noch Hoffnung. Er biete die Backe dar dem, der ihn schlägt, und lasse sich viel Schmach antun. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. Denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschen.
Hier wie anderswo mäandriert der Beter zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Immer wieder nimmt der Beter erneut einen Anlauf zur Hoffnung, indem er Gott als den anruft, der gütig ist und sich des Beters erbarmt. Zugleich aber setzen die Propheten andere Akzente: Stärker als die Psalmisten artikulieren sie die kollektive Hoffnung Israels, nun aber nicht „nur“ als Hoffnung der frommen Gemeinde am Tempel der jeweiligen Gegenwart, sondern als politische Hoffnung für die Zukunft des Volkes Israel, als Hoffnung für seine politische Geschichte. Damit erweitern die Propheten die Grenze der Hoffnung um die Dimension einer innerweltlichen Zukunft, die über die Lebenszeit des einzelnen Israeliten und der jeweiligen Kultgemeinde hinaus in die zukünftige Zeit von Geschichte führt. Die Propheten kommentieren die Geschichte ihrer jeweiligen Zeit, d. h. die Geschichte der vorderasiatischen Reiche, im Zu O. Kaiser, „Hoffnung“, 1823.
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IV. Rezeption
sammenhang und in der Auseinandersetzung mit dem Königreich Israel und seinen späteren Teilreichen. Sie begleiten das Exil und die Rückkehr ins Land Israel. Sie kommentieren das Verhalten der Führung Israels und des Volkes in den verschiedenen Phasen seiner selbständigen und nicht-selbständigen politischen Geschichte. Sie tun das im Lichte des Gotteswillens – und all das stets im Hinblick auf Zukunft und auf Eröffnung und Erfüllung von Hoffnung, eben nicht nur für den Einzelnen, sondern für ganz Israel. Auch hier ist Gott derjenige, auf dem die Hoffnung der Propheten ruht. So prophezeit Jesaja im Rahmen der sog. Apokalypse (Jes 24–27) – ein später Text aus hellenistischer Zeit – ein großes Freudenmahl für alle Völker: Zu der Zeit wird man sagen: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften ֹלו ִקִּו֣ינּו,֔ dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften ֔;ֹלו ִקִּו֣ינּוlasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil“. (Jes 25,9)
Die Hoffnung der Propheten greift also weit über das Einzelschicksal und über die Lebenszeit des Einzelnen hinaus und erschließt neue, ferne Perspektiven: Leben in Frieden und in staatlicher Unversehrtheit, Herrschaft über die Völker, Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich im Land – all das erhoffen die Propheten von jener Zukunft, die Gott selbst für Israel bereiten wird, denn immer bleibt es Gott, der diese politisch-sozialen Zukunftshoffnungen Wirklichkeit werden lassen soll: Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude. (Jes 65,17 f.; vgl. 2 Petr 3,13; Off 21,4)
Dieser weite Hoffnungshorizont bricht nun an einigen wenigen Stellen ganz und gar auf. Am eindrücklichsten ist das 37. Kapitel im Propheten Hesekiel. Der Prophet sieht in einer Vision, wie Totengebeine, die ein ganzes Feld bedecken, wieder lebendig werden. Das Heer der wieder zum Leben Erweckten ist Israel. Die sachliche Ambiguität dieses gewaltigen, zugleich aber für Israel zunächst anstößigen Hoffnungsbildes liegt darin, dass der Prophet nicht wirklich von einer „Auferstehung von den Toten“ spricht, sondern das Bild für die politische Wiederherstellung Israels in der Zukunft verwendet: So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israel. (Hes 37,12)
Solche sprachlichen Bilder, die nicht „eigentlich“, sondern metaphorisch gemeint sind, entfalten doch eine eigene Dynamik und erweitern den Vorstellungshorizont. Bei Jesaja in Kapitel 26, einem weiteren Kapitel der schon genannten Jesajaapokalypse, werden wir Zeugen einer gleichsam hin und her flutenden Diskussion zwischen der überkommenen Vorstellung von der Endgültigkeit des Todes und einer doch aufkommenden Hoffnung auf Auferstehung – einer Hoffnung gegen
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alle Hoffnung. Zunächst bestätigt der prophetische Text die Endgültigkeit des Todes, aber nun eben nur für eine Gruppe, für die Feinde, während der Prophet dem Gottesvolk gleichzeitig die Auferstehung zuzusprechen scheint: Herr, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du, aber wir gedenken doch allein deiner und deines Namens. Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf; denn du hast sie heimgesucht und vertilgt und jedes Gedenken an sie zunichte gemacht. Du hast vermehrt das Volk, Herr, vermehrt das Volk, hast deine Herrlichkeit bewiesen und weit gemacht alle Grenzen des Landes … Aber deine Toten werden leben מ ֶ֔תיָך יִ ְֽחי֣ ּו, ֵ deine Leichname werden auferstehen קּומּון ֑ ְי. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten herausgeben. (Jes 26,13–15.19)
Das sind Bilder, Vorstellungsmöglichkeiten, ihre Logik und ihr Realitätsgehalt bleiben unklar. Sie sind gegen die Tradition Israels gerichtet, aber sprachlich realisierbar und in der Sprache – ob metaphorisch oder eigentlich, bleibt offen – bereits eine zukünftige mögliche Realität vorwegnehmend realisiert. Der Prophet kann davon sprechen, ohne deutlich zu machen, wie er seine Hoffnungsbilder begründet und wie weit er wirklich auf sie vertraut und sie durchdacht hat. Wir ahnen aber, dass der prophetische Autor hofft, zwischen dem Schicksal Israels und dem der (anderen) Völker unterscheiden zu können, ja zu müssen. Eine ähnliche Unschärfe der Vorstellungen und gleichzeitige Öffnung in der Vorstellungswelt begegnet in einigen Psalmen. Ich habe den Herrn allezeit vor Augen; er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht. Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich; auch mein Leib wird sicher wohnen. Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe. Du tust mir kund den Weg zum Leben א ַרח ֹ ֤ יענִ ֮י ֵ ח ִּי֥ים ֹּֽת ִוד: ַ֫ Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich. (Ps 16,8–11)
In der Septuagintafassung (Ps 15,8–11) heißt es: προωρώμην τὸν κύριον ἐνώπιόν μου διὰ παντός, ὅτι ἐκ δεξιῶν μού ἐστιν, ἵνα μὴ σαλευθῶ. διὰ τοῦτο ηὐφράνθη ἡ καρδία μου, καὶ ἠγαλλιάσατο ἡ γλῶσσά μου, ἔτι δὲ καὶ ἡ σάρξ μου κατασκηνώσει ἐπ᾽ ἐλπίδι, ὅτι οὐκ ἐγκαταλείψεις τὴν ψυχήν μου εἰς ᾅδην οὐδὲ δώσεις τὸν ὅσιόν σου ἰδεῖν διαφθοράν. ἐγνώρισάς μοι ὁδοὺς ζωῆς· πληρώσεις με εὐφροσύνης μετὰ τοῦ προσώπου σου, τερπνότητες ἐν τῇ δεξιᾷ σου εἰς τέλος.
Dieser Psalm wird in Apg 2,25–28.31 von Petrus als Schriftbeweis für die Auferweckung Jesu von Nazareth zitiert. Eine ähnliche Permeabilität findet sich
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IV. Rezeption
in dem schon als Beispiel für die Vorstellung von der Endgültigkeit des Todes zitierten Weisheitspsalm 49. Sieht man aber genauer hin, so finden wir auch hier das unentschiedene Hin-und-Her-Fluten zwischen dem Tod als letzter Grenze und der Eröffnung der Hoffnung auf Erlösung auch vom Tod: Denn man wird sehen: Auch die Weisen sterben, so wie die Toren und Narren umkommen … Dies ist der Weg aller, die so voll Torheit sind … Sie liegen im Totenreich wie Schafe, der Tod weidet sie, aber die Frommen werden am Morgen über sie herrschen; ihre Gestalt wird vom Totenreich verschlungen; sie hat keinen Bestand. Aber Gott wird mich erlösen aus des Todes Gewalt; Denn er nimmt mich auf. (Ps 49,11.14–16)
Das Aber ist es, das hier die Grenze sprengt: aber die Frommen, aber ich. Sollen die Weisen wirklich wie die Toren im Tod bleiben? Soll Ich wirklich ein Schatten bleiben? Sachlich bleibt der Psalm im Ungewissen, Evidenz wird nicht beigebracht. Der Psalmist eröffnet sich selbst gegen sein weisheitliches Wissen (V. 11) Hoffnung über den Tod hinaus, indem er offensichtlich contra rem in spe für die Weisen mit einer solchen Zukunft rechnet. So öffnet sich auch in Psalm 22,27 unvermutet das Tor, das die Menschen im Totenreich einschließt, und es heißt: Euer Herz soll ewiglich leben יְ ִ ֖חי ל ַב ְב ֶכ֣ם ד ְ ָל ַ ֽע ζήσονται αἱ καρδίαι αὐτῶν εἰς αἰῶνα αἰῶνος. (Ps 21,27 LXX)
So haben die frommen Schriftsteller des nachexilischen Israel immer wieder die Grenze des Todes gedanklich umspielt und manchmal über sie hinausgehofft und visionär gesprochen, so auch der Prediger – ausgerechnet der Prediger, wenn er in 3,11 sagt: Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt (ת־הע ָֹל ֙ם נָ ַ ֣תן ְּב ִל ָּ֔בם ָ )א. ֶ Nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
Die Septuaginta übersetzt: σὺν τὰ πάντα ἐποίησεν καλὰ ἐν καιρῷ αὐτοῦ καί γε σὺν τὸν αἰῶνα ἔδωκεν ἐν καρδίᾳ αὐτῶν, ὅπως μὴ εὕρῃ ὁ ἄνθρωπος τὸ ποίημα, ὃ ἐποίησεν ὁ θεός, ἀπ᾽ ἀρχῆς καὶ μέχρι τέλους.
Auch hier fehlt in der 2. Vershälfte nicht der skeptische Ton. Zugleich aber ist mit der ersten Vershälfte der Hoffnung jedes Tor geöffnet und jede Mauer durchbrochen. Diese Metapher führt noch einmal zu Goethe, und zwar zu den „Urworten. Orphisch“ von 1817:
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ΕΛΠΙΣ, Hoffnung Doch solcher Grenze, solcher eh’rnen Mauer Höchst widerwärt’ge Pforte wird entriegelt, Sie stehe nur mit alter Felsendauer! Ein Wesen regt sich leicht und ungezügelt: Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt; Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen; Ein Flügelschlag – und hinter uns Äonen.
Da ist sie, die Hoffnung, sprachlich umspielend mit Motiven der Wolkenlehre Howards beschworen und im Sprachbild gleichsam erzeugt. Die Durchbrechung eherner Mauern: bei Goethe ist es die Mauer der Notwendigkeit, der ἀνάγκη, im Prediger ist es die Todesgrenze. Die Durchbrechung der Mauern, von Goethe mit ebenso einfacher, der Natur entnommener Bilderwelt wie komplexer dichterischer Codierung in Sprache gesetzt, wird in der Makkabäer- und NachMakkabäerzeit in der jüdischen religiösen Literatur nicht so sehr dichterisch, sondern eher theologisch-ethisch vorangetrieben. Die Mauer des Todes wird jetzt nicht mehr tastend und unklar, zwischen Imagination und Metapher spielend, sondern programmatisch, gleichsam essentiell durchbrochen. Der späte Prophet oder Apokalyptiker Daniel (2. Jh. v. Chr.) entwirft ein großes Endszenario, das in der allgemeinen Totenauferstehung endet: Zu jener Zeit wird Michael auftreten, der große Engelfürst, der für dein Volk einsteht. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seitdem es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden und alle, die im Buch geschrieben stehen. Und viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben (ֹעולם ָ ֔ )ל ַח ֵּי ֣י, ְ die andern zu ewiger Schmach und Schande. Und die Verständigen werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die vielen zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich. (Dan 12,1–3)
Daniels Vision ist mehr als ein Sprachbild: Hier wird zukünftige Wirklichkeit sprachlich vorweggenommen. Die Sternmetaphorik dient nur noch dem Schmuck. Für andere jüdische Theologen und Historiker war Hoffnung das Wort, das ethisch notwendig wurde, um Gerechtigkeit herzustellen. Die sieben Märtyrer sagen im 2. Makkabäerbuch (2./1. Jh. v. Chr.) zu dem hellenistisch-syrischen König Antiochus IV. Epiphanes, der Judäa erobert hatte und Jerusalem hellenisieren wollte und dem sie Widerstand leisteten: Du verruchter Mensch, du nimmst uns wohl das zeitliche Leben; aber der König der Welt wird uns, die wir um seiner Gesetze willen sterben, wieder erwecken in der Auferstehung zum ewigen Leben. (Σὺ μέν, ἀλάστωρ, ἐκ τοῦ παρόντος ἡμᾶς ζῆν ἀπολύεις, ὁ δὲ τοῦ κόσμου βασιλεὺς ἀποθανόντας ἡμᾶς ὑπὲρ τῶν αὐτοῦ νόμων εἰς αἰώνιον ἀναβίωσιν ζωῆς ἡμᾶς ἀναστήσει. 2 Makk 7,9; vgl. V. 36)
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IV. Rezeption
Damit ist die Grenze des endgültigen Todes zugunsten der Gerechtigkeit an den Märtyrern durchbrochen. Dieselbe ethische Gewissheit: „Die Gerechten können nicht im Tod bleiben“, lässt den Verfasser der Weisheit Salomos jenen großen Hoffnungstext schreiben, den Johannes Brahms im Requiem vertont hat: Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rührt sie an. In den Augen der Unverständigen gelten sie als tot. Ihr Scheiden wurde für Strafe gehalten und ihr Fortgehen für Verderben; aber sie sind im Frieden. Obwohl sie den Menschen als gestraft erscheinen, sind sie doch erfüllt von Hoffnung auf Unsterblichkeit. Und zur Zeit ihrer Rettung werden sie aufleuchten und wie Funken durch ein Stoppelfeld stieben. So werden sie die Heiden richten und über die Völker herrschen, und der Herr wird König sein über sie in Ewigkeit. Δικαίων δὲ ψυχαὶ ἐν χειρὶ θεοῦ, καὶ οὐ μὴ ἅψηται αὐτῶν βάσανος. ἔδοξαν ἐν ὀφθαλμοῖς ἀφρόνων τεθνάναι, καὶ ἐλογίσθη κάκωσις ἡ ἔξοδος αὐτῶν καὶ ἡ ἀφ᾽ ἡμῶν πορεία σύντριμμα, οἱ δέ εἰσιν ἐν εἰρήνῃ. καὶ γὰρ ἐν ὄψει ἀνθρώπων ἐὰν κολασθῶσιν, ἡ ἐλπὶς αὐτῶν ἀθανασίας πλήρης· καὶ ἐν καιρῷ ἐπισκοπῆς αὐτῶν ἀναλάμψουσιν καὶ ὡς σπινθῆρες ἐν καλάμῃ διαδραμοῦνται κρινοῦσιν ἔθνη καὶ κρατήσουσιν λαῶν, καὶ βασιλεύσει αὐτῶν κύριος εἰς τοὺς αἰῶνας. (SapSal 3,1–4.7–8)
Dieser theologische Schriftsteller, der wohl im 1. Jh. v. Chr. lebte und mit griechischer Philosophie nicht unvertraut war, führt den Gedanken des 2. Makkabäerbuches weiter aus. Für die Ungerechten gilt: ἐλπὶς ἀσεβοῦς ὡς φερόμενος χνοῦς ὑπὸ ἀνέμου (5,14), für die Gerechten dagegen: Δίκαιοι δὲ εἰς τὸν αἰῶνα ζῶσιν, καὶ ἐν κυρίῳ ὁ μισθὸς αὐτῶν, καὶ ἡ φροντὶς αὐτῶν παρὰ ὑψίστῳ (5,15). Die individuelle Hoffnung der endgültigen Grenzüberschreitung kann als Auferstehung, als Unsterblichkeit oder als ewiges Leben und Herrschaft zusammen mit Gott formuliert werden. Letzteres Bild hat eine kollektive Dimension. Die Zukunftsbilder sind nicht homogen, ihre sprachliche und traditionsgeschichtliche Herkunft ist unterschiedlich. Was sie gemeinsam haben, ist die Aufhebung der Todesgrenze aus der ethisch-theologischen Überzeugung heraus, dass die Gerechten und Frommen einen Ausgleich für die Leiden während ihres Lebens verdienen und dass Gott gerecht ist und diesen Lohn geben wird. Das vertreten auch die Psalmen Salomos, eine Psalmensammlung aus dem 1. Jh. v. Chr.42, die nicht mehr den Weg in den Kanon der Bibel Israels fand. Der Autor, der in die Nähe der Pharisäer-Bewegung gesetzt wird, gründet seine Hoffnung ganz und gar auf den Gedanken der Gerechtigkeit Gottes und entwirft in Psalm 3 ein Idealbild des gerechten Israeliten: E. G. Dafni, „Psalmen“.
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Gerechte gedenken stets des Herrn, indem sie die Urteile des Herrn lobpreisen und für gerecht erklären. (vgl. auch 8,7.23.24; 9,2; 10,5) Ein Gerechter wird nicht gering schätzen, wenn er vom Herrn erzogen wird, sein Wohlgefallen ist stets vor dem Herrn. Der Gerechte stolperte, und (dennoch) erklärte er den Herrn für gerecht, er fiel und sieht zu, was Gott ihm tun wird, er hält Ausschau, woher sein Heil kommen wird. (PsSal 3,3–5)
Deshalb wird in der Zukunft für den Ungerechten gelten: „Das Verderben des Sünders währt in Ewigkeit“ (V. 11), während es von dem Gerechten in V. 12 heißt: Die aber den Herrn fürchten, werden aufstehen zum ewigen Leben ἀναστήσονται εἰς ζωὴν αἰώνιον), und ihr Leben wird im Licht sein des Herrn, und es wird nicht mehr enden.
Auferstehung und ewiges Leben den Gerechten und Frommen, Gericht und ewiges Verderben den Sündern und Gottlosen: damit ist die Grenze des Todes gefallen, wenn auch zunächst eine neue Grenze aufgerichtet ist, nun zwischen den Gerechten und den Ungerechten (13,11; 14,3 f.; 15,12 f.), zwischen Israel und den Heidenvölkern (17). Das Thema der ausgleichenden oder belohnenden Gerechtigkeit Gottes greift auch Josephus auf: Gesetztestreue Juden, die, wenn nötig, den Märtyrertod auf sich nehmen, werden „wiedergeboren“ werden.43 Auf jeden Fall aber gilt: Israels Hoffnung ist Hoffnung auf ein gutes Leben mit der Hilfe Gottes für die Lebenszeit, die Gott dem einzelnen Menschen und dem Volk Israel gewährt. In der nachexilischen Zeit greift Israels Hoffnung in unterschiedlichen Szenarien sowohl über die Lebenszeit des Einzelnen als auch über die zukünftige Geschichte Israels hinaus. Dabei bleibt sie stets an Gottes lebenspendendes Handeln gebunden und auf ihn bezogen. Hoffnung ist einerseits eine innere Haltung. Andererseits zeichnen sich bestimmte, über die Lebenszeit hinausreichende zukünftige Hoffnungsgüter ab, die in dem Bild von der „Auferstehung der Toten“ und dem „ewigen Leben“ sprachlich und emotional vorstellbar gemacht werden.44
43 Josephus,
Contra Apionem II 218. H. Wissmann/G. Stemberger, „Auferstehung“, 441–467; F. Avemarie/H. Lichtenberger (Hg.), Auferstehung; K. Bieberstein, „Todesschwelle“, 423–446. Einen kurzen Überblick auf die historische Entwicklung der Hoffnung auf Auferstehung in Israel gibt D. Zeller, Brief, „Exkurs 9.1: Anfänge und Funktion des Auferstehungsglaubens in Israel“, 480–484 (Lit.); vgl. auch „Exkurs 9.2: Auferstehung und messianisches Reich“, 496–498. Ausführliche Darstellung: J. A. Sigvartsen, Apocrypha; ders., Pseudepigrapha. 44 Vgl.
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IV. Rezeption
6. Paulus ist der Theologe der auf Christus gründenden Hoffnung Der Grund der Hoffnung Israels ist stets Gott selbst. Der Gegenstand der Hoffnung, worauf also Israel und das Judentum hoffen können – ob nur auf ein diesseitiges erfülltes und politisch starkes Leben oder auch auf ein Leben für den Einzelnen und für Israel in der kommenden Gottesherrschaft –, verschiebt sich im Laufe der Jahrhunderte und bleibt auch im 1. Jh. n. Chr. in der Diskussion zwischen den konservativen Sadduzäern und den Pharisäern. Diese Diskussion ist auch in Texten des Neuen Testaments abgebildet, wobei die ersten Christen deutlich an die Makkabäer- und die Pharisäertraditionen der entgrenzten Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben anknüpfen und sich damit in den Zusammenhang einer bestimmten Strömung der Hoffnungen des antiken Judentums stellen.45 Nach dem Markusevangelium gilt das schon für Jesus. In dem Streitgespräch Jesu mit den Sadduzäern über die Auferstehung (Mk 12,18–27) votiert Jesus klar für die Hoffnung auf Auferstehung und begründet sein Votum mit Exodus 3,6: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden“. Die Verbindung des Themas „Leben“ mit Gott ist das Zentrum der Hoffnung in den Psalmen, wie sich gezeigt hat. Zugleich stellt sich Jesus gegen die Sadduzäer in die pharisäische Traditionslinie. Es ist nicht ohne Interesse, dass hier Jesus wie der Verfasser der Psalmen Salomos so eindeutig in die Nähe der Pharisäer gerückt wird, jener jüdischen Religionspartei, die sich die Durchsetzung der Toraerfüllung und damit der Gerechtigkeit für ganz Israel zum Ziel gesetzt hatte und die von der Auferstehung der Toten ausging – im Gegensatz zu den konservativen Sadduzäern, die bei der überkommenen Anthropologie Israels blieben und den Tod als Grenze menschlicher Dauer festhielten.46 Um einen Pharisäer ging es auch bei einer Anhörung, die im Jahre 59 oder 60 n. Chr. in Caesarea am Meer, dem Sitz des römischen Präfekten für Judäa, stattfand, eine Anhörung vor dem damaligen Präfekten Porcius Festus (gestorben 62 n. Chr.) und dem jüdischen Klientelkönig Agrippa II. (27–92/3 n. Chr.) und seiner Gemahlin Berenike. Angehört wurde ein gefangener Jude mit dem griechischrömischen Namen Paulos, der von den Jerusalemer religiösen Autoritäten wegen Aufruhrs und Tempelentweihung angeklagt wurde und der sich selbst als Pharisäer einführte. Der Schriftsteller, den wir unter dem Namen Lukas kennen, lässt Paulus in seiner Verteidigungsrede explizit den jüdischen König, der auch
45 Für ein differenziertes Bild der jüdischen Hoffnung über das Schicksal nach dem Tod vgl. G. Delling, „Speranda futura“, 521–526. 46 Zum Markustext vgl. J. Gnilka, Evangelium, 156–162. Weiter: L. Scornaienchi, Jesus, 357–365.
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religiöses Oberhaupt Jerusalem-Judäas ist, ansprechen und gibt den Anfang der Verteidigungsrede des Paulus folgendermaßen wieder: προγινώσκοντές με ἄνωθεν, ἐὰν θέλωσιν μαρτυρεῖν, ὅτι κατὰ τὴν ἀκριβεστάτην αἵρεσιν τῆς ἡμετέρας θρησκείας ἔζησα Φαρισαῖος. καὶ νῦν ἐπ’ ἐλπίδι τῆς εἰς τοὺς πατέρας ἡμῶν ἐπαγγελίας γενομένης ὑπὸ τοῦ θεοῦ ἕστηκα κρινόμενος, εἰς ἣν τὸ δωδεκάφυλον ἡμῶν ἐν ἐκτενείᾳ νύκτα καὶ ἡμέραν λατρεῦον ἐλπίζει καταντῆσαι, περὶ ἧς ἐλπίδος ἐγκαλοῦμαι ὑπὸ Ἰουδαίων, βασιλεῦ. τί ἄπιστον κρίνεται παρ’ ὑμῖν εἰ ὁ θεὸς νεκροὺς ἐγείρει; (Apg 26,5–8)
Anderswo lässt Lukas Paulus sagen: Und ich habe dieselbe Hoffnung (ἐλπίδα ἔχων) auf Gott, den auch diese haben: dass es eine Auferstehung (ἀνάστασιν) der Gerechten und der Ungerechten geben werde. (Apg 24,14 f.)
Für Lukas ist die Auferstehung Christi der neue Grund der Hoffnung der ersten Christen, und zugleich erfüllt der auferstandene Christus die Hoffnung Israels, wie die Emmausjünger anklagend sagen: Wir aber hofften, dass er – Jesus – derjenige sei, der Israel erlösen solle ἡμεῖς δὲ ἠλπίζομεν ὅτι αὐτός ἐστιν ὁ μέλλων λυτροῦσθαι τὸν Ἰσραήλ. Lukas stellt in der Emmauserzählung dar, dass Jesus genau das getan hat. Kontinuität mit Israel – allerdings mit der pharisäischen Richtung – und neue, ja aktuelle Bestätigung dieser Hoffnung durch Jesu Auferstehung ergänzen sich hier. Lukas bindet die Verkündigung des Paulus also in die die innerjüdische Hoffnungs- und Zukunftsdebatte ein und will diese damit zugleich auf den heilsgeschichtlich aktuellen Stand nach bzw. unter Christus bringen – genauso wie es Markus mit Jesus tut. Schriftstellerisch geht Lukas so vor, dass er den Pharisäer Paulus, der die Auferstehung Jesu von den Toten verkündet, mit dem religiösen Oberhaupt der Juden, König Agrippa – der der sadduzäischen Partei angehört, über das Thema der Auferstehung als Gegenstand der Hoffnung Israels (vgl. auch 28,20 ἕνεκεν γὰρ τῆς ἐλπίδος τοῦ Ἰσραὴλ) diskutieren lässt, wobei der Schriftsteller den König selbst keinen Standpunkt einnehmen lässt. Paulus hatte schon bei seiner Verhaftung in Jerusalem gerufen: Ich bin Pharisäer und ein Sohn von Pharisäern, wegen der Hoffnung und der Auferstehung von den Toten werde ich beschuldigt περὶ ἐλπίδος καὶ ἀναστάσεως νεκρῶν [ἐγὼ] κρίνομαι. (Apg 23,6, vgl. 24,21)
Auch in seiner eher kurzen Rede vor dem Präfekten Felix hatte Paulus nach Lukas gesagt: Das bekenne ich dir aber, dass ich nach dem Weg, den sie eine Religionspartei nennen (κατὰ τὴν ὁδὸν ἣν λέγουσιν αἵρεσιν), dem Gott meiner Väter so diene, dass ich allem glaube, was im Gesetz und in den Propheten steht. Und ich habe dieselbe Hoffnung (ἐλπίδα) auf Gott, den auch diese haben: dass es eine Auferstehung (ἀνάστασιν) der Gerechten und der Ungerechten geben werde. (Apg 24,14 f.)
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IV. Rezeption
Historisch gesehen stieß Paulus trotz dieser Einbettung in die pharisäische Hoffnung auf die Auferstehung mit seinem Evangelium47, der Predigt von Jesu Auferstehung, sowohl bei Juden wie bei Griechen und bei Römern auf großen intellektuellen und religiösen Widerstand bzw. ablehnende Gleichgültigkeit. Er musste harte Diskussionen nicht nur mit den sadduzäisch geprägten Oberschicht-Juden in Jerusalem und Caesarea, mit den mehr oder weniger von der allgemeinen Auferstehungshoffnung erfüllten Synagogengemeinden in Kleinasien und Griechenland und mit den Philosophen in Athen (Apg 17,31 f.48), sondern auch mit Mitgliedern der Christus-bekennenden Gemeinden führen, die er selbst gegründet hatte. Diese bestanden mehrheitlich aus Nichtjuden, denen die makkabäisch-pharisäisch gegründete Auferstehungshoffnung unklar oder fremd war und die auch die Bedeutung der Botschaft von der Auferstehung Jesu nur schwer verstanden. Das zeigt der 1. Brief an die Thessalonicher ebenso wie der 1. Korintherbrief. Und in diesen Gemeindeanfragen und Gemeindediskussionen entwickelt Paulus sein eigenes Hoffnungskonzept, das ihn zu dem neutestamentlichen Hoffnungstheologen macht. Lukas hat zwar die Bedeutung der Hoffnung für Paulus richtig gesehen, ohne aber deutlich zu machen, dass Paulus sich anders als alle bisher genannten jüdischen Autoren nicht auf die Andeutung oder die offene Proklamation von Auferstehung beschränkt, sondern sie als Gegenstand einer komplexen Argumentation, und das heißt: von theologischem Denken, eben als ein Konzept versteht, das die zukünftige und gegenwärtige Existenz umfasst.
7. Das Hoffnungskonzept des Paulus Fünf Punkte sind es, die dies Konzept ausmachen und stärker und anders konturieren, als Lukas es schildert. Denn es geht Paulus nicht nur um die Auferstehungshoffnung (Apg 23,6), sondern um die mit Jesus verbundene neue und endgültige Interpretation dieser Hoffnung Israels. Was dabei entsteht, ist ein Konzept, das klassische Elemente der Hoffnungstheologie Israels – die hoffnungsvolle und frömmigkeitsgeprägte Existenztheologie der Psalmen49, eine 47 Kurzeinführung: K.-W. Niebuhr, „Pharisäer“, 72–74; ausführlich: J. Frey, „Judentum“, 47–104. 48 Lukas lässt Paulus Jesu Auferstehung verkündigen, ohne den Namen Jesu zu nennen: καθότι ἔστησεν ἡμέραν ἐν ᾗ μέλλει κρίνειν τὴν οἰκουμένην ἐν δικαιοσύνῃ, ἐν ἀνδρὶ ᾧ ὥρισεν, πίστιν παρασχὼν πᾶσιν ἀναστήσας αὐτὸν ἐκ νεκρῶν (Apg 17,31). Die Reaktion der Hörer auf dem Areopag ist eher ablehnend: Ἀκούσαντες δὲ ἀνάστασιν νεκρῶν οἱ μὲν ἐχλεύαζον, οἱ δὲ εἶπαν· ἀκουσόμεθά σου περὶ τούτου καὶ πάλιν (17,32). Sie verstehen die Verkündigung des Paulus als allgemeine Auferstehungsverkündigung. Ob Lukas diese Differenzierung, die auch in 1 Kor 15 eine Rolle spielt, beabsichtigt? 49 Den direkten Bezug auf die Psalmen stellt Paulus nur in Röm 5,5 her (Ps 21,6 LXX nicht in Zitat, sondern in Allusion). Aufschlussreich ist Röm 15,4: ὅσα γὰρ προεγράφη, εἰς τὴν ἡμετέραν
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schöpfungs- und erlösungstheologische Grundierung sowie eine kosmologischeschatologische Ausrichtung – mit einer durchgehenden christologischen Interpretation versieht, die ihrerseits die gegenwärtige Existenz der Christus bekennenden Gemeinden formiert. Die paulinische Hoffnungstheologie bezieht ihre Plausibilität aus der Vergangenheit – der Auferweckung Jesu „nach der Schrift“ – und verweist auf die Zukunft – das Sein bei Gott, richtet sich aber zugleich auf die Gegenwart: auf die Existenz der Christusbekennenden Gemeindeglieder in der eschatologisch bestimmten Jetztzeit. Diese christologische Interpretation der Hoffnung Israels umfasst daher die Auferweckung Jesu (1), die Hoffnung auf seine Wiederkunft, die sog. Parusie (2), die endgültige Erlösung der Menschheit aus Christen, Heiden und Juden und des gesamten Kosmos (3) und die neue endzeitliche Existenz der Christen in der Gegenwart – dem νῦν καιρὸς εὐπρόσδεκτος – seit der Auferstehung Jesu (4). Die bleibende theo-logische Bedeutung des Konzepts – und das heißt noch einmal seine Verankerung in der Theologie Israels – lässt sich in Röm 15,13 fassen, wo Paulus abschließend vom „Gott der Hoffnung“ spricht (5). (1) Im Mittelpunkt steht die Botschaft von der Auferweckung Jesu von den Toten in 1 Kor 15,3–8, obgleich Paulus hier nicht die Hoffnung ins Spiel bringt, sondern das „Sehen“ (viermal ὤφθη). Die Auferweckung Jesu von den Toten ist nicht Gegenstand der Hoffnung, sondern ihre Grundlage: Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe, dass Christus gestorben ist für unsere Sünden gemäß den Schriften und dass er begraben wurde und auferweckt ἐγήγερται wurde am dritten Tag gemäß den Schriften und dass er Kephas erschien (ὤφθη50) und dann den Zwölf. Dann erschien ὤφθη er mehr als 500 Brüdern zugleich, von denen die meisten bis jetzt leben, einige aber sind entschlafen. Dann erschien ὤφθη er Jakobus, dann allen Aposteln. Als Letztem von allen erschien ὤφθη er auch mir.51
Paulus geht stets von der Auferstehung Jesu als einem Ereignis aus, das stattgefunden hat und durch die Schriften Israels, durch die urgemeindliche Tradition und durch sein eigenes Erleben dreifach gesichert ist. An diesem Punkt hat seine Reflexion auf das Verhältnis von Nicht-Sehen und Hoffen (Röm 8,24 f.) nicht ihren Platz. (2) Zugleich begründet und umfasst die Auferstehung Jesu den Anbruch des endzeitlichen Handelns Gottes, auf das auch Israel wartet. Paulus knüpft diese Erwartung aber exklusiv an Jesu himmlische Existenz und seine Parusie – ein
διδασκαλίαν ἐγράφη, ἵνα διὰ τῆς ὑπομονῆς καὶ διὰ τῆς παρακλήσεως τῶν γραφῶν τὴν ἐλπίδα ἔχωμεν. Hier bezeichnet Paulus die „Schrift“ als Trost- und Hoffnungsschrift: ein besonderer Beitrag zu seiner Schrifthermeneutik im Rahmen seiner Hoffnungstheologie. 50 In der Passivform nur hier bei Paulus (vgl. Lk 24,34). Vgl. noch 1 Kor 9,1: οὐχὶ Ἰησοῦν τὸν κύριον ἡμῶν ἑόρακα. 51 Zum Text J. A. Fitzmyer, Corinthians, 539–552; D. Zeller, Brief, 459–472 (460 Lit.).
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IV. Rezeption
„Markenzeichen des frühen Paulus“, wie Bernhard Heininger formuliert.52 Die Vorstellung von der Parusie Christi verbindet apokalyptische Vorstellungen von der Endzeit und dem kommenden Menschensohn mit dem hellenistischen Motiv von der Ankunft des Herrschers, worauf schon Adolf Deissmann hingewiesen hat.53 Auf Jesu παρουσία hofft Paulus.54 In seinem ersten Gemeindebrief nach Thessaloniki spielt die Vorstellung von Christi Parusie eine wesentliche Rolle55: τίς γὰρ ἡμῶν ἐλπὶς ἢ χαρὰ ἢ στέφανος καυχήσεως – ἢ οὐχὶ καὶ ὑμεῖς – ἔμπροσθεν τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ ἐν τῇ αὐτοῦ παρουσίᾳ; (1 Thess 2,19) εἰς τὸ στηρίξαι ὑμῶν τὰς καρδίας ἀμέμπτους ἐν ἁγιωσύνῃ ἔμπροσθεν τοῦ θεοῦ καὶ πατρὸς ἡμῶν ἐν τῇ παρουσίᾳ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ μετὰ πάντων τῶν ἁγίων αὐτοῦ. (1 Thess 3,13) Τοῦτο γὰρ ὑμῖν λέγομεν ἐν λόγῳ κυρίου, ὅτι ἡμεῖς οἱ ζῶντες οἱ περιλειπόμενοι εἰς τὴν παρουσίαν τοῦ κυρίου οὐ μὴ φθάσωμεν τοὺς κοιμηθέντας·. (1 Thess 4,15)
In seinem Schlusswort weist Paulus noch einmal auf die Parusie hin: Αὐτὸς δὲ ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης ἁγιάσαι ὑμᾶς ὁλοτελεῖς, καὶ ὁλόκληρον ὑμῶν τὸ πνεῦμα καὶ ἡ ψυχὴ καὶ τὸ σῶμα ἀμέμπτως ἐν τῇ παρουσίᾳ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τηρηθείη. (1 Thess 5,23)
Auch seine Gemeinden sollen aus dieser Hoffnung leben. Paulus stellt sein Parusieargument jeweils in einen ethisch-eschatologischen Kontext. Jesu Wiederkunft wird die endgültige Überwindung des Todes und das endgültige Leben bei Gott bringen. So schreibt Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki, die schon Todesfälle verzeichnet und um das Schicksal ihrer Verstorbenen Angst hat: Wir wollen euch aber nicht im Ungewissen lassen, Brüder, über die Entschlafenen περὶ τῶν κοιμωμένων56, damit ihr nicht traurig seid wie die übrigen, die keine Hoffnung haben οἱ μὴ ἔχοντες ἐλπίδα. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott ebenso οὕτως auch die Entschlafenen durch Jesus mit ihm einherführen. (1 Thess 4,13 f.) 52 B. Heininger, „Parusie“, 301. Vgl. dazu A. J. Malherbe, Letters, 271 f. Malherbe weist auf 1 Kor 16,22 hin: die Formel Maranatha deutet auf den Sitz der Vorstellung in den aramäisch sprechenden vorpaulinischen Gemeinden (weitere Lit.). 53 A. Deissmann, Licht, 214–220. 54 παρουσία: Mt 24,3.27.37.39 (apokalyptischer Zusammenhang mit dem „Ende des Äon“ und dem „Menschensohn“). 1 Kor 15,23 (endzeitliche Auferstehung der Toten 15,21). Zentraler Begriff in 1 Thess: viermal als endzeitliches Standardmotiv 2,19 (Kommen des Herrn Jesus); 3,13 (Kommen des Herrn Jesus mit allen Heiligen); 4,15 („die Ankunft des Herrn“); 5,23 („die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“). Vgl. auch 2 Thess 2,1.8.9. Weitere Standardbelege: Jak 5,7.8; 2 Petr 1,16¸3,4.12; 1 Joh 2,28 (hier stets in paränetischen Zusammenhängen). Vgl. A. Oepke, „παρουσία“, 856–896; sehr gute Zusammenfassung bei B. Heininger, „Parusie“, 299–305 (Lit.). 55 Vgl. St. Schreiber, Brief, 247–252: „Exkurs 5: Kulturelles Weltwissen – hellenistisch-römische Jenseitsvorstellungen“. 56 Schlafen als Metapher für Sterben: A. J. Malherbe, Letters, 263.
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In 1 Thess 5,1–11 geht es dann um die apokalyptische Vorstellung vom Tag des Herrn.57 Die Hoffnung bezieht sich aber nicht auf diese Zukunftsvorstellung, sondern auf die schon genannte Jetztzeit, die endzeitliche Existenz, die durch die Lebensform von Glaube – Liebe – Hoffnung bestimmt ist: ἐνδυσάμενοι θώρακα πίστεως καὶ ἀγάπης καὶ περικεφαλαίαν ἐλπίδα σωτηρίας (5,8; vgl. 1,3). Hoffnungsgut ist das Heil. Paulus kommentiert diesen Gedanken im Blick auf das apokalyptische Zornesmotiv: ὅτι οὐκ ἔθετο ἡμᾶς ὁ θεὸς εἰς ὀργὴν ἀλλ’ εἰς περιποίησιν σωτηρίας διὰ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ ἀποθανόντος ὑπὲρ ἡμῶν, ἵνα εἴτε γρηγορῶμεν εἴτε καθεύδωμεν ἅμα σὺν αὐτῷ ζήσωμεν. (1 Thess 5,9 f.)
Heil ist definiert als das gegenwärtige oder zukünftige Zusammenleben mit Christus. 4,17 bringt das in die einfache Hoffnung: „So werden wir allezeit mit dem Herrn (zusammen) sein“. Vor diesem Hoffnungshintergrund wird die Qualifizierung der οἱ λοιποὶ οἱ μὴ ἔχοντες ἐλπίδα (4,13) deutlich. Stefan Schreiber bemerkt richtig: Diese Abgrenzung gegenüber den ‚Übrigen, die keine Hoffnung haben‘ bezieht sich sehr pauschal und verallgemeinernd auf fehlende und unzureichende Jenseitshoffnungen in paganen Mythen oder Philosophien.58
Paulus selbst vertritt jedenfalls diese Sicht. Zu seinem Evangelium gehört die Hoffnung auf endzeitliches Heil. (3) Auf die Wiederkunft des Herrn wartet und hofft Paulus, und zu dieser Hoffnung leitet er die Gemeinden an. Zunächst betrifft diese Hoffnung die Lebenden, d. h. die Mitglieder seiner Gemeinden, und ist an die apokalyptische Vorstellung von der Entrückung bzw. Verwandlung (der Lebenden) geknüpft.59 Zugleich aber kommt an diesem Punkt die Vorstellung von der Auferstehung der Toten ins Spiel, die Paulus als Pharisäer vertraut ist und die er nirgendwo eigens diskutiert, sondern voraussetzt, indem er sie mit der Auferstehung Christi verbindet und argumentiert, dass beide Vorstellungen aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig erklären (1 Kor 15,12–19). Er benötigt keine systematische Lehre von der Auferstehung weder der Christusgläubigen noch aller Menschen und entwickelt sie auch nicht. Vielmehr versucht er, in unterschiedlichen Zusammenhängen die doppelte Vorgabe der Auferstehung Jesu und der Auferstehung der Toten auf unterschiedliche Fragen anzuwenden: zunächst auf die Frage des zu-
57 St.
Schreiber, Brief, 264–269 (Dokumentation der frühjüdischen Vorstellung und Lit.). Schreiber, Brief, 243, in Abgrenzung von A. J. Malherbe, Letters, 283, der auf Epikur verweist. Schreiber, Brief, 249, verweist auf die „weit überwiegende Zahl der Grabepigramme“, die „gerade keine Jenseitshoffnung“ transportieren. 59 1 Kor 15,51 f. Zum Text siehe J. A. Fitzmyer, Corinthians, 604 f.; D. Zeller, Brief, 517–529, besonders 520 Anm. 395 zu der frühjüdischen Vorstellung von der endzeitlichen Verwandlung des Körpers, 521 Vergleich zwischen 1 Thess 4,15–17 und 1 Kor 15,51–53. 58 St.
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IV. Rezeption
künftigen Schicksals der verstorbenen ebenso wie der noch lebenden Christusgläubigen Gemeindeglieder (1 Thess 4,13–18), dann auf die Frage nach dem Wie (πῶς) der Auferstehung der Toten (1 Kor 15,35–49), weiter auf die κτίσις (Röm 8,18–30), auf das Schicksal aller „Heiden“ (Röm 11,25) und „ganz Israels“ (Röm 11,26). In 2 Kor 5,1–4 verengt Paulus dagegen den Blick auf die eigene Person. Diese schrittweise Ausweitung der Perspektive sei ganz kurz nachgezeichnet. In Thessaloniki geht es „nur“ um die im Christusglauben Verstorbenen – eine ganz kleine Gruppe. In anderen Korrespondenzen denkt und argumentiert Paulus dann ungleich umfassender.60 Im 1. Korintherbrief und im Römerbrief entwirft Paulus unterschiedliche Bilder der erhofften Endzeit. In 1. Korinther 15 ist es ein apokalyptisches Szenario, das die Lebenden und die bereits Verstorbenen umfasst – wieder hört man hier Brahms: Alle werden wir nicht entschlafen, alle aber werden wir verwandelt werden πάντες οὐ κοιμηθησόμεθα, πάντες δὲ ἀλλαγησόμεθα, im Augenblick, in einem Wimpernschlag, bei der letzten Posaune; die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferstehen ἐγερθήσονται unverweslich, und wir werden verwandelt werden. (1 Kor 15,51 f.)
Triumphal fährt Paulus in V. 54 f. fort: Dann erfüllt sich das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist in den Sieg verschlungen. Wo, Tod, ist dein Sieg? Wo, Tod, dein Stachel? (Jes 25,8 κατέπιεν ὁ θάνατος, aus der Jesajaapokalypse; Hos 13,14 ἐκ χειρὸς ᾅδου ῥύσομαι αὐτοὺς καὶ ἐκ θανάτου λυτρώσομαι αὐτούς· ποῦ ἡ δίκη σου, θάνατε; ποῦ τὸ κέντρον σου, ᾅδη).
Hier ist der Bezug auf Jesaja von besonderem Interesse: Paulus interpretiert Jesaja und Hosea von seiner Auferstehungschristologie her und bestätigt die Kontinuität zwischen der prophetischen Hoffnungstheologie und seiner eigenen Auferstehungsbotschaft. Ganz allgemein und umfassend ist dann Röm 8,20–25, wo Paulus zunächst auf die Schöpfung blickt, danach auf die Existenz der Menschen und dann Beides in Beziehung setzt, so dass ein umfassender Hoffnungstext von hoher literarischer und argumentativer Aspiration entsteht: Der Nichtigkeit ist die Schöpfung ἡ κτίσις unterworfen, nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat – (doch) auf Hoffnung ἐφ’ ἑλπίδι, weil nämlich auch die Schöpfung selbst befreit werden wird von der Sklaverei der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung gemeinsam seufzt und in Wehen liegt bis jetzt; nicht allein aber (sie), sondern auch wir selbst, die wir das Unterpfand des Geistes haben, auch wir seufzen bei uns selbst und erwarten die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes. Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet, Hoffnung aber, die man (bereits) sieht, ist keine Hoffnung. Denn wer (bereits) sieht,– wer wird (da noch) hoffen? Wenn wir nun das erhoffen, was wir nicht sehen, dann warten wir in Geduld.61 Ch. Böttrich, „Auferstehung“, 467. Zum Text vgl. R. Jewett, Romans, 520 f.
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In V. 25 formuliert Paulus eine seiner sehr seltenen Definitionen, hier zunächst ex negativo, dann positiv verbal: ὃ οὐ βλέπομεν. Hoffnung definiert sich also im Gegensatz zur Sichtbarkeit. Sie ist ein Zukunftsgut und gleichzeitig eine Lebenshaltung: δι’ ὑπομονῆς ἀπεκδεχόμεθα. Den komplementären Gedanken der Hoffnung als Seufzen und Warten – Motive aus den Psalmen – unter den Bedingungen der irdischen Existenz und gleichzeitig als Sehnsucht nach der himmlischen Existenz hat Paulus im 2. Korintherbrief und im Philipperbrief ganz persönlich formuliert: Denn wir wissen, dass wenn unsere irdische Wohnstatt dieses Zeltes aufgelöst wird, wir einen Bau aus Gott haben, eine Wohnstatt, nicht mit Händen gemacht, ewig in den Himmeln. Deshalb seufzen wir auch und ersehnen ἐπιποθοῦντες, bekleidet zu werden mit dieser Wohnstätte aus dem Himmel, ob wir dann auch62 bekleidet und nicht nackt erfunden werden. Denn solange wir in diesem Zelt sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir nicht ausgekleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. (2 Kor 5,1–4)63
Und im Philipperbrief: Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden („aufgelöst zu werden“) und mit Christus zu sein. (Phil 1,23)64
(4) Römer 8 eröffnet die christliche Hoffnungsexistenz, die das Leben der Gemeinden bestimmen soll. Es geht um die Existenz im Dazwischen: zwischen Leben, das zum Tod führt, und dem künftigen Leben bei Gott, nach dem sich Paulus sehnt. Dies Leben im Dazwischen ist aber nicht unwichtig, auch wenn es eine Episode bleibt – Paulus schreibt: „Die Zeit ist kurz“ (1 Kor 7,29). Diese Zeit aber ordnet Paulus nach den Standards von Glaube, Hoffnung und Liebe: Νυνὶ δὲ μένει πίστις, ἐλπίς, ἀγάπη, τὰ τρία ταῦτα (1 Kor 13,13). Hier wird Hoffnung zusammen mit Glauben und Liebe zur gegenwärtigen christlichen Lebens- und Verhaltensform, ja zur Tugend (τις ἀρετή Phil 4,8), die das Unmögliche möglich macht. So wie „Abraham gegen alle Hoffnung auf Hoffnung hin glaubte“ (Röm 4,18), sollen die Christen „im Geist aus Glauben die Hoffnung auf die Rechtfertigung erwarten“ (Gal 5,5) und Liebe üben. Während Glaube und Hoffnung in Gottes Zukunft an ein Ende kommen werden, wird die Liebe bleiben (1 Kor 13,13), denn sie allein ist die Lebensform Gottes und Christi: (Nichts) kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist. (Röm 8,39) 62 Th. Schmeller, Brief, übersetzt positiv: „insofern wir ja auch dann, wenn wir uns (neu) bekleidet haben, nicht nackt gefunden werden“ (282, Begründung 293). 63 Zum Text und seiner komplexen Bildwelt vgl. Th. Schmeller, Brief, 288–298. 291 f. zum hellenistischen Hintergrund des Gewandbildes. In 2 Kor steht der individuelle Aspekt der Zukunftshoffnung im Mittelpunkt. M. O’Reilly, Paul, macht auf die soziale Dimension und die gruppenbezogene Qualität der paulinischen Zukunftsaussagen aufmerksam. 64 Zum Text vgl. P. A. Holloway, Philippians, 95–101.
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Die Liebe verbindet die jetzige und die zukünftige Existenz, und sie verbindet die Christen mit Christus. (5) Dennoch bleibt Gott der Gott der Hoffnung: das abschließende theologische Wort im Römerbrief lautet: Ὁ δὲ θεὸς τῆς ἐλπίδος πληρώσαι ὑμᾶς πάσης χαρᾶς καὶ εἰρήνης ἐν τῷ πιστεύειν, εἰς τὸ περισσεύειν ὑμᾶς ἐν τῇ ἐλπίδι ἐν δυνάμει πνεύματος ἁγίου. (Röm 15,13)
8. Die Hoffnung bleibt bei Gott und bleibt im Bild Diese Grundlage der paulinischen Hoffnungstheologie sei abschließend skizziert. In den Schriften Israels und der ersten Christen ist der Hoffnungsbegriff und sind die Hoffnungsbilder gleichermaßen immer an Gott gebunden und auf das gelebte Leben des Einzelnen und Israels bezogen. Hoffnung ist die Lebensform Israels. Hier liegt die Kontinuität. Dem theologischen Vordenker der frühesten Christen, Paulus, gelingt zugleich das Neue: die Vision einer Verschränkung von Hoffnungsexistenz im gegenwärtigen Leben mit dem auferstandenen himmlischen Christus. Und Paulus kommt zu einer umfassenden Vision einer Zukunft in Gott jenseits des politischen Schicksals Israels und jenseits des gegenwärtigen Lebens in Glaube, Hoffnung und Liebe, das die christlichen Gemeinden bestimmen soll. Hoffnung ist bei Paulus daher einerseits eine gegenwärtige Lebensform der Christus bekennenden Gemeinden. Paulus nennt dies die gegenwärtige Existenz „in Christus“65 – und das heißt Leben in Glauben, Hoffnung und Liebe und ihren ethischen Erscheinungsformen. Andererseits ist Hoffnung eine theologische universale Interpretation der zukünftigen neuen Existenz des Kosmos und nicht nur der Christen, sondern auch der Juden und der Heiden. Denn: alle werden gerettet werden: (Gott) wird sich aller erbarmen. (Röm 11,32)
Hier ist Paulus bewusst terminologisch unscharf (Röm 11,25f) und bleibt im Bild, im Geheimnis (μυστήριον Röm 11,25; 1 Kor 15,51). Das Wie des Heilshandelns überlässt Paulus Gott und dem Kyrios Jesus Christus. Eins aber ist sicher: Eine Grenze für die Hoffnung gibt es seit dem Römerbrief nicht mehr. Das ist mehr und auch sehr anders als die Hoffnung Israels auf erfülltes Leben in der Jetztzeit, denn Paulus ist überzeugt: Wenn wir nur in diesem Leben auf Christus hoffen, sind wir die elendsten aller Menschen: εἰ ἐν τῇ ζωῇ ταύτῃ ἐν Χριστῷ ἠλπικότες ἐσμὲν μόνον, ἐλεεινότεροι πάντων ἀνθρώπων ἐσμέν. (1 Kor 15,19)
Th. Morgan, Being ‘in Christ’.
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Paulus geht über die Hoffnung Abrahams (Röm 4,18) und über die Hoffnung der Makkabäer und Pharisäer auf Gerechtigkeit gegenüber den Gerechten, den Frommen und dem Volk Israel jenseits dieser Weltzeit hinaus. In 1 Kor 15,23– 28 entwirft er in apokalyptischen Bildern von einem Endkampf ein Szenario der Endzeit im Sinne einer Totale. Höhepunkt ist die Entmachtung des Todes durch Christus: „Als letzter Feind wird der Tod vernichtet“ (V. 26). Hier fällt die Grenze von Genesis 3 endgültig. Zugleich fällt damit aber auch die Grenze zwischen Geretteten und nicht Geretteten – und damit eröffnet sich die Perspektive der Barmherzigkeit und Liebe jenseits der Erfüllung von Gerechtigkeit. Paulus schließt mit der Vision, „dass Gott sei alles in allem“ (1 Kor 15,28). Dabei bleibt auch Paulus, der erste christliche theologische Denker, bei der Zukunft in Bildern, im „Geheimnis“ ἰδοὺ μυστήριον ὑμῖν λέγω (1 Kor 15,51), denn über diese Welt und diese Zeit hinaus kann er nur in Bildern denken, in Bildern aus der jüdischen Apokalyptik und in mystischen Bildern66, die ihm seine Christusverbundenheit in den Mund legt. Immer haben die Sprachbilder in der Hoffnungsdiskussion das letzte Wort. Es sind sprachliche Bilder, und die Theologen wissen nicht sehr viel mehr als die Dichter67, die ihrerseits, jedenfalls wenn sie Goethe heißen, nicht eben unbescheiden sind und sich doch auch angesichts der Zukunftshoffnung bescheiden müssen: Dichterworte, um des Paradieses Pforte, immer leise klopfend schweben, sich erbittend ewges Leben. (Goethe, Westöstlicher Diwan, Hegire)
Auch hier heißt es: hoffen und bitten, nicht wissen und belehren. Die Hoffnungsbilder, nicht das Objektwissen oder -hoffen, wurden und werden in Sprachbilder und in Töne gesetzt, so dass sie die Seele unmittelbar erreichen – die hoffende Seele Schillers, die arme Seele Paul Gerhardts, die Gottes-durstige Seele des Psalmisten, die ewigkeitshungrige Seele des Predigers, das „Ich“ des Paulus. Die R. von Bendemann, „Christusgemeinschaft“, 305–309 (Lit.). Dazu die Schlussüberlegungen von St. Matuschek, Himmel, 369–373. Nach Matuschek beschäftigt sich die Romantik mit den für die Aufklärung „zu großen Fragen – zu groß für die arbeitsteilig spezialisierten, auf überprüfbare Ergebnisse hin arbeitenden Wissenschaften“. Matuschek fährt fort: „Die Romantik entsteht dadurch, dass eine ganz neue Instanz wirksam wird, um solch große Fragen jenseits klarer Begriffe zu behandeln: die für die private Lektüre geschriebene Literatur“ (371). Paulus hat statt dieser Art der Literatur den literarisch ambitionierten Gemeindebrief gewählt. In dem kurzen Text: Die Gräber der Humboldts, hat Hans Blumenberg die Beschreibung der Humboldtschen Grabstätte in Tegel, die Fontane zu folgendem Satz veranlasste: „Im Herzen dessen, der diesen Friedhof schuf, war eine unbestimmte Hoffnung lebendig, aber kein siegesgewisser Glaube“, klug kommentiert. Er schließt mit Fontane: „Nur Schloß Tegel hat ein drittes Element in seinen Mauern beherbergt, jenen Geist, der, gleich weit entfernt von Orthodoxie wie von Frivolität, sich inmitten der klassischen Antike langsam, aber sicher auszubilden pflegt, und lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme, des Diesseits genießt und auf das rätselhafte Jenseits hofft“ (H. Blumenberg, Fontane, 84). 66 67
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IV. Rezeption
Gewissheit über „die letzten Dinge“, auf die Luther hin gestorben ist, ist immer eine Gewissheit der Hoffnung gegen alle Hoffnung. Das lernen wir von Paulus. Aus der Seele der Psalmisten ist die Hoffnung erwachsen, und zur „armen Seele“ sprechen auch Paulustexte wie Römer 5, wo wieder nicht die Hoffnung, sondern die Liebe das letzte Wort hat: … Wir rühmen uns der Herrlichkeit Gottes auf Hoffnung hin καυχώμεθα ἐπ’ ἐλπίδι τῆς δόξης τοῦ θεοῦ. Nicht allein das aber, sondern wir rühmen uns auch in den Bedrängnissen, wissend dass die Bedrängnis Geduld bewirkt, die Geduld aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung ἐλπίδα. Die Hoffnung aber wird nicht zuschanden, weil die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist ἡ δὲ ἐλπὶς οὐ καταισχύνει, ὅτι ἡ ἀγάπη τοῦ θεοῦ ἐκκέχυται ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν διὰ πνεύματος ἁγίου τοῦ δοθέντος ἡμῖν. (Röm 5,2–5)
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24. Paulus als frühchristlicher Hoffnungstheologe
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A. Dihle/B. Studer/F. Rickert, „Hoffnung“, in: RAC 15 (1991), 1159–1250. A. du Toit, „Hoffnung III. Neues Testament“, in: RGG4 3 (2000), 1824–1826. L. Finscher, „Psalm III. Die mehrstimmige Psalmkomposition“, in: MGG2 7 (1997), 1876– 1897. J. A. Fitzmyer, First Corinthians (AYB 32; New Haven/London: Yale University Press, 2008). J. Frey, „Gericht und Gnade“, in: Paulus Handbuch (hg. F. W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 471–479. J. Frey, „Das Judentum des Paulus“, in: Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (hg. O. Wischmeyer/E.-M. Becker; UTB 2767; Tübingen: Francke, 20213), 47–104. H. Geyer/B. J. Wertenson (Hg.), Psalmen. Kirchenmusik zwischen Tradition, Dramatik und Experiment (Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2014). J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (Mk 8,27–16,20) (EKK II/2; Zürich/NeukirchenVluyn: Benziger, 19995). F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments I. Die Vielfalt des Neuen Testaments (Tübingen: Mohr Siebeck, 20052). J. Harst/T. Schmid, „Pandora“, in: Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart (hg. M. Moog-Grünewald; DNPSuppl. 5; Stuttgart/Weimar: Metzler, 2008), 54–550. F. Hartenstein/B. Janowski/A. A. Häußling/P. Plank/A. Völker/H.-J. Stefan/I. Baldermann/K. Klek, „Psalmen/Psalter“, in: RGG4 6 (2003), 1761–1785. B. Heininger, „Die Parusie des Kyrios“, in: Paulus Handbuch (hg. F. W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 299–305. P. A. Holloway, Philippians. A Commentary (Hermeneia; Minneapolis: Fortress, 2017). R. Jewett, Romans. A Commentary (Hermeneia; Minneapolis: Fortress, 2007). O. Kaiser, „Hoffnung II. Altes Testament“, in: RGG4 3 (2000), 1823. H.-G. Link, „Hoffnung“, in: HWbPh 3 (2019), 1157–1166. A. J. Malherbe, The Letters to the Thessalonians (AYB 32B; New Haven/London: Yale University Press, 2000). St. Matuschek, Der gedichtete Himmel. Eine Geschichte der Romantik (München: Beck, 2021). J. Moltmann, Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie (BEvT 38; Gütersloh: Kaiser, 1964). Th. Morgan, Being ‘in Christ’ in the Letters of Paul: Saved through Christ and in his Hands (WUNT 449; Tübingen: Mohr Siebeck, 2020). G. Nebe, Hoffnung bei Paulus. Elpis und ihre Synonyme im Zusammenhang der Eschatologie (StUNT 16; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982). K.-W. Niebuhr, „Pharisäer in Jerusalem“, in: Paulus Handbuch (hg. F. W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 72–74. A. Oepke, „παρουσία κτλ“, in: ThWNT 5 (1954), 856–896. M. O’Reilly, Paul and the Resurrected Body: Social Identity and Ethical Practice (ESEC 22; Atlanta: SBL, 2020). S. Remmert, Bibeltexte in der Musik. Ein Verzeichnis ihrer Vertonungen (Dienst am Wort 74; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1996). A.-B. Renger/I. Musäus (Hg.), Mythos Pandora. Texte von Hesiod bis Sloterdijk (ReclamBibliothek 20033; Leipzig: Reclam, 2002). Th. Schmeller, Der zweite Brief an die Korinther (2 Kor 1,1–7,4) (EKK VIII/1; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2010).
562
IV. Rezeption
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Internetquellen C. Bloeser/T. Stahl, „Hope“, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (hg. E. N. Zalta; Spring 2017 Edition; https://p lato.stanford.edu/archives/spr2017/entries/hope/). E. G. Dafni, „Psalmen Salomos“, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex) (2009; https://w ww.bibelwissenschaft.de/stichwort/31540/). R. Müller, „Psalmen (AT)“, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex) (2013; https://w ww.bibelwissenschaft.de/stichwort/31528/).
Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen* 1. „A Plea for an Intellectual Biography of Paul: Paul after the New Perspective and the Radical New Perspective“ (unveröffentlicht). 2. „Paulusinterpretationen im 20. Jahrhundert. Eine kritische relecture der ersten bis vierten Auflage der ‚Religion in Geschichte und Gegenwart‘“, in: Paulus – Werk und Wirkung. Festschrift für Andreas Lindemann zum 70. Geburtstag (hg. P.-G. Klumbies/D. S. du Toit; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 649–685. 3. „Paul: A Homo Novus? Adolf Deissmann’s Interpretation of Paul Revisited“, in: Paul as Homo Novus. Authorial Strategies of Self-Fashioning in Light of a Ciceronian Term (hg. E.-M. Becker/J. P. Mortensen; SANt 6; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018), 55–72. 4. „N. T. Wright’s Biblical Hermeneutics. Considered from a German Exegetical Perspective“, in: God and the Faithfulness of Paul: A Critical Examination of the Pauline Theology of N. T. Wright (hg. C. Heilig/J. T. Hewitt/M. F. Bird; WUNT II/413; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016), 73–100. 5. „Paulus als Ich-Erzähler. Ein Beitrag zu seiner Person, seiner Biographie und seiner Theologie“, in: Biographie und Persönlichkeit des Paulus (hg. E.M. Becker/P. Pilhofer; WUNT 187; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005/2009), 88– 105. 6. „Kosmos und Kosmologie bei Paulus“, in: Weltkonstruktionen. Religiöse Weltdeutung zwischen Chaos und Kosmos vom Alten Orient bis zum Islam (hg. P. Gemeinhardt/A. Zgoll; ORA 5; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 87–102. 7. „Gerechtigkeit und Liebe. Das Verhältnis zweier theologischer Konzepte des Paulus im Römerbrief“, in: Paulus und Petrus. Geschichte – Theologie – Rezeption. Festschrift für Friedrich Wilhelm Horn zu seinem 60. Geburtstag (hg. H. Omerzu/E. D. Schmidt; ABG 48; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2016), 61–77. * Allen hier genannten Verlagen sei herzlich für die freundliche Erteilung der Wiederabdruckgenehmigungen gedankt.
564
Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen
8. „Principles of Paul’s Hermeneutics“, in: Pauline Hermeneutics: “Exploring the Power of the Gospel” (hg. E.-M. Becker/K. Mtata; LWF Studies 2016/3; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017), 37–45. 9. „Paulus als Hermeneut der GRAPHE“, in: Hermeneutik des Alten Testaments (hg. M. Witte/J. C. Gertz; VWGTh 47; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017), 71–94. 10. „Warum bleiben die Gegenspieler in den Schriften des Neuen Testaments namenlos? Beobachtungen zur anonymen Polemik“, in: Gegenspieler. Zur Auseinandersetzung mit dem Gegner in frühjüdischer und urchristlicher Literatur (hg. M. Tilly/U. Mell; WUNT 428; Tübingen: Mohr Siebeck, 2019), 3–23. 11. „Emotionen als formative Elemente neutestamentlicher Ethik am Beispiel des Paulus“, in: JEAC 2 (2020), 24–39. 12. „Romans 1.1–7 and Mark 1.1–3 in Comparison. Two Opening Texts at the Beginning of Early Christian Literature“, in: Mark and Paul. Comparative Essays Part II. For and Against Pauline Influence on Mark (hg. E.-M. Becker/T. Engberg-Pedersen/M. Müller; BZNW 199; Berlin/Boston: De Gruyter, 2014), 121– 146. 13. „Römer 2,1–24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit“, in: NTS 52 (2006), 356–376. 14. „Beobachtungen zur Gedankenwelt von Römer 8,31–39“, in: The Letter to the Romans (hg. U. Schnelle; BETL CCXXVI; Leuven/Paris/Walpole MA: Peeters, 2009), 799–809. 15. „The Era of the Good: Paul and Politics in Romans 13“ (unveröffentlicht). 16. „1 Korinther 13. Das Hohelied der Liebe zwischen Emotion und Ethos“, in: Emotions from Ben Sira to Paul (hg. R. Egger-Wenzel/J. Corley; DCLY 2011; Berlin/Boston: De Gruyter, 2012), 343–359. 17. „‚Die Liebe Christi dringet uns …‘. 2 Kor 5,14f und die Liebe Christi bei Paulus“, in: Der zweite Korintherbrief. Literarische Gestalt – historische Situation – theologische Argumentation. Festschrift zum 70. Geburtstag von Dietrich-Alex Koch (hg. D. Sänger; FRLANT 250; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 323–336. 18. „2 Korinther 12,7–8: Ein Gebet des Paulus“, in: Prayer from Tobit to Qumran, Inaugural Conference of the ISDCL at Salzburg, Austria, 5–9 July 2003 (hg. R. Egger-Wenzel/J. Corley; DCLY 2004; Berlin/New York: De Gruyter, 2004), 467–479.
Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen
565
19. „Ego-documents on Religious Experiences in Paul’s Letters. 2 Corinthians 12 and Related Texts“, in: Lived Religion in the Ancient Mediterranean World: Approaching Religious Transformations from Archeology, History and Classics (hg. V. Gasparini et al.; Berlin/Boston: De Gruyter, 2020), 181–198. 20. „Das Ereignis als Grundlage der lukanischen Geschichtserzählung von Paulus. Galater 1,16 und Apostelgeschichte 9,1–9; 22,6–10; 26,12–18“, in: Text und Geschichte. Geschichtswissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Beiträge zum Faktizitäts-Fiktionalitäts-Geflecht in antiken Texten (hg. Ch. Land messer/R. Zimmermann; VWGTh 46; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017), 307–337. 21. „Wie kommt Abraham in den Galaterbrief? Überlegungen zu Gal 3,6–29“, in: Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung der Theologie des PaulusSchreibens (hg. M. Bachmann/B. Kollmann; BThSt 106; Neukirchen-Vluyn: Neukirchner, 2010), 119–163. 22. „Philippi und Jerusalem: Sind Phil 3,20 und Gal 4,24–26 politische oder ethische Texte?“, in: ThZ 69 (2013), 298–319. 23. „Paulus über die Liebe. Das dreizehnte Kapitel des 1. Korintherbriefs und sein Platz im europäischen Liebesdiskurs“ (unveröffentlicht). 24. „Paulus als frühchristlicher Hoffnungstheologe. Grundlagen, Struktur und Rezeption des Elpis-Konzepts“ (unveröffentlicht).
Stellenregister I. Biblische Quellen 1. Altes Testament/Hebräische Bibel Gen 1 119, 155–159 1,1 269 1,3 158 1,26 155 1,27 93 2 156, 160 2,7 159 2,17 307 3 559 3,19 542 6,7 350 12,3 200, 208, 445 f., 460 13,15 206, 447 15 206 15,6 208, 444 f., 460 15,6 LXX 436 16 454, 482 16,15 481 17,5 460 17,8 206 18,18 446, 460 21 206, 482 21,2 481 21,2–13 481 21,12 f. 481 24,7 206 25,23 LXX 200 46,2 427 Ex 3,3 3,6 12,40
427 550 448
20,5 f. 34 34,34 34,35 Lev 18,5 LXX 18,5 19,17 19,18
508 186, 208 186, 209 186
19,33 19,34
202 439, 446 f. 510 177, 237, 252, 254, 507, 510, 513 f., 516 510 510
Dtn 6,4 6,4 f. 6,5 7,7–9 21,23 25,4 27–30 27,26
509 173, 513 509 509 440, 446 206 115 202, 438, 440, 446
1 Sam 3,4 3,10
427 427
1 Kön 19,10 19,18
201 201
Ps 6,4 f.
382
568 6,6 542 9 541 9,14 541 9,15 541 13,2 f. 539 14,1–3 169 15,8–11 LXX 545 16,8–11 545 21,6 LXX 552 21,27 LXX 546 22 539 22,27 546 27 538 27,14 536, 538 30,10 542 31,1 f. LXX 203 37 539 37,1–5 539 37,5 536 f. 37,9 539 39 540 f. 39,5 540 39,6 540 39,7 540 39,8 540 f. 39,13 541 39,14 541 42,3 540 42,6 383, 536 f. 42,12 536 f. 43,23 LXX 319 44,2 540 49 546 49,11 546 49,12 542 49,14–16 546 49,21 542 61,13 LXX 294 68,23 f. LXX 203 71,20 541 88,11–13 542 88,14 542 130 538 130,1 537 130,5 537 130,6 537 130,7 537
Stellenregister
Spr 24,12
294
Pred/Kohelet 3 542 3,11 546 3,19 f. 542 7,20 169 9,3–5 542 Hohelied 8,6 f.
501
Jes 11,10 LXX 529 24–27 544 25,8 556 25,9 544 26 544 26,13–15 545 26,19 545 28,16 201 40 268 40,27–31 543 49,8 LXX 95, 188 52,5 169 53 369 65,17 f. 544 Jer 2,2 3,19 f. 31,3 38,3 LXX
510 510 173, 510 173
Klagelieder Jeremiae 3,18–33 543 Hes/Ez 37 544 37,12 544 Dan 12,1–3
547
Hos 1,1 1,2
289 269, 279 f.
569
I. Biblische Quellen
1,4 11,1 11,4 13,14
280 510 510 556
Hab 1,5
196
2,4 Mal 1,2 LXX
118, 202, 439, 445–447, 461 200
2. Deuterokanonische und verwandte Schriften Jdt 11 230 23 252 SapSal/Weish 2,11 3,1–4 3,7 f. 7 7,22–8,1 7,23 7,27 7,28 15,1 ff.
379 548 548 515, 517 515 515 515 515 292
Sir 44,19–21
460
2 Makk 5,14 5,15 7,9 7,36
548 548 547 547
4 Makk 1,13–3,18 17,7 17,12 17,16
350 403 403 403
3 Esr 4,35
515
PsSal 3 548 3,3–5 549 3,11 549 3,12 549 8,7 549 8,23 549 8,24 549 9,2 549 10,5 549 13,11 549 14,3 f. 549 15,12 f. 549 17 549 TestXIIPatr Dan 5,3 Iss. 7,6
514 514
Qumrantexte 1QH IV,29–37 1QH XII,31
168 168
3. Neues Testament Mt 1,1 267 4 331
4,8–11 331 5 331 5,7 251
570
Stellenregister
5,39 5,43 5,43–45 5,43–48 6,10 7,1 7,1–5 7,12 9,23 12,21 16,17–19 16,18 16,18 f. 18,23–35 19,19 22,19 22,39 23 23,3 23,23 24,3 24,27 25,31–46 26,3 26,36–46 26,39 26,42 26,52 26,57 27,37 27,39 28,18
378 518 514 514 384 304 304 177 251 529 279 412 34 304 518 331 518 222, 299, 304 f. 304 251 554 554 508 221 384 384 384 331 221 554 554 329
Mk 1 1,1 1,1–3 1,1–4 1,2 1,2 f. 1,2–4 1,2–15 1,3 1,4 1,4–13 1,5 1,6 1,7
119, 265, 276 266, 268 266–269 266–268, 285 268 267 f. 267 268 268 266–268 266 f. 267 267 267
1,9 267 1,10 267 1,11 267 1,12 267 1,13 267 1,14 267, 280 1,14–15 287 3,22 223 7,6–15 222 8,33 222, 227 10,41–44 331 10,43 338 12,17 330 f. 12,18–27 550 12,29–31 513 12,31 518 12,32 f. 514 12,33 518 12,37–40 222 13 274, 276, 331 13,14 283 14 386 14,24 512 14,32 383 14,32 ff. 378 14,32–42 383 14,33 383 14,34 383 14,35 383 f. 14,35 f. 384 14,36 383 f. 14,37 384 14,41 385 14,65 378 Lk 1 119 1,1 416 1,1 f. 416 1,2 f. 416 1,5 408 2,1 f. 408 3 304 3,1 408 3,1 f. 408 3,7 304 3,7 ff. 304 3,8 294
I. Biblische Quellen
6,15 6,27–36 10,9 10,25 10,25–37 10,27 10,37 16,19–31 20,20 22,4–46 22,41 22,42 24,18 24,27
221 514 416 222 253 518 251 400 331 384 384 384 416 205
Joh 1 119 3 366 3,16 366 6,60–71 224 6,70 f. 222 8 304 f. 8,44 223 12,20–23 382 12,23–32 382 12,27 382 12,27 f. 381 f. 12,28 382 12,29 f. 382 12,33 382 13,1 364 13,34 242 15 365 15,9–12 365 15,12 f. 365 15,13 364 18 221 18,33–37 332 19,12 332 21,15–19 279 Apg 1,1 1,1 f. 1,8 1,13 1,21 f. 2,25–28
416 232 416 221 231 545
2,31 545 4,6 409 4,36 f. 231 5,5 231 5,11 482 5,34 409 6,1–6 232 7 120, 304 8,1 412, 482 8,9–25 231 9 421 f., 424 f., 427 f. 9,1–3 423 9,1–9 419, 424 9,1–22 424 9,3–6 423 9,4–6 423 9,6 423 9,7–9 423 9,7–22 424 9,10 ff. 423 9,10–16 423 9,10–22 423 9,15 423 9,20 423 9,22 423 11,2 231 11,22 482 11,26 91, 191, 326, 412 13 120 13 f. 47 13,1 231 13,6–12 231, 409 13,13–41 194 13,16–25 194 13,27 ff. 195 13,38 ff. 196 15,1 231 16,16–22 334, 479 16,37 470 17 30, 32 17,31 552 17,31 f. 552 17,32 552 19 f. 137 21,39 470, 475 22 421, 424 f. 22,1–16 424 22,3 424
571
572 22,6–10 22,14 f. 22,15 22,21 22,25 22,26 22,27 22,28 22,29 23,1 23,1–9 23,6 23,27 24,14 24,14 f. 24,15 24,21 26 26,3 26,4–8 26,5–8 26,6–8 26,12–18 26,14 26,16 26,16–18 26,19 f. 26,20 26,22 26,24 26,28 26,31 28,20 28,22 28,23 f. Röm 1 1–3 1–8 1–3,20 1–11 1,1 1,1–5 1,1–7
Stellenregister
419 424 425 424 470 470 470 252, 326, 470 470 252 222 529, 551 f. 470 221 551 529 529, 551 32, 421, 425 425 425 551 529 419 425 f. 425 425 425 425 425 425 92, 412 425 529, 551 231 196 31, 168, 265, 276, 284 f., 291, 294, 296, 299, 301–303, 371, 462 6, 167 f., 170, 177, 292, 295, 310, 317, 321, 459 313, 370 34 293 31, 298, 333, 368 27, 31 129, 202, 269 f., 279
1,1–8,30 1,2 1,3 f. 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8–15 1,11 1,12–3,10 1,13 1,14 1,15 1,16 1,16 f. 1,17 1,17 f. 1,18 1,18 ff. 1,18–32 1,18–3,19 1,18–3,20 1,18–3,21 1,18–3,31 1,19 1,19–23 1,20 1,21 1,24 1,24 ff. 1,24–28 1,26 1,29 1,29 ff. 1,31 1,32 1,39 2 2,1 2,1 ff.
315 187, 191, 199, 201, 203, 206, 270, 285 187, 205, 270 333 31, 93, 270, 272, 333, 368 182, 270 472 279 307 316 136 31, 93 287, 295, 298, 472 294 f., 333 167, 295, 298 170, 199, 294 f., 298, 321, 366, 447 370 296–299, 308, 317, 476 167, 303, 306 f., 320, 461 149, 169, 171, 296–299, 306, 309 298 167 f., 171, 295, 298, 307, 309 6 295 299 297 461 299 299 307 297 249, 299, 352 252 299 170 316 370 33, 167–169, 291–299, 301, 303–310, 462 168, 293, 295, 298 f., 304 f., 316 299, 309
2,1–4 2,1–5 2,1–6 2,1–10 2,1–11 2,1–16 2,1–29 2,1–3,8 2,1–3,20 2,2 2,3 2,4 f. 2,5 2,6 2,6–10 2,7–10 2,9 f. 2,11 2,11–16 2,12 2,12–15 2,12–16 2,13 2,14 2,14 f. 2,14–16 2,16 2,17 2,17 f. 2,17 ff. 2,17–20 2,17–24 2,17–29 2,17–3,20 2,21–23 2,23 2,24 2,25 2,25 ff. 2,25–29 2,26 2,27 2,28 f. 3 3–8 3,1 3,1 ff.
I. Biblische Quellen
573
3,1–8 3,1–9 3,1–20 3,2 3,3 f. 3,4 3,6 3,9
168 f., 302 302 298, 301 202, 210 202 199 172 169, 296, 298, 302 f., 308 303 199 169 301 301 301 301 302 172, 202, 298, 303 169, 303, 316 298, 444 170, 174, 199, 203 174 175 298 167, 172 174 171, 174 175 371 174, 176 295, 444 295 444 7, 435 f., 443 f. 176 435 199 199 f., 203 199 199, 444, 463 444 444 199, 460 557, 559 199 117, 212, 307, 369, 373, 518, 560 321, 366, 369, 371, 374
296 306 305 294, 296, 298–300, 304 169, 292 f., 317 292 f. 293 292 293, 303 299 305 294 172, 296 f., 299 294 296 300 300 297, 300, 303, 308 294, 296 f., 300, 308 297, 303, 316 171 169, 300, 309 171, 294, 297 295, 308 67 297 172, 297 293, 304 292 303, 316 297 169, 294, 296 f., 301 f., 304 f. 458 438 297 301, 305 169, 199, 297 302 303 169, 296 f., 302, 308 302 172, 297, 302 297 295, 298, 444 33 296, 303 303, 316
3,9 ff. 3,10 3,10–12 3,14 3,14 f. 3,15 3,16 3,18 3,19 3,19 f. 3,20 3,21 3,21 f. 3,21–26 3,21–31 3,21–8,39 3,24 f. 3,24–26 3,25 3,25 f. 3,26 3,28 3,28–31 3,29 4 4–8 4,1 4,3 4,6 4,9 4,13 4,14 4,16 4,17 4,18 4,23 5 5–8
574 5,1 5,1 ff. 5,1–11 5,2 5,2–5 5,5 5,5–8 5,5–9 5,5–11 5,7 5,8 5,9 5,10 5,10 f. 5,14 6,4 7 7,7 7,7 ff. 7,7–13 7,8 7,9 7,9–13 7,10 7,11 7,12 7,13 7,14 7,15 7,24 8 8,1 8,1–13 8,3 8,15 8,18–23 8,18–30 8,20–25 8,24 f. 8,25 8,26 8,31 8,31 f. 8,31 ff. 8,31–34 8,31–38
Stellenregister
371, 513 320 371, 513 513 560 176, 371, 373, 552 513 175 368 368 365, 373, 512 371 371 f. 371 203, 206, 369 366 59, 65, 141, 199, 304, 352, 354 199 141 134, 140 199 199 171 199 199 199, 203 199 199, 203 18 310, 354 6, 31, 52, 176 f., 354, 370, 373, 557 310, 355 147 171 252 149 556 556 553 557 212 315 f., 320 f. 320 317 316, 320 370
8,31–39
6, 313–315, 317, 320, 370 f. 8,32 313, 316 f., 320, 371 f. 8,33 175, 316 f., 320 8,34 175, 313, 316 f., 371 8,35 175, 313, 318 f., 363, 371, 373, 512 f. 8,35–39 321 8.36 199 8,37 313, 319, 363, 370 f. 8,38 321 8,38 f. 320, 335 8,39 110, 175, 318–320, 512 f., 557 9 200, 206 9–11 200, 212 9,4 200, 203 9,4 f. 168, 201 9,4–6 210 9,5 462 9,6 200, 202 9,9 201 9,12 200 9,13 199 f. 9,15 199 f., 203 9,17 199 f. 9,25 199 f., 203 9,26 200 9,27 200, 203 9,29 200 f., 203 9,33 199, 201 10 200 f. 10,5 199 f., 202 f. 10,6 199 f., 476 10,8 199 10,9 394 10,11 199 10,14 188 10,15 199 10,16 199 f., 203 10,18 199 10,19 199 f., 203 10,20 199 f., 203 10,21 199 11 201 11,1 88, 168 11,2 199 11,4 199
575
I. Biblische Quellen
11,9 11,18 11,25 11,25 f. 11,25–27 11,26 11,32 12 12–14 12–15,13 12,1 12,5 12,8 12,10 12,26 12,17 12,19 13
199 f., 203 199 168, 252, 556, 558 558 33 199, 556 558 177 f., 335, 516 6, 329 335 336 335 251 251 252 336 199 6 f., 34, 177, 252, 276, 330, 333–335, 338–342, 516 13,1 332, 336 f., 341 13,1–7 6, 332, 334–336, 338, 340 13,3 252 13,3–4 337 13,4 337 13,6 337 13,7 177, 252 13,8–10 177, 202, 338, 508, 516 13,9 199, 516, 518 13,10 178, 188, 516 13,11 335 13,11–14 167, 335 13,12 335 13,13 251 14 299 14,1–15,6 335 14,4 304 14,11 199 15 31, 276 15,3 199 15,4 199, 552 15,9 199 15,10 199 15,12 199, 203, 529 15,13 553, 558 15,14 ff. 129 15,15 f. 334
15,17–22 15,17–29 15,19 15,20 15,21 15,22 15,23 15,23–29 15,25 15,26 15,31 16 16,1 16,1–4 16,17 f. 16,17–20 16,23
140 473 31, 93, 141, 472 f. 200 199 136 93 134 472 472 472 276, 282 472 338 228 228, 334 471, 475
1 Kor 1 356 1,1 269 1,10 224 1,10–17 224 1,11 224 1,12 226, 395 1,12 f. 224 1,18 ff. 161 1,19 199 1,31 61, 199 2 356 2,1–5 136 2,3 252 2,9 199 3,1 f. 136 3,3 251 3,19 199 3,21 188 4 516 4,1–5 250 4,5 304 4,6 199 4,6–13 378 4,7 61 4,10 252 4,11 378 4,16 250 4,21 251, 356 5–11 520
576
Stellenregister
5,5 378 5,12 304, 327, 329 6,16 199 7,5 378 7,29 557 7,35 251 8 393 8,1–6 520 8,6 114 9 31, 250, 395 9,1 31, 77, 397, 420 f. 9,1–18 135 9,6 225 9,8 199, 202 9,9 199 f., 202 f., 206 9,10 199, 206 9,14–27 368 9,17 368 9,19–23 18, 31, 76, 113, 136 9,20 88, 113 9,20 f. 93 9,23 137 10,2 203 10,4 205 10,6 206 10,7 199 10,11 206 10,15 252 11,1 250 11,17–34 393 11,19 224 11,25 512 11,34 199 11,22 378 12 33, 518 12–14 196, 205, 374, 396, 516 12,1–3 392 12,2 354 12,10 181 12,13 252 12,23 251 12,24 251 12,27–30 518 12,31 253, 517, 520 13 6, 7, 122, 137, 173, 252, 347 f., 351, 353, 355–358, 491–493, 498,
13,1 13,1–3 13,1–4 13,1–17 13,2 13,3 13,4 13,4–7 13,5 13,6 13,7 13,8 13,8–11 13,8–12 13,8–13 13,11 13,12 13,13 14 14,1 14,20–25 14,21 14,26 14,34 14,40 15 15,1–7 15,1–11 15,3 15,3–8 15,4 15,5 15,5–7 15,8 15,10 15,12 15,12–19 15,19 15,20–26 15,20–28 15,20–55 15,22 15,23
504, 506, 508, 514–518, 520–523 253, 491 137, 358, 359, 517 f. 492 492 253, 491 253, 519 177 253, 355, 357–359, 517–519, 521 492 492 253, 492 253, 492 253 517 f., 520 358 f. 136 f. 253 f., 256, 515, 519 253, 505, 517, 557 34, 519 f. 358 252 199 f., 202 181, 196 202 251 7, 31, 34, 117, 158, 160, 329, 335, 369, 394, 396, 398, 520, 552, 555 396 159 199, 369, 396 396, 553 199 31 225 31, 77, 397, 420 f. 31, 77 225, 299 159, 555 558 160 159, 160 149 369 554
I. Biblische Quellen
15,23–28 15,24 15,25 15,26 15,28 15,29 15,29–34 15,32 15,33 15,35 15,35–49 15,38 15,42–49 15,45 15,45–49 15,50–55 15,51 15,51 f. 15,54 16,3 16,3–9 16,8 2 Kor 1–7 1,1 1,8 f. 1,15 f. 1,23 1,23 f.–2,1 ff. 2–7 2,1 2,5 2,12 2,12 f. 2,14–7,4 3 3,1 3,1–3 3,1–4,6 3,1–4,18 3,3 3,4–18 3,6 3,7 3,8 3,9
559 329, 335 329 559 119, 559 225 159 472 249 5, 159 157 f., 556 159 159 199, 369 461 520 558 f. 556 199–201, 556 472 134 472 186 472 137 137 472 137 364, 367 f. 137 175 472 137 f. 363 185 f., 210 373 209 208 185 186 208 186 f., 202, 208 f., 439, 512 186, 203 186 186
3,11 3,13 3,13–16 3,14 3,15 3,15 f. 3,16 3,16–18 3,17 4,1–6 4,6 4,13 5 5,1 5,1 f. 5,1–4 5,1–10 5,9 5,11–21 5,12 f. 5,14 5,14 f. 5,14–17 5,14–21 5,15 5,15 f. 5,15–21 5,17 5,17–21 5,18 5,18–21 5,19 5,21 6,1 f. 6,2 6,11 6,11–13 6,17 f. 7,5 7,5–13 7,8 7,11 7,15 8,6 8,15 8,16–24 8,18 8,22
577 186 186, 203 186 186, 512 200, 203 209 210 187 f. 46, 176, 210 158, 444 66, 158 199 364–369, 371, 374, 480 477 476 556 f. 476 f. 477 31, 363 373 363–369, 371, 373 364, 369, 513 364 174, 363, 371 364, 371, 373 f. 6 373 94, 202, 374, 429 149 373 513 364 364, 371 429 95, 188, 199 472 374 200 252 137 f. 196 252 252 137 199 250 137 137
578 9,3–5 9,9 10–13 10,2 10,9 f. 10,10 10,12 11 11,4 11,4 f. 11,5–33 11,7–9 11,12 11,14 f. 11,16–12,13 11,19 11,21 f. 11,21–33 11,22 11,23 11,23–26 11,23–27 11,25 11,26 11,28 f. 11,32 11,32 f. 12 12,1 12,1–4 12,1–5 12,1–10 12,2 12,4 12,5 12,6 12,7 12,7–9 12,7–10 12,8 12,8 f. 12,9 12,10 12,20 12,24 f. 13,2
Stellenregister
137 f. 199 138, 226 f., 250, 399 227 129 227, 394, 403 227 227, 377 227 227 402 137 f. 374 227 138 252 227 31 88 337 138 137 f. 334 138, 470 f., 475 368 471 f., 475 137, 138 6 f., 31, 374, 377, 382, 386, 389, 394, 422 377 139, 401 399 f. 129, 134, 137 f., 142, 389, 398–400, 402, 422 399, 476 399 400 400 140, 377 f., 384, 400 400 377, 400 378, 384 f., 401 6, 381, 383, 401 139, 379, 402, 426 379, 402 251, 356 327 226
13,7 13,11 f. 13,13 Gal 1 1,1 1,2 1,6–9 1,7 1,8 1,9 1,10–24 1,10–2,14 1,10–2,21 1,11 1,11–2,14 1,12 1,12–2,14 1,13 1,13 f. 1,13–2,14 1,15 1,15 f. 1,16 1,16 f. 1,17 1,18 1,19 1,20 2,32 2 2,1 2,1–10 2,3 2,6 2,8 2,8 f. 2,9 2,11 2,12 2,13 2,13–15 2,14 2,15 2,15–21
226 366 366 31, 421–423, 426, 454, 482 139, 394 413 2226 226 476 226 94 452 297 419 419 94, 139, 420 139, 142, 397 88, 139, 412, 453 420, 426 138 420 368, 397, 419 6, 139, 420 f., 423 94 139, 472 225, 472 139, 225 139 47 231, 370 f., 421, 423, 482 225, 472 34 225 139, 482 139 225 225 225, 472 225, 226 225, 294 456 225 87, 168, 459 481, 484
I. Biblische Quellen
2,16 2,16–21 2,19 2,20 3 3,1 3,1 f. 3,1–5 3,1–14 3,1–4,31 3,2 3,2–5 3,5 3,6 3,6–14 3,6–28 3,6–29 3,6–4,20 3,6–4,31 3,7 3,7–9 3,8 3,9 3,10 3,10–14 3,11 3,12 3,13 3,14 3,14–18 3,15–18 3,15–25 3,16 3,17 3,18 3,19 3,19–25 3,20 3,21 3,22 3,23 3,23–29
438 371, 438 371 18, 31, 77, 92, 363, 365, 370–372, 512 6, 117, 121, 202, 207, 435–437, 439, 443 f., 450, 459–464 299, 440, 452 440 440, 442, 444 438 436 176, 210, 396, 439, 443, 444, 449 185 439, 447, 449 208, 436, 452 436, 444, 448 455 436 201 436, 481 444 f. 445 199–201, 208, 444–446, 460 445, 447 199, 202, 444, 446, 452, 460 202, 438, 445, 446 439, 445 439, 444 199, 444 208, 446 f. 208 436, 447 462 199, 206, 208, 450 201, 208, 448 448 201, 445 448 450 438 199, 208, 444 444, 451 451
3,24 3,25 3,26–29 3,27 3,28 3,28 f. 3,29 4 4,1–11 4,4 4,4 f. 4,4–6 4,5 4,6 4,8 4,8–10 4,8–11 4,9 4,12 ff. 4,12–15 4,13 f. 4,14 4,14 f. 4,15 4,21 4,21 ff. 4,21–26 4,21–31 4,22 4,24 4,24–26 4,25 4,25 f. 4,26 4,27 4,28 4,29 4,30 4,31 5 5,1 5,2 5,5 5,6 5,13 5,14
579 199, 444 451 436, 448–450 451 93, 329, 450, 453, 460 463 449, 481 117, 121, 202, 207, 436, 439, 451, 481, 483 451 33, 119, 121, 188, 449 117, 451 449 482 449 451 f., 557 392 226 451 454 401 401 401 140 401, 484 121, 482 451 482 206, 481, 484 199, 436, 484 206, 481, 512 480 472 f., 482–484 469, 470, 474, 480, 484 482, 483 199 482 482 199 436, 481 226, 450 484 452 557 450 339 199, 202, 252, 518
580
Stellenregister
5,16 5,20 5,21 5,23 6 6,1 6,6 6,12 6,12 f. 6,15 6,16
484 224, 251, 356 252 251, 356 226, 459 251 451 452 462 202, 459, 462 454, 459
Eph 1,8 2,12 4,2 4,14 4,17–19 4,31 5,1 5,2 5,21 5,25 6,5
252 252, 326 251 228 229 251 250 365 339 365 252
Phil 1 1–3 1,1 1,15 1,15–18 1,18–26 1,21 1,23 1,27 1,28 2,1 2 2,1–4 2,1–5 2,1–11 2,3 2,5 2,6–8 2,6–11 2,12 3 3,1–16
31, 227 31 269, 472 252 227 31 92 557 252, 255, 477, 479 479 255 252, 520 254 520 520 339 255 206 255 252 31, 227, 477, 484 421
3,2–5 3,2–21 3,4–16 3,5 3,5 f. 3,6 3,7 3,7 f. 3,8 3,9 3,11 3,17 3,17 f. 3,19 3,20 3,21 4,8 f. 4,15 4,15 f. 4,16 4,20 4,22
227 227 141 31, 142, 453 88 142, 202, 251 142, 421 95 421 202 142 479 477 476, 477 252, 330, 469 f., 474– 480, 484 477 477 269, 472, 475 f. 142 472 474 110
Kol 2,16–23 2,22 3,5 3,8 3,12 4,5
228 228 249 251 251 329
1 Thess 1,1 1,3 1,5 1,6 1,9 f. 1,10 2,1 2,1–12 2,2 2,3–7 2,7 2,9 2,10 2,13–16 2,14
472 555 185, 205 250 392 476 135 135 135, 472 135 135 135 135 294 223, 250
581
I. Biblische Quellen
2,15 f. 2,17 f. 2,19 3,1 3,1–5 3,1–6 3,8 3,13 4,5 4,9 4,12 4,13 4,13 f. 4,13–18 4,14 4,16 4,17 5,1–11 5,8 5,9 f. 5,23
19 135 f. 554 472 135 136 136 554 249, 352 251 251, 329 555 554 556 554 476 555 555 555 555 554
6,5 6,11
229 251
2 Tim 2,17 2,17 f. 2,23 2,25 4,3 4,4 4,14
230 225 229 251 229 229 230
2 Thess 2,1 2,2 2,8 2,9 2,15
Tit 1,1 1,10 1,14 3,1 3,2 3,3 3,9 3,10 3,11
269 229 f. 229 332 251 251 229 230 230
554 332 554 554 229
1 Tim 1,3 1,4 1,6 1,7 1,18 1,20 2,2 4,1 4,2 4,5 4,6 4,7 4,13 4,15 5,20 6,3 6,4
229 f. 229 229 f. 230 230 230 332 230 229 23 229 229 196 230 252 229 229
Phlm 7 256 8 256 9 256 10 141, 256 12 256 20 256 21 256 Hebr 13,1
251
Jak 1,8 1,19 f. 1,21 2 2,1–7 2,8 2,13 2,14–17 3,1 ff. 3,13 3,14 3,16
252 251 251 121, 253, 519 253 253, 518 251 253 229 251 251 251
582
Stellenregister
3,17 251 4 304 4,4 251 4,8 252, 304 4,11 f. 304 5,7 554 5,8 554 1 Petr 1,22 2,11–17 2,22–25 3,16 4,16
251 339 369 251 332, 412
2 Petr 1,7 1,16 1,20 2,1 2,1 f. 2,12 2,15 2,22 3,4 3,12 3,13 3,16
251 229, 554 230 229 230 230 230 230 230, 554 554 544 230
1 Joh 2,7 232 2,9 251 2,18 230 2,18–27 230 2,19 231 2,22 230 2,28 554 3 365 3,3 529 3,8–10 231 3,14–16 365 3,16 365 4,3 230 4,8 508 4,16 508 3 Joh 9 f.
218
Offb 2,6 232 2,14 230, 232 2,14 f. 232 2,20 232 12,13 331 13 331 21,4 544
583
II. Weitere antike Quellen
II. Weitere antike Quellen Apostolische Väter 1 Klem 49 f. 60 f.
517 339
Aristoteles De an. 402 249 403 249 403a16–18 355 403a17–18 248 Eth. eud. 1220b12–14
355
Eth. nic. 1105b1–23 248 1105b21–23 355 VIII 495 IX 495 X 10 326 Rhet. 1380a 356 1380b–1381a 357 1381b 357 I 2 247 I 2–11 248 II 247 II 1–11 355, 358 II 1.2 249 II 1.5 250 II 1.8 248, 250 II 1.9 248 II 2 251 II 2–11 355 II 3 251 II 4 251, 358 II 4.30 251 II 5 251 II 5.16 251 II 6 251 II 6.23 251 II 7 251 II 7.5 251 II 8 251
II 9 II 10 II 11 II 12 II 12–17
251 251 251 357 357
Cicero Agr. 2.3
85
Inv. 1.19.27 1.20.28
133 133
Rep. Somnium Scipionis 13 480 Diogenes Laertius Vitae VII, 115–116
351
Eusebius Hist.eccl. I,1
431
Hesiod Theog. 108 502 120 502 Irenäus Haer. I,26,3
232
Josephus A. J. XIII,171–173 XVIII,63 XVIII,116–119 XX,34–53 XX,197–200
221 221 221 453 221
B. J. II,119–166
221
584
Stellenregister
C. Ap. II 218
549
Vita 10–12
221
Titus Livius Ab urbe condita II 32.9–12 33 Philon Deus 52 350 54 350 55 350 63 350 68 350 69 350 f. Legat. 6–7 338 8–13 338 8.20 338 51 342 Opif. 3 154 8 154 9 154 10 154 11 154 15 f. 154 16 154 17 154 25 154 f. 26 155 27 157 30 157 30–35 155 36–130 155 68–70 155 72–76 155 72–88 155 77–88 155 89–128 155 131–150 155 134 156 135 156
136 156 142 156 143 156 144 156 146 156 148–150 156 170 157 170–172 156 Platon Apol. 40c–41c
532
Phaed. 63e 532 64a 532 67b–68b 532 Phileb. 33c–34c 39a–41b
532 532
Resp. VIII 326 IX 326 Symp. 179b 366 193d 532 195a 502 202d–206a 503 203d 503 Tim. 21a–26d 150 21b 150 27c–92c 150 28a–29d 150 29a 151 29c 150 f. 29c–47e 151 29d 150 30c 151 30d 151 31a 151 32c 151 34a 151 34b 151 38b 151 38c 151
585
II. Weitere antike Quellen
38e 151 40c 152 40d 152 41a 152 41b 152 41c 152 41d 151 f. 42b 152 42d–90e 152 42e–47e 152 48a 152 48a–69a 152 48b 152 49a 152 50b 153 51a 153 52a 152 53c–69a 153 69a–92a 153 90c 153 90d 153 90e 153 92c 150 107b 150 107d 150
Plinius Ep. 9,24 10,96 10,96 f. 10,96.3
106 412 413 328
Pseudo-Phokylides Gnomai 194 502 Rabbi Akiba Sifre Qudoshim 4 514 Seneca Ep. 73 342 116 351 Sophokles Ant. 781 505
Personenregister Agrippa II. 32, 425, 550 f. L. Alexander 429 Alexander/Philetos 217, 225, 230, 234 G. D. Alles 380 f. Antiochus IV. Epiphanes 547 Apollos 224, 395 Aristoteles/Aristotle 6, 154, 182, 237, 241, 246–251, 253, 255, 326, 348 f., 351–359, 495, 533 Augustinus/Augustine 20, 103, 132, 182, 339, 495, 530 Augustus 2, 337, 408, 532 D. E. Aune 232, 245 f., 249, 271, 275 f. Johann Sebastian Bach 537 Ingeborg Bachmann 505 f. K. Backhaus 430 C. Bakhos 207 E. Baltrusch 29, 458 K. Baltzer 273 Barjesus/Elymas 217, 231 Barnabas 140, 217, 225 f., 231 St. C. Barton 245 R. J. Bauckham 282, 409 F. Chr. Baur 3, 12, 19, 21, 56, 221, 224, 414, 418, 455 E.-M. Becker 12, 27, 30, 33, 85, 91, 129 f., 135, 137, 219, 255, 266, 268 f., 274, 412, 417, 419, 476 J. Becker 13 H. Bedford-Strohm 522 Berenice/Berenike 425 K. Berger 45, 305, 352 S. Berrin Tzoref 207 H.-G. Bethge 385 H. D. Betz 46, 90, 112, 133, 139 f., 352, 370, 392, 400, 436–438, 442, 444, 448 f., 452, 454–456, 459, 461, 481, 484
C. Bloeser 533 f. R. Boddice 244 M. E. Boring 266, 269 L. Bormann 166, 475 G. Bornkamm 4, 13, 43, 45, 56, 64–75, 77 f., 103 W. Bousset 4, 43, 45–64, 71, 74 f., 76, 100, 103, 176 D. Boyarin 12, 20 f., 24, 71, 78, 114 Johannes Brahms 540–542, 548, 556 C. Breytenbach 175 K. Brinker 306 K. Brodersen 381 R. Bultmann 2, 4, 11–14, 17, 19 f., 24, 43, 45, 51, 55–69, 71, 73–79, 99 f., 102–104, 111, 114 f., 118, 120, 122, 149 f., 171, 298, 305, 315, 319, 347, 353, 491 Ch. Burchard 421, 427 f. Th. C. Burgess 272 R. A. Burridge 273, 275 Johannes Calvin 13, 19 f. H. von Campenhausen 211 f. Catull 501 A. Chaniotis 2 Cicero 4, 84–86, 90 f., 113, 133, 139, 533 Claudius 281, 328, 330 Clemens Alexandrinus/Clement 17 Vittoria Colonna 498 H. Conzelmann 13, 43, 103, 407, 411, 418 f., 422, 427, 515 T. Dannenmann 245 Dante 498 W. D. Davies 43, 65 G. Dehn 337 A. Deissmann 4, 25, 46, 84 f., 86 f., 88 f., 91 f., 99, 103, 329, 469, 473, 554
588
Personenregister
Emily Dickinson 505 A. Dihle 164, 531, 532 f. E. Dinkler 103 Domitian 327, 331 K. P. Donfried 271 J. D. G. Dunn 23, 43, 92, 103, 140, 292 f., 314, 369, 446, 461 M. Ebner 314, 318 f. Johann Peter Eckermann 507, 524 George Eliot 504 N. Elliott 92, 335, 340, 392, 478 Erastos 475 Euseb/Eusebius 217, 412 f., 430 f. L. H. Feldman 458 Festus 32, 425 Porcius Festus 550 J. A. Fitzmyer 293, 303, 314, 491, 517 f. P. Fredriksen 15 f. D. J. Furley 158 H.-G. Gadamer 99, 103 Gamaliel d. Ältere 57, 471 C. J. Geertz 106 f. P. von Gemünden 245, 336 G. Genette 130 f. D. Georgi 226 Paul Gerhardt 536, 538 H. Görgemanns 132 Johann Wolfgang von Goethe 491, 496–498, 507, 535, 538, 546 f., 559 E. Gräßer 364 Kenneth Grahame 123, 504 A. J. Greimas 133 David ben Gurion 507 K. Haacker 293, 307, 309, 314 G. Häfner 219, 430 F. Hahn 13, 372 Hananias 423 f. A. von Harnack 92, 102, 347, 491, 506, 516 M. Heidegger 78, 104 Heinrich Heine 497 B. W. Helm 496 f.
M. Hengel 13, 16, 23, 44, 100, 103, 118, 418, 458 Herodes/Herod 2, 29, 408 Hesiod 494, 502, 516, 532 Etty Hillesum 506, 508, 514 L. Hölscher 418, 429 Homer 184, 348, 494 F. W. Horn 170, 176, 228, 238 f. R. A. Horsley 340, 392, 478 Hymenaios 217, 225, 230, 234 B. Incignieri 282 Irenäus/Irenaeus 17, 183, 211, 232 Izates von Adiabene 453 Jakobus/James 28, 32, 34, 92, 140, 221, 226, 228, 234, 383, 394, 396, 411, 482, 553 Jesus 2, 15, 24, 26, 28, 32–34, 45–48, 52–54, 58, 62, 65, 71, 73 f., 77, 88, 92–95, 110, 112, 117–120, 144, 161, 174–177, 181 f., 185, 187 f., 193, 195, 197, 201, 205, 208, 221–223, 227, 231, 233, 254, 265–271, 274–276, 280 f., 283 f., 287, 300, 304, 310, 314, 325 f., 329–334, 338, 355, 365 f., 372, 378, 381–385, 389, 392, 394, 396 f., 401, 408 f., 411 f., 415 f., 419–421, 423–426, 428, 440–442, 446, 448, 450, 452 f., 456, 461, 463 f., 476, 499, 512–514, 520, 550–552, 554, 557 f. R. Jewett 89, 91, 148, 163, 168 f., 228, 271–274, 277, 279, 281–283, 314, 316, 370, 435 f., 473 Johannes/John 234, 383, 482, 495 (Evangelist) Johannes der Täufer/John the Baptist 221, 231, 304, 408, 411, 419 L. T. Johnson 422, 427 Josephus 2, 28, 65, 88, 92, 116 f., 221 f., 229, 274, 284, 286, 391, 411, 413, 416, 458, 549 Justinus/Justin 17, 192, 211, 532 E. Käsemann 43, 103, 292, 314, 368 R. Kany 172 f. G. E. Kennedy 248, 250 H. J. Klauck 231, 266, 350
Personenregister
Friedrich Gottlieb Klopstock 531 D.-A. Koch 165, 197–199, 203 f., 207, 210, 221, 224, 408, 414 f., 418, 430, 471, 478 H. Köster/Koester 340, 367 M. Konradt 310, 420, 445, 453, 460, 462 Konstantin d. Gr./Constantine 339 St. Krauter 337 f., 340 f. J. L. Kugel 184 Louise Labé 498 P. Lampe 281 R. Last 410 F. Leo 273 H. Leppin 29 f., 337 H. Lietzmann 418 f., 429, 431 A. Lindemann 43, 347, 354, 368 f., 408 B. Linke 87 Livius/Livy 33 E. Lohse 140 f., 163, 165 f., 169 f., 293, 314 f. A. A. Long 149 Lukas/Luke 18, 28, 30, 32, 110, 119, 144, 158, 195–197, 217 f., 221, 231–233, 267, 279 f., 331, 384, 408 f., 416 f., 419, 422–431, 470 f., 550–552 Lukian von Samosata 218 f., 306 Martin Luther 13, 19 f., 24, 56, 65, 102– 104, 122, 165 f., 186, 439, 454, 511, 537, 560 A. J. Malherbe 245 f., 249, 554 f. B. J. Malina 17, 26, 353, 453 J. Marcus 267 f., 282 Markion/Marcion 12, 17 Ch. Markschies 217, 419 Olga Martynova 498, 500 W. Marxsen 282 St. D. Mason 456–459 Matthias 231 Maximus von Tyrus 515 W. A. Meeks 99, 107, 471 Philipp Melanchton 13, 104, 149 O. Merk 7, 46 E. Meyer 418 O. Michel 292 Michelangelo 498 F. Mirguet 238, 241–246, 249
589
M. M. Mitchell 12, 19, 24, 78, 265, 352 P. von Möllendorff 218 f., 306 Eduard Mörike 498 f., 535 D. J. Moo 314 f., 322 J. Mortensen 34 Nero 2, 84, 86, 327 f., 330 f., 333, 342, 413 C. Newmark 349, 354 J. H. Neyrey 26 Friedrich Nietzsche 493, 504, 506, 514, 522 Nikolaos 232, 234 E. Norden 314, 319 M. C. Nussbaum 496 A. Nygren 172, 507 f., 512 W.-H. Ollrog 228 Onesimus 107, 110, 141, 256 Origenes/Origen 17, 164, 182, 192, 211, 531 Papst Benedikt XVI. 497, 507–509, 519, 522 T. Engberg-Pedersen 65, 147–149, 160, 177, 245 f., 392 R. Pervo 412, 417, 427 f. Petrarca 498 Petrus/Peter/Kephas 12, 32, 34 f., 87 f., 140, 221–227, 234, 279, 281, 328, 383, 394, 396, 409, 411, 416, 422, 482, 545, 553 Philon/Philo 2, 5, 28, 30, 65, 91, 116, 149, 154–160, 184, 201, 204, 210, 241, 246, 249, 272, 284, 286, 337 f., 342, 350–352, 391, 454, 460 Platon/Plato 5, 113, 122, 132, 149–155, 157–160, 172, 182, 240, 248, 326, 349, 495, 498 f., 502–504, 506, 515–517, 532 Plinius/Pliny 101, 106 f., 116, 274, 326, 328, 413 U.-W. Plisch 385 Plutarch 89, 91, 113, 172, 515 Pontius Pilatus/Pontius Pilate 326, 330, 332 Pseudo-Phokylides 502
590
Personenregister
J. F. Raeder 538 Ch. Rapp 353, 355 F. Rickert 530–532 H. Roskam 282 J. Rüpke 25, 87, 90, 381, 393 E. P. Sanders 18, 43, 74, 92, 103, 292 Sappho 497 A. Scarantino 244 P. Schäfer 47, 458 R. S. Schellenberg 27 Friedrich Schiller 535 f., 559 H. Schlier 314 Th. Schmeller 305, 315, 364, 369, 371, 400, 436, 557 U. Schnelle 11, 13 f., 28, 30, 83, 89, 91, 104, 108, 137, 292, 309, 326 St. Schreiber 555 A. M. Schwemer 480, 483 L. Scornaienchi 148, 160, 245, 352 D. N. Sedley 149 Seneca 2, 89, 91, 342, 351 Shakespeare 102, 498 Simon Magus 217, 231 N. Slenczka 191 P. Söllner 483 Sokrates 502–504, 532 M. Spanneut 533 C. Spicq 367, 491 T. Stahl 533 f. K. Stendahl 15, 44, 55, 78, 103 G. E. Sterling 195 D. Stökl Ben Ezra 285 f. L. Stone 131 St. K. Stowers 305 f., 315, 392, 436 Sueton/Suetonius 411 Tacitus 411, 413 Ch. H. Talbert 273 Tertullian 17, 211 G. Theißen 245, 327, 336, 352, 414
M. Theobald 166–168, 171 M. E. Thrall 137 f., 363, 378, 399–401, 440 Titus 138, 225 Lew Tolstoi 504 Trajan 274, 328, 413 T. Vegge 219 M. Vogel 219 S. Vollenweider 4, 44 f., 48–51, 54–56, 62, 65 f., 68–78, 478 F. B. Watson 13, 99, 118 G. Weber 381 A. J. M. Wedderburn 363, 408, 418, 430 H. Weinreich 143 f. J. Weiß 103, 273, 314 C. Weizsäcker 418 H. Wendt 27 f. John Wesley 19 Patrick White 505 U. Wilckens 292 f., 300, 339 F. Wilk 197–199, 203 f. H. Windisch 363 f. D. Winston 246 M. Witte 165, 171 M. Wolter 13 f., 19 f., 28, 84, 104, 173, 365 f., 374, 408–410 W. Wrede 43, 46, 91, 103 N. T. Wright 4, 22, 29, 90–92, 99–123, 478 W. Wuellner 271 f. A. Yarbro Collins 266 f., 273 f., 277, 280, 282 f. D. Zeller 196, 205 f., 224, 347, 353 f., 358, 491 M. Zetterholm 17 f., 61 P. V. Zima 133
Sachregister Abraham/Segen Abrahams/Verheißung Abrahams 7, 32, 34, 52, 73, 117, 120 f., 189, 200 f., 205 f., 208, 372, 435–437, 441 f., 444–450, 454 f., 459–464, 481, 542, 550, 557, 559 Adam 24, 32, 59, 67, 117, 119, 140, 156, 160, 212, 308, 310, 369, 461, 463 Altes Testament/Old Testament 182, 187, 191–193, 195, 197, 211 f., 222, 269, 325 Anthropologie/anthropologische Begriffe/ Universalanthropologie/Menschenbild/ anthropology 14, 31, 34, 50, 60 f., 64, 66, 73 f., 86 f., 143, 147–150, 153, 157, 160 f., 168–172, 174, 176, 243, 295, 304, 306–310, 350, 368 f., 438–440, 445 f., 450, 461–464, 542, 550 Antijudaismus/antijudaistisch/Antijudaism 293 f., 307, 310, 483 f. Antikes Judentum/Ancient Judaism 23, 32, 77 f., 88, 104, 113, 147–149, 164 f., 185, 192–194, 353, 389, 391, 398, 453, 457, 530, 534, 550 Apokalyptik 159 f., 296–301, 358 f., 377 f., 381–384, 412, 417, 476, 478, 512, 544, 547, 554–556, 559 Apostel/apostle 5, 24, 27, 32, 34 f., 45, 65, 74, 77, 91–94, 112, 129, 135, 139 f., 187 f., 197, 205, 212, 221, 224–228, 231, 233 f., 273, 279, 281, 298, 307, 319, 328, 333, 363 f., 373 f., 379, 385, 392, 394, 396 f., 416, 419 f., 423, 425– 428, 449, 520, 553 Argumentation 30, 52, 89, 110 f., 119, 121, 130, 137 f., 140, 143, 159, 166 f., 169, 172, 197 f., 200 f., 203 f., 208, 210, 219 f., 225, 229, 233, 291, 295–299, 301–303, 307, 310, 315, 320 f., 363, 366–370, 373 f., 379, 428, 435–438,
441–451, 454 f., 460 f., 463, 477, 481, 483 f., 552 Auferstehung/Auferstehung Jesu/ resurrection 31, 34, 50, 62, 66, 142, 159, 181, 187, 205, 222, 225, 374, 392, 395, 397, 529 f., 544 f., 547, 549–553, 555 f. Autor/author 22, 27 f., 32, 84, 89–91, 93, 99, 101, 109, 120 f., 123, 131 f., 158, 191, 201, 217, 219, 266–269, 271, 274–287, 328–330, 333, 391, 400, 408, 410, 416, 425 f., 429, 457, 480, 545, 548, 552 Bekehrung/conversion 47 f., 55, 58 f., 65, 71, 112, 407, 419 f., 425–430 Bibel/bible 5, 21, 109, 112, 116 f., 182 f., 191–195, 204, 211 f., 325, 329, 341, 494–496, 508 f., 511 f., 531, 548 Brief/letter/ambassadorial letter 2 f., 5–7, 18, 22, 25 f., 30, 33 f., 44, 56 f., 61, 63, 66, 69, 71, 74, 85, 89–91, 93, 106 f., 109–111, 117, 121, 129 f., 132 f., 135– 141, 143 f., 148, 157 f., 163–167, 170, 175, 183, 185 f., 189, 195–198, 204, 208–210, 212 f., 217, 219 f., 224–234, 245 f., 250–252, 255 f., 269–273, 275– 279, 281–284, 286 f., 291, 293, 298, 304 f., 307, 310, 313, 317, 321, 330, 333, 340, 347, 352–354, 358 f., 370, 377, 384 f., 389–391, 393–398, 401, 403, 410, 415, 420 f., 426–430, 435– 438, 443–445, 451–456, 459, 462 f., 469, 472–479, 482 f., 491 f., 506, 517, 529 f., 552, 554, 556–558 Bund/Bundeskonzept/covenant 24, 88, 110, 115, 166, 173, 185–187, 201 f., 206–212, 302, 308–310, 449, 480–482, 492, 495, 509–512, 521
592
Sachregister
Christologie 46, 50, 53, 59 f., 62, 64, 66, 68, 73, 77, 149, 160, 167, 174, 187, 204, 206, 212, 230 f., 287, 321, 364, 371, 447, 512 Cultural turn 22, 44, 75, 244 Damaskuserlebnis 6, 58 f., 77, 424 f., 431 Diatribe 168, 201, 272, 292, 304–307, 314 f., 436 Early Christianity/Studies of Early Christianity 12, 29, 106, 165, 245, 269, 278, 281, 284–287, 325 f., 329 f., 390, 392 f., 398, 413 f. Emotion/Emotionenforschung/emotion 5–7, 122, 237–256, 347–359, 493–498, 501, 506, 508, 533 f. Empathie 243, 256, 356, 500, 505 f., 510, 521–523 Ereignis 6, 47, 72, 130, 134, 137–139, 407, 411 f., 418 f., 421–423, 425–427, 429–431, 553 Erlebnis 132, 134 f., 137, 349, 419 f., 422, 426, 428–431 Erzählforschung/Erzähltheorie/Erzählen/ Erzählung 5, 129–144, 223, 231, 253, 384, 408, 410 f., 413–418, 422–431, 496 f., 502 Eschatologie/eschatology 49–51, 53, 113, 158, 245, 274, 300, 483, 530 Ethik/Neutestamentliche Ethik/ethics 4–6, 23, 35, 51, 53, 62, 75, 88, 122, 147 f., 163, 173 f., 176, 178, 184, 237– 252, 255 f., 336–338, 340, 357, 476, 480, 492, 495, 514 f., 522 Ethnicity 22, 104, 450, 457 Evangelium/Gospel 5 f., 31, 50, 53, 65, 67, 73 f., 93 f., 110, 139 f., 144, 167, 170, 174 f., 181 f., 187–189, 195, 198, 200–202, 204 f., 207, 210–213, 223, 226–228, 255, 265, 273–278, 280, 283, 285 f., 292, 295, 298, 310, 314, 333 f., 392, 401, 416, 420, 423– 426, 430 f., 446, 452, 461, 479, 552, 555
Galater/galatische Gemeinden 140, 142, 225, 439, 441–445, 447 f., 450–456, 459–464, 480–484 Gattung/genre 6, 119, 132, 150, 204, 246, 265, 271–277, 279, 283, 286, 293, 298, 347, 390, 402, 437 Gebet/prayer 6 f., 110 f., 139, 171, 196, 242, 339, 377–386, 389, 400–402, 538, 541 f. Geist/Spirit 5, 24, 26, 46, 49, 52 f., 60, 68, 116, 154, 175–177, 181, 184–189, 203, 205, 208–210, 212 f., 226 f., 254 f., 314, 334, 356, 396, 439, 441–443, 449, 455, 513, 515, 520, 556 f., 560 Gerechtigkeit/Gerechtigkeit Gottes 5, 7, 59, 61 f., 68, 72, 74, 152, 163–177, 201–204, 208, 294–296, 301, 308–310, 320 f., 356, 366, 371, 445, 463, 496, 500, 539, 542, 544, 547–550, 559 Gericht/Gerichtsrede/Gerichtsthematik 6, 61, 133, 139, 143, 169, 291 f., 294–305, 308–310, 316 f., 320 f., 477, 508, 530, 549 Geschichte/Geschichtswissenschaft 47, 52, 59, 65, 129–131, 142, 151, 175, 195, 212, 217 f., 221, 241, 244, 379, 407, 411–414, 416–419, 421 f., 426, 429–431, 441, 445, 448 f., 455, 457, 460–462, 464, 492, 496, 530, 533, 543 f., 549 Gesetz 43 f., 46, 52–55, 57–61, 65–68, 74–76, 140, 153 f., 164–171, 173 f., 176–178, 197, 199–204, 207–210, 253, 292, 294, 296, 298, 300–303, 307–309, 316, 321, 350, 438–444, 446–449, 455, 459–461, 481 f., 484, 504, 516, 519, 547, 551 Das Gute/the good 6, 60, 151, 169, 178, 300, 308, 335, 337 f., 342, 354, 502, 508, 539 Hagar 206, 454, 480–482, 484 Hermeneutik/Schrifthermeneutik/Geisthermeneutik/ hermeneutics 4 f., 7, 21 f., 69 f., 73, 90, 99–123, 181–189, 191, 193–195, 198, 202–213, 340 f.
Sachregister
Historiographie 131, 144, 274 f., 415, 417, 430 Hoffnung/Hoffnungskonzept/hope 3, 7, 51, 62, 75, 110, 187, 206, 505 f., 513, 518, 529–560 Identität/Identitätskonstruktion/identity 20, 22, 25, 27, 31, 70 f., 88, 113, 141, 211, 220, 232 f., 241–243, 287, 327, 374, 412, 460, 464 Intellectual biography 4, 11 f., 25 f., 29 f., 33 f. Isaakopfer/Akedah 313, 372 Jerusalem 27 f., 31, 34, 47, 88, 93 f., 141, 168, 256, 327, 333 f., 397, 413, 416, 419, 425–427, 471 f., 480–484, 499, 544, 547, 551 f. Körper/body 31, 151, 153, 155–157, 159, 243, 350, 354, 390, 398, 401, 403, 477 Kosmos/Kosmologie/cosmology 5, 147– 161, 172, 303, 308, 476, 533, 553, 558 Leben/life 23, 25–27, 29, 31, 46, 48 f., 51–53, 60, 64–66, 68, 77, 88, 91, 93 f., 101, 105, 108–112, 122, 138–144, 153, 160, 164, 167, 170, 172, 176–178, 181– 183, 186 f., 192, 209, 234, 255, 278, 283, 300, 320 f., 326–328, 332 f., 336, 340, 365 f., 371 f., 374, 384, 389, 393 f., 421, 439–441, 443–447, 449, 462, 471, 477, 482, 499 f., 502–505, 512 f., 515, 521, 530, 532, 535, 539–550, 554, 557–559 Leserschaft/audience 118, 197, 250, 265 f., 269, 271, 275–277, 279–283, 285 f., 297, 306 f., 310, 320, 394, 423, 492 Liebe/Liebe Gottes/Liebe Christi/Nächstenliebe/Doppelgebot der Liebe/Liebeskonzept 4–7, 49, 60, 62, 110, 122 f., 163, 172–178, 188, 199, 237, 243, 251– 256, 314, 318–322, 347–352, 355–359, 363–374, 491–523, 555, 557–560 Literaturtheorie 309 Lutheran perspective 104 Midrasch 198, 207, 436
593
Narrativ/narrative 94, 115–117, 119 f., 131, 186, 268, 271, 274–278, 280, 283, 287, 332, 390, 415, 431 Neues Testament/Neutestamentliche Wissenschaft/New Testament/New Testament scholarship 11, 13 f., 16, 21, 32, 56, 84, 102, 104 f., 114, 120, 182 f., 188, 191 f., 194 f., 209, 212, 242 f., 277, 325, 328 f., 340, 390 f., 407, 413 f., 416, 431, 508, 531 New perspective 4, 11, 16, 43 f., 61, 67 f., 73 f., 77 f., 92, 103–105, 456 Offenbarung/revelation 27, 60, 94, 112, 119, 139, 184–188, 193 f., 196, 205 f., 208–210, 213, 217, 220, 232 f., 295, 301, 308–310, 328–331, 377, 385, 389 f., 398–403, 410, 415, 420–423, 426, 475, 483, 517 Origins of Christianity 147, 456 Parusie 230, 530, 553 f. Paulus/Paul: – Autobiographie des Paulus 2, 4, 18, 30, 46 f., 65, 76, 93, 110 f., 129–144, 159, 195–197, 276, 352 f., 394, 397, 399, 419–431, 437, 452 f., 472 f., 476, 484 – Gegner des Paulus 5, 52, 65, 141 f., 217–234, 367, 389, 402 f., 415, 451– 456, 459–461, 476, 484 – Intellectual Paul 2, 4, 11 f., 16, 21, 23,25 f., 28–31, 33–35, 49, 71, 83 f., 93 f., 121, 129, 184, 287 – Krankheit des Paulus 129, 139 f., 377 f., 382, 401 f. – Paul as Jewish thinker 11 f., 16, 18, 90, 111–113, 122, 391 – Paul within Judaism 4, 11, 17, 19, 21 f., 25, 32, 92, 391 – Persönlichkeit 26 f., 43, 46–49, 57, 63– 65, 71, 76, 78 f., 85–87, 422, 428 – Person of Paul 2, 25–28, 30–35, 48 f., 54–56, 71, 76 f., 89 f., 93, 129 f., 133 f., 136 f., 140 f., 143 f., 185 f., 208 f., 249– 251, 279–282, 354, 389 f., 393–403, 422, 519–522 – Reception history of Paul 2 f., 6 f., 69, 72, 163 f., 195, 339 f., 403, 454, 478–
594
Sachregister
480, 492–509, 522 f., 529–531, 534– 536, 559 – Städte des Paulus 28, 32, 47, 72, 107, 138, 327, 334, 392–394, 469–484 (bes. 470–472) – Theologie des Paulus 1–7, 11–19, 24–26, 32–35, 44, 46, 49–79, 83 f., 90, 103–106, 108, 110 f., 111–116, 119– 123, 129 f., 140–144, 148 f., 163–178, 182–186, 188, 197–213, 224–227, 270– 273, 293, 298, 307, 309 f., 317–322, 335–342, 347, 352–354, 363, 366, 369– 373, 423–428, 436, 438–445, 448–451, 461–464, 480 f., 483 f., 492, 495–498, 512–514, 516, 518, 520–523, 529–531, 550–560 Pescher 198, 207 Pharisäer 31, 46, 65, 88, 92, 112, 115, 117, 160, 165, 184, 197, 212, 221–223, 299, 304 f., 392, 425, 458 f., 548, 550 f., 555, 559 Polemik 5, 31, 118, 169, 217–225, 228, 232–234, 291–294, 306–308, 310, 457, 474–476, 483 Political thought 325, 328, 330, 333, 336, 338 f., 341 f. Radical new perspective 11, 16, 18 Rechtsvokabular 315 Religion/religion 18 f., 25–27, 33, 48, 54–58, 76, 78, 85–94, 147, 300, 308, 328, 392 f., 398, 403, 412, 456–458, 493, 508 Religionsgeschichtliche Schule 46, 55, 59, 69, 76, 78, 391 Religious experience 6, 26 f., 389–391, 393–403 Rhetorik/Rhetorikforschung/rhetoric 6, 11, 25, 47, 49, 52, 76, 85, 89, 102, 105, 114, 131–133, 136, 148, 219 f., 232, 244, 247–250, 253–255, 272, 315, 352– 355, 357–359, 415, 442, 450, 517, 536
Sadduzäer 92, 221 f., 550–552 Sara 206, 454, 481–483 Schöpfung/Weltschöpfung 66–69, 77, 154–158, 160 f., 167, 175, 211, 213, 320, 374, 462, 556 Schrift/Scripture 5, 24, 88, 94, 111, 117–121, 163, 165, 169 f., 176, 181, 183–185, 187–189, 191–205, 207–213, 253, 284–286, 441, 444–449, 453, 455, 512, 553 Septuaginta/Septuagint 103, 122, 170, 173 f., 183–186, 191 f., 197 f., 210–212, 247, 253, 283, 285, 287, 314, 319, 321, 329, 347, 350, 391, 453 f., 462, 495, 511 f., 545 f. Stoa 147, 149, 157, 533 Tanach 183, 189, 193 Tod/death 31, 50, 62, 68, 84, 91, 140 f., 170, 174 f., 177 f., 186 f., 209, 278, 283, 295, 302 f., 307–309, 317–321, 328, 330, 354, 363–369, 371–373, 392, 411 f., 416, 439–441, 463, 494, 501 f., 505, 512 f., 521, 540–542, 544–550, 554, 556 f., 559 Überlieferung/tradition 12, 23 f., 30, 32, 34, 94, 103, 144, 159, 169, 222, 268, 274 f., 280, 325, 330, 332, 338, 392, 396 f., 409–411, 420, 426 f., 429, 508 Zeit/time 1 f., 12–14, 20 f., 24, 26, 31, 54, 59, 94 f., 100, 102, 104, 106–108, 115, 117, 122, 134, 140 f., 151, 153, 156, 158, 182–185, 187 f., 198, 204–206, 241, 247, 266 f., 276, 294, 325 f., 329 f., 335 f., 340, 349, 352, 391, 394, 396, 408, 412, 414, 417, 422, 428, 446, 449, 451 f., 456, 469, 472, 478, 507, 513, 522, 535 f., 540 f., 543 f., 546–549, 557, 559
Sachregister
595
Griechische Begriffe τὸ ἀγαθόν 335, 337, 339, 341 f. ἀγάπη/ἀγάπη τοῦ Χριστοῦ 123, 163, 172–174, 177 f., 237, 242 f., 251–256, 313, 318, 320, 338 f., 347 f., 353, 355– 358, 363–365, 367, 372, 374, 450, 491– 494, 503–508, 511 f., 514–523, 555, 557, 560 γραφή 120, 195–199, 202–205, 207–210, 212 f., 444 f. δικαιοσύνη θεοῦ 34, 166 f., 170 f., 316, 371 ἔθνος Ἰουδαίων 293, 327, 453, 457, 462 f. ἐκκλησία 5, 26, 90, 93, 242, 281, 326– 331, 336, 338 f., 393, 412, 420, 451, 453, 463, 470, 473 f., 476 f., 482 ἐλπίς/ἐλπίζειν 515, 529 f., 534, 545, 551, 553–555, 557 f., 560 ἐξουσίαι 7, 34, 332, 334, 336, 338 ἔρως 493–495, 499, 502–504, 506, 508 f., 512, 515 f. εὐαγγέλιον 35, 118, 181 f., 185 f., 189,
204, 208, 265, 270 f., 273, 280–283, 286 f., 295, 298, 308, 329, 333, 396, 459, 470 ἦθος 247, 249, 357 Κύριος 114, 329 f., 332 f., 339, 389 f., 392, 398–401, 403, 548 νόμος 33, 171, 199, 202 f., 205, 207 f., 446, 448, 518 πάθος 239, 249, 349, 351, 502 πίστις 34, 202, 255, 366, 444, 447, 450, 455, 461–463, 515, 529, 557 πολίτευμα 156, 330, 474–478 συναγωγή 327 φιλία 173, 250 f., 355–358, 365, 493, 495, 506, 516 Χριστιανοί 181, 328, 395 f. ψυχή 151, 247, 249, 336, 350, 352, 554
Lateinische Begriffe amor 493 f., 498, 508
291, 325–327, 329, 332–334, 338, 413, 416, 457, 474, 478, 480
caritas 492–494, 506–508, 518 f. conditio humana 14, 60, 299, 307
narratio 131, 133, 136, 139, 143 f.
homo novus 4, 83–86, 89–94 homo religiosus 4, 25, 85–88, 90, 92
propositio generalis 167, 170, 295, 298, 321, 370
Imperium Romanum/Roman Empire 22, 28, 30, 90 f., 93 f., 168, 243, 272, 282,