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German Pages [257] Year 2020
Theo Buck
Paul Celan (1920–1970)
Theo Buck
PAUL CELAN (1920−1970) Ein jüdischer Dichter deutscher Sprache aus der B ukowina Die Biographie
Böhlau Verlag wien köln weimar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : Paul Celan ; © ullstein bild – Heinz Köster Korrektorat : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51957-5
Auf Schritt und Tritt blühte die Welt. Und noch aus Verzweiflungen wurden Gedichte. (Celan an Ruth Lackner am 2. 12. 1951) Wer nach Auschwitz mystifiziert, eskamotiert alles menschliche Leid. (Aphorismen, Gegenlichter, 69.4)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort – In Gedenken an meinen Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938). . . . . . . . . . . . . . .
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Das erste Jahr in Frankreich (1938/39). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945) . . . . . . . . .
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Bukarest (1945–1947) – Aus Paul Antschel wird Paul Celan . . . . . . . . .
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Exkurs : Todesfuge – Ein großes Gedicht der Weltliteratur . . . . . . . . . .
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Wiener Intermezzo (1947–1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erste Jahre in Paris (1948–1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Exkurs : »Auf hoher See« – Verse zur Bewußtseinslage Celans in der ersten Pariser Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Die zweite Phase in Paris, erster Teil (1952–1956).. . . . . . . . . . . . . . 107 Exkurs : Celan als Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959). . . . . . . . . . . . . . 144 Exkurs : Das Gedicht Engführung als Weiterung der Todesfuge. . . . . . . . 157 1960 – Büchnerpreis und ›Goll-Affäre‹.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Exkurs : Zu Celans Judentum im Gedicht Zürich, zum Storchen . . . . . . . 174
Inhaltsverzeichnis
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Weiterschreiben, weiterleben : »Fadensonnen über der grauschwarzen Ödnis« – »ein Atemkristall, dein unumstößliches Zeugnis« (1961–1967) .. 179 Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt Celans durch Südfrankreich im Oktober 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Celans letzte Jahre (1967–1970) – »Den Wind im Rücken, sterb ich mich ein«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Exkurs : Lyrik der Wortreste am Beispiel des Gedichts Stückgut . . . . . . . 214 Der Freitod Celans.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort – In Gedenken an meinen Vater
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s war Mitte September, als mein Vater vergangenes Jahr unvermittelt die Diagnose bekam. Nach seinem Tod am 25. Oktober 2019 habe ich kurze Zeit später in den Unterlagen zu diesem Buch, das nun postum erscheint, ein fast leeres Blatt gefunden. Handgeschrieben stand darauf ein einziges Wort : »Bauchspeicheldrüsenkrebs«. Von seinem behandelnden Arzt war ihm zu Beginn der fünf Wochen, die ihm da noch zu leben blieben, klar gesagt worden : Jetzt sei der Moment, das zu tun, was er noch vorhabe. Mein Vater wollte vor allem eines : dieses Buch zu Ende schreiben – eine Werkbiografie des von ihm so geschätzten Dichters Paul Celan. Diese selbst gestellte Aufgabe zum guten Abschluss zu bringen, war ihm mehr als eine Herzenssache. Als wir vor ein paar Jahren für seine Webseite einen Namen suchten, sind wir gemeinsam auf den Namen Literaturleben.de gekommen. Denn er sah Literatur immer auch vor dem Hintergrund, den diese für das Leben der Menschen in der Gesellschaft hat. Und ich kannte niemanden, der so wie mein Vater für und mit Literatur gelebt hat. Bereits im Februar 2018 war er – wie er es selbst sagte – dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen. Dass er danach noch mehr als anderthalb Jahre bei uns war, sehe ich heute als wunderbares Geschenk. Für meinen Vater war es genug Zeit, um noch drei Bücher fertig zu schreiben : Goethe und Frankreich, Géricaults »Floß der Medusa« 1819–2019 und schließlich dieses Buch. Mit Celan verband mein Vater nicht nur eine kurze persönliche Bekanntschaft, die auf seine Tätigkeit im Pariser Goethe-Institut in den sechziger Jahren zurückgeht. Wie meine Mutter Danièle mir erzählte, hat Celan den damals zehn Jahre jüngeren Theo Buck sogar aufgefordert, ihn doch zu besuchen. Dies aber hat sich mein Vater zu der Zeit vielleicht aus Ehrfurcht oder unter dem Eindruck deutscher Schuld am Ende nicht getraut. Seine Leidenschaft für das Werk und die Person Paul Celans war auch immer die Auseinandersetzung mit dem Thema deutscher Schuld – etwas, das ihm als 1930 Geborenen bis zuletzt keine Ruhe ließ. Das Einzige, was mein Vater am Ende seiner Kräfte nicht mehr geschafft hat, war das Personenregister. Diese Arbeit, die ich nach seinem Tod für ihn übernommen habe, war auch gleichzeitig so etwas wie ein Erstlektorat. Dabei konnte ich im letzten Drittel des Buches, das sich ja zunehmend mit den immer unglücklicheren letzten Lebensjahren Celans befasst, förmlich mitlesen, wie es auch mit Vorwort – In Gedenken an meinen Vater
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meinem Vater zu Ende ging. Eine Woche bevor er starb, verfasste er die letzten Worte des vorliegenden Buches. Diese ihm so wichtige Arbeit geschafft zu haben, machte es ihm ohne Zweifel leichter, seine Welt mit Danièle und der Literatur loszulassen. Bertolt Buck, Hamburg, den 22. März 2020
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Vorwort – In Gedenken an meinen Vater
Vorbemerkung
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aul Celans Geburtstag am 23. November 1920 jährt sich 2020 zum hundertsten Mal. Das ist Anlaß genug, Leben und Schaffen dieses Dichters Revue passieren zu lassen. Zwar gibt es bereits mehrere biographische Darstellungen und etliche Bücher über seine Beziehungen zu Freunden, Freundinnen und Geliebten wie auch vor allem eine Fülle von Interpretationen seiner Gedichte. Was man jedoch vermißt, ist eine die verschiedenen Komponenten miteinander verbindende Werkbiographie, die dem engen Zusammenhang von Leben und poetischem Schaffen möglichst konkret nachspürt, ohne allzu indiskret im Privatleben herumzuwühlen. Denn viele seiner Gedichte bleiben für den Leser unerklärlich ohne die Kenntnis der jeweiligen Lebensumstände, aus denen heraus sie erwachsen sind. Mit diesen Versen teilt sich nämlich leidenschaftlich einer mit, der zu den Opfern des nach wie vor grassierenden Antisemitismus gehört. »Täglich kommt mir die Gemeinheit ins Haus, täglich, glauben Sie’s mir. Was steht uns Juden noch bevor ? […] Niedertracht und Gemeinheit«, schrieb Celan am Anfang ihrer Begegnung der befreundeten Nelly Sachs1. In seinem Werk hat die ganze Fülle traumatischer Erfahrungen als Jude an vielen Stellen ihren Niederschlag gefunden. Klarsichtig hat der Dichter die Konsequenzen dieser prekären Sachlage zu Ende gedacht. Zutreffend heißt es in einem der späten Gedichte : »Welt, / fingert an dir : befrag / ihre Härten«2. Das tat er mit äußerster Konsequenz, bis es einfach nicht mehr ging. Angesichts einer für ihn untragbar gewordenen allgemeinen und persönlichen Lebenssituation beging er Ende April 1970 Selbstmord in der Seine. Vermutlich geschah das in der Nacht vom 19. zum 20. April, jenem unseligen Datum, an dem der Judenhasser Adolf Hitler 1889 auf die Welt kam. Celan war sich klar darüber, wie es in einem Gedicht aus dem Nachlaß heißt : »Du liegst hinaus / über dich, // über dich hinaus / liegt dein Schicksal«3. Zwar konnte er von sich in einem der späten Briefe sagen : »Ich habe in meinen Gedichten ein Äußerstes an menschlicher Erfahrung in dieser unserer Zeit eingebracht«. Aber die ebenso von ihm daran angeschlossene Bekundung – »So paradox das auch klingen mag : gerade das hält mich auch«4 – war nichts als versuchte Beruhigung des angeschriebenen Freundes, wohl auch momentane Selbstermutigung. Die bittere Wahrheit findet sich an anderer Stelle, nämlich in den Schlußversen des Gedichts »Welchen der Steine du hebst«. Sie lauten : »Welches der Worte du sprichst – / du dankst / dem Verderben«5. Das besagt nichts anderes als die Erkenntnis, daß die von ihm poetisch gestalVorbemerkung
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teten »Worte« sich schmerzlich erkanntem, ja »todbringendem«6 Unheil ›verdanken‹. Celan trug die schwere Bürde, seine geliebte Muttersprache auch als Mördersprache erleben zu müssen. Eine Ahnung davon bekam er schon früh, weil sein Onkel David Teitler, der ältere Bruder des Vaters, gleich noch im Jahr 1933 Deutschland, wo er als Besitzer einer Metallwarenfabrik lebte, unter dem Eindruck der beginnenden Judenverfolgungen rasch entschlossen verließ und sich in Bukarest niederließ. 1934 kam er zu einem Besuch nach Czernowitz. Der junge Paul, damals gerade dreizehn Jahre alt, hörte seinen Berichten über den grassierenden Antisemitismus aufmerksam zu. Weiterhin lebte er dennoch mit den vielschichtigen Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache. Aber stets belastete ihn seitdem und zunehmend nach der Ermordung seiner Eltern immer auch der Gedanke, daß Hitler und seine vielen schuldig gewordenen Mittäter gleichfalls Umgang mit dieser Sprache hatten. Die systematische antijüdische Propaganda der Nazis erfolgte eben in deutscher Sprache. Zwangsläufig gehörte sie mit zur Barbarei des Völkermords an den Juden, der Shoah. Deutsch schreiben zu müssen, war darum für Celan zugleich immer auch bedrückend, weil – wie John Felstiner zutreffend anmerkte und dabei den so schwer Getroffenen selbst zitierte – »ein Dichter nicht aufhören kann zu schreiben, ›auch dann nicht, wenn er ein Jude ist und die Sprache seiner Gedichte die deutsche ist‹«7. Trotz alledem blieb Celan an die deutsche Sprache gebunden, weil er davon überzeugt war : »An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht. […] Dichtung – das ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache«8. Für ihn war es die Sprache seiner Mutter, wie dann Hölderlins, Büchners, Hofmannsthals und Rilkes, aber eben auch die der Wortführer bei der Massenvernichtung der Juden. Im Rahmen dieser humanen Katastrophe fiel ihm als einem Überlebenden die bittere Rolle zu, seine dichterische Arbeit durchweg mit der Erinnerung an den Holocaust verknüpfen zu müssen. Vor allem im letzten Lebensjahrzehnt häuften sich zudem im Leben Celans ihn verstörende persönliche und seine Situation verschlimmernde Erfahrungen. Sie begannen 1960, teilweise schon davor, mit den ebenso gemeinen wie widersinnigen Plagiatsvorwürfen von Claire Goll. Dazu kam das desillusionierende Treffen mit Martin Heidegger im Juli 1967 und danach die noch größere Enttäuschung bei der von den meisten Zuhörern abgelehnten Lesung im Rahmen der Stuttgarter Tagung der Hölderlin-Gesellschaft im März 1970. Hauptsächlich aber belasteten ihn die häufigen Spannungen innerhalb seiner Familie, die 1967 zur Trennung führten, sodann natürlich die damit verbundenen fortwährenden Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. All dies löste verständlicherweise unerträglichen existentiellen Druck aus. Nüchtern diagnostizierte Celan seinen schwer 12 |
Vorbemerkung
zu ertragenden seelischen Zustand mit den Worten : »die Zerstörungen reichen bis in den Kern meiner Existenz«9. So erklärt sich gleichermaßen die leidvolle lyrische Formulierung seiner Lage Mitte 1967 : »härter als ich / lag keiner im Wind, // keinem wie mir / schlug die Hagelbö durch / das seeklar gemesserte / Hirn«10. Celan schrieb wirklich, wie er betonte, »unter dem Neigungswinkel seines Daseins, dem Neigungswinkel seiner Kreatürlichkeit«11. Aus dieser prekären Situation heraus ergab sich infolge der Dauerpräsenz des Vergangenen in der Gegenwart zwangsläufig ein Leben und Arbeiten unter ständigen qualvollen inneren Belastungen. Letzten Endes waren gerade sie es wohl, die er in seiner Ansprache vor dem hebräischen Schriftstellerverband im Oktober 1969 unter dem Begriff »jüdische Einsamkeit« zusammenfaßte12. Celans Dichtung ist und bleibt darum entschiedener Wider-Spruch zur Welt wie sie ist. Das daraus erwachsene schwierige Werk ist in seinem ästhetischen und menschlichen Gewicht noch längst nicht voll erkannt. Diese Gedichte erfordern genaues, gründliches Lesen. Er selbst mußte darum erklärend anmerken : Ich stehe auf einer andern Raum- und Zeitebene als mein Leser ; er kann mich nur ›entfernt‹ verstehen, er kann mich nicht in den Griff bekommen, immer greift er nur die Gitterstäbe zwischen uns. […] Keiner ist wie der andere ; und darum soll er vielleicht den andern studieren, sei’s auch durchs Gitter hindurch.
Ergänzend betonte er hierzu gegenüber dem Gesprächspartner : »Ich lehne es ab, den Poeten als Propheten hinzustellen. […] Ich versuche, Ihnen zu erklären, weshalb ich meine angebliche Abstraktheit und wirkliche Mehrdeutigkeit für Momente des Realismus halte«13. Diese »wirkliche Mehrdeutigkeit« gilt es von Fall zu Fall aufzuspüren. Allein dann wird klar, daß es sich tatsächlich um »Momente des Realismus« handelt. Nicht ohne Grund gab Celan einem seiner Gedichtbände die Zuschreibung »Sprachgitter«. Das weist darauf hin, daß es nicht angeht, seine Verse einfach in gewohnter Weise zu lesen. Man muß vielmehr längere Zeit mit ihnen leben, denn sie stehen, wie er einmal sagte, vielfältig »in die Zeit hinein«14. Es mag sein, daß sich nicht wenige Leser an der Schwierigkeit seiner Texte stören. Sie können nicht erkennen, daß es sich bei ihm um einen verläßlichen Zeitzeugen handelt, der seine dialogisch gedachten Verse im Blick auf den Leser mit gutem Grund auch als eine »Flaschenpost«, ja sogar als den Versuch eines »Händedrucks« verstand15. Sein poetischer »Ritt über / die Menschen-Hürden«16 nötigt uns zum Nachdenken und konfrontiert uns so mit der allseits herrschenden »marschierenden Mediokrität«17. Wir haben es zu tun mit einer Fülle höchst komplexer, Vorbemerkung
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vielschichtiger Gedichte voll stillen Leids, die zum wichtigsten Bestandteil der deutschen Literaturgeschichte gehören. Fraglos ist Paul Celan, neben Rilke und Brecht, einer der wenigen modernen Dichter deutscher Sprache, dessen Werk nachhaltige internationale Wirkung ausgelöst hat. Neuerdings beförderte ihn sogar der Journalist Oliver Jungen kurzerhand zum »bedeutendsten deutschsprachigen Poeten des zwanzigsten Jahrhunderts«18. Dabei war der Verfasser kein gebürtiger Deutscher, sondern ein deutschsprachiger Jude aus der Bukowina, der nie in Deutschland hätte leben wollen, obwohl ihm viel daran gelegen war, gerade dort, im Land seiner Muttersprache, verstehende Resonanz auszulösen. Zu Lebzeiten ist ihm das nur sehr bedingt gelungen. Inzwischen kann man seiner Dichtung indes eine breite Wirkung gerade hierzulande zusprechen. Zahlreiche Ausgaben seiner Gedichte und mehr noch die Fülle der Interpretationen bis in den Schulunterricht hinein, belegen die herausragende Wirkung und das poetische wie das gesellschaftliche und historische Gewicht seiner Gedichte. Felstiner hat darauf aufmerksam gemacht : »Celan ist ein exemplarischer Nachkriegsdichter geworden, weil er beharrlich auf deutsch die Katastrophe registrierte, die von Deutschland ausging«. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Erinnerung an einen anrührenden Moment der Wirkungsgeschichte, als nämlich die der Nazibarbarei entronnene jüdische Schauspielerin und langjährige Hamburger Theaterleiterin Ida Ehre (1900–1989) bei der Gedenkfeier des Deutschen Bundestages 1988 zum 50. Jahrestag der NovemberPogrome in der so genannten ›Reichskristallnacht‹ Celans berühmtestes Gedicht, die Todesfuge, vortrug19. Derlei passiert gewiß nicht oft. Zusammenfassend kann man ohne weiteres sagen : Dem zeitbedingt anders orientierten, in vielerlei Hinsicht jedoch wesensverwandten Hölderlin gleich, kommt Celan zweifellos ein vorrangiger Platz in der universalen Chronik der Dichter zu. Während seiner Kindheit und Jugend lebte Celan, damals noch Paul Antschel, im begrenzten Rahmen des bescheidenen Elternhauses und seiner abgelegenen Czernowitzer Heimatwelt zwischen »Bergen und Buchen«20. Die Mutter, eine leidenschaftliche Leserin, förderte gezielt die Entwicklung ihres einzigen, hochbegabten Jungen. Auf ihn übertrug sie ihre Liebe zur deutschsprachigen Dichtung. Die betörend wohlklingenden Texte Rainer Maria Rilkes standen dabei im Vordergrund. Celan konnte jederzeit Partien aus dem Cornett oder Verse aus dem Stunden-Buch und dem Buch der Bilder auswendig rezitieren. Bereits der Fünfzehnjährige unternahm eigene poetische Versuche und las sie den Freunden vor. Öfters berichtete er bei solchen Gelegenheiten auch von ihn interessierenden literarischen Entdeckungen. Hauptquelle seiner Inspiration dafür war die umfängliche Bibliothek des Vaters der Jugendfreundin Edith Silbermann 14 |
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(geb. Horowitz), des Gräzisten und Germanisten Karl Horowitz, der ihn seine Schätze großzügig benutzen ließ. Überhaupt präsentierte der junge Paul gerne seine literarischen Kenntnisse im Freundeskreis, wobei meist die Zuhörerinnen dominierten. Früh offenbarte sich ohnehin bei ihm das Interesse für das weibliche Geschlecht, zumal der gutaussehende, melancholische Junge dabei meist entschieden auf Gegenliebe stieß. Mit Leidenschaft bewegte der Frühreife sich von Beginn an in einer Sphäre der Neugier zwischen Kunst und ersten Liebeserlebnissen. Daneben entwickelte sich bei dem Gymnasiasten ebenso ein ausgeprägtes soziales und politisches Engagement. Von Kindheit an mußte er am eigenen Leib spüren, was soziale Ungerechtigkeit ist. Zu den Klassikern und Hölderlin, zu Hofmannsthal, George, Trakl und Kafka, zu Shakespeare und französischen Autoren wie Baudelaire, Verlaine, Rimbaud und Mallarmé kam so der Umgang mit den Schriften von Karl Marx, Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Karl Kautski, Rosa Luxemburg und Gustav Landauer. Er trat sogar ohne Wissen der Eltern einer illegalen kommunistischen Jugendorganisation bei. Eine Zeitlang publizierte die Gruppe heimlich eine ›rote‹ Schülerzeitschrift. Das war im damaligen Königreich Rumänien nicht nur verboten, sondern höchst riskant. Den Kommunismus ließ er bald hinter sich. Was davon für das weitere Leben übrigblieb, war eine große Neigung für anarchisches und sozialistisches Gedankengut Voll Eifer belebte der junge Paul Antschel ab einem gewissen Alter den ihm weithin monoton erscheinenden Schulalltag mit intensivem Lesen, Spaziergängen in der freien Natur, politischen Diskussionen und mit Mädchenfreundschaften. Seiner ganzen Veranlagung nach hatte er das Zeug zu einem, der ein bohèmeartiges Leben in vollen Zügen zu gestalten und zu genießen vermag. Ein von Edith Silbermann vermerktes Charakteristikum seines Verhaltens ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich, weil es auch für die weitere Entwicklung Gültigkeit hat. Sie schrieb dazu : Paul konnte sehr lustig und ausgelassen sein, aber seine Stimmung schlug oft jäh um, und dann wurde er entweder grüblerisch, in sich gekehrt oder ironisch, sarkastisch. Er war ein leicht verstimmbares Instrument, von mimosenhafter Empfindsamkeit, narzißtischer Eitelkeit, unduldsam, wenn ihm etwas wider den Strich ging oder jemand ihm nicht paßte, zu keinerlei Konzession bereit21.
Diese Grundhaltung erklärt manches der späteren Entwicklung. Von daher liegt die Erkenntnis nahe, daß Celans Leben sich von vornherein in Extremen abspielte. Er lebte letzten Endes immer in der Spannung zwischen Liebeshoffnung und Schmerz bis hin zu quälendem Todesbewußtsein, also ganz im Zeichen von Vorbemerkung
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Eros und Thanatos. Ein aus dem Nachlaß publiziertes Gedicht von 1961 verdeutlicht den Rahmen, innerhalb dessen seine Arbeit angesiedelt war. Es trägt bezeichnenderweise den Titel Das Wirkliche. Hier der Wortlaut : Vom Kreuz, davon blieb, als Luft, / nur der eine, der Quer- / balken bestehn : er legt sich, / unsichtbar legt er sich vor / die tiefere Herzkammer : du / hebst dich hinaus aus der Lüge – : / frei / vor lauter Beklemmung / atmest du jetzt / und du // sprichst22.
Von daher wird die extreme sprachliche Spannung seiner Texte erklärlich. Er war eben, wie Hölderlin einmal von sich sagte, von »Apollo geschlagen«23. Nur war sein Apollo nicht der Gott des Lichts, sondern ein Sendbote der Shoah, also der qualvollen Finsternis des Völkermords in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Paul Celan mußte tausendfach am eigenen Leib erfahren, was Heinrich Heine bereits im 19. Jahrhundert in jüdischer Selbstreflexion zum Phänomen des Judenhasses vielsagend verlauten ließ : »[…] Manchmal nur, in dunkeln Zeiten […]«24. In dieser unmißverständlichen Andeutung des Vorläufers steckt im Grunde die beste Erklärung für Leben und Dichtung Paul Celans.
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Vorbemerkung
Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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aul Antschel wurde, wie bereits gesagt, am 23. November 1920 in Czernowitz, dem Hauptort der Bukowina, geboren. Jeder der zu diesem Zeitpunkt dort auf die Welt kam, geriet von vornherein in eine von Grund auf erschütterte Lebenswelt. Ein kurzer Blick auf die bewegte Geschichte dieses Gebiets macht das deutlich. Das ursprünglich von moldauischen Fürsten regierte Land am Pruth gehörte seit dem 15. Jahrhundert zum Osmanischen Reich und wurde danach wiederholt zum Schauplatz russisch-türkischer Auseinandersetzungen. 1774 besetzten die Habsburger die Bukowina. Sie wurde im Folgejahr zum Kronland der österreich-ungarischen k.-u.-k.-Monarchie erklärt. Neben den dort ansässigen Rumänen, Ruthenen (Ukrainern), Polen und Ungarn, neben den gezielt von den neuen Machthabern angesiedelten Deutschen lebten dort vor allem Juden. Seit dem Mittelalter siedelten sie sich im Gebiet um Czernowitz an. Sie bildeten etwa die Hälfte, also einen Hauptteil der Bevölkerung und waren seit 1867 gesetzlich gleichgestellt. Man nannte darum die Stadt gelegentlich auch das ›Klein-Jerusalem am Pruth‹. Allerdings war Czernowitz kein ostjüdisches ›Schtetl‹. Es gab dort kein Ghetto. Vielmehr lebten die Juden hier, wie in Wien, als freie Bürger einer ›multikulturellen‹ Stadt. Man kann ohne weiteres sagen : in erster Linie waren es die habsburgisch orientierten Juden, die Czernowitz zu einer deutschsprachigen Stadt machten. Nicht ohne Grund sahen sie in der fast anderthalb Jahrhunderte dauernden österreichisch-ungarischen Herrschaft so etwas wie das ›goldene Zeitalter‹ ihrer Stadt. Jedenfalls trifft die Einschätzung Israel Chalfens den Nagel auf den Kopf, der im Hinblick auf die habsburgische Zeit und besonders auf die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts von Czernowitz als einer »Heimstätte jüdisch-deutscher Symbiose« spricht25. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs regelte der im September 1919 unterzeichnete Friedensvertrag von Saint-Germain die Auflösung der Donaumonarchie sowie die Neuordnung der Republik Deutschösterreich. Dabei wurde die Bukowina, die östliche Grenzprovinz des einstigen großen Vielvölkerstaats, nach langen Debatten durch den Trianon-Vertrag 1920 willkürlich dem mit den Entente-Mächten verbündeten Königreich Rumänien zugeschlagen. Damit wechselte nicht nur die Amtssprache vom Deutschen ins Rumänische, sondern es erfolgte eine generelle Romanisierung des Bildungswesens und der Verwaltung. Der Austausch des Schiller-Denkmals vor dem Stadttheater gegen eine Statue des rumänischen Nationaldichters Mihai Eminescu hatte in dieser HinKindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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sicht Symbolwert. Dennoch blieb Deutsch die lokale Umgangssprache. Ohnehin sorgten die weithin habsburgisch orientierten, an Kultur interessierten Juden als wahre Sachwalter vom ›Volk des Buches‹ dafür, daß sich in der Bukowina zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Art Sprachinsel eine eigenständige Literatur deutscher Sprache herausentwickelte. Mit gutem Grund bezeichnete Celan deshalb die Bukowina als »eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten«26. Hauptsächliche Repräsentanten der spezifischen ›Czernowitzer Literatur‹ waren Rose Ausländer (1901–1988), Georg Drozdowski (1899–1987), David Goldfeld (1904–1942), Alfred Kittner (1906–1991), Alfred Margul-Sperber (1898–1967), Moses Rosenkranz (1904–2003), Isaac Schreyer (1890–1948), Erich Singer 1896–1960) und eine ganze Reihe anderer. Ohne jede Ironie sprach man in diesem Zusammenhang vom kulturellen ›Klein-Wien‹. Bezeichnenderweise begann auch der jiddische Dichter Itzik Manger (1901–1969) seine Karriere mit deutsch geschriebenen Gedichten. An diese Tradition konnten dann die Autoren der folgenden Generation wie Alfred Gong (1920–1981), Immanuel Weißglas (1920– 1979), Manfred Winkler (1922–2014) und eben auch Paul Celan ohne weiteres anknüpfen. Mit guten Gründen stufte er sich selbstironisch wie folgt in diesen Zusammenhang ein : Ich bin also – wenn ich ein Wort von Robert Musil mißbrauchen darf – ein nachgeborener ›Kakanier‹ – auf jeden Fall ein Mensch, der nur in der Nähe eines von viel endgültig Vergangenem überschatteten Scherzwortes seiner ›Mitwelt‹ begegnet27.
Noch 1960 betonte er gegenüber dem Freund Klaus Demus zu seinen Anfängen in Czernowitz : »in einer Heimat, die, weil sie den Namen Verloren trägt, für immer die unsere bleibt«28. Die jüdischen Czernowitzer Dichter hielten an der deutschen Sprache fest – trotz der unmenschlichen Leiden, denen sie in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt waren. Celan kam darauf in seiner Bremer Rede mit folgenden Worten zu sprechen : Erreichbar, nah und unverloren, blieb inmitten der Verluste dies eine : die Sprache. Sie die Sprache, blieb unverloren, ja trotz allem. Aber sie mußte hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede29.
Zweifellos ist Celans Lyrik weit über den bei den meisten Bukowiner Dichtern vorzufindenden Grundton hinausgewachsen, aber auch er blieb seinem »ver18 |
Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
dammt geliebten Czernowitz«30 lebenslang eng verbunden. Wenn es irgend möglich war, gebrauchte er deshalb austriakische Sprachbesonderheiten, um seine Zugehörigkeit zum österreich-ungarischen Kronland zu unterstreichen (›lingua austriaca‹). Czernowitz war und blieb für ihn die »östlichste Provinz der ehemaligen Habsburger Donaumonarchie«31. Dem Freund Gustav Chomed gegenüber betonte er 1962 nachdrücklich, wie wichtig ihm die Erinnerung an die Stadt seiner Geburt war : »Ach weißt Du, ich wollte, ich wohnte noch dort – nicht nur die Töpfergasse32 war […] menschlich«33. Und im selben Jahr schrieb er Erich Einhorn : »Alles ist nahe und unvergessen. Ich bin […] mit meinen Gedanken oft daheim und bei den Freunden von einst«34. Auch schon im Mai 1958 berief sich Celan mit dem Gedicht Oben, geräuschlos auf den Ort seiner Herkunft. Dort gab es damals in den Häusern am Stadtrand noch keine städtische Wasserleitung, sondern lediglich Ziehbrunnen. Das gilt auch für das Haus Gustav (Gustl) Chomeds. Paul spielte dort oft mit dem Freund Wasserschöpfen. Diese bleibende Erfahrung erklärt Celans poetische Reaktion mit der in Klammern eingefügten Selbstaufforderung : »Erzähl von den Brunnen, erzähl / von Brunnenkranz, Brunnenrad, von / Brunnenstuben – erzähl […]«35. Offenkundig gehörte sein Geburtsort zwingend zum reichen Fundus der ihn belebenden sprachbildenden Erfahrungen. Die eingangs angedeutete Situation im Czernowitz der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, in dem nun rumänischen Cernăuți, dauerte die ganze Zeit zwischen den beiden Weltkriegen fort, also immerhin zwei Jahrzehnte lang. Die Bukowina blieb auch unter der rumänischen Herrschaft kulturell eine altösterreichische Provinz, in der Deutsch gesprochen wurde. Insofern verliefen Kindheit und Jugend des Paul Antschel in einem zweisprachigen, jedoch halbwegs geordneten Rahmen. Erst danach kamen die unvorstellbar schmerzlichen Erfahrungen der damaligen ›großen Politik‹ in Gestalt der nacheinander folgenden Besetzung der Bukowina durch die Truppen der massenmörderischen Diktatoren Stalin und Hitler. Im Zuge der Maßgaben des geheimen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts vom August 1939, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt, wurde nicht nur der östliche Teil Polens, sondern auch am 20. Juli 1940 Bessarabien und der nördliche Teil der Bukowina von der roten Armee besetzt (›Russenjahr‹). Czernowitz hieß nun vorübergehend Tschernowzy. Amtssprache war damit sogleich Russisch. Möglichst schnell versuchte man ebenso die Durchsetzung des Sowjetsystems im öffentlichen Leben. Politische Gegner, darunter viele Juden, wurden als angebliche Kapitalisten oder Zionisten kurzerhand nach Sibirien deportiert. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion durch deutsche Truppen Ende Juni 1941 kehrten aber schon ein Jahr später, am 5. Juli 1941, die nun von dem mit HitlerdeutschKindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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land verbündeten Diktator Antonescu befehligten rumänischen Streitkräfte in die Stadt zurück. Ihnen folgte einen Tag danach die deutsche Einsatzgruppe D, zusammengesetzt aus Einheiten der SS und des Sicherheitsdienstes (SD). Hatten schon die russischen Streitkräfte die jüdische Bevölkerung schikaniert, setzte mit dem Naziterror deren systematische Verfolgung ein. Sofort wurde ein Ghetto eingerichtet. Die dort zusammengefaßten Menschen wurden zur Zwangsarbeit befohlen und mußten den Judenstern tragen. Am Abend durften sie nicht ausgehen. Von Beginn an gab es auch Deportationen in Arbeitslager und zahlreiche Liquidationen. Nach der Auflösung des Ghettos Anfang 1942 konnten einige der Verfolgten vorübergehend in ihre Wohnungen zurückkehren. Doch war das nur die trügerische Ruhe vor dem Sturm. Im Sommer 1942 setzten die systematischen Maßnahmen der rücksichtslos barbarischen Ausrottungspolitik ein. Die meisten Juden wurden als Arbeitssklaven nach Transnistrien in verschiedene Lager gebracht und dort zu Tode gequält. Auch die Eltern Celans wurden dort umgebracht. Nur ein ganz kleiner Prozentsatz der Verfolgten überlebte. Diese Wenigen verstreuten sich in alle Winde. Als dann im April 1944 die russische Armee wieder in die Stadt am Pruth einzog, bedeutete das unwiderruflich das Ende der einstigen Habsburger Provinzresidenz. Czernowitz fiel nunmehr, wie Celan es ausdrückte, »der Geschichtslosigkeit anheim«36. Fortan gehörte Tschernowzy zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR). 1990 wurde aus der Ukrainischen Sowjetrepublik der unabhängige Staat Ukraine. Seitdem trägt die Stadt den Namen Tscherniwzy. Dort erinnert immerhin ein gutgemeintes, aber eher unschönes Denkmal an den berühmtesten Sohn der Stadt, die außer den erhaltenen Bauzeugnissen mit dem alten Czernowitz freilich nichts mehr gemein hat. Paul Antschels Familie lebte in ziemlich begrenzten, kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sie hatte nichts gemein mit der weithin assimilierten intellektuellen und wirtschaftlichen Oberschicht der dortigen Juden. Der Vater, Leo AntschelTeitler37 (1890–1942), entstammte einer aus Galizien zugewanderten, orthodox frommen Familie. Immerhin ließen seine Eltern ihm und dem älteren Bruder eine freie Berufswahl. Aber gleich nach seiner Ausbildung an der staatlichen Bauund Gewerbeschule als Bautechniker wurde der Vater zum Wehrdienst eingezogen. Kurz vor der fälligen Entlassung begann der Erste Weltkrieg. Leo Antschel wurde an der russischen und italienischen Front eingesetzt. Nach einer Verwundung diente er im Hilfsdienst in der Etappe. Bei der Rückkehr ins Zivilleben fand der Berufsanfänger in der generell herrschenden ökonomischen Krisenlage jener Jahre keine Arbeit. Um Geld zu verdienen, betätigte er sich für verschiedene Firmen als Makler im Holzhandel. Nach anfänglichen Schwierigkeiten behielt er 20 |
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diese Arbeit bei und heiratete Anfang 1920 Friederike (Fritzi), geborene Schrager (1895–1942), die künftige Mutter Pauls, mit der er seit 1914 verlobt war. Sie kam aus dem unweit von Czernowitz gelegenen Sadagora (ukrainisch : Sadhora38), wo ihre Eltern einen Kaufladen betrieben. Auch ihre Familie war jüdisch-orthodox, jedoch wesentlich liberaler gesinnt als die Familie Antschel-Teitler. Wie damals üblich, beschränkte sich in ihrem gesellschaftlichen Umfeld die Schulzeit Fritzis auf den Besuch der Volksschule. Für ihre Weiterbildung sorgte sie dann, soweit wie möglich, durch ebenso eifriges wie systematisches Lesen. Kurze Zeit arbeitete sie in einem kaufmännischen Büro sowie in der Krankenpflege. Während des Ersten Weltkriegs floh die Familie aus dem bukowinischen Kampfgebiet nach Böhmen. Celan spricht ausdrücklich von Böhmen als dem »Dreijahreland meiner Mutter«39. Wegen des frühen Todes ihrer Mutter mußte Friederike dort wie auch nach der Rückkehr in den Heimatort sich hauptsächlich um ihre jüngeren Geschwister und den gesamten Haushalt kümmern. Dank ihrer großen Erfahrung im selbständigen Wirtschaften galt sie als »Erzieherin der ganzen Familiengeneration«40. Nach der Heirat bezogen die jungen Eheleute eine mehr als bescheidene Unterkunft in der Dreizimmerwohnung von Leos Vater in einem einstöckigen Mietshaus in der Wassilkogasse Nummer 5. Dort wohnte das junge Paar im Junggesellenzimmer Leos, das dann im November 1920 auch Pauls Geburtszimmer wurde. Die Eltern Pauls waren vom Typ her grundverschieden. Chalfen hat d arauf hingewiesen, daß sie »auf Außenstehende den Eindruck von Harmonie und Glück« machten, ließ aber zugleich Schwierigkeiten ihres Zusammenlebens durchblicken41. Leo Antschel war wohl ein sehr verantwortungsbewußter, freundlich auftretender, allerdings unsicherer und deshalb nach außen hin eher zurückhaltender Mensch. Durch Emma Lustig, eine Kusine zweiten Grades, erfahren wir vom eher zwiespältigen Eindruck, den er innerhalb der Verwandtschaft machte. Eindeutig äußerte sie sich dazu wie folgt : Leo war von kleinem Wuchs, etwa einen Kopf kleiner als seine Frau. Man hatte den Eindruck, daß er seine unansehnliche Gestalt und seine Mißerfolge im materiellen Leben durch die Tyrannei im Hause zu kompensieren versuchte. Aber mit seiner Frau hatte er keine Streitigkeiten – er war ihr sehr ergeben. Der Sohn hingegen hatte seine Herrschaft am meisten zu spüren bekommen42.
Diese ziemlich negative Einschätzung mag darauf zurückzuführen sein, daß Leo eine streng orthodoxe Erziehung hinter sich hatte. Talmud (die Sammlung der jüdischen Gesetze) und Tanach (das Alte Testament) waren ihm von Jugend an Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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vertraut und bestimmten sein Verhalten. Er war überzeugter Zionist. Zwar bezweifelte er die Möglichkeit eigener Rückkehr nach Israel. Als aber seine Schwester Minna Anfang der dreißiger Jahre nach dort auswanderte, regte er den jungen Paul zum Briefverkehr mit der Tante an. Er hoffte wohl, wenigstens sein Sohn könne das ihm selbst vorschwebende Ziel – Jerusalem – einmal erreichen. In materieller Hinsicht war Leos Familie wirklich nicht mit Gütern gesegnet. Weithin war die finanzielle Lage mehr schlecht als recht. Das wird allein schon daran deutlich, daß der Sohn Paul die ersten zwölf Jahre seines Lebens im Zimmer der Eltern schlafen mußte. Leo war tagsüber selten zu Hause, weil er gezwungen war, seinen Geschäften außerhalb, meist bei Treffen im Café, nachzugehen. Aber auf die Erziehung seines Sohnes legte er großen Wert. Aufmerksam achtete er unter anderem darauf, daß Paul Hebräisch lernte. Eine ganze Reihe der Gedichte Celans bezeugt eine enge Vertrautheit mit seiner jüdischen ›Vatersprache‹. Allerdings erwies der Vater sich bei alledem als überaus streng. Auch hierzu bemerkte die soeben erwähnte Verwandte unzweideutig : Pauls Vater übte im Hause strenge Zucht. Er war kein gütiger Mensch, er stellte hohe Ansprüche an seinen Sohn, bestrafte ihn, schlug ihn oft für jedes kleine kindliche Vergehen. […] Paul war ein sehr empfindsames Kind und litt wohl sehr unter der väterlichen Strenge43.
Das führte mit der Zeit zu einem ziemlich angespannten Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Kein Wunder, daß bei Celan vom Vater wenig und in den Gedichten nur an einer Stelle, dazu in sehr allgemeiner Form die Rede ist44. Es ist in dieser Hinsicht gleichfalls aufschlußreich, daß Celan später einmal betonte, Kafkas anklagender, aber nie abgeschickter Brief »An den Vater« in Gestalt einer bitteren Abrechnung müsse in jüdischen Familien immer wieder aufs Neue geschrieben werden. Völlig anders liegen die Dinge bei der Mutter. Friederike Antschel war gleichfalls der jüdischen Tradition eng verbunden. Großen Wert legte sie auf die Einhaltung der Speisegesetze und auf das Entzünden der Sabbat-Kerze am Freitag. Aber im Unterschied zu ihrem Mann hatte sie eine völlig andere Auffassung von der Erziehung. Zwar achtete auch sie auf peinliche Sauberkeit, Gehorsam und gutes Benehmen, aber durchweg ohne die harten pädagogischen Maßnahmen ihres Mannes. Zwischen Mutter und Sohn entwickelte sich nicht zuletzt deswegen eine besonders enge Beziehung. Dies um so mehr, als sie neben ihrer verläßlichen mütterlichen Zuwendung sich auch die Zeit nahm, viel mit ihm zu lesen und Gedichte zu rezitieren. Das fiel bei Paul auf besonders fruchtbaren Boden. 22 |
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Denn er spürte so, daß es außer der täglichen Misere im Leben auch für ihn zugängliche Werte gab. Von klein auf war er in der Lage, Schillers Bürgschaft oder Das Lied von der Glocke aufzusagen, ohne den Wortlaut selbst schon lesen zu können. Noch im Gedicht Vor einer Kerze spricht er von der »Zeit, vor die mich das Mutterwort führte«45. Die Intensität seiner Mutterbindung ist ebenso den Gedichten Schwarze Flocken, Nähe der Gräber und Espenbaum abzulesen, die Celan seiner ermordeten Mutter widmete. wie auch schon dem Sonett zum Muttertag 1938. Dort heißt es vielsagend : »Denn du bist Ruhe, Mutter, Schimmer aus dem Grund«46. Darauf wird zu gegebener Zeit noch genauer einzugehen sein. Als Einzelkind wuchs der kleine Paul fast nur unter Erwachsenen auf. Verständlicherweise litt er unter dieser ihn nach außen isolierenden Situation. Ihm fehlte das aufmunternde und ebenso das Durchsetzungsvermögen fördernde Spielen mit Geschwistern und Freunden. Es war eine schöne Überraschung für ihn, als nach dem Tod des Großvaters Teitler die im Zimmer nebenan wohnende Tante Minna zwei Schülerinnen, Klara und Emma Nagel, in Pension nahm. Die einige Jahre älteren Mädchen kümmerten sich, wie Chalfen in Erfahrung bringen konnte, fürsorglich um den kleinen Jungen und wurden so zu beliebten Spielkameradinnen47. Sie lasen ihm Märchen und Geschichten vor, die er bald im Wortlaut genau nacherzählen konnte. Als sie ihm dann auch selbsterfundene Geschichten vortrugen, reizte das seine eigene Phantasie dazu an, ebenfalls kleine Geschichten zu erfinden. Es machte ihn glücklich, mit den beiden Schwestern zu kommunizieren und so seine Einsamkeit durchbrechen zu können. In den Augen des Vaters war das Zeitvergeudung. Aber die Mutter sorgte dafür, ihrem Sohn die Freude solcher Evasion unbedingt zu erhalten. Paul hat ihr das nie vergessen. Erst die Schulzeit brachte dann eine gewisse Veränderung mit sich. Ungeachtet ihrer angespannten Finanzlage bemühten sich Mutter und Vater jeweils auf ihre Art darum, Paul eine möglichst gute Schulbildung zukommen zu lassen Für ihn sollte die Aufstiegsperspektive, von der sie nur träumen konnten, unbedingt gewährleistet sein. Dem Vater war dabei hauptsächlich an der Pflege der jüdischen Tradition gelegen, während die Mutter vor allem Wert auf Allgemeinbildung und die deutsche Kultur legte. Es ist in dieser Hinsicht aufschlußreich, einen Blick auf die ersten Schritte Pauls im Schulsystem zu werfen. Erst mit fünf Jahren durfte der Junge den Kindergarten besuchen. Die Eltern entschieden sich für den Meisler-Kindergarten, weil dort die Unterrichtssprache Deutsch praktiziert wurde. Außerdem hatte diese Institution den Vorteil, daß sie von den Kindern der gutbürgerlichen jüdischen Familien besucht wurde. Von Nachteil waren allerdings die hohen Kosten für das zu entrichtende Schulgeld. Der Vater hatte ohnehin eine jüdische Institution im Sinn, aber die Mutter überzeugte ihn von Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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der Wichtigkeit dieses deutschsprachig orientierten Kindergartens. Automatisch kam Paul ein Jahr später, 1926, mit knapp sechs Jahren in die Grundschule des Meisler-Instituts. Eine ehemalige Mitschülerin berichtete Chalfen, daß er dort »brav und still, aber kein guter Schüler« war48. Das läßt Schlüsse zu im Hinblick auf die Nachwirkung der übermäßig strengen väterlichen Erziehung in den Jahren zuvor. Schlimmer noch war die aus finanziellen Gründen vom Vater getroffene Entscheidung, Paul die folgenden drei Jahre, 1927–1930, gegen seinen Willen in die hebräische Volksschule zu schicken. Die von zionistischen Organisationen unterstützte Einrichtung gewährte Schulgelderlaß. Aber Paul wehrte sich innerlich gegen die dortige Praxis in der hebräischen Unterrichtssprache, jedoch verfügte er noch nicht über die nötige Kraft zum Widerstand, Vielsagend ist, daß er diese Phase seiner Ausbildung später immer unerwähnt gelassen hat. Es dürfte die Mutter gewesen sein, die dann die Weiterführung der Schulbildung im rumänischen Gymnasium in die Wege leiten konnte. Immerhin erreichte der Vater, daß Paul weiterhin Hebräisch-Unterricht durch einen Hauslehrer bekam. Damals schon lebte Paul Antschel in einer Situation zwischen vier Sprachen : Deutsch, Hebräisch, Jiddisch und Rumänisch. Dazu kamen dann noch Russisch, Englisch und vor allem Französisch. Der Wechsel von einer Sprache in die andere wurde ihm zur Gewohnheit. Mühelos war er deshalb später in der Lage, seine Sprachkenntnisse so zu erweitern, daß er jederzeit von einer Sprache in die andere überwechseln konnte49. Souverän lebte er in den verschiedenen Sprachen. Aber als Dichter gebrauchte er allein die deutsche Sprache. Über die Zeit in der hebräischen Grundschule ging Paul, wie gesagt, mit Schweigen hinweg. Er scheint dort auch keine Freunde gefunden zu haben. Das änderte sich mit seinem Eintritt ins rumänische Staatsgymnasium Liceul Ortodox de Băeţi50 im Herbst 1930. Diese Institution galt als »Hort des rumänischen Nationalismus«. Juden waren dort zwar »zugelassen, aber nicht sehr gern gesehen«51. Die Eltern hatten diese Wahl getroffen, weil das gesellschaftlich hohe Ansehen des Gymnasiums dafür sprach. Außerdem bildete dort die für das spätere Fortkommen wichtige rumänische Staatssprache als Unterrichtssprache den Kern der Erziehung. Daneben gehörte Französisch zum Pensum. Auf diese Weise wurde schon früh ein solider Grund gelegt für den souveränen Umgang Pauls mit der französischen Sprache. Da ebenfalls jüdischer Religionsunterricht im Lehrplan vorgesehen war, stimmte sogar der Vater dieser Lösung zu. Eine wichtige Veränderung in Pauls Alltag ergab sich durch zwei Freundschaften, die für das weitere Leben Bestand hatten. Der beste Klassenkamerad war Gustl Chomed. In dessen Haus in der Töpfergasse verkehrte Paul regelmäßig. Hinzu kam die Freundschaft mit Erich Einhorn, der zwar ein anderes Gymnasium besuchte, 24 |
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aber häufig mit Paul und Gustav zusammen war. Einhorn hatte einen Onkel, der ein Sägewerk in Frumosul betrieb. Von dort aus unternahmen die Freunde in den Ferien Wanderungen in den Karpaten52. In Briefen hat Celan später mehrfach bekundet, was diese Freundschaften damals für ihn bedeuteten. Jedenfalls trugen sie dazu bei, seinen Blick auf das Leben Anderer zu wecken. Immer schon hatten ihn Tiere, Pflanzen und Steine interessiert. Diese Seite seiner Interessen konnte er nun gleichfalls systematischer betreiben. Im Verein bewirkten all diese Einwirkungen die allmähliche Befreiung Pauls aus der bisherigen Abgeschlossenheit. Anfängliche Erfolge, hauptsächlich auf sprachlichem und naturwissenschaftlichem Gebiet (Rumänisch, Französisch und Biologie) belohnten den Eifer, mit dem er sich der Schularbeit in der Grundstufe des Gymnasiums widmete. Wenn Gedichte öffentlich vorgetragen werden sollten, griffen die Lehrer fast immer auf ihn zurück. Man kann vermuten, daß ihm damals bewußt wurde, er sei eigentlich für eine Künstlerlaufbahn prädestiniert. Außerdem wurde er als ›Monitor‹ eingesetzt, also zu einer Art Aufseher innerhalb der Klasse. Darum sahen die meisten Mitschüler in ihm einen Streber. In den Sommerferien auf dem Land bei Verwandten im nahe gelegenen Milie lernte er den in Wien lebenden, etwas jüngeren Vetter Paul Schafler kennen. Von ihm gibt es einen interessanten Bericht über den etwas älteren Paul Antschel. Es heißt da : Ich liebte und verehrte Paul wegen seines Verhaltens mir gegenüber. Er war […] durch Veranlagung und eine sicherlich härtere Kindheit reifer und erfahrener. Nie aber war auch nur die Spur von Herablassung zu merken, die bei Kindern dieses Alters und dieses Altersunterschiedes eigentlich normal ist. […] Wir ritten zusammen, spielten Fußball, strichen gemeinsam durch die Wiesen, Feldwege und Felder dieser Gegend53.
Die beiden Pauls lasen zusammen begeistert zum einen Karl May, zum anderen die jiddischen Fabeln von Elieser Steinbarg. Der Aufenthalt auf dem Land eröffnete dem Gast ein gänzlich neues Lebensumfeld. Offenkundig war Paul Antschel energisch dabei, die eigenen Möglichkeiten nach allen Richtungen hin auszuloten. Aber Chalfen berichtet ebenso von einer typischen psychischen Reaktion Pauls noch in der Zeit, als er die hebräische Volksschule besuchte. Plötzlich in sein Gitterbett kriechend, rief er aus : »Ich hab Angst, der Tod kommt mich holen ! Ich muß mich vor ihm verstecken !«54 Der Schriftstellerkollege Erich Fried hat später zutreffend darauf aufmerksam gemacht, wie stark in Celan der »Zusammenstoß zwischen den großen uralten Bildern der menschlichen Seele, der menschlichen Phantasie und den Metaphern der Gegenwart« entwickelt war55. Das Bild des leidenden Subjekts beschäftigte ihn demnach von Jugend an. Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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Immerhin brachte das Jahr 1933 für Paul und seine Eltern eine erfreuliche Verbesserung der Wohnsituation. Durch den Wegzug der anderen Familienangehörigen konnten die Antschels nun allein über die Wohnung in der Wassilkogasse verfügen. Für Paul bedeutete das ein eigenes Zimmer, in dem er ganz für sich sein konnte. Das Gitterbett der Kinderjahre wurde endlich durch eine Schlafcouch ersetzt. Er konnte nun auch Freunde zu sich einladen. Vom Zimmerfenster aus hatte er Aussicht auf die Kastanienallee. Dieser Eindruck wurde für ihn zum bleibenden Bild der Erinnerung an seine Anfänge. Darum beginnt und endet eines seiner ersten Gedichte mit dem Vers : »Erst jenseits der Kastanien ist die Welt«56. In der Tat war Paul nun im Begriff, sich für die Welt »jenseits der Kastanien« zu interessieren. »Von dort« wehte ihm, wie er es im Gedicht lyrisch ausdrückte, »ein Wind im Wolkenwagen«, also ein Ansturm der Freiheit, entgegen. Damit steigerte sich für ihn neben der Selbsterkenntnis auch die Begegnung mit der vielgestaltigen Außenwelt und ihrer Geschichte. Er nahm all das in sich auf und leitete so die allmähliche Verwirklichung seiner Identität ein. Ihm wurde bewußt, daß selbständiges Denken der einzige Weg zu freier Lebensgestaltung ist. Dieser entscheidende Schritt war unerläßlich für die weitere Entwicklung »jenseits der Kastanien«, besonders unter dem Aspekt seiner späteren Tätigkeit als freier Künstler. Ein Beispiel für die erfolgte Wandlung sei angeführt. Zur selben Zeit, 1933, ließ Paul die Feier der religiösen Mündigkeit der Juden, der Bar Mizwa, über sich ergehen. Er wurde aber dadurch nicht etwa zum ›Sohn der Pflicht‹, der die religiösen Gebote einhält, sondern er nahm im Gegenteil ab diesem Zeitpunkt nicht mehr am religiösen Leben der jüdischen Gemeinde teil. Zweifellos war das seinerseits ein bewußter Schritt. Er lehnte die im orthodoxen Elternhaus geübte religiöse Praxis ab und verließ deshalb auch den zionistischen Jugendbund. Sein sozialpolitisches Engagement brachte ihn sogar dazu, mit anderen jüdischen Freunden 1934 einer kommunistischen, antifaschistischen Jugendgruppe beizutreten und in diesem Rahmen eine Zeitlang an der illegalen Zeitschrift Roter Schüler mitzuarbeiten. Als dann aber einer der älteren Anführer vorübergehend verhaftet wurde, stellten sie diese Aktion schnell wieder ein. Sie beschränkten sich in der Folgezeit bis kurz vor dem Abitur darauf, sich zum einen genau zu informieren über die Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland, zum andern gemeinsam die wichtigsten Texte der sozialistischen Wortführer zu lesen, auch teilweise ins Rumänische zu übersetzen und sodann 1936 Gelder zur Unterstützung der spanischen Republikaner zu sammeln. Deren Kampfruf zur Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus, ›No pasarán‹ (›sie kommen nicht durch‹57), wurde für sie zum Erkennungszeichen und zum geflügelten Wort58. 26 |
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Alles in allem kann man Chalfen in jeder Hinsicht zustimmen, wenn er feststellte : »Paul war allmählich aus der Enge der Kindheit herausgewachsen und zeigte sich jetzt freier, aufgeschlossener und geselliger«59. Anfang September 1934 brachte dem nun dreizehnjährigen Paul ein Besuch von Onkel David Teitler, der die Familie mit seiner auffallenden ›reichsdeutschen‹ Aussprache überraschte, erste Eindrücke vom staatlich organisierten ideologischen Antisemitismus im Dritten Reich. Schon damals erfuhr er also von der Bedrohung jüdischen Lebens durch den faschistischen Rassismus. Seine Berichte wirkten nachhaltig auf den Jungen ein. Er begann etwas zu ahnen von dem »Rauch […], der war schon von morgen«60. Vor dem Beginn des neuen Schuljahrs nahm jedoch der als Junggeselle lebende Onkel David den Neffen für einige Tage mit nach Bukarest. Es war Pauls erster Aufenthalt in einer Großstadt. Auch in dieser Hinsicht war er im Begriff, die bisherige Eingeschlossenheit hinter sich zu lassen. Gewiß nicht zufällig lenkte er 1945 seine ersten Schritte der Unabhängigkeit dorthin. Was der Onkel ihm über den Antisemitismus berichtet hatte, trug sicher mit dazu bei, daß Paul mit dem Schuljahr 1934/35, also seinem fünften Gymnasialjahr, das Gymnasium wechselte. Er hatte nun die gymnasiale Unterstufe hinter sich und damit den Abschluß des sogenannten ›Kleinen Bacalaureats‹ erreicht. In der Zeit vor dem Schulwechsel bereitete Paul allein die Mathematik Probleme. In allen übrigen Fächern gehörte er zu den Klassenbesten. Die Schwierigkeiten mit der Mathematik verschafften ihm wenigstens eine Genugtuung. Er konnte den Vater davon überzeugen, den zusätzlichen Hebräischunterricht aufzugeben. Zum erfolgreichen Jahresabschluß der Unterstufe durfte Paul dann mit der Familie des Freundes Manuel Singer, dem er nach dem Ende der Schulzeit dann in Tours wiederbegegnete, zwei Wochen aufs Land fahren. Er genoß diesen Aufenthalt mit Wandern, Schwimmen, Spielen und anderem freundschaftlichen Umgang. Wohl nicht zuletzt auch unter diesen Eindrücken harmonischen Miteinanders bestätigte sich ihm die Notwendigkeit des Schulwechsels. Er reagierte damit auf die durch einige Lehrer und Mitschüler unerträglich gewordene antijüdische Stimmung an seiner bisherigen Schule. Schon der nun in Palästina lebenden Tante Minna hatte er im Januar 1934 geschrieben : »[…] was den Antisemitismus in unserer Schule betrifft, da könnte ich ein 300 Seiten starkes Buch darüber schreiben«61. Jetzt kehrte er dem unliebsamen Lyzeum (Liceul Ortodox de Băeţi) den Rücken. Für den Rest der Schulzeit besuchte er vier Jahre hindurch, 1934–1938, das Liceul Marele Voevod Michai, das frühere Ukrainische Staatsgymnasium, welches nun den Namen des königlichen Thronfolgers Michael trug. Dort bildeten die jüdischen Schüler die Mehrheit und sicherten damit Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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zugleich den Einfluß fortdauernder altösterreichischer Kultur. Selbstverständlich war Rumänisch auch dort die Unterrichtssprache, doch nahm der Deutschunterricht ebenfalls einen gewichtigen Platz ein. Im literarischen Bereich reichte die Beschäftigung von Lessing und den Klassikern über die Romantiker bis zu Rilke. Von ihm her ergab sich auch Pauls Interesse am Werk Auguste Rodins. Überhaupt nahm Rilke in der Folgezeit für ihn, und damit folgte er seiner Mutter, einen Ehrenplatz ein. An Fremdsprachen kamen im Unterricht Französisch und Latein, im letzten Schuljahr dann auch noch Englisch dazu. Für eine solide Bildungschance war mithin gesorgt. Paul ergänzte das gute Angebot durch ausgedehnte Privatlektüre. Unter den Klassenkameraden galt er mit Abstand als der Belesenste. Allein der zeitweilige Mitschüler Immanuel Weißglas konnte da einigermaßen mithalten. Das Interesse der Freunde brachte Paul wohl auf den Gedanken, einen Lesezirkel zu veranstalten. Die politischen Themen waren dabei mehr für männliche Zuhörer, die literarischen mehr für weibliches Publikum gedacht. Denn mit der Pubertät und ihrer vibrierenden Erotik und Sexualität setzte bei ihm ein großes Interesse am weiblichen Geschlecht ein. Die ersten Freundinnen waren vor allem Edith Horowitz (die spätere Edith Silbermann) sowie Ruth Glasberg und Ilse Goldmann. Doch hatten diese Beziehungen, wie Emmerich betonte, »wohl fast alle gänzlich platonischen Charakter«62. Es handelte sich dabei offenkundig um die typische Problematik Heranwachsender, wobei in Celans Fall immer mitzudenken ist, daß in seinem weiteren Leben Frauen und Sexualität eine ganz wesentliche Rolle spielten. Was für Edith die erste, große Liebe war, gehörte für ihn zu einer ganzen Reihe von Beziehungen zu Mädchen, Zeichen natürlicher Liebeleien. Die Jahre am Michaels-Gymnasium verliefen weithin ungetrübt, zumal die Familie 1935 in eine neue Behausung, eine Eigentumswohnung in der Masarykgasse 10, unweit vom Gymnasium, umziehen konnte. Sehr zu Recht gab Chalfen in seiner Darstellung der Jugendzeit Celans dem Zeitabschnitt der gymnasialen Oberstufe die Überschrift : »Es war eine Freiheit«63. Denn Paul fühlte sich nunmehr wirklich frei. Die Autoritätssituation innerhalb der Familie hatte nämlich eine gründliche Umwandlung erfahren. Der resignierende Vater unternahm keine weiteren Erziehungsversuche mehr, weil Paul sich jetzt durchweg widerspenstig zeigte. Er ging beispielsweise abends aus dem Haus, wie es ihm paßte. Eine nicht zu übersehende Entfremdung bestimmte ebenso das Verhältnis des Vaters zu Frau und Sohn. Was von der bisherigen familiären Beziehung allein blieb, war die enge Mutter-Sohn-Bindung. Die neue Sachlage wird unter anderem daran erkennbar, daß der Vater, wenn Paul Freunde empfing, sich in sein Büro zurückzog, während die Mutter sich eingehend mit den Besuchern 28 |
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unterhielt. Anteil nehmend, gab sie Paul auch ihr Urteil über seine Freunde und Freundinnen ab. Denn der Freundeskreis vergrößerte sich laufend. Paul war inzwischen zu einem von der Mehrzahl seiner Bekannten geschätzten, aufgeschlossenen und umgänglichen jungen Mann geworden. Von dieser Entwicklung her leuchtet auch sein wachsendes Engagement in sozialpolitischer Hinsicht als Mitglied der antifaschistischen Jugendgruppe ein. Zusammen mit den übrigen Mitgliedern verfolgte er genau die politischen Entwicklungen mit dem allenthalben und gerade auch in Rumänien, aber hauptsächlich im faschistischen Deutschland Hitlers, auftrumpfenden Antisemitismus. Daß der ausgesprochen kosmopolitisch ausgerichtete Paul dabei den anderen intellektuell überlegen war, zeigt die Aussage der Freundin Ruth Kaswan. Sie sagte : Es war in den Jahren 1934–37, und die uns beherrschenden Ereignisse waren das Aufkommen Hitlers in Deutschland, der wachsende Antisemitismus in Rumänien und der Bürgerkrieg in Spanien […] Unsere politische Einstellung war romantisch-kommunistisch, doch nicht sehr tiefgehend. Und Pauls Einfluß auf uns war wohl sehr groß, obwohl er keinen Druck ausübte und nicht autoritär war. Er sagte uns nicht, was wir denken sollten, er wußte einfach viel mehr64.
Noch wichtiger war freilich für Paul die eingehende Beschäftigung mit der Literatur weit über das klassische Schulpensum hinaus. Wann immer er konnte, machte er sich ans Lesen. Nicht zuletzt interessierte ihn Shakespeare und die damals neuere französische Literatur, vor allem Verlaine, Rimbaud und Gide. Bei seinen literarischen Streifzügen stützte er sich hauptsächlich auf die Benutzung der reich ausgestatteten Bibliothek des Vaters der Freundin Edith, Dr. Karl Horowitz, der seine Tätigkeit als Deutschlehrer mit der des Bankbeamten vertauscht hatte, weil er nicht über die von ihm geliebte Literatur in rumänischer Sprache unterrichten wollte. Unter den vielen Entdeckungen, die Paul in dessen Bücherschränken machte, beglückten ihn besonders Nietzsches Zarathustra und Jenseits von Gut und Böse, mehr noch der Brief des Lord Chandos von Hofmannsthal und die Erzählung Ein Landarzt von Kafka. Ohnehin hinterließ dieser Autor bei ihm einen besonders starken Eindruck. Kafka wurde für ihn sogar zum lebenslangen Begleiter. Zeitlich fallen diese bildenden Erfahrungen zusammen mit einer Beobachtung an Paul, welche die Freundin Ilse Goldmann scharfsichtig anstellte. Sie beschrieb ihren Eindruck folgendermaßen : »Er hatte in diesen Jahren eigentlich nur Sinn für das Außerordentliche, das sich in ihm vollzog«65. Sie hat damit feinfühlig erkannt, daß in Paul etwas erwacht war, das sein ganzes Leben bestimmen sollte : Er begann Gedichte zu schreiben. Den Freunden und in erKindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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ster Linie den Freundinnen las er nicht mehr nur Verse Rilkes, Shakespeares, Hölderlins oder Trakls vor, sondern Beispiele eigener Produktion. Einigen von ihm verehrten Mädchen überreichte er sogar Abschriften eines ihnen jeweils zugedachten Gedichts. Nebenbei bemerkt, hatten seine Lesungen auch besonderen Erfolg aufgrund der Art seines Vortrags. Er orientierte sich dabei an der Rezitationskunst des Czernowitzer Schauspielers Jehuda Eren-Ehrenkranz, der gelegentlich jiddische und deutsche Texte vorzutragen pflegte66. Wie man sich Pauls genau modulierende, geradezu melodiös unterstreichende Art Gedichte vorzutragen vorzustellen hat, läßt sich unschwer nachweisen beim Hören der Aufnahme seiner Lesung der Todesfuge67. Damit stieß er bei den Schriftstellerkollegen der Gruppe 47 später auf weitgehende Ablehnung. Darauf wird im Zusammenhang der einzigen Tagung, an der Celan teilnahm, genauer einzugehen sein. Einzelne der Teilnehmer hatten offensichtlich keinerlei Gespür dafür, daß in der Bukowina, ganz am Rande der damals gerade noch deutschsprachigen Welt, ein wirklicher Dichter herangewachsen war, der eben in der Kulturtradition der k.-u.-k.-Monarchie groß geworden war. Naturgemäß waren die dichterischen Anfänge Pauls noch sehr von der Tradition bestimmt. Aber unter die konventionellen Formen und Motive seines Czernowitzer Umfelds mischten sich bereits Töne, die aufhorchen lassen. Neben überkommenen Stimmungen, »elegisch, voller Trauer und Verzicht«68, finden sich auch Verse, in denen der dichtende Paul »die Nacht in sich« zum Ausdruck bringt. So etwa in den wohl 1943 entstandenen, extrem konventionell-gesuchten Versen unter dem Titel »Die Frühlingsschönen sind es nie, die Licht / umspielt«, die keiner sonderlichen Interpretation bedürfen, weil es darin von lyrischen Klischees in Wort, Bild, Ton, Tempus und Modus nur so wimmelt. Die Frühlingsschönen sind es nie, die Licht umspielt. Sie leben, daß sie Finsternis erküre. Die hellen Herzen holt der Nebelwicht, daß jedes vor ihm seinen Tanz vollführe. Für Augenblicke frei von diesem Bann, blicktest du bang in jenes blaue Auge. Mit deiner Schwermut hängst du oft daran. Verhehl nicht, daß ich zum Vergessen tauge. So werde ich, von deinem Mund belehrt, der schwarzen Nessel lichtersüß entbrennen.
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Und weil dein Aug die Nacht in mir vermehrt, wird Tod nur uns berauschen und uns trennen.69
Hierzu kann man mit den späteren Worten des Autors sagen : »Immer mehr, immer häufiger muß ich mir sagen, daß es auf die Veröffentlichung meiner Gedichte wohl weniger ankommt als darauf, neue zu schreiben«70. Zweifellos greift der Dichter Paul Antschel in seinen Anfängen tief in das Bildregister der romantischen und der symbolistischen Bildungskonvention. Den meisten seiner frühen Gedichte merkt man den ›Rilke-Ton‹ oder Anklänge an Hofmannsthal und Trakl an. Wie bei allen Lyrikern, insbesondere bei den Bukowiner Dichtern, gehören Natur, Liebe und Tod zum durchgängigen Themenrepertoire. Im Unterschied zu den meisten anderen konfrontiert er uns allerdings bereits in den Anfängen nicht einfach mit einer Reihung beschreibender und mehr oder weniger ›poetisierender‹ Abbilder, sondern verfolgt – wie die großen Vorbilder – die klare Absicht, den Adressaten zu intensiv mitdenkendem Lesen oder Hören einzuladen, will sagen, einen mit den Mitteln der Sprache dargestellten wesentlichen konkreten Lebens- oder Denkzusammenhang möglichst genau mit zu vollziehen. Man kann das, mit Barbara Wiedemann, eine den anderen Autoren abgehende oder jedenfalls weniger ausgeprägte »Literaturhaltigkeit«71 nennen. Besser sollte man von der ästhetisch stimmigen Verinnerlichung bestimmter Lebensstrukturen im Sinne freier schöpferischer Umsetzung in lyrische Sprache, also von wirklicher Dichtkunst sprechen. Was damit gemeint ist, erklärt sich am besten mit einem konkreten Beispiel. Gewählt sei dabei das lange unveröffentlicht gebliebene Gedicht Woher, das später mit der Überschrift Im Park versehen wurde. Hier der Wortlaut : Im Park Nacht. Und alles ist da : der See, die Bäume, der Kahn ; die Kreise im Wasser … Weiß schimmerts vorbei an der Weide : ein Mädchen, das eilt. Der einzige Schwan kommt vorüber. Wie, wenn ein zitternder Stern, sich schälte aus seinem Feuer und fiel’ in den See ? Kindheit und Jugend in Czernowitz (1920–1938)
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In die Wasserrose ? Ob das Rotkehlchen stürbe ? …72
Wir haben es mit einem typischen Jugendgedicht zu tun. Ersichtlich beruht es zu weiten Teilen auf genauer Kenntnis anderer dichterischer Gestaltungen desselben Themas. Rilke, Trakl und George haben sich ebenfalls mehrfach ›im Park‹ getummelt73. Besonders auffallend aber ist in den Versen dieses jungen Anfängers die Nähe zum Schlußgedicht der Fêtes galantes von Paul Verlaine mit den Eingangsversen : »Im alten Garten, vereinsamt im Eise, / fanden zwei Schatten gemeinsame Gleise« (»Dans le vieux parc solitaire et glacé / Deux formes ont tout à l’heure passé«). Verlaines Verse gehörten zu den Lieblingsgedichten des Schülers Antschel. Er hat sogar dieses Gedicht selbst ins Deutsche übersetzt. Von der Nacht-Stimmung geht für Paul Antschel alles weitere aus, wie für Paul Verlaine alles auf die Nacht zuläuft : »Es hört sie einzig die stumme, die Nacht« (»Et la nuit seule entendit leurs paroles«74). In beiden Gedichten evozieren die nächtlich verschatteten Elemente der Parkszenerie den Gedanken an den Tod. Doch nun zum Gedicht selbst75. Die Anordnung des ersichtlich sprachlich genau überlegt durchgeformten Textes zeigt sogleich, daß es sich um ein unregelmäßig gegliedertes, reimloses Gedicht aus 13 ›Versen‹ in der Anordnung 3–4–1–4–1 handelt. Immerhin gibt die Aufteilung in ›Verse‹ (oder besser in Abschnitte) ein klares Ordnungsbild zu erkennen, das den syntaktischen Bau des Ganzen aufreißt und umakzentuiert. Bestimmte Worte und Wortgruppen bekommen dadurch ein besonderes Gewicht (z. B.: »weiß«, »ein Mädchen«, »das eilt«, »ob das Rotkehlchen stürbe«). In drei Fragen auslaufend, verliert der Text seinen zunächst gegebenen Abbildcharakter und geht über in die Beschreibung einer verunsichernden Bewegung, die wiederum zur konjunktivisch fragenden Gedankenbewegung wird (»Park«, »Nacht«, »See«, »Bäume«, »Kahn«, »Weide«, »Mädchen«, »Schwan«, »Stern«, »Feuer«, »Wasserrose«, gleich Seerose, »Rotkehlchen« > »Kreise im Wasser«, »Weiß / schimmerts vorbei an der Weide«, »ein Mädchen, / das eilt«, »der einzige Schwan kommt vorüber«, »Wie, wenn ein zitternder Stern, / sich schälte aus seinem Feuer, / und fiel’ in den See ?«). Selbst die angedeutete erotische Erscheinung des vorbeieilenden Mädchens (»weiß«, »Mädchen«, »Schwan«, »Wasserrose«) bleibt ihrer nur kurzen Dauer wegen zunächst unscharf. Ganz eindeutig aber beunruhigt dann den Leser erst der isolierte Schlußvers mit dem Bild des möglichen Sterbens eines »Rotkehlchens«. Weiterhelfen könnte der ursprüngliche Titel des Gedichts : Woher. Das dann wieder fallengelassene Adverb stellte die Frage nach Ursache und Wirkung des im Gedicht beschriebenen Vorgangs. Dadurch 32 |
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kam die Ambivalenz der angesprochenen Abläufe noch direkter zur Wirkung. Aber die erste Überschrift wurde getilgt. Vom Ende her zeigt sich indes mit der Schlußfrage (»ob das Rotkehlchen stürbe ?«) auch so genügend, daß die ParkIdylle sich als trügerisch erweist. Denn von Anfang an findet durch die flüchtigen Momentbilder des nächtlichen Vorgangs das Gefährlich-Unheimliche im Menschenleben sinnfälligen, nämlich konkreten Ausdruck. Mit dem Bild der kurz aufleuchtenden und dann wieder verglühenden Sternschnuppe (»Wie, wenn ein zitternder Stern / sich schälte aus seinem Feuer / und fiel in den See ?«) setzt das Fragwürdige und insofern das Wissen darum dann ohnehin unmittelbar ein. Das zunächst harmonisch ausgebreitete, paradiesisch anmutende Geschehen steht bei genauem Lesen eindeutig im Zeichen des Todes. Man braucht nicht nach möglichen biographischen Anbindungen zu suchen oder die Mythologie zu bemühen, um erkennen zu können, daß mit diesem Gedicht ein zwar noch unfertiger, jedoch seiner Sache sicherer Anfänger ein überzeugendes dichterisches Gesellenstück vorgelegt hat. Die Verse schwelgen teilweise noch sehr im gesucht ›Poetischen‹. Übertrieben, ja abwegig sind demzufolge die Thesen, hier sei bereits der »Anfang einer Entwicklung, die in der hermetischen Dichtung des Spätwerks« ende, beziehungsweise hier zeige sich »schon alles, […] was Leben und Dichten Celans prägen sollte«76. Was allein gesagt werden kann : Man erkennt an diesem lyrischen Text bereits die Fähigkeit des künftigen Lyrikers, sich im mehrdeutigen Sprachbereich der Dichtung sicher zu bewegen. Der junge Paul Antschel hat ein überzeugendes Gedicht vorgelegt, das, über die überkommene impressionistische Fin-de-siècle-Kulisse hinaus, einen das Idyllische schroff durchbrechenden Reflex innerster Erschütterung vermittelt. Schon damals folgte er ganz der eigenen inneren Stimme. Zu der für Paul in jeder Hinsicht anregenden Lebensphase der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre gibt es einen interessanten ergänzenden Bericht der befreundeten Ruth Kaswan. Sie betonte dabei den starken literarischen Einfluß, den er auf sie und die Freundin Edith Horowitz ausübte, nicht zuletzt im Hinblick auf die französische Kultur. Hier ihr Bericht : Mittlerweile lasen wir Französisch. Paul Verlaine war unser auserwählter Held Wir lernten Gedichte auswendig und wetteiferten im Auffinden poetischer Schätze. […] Und zweifellos war Paul der Mittelpunkt dieser Tätigkeit. […] Ich erinnere, daß unser Prüfstein Verlaine war – das Bildhafte, das Musikalische der Sprache. Die Form war sehr wichtig, und wir waren weit mehr mit dem Stil als mit dem Inhalt beschäftigt. […] Ich glaube, wir konnten das, weil Paul uns das lehrte77.
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In gleicher Weise äußerte sich auch Edith Silbermann (geborene Horowitz) zum speziellen Interesse innerhalb des Freundeskreises an der französischen Sprache und Kultur. Wir lesen da : Französisch hielten wir von Kind auf für die schönste Sprache der Welt. […] Wollte der Schüler Paul, daß sein Freund Gustl oder ich aus dem Haus komme, so pfiff er stets die ersten Takte des Liedes ›Au clair de la lune‹ vor sich hin. […] Über Victor Hugo und Alfred de Vigny kam der vorgesehene Schulplan an unseren Gymnasien nicht hinaus, wir aber lasen in den oberen Klassen mit Leidenschaft Verlaine und Baudelaire. Auch mit Mallarmé, Valéry und Apollinaire waren wir bestens vertraut78.
Paul war bei alledem der anregende Wortführer. Auch von Ilse Goldmann gibt es eine Äußerung zum Umgang im Freundeskreis. Sie mag auf Anhieb wenig aufschlußreich erscheinen. Aber sie ist bezeichnend für die starke Erinnerungskraft Celans. Ilse Goldmann erwähnt da unter anderem ein Erlebnis beim Schwimmen im Pruth. Hierzu ihr Bericht vom Auftakt ihrer Begegnung im Wasser : Ich lernte Paul kennen, als ich fünfzehn und er knapp sechzehn war. Wir hatten damals beide einen gewissen Ruf unter der Jugend, jeder aus anderen Gründen. Es war Sommer, ich schwamm im Pruth und merkte plötzlich, daß mir jemand beharrlich nachschwamm, zu den gefährlichsten Stellen – wir waren beide gute Schwimmer. Schließlich sagte er kreuzunglücklich : ›Fräulein, Sie verkennen mich. Ich will wirklich nicht das, ich verfolge Sie aus ganz anderen Gründen, wegen Ihrer Ideen [Ilse Goldmann war besonders engagiert in der kommunistischen Jugendgruppe]. Ich möchte mit Ihnen wegen Ihrer Ideen sprechen‹79.
Ilse Goldmann übergeht bei Ihrem Bericht bewußt die Tatsache, daß sich aus dieser Begegnung für beide die erste Liebesbeziehung entwickelte. Es war ihr gutes Recht, nur die halbe Wahrheit zu sagen, weil sie das Verhältnis zu Paul später in einem anderen Licht sah. Für ihn aber blieb von dieser intensiven Begegnung beim Schwimmen ein starker, ja unvergeßlicher, wenngleich ambivalenter Eindruck. Noch im Gedicht Flimmerbaum von 1961 wirkt dieses Urerlebnis erotischen und sexuellen Erwachens, allerdings in poetisch-bildlicher Transsubstantiation, unübersehbar in ihm nach. Er schrieb da : »[…] Wir schwammen. // Weißt du noch, daß du schwammst ? / Offen lagst du mir vor, / lagst du mir, lagst / du mir vor / meiner vor- / springenden Seele. […]«. Doch rasch geht die positive Evokation dann über in ein bitteres Dahinschwinden im »Nimmer«, will 34 |
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sagen : im ›nimmer mehr‹ (»Nimmer. Weltabwärts. Ich sang nicht. Offen / lagst du mir vor / der fahrenden Seele«80). Unabhängig vom realen Verlauf der weiteren Begegnung beider hat sich jedenfalls in Paul vom Rahmen dieser ersten Liebesbegegnung im Pruth das melancholische Traumbild des Moments einer erotischen Erfüllung im feuchten Element wie auch deren Vergänglichkeit lebenslang erhalten. Freundschaften und Liebeleien, engagierte politische Diskussionen sowie weitläufige literarische Interessen, hauptsächlich aber die eigene dichterische Tätigkeit bestimmten den Lebensalltag des Gymnasiasten. Dem Lernpensum der Schule kam er so gut wie nötig nach. Ohne Schwierigkeiten brachte er so im Sommer 1938 das dem Abitur entsprechende ›Bacalaureat‹ (dem französischen Baccalauréat entsprechend) hinter sich. Noch nicht ganz achtzehnjährig, schien ein in jeder Hinsicht günstiger Verlauf des Lebens vor ihm zu liegen. Mit den Eltern stimmte er darin überein, daß er studieren sollte. Sie wollten, daß er Medizin studiere, um sich als Arzt niederlassen zu können. Weil auch seine Mutter das wollte, stimmte er dem zu. Da für jüdische Studenten an den medizinischen Fakultäten der rumänischen Universitäten ein strikter Numerus clausus praktiziert wurde, mußte Paul sich für ein Studium im Ausland entscheiden. Weil Deutschland wie auch das im März 1938 ›angeschlossene‹ Österreich aus politischen Gründen von vornherein entfielen, lag die Entscheidung für ein Studium in Frankreich nahe. Die Phase der Jugend ging damit ihrem Ende entgegen. Der Ernst des Lebens in der Welt »jenseits der Kastanien« ließ nicht lange auf sich warten.
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A
m 9. November 1938, zwei Wochen vor seinem achtzehnten Geburtstag, nahm Paul Antschel den Schnellzug in Richtung Berlin. Der Umweg über die deutsche Hauptstadt ist leicht zu erklären, weil er ursprünglich vorhatte, über London nach Paris zu fahren, um die aus Wien klugerweise nach England geflohene Tante Berta, die ihm besonders zugetane Schwester des Vaters, zu besuchen. Obwohl sein Reisetermin sich verzögert hatte, blieb es bei der geplanten Route über Berlin und von dort direkt nach Paris. Quer durch Polen fahrend, kam er über Krakau und erreichte unweit von Breslau, dem heutigen Wrocław, die damalige deutsche Grenze. Mit einem Schlag befand er sich im Kernland seiner Muttersprache, freilich ebenso im Machtgebiet des Dritten Reiches. Bei der abendlichen Weiterfahrt nach Berlin erlebte er erstmals die ungewohnte Landschaft der Lausitz, des Spreewalds und des Tieflands der Mark Brandenburg. Das lange unveröffentlicht gebliebene, eher flüchtig hingeschriebene Gedicht Landschaft (ursprünglicher Titel : Während der Reise) vermittelt uns den Eindruck einer ziemlich verstörenden Wirkung auf ihn. Es handelt sich um punktuelle Impressionen, nacheinander festgehalten beim Blick aus dem Fenster des fahrenden Zuges. Immerhin fällt auf, daß der Autor bereits im Anfangsstadium sehr genau auf Grunderfordernisse wie Metrik, Reim, Strophe, Rhythmus und Symbolik achtete. Hier das Ergebnis seiner poetischen Eindrücke und Gedanken : Landschaft Es steht gekrümmt ein Birkenstamm : gekrümmte weiße Kreide. Drei Wolken links. Ein Bergeskamm. Und Heide, Heide, Heide. Dann Wald auf einmal, Föhrenwald. Weiß Birken. Wieder Föhren. Hoch oben Raben. Ob sie bald die Sterne kommen hören ? Ein Teich, verdunkelt … Häuser ? Licht ? Kam nicht ein Dorf vorüber ? Wer hier wohl tröstend Träume spricht ? Und Föhren wieder. Trüber …
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Zwei Mühlen noch, ein Spiel dem Wind ; mit langen Armen beide. – Ob hier die Winde Schlummer sind ? – Und Nacht. Und endlos Heide …81
Es handelt sich um eine aufschlußreiche Sammlung aneinandergefügter Beobachtungen und Überlegungen, die der Autor aber nicht endgültig ausgeführt hat. Der liegengelassene Text ist dennoch insofern erhellend, als darin die fremde Landschaft, die ihm nur schemenhaft begegnet – Birken, Bergkamm, Heide, Föhren, Teich, Wolken, Sterne, sodann Häuser, Licht, Dorf, zwei Mühlen im Wind – in den ersten beiden Strophen als überraschend neue, aber freie Natur erscheint, während ihm die bewohnten Teile von vornherein fragwürdig, ja lastend vorkommen. Vielsagende Fragezeichen unterstreichen hier das kurze Auftauchen von Häusern und das verschwommene Bild eines Dorfes. Daraus entwickeln sich zwei dringend fragende Überlegungen : »Wer hier wohl tröstend Träume spricht ?« (V. V. 11) und »Ob hier die Winde Schlummer sind ?« (V. 15). In beiden Fällen hinterfragt der Autor das ihn umgebende neue, befremdende Umfeld. Die hereingebrochene »Nacht« und die »endlose Heide« (V. 16) schlucken dann jedoch das alles auf. In einer komplexen Abbreviatur vermitteln diese Verse die klare subjektive Empfindung aufkommender Verunsicherung. Bei der Ankunft gegen Morgen in der sogenannten ›Reichshauptstadt‹ erfuhr Paul Antschel, was während der Nacht geschehen war. Die von der Nazipartei in ganz Deutschland organisierten und gelenkten Gewaltmaßnahmen gegen Juden, jüdische Geschäfte und Synagogen offenbarten der Weltöffentlichkeit mit Brand, Verhaftungen, Haßorgien, auch mit Mord und Todschlag endgültig die wahren Konsequenzen des von Hitler verkündeten Ziels der Judenvernichtung. Als einer der wenigen jüdischen ›Gäste‹ erfuhr Paul ganz direkt, was hinter den Parolen des Judenhasses wirklich steckte. Die mit perverser Ironie als ›Reichskristallnacht‹ bezeichneten Verbrechen zeigten ihm in aller Deutlichkeit das wahre Gesicht der nationalsozialistischen Gewalt-Ideologie. Unter diesen makabren Eindrücken fuhr er rasch weiter in Richtung Paris. Von unterwegs schrieb er der Freundin Edith Horowitz : Ich fahre nun durch einen deutschen Birkenwald. Wie sehr ich mich nach dem Anblick dieser Landschaft gesehnt habe, weißt Du, Edith ; doch wenn ich über den Wipfeln der Bäume die dichten Rauchschleier hängen sehe, graut es mir, denn ich frage mich, ob dort wohl Synagogen brennen oder gar Menschen […]82.
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Noch im 1962 entstandenen Gedicht La Contrescarpe und ebenso in dem 1967 in Berlin verfaßten Gedicht Lila Luft ist die fortdauernde Nachwirkung dieses traurigen Erlebnisses unmittelbar zu spüren83. Wir lesen da : »Über Krakau / bist du gekommen, am Anhalter / Bahnhof / floß deinen Blicken ein Rauch zu, / der war schon von morgen« ; und ferner : »Lila Luft mit gelben Fensterflecken, / der Jakobsstab überm / Anhalter Trum, // Kokelstunde, noch nichts / Interkurrierendes«. Der »Rauch« der brennenden Synagogen setzte sich in ihm für immer fest als düsteres Signal der Judenvernichtung. Das »Interkurrierende«, will sagen : das sich daraus Entwickelnde, das Bevorstehende, ließ in der Tat nicht lange auf sich warten. Nebenbei ein grundsätzlicher Hinweis. Die Gegenüberstellung der brieflichen Nachricht an Edith Horowitz mit den erwähnten lyrischen Ausformungen stellt einen Musterfall dar für die Leistung des Dichters in Gestalt der Transformation des realen Geschehens in einen ausgeführten und dadurch festgeschriebenen Gedankengang, der den Leser oder die Leserin zu weiterem Mit- und Nachdenken stimulieren kann. Die dabei vorgenommene qualitative Wesensverwandlung einer sachlichen Information in dargestellte und reflektierte Realitätselemente stellt, beispielhaft sinnfällig, eine Transsubstantiation der Wirklichkeit in Kunst dar. Celan war darin ein wahrer Meister. In Paris wurde Paul von Bruno Schrager(1903–1943), einem Onkel mütterlicherseits, erwartet, der im Quartier Latin, in der Rue des Écoles wohnte. In der gleichen Straße bezog Celan dann ein Jahrzehnt später, bei seinem definitiven Eintreffen in Frankreich, für die ersten Jahre ein Hotelzimmer. Ganz in der Nähe der Sorbonne, zwischen dem Collège de France, der École Polytechnique und dem Konferenzzentrum der Mutualité untergebracht, bekam er in den wenigen Tagen seines Aufenthaltes einen völlig ungewohnten, ihn äußerst faszinierenden Eindruck von der Hauptstadt Frankreichs, vornehmlich vom lebendigen Studentenviertel. Der nur wenig ältere Onkel, der hierhergekommen war, um Schauspielunterricht zu nehmen, vermittelte ihm erste Einblicke in die Sehenswürdigkeiten der Weltstadt zwischen Montmartre und Montparnasse. Auf Pauls speziellen Wunsch hin besuchten sie zusammen den Louvre, das Rodin-Museum und eine Aufführung der Comédie Française. Kurz traf der Neuankömmling dann noch mit Leonid Miller, einem Freund aus der Czernowitzer ›antifaschistischen Jugendgruppe‹, zusammen, weil der in Paris Medizin studierte und ihm praktische Ratschläge zur hierzulande üblichen Einschreibung geben konnte. Nebenbei zeigt uns diese Begegnung, daß Paul die Nähe zur linksorientierten Gedankenwelt, in diesem Fall zu den Trotzkisten, beibehielt84. Zum Semesterbe38 |
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ginn ging dann die Reise weiter ins Loire-Tal. Ziel war die alte Stadt Tours. Paul war dort, der geringeren Kosten in der Provinz wegen, angemeldet zum medizinischen Vorstudium an der École de Plein Exercice de Médecine et de Pharmacie. Sein Erfahrungshorizont hat sich bei dieser strikt schulisch angelegten Ausbildung gewiß nicht sonderlich vergrößert, jedenfalls folgte er den propädeutischen Kursen weithin ohne inneres Engagement. Wenn immer wieder vom einjährigen Medizinstudium Celans in Tours gesprochen wird, ist das reichlich übertrieben. Ein Blick in den Lehrplan klärt darüber auf, daß es sich im Kern lediglich um vorbereitende Kurse in den Fächern Chemie, Physik und Biologie handelte. In der Provinzhauptstadt der Touraine traf Paul den Czernowitzer Freund Manuel Singer wieder, mit dem er nach dem Abitur, also kurz davor, in Sommerferien gefahren war. Sie wohnten zunächst beide zusammen. Ihrer verschiedenen Lebensweise wegen zog Paul aber bald in eine eigene Behausung um. Sogleich inspizierte er die neue Umgebung intensiv. Rasch machte er neue Bekanntschaften, allerdings hauptsächlich in der von deutschen Emigranten gegründeten Gesellschaft zur deutsch-französischen Annäherung. Zu eingesessenen Familien fand er nur wenig Zugang. In erster Linie traf er sich mit dem seit 1933 in Palästina lebenden deutschstämmigen, in Frankfurt aufgewachsenen Eliyahu Pinter, der aus der neuen Heimat »zu einem Praktikum in Urbanistik nach Frankreich gekommen« war. Dem neuen Freund gelang es sogar, Paul, der »sich als religiös indifferenten Juden« bezeichnete, zu einem Sabbat-Gottesdienst mitzunehmen und den Kontakt zum Gemeinderabbiner herzustellen85. Der an Literatur durchaus interessierte Pinter war überrascht vom weiten kulturellen Horizont dieses ›Ostjuden‹. Denn Paul zeigte sich nicht nur bewandert in der klassischen und romantischen, sondern ebenso in der modernen Literatur Deutschlands, Frankreichs und Englands. Neidlos mußte Pinter anerkennen, daß der Freund ihm in dieser Hinsicht weit überlegen war. Paul konnte nicht nur mit Verlaine, Rimbaud, Proust und Gide aufwarten, sondern auch mit Céline, Aragon, Breton, Éluard, Julien Green und den Anfängen von Camus. Dabei verschwieg er gänzlich seine eigenen künstlerischen Bemühungen. Unabhängig davon durchstreiften beide zusammen die Altstadt mit ihren vielen Cafés, machten abendliche Spaziergänge im nahen Umfeld der Stadt und besuchten auch gelegentlich Konzerte. Interessanterweise las Paul damals die deutschen Übertragungen der Sonette Shakespeares durch Stefan George, Friedrich Gundolf und Karl Kraus. Seine Unzufriedenheit mit diesen Umdichtungen regte ihn sicher dazu an, sich selbst daran zu versuchen. Die spätere Übersetzung von einundzwanzig Sonetten geht bestimmt auf diese Eindrücke zurück, zumal er auch schon in den poetischen Zirkeln der Schulzeit sich wiederholt mit Texten Shakespeares, einschließlich der Sonette, Das erste Jahr in Frankreich (1938/39)
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auseinandergesetzt hatte. Auch derlei gehörte also zu seiner poetischen Lehrzeit. Sie war ihm weit wichtiger als die medizinische Schulung. In politischer Hinsicht traf es sich gut, daß er in Tours Gelegenheit hatte, mit spanischen Republikanern zusammenzukommen, die im Zuge der militärischen Erfolge Francos nach Frankreich geflohen waren. In erster Linie aber konzentrierte er sich darauf, möglichst viel an der Kommunikation seiner Umgebung teilzunehmen, um sein Französisch ›aufzupolieren‹. Aufs Ganze gesehen kam Paul der Alltag in der gutbürgerlich-katholischen Provinzstadt allerdings ziemlich eintönig vor. Deswegen nutzte er die nächstbeste Gelegenheit, um wieder nach Paris zu kommen. Die Weihnachtsferien boten die willkommene Möglichkeit zur Verwirklichung dieser Absicht, zumal der Freund Erich Einhorn angekündigt hatte, ebenfalls dorthin zu kommen. Da auch Manuel Singer mit von der Partie war, kamen vier Czernowitzer – neben Erich Einhorn, Leonid Miller, Manuel Singer und Paul Antschel – an der Seine zusammen. Paul stellte aus diesem Grund das Vorhaben, Tante Berta in London zu besuchen, erneut zurück. Man kann in dem gemeinsamen Pariser Treffen der Freunde einen wesentlichen Grund für Celans Entschluß sehen, sich nach der Flucht aus Rumänien ganz in Paris niederzulassen. Paris war für ihn ein beglückendes Ur-Erlebnis. Wieder nach Tours zurückgekehrt, absolvierte Paul das noch zu erledigende vormedizinische Ausbildungsprogramm. Über seine weiteren Unternehmungen gibt es nur wenige Nachrichten. In den Osterferien fuhr er zusammen mit Manuel Singer nach London, um endlich den Besuch bei Tante Berta Katz (geborene Antschel) nachzuholen. Auch dort traf er Czernowitzer Schulfreunde. Aber in erster Linie nutzte er die Gelegenheit, eine Aufführung in der Originalsprache Shakespeares mit großen Schauspielern sehen und vor allem hören zu können. Sein weiteres Interesse galt dem British Museum. Als aber die Tante ihm vorschlug, am Ende des Studienjahres noch einmal zu kommen, lehnte er das mit dem Hinweis ab, seine ganze Liebe gehöre Paris. Außerdem ist noch zu erwähnen, daß Paul zum Muttertag im Mai 1939 seiner Mutter ein ihr gewidmetes Gedicht zuschickte86. Interessanterweise lobt der Autor in dem glatt gefügten und ordentlich gereimten Sonett nicht nur die »lautlos heilende« Kraft der Mutter (V. 1), sondern – zur Überraschung des Lesers – ebenso die von ihr ausgehende Wirkung, die er mit den Worten »läuternd wie ein Tod« (V. 6) beschreibt. Der Sohn, hier als »schmiegsam in die Lebenskreise« Tretender (V. 5) und als »Steinerner vom Morgen« (V. 9) eingeführt (übrigens im selbstauszeichnenden Pluralis Majestatis), spricht dann von seinen »Wunden«, die er den »Fremden« nicht unbedingt zeigen will. Inwieweit hier, wie Felstiner mutmaßt, ein »Verlust, der über den Anlaß hinausgeht, oder vielleicht seine Vorwegnahme« ins Spiel 40 |
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gebracht wird87, bleibe dahingestellt. Jedenfalls aber bringt diese ins Gedicht genommene Selbstaussage »Wunden« ans Licht der Leseröffentlichkeit, die Pauls Psyche schon damals belasteten. Innere Spannungen und schwer zu ertragende Verwundungen waren bereits zu jener Zeit bestimmend für Celans Reagieren auf die unguten Weltläufte. Nicht zufällig stellte der Czernowitzer Bekannte Chaim Ginniger rückblickend fest : »Da muß es dunkles Dickicht geben, wenn die reifen Jahre […] so wenig ins Helle treten«88. Mit vollem Bewußtsein war Paul demzufolge damals schon im Innern »auf das unheimlichste im Freien« und insofern »wirklichkeitswund«89. Im Juli 1939 absolvierte Paul ohne Schwierigkeiten das Abschlußexamen seiner vormedizinischen Ausbildung und kehrte danach – infolge der unsicheren Zeitsituation – auf direktem Wege in seine Geburtsstadt zurück90. Er hatte durchaus den Vorsatz, nach den Ferien das Studium in Tours fortzusetzen. Davon konnte dann angesichts der politischen Gesamtsituation in Europa, insbesondere angesichts des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs Anfang September 1939 nicht mehr die Rede sein. Immerhin hatte sich sein Horizont in der relativ kurzen Zeit des Aufenthalts in Frankreich beträchtlich erweitert. Außerdem konnte er nunmehr die Gewißheit haben, die französische Sprache perfekt zu beherrschen. Daran erinnerte sich sogar die Kommilitonin Dorothea Müller-Altneu noch 1970 bei der Gedenkfeier für Paul Celan in Haifa mit dem Hinweis über den Czernowitzer Rückkehrer mit der folgenden Aussage zu seiner Sprachkenntnis : »[…] glaubte man, daß sein reines, fließendes Französisch seine Muttersprache war«91. Auf alle Fälle hat der erste Aufenthalt in der ›Fremde‹ Paul im Punkt menschlicher Lebenserfahrung spürbar weiter gebracht. Die erste Zeit in Frankreich wurde für ihn zum Ereignis der Ich-Findung. Von nun an konnte er von sich sagen : »Ich bin […] mir selbst begegnet«92. Danach überstürzten sich für ihn die Ereignisse. Mit dem Einmarsch der deutschen Armeen in Polen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war an eine Rückkehr nach Tours nicht mehr zu denken. In einem auf den 16. September datierten Brief teilte Paul der dortigen Universitätsverwaltung mit, daß er umständehalber sein Studium in Rumänien fortsetzen müsse. Abrupt endete so der erste Kontakt mit Frankreich.
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Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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ieder zu Hause konnte Paul, ungeachtet der vielen bereits gemachten besorgniserregenden Erfahrungen, in keiner Weise ahnen, was ihm in den nächsten Jahren bevorstand. Erfreut traf er die alten Freunde und Bekannten wieder, vor allem Edith Horowitz, Gustav Chomed, Erich Einhorn wie auch Immanuel Weißglas und genoß mit ihnen die warmen Spätsommertage. Ausgesprochen glücklich machte ihn natürlich das Wiedersehen mit der Mutter. Den Plan, Arzt zu werden, gab er gleich nach seiner Rückkehr auf. Für das akademische Jahr 1939/40 schrieb er sich an der Czernowitzer Universität für das Studium der Romanistik ein. Diese Entscheidung ergab sich für ihn zwingend aus den in Frankreich gemachten sprachlichen Fortschritten und Leseerfahrungen, mehr noch aus der überaus anregenden, wenngleich kurzen Wirkung des französischen Lebensalltags. Er betrieb das Studium systematisch. Weit über den offiziellen Lehrstoff hinaus, erschloß er sich die französische Literaturgeschichte bis ins Mittelalter hinein wie auch, auf den Linguisten Ferdinand de Saussure gestützt, die sprachwissenschaftlichen Zusammenhänge im System und im Gebrauch. So brachte er beim späteren Eintreffen in Frankreich eine feste kulturelle Grundlage mit. In den ersten Wochen nach der Rückkehr aus Frankreich tummelte Paul sich intensiv im Kreis der Freunde und vor allem der Freundinnen. Edith Silbermann berichtet hierzu : Paul […] flatterte wie ein Schmetterling von einem Mädchen zum anderen. Machte plötzlich gar der Tochter des Oberrabbiners Mark den Hof, besuchte mit ihr Tanzveranstaltungen, kam nichtsdestotrotz weiterhin auch zu mir. Er schwärmte für Camus und Aragon, Autoren, die mir bis dahin unbekannt waren, vor allem aber für den Surrealismus, der mir überhaupt nicht einleuchten wollte, brachte gelegentlich auch ein eigenes Gedicht mit oder schrieb es bei uns auf93.
Ein munteres Leben in der Zukunft schien sich für ihn abzuzeichnen. Aber das erwies sich rasch als eine gründliche Täuschung. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sparte Rumänien nur kurze Zeit aus. Dabei hatte das im August 1939 abgeschlossene Hitler-Stalin-Abkommen insgeheim bereits festgelegt, der Sowjetunion die 1918 verlorene Provinz Bessarabien zurückzugeben. Im Zuge dieser 42 |
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Absprache machte Rußland schon im Frühjahr 1940 gegenüber dem Königreich Rumänien Ansprüche auf Bessarabien und die nördliche Bukowina geltend. Weil zum gleichen Zeitpunkt die Erfolge von Hitlers Armeen Frankreich zur Kapitulation zwangen, war mit einer westlichen Hilfe für Bukarest nicht zu rechnen. Die rumänische Regierung zog daraus die Folgerung, diese Gebiete zu räumen. So konnte am 28. Juni 1940 die Rote Armee kampflos in Czernowitz einziehen. Aus dem rumänisch verwalteten Cernăuți wurde nun das sowjetisch regierte Tschernowcy. Das war das Ende der Zwischenkriegszeit und der Anfang des sogenannten ›ersten Russenjahrs‹. Wie im gesamten öffentlichen Leben erfolgte auch im Bildungsbereich die Umstellung auf das Sowjet-System. Die ehemals deutsche, dann rumänische Universität wurde vorübergehend geschlossen. Ein guter Teil der Lehrkräfte wie auch der Studierenden zog nach Rumänien um. Das verkündete ›Arbeiter- und Bauernparadies‹ blieb leeres Versprechen. Vielmehr erfuhr das öffentliche Leben eine strikte Reglementierung nach stalinistischem Muster. Chalfen beschreibt den »Mangel an vielen lebenswichtigen Dingen« sowie »die leeren Versprechungen der hohen Funktionäre«, die zu allgemeiner »Unzufriedenheit, einschließlich früherer Sympathisanten« führten94. Die jüdischen Mitbürger wurden zunächst weithin in Ruhe gelassen. Jedoch in der Nacht vom 13. zum 14. Juni 1941, kurz vor dem Überfall der deutschen Truppen auf Rußland, wurden sogenannte ›unzuverlässige Elemente‹, etwa 3800 Nordbukowiner, darunter siebzig Prozent Juden, unter dem Vorwand, sie seien Kapitalisten, Revisionisten oder Zionisten, nach Sibirien deportiert95. Gleichzeitig entschloß sich ein anderer Teil der jüdischen Studenten, wohl in vorausschauender Befürchtung eines baldigen Einmarsches rumänischer und deutscher Truppen, in die Sowjetunion zu flüchten. Unter ihnen waren die beiden Freunde Pauls Gustav Chomed und Erich Einhorn. Paul hingegen blieb bei seiner Familie in Czernowitz. Aber wir greifen zeitlich vor und kehren darum zurück an den Beginn des ›Russenjahrs‹. Kurze Zeit arbeitete Paul zunächst als Dolmetscher einer Einquartierungskommission, dann setzte er sein Studium der Philologie fort. Allerdings tat er das praktisch im Alleingang, weil wenig qualifizierte Lehrkräfte den sehr mäßigen Unterricht erteilten96. Wenigstens konnte er durch die Hinzunahme des Russischen nun seine bereits vorhandenen Sprachkenntnisse ausbauen. Er schaffte es in kurzer Zeit so weit zu kommen, daß er Tolstois Krieg und Frieden im Original lesen konnte. Somit verfügte er bald über die nötigen Grundlagen, um später auch aus dem Russischen übersetzen zu können. Der Stalinismus war ihm zuwider. Er bemerkte hierzu : »später durfte ich dem Antisemitismus in seiner sowjetischen Spielart begegnen«97. Er pflegte damals zu sagen : »Jetzt bin ich Trotzkist«98. Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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Ganz außerhalb der sozialpolitischen Veränderungen kam es im Sommer 1940 zur ersten, ihn voll engagierenden Liebesbegegnung. Paul lernte Ruth Lackner kennen, die wenige Jahre ältere Schauspielerin am jiddischen Theater von Czernowitz. Daraus erwuchs seinerseits eine große Liebe. Sie war gleichfalls von dem »verträumten und schwärmerischen« Jüngling angetan. Nach einer gescheiterten Ehe kam der jungen Frau dieser in vielem mit ihr übereinstimmende Verehrer gerade recht. Es gibt von ihr eine aufschlußreiche und überaus treffende Charakterisierung, in der sie rückblickend konstatierte : […] Paul war sehr sensibel und leicht verletzlich. […] Vor allem sich selbst gegenüber stellte er höchste Ansprüche, aber auch von den Menschen seines Umganges verlangte er ein unerläßliches Niveau. Man bekam schon damals den Eindruck, daß er keine Kompromisse anzunehmen bereit war, daß er zum Absoluten allein strebte. […] Bei aller Redegewandtheit war er des öfteren so sehr vom Gefühl beherrscht, daß er ganz plötzlich verstummte und sich verabschiedete, um später in einem kurzen Brief, den er selbst überreichte, das zu sagen, was er vorher nicht hatte aussprechen können99.
Für Paul war die Begegnung mit Ruth die Erfüllung des langgehegten Traumes, sich eine Gegenwelt zur schlimmen Alltagswelt zu schaffen, wie er sie im Gedicht Notturno eindringlich mahnend darstellte. Notturno Schlaf nicht. Sei auf der Hut. Die Pappeln mit singendem Schritt ziehn mit dem Kriegsvolk mit. Die Teiche sind alle dein Blut. Drin grüne Gerippe tanzen. Eins reißt die Wolke fort, dreist : verwittert, verstümmelt, vereist, blutet dein Traum von den Lanzen. Die Wolke ist ein kreißendes Tier, das kahl in die Mondnacht schlich, Gott ist sein Heulen. Ich Fürchte mich und frier.100
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Wir haben es mit einem typischen Jugendwerk Paul Antschels zu tun. Sein nächtlicher Alptraum in lyrischer Form aus dem Jahr 1941 ist nicht zu denken ohne die antiromantische Pathetik der ihm wohlvertrauten Expressionisten und ebenso der Lyrik seiner Czernowitzer Vorgänger. Wer mit der Überschrift die Erwartung nächtlich-stimmungsvoller Bilder und Klänge verbindet, wird freilich vom nachfolgenden Text eines anderen belehrt. Kein süßer Traum kommt da zur Sprache. Vielmehr ertönt gleich einleitend ein eindringlicher Weckruf (»Schlaf nicht. Sei auf der Hut«, V. 1). In drei etwas mühsam gereimten Vierzeilern überkommt den Autor und somit auch den Leser eine schwer lastende, kaum zu ertragende Untergangsvision. Was zunächst Selbstverständigung ist, wird durch die poetische Präsentation zur allgemeinen Herausforderung. Deutlich unter dem Eindruck des realen Kriegsgeschehens jener Jahre (»Kriegsvolk«, V. 3 und »Pappeln mit singendem Schritt«, V. 2) wird in den beiden ersten Strophen das Schreckbild entwurzelter Bäume zum Symbol einer vom mörderischen Geschehen mitgerissenen, zerstörten Natur. Allerdings sind die dafür gewählten Bilder angesichts des modernen ›totalen Krieges‹ entschieden zu harmlos (»Kriegsvolk«, »singender Schritt«, Totentanz der »Gerippe«, »Lanzen«). Immerhin kommen zwei auswertende Beobachtungen zu vertiefender Wirkung : »Die Teiche sind alle dein Blut« (V. 4) und »blutet dein Traum« (V. 8). Sie, wie auch der Grün-Rot-Gegensatz sowie die Aufzählung der Partizipien (»verwittert«, verstümmelt«, »vereist«, V. 7) erbringen die nötige aufklärende, in jeder Hinsicht destruktive Sichtweise des blutgefüllten und insofern vernichteten »Traums« von einem Leben in reiner, unbefleckter Natur. Die »dreiste Wolke« (V. 6) kann das traurige Gesamtbild nicht verdecken. Die desillusionierende Szenerie bleibt als Ganzes wirksam. Es gibt keine ›letzte Hoffnung‹ mehr. Mit der dritten Strophe zieht der Autor für sich – und uns – Bilanz : »Die Welt ist ein kreißendes Tier, / das kahl in die Mondnacht schlich« (V. 9/10). Damit ist ein verstörendes Weltbild angesprochen, das unser Leben dem eines unter Geburtsschmerzen stöhnenden Tieres gleichsetzt. Die Mondnacht, in der sich das abspielt, ist ersichtlich jeglicher Romantik beraubt. Daraus erwächst eine Vorstellung, die den Glauben göttlicher Schöpfung prinzipiell in Zweifel zieht (»Gott ist sein Heulen«, V. 11). Gott, der Schöpfer, ist nur noch das »Heulen« des »kreißenden Tieres«, mithin ein UnGott, dessen Evokation dem lyrischen Sprecher Furcht und Kälte einflößt (»Ich / fürchte mich und frier«, V. 12). Das hier sprechende »Ich« ist wortwörtlich ›von Gott und Welt verlassen‹. Paul Antschel hat damit einen radikalen Gegenentwurf zur romantischen Naturfrömmigkeit ausgemalt. Er bediente sich dabei reichlich am überkommenen Metaphern- und Sprachrepertoire. Zweifellos war es ein mutiger Schritt, derart destruktive Bilder vorzulegen. Man ist geneigt, darüber die Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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teilweise gesuchten, stellenweise unzulänglichen Metaphern (blutgefüllte Teiche, Welt als »kreißendes Tier«) laufen zu lassen, weil hier ein Ich spricht, das uns Entscheidendes zu sagen weiß. Bei aller epigonalen Grundierung ist dem noch jungen Anfänger ein überzeugender Wurf gelungen. Ganz nebenbei erfahren wir hier etwas für Celans weiteres Leben Bedeutsames. Er hatte keine Beziehung zum religiösen Glauben. Nicht die jüdische Religion hat ihn zum Juden gemacht, sondern seine Erfahrungen als Jude in einer Gesellschaft, in welcher Antisemitismus gang und gäbe ist. Insofern kann man Helmut Böttiger ohne Einschränkung beipflichten, wenn er sagt : »Seine Religion war die Dichtung«101. Mit Recht flößte die von ihm evozierte »Notturno«-Welt Paul Antschel im weiteren Leben zunehmend Furcht und Schrecken ein. Aus dieser Ablehnung heraus suchte er verständlicherweise nach ausgleichender Gegenwirkung. Zu diesem Zeitpunkt glaubte er, sie in der Liebe zu Ruth Lackner, der Schwester im Geiste102, gefunden zu haben. Allabendlich erwartete er die Geliebte am Theaterausgang, und sie unternahmen dann zusammen ausgedehnte Spaziergänge, die er meist mit Blumen und einem beigefügten Gedicht für sie einleitete. Ohne weiteres konnte er da in freien Rhythmen schreiben : »Mond. Und unsre Herzen hissen neue Fahnen. / Meine / Wimpern bieten deinen Wimpern / Frühling«103. Das läßt auf großes Einvernehmen schließen. Jedenfalls aber beflügelte die erfüllte Zweisamkeit entschieden seine poetische Phantasie. Rasch zeigte er sich zunehmend souverän in seinem dichterischen Ausdrucksvermögen. Ein Beispiel dafür liefert das auf den 23. Mai 1942 datierte Liebeslied. Dabei hat der Autor den Titel im Manuskript in Klammern gesetzt und damit als so gut wie nur halb gültig eingestuft : (»Liebeslied«) Weiß sind die Tulpen ; neige dich über mich. Die Nacht tauscht Wind für fächelnde Hände ein. Sag : es werden die Falter schwärmen ? Sag : mein Mund wird der einzige Kelch sein ? Und du schließt die Augen vor rosigem Schimmer ? Sag ? Denn diesmal – fühlst du ? – läßt dich mein Arm nicht mehr In die Welt … Weiß sind die Tulpen ; neige dich über mich !104
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Zweifellos teilt sich hier einer mit, der seiner Sache nicht sicher ist. Die Interpunktion zeigt mit fünf Fragezeichen deutlich genug, daß hier ein rein und tief Hoffender spricht. Die so dringlich angesprochene Partnerin soll ihm liebende Geborgenheit entgegenbringen, die es vermag, ihn aus seiner Verlorenheit zu befreien. Wie es an anderer Stelle heißt : »Ihr legt sein Ruf sich ums Gelenk«105. Das an den Schluß gesetzte Ausrufezeichen unterstreicht sein sehnsüchtiges Verlangen. Das »Liebesgedicht« konfrontiert uns mit einer herbeigesehnten Liebesutopie. Der Text des reimlosen Gedichts ist in elf ›Verse‹ mit harten, die syntaktische Struktur rhythmisierenden Zäsuren gegliedert (8 + 2 + 1). Inhaltlich geht es um die intensiv fordernde Ansprache der Geliebten. Anfangs- und Schlußvers stimmen wortwörtlich überein. Das Bild der »weißen Tulpen« soll von vornherein mit der gewählten Farbe – weiß, nicht rot – die Unschuld reiner Liebe suggerieren und am Ende bekräftigen. Die gesuchte Zuwendung liebender und schützender Begegnung kommt sodann klar zum Ausdruck : »neige dich über mich« (V. 1 und 11). Das Semikolon zwischen beiden Aussagen unterstreicht den angestrebten engen Zusammenhang von Blumen und Neigung im Sinne liebender Zuwendung. Kein Punkt darf sie voneinander trennen. Der zweite Vers beschreibt den nötigen atmosphärischen Rahmen für das intensive Zusammentreffen zweier Liebender. »Nacht« und »Wind« bekräftigen die Intensität der angestrebten Ich-Du-Relation. Im Zusammenwirken ›leisten‹ sie weit mehr als es bloß »fächelnde Hände« vermögen. Damit ist festgelegt, welch hohe Intensität das einvernehmliche Zusammentreffen im Sinne gegenseitiger Geborgenheit dem nächtlichen »Wind« vom Sprechenden unterstellt wird. »Fächelnde Hände« hingegen sind lediglich Begleiterscheinungen der Alltäglichkeit und des Egoismus. Welcher Grad an Emotionalisierung für die Begegnung angestrebt wird, belegt die metaphorische Reihe der hier und in der Folge angesprochenen Motive : Nacht, Wind, sodann Falter, Kuß, »rosiger Schimmer«. In einer dreifach ansetzenden Bewegung wird von der Partnerin Einverständnis gefordert (»Sag«, V. 3, 5 und 8). Allerdings bleibt der Erfolg dieser Anweisungen fraglich. Sie weisen in eine unsichere Zukunft, denn man kann nicht wissen, ob wirklich »die Falter schwärmen« (V. 4), der Mund des Liebenden »der einzige Kelch sein« wird (V. 6), und die Geliebte die Augen schließen wird »vor dem rosigen Schimmer« (V. 7). Die Intensität der gesuchten Wechselbeziehung bekräftigend, läßt der so Sprechende offen, was alles zu tun wäre. Das Ideal bleibt in den angedeuteten grenzenlosen Erwartungen fraglich (»Sag ?«, V. 8). Die wahre liebende Begegnung schrumpft angesichts des »rostigen Rätsels der Erde«106 leider zum offenen utopischen Traum. Nach einer Zäsur kehrt der Sprechende wieder von der Zukunft in die Gegenwart zurück und vergewissert sich der gerade erfolgenden Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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Umarmung. Sie soll fortdauern und die Liebenden fern halten von der unguten Welt (»Denn diesmal […] läßt dich mein Arm nicht mehr / in die Welt« (V. 9/10). Doch bleibt auch der momentan erfüllte Augenblick fraglich (»fühlst du ?«, V. 9). Allerdings muß der Liebende einräumen, daß die Antwort auf seine Erwartungen offen bleibt. Immerhin hält er den Gedanken einer wahren Liebe aufrecht, so daß er noch einmal nachdrücklich sagen kann und will : »Weiß sind die Tulpen ; neige dich über mich !« (V. 11). Es bleibt also bei der Beschwörung erfüllter Liebe, freilich ebenso bei der grundsätzlichen Desillusionierung. Unabhängig von diesem in sich widersprüchlichen Versuch zur Durchsetzung wahrer Liebe in einer ambivalenten Realität waren Paul und Ruth längere Zeit unter den schlimmsten Rahmenbedingungen eng miteinander verbunden. Von ihrem Zusammensein ging für beide eine ungemein kräftigende Energie aus, die sie befähigte, auch das Schlimmste zu überstehen. Ganz dem Wortsinn nach war ihre Begegnung lebensnotwendig. In dem zur selben Zeit entstandenen Gedicht »Lebenslied« heißt es nicht ohne Grund : »Es hat ein Wind dich quer / gelegt über die Schluchten. / Du bist die Brücke und du weißt es nicht«107. Was er Ruth verdankte, hat Paul in zahlreichen Gedichten, besonders aber in den Versen zur Blume Seidelbast festgehalten : Von diesen Stauden mit dem rötlich-weißen Geheimnis ist dein dunkles Herz erfaßt. An deinen Wangen laß mich, an den heißen, verweilen mit dem Duft vom Seidelbast.108
Aus einer eher alltäglichen, liebend-huldigenden Geste entwickelt Paul hier für Ruth ein lyrisches Geschenk, mit dem er sich dafür bedankte, in ihr eine ihn verstehende Partnerin getroffen zu haben, die seine poetische Begeisterung mit zu vollziehen und zu würdigen in der Lage war. Wie man sieht und hört, werden seine Verse unter der Hand freier im Ausdruck, weniger preziös, weniger gesucht, dafür einfacher, zugleich vieldeutiger und damit gewichtiger. Das Tor zur Dichtung stand ihm offen. Von nun an konnte er – wie im Gedicht Zur Laute – mit vollem Recht von sich sagen : »Ich seh und singe«109. Im Gedicht Sternenbild, das er Ruth am 2. Dezember 1943 mit einer beigelegten eigenhändigen Zeichnung des Großen Wagens zum Geburtstag schenkte, betonte er in der letzten Strophe das Gewicht, das diese umwerfende Begegnung für ihn hatte : Uns kann im Mondschein keiner gleichen seit die Pracht dort oben unser eigen war.
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Mein Herz strahlt wild vom herrlichen Bescheid. Dein Haar vom Glanz aus Berenikes Haar.110
Ausgehend von der Sternenkonfiguration des Großen Wagens wird nach einem spielerischen Blick auf die Bedeutung der Begegnung beider in der hier wiedergegebenen Schlußstrophe das volle existentielle Gewicht dieses Zusammentreffens zelebrierend vorgeführt. Dem Haar der Geliebten spricht er dabei den »Glanz aus Berenikes Haar« zu. Paul Antschel dachte dabei wohl nicht allein an das Sternbild des nach der ägyptischen Königin Berenike II. benannten Asteroiden, sondern auch an Berenike, die Tochter des jüdischen Königs Herodes Agrippa II. Jedenfalls aber kommt die huldigende Bewunderung des Liebenden für Ruth deutlich genug zum Ausdruck. Im Rahmen der politischen Entwicklungen auf dem Balkan ging das ›erste Russenjahr‹ ebenso unvermittelt zu Ende wie es gekommen war. Im Königreich Rumänien hatte sich im September 1940 der mit dem Faschismus paktierende General Ion Victor Antonescu zum diktatorischen ›Staatsführer‹ ernennen lassen. Umgehend trat er dem Dreierbündnis Deutschland, Italien, Japan bei und erreichte dadurch die von ihm gesuchte russische Reaktion. Nur eine Woche nach der erwähnten Deportation ›unliebsamer Elemente‹ nach Sibirien verließen die sowjetischen Truppen ohne große Kampfhandlungen die Nordbukowina. Ihnen schlossen sich nicht nur die sowjetischen Verwaltungsangestellten und die ideologischen Kollaborateure, sondern gleichfalls eine ganze Reihe linksgerichteter Studenten an, darunter Pauls Freunde Gustav Chomed und Erich Einhorn. Paul blieb mit Ruth in Czernowitz. Beide konnten nicht ahnen, was ihnen bevorstand. Am 22. Juni 1941 begann der Überfall der Sowjetunion durch die deutschen Armeen. Bald darauf, am 5. und 6. Juli zogen zuerst rumänische, dann auch deutsche Truppen und vor allem die SS-Einsatzgruppe D in Czernowitz ein. Damit begann für die Juden eine fast drei Jahre dauernde bedrückende Phase der Erniedrigungen, der Verfolgungen und auch der gezielten Vernichtung. Die Einsatzgruppe D arbeitete nach dem eindeutigen Geheimbefehl : »Energisch durchgreifen, die Juden liquidieren«111. Um ein starkes Zeichen zu setzen, wurde sofort der ›Große Tempel‹ der Stadt niedergebrannt. Ebenso erfolgte unverzüglich die Hinrichtung der Hauptvertreter der jüdischen Gemeinde. Insgesamt kamen gleich in den ersten Tagen 682 Juden ums Leben. Sie wurden in der Regel durch Genickschuß ermordet, nachdem sie zuvor ihr eigenes Grab am Ufer des Pruth hatten schaufeln müssen112. Bereits Ende August konnte der für die Mord-Aktion verantwortliche SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin stolz melden, daß über 3000 Juden liquiDer Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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diert wurden. Danach wurden im Oktober die noch lebenden etwa 45.000 Juden, darunter auch die Familie Antschel, in einem rasch organisierten Ghetto zusammengepfercht. Sie verloren automatisch ihre Bürgerrechte, mußten den Judenstern tragen und Zwangsarbeit leisten. Wegen der Gefahr ausbrechender Seuchen wurde das Ghetto Anfang 1942 wieder aufgelöst. Ohnehin war es im Grunde nur »eine Sammelstelle zum Zwecke der Deportation«113, nämlich der gewaltsamen Verschleppung nach Transnistrien. Es handelt sich dabei um das von Hitler den Rumänen zugesprochene ukrainische Gebiet zwischen den Flüssen Dnjestr und Bug. Die Zwangsarbeit dort wurde für die meisten von ihnen allerdings zur Hölle planmäßig schonungsloser Ausrottung. Weil Czernowitz ohne die Juden sich als nicht funktionsfähig erwies, durften etwa 15.000 von ihnen unter rumänischer Aufsicht in der Stadt bleiben. Paul hatte das Glück im Unglück, zu den Aufräumungsarbeiten an der zerstörten Brücke über den Pruth eingeteilt zu werden. Danach wurde er kurzfristig beauftragt, verbotene russische Bücher einzusammeln und zu vernichten. Die Familie Antschel konnte nach der Auflösung des Ghettos vorübergehend wieder in ihre alte Wohnung in der Masarykgasse zurückkehren. An einem Wochenende im Juni 1942 erfuhr Paul, daß neue Deportationen drohten. Ruth hatte ein Versteck ausfindig gemacht, wo man Zuflucht finden konnte. Er wollte die Eltern dazu bringen, gleichfalls dorthin zu kommen, aber sie lehnten das ab. Sie wußten nicht, daß damals schon zwei Drittel der nach Transnistrien deportierten Juden den Tod gefunden hatten. Als Paul sie anderntags aufsuchen wollte, fand er eine leere Wohnung und eine versiegelte Haustür vor. Seine Eltern waren abtransportiert worden. Er hat sie nicht mehr wiedergesehen. Einen Monat später erfolgte seine Einteilung als Zwangsarbeiter in einem Arbeitsbataillon der rumänischen Armee und der Organisation Todt im vierhundert Kilometer entfernten Tăbărăști, bei Buzău in der südlichen Moldau. Befragt, was er dort habe tun müssen, pflegte er trocken zu antworten : »Schaufeln«114. Von dort schrieb er Ruth : Du schreibst, ich soll nicht verzweifeln. Nein, Ruth, ich verzweifle nicht. Aber meine Mutter tut mir leid, sie war so krank in der letzten Zeit. Sie denkt sicherlich fortwährend, wie es mir geht, und so ohne Abschied bin ich weg, wahrscheinlich für immer115.
Seine Ahnung hat nicht getrogen. Im Spätherbst 1942 erfuhr er zuerst vom Tod seiner jüngeren Verwandten Selma Meerbaum-Eisinger (1924–1942). Sie gehörte zum selben Transport wie Pauls Eltern, mußte dann Steine klopfen für den Straßenbau und starb entkräftet an Fleckfieber. Das dichterisch begabte Mädchen hatte vorausahnend über eine blühende Rose geschrieben : »stirbt sie, stirbt 50 |
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und hat das Leben nicht gelebt«116. Pauls Vater starb im Herbst 1942 an Typhus. Manche Berichte gehen auch dahin, er sei erschossen worden. Offenbar erfuhr Paul davon durch einen ihm zugeschmuggelten Brief der Mutter. Im Winter 1942/43 wurde dann die arbeitsunfähige Mutter durch Genickschuß ermordet. Ein aus Transnistrien geflohener Verwandter teilte Paul das mit. Seitdem lebte der im schwer lastenden Bewußtsein der Schuld des Überlebenden. Von nun an führte er seine Existenz bewußt als überzeugter Jude. Seine weitere dichterische Arbeit spiegelt diese innere Entscheidung vielfach wider. Der geliebten Ruth, seiner »Schwester im Dunkel«117, schrieb er im März 1943 : Es soll nun Frühling werden, Ruth […] Seit ungefähr zwei Jahren fühle ich nicht mehr Jahreszeiten und Blumen, und Nächte und Verwandlungen überhaupt118.
Da er in Czernowitz kein Zuhause mehr hatte, hielt er sich an den wenigen Tagen, an denen er wegen der schlechten Witterung vom Straßenbau freigestellt wurde, zunächst bei seinem Großvater, dann im Hause der Freundin Edith Horowitz auf. Die Zwangsarbeit hatte tiefe Spuren hinterlassen, weit mehr noch dann, naturgemäß, die Ermordung seiner Eltern. Die Schilderung der befreundeten Edith spricht Bände, Sie schrieb dazu das Folgende : Ich sehe ihn noch […] das blasse Gesicht schmal und ernst, eine El-Greco-Gestalt. Einmal nur gelang es uns damals, ihn zum Lachen zu bringen, als er das an Kragen und Ausschnitt bunt bestickte lange Nachthemd meines Vaters übergestreift hatte und in die allgemeine Heiterkeit einstimmte. […] Sonst aber blieb er verdüstert und wortkarg, bis er wieder fort mußte119.
Als nach anderthalb Jahren im Februar 1944 das Arbeitslager in Tăbărăști wegen der näherrückenden Kampfhandlungen aufgelöst wurde, kehrte Paul nach Czernowitz zurück und sah so die geliebte Ruth wieder. Anfang April 1944 wurde Czernowitz von den sowjetischen Truppen mehrmals bombardiert. Aber noch im gleichen Monat zog die Rote Armee zum zweiten Mal in die Stadt ein. Nunmehr gehörte Czernowitz endgültig der Vergangenheit an. Immerhin lernte Paul kurz vor dem sich abzeichnenden ›zweiten Russenjahr‹ durch die Vermittlung von Chaim Ginniger noch Rose Ausländer (1901–1988) kennen. Sie bemerkte zu dieser Begegnung ihre hohe Wertschätzung seiner dichterischen Arbeit mit folgenden Worten :
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Nach dem ersten Besuch Pauls, den er mit Ginniger bei mir gemacht hatte, kam er in der Folge noch einige Male zu mir. Er las aus seiner Dichtung, und ich war von allem Anfang an von den Gedichten Pauls begeistert. Obwohl sein Stil dem meinen gar nicht entsprach, billigte ich ihn und ermutigte Paul, die dichterische Arbeit fortzusetzen120.
Das war sicher eine sehr förderliche Ermutigung für den damaligen Anfänger. Im Zusammenhang mit den Plagiatsvorwürfen von Claire Goll wird darauf zurückzukommen sein. Natürlich hinterließen die bitteren Jahre der Zwangsarbeit, der Verfolgung und des Mordens bleibende Spuren. Bereits im August 1942 richtete Paul an Ruth das schwerwiegende Bekenntnis : In meinen Händen habe ich das Leben umgetauscht gesehen in sehr viel Bitterkeit, schließlich aber in eine Menschlichkeit, die mir einen Weg vorschrieb, den ich einmal versucht habe zu gehen, und den ich noch gehen werde, aufrichtig und überzeugt121.
Gerade diesen unter Schmerzen und in tiefster Verzweiflung gefundenen Weg der Menschlichkeit verfolgte er nun mit äußerster Konsequenz. Selbstverständlich hatte die damit verbundene existentielle Wende unmittelbare Auswirkungen auf seine dichterische Arbeit. Es ist erstaunlich, daß er auch in jener Phase extremer physischer und psychischer Anspannungen immer wieder die Zeit, die Kraft und auch das dazu nötige Papier fand, ziemlich regelmäßig Verse zu schreiben oder Gedichte von Shakespeare, Verlaine, Jessenin und anderen ins Deutsche zu übersetzen. Er befand sich dabei wirklich im Kampf mit der Zeit und seiner extrem geschwächten Körperlichkeit. Die so wirklich äußerster Notlage abgerungenen Gedichte schickte er allermeist an Ruth, denn er hatte die Hoffnung, seine lyrischen Reaktionen auf den traurigen Lebenshintergrund irgendwann einmal veröffentlichen zu können. Noch schrieb er gewöhnlich in tradierten Formlösungen gereimter Verse. Aber bald schon ging er mehr und mehr über zu hart gefügter, rhythmischer Prosa in Versform. Allemal ist es die Gestalt der ermordeten Mutter, die dabei vorrangig in den Blickpunkt rückt. Ausschließlich ihrem Andenken ist eine ganze Reihe von bald danach entstandenen Gedichten gewidmet : Winter (»Es fällt nun, Mutter, Schnee in der Ukraine«), Nähe der Gräber, Schwarze Flocken, Espenbaum. Das Winter-Gedicht endet mit den fragend-herausfordernden Versen : »Was wär es, Mutter, Wachstum oder Wunde – / versänk auch ich im Schneewehn der Ukraine ?« Der Autor legt da im Gespräch mit der Mutter sich und uns die rhetorische Frage vor, ob sein eigener Todeswunsch zur Wieder-Vereinigung mit der Mutter »Wachstum oder Wunde«, also Gewinn oder 52 |
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Verlust wäre. Zugleich stellt er damit die ganz andersgeartete Frage, »ob aus dem Tod im ukrainischen Schnee ein Dichter erwachsen kann und wird«122. Schon geraume Zeit vor dem Tod der Mutter hat Paul im August 1942 an Ruth aus dem Arbeitslager das folgende Bekenntnis gerichtet : Daß ich meine Gedichte bei Dir weiß, beglückt mich und macht mich traurig manchesmal. Schlaflosigkeit nur oder Traum, sind sie doch das aufgeblühte Leben fast, der leise Schlag der Wimpern und der Weg von Dunkel zu Dunkel. Die heimatlose Welt und der Schlag unserer Herzen. Und das Antlitz des wechselhaften Lebens123.
Paul Antschel hat damit den thematischen Kern seiner dichterischen Arbeit exakt in Worte gefaßt. Denn »das aufgeblühte Leben«, »der leise Schlag der Wimpern« und »der Schlag unserer Herzen« prägen einerseits seine Texte wie andererseits »der Weg von Dunkel zu Dunkel«, »die heimatlose Welt« und »das Antlitz des wechselhaften Lebens«. Liebe und Tod bildeten von nun an die entgegengesetzten Pole seines in der Tat sehr »wechselhaften Lebens«. Er betrat damit endgültig den lyrischen Kosmos der »Wahrheitszwänge«124 und beantwortete so die im Winter-Gedicht gestellte Schlußfrage schon vorweg dahin, sich für ein »Wachstum« mit der »Wunde« zu entscheiden. Das dafür nötige Formbewußtsein hatte er sich inzwischen angeeignet. Definitiv hatte Paul Antschel damit für sein weiteres Leben den Weg der Dichtung gewählt. Das Resultat der getroffenen Entscheidung wird unmittelbar einsichtig beim Vergleich der Gedichte Nähe der Gräber (1944) und Espenbaum (1945). Beide Texte gelten dem Gedenken der ermordeten Mutter. Betrachten wir zunächst das erste der beiden Gedichte. Hier der Wortlaut : Nähe der Gräber Kennt noch das Wasser des südlichen Bug, Mutter, die Welle, die Wunden dir schlug ? Weiß noch das Feld mit den Mühlen inmitten, wie leise dein Herz deine Engel gelitten ? Kann keine der Espen mehr, keine der Weiden den Kummer dir nehmen, den Trost dir bereiten ? Und steigt nicht der Gott mit dem knospenden Stab den Hügel hinan und den Hügel hinab ? Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim, den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim ?125
Bereits der Titel Nähe der Gräber klärt darüber auf, daß nur die Gegend, in welcher Pauls Mutter ermordet wurde, angesprochen werden kann. Es gibt nämlich kein Grab. Allein bekannt ist der ungefähre Ort der Beseitigung der Leiche nach der Liquidation der nicht mehr arbeitsfähigen Frau durch Genickschuß, nämlich das Wasser des Bugs. Das Verbrechen geschah, soviel ist bekannt, im Bereich »des südlichen Bug« in Transnistrien. Deswegen legt uns der Gedichttext Fragen vor zu den Qualen der Mutter bei dieser Greueltat. Ihre Spur ist im fließenden Wasser nicht mehr auffindbar und erst recht nicht die ihr geschlagenen Wunden. Die Scheinfrage und die Alliteration durch den gleichen Anlaut – »Kennt noch das Wasser, […] die Welle, die Wunden ?« – unterstreichen das Ausmaß des begangenen Gewaltverbrechens. In zwei weiteren Zweizeilern wird sodann der Skandal evoziert, der es unmöglich macht, die »Nähe der Gräber« zu bestimmen. Weder »das Feld mit den Mühlen«, noch »die Espen« und »die Weiden« können darüber informieren, »wie leise« der Mutter »Herz« und die ihr zugeschriebene engelhafte Menschlichkeit (»deine Engel«) ihre Leiden erfahren mußten, wie es da keinen »Trost«, sondern nur »Kummer« gab. Eine vierte Frage entspringt der genauen Kenntnis des Autors der heiligen Schriften. »Der Gott mit dem knospenden Stab«, der »den Hügel hinan und […] hinab steigt«, ist kein anderer als Aaron, der Bruder von Mose, Prophet und Hohepriester der Israeliten, dessen grünender Stab die Sonderstellung des Erwählten belegt, aber auch den zerstörenden Gebrauch des Stabes mit Schlangen und Blut126. Nicht ohne bittere Ironie wird unter dem Eindruck der geographischen »Nähe der Gräber« über die ›göttliche Fügung‹ nachgedacht : »Und steigt nicht der Gott mit dem knospenden Stab / den Hügel hinan und den Hügel hinab ?«. Die vermeintliche Gottespräsenz ›glänzt‹ durch Abwesenheit. Darum wendet sich der Autor im letzten Zweizeiler, weiterhin den Kontakt mit der Mutter suchend, dem rein irdischen Zusammenhang von Ästhetik und Moral zu. Drei Attribute – »leise«, »deutsch« und »schmerzlich« – stellen den Gebrauch des Reims als dem harmonischen Gleichklang von Wörtern im Umfeld des entschieden ›ungereimten‹ Mordgeschehens zur Frage. Die Problematik verschärft sich noch dadurch, daß es die hier angesprochene Mutter war, die den Sohn mit dem deutschen Reim vertraut gemacht hat (»wie einst, ach, daheim«). Mittlerweile hat sich aber die Muttersprache auch als Sprache der Mörder herausgestellt. Für Paul Antschel galt schon damals die später geäußerte Meinung : »das Gedicht behauptet sich am Rande seiner selbst ;
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es ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schonnicht-mehr in sein Immer-noch zurück«127. So wird der hier gebrauchte »Reim« zur poetischen »Niemandsrose« umgewandelt (mit gutem Grund steht hier das Celan-Wort, das er zum Gesamttitel eines seiner Gedichtbände gemacht hat !). Der liebende Sohn, der deutschsprachig erzogene, nunmehr sein Judentum bekräftigende und zum Dichterberuf entschlossene Paul Antschel durfte, ja mußte, wiewohl es schmerzte, in der Mördersprache schreiben. Er tat das über die ganzen Jahre hin auf seine ganz eigene Weise. Im Gedicht Nähe der Gräber gebrauchte er noch den Reim, gerade weil der ihn im Zusammenhang seiner Beziehung zur Mutter besonders schmerzte. Er wollte sich in diesem Fall wirklich unter Schmerzen erinnern und schrieb deswegen ein schmerzliches Reimgedicht. Ganz der Klage um den Verlust der geliebten Mutter ist das Gedicht Espenbaum gewidmet. Wiederum handelt es sich um fünf Zweizeiler, diesmal allerdings ohne Reim und ohne einen vorangestellten Titel. Allein durch die rhythmische Anordnung der Worte ist, abgesehen von der thematischen Nähe, eine gewisse Parallelität zum Strophenbild des Gedichts Nähe der Gräber gegeben. Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel. Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß. Löwenzahn, so grün ist die Ukraine. Meine blonde Mutter kam nicht heim. Regenwolke, säumst du an den Brunnen ? Meine leise Mutter weint für alle. Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife. Meiner Mutter Herz ward wund von Blei. Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln ? Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.128
Bei den ersten separaten Drucken des Gedichts wollten die Herausgeber den vom Autor unterlassenen Titel nachholen, im einen Fall mit dem Initialwort, im anderen mit der naheliegenden Überschrift Mutter129. Paul Antschel hat es anders gewollt, und er hat gut daran getan. Er wollte, wie oft in der hier spürbaren Volksliedtradition, von einfachen Bildern, meist Naturbildern, ausgehen. In diesem Fall Der Zweite Weltkrieg in Paul Antschels Leben (1939–1945)
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sind es die zum Umfeld der Mutter gehörenden Einzelbilder aus dem Alltag : Espe, Löwenzahn, Regenwolke, Judenstern, Haustür. Das erste Verspaar führt als Bild die Espe ein. Dieser Baum wird bekanntlich, und Paul wußte darüber genau Bescheid130, auch Zitterpappel genannt, weil deren Blattwerk ›zittert wie Espenlaub‹. Sie fällt auf durch ihren raschen, kegelförmigen Wuchs und ihre lichte Krone mit dem nach oben hin zunehmend heller werdenden Laub. Wenn sie im Gedicht zum »Espenbaum« aufgewertet wird, dessen Laub »weiß ins Dunkel blickt«, so geht von diesem Initialwort das Bild einer in sich ruhenden, hellen Natur aus, die allerdings von »Dunkel« umgeben ist. Der Grund für dieses »Dunkel« wird danach sogleich konkret belegt : »Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß«. Ihre Ermordung hat sie nicht altern lassen. Gewaltsam wurde sie mitten aus dem Leben gerissen. Der zweite Doppelvers führt die weitverbreitete Korbblütlerpflanze Löwenzahn ein. Ehe sie ihre leuchtend gelben Blüten entfaltet, prägt sie das Grün der Felder kräftig mit. Der Autor stellt so den Zusammenhang zur ›grünen Ukraine‹ her. Deren Lebensfülle erinnert ihn daran, daß es seiner Mutter nicht vergönnt war, ihr Leben zu Ende zu führen, weil sie dort ermordet wurde (»Meine blonde Mutter kam nicht heim«). Mit dem dritten Verspaar werden die heimatliche Welt und ihre typischen Brunnen heraufbeschworen. Es stellt sich dabei die Frage, warum die »Regenwolke« zögert, hier ihre traurige Last niedergehen zu lassen. Hinter diesem Bild offenbart sich die Evokation der Mutter, die mit ihren Tränen das unsägliche Leiden der Juden in Geschichte und Gegenwart repräsentiert (»Meine leise Mutter weint für alle«). Im vierten Zweizeiler geht der Autor von den Naturbildern direkt über zum Bild des Judensterns, der auch Rundstern genannt wurde, weil die beiden überlagerten gelben Dreiecke mit ihrer sechseckigen Form eine Kreisform andeuten. Durch die Erwähnung der diskriminierenden Zwangskennzeichnung der Juden durch die Nationalsozialisten ab 1941, die der Autor vom demütigenden plakativen Gelb zur »goldnen Schleife« umwandelt und insofern adelt, kann er die Demütigung in ihr Gegenteil verkehren. Zugleich aber wird die »goldne Schleife« auch zur Schlinge (»Runder Stern, du schlingst […]«). Als Trägerin des Judensterns wurde die Mutter durch Genickschuß umgebracht (»Meiner Mutter Herz ward wund von Blei«). Der abschließende fünfte Doppelvers setzt dann die gegen Juden durchgeführten Verfolgungsmaßnahmen in Beziehung zum Bild der gewaltsam aufgebrochenen Haustür (»Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln ?«). Für die Mutter gab es keine Heimkehr mehr durch diese Tür (»Meine sanfte Mutter kann nicht kommen«). Felstiner hat daraus richtig gefolgert : »Das Leid wird zu einem allgegenwärtigen Jetzt«131. Hinter der bitterbösen Geschichte des Mordes an Fritzi Schrager erscheint immer auch die planmäßige Ermordung der europäischen Juden als Schreckbild des Genozids. 56 |
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Zwei frühe Gedichte der Erinnerung, des Gedenkens und des anhaltenden Protests, ausgewählt aus mehreren Möglichkeiten, liegen uns damit vor. Sie belegen als autobiographische lyrische Texte den von Paul in der Zeit bis 1945 zurückgelegten Weg zur Dichtung. In beiden Fällen wird in einem indirekten Dialog mit seiner Mutter der an ihr begangene Mord zugleich als das Leidensschicksal aller Juden demonstrativ vorgeführt und an uns weitergegeben. Paul Antschel hat dafür treffende, zum Nachdenken zwingende Bilder, Vergleiche und Wortfügungen gefunden. Sie wirken auch als Klangbilder. Aus traditionsbeladenen Motiven werden durch seine Art der Gestaltung reflektierende Wortfindungen mit ganz neuen Ausdrucksmöglichkeiten, beispielsweise Im Gedicht Schwarze Flocken etwa »Schnee ist gefallen, lichtlos«, »blutete, Mutter, der Herbst mir hinweg«, »brannte der Schnee mich«, »die Enge der Welt, die nie grünt« oder »sucht ich mein Herz, daß es weine«132. Im Schlußvers hält Paul Antschel fest, was unter diesen Eindrücken mit ihm – oder besser in ihm – passiert ist : »Kam mir die Träne. Webt ich das Tüchlein«. Das Bild vom Weben des Tüchleins steht für die Niederschrift des Erlebten im Gedicht. Über jede dieser Wortfindungen und Wortkonstellationen kann man lange nachdenken. Weit über die bloße Mitteilungsfunktion hinaus, lenken die Texte seiner Dichtkunst unsere Wahrnehmung im Endeffekt auf die moralisch-ethische Ebene. Über die jeweiligen Bilder und ihre Funktion nachdenkend und auf dieser Grundlage weiterdenkend, eröffnet sich dem Lesepublikum eine den Worten eingeschriebene, fortwirkende poetische Erfahrung, die uns alle in unserer Menschlichkeit herausfordert. Daß dem so ist, hat seinen Grund nicht allein im dargestellten konkreten Beispielfall, sondern ganz entscheidend in der Art der poetischen Umsetzung. Man merkt, der Autor ist hindurchgegangen durch den Grundwortschatz der romantischen Dichtung, der Verse von Rilke und Trakl wie auch der älteren Czernowitzer Dichtergeneration, um schließlich – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Ermordung seiner Mutter – eine ganz persönliche Art des Umgangs mit der deutschen Sprache in einer Art Gegenrede zu finden. Diese Gegenrede wird von nun an zur Formgestalt seiner Dichtung. Dergestalt schuf er für uns eine sprachliche Vision, die wir mit unseren Möglichkeiten ausmalen können. Lesen wird dabei zwangsläufig zu erhebender reflexiver Arbeit an der ständig fortwirkenden Initialbedeutung der Worte in ihrem ungewohnten Zusammenwirken. Im Gedicht Schleuse aus der Sammlung Die Niemandsrose hat Celan angedeutet, welche Art des Eingedenkens dazu erforderlich ist : »Durch / die Schleuse mußt ich, / das Wort in die Salzflut zurück- / und hinaus- und hinüberretten«133. Das war das Ziel seiner dichterischen Berufung.
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Doch sind wir damit bereits am Ende der Zeit Paul Antschels in Czernowitz. Darum ist es nötig, noch einmal kurz zurückzukehren zum Wiedereinzug der roten Armee in die Stadt im April 1944. Damit begann für Paul das zweite ›Russenjahr‹, er nannte den Beginn dieser Zeit den »russischen Frühling«134. Über die zurückliegenden drei schlimmen Jahre äußerte er sich öffentlich kaum. Er begnügte sich mit der alles sagenden Feststellung : »Was während der Kriegsjahre das Leben eines Juden war, brauche ich nicht zu erwähnen«135. Immerhin konnte Paul unter dem zweiten Sowjetregiment in die elterliche Wohnung in der Masarykgasse 10 zurückkehren. Um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden, meldete sich der frühere ›Medizinstudent‹ in der Anfangszeit als Arzthelfer in der ›Psychiatrischen Klinik‹. Diese erste Begegnung mit dem Phänomen der Geisteskrankheit blieb ihm unvergeßlich. In seiner Eigenschaft als Arzthelfer mußte er im Juli einen Krankentransport nach Kiew begleiten. Von dort aus schrieb er dem damals in Rostow, dem ›Tor zum Kaukasus‹, lebenden Freund Erich Einhorn : Lieber Erich, ich bin für zwei Tage in Kiew (auf Kommandirowka136) und freue mich auf die Gelegenheit, Dir einen Brief zu schreiben, der Dich rasch erreicht. Deine Eltern sind gesund, Erich, ich habe mit ihnen gesprochen, bevor ich hergekommen bin. Das ist sehr viel, Erich, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viel. Meine Eltern sind von den Deutschen erschossen worden. […] Ich habe nur Demütigungen erlebt und Leere, unendliche Leere […]137.
Er fühlte sich nunmehr, wie er im Gedicht schrieb, »allein unter jüdischen Gräbern«138. Zwar traf er weiter die geliebte Ruth, auch die Freundinnen Edith Horowitz und Dorothea Müller-Altneu oder Freunde wie Alfred Kittner, Immanuel Weißglas und andere, aber für ihn galt nunmehr der Wahlspruch, den er später einmal dem Verleger Gottfried Bermann Fischer anvertraute : »Die Wenigen, von denen Sie sagten, daß sie das Wort Humanität noch gebrauchen dürften – diese Wenigen suche auch ich, unablässig und allen Enttäuschungen zum Trotz«139. Er nannte diese Einstellung seinen »Seelenrealismus«140. Zum Herbstsemester 1944 konnte sich Paul wieder an der nun sowjetischen Universität Tschernowzy einschreiben. Diesmal wählte er, weil er den Umgang mit den Werken Shakespeares vertiefen wollte, die englische Sprache und Literatur. Es gibt dazu einen interessanten Bericht der befreundeten Dorothea MüllerAltneu. Sie ließ Israel Chalfen unter anderem wissen :
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Als er (Paul) im Jahre 1944 beschloß, englische Literatur zu studieren, bezauberte er uns mit dem Deklamieren der von ihm geliebten Sonette Shakespeares, oder der dunkel verhangenen Verse Blakes. Dieses Genie der Sprache war auch ein Sprach-Genie141.
Um etwas Geld zu verdienen, übersetzte Paul für die ukrainische Lokalzeitung aktuelle Artikel und Texte rumänischer Autoren. Die Freundin Dorothea bemerkte ebenso, daß Paul sich unter dem Eindruck der Geschehnisse in den Jahren der Verfolgung stark verändert hatte. Er »wies nur noch«, wie sie sagte, »eine äußerliche Ähnlichkeit mit dem Studenten der 40er Jahre auf«142. Er betonte nun nach außen hin sein Judentum bei jeder Gelegenheit. Vor allem las er sich gründlich in die Schriften Martin Bubers (1878–1965) ein. Vorrangig identifizierte er sich mit den Chassidischen Büchern (1928) und mit den Drei Reden über das Judentum (1911). In erster Linie aber legte er Wert darauf, die bisher entstandenen Gedichte zusammenzustellen. So entstand als maschinenschriftlich vervielfältigte Sammlung von 93 Gedichten das sogenannte Typoskript 1944. Es handelte sich dabei um eine Art Bilanz der Jugendgedichte, die in mehreren Exemplaren im Bekanntenkreis zirkulierte. Zwischen Herbst 1944 und Anfang 1945 folgte gleich danach eine zweite Sammlung von 97 Gedichten, diesmal als Manuskript für Ruth Lackner angefertigt (Manuskript 1944/45)143. Mit beiden Sammlungen verband Paul wohl auch schon die Hoffnung auf eine baldige Publikation. Dafür spricht besonders die überlegte Anordnung der Gedichte nach Zyklen im Manuskript. Paul Antschel sah in diesen ersten Sammlungen jedenfalls eine gesicherte Grundlage für seine weitere Arbeit als Dichter144. Im Sommer 1944 spitzte sich die Lage in Rumänien zu. Angesichts der absehbaren deutschen Niederlage entschloß sich König Michael I. klugerweise zu einem radikalen Seitenwechsel. Durch einen Staatsstreich am 23. August 1944 führte er die Gefangennahme von General Antonescu und damit die Beendigung der Militärdiktatur herbei sowie die Aufkündigung des Bündnisses mit Deutschland und den sofortigen Waffenstillstand mit den Alliierten. Stalin forderte nicht nur die Einstellung der Kampfhandlungen, sondern aktive militärische Mitwirkung auf russischer Seite und (Re-)Integration der Nordbukowina in die Union der Sowjet-Republiken. Strategisch beschleunigte der königliche Staatsstreich den baldigen Zusammenbruch der deutschen Balkanfront. Innenpolitisch führte der Wechsel der Fronten vorübergehend zu einer gewissen Demokratisierung Rumäniens. Aber der zunehmende Einfluß Rußlands brachte es mit sich, daß König Michael Ende 1947 unter dem Druck der kommunistischen Partei abdanken mußte. Rumänien kam damit ganz in das Einflußgebiet der Sowjetunion.
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Verständlicherweise wollte die Mehrzahl der wenigen jüdischen Czernowitzer, die drei Jahre schlimmster Verfolgungen überlebt hatten, nicht Bürger Sowjetrußlands werden. Die meisten, so auch Paul, wollten unbedingt auswandern. Dem standen allerdings große Schwierigkeiten im Wege. Czernowitz war bereits russisch, die nahe Grenze zu Rumänien geschlossen. Scherzhaft bemerkte Paul gegenüber Ruth : Die Hauptsache ist, von hier wegzukommen. Wohin man gelangen wird, ist Nebensache, nur daß es dort Freiheit gibt. Wie wär’s zum Beispiel, in Jerusalem anzukommen, zu Martin Buber zu gehen und ihm zu sagen : ›Onkel Buber, hier bin ich, hier hast Du mich‹145.
Ernsthaft dachte er nicht daran, sondern an eine Flucht nach Wien. Aber auch das war in der damaligen Situation reines Wunschdenken, denn die Stadt wurde erst durch die Schlacht um Wien zwischen März und April 1945 von der Naziherrschaft befreit. Naheliegend, weil realistisch war allein die Übersiedlung vom nunmehr russisch verwalteten Czernowitz nach Rumänien. Ein guter Teil der noch lebenden Czernowitzer Juden entschloß sich für den Weg in die Emigration über Budapest. Ruth gehörte zu denen, die den Anfang machten. Ohnehin hatte sich ihre Beziehung mit Paul ziemlich gelockert. Der wiederum war bei aller melancholischen Grundierung ein durchaus lebenslustiger Typ, der auch lachen konnte und zu mancherlei Streichen aufgelegt war. Er tröstete sich über den Weggang Ruths schnell hinweg und vertiefte eine seit 1940 bestehende Beziehung zu der aus Bessarabien stammenden Kommilitonin Rosa Leibovici soweit, daß beide im Umfeld als ein glückliches Paar angesehen wurden. Die mit dem Kommunismus sympathisierende junge Frau stand ihm auch politisch durchaus nahe. Die Neigung Pauls zum weiblichen Geschlecht machte ihn zum leidenschaftlichen Erotiker. Allerdings betonte einer der Bukarester Bekannten nicht ohne Grund, Pauls »wie Strohfeuer auflodernde und erlöschende Lieben«146. Bis April 1945, also praktisch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, mußte der zum Weggang Entschlossene auf einen Reisepaß warten. Wegen des unterbrochenen Bahnverkehrs erfolgte die mühselige Fahrt nach Bukarest in russischen Militärkraftwagen. In Pauls Kopf waren zu jener Zeit bereits die Verse so gut wie fertig konzipiert, die zu seinem berühmtesten Gedicht werden sollten – zur Todesfuge. Die Abreise im April 1945 kam dann plötzlich. Es war für ihn ein Abschied auf immer. Paul hat die Stadt seiner Geburt und die Bukowiner Landschaft, »in der Menschen und Bücher lebten«, die aber »nun der Geschichtslosigkeit anheimgefallen« war147, nie wieder gesehen. Endgültig war er nun in der Welt »jenseits der 60 |
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Kastanien«. Ein von ihm gefundenes Wortspiel belegt indes seine bleibende Verbundenheit mit Czernowitz : Er sagte da : »Was ist Heimkehr ? – Beinahe nichts, doch es könnte eine Schneeflocke sein«148. Für immer nämlich »brannte ihn der Schnee« mit dem Blut der Mutter, wie auch der »Schnee im Brombeerstrauch«149. In seiner Erinnerung geriet Czernowitz zur »steingrauen Stadt«, »wo ich stürzte und südwärts geschleift ward !«150. Dergestalt erlebte der nunmehr vierundzwanzigjährige Paul Antschel die Flucht nach Bukarest.
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n der rumänischen Hauptstadt, dem ›Paris des Ostens‹, stand Paul Antschel zunächst ohne Mittel und ohne Bleibe da. Aber er hörte zu seiner großen Freude von Ruth, daß Alfred Margul-Sperber (1998–1967), der als der welterfahrene Altmeister der Czernowitzer Dichter gelten kann, seit 1940 aber in Bukarest tätig war, sich begeistert über seine Gedichte geäußert habe. Das ist insofern erstaunlich, als Margul-Sperber ein eher der Konvention verbundener Dichter war. Er zeigte sich jedoch durchaus aufgeschlossen gegenüber der Lyrik des jüngeren Kollegen und beherbergte ihn zunächst sogar einige Tage bei sich. Das war für Paul eine wichtige Bestätigung. Während der zweieinhalb Jahre seines Aufenthalts in Bukarest ergab sich zwischen beiden ein guter, für den Jüngeren sehr förderlicher Kontakt. Nach dem Wiedersehen mit Leonid Miller, den er seit 1935 kannte, kam Paul dann eine Weile in dessen Studentenbude unter. Außerdem traf er auch zusammen mit den Dichterkollegen Alfred Kittner, Immanuel Weißglas, Alfred Gong, vor allem mit Rose Ausländer, kurz vor ihrer Ausreise in die Vereinigten Staaten, wie auch mit den Freundinnen Ruth Lackner, Edith Horowitz und Rosa Leibovici. Die Liebesbeziehung mit Ruth ging in die Brüche, zumal sie sich wieder verheiratete, so daß an ein Zusammenleben mit ihr nicht mehr zu denken war. Jedoch blieb ein freundschaftlicher Kontakt zwischen beiden bestehen. Für Paul bewahrheitete sich nun, was er wohl im Herbst davor noch in Czernowitz im Gedicht Der Einsame als seine dichterische Aufgabe vor Augen hatte : Der Einsame Mehr als die Taube und den Maulbeerbaum liebt mich der Herbst. Und mir schenkt er den Schleier. ›Nimm ihn zu träumen‹, stickt er den Saum. Und ›Gott ist auch so nahe wie der Geier‹. Doch hob ich auf ein ander Tüchlein auch : Größer als dies und ohne Stickerein. Rührst du’s, fällt Schnee im Brombeerstrauch. Schwenkst du’s, hörst du den Adler schrein.151
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Bukarest (1945–1947) – Aus Paul Antschel wird Paul Celan
Zwei gereimte Vierzeiler umreißen für den Leser, wie Paul Antschel damals Aufgabe und Möglichkeiten dichterischer Arbeit sah. Auch im etwa zur selben Zeit entstandenen Gedicht Schwarze Flocken wird das Bild des »Tüchleins« zum vergleichenden Ausdruck für die sprachliche Beschreibung von Ausschnitten unserer Wirklichkeit in der Sicht des Dichters. Mit den Versen des Einsamen überkommt ihn die verschwenderische Fülle des Herbstes und beflügelt ihn zu einer Weltsicht, die dem Traum freie Bahn läßt. Ohne sich um Gott oder irdische Gefahren, hier repräsentiert durch den großen Greifvogel, den »Geier«, zu kümmern, wird er seinen Weg poetischer Imagination gehen. Aber dazu kommt noch etwas entscheidend Anderes in Gestalt des »andern Tüchleins«. Diese Inspirationsquelle bewirkt, daß »Schnee in den Brombeerstrauch« fällt und insofern Vorgänge zur Sprache kommen, die »den Adler schreien« lassen. Im Gedenken an die verlorene Mutter bedeuten diese beiden Bilder den Ausdruck einer aus den Fugen geratenen Welt des Leidens, des Mordens und somit des Verrats am Menschen. In diesem Zeichen siedelt der junge Dichter seine wahre künstlerische Tätigkeit an. Die Spannweite seines Schreibens reicht vom träumerischen »Schleier« und vom »Tüchlein« mit den »Stickereien« bis zum Schrei des »Geiers« oder des »Adlers«, jenes anderen Raubvogels aus der Familie der Greifvögel. Die hier gesetzten, inhaltlich bewußt ›schiefen‹ Reime (»Schleier« – »Geier« und »Stickerein« – »Adler schrein«) unterstreichen die Zielsetzung der Darstellung einer absurden Szenerie. Nicht ›hohe‹ oder ›erhabene‹ Lyrik wird angestrebt, sondern stimmige Arbeit an der Wiedergabe einer vom Menschen verhunzten Welt. Es geht Paul Antschel in keiner Weise um kontemplative Dichtung, sondern um Wahrheit. Dafür hat er seine Verse als symbolische Sprachzeichen ausgestaltet. Ab jetzt konnte er mit Fug und Recht sein weiteres Leben im Symbol des »Tüchleins«, will sagen im Zeichen seiner Art zu schreiben ansiedeln. Ihm ging es um eine Dichtung, die um die brutale Härte des Lebens weiß. Bleibendes Dokument dieser Ausrichtung einer nicht mehr ›schönen Literatur‹ ist dann das gleich im Mai 1945 vollends ausgearbeitete Gedicht Todesfuge. Davon wird gleich in einem gesonderten Kapitel genauer die Rede sein. Paul fand nun auch eine feste Unterkunft in der Strada Roma 47, unweit des Nationalmuseums. In erster Linie aber mußte er sich darum kümmern, Geld zu verdienen, um so den Alltag in der neuen Umgebung bestreiten zu können. Dabei erwies sich seine Kenntnis der russischen Sprache als vorteilhaft. Zunächst betätigte er sich mit Übersetzungen ins Rumänische für die wissenschaftliche Kulturzeitschrift Scienteia. Dann fand er eine feste Anstellung als Lektor beim neugegründeten rumänisch-russischen Verlag Das russische Buch (Cartea Rusă). Seine Hauptaufgabe dort war die Übersetzung russischer Literatur ins RumäniBukarest (1945–1947) – Aus Paul Antschel wird Paul Celan
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sche, unter anderem Novellen von Turgenjew, eine Prosaskizze von Tschechow (Die Bauern), der Roman Ein Held unserer Zeit von Michail Lermontow und das Drama Die russische Frage von Konstantin Simonow. Für den sprachgewandten Paul war das weit mehr als nur eine Gelegenheitsarbeit. Er litt allerdings unter dem Zwang, ebenso ideologielastige Texte im Parteijargon übersetzen zu müssen. Da man seitens des Verlags den Namen Antschel nicht drucken wollte, erschienen die Übersetzungen unter verschiedenen Namen : Paul Aurel, A. Pavel und schließlich Paul Ancel. Daraus entwickelte sich dann auf Vorschlag von Jessica, der Frau des befreundeten Förderers Margul-Sperber, als neues Pseudonym durch eine einprägsame Buchstabenversetzung – Ancel > Celan – das Anagramm Celan. Unter diesem Namen fand Paul Antschel dann Eingang in die Literaturgeschichte. Im Verlag Cartea Rusă lernte Celan während des Herbstes den rumänischen Schriftsteller Petre Solomon (1923–1991) kennen. Daraus entwickelte sich eine enge freundschaftliche Zusammenarbeit. Der Freund hielt dazu fest : Ich habe ihn [Celan] jung und zäh in Erinnerung, als einen, der unter der Last des Leids den Kopf hoch hielt und voller überschäumender Lebenslust war. Eine Lebenslust, die etwas Künstliches an sich hatte, als ob er, wie das rumänische Sprichwort besagt, ›aus dem Unglück Spaß herausschlagen‹ wollte. […] Die zwei in Bukarest verbrachten Jahre gehörten zu den glücklichsten seines sturmbewegten Lebens152.
Solomon ermunterte Celan sogar dazu, einige Texte in rumänischer Sprache zu verfassen. Der machte sich auch daran, mehrere Gedichte und einige lyrische Prosatexte vorzulegen, die Solomon nach dem Tod Celans veröffentlichte153. Er sorgte ebenso dafür, daß Anfang 1947 drei Gedichte Celans in eine vom rumänischen Schriftsteller Ion Caraion herausgegebene Anthologie zeitgenössischer Lyrik (Agora) aufgenommen wurden154. Vor allem aber war er es, der in enger Zusammenarbeit mit Paul die Todesfuge ins Rumänische übersetzte (Tangoul Morţii > »Todestango«)155. Zu erwähnen ist im gleichen Zusammenhang die Tatsache, daß Celan den Freund Solomon mit dem Werk Kafkas vertraut machte. In diesem Zusammenhang übersetzte er vier der Parabeln ins Rumänische : Vor dem Gesetz, Der Ausflug ins Gebirge, Eine kaiserliche Botschaft und Der Fahrgast. Es gab zudem auch ein spielerisches Element in Pauls reich gefächertem Geistesrepertoire. Er wetteiferte mit Solomon in geistreichen Wortspielereien (er nannte sie später »cette belle saison des calembours« ; d. i.: »jene schöne Phase der Wortspiele«156). Nur ein Beispiel aus dem vom Freund mit Celanschen Wortprägungen zusammengestellten Abendbüchlein : »Was ist Vergessen ? – Ein 64 |
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unreifer Apfel, in welchem ein Speer steckt«. Oder die Selbsteinstufung : »Paul Celan persona gratata«157. Aber alle Versuche Solomons, Celan zum rumänischen Dichter zu machen, blieben erfolglos. Der hatte inzwischen zu einem gefestigten Selbstbewußtsein gefunden. Zu Ruth Lackner sagte er deswegen einmal : »Nur in der Muttersprache kann man die eigene Wahrheit aussagen, in der Fremdsprache lügt der Dichter«158. Er aber suchte die Wahrheit und hat sie auch gefunden, im Schreiben gegen die Mördersprache, aber in seiner Muttersprache. Mit bitterer Ironie unterzeichnete er einmal einen Brief an Solomon aus Wien mit den Worten : »Dein ehrlicher Freund und trauriger Dichter teutonischer Zunge, Paul«159. Mit diesem Widerspruch mußte er fortan leben und schreiben. Aus diesem Grund schrieb er einmal später im Gedanken an die ›Reichskristallnacht‹ : »Als Jude mußte ich nun neben manchem anderen erfahren, daß die Sprache nicht nur Brücken in die Welt, sondern auch in die Einsamkeit schlägt«160. Wie schwer das fiel, beschrieb Celan in einem Brief an Max Rychner folgendermaßen : Ich will Ihnen sagen, wie schwer es ist, als Jude Gedichte in deutscher Sprache zu schreiben. Wenn meine Gedichte erscheinen, kommen sie wohl auch nach Deutschland und – lassen Sie mich das Entsetzliche sagen – die Hand, die mein Buch aufschlägt, hat vielleicht die Hand dessen gedrückt, der der Mörder meiner Mutter war. […] Aber mein Schicksal ist dieses : Deutsche Gedichte schreiben zu müssen161.
Obgleich Celan sich in der Bukarester Atmosphäre gewiß nicht unwohl fühlte, drängte es ihn innerlich dazu, den begonnenen Weg der Flucht fortzusetzen. Da jedoch Flüchtlinge aus der Nordbukowina keine Reisedokumente ausgehändigt bekamen, blieb als einzige Möglichkeit, das heimliche Überschreiten der Landesgrenze. Mit diesem Gedanken spielte Celan fortwährend. Wien war nun wieder erreichbar geworden. Die Abende im engen Freundeskreis und die Veranstaltungen des Bukarester Surrealistenvereins, an denen er gerne teilnahm, konnten ihn nicht davon abbringen. Immerhin diskutierte man dort über Louis Aragon, André Breton, Paul Éluard, Philippe Soupault und die rumänischen Beiträger Tristan Tzara und Constantin Brancusi. Gelegentlich zeigte Paul im Freundeskreis auch mit kurzen Liedvorträgen sein theatralisches Talent. Meist trug er dabei Flandern in Not, durch Flandern reitet der Tod, das Landsknechtslied Vom Barette schwankt die Feder, das Revolutionslied Brüder zur Freiheit, zur Sonne oder Kampflieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg vor. In diesem Rahmen fand er auch näheren Kontakt zu der Schauspielerin Ciuci Marcovici. Sie wurde seine Freundin in der Endphase seiner zweieinhalbjährigen Zeit in Bukarest. Bukarest (1945–1947) – Aus Paul Antschel wird Paul Celan
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Zwar hatte Paul nun wenigstens die Freude erlebt, einige seiner rumänisch geschriebenen Texte und sogar drei Gedichte in deutscher Sprache erstmals gedruckt zu sehen. Aber sein Ziel war und blieb es, im deutschen Sprachraum veröffentlicht zu werden. Darin bestärkte ihn vor allem auch Alfred Margul-Sperber nachdrücklich. Ebenso scharfsichtig wie großzügig anerkannte der ältere Freund die Verdienste des jüngeren Kollegen. Er gab Celan sogar anerkennende Empfehlungsschreiben mit für seine Freunde in Wien. Darin ließ er beispielsweise den österreichischen Schriftsteller und Publizisten Otto Basil wissen, Celan sei »der Dichter unserer westöstlichen Landschaft, den ich ein halbes Menschenalter von ihr erwartet habe und der diese Gläubigkeit reichlich lohnt«. Er begründete sein Urteil mit dem folgenden Hinweis : Sein Werk scheint mir unter allen Äußerungen der jüngsten deutschen Dichtergeneration die eigenartigste und unverwechselbarste. […] Ich für mein bescheidenes Teil glaube, daß ›Der Sand aus den Urnen‹ das wichtigste deutsche Gedichtbuch dieser letzten Dezennien ist, das einzige lyrische Pendant des Kafkaschen Werkes162.
Dieser damals geradezu prophetisch anmutenden Einschätzung kann man, von heute aus gesehen, nur zustimmen. Ein inhaltlich weithin übereinstimmendes Schreiben mit einigen Gedichten Celans schickte Margul-Sperber nach Zürich an den Feuilletonchef der Tat, Max Rychner. In beiden Fällen führte das zum für Celan wichtigen Abdruck einer ganzen Reihe der frühen Gedichte163. Man kann demzufolge den Einfluß Margul-Sperbers auf die Rezeption von Celans Werk nicht hoch genug einschätzen. Es war weit mehr als bloße Höflichkeit, daß der ihm das noch in Czernowitz entstandene Gedicht Der Pfeil der Artemis widmete164. Celan griff die Empfehlungen des Förderers um so lieber auf, als sich bei den Zensoren in Rumänien damals schon die Tendenz zum ›sozialistischen Realismus‹ Moskauer Prägung durchzusetzen begann. Mit seinem lyrischen Programm war das nicht zu vereinbaren. Immerhin erschien am 2. Mai 1947 in der Zeitschrift Contemporanul die rumänische Übersetzung der Todesfuge. Damit lag, wenngleich noch nicht in der Originalfassung, wenigstens schon ein zentraler Text der Gegenwartsliteratur gedruckt vor. Im Hinblick auf seine Publikationswünsche im deutschen Sprachraum kam Celan hierdurch freilich dem selbstgesteckten Ziel nicht näher. Nicht zuletzt auch deswegen gab er dem ersten in Bukarest entstandenen Gedicht den vielsagenden Titel : Ein Lied in der Wüste165. Zu deutlich spürte er, ungeachtet des freundschaftlichen Umfelds in der Bukarester Boheme, daß er hier nicht bleiben konnte. Hauptsächlich aber wußte er sehr genau : Für ihn als deutschsprachigen Dichter und Juden gab es in 66 |
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einer stalinistischen Diktatur keine Zukunft. Nicht ohne Grund bedankte sich Celan später bei Max Rychner mit den Worten : »Sie haben mir […] geholfen, die Entscheidung zu treffen, der ich es verdanke, daß mir meine Heimat erhalten blieb, meine Sprache«166. Auch Margul-Sperber hatte dafür gesorgt, daß Wien zum Ziel genommen wurde. Noch in der Ansprache zur Verleihung des Bremer Literaturpreises machte Celan darauf aufmerksam : »Das Erreichbare, fern genug, das zu Erreichende hieß Wien«167. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, mit Freunden dorthin zu fliehen, machte er sich allein auf den Weg. Obwohl er im Verlag Das russische Buch sehr geschätzt wurde, ließ er diese Arbeit hinter sich. Zu seinem Freund Leonid Miller sagte er : »Ich bin Kronprinz im Verlag«, fügte jedoch lachend hinzu : »aber ich gehe auf und davon«168. Mitte Dezember 1947 trat er die »furchtbar schwere Reise« an169 und setzte sich über Budapest in Richtung Österreich ab. Ungarische Bauern schmuggelten ihn über die rumänischungarische Grenze. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Budapest schlug er sich dann mit einer Gruppe jüdischer Auswanderer bis nach Wien durch. Damit war der immer noch trotzkistisch Gesinnte der kommunistischen Einflußsphäre entronnen. Nach dem Eintreffen in Wien bestimmte er seine Position ernüchtert mit den Worten : »ohne Paß und allein meinem Stern vertrauend«170. Für Ruth hinterließ Celan in Bukarest unter anderem das wohl 1946 entstandene Gedicht Harmonika. Entgegen der mit dem Titel verbundenen Erwartung harmonischer Klänge einer Harmonika, begegnen wir dem schwerfälligen musikalischen Fluß einer Liebe im Zeichen des Todes. Hier die alles andere als leicht zu durchdringenden, weit ausladenden Verse eines gescheiterten Liebesexperiments : Harmonika Der Eiswind hängt über die Steppe das Galgenlicht deiner Wimpern : du wehst mir von roten Gelenken, er steigt aus den Tümpeln voll Obst ; die Finger streckt er empor, dran spinn ich Heu, wenn du tot bist … Es fällt auch ein meergrüner Schnee, du ißt von erfrorenen Rosen. Mehr als du gabst verteil ich im Hafen als Branntwein. Ums Messer gespult blieb dein Haar mir, dein Herz uns das rauchende Kap.171
Gleich die Eingangsmetapher »Eiswind« setzt einen für das ganze Gedicht bestimmenden Akzent extrem kalter, eben eisiger Luftbewegung. Sie »hängt über die Steppe«, also über die baumlose Gras- und Krautlandschaft, nicht etwa das Licht, sondern »das Galgenlicht deiner Wimpern«. Mit dem Possessivpronomen Bukarest (1945–1947) – Aus Paul Antschel wird Paul Celan
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kommt hier der ›Besitz‹ der Härchen am oberen Rand der Augenlider der angesprochenen Geliebten zum Ausdruck. Von vornherein erscheint sie damit negativ behaftet, ja sogar der Atmosphäre des Hinrichtungsinstruments für einen zum Tode Verurteilten, dem »Galgen«, zugehörig. Zwar geht vom schönen Körper, ihren »roten Gelenken«, ein zunächst angenehmes Wehen aus (»du wehst«), aber der mitwirkende »Eiswind« hat seinen Ursprung in den »Tümpeln voll Obst«, will sagen im stehenden Altgewässer voll von reifen Früchten, die dort der Fäulnis ausgesetzt sind. In freier Assoziation kommt dadurch auf dem Wege sprachmagischer Suggestion eine lastende erotische Polarität in Gestalt einer schwierigen Ich-Du-Spannung in ihrer ganzen Komplexität und Prekarität zum Ausdruck. Die metaphorische Linie des »Eiswinds« wird sodann, unmittelbar verkörpert, weitergeführt : »die Finger streckt er empor«. In der Imagination des Liebenden nimmt der von der Geliebten ausgehende »Eiswind« körperliche Gestalt an. Das erwartete Ende vorwegnehmend, denkt er sich aus, wie er ausgetrocknetes Gras, eben »Heu«, an diesen imaginierten »Fingern« festmacht (»dran spinn ich Heu, wenn du tot bist […]«). Mit den andeutend-stellvertretend gesetzten drei Punkten suggeriert der hier Sprechende das ganze Ausmaß seiner Enttäuschungen. Unendlich fern gerückt sind die Erwartungen der früheren Liebesgedichte. Als zu stark erweist sich »die zerstörerische Gewalt des Blicks der Geliebten«172. In der Erinnerung erscheint der gefallene »Schnee« immer noch »meergrün«, doch bleibt er allemal »Schnee«, also in der gefrorenen Form des Niederschlags. Demzufolge sind ebenso die früher geschenkten Rosen nur noch »erfrorene Rosen«. Die erwartete Liebeserfüllung kam nicht zustande (deswegen die Formulierung im Imperfekt : »mehr als du gabst«). Der Liebende sieht sich genötigt, sie »im Hafen als Branntwein« zu »verteilen«173. Als Fazit steht am Ende allein die ernüchterte Feststellung : »Ums Messer gespult blieb dein Haar mir, dein Herz uns das rauchende Kap«. Eine rauchende Landspitze markiert als ›brennendes‹ Bild, was von der unerfüllten Liebe in beider Liebenden »Herz« noch übrig ist. Der einsam gewordene Liebende hingegen lebt weiter mit der bitteren Erinnerung an das wunderschöne »Haar« der Geliebten, allerdings in der ›abgewürgten‹ Form – »ums Messer gespult«, was heißen soll : ständiger Nichterfüllung aller Erwartungen ausgesetzt. Was zunächst ein eher dunkler Text zu sein scheint, erweist sich bei genauerer Betrachtung als Ausdruck ernüchterter Genauigkeit. Darum »hängt« über dem ganzen Gedicht als bestimmende Grunderfahrung der »Eiswind« des Todes. Statt des erhofften Wunschtraums erfüllter Liebe sehen wir uns als miterlebende Leser dem ständigen »Gemurmel der Toten«174, so ein typischer Gedichttitel aus dem Frühwerk Celans, ausgesetzt. Keinesfalls handelt es sich dabei, wie Celan betonte, um »Verschlüsselungen«. Er suchte die »Mehrdeutigkeit 68 |
Bukarest (1945–1947) – Aus Paul Antschel wird Paul Celan
ohne Maske«, die »Überlappung der Bezüge«, die »Interferenz« als »Einwirkung zusammentreffender kohärenter Wellen aufeinander«. Aus diesem Grund legte er Wert auf die Feststellung : »Ich bleibe in meinen Sachen sinnfällig ; sie prätendieren niemals aufs ›Übersinnliche‹«175. Unter der Einwirkung eines derartigen »Eiswinds« trat Celan wenige Monate vor der Abdankung König Michaels und der damit verbundenen endgültigen Stalinisierung Rumäniens die Flucht aus Bukarest an. Über seine beschwerliche Durchquerung Ungarns in Richtung Wien ließ er nichts verlauten. Keinesfalls wollte er berichten von Hunger, Durst, Kälte und Sorgen während dieser Flucht, vom Übernachten in ausgebombten Bahnhöfen und anderen unguten ›Behausungen‹. Immerhin mögen ihm jene schlimmen Erinnerungen 1959 die Feder geführt haben beim Verfassen der Erzählung Gespräch im Gebirg. Dort lesen wir : »Auf dem Stein bin ich gelegen, damals, du weißt, auf den Steinfliesen, und neben mir, da sind sie gelegen, die andern, die wie ich waren, die andern, die anders waren als ich und genauso.«176 Felstiner bemerkte zur ausgesprochen traurigen Lage Celans während seiner Flucht angemessen knapp : »Er hatte keine Papiere bei sich, nur einen Rucksack mit Gedichten«177. Freilich handelte es sich um einen Rucksack, bepackt mit außergewöhnlich breit gestreutem Bildungsgut, einem reichhaltigen poetologischen Repertoire und einer tiefreichenden humanen Reflexion über alles ihm widerfahrene Übel. Deswegen konnte Celan später in der »Meridian«-Rede mit gutem Grund sagen : Das Gedicht wird – unter welchen Bedingungen ! – zum Gedicht eines – immer noch – Wahrnehmenden, dem Erscheinenden Zugewandten, dieses Erscheinende Befragenden und Ansprechenden : es wird Gespräch – oft ist es ein verzweifeltes Gespräch178.
Der dergestalt »Wahrnehmende«, aber völlig Mittellose kam nun, eingestuft als Displaced Person (DP) in die viergeteilte Donaumetropole Wien. Er fand eine gänzlich andere Stadt vor, die seinen Erwartungen in jeder Hinsicht entgegenstand.
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aul Celan wäre wohl nach diversen unguten Erfahrungen nicht unbedingt damit einverstanden, ausgerechnet die Todesfuge gesondert herausgehoben zu sehen. Seit den sechziger Jahren strich er diesen großen Text seiner dichterischen Anfänge aus dem Programm der von ihm abgehaltenen Lesungen. Zeitweise untersagte er sogar den Wiederabdruck. Es gab etliche Gründe dafür. Da waren die traumatischen Erinnerungen an die banausisch-böswilligen Reaktionen auf die Art seines Vortrags bei der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf 1952 (darauf wird noch einzugehen sein !), ferner der Mißbrauch des Textes im Rahmen gutwilliger christlich-jüdischer Versöhnungs- und Bewältigungsrituale sowie die gutgemeint-pflichtschuldige Aufnahme in Anthologien und Schulbücher, vor allem aber der unglückliche ›Vergleich‹ mit dem thematisch verwandten Gedicht ER von Immanuel Weißglas durch Heinrich Stiehler im ersten Heft des Jahrgangs 1972 der Akzente, der Celan ein Wiederaufleben der unsinnigen Plagiatsvorwürfe Claire Golls befürchten ließ. Sogar beim einzigen Aufenthalt in Israel im Oktober 1969 folgte der Autor nicht der nachdrücklichen Aufforderung aus dem Kreis der Zuhörer, die Todesfuge zu lesen, sondern winkte unwirsch ab. Aber abgesehen von dieser verständlichen Abwehrreaktion bedeutete das keineswegs eine Zurücknahme des Gedichts. Vielmehr hatte Celans ablehnende Haltung ihren Ursprung hauptsächlich in der ganz ihm eigenen Distanznahme aufgrund seiner künstlerischen Weiterentwicklung. Denn er plädierte in zunehmendem Maße für eine notwendige ästhetische Neuorientierung179. Er begründete das einleuchtend unter Berufung auf seine nachfolgende dichterische Arbeit : »Auch musiziere ich nicht mehr, wie zur Zeit der vielbeschworenen ›Todesfuge‹, die nachgerade schon lesebuchreif gedroschen ist. Jetzt scheide ich streng zwischen Lyrik und Tonkunst«180. Die Verabschiedung von Sprachmagie, Bildreichtum und Klangschönheit, von eben jenem nun als nicht mehr angemessen erkannten »Musizieren« setzte spätestens ein mit der Sammlung Sprachgitter (1959). Zur Zeit als Celan an der Todesfuge arbeitete, war er noch weit entfernt von derartiger Ausnüchterung des lyrischen Sprechens. Erst in der 1958 formulierten Antwort auf die Umfrage der Pariser Librairie Flinker181 forderte er programmatisch eine »grauere Sprache«, die »dem Schönen mißtraut« und »ihre ›Musikalität‹ an einem anderen Ort angesiedelt wissen will, wo sie nichts mehr mit jenem ›Wohlklang‹ gemein hat, der noch mit und
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neben dem Furchtbarsten mehr oder minder unbekümmert einhertönte«182. Die harmonisierenden Zwänge der lyrischen Konvention waren damit abgetan. Seinen Gegnern hielt er kurzerhand entgegen : »Wer nach Auschwitz mystifiziert, ist ein Mit-Mörder«183. Was Celan von Beginn an allein interessierte, war der Zwang zur Wahrheit. Darum brauchte er auch nichts von dem zurückzunehmen, was er in der Phase seines »Musizierens« schrieb. Aus dem gleichen Grund korrigierte er vehement die Vermutung Hans Mayers, die Engführung sei wohl »eine Zurücknahme der ›Todesfuge‹« mit der klärenden Bemerkung : »Ich nehme nie ein Gedicht zurück«184. Aus diesem Grund, in erster Linie aber wegen der einmaligen Wirkungsdimension der Todesfuge ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern unerläßlich, den vielfach zitierten und abgedruckten Text ein weiteres Mal herauszustellen. Handelt es sich doch um den mit großem Abstand am meisten gelesenen (und ebenso in der Schule behandelten) Text der deutschsprachigen Literatur seit 1945. Todesfuge Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends wir trinken und trinken Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
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Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends wir trinken und trinken ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Aug ist blau er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith185
Über das Datum der Entstehung des Gedichts gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Edith Silbermann, Immanuel Weißglas und Alfred Kittner zufolge gehört die Todesfuge ans Ende der Czernowitzer Zeit, während Ruth Lackner und Israel Chalfen den Anfang der Bukarester Zeit ins Feld führen. Ob das Gedicht Ende 1944 oder Anfang 1945 fertiggestellt wurde, spielt indes keine sonderliche Rolle. Ohnehin hat Celan dieses kunstvolle Gebilde nicht an einem einzigen Tag geschrieben. Er war gewiß geraume Zeit damit beschäftigt, so daß mit ziemlicher Sicherheit von Vorstufen und einer Endstufe gesprochen werden kann. Entscheidend ist die Tatsache, daß Petre Solomon betonte : »Als Celan nach Bukarest kam, […] brachte er das Gedicht mit«186. Er mußte es am besten wissen, weil er dieses Gedicht zusammen mit dem Autor ins Rumänische übersetzte und auch zuerst publizierte. Wir müssen also davon ausgehen, das Gedicht sei stufenweise in Czernowitz begonnen und dann in Bukarest vollendet worden. Jedenfalls erschien die rumänische Fassung, wie erwähnt, unter dem Titel »Todestango« erstmals gedruckt am 2. Mai 1947. Celan selbst schrieb der Deutschen Verlagsanstalt am 14. 3. 1962 : »[…] das Gedicht ›Todesfuge‹ – ich habe es im Frühjahr 1945 in 72 |
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Bukarest geschrieben«187. Damit sollten die Spekulationen über den Zeitpunkt der Entstehung ein Ende finden. Entscheidend ist allein, daß Celan mit diesem Gedicht die weithin noch epigonale Phase der Bukowiner Gedichte weit hinter sich läßt. Er hatte nun als Dichter zu sich selbst gefunden. Die in Bukarest getroffene Entscheidung, definitiv in deutscher Sprache zu schreiben, markiert gerade auch diesen entscheidenden Punkt seiner dichterischen Entwicklung, wie er sich besonders in der Todesfuge nachweisen läßt. Dieses Gedicht zeichnet sich in vielerlei Hinsicht aus. Es ist ein in hohem Maße »musizierendes« Gebilde, es überzeugt als poetischer und poetologischer Text wie auch als Gedicht der Erinnerung an die finsterste Phase der deutschen Geschichte. Deswegen ist es zu einem lyrischen Markstein unserer Literaturgeschichte geworden. Für den Autor selbst waren diese sieben ›Strophen‹ aus 36 Versen188 das »einzige Grabmal seiner Mutter«189. Er hat es als Fuge angelegt und deshalb auf polyphone Mehrstimmigkeit in genau überlegter Anordnung geachtet. Die komplexe Themengestaltung (Themenkopf und parallele Durchführungen, gegenstimmige Setzweise, zeitlich versetzt wiederholt oder erneut angedeutet) entspricht exakt dem Fugenprinzip. So erklärt sich ebenso die Entscheidung für einen fortlaufend intonierten Text ohne Interpunktion. Im eigentlichen Sinne handelt es sich nicht um Strophen in der herkömmlichen Bedeutung, sondern um parallele Durchführungen. Die einzelnen Textelemente fügen sich dabei, akzentuiert durch verfremdende rhythmische Abfolgen, Wiederaufnahmen oder Variationen, zu polyphoner Stimmigkeit zusammen. Diese Art der Gestaltung faßte Celan völlig zu Recht unter dem Begriff »musizieren«. Aber nicht allein die Musiktradition spielte eine Rolle bei der Ausarbeitung. Die Thematik brachte es mit sich, daß eine ganze Skala tradierter Einflüsse der verschiedenen Motive zu registrieren ist. Neben dem Alten Testament, insbesondere dem Hohen Lied, neben der Tradition des Totentanzes, barocker Allegorie und der Gretchen-Figur aus Goethes Faust-Dichtung, neben auffallender intertextueller Parallelität bei Jean Paul, Rimbaud, Rilke, Werfel und Trakl, gibt es speziell für die zentrale Metapher der »schwarzen Milch« vordergründig vergleichbare Formulierungen in Gedichten Rose Ausländers und Margul-Sperbers, mithin in Gedichten aus dem Czernowitzer Umfeld190. Die Übernahme solcher Stoffe ganz unterschiedlicher Überlieferung war für den poeta doctus Celan ganz natürlich. Er hat diesen vielschichtigen Motivaustausch hier allerdings mehr in einen Gegenentwurf überführt und dadurch seine autonome Leistung untermauert. Die von Literaturschnüfflern aufgebrachte These von der Übernahme Celans durch das Gedicht ER von Immanuel Weißglas erledigt sich am besten durch eine einfache Gegenüberstellung beider Texte. Die in der Tat offenkundigen thematiExkurs : Todesfuge
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schen und bildlichen Übereinstimmungen erweisen sich, nebeneinander gehalten, dem kritischen Blick im Weißglasschen Gedicht als ›poetisch‹ aufgemacht, während die Version Celans durchgängig überzeugt. Der Direktvergleich ergibt eine gewaltige ästhetische Fallhöhe zwischen beiden Texten, und zwar eindeutig zugunsten Celans191. Er hatte es nicht nötig, sich bei Anderen Anregungen zu holen. Sehr wohl aber griff er stimmige thematische Zusammenhänge auf und überführte sie durch intertextuelle Transformation in seinen Ausdruckskosmos. Die Zentralmetapher »Schwarze Milch der Frühe« hält als Leitmotiv das ganze Gedicht klammerartig zusammen. Doch nun zum Gedicht selbst, zu dem, was es uns zu sagen hat. Ins Zentrum führt die gerade erwähnte Eingangsmetapher der »schwarzen Milch«. Schwarz als die Nichtfarbe ohne Lichtenergie zerstört in der Funktion des adjektivischen Beiworts zum Substantiv »Milch« dessen positive Implikationen radikal. Die lebenspendende Kraft der weißen Flüssigkeit verkehrt sich dabei in ihr verdorbenes und Verderben bringendes Gegenteil. Was Celan anspricht, ist die ›Milch des Todes‹, und sie ist eben »schwarz«. Hierdurch ist die zur Darstellung kommende Tatsache der Menschenvernichtung literarisch präsent, ohne daß von Gaskammern oder Verbrennungsöfen die Rede sein muß. Im sukzessiven Durchgang vermittelt das düstere Bild den Hörern oder Lesern, wie dieses Thema im wahrsten Sinne des Wortes ›durch die Stimmen geführt‹ wird. Die eine Seite bilden dabei die »Trinkenden«, das heißt die Objekte deutscher Judenvernichtung, die andere der als ein »Meister aus Deutschland« verkörperte Tod. Hier durchzieht er das Geschehen des Gedichts in Gestalt des »im Hause wohnenden Mannes«, der »mit den Schlangen spielt« (Urmotiv der Versuchung des Bösen), der »seine Rüden herbeipfeift« (»Rüden« als die Hetzhunde der Jägersprache, aber auch die adjektivische Bedeutung des ›Gefühllosen‹ schwingt hier mit) und sogar den perversen Befehl erteilt, »nun zum Tanz« aufzuspielen (Perversion und ›Banalität des Bösen‹ im Sinne von Hannah Arendt), Celan überführt dadurch die fugierte Präsentation konsequent in eine poetische Partitur aus mehrstimmigen Wort-, Klang- und Bildfolgen. Mittels wiederholender Projektionstechnik entsteht auf diesem Wege ein inhaltlich komplexes, thematisch aufwühlendes, im Endeffekt schwer lastendes artistisches Gefüge. Aus Stimmfetzen konstituieren sich Bedeutungslinien in einer ganz eigenen Sprachform jenseits von syntaktischer Ordnung und metrisch gebundener Versifikation. Ein durchlaufendes hochkomplexes Satzmodell trägt die gesamte ›musikalische‹ Komposition mit Worten. Lediglich themengeprägte Abschnitte deuten innerhalb des Gedichts eine Art strophischer Untergliederung an. Kontrapunktische Ausarbeitung und 74 |
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simulierte Vielstimmigkeit (»wir« – »er«) sowie eine permutierende Phrasierung der gegensätzlichen Motivschwerpunkte ergeben auf der Grundlage eines einprägsamen rhythmischen Systems wirklich eine in Sprache überführte ›Kunst der Fuge‹. Nicht zuletzt deswegen wurde wohl der ursprüngliche, viel zu grelle Titel »Todestango« radikal umgewandelt. Freilich hat die endgültige Überschrift – Todesfuge – auch nichts mit ›wohltemperierten Harmonien‹ gemein. Celans Erinnerungsfuge verfolgt ein genau bestimmbares Ziel. Sie will unser Bewußtsein wachhalten für die in den Vernichtungslagern des Dritten Reiches geschehenen Verbrechen. Mit seiner poetischen Gestaltung des Faktischen hat er diese Zielsetzung voll überzeugend verwirklicht. Alles an diesem Gedicht ist so gewollt und geformt, wie es in der Endfassung dasteht. Die Wirkung der bis ins Detail durchkomponierten Wortpartitur beruht in hohem Maße auf dem steigernden Impuls von Wiederholung und Antithetik in simultaner Textanordnung. Vorrangig ist die lyrische Strategie auf kontrapunktische Kombination angelegt. Sie ist, wie gesagt, wirksam in der thematischen Kontrastierung von einerseits »wir trinken« und andererseits von »ein Mann wohnt im Haus« oder beim einander entgegengesetzten Parallelismus »dein goldenes Haar Margarete / dein aschenes Haar Sulamith«, wie dann auch bei der Modulation »Grab in der Erde« > »Grab in den Lüften« > »Rauch in der Luft« > »Grab in den Wolken« > »Grab in der Luft«. Aus diesem Verfahren kontextueller Vernetzung erwächst das konsequent umgesetzte parataktische Darstellungssystem. Es ist gekennzeichnet durch die radikale Nebenordnung der Sätze, Teilsätze und Satzteile wie dann durch gleitende Übergänge und durch die ausgesparte Interpunktion. Eindeutig dominieren freirhythmische, daktylisch fallende Langzeilen, darunter fünf daktylische Kurzverse (»wir trinken und trinken«) und dazu auch einmal »dein goldenes Haar Margarete / dein aschenes Haar Sulamith«). Metrisch entgegen stehen ihnen vier trochäisch bestimmte und insofern hart fallende Verse mit der Zentralmetapher »Schwarze Milch der Frühe«192. Das geschieht ganz im Sinne der angestrebten Totenklage. Mit guten Gründen wird die dem Totengedenken gewidmete Todesfuge immer wieder auch als ein »Todesgedächtnis« verstanden193. Zu Recht hat deswegen Peter Szondi darauf hingewiesen : Erinnerung bezeugt die schaffende Kraft des Wortes. […] So ist die Aktualisierung der Vernichtungslager nicht allein das Ende von Celans Dichtung, sondern zugleich deren Voraussetzung. […] Das Eingedenken wird zum Grund für das ›Sprechen‹ des Dichters194.
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Besonderes Augenmerk verdient die detailgetreue Darstellung des Mörders mit den »blauen Augen«. Sie geht in dem Augenblick in den Singular über (»sein Auge ist blau«), wo der Todesschütze, ein Auge zukneifend, tatsächlich abdrückt. Die Ausdruckswirkung wird noch verstärkt durch den einzigen Reim des Gedichts (»blau« – »genau«). Der »deutsche«, der »schmerzliche Reim«195 ist hier zum tödlichen Reim gesteigert. Aber noch etwas kommt hinzu : Der »mit den Schlangen« Spielende erscheint nicht einfach schematisch auf das Böse festgelegt. »Er schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland« zärtlich-gefühlvolle Briefe an seine »Margarete« mit dem »goldenen Haar und betrachtet den ›gestirnten Himmel‹ über sich (»und es blitzen die Sterne«). Offensichtlich legte der Autor Wert darauf, die ungute Mischung des Nebeneinanders von ›romantischer‹ Sentimentalität und unmenschlicher Gewaltbereitschaft, von Untertanengesinnung und Arroganz, Idealismus und Nihilismus wirklichkeitsgetreu vorzuführen. Wesentliche Bedeutung kommt sodann dem nur dreimal beschworenen »aschenen Haar« der »Sulamith« zu. Es steht für das jüdische Schicksal generell. Allerdings war es hierzu nötig, die Sulamith des Hohen Lieds substantiell zu verändern. Der biblischen Beschreibung (»Das Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden« ; Hohes Lied 7.6) setzt Celan nach der Erfahrung des Holocaust konsequenterweise das »aschene Haar Sulamiths« entgegen. Es ist, bewußt kontrastierend, unmittelbar neben das »goldene Haar Margaretes« gesetzt. Gewiß geschah das im Wissen um die idealen Bräute des Alten und des Neuen Testaments, Sulamith und Maria. Allerdings substituiert der an den Judenmord durch Deutsche erinnernde Celan die neutestamentliche Maria durch Goethes Gretchen-Figur als deutsches Idealbild des goldhaarigen Mädchens. Der Parallelismus unterstreicht hier freilich keine Übereinstimmung, sondern krassen Gegensatz. Die bewußte Doppelfügung – »dein goldenes Haar Margarete / dein aschenes Haar Sulamith« – weist nachdrücklich darauf hin, daß das biblische Idealmotiv nicht mehr stimmt, weil all das passiert ist, was Sulamiths Haar »aschen« werden ließ. Uns unmittelbar herausfordernd, bildet diese Gegenüberstellung den Schluß des Gedichts. Damit fassen wir das eigentliche Ziel der durchgängig praktizierten dialogischen Ausrichtung in Gestalt derer, die das Gedicht lesend oder hörend erfahren. Für die Mit- und Nachwelt hat Celan nachdrücklich betont, wie weit der Verrat des Menschen am Menschen gehen kann. Konzentrierter, eindringlicher, emotionaler und darum haltbarer als jede dokumentarische Wiedergabe hat er den deutschen Judenmord für alle Zeiten festgeschrieben. Nicht Einfühlung ist seine Methode, sondern gezielte Herausforderung. Das gibt der Todesfuge ihre Haltbarkeit in künstlerischer, ethischer
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und menschlicher Hinsicht. Einzelberichte oder Dokumentationen gehen andere gangbare Wege. Celan geht den seinen – den Weg des Gedichts. Zunächst blieb die Todesfuge weithin unbemerkt. Die 1947 veröffentlichte rumänische Übersetzung fand keine sonderliche Resonanz. Der deutschsprachige Erstdruck in der Sammlung Der Sand aus den Urnen (1948) konnte keine Wirkung auslösen, weil Celan das Buch zurückzog. Darauf wird im Kapitel über den Wiener Aufenthalt noch genauer einzugehen sein. Auch die Erstdrucke in Österreich196 und in Deutschland197 fanden nur geringe Beachtung. Erst mit der Publikation in der Sammlung Mohn und Gedächtnis (1952) wurden diese Verse, wie Hilde Domin zutreffend bemerkte, »wirklich gelesen«198. Damit begann Celans langsam, aber sicher zunehmende Wirkung als Dichter. Die Gründe hierfür hat am schönsten Ingeborg Bachmann mit dem einen Satz umschrieben : »Mit einer Grabschrift, der ›Todesfuge‹ ist er [Celan] zuerst unter uns getreten, und mit sehr leuchtenden dunklen Worten, die eine Reise bis ans Ende der Nacht machten«199. Dieses Gedicht ist eben nicht das »ambivalente Gebilde«, das manche in ihm sehen200, nicht bloße »Kunstfertigkeit« (Volker Klotz) oder rein »technisch-artistische Handhabung der Sprache« (Clemens Heselhaus), ebensowenig »metaphorische Überwältigung« (Gert Mattenklott) oder »wahnsinnige Sprachmagie« (Peter von Matt) oder gar »Lüge des Ästhetischen« (Herbert Kaiser)201, sondern die poetisch und gesellschaftlich überzeugende Aufhebung der These Adornos : »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch«. Celan war mit der Rezeption seines Gedichts ohnehin eher unzufrieden. Allzuviel Mißbrauch, teilweise durchaus gut gemeint, wurde damit getrieben. Einige Mitglieder der Gruppe 47 reagierten töricht und stillos auf seinen Vortrag des Gedichts bei der Tagung in Niendorf. Hineingezogen in die Plagiatsvorwürfe von Claire Goll und dann wieder aufgrund des unbegründeten Vorwurfs der Übernahme von Motiven bei Weißglas kam er zu dem Schluß : »Dieses Gedicht muß jetzt, lange noch, ganz bei sich bleiben«202. Diese Problematik kann mittlerweile als ausgeräumt gelten. Das Gedicht ist aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken. Fest steht jedenfalls : Celan hat mit der Todesfuge die Geschichte der deutschen Nachkriegsliteratur wie überhaupt der Weltliteratur um einen gewichtigen und tief menschlichen Beitrag bereichert.
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ie Flucht aus der am Jahresende 1947 ausgerufenen Sozialistischen Volksrepublik Rumänien war alles andere als einfach. Menschenschmuggel mußte teuer bezahlt werden. Zudem war der Winter in diesem Jahr sehr hart. Kälte, Entbehrungen und Gefahren bestimmten den Verlauf der ›Reise‹, häufig zu Fuß, von Bukarest über Budapest nach Wien. Seine Habseligkeiten hatte der nunmehr 27-jährige Celan in Bukarest zurücklassen müssen. Die Manuskripte konnte er bei den Freunden Ruth Lackner, Alfred Margul-Sperber, Petre Solomon deponieren. Als er kurz vor Weihnachten, genau am 17. Dezember 1947, im zerstörten Wien ankam, war er so gut wie mittellos. Zusammen mit zahlreichen anderen Leidensgenossen wurde Paul Antschel, wie er immer noch amtlich hieß, in eines der überfüllten Flüchtlingslager eingewiesen203. Die Stadt lag damals, wie die meisten Städte des untergegangenen ›Großdeutschen Reiches‹ weithin in Trümmern. Aufgeteilt unter die drei westlichen Alliierten und die russische Besatzungsmacht herrschte allenthalben Verunsicherung und großer Mangel. Dementsprechend dominierten der Kampf um das tägliche Brot und der Schwarzmarkt. Schmuggler, Schieber, Agenten und Spione bestimmten die Szenerie. Diese bedrückende Atmosphäre prägte zunächst den Alltag des Neuankömmlings als staatenloser Jude. Denn er war einer von den nahezu 170.000 jüdischen Flüchtlingen an diesem Kreuzungspunkt zwischen der östlichen und der westlichen Welt. Um sich vorstellen zu können, unter welch elenden Umständen er lebte, empfiehlt sich ein Blick in den von den Wiener Freunden, Milo Dor und Reinhard Federmann, verfaßten Kriminalroman Internationale Zone. Er enthält mit der Gestalt des jüdischen Flüchtlings aus Rumänien, namens Petre Margul, »Flüchtling, Journalist und Dichter«, eine versteckte Beschreibung der damaligen Lebenssituation Celans : »Er war hungrig und verzweifelt. […] der ganze lange mühselige Weg schien ihm unwirklich. […] was nützte es ihm, daß er fünf Sprachen beherrschte, zwei davon wie seine eigene ?«204 Wer den zu jener Zeit gedrehten Film Der dritte Mann von Carol Reed nach einem Drehbuch von Graham Greene mit Orson Welles in der Hauptrolle kennt, kann sich das ungute Ambiente der direkten Nachkriegszeit im damaligen Wien gleichfalls ungefähr vorstellen. Mit der Traumstadt der Czernowitzer Juden hatte das Wien von 1947/48 jedenfalls nichts mehr gemein. Die sieben Jahre des Nationalsozialismus nach dem ›Anschluß‹ Österreichs hinterließen eine tiefe Spur. Wie es dazu kam, daß Celan dennoch unbedingt hierherkommen wollte, hat er
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mit der bereits zitierten Aussage begründet : »Das Erreichbare, fern genug, das zu Erreichende hieß Wien«205. Wien war der deutsche Sprachraum, von dem sich der deutschsprachige Dichter die Möglichkeit erhoffte, dort publiziert zu werden. Am 15. Januar 1948 wurde Celan durch einen ›Meldezettel für Reisende‹ offiziell registriert. Gleich noch im Dezember 1947 hatte Celan den Schriftsteller, Publizisten und Journalisten Otto Basil (1901–1983) aufgesucht. Der war durch den erwähnten Brief Alfred Margul-Sperbers auf diesen Besuch vorbereitet. Celan wandte sich an den rührigen Publizisten um so lieber, weil er von dessen konsequenter Ablehnung Hitlers wußte. Basil war nach dem Anschluß Österreichs mit Schreibverbot belegt worden. Die Gestapo verhaftete ihn 1938 ›wegen Verspottung des Führers‹. Allein dank der Intervention Josef Weinhebers konnte er weiterer Verfolgung entrinnen. Nach Kriegsende bildete sich um diesen mit Expressionismus und Surrealismus groß gewordenen literarischen Aktivisten und Dramaturgen am Wiener Volkstheater ein kleiner Kreis avantgardistischer Künstler. Celan kam demnach an die richtige Adresse, zumal Basil die lobende Einschätzung Margul-Sperbers durchaus teilte. Er erklärte sich spontan bereit, eine Reihe der ihm vorgelegten Gedichte in die von ihm herausgegebene Zeitschrift Plan aufzunehmen. Celan erschien ihm als »ein junger Mensch mit schmalem Gesicht und dunklen, traurigen Augen. […] Er machte einen verhungerten und abgerissenen Eindruck«206. Schon bald danach löste Basil sein Versprechen ein. Bereits im Januarheft des Jahrgangs 1948 wurden siebzehn Gedichte Celans abgedruckt und zwar prominent gleich am Anfang plaziert207. Das war die erste Veröffentlichung Celanscher Texte in deutscher Sprache und in einem deutschsprachigen Land. Wenig später mußte die Zeitschrift allerdings im Zuge der Währungsreform ihr Erscheinen einstellen. Das Heft mit den Gedichten Celans war also das letzte der Reihe. Bereits am 11. Februar 1948 unterrichtete Celan den Förderer MargulSperber darüber und beklagte ebenso den Mangel an Kontakten. Er schrieb da : »[…] dann kam ein Stillstand. […] Ein paar Besuche bei Basils, Freunden, Geschwätz und Diskussionen, die mich nicht interessierten, sonst nichts«208. Das war insofern entschieden übertrieben, als Celan damals nicht nur den Schulfreund Alfred Gong und sehr wahrscheinlich sogar Erich Einhorn wiedertraf209, sondern auch den surrealistisch orientierten Maler und Grafiker Edgar Jené (1904–1984) und dessen Frau, die Kinderbuchautorin, Erica Lillegg (1907–1988) kennenlernte. Dem Maler Jené begegnete Celan in der unter dem Büro Basils im Erdgeschoß befindlichen Agathon-Galerie am Opernring. Beide kamen sich auf der Grundlage gemeinsamer Interessen rasch freundschaftlich näher. Kurze Zeit wohnte Wiener Intermezzo (1947–1948)
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Celan sogar im Atelier Jenés, ehe er dann in der Pension Pohl in der Rathausgasse Unterschlupf fand. Der Anregung Jenés folgend, übersetzte der zeitweilige Surrealist Celan ein surrealistisches Gedicht von Aimé Césaire. Vor allem verfaßte er den Essay Edgar Jené und der Traum vom Traume. Weit über die Äußerungen zu den Bildern Jenés hinaus, betonte er, damit die eigene Position des Umgangs mit den »Worten, die ich in der Tiefsee gehört habe« : »Die Tiefe nie verlassen und immerzu Zwiesprache halten mit den finstern Quellen«210. Wie rasch sich Celan im Wiener Künstlermilieu akklimatisierte, zeigen seine Mitwirkung gleich im März 1948 an der »Ersten Surrealistischen Ausstellung in Wien« und die bald danach, genau am 3. April 1948, folgende Lesung im Rahmen dieser ›surrealistischen‹ Gruppierung. Er las Texte von Aragon, Breton, Éluard und auch einige eigene Gedichte vor. Die Wirkung war für ihn äußerst günstig. Zufrieden ließ er Margul-Sperber wissen, er habe »viel Lob« zu hören bekommen211. Aus der Begeisterung der kleinen Zuhörerschaft heraus erwuchs der Plan, Geld zu beschaffen für den Druck seiner Gedichte. Bei Dor/Federmann liest sich das wie folgt : Ein Verleger [gemeint ist Jené, der ›Agitator für den Surrealismus‹] pries ihn als einen der besten Lyriker deutscher Zunge und versprach ihm, den Gedichtband, dessen Manuskript Petre [d. i.: Celan] im Flüchtlingsrucksack mitgenommen hatte, herauszubringen, sobald er finanziell dazu imstande sein würde212.
Fast gleichzeitig ergab sich eine ebenso günstige Wirkung in der Schweiz. Der in Zürich lebende und arbeitende Journalist Max Rychner (1897–1965) reagierte begeistert auf das Empfehlungsschreiben Margul-Sperbers und veröffentliche sogleich sieben Gedichte in der überregionalen Zeitung Die Tat213. So gesehen, gestaltete sich das literarische Debüt Celans im deutschen Sprachraum zunächst durchaus ermutigend. Zufrieden konnte Margul-Sperber feststellen : »Paul Celan ist nun ›lanciert‹«214. Und tatsächlich kam es wenig später durch die Initiative Jenés zur Zusage des Verlegers Erwin Müller, den ersten Gedichtband Celans Der Sand aus den Urnen zu drucken. Aber das Projekt zerschlug sich wieder, weil Müller die Subskriptionsgelder veruntreute. Bald danach erklärte sich der Sexl Verlag bereit, die Gedichtsammlung ins Programm zu nehmen. Was dann passierte, kommt später noch genauer zur Darstellung. Celan machte gleichfalls bei einer zweiten Lesung der surrealistischen Gruppierung mit und wurde sogar eingeladen, eine Lesung im österreichischen Rundfunk zu gestalten, was er natürlich gerne annahm.
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Parallel zum Kreis um Basil gab es einen zweiten literarischen Kreis im Café Raimund gegenüber dem Volkstheater um den aus dem Schweizer Exil zurückgekehrten Hans Weigel (1908–1991). An diesen lockeren Zusammenkünften nahmen unter anderen Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann, aber auch Milo Dor und Reinhard Federmann teil. Im gleichen Zusammenhang traf Celan jene Frau, die in der Folge eine große Rolle in seinem Leben spielen sollte : die damalige Studentin der Philosophie und über Heidegger promovierende Ingeborg Bachmann (1926–1973) aus Kärnten. Sie lebte damals mit dem wesentlich älteren Weigel zusammen. Kurz zuvor waren, wohl durch dessen Vermittlung, vier Gedichte von ihr in der Zeitschrift Lynkeus veröffentlicht worden. Wie Celan war sie auf der Suche, ihren weiteren Weg als Künstlerin zu finden. Die zwischen ihr und Celan aufkommende Liebe dauerte nur sechs Wochen, weil der von Wien Enttäuschte schon im Juli 1948 nach Paris übersiedelte. Diese einzigartige, zugleich auch eigenartige Liebe wirkte jedoch im Leben beider bleibend fort. Was in heutiger Sicht die intensive Begegnung der beiden wichtigsten Lyriker der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur ist, war damals das Zusammentreffen zweier noch unbekannter, aber zielbewußt zur Vollendung als Dichter strebender Anfänger. Es kann nicht darum gehen, dem Geheimnis der Begegnung dieser dichterischen Partner nachzuspüren. Wesentlich ist lediglich das Wissen um den intensiven Dialog, den ihre Liebe zueinander in ihnen ausgelöst hat. Die im damals entstandenen Gedicht Corona auftauchenden Metaphern bezeugen die Einmaligkeit ihres Zusammentreffens : Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten : / wir sehen uns an, wir sagen uns Dunkles, wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis, / wir schlafen wie Wein in den Muscheln, / wie das Meer im Blutstrahl des Mondes215.
Gleich einem Echo dazu liest sich die erste Strophe Bachmanns aus dem Gedicht Dunkles zu sagen. Dort lesen wir : »Wie Orpheus spiel ich / auf den Saiten des Lebens den Tod / und in die Schönheit der Erde / und deiner Augen, die den Himmel verwalten, weiß ich nur Dunkles zu sagen«. Aber am Schluß des Gedichts muß nachdrücklich betont werden : »Und ich gehör dir nicht zu. Beide klagen wir nun. // Aber wie Orpheus weiß ich / auf der Seite des Todes das Leben, / und mir blaut / dein für immer geschlossenes Aug«216. Die enge Verzahnung beider Texte ist augen- und ohrenfällig. Ebenso deutlich spürbar ist die von Böttiger ausgemachte »Utopie der Unmöglichkeit«217 dieser liebenden Begegnung in der Wiener Beatrixgasse 26, im dritten Bezirk unweit des Stadtparks, wo Ingeborg Bachmann damals wohnte. Denn beider ebenso einmalige wie unerfüllbare Wiener Intermezzo (1947–1948)
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Liebe sollte ganz ihnen gehören. Sie blieben im wiederholten Auseinandergehen immer gleich wieder getrennt, weil sie beide den einzelgängerischen Weg der Kunst gehen wollten. Uns interessiert daran allein der Reflex im Gedicht. Unter der ganzen Reihe der Ingeborg Bachmann gewidmeten Gedichte218 sei Die Jahre von dir zu mir ausgewählt, weil diese Verse unmittelbar in Zusammenhang stehen mit den sechs Wochen der großen Liebe beider zueinander im Mai und Juni 1948. Die Jahre von dir zu mir Wieder wellt sich dein Haar, wenn ich wein. Mit dem Blau deiner Augen deckst du den Tisch unserer Liebe : ein Bett zwischen Sommer und Herbst. Wir trinken, was einer gebraut, der nicht ich war, noch du, noch ein dritter : wir schlürfen ein Leeres und Letztes. Wir sehen uns zu in den Spiegeln der Tiefsee und reichen uns rascher die Speisen : Die Nacht ist die Nacht, sie beginnt mit dem Morgen, sie legt mich zu dir.219
Offenkundig handelt es sich um ein Gedicht der Liebeserfüllung. Im Gegensatz zu vielen Liebesgedichten haben in den zwei Strophen Celans andeutend-vorbereitende Blumenbilder keinen Platz. Es geht direkt um die liebende Vereinigung (fast wie im späteren Gedicht Haut Mal220). Sie ermöglicht den Rückzug von der Außenwelt. Gleich die Überschrift – Die Jahre von dir zu mir – weist auf die in zweisam-liebender Vereinigung gewonnene Distanz zum Umfeld hin. Obwohl der Weg vom Du zum Ich unendlich lang ist, wird der Punkt erreicht, wo die Erinnerung der Erregung Platz macht. Noch 1960 taucht im Gedicht Zwölf Jahre die von Georg Büchners Lucile herkommende Geste »Geh. Komm«221 auf. Sie wird dort durch die Folgeverse noch genauer formuliert : »Die Liebe löscht ihren Namen : sie / schreibt sich dir zu«222. Sodann kommt im eingangs angesprochenen Weinen des Sprechenden (»ich wein«) die lastende Erinnerung noch einmal zum Ausdruck. Dann jedoch überwiegt das »sich wellende Haar« der Geliebten und »das Blau ihrer Augen«, dann ist »der Tisch der Liebe gedeckt«. Ausdrücklich aber wird der Liebesakt »zwischen Sommer und Herbst« angesiedelt, will sagen zwischen Erfüllung und Vergehen. Der Rückzug aus der Alltagswelt ist zugleich eben doch bloß ein sehr alltäglicher Vorgang (»Wir trinken, was einer gebraut, der nicht ich war, noch du, noch ein dritter«). Die Wollust ist zugleich »ein Leeres und Letztes«, das Glück und Unglück, Hoffnung und Verzweiflung, Sehnsucht und Trauer in sich schließt. In ihrer ganzen Fragwürdigkeit erweist 82 |
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sich die erfüllte Liebesbeziehung eben doch als bewußt erlebte physiologische Veränderung momentaner Erfüllung (»in den Spiegeln der Tiefsee«), die beiderseits gesucht wird (»Wir reichen uns rascher die Speisen«). Sie macht für die Liebenden den Tag zum Geschenk der Nacht, das begierig angenommen wird (»die Nacht ist die Nacht, sie beginnt mit dem Morgen, / sie legt mich zu dir«). Darin liegt wahrlich ein »Lebensgrund«, wie ihn Celan in einem späteren Brief an Ingeborg Bachmann beschrieben hat. Es heißt da unter Verweis auf das Gedicht In Ägypten : […] ich weiß, daß es so ist, für immer. Auch mir geht’s wie Dir : daß ich Deinen Namen aussprechen und aufschreiben darf, ohne mit dem Schauer zu hadern, der mich dabei überkommt – für mich ists, trotz allem, Beglückung. Du weißt auch : Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich, das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertreten223.
Mit den Versen des Gedichts Die Jahre von dir zu mir ist es Celan gelungen, seine intensive Beziehung zu Ingeborg Bachmann in ihrer Dramatik, Zerbrechlichkeit, Widersprüchlichkeit und gleichzeitiger Erfüllung zu einem bewegenden Lebenszeugnis auszuformen. Insgesamt gesehen, haben die mit Ingeborg Bachmann in Wien erlebten sechs Wochen Celans Leben entscheidend beeinflußt. Er erfuhr so nachdrücklich, wie im übrigen auch sie, was Liebe ist, was Liebe sein kann und auch wiederum nicht. Aus Nähe, Verstehen, Beglückung, Gewißheit und Miteinander-Sprechen konnte mit einem Schlag Streit, Mißverständnis, Mißtrauen, Ungewißheit und Aneinander-Vorbeireden werden. Ihre große Liebe blieb deswegen »willig dem Abschied / nach jeder Umarmung«, wie es in dem Bachmannschen Gedicht Die gestundete Zeit heißt, das dann auch zur Überschrift ihrer ersten Gedichtsammlung wurde224. Es ist, alles in allem gesehen, durchaus treffend, wenn die Herausgeber des Briefwechsels zwischen beiden Autoren zu dem Ergebnis kommen : »Die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan stellt eines der dramatischsten Kapitel der Literaturgeschichte nach 1945 dar.«225 Wie das im Einzelnen verlief, sollte jeder, der danach sucht, selbst herausfinden. Die nötigen Materialien liegen vor226. Eines sei immerhin gesagt. Nach dem Freitod Celans in der Seine hat Ingeborg Bachmann zwei alptraumhafte Sätze in ihren Roman Malina eingefügt, also in ihre »imaginäre Autobiographie«, zwei Sätze, über die man lange nachdenken kann. Sie lauten : »Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben«227. Wiener Intermezzo (1947–1948)
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Die eigentlich beste Erklärung für die große, wenngleich ambivalente und deswegen so schwierige Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan liefert ein gleichfalls ihr von ihm gewidmetes Gedicht, das er unter dem Datum des 23.5.1948 direkt in einen ihr übereigneten Bildband über Henri Matisse eintrug : In Ägypten. Der Text lautet : In Ägypten Du sollst zum Aug der Fremden sagen : Sei das Wasser ! Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen. Du sollst sie rufen aus dem Wasser : Ruth ! Noëmi ! Mirjam ! Du sollst sie schmücken, wenn du bei der Fremden liegst. Du sollst sie schmücken mit dem Wolkenhaar der Fremden. Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noëmi sagen : Seht, ich schlaf bei ihr ! Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken. Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noëmi. Du sollst zur Fremden sagen : Sieh, ich schlaf bei diesen !228
Ägypten steht in der jüdischen Geschichte für Not, Sklaverei, Deportation und Verbannung229. Insofern ist von vornherein klar, daß Celan seine Liebe zu Ingeborg Bachmann, der Tochter eines Mitglieds der Nazi-Partei, die aus den Verbrechen des Dritten Reiches allerdings schon längere Zeit vor dem Ende der Nazibarbarei die richtigen Konsequenzen gezogen hatte, hier aber sechsmal als »die Fremde« erscheint, von vornherein in den Rahmen seiner Geschichte als Jude stellt. In Wien, mithin im deutschen Sprachbereich, wurde ihm der große Unterschied noch deutlicher bewußt. Dort wurde, Böttiger hat darauf mit Recht hingewiesen, »nicht das gesprochen, was er als die Sprache seiner Mutter bewahren wollte«230. Deshalb stehen im Gedicht der »Fremden« drei jüdische Namen gegenüber : Ruth, Noëmi und Mirjam. Hinter den alttestamentlichen Frauengestalten steckt aber ebenso die Evokation jüdischer Freundinnen aus der Czernowitzer Zeit, in erster Linie von Ruth Lackner (die amtlich als Noëmi Ruth eingetragen war). In der Manier der Zehn Gebote (»Du sollst […]«) erfolgt sodann über die ganzen elf Verse hin die Selbstaufforderung, die Liebesbeziehung mit der »Fremden« im Zeichen der evozierten Jüdinnen und deren Schicksal zu gestalten. Wenn am Ende gesagt wird : »Du sollst sie [die »Fremde«, die Nichtjüdin] schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noëmi«, so besagt das, daß der Sprechende sich, wie Felstiner vorschlägt, »den Ansprüchen einer jüdischen Tradition stellt«231, nicht 84 |
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aber gleich, daß, wie Böttiger etwas zu vielsagend annimmt, die »Fremde« »das Vermächtnis der jüdischen Freundinnen aufnimmt und sie zum neuen Medium seiner Sprache wird«232. Celan legt gegenüber der geliebten »Fremden« Wert darauf festzustellen, daß er seinem Judentum treu bleibt, auch wenn er sich ihr liebend nähert. Insofern pochte er, selbstverständlich ohne irgendwelche religiösen Bindungen, auf seine völlige Übereinstimmung mit dem jüdischen Schicksal. In der paradoxen Situation zwischen dem natürlichen Lebens- und Liebesbedürfnis und der ihm auferlegten Last des Erinnerns mußte er sich mühsam zurechtfinden. Von vornherein war Celan klargeworden, daß er in Wien nicht länger sein konnte. In einem Brief erklärte er im Oktober 1948 : Als ich vor einem Jahr Rumänien verließ, um ins Ausland zu gehen, ohne Paß und allein meinem Stern vertrauend, wußte ich, daß es geraumer Zeit bedürfen würde, bis ich aufgehört hätte, das zu sein, was ich immer noch bin und vielleicht bleiben muß : ein Wandernder im Dunkel. Eines hatte ich mir jedoch unberührt von all den Windstößen erhofft : meine Gedichte. Um ihretwillen ging ich nach Wien, in der Hoffnung, sie veröffentlichen zu können. […] Einem nach heutigen Begriffen in Rußland geborenen Flüchtling bot Wien wenig Sicherheit233.
Zu deutlich war ebenso die seelische Belastung durch die nach wie vor vielfach spürbaren Folgen der Nazizeit, die sich über den gesuchten Reiz der habsburgischen Vergangenheit legten. Eines seiner in Wien entstandenen Gedichte endet mit dem alles erklärenden Vers : »Ich singe vor Fremden«234. Wien war eben für ihn nicht mehr die erwartete geistige Heimat. Auch für Ingeborg Bachmann war die Situation alles andere als einfach. Sie schrieb an Weihnachten 1948 einen Brief an Celan, den sie dann nicht abschickte. Darin heißt es : Ich habe gestern und heute viel an Dich, wenn Du willst, an uns gedacht. […] Vor drei Monaten hat mir plötzlich jemand Deinen Gedichtband geschickt. Ich wußte nicht, daß er herausgekommen war. […] Ich weiß noch immer nicht, was der vergangene Frühling bedeutet hat. […] Schön war er, – und die Gedichte, und das Gedicht, das wir miteinander gemacht haben. Ich hab Dich heute lieb und so gegenwärtig235.
Es war für beide eine Liebe voller Unsicherheiten. Beide standen sie eben allein in der Welt der Dichtung.
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Kurz vor dem Weggang lernte Celan noch den sieben Jahre jüngeren Klaus Demus, der sich auch als Lyriker betätigende spätere Kunsthistoriker und dessen spätere Frau Anna (Nani), geborene Maier, kennen. Die durch die Veröffentlichung im Plan auf ihn aufmerksam gewordenen, schon bald danach engen Freunde zeigten sich begeistert von diesen siebzehn Gedichten. Nanis Freundin Ingeborg Bachmann vermittelte eine erste Begegnung mit Celan. Bei dieser Gelegenheit überreichte ihm Demus eines seiner längeren Gedichte (»Und wieder steigt der Rauch […]«236), das bereits die für ihn bezeichnende Richtung zur pantheistischen Naturlyrik erkennen läßt, die er seitdem konsequent weiterentwickelt hat. Allmählich erwuchs aus dieser Begegnung eine so intensive Freundschaft, daß Celan sich innerlich dazu verpflichtet fühlte, den beiden Weggenossen zu schreiben : »Meine Lieben, habt Dank für alles, habt Dank dafür, daß Ihr da seid, daß Ihr dieses weite Tor der Freundschaft geöffnet habt – Ihr seid meine endlich wirklich gewordene Welt«237. Damit bekundete er das große menschliche Gewicht, das er speziell dieser Freundschaft beimaß. Gewiß nicht zufällig wählte Celan 1955 für seinen Sohn Claude François Eric neben den beiden anderen Vornamen den Vornamen des besten Freundes (Klaus > Claude). Der Herausgeber des Briefwechsels, Joachim Seng, hat in seinem Nachwort mit Recht darauf aufmerksam gemacht : »Die Freundschaft zwischen Klaus Demus und Paul Celan ist wohl auch die persönlichste und einzige, die die ganze Familie mir einschloß«238. Obwohl Demus während der gesamten Dauer ihrer Freundschaft wiederholt zwischen die Fronten geriet, bewährte sich diese Beziehung gerade in kritischen Phasen der Biographie Celans, etwa bei Krisen im Verhältnis mit Ingeborg Bachmann, beim Plagiatsvorwurf von Claire Goll, wie auch bei der psychischen Erkrankung Celans239. Demus verschwieg dem Freund ebenso nicht die Schwierigkeit, die er mit dessen Gedichten der Spätzeit hatte. Celan wußte diese wahrhaft freundschaftliche Offenheit, seiner vorübergehenden Enttäuschung und der anhaltenden »Lebensnot«240 zum Trotz, letztlich doch zu würdigen, ja zu akzeptieren. Man kann das Gewicht dieser wahren, menschlich ergreifenden Freundschaft deshalb nicht hoch genug einschätzen. Rückblickend auf die Monate in Wien bemerkte Celan später : »Ich blieb nicht lange, ich fand nicht, was ich zu finden gehofft hatte«241. Bereits so gut wie fertig zur Abreise in Richtung Paris erfuhr Celan noch von Edgar Jené, daß der Verlag der Ringbuchhandlung A. Sexl (gegenüber der Universität gelegen) sich bereit erklärt habe, den geplanten Sammelband mit Gedichten zu veröffentlichen. Natürlich ergriff er diese Gelegenheit und stellte unverzüglich die bereits vorbereitete Sammlung unter dem Titel Der Sand aus den Urnen zusammen. Offensichtlich 86 |
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verfolgte er mit seinem ersten Buch die Absicht, das bisherige Schaffen angemessen zu dokumentieren. Die darin versammelten 48 Gedichte gliederte er in zwei Abteilungen : An den Toren mit 17 Gedichten aus der Czernowitzer Zeit von 1940 bis 1944 und dazu Mohn und Gedächtnis mit 30 hauptsächlich in Bukarest und Wien entstanden Gedichten, die ihrer Entstehung nach von 1944 bis 1948 reichen. An den Schluß setzte er, wohl um den besonderen Charakter gerade dieses Gedichts hervorzukehren, ganz für sich abgehoben, die Todesfuge. Damit waren Intention und Gestaltung der Gedichtsammlung festgelegt. Da Celan jedoch schon im Juli Wien verließ, konnte er sich um die Drucklegung nicht mehr selbst kümmern. Er überließ diesen, rein praktischen Teil der Buchgestaltung ganz Jené. Der verfolgte parallel dazu hauptsächlich den Druck der im August erscheinenden Schrift Edgar Jené. Der Traum vom Traume (mit dem einführenden Artikel von Celan). Ersichtlich achtete er beim Druck der Gedichtsammlung nur oberflächlich auf eventuelle Druckfehler. Gleich nach der Veröffentlichung im September zog Celan das Buch unter Verweis auf viele sinnentstellende Druckfehler wieder zurück, so daß außer den vorgeschriebenen Bibliotheksexemplaren nur neun Exemplare zum Verkauf kommen konnten. Gewiß waren die acht Druckfehler242 ein triftiger Grund für die Rücknahme. Eher noch schlimmer aber waren die beiden von Jené beigefügten Lithographien, die Celan mit Recht als »geschmacklos« bezeichnete und sogleich aus seinem Exemplar herausriß. In einem Brief ging Celan auf diese Misere wie folgt ein : Ende September erschien mein Buch. Wie groß war mein Entsetzen, als ich es bekam ! […] das Buch erschien voller Druckfehler, mit dem geschmacklosesten Einband, den ich je gesehen, und obendrein mit zwei Illustrationen eines Freundes, der Maler ist, und der es nicht unterlassen konnte mein Buch mit zwei Beweisen äußerster Geschmacklosigkeit zu versehen. Und die Druckfehler waren von der entsetzlichsten Sorte ! Ich war gezwungen, telegraphisch zu veranlassen, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen243.
Das wurde begreiflicherweise zum eigentlichen Grund für die zwischen beiden eintretende Verstimmung. Celan nahm danach auch die Edgar Jené zugedachte Widmung des Gedichts Erinnerung an Frankreich bei den späteren Drucken zurück und übertrug sie auf Alfred Margul-Sperber. Die Freude über seinen ersten Gedichtband verkehrte sich aus diesem Grund in ihr Gegenteil. Der Rückblick auf Wien wurde dadurch erheblich verdüstert. Deprimiert kam er damals zu dem Ergebnis : »Vielleicht sollte es mir gelingen, Gedichte zu schreiben, ohne an ihre Veröffentlichung zu denken«244. Wiener Intermezzo (1947–1948)
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Celan trat die Fahrt nach Paris mit gemischten Gefühlen, aber doch irgendwie erleichtert an. Wohl wissend um seine Situation als ein »nach hiesigen Begriffen in Rußland geborener Flüchtling«, als »Wanderer im Dunkeln«245. Bezeichnenderweise machte er gleich nach der Abreise, die in gewisser Weise eine Flucht war, noch einen Abstecher zum Grab Trakls in Mühlau bei Innsbruck und zum Besuch bei Ludwig von Ficker (1880–1967), dem Herausgeber der Zeitschrift Der Brenner246. Unter dem belebenden Eindruck dieser Begegnung schrieb er Margul-Sperber einen Brief, der uns viel sagt über Celans Fühlen und Denken. Ein längerer Auszug sei deswegen wiedergegeben : Sie können sich meine Freude vorstellen, als es nun ganz anders kam, trotzdem ich meine Gedichte, meiner Befangenheit wegen […] nicht so schön las wie so oft in Wien (ich lese sie jetzt viel schöner als früher), und als mir gesagt wurde, ich sei dazu berufen, das Erbe von Else Lasker-Schüler anzutreten. Zu diesen Worten wußte ich mir anfangs nichts genaues zu denken, weil ich – zu meiner Schande sei es gestanden – zu Else Lasker-Schülers Gedichten eine viel weniger starke Beziehung habe als etwa zu Trakl und Éluard. […] Aber dann nahm Ludwig von Ficker den letzten Gedichtband der Lasker-Schüler, das ›Blaue Klavier‹, von seinem Schreibtisch […] und begann von der Dichterin zu sprechen, daß ich merkte, sie bedeute ihm ebenso viel wie Trakl. […] Und zu mir sprach er so, als wäre ich eben auch einer von ihnen. Was mich besonders freute, war, daß er ganz auf das Jüdische meiner Gedichte einging.– Sie wissen ja, daß mir viel daran liegt247.
Celan war und blieb eben ein jüdischer Dichter deutscher Sprache nach dem Holocaust und mit dem Holocaust.
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ie Wahl von Paris als dem neuen Wohnort war in erste Linie eine klare Entscheidung gegen Deutschland. Gab es schon in Wien, wo noch viele Altnazis ihr Unwesen trieben, keine Möglichkeit für Celan, sich auf Dauer dort niederzulassen, war das in dem Land, von dem der nationalsozialistische Völkermord ausgegangen war, für ihn von vornherein ausgeschlossen. Paris war ihm vom ersten Besuch 1938/39 her in angenehmster Erinnerung. Die französische Sprache beherrschte er vollkommen. In der französischen Kultur und Lebensart fühlte er sich gut aufgehoben. Zudem konnte er sich in Paris auch auf den Spuren Rilkes fühlen, der hier Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge geschrieben hatte248. Paris war der Zufluchtsort nicht weniger deutscher Emigranten seit den Tagen Börnes und Heines bis hin zu den aus Hitlerdeutschland geflohenen politisch Verfolgten, darunter Walter Benjamin, Alfred Döblin und Joseph Roth. An einem solchen Ort konnte er sich noch am ehesten heimisch fühlen. Es war ihm nicht nur Verpflichtung, an derartige Traditionen anzuknüpfen, sondern innerstes Bedürfnis. In diesem Sinne schrieb er seinen Verwandten in dem seit Mai neu gegründeten Staat Israel aus Paris schon am 2. August 1948 »Vielleicht bin ich einer der Letzten, die das Schicksal jüdischer Geistigkeit in Europa zuendeleben müssen«. Im gleichen Zusammenhang betonte er, »daß es nichts in der Welt gibt, um dessentwillen ein Dichter es aufgibt zu dichten, auch dann nicht, wenn er ein Jude ist und die Sprache seiner Gedichte die deutsche ist«249. Noch in Wien hatte er das Gedicht Auf Reisen verfaßt, das er dann im September dem Freund Margul-Sperber nach Bukarest schickte. Es ist direkt aus dem Zwiespalt heraus entstanden, der Celan zeitlebens quälte. Auf Reisen Es ist eine Stunde, die macht dir den Staub zum Gefolge, dein Haus in Paris zur Opferstatt deiner Hände, dein schwarzes Aug zum schwärzesten Auge. Es ist ein Gehöft, da hält ein Gespann für dein Herz. Dein Haar möchte wehn, wenn du fährst – das ist ihm verboten. Die bleiben und winken, wissen es nicht.250
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Das einmal mehr Ingeborg Bachmann gewidmete Gedicht (»f. D.«) klärt von vornherein, daß Celan sich die französische Hauptstadt als festes Ziel seiner Reise vorgenommen hat (»dein Haus in Paris«, V. 2). Das kurze Gedicht schließt an die Langzeilenverse seit der Bukarester Zeit und an die dort gehäuften Naturbilder an. Es beschreibt einen Augenblick zwischen Aufbruch und Ankunft. Dem Autor geht es offensichtlich um eine allegorisch-biographische Aussage. Kein Naturträumer und kein privilegierter Bildungsreisender ist hier unterwegs, sondern ein Exilierter, ein Unbehauster. Vor dem traditionsreichen Hintergrundbild der Lebenswanderung ist seine Reise angesiedelt. Auf die eigene Situation bezogen, betonte er im gleichen Zusammenhang die feste Erwartung, »ein Haus in Paris« für sich zu finden. Gewiß ist damit ein Fixpunkt für das weitere Leben gemeint. Aber zu diesem Fixpunkt gehört in seinem Fall allemal »eine Stunde, die macht dir den Staub zum Gefolge« (V. 1). Bedeutsam ist demzufolge der vom Reisenden mitgeführte »Staub«, will sagen das Eingedenken an den »aschenbildwahren«251 Tod. Aufgewirbelter Staub des Mordens von Millionen, darunter seine eigenen Eltern, nötigt ihn fortwährend zum Totengedächtnis. Unverkennbar haben wir es mit einer Selbstdeutung zu tun. Im speziellen Fall handelt es sich um die bekenntnisartige Selbstvergewisserung als jüdischer Dichter. Daß der Sprecher, mithin Celan, darin eine existentielle Verpflichtung sieht, belegt die Wortwahl aus dem Sakralbereich. Es geht ihm um menschliche Wahrhaftigkeit. Ganz bewußt beschreibt er im dritten Vers, wie sein »schwarzes Aug zum schwärzesten« wird, weil er »durch die tausend Finsternisse todbringender Rede«252 hindurchgehen muß. Diese Zwangslage ist dem Reisenden als »Staub im Gefolge« für sein weiteres Leben mitgegeben. Darum wird ihm als Dichter die künstlerische Arbeit zum »Opfer«, das künftige »Haus in Paris« zur »Opferstatt seiner Hände«. Mit den ersten drei Versen umreißt Celan präzise sein künftiges Arbeits- und Lebensprogramm. Was das für ihn und die Mitwelt bedeutet, ist Gegenstand der zweiten Strophe. Im parallelen Gleichlaut mit der ersten Strophe einsetzend (»Es ist«, V. 1 und V. 4), führt sie das »Haus in Paris« als einen in sich ruhenden Ort vor, als »Gehöft« (V. 4). Die anheimelnde Kollektivform für ›Hof‹ konkretisiert, wiederum bildlich, deren eigentlichen Wert : »da hält ein Gespann für dein Herz« (V. 4). Es ist gewiß nicht falsch, wenn Barbara Wiedemann hierzu an den »Lippenblütler Leonurus cardiaca«, auch »Herzgespann« genannt, erinnert253, den der Pflanzenliebhaber Celan natürlich kannte. Weit wichtiger aber ist die von ihm gewählte Wortkombination als kühne Sprachutopie. Nicht nur, daß sie, wie alle von ihm kreierten Herz-Komposita der in langer Tradition abgenutzten Herz-Metapher neue Qualität verleiht. Sie erweist sich dadurch als Inbegriff wahrer zwischen90 |
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menschlicher Praxis, zumal mit dem darauf bezogenen »Gespann« zusätzlich die Erwartung stimmiger, partnerschaftlicher Korrespondenz angesprochen ist. Während die erste Strophe in durchgängiger Satzbewegung gehalten bleibt, sind in der zweiten die Verse deutlich voneinander abgehoben. Zur Sprache kommt im fünften Vers die entscheidende Aussage über den entsetzlichen Druck, unter dem die Arbeit des Dichters steht : »Dein Haar möchte wehn, wenn du fährst – das ist ihm verboten«. Der für jeden Künstler selbstverständliche Wunsch nach freier Entfaltung und Betätigung, wie er dem Symbol des wehenden Haars abzulesen ist, findet keine Erfüllung. Sehr wohl gefiele es dem Dichter, von Liebe, Glück, Schönheit und Harmonie zu singen. Das ist ihm jedoch für immer verwehrt. Wegen der nicht auszulöschenden Erinnerung an den »Staub« ist es ihm sogar »verboten«. Celan wußte sehr wohl, welchen Verzicht an freiem Leben das bedeutet. Der Gedankenstrich vor dem Hinweis auf das Verbot weist auf eine an dieser Stelle gebotene Denkpause hin. Die kurze, aber vielsagende Sprechpause bringt schweigend zum Ausdruck, welch schwieriger Weg dem eingedenkenden Dichter nach und mit dem Holocaust bevorsteht. Niemand war das tiefer bewußt als Celan. Trotzdem brach er auf zu seiner Reise, obgleich keiner außer ihm selbst von deren tragischen Implikationen wissen konnte. Darum steht am Schluß die nüchterne Feststellung des Reisenden über die Zurückbleibenden : »Die bleiben und winken, wissen es nicht« (V. 6). Schmerzerfüllt deutet der so Reisende damit an, daß sein Ziel irgendwo zwischen Verzweiflung, Einsamkeit, Verlassenheit, Trauer und Verzicht liegt. Das Gedicht Auf Reisen thematisiert demzufolge die dem Dichter auferlegte Lebensaufgabe. Er ist ihr nachgekommen bis er nicht mehr konnte. Gleich nach dem Eintreffen in Paris am 13. Juli 1948 suchte Celan das Quartier Latin auf. Er fand in derselben Straße, in der er zehn Jahre zuvor seinen Onkel Bruno Schrager besucht hatte, in der Rue des Écoles, im Hôtel d’Orléans (heute : Hôtel de Sully) ein kleines Zimmer im Dachgeschoß, das er, der günstigen Lage und des niedrigen Preises wegen, bis Juli 1953 bewohnte. Für den Augenblick fühlte der nun bald 28-jährige junge Mann sich geradezu glücklich, das gesteckte Ziel erreicht zu haben. Noch vor dem Ärgernis wegen des ersten Buches schrieb er an Edgar und Erica Jené : »Denkt Euch, ich bin in Paris ! Seit drei Tagen schon !«254. Aber das Glücks- und Befreiungsgefühl hielt nicht lange an. Zu bitter waren die materiellen Umstände des mittellosen Immigranten im Pariser Alltag, zu lähmend die bürokratischen Probleme des staatenlosen Fremdlings mit der Aufenthaltserlaubnis und bei der Einschreibung an der Sorbonne255. Zum Glück konnte ihm der jüdische Ethnologe Isac Chiva, den er in Budapest kennengelernt Erste Jahre in Paris (1948–1952)
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hatte, und der sich im Umgang mit den Behörden gut auskannte, dabei behilflich sein. Celan hielt sich in materieller Hinsicht, wie er einmal sagte, »als Fabrikarbeiter, Dolmetscher und Übersetzer« über Wasser256. Unter anderem arbeitete er einige Zeit in einem industriellen Elektrizitätslabor im Pariser Vorort Montreuil. Doch waren das allermeist zeitlich befristete Gelegenheitsarbeiten. Allein der Sprachunterricht in Deutsch und Französisch konnte einigermaßen kontinuierlich betrieben werden. Außerdem versuchte er sein Glück mit Übersetzungen. Es fing an mit Jean Cocteaus Der goldene Vorhang. Brief an die Amerikaner und ging dann laufend weiter bis 1953 und 1955, als er zwei Kriminalromane von Georges Simenon übersetzte, mit denen er allerdings beim zuständigen deutschen Verlag mehr Tadel als Lob erntete. Celan entschuldigte seine angebliche Nachlässigkeit mit dem Hinweis, der recht mittelmäßige Text dieser erfolgreichen Kriminalromane wirke eben nicht gerade inspirierend auf ihn. Danach beschränkte er sich, wie er das gewohnt war, auf wirklich literarische Übersetzungen. Alles in allem gilt für Celans Auftakt, mit Emmerich zu sprechen : »Der Pariser Anfang war hart und ernüchternd«257. Außer den mehr oder weniger amtlichen Papieren und der mitgeführten Kleidung war Celan praktisch mittellos. Seine aus Wien mitgebrachte ›Bibliothek‹ beschränkte sich auf Teile seiner Ausgabe der Werke von Jean Paul und ein zweibändiges Wörterbuch von Sachs-Villatte. Zu seiner großen Freude kam bald nach der Ankunft noch ein Buch hinzu, das ihm besonders am Herzen lag – Goethes Faust. Er hatte »die in blaues Leder gebundene Insel-Ausgabe« – sicher auf Vorschlag seiner Mutter – zur Bar Mizwa, der jüdischen Konfirmation, geschenkt bekommen und auf der Rückfahrt von Tours nach Czernowitz bei seinem Onkel Bruno Schrager zurückgelassen. Der hatte das Buch vor seiner Deportation einer Bekannten anvertraut, von der es Celan jetzt zurückerhielt. Gleich im Herbst 1948 nahm Celan an der Faculté des Lettres der Sorbonne, genauer am Centre d’Études Germaniques, nach vierjähriger Unterbrechung wieder das Studium der Germanistik und der Allgemeinen Sprachwissenschaft auf. Als eingeschriebener Student bekam er ein kleines Stipendium einer jüdischen Stiftung, die seinen permanenten Geldmangel zwar mindern, jedoch keinesfalls beheben konnte. Im Gegensatz zu seinen jüngeren Kommilitonen verfügte Celan über eine gründliche Kenntnis der deutschen Literatur und ihrer Geschichte. Ohne große Mühen konnte er bereits im Juli 1950 das Studium mit der Licence ès lettres erfolgreich abschließen. Eine begonnene Diplomarbeit über Kafka ließ er dann jedoch unvollendet liegen. Eine Karriere als Literaturwissenschaftler war nicht sein Ziel. Aber bis 1953 blieb er als Student immatrikuliert, um auf diese 92 |
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Weise seine Aufenthaltserlaubnis abzusichern. Zunächst war Celan ganz auf sich gestellt. Persönliche Kontakte gab es nur wenige258. Die zunehmenden Schwierigkeiten faßte er in die Worte : »Und über allem, schwebend und dabei doch lastend, der Alltag, die Rundfahrt durch die Welt des täglichen Brotes«. Seine Lage bilanzierend, fügte er hinzu, »daß ich sehr einsam bin, und mir keinen Rat weiß, mitten in dieser wunderbaren Stadt, in der ich nichts habe als das Laub der Platanen«259. Es war, kurz gesagt, eine Zeit harter Entbehrungen – »vereinsamt und ausgestoßen«, wie Celan selbst sagte260. Besucher aus Wien bildeten da für ihn eine durchaus erwünschte Unterbrechung des schwierigen Alltags. Wien war eben für ihn, wie er Klaus Demus wissen ließ, doch so etwas wie »der schmale Streifen Heimat, gesäumt von Unwirklichem und Unmöglichem«261. Noch im Juli 1948 traf er Jean-Dominique Rey wieder, den er vom Wiener surrealistischen Kreis her kannte. Der vermittelte ihm eine Begegnung mit dem Kern der Pariser Surrealisten. Aber bald schon zog Celan sich davon zurück. Er legte Wert darauf, nicht mit dieser Kunstbewegung identifiziert zu werden. Immerhin lernte er auf diesem Wege die gleichfalls emigrierten rumänischen Künstler, den Bildhauer Constantin Brâncuși und den Maler Victor Brauner, kennen. Zum Jahreswechsel 1948/49 erhielt Celan von Klaus Demus einen geradezu hymnischen Huldigungsbrief, der naturgemäß seine Wirkung nicht verfehlte. Zu lesen »Es sind Deine Worte, die mich begleiten, es ist Deine Stimme, die zu mir spricht. Du bist der größte aller Abendkönige«262, war nicht bloß wohltuend, sondern festigte die noch in Wien begonnene Freundschaft ungemein. Überhaupt blieben die dortigen Begegnungen in menschlicher Hinsicht nach wie vor wirksam. Im Frühling 1949 kam Milo Dor für ein paar Wochen zu Besuch, im Herbst folgten Klaus Demus und seine Partnerin Nani Meier, ja sogar auch, trotz der beidseitigen Verstimmung, Edgar Jené. Das waren aufmunternde Unterbrechungen des sorgenvollen Alltags. Allerdings schrieb Celan am 6. Dezember 1949 : »Heute ist mein Freund, der Maler [Jené] endlich abgereist, und ich bin wieder allein mit einer späten Abendstunde«263. Die Verwendung des Adverbs ›endlich‹ hatte einen einfachen Grund. Denn natürlich war der junge Mann auch in Paris darum bemüht, Kontakt zum weiblichen Geschlecht zu bekommen. Im August hatte Celan in einem Café auf dem Boulevard Saint-Michel die niederländische Musikstudentin und spätere Oratoriensängerin Diet Kloos kennengelernt. Die junge Frau und ihr Mann, der jüdische Biologe Jan Kloos, hatten als aktive Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzungsmacht gekämpft. Jan Kloos wurde, bald nach der Heirat, im Januar 1945 als ›Saboteur‹ erschossen. Die Verbindung im Leiden unter Hitlerdeutschland machte die junge Witwe für Celan zu einer Vertrauensperson. Aus der kurzen Liebesbeziehung, die daraus in einer AuErste Jahre in Paris (1948–1952)
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gustwoche erwuchs, ergab sich nach der Abreise von Diet Kloos zwischen Ende August 1949 und Juli 1950 ein Briefwechsel, der uns Aufschlüsse gibt über seine damalige Befindlichkeit264. Er bekannte der Freundin da unter anderem : Was ich brauche […], weil ich so oft von mir weg muß, auf Reisen gehen muß, […] ist das Gefühl, daß es bei all diesem Hin und Her einen Ausgangspunkt gibt, der, wenn er auch nie wieder erreicht werden kann, dennoch bestehen bleibt – ein solcher Ausgangspunkt wären meine Gedichte, wenn ich sie in Sicherheit wüßte, sauber abgedruckt und gebunden265.
Sehr überlegt schenkte Celan der Leidensgenossin eine Abschrift des Gedichts Chanson einer Dame im Schatten. Darin ist nicht nur die Rede von der »Schweigsamen, […] die Tulpen köpft«, sondern auch von »Scherben von Lust und Saphir«. Beide Anspielungen lassen sich unschwer auch auf die Pariser Begegnung mit Diet Kloos beziehen. Jedenfalls aber spricht er allemal in eigener Sache : »Es ist einer, der hat, was ich sagte. / Er trägts unterm Arm wie ein Bündel. / Er trägts wie die Uhr ihre schlechteste Stunde. / Er trägt es von Schwelle zu Schwelle, er wirft es nicht fort«266. Die Last der Erinnerung, die er fortwährend zu tragen hatte, war erdrückend. Nur mit Mühe vermochte er die ihm gleichfalls innewohnende Lebenslust punktuell zu befriedigen. Das waren jene Momente, die er einmal wie beiläufig beschrieb als Stunden, »die ihn über sich hinweghoben«, so daß er sich »schweben fühlte, »irgendwo da, wo Schweben niemandem schwer fallen kann – mit einem Wort, es war ein Taumel, dem kein Sinn abzugewinnen war«267. Bezeichnenderweise verfaßte Celan um diese Zeit nur wenige Gedichte. Er war sich darüber im Klaren : »Je krampfhafter ich mich an meine Gedichte klammere, desto weniger kann ich für sie tun. Mein Ehrgeiz scheint so groß zu sein, daß es mir die Hände fesselt«. Bereits im Oktober 1948 hatte er gegenüber Max Rychner geäußert : »Wieder habe ich über Monate nichts geschrieben«. Nicht von ungefähr bezeichnete er das Jahr 1949 als »ein Schatten- und Dunkeljahr«268. Zu allem Übel hatte damals auch noch der Düsseldorfer Karl Rauch Verlag die Veröffentlichung seiner Gedichte abgelehnt. Celan hatte die Zusammenstellung seiner zurückgezogenen ersten Gedichtsammlung Der Sand aus den Urnen überarbeitet, dabei den Anfangszyklus weggelassen und dafür mit neuen Gedichten erweitert. Die Ablehnung traf ihn verständlicherweise tief. Das Typoskript blieb noch längere Zeit ungedruckt liegen.
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»Nach einem vollen Jahr Pariser Einsamkeit«269 machte Celan im November des Jahres 1949 auf Empfehlung seines Mentors Margul-Sperber die Bekanntschaft des älteren Schriftstellerkollegen Yvan Goll (1891–1950). Der Dichter Yves Bonnefoy (1923–2016), den er kurz zuvor kennengelernt hatte, vermittelte den Besuch270. Von dieser Begegnung versprach sich Celan Bestätigung als Dichter durch einen Schicksalsgefährten und natürlich ebenso jüdische Solidarität. Zu Goll, dem gleichfalls Heimatlosen (»durch Schicksal Jude, durch Zufall in Frankreich geboren, durch ein Stempelpapier als Deutscher bezeichnet«271) und zu seiner Frau Claire Goll (1890–1977) ergab sich tatsächlich auch rasch ein sehr persönliches Verhältnis, so daß sich Celan die Frage stellte : »Warum mußte ich ein volles Jahr warten, ehe ich Goll kennenlernte«272. Der war damals seit längerer Zeit schon, seiner Leukämie wegen, in klinischer Behandlung. Celan brachte ihm als eine Art ›Visitenkarte‹ ein Exemplar von Der Sand aus den Urnen mit. Goll war seinerseits ebenfalls überaus angetan von dem jungen Kollegen. Er setzte ihn sogar testamentarisch zu einem Miterben ein und bat ihn, einige seiner französischen Gedichte aus dem Band Élégie d’Ihpétonga. Suivie de Masques de cendre ins Deutsche zu übertragen. Das Ergebnis gefiel Goll sogar so ausnehmend, daß er Celan aufforderte, die so glücklich begonnene Übersetzerarbeit unbedingt fortzuführen. Celan nahm bei seinen mehrfachen Besuchen im Krankenhaus auch den damals in Paris studierenden Klaus Demus mit. Beide spendeten Blut für den Schwerkranken. Schon Ende Februar 1950 starb dann Goll. Claire Goll drängte Celan bald danach, die Übersetzungsarbeit unbedingt fortzusetzen. Er kam ihrer Aufforderung gerne nach und übersetzte Gedichte aus Les Géorgiques Parisiennes (Die Pariser Georgika) und Chansons Malaises (Malaiisische Liebeslieder)273. Allerdings nahm die Witwe dann die Veröffentlichung ganz in ihre Hände und stieß damit Celan vor den Kopf. Sie behauptete sogar, seine Texte seien nicht brauchbar, weil sie zu deutlich seine Handschrift trügen. Gleichzeitig scheute sie nicht davor zurück, Celans Texte für ihre Übersetzungen zu benutzen, ohne dessen Vorarbeit auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Zu diesem Zeitpunkt konnte der so schnöde Abgewiesene jedoch noch nicht ahnen, welcher Wust an Beschuldigungen, Anwürfen, Unterstellungen und Gemeinheiten daraus erwachsen würde. Mit ihren Machenschaften sorgte die Witwe Anfang der sechziger Jahre dafür, daß die Folgen des kurzen, überaus erfreulich verlaufenden Zusammentreffens beider Dichter sich zur schwersten Lebenskrise Celans in der Pariser Zeit auswuchsen. Auf die ›Goll-Affäre‹ als einem Tiefpunkt seines Lebens wird zu gegebener Zeit noch genauer einzugehen sein.
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Als Student der Germanistik bemühte sich Celan nunmehr möglichst rasch um einen erfolgreichen Abschluß. Sein Alltag konzentrierte sich auf diese Arbeit und den nötigen Broterwerb durch Sprachkurse und als Übersetzer. Immerhin ergab es sich aus den Wiener Beziehungen, daß auf Betreiben von Klaus Demus 1951 in der in Wien erscheinenden Zeitschrift Wort und Wahrheit und in Zusammenarbeit von Milo Dor, Reinhard Federmann und Hans Weigel in der Anthologie Stimmen der Gegenwart wenigstens einige Gedichte aus dem neu zusammengestellten Typoskript veröffentlicht wurden. Jedoch blieben diese Texte als Sammelband zu seinem großen Bedauern zunächst immer noch ungedruckt. Nur wenige neue Gedichte brachte er damals zu Papier. Celan sagte sogar, Paris habe ihn anfangs »in ein furchtbares Schweigen gedrängt […], aus dem ich nicht wieder freikam«274. Bezeichnenderweise sind unter den wenigen Gedichten einige ganz der Erinnerung an die Mutter, Fritzi Schrager, gewidmet (z. B.: So bist du denn geworden, Die feste Burg und Der Reisekamerad). In einem mit keinem Titel versehenen »Totengedicht«, so die Bezeichnung des Autors, kommt das, sogar klanglich an das protestantische Kirchenlied der Barockzeit angelehnt, besonders eindringlich zum Ausdruck : So bist du denn geworden wie ich dich nie gekannt : dein Herz schlägt allerorten in einem Brunnenland, wo kein Mund trinkt und keine Gestalt die Schatten säumt, wo Wasser quillt zum Scheine und Schein wie Wasser schäumt. Du steigst in alle Brunnen, du schwebst durch jeden Schein. Du hast ein Spiel ersonnen, das will vergessen sein.275
Der Autor evoziert hier die untergegangene, aber unvergeßliche Heimatlandschaft seiner gepeinigten, durch Genickschuß ermordeten Mutter und damit auch die seiner Jugend, – die Bukowina, das Brunnenland. In all den vielen Gedanken daran ist immer sie als bewahrende Instanz präsent. Denn ihr Bild erscheint ihm hinter allen Erinnerungen. Sie ist für ihn allgegenwärtig (»dein Herz 96 |
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schlägt allerorten«), taucht wortwörtlich ›allenthalben‹ auf (Du steigst in alle Brunnen, du schwebst durch jeden Schein«). Das Adverb »allerorten« beschreibt ihre Allgegenwart. Darin muß er sogar ironisch ein böses »Spiel« ihrerseits sehen, weil er vergeblich hofft, es vergessen zu können. Jedoch weiß er sehr wohl, daß ihm das unmöglich ist, weil, wie er an anderer Stelle sagt : »Sie mischt ihr Lächeln in den Becher Wein : / du mußt ihn trinken, in der Welt zu sein«276. Celan hörte niemals auf, aus diesem Becher zu trinken. Erst recht nicht, als er mit dem Ende des Studienjahres 1949/50 sein Studium als Lizenziat erfolgreich abschloß. Die weitere dichterische Arbeit belegt das eindringlich. Sie lebt von dieser mütterlichen Dauerpräsenz als Voraussetzung für sein Schreiben. Bereits an Weihnachten 1948 verfaßte Ingeborg Bachmann einen an Celan gerichteten Brief, den sie dann nicht abschickte. Darin erwähnte sie ihre Absicht, ihn in Paris zu besuchen, ließ aber zugleich wissen : »Ich weiß noch immer nicht, was der vergangene Frühling bedeutet hat. […] Schön war er. […] Sobald ich Zeit habe, kann ich auf ein paar Tage kommen. Würdest Du mich auch sehen wollen ?«277 Damit brachte sie einen Grundgestus zum Ausdruck, der Aufschluß gibt über die inhärente Widersprüchlichkeit der Beziehung zwischen beiden. Diese war stets geprägt durch eine große Anziehungskraft zueinander auf der einen Seite, wie durch eine ständige Zurücknahme im Sinne eines geradezu gewaltsamen Rückzugs auf der anderen278. Bald nach der Wiederbegegnung im Herbst 1950 in Paris schickte Ingeborg Bachmann im Sommer 1951 einen, wiederum zunächst nicht abgeschickten Brief an Celan, in dem das Unmögliche ihrer Liebe mit den folgenden Worten klar formuliert wurde : Ich fange ja langsam zu verstehen an, warum ich mich so sehr gegen Dich gewehrt habe, warum ich vielleicht nie aufhören werde, es zu tun. Ich liebe Dich und ich will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer, aber ich liebe Dich vor allem – heute sage ich es Dir, auch auf die Gefahr hin, daß Du es nicht mehr hörst oder nicht mehr hören willst279.
Unter diesem, beider Verhalten charakterisierenden Zwiespalt litten all ihre Begegnungen, ohne daß das ihre Liebe innerlich geschmälert hätte. Obwohl Ingeborg Bachmann ihren Besuch über mehr als zwei Jahre hin immer wieder aufschob, reiste sie nach ihrer Promotion und dem Beginn ihrer Medienkarriere am 14. Oktober 1950 tatsächlich nach Paris und blieb dort bis Mitte Dezember. Allerdings verlief die Wiederbegegnung nicht so, wie das wohl beide in ErinErste Jahre in Paris (1948–1952)
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nerung an den kurzen Frühlingstraum in Wien erwartet hatten. Für Ingeborg Bachmann war der Besuch eine Art Probe für ein mögliches Zusammenleben, ja sogar eine eventuelle Heirat. Aber sie blieb nur einen Monat mit Celan im kleinen Hotelzimmer der Rue des Écoles, weil, wie sie Hans Weigel berichtete, »die Ehe strindbergisch wurde, weil wir aus unbekannten, dämonischen Gründen uns gegenseitig die Luft wegnehmen«280. Sie ergänzte das etwas später mit dem ernüchterten Hinweis : »In den ersten 14 Tagen, solange die sog. Liebe die Hauptrede war, ging es ja sehr gut, aber jetzt werde ich langsam aber sicher nervös«281. Auch Celan äußerte sich gegenüber den gemeinsamen Wiener Freunden Klaus und Nani Demus eher zwiespältig : Inge ist sehr lieb, sie wiederzusehen war mir mehr als ich gedacht hatte, durch sie bist auch Du und ist auch Nani in Herzensnähe, aber ich kann zu Inge nicht von all dem sprechen, noch nicht sprechen, sie selbst ist ja ein ebenso schwaches Rohr wie ich282.
Der Versuch des Zusammenlebens scheiterte jedenfalls gründlich. Enttäuscht fuhr Ingeborg Bachmann von Ende Dezember 1950 bis Februar 1951 nach London weiter. Sie kam dann noch einmal vom 23. Februar bis 7. März nach Paris, ohne daß sich etwas an der eingetretenen Spannung geändert hätte. Ihre Rückkehr nach Wien war eine bittere Reaktion. Sie bedeutete zugleich einen deutlichen Bruch. Im Rückblick von sieben Jahren danach stellte Celan sich und Ingeborg Bachmann die für beide brennende Frage : »Daß wir unsere Herzen damals zu Tode hetzen mußten, mit soviel Geringfügigem, Ingeborg ! Wem haben wir gehorcht, sag’ wem ?«283 Diese Frage stellten sich wohl beide in der Folgezeit noch oft. Aber zunächst galt nun allein die Bachmann’sche Vorstellung, »daß der Vorhang vor unserem Fenster schon wieder abgebrannt ist«284. Im Sommer 1951 wurde das Hotel, in welchem Celan wohnte, wegen Renovierung geschlossen. Zum Glück konnte er als Gast bei Bekannten wohnen. Etwa sechs Wochen verbrachte er im Haus Nummer 14 der Villa Chaptal im Vorort Levallois-Perret. Er genoß die dortige Ruhe : an der Peripherie der Stadt, in einem kleinen Häuschen, aus dessen Fenstern man auf drei Lindenbäume hinausblickt. Kein Straßenlärm, keine bummelnden Studenten, keine Amerikaner, die ›Paris by night‹ erleben – und eine Schreibmaschine. Ich habe wieder ein paar Apollinaire-Gedichte übersetzt285.
Nach all den zurückliegenden Turbulenzen konnte er nun wenigstens als Übersetzer wieder arbeiten. Zeitlich nicht genau faßbar, aber jedenfalls Ende August, 98 |
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Anfang September ist eine Reise Celans nach London zu vermerken286. Dort wohnte er wieder, wie über ein Jahrzehnt zuvor, bei seiner Tante Berta Antschel. An der Themse existierte, Ingeborg Bachmann hatte ihm davon berichtet, ein lockerer Kreis exilierter jüdischer Schriftsteller, dessen Mitglieder sich in der Wohnung Erich Frieds (1921–1988) zu treffen pflegten. Celan nahm Kontakt auf zu einigen von ihnen, außer Fried vor allem zu den etwa gleichaltrigen Hans Günther Adler, Hans Werner Cohn, Hans Eichner, Michael Hamburger und dem Nestor der Gruppe Franz Baermann Steiner. Fried verfaßte bald nach der Begegnung mit Celan das dann ihm gewidmete Gedicht Wer nicht ausgeht. Er hat mit den folgenden Versen dessen innere Anspannung zwischen quälenden Leiden und Lebenslust treffend erfaßt : Wer nicht ausgeht / im Fleiß des vergossenen Blutes / steht als Weiser / und kürzt dem Listenreichen die Fahrt // Hebt ihm die Lasten vom Kopf / die Laster von den Lenden / und geht ein in den Eingang / ins Ziel ohne Weg287.
Für den Celan der Pariser Anfangszeit hat Fried damit ein zutreffendes Zeugnis vorgelegt. In einem Brief an Ingeborg Bachmann faßte Celan nach der Rückkehr seine Eindrücke von London folgendermaßen zusammen : Beruhigung, Häuslichkeit, Gärten und Bücher, hin und wieder ein Gang durch die Stadt. An Begegnungen keine außer der mit Erich Fried, erfrischend, belebend durch Herzlichkeit und Wärme. […] Schwieriges Wiedersehn mit Paris : Zimmer- und Menschensuche – beides enttäuschend. Beschwatzte Einsamkeiten, zerschmolzene Schneelandschaft, der Öffentlichkeit zugeflüsterte Privatgeheimnisse. Kurzum, ein erheiterndes Spiel mit Düsterem, natürlich im Dienste der Literatur. Manchmal kommt einem das Gedicht vor wie eine Maske, die es nur darum gibt, weil die anderen dann und wann ein Ding brauchen, hinter dem sie ihre heiliggesprochenen Alltagsfratzen verbergen können. Nun aber genug der Lästerworte – diese Erde soll ja auch nicht runder werden, und in Paris sind auch in diesem Herbst die Kastanien zum zweitenmal aufgeblüht288.
Ganz ähnlich berichtete Celan dem Freund Klaus Demus : London war sehr schön, schön nicht im Sinne jenes in allen seinen Dimensionen vollendeten Gleichmaßes, wie es einem in Paris auf Schritt und Tritt in die Augen fällt, sondern schön in der Art eines Hinweises auf Bereiche, die im Verborgenen bleiben und die man immer wieder auffinden darf, wenn die eigene innere Landschaft erschlossen ist. […] Wundert es Dich also, wenn ich Dir nun sage, daß ich […] mir Paris Erste Jahre in Paris (1948–1952)
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ein wenig vom Leibe halten will, daß ich es nicht mehr, wie bisher, als regierende Macht anerkennen kann ? So weit geht dieses Gefühl, daß meine Liebe zu der Stadt bisweilen in Haß umschlägt – in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr aus England war es richtiger Unmut, der mich erfüllte, wenn ich durch die Straßen ging. Ein unbequemes Zuhause, dieses Paris !289.
Ungeachtet aller angedeuteten Skepsis lebte Celan nun wieder als Pariser, hauptsächlich übersetzend, von seiner dichterischen Arbeit. Zufrieden äußerte er sich darüber, daß es Ingeborg Bachmann und Klaus Demus gelungen war, zwei Gedichte von ihm in Wort und Wahrheit, der Wiener Monatszeitschrift für Religion und Kultur, unterzubringen. Vorsichtig deutete er die dadurch eventuell ermöglichte Wirkung mit den Worten an : »vielleicht erreichen sie auch auf diesem Wege irgendein Ohr, das nicht verschanzt ist«290. Unter den damals entstandenen Gedichten sind gleichfalls die folgenden Verse aus dem Gedicht Wasser und Feuer : Und ich blick hinüber zu dir, / Feuerumsonnte : / Denk an die Zeit, da die Nacht mit uns auf den Berg stieg, / denk an die Zeit, / denk, daß ich war, was ich bin : / ein Meister der Kerker und Türme, ein Hauch in den Eiben, ein Zeichen im Meer, / ein Wort, zu dem du herabbrennst291.
Unzweideutig spielt Celan hier auf die prekär gewordene, aber unauslöschliche Beziehung zu Ingeborg Bachmann an. Die so Angesprochene reagierte sogleich höchst zustimmend auf die an sie gerichtete Ansprache : Es ist vielleicht Dein schönstes Gedicht, und ich habe keine Angst, daß es ein ›Allerletztes‹ ist. Ich bin unsagbar glücklich darüber und in Deine dunkle Zeit hinein voll Hoffnung für Dich. Du hast mir oft vorgeworfen, daß ich keine Beziehung zu Deinen Gedichten hätte. Ich bitte Dich sehr, diesen Gedanken aufzugeben – und das sage ich nicht dieses einen Gedichtes wegen, sondern auch für die anderen. Ich lebe und atme manchmal nur durch sie292.
Wasser und Feuer waren wirklich die Zeichen ihrer gegenseitigen Liebe. Darum blieb die liebende »Fremde« ihm immer fremd und er wiederum ebenso ihr. Beide hätten sich sagen können, was Ingeborg Bachmann in einem der Verse des Gedichts Früher Mittag zum Ausdruck brachte : »Nur die Hoffnung kauert erblindet im Licht«293. Sie waren wie füreinander bestimmt, aber sie konnten nie auf Dauer zusammenkommen. 100 |
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Ungeachtet dessen setzte Celan seine »Menschensuche« in Paris fort. Und er hatte, kurz vor seinem 31. Geburtstag, Glück dabei. Denn er begegnete im November 1951 im Saint-Germain-Viertel Gisèle de Lestrange (1927–1991). Die junge Kunststudentin voller Begeisterung für die Malerei und vor allem für die Graphik stammte aus einer alten Adelsfamilie (Celan nannte sie deshalb gelegentlich, schnippisch-liebevoll übersetzend, »Fräulein von Seltsam«). Sie studierte im Atelier de l’Ermitage in der Rue Saint-Jacques bei Jonny (Gotthard Joachim) Friedlaender (1912–1992), einem der Hauptvertreter der modernen Radierung. Gleich bei der ersten Begegnung verliebte sich die junge Frau in den deutschsprachigen mittellosen Dichter, der für sie das Ideal eines freien Künstlers verkörperte. Ihrer extrem konservativen und streng katholischen Adelsfamilie war eine derartige Beziehung naturgemäß ein Dorn im Auge. Gisèle aber folgte ihrer inneren Stimme. Auch Celan war von der künstlerischen Anfängerin mehr als angetan. Als er ihr am Jahresende einen Band von Der Sand aus den Urnen widmete, fügte er vielsagend die Bemerkung hinzu : »Auf der Brücke der Jahre in Paris«294. Er erkannte somit, daß sich mit dieser Liebesbegegnung sein Leben in Paris radikal verändert hatte, und er ließ die Geliebte das auch wissen. Er versicherte ihr : […] daß Du diese Welt bist, Du allein, und daß sie durch Dich größer geworden ist, daß sie, durch Dich, eine neue Dimension gefunden hat, eine neue Koordinate, die ihr zu gewähren ich mich nicht mehr durchringen konnte, daß sie nicht mehr diese unerbittliche Einsamkeit ist, die mich fortwährend dazu zwang, niederzureißen, was sich vor mir auftürmte, verbissen über mich selber herzufallen – denn ich wollte gerecht sein und niemanden schonen ! – damit sich vor Deinem Blick alles ändert, ändert, ändert295.
Sogleich gewann er die Überzeugung, in ihr »ein wirklich außergewöhnliches Wesen« erkennen zu können, wie er noch 1957 Petre Solomon schrieb296. Im Grunde verkörperte sie vollkommen jenen Menschentyp, nach dem er so lange gesucht hatte. Er merkte rasch, daß sie, völlig befreit von anerzogener Voreingenommenheit, selbstbestimmend ihren eigenen Weg suchte. Mit der leidenschaftlichen Zeichnerin und vor allem Graphikerin gab es keine künstlerische Konkurrenz wie mit der Dichterin Ingeborg Bachmann, vielmehr im Gegenteil eine anregend-fruchtbare Beziehung zwischen zwei auf verschiedenen Gebieten künstlerisch Engagierten. Daraus ergab sich die längst von Celan erwartete Wende seines Lebens, jedenfalls für den Augenblick. Gisèle Lestrange hatte die menschliche Größe, die schwere Bürde auf sich zu nehmen, mit diesem genialErste Jahre in Paris (1948–1952)
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schwierigen Künstler ihr weiteres Leben zu teilen297 : Auch sie hatte von Anfang an das Gefühl, daß bereits ein neues Leben für mich begonnen hat – daß Du [Celan] bereits eine Lebensblume in mir geschaffen hast, […] die sich bereits sehr sanft und sehr heftig behauptet. […] Ich brauche so lange, um das zu verstehen, was doch schon so stark gespürt wird298.
Absolutheit der Kunst bei Celan, Absolutheit der Liebe bei Gisèle Lestrange. Das waren die besten Voraussetzungen für intensiven geistigen Austausch und eine tiefe menschliche Bindung. Besser als er kam sie, kraft ihrer Liebe, bei aller Zurückhaltung und Verletzlichkeit, mit den Anforderungen des Alltags zurecht. Den heftigen Widerständen ihrer Familie zum Trotz setzte sie ihren Willen durch. Das aus sehr gehobenen Verhältnissen stammende Mädchen heiratete den weit aus dem Draußen kommenden Exilanten. Celan brauchte diese Annäherung von Ich und Du sowie die Hoffnung auf einen geordneten Lebenskosmos. Beides hatte er lange genug ersehnt. Durch die Geliebte erschloß sich dem »weither Gekommenen«299 auf ganz neue Weise das Land, in dem er Zuflucht gesucht hatte. Paolo (Paul) und Francesca (die Französin), – dergestalt bezog der eifrige Dante-Leser die berühmte Passage aus der Inferno-Episode in der Göttlichen Komödie gerne in subjektivierender semantischer Funktion auf seine Frau und sich. Für einige Zeit gab diese Begegnung dem Dichter den festigenden Rahmen innerer Beruhigung durch Vertrauen, erfahrene Zuneigung und ausgleichendes Mitgefühl. Durch die Heirat mit dieser ebenso intelligenten wie sensiblen und liebevollen Frau am 23. Dezember 1952 erfüllte sich für Celan wenigstens vorübergehend die von ihm ausgesprochene Erwartung – »dein Haus in Paris zur Opferstatt deiner Hände«. Die Stadt wurde damit zur endgültigen Bleibe und zum Ort seiner dichterischen Arbeit. Damit endete die erste Phase von Celans Leben in Paris. Er hatte in den mehr als vier zurückliegenden Jahren viele Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Einsamkeiten durchlaufen, so daß er einmal sagen mußte, die ganze Zeit über habe ihn »etwas Unnennbares« gelähmt300. Von der Verwirklichung seiner Absicht, sich als Dichter in der Öffentlichkeit durchzusetzen, war er zwar immer noch weit entfernt. Die Begegnung mit Gisèle Lestrange brachte immerhin eine vorübergehende Konsolidierung und insofern die Voraussetzung für die noch ausstehende Resonanz auf seine dichterische Arbeit.
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Exkurs : »Auf hoher See« – Verse zur Bewußtseinslage Celans in der ersten Pariser Zeit
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ie prekäre Situation des heimatlos gewordenen Flüchtlings in der Pariser Anfangszeit zwischen dichterischer Berufung und materieller Unsicherheit, zwischen Einsamkeit und Begegnung mit einem ansprechbaren Du, verdeutlicht ein Gedicht, das Celan 1949, also nach dem ersten Pariser Jahr, verfaßt hat. Die Entstehung erklärt sich aus der Begegnung mit Diet Kloos. Er hat ihr den Text unter dem Titel Rauchtopas bald nach ihrer Abreise mit einem Brief vom 5. Oktober zugeschickt. Hier der Wortlaut : Rauchtopas Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker : hier halt ich mit dir Tafel, trink dir zu. Ich trink solang, bis dir mein Herz erdunkelt, solange, bis Paris auf seiner Träne schwimmt, solange, bis es Kurs nimmt auf den Schleier Klarheit, der uns die Welt verhüllt, wo jedes Du ein Ast ist, an dem ich hänge als ein Blatt, nie als ein Mensch.301
Der Zusammenhang mit Diet Kloos ist durch zwei Fakten belegt. Die Freundin trug damals einen mit einem Rauchtopas besetzten Fingerring, den ihr der von der deutschen Besatzungsmacht ermordete Widerstandskämpfer Jan Kloos nach der Hochzeit geschenkt hatte. Zudem erklärte ihr Celan, wie das seine Gewohnheit als ›Stadtführer‹ war, das Pariser Wappen, mit der Anspielung auf das Schiff und der für die Entwicklung der Stadt wichtigen Zunft der Seine-Schiffer302. Außerdem kann man annehmen, daß nach der Besichtigung beide in einem Lokal einander zutranken. Vermutlich hing dort an der Wand unter Glas das Stadtwappen von Paris. Jedenfalls zitierte Celan demgemäß zur Erinnerung in einem seiner Briefe den ersten Vers seines Gedichts : »Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker«303. Darauf aufbauend, entwickelte der Autor seine lyrische Konstruktion. Mit dem Ergebnis war er so zufrieden, daß er Diet Kloos wissen ließ : »Ich denke, es ist ein schönes Gedicht. […] nein, ich bin sicher, daß es ein schönes Gedicht ist. Ein gutes Zeichen. Weißt Du, daß in einem Gedicht jedes Wort einen ganzen Brief aufwiegt ?«304 Allerdings sah er seine Verse auch ganz von der persönlichen Reminiszenz getrennt. Er schickte das Gedicht wenig später ohne jede Anspielung an die Exkurs : »Auf hoher See«
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befreundete Erica Jené. Unter neuer Überschrift und mit zwei Veränderungen wurde der Text dann in die Sammlung Mohn und Gedächtnis aufgenommen. Im Grunde bedeutete das die bewußte Tilgung der biographischen Umstände, die bei der Abfassung der Verse eine gewisse Rolle spielten. Der neue Titel, das Grundbild der Seefahrt (Auf hoher See), ist – wie beim Gedicht Auf Reisen – leicht zu fassen als Metapher des Unterwegsseins. Hier spricht der verunsicherte Neuankömmling in der Weltstadt. Auf hoher See Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker : so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu. Ich trink so lang, bis dir mein Herz erdunkelt, so lange, bis Paris auf seiner Träne schwimmt, so lange, bis er Kurs nimmt auf den fernen Schleier, der uns die Welt verhüllt, wo jedes Du ein Ast ist, an dem ich hänge als ein Blatt, das schweigt und schwebt.305
Als rein persönlich ausgerichteter ›Aufhänger‹ wird die Überschrift der ersten Fassung gestrichen. An ihre Stelle tritt das Bild der Seefahrt. Es erlaubt eine generelle Auswertung und wird im weiteren Text getragen von der Bildfolge : »Schifflein, liegt […] vor Anker«, »schwimmt«, »bis es Kurs nimmt«. Demzufolge werden die ersten fünf Verse bestimmt von der symbolreichen Seefahrt des menschlichen Lebens. Erst in der Schlußpartie bringt dann die Baum-Metapher einen anderen, individueller zugeschnittenen Bereich zur Sprache. Andeutendstellvertretend für einen ganzen Bewußtseinsquerschnitt evoziert der Autor sein »erdunkeltes Herz«, Paris, das »auf seiner Träne schwimmt«, den »fernen Schleier, der uns die Welt verhüllt« sowie den »Ast […], an dem ich hänge als ein Blatt«, um so mit assoziativen Bildern die eigene Lebenssituation als schwebendlastendes Zwischenstadium zu umschreiben. Wir haben es also mit der lyrischen Reflexion einer angespannten Bewußtseinslage zu tun. Für den Autor ist die mit dem Bild des symbolischen Stadtzeichens erfaßte Szenerie von Paris zum neuen Lebensrahmen geworden. Dennoch fühlt sich das lyrische Ich des Gedichts wie »auf hoher See«, mithin unterwegs und zwar fernab vom sicheren Land. Seine Spannungslage spiegelt sich hier im Kontrast seiner inneren Unruhe zum gesichert »vor Anker« liegenden Stadt-»Schifflein«. Hin und her schwankend zwischen Erwartung und realer Situation erscheint »im Glas«, also im symbolischen Abbild der wirklichen Stadt, die Vision, die ihn im Augenblick glücklicher Begegnung mit einem Du beschäftigt. Der damit verbundene Anspruch wird sodann, 104 |
Exkurs : »Auf hoher See«
vom deutlichen Zeichen des Doppelpunkts am Ende des ersten Verses vorbereitet, in den folgenden sechs Versen ermittelt. Erkennbar ist dieser Text von seinem Bauprinzip her finalgerichtet. Nach der Exposition (V. 1) bilden ein kurzer Teilsatz (V. 2) und eine rhetorisch dreifach ansetzende, breitere Satzbewegung mit der adverbiellen Fügung »so lange, bis« als tragendem Element (V. 3–7) den Kern der Aussage. Die Brücke zwischen Exposition und Durchführung schlägt das »Glas«. Durch die Doppelbedeutung von Bildglas und Trinkglas vollzieht der Autor sprach-wirklich den Übergang vom allgemeinen Stadtrahmen zur konkreten Situation der Begegnung von Ich und Du unter der Einwirkung dieses Stadtrahmens. Durch die nachstehende Bildfolge wird das zwischen der Stadt und zwei Menschen gegebene Einvernehmen auf einfach-direkte Weise sinnfällig. Das Ambiente eines Pariser Lokals ist der angemessene Darstellungsrahmen genußvollen Erlebens (»so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu« ; V. 2). Materiell Kulinarisches spiegelt hier die generelle Freude der Sinne. Denn sinnliches Aufgeschlossensein gehört zur Vorbereitung des Weiteren. Aus diesem Grund erscheint das »Trinken« im Text existentiell enorm aufgeladen. Es leitet die Richtungssemantik des daraus entwickelten Satzes ein (»ich trink so lang, bis […]« ; V. 3). Die angestrebte Bewegung vollzieht sich dann in drei Zielstufen. Zuerst geht es darum, das »Herz« als Zentrum lebendigen Seins dem Du partnerschaftlich so zu öffnen, daß die Partnerin Einblick gewinnt in Schmerz, Bitternis und Trauer dieses Herzens (»bis dir mein Herz erdunkelt« ; V. 3). Weiterhin muß auch das Paris-Erleben in die Erfahrung dieser Trauer überführt, gewissermaßen von ihr angereichert werden (»bis Paris auf seiner Träne schwimmt« ; V. 4)). So daß es reif wird für die stürmische Seefahrt zum »Erdunkelten« (im Sinne einer »reifen Schwärze«, wie Celan an anderer Stelle sagt306). Schließlich gilt es, die Richtung einzuschlagen, die zum »fernen Schleier« führt, »der uns die Welt verhüllt« ; V. 6). Damit ist der entscheidende Schritt angesprochen, der die Wahrheit hinter dem Schleier offenbart. Darum war es in der Sache richtig, wenn in der Erstfassung vom »Schleier Klarheit« (V. 5) gesprochen wurde. Nur legte Celan in der Folge größeren Wert darauf, besonders die Länge des zurückzulegenden Verses hervorzuheben. Alle drei Zielsetzungen konvergieren darin, daß sie die Abkehr von der deformierten Wirklichkeit zugunsten einer Durchbrechung des Negativen postulieren. Bestimmt vom »erdunkelten Herzen« (V. 3) und von der »Träne« (V. 4) soll das Ufer des ›anderen Zustands‹ erreicht werden, der ein verbindliches Sein und insofern verwirklichte Humanität gewährleistet. Mithin transzendiert Celan die alltägliche Realität radikal. Jene, »uns« noch »verhüllte Welt« (V. 6) ist die von ihm gesuchte. Es ist, wie überraschend formuliert wird, eine Welt, »wo jedes Du ein Ast ist, / an dem ich Exkurs : »Auf hoher See«
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hänge als ein Blatt« (V. 6/7). Die zunächst befremdlich erscheinende Metapher lenkt den Text hinüber in eine poetologische Aussage. Deren Inhalt besteht darin, daß für den Autor Dichtung die einzige Möglichkeit darstellt, sich den Abgründen der Wirklichkeit zu stellen und sie kritisch heraufzubeschwören. Jedes »Du« wird dabei zum »Ast« (V. 6) am Schattenbaum erinnerter, nie zu bewältigender Vergangenheit. Die konsequente Weiterführung dieses Bildes läßt den Dichter als daran hängendes »Blatt« (V. 7) erscheinen. Jedoch besagt die Formulierung ebenso, daß die auf ein Papier-›Blatt‹ geschriebenen Verse des alles entstellenden Erinnerns mitzudenken sind. Insofern kann der Dichter apostrophiert werden als »ein Blatt, das schweigt und schwebt« (V. 7). Dergestalt umschreibt der Text, wie groß der Abstand solcher Kunst zum Leben ist. Wesentlich schärfer noch kam das in der Erstfassung zum Ausdruck. Dort ist sogar die Rede von grundsätzlichem Lebensverzicht als Preis derartigen Dichtens (»nie als ein Mensch«, V. 7). Es kann sich dabei gewiß nicht um eine »Verneinung des Menschen« handeln, wie Pöggeler mutmaßt307. Gemeint ist vielmehr die Verneinung des falschen Lebens und die damit verbundene Forderung einer Dichtung mit dem Ziel der Rettung des Humanen. Im Wissen um die Schatten der Existenz entwirft Celan in diesem Gedicht antizipierend ein gegenläufiges Lebensprogramm, das der Vernebelung Einhalt gebietet. Als er die endgültige Fassung des Gedichts ausarbeitete, war er noch durchaus in der Lage, diesen Anspruch für möglich zu halten. In der Folgezeit fiel ihm das allerdings immer schwerer. Deswegen hielt Celan einmal in einer Notiz den Satz fest : »Die Humanisten sind diejenigen, die über den konkreten Menschen hinweg, in das Unverbindliche der Menschheit blicken«308 Das war der Weg, den er gehen mußte, – den er letzten Endes auch gehen wollte.
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Exkurs : »Auf hoher See«
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ie Heirat Paul Celans mit Gisèle Lestrange unmittelbar vor Weihnachten 1952 war Resultat eines beiderseits begründeten Wunsches. Celan schrieb ihr zuvor einmal : ich habe den Eindruck, wenn ich zu Dir komme, eine Welt zu verlassen, die Türen hinter mir zuschlagen zu hören, Türen und nochmals Türen, denn sie sind zahlreich, die Türen dieser Welt, die aus Mißverständnissen, falschen Klarheiten, Höhnungen gemacht sind309.
Kurz darauf faßte er den Grad seiner Liebe noch eindeutiger zusammen mit der Wendung : »Was ich bis dahin geliebt habe, habe ich geliebt, um Dich lieben zu können«310. Ihre Antwort war gleichfalls eindeutig : »Ich habe es eilig, daß wir anfangen, ganz und gar zusammenzuleben. […] Es wird ganz wunderbar sein, an Deiner Seite zu leben«311. Die Ablehnung dieser Verbindung durch ihre Familie hielt die junge Frau nicht davon ab, unbedingt ihrer Neigung zu folgen. So verlief die amtliche Trauung selbviert, nur mit den beiden Freundinnen Gisèles als Trauzeugen. Zuvor hatten Paolo und Francesca im Juli und August 1952 ihre erste gemeinsame Ferienreise nach Kärnten an den Millstätter See unternommen, wo sie die dort beheimateten Freunde Klaus und Nani Demus trafen. Celan war jedoch froh, nach einigen unguten Erfahrungen mit dem österreichischen Zoll mit seiner Frau wieder in Paris zu sein. Sie lebten zunächst in dem kleinen Hotelzimmer in der Rue des Écoles, dessen Zustand nach der Renovierung Celan einmal Klaus Demus wie folgt beschrieb : […] im alten Zimmer, das jetzt Blümchen an den Wänden hat, eine zitronengelbe Tischdecke und eine Bettdecke von der gleichen Farbe – der raffinierteste französische Geschmack, wie Du siehst. Die Stimmung ist etwas wie eine traurige Fröhlichkeit, die mich immer wieder hinaustreibt. Keine Atmosphäre zum Arbeiten, ich will so schnell wie möglich weg312.
Dennoch war diese Zeit vielleicht die schönste ihres Zusammenlebens. Sie konnten ihre Liebe ungestört ausleben. Ihre Briefe, die in der Anrede bezeichnenderweise fortwährend zwischen dem privaten ›Du‹ und dem ›offiziellen Sie‹ wechseln, liefern dafür ein beredtes Zeugnis. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch gab
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Celan seiner Frau auch Deutschstunden, denn sie wollte teilhaben können an seinen Gedichten in der Originalsprache. Nachzuholen ist die im Mai 1952 stattfindende erste Reise Celans nach Deutschland zur Teilnahme an der zehnten Tagung der Gruppe 47 im Erholungsheim des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) in Niendorf an der Lübecker Bucht, ganz nahe bei der damaligen Grenze zum sowjetisch besetzten Teil Deutschlands, der DDR. Bislang war er immer bewußt ohne Halt durch Deutschland hindurchgefahren. Diesmal hatte Milo Dor dem Initiator der Gruppe, Hans Werner Richter, vorgeschlagen, auch eine österreichische Delegation einzuladen. Der Gruppenchef kam deswegen nach Wien und lud Ingeborg Bachmann persönlich ein. Sie drängte darauf, es bei der Delegation zu belassen und schlug auch Paul Celan ausdrücklich als Teilnehmer vor. Zu jenem Zeitpunkt waren die Treffen der Gruppe noch weithin auf Werkstattlesungen und die nachfolgenden kritischen Stellungnahmen konzentriert und insofern ohne sonderlich repräsentative Wirkung. Mit der größeren Öffnung des Teilnehmerkreises und einer stärkeren Berücksichtigung lyrischer Texte sollte eine breitere Wirkung erreicht werden. Das gelang dann auch, gerade durch die Tagung in Niendorf. Da Celan endlich als Dichter im Land seiner Muttersprache wahrgenommen werden wollte, nahm er die Einladung – nicht ganz ohne hoffnungsfrohe Erwartung – an. Er konnte freilich nicht wissen, worauf er sich eingelassen hatte. Denn die offene Gruppierung um den Initiator Hans Werner Richter, einen »Schriftsteller, der«, wie Gerhard Zwerenz sagte, »nicht schreibt«, war im Grunde nicht viel mehr als ein »Verein«, der »hinter den individuellen Leistungen seiner besseren Mitglieder allzuweit« zurückblieb«313. Die praktischen Folgen mangelnder Offenheit und fehlender ästhetischer Kategorien lassen sich konkret nachweisen. Es handelt sich dabei um systemimmanente Mängel der Gruppe 47, die man am besten unter dem Begriff einer verheerenden ästhetischen Teilblindheit gegenüber poetischer Qualität zusammenfaßt. Denn es war erklärtes Ziel Richters : »weg von der ›schönen‹ Sprache zur realen Sprache, […] zurück zur Sprache der Straße«314. Walter Jens, der bei alledem aktiv beteiligt war, hat immerhin in seiner Übersicht zur Deutschen Literatur der Gegenwart partiell den nötigen kritischen Abstand gefunden, indem er herausstellte : Die Veristen, handwerklich-gute Erzähler, lasen aus ihren Romanen. Dann plötzlich geschah es. Ein Mann namens Paul Celan (niemand hatte den Namen vorher gehört) begann, singend und sehr weltentrückt, seine Gedichte zu sprechen ; Ingeborg Bachmann, eine Debütantin, die aus Klagenfurt kam, flüsterte, stockend und heiser, einige Verse ; Ilse Aichinger brachte, wienerisch-leise, die ›Spiegelgeschichte‹ zum Vortrag315.
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Einmal abgesehen von den teilweise wenig glücklichen Zuschreibungen des Rhetorikprofessors, erweckt seine Darstellung den Eindruck, Aichinger, Bachmann und Celan seien damals von der Gruppe gleichermaßen auf den Schild gehoben worden. Davon kann jedoch keinesfalls die Rede sein. Die Wahrheit stellt sich wesentlich anders, nämlich mehr als zwiespältig dar. Was aber geschah in Niendorf tatsächlich ? Die meisten Berichterstatter heben zurecht einen qualitativen Umschlag hervor. Fast alle bringen sie das mit den Lesungen der österreichischen Delegation, insbesondere Ilse Aichingers, Ingeborg Bachmanns und Paul Celans in Verbindung. Aus heutiger Sicht leuchtet das auch unmittelbar ein. Und doch trügt der Schein. Er verdeckt eine äußerst widersprüchliche Szenerie willkürlicher Entscheidungen, fehlenden Verständnisses, einseitiger Bevorzugung oder Ablehnung und, zu allem Übel, verletzender Haltung in Gestalt widerwärtiger Wortentgleisungen. Neben der seitens der Gruppe Ingeborg Bachmann in hohem Maße entgegengebrachten Sympathie steht nämlich gleichzeitig die unbegreifliche, geradezu diffamierende Ablehnung, der sich Paul Celan bei der Mehrheit ausgesetzt sah. Seine Lesung, besonders die der Todesfuge, stieß beim Gros der Anwesenden auf erhebliche Reserve, teilweise sogar auf offene Ablehnung. Rolf Schroers, der in Niendorf dabei war, betont in seinem knappen Bericht : So machte etwa Paul Celan […] befremdliche Erfahrungen. Text und Vortrag verschlugen die gewohnte rüde Sprache, brachten die poltrig gemütliche Rollenverteilung durcheinander. Die ›seherhafte‹ Artikulation Paul Celans paßte nicht zum Stil der Gruppe, sein unleugbares Pathos erschien unangemessen316.
Läßt dieser Reflex bereits wenig Gutes ahnen, kann man der detaillierteren Beschreibung von Walter Jens Genaueres entnehmen. Er berichtet : Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man : ›Das kann doch kaum jemand hören‹, er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht [!] ›Der liest ja wie Goebbels‹, sagte einer. Er wurde ausgelacht, so daß dann später ein Sprecher der Gruppe 47, Walter Hilsbecher aus Frankfurt, die Gedichte noch einmal vorlesen mußte. Die ›Todesfuge‹ war ja ein Reinfall in der Gruppe ! Das war eine völlig andere Welt317.
Der Bericht von Jens gibt den Sachverhalt zwar richtig, aber nicht genau genug wieder. Denn unzweideutig erweist sich das Mißvergnügen der Gruppenmehrheit als Indiz für fehlende ästhetische Kompetenz. Allerdings wundert man sich nicht wenig über das offenbar unbekümmerte Mitlachen von Jens selbst, mehr Die zweite Phase in Paris, erster Teil (1952–1956)
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noch über den unkommentiert bleibenden Vergleich mit Goebbels. Gerade von ihm hätte man eine andere Reaktion erwarten dürfen. Zwar wurde Celan von einigen der Anwesenden durchaus ein eigener lyrischer Ton zuerkannt. Immerhin stimmten ja sechs der Wahlberechtigten bei der Preisverleihung für ihn. Gleichzeitig aber lehnte die Mehrheit das eindringliche Pathos entschieden ab. Wenn Celan Gedichte vortrug, nahm seine Stimme einen rituellen Klang an. Die Dichtung war eben seine Form der Religiosität. Die dafür Aufgeschlossenen merkten das sofort318. Aber bei der Mehrzahl der Tagungsteilnehmer in Niendorf löste die Art dieses Vortrags das von Jens erwähnte, in der Sache unbegreifliche, abstoßende Gelächter wie auch die unangebrachten Kommentare aus. Statt dessen diskutierte man, abweichend von der sonstigen Gewohnheit, kaum über die gelesenen Texte, sondern, für Celan besonders verletzend, über die seinerzeit beliebte Frage poésie pure oder poésie engagée. Helmut Böttiger hat für diese Fehlreaktionen die richtige Erklärung gefunden, wenn er anmerkt : Die Gedichte […] paßten nicht in eine Gegend, die vom ›Kahlschlag‹ gezeichnet war, sie kamen aus einer anderen Landschaft, die Anfang der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik niemand mehr kennen wollte. Nüchtern, sachlich, pragmatisch, so, wie es am besten ins Bild gepaßt hätte, war diese Lyrik nicht319.
In der Tat trennten Welten die hohe Auffassung der Dichtung bei Celan von der ›Kahlschlag‹-Mentalität innerhalb der Gruppe 47. Verständlicherweise war Celans erste Teilnahme deswegen auch die letzte. Was aber hat es mit dem Goebbels-Vergleich auf sich ? Am besten hält man sich zunächst an denjenigen, der diese unglaubliche Infamie in die Welt gesetzt hat, nämlich an Hans Werner Richter. Er ließ sich nach dem Freitod Celans wie folgt dazu vernehmen : Das war im Mai 1952 in Niendorf. […] Es wurde sein [Celans] erster großer Erfolg [!] […] Nach der Lesung Celans beim Mittagessen hatte ich ganz nebenbei und ohne jede Absicht [!] gesagt, daß die Stimme Celans mich an die Stimme Joseph Goebbels’ erinnere. Da beide Eltern Celans von der SS umgebracht wurden, kam es zu einer dramatischen Auseinandersetzung. Paul Celan verlangte Rechenschaft und versuchte mich in die Position eines ehemaligen Nationalsozialisten zu drängen. Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann weinten und baten mich unter wahren Tränenströmen immer wieder, mich zu entschuldigen, was ich dann schließlich tat. Paul Celan hat es mir nie vergessen320.
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Hält man daneben die Berichte von Milo Dor und Hermann Lenz, stellt sich der Vorgang etwas anders dar. Milo Dor zufolge kritisierte Richter Celans Art des Vortrags nicht allein nach der Lesung beim gemeinsamen Essen, sondern bereits als Kritik zur Lesung mit der instinktlosen Bemerkung, »er habe in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge«321. Hermann Lenz wiederum hat überliefert, was Celan ihm über die Niendorfer Tagung sagte, nämlich Folgendes : »Na ja, sagte er, diese Fußballspieler. […] Da hat einer zu mir gesagt : Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen«322. Daß derjenige, der das sagte, Hans Werner Richter, der ›Gruppenchef‹ persönlich, war, blieb offenbar ungesagt. Jedenfalls aber kommt dabei klar zum Ausdruck, welchen Gemeinheiten sich Celan ausgesetzt sah. Nimmt man dazu, was Celan Gisèle Lestrange berichtete, weiß man genauer Bescheid. Er schrieb ihr : Um neun Uhr abends war die Reihe an mir. Ich habe laut gelesen, ich hatte den Eindruck, über diese Köpfe hinaus – die selten wohlmeinend waren – einen Raum zu erreichen, in dem die ›Stimmen der Stille‹ noch vernommen wurden […] Die Wirkung war eindeutig. Aber Hans Werner Richter, der Chef der Gruppe, Initiator eines Realismus, der nicht einmal erste Wahl ist, lehnte sich auf. Diese Stimme, im vorliegenden Falle die meine, die nicht wie die der andern durch die Wörter hindurchglitt, sondern oft in einer Meditation bei ihnen verweilte, an der ich gar nicht anders konnte, als voll und mit ganzem Herzen daran teilzunehmen – diese Stimme mußte angefochten werden, damit die Ohren der Zeitungsleser keine Erinnerung an sie behielten. Jene also, die die Poesie nicht mögen – sie waren in der Mehrheit – lehnten sich auf. Am Ende der Sitzung, als man zur Wahl schritt, haben sich sechs Personen an meinen Namen erinnert. Aber dieser Bericht vereinfacht die Dinge ein wenig, ich werde Ihnen die Einzelheiten in einigen Tagen in Paris erzählen323.
Ersichtlich wollte Celan die schlimmen Entgleisungen Richters seiner künftigen Frau nicht brieflich darlegen. Denn am selben Tag schrieb er Klaus Demus ganz direkt, was er im Brief an Gisèle nicht genauer ausführen wollte : es ist so schwer zu sagen, was ich von all dem halten soll – es war aufregend und dennoch beinah ganz ohne Niveau. […] Ich war dort oben [will sagen : in Niendorf, Norddeutschland] beleidigt worden : H. W. Richter […] sagte nämlich, meine Gedichte seien ihm auch darum zuwider gewesen, weil ich sie im Tonfall von Goebbels gelesen
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hätte. Und so etwas muß ich erleben ! […] Immerhin hat es ein paar Menschen gegeben, die mir ihre Stimme gaben324.
Wie weit die Ablehnung seitens des Umfelds um Richter gehen konnte, zeigt das Beispiel von Peter Rühmkorf. Der schreckte nicht davor zurück, in seinem Beitrag zu dem von Richter herausgegebenen Sammelband Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962 den Verfasser der Todesfuge zu den »zeitgenössischen Zeitflüchtern« (!) zu zählen, und bei ihm die »Unfruchtbarkeit eines ins Extrem getriebenen Kunstprinzips« zu bemängeln, das »ins Karge und Dürftige« hinübergleite (!). Mit der gleichfalls von ihm monierten »Feierlichkeit der Diktion und Stilisierung ins Würdevolle«, besonders aber mit der Rubrizierung Celans als »Ausnahme nicht nur unter dichtenden Zeit-, sondern auch Artgenossen« (!) dürfte er dem Herausgeber aus der Seele gesprochen haben325. Völlig zurecht sah man in »Rühmkorfs Auftragstext eine institutionelle Rede der Gruppe 47«326. All das erklärt hinreichend, warum Celan mit dieser Gruppierung nichts mehr zu tun haben wollte. Auf die an ihn ergehenden Einladungen reagierte er durchweg ablehnend. Was eigentlich über den Umgang mit Celan in Niendorf zu sagen gewesen wäre, wurde vor einiger Zeit dann von Herta Müller mit eindeutig klaren Worten nachgeholt : Es sitzen deutsche Ignoranten zu Gericht, von denen etliche die ›Landsersprache‹ noch im Munde führen. Daß sie sich keinen Gedanken über das Leben des Autors machen, der ihnen ins Gesicht blickt, ist schrecklich genug. Dazu kommt aber noch, daß sie nie etwas gehört haben von der langen Tradition des jüdischen, russischen, rumänischen Gedichtesprechens im rhythmisch singenden Ton, der durch den ganzen Körper läuft. Daß sie nichts begreifen von einer deutschen Sprache, in der Wortspiele ›Zungenspäße‹ genannt werden. So gebärdete sich das Deutschlanddeutsch als herrisches Zentrum.
Die Niendorfer Tagung verlief jedenfalls für Celan enttäuschend. Er äußerte sich dazu gegenüber Gisèle folgendermaßen : Ich habe ein gutes Drittel der deutschen Schriftsteller kennengelernt – ich denke dabei nur an die, denen man die Hand drücken kann, ohne Gewissensbisse haben zu müssen. Doch unter diesen findet man eine große Anzahl Ungebildeter, Aufschneider und Halbversager, und sie haben es nicht versäumt, mich aufs Korn zu nehmen. Ich habe Widerstand geleistet, und ich glaube sagen zu können, daß ich mich behauptet habe327.
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Celan war mit der Gruppe 47 wirklich ›an die Falschen geraten‹. Es war mehr als berechtigt, wenn Rolf Schroers in der Widmung seines Buches für Celan Wert darauf legte, zu sagen : »zur Erinnerung an schlimme Tage in Norddeutschland«328. Während dieser Zeit entwickelte sich auch eine dramatisch zugespitzte Beziehungskrise zwischen Celan und Ingeborg Bachmann. Dabei spielte die unterschiedliche Art des Umgangs der Gruppe 47 mit ihr und ihm eine wesentliche Rolle. Jedenfalls war er von ihrem Verhalten enttäuscht. Ihre Versuche neuer Annäherung fanden seinerseits keine Entsprechung. Der inzwischen in Gisèle Lestrange Verliebte achtete deutlich erkennbar auf Distanz und hüllte sich danach fünf volle Jahre hindurch in Schweigen. Er hielt aber trotzdem gegenüber dem gemeinsamen Freund Demus fest : »Inge hat eine so schöne silberne Stimme. Und außerdem steht ihr der neue Mantel so gut«329. Das läßt, wie die Zukunft dann auch zeigen sollte, durchaus Schlüsse zu im Hinblick auf Celan, den verführerischen ›Damenmann‹. Ungeachtet all dieser schmerzlichen Erfahrungen hatte Celans erster Aufenthalt in Deutschland auch seine guten Seiten. Was der Gast bei diesem Deutschlandbesuch immerhin positiv registrieren konnte, waren durchaus freundschaftliche Kontakte zu den Schriftstellerkollegen Heinrich Böll, Paul Schallück, vor allem zu Rolf Schroers330 sowie das ihm entgegengebrachte Interesse einflußreicher Kulturvertreter. So insbesondere von Ernst Schnabel, dem damaligen Intendanten des Hamburger Funkhauses des NWDR, der ihn zu einer Lesung im Radio Hamburg einlud331, wie auch von Willi A. Koch, dem Cheflektor der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) in Stuttgart. Dieser Stifter des Literaturpreises der Gruppe 47 drohte nach der unglaublichen Behandlung Celans durch den Gruppenchef mit seiner Abreise. Er lud Celan zur Lesung in Stuttgart ein und besprach auch mit ihm die eventuelle Möglichkeit der Veröffentlichung einer Gedichtausgabe332. Wie sich dann bald zeigen sollte, war das für Celan die langersehnte Voraussetzung für seine Wirkung als Dichter deutscher Sprache. Denn mit dieser Gedichtsammlung unter dem Titel Mohn und Gedächtnis (das war bereits die Überschrift über den Hauptteil der verunglückten Wiener Sammlung) konnte endlich der ›Fehlstart‹ mit Der Sand aus den Urnen ausgeglichen werden. Im August war es dann so weit, daß Celan Gisèle wissen lassen konnte : Ich muß Ihnen in aller Eile eine sehr gute Nachricht mitteilen. Stutt[gart] hat sich entschlossen, das vollständige Manuskript zu veröffentlichen. […] Heute morgen Brief
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von Schroers, der ebenfalls [als Lektor bei DVA] […] zu unserem Erfolg beigetragen hat und der die Entscheidung Kochs bestätigt333.
Das Erscheinen dieser Sammlung mit 56 Gedichten erzielte eine unerwartet breite Wirkung, zumal der Verlag den Band als Weihnachtsgeschenk an Freunde des Verlags verteilte. Celan wählte für diese Sammlung die von ihm bevorzugten Gedichte aus der zurückgezogenen Erstveröffentlichung (»Der Sand aus den Urnen), dabei als eigenen Abschnitt, diesmal in der Mitte, wieder die Todesfuge. Außerdem fügte er eine ganze Reihe neuerer Texte in zwei Abteilungen – Gegenlicht und Halme der Nacht – hinzu, vor allem als Schlußgedicht Zähle die Mandeln. Man kann das Erscheinen dieses Buches wirklich als einen Wendepunkt in seinem Leben bezeichnen. Glücklich ließ Celan den Fürsprecher Rolf Schroers wissen : »ich habe nichts sehnlicher herbeigewünscht, als den Augenblick, in dem meinen Gedichten die Brücke geschlagen wird zu diesem neuen Ufer«334. Wolfgang Weyrauch, der sich beim Rowohlt Verlag vergeblich dafür eingesetzt hatte, Mohn und Gedächtnis zu drucken, ließ Celan wenigstens wissen, was er in seinem Gutachten gelobt hatte : Ich habe nicht eine einzige Zeile gefunden, die verfehlt wäre. Hingegen habe ich zahllose Zeilen gefunden, die von prononcierter Kraft sind. Es ist eine zarte Kraft. […] Sie ist ein Teil von der Celanschen Magie. Die Celansche Magie ist groß. Ich habe darüber nachzudenken versucht, worin sie eigentlich besteht. Ich glaube, sie besteht z. B. in dem Konnex Celans mit dem Tod. […] Celan ist wortwörtlich ein Surrealist. Er ist nie metaphorisch, sondern hat die Kühnheit, die Bilder, die über die Realität hinweggehen, als real hinzuschreiben. Celan schreibt nicht : ›ein Wort, wie von Sensen gesprochen‹, sondern sein Wort wird in der Tat von Sensen gesprochen. Das ist der Unterschied zwischen einer surrealistischen Draperie und einer surrealistischen Realität. Celan bewältigt die Poesie335.
Wie treffend diese Einschätzung war, erwies sich rasch durch die breite Wirkung in der Öffentlichkeit. Mit einem Schlag wurde der Autor von Mohn und Gedächtnis mit dem nicht zu überhörenden, förmlich atmenden Celanschen Lyrikton zu einem der wichtigsten Vertreter der deutschen Nachkriegsliteratur. Den Lebensalltag mußte er allerdings weiterhin durch Einnahmen als Übersetzer und Sprachlehrer bestreiten. Was er Hans Bender in einem Brief zu seiner Auffassung der Dichtung mitteilte, brachte nebenbei diese Misere deutlich zum Ausdruck. Er schreibt da :
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Dieses Handwerk hat ganz bestimmt keinen goldenen Boden – wer weiß, ob es überhaupt einen Boden hat. Es hat seine Abgründe und Tiefen. […] Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht. […] Gedichte, das sind auch Geschenke – Geschenke an die Aufmerksamen. Schicksal mitführende Geschenke. […] Wir leben unter finsteren Himmeln, und – es gibt wenig Menschen. Darum gibt es wohl auch so wenig Gedichte. Die Hoffnungen, die ich noch habe, sind nicht groß ; ich versuche, mir das mir Verbliebene zu erhalten336.
Als Celan diese stark relativierende Einschätzung kundtat, waren bereits zwei weitere Lyrikbände erschienen (1953 : Von Schwelle zu Schwelle und 1959 : Sprachgitter). Längst hatte er das »Musizieren« seiner Gedichte hinter sich gelassen und sich für eine »grauere«, »nicht ›poetisierende Sprache« entschieden. Denn nur zu gut war ihm bewußt, daß er »unter dem besonderen Neigungswinkel seiner Existenz« schrieb337. Die neue Poetik hatte er langsam aber sicher, organisch auf seinen Anfängen basierend, für sich herausentwickelt. Aber seine »grauere Sprache« war, wie schon die »poetisierende« seiner Anfänge, durch und durch an der »Schwelle des Todes« angesiedelt, wie Milo Dor in seinem Nachruf mit guten Gründen festhielt338. Dementsprechend konnte Karl Schwedhelm, der Kritiker der Deutschen Zeitung und Wirtschafts-Zeitung, beim Erscheinen von Mohn und Gedächtnis lobend feststellen : Celan schafft neue Symbole, in denen der uralte Bestand als Grundschicht weiterlebt, überlagert von vielem Heutigen, von Jüngstem. […] Seine Sprache, genährt aus dem quellenden Reichtum biblischer Bilder, weiß mit intensiver Sicherheit Wort und Bild zur vollkommenen Deckung zu bringen. Mit Celan ist eine poetische Kraft aufgestanden, die das Unsagbare an seinen Rändern packt und das Wort als eine äußerste Wirklichkeit ernst nimmt339.
In jener Zeit berichtete Celan der geliebten Gisèle, die immer wieder auch bei ihrer Familie in der ›Mühle‹ (»le Moulin«) von Rochefort-en-Yvelines, einer kleinen Gemeinde unweit von Rambouillet, vorbeischauen mußte : »Ich lese viel, um eines Tages ein neues Buch für Sie schreiben zu können. Das ist um so dringlicher, als das erste ein unabhängiges Leben führen zu wollen scheint«340. Der Druck des ersten in Deutschland veröffentlichten Buches war damals schon im Gange. Darum dachte Celan bereits an das nächste Buch, das er unbedingt Gisèle widmen wollte. Der Brief gibt nebenbei Aufschluß über einen nicht unwichtigen Teil seiner Arbeit. Denn viele Gedanken zu Gedichten, erste Formulierungen, ja Die zweite Phase in Paris, erster Teil (1952–1956)
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in Einzelfällen ganze Gedichte pflegte Celan, in Auseinandersetzung mit den jeweiligen Texten, an den Rand von Büchern aus seinem Besitz oder auf eingelegte Zettel zu schreiben. Das gehört zur allmählichen Verfertigung der Gedichte beim Schreiben, wie Celan sie praktizierte. Ohne die Zustimmung ihrer Familie fand, wie schon erwähnt, die Hochzeit Celans mit Gisèle de Lestrange am 23. Dezember 1952 im Rathaus des fünften Pariser Arrondissements, gegenüber dem Pantheon, statt. Zunächst lebten beide zusammen sehr eingeschränkt im Hotelzimmer der Rue des Écoles. Trotz seines großen Glücks mit Gisèle äußerte sich Celan im März 1953 gegenüber Rolf Schroers äußerst hellsichtig im Hinblick auf seine psychische Labilität wie folgt : Ich bin voller Ungeduld, und dies ist um so seltsamer, als ich ja gerade jetzt keinerlei ersichtlichen Grund dazu habe. Ich versuche mich zu orientieren, aber es will mir keineswegs gelingen, ich bin recht ratlos, greife nach diesem und jenem, nach tausend Dingen zugleich, ohne die Wahl treffen zu können, die nottut. Nicht, daß es mir an Zeit fehlte – es fehlt mir an Besonnenheit, ich atme zu rasch, halte inne am falschen Ort, inmitten falscher Gedankengänge, ich verliere die Übersicht341.
Mit dieser Bekundung hat Celan klarsichtig erkannt, daß die bittere Realität zunehmend auf sein Inneres eindrängte. Das war das erste Anzeichen, vielleicht sogar das erste Innewerden zunehmender Dissoziation seiner Bewußtseinslage, wie sie ihm dann in der Folge immer mehr zu schaffen machte. Erst im Juli 1953 erlaubte es die Familie den Jungverheirateten, in eine kleine Wohnung (»die aus einem weit geräumigeren Zimmer als dem früheren und einer kleinen Küche besteht«342) im familieneigenen Haus Nummer 5 der Rue de Lota zu übersiedeln. Die Sommerferien durften sie sogar auf dem Schloß verbringen, das damals der Familie gehörte, das Château de Beauvoir bei Évry, auf der linken Seite der Seine gelegen. Celan zog sich auf das zugehörige Gutshaus Tournebride zurück. Der längere Zeit stockende Fluß literarischer Arbeit kam durch die Erfahrung lebendiger Liebe wieder in Bewegung. Gisèle war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Man kann die damit verbundene Konsolidierung des Celanschen Ichs mithin auf das Zusammenleben mit ihr zurückführen. Damals erweiterte sich für Celan auch der Kreis der französischen Bekannten. Zu dem seit 1949 befreundeten Schriftstellerkollegen Yves Bonnefoy gesellte sich nun der Lyriker René Char (1907–1988). Bald danach folgte der in Paris lebende und Französisch schreibende Rumäne Emile Michel Cioran (1911–1995), dessen kulturkritische Essay-Sammlung unter dem Titel Lehre vom Zerfall (Précis de dé116 |
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composition) Celan 1953 für den Rowohlt Verlag übersetzte. Auch die etwas jüngeren André du Bouchet (1924–2001) und Jacques Dupin (1927–2012), mit denen und Yves Bonnefoy zusammen Celan dann später die literarische Zeitschrift L’Éphémère herausgab, sind hier zu erwähnen. Der aus der Provence stammende Char interessierte ihn als Widerstandskämpfer gegen Hitlerdeutschland. Celan übersetzte 1958 dessen Erinnerungen an die ›Résistance‹ – Hypnos. Aufzeichnungen aus dem Maquis – ins Deutsche. Der Kollege nannte den jüngeren Celan seinen »Dichter-Bruder« und bescheinigte ihm, daß er es »schwer haben werde, sich in der Wirklichkeit zu behaupten«343. Leider traf er mit dieser Annahme den Nagel auf den Kopf. Im französischen Kulturleben konnte Celan in der Tat nur sehr bedingt Fuß fassen. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, daß er einmal bei einem Gespräch über den französischen Literaturbetrieb äußerte : »Ihr seid zu Hause, in eurer Sprache, euren Referenzen, umgeben von den Büchern, den Werken, die ihr liebt. Ich dagegen bin draußen«344. Andererseits machte er gegenüber Hans Bender geltend : »Die Lebensumstände, das Leben im fremden Sprachbereich, haben es mit sich gebracht, daß ich mit meiner Sprache viel bewußter umgehe als früher«345. Im Mai 1953 nahm Celan am deutsch-französischen Schriftstellertreffen teil. Unter den Teilnehmenden interessierte ihn besonders die Dichterin Marie Luise Kaschnitz (1901–1974 die er bereits 1948 anläßlich des ersten Schriftstellertreffens in der Abtei Royaumont kennengelernt hatte. Er las ihr dort allein im Park einige seiner Gedichte, darunter die Todesfuge mit leiser, kaum vernehmbarer Stimme vor, getreu seiner Überlegung : »Ein schweres Wort, das hingehaucht sein will«346. Der »junge Dichter aus dem Osten«, der »Heimatlose mit dem ruhigen, schwermütigen Blick«, prägte sich der Kollegin ein. Sie reagierte darauf mit der surrealen Traumerzählung Die Abreise (1950). Über die Problematik der ersten Begegnung und das 1952 abgehaltene Treffen der Gruppe 47 in Niendorf unterhielten sich beide in Paris. Diese Wiederbegegnung legte den Grund für ihr Eintreten zugunsten von Celan im Rahmen der absurden Plagiats-Affäre, die Claire Goll anstrengte, und natürlich auch für ihre Teilnahme als Laudatorin bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1960 an Celan in Darmstadt. Am 7. Oktober 1953 brachte Gisèle den Sohn François auf die Welt, der allerdings am folgenden Tag schon starb. Celan schrieb Schroers dazu die Worte : Wir haben unser Kind, unsern Sohn verloren – dreißig Stunden nach seiner sehr schweren Geburt (dreimal Zange, schließlich, zu spät, Kaiserschnitt). Meiner Frau geht es gottlob gut. Sie wissen kaum, wie sehr wir uns diesen Sohn gewünscht hatten347.
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Celan hat seinen Schmerz dem ergreifenden Gedicht Grabschrift für François anvertraut : Die beiden Türen der Welt stehen offen : geöffnet von dir in der Zwienacht. Wir hören sie schlagen und schlagen und tragen das ungewisse, und tragen das Grün in dein Immer348.
Die »Zwienacht« mit dem Geburtshilfefehler zeigte dem Dichter einmal mehr eine radikale Lebenskatastrophe, vergleichbar nur der Erfahrung mit der Ermordung seiner Eltern349. Auch diesmal gelang es ihm jedoch, weiter zu leben. In einem Brief hielt er dazu fest : »Und nun ist das Leben wieder da, das ja auch ein Überlebthaben ist, und fordert sein Teil […]«350. Es gibt eine direkte gedankliche Beziehung zur Übersetzung zweier Verse aus Guillaume Apollinaires Gedicht Der Abschied (l’Adieu) durch Celan, der damals, an seine Czernowitzer Zeit anknüpfend, mehrere Gedichte des großen französischen Lyrikers (1880–1918) ins Deutsche übertragen hat. Dabei bilden die beiden folgenden Verse das gedankliche Zentrum : »L’automne est morte souviens-t’en / Nous ne nous verrons plus sur terre«351 > frei übersetzt : »Der Herbst ist tot, denk stets daran / Wir werden uns auf Erden nicht mehr sehn« > in Celans Übersetzung : »Der Herbst ist tot – sei eingedenk. / Auf Erden scheiden wir nun beide«352. Celan gibt die formale, klangliche, bildliche und insofern die thematisch-poetische Bestimmung der Originalversion äußerst genau wieder. Er steigert sogar die unmittelbare Wirkung durch den Übergang vom Futurum zur Gegenwart. Damit kommt das »Überlebthaben« wie zugleich die Wucht des Todes noch deutlicher zum Ausdruck. Marie Luise Kaschnitz hatte Recht mit Ihrer Feststellung als Laudatorin bei der Verleihung des Büchner-Preises an Paul Celan, als sie über sein Verhältnis zur deutschen Sprache sagte : Der falschen Vertrautheit des Alltagsredens enthoben, war er imstande, diese mit so viel Bitterkeit geliebte deutsche Sprache für sich neu zu entdecken und auf eine neue Weise über sie zu verfügen, schöpferisch und frei.
Um über den Verlust des Sohnes François wenigstens ein wenig, als »Überlebthabende« hinwegzukommen, unternahm das Ehepaar Celan im Herbst 1953 eine 118 |
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Italienreise mit den Stationen Florenz, Siena, San Gimignano, Assisi und Ravenna353. In Assisi wurde Celan zu dem gleichnamigen Gedicht angeregt. Daran wird deutlich, wie stark der Tod des Sohnes Mutter und Vater zu schaffen machte (»Glanz, der nicht trösten will, Glanz. / Die Toten – sie betteln noch, Franz«354. Celan hatte leider viele wie mit Franz von Assisi bettelnde Tote um sich. Die starke Wirkung der Erstveröffentlichung von Mohn und Gedächtnis führte bei der Verlagsleitung, wo allerdings nicht mehr der Celan ausgesprochen wohlgesonnene Redakteur Willi A. Koch tätig war, dazu, gleich Ende 1953 eine zweite Auflage herauszubringen. Das war im Bereich der Lyrik ein ziemlich seltenes Ereignis. Dieser Erfolg mißfiel der Witwe Goll in hohem Maße. Vorausgegangen war im Januar 1952 ihre, wie sie unterstellte, »Ablehnung einer der GollÜbertragungen Celans« wegen »zu entfernter Nachdichtung«355. Ihre Ablehnung seiner Übersetzung führte dann »zum Abbruch der Beziehungen zwischen Nachlaßverwalterin und Übersetzer«356. Denn das »liebe Päulchen«357 wollte der anspruchsvollen Dame eben nicht so zu Willen sein, wie sie sich das vorstellte. Um der Karriere Celans zu schaden, verfaßte Claire Goll bereits 1953 einen halboffiziellen Rundbrief an befreundete Schriftsteller, Kritiker und Verleger, in dem sie Celan diesmal nicht mehr wie anfangs »zu entfernte Nachdichtung« vorwarf, sondern im Gegenteil »zeilenweise Anleihe«358 und insofern Plagiat von dichterischen Formulierungen Golls. Die grundfalsche und insofern unschwer zu widerlegende Unterstellung war das infame Vorspiel zur ›Goll-Affäre‹ des Jahres 1960359. Celan erfuhr von den Machenschaften der Witwe erst einige Zeit danach. Er schwieg dazu zunächst in vornehmer Zurückhaltung. Als dann aber eine gewisse Resonanz in der Presse zu vermerken war, richtete er an Alfred Andersch, der ihn Anfang 1955 in Paris besucht hatte, im Juli 1956 einen längeren Brief zur Klärung der wahren Sachlage. Durchschriften dieses Schreibens übersandte er auch an eine ganze Reihe befreundeter oder damit befaßter Personen (Klaus Demus, Hermann Lenz, Rolf Schroers, Paul Schallück, Günter Grass sowie Hermann Kasack, Fritz Martini und Joachim Moras). Klaus Demus wandte sich ebenfalls direkt an Alfred Andersch, um die angespannte Situation zu erläutern. Er schrieb da unter anderem : […] daß sie [Claire Goll] bei Paul Celan mit ihren Machenschaften mit seinen Übersetzungen an den Unrechten gekommen war, da muß ihr jener Haß entstanden sein. […] Was einfacher als den Spieß umzudrehen, ein Schuldbewußtsein kaltstirnig in Anklage und Verleumdung umzulügen ? […] Ich habe es nicht verstanden, und leider hatte ich bis jetzt meinem armen Freund Paul Celan geraten, auch diese schwere und häßliche Die zweite Phase in Paris, erster Teil (1952–1956)
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Sache schweigend zu tragen. Nun kann er aber nicht mehr, ist halbkrank davon geworden und steht, wie ich fürchten muß, in Gefahr, als Dichter Schaden davonzutragen360.
Leider war das nur das Vorspiel zu viel Schlimmerem in Gestalt der ›Goll-Affäre‹, zu der Celan gegenüber dem Freund Erich Einhorn anmerkte : »Es ist eine lange, unglaubliche, bitter-wahre Geschichte«361. Darauf wird leider noch weiter einzugehen sein. Doch zurück zum Jahr 1954. Celan klagte damals häufig darüber, nicht kontinuierlich arbeiten zu können. Er schrieb dazu : Wenn es nur endlich ein paar zusammenhängende Wochen gäbe, die ich in ihrem Ertrag wiedererkennen könnte ! Aber ich bleibe auf Eingebungen angewiesen, auf ein plötzliches Aufklaffen der Sprachwirklichkeit (nicht der ›Realität‹ !), auf jenes unvermutete Hervortreten eines einzelnen Wortes, um das sich ein paar andere gruppieren, in denen das zahllose Ausgesparte noch irgendwie mitschwingt. Wobei ich nicht einmal weiß, wodurch ich solche Augenblicke provozieren könnte ! So weit ich die Augen auch aufreiße, um etwas von der Wirklichkeit festzuhalten – diese Wirklichkeit gibt erst dann etwas her, wenn ich mich ihrer erinnere362.
Noch deutlicher äußerte er sich gegenüber Klaus Demus : »Mancherlei ist an dieser Wortlosigkeit beteiligt, Erkanntes und Unerkanntes, wirkliche und halbwirkliche Lähmung, wahres und halbwahres Verzweifeln an mir selber«363. Celan machte damals am Ende des Sommers mit seiner Frau eine anstrengende, elftätige Reise kreuz und quer durch die Bretagne. Anschließend ging er mit ihr, einer Einladung der Fondation Rustique Olivette folgend, vom 14. September bis 30. Oktober nach La Ciotat, dem pittoresken kleinen Hafen in der Nähe von Marseille. Erst dort fand er Gelegenheit, seine ersten Eindrücke von der Bretagne dichterisch zu verarbeiten. Am Mittelmeer verfaßte er das Liebesgedicht Bretonischer Strand : »Versammelt ist, was wir sahen, / zum Abschied von dir und von mir : / das Meer, das uns Nächte an Land warf, / der Sand, der sie mit uns durchflogen, / das rostrote Heidekraut droben, / darin die Welt uns geschah«364. Selten konnte Celan so intensiv freies Glück empfinden. Meer, Sand, Welt und Liebe sind in diesen sechs kurzen Versen für immer als Glücksmoment haltbar präsent. Aber da ist natürlich ebenso der »Abschied von dir und von mir«. Ob diese Formulierung wirklich allein das »gemeinsame ›uns‹« bedeutet, wie Helmut Böttiger annimmt365, erscheint angesichts der tatsächlichen Lebensumstände ziemlich
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fraglich. Darauf wird im Zusammenhang mit der Beziehung Celans zu seinem »Kreidestern« in Gestalt von Brigitta Eisenreich noch zurückzukommen sein. Im folgenden Jahr lernte Celan den soeben erwähnten Alfred Andersch (1914– 1980) kennen, als der ihn in Paris besuchte, weil der gerade in der deutschen Öffentlichkeit bekannt gewordene Dichter ihn, nicht zuletzt als Herausgeber der von 1955–1957 erscheinenden Zeitschrift Texte und Zeichen, aber auch als Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk interessierte. Celan fand diesen zeitkritischen Autor und Deserteur des Jahres 1944 zunächst durchaus annehmbar. Andersch veröffentlichte gleich danach mehrere seiner Gedichte und Übersetzungen. Aus diesem Grund wandte sich Celan an ihn mit der Bitte um Hilfe. Jedoch unternahm der Adressat des Briefes nichts dergleichen. Deswegen führte er enttäuscht die Beziehung zu Andersch nicht weiter. Zumal der Kollege auch eng mit Hans Werner Richter zusammenarbeitete, betrachtete er ihn nunmehr eher als Gegner. Wesentlich anders gestaltete sich die im April 1954 einsetzende Begegnung mit Hermann Lenz (1913–1998) und dessen jüdischer Frau, der Kunstwissenschaftlerin Hanne (Johanna, geborene Trautwein, 1915–2010). Das waren zwei Deutsche, mit denen sich Celan ohne Bedenken einlassen konnte. Er widmete ihnen sogar das 1952 entstandene Gedicht Nächtlich geschürzt, das bis zum Schluß zum Kernbestand seiner Lesungen gehörte366. Die sehr enge und von Beginn an vertraute Du-Beziehung brach jedoch 1962 ebenfalls ab, weil Celan durch die eher passive Reaktion des Ehepaars auf die Zusammenhänge der ›Goll-Affäre‹ extrem enttäuscht war. Vorübergehend war Stuttgart Celans bevorzugter Kontaktort in Deutschland. Dort war sein Verlag, der auch Lesungen für ihn organisierte. Im Süddeutschen Rundfunk lernte er bei dieser Gelegenheit die Schriftstellerkollegen Peter Härtling (1933–2017) und Johannes Poethen (1928– 2001) kennen, mit denen er sich in der Folge mehrfach traf. Dazu kam in Paris das Zusammentreffen mit Günter Grass, der in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre dort lebte und seinen ersten Roman, Die Blechtrommel, schrieb. Er bezeichnete im Rückblick Celan als »schwierigen, kaum zugänglichen Freund«367. Auch Karl Krolow, der eine sehr positive Rezension über Mohn und Gedächtnis verfaßt hatte, kam bald danach für ein Jahr nach Paris. Er berichtete darüber, wie Celan sich bemühte, den deutschen Kollegen zu treffen : »Er brauchte mich. Er brauchte diese Sprache. Er wollte sie hören. Er brauchte diesen Fundus, er brauchte diesen Klang«368. Solche Begegnungen waren Celan in der Tat äußerst wichtig. Allerdings legte er grundsätzlich beim Umgang mit deutschen Kollegen von vornherein Skepsis an den Tag.
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Glücklicherweise brachte das Jahr 1955 auch erfreuliche Veränderungen mit sich. Bereits im Februar besuchte Celan Tübingen und grüßte »aus Hölderlins Nähe« mit einem Zweig »Immergrün von Hölderlins Grab«369. Ende Februar traf er sich, begleitet von seiner Frau, kurz mit Klaus und Nani Demus in London, die kurz zuvor am gleichen Tag – dem 23. Dezember, aber zwei Jahre nach den Celans – geheiratet hatten. Im Juni wurde Paul Antschel endlich französischer Staatsbürger. Allerdings erfolgte die Einbürgerung unter diesem Namen. Immerhin war er jetzt kein staatenloser Zuwanderer mehr. Auf dieser Grundlage konnte ihn der Germanist an der Sorbonne, Claude David, beim Nachruf 1970 als den »größten französischen Dichter deutscher Sprache« bezeichnen. Zu alledem kam ein notwendig gewordener Wohnungswechsel. Celans Schwiegermutter, Odette Marquise de Lestrange (1898–1988), hatte im Vorjahr den gesamten Familienbesitz, darunter das Haus in Rue der Rue de Lota verkauft und trat nun als Schwester Marie Edmond (in Erinnerung an ihren ein Jahrzehnt zuvor verstorbenen Mann Edmond Marquis de Lestrange (1885–1943) in die Congrégation des Servantes de l’Agneau de Dieu in Brest ein. Sie vermachte, dem Armutsgelübde folgend, ihren Besitz den Töchtern und dem Kloster. Celan konnte nun mit seiner Frau und dem am 6. Juni geborenen zweiten Sohn, Claude François Eric, in die bisherige Wohnung der Schwiegermutter, 29bis Rue de Montevideo, einziehen, wo eine der Schwestern Gisèles bereits wohnte. Für die kommenden zwei Jahre waren zwei der vier Zimmer dort ihre immer noch ziemlich beengte Bleibe. Zur Geburt von Eric bemerkte der Vater in einem Brief an Klaus Demus : »am Tag des heiligen Klaus, das merkte ich aber erst später, – und Claude heißt er nach dem Freund, dem einzigsten, seines Vaters. Nun steht er [Eric] mitten in unserm Hoffen«370. Gleichfalls große Freude bereitete das Erscheinen der zweiten Gedichtsammlung Von Schwelle zu Schwelle mit 47 der in den Jahren seit der Begegnung mit Gisèle entstandenen Gedichte. Insbesondere der erste Zyklus, Sieben Rosen später betitelt, verdankt seine Entstehung der zwischen Gisèle und Paul sich herausbildenden großen Liebe. Ihr ist darum mit gutem Recht das Buch gewidmet, zumal sich in der Folge auf dieser Grundlage eine enge künstlerische Arbeitsgemeinschaft zwischen den Ehepartnern entwickelte. Celan unterstrich in einem Brief an die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) zur Wahl des Titels : »Damit ist, so glaube und hoffe ich zumindest, außer einem gewiß nicht unwesentlichen Zug des Dichterischen, seinem liminaren Charakter nämlich, auch das Nie-zurRuhe-Kommen des Poetischen angedeutet«371. Celan bewegte sich immer, wie Jean Bollack einmal sagte, am Rande der »Erforschung des Unbewußten«372. Deswegen lebte er in starkem Maße in und mit der Weiterentwicklung seiner Dichtung. Er suchte die fortschreitende Re122 |
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duktion des Ausdrucks und damit verstärkt die Konzentration auf das einzelne Wort. Härte, Verkürzung und strenge Gliederung. Celan wird, wie Marie Luise Kaschnitz bemerkte, »immer leiser und zögernder, […] sparsamer und zarter« im Ausdruck373. Mit den Metaphern und Reimen, gehen die Artikel, Verben und Genitivattribute zurück, wie überhaupt die ›lyrische‹ Beschreibung. Strenge Wortreihen und eine Versifikation, die zur Reflexion herausfordert, beginnen sich abzuzeichnen. Das war der Auftakt seiner neu gewonnenen ästhetischen Konzeption. Allerdings zeigte Celan sich als Autor äußerst unzufrieden mit der neu besetzten Verlagsleitung. Verstimmt berichtete er Klaus und Nani Demus hierzu : »[…] und ärgere mich über den Vertrag, den die DVA mir geschickt hat, ein Dokument der Profitsucht, das sich schön in den Kontext des deutschen Wirtschaftswunders fügt !«374. Zum Trost lobte Klaus Demus das neue Buch überschwenglich : Dieses Buch ist ein Wunder, Paul. […] Daß die Wahrheit solche Bilder hat. […] Wieviel Jubel und unauflösbare Entzückungen sind hier unerschöpflich gebannt in den steinernsten Schmerzgrund, welche Schneisen noch in die Klarheit geschlagen, welche Dunkelheiten zu Sternbildern gemacht375.
In der Tat schätzte Klaus Demus die Bedeutung des Bandes »Von Schwelle zu Schwelle« zutreffend ein. Die darin versammelten Gedichte bilden den organischen Übergang von einer poetisch ausgeprägten zu einer immer präziser, immer »nüchterner, faktischer« werdenden Handhabung des sprachlichen Ausdrucks376. Allerdings muß man sich hierbei darüber im klaren sein, daß das, was manch einem oder einer dunkel erscheint, in Wahrheit durchaus transparent angelegt ist, sofern man sich die Zeit dazu nimmt. Überraschenderweise bekam Celan für die Zeit von Januar bis Mai 1956 eine feste Anstellung als Übersetzer beim Internationalen Arbeitsamt (Bureau International du Travail) in Genf. »Um des lieben Geldes willen« nahm er an, obgleich es sich, wie er betonte, um »eine recht unerfreuliche Stelle« handelte377. Der so Schreibende war während dieser Phase ziemlich deprimiert. Er mußte an und vor allem in sich konstatieren : »In mir ist’s stumm geworden, kaum eine Zeile seit über einem Jahr, kaum ein richtiger Gedanke«. Wenn man weiß, worin seine Tätigkeit bestand, leuchtet seine Ablehnung unmittelbar ein : »Ich übersetze Berichte über die Frage der Arbeitszeitverkürzung, Geschäftsordnungen, Satzungen, Übereinkommen, Empfehlungen und dergleichen mehr. Und lese keine Zeile und schreibe keine Zeile.«378 Die zweite Phase in Paris, erster Teil (1952–1956)
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Im Sommer 1956 hielt er sich mit Gisèle und Eric in der familiären ›Mühle‹ in Rochefort-en-Yvelines auf. Aber unter der Einwirkung der Machenschaften seitens der Witwe Goll steigerte sich sein »trostloser Zustand«. Er schrieb dem Freund Demus : […] schwer für mich, der ich mir keinen Rat weiß, schwer für Gisèle, die all dem zusehen muß. Aber neben uns wächst das Kind heran und sieht aus großen dunklen Augen in eine sich immer weiter auftuende Welt, das ist der Trost und die Hoffnung. […] Du erinnerst Dich wohl noch, daß ich drei französische Gedichtbände von Goll übersetzte und daß Claire G. den ersten davon dann ›neu‹ übersetzte und herausgab. Nun ist wohl mit weiteren ›Neuübersetzungen‹ zu rechnen. Aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an : ich wollte, ich hätte nie eine Zeile von G. übersetzt ! Nun bin ich sozusagen in die Lage versetzt, meine ›Unschuld‹ zu beweisen. […] Oder soll ich das einfach geschehen lassen ? Oder den sogenannten Rechtsweg bestreiten ? Daß man solchem Gesindel begegnen muß !379
Eine wahrlich verzweifelte Lebenssituation als angeblicher Plagiator ergab sich für Celan aus der unsäglichen ›Goll-Affäre‹. Das Ganze zehrte, wie sich denken läßt, bei seiner hohen Empfindungsfähigkeit beträchtlich an seinem Gemütszustand und somit an seiner Lebensenergie. Leider trog seine böse Vorahnung nicht, daß es noch schlimmer kommen würde. Hierzu äußerte er sich gegenüber Paul Schallück wie folgt : Was die Sache C. G. betrifft, so ist sie […] noch um einige Grade infamer, als mir bisher bekannt wurde. Wie die Dinge stehen, kann ich nichts mehr veröffentlichen, ohne das Risiko einzugehen, das Publizierte zumindest fragmentarisch und mehr oder minder verkleidet als Gollschen ›Nachlaß‹ in irgendwelchen Einzelausgaben oder ›Gesamtwerken‹ auftauchen zu sehen380.
Wie berechtigt diese Befürchtung war, zeigte sich schon bald danach. Hinzu kam die an Celans Nerven zehrende, ihn innerlich stark berührende Übersetzerarbeit für die deutsche Fassung des seit Dezember 1955 vorliegenden Dokumentarfilms Nacht und Nebel (Nuit et brouillard) von Alain Resnais über die nazideutschen Vernichtungslager mit der Gegenüberstellung von schwarzweißem Archivmaterial und farbigen Dokumentaraufnahmen von Auschwitz. Das zu übersetzende Drehbuch des Films stammt von dem Widerstandskämpfer und ehemaligen Häftling in Mauthausen Jean Cayrol (1911–2005), dessen Gedichtsammlung Poèmes de la nuit et du brouillard (1945) Resnais zur Verfilmung 124 |
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angeregt hatte. Obwohl der Film seines hohen künstlerischen Wertes wegen sogleich den Jean-Vigo-Preis zugesprochen bekam und als französischer Beitrag für die Filmfestspiele von Cannes 1956 nominiert wurde, kam es zum Einspruch der deutschen Botschaft in Paris gegen diese Beteiligung an den Festspielen. Daraus erwuchs bedauerlicherweise eine längere Diskussion, bis sich am Ende das künstlerische Niveau des Films durchsetzte. Vor dem Hintergrund dieser unerfreulichen, ja deutscherseits beschämenden Debatte machte sich Celan an die Übertragung des kommentierend angelegten Drehbuchtextes von Cayrol für die deutsche Fassung. Obwohl er die Gedichte Cayrols als »recht alberne Poesien« bezeichnete, fand er dessen Text zum Film »in jeder Hinsicht in Ordnung und wirklich sehr eindrucksvoll«381. Das war sein, ihm wichtiger Anteil an der Diskussion um diesen Film. Zwar bekam Celan zur gleichen Zeit erstmals einen Preis zugesprochen in Gestalt des Literaturpreises des Kulturkreises im Bundesverband der deutschen Industrie. Aber er wurde dieses Ereignisses nicht froh, weil bei der Preisverleihung auch Friedrich Sieburg, der Autor des Bestsellers Gott in Frankreich ? und Ressortchef der FAZ, ausgezeichnet wurde. Celan berichtete darüber Schroers wie folgt : ich bin aus Lübeck zurück [Ort der Preisverleihung] – mit wunder Seele. Denn teuflischerweise habe ich den Preis zusammen mit Sieburg bekommen. Ich weiß nicht, ob Dir bekannt ist, daß S. 1941 in Paris einen Vortrag hielt, in dem er der Hitlerei kräftig das Wort redete382 – ich wußte es, als ich in Lübeck an einem Tisch mit ihm zu sitzen kam. Und ich habe an diesem Tisch gesessen – und nichts gesagt. Und darf mich jetzt schämen und ratlos sein.
Fortgesetzt mußte der Betroffene der Shoah die zwiespältige Erfahrung machen, was es in der deutschen Öffentlichkeit bedeutet, als jüdischer Dichter deutscher Sprache aufzutreten.
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Exkurs : Celan als Übersetzer
S
tets lebte und arbeitete Celan im alles verdunkelnden Schatten schmerzlicher Erinnerungen wie auch, eng damit verbunden, in einer ungewissen Zukunft. Dieser quälende Dauerimpuls bestimmte seine Existenz in der jeweiligen Gegenwart. Einen stabilisierenden Ausgleich hierzu brachten bis zu einem gewissen Grad, wenigstens punktuell, seine Beziehungen zu Frauen und allemal in ganz besonderer Weise der Umgang mit poetischen Texten anderer Dichter. Wenn er, wie das oft der Fall war, keine eigenen Gedichte schreiben konnte, pflegte er sich gerne in die Gedichte von Kollegen zu vertiefen. Denn er war wie nur wenige Dichter seiner Generation in der gesamten Weltliteratur zu Hause. Ständig suchte er diese anregende, für ihn existentielle Begegnung. Nicht selten führte das von ihm praktizierte Prinzip intensiver Aneignung dazu, die geistige Aufnahme zu direkter Übernahme in Gestalt der Übertragung in die eigene Sprache zu steigern. Denn diese Art der Interpretation erfordert zugleich die äußerst anspruchsvolle Umformung in eine neue, dem Original möglichst entsprechende Gestalt. Celan fand dafür den treffenden Begriff der »fremden Nähe«383. Sie soll Klang und Bedeutung, Form und Inhalt des ursprünglichen Textes in der anderen Sprache getreu wiedergeben. Deswegen bemühte sich der auf solche Genauigkeit bedachte Übersetzer Celan allemal um eine »gegenseitige Durchdringung von Dichten und Übersetzen«. So sehr er Zwei- oder gar Mehrsprachigkeit in der Dichtung ablehnte, so sehr befürwortete er die Auseinandersetzung mit anderssprachiger Literatur. Viele Dichter anderer Sprachgebiete machte er sich zu Weggefährten. Der Umgang mit ihnen wurde dann, besonders durch seine Arbeit als Übersetzer, wirklich »ein unauslöslicher Bestandteil des Celanschen Werkes«384. Insofern kann man Axel Gellhaus zustimmen, wenn er zu der Feststellung kommt : Es entsteht nicht nur eine kleine Bibliothek der Weltliteratur, […] es entsteht eine biographische Spur, ein Lebenskonzept, zahlreiche Begegnungen in der Spannung von Fremdheit und Nähe. Wahlverwandtschaften zeichnen sich ab. Es ist, als ob sich das dialogische Prinzip, das Celan für seine eigene Dichtung in Anspruch genommen hat, hier, beim Übersetzen, selbst vollzieht385.
Celan lebte zwischen den Sprachen, aber in erster Line, sofern es um Poesie ging, in der deutschen Sprache. An den Schweizer Literaturkritiker Werner Weber 126 |
Exkurs : Celan als Übersetzer
(1919–2005) richtete er, unter Verwahrung gegen die nicht wenigen »Pseudophilologen, die, wenn sie Übertragungen von Gedichten lesen, irgendein vermeintlich ›höheres Esperanto‹ im Auge haben«, die klärenden Worte : Denn die Sprachen, so sehr sie einander zu entsprechen scheinen, sind verschieden – geschieden durch Abgründe. […] Ja, das Gedicht, das übertragene Gedicht muß, wenn es in der zweiten Sprache noch einmal dasein will, dieses Anders- und Verschiedenseins, dieses Geschiedenseins eingedenk bleiben.
Und weiter : Bedenken Sie […] die Vielsilbigkeit, die Schwersilbigkeit des Deutschen im Vergleich zum Französischen ! Daß es mir gelang, unter Hinzunahme einer einzigen Silbe auszukommen, d. h. das im Französischen Wort Gewordene noch einmal in seiner dichterischen – dichterischen – Wörtlichkeit zu aktualisieren : das danke ich – verzeihen Sie die Emphase –, das danke ich […] den Göttern386.
Einen Beleg hierfür liefert nicht allein die Übertragung des Trunkenen Schiffs, sondern liefern auch die beiden den Übersetzungen gewidmeten Bände der 1983 erschienenen Gesammelten Werke (Bd. IV : aus dem Französischen ; Bd. V : aus dem Russischen, Englischen und Amerikanischen, Italienischen, Rumänischen, Portugiesischen, Hebräischen), in denen Celans Übersetzungen von über vierzig Autoren aus sieben Sprachen in direkter Gegenüberstellung mit den jeweiligen Originaltexten zusammengefaßt sind. Sie verdeutlichen, was wiederum Gellhaus zum Übersetzen Celans konstatierte : »Dieses konstante Begleitphänomen ist der Horizont, der sich um das poetische Werk Paul Celans legt – oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen, die Beleuchtung unter der seine eigenen Gedichte Kontur gewinnen«387. Das war so, weil er sich nicht allein um philologische Stimmigkeit bemühte, sondern ebenso immer danach strebte, zugleich »das Dichterische am Gedicht zu übersetzen«388. Man kann heute ohne weiteres sagen, daß die literarischen Übersetzungen einen Teil von Celans dichterischer Arbeit darstellen und daß er zu den großen poetischen Übersetzern gehört. Die hierzu nötigen Voraussetzungen verdankte der Mann aus dem vielsprachigen Czernowitz der ›Nach-Habsburger-Zeit‹ nicht zuletzt den ungemein förderlichen Rahmenbedingungen seiner Sozialisation. Von Geburt an wuchs er in vier Sprachen auf : Deutsch, Rumänisch, Hebräisch und Jiddisch. Der Schulunterricht brachte erste Kenntnisse in Englisch sowie die alten Sprachen, Latein und Exkurs : Celan als Übersetzer
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Griechisch hinzu und vor allem das Französische, das zudem die von vielen angestrebte Bildungssprache Rumäniens war. Man kann also wirklich sprachliche Vielfalt konstatieren. Nach dem Abitur studierte Celan sogar kurzfristig Romanistik und, sicher Shakespeares wegen, Anglistik. Die komplizierten Lebensumstände und die außergewöhnliche Leichtigkeit, mit der er Sprachen erfaßte, trugen das ihre dazu bei, Celan in der Mehrsprachigkeit so zu schulen, daß er sich unschwer von einer Sprache in eine andere bewegen konnte. Er war der geborene Dolmetscher. Das, im Verein mit der Fülle seiner literarischen Interessen, prädestinierte ihn zum Übersetzer, der dann sogar später auch Texte von Giuseppe Ungaretti und Fernando Pessoa aus dem Italienischen oder Portugiesischen mit ästhetischem Feingefühl übertragen konnte. Bereits in der Schulzeit liebte er es, Sonette von Shakespeare und Verse von Baudelaire, Verlaine, Rimbaud oder Mallarmé im Freundeskreis vorzutragen. Naturgemäß mußte er dabei immer wieder auch Übertragungen dieser Texte mitliefern. Das war der Auftakt. Als dann Czernowitz im zweiten ›Russenjahr‹ der Diktatur Stalins anheimfiel, kam, zunächst zwangsläufig, das Russische hinzu. Aber bald schon lernte Celan die russische Literatur besonders schätzen. Mit verblüffender Schnelligkeit machte er sich diese alles andere als leichte Sprache zu eigen. Während des Aufenthalts in Bukarest waren seine Kenntnisse schon so weit entwickelt, daß er in der Lage war, beim Verlag Cartea Rusă (Das russische Buch) als Übersetzer russischer Literatur angestellt zu werden. In seiner Freizeit übersetzte er ebenso russische und einige deutsche literarische Texte, vor allem Kafka, ins Rumänische. Ansonsten aber war die Zielsprache seiner poetischen Übertragungen immer das Deutsche. Seit 1946 betrieb Celan das Übersetzen systematisch. Lange Zeit war das sein Haupterwerb. Aus diesem Grund beschränkte sich die Übersetzerarbeit Celans keineswegs auf die Gattung Lyrik. Hinzu kamen beispielsweise, neben essayistischen Prosatexten, ein Drama Picassos aus der Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich, ein Filmdrehbuch sowie zwei Kriminalromane Simenons. Die nachstehende, nicht vollständige Liste389 der veröffentlichten Übersetzungen vermittelt einen Eindruck vom Umfang dieser Arbeit. 1946
1949 1950
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Michail Lermontow Ein Held unserer Zeit Verlag Das russische Buch (vom Russischen ins Rumänische) Anton Tschechow : Die Bauern (dito) Konstantin Simonow : Die russische Frage (dito) Jean Cocteau : Der goldene Vorhang. Brief an die Amerikaner. Yvan Goll : Drei Gedichtbände (nicht veröffentlicht ; von Claire Goll benutzt für ihre Ausgabe und danach mißbraucht im Rahmen der ›Goll-Affäre‹)390
Exkurs : Celan als Übersetzer
1953 1954 1955 1956 1958 1959
1960 1961 1963 1966 1967 1968
1970
Emile Michel Cioran : Die Lehre vom Zerfall Pablo Picasso : Wie man Wünsche beim Schwanz packt.391 Georges Simenon : Hier irrt Maigret und Maigret und die schrecklichen Kinder. Zwei Kriminalromane392 Jean Cayrol : Drehbuch zum Film Nacht und Nebel von Alain Resnais393 Alexander Block : Die Zwölf Arthur Rimbaud : Das trunkene Schiff394 Ossip Mandelstamm : Gedichte René Char : Hypnos. Aufzeichnungen aus dem Maquis395 Jean Bazaine : Notizen zur Malerei der Gegenwart Paul Valéry : Die junge Parze396 Sergej Jessenin : Gedichte Jean Cayrol : Im Bereich einer Nacht Drei russische Dichter : Alexander Block, Ossip Mandelstamm, Sergej Jessenin397 Henri Michaux : Wer ich war. Gedichte398 William Shakespeare : Einundzwanzig Sonette399 André du Bouchet : Vakante Glut. Gedichte Jules Supervielle : Gedichte Giuseppe Ungaretti : Das verheißene Land. Das Merkbuch des Alten Jacques Dupin : Die Nacht, größer und größer
Wie man sieht, finden sich in dieser Übersicht neben zahlreichen hochliterarischen Werken oder anspruchsvollen theoretischen Texten durchaus auch Übersetzungen des Broterwerbs. Celan war eben aus materiellen Gründen gezwungen, nebenbei weniger poetische Aufträge anzunehmen. Aber das Gros seiner Übersetzerarbeit ist eindeutig auf Gedichte poetischer Sinntransportation und damit höchsten Anspruchs konzentriert. Hinzu kommt sodann die große Zahl einzelner oder mehrerer Gedichte unterschiedlicher Autoren, so daß die Zusammenfassung all dieser Texte zwei umfängliche Bände der Gesammelten Werke füllt. Wir treffen hier auf eine unerwartet große Zahl literarischer Begegnungen und spannungsvoller kultureller Transformation in den Gedichten einer ganzen Reihe wegweisender Repräsentanten der Moderne. Unbedingt gehört dieses lyrische Miteinander zum Spektrum der künstlerischen Gestaltungskraft des Dichters. Das sei in der Folge überprüft am konkreten Beispielfall eines allerdings großen und längeren Gedichts. Ein beträchtlicher Teil der Gedichtübertragungen Celans aus dem Französischen ist in der zweiten Hälfte des Jahres 1957 entstanden. Als wesentliche Ausdruckselemente des ihm eigenen poetischen Interesses Exkurs : Celan als Übersetzer
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haben sie naturgemäß viel zu tun mit der eigenen dichterischen Arbeit. Hinzu kommt, daß er damals um den allmählichen Aufbau einer neuen Poetik und insofern um die Erarbeitung und Schaffung einer neuen Sprachebene bemüht war. Ersichtlich sollte die einschneidende Sprachmutation in der Begegnung und im Einvernehmen mit den künstlerischen Wegbereitern geschehen. Sein Interesse war dabei auf sehr unterschiedliche Werkzusammenhänge gerichtet. Celan übersetzte, unter anderem, lyrische Texte von Apollinaire, Artaud, Baudelaire, Breton, Césaire, Char, Desnos, Éluard, Maeterlinck, Mallarmé, Michaux, Nerval, Supervielle und nicht zuletzt – Ende Juli bis Anfang August 1957 – von Arthur Rimbaud (1854–1891). Besonders dessen 1871, also mit noch nicht siebzehn Jahren, entstandenes programmatisches Gedicht Le bateau ivre (Das trunkene Schiff) forderte seine künstlerische Energie heraus. In einem Brief an Petre Solomon schrieb er, der damals mit den Gedichten der bald danach erscheinenden Sammlung Sprachgitter (1959) beschäftigt war : Ich habe eine Reihe von Gedichten geschrieben, die irgendwie anders sind als die bisher veröffentlichten, habe übersetzt – außer einigen unwichtigen Büchlein, die man zu übersetzen gezwungen ist – eine Reihe von französischen Gedichten, darunter auch ›Das trunkene Schiff‹.
In Klammern fügte er, keineswegs bescheiden, hinzu : »die erste echte deutsche Fassung«400. Er äußerte das im Wissen um die nicht wenigen, damals schon existierenden deutschen Übertragungen dieses Gedichts durch vorzügliche Übersetzer wie Karl Ludwig Ammer (1907), Paul Zech (1914), Theodor Däubler (1919), Alfred Wolfenstein (1930), Walter Küchler (1946), Wilhelm Hausenstein (1950) und andere mehr. Selbstbewußt setzte Celan ihnen seine eigene Lösung entgegen401. Denn er stimmte wohl mit der Auffassung Hans Magnus Enzensbergers überein : »Was nicht selber Poesie ist, kann nicht Übersetzung von Poesie sein«402. So wird jedenfalls verständlich, warum er beim Verlag noch im Jahr der Erstveröffentlichung mit dem vielsagenden Hinweis darauf drängte, eine Neuauflage herauszubringen : »Ich hänge zu sehr an dieser Arbeit«403. Schon kurz vor der Publikation hatte er seine Version an Klaus Demus zur Beurteilung geschickt mit dem aufschlußreichen Hinweis : Klaus, mir ist, so glaube ich, ein ›Wurf‹ geglückt : Die Übersetzung des ›Bateau Ivre‹. Zwei merkwürdige Tage waren’s – am dritten kam dann noch die letzte Strophe hinzu. Hier ist das Schiff nun – sag mir, was Du davon hältst. Sei objektiv !404
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Exkurs : Celan als Übersetzer
Klaus Demus ließ wenige Tage später wie folgt von sich hören : Ein Wunder hast Du geboren, und ich sage es objektiv : ein Wunder. […] Das glücklichste Zeichen ist : Deine Übersetzung hat Distanz ; bleibt nicht vom Text gebannt und erläutert nicht. Diese glückliche Haltung, die nur einem wahren Dichter zu Gebot ist, schuf mehr, schuf ein zweites Gedicht. Man würde schwören, dies könne keine Übersetzung sein. […] Zwar gibt es Stellen, wo ich den deutschen Text gesprochener, lockerer finde, aufgelockerter sogar, großzügig im Verbrauch von selbständigen Sätzen und Halbsätzen gegenüber der verknüpfenderen, bindenderen, konglomorathafteren Art des Französischen. […] Die Leistung, Paul, wird Deine Übersetzung, ich glaube es, für immer fixieren. Welch ein Gewinn, diesem Stück im Deutschen endlich Heimatrecht gegeben zu haben !405
Das war natürlich eine große Ermutigung, zumal der Verkaufserfolg dieses Urteil nachdrücklich bestätigte. Celan selbst war hinsichtlich seiner Übersetzung ohnedies der festen Überzeugung : »Alles ist gewahrt, Wort, Gestimmtheit, Gestalt«406. Wie ist diese intensive Annäherung zu erklären ? Sicherlich identifizierte sich Celan vorrangig mit dem, was Alfred Wolkenstein zu Rimbaud anmerkte : Er ist ein ahasverisches Phänomen, […] ein rücksichtsloser Vorläufer der Wahrheit unter den Dichtern […] und als Anti-Poet [»merde pour la poésie !«] Vorläufer einer neuen unmittelbaren und hintergründigen Kraft407.
Ebenso dürfte die von Bertolt Brecht für Rimbauds Dichtung konstatierte »Umgruppierung nach dem optischen Gesichtspunkt« eine Rolle gespielt haben, weil sie »eine neue Optik in die Literatur gebracht hat«408. Es waren mithin gleichermaßen thematische wie formale Komponenten, die den Aneignungsprozeß beförderten. Walter Benjamin hat dazu einprägsam formuliert : »Wer übersetzt, arbeitet in zwei Sprachen. Sein Material – vielmehr sein Organ – ist neben seiner Muttersprache nicht sowohl der fremde Text, als vielmehr dessen Sprache«409. Für diese ebenso spannungsvoll wie riskant oszillierende geistige Bewegung brachte Celan, wie erwähnt, in hohem Maße die nötigen Voraussetzungen mit. Permanente Grenzüberschreitungen waren dem Heimatlosen nur allzu vertraut. Das »Nah-Gefremdete«410 war der Rahmen, in dem er lebte. Wie der Prozeß der sprachlichen Transformation und damit der Aneignung genauer verlaufen ist, soll nun durch einen Vergleich von Original und Übersetzung ermittelt werden. Zunächst einige Bemerkungen zum Original. Le bateau ivre ist das letzte in seiner Geburtsstadt Charleville in den französischen Ardennen entstandene GeExkurs : Celan als Übersetzer
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dicht Rimbauds. Es thematisiert eine Rückschau. Formal bewegt sich der junge Autor auf den ersten Blick durchaus im Rahmen der Konvention. Die 25 Strophen mit jeweils vier Verszeilen, mithin hundert Verse, bestehen aus über Kreuz gereimten (abab) Alexandrinern. Genaueres Hinschauen offenbart dann rasch, wie in Wahrheit die staccatoartig herausgeschleuderten Sätze und Exklamationen in die Versordnung hineinschneiden und dergestalt ihrem Ausdruck ungewohnten Freiraum schaffen. Getragen vom offen schwingenden Satzakzent mit seinen variablen Tonstellen, stützt das regelnde Metrum die hochkomplexe Konstruktion einer lyrischen Rückschau, in welcher der Autor darangeht, sich reflektierend seiner selbst und der Welt im Hinblick auf die Zukunft zu vergewissern. Was der damals Siebzehnjährige empfand, dachte und schreibend festlegte, ist weit mehr als bloße Introspektion. Der noch sehr junge Dichter entwirft hier, Erinnerung und Vision zusammenführend, einen eigenen Weltmythos. Ein eigenartiges Medium kommt dabei ins Spiel : ein vagabundierendes Schiff, eben »das trunkene Schiff«. Auf diese Weise artikuliert der Dichter jugendliche Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. So wird er zum Verkünder einer generellen Botschaft des existentiellen Aufbruchs, der Grenzüberschreitung und insofern auch eines radikalen Bruchs. Zweifellos war es Ausfluß beträchtlicher Originalität, ein herrenlos dahintreibendes Schiff zum Organ eines neuen Sprechens zu machen. Als Erster hat Verlaine Kühnheit und Genialität dieses Einfalls erkannt. Er, wie dann auch die Surrealisten, spürten, daß hier ein Künstler arbeitete, der wie kaum je zuvor die Wirklichkeit in Zweifel zieht und dabei trennscharf die Konturen einer neuen Welt offenlegt. Kein selbstberauschter Ästhet in der Art der Parnassiens war hier am Werk, sondern ein noch sehr junger Mann, getrieben von der jähen Erkenntnis einer alles verwandelnden existentiellen Grenzüberschreitung, die ihn, mit der Publizistin Gisela Uellenberg zu sprechen, »in Rausch und Vernichtung, Verzauberung und Entsetzen führte«411. Es war diese rauschhaft empfundene, letztlich bittere Erfahrung, die Rimbaud zu seinem kunstvoll gebauten Gedicht brachte, das in erster Linie von seiner poetologisch begründeten Bildlichkeit lebt. Damit gelang dem jungen Dichter jene »härteste Negationsleistung«, von der Walter Höllerer sagte, sie bestehe darin, »von uns selber zunächst abzusehen« ; dann allein sei es möglich, »aus den verschiedenen Wahrnehmungen […] eine mögliche Welt um uns aufzubauen« und »auf diesem Weg zu erreichen, daß wir sichtbar werden«412. Damit sind wir bei dem, was Rimbaud meinte, als er die Parole »Ich ist ein Anderer« (»Je est un autre«) in die Welt setzte. Nach der Deutung Jean-Paul Sartres besagt die forsch vorgebrachte Formel, daß der noch unfertige Künstler dadurch mit Erfolg »versuchte, sein eigener Schöpfer zu werden«413. 132 |
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Die Frage stellt sich deshalb : Worin besteht das »Eigenschöpferische« des großen Gesangs vom »trunkenen Schiff« ? Da ist zunächst die für das Entstehungsjahr 1871 wesentliche Tatsache der unerwarteten Niederlage Frankreichs und damit des definitiven Endes der Monarchie in unserem Nachbarland. »Revanche pour Sedan« wurde zum nationalen Kampfruf notwendiger Erneuerung. In dieselbe Richtung geht, Paul Verlaine zufolge, die völlig neue Bildlichkeit und Symbolik, wie sodann der Traum von neuer Kraft (»du künftige, du Kraft« < »ô future Vigueur« ; V. 88) des in wilden Sätzen artikulierten »Verlangens nach Abenteuern fern von allem Bekannten«414. Vor allem aber ist da die desillusionierende Wucht einer poetischen Vision, die uns die kommenden Schrecken ahnen läßt : »ins Nächtige, ins Nächtigste« < »ces nuits sans fond« (V. 87) sowie : »wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr !« < »nager sous les yeux horribles des pontons« (V. 100). Erstmals hat mit diesem in lyrische Form gebrachten orgiastischen Erfahrungstaumel die von Henri Michaux beschworene »Wortwerdung des Untergangs« (»chute dans la verbalisation«) in Inhalt und Form Platz gegriffen. Es war Rimbaud, der mit seinem »Gedicht des Meers« (»le Poème / De la mer« ; V. 21–22) vor dem Leser eine unendlich weite Textlandschaft des »Berauschtseins vom Meer« entfaltete, wie Michel Butor in seinem Versuch über Rimbaud richtig bemerkt hat. Das trunkene Schiff ist, so Butors weitere Deutung, nichts anderes als »das Dichterschiff, in das er sich hineinprojiziert«415. Ziemlich genau deckt sich das mit dem Vorschlag von Roland Barthes, man solle das Trunkene Schiff unter dem Aspekt der Qualität des Sehens betrachten ; dann erkenne man : »das Schiff wird zum Auge des Reisenden, der sich dem Unendlichen anzunähern versucht« (»le bateau […] devient œil voyageur, frôleur d’infinis«). Insofern sieht Barthes im Schiff-Gedicht die »wahre Poetik der Erkundung« (»poétique véritable de l’exploration«). In der Tat weitet Rimbaud das alte Motiv der ›navigatio vitae‹ als der Metapher des Menschenlebens zum Bild eines neuen, sich freisetzenden, visionären Dichtens aus. Mit gutem Recht bezeichnete Stéphane Mallarmé gerade dieses Gedicht deshalb als ein »geniales Erwachen« (»éveil génial«). In drei Teilen läuft die gleichermaßen betörende wie verstörende Vision kaleidoskopartig ab. Erinnerungen einer in Fetzen gegangenen Wirklichkeit mischen sich mit den Bildern der Revolte gegen eine unerfüllte Kindheit und hauptsächlich gegen unerfüllt gebliebene Lebenshoffnungen. Im Rahmen der ersten fünf Strophen erfolgt die grundsätzliche Situierung der thematisierten »ivresse«, also des Trunken-Seins. Das einem Schiff zugeschriebene rauschhafte Erlebnis hebt an mit dessen Befreiung von den mit ihm befaßten Personen, seien es die Matrosen oder die Schiffschlepper, auch Treidler genannt. Alles Bisherige, Ort, Menschen, Dinge, wird angewidert zurückgelassen. Entschiedenermaßen löst die Exkurs : Celan als Übersetzer
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neue Befindlichkeit jenseits der Konventionen aber nicht etwa das Gefühl des Ausgestoßenseins aus, sondern vielmehr das sehnlich erwünschter Freisetzung (»mes éveils maritimes« ; V. 13). Gleich die erste Strophe zeigt, welchen Schwierigkeiten sich der Übersetzende ausgesetzt sieht. Die Gegenüberstellung des Originals mit der Übersetzung Celans macht das unmittelbar sinnfällig : Comme je descendais des Fleuves impassibles, Je ne me sentis plus guidé par les haleurs : Des Peaux-rouges criards les avaient pris pour cibles, Les avaient cloués nus aux poteaux de couleurs. Hinab glitt ich die Flüsse, von träger Flut getragen, da fühlte ich : es zogen die Treidler mich nicht mehr. Sie waren von Indianern ans Marterholz geschlagen, ein Ziel an buntem Pfahle, Gejohle um sich her.
Celan nimmt sich die Freiheit, Umakzentuierungen vorzunehmen. Die »ungerührten Flüsse« werden zu »träge fließenden Fluten«, deren Ausrichtung einen wichtigen Initialakzent setzt. Der Übersetzer verändert die beiläufig berichtend einsetzende konjunktionale Satzkonstruktion Rimbauds durch eine auffällige adverbiale Akzentuierung der das Gedicht im Ganzen bestimmenden Richtungsangabe : »Hinab«. Mit Vorliebe gebrauchte Celan diese Möglichkeit rezeptionslenkender Gedichtanfänge. Die im Original etwas schwache Zuschreibung (»pris pour cibles« > »zum Ziel genommen«) wird verschärft (»ans Marterholz geschlagen«). Das wiederum erlaubt dann die Abschwächung der »nackt Gemarterten« zum triumphierenden »Gejohle« der Indianer (»Des Peaux-rouges criards«). Wie man sieht, genügt Celans Anspruch keineswegs die einfache, lexikalisch halbwegs stimmige Übernahme. Was er für sich anstrebte, war ein wirkliches Über-Setzen, ein Hinübertragen, eine Neuschöpfung in getreuer Auslegung und Transposition von Form und Inhalt des Originals, aber ebenso in der Festschreibung der Differenz. Daß er damit den künstlerisch überzeugenden Weg gewählt hat, zeigt mit wünschenswerter Deutlichkeit ein Seitenblick auf andere Übertragungen. Prosaübersetzung von Bernhard Böschenstein und Jean Bollack : Wie ich gelassene Ströme hinunterkam, fühlte ich mich nicht mehr von den Treidlern gelenkt : schreiende Rothäute hatten sie als Zielscheiben gewählt, sie hatten sie nackt an die bunten Pfähle genagelt.416
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Übersetzung von Karl-Ludwig Ammer : Ich kam die reißenden Flüsse heruntergeschwommen : Da fehlten die Schiffszieher mit einemmal. Rothäute hatten sie sich zu Scheiben genommen Und nagelten sie an den Marterpfahl.417
Übersetzung von Paul Zech : Die reißenden Flüsse kam ich heruntergeschossen, da schleifte kein Schiffsknecht das Zugseil mehr, von den roten Barbaren an Pfähle geschlossen, lebendige Scheiben für Beilwurf und Speer.418
Übersetzung von Walther Küchler : Wie ich hinunterglitt die unbewegten Flüsse, Ward mir zu Mut, als würd meiner Treidler ich los : Rothäute, schreiend, hatten sie, Ziel ihrer Schüsse, An farbige Pfähle genagelt, nackt und bloß.419
Übersetzung von Wilhelm Hausenstein : Auf Strömen voller Gleichmut fuhr ich Schiff zu Tale. Von Schlepperknechten spürt ich nimmer mich geführt : Rothäute hatten sie am bunten Marterpfahle Als nackte Schützenscheiben schreiend festgeschnürt.420
Übersetzung von Sigmar Löffler und Dieter Tauchmann : Als ich hinunterschwamm gleichgültige Gewässer :, Da fühlt ich mich nicht mehr vom Treidlertrupp geführt : Rothäute hatten ihn als Ziel für ihre Messer Mit wildem Heulen nackt ans Marterholz geschnürt.421
Übersetzung von Thomas Eichhorn : Als ich hinabschoß, vom Gleichmut der Ströme getragen, Da fühlte ich das Leitseil der Treidler nicht mehr : Von schreienden Rothäuten an Pfähle geschlagen, Nackt, waren sie Scheiben für Messer und Speer.422
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Die sieben Beispiele zeigen die deutliche Absicht einer korrekten inhaltlichen Wiedergabe des Originaltextes. Am klarsten erkennbar wird das an der Prosaübersetzung, die auf die Nachbildung der formalen Gestaltung ganz verzichtet. Bei den übrigen Beispielen ist zwar die Bemühung um metrische Stimmigkeit und klare Reimfolge zu vermerken. In keinem Fall jedoch sind eigenständig haltbare Verse daraus geworden. Wir haben es mit thematisch mehr oder weniger gelungenen Hilfskonstruktionen zu tun, die natürlich als solche durchaus ihren Wert haben. Sie können allerdings allein für den des Französischen nicht Mächtigen erklärend neben die Originalfassung Rimbauds gesetzt werden. Dessen lyrischem Genie sind sie nicht gewachsen. Wesentlich anders ist indes die Beziehung zwischen Original und Übersetzung im Falle Celans. Er schreibt in Annäherung an Rimbaud ein neues Gedicht, das ohne »reißende« oder »gleichmütige« Flüsse, ohne »Rothäute« oder gar »rote Barbaren«, ohne »Scheiben, Messer und Speer« auskommt. Es ist so wie Klaus Demus anmerkte : Man würde schwören, dies könne keine Übersetzung sein, die Sprache, […] das Sprechende der Wendungen, das sofort als Gestalt im Ohr lebt : dies als dennoch das Resultat einer Übersetzung ist das Erstaunlichste, denn sie ist es im geschwisterlichsten Verhältnis423.
Celan leistet dichterische Übersetzung als Nach- und Mitdichtung in unbestreitbarer Vollendung. Er hat kurzerhand ein neues Gedicht geschrieben. Schleiermacher nannte das die »einbürgernde Übersetzung«424. Es wäre reizvoll, auf diese Weise den Gesamttext von »des Meers Gedicht«, wie es zu Beginn der sechsten Strophe heißt, und die verschiedenen Übertragungen genauer zu verfolgen. Allerdings erlaubt es der Umfang von hundert Versen im Zusammenhang dieser Biographie nicht, den gesamten Text so zu interpretieren. Wenigstens einige Beobachtungen seien, pars pro toto, erläuternd festgehalten. Zunächst zu den Eingangsstrophen (Strophen I–V). Die auktoriale Instanz vermittelt den Impuls der Freisetzung, indem sie das tragende Element der sich anbahnenden Aktion, das Schiff, zum Sprechen bringt. Unbeschwert, frei und wie gereinigt kann es sich auf den »Weg in die Ekstase« begeben, der ihm den »Weg der Erkenntnis« eröffnet425. Zugleich wird jedoch von Beginn an das Wissen um die drohende Auflösung evoziert (»der Draggen426 barst und sank« > »dispersant gouvernail et grappin« ; V. 20). Das Gedicht vermittelt eine Erfahrungsreise in der Tradition Homers und Dantes. Ganz unaufdringlich gewinnt sie im Kopf des lyrischen Subjekts die Dimensionen einer neuen Kosmologie. Die bis fast gegen Ende gebrauchte Perspektive der Vergangenheit signalisiert, daß über weite 136 |
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Strecken des Gesamttextes rückblickend berichtet wird. Erst ab Vers 84 (»Europa […] misse ich« > »Je regrette l’Europe […] ») wechselt die zeitliche Blickrichtung. Der Schluß gehört dann fast ausschließlich bestimmten Folgerungen im Präsens. Im ausgedehnten Mittelteil (Strophen VI–XVII) erfahren wir durch ein lyrisch-choreographisch angelegtes Wort- und Bildpanorama von all dem, was auf der exotischen Reise geschieht. Explizit wird der Leser in den Prozeß zersplitternder Erfahrungen einbezogen (»Savez-vous« > »Wißt ihr«, V. 45). Auf unser aller Bewußtsein hin ist somit letzten Endes der Text fokussiert. Der freigesetzte Erfahrungsraum öffnet sich dem generell angelegten Diskurs von Rausch und Tod. Einerseits eröffnen »Silbersonnen« und »Gluthimmel« (»soleils d’argent« ; »cieux de braises« ; V. 53), »Rhythmen und Delirien« (»délires et rythmes« ; V. 25/26) neue Perspektiven, andererseits weisen Bilder des Schreckens wie »wo greulich ein Wrack beim andern steht« (»Échouages hideux« ; V. 54) oder »ein Leichnam um den andern, der rücklings schlafwärts zog« (»Des noyées descendaient dormir à reculons« ; V. 68) auf Naturkräfte hin, die ein wissendes Sehen auslösen. In einer geballten Interaktion der Ausdrucksbereiche – Bilder, Symbole, Laute, Rhythmus, Klang, Farben, Bewegungen, Zeit und Raum – findet die Freisetzung aller Sinne ihren betörenden Niederschlag. Die dadurch herbeigeführte Intensivierung des Lebens und Erlebens ermöglicht es, gelegentlich das zu sehen, wovon Menschen sonst nur träumen (»Et j’ai vu quelquefois ce que l’homme a cru voir« ; V. 32 > »Und manchmal sah mein Auge, was Menschenauge träumt«). Dergestalt geht der Rauschdiskurs des Gedichts mehr und mehr in einen Traumdiskurs über. Offenkundig haben wir es in der Mittelpartie mit einem vom Autor bewußt eingebrachten Gegenmodell zum traditionellen Thema der Schiffsreise als Lebensreise zu tun. Rimbaud artikuliert seinen Aufbruch ins Unbekannte. Er macht sich dabei das distanzierende Mittel indirekter Vergegenwärtigung der abenteuerlichen Reise zunutze. Gleich zu Beginn des zweiten Teils, in der sechsten Strophe, befindet sich die poetologische Schaltstelle des Ganzen. An diesem Punkt hat Celan interessanterweise seine übersetzerische Arbeit mit dem Gedicht begonnen. »Des Meers Gedicht ! Jetzt konnt ich mich frei darin ergehen«, – mit dieser Eintragung in sein Arbeitsheft, setzte seine Arbeit an der Übertragung ein427. Denn das hier angesprochene »Gedicht des Meers« (»le Poème / De la Mer« ; V. 25/26) bedeutet für Celan nicht allein das »trunkene Schiff«, sondern ganz grundsätzlich die Dichtung oder, um noch einmal Michel Butor zu zitieren, »die freie Phantasie des Dichters«428. So sah es Rimbaud und ebenso sein über-setzender Partner Celan. Der tat gut daran, das Bild des Sich-Badens im Gedicht – »je me suis baigné dans le Poème« (V. 25) – abzuwandeln (»Jetzt konnt ich mich frei darin ergehen«), weil auf diesem Wege das Faktum kreativ beleExkurs : Celan als Übersetzer
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bender Freisetzung stärker artikuliert wird. Während Rimbaud die Aussage mit Enjambement zum nächsten Vers weiterzieht, bevorzugt Celan die Konzentration auf den Initialvers. Bei ihm geht die angesprochene Poetologie unmittelbar über in die direkt zu uns sprechende Poesie. Er suchte als Dichter mit seiner Sprache »Ereignis, Bewegung, Unterwegssein«429. Deswegen konnte er sich im hochelaborierten Textgefüge Rimbauds vorzüglich entfalten. Denn hier boten sich »Ereignis, Bewegung, Unterwegssein« geradezu dazu an, sich »frei darin [zu] ergehen«. Das vielschichtige Bild beispielsweise der »Grünhimmel« (V. 25 ; »les azurs verts« ; V. 23) macht die verblüffende Übereinstimmung von Original und Übersetzung sogleich evident. Zwar hält sich die Übersetzung an den genauen Wortsinn, formt ihn jedoch ebenso in starkem Maße um. Celan gibt sich nicht mit semantischer Äquivalenz zufrieden, sondern integriert den zu vermittelnden Ausdruck mittels der Fügung zum Kompositum sowie der Versetzung an den Versanfang seinem eigenen syntagmatischen Gestaltungsrepertoire. Das besagt : Er nimmt sich die Freiheit, die Beziehung sprachlicher Einheiten innerhalb der Darstellung ganz nach eigenem Gutdünken wiederzugeben. Ebenso gelungen erscheint die Ausweitung der Rimbaudschen Eigenprägung »lactescent« zum »milchigen Strahl« (V. 22), ferner die Pluralisierung des Ertrunkenen (»un noyé«, V. 24 > »Wasserleichen« ; V. 23) und ganz besonders die Anreicherung für »flottaison blême / Et ravie« (V. 23/24) zum »Treibgut, das versonnen und selig war und fahl« (V. 24). Den verlorengehenden Schlußakzent Rimbauds mit der bestimmenden Abwärtsbewegung (»descend« ; V. 24) kompensiert Celan durch die starke Betonung des »zur Tiefe Gehens« in Vers 23, zumal er diese Wendung durch Binnenreim klanglich noch heraushebt : »zur Tiefe gehen sehen«. An derartigen Lösungen läßt sich am besten ermessen, warum Celan der festen Überzeugung war, mit der Übertragung des Bateau ivre sei ihm »ein Wurf gelungen«. Besonders augenfällig wird Celans übersetzerische Leistung im wichtigen Vers 32. Er lautet bei Rimbaud : »Et j’ai vu quelquefois ce que l’homme a cru voir !« Celan transformiert den Sinn des Verses erheblich : »und manchmal sah mein Auge, was Menschenauge träumt«. Damit lädt er die verbale Struktur Rimbauds zu einer nominalen auf und verallgemeinert die rein subjektive Mutmaßung (»a cru voir«) zu einer vom Menschen ausgehenden, sicheren utopischen Erwartung (»was Menschenauge träumt«). Seine Übertragung intensiviert die an sich schon reiche Sprachwelt Rimbauds zur poetischen Erkenntnislandschaft. Beispielhaft für den Rang der Celanschen Übersetzung ist auch die Wiedergabe eines der härtesten Bilder unter Rimbauds reichhaltigem metaphorischem Register. Gemeint ist die suggestive Chiffre in der 12. Strophe : »Mêlant aux fleurs des yeux de panthères à peaux / D’hommes« (V. 46/47). Die Augen von Pan138 |
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thern in Menschengestalt (welches Symbol für Raubtierexistenzen unter den Menschen !) bilden einen unerträglichen Kontrast zu den Blumen als dem Sinnbild paradiesischer Idylle. Rimbaud hebt diesen Gegensatz hervor durch den Zeilensprung. Celan löst das adäquat, indem er ein denkwürdiges Kompositum bildet (»Des Menschenpanthers Augen«, sodann mit einem Gedankenstrich die Spannung des Enjambements im Original in die Versmitte zieht und so das Kontrastbild haltbar nachvollzieht : »Des Menschenpanthers Augen – den Blumen beigesellt« (V. 46). Er vermeidet so das auch bei einigen französischen Interpreten vorzufindende Mißverständnis, Pantheraugen und Menschenhaut getrennt voneinander zu sehen. Auch das letzte Verspaar des Mittelteils (V. 67/68) stellt für den Übersetzer eine besondere Herausforderung dar. Er muß sich mit der komplexen Aussage auseinandersetzen : »Et je voguais lorsqu’à travers mes liens frêles / Des noyés descendaient dormir, à reculons !«. Das ist alles andere als leicht zu verstehen. Wörtlich übertragen besagt das etwa : »und ich trieb weiter dahin, als zwischen meinen morschen/zerbrechlichen Planken/Spanten (Querverstrebungen am Schiffsrumpf) Ertrunkene rücklings zum (ewigen) Schlaf niedersanken«. Was Celan daraus gemacht hat, verdient hohe Anerkennung. Sich scheinbar weit vom Original entfernend, trifft er dessen Sinn genau : »Ich trieb mit loser Spante, ich schwamm und ward durchschwommen / ein Leichnam um den andern, der rücklings schlafwärts zog«. Das »Dahintreiben mit loser Spante« wird nicht nur unmittelbar aufgenommen (»ich trieb«). Vielmehr erfolgt eine Ausweitung, die aufhorchen läßt (»ich schwamm und ward durchschwommen«). Das schafft den notwendigen Vorstellungsrahmen für die »Leichname«, die, wie Celan formuliert, »rücklings schlafwärts« dahintreiben. Damit schreibt er dem Text das Ambiente des Todes als dem ewigen Schlaf ein und erreicht so einen Wendepunkt des Gedichts hinüber zum Schlußteil. Die sieben letzten Strophen (Strophe XVIII–XXV) haben es, wie man so sagt, ›in sich‹. Von grundsätzlicher Bedeutung ist der poetologische Exkurs in der 19. Strophe. Nichts anderes kommt da zur Sprache als das Kernproblem moderner Dichtung im Zeichen der ›nicht mehr schönen Künste‹. Bereits Rimbaud belobigte die »bons poètes« (V. 75), die sich auf die abstoßenden Eindrücke von »Sonnenflechten« und »azurnem Schleim« (V. 76) einlassen. Er, das, wie Butor sagte, »böse Genie«430, formulierte damit sein ästhetisches Bekenntnis. Mit den von ihm gewählten Bildern gibt er die selbstverursachten Deformationen einer Gesellschaft sinnfällig wieder, einer Gesellschaft, die sich eine höhere Ordnung suggeriert, ohne auch nur annähernd etwas für deren Verwirklichung zu tun. Man begreift, warum Celan gerade hier einhakt. »Sonnenflechten« und »azurExkurs : Celan als Übersetzer
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ner Schleim« prägen sich ein als Metaphern einer doppelbödigen Weltlage, die Schönheit fortgesetzt relativiert oder gar zerstört. Vor diesem Hintergrund wird der sich abzeichnende Schiffsuntergang (»bateau perdu« ; V. 69) zum Zeichen einer apokalyptischen Weltsicht wie zugleich einer neuen Ästhetik. Es war gewiß kein Zufall, daß sich Celan gerade zu dem Zeitpunkt mit Rimbaud beschäftigte, als er mit seiner ästhetischen Neuorientierung befaßt war. In der 22. Strophe entfaltet Rimbaud zunächst ein Tableau aus astralen Inselgruppen und einfachen Inseln (»j’ai vu des archipels sidéraux ! Et des îles«). Gewöhnlich wird das von den Übersetzern mit »Sternenarchipelen« wiedergegeben. Celan greift zu einer anderen, sinnerweiternden Lösung und reichert den Vers mit einem typischen Celanwort an : »Inselsterne« (»Und ich sah Inselsterne, sah Archipele ragen« ; V. 85). Auf diese Weise hebt er die Materialität des Inselbegriffs auf und lenkt die sprachreflexive Optik in einen auratisch aufscheinenden Bereich. Celans Inseln sind »sternüberflogen«431, ja mit Sternen identisch geworden und insofern in ihrer Darstellungsfunktion sprachutopisch ausgewiesen. Der aktivierende verbale Zusatz (»ragen«) bekräftigt die solchermaßen nach oben weisende Tendenz. Eine metaphorische Weiterführung bestimmt den nächsten Vers (V. 86). Der sich öffnende »Fieberhimmel« (für »cieux délirants«) – wiederum eine bezeichnende Wortprägung Celans – gibt der beschriebenen Schiffsbewegung eine destruierende Ausrichtung. Der danach gesetzte Gedankenstrich markiert die Verszäsur und bereitet die thematisch genau passende Lösung des zweiten Halbverses vor : »das Tor der Wanderschaft« (für »sont ouverts au voyageur«). Der »Fieberhimmel« wird demzufolge, durch Ausrufezeichen zusätzlich akzentuiert, zum Ziel der Lebensreise, zum »Tor der Wanderschaft«. Die Reflexion weiterführend, hebt ein zweiter Gedankenstrich die Frage heraus : »Hats dich dorthin ins Nächtige und Nächtigste verschlagen […] ?« Die gesteigerte Wiederaufnahme des substantivierten Adjektivs »nächtig« erzeugt in Verbindung mit dem verbalen Zusatz »verschlagen« eine dem sprachmedialen Bild Rimbauds vollkommen gleichwertige Ausdruckssituation (»Est-ce en ces nuits sans fond que tu dors et t’exiles« ; V. 87). Dem vergleichbar hält der Schlußvers der Strophe die schon zurückliegenden positiven Erfahrungen des trunkenen Aufbruchs noch einmal fest : »du goldnes Vogeltausend, du künftige, du Kraft« (für »Million d’oiseaux d’or, ô future Vigueur« ; V. 88)). Ein weiteres Mal geht Celan den Weg sprachutopischer Formulierung, weil sie den poetischen Impuls des Originals in sich trägt und mit gleicher Bedeutungsenergie reproduziert. Mit der 23. Strophe ist bewußtseinsmäßig der Punkt erreicht, an welchem das lyrische Ich definitiv die verzweiflungsvolle Lage als unumkehrbar erkennt. Eine fast trotzige Resignation kommt im ersten Vers zum Vorschein : »Doch wahr, 140 |
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genug des Weinens ! Der Morgen muß enttäuschen« (für »Mais, vrai, j’ai trop pleuré ! Les Aubes sont navrantes« ; V. 89). Daß keinerlei Hoffnung mehr besteht, bekräftigt die traditionelle Himmels-Metaphorik gleich im nächsten Vers : »Ob Nacht-, ob Tagsgestirne, keins, das nicht bitter wär« (»Toute lune est atroce et tout soleil amer« ; V. 90). Unter Beibehaltung des gleichen Zeitmotivs entscheidet sich Celan für eine konkretere Zuschreibung und gibt so der Aussage die spezifischere Bedeutung unmittelbarer Gültigkeit. Dementsprechend wird im zweiten Halbvers der Ausdruckswert der beiden Adjektive »atroce« und »amer« zur Negativformel kontrahiert. Damit wird die schlüssige Fortführung des Bildes einer sich ihrem Ende zuneigenden Lebensreise erreicht. Konkret ist damit der Wunsch nach dem Zersplittern des Schiffskiels und dem Versinken im Meer gemeint. Rimbauds imperativische Konjunktion (»Ô que ma quille éclate ! Ô que j’aille à la mer !« ; V. 92) transformiert Celan in eine direkt auffordernde Anrede : »O du mein Kiel, zersplittre ! Und über mir sei, Meer !«. Erneut sucht und findet er die konkretere Ausgestaltung der Bewegung des Versinkens und des Untergehens. Gegenüber der Vorlage akzentuiert dann Celan die Schlußstrophe auf interessante Weise um, indem er den personalen Träger der Handlung ganz ans Ende hin verlagert : »Nie komm ich da vorüber, wo sich die Fahnen blähen, / und wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr« (»Ni traverser l’orgueil des drapeaux et des flammes / Ni nager sous les yeux horribles des pontons« (V. 99/100). Damit stellt er einen Rückbezug zum Anfang des Gedichts her (»Hinab glitt ich die Flüsse […]«). Ohnehin setzt Desillusionierung noch deutlicher den Schlußakzent. Die adverbiale Schlußwendung (»nimmermehr«) gibt den Versen eine Ausdruckskurve in konsequent absteigender Linie. Insofern erscheint der übersetzte Text gegenüber dem Original noch schlüssiger. Die längere Lebenserfahrung des Übersetzenden erweist sich dabei bis zu einem gewissen Grad als klärende Grundlage. Celan weiß besser Bescheid über die endgültige Reise ins Aus als der geniale Jungdichter. Was Celans Lösung von den übrigen Übersetzungen des Trunkenen Schiffs unterscheidet, ist in erster Linie die Tatsache, daß er zwar wohl den Sinn des Rimbaudschen Textes, das Beschriebene in seiner Wörtlichkeit, nach Kräften wiederzugeben versucht, jedoch allemal den künstlerischen Anspruch in den Vordergrund rückt. Es ging ihm, wie er betonte, »vor allem darum, bei größter Textnähe das Dichterische am Gedicht zu übersetzen, die Gestalt wiederzugeben, das Timbre des Sprechenden«432. Bloße Wiedergabe des Sinns interessierte ihn nicht. Stets hütete er sich vor »falscher Wörtlichkeit«, wie Alfred Wolfenstein einmal zum Phänomen falscher Textnähe bemerkte433. Was Christine Ivanović Exkurs : Celan als Übersetzer
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im Hinblick auf Celans Auseinandersetzung mit den Texten Mandelstamms feststellte, gilt ebenso im Falle der Rimbaud-Übersetzung. Sie sagte : »Dichtung […] wird Celan zum eigenen Wort«434. Deswegen legte er größten Wert auf gestische Textkomponenten wie Klangkorrespondenzen, bildliche Vertiefung, Nachvollzug der rhythmischen Bewegung und strikte Wahrung der Form-InhaltDialektik. Um das leisten zu können, bedarf es abwägender Distanz, diskursiver Schärfe und unablässiger poetischer Reflexion. So allein kann ein Erfassen und Neuschreiben des anderen Textes, des Textes eines Anderen, überzeugend geleistet werden. Weil dem so ist, hat die Version Celans im Vergleich zu den Übersetzungen Anderer an keiner Stelle deren mehr oder minder stark die Wirkung lähmende Schwerfälligkeit oder Einseitigkeit. Hinzu kommt : Er hat bei seiner Übersetzerarbeit stets die Einheit des Originals im Sinn, geht nicht Wort für Wort oder Vers um Vers vor, sondern orientiert sich an den thematischen und formalen Leitlinien des Gedichts. Darum vermag er in dessen Tiefendimension vorzudringen. Aus dem gleichen Grund konnte die von ihm gefundene Version eine Art Wiedergeburt der poetischen Kreativität Rimbauds in der deutschen Sprache werden. Celan war eben als Übersetzer immer auch Dichter. Deswegen kapitulierte er im Falle der Übersetzungsversuche mit Gedichten der amerikanischen Lyrikerin Marianne Moore (1887–1972) nach verschiedenen Versuchen mit den ihn ehrenden Worten gegenüber dem Verleger Max Niedermayer vom Limes Verlag : […] ich holte das bereits Übersetzte hervor, um es gegen Ihre gerechtfertigten Vorwürfe abzuwägen – und mußte erkennen, daß es bei weitem nicht schwer genug war, ja daß es so gut wie überhaupt kein Gewicht hatte. Nein, die Poesie von Miss Moore will sich mir wahrhaftig nicht erschließen, der Schlüssel zu ihr bleibt unaufgefunden. Ich weiß jetzt nur allzu gut, wie sehr ich der Dichterin Unrecht täte, wenn ich mich darauf versteifte, weiter zu übersetzen. Denn was ich bereits übersetzt habe, ist Prosa, ein wenig zurechtgestutzt und rhythmisch arrangiert, aber immerhin doch nur Prosa435.
Ganz ähnlich äußerte sich Celan 1964 im Hinblick auf den von ihm bewunderten Spracherneuerer Rumäniens Tudor Arghezi (1880–1967). Kurz und knapp befand er : »Ich halte die Poesie Arghezis für unübersetzbar«436. Nicht zuletzt derartiger Fähigkeit zur Kritik und hauptsächlich zur Selbstkritik wegen wurde Celan zu einem der großen Übersetzer. Mit vollem Recht bezeichnete er sich als »Grenzgänger zwischen deutscher, jüdischer, romanischer, slawischer und angelsächsischer Kultur und Literatur«437. Befriedigt konnte er für sich notieren : »Ich übersetze weiter, ich übersetze für mich selbst, weil […] es mir Freude macht, 142 |
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weil es mich mit der eigenen Sprache vertrauter macht. Das gehört nun wieder zu dieser Sprachhygiene, nicht ?«438 Immerhin hat Celan den deutschsprachigen Lesern nicht nur die lyrische Welt von Rimbaud, sondern einen breiten poetischen Horizont der Literaturen von Rußland bis Portugal, von Großbritannien bis Italien und Israel eröffnet. Übersetzer seines Schlages haben Seltenheitswert. Man kann den von ihm erschlossenen lyrischen Fundus nicht hoch genug einschätzen.
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Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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eim deutsch-französischen Schriftstellertreffen in Vézelay im Mai 1956 führte Celan verschiedene Gespräche mit Kollegen über die gegen ihn von Claire Goll erhobenen Plagiatsvorwürfe. Allseits bekam er zu hören, er solle die Angelegenheit kurzerhand nicht so ernst nehmen. Aber diesen Vorschlägen zu folgen, war er einfach außerstande. Noch im selben Jahr wandte er sich bei der Suche nach Verbündeten unter anderen auch an Paul Schallück. Er schrieb ihm : Sie halten da einen recht voluminösen Brief in Händen. […] Es ist die Abschrift eines bisher noch unbeantworteten Briefes an Andersch, der eine Affäre zum Gegenstand hat, […] die in ihrer Niedertracht kaum ihresgleichen hat. Daß eine solche Infamie in Ost und West, bei Antisemiten und Stalinisten Verbündete findet, ist, glaube ich, kein Zufall439.
Deutlich läßt Celans Bekundung die zermürbenden Qualen ahnen, die gerade ihm, dem konsequent eigenständigen Dichter, ein derartiger Vorwurf bereiten mußte. Die ebenso abwegigen wie hinterhältigen Plagiatsvorwürfe Claire Golls prägten sein Leben damals und in der Folge fortgesetzt mit. Nicht zuletzt waren daran die zahlreichen Pressereaktionen schuld. Mit Recht hat die Herausgeberin des Buches über die ›Goll-Affäre‹, Barbara Wiedemann, in ihrer Einleitung festgehalten : »sein [Celans] Werk ist ohne Einsicht in das Geschehene nicht wirklich verständlich«440. Für Celan, den Juden, war klar, daß hinter alledem und obwohl Claire Goll ebenfalls Jüdin war, oft auch antisemitisches Denken und Handeln zugange war. Es gibt genügend Hinweise dafür, daß Judenfeindlichkeit bei der Beurteilung seiner Gedichte oder seiner Person in der Presse damals immer wieder eine Rolle spielte. Bei allen Aktionen, Begegnungen und Vorkommnissen in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre sollte man deswegen immer die ›Goll-Affäre‹ mitdenken. Ob Celan es wollte oder nicht, bildete diese Rufmordkampagne allemal zwangsläufig den Hintergrund für seinen Alltag und für seine Arbeit. Es traf ihn tief, daß der zuerst von ihm angeschriebene Alfred Andersch ihn, weil er genug hatte von dessen ständigem Argwohn, aus seiner Wohnung hinauswarf441. Wohl um seiner Frau entgegenzukommen, fuhr Celan mit ihr und dem kleinen Eric vom 26. April bis 1. Mai 1957 ein zweites Mal in die Bretagne, diesmal ausschließlich nach Brest. Dort war inzwischen die Mutter Gisèles als Schwester Ma144 |
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rie Edmond ins Kloster eingetreten. Ihr galt der Besuch. Eine Verständigung mit ihr war indes allein möglich durch ein Sprechgitter. Vieles spricht dafür, daß Celan dadurch zum Titel seiner 1959 veröffentlichten Gedichtsammlung, Sprachgitter, angeregt wurde. Seinem damaligen Lektor, Rudolf Hirsch, gegenüber erklärte er indes, mit diesem Titel komme »das Existentielle, die Schwierigkeit alles (Zueinander-)Sprechens« zum Ausdruck442. Damals entstand das Gedicht Matière de Bretagne mit der vielsagenden vierten Strophe : »Hände, die dorn- / umworbene Wunde, es läutet, Hände, das Nichts, seine Meere, Hände, im Ginsterlicht, das / Blutsegel / hält auf dich zu«443. Celan war sich darüber im klaren, was ihm bevorstand. Unter dem Eindruck der bretonischen Landschaft (»im Ginsterlicht«) und im Mitdenken seiner aktuellen Übersetzerarbeit von Rimbauds Trunkenem Schiff (»das Nichts, seine Meere«) lebte er im Wissen um das zu erwartende »Blutsegel«. Er hatte in sich die Gewißheit eines ihn umgebenden, zunehmend sich verdunkelnden Lebensalltags. Es ist nun an der Zeit, auf eine tief bezeichnende Eigenschaft Celans genauer einzugehen : sein Verhältnis zu Frauen, deutlich gesagt die Tatsache der »Gleichzeitigkeit seiner Bindungen zu verschiedenen Frauen«444. Das ist allein schon deswegen erforderlich, weil er neben seiner Ehe im Jahrzehnt von 1952 bis 1962 eine seit 2010 öffentlich gewordene, ihm wichtige geistige und erotische Beziehung mit Brigitta Eisenreich unterhielt. Im Zusammenhang mit Edith Silbermann, Ruth Lackner und Ingeborg Bachmann war von dieser Problematik bereits andeutend die Rede. Neuerdings kam noch das erst jüngst aufgetauchte ›Hannele‹445 für die Pariser Anfangszeit hinzu. Sie war bestimmt nicht die Letzte. Nunmehr ist es darum unerläßlich, auf die damit gegebene existentielle Sachlage einzugehen. Celan war von Jugend an der Typ des Verführers, der melancholisch Liebende, der auf nicht wenige Frauen Eindruck machte. Daraus ergab es sich, daß die mit seinen oft sich überlagernden Liebesbeziehungen zwangsläufig verbundenen Probleme im Alltag auch auf ihm lasteten – nicht wie die dauernd quälende Erinnerung an den Holocaust oder die schwelende ›Goll-Affäre‹, aber doch jederzeit spürbar. Eine freundschaftliche Begegnung mit Brigitta Eisenreich entwickelte sich zu einer intensiven Liebesbeziehung. Von dieser jungen Frau, die ihre österreichische Heimat bewußt hinter sich gelassen hatte, »zwar liebeshungrig, aber auch ziemlich frei in diesen Belangen«, wie sie rückblickend schrieb446, und die damals in Paris ein neues, ungebundenes Leben führte, ging für Celan eine starke physische Anziehung aus. Die spätere Anthropologin und Ethnologin, die auch Russisch lernte und Gedichte verfaßte, wurde für ihn zur notwendigen geistigen und körperlichen Partnerin447. Sehr wichtig war sie für ihn zudem als anregende Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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Kraft, die dem deutschsprachigen Dichter im frankophonen Lebensrahmen ein für ihn wichtiges ›Sprachbad‹ mit alltäglich gesprochenem Deutsch bot. Die Frau mit den »langen rotblonden Haaren und braungrünen Augen«448 zog ihn an. Beide mußten sich schon im Herbst 1955 mit dem Problem einer Abtreibung auseinandersetzen, weil Brigitta Eisenreich ihre Schwangerschaft feststellte. Sie entschieden sich für den damals noch verbotenen Eingriff. Celan verdiente das dafür nötige Geld als Übersetzer beim Internationalen Arbeitsbüro in Genf. Auf diese Weise konnte die Abtreibung in Berlin vorgenommen werden449. Die Beziehung nahm davon keinen Schaden – im Gegenteil. Unter anderem berichtet Brigitta Eisenreich, wie »Anfang August 1957 Paul Celan« zu ihr kam, um ihr geradezu jubelnd die gelungene Übersetzung des ›Trunkenen Schiffs‹ anzuzeigen – es war ihm wie ein Sieg, ein Sieg, an dem er mich teilhaben ließ. Es kam vor, daß er im Zustand sinnlicher Erregung das Wort ›Königin‹ ausrief. So auch an diesem Tag450.
Sie mußte allerdings ebenso eine tiefgreifende Veränderung registrieren, die sich mehr und mehr bei Celan einstellte, »eine Veränderung, die im Verlauf des nächsten und letzten Jahres unserer Beziehung (1962) zur endgültigen Trennung führte«451. Sie gehörte zu den ersten, die jene durch Claire Golls Anprangerung Celans als »Meisterplagiator« immer quälender auf ihm lastende Veränderung bemerkte. Irgendwann zwischen 1957 und 1958 hatte Celan ihr gesagt : »Angeschlagen bin ich, angeschlagen. Es gibt nur eine Handvoll Menschen«452. Das verschafft uns einen Einblick in die Bedeutung dieser Beziehung, die dann freilich ein abruptes Ende nahm, weil ihr bewußt wurde, daß sie im Grunde dabei bloß ein »Schattendasein« führte453. Klarsichtig erkannte sie ihre wirkliche Situation mit dem Hinweis : Gewiß war Paul Celan nicht für ein gleichmäßig und ruhig dahinfließendes Familienleben gemacht, jedoch hatte ich seit eh und je den Eindruck, daß er seine Frau am beständigsten und aufrichtigsten von allen geliebt hat, daß sie die ›Übersternte‹ war, die ›Leise‹, die ›Wahre‹, als die sie in den Gedichten fortlebt, daß nicht seine Treuebrüche, sondern nur die Gewalt der Selbstzerstörung – vom frühen traumatischen Erleben her bestimmt und durch die Plagiatsverleumdung aufs äußerste gesteigert – ihre Bindung zerreißen konnte454.
Für Brigitta Eisenreich blieb da nur die Bedeutung als Celanscher »Kreidestern«, der zwischen ihnen eine wichtige Rolle spielte (auf der Schiefertafel an der Tür
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und in den ihr gewidmeten Büchern, aber noch weit mehr). Zweifellos bedeutete es menschlich viel, der »Kreidestern« Celans zu sein. Im Mai und dann noch einmal im November 1957 besuchte Rose Ausländer, von Amerika kommend, Celan in Paris. Die alten Freunde aus Czernowitzer Tagen verstanden sich gut. War es doch sie, die öffentlich klargelegt hatte, daß die Zentralmetapher der »schwarzen Milch« in Celans Todesfuge einen völlig anderen Stellenwert hatte als zuvor bei ihr455. Sie war, so gesehen, das positive Gegenbild zu Claire Goll. Celan machte die Besucherin bei dieser Gelegenheit mit der »graueren Sprache« bekannt, die er nunmehr, wie erwähnt, praktizierte. Sie hatte sich bereits in den Vereinigten Staaten von Amerika mit neueren Tendenzen der Lyrik, vor allem mit Marianne Moore, befaßt und ließ nunmehr unter seinem Einfluß ihre expressionistisch angehauchten Reimgedichte hinter sich. Die Wiederbegegnung mit dem Czernowitzer Freund Celan brachte für sie den Durchbruch zu neuem lyrischen Sprechen. Insgeheim war er es auch, der zur Veröffentlichung ihrer neuen Gedichte wesentlich beigetragen hat. Aber die beiden Begegnungen in Paris waren zugleich das letzte Zusammentreffen. Im Oktober 1957 nahm Celan an der sogenannten ›Bund-Tagung‹ in Wuppertal teil. Dort traf er auf den Lyriker Peter Huchel, den Germanisten Hans Mayer und – nach fünfeinhalb Jahren der Distanz – auf Ingeborg Bachmann. Die Wiederbegegnung ließ mit einem Schlag die alte Liebe wieder aufleben. Sie verabredeten ein Treffen am 14. Oktober, einen Tag nach dem Ende der Wuppertaler Tagung, im Kölner Hotel Am Hof in der Nähe des Doms. Celan hielt dazu fest : »Vergangenheit, längst abgetan geglaubt, die plötzlich wieder aufsteht, da ist«456. Was das für beide bedeutete, hat Helmut Böttiger zutreffend wie folgt beschrieben : »Es war ein herausgehobener Moment, der für Celan offenkundig alles durcheinanderbrachte, ein Moment, in dem zwei, die füreinander bestimmt zu sein schienen, tatsächlich einmal zueinanderkamen.«457 Kaum nach Paris zurückgekehrt, brachte Celan dieses umwerfende Erlebnis einer »Herzzeit« stimmiger Liebe dichterisch zu Papier, das er umgehend der damals in München lebenden Ingeborg Bachmann unter dem Titel Köln. Am Hof zuschickte. Hier der Wortlaut : Herzzeit, es stehn / die Geträumten für / die Mitternachtsziffer. // Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg, / einiges ging seiner Wege. / Verbannt und Verloren / waren daheim // Ihr Dome // Ihr Dome ungesehn, / ihr Ströme unbelauscht, / ihr Uhren tief in uns. Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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Zweifellos wollte er damit die in ihm durch eine punktuell verwirklichte Realutopie herbeigeführte gründliche Wandlung, die den Ablauf der Zeit vorübergehend außer Kraft setzte, festschreiben. Konnte er doch von sich sagen : »Weißt Du, daß ich jetzt wieder sprechen und schreiben kann«458. Es war für ihn wie ein Feuerwerk im düsteren Alltag. Er erlebte diesen Moment als »Weiß und Leicht, Lichtschaum und stäubende Welle«459. Ihrer beider Schicksal, »Verwirrt und Verloren«, war dabei sogar für einen Augenblick »daheim«, sie waren einfach innerlich vereint. Die Wiederbegegnung löste seinerseits eine wahre Flut von Briefen und Gedichten aus, während sie alsbald eher verstört reagierte. In erster Linie beschäftigte sie die Tatsache, daß er seiner Frau alles erzählt hatte. Sie schrieb dazu : Ich bin Dir dankbar, daß Du Deiner Frau alles gesagt hast, denn es ihr ›ersparen‹, hieße doch schuldiger werden, auch sie verringern. […] Aber ahnst Du, was ihre Hinnahme und ihr Verstehen für mich bedeuten ? Und für Dich ? Du darfst sie und euer Kind nicht verlassen. […] Wenn ich an sie und das Kind denken muß – und ich werde immer daran denken müssen – werde ich Dich nicht umarmen können460.
Diese Reaktion bedeutete einen Rollenwechsel zwischen beiden. Es war jetzt sie, die der Realität näher stand461. Vielsagend ist in dieser Hinsicht ihre letztlich, aller momentanen Beglückung zum Trotz, resignierende Aussage : »Du hast mir gesagt, Du seist auf immer versöhnt mit mir, das vergesse ich Dir nie«462. Etwas später legte sie die Situation vollkommen klar : Meine letzte Angst betrifft nicht uns, sondern Gisèle und Dich und daß Du ihr schönes schweres Herz verfehlen könntest. Aber Du wirst jetzt wieder sehen und die Verdunklung auch für sie aufheben können. Ich sprech nur noch ein letztes Mal davon, und Du mußt mir darauf nicht antworten463.
Jedenfalls fanden sie beide definitiv so etwas – und das bedeutete ihnen viel – wie ein bleibendes Zusammensein in der Dichtung. Im Leben jedoch waren ihnen getrennte Wege vorgegeben. Gisèle schrieb ihrem Mann, und das zeigt ihre völlig uneigennützige Gesinnung : Ich glaube an Deine Dichtung, ich will, daß sie lebt, daß sie um jeden Preis lebt, […] ich liebe Sie sehr, möge Ihre Dichtung leben, nur darin wird jetzt meine Freude sein.
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Gestern abend habe ich wieder viele Dinge verstanden, die mich bis spät in die Nacht wachgehalten haben464.
Tags davor schon hatte sie großherzig geschrieben : Ich werde dieser Tage fortfahren, Ihre Gedichte zu lesen […]. Sie sind seit langem in mir, mon chéri, aber ich wollte sie nicht akzeptieren, es sind Wirklichkeiten, aber furchtbare Wirklichkeiten. Ich weiß jetzt, daß man dem nicht entgehen kann, sie haben es mir schon hundertmal bewiesen, und jetzt sind sie es, die mich retten werden, indem sie mir dabei helfen, diese Wirklichkeiten zu durchleben. Ich werde sie nicht mehr ablehnen, ich habe Deine Gedichte gefürchtet, jetzt liebe ich sie, sie sind wahr und die Wahrheit und sie sind Du465.
Im November 1957 konnte die Familie Celan, dank einer Erbschaft Gisèles, in eine etwas größere Wohnung in der Rue de Longchamp, unweit der Avenue Kléber, umziehen. Er schrieb seiner Frau dazu auf einem Zettel : »Mein kleiner, geliebter Pfirsich, ich bin – bin – so glücklich bei Ihnen in unserer neuen Wohnung ! Wirklich !«466 Im neuen Zuhause, wo beide besser arbeiten konnten, lebten sie zusammen, bis das, ab 1967, der schweren psychischen Erkrankung Celans wegen, nicht mehr möglich war. Damit ging allerdings ein Jahrzehnt schlimmster Anspannungen einher. Schon im Oktober 1957 antwortete Celan auf die Frage von Brigitta Eisenreich, ob es ihm jetzt besser gehe, zu ihrer Überraschung : »Es wird mir nie mehr besser gehen, das ist zu Ende«467. Ohne Frage ist diese Aussage ein Indiz für den Augenblickscharakter der für beide, Bachmann wie Celan, unvergeßlichen Kölner Liebesbegegnung. Die Belastung traf freilich in erster Linie auch Celans Frau Gisèle. Ihre Erwartungen an das Zusammenleben mit dem Dichter hatten in eine ganz andere Richtung gezielt. Mit gutem Grund bezeichnete Celan die schwierige Familiensituation nach der Wiederbegegnung mit Ingeborg Bachmann mit dem Hinweis, es sei »der schwerste der schweren Monate« gewesen468. Es sollten allerdings noch weit schwerere Monate und Jahre kommen. Zunächst kam eine in dieser lastenden Situation besonders erfreuliche Ehrung für Celan. Ihm wurde im Januar 1958 der angesehene Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen zugesprochen. Endlich hatte sich, nach mehreren Wahlgängen seit 1954, die Jurymehrheit gegen den erklärten Willen des konventionell orientierten Vorsitzenden, Rudolf Alexander Schröder, durchgesetzt. Für Celans Wirkung war das von großer Bedeutung. Er stellte ins Zentrum seiner DankanDie zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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sprache die Landschaft seiner Herkunft und damit die für seine Generation »unverlorene« deutsche Sprache, die allerdings »hindurchgehen« mußte »durch die tausend Finsternisse todbringender Rede«, »wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend«469. Sicher wollte er damit den Abstand herausstellen, der ihn von seiner Zuhörerschaft trennte, zugleich aber diejenigen ansprechen, die mit ihm zusammen im Gedicht das von ihm angesprochene »Herzland« suchen. Diese Sichtweise war nichts anderes als seine Auffassung von einer fragwürdigen Wirklichkeit, die gründliche Reflexivität erfordert und insofern die von ihm vertretene Überzeugung von der Aufgabe der dichterischen Arbeit. Die Ansprache war, wie Felstiner zutreffend formulierte, »sein poetisches Credo«470. In erster Linie aber war das zugleich sein dringlicher Appell, der Dichtung mehr Platz zu geben. Sehr mit Recht schrieb ihm der Freund Klaus Demus dazu : Möchte man doch allmählich immer aufmerksamer auf Deine Stimme hören und die Dinge, die Du dem Bedenken gibst, immer besser achten. […] Die Tradition vertrittst Du, Dein Maß von geistiger Verantwortung und von realem Zeitsinn471.
So verstandene Tradition gehörte in der Tat zum poetischen Credo Celans. Bald nach dieser Ehrung, im Frühjahr 1958 ging Celan daran, sein vielteiliges und längstes Gedicht Engführung zu schreiben. Der Bedeutung innerhalb des Werkzusammenhangs entsprechend, gilt diesen Versen der nächste Exkurs. Nach der wohlgelungenen Leistung in Gestalt der Rimbaud-Übersetzung ging Celan nun daran, an seine Übertragungen aus dem Russischen ins Rumänische anzuknüpfen. An den Slawisten Gleb Struve richtete er die Erklärung : »ich habe, als meine Heimat, die Bukowina, sowjetisch wurde, Russisch gelernt, […] gerne und dankbar, habe aber erst jetzt, nach Jahren, wieder zu dieser Sprache zurückgefunden«472. An Nelly Sachs schrieb er später, im Zusammenhang mit seinen JesseninÜbersetzungen : »Vor vielen Jahren, zum erstenmal als Gymnasiast, später als Student in Czernowitz, hatte ich viel Umgang mit diesen Versen ; hier, im Westen, kamen sie mir dann wieder, die östlichen, heimatlichen«473. Er übersetzte nacheinander Gedichte von Alexander Block, Sergej Jessenin, Wladimir Majakowskij, Viktor Chlebnikow, Jewgenij Jewtuschenko und vor allem von dem ihm geistig verwandten Ossip Mandelstamm (so die Schreibweise Celans). Er bezeichnete den Vorläufer sogar als »einen Großen, einen untergegangenen, unsern Bruder«474. Dessen Verfolgung als Dichter und Jude bezog er mit guten Gründen auf seine eigene Situation. Darum widmete er dem Anden150 |
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ken Mandelstamms sogar die im Herbst 1963 erscheinende Niemandsrose mit den Gedichten, die unter dem Eindruck der Verleumdungskampagne Claire Golls und deren Folgen entstanden sind. Celan sah in diesen manipulierten Vorwürfen den von außen kommenden Versuch, seine Existenz wie auch seine Dichtung auszulöschen. Ingeborg Bachmann nahm großen Anteil an Celans neuer Übersetzerarbeit. Zur Übersetzung von Alexander Bloks Gedicht Die Zwölf bemerkte sie : das »war eine große Überraschung ; ich meine, sie ist sehr gut – und waghalsig, aber sehr gut deswegen !«. Und weiter : »Der Blok ist wunderschön, mühelos wild und ein Ausbruch im Deutschen, der staunen macht. Ich bin ganz glücklich damit, es ist so sehr ein Ganzes«475. Aber zugleich gab sie bald danach, auf ihrer beider Situation bezogen, desillusioniert ihre Einschätzung der gemeinsamen Beziehung : »Und wir – ach Paul, Du weißt ja, und ich weiß nur jetzt kein Wort dafür, in dem es ganz stünde, was uns hält«476. Celans Antwort lautete vielsagend in der bangen Frage : »Wo wills mit uns hin, ich weiß nicht, es geschieht so viel Furchtbares«477. Offenkundig liefen ihre Wege nun zwingend auseinander. Bei alledem bekam Celans Dichtung zu jener Zeit einen neuen Glanzpunkt in Gestalt der im März 1959 veröffentlichten Sammlung Sprachgitter. Er fügte in diesem Buch 33 Gedichte aus der Zeit von 1955 bis 1958 zusammen und schrieb dazu, unter Anspielung auf das darin enthaltene Gedicht Engführung, an Walter Jens : »Ich habe die Worte, die Stimmen wirklich enggeführt (mich von ihnen engführen lassen) – ins Unerbittliche«478. Das war die »grauere« Sprache, die Celan nunmehr praktizierte. Was damit gemeint ist, hat Ingeborg Bachmann in ihrer Frankfurter Vorlesung 1959/60 am Beispiel von Sprachgitter wie folgt dargelegt : Die Metaphern sind völlig verschwunden, die Worte haben jede Verkleidung, Verhüllung abgelegt, kein Wort fliegt mehr einem anderen zu, berauscht ein anderes. Nach einer schmerzlichen Wendung, einer äußerst harten Überprüfung der Bezüge von Wort und Welt, kommt es zu neuen Definitionen. Die Gedichte heißen ›Matière de Bretagne‹ oder ›Bahndämme, Wegränder, Ödplätze, Schutt‹ oder ›Entwurf einer Landschaft‹ oder ›Schuttkahn‹. Sie sind unbequem, abtastend, verläßlich, so verläßlich im Benennen, daß es heißen muß, bis hierher und nicht weiter. Aber plötzlich, wegen der strengen Einschränkung, ist es wieder möglich, etwas zu sagen, sehr direkt, unverschlüsselt479.
Felstiner erklärte hierzu : »Celan gab die Metapher 1957 nicht auf, aber er versuchte nun, ihre beiden Hälften, die äußere und die innere Wirklichkeit, miteinander zu verschmelzen«480. Celan selbst betonte im gleichen Zusammenhang : »In unserem Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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polychromen, nicht farbenfrohen Alltag, wird die Sprache des Gedichts, will sie die Sprache des G[edichts] bleiben, notwendig grau sein«481. In den Vordergrund der Gestaltung tritt die Konzentration der lyrischen Mitteilung auf das einzelne Wort und dessen assoziative Weiterung oder Konnotation. Daraus resultiert eine, äußerlich gesehen, gebrochene, fragmentierte Sprache. Sie ist überdies ständig zugespitzt durch schwierige, paradox erscheinende metaphorische Verknüpfungen oder überraschende gedankliche Vernetzungen auf der Grundlage semantischer ›Spiele‹, sehr ernster Gedanken-Spiele, mittels Inversion, Verschiebung oder Kontraktion. Ebenso trägt die typographische Ausgestaltung zur typisch Celanschen Akzentuierung der Verse im Sinne der Bedeutung jedes einzelnen Wortes bei. Daraus resultiert im übrigen eine unterstreichende Art des Sprechens. Celan legte Wert darauf, seine Gedichte als jeweilige Stimme oder als Stimmen vernehmen zu lassen : »Stimmen vom Nesselweg her«, »Stimmen, nachtdurchwachsen« (so im ersten Zyklus der Sammlung mit dem bezeichnenden Titel Stimmen482), ferner »Hierher / sickert«, von Nächten beschenkt, / eine Stimme, / aus der du den Trunk schöpfst«483. Die dezidierte Konkretheit dieser ›graueren‹ Sprache gibt Celans Versen festen Halt und macht sie damit gestaltsicher. Wie meist fand Klaus Demus für Celans neue Art zu dichten die richtigen Worte. Der Freund schrieb ihm, wie stets etwas hymnisch : Und nun das herrliche Gedicht-Buch. Paul, es ist vollkommen, kristallen, es ist Dein reinstes Buch. Auf jedem Blatt, aufgeschlagen, steht zeichenklar das Außerordentliche, der unerhörte Maßstab geistiger Empfindlichkeit, Sprachwahrheit, Unbestechlichkeit«. Und weiter : »Ich halte dieses Buch für unvergänglich, Paul. Seine Sprache ist die Verwirklichung einer seit sehr langem wieder mit dem Lebensgrund des Deutschen verbundenen Sprachstufe484.
Von anderer Seite her wurde das Sprachgitter naturgemäß wesentlich anders gesehen. So schrieb, sehr zum Ärger Celans, der Kritiker des Berliner Tagesspiegels, Günter Blöcker, diese Gedichte seien eher »graphische Gebilde«, Ergebnis »selbstbesessener Kombinatorik«, rein abstrakte »Exerzitien auf dem Notenpapier« mit dem »Mangel an dinghafter Sinnlichkeit«485. Damit wollte der Rezensent hinterrücks den offenkundigen Wirklichkeitsbezug dieser Gedichte, also die Anprangerung der verbrecherischen deutschen Geschichte unter der Nazidiktatur, im Celanschen Text ignorieren. Dieses Produkt des lügnerischen Schweigens über Auschwitz war, wie Paul Schallück gegenüber Celan bekundete, deutlich spürbar »mit der Tinte des Goebbels geschrieben«486. Der Freund ergänzte das mit dem Hinweis : 152 |
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ich kann am WDR in Köln in der Sendereihe ›Gedanken zur Zeit‹ über das Phänomen des Falles Blöcker […] sprechen. Ich möchte gern das Grundsätzliche herauszuleuchten versuchen, die Schleichwege, die ›objektiven‹ Pfade der Kritik, auf denen mit unschuldigem Gesicht neuer Antisemitismus eingeführt wird487.
Blöcker spielte natürlich den Unschuldigen und Mißverstandenen. Aber Celan wußte nur zu gut : Die meisten […] sehen keinerlei Nazismus. Ich bin, nicht zum ersten Mal, der Überempfindliche, Mißtrauische, an Verfolgungswahn Leidende. […] Sie ahnen nicht, was man aus diesem Anlaß nicht alles gesagt hat ! Es ist, ich übertreibe nicht, zum Verzweifeln. […] Ich danke Ihnen, lieber Paul Schallück –, für Ihr solidarisches Denken488.
Einmal mehr wurde Celan am Beispielfall Blöcker schmerzlich bewußt, daß das gesellschaftliche Umfeld nicht bereit war, sich der unmenschlichen Seite der deutschen Vergangenheit zu stellen, daß er vielen als Ruhestörer galt. Jedenfalls mußte er sich, wie Jürgen Lehmann schrieb, »in der deutschsprachigen Literaturszene weitgehend isoliert, ausgegrenzt und verkannt« vorkommen489. Im gleichen Zusammenhang empfahl Celan dem Freund Schallück die Lektüre des 1930 erschienenen Buches von Hans Kohn über Martin Buber. Er beschäftigte sich damals selbst wieder intensiv mit jüdischer Kultur und Geschichte. Aus dieser Zeit stammt auch die Notiz Celans : »[…] aber diese Frage kommt, mit vielen anderen wieder und wieder an mich heran«490. Um sich genau zu informieren, las er vor allem erneut die Texte von Franz Kafka, die von Martin Buber gesammelten chassidischen Geschichten, wie überhaupt dessen Werke sowie Gershom Scholems Schriften über jüdische Mystik und Franz Rosenzweigs Bücher über liberales Denken. Man kann wirklich sagen, daß er sich aus innerstem Bedürfnis heraus darum bemühte, die jüdische Kulturgeschichte, vor allem die Literatur hierzu, gründlich für sich zu erschließen. Freilich war und blieb er, ohne jedes Glaubensbekenntnis, ein ›Ungläubiger‹, der es mit Kafka hielt : »Die Tatsache, daß es nichts anderes gibt als eine geistige Welt, nimmt uns die Hoffnung und gibt uns die Gewißheit«491. Aber er brauchte für sein Weiterleben eine gründliche Kenntnis der kulturellen Kontinuität des Judentums und der davon ausgehenden Wirkung. Noch kurz vor seinem Freitod betonte er, daß sein Judentum »weniger thematisch als pneumatisch«492 zu verstehen sei. Was heißen soll, daß Celan sich nicht im Sinne orthodoxer jüdischer Religiosität bewegte, sondern die anregende und bestätigende Atmosphäre jüdischer Spiritualität suchte. Er war der festen Überzeugung : Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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Das Gelebte – so das vom Juden gelebte Jüdische –, das sich pneumatisch im Intervall zu erkennen gibt, […] das ertragen sie nicht, dulden sie nicht. Und so drängen sie es, nicht selten unter bereitwilligster Beteiligung von ›Juden‹, hinter das Anerlebte zurück, das sie dementsprechend erhöhen –, auf das Podest ihrer Verlogenheit, Niedrigkeit und Feigheit emporheben493.
»Sie«, – damit waren alle dem Ungeist des Judenhasses Verfallenen gemeint, deren er hauptsächlich im quälenden Verlauf der ›Goll-Affäre‹ sehr viele kennenlernen mußte. Nicht zuletzt deshalb suchte er nach einer Bestätigung seiner Identität im Judentum. Aus dem gleichen Grund erfolgte ebenso seine Hinwendung zu den russischen Vorläufern. Denn bei den von ihm ausgewählten Dichtern handelte es sich entweder um jüdische Leidensgenossen und Opfer einer der Säuberungen Stalins wie »Bruder Ossip, der Russenjude, / der Judenrusse«494, oder um solche wie Sergej Jessenin, den gescheiterten, Anhänger der Oktoberrevolution, der verzweifelt im Selbstmord endete. Mit Vehemenz bekannte Celan sich deshalb als Jude und vertrat nachdrücklich die Meinung : »wer nach Auschwitz mystifiziert, ist ein MitMörder«495. Kontinuierlich stieß er in seiner Umgebung auf derartige Versuche. Vehement widersprach er darum der Behauptung Hans Egon Holthusens, der ihm in seiner Rezension der Niemandsrose in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die angeblich früher vertretene »Vorliebe für die ›surrealistische‹, in X-Beliebigkeiten schwelgende Genitivmetapher« (wie »Mühlen des Todes«, »weißes Mehl der Verheißung«) vorwarf496. Der mit Celan befreundete Germanist Peter Szondi, selbst ein Opfer der nazistischen Judenverfolgung, bezeichnete die Kritik Holthusens mit Recht als einen klaren Versuch, »die Erinnerung an das, was gewesen ist, durch den Vorwurf der Beliebigkeit zu vereiteln«497 Celan war ihm dafür dankbar. Selbstverständlich hielt er seine Klage und seinen Protest gegenüber Holthusen aufrecht. Aus dem gleichen Grund stieß sich Celan an der von Theodor W. Adorno (eigentlich Theodor Ludwig Wiesengrund) vertretenen Auffassung, »nach Ausch witz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch«498. Verständlicherweise setzte der Autor der Todesfuge dieser Meinung 1959 seine völlig andere Konzeption entgegen. Er fragte : »Was wird hier als Vorstellung vom Gedicht unterstellt ? Der Dünkel dessen, der sich untersteht hypothetisch-spekulationsweise Auschwitz aus der Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive zu betrachten«499. Er verfaßte hierzu gleichfalls die von ihm nicht veröffentlichten bitter-ironischen Verse : »Vor die Messer / schreiben sie dich, / kulturflott, linksnibelungisch /[…] meisterlich, deutsch, / […] nicht / ab, nein wiesen- / gründig«500. Unter solchen Vorgaben ist es wirklich nicht verwunderlich, daß Celan im Juli 1959 ein von Szondi vereinbartes Treffen der beiden Kontrahenten in 154 |
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Sils-Maria nicht wahrnahm, sondern vorher abreiste. Die bewußt »versäumte Begegnung«501 im Engadin brachte ihn dazu, seine damit verbundenen Gedanken in einem Prosatext mit dem Titel Gespräch im Gebirg festzuhalten. Das Treffen mit Adorno hatte im Rahmen einer Reise durch Süddeutschland, Österreich und die Schweiz, die Celan mit Frau und Sohn unternahm, stattfinden sollen. Als Adorno jedoch in Sils-Maria ankam, mußte er von Szondi erfahren, Celan sei unmittelbar davor überstürzt abgereist. Offensichtlich wollte Celan der Begegnung ausweichen. Sils-Maria ist bekanntlich der Kurort, von dem Friedrich Nietzsche sagte, er sei »jenseits von Mensch und Zeit«. Dort entwickelte der Philosoph im August 1881 die Grundidee für die Geschichte Zarathustras. Celan hatte seit dem Ende der dreißiger Jahre Umgang mit diesem Text. Gewiß nicht zufällig beginnt seine Geschichte mit einer Übernahme daraus (»Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen« > »Eines Abends, die Sonne, und nicht nur sie, war untergegangen«). Damit ist ein atmosphärischer Rahmen angesprochen, der weit über die »versäumte Begegnung« hinausreicht. Die »kleine Geschichte« thematisiert nämlich, wie Celan 1960 erklärte, »Umwege von dir zu dir« und somit »Wege, auf denen die Sprache stimmhaft wird«502. Absichtsvoll wählte er für die klangliche Darstellung den jiddischen Gesprächston, eine Art Judendeutsch, ein Mauscheln (»eigentlich ein Mauscheln zwischen mir und Adorno«503), um in Wahrheit ein Gespräch mit sich selbst zu führen. Absichtsvoll betonte er in der Meridian-Rede : »Ich bin […] mir selbst begegnet«504. Wesentlich bedeutsamer als die ›versäumte Begegnung‹ mit Adorno waren für die Erzählkonstruktion Nietzsches Also sprach Zarathustra, Georg Büchners Lenz-Fragment sowie die chassidischen Geschichten Martin Bubers, unter denen sich übrigens ein Gespräch in den Bergen befindet. Diese Bezüge sind bedeutsam. In erster Linie war es Celan darum zu tun, sich seiner jüdischen Identität und ebenso seiner Position als Schreibender zu vergewissern. Wer »wie Lenz durch’s Gebirg geht«, weiß um die Not des Menschen in der Welt. Die Wahlverwandtschaft Büchners mit Lenz hatte sehr persönliche Gründe. Krankheit und Tod des Stürmers und Drängers bezog Büchner auf sich selbst. Gleiches gilt für Celans Reagieren auf den Büchnerschen Text über ein »befremdetes Ich«505. Das war Celans eigenes Lebensproblem und damit auch Hauptthema seines Werks. Darum erweisen sich die scheinbar auseinanderlaufenden Erzählformen – Bericht, Dialog, Monolog – als gekonnt ausdifferenziertes Rollenspiel zwischen verschiedenen Ich-Projektionen. Brennpunkt all dieser personalen und perspektivischen Erzählmodi ist allemal das die Erzählung tragende »befremdete Ich«, nämlich der Autor Paul Celan506. Unverkennbar ist die ganze Geschichte ein mehrstimmiges Selbstgespräch mit dem Ziel einer geistigen Selbstklärung und – nach außen – einer gezielten Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
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Selbsterklärung. Tragendes Element des Ganzen ist dabei die narrative Reflexionsstruktur. Deren Orientierungspunkt ist die bedrückende Realität »eines entstellten Judentums im Exil« (Gerschom Scholem). Das Gespräch im Gebirg dient mithin der Selbstformulierung, der Selbstprüfung und der Lebensbestimmung Celans als Jude und Künstler (»ich auf dem Wege hier zu mir, oben«). Obwohl der Text ein Bekenntnis zur Situation des Juden »unterm Stern« darstellt, will sagen : unter dem Stern Davids wie unter dem äußersten Gegensatz in Gestalt des ausgrenzenden Judensterns der nazistischen Judenverfolgung, ist er andererseits in diesem besonderen Fall ebenso eine Aufhebung (nach dem Verständnis Hegels) solch extremer Identifikation mit dem Jüdischen in der Ausdrucksintensität des Künstlers, – und insofern eine »Freisetzung«. Denn damit wird, aus Klage und Anklage heraus, der produktive Weg des Gestaltens eingeschlagen. Nicht ohne Grund notierte Celan, durch Großschreibung herausgehoben, den Kampfruf : »Schach der Dichtung«507. Seine problematische Dichtung war völlig anders geartet. Denn dem Lebens- und Arbeitsvollzug des deutschsprachigen jüdischen Künstlers entspricht das Bild eines Weges zwischen Antinomien. Celans literarische Arbeit wird deswegen zu einem »Sprechen über der Wunde« (Dietlind Meinecke). Indirekt ist demzufolge sein Gespräch im Gebirg das Bekenntnis zu einem ganz eigenen Dichtertum. Die »kleine Geschichte« erweist sich als Parabel des ihm auferlegten, schwierigen Weges als jüdischer Künstler deutscher Sprache.
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Die zweite Phase in Paris, zweiter Teil (1957–1959)
Exkurs : Das Gedicht Engführung als Weiterung der Todesfuge
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bsichtsvoll ist Celans längstes Gedicht durch die Endstellung in der Sammlung Sprachgitter wie durch die Großschreibung des Titels von den übrigen Gedichten abgehoben. Die 171 Verse sind in den Monaten von Februar bis November 1958 entstanden. Mit einer neuen lyrischen Textur zielt der Autor an diesem Beispiel darauf ab, sich von einer deskriptiven, reproduzierenden Sprache und damit vom Kanon des Herkömmlich-Poetischen abzusetzen. Er erreicht das durch fragmentierende Wort- und Satz-Brechungen sowie durch generelle Reduktion und Konzentration des Ausdrucks. Das einzelne Wort, manchmal sogar die einzelne Silbe bekommt dabei verstärktes Gewicht. Durch den Abbau bedeutungsmäßig gewohnter Determination werden kreativ-denkerische Impulse im Leser ausgelöst. Merkmal solchermaßen gestalteter Gedichte ist, wie Celan betonte, die »Vielstelligkeit«508 ihres Sinnpotentials. Damit ist eine erhebliche Mutation angesprochen. Sie erbringt letzten Endes den Abschied von den mimetischen Praktiken »bebilderter Sprachen«509 in ihrer Einsinnigkeit. Anders ausgedrückt : Celans ästhetisches Programm schafft nunmehr semantische Offenheit und Dynamik zum Zweck einer künstlerischen Phänomenalisierung des Ausdrucks. Das äußert sich vornehmlich in der fortlaufenden Spannung zwischen syntaktischer und versifizierter Anordnung. Sie erzwingt förmlich, durch die Form, intensive Reflexion des Textablaufs. Das bedeutet nichts anderes als die Tatsache, daß der Dichter Wert darauf legt, in einen Dialog mit dem Leser einzutreten. Beabsichtigt er doch, »mit seinem Dasein zur Sprache zu gehen«510. Die durchgängige Thematik der Engführung – der Holocaust und die Atombombe – erzwingt ein zögerndes, unsicheres Sprechen, das immer wieder ins Stocken gerät, um sich seiner Richtung zu vergewissern. Doch eben dadurch kann das Gedicht zum adäquaten Ausdruck der Betroffenheit über eine aus den Fugen geratene Welt werden. Aus diesem Grund schlug Celan diesen »Weg des Unmöglichen« ein. Es ist der Weg in die »allereigenste Enge«511, einer Enge, die indes spirituelle Weiträumigkeit herbeiführt : Engführung des Textes als dessen Weiterung und somit die poetische »Engführung« als Weiterung. Wie bereits in der Todesfuge greift der Autor auch hier eine Kompositionstechnik auf, die aus dem Bereich der Musik stammt. In diesem Fall ist es die gleichzeitige, mithin zeitlich ›eng-geführte‹, kontrapunktische Permutation der Stimmelemente einer Fuge am Schluß, die so genannte ›Stretta‹ (so der wohlExkurs : Das Gedicht Engführung
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überlegte Gedichttitel in der französischen Übersetzung), also gewissermaßen die fragmentierte Verarbeitung und darstellende Zusammenführung sämtlicher Themen einer fugalen Komposition. Die von Celan eng geführte Textkonstruktion erbringt in jeder Hinsicht substantiellen gedanklichen Zuwachs. Inhaltlich durch die Ausdehnung des Totengedenkens auf die Reflexion des gleichen Vernichtungspotentials im Atomzeitalter, sprachlich durch die erwähnten Veränderungen im Ausdruck, formal durch die radikale Öffnung des Gedichts zu einer, wie Szondi formulierte, komplexen »Text-Landschaft«512 mit vielfältigen perspektivischen und temporalen Verwerfungen oder Überlagerungen. Das Gedicht Engführung ist gewiß nicht zufällig in neun Versgruppen, Celan spricht von »Partien«, gegliedert. Sicher dachte er dabei an die neun Kreise des Infernos in Dantes Göttlicher Komödie und an Hölderlins aus neun Strophen bestehende Elegie Brod und Wein. Hier der Wortlaut : ENGFÜHRUNG * Verbracht ins Gelände mit der untrüglichen Spur : Gras, auseinandergeschrieben. Die Steine, weiß, 5 mit den Schatten der Halme : Lies nicht mehr – schau ! Schau nicht mehr – geh ! Geh, deine Stunde hat keine Schwestern, du bist – 10 bist zuhause. Ein Rad, langsam, rollt aus sich selber, die Speichen klettern, klettern auf schwächlichem Feld, die Nacht braucht keine Sterne, nirgends 15 fragt es nach dir. * Nirgends fragt es nach dir – Der Ort, wo sie lagen, er hat
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Exkurs : Das Gedicht Engführung
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einen Namen – er hat keinen. Sie lagen nicht dort. Etwas lag zwischen ihnen. Sie sahn nicht hindurch.
Sahn nicht, nein, redeten von 25 Worten. Keines erwachte, der Schlaf kam über sie. * Kam, kam. Nirgends 30 fragt es – Ich bins, ich, ich lag zwischen euch, ich war offen, war hörbar, ich tickte euch zu, euer Atem 35 gehorchte, ich bin es noch immer, ihr schlaft ja. * Bin es noch immer – Jahre 40 Jahre, Jahre, ein Finger tastet hinab und hinan, tastet umher. Nahtstellen, fühlbar, hier klafft es weit auseinander, hier 45 wuchs es wieder zusammen – wer deckte es zu ? * Deckte es Exkurs : Das Gedicht Engführung
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zu – wer ? Kam, kam. 50 Kam ein Wort, kam, kam durch die Nacht, wollt leuchten, wollt leuchten. Asche. Asche, Asche. 55 Nacht. Nacht-und-Nacht. – Zum Aug geh, zum feuchten. * Zum Aug geh 60 Zum feuchten – Orkane. Orkane, von je Partikelgestöber, das andre, du 65 weißts ja, wir lasens im Buche, war Meinung. War, war Meinung. Wie 70 faßten wir uns an – an mit diesen Händen ? Es stand auch geschrieben, daß 75 Wo ? Wir taten ein Schweigen darüber, giftgestillt, groß, ein grünes 80 Schweigen, ein Kelchblatt, es
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Exkurs : Das Gedicht Engführung
hing ein Gedanke an Pflanzliches dran – grün, ja hing, ja unter hämischem 85 Himmel. An, ja Pflanzliches. Ja. Orkane, Par90 tikelgestöber, es blieb Zeit, blieb, es beim Stein zu versuchen – er war gastlich, er fiel nicht ins Wort. Wie 95 gut wir es hatten : Körnig, körnig und faserig. Stengelig dicht ; traubig und strahlig ; nierig 100 plattig und klumpig ; locker, ver ästelt – er, es fiel nicht ins Wort, es sprach 105 sprach gerne zu trockenen Augen, eh es sie schloß.
Sprach, sprach. War, war.
Wir ließen nicht locker, standen 110 inmitten, ein Porenbau, und es kam.
Kam auf uns zu, kam Exkurs : Das Gedicht Engführung
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hindurch, flickte 115 unsichtbar, flickte an der letzten Membran, und die Welt, ein Tausendkristall, schoß an, schoß an. * 120 Schoß an, schoß an. Dann – Nächte, entmischt. Kreise, grün oder blau, rote Quadrate : die 125 Welt setzt ihr Innerstes ein Im Spiel mit den neuen Stunden. – Kreise rot oder schwarz, helle Quadrate, kein 130 Flugschatten, kein Meßtisch, keine Rauchseele steigt und spielt mit. * Steigt und 135 Spielt mit – In der Eulenflucht, beim versteinerten Aussatz, bei unsern geflohenen Händen, in 140 der jüngsten Verwerfung, überm Kugelfang an der verschütteten Mauer : sichtbar, aufs 145 neue : die Rillen, die
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Exkurs : Das Gedicht Engführung
Chöre, damals, die Psalmen. Ho, ho sianna. 150 Also stehen noch Tempel. Ein Stern hat wohl noch Licht. Nichts, 155 nichts ist verloren. Ho sianna In der Eulenflucht, hier, die Gespräche, taggrau, 160 der Grundwasserspuren. * (– – taggrau, der Grundwasserspuren – Verbracht 165 ins Gelände mit der untrüglichen Spur : Gras. 170 Gras, auseinandergeschrieben.)513
Was beim Lesen oder Hören zunächst auffällt, sind die durchgängig zu registrierenden syntaktischen Brechungen, die ein völlig anderes als das gewohnte lyrische Sprechen herbeiführen. Celan hat hier ein neues Sprechen gefunden, das die normale Syntax durch schroffe Zäsuren in der Anordnung der Verse, teilweise sogar innerhalb eines Wortes, aufbricht, dadurch die Elemente der Aussage isoliert und fortgesetzt überprüft. Auf diese Weise bewirkt er genaues und insofern Exkurs : Das Gedicht Engführung
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zum aktiven Dialog zwingendes Lesen. Deswegen verfolgte er zunächst die Absicht, den ganzen Band unter dem Titel Engführung herauszubringen. Denn in den darin zusammengefaßten Gedichten dominiert einerseits die Erinnerung an das erfahrene Entsetzen, andererseits das textuelle Einvernehmen zwischen dem Erinnerten und dem Leser durch die – möglicherweise – sein Denken konzentrierende und freisetzende »Text-Landschaft«. Jedenfalls regt dazu bereits das typographische Erscheinungsbild an. Es macht uns darauf aufmerksam, daß wir es mit einem jeden Erwartungshorizont sprengenden Gedicht zu tun haben. Celan hat sich für diese extreme Lösung entschieden. Es geht dabei um weit mehr als die erwähnte Ausdrucksmutation und Entpoetisierung. Der tiefere Grund für das diametrale poetische Verfahren ist im Fremdwerden der Realität und einer infolgedessen gründlich liquide gewordenen Weltsicht zu suchen. Darum richten sich die auktorialen Bemühungen so konsequent auf einen der Konvention widersprechenden Sprachduktus, auf einen hart gefügten Wort- und Versklang offenkundiger Dissonanz. Die radikal veränderte Kunstkonzeption äußert sich in einer ganz eigenen konstruktiven Form, nämlich in Gestalt einer normverletzenden Darstellungspraxis mit einer neuen poetischen Konsistenz im Gefolge. Celan gestaltet sein Gedicht in bewußter Absetzung von jeder Regelmäßigkeit. Die herkömmliche Versifikation ist verabschiedet. Zur Voraussetzung der Gestaltung wird die Störung einer derartigen Ordnung. Aber es handelt sich um eine Destruktion, die neue Konstruktion herbeiführt. Wir begegnen der formalen Entsprechung des vom Autor angestrebten »Gegenworts«514. Diese neuen ›Verse‹ sind gebaut aus aufgesprengten oder in sich gebrochenen, zerhackten Sätzen, Wörtern, Lautungen, teilweise nur noch aus Wortfetzen, immer wieder auch aus wiederholenden Wortballungen. Durchweg handelt es sich dabei um rhetorische Wendungen, festgeschriebene Zeichen eines verzweifeltem Schweigen abgerungenen Sprechens. Aus diesem Grund erscheint die überwiegende Mehrzahl der Verse fragmentiert, unter ein Minimum gedrückt. Der Leser soll spüren : sie stehen gegen die Praxis der lyrischen Konvention. Eine derartige Vereinzelung von Wortkombination und Wort bis hin zur Silbenisolierung demontiert den Versgestus gründlich und schafft zugleich eine neue Ausdrucksqualität. Der Versverfall wird zu Celans neuem Formprinzip. Es ist im Zusammenhang der Biographie nicht möglich, den Gedichttext im einzelnen zu interpretieren515. Deshalb können allein die inhaltlichen Kernpunkte angesprochen werden. In den ersten fünf Partien verbringt Celan den Leser »ins Gelände« (V. 1/2) des »schwärzlichen Felds« (V. 13), »voll von »Asche« und »Nacht« V. 53/56). Das geschieht in der Hoffnung, daß diejenigen, die gewillt sind, der »untrüglichen Spur« (V. 3) nachzugehen, sich ganz der Erinnerung 164 |
Exkurs : Das Gedicht Engführung
hingeben. Den Bezugshintergrund bildet zum einen die Landschaft der Toten, die Steinwelt (»Die Steine, weiß, / mit den Schatten der Halme« ; V. 4/5), sodann zum andern die Schreckenswelt mit der »tickenden« (V. 34) Präsenz der »noch immer« (V. 36 und 38) einsatzbereiten Mordmaschinerie. Der Assoziationsfähigkeit des Lesers sind dabei bewußt keine Grenzen gesetzt. Gewiß meint das Gedicht den bürokratisierten und industrialisierten Mordvorgang der sogenannten ›Endlösung der Judenfrage‹, aber ebenso jeden Verrat und jedes Verbrechen am Menschen in der Geschichte. Celan hat das der oft durch Wiederholungen intensivierten Sprach-Landschaft eingeschrieben. Seine humanen Erwartungen stimmen mit denen überein, die nach den andern »fragen« (V. 15), die nichts »zudecken« (V. 46), weil sie nicht vergessen wollen, was passiert ist. In erster Linie aber legt er Wert auf die Bereitschaft zum Mit-Leiden. Darin liegt der tiefe Sinn der Verse am Schluß der fünften und am Beginn der folgenden Partie : »zum / Aug geh zum feuchten« und »Zum / Aug geh, / zum feuchten« (V. 56/57 und V. 58/60). Absichtsvoll kommt mit der Wiederholung dieser Aussage die Träne des Mitleids verstärkt zur Wirkung. Sie wird zum Motto für den weiteren Text und bildet so zugleich den Auftakt für die mit Abstand längste sechste Partie. Dieser Mittelteil des Gedichts bildet gut ein Drittel des Gesamttextes. Im Gegensatz zur bisherigen Stimmenverteilung fällt sogleich auf, daß nunmehr eindeutig das Personalpronomen der ersten Person des Plurals (»wir«) die lyrische Aussage perspektivisch festlegt. Dadurch wird die Stimme gleichsam chorisch ausgeweitet. Was zur Sprache kommt, ist nichts anderes als die mit Hiroshima und Nagasaki erfahrbar gewordene Möglichkeit einer Selbstvernichtung der Menschheit. Wenn von Celan hierzu die Vergangenheitsform gewählt wird, gibt das seiner Mitteilung das gebotene schwere Gewicht des schon Erlebten. Freilich geschieht das ebenso im Blick auf Gegenwart und Zukunft. Um der Eindringlichkeit willen dominieren in diesem Zusammenhang konzentrierende Ein-, Zwei, oder Dreiwortsätze. In der Gegenüberstellung von naturgegebenen »Orkanen« (V. 61/62) und der von Menschen erfundenen Extremform der Zerstörung, eben der Atomisierung im »Partikelgestöber« (V. 63), wird das destruktive Element in der Welt namhaft gemacht. Der poeta doctus Celan aktualisierte mit dieser Bezeichnung das alte Wort des Demokrit : »Urgründe des Alls sind die Atome und das Leere, alles andere ist nur schwankende Meinung«516. Es stellt die pointierte Konzeption eines Lebens auf Abruf dar. Denn mit dem »Partikelgestöber«, dem »atomaren Orkan«517, wie Marlies Janz es zutreffend ausdrückte, kündigt sich schon jene totale Vernichtungsmaschinerie an, die dann in der atomaren Kernspaltung bittere Realität gewinnt und sich als Kern des Bösen in der Welt erweist. Was dabei passiert, exemplifiziert Celan mit dem Hinweis auf das »grüne SchweiExkurs : Das Gedicht Engführung
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gen« (V. 79/80) des abgestorbenen »Kelchblatts« (V. 80), das »unter hämischem / Himmel« (V. 84/85). nur noch einen entfremdeten »Gedanken an Pflanzliches« (V. 81) darstellt. Völlige Eindeutigkeit schafft hierzu die nächste Versgruppe (V. 96–105). In ihr wird die angebliche »Gastlichkeit« (V. 93) der »Stein«-Welt entlarvend beschrieben mit abstoßenden mineralogischen Formstrukturen. Wer Ohren hat zu hören, der hört hier die offenkundige Klangironie heraus. Geht es doch um den »steinigen«, mitleidlosen Sachverhalt : »sprach gerne zu trockenen Augen, eh es sie schloß« (V.105). Tödliches ist gemeint mit dem »Porenbau« (V. 111) der menschlichen Haut. Er wird dabei für die Opfer der Atombombe lokalisiert als Ort des mörderischen Eindringens in die Körper (»Kam auf uns zu, kam / hindurch« (V. 113/114). Ein zuvor unbekanntes Vernichtungspotential »schießt« damit »an« (»schoß an, schoß an« ; V. 119). Im anschießenden »Tausendkristall« der »Welt« (V. 119) ist unschwer die Atomexplosion auszumachen. Die thematische Ausweitung vom Holocaust zur Atombombe macht die Engführung zu einem Gedicht über die generelle Auslöschung des Humanen in der Welt. Es folgen Informationen über das Funktionieren des apokalyptischen Mordsystems. Blanke Technologie substituiert sich dabei dem Humanen. Der »Welt […] Innerstes« ; V. 125), das Atom, treibt ein grausames »Spiel mit den neuen / Stunden« V. 126/127) einer vom Menschen befreiten Zeit. Was von den Planungsund Kommandostellen ausgeht, hinterläßt keine Spuren (»kein / Flugschatten« der Atombomber oder -raketen, »kein Meßtisch« ; V. 130–132). Gegenüber der Todesfuge ist das Sterben hier noch stärker entpersonalisiert (»keine / Rauchseele steigt und spielt mit« ; V. 132/135). Wir können davon ausgehen, daß Celan seinen Text gerade dem Gedenken an die »Rauchseelen« gewidmet hat. Insofern verbindet die tiefreichende Metapher das Los der Atomtoten mit dem der Toten in den Vernichtungslagern (»Asche. / Asche, Asche. / Nacht. / Nacht-undNacht« ; V. 53–56). An dieser Stelle übernimmt der Autor, anstelle der Toten sprechend, deren Stimme. Der Stimmwechsel bewirkt eine zunehmende Direktheit. Zur Sprache kommen mit »der jüngsten Verwerfung« (V. 140), mit den »Rillen« (V. 146), Erinnerung, Trauer, Protest, Warnung und Vision. Aber es sind bloß noch »Gespräche, taggrau, / der Grundwasserspuren« (V. 159/160), will sagen »versteinerter Aussatz« (V. 137), im Grunde düsteres Schweigen. Wie zur Umrahmung folgt am Schluß die neunte Partie als eigenständiges Bauelement (V. 161–171). Parenthetisch abgesetzt, wird dieser Teil des Gedichts kenntlich als Zeichen des Einvernehmens mit dem Leser. Kein einziges neues Wort wird gebraucht. Und doch ist es ein anderes Sprechen. Wir begegnen einer radikal veränderten Sprechweise. Sie wird hauptsächlich herbeigeführt durch Auflösung des Satzganzen in 166 |
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die semantischen Bestandteile. Die neue Ausdrucksqualität liegt darin, daß die ungewohnte Sprachform den gewohnten lyrischen Diskurs in Frage stellt. Dadurch kommt der von Celan praktizierte sprachreflexive Gestus überhaupt erst zur rechten Wirkung. Denn der Stakkato-Text hämmert die Erinnerung an das »Gelände mit der untrüglichen Spur« endgültig ins Gedächtnis des Lesers. Das Schlußwort, »auseinandergeschrieben« (V. 3 > V. 171), legt fest, wie intensiv der Durchgang durch den Text das dargestellte Geschehen dem Adressaten in Erinnerung gebracht hat. Das »Auseinanderschreiben« ist nichts anderes als geschriebenes Eingedenken. Das erklärt im übrigen die große Leidenschaft, mit welcher Celan hier zu Werke gegangen ist. Er hat mit diesem Gedicht durch die konsequent praktizierte dissoziierende Zeilenstruktur, die fragmentierende Wort- und Satzbrechung und die generelle Reduktion und Konzentration des Ausdrucks, die poetische und die poetologische Grundlage geschaffen für seine weitere Arbeit. Das neue ästhetische Programm wurde zur Richtschnur für die in den sechziger Jahren entstandenen Gedichte und Gedichtzyklen. Auch in dieser Hinsicht erweist sich die Engführung wirklich als Weiterung.
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1960 – Büchnerpreis und ›Goll-Affäre‹
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eit dem Beginn des Studienjahres 1959/60 hatte Celan eine Stelle als Deutschlektor an der École Normale Supérieure in der Rue d’Ulm inne. Der Unterricht jeden Dienstag und Mittwoch mit den dortigen Studenten machte ihm große Freude. Er wollte einmal sogar allen seinen Hörern die Ausgabe des von ihm übersetzten Trunkenen Schiffs von Rimbaud schenken518. Der absurde Unfalltod von Albert Camus am 4. Januar 1960 brachte Celan dazu, einen (dann nicht abgeschickten) Brief an René Char zu schreiben, in dem er unter anderem die bezeichnende Aussage festhielt : »[…] es ist die Zeit des Anti-Menschlichen. Lebend sind auch wir tot«519. Damit äußerte er seine ihn fortgesetzt quälende Grundüberzeugung des Überlebens als Verlust. Äußerste Gegensätzlichkeit bestimmte Celans Existenz während des ganzen Jahres 1960. Die Kampagne Claire Golls erfuhr damals ihren negativen ›Höhepunkt‹, wie demgegenüber seine dichterische Laufbahn mit dem Büchner-Preis einen wirklichen Höhepunkt öffentlicher Anerkennung erreichte. Im März 1960 erschien, nach Rimbauds Trunkenem Schiff und den Gedichten von Mandelstamm, wiederum eine gewichtige Übersetzung in Gestalt von Paul Valérys großem lyrischen Text Die junge Parze (La jeune parque), also jenem Werk, von dem Rilke sagte, es sei unübersetzbar. Bald darauf veröffentlichte Celan auch seine Übertragungen der Gedichte Sergej Jessenins. Weithin außerstande, unter dem Druck des Plagiatsvorwurfs eigene Gedichte zu schreiben, beschäftigte er sich verstärkt mit Übersetzungen von Gedichten. Allerdings verfuhr er dabei ganz nach seinem eigenen Geschmack. Durchweg handelte es sich um Gedichte, die ihn persönlich unmittelbar ansprachen. Begeistert schrieb ihm Klaus Demus zur Valéry-Übersetzung : Versuche ich das Einzigartige von einem das Ganze Durchziehenden her zu fassen, zu bestimmen, so ist es der darin waltende Sprachgeist. Der ist von einer solchen Höhe, Reife und Würde, daß ich das Ganze zu den hervorragendsten Stücken der deutschen Sprachkunst zählen muß520.
Im April fragte Nelly Sachs Celan, ob er sie nicht in Zürich oder Meersburg treffen könne, weil sie zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus Hitlerdeutschland 1940 vorübergehend Schweden verlasse. Ihr war der Meersburger Droste-Preis zuge168 |
1960 – Büchnerpreis und ›Goll-Affäre‹
sprochen worden. Beide standen seit 1953 miteinander in zeitlich unregelmäßigem, aber tiefgründigem Briefwechsel. Der erste Brief Celans hat sich leider nicht erhalten. Danach ließ er ihr Mohn und Gedächtnis zuschicken. Nelly Sachs zeigte sich äußerst angetan. Sie schrieb ihm : »Sie sehen viel von jener geistigen Landschaft die sich hinter allem Hiesigen verbirgt und haben die Kraft des Ausdrucks für das leise sich öffnende Geheimnis«. Von Beginn an sah sie in ihm den »Hölderlin unserer Zeit.«521 Seinerseits antwortete ihr Celan im Januar 1958 : »Falsche Sterne überfliegen uns – gewiß ; aber das Staubkorn, durchschmerzt von Ihrer Stimme, beschreibt die unendliche Bahn«522. Ihre Antwort ließ nicht lange auf sich warten : »Sie ziehen mit mir auf den geheimen Sternenstraßen meines Herzens«523. Beide waren sich somit sehr nahe. Wie eng sie sich in ihren Verfolgungsängsten als Leidensgefährten verbunden fühlten, belegt die feste Überzeugung, die Nelly Sachs äußerte : »Paul Celan, Lieber, Lieber, Sie kommen (nach Zürich) und dann ist Heimat, auf welchem Sand wir auch stehen«524. Vom 25. bis zum 27. Mai 1960 kam es dann zur ersten persönlichen Begegnung beider in Zürich. Darauf wird im folgenden Exkurs genauer einzugehen sein. Seitdem verständigten sie sich in der geschwisterlichen Du-Anrede. Nach ihrem kurzen Urlaub im Tessin folgte dann Nelly Sachs vom 13. bis 17. Juni der Einladung nach Paris bei der Familie Celan. Als Gastgeber zeigte ihr Celan sehr gründlich die Sehenswürdigkeiten der Stadt und vor allem das Grab Heinrich Heines. Weniger angetan war er allerdings von der versöhnungsbereiten Droste-Preis-Rede wie dann von ihrem Gnadengesuch für Eichmann. Sie wiederum wollte Celan bei seinem Kampf gegen die Plagiatsvorwürfe behilflich sein, hatte aber nicht die nötige Kraft dazu. Wegen ihres schweren Nervenzusammenbruchs bald nach der Rückkehr flog Celan Anfang September nach Stockholm, ohne sie wirklich treffen zu können, weil sie ihn offenbar in ihrer verwirrten Bewußtseinssituation nicht immer wiedererkannte. Unverrichteter Dinge kehrte er wieder nach Paris zurück. Erst im Oktober konnte der Kontakt erneut aufgenommen werden. Zum jüdischen Neujahrsfest 1961 richtete Celan am 13. September die Worte an sie : »Es ist einsam geworden um uns, Nelly, wir haben es nicht leicht. Aber hoffentlich bringt dieses Jahr auch uns Anderes als das vergangene«525. Danach blieben sie beide in solidarischem Einvernehmen als »schlechthinnige Juden«526 bis sie, fast gleichzeitig, 1970, er im April, sie am 12. Mai, aus dem Leben schieden. Im April 1960 veröffentlichte Claire Goll im Anschluß an ihre langjährige Verleumdungskampagne in der eher unbedeutenden Münchner Literaturzeitschrift Baubudenpoet einen Artikel527 gegen den diesjährigen Träger des Büchner-Prei1960 – Büchnerpreis und ›Goll-Affäre‹
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ses. Darin bezichtigte sie Celan erneut des Plagiats an den französischsprachigen Gedichten Yvan Golls, die er teilweise ins Deutsche übersetzt hatte, sowie an dessen Gedichtband Traumkraut. Nicht wenige Zeitungen übernahmen ungeprüft ihre Anschuldigungen. Sonst hätten die Verfasser bemerken müssen, daß Claire Goll nach dem Tod ihres Mannes dessen Texte zum Teil auf der Grundlage von Celans Übersetzung umarbeitete und ebensowenig davor zurückschreckte Daten zu manipulieren. Naturgemäß löste die Anschuldigung eine beträchtliche Resonanz aus. Celan bekam den ebenso gehässigen wie verlogenen Artikel am 3. Mai 1950 in der Pariser Librairie Flinker an eben dem Tag vor Augen, an dem er Nelly Sachs wissen ließ, daß er zur Begegnung mit ihr nach Zürich kommen werde. Er hoffte natürlich, sie als Helferin gegen die Gollsche »Infamie« gewinnen zu können. Leider konnte durch die schwere psychische Erkrankung von Nelly Sachs nichts daraus werden. Zudem litt unter der ›Goll-Affäre‹ der Juliurlaub 1960 mit Frau und Sohn in dem Ort Trébabu in der Bretagne erheblich. Celan mußte sich eben dauernd mit den gemeinen Anwürfen auseinandersetzen. Schließlich wandte er sich an Klaus Demus, um über ihn eine öffentliche Stellungnahme verfaßt zu sehen. Aber der Freund reagierte seiner Meinung nach nicht scharf genug, so daß Celan plötzlich ihm wie auch Ingeborg Bachmann und Marie Luise Kaschnitz mangelnde Solidarität vorwarf. Das war durchaus ungerecht, denn der Freund hatte eine sehr überzeugende »Entgegnung« verfaßt528. Freilich ist es nicht verwunderlich, daß der von verschiedenen Seiten angegriffene Celan in dieser ihn überfordernden Situation wiederholt übertrieben reagierte und 1962 sogar den Kunstpreis des Landes Niedersachsen und die Wahl in die WestBerliner Akademie der Künste ablehnte. Zu zerstörerisch waren für Celan die in keiner Weise gerechtfertigten Plagiatsanschuldigungen und die damit um ihn und sein Werk fortwährend lastende Katastrophe. Nicht ohne Grund ließ Celans Frau dazu im Blick auf die Urheberin Goll verlauten : »So viele Stunden, so viele Wochen, so viele Monate Unglück häufen sich nun schon hinter uns auf, durch ihre Schuld«529. In der Folgezeit mußte Celan erleben, wie in Teilen der Presse und auch bei einigen befreundeten Kollegen die Gollschen Vorwürfe aufgegriffen wurden. Sogar der gutgemeinte Versuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 1961 mit einem Untersuchungsbericht der ›Goll-Affäre‹ zu begegnen, wurde von Celan abgelehnt, weil der Verfasser des Gutachtens, Reinhard Döhl, zwar die Attacken Claire Golls nun zurückwies, zuvor aber die Plagiatsvorwürfe entschieden unterstützt hatte. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hatte in seiner Sicht eindeutig den falschen Fürsprecher gewählt.
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Unter eher unguten Rahmenbedingungen erfolgte am 22. Oktober die Übergabe des Georg-Büchner-Preises der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Celan hatte sich gründlich vorbereitet. Seit August 1959 arbeitete er an dem Text, der dann zu seiner Dankesrede wurde. Unter dem Titel Der Meridian entstand so das Grundlagenwerk seiner Auffassung von Dichtung – von wahrer Dichtung. In gewisser Weise besteht ein enger Zusammenhang zwischen dieser Rede und den gehässigen Anwürfen von der Seite Claire Golls und ihrer Anhänger. Dementsprechend voluminös ist das Entwurfsmaterial, aus dem er dann die Endfassung herauskristallisierte. Ganz bewußt setzte er dabei der monologischen Konzeption Gottfried Benns seine dialogische These vom Gedicht als Gespräch und Begegnung entgegen. Von Georg Büchner herkommend, vertrat er das vom Künstler gestaltete »Gegenwort«530 aus einer Wirklichkeit, die den Himmel zum Abgrund gemacht hat. Wahre Dichtung soll deswegen eine »Atemwende« herbeiführen531, die dem »freigesetzten Wort« entspringt532. Auf solche Weise kommt Celans Art des Dichtens zustande : »Ich finde etwas – wie die Sprache – Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches […], über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes […] ich finde […] einen Meridian«533. Damit faßte er in ein bildstarkes Zeichen, was ihn zum Schreiben trieb : Begegnung im Erinnern. Gerade dadurch erweist sich der Meridian-Text als sein poetologisches Manifest. Die Reflexion über seine Art zu dichten zeigt uns, warum und wie er seine Gedichte schrieb und sie verstanden wissen wollte. Klaus Demus reagierte begeistert : »Die Rede ist ein bares Wunder. Wir werden nun lesen, eindringen, Besitz ergreifen und ganz zu empfangen suchen, was Du gabst und was nun, in seinem Weltgewand, wie neu geschenkt ist«534. Als Celan erfuhr, daß im Herbst Martin Buber (1878–1965) in Paris sein werde, ließ er es sich nicht nehmen, am 14. September den verehrten jüdischen Philosophen in seinem Hotel aufzusuchen. Er stand noch ganz unter dem Eindruck der deprimierenden Situation, in der sich bei seinem Besuch die psychisch erkrankte Nelly Sachs in der Stockholmer Psychiatrie befand, zumal die Folgen des verbreiteten Antisemitismus sich mit derselben zerstörerischen Kraft in ihm selbst äußerten. Buber hingegen, der Philosoph des Dialogs, vertrat eine eher verzeihende Haltung gegenüber den Deutschen. Dafür fehlte dem schwer angeschlagenen Celan jedes Verständnis. Mit Recht folgerte Felstiner : »Diese Begegnung, diese gescheiterte Begegnung entließ den Dichter nur noch verletzlicher«535. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, daß Celan bald danach das von ihm hochgeschätzte Buch Ich und Du (1923), eines der Schlüsselwerke Bubers, trotz der erfolgten Widmung für Celan an den Freund Klaus Demus weitergab.
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Im Zentrum seiner literarischen Arbeit stand, neben den erwähnten Übersetzungen, die allmähliche Zusammenstellung des Gedichtbandes Die Niemandsrose sowie die Ausarbeitung einer Rundfunksendung über Ossip Mandelstamm, deren Substanz teilweise in die Meridian-Rede übernommen wurde. Hinsichtlich des psychischen Zustands von Celan kam es im Herbst des Jahres zu depressiven Anfällen, die sich zunehmend verstärkten. Darunter litt natürlich auch das familiäre Zusammenleben. Ein Brief an seine Frau vom Ende 1961 ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Er schrieb da : ich muß unbedingt aus allem heraus und wieder zu mir selber kommen. Zu mir selber gekommen, werde ich auch wieder zu Ihnen und zum Sohn kommen : zu diesem Leben, in dieses Leben, das ich gewollt habe, das ich aufzubauen gewünscht habe. Vielleicht finden Sie […] einen Arzt, der begreift, daß ich nicht ›spinne‹ und daß dies alles tatsächlich ein in seiner Art einzigartiger Fall ist, der aber gleichzeitig so vielen anderen Affären gleicht. […] Verzweifeln Sie nicht an mir. […] Ich bleibe bei Ihnen und beim Sohn. Halten Sie stand ! Ich werde damit fertig werden. Ich liebe Sie, Paul536.
Was hinter diesen Zeilen an Schmerzen, Mißtrauen, Verwirrung, Ängsten und Verzweiflung steckt, übersteigt die Vorstellungskraft der Umwelt. Manche waren dann schnell bei der Hand, den Anschuldigungen Claire Golls Glauben zu schenken oder am Verstand Celans zu zweifeln. Das führte schließlich dazu, daß der so Angefeindete gegenüber Siegfried Lenz äußerte, an ihm werde die ›Endlösung‹ der Judenfrage vollendet537. Während einer depressiven Krise notierte er im Tagebuch zur ›Goll-Affäre‹ und ihren Folgen die Verse eines übel Verfolgten : Die ihn bestohlen hatten, / nannten ihn einen Dieb, / die ihn nachäfften, / verbreiteten, er sei ein Plagiator. // […] Die Meuchler / nannten ihn feige. / Die sein Vertrauen mißbrauchten, / nannten ihn mißtrauisch, / die ihn beleidigten, fanden ihn viel zu empfindlich. // Als er an / Solidarität appellierte, / bekundete man ihm Mitleid und Beileid. / Die gehetzt hatten gegen ihn, / verteidigten ihn, / ›wie der Strick den Gehenkten‹538.
Im gleichen Zusammenhang ließ er Klaus Demus wissen : »Ich habe Schweres hinter mir, Klaus, und Schweres vor mir«539. Und in dem von ihm unveröffentlicht gelassenen, an die tote Mutter gerichteten Gedicht »Wolfsbohne« klagte er unmißverständlich : »Mutter, ich / bin verloren. / Mutter, wir / sind verloren«540. In dieser prekären Verfassung ging Celan in das letzte Jahrzehnt seines Lebens. Immer weniger gelang es ihm, sich auf seinen Lebensalltag und sein Schreiben zu konzentrieren. Daß er trotzdem überhaupt noch dichten konnte, grenzt an 172 |
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ein Wunder. Zu lähmend war nämlich die Last der Erinnerung und mehr noch die Furcht vor dem Kommenden. In dieser Hinsicht wird seine Äußerung hierzu erklärlich : Wenn auch nur einer von denen, die seit Jahren diese niederträchtigen Briefe der Gollin bekommen, auch nur ein halbes Wort der Empörung hätte laut werden lassen, es wäre nicht so weit gekommen. Man gönnt mir das. […] Und auf seine Weise gehört auch das in den Nazi-Kontext541.
Und ferner : »die Angriffe richten sich sowohl gegen mich als auch gegen meine Gedichte. […] der Angriff gegen das eine hat jeweils auch die Zerstörung des anderen zum Ziel«542. Er war eben ein Opfer fehlenden Mitgefühls für seine ausweglose Situation und fühlte sich nicht allein als Mensch, sondern auch gerade als Dichter angegriffen und tief verletzt. So erklärt sich im übrigen sein verzweifelter Brief, den er an Alfred Margul-Sperber richtete. Es heißt da unter anderem : »Nachdem ich als Person, also als Subjekt ›aufgehoben‹ wurde, darf ich, zum Objekt pervertiert, als ›Thema‹ weiterleben, als ›herkunftsloser‹ Steppenwolf zumeist, mit weithin erkennbaren jüdischen Zügen«543. Celan fühlte sich eben als verfolgter Jude, als ein für immer Gezeichneter. Gewiß fiel er aus der psychologischen Norm. Aber er war in keiner Weise ›geistig umnachtet‹, kein Geisteskranker, sondern ein Mensch, den seine Erregung immer wieder und immer mehr in eine paranoid geprägte Depression versetzte. Am besten spricht man wohl kurzerhand von einem abweichenden Verhalten, das den so Reagierenden immer wieder in punktuelle psychische Anomalie versetzt. Der Grund hierfür ist im Falle Celans unschwer zu benennen. Er heißt Antisemitismus. Das waren höchst bedenkliche Vorzeichen. Sie lasteten mithin über dem vierzigsten Geburtstag Celans im November 1960 wie überhaupt über seinem weiteren Leben.
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Exkurs : Zu Celans Judentum im Gedicht Zürich, zum Storchen
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ur Situierung : Vom 25. bis 27. Mai 1960 trafen sich Nelly Sachs und Celan in Zürich zu ihrer ersten persönlichen Begegnung. Als am Morgen des 25. die Familie Celan und Ingeborg Bachmann zur Begrüßung von Nelly Sachs am Flughafen zusammentrafen, wurde in allen Zeitungen und im Fernsehen die Nachricht verbreitet, daß zwei Tage zuvor vom israelischen Geheimdienst einer der Haupttäter im Rahmen der nationalsozialistischen Judenvernichtung, Adolf Eichmann, in Argentinien verhaftet und nach Israel entführt worden sei. Natürlich war dieses Ereignis auch eines der Gesprächsthemen zwischen Nelly Sachs und Celan. Am Nachmittag ihres Eintreffens bot die ältere Nelly Sachs den jüngeren Paul, Gisèle und Eric Celan sowie Ingeborg Bachmann das freundschaftliche Du an. Am Abend trafen sich die Celans und Ingeborg Bachmann, begleitet von Max Frisch in dessen Stammlokal, dem Restaurant Kronenhalle544. Am folgenden Tag, es war Christi Himmelfahrt, erfolgte die von beiden ersehnte persönliche Unterredung unter vier Augen in dem gegenüber dem Münster gelegenen Hotel Zum Storchen. Beide unterhielten sich dabei ausführlich über ihre unterschiedliche Stellung zur jüdischen Religion. In seinem Notizbuch notierte Celan zu diesem gegensätzlichen Dialog : »›Nelly Sachs, allein : Ich bin ja gläubig‹. Als ich darauf sage, ich hoffte, bis zuletzt lästern zu können : ›Man weiß ja nicht, was gilt‹«545. Nelly Sachs unterstrich ihre Auffassung in einem der für Celan mitgebrachten Bücher, der Sammlung Sternenverdunkelung, mit den Worten : »Es gilt Paul es gilt / Nur vielleicht anders als wir glauben / Nelly«546. Aus diesem Anlaß heraus entstand, kurz nach der Rückkehr Celans nach Paris, genau am 30. Mai, das Gedicht Zürich, zum Storchen, das er der Freundin dann sogleich widmete. Weil dabei Celans grundsätzliche Skepsis in religiöser Hinsicht zum Ausdruck kommt, hat das Gedicht für unser Verständnis seiner Persönlichkeit besonderes Gewicht. Selbstverständlich war er vertraut mit dem Werk von Margarete Susman Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes547, in dem die Autorin angesichts der Schwierigkeit, von der »gewaltigsten Aufgipfelung des Judenhasses«, also von der Shoah, zu sprechen, gleich in der Einleitung betonte : »Wohl ist diesem Geschehen gegenüber jedes Wort ein Zuwenig und ein Zuviel«548. Celan ergriff die Gelegenheit, über ihre unterschiedliche Sicht der Wirklichkeit, diejenige von Nelly Sachs und auch die seine, eine lyrische Reflexion anzustellen. Das Gedicht über den von beiden geführten Dialog erweist sich als hilfreich bei der 174 |
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Bestimmung von Celans Judentum. Er fühlte sich keineswegs an die religiösen Regeln gebunden, sondern sah, solange wie möglich, im Judentum die Grundlage der einzigen ihm gebliebenen Werte : »Stehen« und Widerstehen. In einem der letzten Briefe an Ilana Shmueli legte er Wert auf die Feststellung : »Es ist ein Kampf, Ilana, ich kämpfe ihn aus. Du weißt, daß es ein jüdischer Kampf ist. Ich stehe«549. In diesem Sinne bestand er auf der jüdischen Tradition. Die ihm zuzuschreibende ›Religiosität‹ war sich wehrender jüdischer Geist. Ihn machte er zur ethisch-moralischen Substanz seiner Gedichte. Sie suchte er sich zu bewahren, solange er die Kraft dazu aufbrachte. Das Gedicht Zürich, zum Storchen nahm Celan in die erste Abteilung der 53 Gedichte des Bandes Die Niemandsrose auf. Es ist erstaunlich, daß er in dieser schweren Lebensphase überhaupt eine solche Sammlung realisieren konnte. Absichtsvoll widmete er diesen Band »dem Andenken Ossip Mandelstamms«, mit dem ihn, wie schon erwähnt, eine geradezu brüderliche Zuneigung verband. An das Gespräch mit Nelly Sachs anknüpfend, entwickelte er in diesem Gedicht mit großer Zurückhaltung seine eigene Glaubensüberzeugung. Zürich, zum Storchen Für Nelly Sachs Vom Zuviel war die Rede, vom Zuwenig. Von Du und Aber-Du, von der Trübung durch Helles, von Jüdischem, von deinem Gott. Davon. Am Tag einer Himmelfahrt, das Münster stand drüben, es kam mit einigem Gold übers Wasser. Von deinem Gott war die Rede, ich sprach gegen ihn, ich ließ das Herz, das ich hatte, hoffen : auf Exkurs : Zu Celans Judentum
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sein höchstes, umröcheltes, sein haderndes Wort – Dein Aug sah mir zu, sah hinweg, dein Mund sprach sich dem Aug zu, ich hörte : Wir wissen ja nicht, weißt du, wir wissen ja nicht, was gilt.550
Wir haben es zu tun mit einer lyrischen Fortführung des Gesprächs zwischen Nelly Sachs und Paul Celan. Wie bereits erwähnt, fand dieses am Himmelfahrtstag im Hotel Zum Storchen, das am Ufer der Limmat direkt gegenüber dem Großmünster gelegen ist, statt. Der lokale Rahmen hat sein Gewicht, denn das »mit einigem Gold übers Wasser kommende Münster« (V. 10/11) liefert die versöhnende Umfassung für das gegensätzlich verlaufende Gespräch. Der offenkundige Widerstreit zwischen Syntax und Versifikation im Gedichttext, sogar bis ins einzelne Wort hinein (»da-von«, V. 7/8), gibt dem Wortmaterial ein gänzlich anderes, vertiefendes Gewicht. Durch diese Art der Formgestaltung gibt Celan dem Leser die Möglichkeit zu reflektierendem Lesen vor. Gegenstand des so schwierigen Gesprächs ist die »Trübung durch Helles« (V. 4), nämlich das »Zuviel« und »Zuwenig« (V. 1/2) bei der Erörterung so komplexer Fragen wie gegenseitiges Verstehen (»Du und Aber-Du«, V. 2/3), Religion, Shoah, Judentum und Antisemitismus in der Welt (»dein Gott«, V. 7). Das »Zuviel« und das »Zuwenig« hat Celan direkt der grundsätzlichen Fragestellung Margarete Susmans in ihrem Hiob-Buch entnommen. Er unterstreicht damit die Bedeutung des Inhalts der Diskussion. Zugleich macht er darauf aufmerksam, daß diskutierend der Gegenstand Schaden nehmen kann (»Trübung durch Helles«). Jedenfalls respektiert er ohne weiteres die unterschiedliche Art des Denkens. Daß er aber von »deinem Gott« spricht, verdeutlicht den eigenen Abstand dazu. Es ist nicht sein Gott. So sehr Celan sich zum Judentum und zur jüdischen Geschichte bekannte, so groß war sein Abstand in Glaubensfragen (»Von deinem Gott war die Rede, ich sprach / gegen ihn«, V. 12/13). In diesem Zusammenhang deutet er an, immer noch die leider vergebliche Hoffnung zu hegen, »sein höchstes, umröcheltes, sein / ha176 |
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derndes Wort« (V. 17/18) vernehmen zu können. Es müßte ein den Atem verschlagendes (»umröcheltes«, V. 17) Wort sein. Aber der das Ganze abschließende Gedankenstrich läßt das bewußt offen. Entscheidend ist die Aussage : »ich / ließ das Herz, das ich hatte, hoffen« (V. 13/15). Insofern respektiert er die Position von Nelly Sachs, auch wenn er bei seiner entgegengesetzten Auffassung bleibt (»Dein Aug sah mir zu, sah hinweg, / dein Mund / sprach sich dem Aug zu, ich hörte«, V. 19/21)551. Ungeachtet der völlig anderen Überzeugung, bleibt es beim freundschaftlichen Dialog. Im Schlußabschnitt in Gestalt der fünften ›Strophe‹ übernimmt der Autor des Gedichts sogar zustimmend und bekräftigend die Aussage von Nelly Sachs : »Man weiß ja nicht, was gilt«. Er verallgemeinert sie in eindeutiger Zustimmung mit der das Ganze zusammenfassenden Variante : »Wir / wissen ja nicht, weißt du, / wir / wissen ja nicht, / was / gilt« (V. 22–27). Insofern gehört die Widmung zum Gedichttext, denn das Gedicht ist Nelly Sachs zugeeignet, ist gewissermaßen eine Huldigung des Nicht-Gläubigen an die Gläubige. Aber zugleich betont Celan damit die eigene Position des im Sinne der Orthodoxie ›ungläubigen‹ Juden. Was er glaubte, war irdisch gebunden. Notierte er doch kurz vor der Israel-Reise 1969 den Satz : »Mein Judentum : das, was ich in den Trümmern meiner Existenz noch anerkenne« (»Mon judaïsme : ce que je reconnais encore dans les débris de mon existence«552). Das sich auf die Zürcher Begegnung beziehende Gedicht war Celans positive Reaktion auf den von Nelly Sachs vor der Begegnung geäußerten Wunsch : So werden wir uns dennoch in der Hoffnung begegnen – in dunkler Sternzeit aber doch in der Hoffnung ! […] In der Nacht blüht der Segen auf, dem falsch – und doch Gott-richtig Gesegneten auf. In der Nacht möge er Ihnen aufblühen !553.
Um ihr in ihrer schweren psychischen Erkrankung bald danach Hoffnung zu machen, schrieb er ihr in suggestiver Absicht : Es sind so viele freundliche Herzen und Hände um uns, Nelly ! Sieh, bitte, wie nah sie sind, wie viele es sind ! Ja, es ist wieder hell – das Netz, das dunkle, ist fortgezogen – nicht wahr, Nelly, Du siehst es jetzt, Du siehst, daß Du im Freien bist, im Hellen, mir uns, unter Freunden ?554
Das Fragezeichen dahinter verrät die gutgemeinte, aber geringe Überzeugungskraft dieser Argumentation. Er befand sich ja selbst in vergleichbarer psychischer Verfassung. Zu einem guten Teil war das eher ein Versuch zur Selbstermutigung. Exkurs : Zu Celans Judentum
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Noch fünf Jahre später notierte Celan unter Bezugnahme auf seinen Besuch in der Stockholmer Psychiatrischen Klinik 1960 die gleichfalls ihn selber betreffende Diagnose : »Wer oder was / trieb Nelly Sachs in den Wahnsinn ? // […] In Stockholm hört ich sie sagen : / ›Die in Auschwitz / litten nicht das, was ich leide«555. Er gehörte ebenso – und weit mehr als Nelly Sachs – zu den von Auschwitz fortwährend Verfolgten. Sie war durch die Flucht nach Schweden mit ihrer Mutter dem Vernichtungsmechanismus in letzter Minute entronnen. Er hatte die todbringende Maschinerie gründlich an sich selbst erfahren. Aus diesem Grund nahm er für sich in Anspruch, als jüdischer Kämpfer aufzutreten, der nicht verzeiht, was an Unmenschlichem geschehen war und weiter geschah. Wenn er im Gedicht »von Jüdischem« spricht, meinte er genau diese kriegerische Haltung. Es waren die Verhältnisse, denen er in Deutschland und anderswo begegnete, die ihn dazu brachten. Er hielt sich im Gedicht Die Schleuse, an die Worte »Kaddisch«, und »Jiskor«, die hebräischen Worte des Eingedenkens, mithin also an das Gebet der trauernden Juden. Während Nelly Sachs in ihrem Glauben die Kraft zur Verzeihung finden konnte, sah er sich als Zweifelnder und auch Verzweifelter genötigt, Widerstand zu leisten. Hierzu gilt die Eintragung in Kafkas Notizbuch, die Celan genauestens kannte : »Schreiben als Form des Gebetes«556. Das gerade erwähnte Gedicht (Die Schleuse) beginnt darum mit den Worten : »Über aller dieser deiner / Trauer : kein / zweiter Himmel«557. Er mußte sich hier im Lebensalltag durchkämpfen. Und er tat das, solange er konnte, denn es war »schwer wie das Hier- / und Hinaus-ins-zweite- / Dunkel-Gewogen- / Werden«558. In voller Überzeugung notierte er im Sommer 1961 auf ein Blatt : »Ich verantworte – Ich widerstehe – Ich verweigere«559. Er nahm dieses schwere Los auf sich und konnte so das Gedicht »Ein Wort vom Zur-Tiefe-Gehen« mit den Versen zuversichtlich abschließen : »Weißt du, der Raum ist unendlich, / weißt du, du brauchst nicht zu fliegen, / weißt du, was sich in dein Aug schrieb, / vertieft uns die Tiefe«560. Seine Haltung erlaubte es ihm, weiter zu schreiben. Aber der weitere Weg wurde immer schwerer für ihn.
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Exkurs : Zu Celans Judentum
Weiterschreiben, weiterleben : »Fadensonnen über der grauschwarzen Ödnis« – »ein Atemkristall, dein unumstößliches Zeugnis« (1961–1967)
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elan war nun ein berühmter und angesehener Dichter, aber auch ein seiner Umwelt mit größter Skepsis begegnender und darunter leidender, schwer geprüfter Mensch. Es ist staunenswert, wie er unter größtem psychischem Druck immer die Möglichkeit fand, weiterzumachen, weiter Gedichte zu schreiben. Dazu bedurfte es in der Tat einer »Atemwende«, die den »Atemkristall« in Form weiterer Gedichte ermöglichte. Gewiß nicht ohne Grund wählte Celan dann Atemwende als Titel für die 1967 erschienene Gedichtsammlung. Denn sie ist Voraussetzung für die künstlerische Ausgestaltung des »Atemkristalls«. Celan betonte das ausdrücklich. »Es ist wirklich das Dichteste, was ich bisher geschrieben habe, auch das Umfassendste. Bei manchen Wendungen des Textes habe ich, ich muß es gestehen, Stolz verspürt.«561 Deshalb stehen auch am Ende des 1963 entstandenen Gedichts Weggebeizt die Verse : »ein Atemkristall / dein unumstößliches / Zeugnis«562. Celan suchte den Raum der »Fadensonnen über der grauschwarzen Ödnis«563. Er notierte hierzu einmal : »›Fadensonnen‹, das ist dort, wo die Selbstentfremdung des Menschen aufhört«564. Gemeint war damit das extrem dünn strahlende Sonnenlicht im Raum freier und wie selbstverständlicher Menschlichkeit. Über zwölf Jahre lebte Celan nun schon in Paris. Da war es nur schlüssig, daß ihm seine Frau Anfang 1961 den Vorschlag machte, um Abstand von diesem belastenden Alltag in der Weltstadt zu gewinnen, für ein ganzes Jahr in die abgelegene Bretagne zu gehen. Doch wurde daraus nichts. In aller Offenheit berichtete er dem im nicht mehr wiederzuerkennenden sowjetischen Tschernowzy (früher : Czernowitz) lebenden Jugendfreund Gustav Chomed : Es ist nicht leicht, Dir von meinen Lebensumständen zu berichten. […] So abrupt das hier Folgende auch kommen mag – : ich habe mich oft nach dem Wie und Warum meines Weges gefragt, denn auch dort, wo Du bist, stand ein Schicksal offen. Sicherlich war, wenn auch nicht zu Beginn, die Sprache das Entscheidende. […] Vieles steht in den Gedichten, die ich geschrieben habe, so deutlich, daß man es in Deutschland vorzieht, in diesen Gedichten allerlei […] Schwerverständliches, Verschlüsseltes, Surreales etc. zu erblicken. Man kehrt es eben um. Im übrigen – und das gehört zu meinen Weiterschreiben, weiterleben
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jüngsten Einblicken in das gegen mich in Westdeutschland Angezettelte – steht ein großer Teil der dortigen Nachkriegsliteratur bewußt im Zeichen der Inversion. Das führt folgerichtig zu einer Wiederaufwertung von ganz bestimmten nationalistischen Tendenzen der vorfaschistischen Zeit – entsprechend getarnt natürlich. Ich kann nur hoffen, daß die Menschen im sozialistischen Lager auch diese Travestie rechtzeitig durchschauen. – Vieles, das man hier im Westen als Licht ansehen will, ist tatsächlich nichts als die Phosphoreszenz der Fäulnis. Etwas Entscheidendes hat mutiert – oder ist im Begriff zu mutieren. Das Natürliche, Selbstverständliche ist zum Problem geworden, das Einfache hat es schwer. […] ›Umstände‹ – Du siehst, was einem deutschen Schriftsteller meiner Herkunft dazu einfallen kann, einfallen muß, wenn er seine Umwelt […] darzustellen versucht. Soviel Unglaubliches : soviel Faktisches565.
Manche Einseitigkeit mag sich in diese Beschreibung der Lebensumstände Celans eingeschlichen haben. Im Kern des Problems stand eben die Tatsache, daß die damalige Bundesrepublik für ihn eine Angstlandschaft war. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß viele mit der Rüstungsindustrie Befaßte, viele Verwaltungsbeamte, Juristen, Offiziere, Lehrer und Ärzte des Dritten Reiches bald wieder ungestört weiterarbeiten konnten. Celan registrierte aufmerksam die äußerst lax betriebene Entnazifizierung und ebenso die milden Urteile beim ersten Auschwitz-Prozeß. Er kannte genau die wenig koschere Vergangenheit der Literaturkritiker Curt Hohoff und Hans Egon Holthusen die sich nicht scheuten, seine Gedichte fälschlicherweise zu kritisieren (»sie, die den Schwarzhagel säten, sie / schreiben ihn weg, mit mimetischer Panzerfaustklaue !«566). Er sah bei seinen Reisen in Deutschland die Naziparolen und Hakenkreuze an den Häuserwänden, vor allem an den Synagogen. Das erklärt hinreichend seine Einschätzung der damaligen Bundesrepublik. Daß er mit seinen Beobachtungen gelegentlich übertrieben reagierte, wußte er selbst nur zu gut. Er schrieb dazu : »Meine Nerven sind eben nur meine Nerven und sie haben versagt – aus sehr realen, sehr objektiven Gründen«567. Sein Urteil über Deutschland war eindeutig negativ : »Die menschliche Landschaft in diesem unglücklichen Land (das sich seines Unglücks nicht bewußt ist) ist höchst beklagenswert. Die seltenen Freunde, die wahren, sind enttäuscht, resigniert, entmutigt«568. Hingegen fühlte er sich in Paris besser aufgehoben. Er sagte sogar : »Am Abend meiner Rückkehr […] habe ich gedacht, daß auch ich von hier bin, daß ich mich innerhalb meiner Wände befinde, ich werde mich nicht von der Stelle bewegen, ich werde Frankreich nicht verlassen«569. Einsam blieb Celan dennoch auch im französischen Umfeld. Sogar hier […] war er eben doch »der Fremde, ungebeten, woher, / der Gast«570. Wiederholt 180 |
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beklagte er den schwierigen Alltag »in diesem nun gar nicht mehr geträumten, oft so unmenschlichen Paris«571. Darin ist wohl der Grund zu suchen, daß Celan und seine Frau im April ein kleines Landhaus in Moisville erwarben, am Ostrand der Normandie gelegen, etwa hundert Kilometer von Paris entfernt. Dorthin konnten sie sich nun immer wieder zurückziehen. Kurz vor seinem ersten psychischen Zusammenbruch arbeitete Celan im Herbst 1962 sogar noch ein zweites Mal für das Internationale Arbeitsbüro in Genf. Von dort aus besuchte er Friedrich Dürrenmatt in Neuchâtel und das Museum in Bern mit vielen Bildern Paul Klees (»Ich habe aus der Tiefe meiner Mutlosigkeit diesen ungeheuren Mut bewundert«)572, Kandinskys und Chagalls. Nach seiner Rückkehr von Genf ging er für kurze Zeit nach Moisville und nannte das Refugium, sicher unter Anspielung auf die dort tatsächlich vorzufindenden drei Birken, jedoch ebenso im Blick auf die dreiköpfige Celan-Familie, »Haus zu den drei Birken« (»Les trois Bouleaux«). Am 3. November schrieb er von dort seiner Frau glücklich die folgenden Verse : »Dies ist der Augenblick, da / die Werwölfe auf / der Strecke bleiben. / Kein/ Scherge mehr / lebt. / Der Mensch, wahr und allein / geht aufrecht inmitten / der Menschen«573. Suggestiv beschwor Celan damit sein humanes Wunschbild als Vision der Befreiung vom Druck der Anfeindungen, Gemeinheiten und Verleumdungen. Freilich widerlegte die Wirklichkeit diese Illusion rasch und gründlich. Bald schon drang die grausam schmerzende »Stimme des Anti-Menschlichen«574 wieder und wieder an sein Ohr. Seit dem Herbst 1960 hatten sich die psychischen Probleme auffallend verstärkt. Unruhe, Ängste, Nervosität, Reizbarkeit, Ärger, Verdächtigungen und Depressionen lösten im Bewußtsein Celans mit seiner überstrukturierten Wirklichkeitserfassung vorübergehende Konzentrationsstörungen und Wahnwahrnehmungen aus, derer er nicht mehr immer Herr werden konnte. Diese ›pathologische Rationalität‹ war ihm durchaus bewußt. Bereits kurz vor Weihnachten 1959 schrieb er dem Schriftsteller und Maler Wolfgang Hildesheimer : Es ist mir nicht unbekannt, daß ich den Ruf eines ›Überempfindlichen‹, ›an Verfolgungswahn Leidenden‹ usw. genieße (nicht zuletzt in Kreisen der Gruppe 47) ; ich habe Ihnen, als ich Ihnen meine verschiedenen Erfahrungen mit dem Hitler-Nachwuchs erzählte, Tatsachen geschildert575.
Was für die Außenwelt Einbildung zu sein schien, war für ihn direkte Wirklichkeit. Infolge dieser psychotischen Störung sah er gleichsam ›hinter die Fassade‹ und entwickelte daraus eine besondere, demaskierende Logik gegenüber Weiterschreiben, weiterleben
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der Realität. Allerdings wurde er dadurch mehr und mehr zum Gefangenen der Vergangenheit. Seine Frau, die ihn zweifellos am besten kannte, schrieb an die Freunde Nani und Klaus Demus wie folgt : Man muß Paul zuhören, auch wenn es schwer ist, auch wenn es unglaublich scheint, […] auch dann, wenn er sich täuscht, bitte. Er täuscht sich selten. Aber ich weiß ja, daß Ihr das alles wißt, aber ich weiß auch, daß es sehr schwer ist, sehr schwer zu leben – Ihr, die Ihr Pauls Freunde seid, laßt ihn nicht fallen, alle lassen ihn fallen, alle lassen ihn fallen. Es ist schwer, schwer576.
Diese Worte entspringen gründlicher Erfahrung und zugleich tiefer Verzweiflung. Ende 1962 hatte Celan den ersten schweren Nervenzusammenbruch, der ihn weit mehr beeinträchtigte als die bisherigen, akut auftretenden psychischen Belastungsreaktionen. Er wurde zunächst vom 31.12.1962 bis zum 17.1.1963 in die private psychiatrische Klinik in Épinay-sur-Seine aufgenommen. Dort kam offenbar sogar die Zwangsjacke zum Einsatz, denn Celan erwähnt in einem der Briefe an Gustav Chomed »drei Wochen Nervenklinik – nicht ohne ein paar recht mittelalterliche Scherze – und seither immer sogenannte Depressionen«577. Celan hatte, obwohl psychisch krank, jedoch immer wieder für längere Zeit die Kontrolle über seine Geistesgegenwart, denn er kam seiner Arbeit an der École Normale Supérieure nach Kräften nach578, betrieb die notwendigen Kontakte und schrieb fortlaufend Gedichte. Sein Lebensalltag aber war und blieb in psychischer Hinsicht mehr als verschattet. Er situierte seine angeschlagene Befindlichkeit sowie die daraus resultierenden Probleme im Ehealltag in den folgenden, vielsagenden Versen : »Ich kenne dich, du bist die tief Gebeugte, / ich, der Durchbohrte, bin dir untertan. / Wo flammt ein Wort, das für uns beide zeugte ? / Du – ganz, ganz wirklich. Ich – ganz Wahn«579. Als er in der psychiatrischen Behandlung in Épinay-sur-Seine war, schickte Gisèle ihrem Mann eine ebenso beruhigende wie anrührende Botschaft : »Ich denke unaufhörlich an Dich, wir brauchen alle beide viel Mut, und wir werden ihn haben, nicht wahr […] Wir werden standhalten, wir werden siegen, die Liebe wird stärker sein als alles«580. Er hatte ihr schon zuvor geschrieben : Danke, ma chérie, daß Sie so mutig sind. Sie sind, und das wissen Sie genau, die Frau eines Poète maudit ; doppelt und dreifach ›Jude‹. Danke, Gisèle de Lestrange, daß Sie das alles auf sich nehmen581.
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Dennoch geriet naturgemäß die Ehe in eine schwere Krise. Dazu kamen Probleme im Umgang mit dem engsten Freund Klaus Demus. Das ging so weit, daß der Celan schreiben mußte : »Paul, ich habe den entsetzlichen ganz schweren Verdacht, daß Du an Paranoia erkrankt bist !«582. Celan wollte das nicht wahrhaben und hüllte sich dem Freund gegenüber mehr als sechs Jahre in Schweigen. Seine wichtigste Freundschaft ging darüber in die Brüche. Erst im Dezember 1968 bahnte sich eine gewisse Aussöhnung an, aber die gewohnte Vertrauensbasis war zerstört. Celans quälende psychische Probleme wurden auch durch die fortdauernde ›Goll-Affäre‹ verstärkt. In seiner Sicht gehörten Art und Auswirkungen der Debatte in den Zusammenhang antisemitischer Verhaltensmuster in Deutschland. Er sah darin den auf seine Person konzentrierten Widerschein der unendlichen Leiden und vor allem des mörderischen Terrors der nationalsozialistischen Judenverfolgung. In der Tat rissen diese Angriffe eine nie mehr heilende Wunde. Die kaum nötige Erklärung hierzu liefert das erst aus dem Nachlaß veröffentlichte Gedicht Judenwelsch, nachts aus dem Jahr 1961 : »Ich gab, ich gab – als Stein kommt es zurück. / Es schwirrt. / Es trifft«583. Zwar hielt seine künstlerische Produktivität allen Schwierigkeiten zum Trotz unvermindert an, aber seine Lebensenergie schwand zusehends dahin. Die Beeinträchtigung erzwang schließlich die erwähnte Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus von Épinay-surSeine wie dann auch in der Folgezeit bei Pariser Ärzten. Begreiflicherweise belastete die Krankheit Celans besonders den Umgang mit der Mitwelt erheblich. Unter diesen Umständen löste sich auch die Beziehung zu Brigitta Eisenreich in den Jahren 1961 bis 1962 allmählich auf. Sie berichtet darüber Folgendes : Sein [Celans] ganzes Verhalten, sowohl im Sinnlichen als auch in der Gefühlssphäre, war verändert – eine Veränderung, die im Verlauf des nächsten und letzten Jahrs unserer Beziehung zur endgültigen Trennung führte. Wenn er abends zu mir kam, war er nicht mehr derselbe, er schien mir allzu selbstbezogen, und alle Liebenswürdigkeit war von ihm abgefallen. […] Er wurde fordernd und fast gewalttätig. […] Unsere Beziehung wurde zum Konflikt, auch ich wurde heftig, etwas war zerbrochen584.
Man braucht dem nicht weiter nachzugehen. Offenkundig war die zu vermerkende psychische Diskontinuität, eine Art momentaner Bewußtseinsspaltung. So erklären sich ebenso die brüsken Ablehnungen der Ehrungen mit dem Kunstpreis des Landes Niedersachen sowie mit der Aufnahme in die West-Berliner Akademie der Künste, während er im Folgejahr den Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf entgegennahm. Unter der psychischen Weiterschreiben, weiterleben
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Erkrankung litt nicht zuletzt auch der Kontakt mit dem S. Fischer Verlag, vor allem mit seinem dortigen Ansprechpartner Rudolf Hirsch (1905–1996). Deswegen kam die seit geraumer Zeit mit dem Verlag besprochene Schulausgabe von Gedichten Celans585 dann erst in Absprache mit Klaus Wagenbach als Lektor im September 1962 zur Veröffentlichung. Zwar erschien im Jahr darauf noch die Sammlung Die Niemandsrose mit 53 zwischen 1959 und 1963 entstandenen Gedichten, der dann bald noch eine zweite Auflage folgte, jedoch brach Celan im Juni 1966 den Kontakt mit dem Verlag ab und wechselte zum Suhrkamp Verlag. Mit dem Verlagsleiter Siegfried Unseld verband ihn von Beginn an eine beiderseits ausgesprochen vertrauensvolle Beziehung. Endlich hatte er den ihm zusagenden Verlag gefunden. Immerhin ergab sich ein gewisser Ersatz für die getrübte Freundschaft mit Klaus Demus durch die sich anbahnende enge Beziehung mit Franz Wurm (1926– 2010). Beide hatten seit 1960 schon einzelne Briefe miteinander gewechselt. Im Mai und dann hauptsächlich im Oktober 1963 trafen der Jude aus Prag und der Jude aus Czernowitz in Zürich zusammen. Sie verstanden sich auf Anhieb gut und verständigten sich mit bitterer Ironie über die »Krummnasigkeit der Juden«. Sie steht, wie Celan betonte »für jenes Partikuläre, Persönliche und – lebenslänglich ! – Individuelle, das auch aller Poesie eingeschrieben bleibt«586. Daraus entwickelte sich, insbesondere ab 1966, eine Freundschaft, die dann ungebrochen bis zum Tode des Dichters anhielt. Der angeschlagene Celan versuchte unter größten Anstrengungen, wieder in das gewohnte Leben hineinzufinden. So begleitete er mit seiner Familie 1964 Peter Szondi auf der Fahrt zu dem befreundeten Ehepaar, den Altphilologen Mayotte und Jean Bollack, in die Dordogne. Die Reisenden machten unterwegs Halt in dem von der SS-Division Das Reich im Juni 1944 niedergebrannten Dorf Oradour-sur-Glane. Hier, wo deutsche Täter wehrlose Zivilisten ermordet hatten, schlossen sich für Celan »mancherlei Kreise […] in verbrannter Gestalt«. Oradour wurde für ihn zum Bild von Michailowka, dem ukrainischen Ort, wo »sie mir Vater und Mutter erschlugen«587. Einen gewissen Ausgleich brachte dann immerhin der Aufenthalt auf dem Schloß Baneuil mit den Bollacks. Dort fand er verläßliche Menschlichkeit vor ; dort war er vorübergehend frei von seiner Krankheit. Ansonsten geriet er immer öfter in eine psychische Ausnahmesituation, die ihn seiner Mitwelt entfremdete. Besonders problematisch gestaltete sich das Zusammenleben der Familie Celan. Kurz vor Weihnachten schrieb er Gisèle, die mit Eric zum Skiurlaub in Crans war, einen aufschlußreichen Brief. Es heißt da unter anderem :
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Langsam geht es wieder bergauf, wieder einmal – wir werden gemeinsam aus der Talsohle kommen, bergauf gehend. So viele Kräfte in den Widerstand investiert – man muß eine Möglichkeit finden, dieses Stadium zu überwinden, wieder zu leben, frei588.
Ihre Erwiderung fiel entschieden nüchterner aus : »Möge das nächste Jahr anders und dennoch unser Leben sein ! Mögen wir stark vereint standhalten angesichts der Schwierigkeiten«589. Celan fühlte sich, wie er es formulierte »versandend verhofft«590. Man kann sich unschwer ausmalen, wie deprimiert er innerlich war (»Ich bin wirklich verwirrt, man hat alles getan, um mich zu verwirren. Aber noch fehlt mir nicht völlig die Klarsicht«591). Er fuhr viel in Deutschland herum, sah sich in Hamburg eine Aufführung von Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny an, besuchte mit Schallück die Schriftstellerkollegen Ernst Meister, Kay Hoff sowie die Schriftstellerkollegin Elisabeth Borchers und machte sogar einen Abstecher nach Kopenhagen (»eine sehr edle Stadt, die ich drei Tage lang durchmessen habe«592). Diese Fahrten kamen indes einer Flucht gleich. Wochenlang vorausgegangene heftige Auseinandersetzungen im Zusammenleben mit seiner Frau hatten nach dem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik von Le Vésinet vom 8. bis 21. Mai 1965 den komplexen neurotischen Mechanismus einer schweren Ehekrise ausgelöst, bei der sich Liebesbekundungen, Schuldgefühle, Verletzungen und Ressentiments ständig überlagerten. Die häufigen psychischen Störungen legten eine Trennung nahe. Aber Celan lehnte das zunächst strikt ab. Die Belastungen hielten indes nicht nur an, sondern sie verstärkten sich. Hervorzuheben ist demgegenüber die günstige Wirkung der engen künstlerischen Zusammenarbeit zwischen Celan und seiner Frau im Hinblick auf die Veröffentlichung einer Sammlung von Radierungen zu Gedichten Celans sowie von Gedichten in Auseinandersetzung mit Radierungen Gisèle Celan-Lestranges. Im Mai 1965 ging Celan brieflich darauf ein mit dem Hinweis : Und wir werden unsere Arbeit wieder aufnehmen. Ich habe Ihre Radierungen neben meinen Gedichten entstehen sehen, und Sie wissen ja, daß ›Atemkristall‹, das mir, wieder einmal, die Wege der Poesie geöffnet hat, aus Ihren Radierungen heraus entstanden ist593.
Diese Sammlung gemeinsamer Arbeit wurde zunächst als Ausstellung im Frühjahr 1966 im Pariser Goethe-Institut gezeigt und dann ebenso in Buchform vorgelegt594. Zur der ersten Ausstellung Gisèle Celan-Lestranges in Deutschland, in Weiterschreiben, weiterleben
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Hannover bei der Kestner-Gesellschaft, waren Celan und seine Frau im Mai 1964 zusammen zur Eröffnung erschienen. Auch im Sommer 1965 fuhren die Celans gemeinsam für eine Woche nach London. Aber in der Folgezeit war die eheliche Beziehung eben doch permanenten Belastungen, Spannungen und Konflikten ausgesetzt. Zur fortschreitenden psychischen Erkrankung Celans gesellten sich lange Diskussionen über eine deswegen notwendige momentane Trennung. Davon wollte er jedoch nichts wissen. Gegenüber seiner Frau legte er sich darauf fest : Uns zu trennen, wäre der Sieg unserer Feinde. Ich lasse diese Trennung nicht zu. Ich lasse nicht zu, dieses Haus zu verlassen, mein Haus. Hier werde ich kämpfen, noch und immer. Hier werden Sie Ihre Kräfte wiederfinden, Ihre Arbeit, Ihre Liebe, Ihr Verständnis, und Sie werden mir bei diesem Kampf helfen595.
Zwar brachte Celans Frau unendlich viel Verständnis für seine Lage auf. Letztlich scheiterten ihre oft an Selbstunterdrückung grenzenden Bemühungen an der Unfähigkeit des Kranken, seine Sachlage zu objektivieren. Im letzten Quartal des Jahres 1965 häuften sich die plötzlich unternommenen »Irrfahrten«, wie er selbst sie nannte. Ende Oktober (21.–28.10.) quer durch Südfrankreich, 21.–23. November Schweiz, 25.–26. November London. Mitten in dieser schweren Ehekrise, dieser, wie er im Gedicht sagte, »folie à deux« (»Wahnsinn zu zweit«596), kam es in der Nacht zum 24. November 1965, am Tag nach seinem 45. Geburtstag, zu einer verzweifelten Handgreiflichkeit. Celan drohte seine Frau mit einem Messer zu töten. Sie mußte sich mit Eric zu Nachbarn flüchten. Überstürzt reiste Celan zu seiner Tante Berta Antschel nach London. Aber er kehrte umgehend, genau am 26.11., wieder zurück. Am 28.11. wurde er, auf Bitten Gisèles und der damit befaßten Ärzte, zwangsweise in die psychiatrische Klinik Garches (Île-deFrance) eingeliefert. Weil dabei tatsächlich eine Zwangsjacke verwendet wurde, schrieb Celan später das Gedicht : »Die Liebe, zwangjackenschön, / hält auf das Kranichpaar zu. // Wen, da er durchs Nichts fährt, / holt das Veratmete hier / in eine der Welten herüber ?«597 Am 5. Dezember erfolgte auf Wunsch von Gisèle die Verlegung in einen westlichen Vorort von Paris, in die psychiatrische Klinik Château de Suresnes. Seine Frau schrieb ihm : »Ich habe, wie Du Dir denken kannst, in dieser letzten Zeit sehr gelitten. Ich bin mager geworden, habe wenig geschlafen, und mein Blutdruck ist gefallen.« Sie ermahnte gleichzeitig Celan : Du mußt Dich behandeln lassen, Du mußt wieder hochkommen. […] Dein wahres Du ist so weit weg von den Bildern, den Zeichen, die Dich weiter fortgetrieben haben, als
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Du dachtest : so weit, daß Du meine Treue in Zweifel gezogen und es mir unmöglich gemacht hast, nach Hause zurückzukommen598.
Die Krise dauerte mithin an. Celan bezeichnete sie mit Recht als »Beziehungs wahn«599. Nach der amtlichen Einweisung zog sich der Aufenthalt in der geschlossenen Anstalt in die Länge, ebenso die antidepressive Behandlung. Gisèle teilte Celan mit : Was ich von Tag zu Tag durchlebe, ist ein schweres Los, ein schweres Leben, weißt Du. Meine Gedanken gehen zu Dir, und ich verstehe, glaube mir, Dein Drama und Dein Unglück. Ich werde alles tun, um Dir zu helfen, doch Du weißt, wie schwierig das ist600.
Aber am 6. Februar wurde Celan endlich in die vom literaturbegeisterten Professor Jean Delay601 geleitete Psychiatrische Universitätsklinik Sainte-Anne verlegt (»Alles wird hier flexibel gehandhabt, eine Eigenschaft, die ich schätze«602). Zum Lesen mußte Celan nun eine Brille tragen. Gisèle zog in einem ihrer Briefe eine Art Zwischenbilanz. Es heißt da, und das ist aufschlußreich : Wir liebten uns, wir taten uns weh, und wir waren bei einer Unmöglichkeit des Dialogs angekommen, die zum Verzweifeln war. Jetzt werden wir wieder von neuem aufbauen, neu anfangen müssen, ich weiß, daß das Dein Wunsch ist, daß Du alles in dieser Richtung und in dieser Hoffnung tust, das stützt mich schon. Wir müssen hoffen. Wir werden es versuchen, wir versuchen es schon – Machen wir nicht schon einige Schritte in diese Richtung ?603
Das Fragezeichen am Ende dieser Aussage gibt sehr zu denken. Gisèle sieht hier klar, daß die sich anbahnende Besserung wohl nicht lange halten würde. Celan kommentiert das seinerseits in Gedichtform : »Von fremdem, hohem / Flutgang unterwaschen / dieses / Leben«604. Er machte sich keine Illusionen. Und in der Tat begann mit der Entlassung aus der Klinik im Juni 1966 jene schlimme Phase psychotischer Schübe und Rezidiven, durch welche Leben und Arbeit Celans immer wieder beeinträchtigt wurden. Besonders schlimm waren die daraus resultierenden quälenden Zwänge psychotherapeutischer Gespräche, stationärer Behandlungen in verschiedenen neurologischen Kliniken und fortgesetzter Einnahme von Psychopharmaka bis hin zu gelegentlicher Schock-Therapie, insbesondere Elektroschocks. Die entfremdenden Folgen der wiederholten Behandlungen machte Celan zum Gegenstand in einem Gedicht : »Hörreste, Sehreste Weiterschreiben, weiterleben
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im / Schlafsaal eintausendeins, // tagtäglich / die Bären-Polka : // sie schulen dich um, // du wirst wieder / er«605. Man muß sich vergegenwärtigen, daß Celan in den sieben Jahren von Ende 1962 bis zum Tode 1970 nahezu zwei volle Jahre unter psychiatrischer Aufsicht stand. Erstaunlich bleibt, was er diesem so grausam reduzierten Leben an dichterischer Leistung abtrotzte. Zu Hause, unterwegs, ja sogar in den Kliniken schrieb und schrieb er Gedichte. Der sein Leben nicht mehr wirklich leben konnte, hielt schreibend an seinem Lebensziel fest. In den sechziger Jahren erschienen nacheinander die Gedichtsammlungen Die Niemandsrose (1963), Atemwende (1967) und Fadensonnen (1968). Außerdem wurden die dann postum erscheinenden Sammlungen – Lichtzwang, Schneepart, Zeitgehöft und Eingedunkelt – zusammengestellt. Das allein zeigt schon hinreichend, daß es sich bei Celans Krankheit niemals um eine organisch bedingte Geisteskrankheit handelte, sondern um Wahnzustände eines immer wieder durchschlagenden psychopathologischen Bewußtseins. Die fachärztliche Diagnose würde wohl von einer ›rezidivierenden depressiven Störung mit psychotischen Symptomen‹ sprechen. Was er dabei allemal suchte, nannte er »die Unze Wahrheit tief im Wahn«606. Neben häufigem Scheitern an der ihn überwältigenden Wirklichkeit, das ihn hochgradig provozierte, aber auch zeitweise lähmte, blieb ihm zum Glück für seine Arbeit die besondere Schärfe seiner Wirklichkeitsdurchdringung und die sprachliche Fähigkeit, die Ergebnisse seines kritischen Blicks, seines Reagierens, ›poetisch‹ umzusetzen. Nach der Entlassung aus der Klinik im Juni 1966 kehrte Celan nicht nach Hause zurück. Vorübergehend blieb er im Centre Hospitalier Sainte-Anne‹ wohnen. Oft übernachtete er auch in seinem Büro in der École Normale Supérieure, Rue d’Ulm. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die endogenen Depressionen und Psychosen seinen Alltag stark beeinträchtigten. Der Freund Petre Solomon war beim Wiedersehen nach zwanzig Jahren entsetzt über den auffallenden körperlichen Verfall607. Celan war ein von seiner Krankheit Getriebener. Unglücklicherweise kam es anläßlich der ersten Lesung Peter Handkes in Frankreich am 25. Januar 1967 zu einem unfreiwilligen Zusammentreffen mit Claire Goll im Pariser Goethe-Institut. Kaum hatte Celan den Veranstaltungsraum betreten und die Urheberin der abwegigen Plagiatsvorwürfe erblickt, stürzte er förmlich wieder zurück ins Freie. Schlagartig wurde ihm dadurch wieder einmal das ganze Ausmaß seiner Misere verdeutlicht. Ihn durchfuhr, wie er einmal schrieb, »das Mark von Verrat und Verwesung«608. Es kam sogar zu Wahnvorstellungen, er müsse, Abraham gleich, seinen Sohn opfern. Kurz darauf, im Februar 1967, erreichten die psychischen Störungen ihren Tiefpunkt. Angesichts der immer komplizierter werdenden Lebensumstände unternahm er 188 |
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einen Selbstmordversuch mit dem Messer, den er nur knapp überlebte. Das geschah bei vollem Bewußtsein : »ein Ort, / zukunftsenthüllend, / stahlsilberfroh, / zur Erprobung / des ein- / maligen Herzstichs«609. Nach einer komplizierten Operation des verletzten linken Lungenflügels im Hôpital Boucicaut erfolgte die erneute Einweisung in psychiatrische Obhut bis Oktober. Bloß für bestimmte Veranstaltungen und amtliche Termine durfte er während dieses Zeitraums die Klinik mit besonderer Genehmigung verlassen. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung stimmte Celan im November 1967 zu, eine ihm von Gisèle besorgte Einzimmerwohnung in der Rue Tournefort, mitten im Quartier Latin, zu beziehen (»in einem möblierten und badezimmerbeküchten sogenannten Studio. […] ein beinahnettes Studikerzeltchen«610). Dort hauste er in den beiden folgenden Jahren. Bis November 1968 kam er sogar weithin ohne ärztliche Betreuung aus. Schmerzlich fehlte ihm der Zugang zu seiner Bibliothek (»Vieles, darunter meine Bibliothek, ist außer Reichweite«611) Er las zwar viel, legte laufend einzelne Übersetzungen vor und arbeitete ziemlich regelmäßig an eigenen Gedichten, die dann in die verschiedenen Sammlungen aufgenommen wurden. Es waren oft nur noch stark verknappte, nicht selten zynisch unterlegte Verse : »Redewände, raumeinwärts – / eingespult in dich selber, / grölst du dich durch bis zur Letztwand. // Die Nebel brennen. // Die Hitze hängt sich in dich«612. Darüber kann man lange nachdenken.
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Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt Celans durch Südfrankreich im Oktober 1965
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eit entfernt vom innerlich angestrebten Bereich der Fadensonnen bewegte sich Celan, als er im Mai 1965 die Klinik in Le Vésinet verlassen durfte. In der Anstalt hatte er immer wieder in Shakespeares King Lear gelesen. Von spirituellem Leiden und gefährdetem Denken zeugen die Zitate daraus im Gedicht »Give the word« (»Gebt die Parole !«) und »ins Hirn gehaun« (»I am cut to th’ brains«). Celan übernimmt das im Blick auf die eigene Krankheitssituation : »Ins Hirn gehaun – halb ? zu drei Vierteln ? […]«. Er wußte sehr wohl um die Unsicherheit, in die hinein er entlassen worden war. Denn er fühlte sich unbedingt als verfolgter »Krieger, als jüdischer Krieger«613. An ein familiäres Zusammenleben war nicht mehr zu denken. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, was Gisèle bereits 1958 brieflich beklagte : Du warst schrecklich heute Nacht. Welchen Anteil hat der Wein, welchen Deine tatsächlichen Gedanken ? Du warst kein ›Notbehelf‹ für mich. Das kann ich nicht akzeptieren. Muß ich nun neben all dem Düsteren um mich auch noch glauben, daß Du an meiner Liebe von Anfang an gezweifelt hast ? […] Heute Nacht hast Du mir allzu schreckliche und falsche Dinge gesagt – Glaubst Du mit der gleichen Überzeugung nach dem Aufwachen noch daran ?614
Celan bemühte sich deshalb darum, Gisèle und Eric möglichst allein zu lassen, denn bei den Zusammentreffen mit seiner Frau ergaben sich um diese Zeit immer wieder heftige Konflikte. Trotzdem konnte er daneben arbeiten. Er las damals mit großem Interesse wieder die wichtigsten Bücher von Sigmund Freud und Karl Jaspers, das neue Buch von Gershom Scholem Von der mystischen Gestalt der Gottheit. Studien zur Begrifflichkeit der Kabbala (1962) sowie einschlägige Literatur zur Schizophrenie, vor allem die Schriften der Schweizer Psychoanalytiker Ludwig Binswanger und Eugen Bleuler. Offenkundig wollte er sich Klarheit verschaffen über seinen psychischen Zustand. Er war ebenso dichterisch tätig. Neben eigenen, meist kurzen Gedichten beschäftigte er sich wieder mit der Übertragung von Gedichten Mandelstamms, Michaux’ und Shakespeares. Im Rahmen dieser Situation fuhr Celan zur Frankfurter Buchmesse und plante eine ausgedehnte Italienreise. Ein Projekt, das er dann sogleich wieder fallenließ. Ihn bestimmte offenkundig eine ihn verunsichernde Hektik. So kam es schließ190 |
Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
lich zu der ebenso fluchtartigen wie heillos-verzweifelten Reise quer durch Südfrankreich. Am 21. Oktober 1965, einem Donnerstag, bestieg er in Paris gegen Abend den Zug über Bordeaux in Richtung Irun. Er reiste allein. Offenbar weithin spontan trat er diese Reise ins Ungewisse an. Sie führte ihn sechs Tage lang durch das Baskenland und die Pyrenäen, sodann über Toulouse und Montpellier nach Avignon und durch das Rhonetal bis Lyon schließlich wieder zurück nach Paris. Die hektisch abgefahrene Route quer durch Frankreichs Süden entsprang keineswegs überlegter Planung. Vielmehr scheinen Dauer und Verlauf der Reise weitgehend dem Zufall überlassen worden zu sein. Sehr zutreffend bezeichnete sich Celan in einem der wenigen direkt an seine Frau gerichteten Briefe – er schrieb dafür zahlreiche Postkarten an den Sohn Eric, die indes auch ihr galten – als »schlechten Reisenden«615. Es riß ihn einfach von einem Ort zum nächsten immer weiter fort. Keine Rede von Sammlung oder Konzentration. Ganz im Gegenteil handelte es sich um ziellose Tage äußerster Anspannung und qualvoller Unruhe. In ein Konzeptheft trug er damals den Vers ein : »Die Hochwelt – verloren, die Wahnfahrt, die Tagfahrt«616. Darum sah er sich mit »WahngängerAugen« in die Welt blicken617. Gemeint sind die Augen eines scharf beobachtenden Künstlers, mit einem die Oberfläche durchdringenden, ›anderen‹, geradezu klinisch-sezierenden Blick. Voraussetzung dafür sind die bösen Erfahrungen eines Ichs, das viele Enttäuschungen und Ängste, viel Trauer, Verrat und Bitternis durchgemacht hat. Derartige Erfahrungen gewährleisten den nötigen Abstand, der allein es einem Dichter erlaubt, aus dem Bewußtseinsschwall vielfältiger und rasch wechselnder Eindrücke das Signifikante herauszufiltern und dem eigenen poetischen Kosmos einzuverleiben. Dabei ist die Schärfe seines sich mehr und mehr konzentrierenden und verhärtenden Sprechens zu beobachten. Übereinstimmend weisen die Texte einen sie verbindenden Grundton von Trauer und Vergangenheit auf. Nicht selten begleitet von geradezu aggressiver Ironie. Keine Spur seines angeschlagenen Bewußtseins ist da zu erkennen. Das gilt ebenso für die im Oktober veröffentlichten Übersetzungen im Rahmen des ersten Bandes der Schriften von Henri Michaux. Befriedigt konnte Celan dem Kollegen schreiben : »Ihr Werk ist jetzt auf vielfache Weise in den deutschsprachigen Ländern sichtbar, und ich denke, daß es auf jeden Fall in die Tiefe wirken wird, von Mensch zu Mensch«618. Die gleiche Geistespräsenz Celans war zu beobachten bei den Auftritten im Norddeutschen Rundfunk Hamburg am 16. Oktober, wie auch bei Radio Zürich und der Lesung im dortigen Theater am Hechtplatz vom 28. bis 31. Oktober. Man spürt durchweg : Der unsicher umherreisende Dichter suchte und fand sogar punktuell den von ihm angestrebten »Ort, wo ich aus mir herausreich«619. Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
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So erklärt es sich, daß während der wilden Fahrt innerhalb weniger Tage acht Gedichte entstanden oder zumindest weitgehend ausgearbeitet wurden620. In diesen Texten spiegeln sich die Turbulenzen jener fiebrigen Reise wider wie auch die partikularen Eindrücke der verschiedenen Landschaften sowie manche Begegnungen mit Menschen dort und deren Geschichte. Freilich muß man sich dabei von vornherein darüber im klaren sein, daß in diesen Gedichten das persönlich Erlebte selektiv dem poetischen Gestaltungsrahmen integriert und dabei substantiell verwandelt wird. Glücklicherweise schrieb der Reisende regelmäßig Kartengrüße an seinen damals zehnjährigen Sohn Eric. Eine ganze Reihe für ihn bestimmter Postkarten sowie fünf an seine Frau gerichtete Nachrichten, dazu ein Telegramm, bieten uns eine gewisse Hintergrundinformation zu den intentional andersgearteten Gedichttexten. Bald zeigte sich jedoch, daß der versuchte Ausbruch keine Besserung des psychischen Zustands Celans herbeiführte, sondern im Gegenteil eine weitere Zuspitzung auslöste. Der plötzliche kurze Aufbruch in die Schweiz vom 21. bis zum 23. November diente wohl in erster Linie dem vergeblichen Versuch, dort Abhilfe für seinen angeschlagenen Gesundheitszustand zu finden. Umgehend kehrte er zu seinem 45. Geburtstag dann wieder nach Paris zurück. In der folgenden Nacht vom 23. auf den 24. November aber kam es im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung zur bereits erwähnten Bedrohung Gisèles durch Celan mit einem Messer. Sie konnte mit Eric zu Nachbarn fliehen. Danach erfolgte die schon im vorigen Kapitel dargestellte Behandlung in den verschiedenen Nervenkliniken. Auf die Reise durch Südfrankreich bezogen zeigt das, unter welch starkem innerem Druck er bereits während dieser »Irrfahrt« des Monats Oktober gestanden haben muß. Um die Einwirkungen dieser Reise auf die Gedichte ermessen zu können, bedarf es zunächst eines knappen Überblicks über die aufgesuchten Orte und die dortigen Eindrücke. Celan verließ am Freitagmorgen, 22. Oktober, in Saint-Jeande-Luz den in Richtung Spanien weiterfahrenden Zug. Somit befand er sich unvermittelt im Baskenland Frankreichs. An den Sohn adressierte er sogleich eine Postkarte mit der Ansicht des Fischereihafens und dem folgenden Kurzbericht : Vor dem Bahnhof stand ein riesiger Baske, der sich der Springende nannte und ganz grün : es war ein Bus. […] Dann, sehr viel kleiner und unter (Basken)-Mützen … Basken. Thunfisch und Wiederthunfisch, ein ziemlich schöner kleiner Strand, beherrscht von prächtigen und geschlossenen Hotels621.
Das ist der Sprachgestus, in dem er sich mit dem zehnjährigen Sohn zu verständigen pflegte. Zugleich aber sprach er damit immer ebenso indirekt seine Frau 192 |
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an. Noch am selben Tag fuhr Celan weiter nach Ascain, einem typisch baskischen Ort. Auch von dort gab er einen atmosphärischen Postkartenbericht : »Sehr weiße Häuser, sehr geleckt, mit Ziegelhut, schön bemalten Fensterläden, grün oder rot. Das alles gut angeordnet, gut aufgeräumt um die Leere der Nachsaison herum«622. Das »typisch baskische Dorf«, wie er dem Fremdenführer entnahm, den er immerhin mitgenommen hatte, interessierte ihn nicht besonders. Man spürt, daß er sich keineswegs als Tourist hier herumtrieb. Er fuhr sogleich mit dem Bus weiter, »über die Straße an der Steilküste« zum nahe gelegenen Grenzort Hendaye. Unterwegs interessierte ihn vor allem die schöne Küstenlandschaft der Corniche. Für den Sohn faßt er sie in das folgende Bild : »[…] ich habe den Ozean zu meiner Rechten gehabt, ruhig, blau, einmal, in der Ferne, hat eine Welle, sehr weiß, für mich den namenlosen Fisch gespielt.« In Hendaye konzentrierte er sich hauptsächlich auf den Grenzübergang zum damals noch vom faschistischen Diktator Franco regierten Spanien, der sich, fast auf den Tag genau, 25 Jahre zuvor, am 23. Oktober 1940, eben in Hendaye mit Hitler getroffen hatte. Von der dem Heiligen Jakob gewidmeten Brücke (Pont Saint-Jacques) über die Bidassoa aus blickte er hinüber in das zu jenem Zeitpunkt von ihm politisch entschieden abgelehnte Land. Dem Sohn teilte er lediglich mit : »Hier bin ich bis zur Grenze gegangen, es ist eine Brücke, auf der anderen Seite habe ich die Stadt Irun erblickt«623. Irgendwo zwischen Hendaye und Saint-Jeande-Luz notierte er das Gedicht Hendaye, das ursprünglich den Titel GarottenGrenze trug. Am Abend desselben Tages fuhr Celan spät noch weg vom Baskenland bis nach Pau, der okzitanischen Stadt, Hauptort der Provinz Béarn und Geburtsstadt des in Frankreich hochbeliebten Königs Heinrich IV. Dort stieg Celan im (nicht mehr existierenden) Hotel Beaumont an der Place Royale ab. Am andern Morgen, Samstag, den 23. Oktober, besichtigte er die sonnenbeschienene Stadt und das Schloß Heinrichs IV. Dem Sohn schrieb er einen Kartengruß mit einer Abbildung des Schildkrötenpanzers, der angeblich als Wiege des jungen Herrschers gedient haben soll (»ich habe gerade das Schloß besichtigt. […] Das hier ist ein Schildkrötenpanzer, in dem, wie es heißt, der gute König Henri gewiegt worden ist. – Aber viele sind ›außer-Schildkröte‹ gewiegt worden, darunter Du und ich«624). Ein weiterer Kartengruß vom selben Tag zeigte das Reiterstandbild Heinrichs mit der fälligen Erklärung : ›Lou nouste Henric‹ auf bearnaisisch. Du weißt doch : das ist der, der Frankreich dem Béarn, das Huhn dem Topf und seinen Namen einem Tournedos [Rinderfilet] gegeben Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
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hat, das ich gestern abend gekostet und mit einem guten Landwein aus der Gegend begossen habe625.
Aber schon am Nachmittag drängte es ihn ins nahegelegene Tarbes mit seinem berühmten Pyrenäenpanorama. Die Pferdestadt gefiel ihm jedoch nicht sonderlich (»Die Stadt ist, offen gestanden, häßlich«626), aber die Statue eines levitierenden Hengstes prägte sich ihm ein. Er machte Notizen zum gleichnamigen Gedicht. Am Abend, wieder in Pau, verfaßte Celan zwei Gedichte : Pau, nachts, Pau, später). So kamen bereits am ersten Tag vier Gedichte zustande. Gleich am nächsten Morgen, Sonntag, den 24. Oktober, fuhr Celan weiter nach Toulouse. Noch in Pau begann er den Tag mit einem an seine Frau gerichteten Brief, in dem er suggestiv-hoffnungsvoll bekundete : »Meine Kräfte – sie sollen mir wiederkommen, und auch die Ihren werden wiederkommen«627. In Toulouse betrachtete er zuerst die Hauptsehenswürdigkeiten : die Basilika Saint Sernin sowie das Kapitol (Place du Capitole) und verfaßte zwei Schreiben an Frau und Sohn, unter anderem mit dem Hinweis : »Ansonsten erinnerte die Place du Capitole, im Stadtzentrum zwischen ein und zwei Uhr ziemlich an den Boul’ Mich’, mit den Studenten und Studentinnen in den Cafés. An Lärm fehlt es nicht, ganz im Gegenteil«628. Seiner Frau versicherte er, wiederum in suggestivem Wunschdenken : »Anschließend werde ich langsam wieder hochkommen. Ich sehe Sie, ich schaue Sie an. Ich umarme Sie, meine Geliebte, ich halte Sie und stütze Sie, ich umgebe Sie mit Zukunft«629. Man kann daraus unschwer schließen, wie sehr ihm daran gelegen war, die Familienbindung zu erhalten. Anderntags, Montag, 25. Oktober, fuhr Celan gegen Mittag über Narbonne weiter nach Montpellier. Wie in Toulouse besichtigte er die Sehenswürdigkeiten, das Viertel um die Kathedrale Saint-Pierre und den Theaterplatz (Place de la Comédie). Aber bald schon zog es ihn weiter. Immerhin verfaßte er dort noch am Abend das Gedicht Die Unze Wahrheit. Es war das fünfte Gedicht auf der hektischen Reise. An den Sohn richtete er »die tägliche Postkarte« mit dem Hinweis : »Das Meer ist nicht weit weg, aber ich werde nicht hingehen, um den Fisch zu spielen. Ich habe Lust auf einige Höhen und Aufstiege«630. Am folgenden Morgen, Dienstag, den 26. Oktober, nahm Celan wieder den Zug und fuhr von Montpellier direkt weiter nach Avignon. Das Eintreffen dort weckte in ihm die Erinnerung an den ersten Halt während der Hochzeitsreise 1953. Er sprach sogar von »unserer Hochzeitsstadt«. Dementsprechend schrieb
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er seiner Frau einen geradezu zielsetzenden Brief im Sinne stimmiger familiärer Zusammengehörigkeit. Er betonte : Ich sitze hier im Café de la Gare in Avignon, der Wallumringten, vor unseren beiden Platanenreihen, die voller Blätter sind und ein Kronengewölbe bilden. Ich werde mit Ihnen und mit unserer wiedergefundenen erneuerten Liebe hierher zurückkommen631.
Das war indes reines Wunschdenken. Die Zukunft zeigte nur allzu deutlich, daß daraus nichts werden konnte. Auffallend ist die große Unruhe in Celans Reisebewegung. Wie ein Getriebener fuhr er von einem Ort zum nächsten. So wechselte er dann kurz entschlossen von Avignon weg zum nahgelegenen Zufluchtsort des Renaissance-Dichters Francesco Petrarca im Kanton L’Isle-sur-la-Sorgue. Zu Fuß wanderte er zu dem etwas außerhalb befindlichen Haus René Chars in Saumanede-Vaucluse, der jedoch nicht anwesend war. Seiner Frau berichtete er dazu : Mir ist der Gedanke gekommen, René Char aufzusuchen. Auch, um ein wenig aus den Städten herauszukommen. […] Die Landstraße nach Saumane entlanggegangen, das Haus Chars gefunden – er war nicht da. Es ist gut so. […] Ich warte auf einen Bus. (Und auch auf etwas, das jenseits von Buß’ und Schuld ist und mich wieder ins Lot bringt)632.
Diese Aussage läßt tiefe Schlüsse zu hinsichtlich des angespannten inneren Zustands Celans. Der gehetzte Reisende fuhr schließlich von Avignon rasch weiter in Richtung Valence. Beim kurzen Halt dort entstand das Gedicht In den Geräuschen. Die Stadt fand Celan eher uninteressant (»Valence – Gott, wie habe ich nur glauben können, es sei schön ?«). In trüber Stimmung brachte er sich bei seiner Frau in Erinnerung : Ich habe Sie zutiefst verletzt, ich weiß es. Aber meine Rückkehr aus Frankfurt, das war gewissermaßen die Rückkehr des Kriegers, des jüdischen Kriegers. Meine Jüdin, ich umarme Sie, meinen Sohn, Jude, der, mit uns, kämpft633.
So schnell wie nur möglich setzte er die Reise in Richtung Lyon fort. Dort angekommen, sah er sich das Zentrum um den Platz Bellecour herum an und verfaßte das Gedicht Lyon. Les Archers. Mit dem Abendzug kehrte er dann sogleich nach Paris zurück. Die Irrfahrt ohne wirkliches Ziel fand spät am Mittwoch, 27. Oktober, ihr Ende.
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Die knapp einwöchige Reise quer durch Frankreichs Süden erklärt sich in ihrer fieberhaften Erregtheit und ihrer tiefen Verstörung von Celans zwiespältigem Geisteszustand her. Daß der damit versuchte Ausbruch keine Besserung brachte, dürfte deutlich geworden sein. Im Gegenteil erfuhr seine psychische Verfassung in den folgenden Wochen und Monaten eine gewaltgeladene Zuspitzung, die sich dann bei dem Versuch, am 23. November seine Frau zu erstechen, entlud. Kurz davor schrieb Celan die endgültige Fassung des Gedichts All deine Siegel erbrochen ? Nie, das er auf der Fahrt von Montpellier nach Avignon skizziert hatte. Damit lag der poetische Ertrag der Reise als Ganzes vor. Insgesamt acht Gedichte bilden, wie erwähnt, das eigentliche Ergebnis der ansonsten weithin hilflos-leeren, aber im Hinblick auf Celans Krankheit vielsagenden Reise. Wie fast allen lyrischen Verlautbarungen aus den letzten Lebensjahren fehlt ihnen leider die bestimmte übertragbare Note, die sie für den Leser direkt aufnehmbar machen könnte. Ganz bewußt widersetzen sie sich einfachem Zugang. Der Autor hat sie als lyrische Dokumente tiefer Lebenstraurigkeit in den letzten zu Lebzeiten erschienenen Gedichtband Fadensonnen (1968) aufgenommen. Demzufolge rechnete Celan diese ›Gedichtkette‹ unbedingt zu jenem »singbaren Rest«, der das artikuliert, »was angesichts der Ödnis noch gesagt werden kann«634. Zwar ist den acht Gedichten durchaus ein gemeinsamer Grundtenor eigen, jedoch werden naturgemäß verschiedene Themen angeschlagen. Beim Überblick fällt sogleich auf : Die Länge ist unterschiedlich, die Skala reicht von fünf bis zu zwanzig Versen. Ebenso wechseln mehrstrophige Ausgestaltungen mit einstrophig-konziser Anordnung635. Jedes der Gedichte hat seine eigene Formstruktur. Kommen wir nun zu den ersten drei der während der Reise entstandenen oder zumindest begonnenen lyrischen Reflexe. Den Anfang bildet das Gedicht Hendaye636. Es ist am 22. Oktober in Hendaye und Saint-Jean-de-Luz entstanden. Weil die Celan in doppelter Hinsicht bedrückende Grenze – Ort der Begegnung Hitlers mit Franco und des 1965 immer noch fortbestehenden faschistischen Gewaltstaats – den Schwerpunkt der Fahrt am ersten Tag bildete, gab er diesen Versen zunächst die Überschrift Die GarottenGrenze. Diese Bezeichnung durch die Gegner, zu denen sich der überzeugte Republikaner Celan zählte, bezieht sich auf den Sachverhalt, daß in der FrancoDiktatur verhängte Todesstrafen in der spanischen Tradition einer Erdrosselung der Opfer mit einem Halseisen, der so genannten Garrotte, einer Würgschraube, vollstreckt wurden. Die weiteren historisch bedeutsamen Ereignisse vor Ort, wie die diplomatische Vorbereitung der Hochzeit Ludwigs XIV. mit der spanischen Infantin, der künftigen Königin Maria Teresa oder der damit zusammenhän196 |
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gende Aufenthalt des Malers Diego Velázquez, interessierten ihn nicht. Unter der gleichermaßen aufwühlenden wie bedrückenden Einwirkung des damals immer noch existierenden faschistischen Landes drängten sich ihm die folgenden Verse auf : Hendaye Die orangene Kresse, steck sie dir hinter die Stirn, schweig den Dorn heraus aus dem Draht, mit dem sie schöntut, auch jetzt, hör ihm zu, eine Ungeduld lang.
Der Titel hält einfach den Ort fest, durch den Celan zu seiner lyrischen Reflexion angeregt wurde – die »Garotten-Grenze« in Hendaye. Die anfängliche Überschrift erschien ihm wohl zu einseitig-plakativ. Denn unverkennbar ist das nur sechs Verse umfassende, einstrophige Gedicht Zeugnis einer existentiellen Selbstverständigung. Angesichts der bis zum Ende der Ära Franco am Grenzübergang vorhandenen Befestigungen mit Stacheldraht einerseits und der in jener Gegend allenthalben anzutreffenden Kapuzinerkresse mit ihren orangefarbenen bis goldgelben Blüten direkt daneben andererseits, macht sich der Autor Gedanken über diese zwiespältige Konfiguration. Da ist die im herbstlichen Abendlicht aufleuchtende »orangene Kresse« (V. 1), gleich daneben aber der »Draht« mit dem »Dorn« (V. 3), also der Stacheldraht der Grenzbefestigung. Die vorgenommene pronominale Anbindung (»sie«, V. 2 und 4 ; »ihm«, V. 5) unterstreicht den Gegensatz beider wie zugleich die zwischen ihnen bestehende ungute Verbindung. In einer einzigen großen Satzbewegung vollzieht sich, in Form der Selbstanrede (»dir«, V. 2), eine von drei Imperativen getragene Selbstbesinnung (»steck sie«, V. 2 ; »schweig […] heraus«, V. 3 ; »hör […] zu«, V. 5). Die den Text gliedernde Versgestaltung sorgt dafür, daß sich im Zuge des textuellen Ablaufs die Reflexion steigert zur indirekten Formulierung eines inneren Auftrags für das weitere Leben. Worin aber besteht dieser Auftrag ? Anders – mit den Worten des Gedichts – ausgedrückt : Was soll »hinter die Stirn« (V. 2) gesteckt und demzufolge so eindringlich bewußt gemacht werden, daß es sich für immer einprägt ? Zunächst kreist Celans Denken um eine ihm schwerfallende Negation. Sie gilt dem an sich erfreulichen Bild der »orangenen Kresse«. Gerade ihres verführerischen Eindrucks wegen, ist es seiner Überzeugung nach geboten, gegen sie vorzugehen, weil sie den Betrachter durch ihre Wirkung täuscht. Sie ist zwar in Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
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ihrer Blütenpracht sehr schön, aber auch sehr gefährlich, denn sie verdeckt die Grenze, hinter der Gewalt und Faschismus lauern. Der nicht gleich zu durchschauende Betrug besteht darin, daß die »Kresse« mit dem »Draht«, ihn überwachsend »schöntut« (V. 4), sich also mit ihm einläßt, ja sich geradezu anbiedert. Sie verdeckt den zum »Draht« gehörenden »Dorn« und kaschiert dadurch das schreiende Übel. In der Sicht Celans ist derartige Täuschung gleichzusetzen mit Lüge und Verrat. Wenn deswegen die dringliche Aufforderung ergeht : »steck sie dir hinter die Stirn«, so zielt das darauf, die trügerische »Kresse« als solche intensiv dem Gedächtnis einzuprägen, um diesen Eindruck als ständige Warnung parat zu haben. Die damit verbundene Ermahnung soll zum festen Bestandteil des Hirnstamms637 werden, jenem Kernbereich des Endhirns, das Sitz des Bewußtseins, des Gedächtnisses sowie aller geistigen und seelischen Leistungen ist. Auf die Leserschaft bezogen, heißt das, wie Celan fordert : »Das Gedicht ist eine Umkehr«638. Hinzu kommt ein zweiter Imperativ dieser Grenz-Erfahrung : »schweig den Dorn heraus aus dem Draht« (V. 3). Bei dem von Celan geforderten Schweigen kann es sich bestimmt nicht darum handeln, etwa den Stachel (»Dorn«) des »Drahts« zu verschweigen. Allein schon das Adverb »heraus«, das eindeutig eine Bewegung von innen nach außen signalisiert, steht solchem Verstehen entgegen. Das hier angesprochene »Herausschweigen« hängt fraglos mit der Zurückweisung des Unannehmbaren und insofern mit dem Bestehen auf Wahrheit zusammen. Derartiges »Herausschweigen« wird, neben der Grundbedeutung des Protests gegen die Diktatur, geradezu zu einer poetologischen Kategorie. Deshalb vermeidet der Autor einen direkten Befehl, denn ihm ist es um ein so komplexes Ereignis wie den »wunden Gewinn einer Welt« zu tun639. Dabei soll dennoch das Faktische in unwiderlegbarer Klarheit hervortreten. In diesem Fall heißt das : Der »Dorn« muß ohne die direkte, an dieser Stelle unzureichende Bedeutung des Wortsinns eines stechend spitzen Pflanzenteils oder eines dornartigen Metallkörpers genommen werden als autonomes Element der lyrischen Aussage. Dann nur erscheint er als offene Chiffre für all das, was Celan mit dem »Dorn« meint im breiten Spannungsfeld vom Stacheldraht bis zu jeglichem Leiden oder Verrat in der Welt. Festgelegt auf diesen weiteren und tieferen Sinn, vermittelt diese Warnung die radikale Verneinung einer fehlgeleiteten, enthumanisierten Weltlage. Derartiges semantisches, also die Wortbedeutung prüfendes Verfahren, ist eben besonders dem Dichter vorbehalten. Celan empfand es als seinen Auftrag, den »Dorn« aus dem »Draht« herauszuschweigen und so – mit Hilfe des »erschwiegenen Worts« – die traurige Wahrheit hinter der täuschenden Fassade hervorzuholen. Bereits im Gedicht Argumentum e silentio aus der Sammlung Von Schwelle 198 |
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zu Schwelle (1953) taucht diese programmatisch angelegte Formulierung auf640. Allein solches »Herausschweigen« ist geeignet, das Lügengewebe des Verschweigens zu durchbrechen. Indirekt, jedoch deutlich genug erfahren wir im dritten Vers, worin nach dem Verständnis Celans die Aufgabe des Dichters besteht. Die konkret, hic et nunc, erfahrene Grenz-Situation – »auch jetzt« (V. 4) – machte ihm die Notwendigkeit bewußt, die poetische Mission gerade hier ein neues Mal anzusprechen. »Auch jetzt« meint im Grunde immer. Um jedoch den so dringlichen Appell nicht im Augenblick aufgehen zu lassen und damit zum Verschwinden zu bringen, bedarf es eines dritten Imperativs : »hör ihm zu, / eine Ungeduld lang« (V. 5//6). Nichts anderes besagt das als eine prinzipielle Ermahnung, ja nicht dem sich einstellenden Bedürfnis nachzugeben, den »Draht« mit dem »Dorn« aus dem Bewußtsein wieder zu verdrängen und nur »die orangene Kresse« sehen zu wollen. Aufgrund der an der Grenze gemachten Erfahrung ist dem Verfasser des Gedichts mit einem Mal wieder schlagartig klar geworden, was eine deformierte Realität wirklich bedeutet. Darum betont er die Wichtigkeit einer existentiellen Verwandlung. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, die »herausgeschwiegene« Botschaft des »Dorns« dauerhaft zu vernehmen, ihm ohne Unterlaß »zuzuhören«, um so jederzeit wirksam dagegen angehen zu können. Die Formulierung des Schlußverses – »eine Ungeduld lang« (V. 6) – zielt mithin nicht, wie man vordergründig meinen könnte, auf den Mangel an Geduld oder fehlende Gelassenheit. Vielmehr handelt es sich, ganz im Zeichen des »erschwiegenen Worts« um für Celan Grundsätzliches, nämlich keinerlei Nachsicht walten zu lassen gegenüber dem »Dorn«, und diese Haltung unter allen Umständen beizubehalten. »Eine Ungeduld lang« währt demnach sehr lang, jedenfalls so lange es radikaler Distanznahme zum »furchtbaren Verstummen« wie zu den bestehenden »Finsternissen todbringender Rede«641 bedarf. Unwillkürlich denkt man hierbei an die vom Autor einmal notierte Anmerkung : Ein alter Maximalist : er fordert ein Mindestmaß an Selbstverständlichem, Natürlichem«642. Nicht zuletzt in solch anspruchsvoller Bescheidenheit bekundet sich die humane Substanz dieser lyrischen Reflexion eines frühen Abends an der Grenze zum Spanien Francos. Noch auf der Weiterfahrt in Richtung Pau erfolgte vor dem Umsteigen in Saint-Jean-de-Luz die endgültige Niederschrift des Gedichts. Kommunikationsästhetisch ist der Wortlaut, wie fast immer bei Celan, so angelegt, daß sich die Selbstverständigung des hier Sprechenden ohne weiteres auf jeden Leser übertragen läßt, sofern der dazu bereit ist. Das zweite auf der Reise entstandene Gedicht verfaßte Celan, wie dann gleich danach das dritte, in der folgenden Nacht, gleichsam in einem Atemzuge. Celan Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
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entschied sich dafür, den lokalen Rahmen im Titel festzuhalten : Pau, nachts, Pau, später. Im Grund gehört ebenso noch das Gedicht Der Hengst, das nach dem Besuch der Stadt Tarbes bei der Rückkehr nach Pau ausgearbeitet wurde, als viertes Gedicht in den gleichen Zusammenhang. Celan nannte den Entstehungsort in nicht wenigen seiner Gedichte in der Überschrift. Er hatte das Bedürfnis zu zeigen, daß er sehr bewußt in der ihn umgebenden Wirklichkeit lebte. Immer war sein Schreiben, wie er betonte, ein Versuch »zu sprechen, um mich zu orientieren, um zu erkunden, wo ich mich befand«643. In diesem Fall ging der erste lyrische Impuls, wie beschrieben, davon aus, am Samstagmorgen, gleich nach der ersten in Pau verbrachten Nacht, das dort befindliche Stammschloß Heinrichs IV. zu besichtigen, und das Ergebnis seines Nachdenkens darüber in lyrische Form zu bringen. Wie stets achtete der Autor darauf, durch eine gegen die Satzordnung gerichtete Versgestaltung die Syntax aufzureißen, um den Worten für die Leserschaft mehr Gewicht zu geben. Mit nur fünf Versen handelt es sich bei Pau, nachts um das kürzeste Gedicht der Reise. Die damit verfolgte Absicht ist indes gewichtig. Geht es doch um nichts weniger als um das soziale Problem der Ungleichheit in der Gesellschaft. Gleichheit, einer der Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaftsordnung, steht also zur Frage. Celan hatte beim Schloßbesuch vor allem die Wiege Heinrichs IV. bemerkt und – schon im Kartengruß an den Sohn Eric – sich Gedanken gemacht über die nötigen Folgerungen aus der Tatsache, daß nur wenige in einem Schildkrötenpanzer gewiegt werden, viele jedoch derlei entbehren müssen. Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß Celans Sozialisation ihn stets zu freiem Denken gebracht hat. Obwohl er im Grund unverhüllte Sympathien für die Sache des Kommunismus und der Revolution hegte (»mein altes Kommunistenherz«644), stellte er seine Erwartungen unter ein völlig anderes Licht als die Stalinisten und ähnlich denkende, zu jedem Verbrechen bereite Apparatschiks. Für ihn war die Gleichheit am Gegenpol zu Stalin und Genossen. Er verband mit dem Kommunismus die Vorstellung »einer Wolke / menschlichen Adels«645. Das bedeutet, daß er darin die Erhebung des Menschen zu seiner wahren Größe sah. Daß diese weiße Wolke gewiß nicht unter dem roten Stern verwirklicht wurde, davon brauchte der gründliche Leser Mandelstamms und anderer, unter Stalin verfolgter Autoren nicht erst überzeugt zu werden. Seinen eigenen Erfahrungen nach ließ Celan 1945 seine russisch gewordene Geburtsstadt so schnell wie nur möglich hinter sich. Auch sein Weggang von Bukarest zwei Jahre danach, 1947, sah er als eine notwendige Flucht an. Dennoch bestimmte die Marxsche Vision vom ›Reich der Freiheit‹ sein Denken. Er sah darin die zu verwirklichende Zielvorstellung646. Das mußte vorausgeschickt werden, um dem kurzen Gedicht ganz auf die Spur zu kommen. Hier zunächst der Text : 200 |
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Pau, nachts Die Unsterblichkeitsziffer von Heinrich dem Vierten in den Schildkrötenadel gewiegt, höhnt eleatisch hinter sich her.647
Wie man sieht, handelt es sich um eine lakonisch daherkommende lyrische Aussage. Man könnte meinen, wir hätten es mit einem eher beiläufigen Text zu tun. Und doch konfrontiert uns der Autor in diesem Kurzgedicht mit einem ausgefeilten Denkbild. In der Art eines lyrischen Aphorismus formuliert die über nur fünf Verse reichende Satzbewegung eine prägnante und geistreiche Beurteilung historischer Größe und gesellschaftlicher Hierarchien. Wie intensiv dabei Celans politische Denkweise mitschwingt, zeigt der querschnittartige Schlußgruß in einem Brief, den der Dichter zwei Monate zuvor nach einer Vorführung des Films Oktober oder Zehn Tage, die die Welt erschütterten von Sergej Eisenstein an seine Frau richtete. Darin legte er Wert auf die Feststellung : »Es leben die Matrosen von Kronstadt ! Es lebe die Revolution ! Es lebe die Liebe ! Es lebe Petersburg ! Es lebe Paris ! Es lebe die Dichtung !«648 Dieses revolutionäre Denken behielt er ohne Einschränkung bis zu seinem Tode bei, ebenso natürlich die Vorrangstellung der Dichtung. Erneut führt der Titel die mit dem ersten Gedicht eingeschlagene Linie protokollartiger Fixierung des Entstehungsorts fort. Hinzu kommt freilich der atmosphärisch wichtige Zusatz »nachts«. Über die genauere Angabe zum Zeitpunkt der Niederschrift hinaus wird so ein Schlüsselwort Celans in den Darstellungszusammenhang eingeführt. Von Anfang an faszinierte ihn das Schattenhafte des Nächtlichen. Man kann ohne weiteres sagen, daß die Nacht sein genuiner Reflexionsort war. Ausgehend von den Beobachtungen am Morgen beim Besuch in dem Schloß, in welchem 1553 Heinrich IV. geboren wurde, machte sich Celan unter dem Eindruck der edlen, aus einem Schildkrötenpanzer gearbeiteten Königswiege Gedanken über die vielen, die »nicht so vornehm gewiegt« werden, darunter, wie er dem Sohn schrieb : »Du und ich«649. Das war, nebenbei gesagt, für Eric politisches Lernen in der Art des Sozialkundeunterrichts. Der Vater hatte ja genügend Gelegenheit, gründlich nachzudenken über die Ungerechtigkeiten dieser Welt, hier beispielsweise zu erfassen im Unterschied zwischen den ›Wohlgeborenen‹, in Schildkrötenpanzern Gewiegten, und den vielen anderen, denen solches nicht vergönnt ist. Als überzeugter Verfechter von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit machte Celan sich den ›Blick von unten‹ zu Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
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eigen. Dem »Schildkrötenadel« (V. 3) gehörte aus diesem Grund keinesfalls seine Sympathie. Bittere Ironie bestimmt mithin den lyrischen Gedankengang und die ihn leitende anthropologische Einstellung. Die in der Eingangsformulierung der »Unsterblichkeitsziffer« (V. 1) mitschwingende Kritik gilt den Herrschenden, die sich kraft ihrer vererbten absoluten Machtbefugnis auf numerierte Selbstpräsentation beschränken können. Celans messerscharfe Wortkombination bringt zum Ausdruck, daß der die abzählbaren Figuren der Geschichtsbücher umgebende edle Schimmer lediglich den egoistischen Autoritätsdruck einer in sich ruhenden Gewaltapparatur auf die Allgemeinheit verdecken soll. Ohne Frage gehörte er zu denen, die hinter der Aufzählung großer Namen zweifelhafte Leitbilder und verlogene Annalen ausmachen. Darum unterzieht er am lokalen Objekt – Heinrich dem Vierten« – die »Unsterblichkeitsziffer« polemischer Hinterfragung und schroffer Kritik. Denn daß selbst ein so beliebter König wie Heinrich IV. von dieser Absage an das monarchische Herrschaftssystem nicht ausgenommen werden kann, belegt die den Satz weiterführende Anmerkung zu »Heinrich / dem Vierten in / den Schildkrötenadel gewiegt« (V. 1–3). Und in der Tat war der ›gute König Henri‹ nicht bloß der Mann toleranter Befriedungspolitik, der den blutigen Religionskriegen zwischen Hugenotten und Katholiken ein Ende bereitet und jedem Franzosen sein sonntägliches ›Huhn im Topf‹ zugesprochen hat, sondern auch der Verräter seiner Freunde, dessen ständige Kriegsgelüste dafür sorgten, daß Leichenhaufen seinen Weg säumten, und die Hühner in den Töpfen Seltenheitswert hatten. Hier gilt das Wort des Philosophen Max Horkheimer : »Immer lag über der Gemeinheit, durch die sich die Macht am Leben erhält, ein Schleier, wer ihn zu zerreißen versuchte, war zum Untergang bestimmt«650. Celan hätte das Diktum Horkheimers zum Motto seiner Ablehnung des »Schildkrötenadels« machen können. Er pflegte es nämlich mit dem Marxschen Satz zu halten, der Wert auf die Feststellung legt : daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also […] dem kategorischen Imperativ verpflichtet, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen ein Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist651.
Auch der gleichgesinnte Celan prangerte das »Markten und Schachern der Großen« an652. Konsequent führt der Schlußteil des Satzes die gesellschaftskritische Überlegung zu Ende. Die vorsokratische griechische Philosophenschule im süditalienischen Elea um Parmenides, Xenophanes und Zenon (540–460 v. Chr.) vertrat bekanntlich die Konzeption einer absoluten, unwandelbaren Ordnung, die sich 202 |
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allein in der Wahrheit glaubt. Der damit vertraute Celan sah das entschieden anders. Vehement opponierte er gegen solch »eleatisches« (V. 4) Denken. Angesichts der »höhnenden«, wie selbstverständlich auf ihrem Anspruch beharrenden »Unsterblichkeitsziffer« (»Die Unsterblichkeitsziffer […] höhnt eleatisch / hinter sich her«, V. 1 und 4/5) bedenkt er diese Haltung mit stechendem Spott. Jeglichem »Schildkrötenadel« setzt das Gedicht ein sicheres humanes Bewußtsein entgegen. Ohnehin wirken, aus heutiger Zeit betrachtet, derartige »Unsterblichkeitsziffern« nur noch grotesk. Mithin läuft am Ende das Gedicht in einem dissonanten Paradox aus. Der vermeintlich historische Aphorismus in Gedichtform erweist sich als höchst aktuell im Sinne der Celanschen Überzeugung, »zugewandt dem Sibirien der Exilierten«653 zu leben. Zum Verständnis des nächsten Gedichts muß man wissen, daß Celan häufig in die Nacht hinein lebte. In diesem Fall muß man sich ihn, in einer noch offenen Kneipe der Stadt Pau bei einem Glas Wein sitzend, vorstellen. Dabei geriet immer wieder eine typisch okzitanische, also dunkelhaarige Frau in seinen Blick, deren verschattete »Augenwinkel« (V. 1/2) sich ihm intensiv einprägten. Der Eindruck dieses »Albigenserschattens« (V. 3) evoziert in ihm die schmerzlich haftende Erinnerung an das abgerissene Geburtshaus des Baruch de Spinoza (1632–1677) am Waterloo-Plein in Amsterdam654. Im Zusammenfließen dieser Eindrücke ging dem Dichter ein lyrischer Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf, den er unverzüglich in die folgenden scharf geformten Worte faßte : Pau, später In deinen Augen winkeln, Fremde, der Albigenserschatten – nach 5 10
dem Waterloo-Plein, zum verwaisten Bastschuh, zum mitverhökerten Amen, in die ewige Hauslücke sing ich dich hin :
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daß Baruch, der niemals Weinende rund um dich die 15 kantige, unverstandene, sehende Träne zurecht schleife.655
Kurzatmig hervorgestoßene, hart in den syntaktischen Ablauf einschneidende Verse bestimmen den Ausdrucksgestus. An zwei Stellen, nach dem ersten und vor dem letzten Vers, wird sogar ein zusammengesetztes Wort durch Zeilensprung auseinandergerissen. Die den Text fortgesetzt gebrochen weitertreibende Formentscheidung entspricht dem spannungsvollen Inhalt. Der gibt uns – nebenbei – zu erkennen, was die reflexive Dimension der poetischen Imagination zu leisten vermag : Dauernde Präsenz des Vergangenen. In einem sich über drei Strophen dehnenden einzigen Satz denkt der Autor (»sing ich« ; V. 10, in der Mittelstrophe) nach über eine Beziehung, die sich für ihn ergibt aus dem Eindruck des »Albigenserschattens« in den »Augenwinkeln« (V. 1/2) einer fremden südfranzösischen Frau und der Erinnerung an Spinoza, den Rationalisten unter den jüdischen Denkern, dessen sephardische Familie aus Portugal in die Niederlande geflohen war. Celan anerkannte Spinoza als einen der Begründer der modernen Religionskritik, der deswegen aus seiner jüdischen Gemeinde verbannt wurde. Beginnen wir mit der »Fremden« (V. 2). Mit ihr und dem, was ihr anhaftet, identifiziert sich Celan in seinem Gedicht. Ihre poetische Anrede als Du durchzieht, dreifach gestuft (V. 1/2, V. 11 und V. 14) den Gesamttext. Ihre Einführung durch den Autor besteht aus nur drei Versen, in denen die Ausgangssituation konkret vermittelt wird. Vor seinem geistigen Auge läßt diese Frau in ihm Erinnerungen aufsteigen an das schreckliche historische Schicksal dieser okzitanischen Landschaft. Denn mit dem »Albingenserschatten« in ihren Augenwinkeln ist alles Leid der dort stattfindenden religiösen Konflikte und Glaubenskriege vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, von den Katharern bis zu den Hugenotten, angesprochen. Zur Debatte steht insofern noch weit mehr, nämlich ganz allgemein Intoleranz, Verfolgung und Vernichtung in der Geschichte656. Eben diese fatale Wirkung liest der Dichter den »Augen- /winkeln« der Fremden ab und verlängert dadurch den »Albigenserschatten« bis zum Jetzt der abendlichen Begegnung in Pau. Er erkennt hinter den Verschattungen der Augenwinkel die Verschattungen des Lebens und insofern in ihr eine potentielle Schicksalsgenossin. Jedoch ist dieser Ansatz zunächst einmal lediglich Auftakt für weitere Überlegungen. Ein 204 |
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Gedankenstrich am Ende des ersten Teilsatzes unterstreicht den in der zweiten Strophe angestellten gedanklichen Sprung hinüber zum Amsterdam des 17. Jahrhunderts und hinein in unsere Gegenwart. Ihre richtungsmäßige Orientierung bekommt die acht Verse umfassende Mittelstrophe durch die an den Anfang gesetzte Präposition »nach« (V. 4). Ziel der damit eingeleiteten gedanklichen Bewegung ist der Amsterdamer ›WaterlooPlein‹, also der weitläufige Platz am Rande des früheren Judenviertels, wo einst das Geburtshaus Baruch (Benedictus) Spinozas stand. Diesem von Diderot, Lessing, Goethe, Nietzsche, Einstein und vielen anderen als geistiger Partner geschätzten Philosophen fühlte Celan sich in gewisser Weise wahlverwandt. Registrierte er doch bei der Besichtigung Amsterdams im Mai 1964 die durch den Abbruch des Hauses entstandene Lücke (»die ewige Hauslücke«, V. 9/10) und notierte sie sogleich in seinem Notizbuch. Spinoza, der große Verfechter freier Geistigkeit, der sich schon mit 24 Jahren wegen seiner religiösen Dogmenkritik den Bannfluch der jüdischen Gemeinde zugezogen hatte, interessierte den sich leidenschaftlich auf sein Judentum berufenden Häretiker Celan ganz besonders. Für ihn stimmt der »Albigenserschatten« in den Augenwinkeln der Fremden mit dem leidvollen Lebenszusammenhang des Mannes überein, der stets den durchlöcherten Mantel aufbewahrte, den das Messer eines fanatischen Juden, der ihn ermorden wollte, durchbohrte. Deshalb »singt« der Dichter die Fremde mit seinen Versen zu Baruch Spinoza »hin« (V. 10/11). Der von orthodoxen Juden aus seiner Heimatstadt vertriebene »pantheistische Materialist« (so die Einstufung Spinozas durch Ernst Bloch657) hat den »Bastschuh« der gläubigen Sepharden hinter sich gelassen (der »verwaiste Bastschuh«, V. 6/7) und sogar die religiöse Bekräftigung – das »Amen« – »mitverhökert« (V. 8), also eine völlige Absage an die Glaubensgemeinschaft vollzogen. Trotz oder gerade wegen der »ewigen Baulücke« des nicht mehr vorhandenen Geburtshauses lebt indes die Erinnerung ungebrochen fort. Celan kann sogar die Substanz des auf Spinoza zugeschriebenen Gesangs an uns Heutige weitergeben. Er unterbricht den Textfluß kurz mit einem Doppelpunkt, um so den Leser auf die entscheidenden Folgerungen des Schlußteils vorzubereiten. Mit der den dritten Satzteil einleitenden Konjunktion (»daß«, V. 12) beginnt eine imperativ angelegte Gedankenfolge. In dieser sieben Verse umfassenden Schlußstrophe knüpft Celan an die Tatsache an, daß der aus Amsterdam vertriebene Spinoza sein Brot als Linsenschleifer verdienen mußte, bis er, nur 44 Jahre alt, an Lungentuberkulose starb. Bekanntlich gelangte das Gros seines Werks erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit. Aufgrund dieses Sachverhalts kann der Autor nun Absicht und Ziel des poetischen Gedankenspiels zwischen Pau Exkurs : Gedichte einer Irrfahrt
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und Amsterdam darlegen. Dabei wird der historisch latinisierte Benedictus de Spinoza wieder zu dem beim Vornamen genannten jüdischen Partner »Baruch« (V. 12). Der lehnte Tränen, sehr im Gegensatz zu Celan, als Zeichen einer schwachen Seele ab. Darum wird »der niemals / Weinende« (V. 12/13) gehalten, »rund um« die Fremde (V. 14) die »Träne« zurechtzuschleifen (»daß Baruch, der niemals / Weinende / rund um dich die […] Träne zurecht- / schleife«, V. 12–14 und V. 17/18). Was praktisch heißen soll : die Verdammung der passiven Affekte in der Art der Träne zurückzunehmen. Der geübte Schleifer optischer Gläser wird gehalten, sich vollkommen in die zu bearbeitende Träne einzufühlen, um sie angemessen zurechtschleifen zu können. Das ist nämlich Voraussetzung dafür, die Träne einzubeziehen in die große Trauerarbeit dessen, der da singt. Es geht also darum, »die Träne zu gewinnen«658, sie sich gänzlich zu erschließen. Um das zu erreichen, bleibt dem Linsenschleifer viel zu tun. Er muß, um sie, einem Kristall gleich, freizulegen, ihre »kantige, / unverstandene, sehende« Komponente (V. 15/16) total erfassen. Was er damit erschließt, bildet die humane Zielsetzung des Gesangs. Das »Kantige« an der Träne, nämlich ihre wahre Struktur, wird beim Schleifprozeß unter dem vordergründigen Erscheinungsbild hervorgeholt und dadurch sichtbar. Ergänzend dazu muß ihr »Unverstandenes« (V. 16), das nicht zu begreifende Leiden in der Welt, erschlossen werden, so daß am Ende die »sehende / Träne« (V. 16/17) aus der Fremden mit dem »Albigenserschatten« eine Vertraute macht. Damit ist Spinoza für die Gemeinschaft der Leidtragenden gewonnen. Er ist gleichsam heimgeholt und so der Zweck des Gesangs erfüllt. Die weiteren Gedichte der Reise – Der Hengst, Die Unze Wahrheit, In den Geräuschen, Lyon. Les Archers und All deine Siegel erbrochen ? Nie – sind konzentriert auf Celans Bemühung um eine Re-Stabilisierung der familiären Beziehung oder um notwendige Selbstklärung. Sie können hier übergangen werden, weil davon an anderer Stelle ausführlich die Rede ist. Aber es war wichtig, bestimmte nächtliche Schauplätze, ferner Kresse und Stacheldraht an der Grenze zu Franco-Spanien, die Wiege Heinrichs IV. und den Albigenserschatten in den Augenwinkeln einer Fremden kennenzulernen, weil sich an ihnen die kreativen Energien Celans entzündeten, jeweils gespeist vom unerschöpflichen Reservoir seiner Assoziationen und Erinnerungen. Fraglos war der Schreibakt für ihn ein hinhaltender Überlebensakt.
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Celans letzte Jahre (1967–1970) – »Den Wind im Rücken, sterb ich mich ein«
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ußerst unwohl fühlte sich Celan unter der fortlaufenden psychiatrischen Aufsicht. Ständig belastet durch die Einwirkung von Psychopharmaka, suchte er verzweifelt nach weniger abträglichen Heilmethoden. Über Franz Wurm kam er im September 1967 in Kontakt mit dem Neurophysiologen Moshé Feldenkrais (1904–1984). Doch auch der konnte ihm mit seinen alternativen Heilmethoden nicht weiterhelfen. Ilana Shmueli, mit der Celan eine letzte intensive Bindung erleben durfte – sie nannte es »ein Heimweh, man könnte es Liebe nennen, ich will es ein Verschwistertsein nennen«659 – erklärte seinen Zustand als »Krankheit an der Wirklichkeit« und »fand jede Psychodiagnostik bei ihm unangebracht«, weil »seine Genauigkeit, seine strenge Aufmerksamkeit, seine geistige Souveränität, sein Dichten« dem widersprachen660. Freilich änderte das nichts an der Tatsache, daß er immer wieder die Grenzen des Normativen sprengte und darum auf ärztliche Betreuung angewiesen blieb. Insofern trifft Celans Selbstbestimmung seiner Situation durchaus zu, die er dem Freund Wurm zu Anfang des Jahres 1968 folgendermaßen schilderte : ich bin […] auf das eindringlichste auf meine Grenzen verwiesen, auf meine Unfreiheit, mein Nirgendwo, mir ist, mit einem Wort, ziemlich elend zumute. Paris ist mir eine Last – die ich nicht abschütteln darf, ich weiß –, das Unterrichten freut mich nicht (im Gegenteil), die paar Zeilen, die ich gelegentlich zusammendichte, halten nicht vor661.
Mit großem Interesse verfolgte Celan allemal das Weltgeschehen. Natürlich galt sein Engagement dem Verlauf des Sechstagekriegs im Juni 1967. Ihm war klar, daß Israels Erfolg nur der Anfang weiterer Konflikte war. Er merkte dazu an : In mir ist Unruhe, der Dinge um Israel wegen, der Menschen dort, des Krieges und der Kriege wegen. Israel muß leben und dazu muß alles aufgeboten werden. Aber der Gedanke an eine Kette von Kriegen, an das Markten und Schachern der ›Großen‹, während Menschen einander töten – nein, das kann ich nicht zu Ende denken662.
Im Juli 1967 unternahm Celan eine Reise nach Deutschland. Am Abend des 24. Juli las er im überfüllten Auditorium Maximum der Freiburger Universität aus seinem neuen Gedichtband Atemwende. Unter den Zuhörern saß in der Celans letzte Jahre (1967–1970)
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ersten Reihe als Ehrengast Martin Heidegger. Noch vor der Lesung war Celan im Hotel mit dem Repräsentanten der ihn seit langem faszinierenden philosophischen Konzeption von Ursprung, Wesen und Wahrheit der Sprache als dem »Haus des Seins« zusammengetroffen. Spätestens seit der Wiener Zeit übten Heideggers Schriften, vor allem Sein und Zeit und die Untersuchungen zu Hölderlin, einen starken Einfluß auf sein Verständnis der Dichtung aus. Lange scheute er allerdings vor einem persönlichen Kontakt zurück. Anziehung und Ablehnung standen bei ihm in ständigem Widerstreit. Natürlich wußte er um die starke Wirkung, die Heidegger in Frankreich auf Sartre und dann hauptsächlich auf die Gruppierung um Jean Baufret und René Char ausübte. Doch war ihm ebenso nur zu gut die üble Rolle bekannt, die der frühere Assistent und dann Nachfolger Edmund Husserls am Anfang der braunen Diktatur als Freiburger Rektor gespielt hatte. Die auf Heidegger selbst zurückgehende Einladung an Celan zur Teilnahme an der Festschrift zu dessen 70. Geburtstag 1959 hatte er deswegen, wie übrigens auch Ingeborg Bachmann, zurückgewiesen. Aus dem gleichen Grund leuchtet ebenso ein, daß er es beim Freiburger Treffen zunächst ablehnte, sich gemeinsam mit dem »Denkenden«, wie er Heidegger apostrophierte, photographieren zu lassen. Dennoch lud der ihn ein, anderntags zu einem Besuch in seiner ›Hütte‹ nach Todtnauberg zu kommen. Seinen inneren Vorbehalten zum Trotz nahm Celan die Einladung an. So kam es zu jener denkwürdigen Begegnung des Verfassers der Todesfuge mit dem Mann, der in seiner Rektoratsrede 1933 autoritätsgläubig den »Willen zur wahren Volksgemeinschaft« und den Kampf gegen die »Vergötzung eines boden- und machtlosen Denkens« beschworen und damit die historische Sendung der nationalsozialistischen Bewegung propagiert hatte. Gewiß war Heideggers appellatives Denken deutlich abgesetzt vom Biologismus und Rassismus der nationalsozialistischen Ideologie. Für Celan jedoch war der bewunderte Philosoph seiner falschen Allianz wegen als Person korrumpiert. Schmerzlich vermißte er bei ihm den Gewissensruf nach notwendiger Klarstellung der historischen Schuld. Absichtsvoll trug er deshalb beim Besuch ins ›Hüttenbuch‹ den eindringlich mahnenden Satz ein : »mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit einer Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen«. Wie sehr ihm an diesem klärenden Wort gelegen war, ist der Tatsache zu entnehmen, daß er wenige Tage später, noch in Deutschland, im Gedicht Todtnauberg seine Forderung wiederholte mit den Worten : »die in das Buch / – wessen Namen nahms auf / vor dem meinen ? – /, die in dies Buch / geschriebene Zeile von / einer Hoffnung, heute, / auf eines Denkenden / kommendes / Wort / im Herzen«663. Auch seiner Frau Gisèle gegenüber äußerte Celan die gleiche Erwartung : »Ich hoffe, daß Heidegger zur Feder greifen und einige Seiten schreiben wird, die sich 208 |
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auf das Gespräch beziehen und angesichts des wieder aufkommenden Nazismus auch eine Warnung sein werden«664. Gleichsam zur Erinnerung schickte er die Nummer 1 eines auf fünfzig Exemplare begrenzten bibliophilen Sonderdrucks von Todtnauberg an Heidegger. Der bedankte sich zwei Wochen später mit den nach Auffassung Celans ausweichenden Sätzen : das Wort des Dichters, das Ermunterung und Mahnung zugleich ist und das Andenken an einen vielfältig gestimmten Tag im Schwarzwald aufbewahrt. […] Seit dem haben wir Vieles einander zugeschwiegen. Ich denke, daß einiges noch eines Tages im Gespräch aus dem Ungesprochenen gelöst wird665.
Dabei ist es letzten Endes geblieben. Das vom Dichter erwartete »kommende Wort« des Philosophen zu seiner, wie Felstiner zu Recht anmerkte, »gewissenlosen Vergangenheit«666 blieb unausgesprochen. Gegenüber Jean Daive, dem Übersetzer der Engführung ins Französische, mußte Celan eingestehen, daß er mit seinen Erwartungen gescheitert war. Sein enttäuschter Kommentar lautet : Ich habe mir Illusionen gemacht. Ich hoffte, Heidegger überzeugen zu können. Ich wollte, daß er zu mir spricht. Ich wollte vergeben. Was ich erwartete, war, daß er die richtigen Worte finde für meine verzeihende Nachsicht. Aber er ist bei seinen Positionen geblieben667.
Damit war er nun um eine weitere bittere Erfahrung reicher. Das Ganze zeigt uns, wie heftig der Dichter um das Land gerungen hat, in dessen Sprache er schrieb, dem er jedoch fremd bleiben mußte und auch fremd bleiben wollte. Um der ärztlichen Obhut zu entrinnen, unternahm Celan, wenn irgend möglich Reisen. So fuhr er im August zu einem zehntägigen Besuch bei seiner Tante Berta nach London. Im September machte er in Tegna, Tessin, Urlaub mit Franz Wurm und besuchte auch Locarno, Bellinzona und Zürich. Nach dem Wechsel zum Suhrkamp Verlag erschienen die Sammlung Atemwende und die Einundzwanzig Sonette Shakespeares in der Übersetzung Celans. Danach folgten erneut Deutschland-Aufenthalte (11.–16. Oktober und 25.–27. November), hauptsächlich vom 16. bis 29. Dezember 1967 auf Einladung von Peter Szondi in West-Berlin. Die Lesungen in der Freien Universität und bei Walter Höllerer in der West-Berliner Akademie der Künste erlaubten es ihm, ausgiebig in diesem Teil der Stadt, die er 1939 nur durchfahren hatte, herumzustreifen und vor allem Örtlichkeiten Celans letzte Jahre (1967–1970)
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genauer zu erforschen, die mit der Vorgeschichte und mit den Verbrechen des Dritten Reiches zu tun hatten. Drei Gedichte zeugen davon : Oranienstraße, Du liegst und Lila Luft. Celans Situation in der letzten Lebensphase ist voller acherontischer Finsternisse. Nach vielen vorübergehenden Trennungen mußte er endgültig auf den gewohnten familialen Rahmen verzichten. Er lebte nun allein, praktisch reduziert innerhalb eines Dreiecks im Quartier Latin zwischen Rue d’Ulm, Place de la Contrescarpe und der Rue Tournefort. Sein Büro in der École Normale Supérieure wurde während dieser Zeit zum hauptsächlichen Aufenthaltsort und zur Anlaufstelle für die Besucher. Dem Freund Franz Wurm vertraute er an : »Ich habe nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten mit mir, lieber Franz, tagauf, tagab«668. In voller Übereinstimmung mit der eigenen Eheproblematik strich er eine Eintragung im Tagebuch Kafkas an, die er sich als Frage an Gisèle vorlegte : »Zu sagen, daß du mich verlassen hast, wäre sehr ungerecht, aber daß ich verlassen war, und zeitweise schrecklich verlassen, ist wahr«669. Traumatisiert kam er zu dem deprimierenden Ergebnis : »Die Ärzte haben da viel zu verantworten, jeder Tag ist eine Last, […] die Zerstörungen reichen bis in den Kern meiner Existenz. […] Man hat mich zerheilt«670. Er selbst diagnostizierte seine psychophysische Befindlichkeit im Gedicht mit dem Bild : »keinem wie mir / schlug die Hagelbö durch / das seeklar gemesserte / Hirn«671. Positive Impulse versprach sich Celan anfangs von den Mai-Ereignissen des Jahres 1968. Naiverweise ging er, angesichts der Barrikaden in seinem Umfeld, an die revolutionären Entwicklungen »mit einem Gedanken an die Weltvertriebenen«672 heran und fühlte sich deswegen in seiner sozialistischen Grundorientierung herausgefordert. Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Begeisterung und Engagement Celans wichen rasch tiefer Skepsis. Noch gründlicher fiel dann die Enttäuschung aus, als bald darauf der Prager Frühling durch sowjetische Panzer gewaltsam abgewürgt wurde. Machte das doch ein für alle Mal klar, daß es einen ›Kommunismus mit menschlichem Antlitz‹ nicht geben würde. Beachtlich bleibt bei alledem die Fortdauer der poetischen Produktivität. Zwar sprach Celan in einem Brief, austriakisch relativierend, von nur ein »paar Schriftstückerln«, in denen er sich »ausgeschmerzt habe«673. Tatsächlich aber entstand laufend eine ganze Fülle haltbarer Gedichte. Keine Rede kann demnach sein vom immer wieder behaupteten Verstummen des Dichters. Vielmehr rundete er sein Werk überzeugend ab. Er erfuhr damals auch die Genugtuung, daß seine enge Zusammenarbeit mit Yves Bonnefoy, André du Bouchet, Jacques Dupin und Jean 210 |
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Daive in doppelter Hinsicht belohnt wurde. Nicht nur, daß sie seine Texte ins Französische übersetzten wie er die ihren ins Deutsche. Zudem wurde er in die Redaktion der kulturellen Zeitschrift L’Éphémère als Mitherausgeber aufgenommen. Das war der Beginn seiner Wirkung im Gastland Frankreich. Eigentlich hatte er nunmehr viel erreicht von den Zielen, die er sich vorgenommen hatte. Aber da gerade kam es zu einem alles über den Haufen werfenden Rückschlag in Gestalt einer eindeutigen Psychose. Im November 1968 griff Celan ohne jeden äußeren Grund einen Nachbarn in der Rue Tournefort tätlich an, weil er meinte, der habe den Sohn Eric bedroht. Die Geste der Fürsorge für den Sohn ist bezeichnend. Bereits im Dezember 1967 hatte Celan eine Verfügung in Form einer testamentarischen Notiz verfaßt. Dabei hatte er dem Sohn die Rechte an seinem gesamten literarischen Werk vermacht, einschließlich der Manuskripte. Die verzweifelt von ihm betriebene Suche nach »Licht« und »Rettung« (»Licht war. Rettung«674) erwies sich einfach als zu aussichtslos. Er wollte nun unbedingt »fort aus Kannitverstan«675. Bis zum Anfang des Jahres 1969 war Celan nun wieder in ärztlicher Behandlung – dieses Mal in der Psychiatrischen Klinik Vaucluse in Épinay-sur-Orge. Nach der Entlassung am 3. Februar mußte er die Verpflichtung eingehen, sich ›regelmäßig in einer sozialhygienischen Ambulanz zur Überwachung und Medikamentation zu melden‹. Heftige Depressionsschübe blieben aber auch von da an nicht aus. Erst im letzten Halbjahr seines Lebens, Oktober 1969 bis April 1970, konnte er wieder etwas freier über seine Zeit verfügen. Er unternahm auf Einladung des Verbandes hebräischer Schriftsteller eine ihm wichtige Reise nach Israel und fand dort in Ilana Shmueli eine letzte intensive menschliche Bindung. Den Anfang seines Besuchs bildete am 9. Oktober eine Lesung in Jerusalem. Der erfreuliche Empfang mit Ovationen löste in ihm eine wahre Euphorie aus : »Hier, viel Freundlichkeit, viele gute Gesichter«676. Lesungen folgten sodann in Haifa und Tel Aviv, insbesondere aber eine kurze »Ansprache vor dem Hebräischen Schriftstellerverband« am 14. Oktober, in der er für eine »gelassen-zuversichtliche Entschlossenheit, sich im Menschlichen zu behaupten« plädierte677. Dem Freund Wurm berichtete er zusammenfassend : Siebzehn Tage in Israel, meine intensivsten, seit Jahren. Wo soll ich jetzt hin mit diesem Dort ? Paris, das sind die Härten und dann und wann ein kleines Gedicht. […] Dort, das war, zumal in Jerusalem, auch mein starkes Selbst. Umredet, umschwiegen, umlebt678.
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Dennoch reiste er am Ende überstürzt aus Israel ab. Er konnte hier als deutscher Dichter keine wirkliche Zukunftsmöglichkeit für sich finden. Ihm war klar, daß er nicht »Wein aus zwei Gläsern« trinken konnte (»Ich trinke Wein aus zwei Gläsern«679). Es ist, wie Ilana Shmueli betonte : »das schwerste Hindernis war der Konflikt der Sprachen ; er fühlte, daß er hier in Jerusalem – in Israel – nicht deutsch schreiben konnte und durfte, wenn er dazu gehören wollte«680. Das, was er sein »starkes Selbst« nannte, geriet nach der Rückkehr nun aber wieder unter allen nur möglichen Druck. Wenig später faßte er die Beschreibung seiner Situation in die Worte : »ich muß täglich in meine Abgründe hinab, ich lebe von heute auf morgen, von heute auf heute vielmehr«681. Der Schock der Rückkehr nach Paris, noch dazu in die neue, nicht eingerichtete und sehr laute Wohnung, 6, Avenue Émile Zola, trug nicht unwesentlich dazu bei. Zu viel Gutes und Neues war in Israel über ihn gekommen. Das war in erster Linie die Liebe zu Ilana Shmueli und deren Liebe für ihn. Viel kam da zusammen : die gemeinsame Herkunft aus der Bukowina, das gemeinsame Judentum, und vor allem die gemeinsame intellektuelle und kreative Begeisterung in der Kulisse von Jerusalem. Zwei wahre Menschen trafen sich unerwartet in tiefer Liebe. Rückblickend erklärte Celan Ilana, was in ihm vorgegangen war : »Daß Jerusalem eine Wende, eine Zäsur sein würde in meinem Leben – das wußte ich. Aber ich wußte nicht, daß ich dort beschenkt werden sollte mit Dir«682. Gleich im Dezember kam Ilana zu Besuch nach Paris. Sie blieb, mit Unterbrechungen durch Reisen in die Schweiz und nach England, bis zum 2. Februar 1970. Beim Abschied auf dem Bahnhof äußerte Celan plötzlich den Satz : »Ich glaube, wir werden uns nicht mehr wiedersehn«683. Leider sollte er damit recht behalten. Feinfühlig erkannte Ilana Shmueli in einem ihrer letzten Briefe : »Weißt Du, Paul, die Liebe ist fort aus deinen Briefen. Ich kann es verfolgen so genau. Ja, es ist noch einiges da, Erinnerung, Vertrauen vielleicht Verstehen und etwas Zugehörigkeit – Aber die Liebe ist fort.«684 Eine Antwort seinerseits darauf gibt es nicht. Im März 1970 kam noch Franz Wurm für zwei Wochen aus Prag in Celans neue Wohnung. Danach fuhr er zum letzten Mal nach Deutschland. Celan war von der Friedrich-Hölderlin-Gesellschaft eingeladen, am 21. März, anläßlich der zweihundertsten Wiederkehr von des Vorläufers Geburt, eine Lesung mit unveröffentlichten Gedichten zu gestalten. Die Reaktion der auf Hölderlin eingeschworenen Philologen fiel, wie Celan dem Freund Wurm berichtete, weithin negativ aus. Sein Beitrag wurde »totgeschwiegen oder als ›unverständlich‹ abgetan«685. Der sah darin nicht nur ein Indiz für die Gleichgültigkeit gegenüber seinem Werk, sondern fühlte sich in seiner dichterischen Mission angegriffen. Er reagierte enttäuscht, ja verzweifelt. 212 |
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Auch die Gedichte sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Es heißt da : »Du warst mein Tod : / dich konnte ich halten / während mir alles entfiel«686. Oder : »Die Schwermut, aufs neue geduldet, / pendelt sich ein«687. Und weiter : »An der Herzspitze kommt / eine Muskelfaser / sinnend zu Tode«688. Der im Sternzeichen des Schützen geborene Celan, »jagt den Zwölfgesang durch / das Mark von Verrat und Verwesung«689. Man könnte so fortfahren. Geht es doch allermeist um die »Erprobung / des ein- / maligen Herzstichs«690 oder um die Selbstaufforderung : »ich Fahrensmann / geh«691. Alles deutete darauf hin, was Celan dann Ilana Shmueli wissen ließ : »es ist spät geworden in meinem Leben, vor der Zeit«692. Celan sammelte nun seine Gedichte für die Bände Lichtzwang und Schneepart. Eine bezeichnende Eintragung hierzu lautet : »Die Dunkelheit des Gedichts = die Dunkelheit des Todes«693. Ohne jeden Hinweis nahm er von den Freunden, vor allem von Peter Szondi und Edmond Lutrand, dem Vertreter des Rowohlt Verlags in Paris, Abschied und auch von den Orten, die ihm viel bedeuteten : Freiburg, Tübingen, und er fuhr nach Colmar, um dort den ›Isenheimer Altar‹ des Renaissance-Malers Matthias Grünewald und vor allem die Darstellung des Gekreuzigten genau anzusehen. Er war sich darüber im Klaren, daß – wie Henri Michaux schrieb – »[d]ie Heilung, die vom Schreiben ausging, nicht mehr genügte […] Er ist davongegangen. Wählen, das konnte er noch, wählen. Damit das Ende nicht so lange dauere«694. Daß alles so kommen musste, sah der amerikanische Autor Paul Auster als gleichsam unausweichlich an : »Celan hat niemals aufgehört, sich dem Drachen der Vergangenheit zu stellen, und am Ende hat der Drache ihn verschlungen«695.
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Exkurs : Lyrik der Wortreste am Beispiel des Gedichts Stückgut
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athos ist den ebenso divergierenden wie diffusen Strukturen der modernen Gesellschaft nicht angemessen. Schon Robert Musil kam zu der klaren Feststellung, daß wir in Umständen leben, wo »die erhabene Hohlheit die gewöhnliche nur vergrößert«696. Mit der ihm eigenen Ironie unterstrich er so, wie wenig die zeitgenössische Kommunikation eine pathetisch stilisierte Steigerung ihrer Ausdrucksgebärde verträgt. Heroisierung und Größenwahn verbaler ›Denkmalspfleger‹ oder entsprechend überzogene ›Trauerbekundungen‹ haben seit dem zwanzigsten Jahrhundert gründlich dafür gesorgt, den Überschwang der Affekte ziemlich hohl und weithin unglaubwürdig werden zu lassen. Das ›genus grande‹ der antiken Rhetorik, das mit seiner gehoben-emotionsbetonten Expressivität Jahrhunderte hindurch Bewunderung, Mitleid und Entsetzen auszulösen vermochte – Pathos ist bekanntlich das griechische Wort für Unglück, Leid und Leidenschaft –, verfängt heutzutage nicht mehr. Noch der Schiller des Jahres 1793 konnte in seiner Schrift Über das Pathetische ohne weiteres statuieren : »Das Pathetische ist nur ästhetisch, in so fern es erhaben ist«697. Zweihundert Jahre später fehlt jegliche Entsprechung zu einem derartigen Pathos-Konzept. Die erhabene Stilform leidenschaftlicher Darstellung einer Problematik mit höchstem moralisch-ethischem Anspruch ist der gezielten Entwertung aller Werte zum Opfer gefallen. Dort, wo sie noch praktiziert wird, wirkt sie meist übertrieben, deplaziert und unglaubwürdig. Durchweg besteht bei der Wahl dieses extremen Registers heute die Gefahr des Abgleitens in leere Deklamation oder Reproduktion. Die Literatur der Moderne definiert sich nicht zuletzt durch den konsequenten Verzicht auf den pathetischen Gestus. Nietzsche konnte für die Wiedergabe der Perspektive des heroisch-einsamen Übermenschen gerade noch auf ungebrochene Pathos-Wirkung setzen und darum vehemente Verse starker Affekterzeugung wie etwa die folgenden schreiben : »Flieg, Vogel schnarr’ / Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton – / Versteck’, du Narr, / Dein blutend Herz in Eis und Hohn.«698 Hingegen scheiterten die neopathetisch ausholenden expressionistischen Dichter mit ihrer idealistischen O-Mensch-Emphase angesichts der anonymisierten Menschenschlächterei des Ersten Weltkriegs eher kläglich. Nicht bloß die Fragwürdigkeit humaner Werte wurde dadurch evident, sondern ebenso die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Sprache.
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Exkurs : Lyrik der Wortreste
Danach gab es eigentlich nur noch die Möglichkeit negativer Pathos-Weckung in der Art Gottfried Benns oder die entschiedene Zurückname des Pathetischen. Benn propagierte die »formfordernde Gewalt des Nichts«699. Auf dieser Grundlage prinzipieller Verabschiedung des Idealismus konnte er geradezu hymnische Gesänge seiner autonomen Ausdruckswelt anstimmen. Als kreativ Schreibender lebte er in der Überzeugung, wie er sie im Gedicht Einsamer nie – verkündete : »dienst du dem Gegenglück, dem Geist«700. Die Möglichkeit der Zurücknahme ist meistens an die versuchte Rettung eines humanen Restbestands gebunden. Man könnte geradezu von einem Pathos des Widerstands sprechen. Ein sinnfälliges Beispiel dafür liefert der berühmt gewordene Satz Günter Eichs : »Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt«701. Mit Recht hat Heinrich Böll die dahinterstehende Haltung als »Pathos der Bescheidenheit« bezeichnet702. Derartige Ausnahmen setzten allerdings voraus, daß die sprachimmanente Totalität noch keinen entscheidenden Bruch erfahren hatte. Wo freilich die Dissoziation des Ichs und allgemeiner Wertezerfall einen Kahlschlag des Bewußtseins ausgelöst haben, der auf ein völliges Versagen von Geist und Sprache hinausläuft, ist mit pathetischen Schreibstrategien kein Weiterkommen mehr. Die Ausdrucksmöglichkeiten der Künstler haben sich infolgedessen fundamental gewandelt. Für den Schreibenden erwachsen aus der Erfahrung der angedeuteten Abgründe moderner Dichtersprache extreme Herausforderungen. Es geht dabei um nichts anderes als die Depoetisierung des Poetischen, also um den Übergang zu den ›nicht mehr schönen Künsten‹ (Hans Robert Jauß). Jeder moderne Schriftsteller muß, früher oder später, diese Erfahrung durchmachen und vor allem Konsequenzen daraus ziehen. Allesamt laufen sie hinaus auf das Auffinden einer eigenen ästhetischen Formulierung. Auch im Werkablauf Paul Celans ist die Tendenz zur Zurücknahme des Pathos bis zu dessen Auslöschung nachzuverfolgen. In seinen Anfängen stand der Dichter aus der Bukowina stark im Banne von Rilke und Trakl. Beider lyrisches Klangbild und Bildrepertoire wirkte weit hinein in das Celansche Frühwerk, einschließlich der Todesfuge. Im Rückblick sah der Autor diese Anfänge zunehmend kritisch. Von solchem »Musizieren« mit Worten nahm er nun Abstand. Was dabei erreicht wurde, waren die Dissonanzen einer verfremdeten Versifikation von hart sich aneinander reibenden Wort- und Verslösungen. Gezielte Vereinzelung von Wort und Wortfolge bis hin zur Isolierung bestimmter Einzelsilben destruiert so die konventionelle Versfügung und Syntax radikal. Die von Celan gesuchte »ansprechbare Wirklichkeit« ist adäquater Ausdruck einer katastrophal irrläufigen Wirklichkeitssituation voller Schrecken, Verstörung und Leiden. Sprachliche Mimesis vermag das in ihrer vordergründigen ScheinExkurs : Lyrik der Wortreste
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haftigkeit niemals zu leisten. Es bedarf dazu neuer lyrischer Gestaltungsprinzipien in der Randzone zwischen Sprechen und Schweigen. Ex negativo gilt für diese neue Sprache die Aussage Celans : »Weggebeizt vom / Strahlenwind deiner Sprache / das bunte Gerede des An- / erlebten – das hundert- / züngige Mein- / gedicht, das Genicht«703. Selbstverständlich impliziert ein solches Verwerfen des »mein«-eidigen Scheingedichts als »Genicht« entschiedene Ablehnung pathetischer Ornamentierung. Was für Celan bleibt, sind – ich zitiere einige seiner bezeichnenden Begriffe – »Lesestationen im Spätwort«, »Hörreste, Sehreste«, »Sprachschatten«, »Wortschatten«, »Worthöhlen«704. Dieser »wunde Gewinn / einer Welt« läßt die »bebilderten Sprachen« hinter sich705, stößt fortwährend an die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeit. Paul Auster hat das genau erfaßt : Man liest gewissermaßen mit der Haut, wie durch Osmose, unbewußt resorbiert man Nuancen, Zwischentöne, syntaktische Sprünge, die für sich selbst ebenso sehr den Sinn des Gedichtes ausmachen wie sein analytischer Inhalt706.
Darum gilt für die Schreibweise Celans in der Spätphase der Satz : »Das Geschriebene höhlt sich«707. Nicht ohne tieferen Grund spricht er im Hinblick auf seine Gedichte von »Sperrtonnensprache« und hebt damit deren Grenzlage hervor. Er sieht in ihr die heute notwendige, gebrochene Kontrafaktur zur Totalität der früheren Praxis, etwa der homerischen Ilias und ihrer Pathetik. Es heißt da : »Sperrtonnensprache, Sperrtonnenlied. / Die Dampfwalze wummert / die zweite / Ilias / ins aufgerissene / Pflaster // sandgesäumt / staunen die alten / Bilder sich nach, in die Gosse. […]«708. Aus heroischem Sterben in den trojanischen Gefilden ist die platt-öde Realität der »Gosse« geworden. Krasses Anti-Pathos substituiert sich in der heutigen, der »zweiten Ilias«, dem verklärenden epischen Hochton. Der reife Celan beherrscht souverän die Kunst der ›scheiternden‹ Sprache : »Schweigen, wie Gold gekocht, in / verkohlten / Händen«709. Unter solchen Ansprüchen wird der Dichter zum »Enthöhten«710. Celans Position ist jenseits von Sterben und Unendlichkeit : »Todes quitt, Gottes / quitt«711. Daß mit alledem größte Verunsicherung einhergeht, versteht sich von selbst. Es kann sich lediglich noch darum handeln, die »nachzustotternde Welt«, vom »weißen Daneben« her mit dem »schwimmenden Wort« anzugehen712. Was Celan mithin dem Pathetisch-Ungebrochenen entgegensetzt, ist eine anders, nämlich inhaltlich gesteigerte Sprache. Sein »Gegenwort« treibt den Wortsinn über das wörtlich Gesagte hinaus, gibt ihm die »Präzision« der von ihm geforderten »unabdingbaren Vielstelligkeit des Ausdrucks«713. Die damit verbundene Reduktion, Demontage, Deformation und 216 |
Exkurs : Lyrik der Wortreste
Dissonanz erbringt eine neue Qualität in Gestalt von Verdichtung, Konzentration und Kristallisation. So bewirkt sie letzten Endes reinigende Aufhebung und Freisetzung. Daß auch mit Reduktion und Dissonanz eine Steigerung der Ausdrucksgebärde verbunden sein kann, daß demzufolge Celans »Sperrtonnensprache« nachhaltig wirkende sprachliche Schneisen schlägt ins »bunte Gerede des An- / erlebten«714 und dadurch wiederum neue Wege poetischer Erfahrung eröffnet werden, soll nun an einem Gedicht aus der postum veröffentlichten Sammlung Schneepart nachgewiesen werden. Der ausgewählte Text, ein am 2. Februar 1968 geschriebenes Gedicht zur Holocaust-Thematik, lautet so : Stückgut, gebacken, groschengroß, aus überständigem Licht ; Verzweiflung hinzugeschippt, Streugut ; ins Gleis gehoben, die volle Schattenrad-Lore.715
Kompositionsformen wie Fuge (> Todesfuge), Stretta (> Engführung) oder andere musikalische Grundierungen sind diesem Text fern. Die Rede ist in einer ganz einfachen Bildsequenz von den Opfern der Vernichtungslager des Dritten Reiches. Ein einziges Wort, das Substantiv »Verzweiflung« (V. 4) bringt einen emotionalen Akzent in den sonst auf Gegenstände und faktische Befunde beschränkten Darstellungszusammenhang hinein. Im übrigen fehlt – bezeichnenderweise – jeder Bezug auf die Existenz von Menschen. Zur Sprache kommt allein das ›Menschen-Material‹, das die mörderischen Handlanger des barbarischen Rassenwahns, als »Streugut« (V. 5) in »Loren« (V. 7) verfrachteten und wegschafften. Extrem verknappte Verse geben den diesem Gegenstand angemessenen Rahmen ab. Auf gleiche Art ausgedünnte Teilsätze verkürzen die Aussage auf eine Abfolge von Substantiven. Durch diese bleiben die zugehörigen Attribute und funktional ähnlich einzustufenden Partizipialkonstruktionen des Perfekts auf eine rudimentäre Syntax festgelegt. Die Leser werden zu Zeugen einer Wirklichkeitssuche, die sich keiner Mimesis fügt. Geht es doch hier um einen Vorgang nie gekannter Vernichtung des menschlichen Lebens. Deshalb schlägt der Dichter, der sich diesem Thema ausgesetzt sieht, den Weg semantischen SuExkurs : Lyrik der Wortreste
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chens ein. Das ist auch der Grund, warum er sich im Bereich bloßer Dinglichkeit bewegt. Andere Spuren gibt es von den Opfern nicht mehr. Nüchternes Registrieren bestimmt demzufolge die Textur, jedenfalls auf den ersten Blick. In drei Beobachtungsschüben – sie bilden die drei ›Strophen‹ – vermitteln sich uns skelettierte Reflexe des perversen Vernichtungsgeschehens. Im ersten Textabschnitt, der aus drei ›Versen‹ besteht, kristallisiert der Autor in ungeheurer Konzentration die ganze Prozedur des industrialisierten Massenmordes durch Deportation, Selektion, Gastod und Verbrennung zu einem stark gerafften lyrischen Protokoll. Für die von ihm angestrebte Genauigkeit genügen ihm ganze sechs Wörter. Sie konstituieren den ersten Teilsatz. Auf knappstem Raum erfahren wir etwas vom anonymisierten menschlichen Sterben, was früher in großer Breite entfaltet zu werden pflegte. Dagegen handelt der Text Celans vom Tod als einem elenden Krepieren und vom Massenmord als der Preisgabe jeglicher Humanität. Menschen, die man als bloßes »Stückgut« (V. 1) in Viehwaggons zu den Verbrennungsöfen ›verbracht‹ hat, um dort vergast und verbrannt zu werden, können für den Eingedenkenden physisch allein noch als schlackig-brockige Restmasse aus den Öfen des Krematoriums präsent sein. Ein jeder Beschreibung spottender ›Backvorgang‹ (»gebacken«, V. 1) hat die Opfer in verkohlten, nur noch »groschengroßen« (V. 2) Abfall verwandelt und somit als menschliche Wesen ausgelöscht. Aber das ist nicht alles. Durch die Ergänzung »aus / überständigem Licht« (V. 2/3) wird der Text erstmals über die nur nüchtern registrierende Ebene hinausgeführt. Die semantisch schwierige Wendung erweist sich als ausgesprochen »vielstellig« im Celanschen Sinne. Bezogen auf das Leitwort »Stückgut« stellt sie den Zusammenhang her zur Verbrennungsmaschinerie (Licht als vernichtende Flammenglut). »Überständig« sind davon allein die Aschehaufen. Doch läßt sich ebenso die Kopplung mit der Partizipialform herstellen (Licht als humanes Lebenszeichen ; »Ziw, jenes Licht« als aufhellendes Signal einer »Freisetzung«716). So gesehen, bleiben die Opfer als »überständiges Licht« im eingedenkenden Bewußtsein lebendig. Beides gilt also hier : Sterben und alles auslöschender Tod wie auch die Möglichkeit eines Lebens jenseits der irdischen Leiden, nämlich »überständiges« humanes Leuchten im Sinne eines Überlebens – und sei es bloß in der erinnernden Evokation des Gedichts. Nachdem auf diese Weise die Bedeutungsdimensionen bereits im ersten Textabschnitt abgesteckt sind, kann sich Celan in der zweiten ›Strophe‹ darauf beschränken, weitere Befunde darzustellen. Drei Wörter genügen ihm, die beiden ›Verse‹ zu füllen. Es sind freilich drei Worte, die es in sich haben. Die verbrannten Reste werden kurzerhand als »Streugut […] hinzugeschippt« (V. 5 und V. 4). Im Nachtund-Nebel-Text Jean Cayrols, den Celan ins Deutsche übersetzt hat, heißt es 218 |
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hierzu lakonisch : »Aus den Knochen wird Dünger gewonnen«717. Das »Stückgut« ist demnach zu »Streugut« (V. 5) geworden, das mit Schaufeln weiterverarbeitet werden kann. Alles, was dieser unsagbaren Verdinglichung von Menschen durch Menschen vorausgegangen ist an Leiden und Nöten, wird in dem einzigen Affektwort äußerster Hoffnungslosigkeit – »Verzweiflung« (V. 4) – stellvertretend zusammengefaßt. Das ganze Ausmaß des damit verbundenen menschlichen Verrats umschreibt der unerträgliche, jedoch tief human begründete Sarkasmus, zu dem Celan hier als Stilmittel greift : »hinzugeschippt« (V. 4). Es folgt der dritte und letzte Textabschnitt, aus gleichfalls zwei ›Versen‹ bestehend, jedoch, dem ersten Abschnitt gleich, auf sechs Wörter ausgedehnt. Keine Vervollständigung des Satzgefüges wird vom Autor angestrebt. Es bleibt bei isolierten Aussageelementen und somit bei telegrammartig verkürzten Satztrümmern. Abschließend wird lediglich noch das eine Bild der »ins Gleis gehobenen vollen Lore« (V. 6/7) ins Bewußtsein des Lesers gerückt und damit der Abtransport des ›Düngematerials‹ mit Kippwagen. Das ist der symptomatisch schrille Ausklang der beabsichtigt unmenschlichen Art der Darstellung dieser Vernichtungsmaschinerie. Gerade an dieser Stelle will der Autor es nicht bei äußerer Abbildung belassen. Ein typisches Celan-Kompositum – »Schattenrad-Lore« (V. 7) – gibt dem Ende des Gedichts eine besondere Tiefe. Erneut begegnen wir der »unabdingbaren Vielstelligkeit«. Das Wort »Schatten« gehört zu den Leitmetaphern des Celanschen Œuvres. Es ist das »Gegenwort« zur Todesverfallenheit. Das Bild der »Schattenrad-Lore« umschreibt also die Bahn des Todes ebenso wie den humanen Weg konsequenten Einspruchs gegen den Tod. Die paradoxe Metapher vom »Rad« in der Engführung zeigt uns, wie damit Auflösung und zugleich Rekonstruktion angesprochen sein können. Ohnehin ist die »SchattenradLore« angefüllt mit »überständigem Licht«. Das damit angesprochene humane Leuchten gibt den Opfern der Shoa, wie gesagt, bleibende Würde. Zwar setzt Celan an den Schluß des Gedichts einen Punkt. Indes bleibt der Text, wie häufig im Werk Celans, eigentlich unabgeschlossen. Die ihm eingeschriebene dialogische Grundstruktur öffnet die Aussage ganz zum Leser hin, der diesen Impuls aufgreifen sollte. Die »Schattenrad-Lore« erweist sich insofern als beschwörendes Richt-Wort für die Aufhebung des Todes in einem neuen Leben. Auch wenn dieser Schluß im Zeichen der »Unendlichsprechung von lauter Sterblichkeit und Umsonst« steht, ist er zugleich der »Nähe eines Offenen und Freien« zugedacht. Hoffnungslosigkeit und utopische Erwartung halten sich die Waage. Daß Paul Celan uns solch extremer Ambivalenz aussetzt, macht den noch »singbaren Rest«718 heutiger Lyrik aus. Sie muß sich ohne Pathos behelfen, auch wenn es um menschlich höchste Anforderungen geht. Ihr einziges ÜberzeugungsmitExkurs : Lyrik der Wortreste
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tel ist der nüchtern-nachhaltige Verweis auf das, was ist und das, was sein sollte. Der verbleibende Handlungsspielraum ist damit entschieden eingegrenzt. Nicht umsonst beklagte Celan seine Lebenssituation mit dem bitteren Satz : »Weil ich nicht weiß, in welcher meiner Einsamkeiten ich dermaleinst werde verrecken dürfen«719. Doch wußte der hart geprüfte Autor gleichfalls : »hier // leb ich / quer durch, ohne Uhr«720. So lebte und schrieb Celan bis er nicht mehr konnte – mit verschatteten »Wortresten«.
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Der Freitod Celans
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aul Celan hatte im April 1970 eine lange Phase zerstörerischer Entwicklungen hinter sich. Gegen Ende dominierten Einsamkeit, Entfremdung, Resignation, Abgründe und Ängste, wie dann – seitens der Umwelt – Unverständnis. Von dieser Art des Lebens und Schreibens in der Qual der Erinnerung konnte er nichts mehr erwarten. Denn den von ihm gegen alle ihn umgebende Negativität geführten Prozeß mußte er verlieren. Es fehlte am Ende einfach die Kraft zum Weitermachen. Der Gang in den Tod war somit vorgezeichnet. Deswegen ließ er sich aus der Zeit fallen. War er doch der festen Überzeugung : »Du weißt : der Sprung / geht über dich, immer«721. »Über dich« will heißen : unter der Voraussetzung ständigen eigenen Ausgesetzt-Seins. Deswegen erfolgte die Zurücknahme des Lebens, eines mühsam erfüllten, aber nicht mehr lebbaren Lebens. Celan fand dafür den Begriff des »devenir-Autre«, des Anderswerdens. Seine Formulierung deckt sich auffallend mit der Heideggerschen Konzeption des »Ent-Werdens«, die ihrerseits auf das Erlösungswort Meister Eckharts, den Philosophen des Spätmittelalters (um 1260–1328), zurückgeht (»Das Vollkommene ist das Ent-Werden«). Ohne Unterlaß arbeitete Celan daran, ein Anderer zu werden. Insofern konnte er seine prekäre Situation in den Versen zusammenfassen : »Den Wind im Rücken / sterb ich mich ein / in den Großpassat – / und lebe erst recht«722.
Celan hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Allerdings gibt es eine vielsagende, mit Tinte doppelt unterstrichene Kalendereintragung von der Hand Gisèles unter dem Datum des 19. April 1970 : »Départ Paul« (»Weggang Pauls«). Weil in der Wohnung Celans seine Armbanduhr zurückgelassen wurde, ahnte sie, was passiert war. Er hatte ihr einmal gesagt, daß er nicht mehr da sein würde, wenn man seine Uhr fände. Außerdem lag auf dem Schreibtisch die auf Seite 464 aufgeschlagene Hölderlin-Biographie von Wilhelm Michel mit der von Celan unterstrichenen Eintragung aus einem Brief Clemens Brentanos : »Manchmal wird dieser Genius dunkel und versinkt in den bitteren Brunnen seines Herzens«723. Demzufolge war es also ein bewußt vollzogener Akt des Aus-der-Welt-Gehens. Wie in der Folge die Leidensgenossen Peter Szondi 1971, Jean Améry 1978 und Primo Levi 1987 beging Celan Selbstmord. Es war in seinem Sinne eine Art »Herzweg« (»Geh, geh. Begeh / das Vergänglichste an dir, das / Tödliche, Dauernde«724), jedenfalls ein Tod der Befreiung – wirklich ein Freitod. Vieles spricht dafür, daß Der Freitod Celans
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der Entschluß, beim Pont Mirabeau in die Seine zu gehen, in der Nacht zum 20. April gefaßt wurde, jenem unseligen Datum von Adolf Hitlers Geburt 1889. Denn jener größte Verbrecher war der eigentliche Initiator und Vollstrecker des Judenmords in Europa. Celan hatte ihn ständig im Visier. Am 1. Mai wurde bei Courbevoie, etwa zehn Kilometer flußabwärts, am Rechen eines Wehrs die Leiche entdeckt. Gisèle mußte ihren Mann am 4. Mai identifizieren. Dabei begleitete sie der Freund Edmond Lutrand. Am 12. Mai erfolgte die Beerdigung Celans ohne religiöse Zeremonie auf dem Pariser Vorortfriedhof Thiais, wo auch schon der Sohn François sein Grab gefunden hatte. Dort wurde am 13. Dezember 1991 gleichfalls Gisèle beigesetzt. Das Grab befindet sich in der Avenue B des Friedhofs, Division 31, Ligne 12. Jeder Besucher von Celans Grab sollte dort einen Stein des Gedenkens auf die Grabplatte legen. Paul Celan, der ewige Exilant, der leidenschaftliche Jude und wichtigste Dichter deutscher Sprache des zwanzigsten Jahrhunderts neben Rilke, Trakl, Brecht und Benn hätte schwerlich etwas dagegen.
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Der Freitod Celans
Anmerkungen 1 2 3 4
PC/NS, S. 29 f. (Brief vom 20.2.1960). DG, S. 549. Gedicht aus dem Umkreis der Sammlung Zeitgehöft, im April 1969 entstanden. Celan, Paul : Z, S. 11 ; ebenso : GW III, S. 73 und DG, S. 351. C/Ch, S. 62. Edith Silbermann erkannte als Erste die Bedeutung dieser Aussage in Celans Brief vom 29.1.1970 an den Czernowitzer Schulfreund Gustav Chomed (1920–2002) S. hierzu : Silbermann, S. 37. 5 Zit. n.: SzS, S. 53 (ebenso : GW I, S. 129). 6 GW III, S. 186 (Rede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises 1958). Darin heißt es u. a.: »Die Sprache […] mußte hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede«. 7 Felstiner, S. 90 (der zitierte Brief Celans stammt vom 2.8.1948). 8 W III, S. 175 (Antwort auf eine Umfrage der Librairie Flinker, 1961). 9 Brief an Ilana Shmueli vom Februar 1970. 10 GW II, S. 225 (Heddergemüt aus der Sammlung Fadensonnen). 11 GW III, S. 197 (Der Meridian. Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises in Darmstadt, am 22. Oktober 1960). 12 GW II, S. 203. 13 Zit. n.: Huppert, Hugo : Spirituell. Ein Gespräch mit Paul Celan. In : HM, S. 319–324 ; Zitate : S. 319 f. und 321. 14 Celan, Paul : Die Dichtung Ossip Mandelstams (Sendung des Norddeutschen Rundfunks von 1960). Abgedruckt in : Ossip Mandelstam. Im Luftgrab. Ein Lesebuch. Hrsg. v. Ralph Dutli. Zürich 1988, S. 69–81 ; Zitat : S. 71). Übereinstimmend damit schrieb Celan Gleb Stuve am 29.1.1959 über seine Dichtung, er habe sie »mit und aus dieser Zeit gedacht, sie zu Ende gedacht« (Felstiner, S. 15 und 372). 15 GW III, S. 185 f. (Bremer Rede) und GW III, S. 177 (Brief an Hans Bender). 16 So im Gedicht Bei Wein und Verlorenheit (N, S. 11 ; ebenso : GW I, S. 213 und DG, S. 126). 17 Brief Celans an den Verleger Gottfried Bermann Fischer vom 8.1.1964. Zit. n.: HM, S. 23. 18 Jungen, Oliver : Vom Fiepen der Zeit. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.2.2019. 19 Ida Ehres Rezitation rettete die Würde der am 10. November 1988 abgehaltenen Gedenkstunde nach der unrühmlichen Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger. 20 In einem der Briefe an Alfred Margul-Sperber evozierte Celan »unsere heimatlichen Berge und Buchen« (in : Neue Literatur, 26/1975 (Bukarest), Heft 7, S. 50–63 (Zitat : S. 52). 21 Zit. n.: Emmerich, S. 36. 22 Zit. n.: DG, S. 462. 23 So Hölderlin in einem Brief von 1802 an Casimir Ulrich Böhlendorff (Hölderlin, Friedrich : Briefe (= Bibliothek deutscher Klassiker). Hrsg. v.: Jochen Schmid und Wolfgang Behschnitt. Frankfurt/M. 1992, S. 466. 24 So Heine in dem zu der Schrift Der Rabbi von Bacharach gehörenden Gedicht An Edom !. Diese Verse sind gerichtet an Esau, den Stammvater der Edomiter, den Gegner der Juden, der den Beinamen Edom trug und somit für alle Feinde der Juden steht (vgl. hierzu : 1. Buch Mose, Kapitel 36, Vers 1). Celan wußte nur zu gut, was es bedeutet, wenn in dem 1824 entstandenen Gedicht gesagt wird : »Färbtest du mit meinem Blut« (Heine, Heinrich : Werke und Briefe, Bd. 2. Berlin und Weimar 1980, S. 298). 25 Chalfen, S. 24. In seinem Gedicht »Die Kaiserstraße« betonte Immanuel Weißglas im Blick auf Anmerkungen
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Czernowitz geradezu feierlich : »Blüht Wienweh an der Kaiserstrasse« (Weißglas, Immanuel : Aschenzeit. Gedichte. Aachen 1994, S. 121). Celan selbst spricht im Gedicht Schwarz von der »Erinnerungswunde« und von dem »von Herzzähnen hell- / gebissenen Kronland, / das unser Bett bleibt« (GW II, S. 57). 26 Zit. n.: GW III, S. 185 (Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Bremer Literaturpreises). 27 Brief an Karl Schwedhelm vom 6.11.1952. 28 PC/DD, S. 362 (Brief Celans an Klaus Demus vom 23.11.1960). 29 GW III, S. 185 f. S. hierzu auch Anm. 6. 30 Zit. n.: HM, S. 322 (Gespräch Hugo Hupperts mit Celan). 31 Aus einer kurzen biographischen Zusammenfassung Celans für die Zeitschrift Die Wandlung, in der mehrere seiner Gedichte abgedruckt wurden (Jg. IV, Heft 3, 1949, S. 284 f.). 32 In der Töpfergasse wohnten der Freund Gustav Chomed und auch die Freundin Edith Horowitz (Silbermann). Paul Antschel war in beiden Häusern wie zu Hause. 33 Brief vom 6.2.1962 ; zit. n.: C/Ch, S. 17. 34 Brief vom 24.4.1962 ; zit. n.: PC/EE, S. 3. 35 Zit. n.: Sp, S. 48 (ebenso : DG, S. 109). 36 GW IIII, S. 185 (s. auch Anm. 19). 37 Leo Antschel wählte den Namen der mütterlichen Linie als den Hauptnamen seines Doppelnamens. 38 Der nur wenige Kilometer von Czernowitz entfernte Ort wurde inzwischen in den Bezirk Czernowitz (Tscherniwzy) eingemeindet. Celan erwähnt den Geburtsort seiner Mutter in der Überschrift der Gauner- und Ganovenweise mit der ironischen Zuschreibung »Czernowitz bei Sadagora« (N, S. 27 ; ebenso : GW I, S. 229 und DG, S. 135). 39 GW I, S. 285 (La Contrescarpe aus der Sammlung Die Niemandsrose) ; ebenso : DG, S. 163. 40 So Emma Lustig, die Kusine Leo Antschels, im Gespräch mit Chalfen (Chalfen, S. 34). 41 Chalfen, S. 33. 42 Ders., S. 36. 43 Ebd. 44 Im Gedicht Schwarze Flocken findet sich die Formulierung »Gebein / deines Vaters« (GW III, S. 25 ; ebenso : DG, S. 19). Auch in den Gedichten Der Gast (GW I, S. 102 ; ebenso : DG, S. 70) und Andenken GW I, S. 121 ; ebenso : (DG, S. 79) schwingt die Erinnerung an den toten Vater mit, obwohl eine direkte Nennung fehlt. 45 GW III, S. 110 f., SzS, S. 34 f. 46 DG, S. 371. (»Kein ankerloses Tasten stört die Hand«). 47 S. hierzu : Chalfen, S. 39. 48 Chalfen, S. 40 und S. 164. 49 Sogar schon als Schüler übersetzte er Texte von zehn Autoren aus fünf Sprachbereichen ins Deutsche (vgl. hierzu : FN, S. 111). 50 Das Gymnasium existierte bereits in der österreichisch-ungarischen Zeit als Griechisch-orientalisches Oberrealgymnasium. 51 So Chalfen, S. 43. 52 Vgl. hierzu : PC/EE, S. 25 (Nachwort von Marina Dmitrieva-Einhorn). 53 Zit. n.: Chalfen, S. 45. 54 Chalfen, S. 47 (Gespräch mit der Kusine Celans Edith Hubermann). 55 So Fried über Celan in einer Sendung 1954 für die deutschsprachigen Sendungen der BBC (German Service).
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Anmerkungen
56 GW III, S. 12 (Drüben). Mit diesem 1940 oder kurz davor entstandenen Gedicht beginnt die Sammlung Der Sand aus den Urnen. Und noch 1968 beschwört Celan in dem für den Sohn Eric bestimmten Gedicht Levkojen am Ende : »Schwester Kastanie, Vielblatt / mit deinem blanken / Hiedrüben« (GW II, S. 374). 57 Es handelt sich hier um die von der spanischen Kommunistin Dolores Ibárruri (genannt La Pasionaria) 1936 beim Kampf um Madrid eingeführte spanische Variante des französischen Kampfrufs beim Kampf um Verdun im Ersten Weltkrieg (»ils ne passeront pas«). 58 Celan gebrauchte diesen Kampfruf zweimal in seinen Gedichten, sowohl im Gedicht Schibboleth (GW I, S 131 f. als auch im Gedicht In eins (GW I, S. 290). 59 Chalfen, S. 55. 60 GW I, S. 282 f. (La Contrescarpe). 61 Chalfen, S. 51 Brief vom 30.1.1934). 62 Emmerich, S. 34. Auch Chalfen äußert sich ähnlich, indem er zu Pauls Gefühlsleben idealisierend anmerkt : »Alles grob Sexuelle war daraus verdrängt«. (Chalfen S. 61). Er versteigt sich sogar zu der Behauptung, Paul habe »Angst vor Mädchen« gehabt (Chalfen, S. 70). Demgegenüber berichtet Edith Silbermann in ihren Erinnerungen vom Versuch einer sexuellen Verführung durch Paul schon bald nach Beginn ihrer Beziehung (Colin/Silbermann, S. 87 f.). Ähnliches wird an anderer Stelle auch von Chalfen angedeutet (Chalfen, S. 47). Das dürfte der Wirklichkeit näher kommen. 63 Chalfen, S. 56–80, Zitat : S. 56. Chalfen entnahm das Motto dem Gedicht Flimmerbaum (GW I, S. 233 f.; zuerst : N, S. 31 f.). 64 Zit. n.: Chalfen, S. 60 und 61. 65 Zit. n. Chalfen, S. 67. 66 Vgl. hierzu : CHalfen, S. 70. Eren-Ehrenkranz war später Vorsitzender der israelischen Arbeitergewerkschaft ›Histadruth‹, die Celan 1969 zum Besuch in Israel einlud. 67 Hierzu : »Ich hörte sagen. Gedichte und Prosa. Gelesen von Paul Celan«. 2 CDs. Frankfurt/M. 2001. 68 So Helmut Böttiger (Böttiger, S. 28). 69 DG, S. 404. 70 So Celan an Alfred Margul-Sperber am 21.4.1948 (zit. n.: Böttiger, S. 32). 71 Wiedemann 1, S. 50. 72 DG, S. 374 (aus dem Nachlaß publizierte Gedichte des Frühwerks). Weder die von Chalfen festgelegte Datierung (Herbst 1933), noch die Pöggelers und Wiedemanns (6.6.1939) ist zwingend. Vieles spricht für eine frühere Entstehungszeit, daß zumindest erste Fassungen des Gedichts Woher aus der Schulzeit Paul Antschels stammen. Natürlich wirkte dann 1939 in Tours der Jardin des Prébendes als realer Park in jeder Hinsicht bestätigend auf ihn. Vgl. hierzu meine Interpretation des Gedichts : Buck, Theo : Celan und Frankreich. Celan-Studien V. Aachen 2002, S. 12–18. 73 Erwähnt seien nur die folgenden Gedichte : Rilke : Die Parke, I–VII ; Trakl : Im Park ; George : Komm in den totgesagten park und Gemahnt dich noch das schöne bildnis. 74 Verlaine, Paul : Œvres poétiques complètes (= Bibliothèque de la Pléiade). Paris 1962, S. 121 (»Colloque sentimental«). Celans Übersetzung des Gedichts Im alten Garten vereinsamt im Eise, überführt in Reimpaare, findet sich in FN, S. 112 f. Spätere Übersetzungen von Texten Verlaines durch Celan liegen nicht vor. 75 Eine genaue Interpretation findet sich in meinem Buch : Buck, Theo : Celan und Frankreich. CelanStudien V. Aachen 2002, S. 14–18. 76 Wiedemann 1, S. 188 und Pöggeler 2, S. 22. 77 Zit. n.: Chalfen, S. 69. 78 Silbermann, S. 45 und 48. Anmerkungen
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79 Zit. n.: Chalfen, S. 65 f. 80 N, S. 31 f., GW 1, S. 233 f. (Die Niemandsrose ; II.1). 81 DG, S. 371 f. Das Gedicht wurde in das sog. Typoskript 1944 aufgenommen, das Paul Antschel mit zwei Freunden zusammenstellte. Weil es in den späteren Ausgaben fehlt, kann man annehmen, daß Celan es als unfertig angesehen und deshalb weggelassen hat. 82 Zit. n.: Silbermann, S. 60. Edith Silbermann zitiert hier aus dem Gedächtnis. Der Brief ist verloren gegangen. 83 La Contrescarpe : N, S. 80 f., GW I, S. 282 f., DG, S. 160 f.; Lila Luft : Sch, S. 9, GW II, S. 335, DG, S. 316. 84 Vgl. hierzu : Chalfen, S. 82. 85 Chalfen, S. 83 f. und Emmerich, S. 37. 86 Vgl. hierzu : DG, S. 373 (»Die Mutter, lautlos heilend, aus der Nähe«). 87 Felstiner, S. 35. 88 Zit. n.: Chalfen, S. 88 und S. 168. Chaim Ginniger war Sprachwissenschaftler. 89 GW III, S. 186 (Bremer Ansprache). 90 Vgl. hierzu Chalfen, S. 84 f. sowie Emmerich, S. 37 f. 91 Zit. n.: Chalfen, S. 91 Es handelt sich um ein Zitat aus dem Manuskript einer Ansprache, die Dorothea Müller-Altneu am 22.7.1970 in Haifa zum Gedenken an Celan hielt (vgl. hierzu : Chalfen, S. 166, Anm. 86). 92 GW III, S. 202 (Der Meridian). 93 Colin/Silbermann, S. 121. 94 Chalfen, S. 96. 95 Vgl. hierzu : Emmerich, S. 39. 96 Vgl. hierzu : Chalfen, S. 93–97. 97 Brief an Harald Hartung vom 4.12.1958 (zit. n.: Felstiner, S. 171). 98 Felstiner, S. 36. 99 Zit. n.: Chalfen, S. 98 f. 100 DG, S. 393. 101 Böttiger, S. 30. 102 Gewiß nicht zufällig heißt es in dem Ruth Lackner gewidmeten Gedicht Regenflieder : »Es regnet, Schwester, die Erinnerungen / des Himmels läutern ihre Bitterkeit« (zit. n.: SU, S. 9 ; DG, S. 15). Ebenso spricht er sie im Gedicht Aus dem Dunkel als »Schwester« an (DG, S. 386/387, V. 5). Vgl. hierzu auch Anm. 109. 103 Clair de lune (DG, S. 390). 104 DG, S. 389 f. 105 Im Gedicht : Drüben lautet der 9. Vers : »ihm legt mein Ruf sich ums Gelenk !« (GW III, S. 11). 106 So setzt Celan im Gedicht Legende (DG, S. 377) eine ganze Weltsicht in ein konkretes Bild. 107 DG, S. 388 (Lebenslied, V. 4–6). 108 DG, S. 414 (Seidelbast, 1. Strophe). 109 DG, S. 407 (Zur Laute, V. 13). 110 DG, S. 424 (Sternenlied, V. 17–20). 111 Zit. n.: Chalfen, S. 115. 112 Vgl. hierzu : Chalfen, S. 113 und Emmerich, S. 43. 113 So Edith Silbermann in ihren Erinnerungen (Silbermann, S. 65). 114 Chalfen, S. 121, ebenso Felstiner, S. 40. 115 Emmerich, S. 44 und Felstiner, S. 40.
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Anmerkungen
116 Zit. n.: Felstiner, S. 39. 117 So im Gedicht Festland, das einem Brief an Ruth Lackner vom 2. oder 9.8.1942 beilag. Chalfen zufolge vom 2.8. (Chalfen, S. 122) ; Wiedemann nennt den 9.8.(Wiedemann : DG, S. 620). Vgl. hierzu : GW III, S. 128 und 130, sowie DG, S. 58. Dort lauten die beiden Anfangsverse : »Schwester im Dunkel, reiche die Arznei / dem weißen Leben und dem stummen Munde«. 118 Zit. n.: Emmerich, S. 45. 119 Silbermann, S. 63. 120 Zit. n.: Chalfen, S. 133 (Rekonstruktion aus der Erinnerung Chalfens seines Gesprächs mit Rose Ausländer im Mai 1972). 121 Zit. n.: Chalfen, S. 122 ; ebenso : Felstiner, S. 40. 122 So Felstiner, S. 43. 123 Chalfen, S. 122. 124 In der Ansprache vor dem hebräischen Schriftstellerverband sprach Celan von den ihm bedeutsamen »Wahrheitszwängen« (GW III, S. 203). 125 SU, S. 14 ; GW III, S. 20 ; DG, S. 17. Das Gedicht ist »nach der Rückkehr aus Kiew«, also Anfang Juli 1944 entstanden, wie Paul im Handexemplar vermerkte. 126 Vgl. hierzu : 2. Buch Mose (Buch Exodus). 127 GW III, S. 197 (Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises). 128 SU, S. 34 ; GW III, S. I, S. 19 ; DG, S. 30. 129 Celan veröffentlichte gerade dieses Gedicht gleich dreimal. Zuerst in der Sammlung Der Sand aus den Urnen (Wien, 1948) ; sodann : als separaten Erstdruck in : Plan. Kunst, Literatur, Kritik. Hrsg. v. Otto Basil. 2. Folge, Nr. 6, Wien 1948, S. 368 (Espenbaum). Alsbald folgte noch der separate Zweitdruck in Die Tat. Hrsg. v. Max Rychner. (7.2.1948). Zürich 1948. 130 Paul Antschel kannte sich sehr gut aus auf dem Gebiet der Pflanzen. Absichtsvoll schenkte er Ruth Lackner Das kleine Blumenbuch und fügte dabei neben den deutschen Bezeichnungen eigenhändig die Namen der verschiedenen Blumen in vier Sprachen hinzu. 131 Felstiner, S. 80. 132 SU, S. 19 ; GW III, S. 25 ; DG, S. 19. 133 N, S. 20 ; GW I, S. 222, DG, S. 131. 134 Paul Antschel machte diesen Begriff sogar zur Überschrift eines damals entstandenen Gedichts (Erstdruck : Neue Literatur. Bukarest, Nr. 5/1970, S. 100 ; zit. n.: DG, S. 426). 135 Die Wandlung, 4/1949, Heft 3, S. 284. 136 Übersetzung : auf Dienstreise. 137 PC/EE, S. 3. (Brief vom 1.7.1944). 138 V. 16 des Gedichts Russischer Frühling, 1944 (zit. n.: DG, S. 426). 139 Zit. n.: HM, S. 21 (Brief aus Paris vom 14.12.1963). 140 So im Gespräch mit Hugo Huppert am 26.12.1966 (zit. n.: HM, S. 321. 141 Zit. n.: Chalfen, S. 139. 142 Ebd. 143 Ruth bewahrte die ihr zugedachten Gedichte sorgfältig auf. Sie hielt dazu fest : »So sammelte und bewahrte ich, Blatt um Blatt, die mir kostbaren handschriftlichen Gedichte«. 144 Noch in einem Brief aus Paris schrieb Celan am 2. Dezember 1951 an Ruth rückblickend über die frühen Gedichte : »Auf Schritt und Tritt blühte die Welt. Und noch aus den Verzweiflungen wurden Gedichte« (zit. n.: Chalfen, S. 155). 145 Zit. n.: Chalfen, S. 144. 146 Zit. n.: Chalfen, S. 151. Anmerkungen
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147 So Celan in der Bremer Rede (GW III, S. 185). 148 Zit. n.: Felstiner, S. 74. 149 Vgl. hierzu die Gedichte Schwarze Flocken (SU, S. 19 ; GW III, S. 25 ; DG, S. 19, unten) und Der Einsame (SU, S. 18 ; GW III, S. 24 ; DG, S. 19, oben). 150 So im Gedicht Dein Haar überm Meer, V. 10 (SU, S. 33 ; GW I, S. 18 ; DG, S. 30). 151 SU, S. 18 ; GW III, S. 24 ; DG, S. 19. 152 Zit. n.: Chalfen, S. 148 f. 153 Viața Românească, 7/1970, S. 53 f. sowie Secolul 20, 1971, S. 79 f.; hierzu auch : DG, S. 428–431. 154 Agora, Nr. 1/1947 : Das Gastmal, Ein wasserfarbenes Wild (späterer Titel : Die letzte Fahne), Das Geheimnis der Farne. 155 In : Contemporanul, 2.5.1947) 156 So Celan im Brief an Solomon vom 12.3.1948 (zit. n.: Felstiner, S. 378). 157 Zit. n.: Felstiner, S. 74. (»persona gratata« ungefähre Übersetzung : »hinter einem Gitter und zerstückelt«). 158 Zit. n.: Chalfen, S. 14 ; ebenso : Felstiner, S. 75. 159 Brief an Petre Solomon vom März 1948 aus Wien. 160 Brief an Karl Schwedhelm vom 6.11.1952. 161 Brief an Max Rychner vom 3.11.1946 (zit. n.: DPC, S. 101). 162 Zitat unter den Notizen zum Abdruck von 17 frühen Gedichten Celans in Plan, Kunst – Literatur – Kritik, hrsg. v. Otto Basil. 2. Folge, Nr. 6, Wien 1948, S. 423. 163 Für Wien : s. vorige Anm.; für Zürich : Die Tat, in der Rychner im Februar 1948 sieben Gedichte veröffentlichte. 164 Wie Celan in der Ansprache bei der Entgegennahme des Bremer Literaturpreises den Kollegen Rudolf Alexander Schröder anerkennend erwähnte, schreibt er im Gedicht Der Pfeil der Artemis im Denken an Margul-Sperber : »Die Zeit tritt ehern in ihr letztes Alter. / Nur du allein bist silbern hier« (DG, S. 17). 165 SU, S. 25 ; GW I, S. III, S. 31 ; DG, S. 27. Mit der »Wüste« meinte der Autor natürlich zunächst »die Gegend von Akra«. 166 FN, S. 63 (Brief vom 6.4.1957). 167 GW III, S. 185. 168 Chalfen, S. 153 und 175, Anm. 229. 169 Brief an Alfred Margul-Sperber vom. 11.2.1948 (zit. n.: Neue Literatur (Bukarest), 26/1975, Heft 7, S. 50–63 ; Zitat : S. 50). 170 Brief an Max Rychner vom 24.10.1948 (zit. n.: Neue Literatur (Bukarest), 30/1982, Heft 11, S. 58). 171 SU, S. 29 ; GW III, S. 34 ; DG, S. 21. 172 So Wiedemann 1, S. 230. 173 Man denke an die Formulierung : »Ich weilt als ein Nachtwind im käuflichen Schoß deiner Schwester« im Gedicht Das ganze Leben (SU, S. 51 ; GW III, S. 57 ; DG, S. 37). 174 Gemurmel der Toten (1941). Dort heißt es u. a.: »Mit Lehn, mit verfilztem Haar / baun wir fort an der Welt« (DG, S. 392 f.). 175 So im Gespräch mit Hugo Huppert, HM, S. 321. 176 GW III, S. 169–173 ; Zitat : S. 171 f. 177 Felstiner, S. 81. 178 GW III, S. 198. 179 Gegenüber Max Frisch betonte Celan zur Zeit der infamen ›Goll-Affäre‹ : »Die ›Todesfuge‹ als deren leichtsinnigen Autor ich mich heute bezeichnen muß, ist tatsächlich ein graphisches Gebilde,
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Anmerkungen
in dem der Klang nicht bis zu dem Punkt entwickelt ist, wo er sinngebende Bedeutung übernehmen kann. Entscheidend ist hier nicht die Anschauung, sondern die Kombinatorik.« (Brief an Max Frisch vom 23.10.1959 ; zit. n.: BC, S. 166). 180 So Brecht im Gespräch mit Hugo Huppert (zit. n.: HM, S. 320). 181 Die Librairie Flinker, 68, Quai des Orfèvres, war im Paris der Nachkriegszeit ein Treffpunkt für Liebhaber deutschsprachiger Literatur. Sie wurde von dem in Czernowitz geborenen jüdischstämmigen Buchhändler und Verleger Martin Flinker (1895–1986) geführt. 182 GW III, S. 167. 183 Prosa, S. 42 (Aphorismen, Gegenlichter und Fragmente, S. 42, Eintragung vom 24.6.1962). 184 Piontek, Heinz : Dichterleben. Hamburg 1976, S. 153. 185 SU, S. 59–61 ; GW I, S. 41 f.; DG, S. 40 f. 186 So im Brief an Felstiner vom 10.1.1984 (Felstiner, S. 375, Anm. 18.) 187 Der Brief an die Deutsche Verlagsanstalt liegt mir in einer Kopie vor, die mir freundlicherweise von der damaligen Archivarin des Verlags, Frau Marita Wetzel, und dem Verantwortlichen des Verlags, Dr. Franz-Heinrich Hackel, überlassen wurde. Das Original befindet sich im von Stuttgart nach München verlagerten Archiv der DVA. Außerdem gibt es unter den Texten zur ›Goll-Affäre‹ die Notiz Celans : »als ich im Mai 1945 die Todesfuge schrieb, ich hatte damals, in der Izvestia, wie ich mich zu erinnern glaube, die Berichte über das Lemberger Ghetto gelesen« (Prosa, S. 170, 283). 188 Im Grunde besteht das Gedicht aus zwei gleichen, allerdings unterschiedlich gebauten Hälften (erste Hälfte : 9 + 6 + 3 = 18 Verse, zweite Hälfte : 5 + 11 + 2 = 18 Verse). 189 Zit. n.: Wiedemann 2, S. 844. 190 Rose Ausländer hat hierzu ebenso großzügig wie sachgerecht festgehalten : »Es gereicht mir zur Ehre, daß ein großer Dichter in meinem bescheidenen Werk eine Anregung gefunden hat. Ich habe die Metapher [»Schwarze Milch« im Gedicht Ins Leben ; d. V.] nicht so nebenhin gebraucht, er jedoch hat sie zur höchsten dichterischen Aussage erhoben. Sie ist Teil von ihm selbst geworden« (zit. n.: Chalfen, S. 133). 191 Vgl. hierzu meine Interpretation von ER (Buck, Theo : Exkurs zum Gedicht »ER« von Immanuel Weißglas. In : Celan, Paul : Todesfuge. Mit einem Kommentar von Theo Buck. 2. Aufl., Aachen 2002, S. 20–25). 192 V. 1, 10, 19 und 27. 193 So der von Schwarz gewählte Titel seiner frühen Untersuchung (Schwarz, Peter Paul : Totengedächtnis und dialogische Polarität in der Lyrik Paul Celans. In : Beiheft 18, Wirkendes Wort. Düsseldorf 1955) ; ebenso : Emmerich : »eine Art Totengebet, ein Kaddisch« (Emmerich, S. 51). 194 Szondi, S. 102 und 111. 195 GW III, S. 20. 196 Stimmen der Gegenwart, hrsg. v. Hans Weigel. Wien 1951, S. 132 f. 197 Neue literarische Welt vom 10.6.1952. 198 Domin, Hilde : Das politische Gedicht und die Öffentlichkeit. In : Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945–1970. (= SL). Neuwied, Berlin 1972, S. 128. 199 Bachmann, Ingeborg : Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung. (= Piper 7203). München, Zürich 1982 (Taschenbuchausgabe 2011, S. 48). 200 So etwa Emmerich, S. 55. 201 Zu den Formulierungen von Klotz, Heselhaus, Mattenklott, von Matt und Kaiser : vgl. die Literaturangaben in : Celan, Paul : Todesfuge. Mit einem Kommentar von Theo Buck. 2. Aufl., Aachen 2002, S. 66–74 sowie S. 80 f. Anmerkungen
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202 Antwortschreiben Celans an den Komponisten Peter Ruzicka, der das Gedicht vertonen wollte (Schreiben vom 22.1.1970 ; zit. n.: DG, S. 607). 203 Celan kam in das Rothschild-Spital. Vgl. hierzu : Patka, Marcus G.: Das Rothschild-Spital in Wien. In : DPC, S. 146–150. 204 Dor, Milo/Federmann, Reinhard : Internationale Zone. Roman. Wien 1953 (hier : SM-Reihe 65. Gütersloh o. J., S. 49 und S. 57). Die ›internationale Zone‹ war die Bezeichnung für den von den vier Besatzungsmächten im Wechsel verwalteten ersten Bezirk Wiens. 205 GW III, S. 185 (Bremer Ansprache). 206 Zit. n.: Felstiner, S. 82. 207 Plan. Kunst – Literatur – Kritik. Hrsg. v. Otto Basil. 2. Folge, 1948, Nr. 6. Verlag Erwin Müller Wien, S. 363–369. Es handelt sich um Gedichte, die dann auch in die Sammlung Der Sand aus den Urnen, teilweise unter anderem Titel, aufgenommen wurden. Celan kam damit wirkungsmäßig in das Umfeld von zeitgenössischen Autoren wie Ilse Aichinger, Erich Fried und Friederike Mayröcker. 208 Zit. n.: Emmerich, S. 71 f. 209 Vgl. hierzu : PC/EE, S. 27 (Anmerkungen der Herausgeberin) sowie Dmitriewa-Einhorn, Marina : Begegnung in Wien. (DPC, S. 33–35). 210 Zit. n.: GW III, S. 155–161 ; Zitat : S. 155 und S. 157. 211 Zit. n.: Felstiner, S. 82. 212 Dor/Federmann (s. Anm. 198), S. 50. 213 Vgl. hierzu : Anm. 127. 214 Alfred Margul-Sperber an Ernst Schönwiese am 21.3.1948 (zit. n.: DPC, S. 61). 215 SU, S. 54, GW III, S. 59, DG, S. 39. 216 Bachmann, Ingeborg : Die gestundete Zeit. Gedichte (Erstdruck : 1953). 5. Aufl. 1959, S. 11. 217 Böttiger, S. 91. 218 Celan schenkte Ingeborg Bachmann ein Exemplar von Mohn und Gedächtnis. Er markierte eine ganze Reihe der Gedichte handschriftlich mit dem Zusatz f. D. (für Dich). In der Darstellung von Christine Koschel findet sich am Ende eine Aufzählung aller in der Sammlung Ingeborg Bachmann gewidmeten Gedichte. Vgl. hierzu : BW, S. 22, Anm. 1. 219 SU, S. 49, GW III, S. 55, DG, S. 36. 220 GW II, S. 220, DG, S. 259. 221 Büchner, Georg : Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 1. Hrsg. von Werner R. Lehmann. 2. Aufl. München 1974, S. 38. Dort heißt es im Drama Dantons Tod : »Geh ! Komm ! Nur das (sie küßt ihn) und das ! Geh ! Geh !«. 222 Zwölf Jahre, Schlußverse (GW I, S. 220 ; DG, S. 130). 223 BC, S. 64 (Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 31.10.1957). 224 Bachmann, Ingeborg : Die gestundete Zeit.Gedichte. München. 5. Aufl. München 1959, S. 16. 225 BC, S. 224 (Kommentar). 226 Hauptsächlich ist das der Briefwechsel zwischen Celan und Ingeborg Bachmann, Titel : Herzzeit (s. Register : BC), ferner die sehr zu empfehlende Darstellung von Helmut Böttiger (s. Register : Böttiger). Auch auf die Darstellungen bei Emmerich (S. 79 f.) und Felstiner (S. 87) sei verwiesen. Besonders empfiehlt sich die Lektüre von Bachmanns Roman Malina und darin wiederum Die Geheimnisse der Prinzessin von Kagran mit der Begegnung zwischen der Prinzessin und dem ›Fremden‹ namens Ivan (Bachmann, Ingeborg : Malina. Roman. Frankfurt/M. 1971, S. 62–69. Darin heißt es : »Sie sagten sich Helles und Dunkles« ; ebd., S. 68). Auch ohne diese Anspielung ist der »Fremde in dem schwarzen Mantel« mit »dunklen warmen Augen« (ebd. S. 67) unzweideutig
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Anmerkungen
als Projektion Celans erkennbar. Hinzu kommt noch die Aussage : »Der Fremde lächelte : Mein Volk ist älter als alle Völker der Welt und es ist in alle Winde zerstreut« (ebd. S. 68). 227 A. a. O., S. 204. 228 Zit. n.: BC, S. 7 ; ebenso : GW I, S. 46, DG, S. 42. 229 Im Alten Testament, genau In 2. Mose 3.7 heißt es : »Und der Herr sprach : Ich habe gesehen das Elend meines Volks in Ägypten und habe ihr Geschrei gehört über die, so sie drängen ; ich habe ihr Leid erkannt«. 230 Böttiger, S. 17. 231 Felstiner, S. 91. 232 Böttiger, S. 17. 233 Brief Celans an Max Rychner vom 24.10.1948 (zit. n.: DPC, S. 99 f.). 234 Bilanzierender Schlußvers des Gedichts Nachtstrahl : SU, S. 48 ; GW I, S. 31 ; DG, S. 36. 235 BC, S. 5 f. 236 CDD, S. 7–10. 237 So Celan im Brief an Klaus und Nani Demus vom 14.11.1951 (CDD, S. 84). 238 CDD, S. 486. 239 Klaus Demus schrieb am 17.6.1962 an Celan : »Paul, ich habe den entsetzlichen ganz gewissen Verdacht, daß Du an Paranoia erkrankt bist« (CDD, S. 435). 240 Demus bedankte sich im Brief an Celan vom 30.11.1969 dafür, »daß Du uns von Deiner Lebensnot sprachst« (CDD, S. 461). 241 Zit. n.: Felstiner, S. 87. 242 S. 17 (Flügelrauschen) : »im Avalun« statt »in Avalun« und »ein nasses Auge« statt »dein n asses Auge« ; S. 19 (Schwarze Flocken) : »unterirdische Röte« statt »unirdische Röte« ; S. 39 (Nacht musik) : »rauschendes Wasser« statt »rauchendes Wasser« und »dein Leid« statt »dein Leib« S. 41 (Die letzte Fahne) : »die Schlüssel mit schlummerndem Schrot« statt »die Schüssel mit schlummerndem Schrot« ; S. 52 (Deukalion und Pyrrha) :« beim Christus« statt »bei Christus« und »ihr setzt« statt »ihr setzet«. 243 Brief Celans an Max Rychner vom 24.10.1948 (zit. n.: DPC, S. 100). 244 Brief Celans an Edgar Jené und Erica Lillegg vom 16.7.1948 (zit. n. Corbea-Hoisie, S. 28 und S. 33). 245 Brief Celans an Max Rychner vom 24.10.1948 (zit. n.: DPC, S. 99). 246 Vgl. hierzu auch : Methlagl, Walter : Paul Celan in Mühlau. In : DPC, S. 121–130). 247 Brief Celans an Alfred Margul-Sperber vom 6.7.1948. 248 Später sagte Celan einmal zu Esther Cameron bei einer seiner Stadtführungen für ihm liebe Besucher sogar über das Haus, in dem Rilke gewohnt hatte : »Hauptsächlich wegen dieses Hauses bin ich nach Paris gekommen« (zit. n.: Böttiger, S. 60). 249 Brief an die Verwandten vom 2.8.1948 (zit. n.: Felstiner, S. 90). 250 SU, S. 55 ; GW I, S. 45 ; DG, S. 42. 251 So im Gedicht In Prag (GW II, S. 63). 252 So in der Bremer Ansprache (GW III, S. 186. 253 Wiedemann 1, S. 213. 254 Brief Celans an Edgar Jené und Erica Lillegg vom 16.7.1948 (zit. n.: Corbea-Hoisie, S. 28). 255 Celans Studentenausweis an der Sorbonne war auf den Namen »Paul Antschell« (!) ausgestellt. In seiner Sicht als Paul Celan war er insofern ein Namenloser. 256 Zit. n.: Felstiner, S. 93. Die biographische Notiz stammt aus der von Hans Weigel 1951 herausgegebenen Anthologie Stimmen der Gegenwart. Anmerkungen
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257 Emmerich, S. 85. 258 Außer dem erwähnten Isac Chiva waren das Guy Flandre, ein junger Student aus Lille, sodann der spätere Sozialpsychologe Serge Moscovici und, bald danach, der Schriftsteller Yves Bonnefoy. 259 Brief an Max Rychner vom 3.3.1949. 260 Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 7.9.1950 (BC, S. 18). 261 Brief Celans an Klaus und Nani Demus vom 15.12.1951 (C/DD, S. 86). 262 Zit. n.: Böttiger, S. 61. 263 Zit. n.: DPC, S. 141 (Wiedemann, Barbara : Der Blick von Paris nach Osten. In : DPC, S. 139–153). 264 Vgl. hierzu : Sars, Paul : Briefe und Gedichte im Wechselspiel von Daten und Bedeutung. Bemerkungen zum Verhältnis von Biographie und Interpretation. In : Corbea-Hoisie, S. 25–43. 265 Brief Celans an Diet Kloos vom 6.9.1949 (zit. n.: Sars, vorige Anmerkung, S. 40). 266 GW I, S. 29 f., DG, S. 35 f. 267 Brief Celans an Klaus Demus vom 17.2.1951 (zit. n.: CDD, S. 54). 268 Briefe Celans an Max Rychner vom März 1949 und vom Oktober 1948 (zit. n.: Felstiner, S. 92). 269 Celan in einem Brief an Yvan Goll vom 21.9.1949. 270 Bonnefoy berichtet über diese Begegnung wie folgt : »[…] in meiner Begleitung war er dem alten, ebenfalls exilierten, kranken Mann begegnet, […] dem er […] seitdem unablässig mit seiner Zuneigung und sorgenden Aufmerksamkeit zur Seite gestanden hatte, um allerdings erleben zu müssen, wie all das später gegen ihn verwendet wurde« (zit. n.: Bonnefoy, Yves : Paul Celan. In : drs.: Die rote Wolke. Essays zur Poetik. München 1998, S. 256–262 ; Zitat : S. 260). 271 So die eigene Zuordnung für die Lyrik-Anthologie Menschheitsdämmerung. 272 Celan im Brief an Erica Jené vom 12.11.1949. 273 Vgl. hierzu : Die Bitte eines Sterbenden – Übersetzungen für Yvan und Claire Goll. In : FN, S. 171– 180. 274 Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 20.8.1949 (zit. n.: BC, S. 13). 275 GW I, S. 59 ; DG, S. 46. 276 So im Gedicht Sie kämmt ihr Haar (GW I, S. 72 ; DG, S. 51). 277 BC, S : 7 f. (Zitat : S. 8). 278 Helmut Böttiger hat »die Geschichte einer unmöglichen Liebe«, so die treffende Überschrift zum Text des Rückumschlags, ausführlich dargestellt (s. Bibliographie : BC). 279 BC, S. 24 (Brief Bachmanns vom 27.6.1951). 280 Zit. n.: Böttiger, S. 72. 281 Brief Ingeborg Bachmanns an Hans Weigel (zit. n.: Böttiger, S. 73). 282 Zit. n.: Böttiger, S. 72. 283 BC, S. 73 (Brief vom 23.11.1957). 284 BC, S. 22 (Brief Ingeborg Bachmanns an Celan vom März 1951). 285 Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 7.7.1951 (zit. n.: BC, S. 27). 286 Es gibt einen Kartengruß Celans aus London an Nani Demus vom 9.9.1951 sowie den Dank von Klaus Demus für gleiche Kartengrüße Celans vom 16.9.1951. 287 Fried, Erich : Gesammelte Werke. Gedichte, Bd. 1, hrsg. v. Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Berlin 1993, S. 107 f. (Zitat : S. 108). 288 Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 10.10.1951 (BC, S. 34 f.). 289 Brief Celans an Klaus Demus vom 20.9.1951 (C/DD, S. 74). 290 Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 10.10.1951 (BC, S 35). 291 GW, I, S. 76 ; DG, S. 52 f. 292 Brief Ingeborg Bachmanns an Celan vom 10.11.1951 (BC, S. 38 f.).
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Anmerkungen
293 Bachmann, Ingeborg : Die gestundete Zeit. Gedichte. 5. Aufl. München 1969, S. 25 f. (Zitat : S. 26). 294 PC/GCL 1, S. 9. 295 PC/GCL 1, S. 11. 296 »un être vraiment exceptionel« (Brief Celans an Petre Solomon 1957 ; zit. n.: Emmerich, S. 89). 297 Gisèle Lestrange schrieb Celan u.a.: »Mein geliebter Dichter, ich möchte so sehr alles lesen können, was Du geschrieben hast. Aber glaubst Du nicht, daß ich dem immer ein wenig fremd bleiben werde ? Ich spüre Dich zuweilen so groß, und ich weiß Dich zugehörig dem Geschlecht der ganz Seltenen und ganz Hohen« (PC, GCL 1, S. 12 ; Brief vom 29.1.1952). 298 PC,GCL 1, S. 7 (Brief vom 11.12.1951). 299 So Celans Formulierung in dem unveröffentlicht gebliebenen Gedicht »Périgord« (zit. n.: Bollack, Jean : Herzstein. Über ein unveröffentlichtes Gedicht von Paul Celan. München, Wien 1993, S. 25). 300 Brief an Max Rychner vom Oktober 1948 (zit. n.: Felstiner, S. 92). 301 Zit. n.: FN, S. 75. 302 Der Überlieferung nach spielte es dabei auch eine Rolle, daß die Seine-Insel, von der die Stadtgründung ausging, die Île de la Cité, Schiffsform aufweist. Unter Ludwig IX. (Saint Louis) wurde das Siegel der Seine-Schiffer zum Stadtwappen. Im 16. Jahrhundert kam dann noch das Motto – »fluctuat nec mergitur – hinzu. 303 Brief an Diet Kloos vom 11.7.1950 (hierzu : FN, S. 75). 304 Zit. n.: Corbea-Hoisie, S. 37 (Artikel von Paul Sars). 305 MuG, S. 52 ; GW I, S. 54 ; DG, S. 45. 306 GW I ; S. 55 : (Im Gedicht Ich bin allein heißt es : »ich stell die Aschenblume / ins Glas voll reifer Schwärze«). 307 Pöggeler 2, S. 41. 308 Zit. n.: Böttiger, S. 103. 309 Brief an Gisèle Lestrange vom Anfang Januar 1952 (PC/GCL 1, S. 11). 310 Brief an dieselbe vom 28.1. 1952 (PC/GCL 1, S. 12). 311 Brief von Gisèle Lestrange an Celan vom 29.1.1952 (PC/GCL 1, S. 13). 312 Brief Celans an Klaus Demus vom 20.9.1951 (C/DD, S. 73 f.). 313 So der »Spiegel«-Rezensent Rolf Becker (47 auch noch 74. In : Der Spiegel, Nr. 20 ; 9.5.1966). 314 So H.W. Richter im Interview mit Henrik L. Wuermeling (BR, 22.9.1997). 315 Jens, Walter : Deutsche Literatur der Gegenwart. Themen, Stile, Tendenzen. München 1961, S. 129 f. 316 Lettau, Reinhard (Hrsg.) : Die Gruppe 47. Bericht, Kritik, Polemik. Ein Handbuch. Neuwied, Berlin 1967, S. 384. 317 Richter, Hans Werner : Briefe. Hrsg. v. Sabine Cofalla. München 1997, S. 128. 318 Brigitta Eisenreich, die zweifellos zu diesen Aufgeschlossenen gehörte, äußerte dazu sachlich : »Beim Vorlesen klang seine Stimme oft um ein Register höher als die ihm eigene Mittellage« (Eisenreich, XX). 319 Böttiger, Helmut : Orte Paul Celans. Wien 1996, S. 65. 320 Zit. n.: Böttiger, S. 125 f. 321 Dor, Milo : Auf dem falschen Dampfer. Fragmente einer Autobiographie. Wien und Darmstadt 1988, S. 214. 322 Lenz, Hermann : Erinnerungen an Paul Celan. In : HM, S. 315–318.(Zitat : S. 316). 323 PC/GCL, S. 22 (Brief Celans vom 31.5.1952). 324 CDD, S. 100 (Brief Celans vom 31.5.1952). 325 Rühmkorf, Peter : Das lyrische Weltbild der Nachkriegsdeutschen. In : Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz. Hrsg. v. Hans Werner Richter. München, Wien, Basel 1962, S. 447–476 (Zitat : Anmerkungen
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S. 465). Rühmkorfs Vorwurfkatalog reicht noch weiter. Er moniert »kunstvolle Tonlosigkeit«, »vollkommen oxymoröses Sprechen«, einen »altbekannten Chiffrenreigen« und ein »System der Schlüsselwörter, das eigentlich nur Sortiment von Nachschlüsseln« sei (ebd.), schließlich noch »literarische Schwundstufen und Dörreffekte« sowie eine Stufe »nur noch eines Haares Breite bis zum Versagen«. Daß er damit entschieden zu weit unter sein Niveau gegangen ist, scheint er nicht bemerkt zu haben. 326 Briegleb, Klaus : Ingeborg Bachmann, Paul Celan. Ihr (Nicht)-Ort in der Gruppe 47. Eine Skizze. In : BW, S. 29–81 (Zitat : S. 66). 327 PC/GCL 1, S. 19 f. (Brief Celans vom 30.5.1952). 328 PC/BSCHSCH, S. 17 (Buchsendung von Schroers Ende August 1952). 329 C/DD, S. 102 (Celan aus Frankfurt am Main an Klaus Demus, Anfang Juni 1952). 330 S. hierzu : Paul Celan – Briefwechsel mit den rheinischen Freunden Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers. Hrsg. v. Barbara Wiedemann. Berlin 2011. 331 Celan berichtete Gisèle Lestrange : »Ich habe in Hamburg eine kleine zwanzigminütige Sendung aufgenommen, die wir uns in Paris gemeinsam anhören können« (PC/GCL, S. 19 ; Brief v. 28.5.1952). 332 Hierzu schrieb Celan : »Der Lektor eines großen Stuttgarter Verlagshauses […] hat mir gesagt, daß er nach der Lesung meiner Gedichte am liebsten die Versammlung verlassen hätte, und er hat mich nach Stuttgart eingeladen, wo ich die Gedichte am 6. oder 7. Juni lesen werde« (PC/GCL, S. 20 (Brief Celans v. 30.5.1952). 333 PC/GCL, S. 17 (Brief Celans v. 13.8.1952). 334 Brief Celans an Rolf Schroers v. 13.8.1952 (PC/BSCHSCH, S. 15). 335 Brief Wolfgang Weyrauchs an Celan v. 18.8.1952 (PC/BSCHSCH, S. 20). 336 Brief Celans an Hans Bender v. 15.5.1961 (GW III, S. 177 f.). 337 Vgl. hierzu : Antwort auf eine Umfrage der Librairie Flinker, Paris 1958 (GW III, S. 167 f.). 338 Dor, Milo : Paul Celan 1970 (zit. n.: Meinecke, S. 281–185 ; Zitat : S. 284). 339 Zit. n. dem Umschlagstext der Buchausgabe. 340 PC/GCL 1, S. 29 (Brief Celans vom 14.8.1962). 341 PC/BSCHSCH, S. 34 (Brief Celans an Schroers v. 21.3.1953). 342 PC/BSCHSCH, S. 39 (Brief Celans an Schroers v. 21.9.1953). 343 Zit. n.: Emmerich, S. 101. Überliefert durch Christoph Graf von Schwerin. Celan widmete Char das Gedicht Argumentum e silentio. 344 So Bonnefoy (Bonnefoy, Yves : Paul Celan. In : drs.: Die rote Wolke. Essays zur Poetik. München 1998, S. 259). 345 Brief Celans an Hans Bender vom 18.11.1954 (zit. n.: Neuhaus, Volker (Hrsg) : Briefe an Hans Bender. München 1984, S. 34). 346 Celan, Paul : Mikrolythen sinds, Steinchen. Die Prosa aus dem Nachlaß. Hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou. Frankfurt/M. 2005, S. 21. 347 PC/BSCHSCH, S. 40 (Brief Celans an Schroers vom Anfang Oktober 1953). 348 SzS, S. 29 ; GW I, S. 105, DG, S. 71. 349 Genau zehn Jahre und einen Monat nach Geburt und Tod des Sohnes François verfaßte Celan, unter Anspielung auf seinen bevorstehenden 43. Geburtstag, am 8.11.1963 das Gedicht Schläfenzange mit den Schlußversen : »du und der Rest deines Schlafs – / bald / habt ihr Geburtstag« (A, S. 17 ; GW II, S. 21 ; DG, S. 177). 350 PC/BSCHSCH, S. 45 (Brief Celans an Schroers vom 30.11.1953).
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Anmerkungen
351 Apollinaire, Guillaume : L’adieu. In : ders.: Œuvres poétiques (= Bibliothèque de la Pléiade). Paris 1956, S. 85. (aus der Sammlung Alcools). 352 GW IV, S. 791. 353 Vgl. hierzu den Brief von Gisèle an die Freunde Klaus und Nani Demus vom 3.12.1953 (C/DD, S. 133 f.). 354 GW I, S. 108, DG, S. 72 (»Assisi«). 355 So im Brief des von Claire Gollbeauftragten Verlegers Franz Vetter an Celan vom 25.12.1951 (zit. n.: Wiedemann 2, S. 176). 356 Wiedemann 2 : S. 7. 357 So Claire Golls vereinnahmende Anrede im anfänglichen Briefwechsel bis November 1951. 358 Rundbrief Claire Golls (zit. n. Wiedemann 2, S. 187–189 ; Zitat : S. 189). 359 Hierzu, ausführlich dokumentiert : Wiedemann 2, vor allem S. 178–243. In philologischer Hinsicht ist hauptsächlich die Untersuchung von Reinhard Döhl zu empfehlen (Döhl, Reinhard : Geschichte und Kritik eines Angriffs. Zu den Behauptungen gegen Paul Celan. In : Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 1960. Darmstadt 1961, S. 101–132). 360 Brief von Klaus Demus an Alfred Andersch vom 8.8.1956 (zit. n. Wiedemann 2, S. 241). 361 PC/EE, S. 4 (Brief Celans vom 24.4.1962). 362 C/BSCHSCH, S. 62 (Brief Celans an Rolf Schroers vom 17.10.1954). 363 C/DD, S. 364 SzS, S. 23 ; GW I, S. 99 ; DG, S. 69. 365 Böttiger, Helmut : Wie man Gedichte und Landschaften liest. Celan am Meer. Hamburg 2006, S. 142. 366 SzS, S. 43 ; GW I, S. 125 ; DG, S. 80. 367 Grass, Günter : Schreiben nach Auschwitz. Frankfurter Poetik-Vorlesung (= SL 925). Frankfurt/M. 1960, S. 29–32 (Zitat : S. 29). 368 Profit, Vera B.: Menschlich. Gespräche mit Karl Krolow (= Studies in Modern German Literature, Bd. 78). Bern, Frankfurt/M., New York 1996. 369 C/DD, S. 165 (Gruß Celans vom 3.2.1955). 370 C/DD, S. 181 (Celan an Klaus und Nani Demus am 28.7.1955). Gisèle schrieb an Klaus und Nani Demus am 23.9.1955 : »Paul singt ihm [Eric] alle möglichen Lieder vor in allen möglichen Sprachen, um ihn zum Lachen zu bringen, aber er ist dazu nur sehr selten bereit« (C/DD, S. 186 und 188). 371 Brief an Jürgen Rausch (DVA) vom 22.2.1954 (zit. n.:DG, S. 621 Kommentar Wiedemann). 372 Bollack, S. 105. 373 Zit. n.: Meinecke, Dietlind (Hrsg.) : Über Paul Celan (= es 495). Frankfurt/M. 1973, S. 70 f. 374 C/DD, S. 170 f. (Brief Celans vom 8.3.1955). 375 C/DD, S. 183 (Brief des Ehepaars Demus an Celan vom 2.8.1955). 376 Man vergleiche hierzu die »Antwort« Celans »auf eine Umfrage der Librairie Flinker, Paris, 1958« (GW III, S. 167 f.). 377 C/DD, S. 194 (Brief Celans an Nani Demus vom 27.2.1956). 378 C/BSCHSCH, S. 90 (Brief Celans an Rolf Schroers vom 18.3.1956). 379 C/DD, S. 201 und 203 (Brief Celans an Klaus Demus vom 23.7.1956). 380 C/BSCHSCH, S. 271 f. (Brief Celans an Paul Schallück vom 22.9.1956). 381 C/BSCHSCH, S. 106 (Brief Celans an Rolf Schroers vom 2.8.1956). 382 Celan wußte, daß Sieburg unter dem Nationalsozialismus fester Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes war und in dieser Funktion im März 1941 in Paris vor der Groupe collaboration den VorAnmerkungen
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trag France d’hier et de demain hielt. Ebenso war ihm bekannt, daß Sieburg nach 1933 die zur Emigration gezwungenen Weggefährten Lion Feuchtwanger und Kurt Tucholsky nicht mehr kennen wollte. 383 Im Herbst 1966 verfolgte Celan das Projekt einer Anthologie französischer Gedichte und notierte dafür den aussagekräftigen Arbeitstitel Fremde Nähe. Mit guten Gründen wählten die dafür Verantwortlichen diesen Begriff dann als Überschrift für die 1997 veranstaltete Ausstellung Celan als Übersetzer und dementsprechend auch für den zugehörigen Katalog des Deutschen Literaturarchivs (s. Bibliographie : FN). 384 So Ulrich Ott, der Direktor des Schiller-Nationalmuseums Marbach am Neckar, im Vorwort zum Katalog der 1997 zusammengestellten Ausstellung Fremde Nähe. Celan als Übersetzer (FN, S. 6). Vgl. hierzu auch : Olschner, Leonard Moore : ›Der feste Buchstab‹. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen. Göttingen 1985 sowie Ivanović, Christine : Das Gedicht im Geheimnis der Begegnung. Dichtung und Poetik Celans im Kontext seiner russischen Lektüren (= Studien zur deutschen Literatur, Bd. 141). Berlin 1996. Vgl. hierzu ferner die grundlegende Darstellung zum Problem der literarischen Übersetzung : Kloepfer, Rolf : Theorie der literarischen Übersetzung. München 1967. 385 FN, S. 11 (Gellhaus, Axel : Fergendienst – Einleitende Gedanken zum Übersetzen bei Paul Celan (FN, S. 9–16). 386 Brief Celans an Werner Weber vom 26.3.1960 (zit. n.: FN, S. 397 f.). 387 Wie Anmerkung 379. 388 Brief Celans an Emmanuel Rais vom 29.1.1959 (zit. n.: Emmerich, S. 112). 389 Eine ausführliche Information zu allen Übersetzungen Celans findet sich in FN, S. 109–388. 390 Vgl. hierzu : Wiedemann, Barbara : Die Bitte eines Sterbenden. Übersetzungen für Yvan und Claire Goll. In : FN, S. 171–174. Dies.: Die sogenannte Goll-Affäre. In : FN, S. 181–199. Celan hat Yvan Golls Gedichtbücher Elégie d’Ihpétonga und Masques de Cendre, Géorgiques Parisiennes und Chansons Malaises übersetzt. 391 Harbusch, Ute : Picasso als Theaterautor. In : FN, S. 138–156. 392 Lohr, Andreas : Der ›Fall Simenon. Im : FN, S. 235–249. 393 Heck, Thomas/Goßens, Peter : Nacht und Nebel. Ein Film wird übersetzt. FN, S. 223–234. 394 Harbusch, Ute : ›Des Meers Gedicht‹. Arthur Rimbaud und ›Das trunkene Schiff‹. In : FN, S. 250– 265. 395 Heck,Thomas/Harbusch, Ute : Wie übersetzt man ›Résistance‹ ? René Char und Paul Éluard. In : FN, S. 200–210. 396 Harbusch, Ute : ›Die junge Parze‹ von Paul Valéry. In : FN, S. 266–184. 397 Ivanović, Christine : ›Die Freiheit, die da dämmert‹. Drei russische Dichter. In : FN, S. 355–376. 398 Filali, Sabria : Paul Celan und Henri Michaux. ›Das Gedicht wird Gespräch‹. In : FN, S. 517–526. 399 Szondi, Peter : Poetry of Constancy – Poetik der Beständigkeit. Celans Übertragung von Shakes peares Sonett 105. Ebenso : Bücher, Rolf : William Shakespeare : 21 Sonette. In : FN, S. 417–447. 400 FN, S. 250. 401 Rimbaud, Arthur : Das trunkene Schiff. Übertragen von Paul Celan (= Insel-Bücherei 1300). Wiesbaden 1958. Paralleldruck in GW IV, S. 102–109. Die Insel-Ausgabe steht weiterhin zum Verkauf : Mit Dokumenten, Abbildungen und einem Nachwort herausgegeben von Joachim Seng. Frankfurt/M, Leipzig 2008. 402 Enzensberger, H. M.: Vorwort zum ›Museum der modernen Poesie‹. Frankfurt/M. 1960, S. 18. 403 Zit. n.: FN, S. 262 (Celan am 21.11.1958 an Fritz Arnold, den damaligen Chef des Insel Verlags). 404 C/DD, S. 236 (Brief Celans vom 3.8.1957).
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Anmerkungen
405 C/DD, S. 239 f. (Brief von Klaus Demus an Celan vom 7.8.1957). 406 Brief Celans an Christoph Graf Schwerin vom 1. 8.1957 (Insel-Bücherei, S. 21). 407 Wolfenstein, Alfred : Werke. Hrsg. v. Hermann Haarmann und Günter Holtz. 5. Bd., Mainz 1993, S. 537 (Der Anti-Poet. Zu Rimbauds 50. Geburtstag). 408 Brecht, Bertolt : Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1 : 1920–1932. Redaktion : Werner Hecht. Frankfurt/M. 1967, S. 31 (Glossen zu Stevenson). 409 Benjamin, Walter : Gesammelte Schriften, Bd. III : Kritiken und Rezensionen. Hrsg. v. Hella Tiedemann-Bartels (= wa 8). Frankfurt/M. 1980, S. 40 (Übersetzungen). 410 FN, S. 395. Celan bemerkt zum Zusammenhang von Fremdheit und Nähe in einer nicht zu Ende geführten Notiz die Überlegung : »Hättest du das in der eigenen Sprache : das Fremdnahe, das Nah-Gefremdete – ein AltJudenDeutsch […]« (»das Fremdnahe« wurde dann wieder durchgestrichen). 411 Uellenberg, Gisela : Le bateau ivre. In : Kindlers Literatur-Lexikon, Bd. 4. München 1974, S. 1392. 412 Höllerer, Walter : Thesen zum langen Gedicht. In : Akzente, 12. Jg., Heft 2/1965, S. 128–130, Zitat : S. 128. 413 Sartre, Jean-Paul : Baudelaire. Paris 1947, S. 182 (»[…] lorsque Rimbaud tente à son tour de devenir son propre auteur«). 414 Verlaine, Paul : Œuvres complètes, tome cinqième. Paris 1920, S. 355. 415 Butor, Michel : Versuch über Rimbaud. Übersetzt von Beate Thill. Aachen 1994, S. 97. 416 Von Baudelaire bis Saint-John Perse. Französische Gedichte und deutsche P rosaübertragungen. Ausgewählt von Mayotte Bollack, übersetzt von Bernhard Böschenstein und Jean Bollack. Frankfurt/M., Hamburg 1962, S. 54–60. 417 Arthur Rimbaud. Leben und Dichtung. Übertragen von Karl Ludwig Ammer. Eingeleitet von Stefan Zweig. Leipzig 1907, S. 174–177. 418 Zech, Paul : Arthur Rimbaud. Ein Querschnitt durch sein Leben und Werk. Berlin 1947, S. 17–20. 419 Rimbaud, Arthur : Le bateau ivre. Französisch mit deutscher Übertragung von Walther Küchler, mit Collagen von Ruth Tesmar. Frankfurt/M. 1998, S. 6–30. 420 Das trunkene Schiff und andere französische Gedichte von Chénier bis Mallarmé. Deutsch von Wilhelm Hausenstein. Freiburg i. Br., München 1950, S. 134–141. 421 Rimbaud, Arthur : Sämtliche Werke. Französisch und deutsch übertragen von Sigmar Löffler und Dieter Tauchmann. Frankfurt/M., Leipzig 1992, S. 138–145. 422 Rimbaud, Arthur : Das trunkene Schiff. Gedichte. Übertragen von Thomas Eichhorn. Aachen 1991, S. 93–96. 423 C/DD, S. 240 (Brief von Klaus Demus an Celan vom 7.8.1957). 424 Schleiermacher, Friedrich : Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens. In : ders.: Sämmtliche Werke III, Abt. II. Berlin 1838, S. 207–245 ; Zitat : S. 235. 425 So die treffende Formulierung Kloepfers (Kloepfer, Rolf : Das trunkene Schiff. Rimbaud – Magier der ›kühnen‹ Metapher. In : Romanische Forschungen. 80/1968, S. 147–167 (Zitate : S. 164 und 167). 426 Celan war stolz, daß er dieses Wort für einen kleinen Anker aus der Seemannssprache kannte. 427 Vgl. hierzu : FN, S. 257. 428 A. a. O., S. 99. 429 GW III, S. 186 (Bremer Rede). 430 Butor : Michel : Versuch über Rimbaud. Aachen 1994, S. 78. 431 GW I, S. 138 (Argumentum e silencio aus der Sammlung Von Schwelle zu Schwelle). 432 Emmerich, S. 112 und 173 (Brief Celans an Emmanuel Rais vom 29.1.1959). Anmerkungen
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433 Wolfenstein, Alfred : Werke. Hrsg. v. Hermann Haarmann und Günter Holtz. Bd. 5, Mainz 1993, S. 533 (Übersetzungskunst). 434 Ivanović, Christine : Celan wiedergelesen. München 1998, S. 51–66 (Zitat : S. 57). 435 FN, S. 400 (Brief Celans an Max Niedermayer vom 16.7.1953). 436 Silbermann, S. 49. 437 Brief Celans an Hans Bender vom 10.2.1961. 438 Prosa, S. 189 f. (Verstreut publizierte Prosa und Interviews). 439 Brief Celans an Paul Schallück vom 4.8.1956 (zit. n.: C(BSCHSCH, S. 268). 440 Wiedemann 2, S. 8. 441 S. hierzu : Eisenreich, S. 92. 442 Zit. N.: GW, S. 643 (Kommentar Wiedemann). 443 SP, S. 32 f.; GW I, S. 171 f.; DG, S. 102. 444 So die Formulierung des Problems bei Brigitta Eisenreich (Eisenreich, S. 72). 445 Dabei handelt es sich um Hannelore Scholz (1926–2011), eine Berliner Übersetzerin, die Celan als Student an der Sorbonne kennenlernte. Vgl. Paul Celan »etwas ganz und gar Persönliches« – Briefe 1934–1970. Hrsg. u. kommentiert v. Barbara Wiedemann. Berlin 2019. 446 Eisenreich, S. 43. 447 Celan legte darauf großen Wert. Er schrieb einmal Ingeborg Bachmann : »Du weißt auch Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich, das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertreten« (BC, S. 64 ; Brief Celans vom 31.10.1957). 448 So die Eisenreichsche Selbstbeschreibung im Rückblick (Eisenreich, S. 42). 449 Vgl. hierzu : Eisenreich, S. 45 f. 450 Eisenreich, S. 48. 451 Eisenreich, S. 101. 452 Eisenreich, S. 55. 453 Eisenreich, S. 75. 454 Eisenreich, S. 74. 455 S. hierzu Anmerkung 186. 456 So die Überlieferung der Worte Celans durch Brigitta Eisenreich (Eisenreich, S. 58). 457 Böttiger, S. 184. 458 B/C, S. 65 (Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 31.10.1957). 459 So im Gedicht Weiß und Leicht aus Sprachgitter (Sp, S. 26 ; GW I, S. 165 ; DG, S. 99). 460 B/C, S. 62 (Brief Ingeborg Bachmanns an Celan vom 28.10.1957). 461 Zutreffend überschrieb Helmuth Böttiger diesen Teil seiner Darstellung mit den Worten : »Die Realität schlägt zu« (Böttiger, S. 202). 462 Zit. n.: Böttiger, S. 192. 463 B/C, S. 86 (Brief Ingeborg Bachmanns an Celan vom 2.2.1958). 464 PC/GCL, S. 90 (Brief Gisèles an Celan vom 24.1.1958). 465 PC/GCL, S. 89 (Brief Gisèles an Celan vom 23.1.1959). 466 PC/GCL, S. 86 (Nachricht Celans für Gisèle vom 21.11.1957). 467 Eisenreich, S. 60. 468 So zu Brigitta Eisenreich (Eisenreich, S 66). 469 GW III, S. 185 f. 470 Felstiner, S. 160. 471 C/DD, S. 254 f. (Brief von Klaus Demus an Celan vom 3.3.1958). 472 Zit. n.: Felstiner, S. 172.
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Anmerkungen
473 474 475 476 477 478 479
PC/NS, S. 80 (Brief Celans vom 6.10.1961). C/DD, S. 270 (Brief Celans an Klaus und Nani Demus vom 22.3.1959). B/C, S. 87 und 102 (Briefe Ingeborg Bachmanns vom 17.2.1958 und 8.2.1959). B/C, S. 91 (Brief Ingeborg Bachmanns vom 16.7.1958). B/C, S. 91 (Brief Celans an Ingeborg Bachmann vom 21.7.1958). DG, S. 667 (Kommentar Wiedemann). Bachmann, Ingeborg : Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung. München 1982, S. 48 f. 480 Felstiner, S. 148. 481 Prosa, S. 105 (Theoretische und kritische Fragmente, 173). 482 »Stimmen« : Sp, S. 7–9 ; GW I, S. 147–149 ; GW, S. 91 f. (hier ausgewählte Stimmen : GW I, S. 147. 483 So im Gedicht Heute und morgen in der Sammlung Sprachgitter (Sp, S. 18 ; GW I, S. 158 ; DG, S. 95). Dementsprechend heißt es im Gedicht Windgerecht : »Die Stimmen : / windgerecht, herznah, / brandbestattet« (Sp, S. 30 ; GW I, S. 169 ; DG, S. 101). 484 C/DD, S. 270 und 272 (Briefe von Klaus Demus vom 30.3. und 3.5.1959). 485 Zit. n.: Felstiner, S. 198. 486 Celan schrieb dazu an Schallück : »Sie, Rolf Schroers und ich, sind die einzigen, die in dieser Blöcker-Sache Nazismus sehen« (Brief Celans an Schallück vom 23.12.1959 ; C/BSCHSCH, S. 294 und 295). 487 C/BSCHSCH, S. 287 und 293 (Briefe Schallücks an Celan vom 15.11.1959 und 19.12.1959). 488 Ebd., S. 294. 489 Lehmann, S : 17. 490 Prosa, S. 170. 491 Kafka, Franz : Beim Bau der chinesischen Mauer. Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg. Ungedruckte Erzählungen und Prosa aus dem Nachlaß. Köln 1931, S. 237. 492 PC/IS, S. 91 (Brief Celans an Gershom Schocken vom 5.2.1970). 493 Prosa, S. 31 (Aphorismen, Gegenlichter und Fragmente, 46.6). 494 So im Fragment vom 29.6.1961 zum Gedicht Der Schmerz schläft bei den Worten, das nicht in die Sammlung Die Niemandsrose aufgenommen wurde. 495 Prosa, S. 42 (Aphorismen, Nr. 58). 496 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.5.1964 (zit. n.: Emmerich, S. 126 f.). 497 Zit. n.: Emmerich, S. 127. 498 Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft. In : drs.: Prismen. Frankfurt/M. 1955, S. 30. 499 Zit. n.: Schnurre, Wolfdietrich : Dreizehn Thesen gegen die Behauptung, daß es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. (1978). In : drs.: Der Schattenfotograf. Aufzeichnungen. Frankfurt/M. 1981, S. 454–457. 500 Zit. n.: Emmerich, S. 128. 501 GW III, S. 201 (Der Meridian). 502 Ebd. 503 Janz, Marlies : Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt/M. 1976, S. 134. Sie schlägt dabei vor, die Geschichte als ein »fiktives Gespräch zwischen Celan (Jud Klein) und Adorno (Jud Groß)« aufzufassen, greift damit aber zu kurz. 504 GW III, S. 201. 505 GW III, S. 194–196. Dort ist die Rede von einem »Selbstvergessenen«, von einem »mit Kunst Beschäftigten« (S. 194), sodann vom »befremdeten Ich« (S. 195) und vom »freigesetzten befremdeten Ich« (S. 196). Anmerkungen
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506 Vgl. hierzu meine Interpretation in : Paul Celan : Gespräch im Gebirg, mit einem Kommentar von Theo Buck. Aachen 2002. 507 Prosa, S. 38 (Aphorismen). 508 GW III, S. 167. 509 GW I, S. 213. 510 GW III, S. 186. 511 GW III, S. 200. 512 Szondi, Peter : Durch die Enge geführt. Versuch über die Verständlichkeit des modernen Gedichts. In : Drs.: Celan-Studien (= BS 330). Frankfurt/M. 1972, S. 47–111 (Zitat : S. 50). S. hierzu auch : Janz, Marlies : Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt/M. 1976, S. 74–88 ; Lehmann, Jürgen : Engführung. In : Lehmann, S. 435–479. 513 Sp, S. 55–64 ; GW I, S. 195–204 ; DG, S. 113–118. 514 GW III, S. 189. 515 Meine Interpretation findet sich im ersten Band meiner Celan-Studien (Buck, Theo : Muttersprache – Mördersprache. Aachen 1993, S. 114–158. Außer den bereits erwähnten Interpretationen von Marlis Janz und Peter Szondi ist insbesondere noch die von Lehmann zu empfehlen (Lehmann, S. 431–479). 516 Dieser verblüffend modernen, atomistischen Weltsicht aus der Kosmogonie maß Celan so große Bedeutung bei, daß er sein Geschenkexemplar der Sammlung Sprachgitter für Hans Mayer mit der zitierenden Widmung versah : »Es gibt nichts als die Atome und den leeren Raum, alles andere ist Meinung (Demokrit)«. 517 Janz, Marlies : A.a.O. (s. Anm. 498), S. 83. 518 Vgl. hierzu den Brief Celans an seine Frau vom 4.1.1960 (PC/GCL, S. 97). 519 PC/GCL : 2. Bd., S. 112. Dort heißt es : »[…] C’est le temps de l’anti-humain. Vivants nous sommes morts, nous aussi«. 520 CDD, S. 296 (Brief von Klaus Demus an Celan vom 5.4.1960). 521 Selg, S. 291. 522 PC/NS, S. 9 (Brief von Nelly Sachs an Celan vom 10.5.1954), S. 15 (Brief Celans an Nelly Sachs vom 13.10.1958). 523 Selg, S. 282. 524 PC/NS, S. 36 (Brief von Nelly Sachs an Celan vom 9.5.1960). 525 PC/NS, S. 79 (Brief Celans vom 13.9.1961). 526 In einer Tagebuchnotiz hielt Celan zur psychischen Krankheit von Nelly Sachs einige Verse fest. Dort heißt es unter anderem : »von der Ehemaligen (gemeint sind Nazis) gnaden / wurde sie zur / schlechthinnigen Jüdin« (zit. n.: Wiedemann 2, S. 782). Dieser Befund läßt sich unschwer auf beide übertragen. 527 Der Artikel erschien unter dem Titel Unbekanntes über Paul Celan. 528 Vgl. hierzu : Wiedemann 2, S. 310–312. Celan schrieb dann wegen der verkürzten Fassung unter dem Titel Anzeige verärgert an Ingeborg Bachmann und Klaus Demus das folgende Telegramm : »an dich sowie Inge gerichtete bitte der niedertracht zu entgegnen, hiermit ausdrücklich zurueckgenommen« (5.9.1960 ; in : PC/DD, S. 340). 529 Gemeint ist Claire Goll. Gisèle Celan-Lestrange bezeichnet sie hier als »diese Schlampe und ihre infamen Lügen« (PC/GCL, S. 104 (Brief an Celan vom 4.8.1960). 530 GW III, S. 189. 531 GW III, S. 195 und 200. Hier taucht die Formulierung »Atemwende« auf, die dann 1967 zum Titel für die Sammlung der zwischen 1963 und 1965 entstandenen Gedichte wurde.
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Anmerkungen
532 533 534 535 536 537
GW III, S. 197. GW III, S. 203. PC/DD, S. 382 (Brief von Klaus Demus vom 27.3.1961). Felstiner, S. 213. PC/GCL, S. 119 (Brief Celans, vom 5.11.1961 datiert). Celan schrieb am 27.1.1962 an Siegfried Lenz : »Es ist vor kurzem in das Stadium der ›Endlösung‹ getreten« (Wiedemann 2, S. 668). 538 Zit. n.: Wiedemann 2, S. 781. 539 PC/DD, S. 371 (Brief Celans an Klaus Demus vom 2.2.1961). 540 Wolfsbohne, aus dem Nachlaß publiziert, Zeitraum Die Niemandsrose (DG, S. 455–457 ; Zitat : S. 457. 541 PC/DD, S. 300 (Brief Celans an Klaus Demus vom 5.5.1960). 542 Ebd. S. 318 (Brief Celans an Klaus Demus vom 3.7.1960). 543 Zit. n.: Emmerich, S. 117 (Brief Celans an Alfred Margul-Sperber vom 8.2.1962). 544 Hierzu auch : Selg, Peter : »Alles ist unvergessen«. Paul Celan und Nelly Sachs. Dornach 2008. 545 PC/NS, S. 41. 546 Selg, S. 296. 547 Susman, Margarete : Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes (Herder-Bücherei 218). Freiburg i. Br. 1968. 548 Ebd., S. 31. 549 PC/IS, S. 128 (Brief Celans vom 27.3.1970). 550 N, S. 12 f.; GW I, S. 214 f.; DG, S. 126 f. 551 Fünf Jahre danach sprach Celan gegenüber Jean Starobinski im Blick auf die jüdische Gemeinschaft wie folgt : »Daß sie uns zu der jüdischen Gemeinschaft zählen, die keine des Ritus ist, sondern der Herzen«. Darin sah er sich zugehörig (PC/GCL 2, S. 176, Brief Celans vom 3.5.1965). Schon bei der Ausarbeitung der Meridian-Rede schrieb Celan den Satz : »S’enjuiver : c’est devenir – Autre« (zit. n.: Felstiner). 552 Prosa, S. 126, Nr. 229. 553 PC/NS, S. 40 (Brief von Nelly Sachs an Celan vom 18.5.1960). 554 PC/NS, S. 55 (Brief Celans an Nelly Sachs vom 9.8.1960). 555 Celans Frau ordnete dieses Fragment (»Die ihn bestohlen hatten […]«) in die Korrespondenz mit ihrem Mann ein (PC/GCL, S. 205). Vgl. hierzu : Selg, S. 312. 556 Kafka, Franz : Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. Hrsg. v. Max Brod. Frankfurt/M. 1953 (Fragmente, S. 348). 557 N, S. 20 f. 558 PC/GCL, S. 113. 559 Ebd., S. 118. 560 N., S. 10. 561 DG, S. 718 (Kommentar). 562 A, S. 27. 563 GW II, S. 26. 564 Prosa, S. 124, Nr. 222. 565 C/Ch, S. 37 f. (Brief Celans vom 3.5.1962). 566 So im Gedicht Hüttenfenster (N, S. 76 f.). 567 Zit. n.: Emmerich, S. 125 (Brief Celans an Petre Solomon vom September 1962). 568 PC/GCL, S : 63 (Brief Celans vom 31.1.1955). Anmerkungen
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569 PC/GCL, S. 209 (Brief Celans vom 20.3.1965). 570 GW I, S. 188 (Verse aus der Sammlung Sprachgitter ; dort im Gedicht Oben, geräuschlos). 571 C/Ch, S. 30 (Brief Celans vom 18.3.1962). In gleicher Weise äußerte sich Celan im Brief an Edith Silbermann vom 29.8.1963 : »Paris ist, leider, ein sehr, sehr hartes Pflaster« (Silbermann, S. 67). 572 PC/GCL, S. 136 (Brief Celans vom 15.10.1962). 573 PC/GCL, S. 141. 574 PC/GCL, S. 100 (Brief Celans vom 6.1.1960). 575 PC/GCL, 2. Bd., S. 115 (Brief Celans an Hildesheimer vom 23.12.1959). 576 Ebd., S. 115 f. (Brief von Gisèle an Nani und Klaus Demus vom 9.1.1960). 577 C/Ch, S. 42 (Brief Celans vom 20.4.1965). 578 Immer wieder mußte ihn in jenen Jahren allerdings Übersetzer Elmar Tophoven vertreten. 579 A, S. 26 ; GW II, S. 30 ; DG, S. 180. 580 Ebd., S. 143 (Brief Gisèles vom 1.1.1963). 581 Ebd., S. 140 (Brief Celans vom 23.10.1962). 582 PC/DD, S. 435 (Brief von Klaus Demus vom 17.6.1962). 583 DG, S. 459. 584 Eisenreich, S. 101 und 103. 585 Celan, Paul : Gedichte. Eine Auswahl (= S. Fischer Schulausgaben. Texte moderner Autoren). Frankfurt/M. 1962. 586 PC/FW, S. 13 (Brief Celans vom 8.6.1963). 587 S. hierzu die Gedichte Le Périgord (DG, S. 479 und Wolfsbohne (DG, S. 455), die Celan nicht in die zeitlich zugehörigen Sammlungen aufnahm. 588 PC/GCL, S. 156 (Brief Celans vom 21.12.1963). 589 Ebd., S. 159 (Brief Gisèles vom 24.12.1963). 590 So im Gedicht Das Stundenglas, das Celan am 4.6.1964 in Moisville schrieb (GW II, 50). 591 PC/GCL 2, S. 177 (Brief Celans an Starobinski vom 3.5.1965). 592 PC/GCL, S. 169 (Kartengruß Celans vom 6.11.1964). 593 Ebd., S. 226 (Brief Celans vom 20.5.1965). 594 Celan Paul : Atemkristall. Radierungen von Gisèle Celan-Lestrange. Frankfurt/M. 1965. 595 PC/GCL, S. 275 (Brief Celans vom 10.10.1965). 596 Celan sprach auch von einem »Beziehungswahn« ; er notierte diesen Begriff in seinem Tagebuch am 8.5.1965 (vgl. hierzu : PC/GCL 2, S. 179). 597 GW II, S. 165. 598 PC/GCL, S. 285 (Brief Gisèles vom 7.12.1965). 599 Eintragung Celans am 8.5.1966 in seinem Notizbuch. S. hierzu : PC/GCL 2, S. 179. 600 PC/GCL, S. 318 (Brief Gisèles vom 1.2.1966). 601 Delay war ein Freund von Henri Michaux, aus dessen Gedichtsammlungen Celan gerade einige Beispiele übersetzt und publiziert hatte. Ebenso hatte Delay eine enge Beziehung zu René Char. 602 PC/GCL, S. 323 (Brief Celans vom 9.2.1966). 603 Ebd., S. 359 (Brief Gisèles vom 28.2.1966). 604 Ebd., S. 362 (Brief Celans vom 31.3.1966). 605 GW II, S. 233) ; Anfangsgedicht der Sammlung Lichtzwang. 606 So die Überschrift eines Gedichts für Eric vom 25.10. 1965 (PC/GCL, S. 280 und GW II, S. 128). 607 Solomon hielt dazu fest : »stark verändert, vorzeitig gealtert, wortkarg, mürrisch. […] Paul war nicht die ganze Zeit deprimiert, manchmal hatte er freudige Momente – aber freilich sehr kurze,
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Anmerkungen
und unterbrochen von einem nervösen Lachen, das schrill und verstört klang« (zit. n.: Felstiner, S. 311). 608 So im Gedicht Sichtbar (F, S. 13). 609 Das taubeneigroße Gewächs (F, S. 115). 610 PC/FW, S. 114 (Brief Celans vom 22.11.1967). 611 PC/FW, S. 112 (Brief Celans vom 15.11.1967). 612 Redewände (F, S. 105). 613 PC/GCL, S. 282 (Brief Celans vom 26.10.1965). 614 PC/GCL 2, S. 99 (Brief Gisèles vom 11.1.1958). 615 PC/GCL, S. 282 (Brief Celans vom 26.10.1965). 616 GW II, S. 199 (aus der Sammlung Fadensonnen). 617 GW II, S. 319 (aus der Sammlung Lichtzwang). 618 PC/GCL 2, S. 468 (Brief Celans an Michaut vom 1.11.1966). 619 GW II, S. 131 (Die Köpfe, aus der Sammlung Fadensonnen). 620 Celan nahm diese Gedichte in den ersten Zyklus der Sammlung Fadensonnen auf. 621 PC/GCL, S. 275 (Postkarte Celans an Eric vom 22.10.1965). 622 Ebd., S. 276 (Postkarte vom 22.10.1965). 623 Ebd. (Postkarte vom 22.10.1965). 624 PC/GCL, S. 277 (Postkarte von Celan für den Sohn vom 23.10.1965). 625 Ebd. 626 Ebd., S. 278 (Postkarte von Celan an den Sohn vom gleichen Tag). 627 Ebd.. 628 Ebd., S. 279 (Postkarte von Celan an den Sohn vom 25.10.1965). 629 Ebd.. (Brief Celans an seine Frau vom 25.10.1965). 630 Ebd. (Postkarte Celans an seinen Sohn vom 26.10.1965). 631 Ebd., S. 280 (Brief 1 Celans an seine Frau vom 26.10.1965). 632 Ebd., S. 280 und 281 (Brief 2 Celans an seine Frau vom 26.10.1965). 633 Ebd., S. 282 (Brief Celans an seine Frau vom 26.10.1965). 634 GW II ; S. 36 und Klappentext von Fadensonnen. 635 Hendaye : eine Strophe, sechs Verse ; Pau, nachts : eine Strophe, fünf Verse ; Pau, später : drei Strophen, achtzehn Verse ; Der Hengst : zwei Strophen, zwölf Verse ; Die Unze Wahrheit : drei Strophen, acht Verse ; In den Geräuschen : eine Strophe, acht Verse ; Lyon. Les Archers : fünf Strophen, zwanzig Verse ; All deine Siegel erbrochen ? Nie : drei Strophen, fünfzehn Verse. Im Falle völliger Integration des Titels in den Gedichttext wird der entsprechende Vers bei der Zählung der Verse mitberücksichtigt. 636 F, S. 18 ; GW II, S. 124 ; DG, S. 226. 637 Celan gebraucht diesen sprachlich seltenen Begriff für den Bereich unterhalb des Zwischenhirns, weil damit der Teil des Gehirns bezeichnet wird, der – im Gegensatz zum weit breiter funktionierenden Stammhirn – ausschließlich die überlebensnotwendigen Funktionen steuert. 638 Prosa, S. 170 (Ziffer 283.3). 639 So im Gedicht Fahlstimmig aus der Sammlung Lichtzwang (1970). 640 In den gleichen Zusammenhang gehören die Verse aus dem Gedicht »[…] rauscht der Brunnen« : »Ihr gebet-, ihr lästerungs-, ihr / gebetscharfen Messer / meines Schweigens« (GW I, S. 237). Der ›Dorn im Draht‹ beschäftigte Celan ebenso im Gedicht »Denk dir« (GW 2, S. 227). Bezeichnenderweise entstand dieser Text zur Zeit des Sechs-Tage-Kriegs. Celan trug ihn im Rahmen einer Lesung im israelischen Rundfunk vor. Anmerkungen
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641 So in der Bremer Ansprache (GW III, S. 186). 642 Wiedemann 2, S. 790. 643 GW III, S. 186 (Bremer Ansprache). 644 So im Brief an den Freund Petre Solomon vom 8.3.1962 (zit. n.: Solomon, Petre : Briefwechsel mit Paul Celan 1957–1962. In : Neue Literatur 32, Heft 11. Bukarest 1981, S. 65). Dort die französische Originalfassung : »mon vieux coeur de communiste«. 645 GW I, S. 270 (»In eins« : » […] stand weiß eine Wolke / menschlichen Adels«). 646 Vgl. hierzu : Buck, Theo : »Am Stiefpol« oder die Abrechnung mit der kommunistischen Diktatur. In : drs.: Schibboleth. Konstellationen um Celan (Celan-Studien III, Aachen 1995, S. 29–43. 647 F, S. 29 ; GW II, S. 125 ; DG, S. 226. 648 PC/GCL, S. 262 (Brief Celans an Gisèle vom 22.8.1965). 649 S. Anm. 650 Horkheimer, Max : Notizen 1950 bis 1962. Dämmerung in Deutschland. Hrsg. v. Werner Brede. Frankfurt/M. 1974, S. 312 651 Marx, Karl : Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung (MEGA, Bd. I, S. 385). 652 PC/FW, S. 70 (Brief Celans an Wurm vom 8.6.1967). 653 PC/GCL, S. 282 (Brief Celans an seine Frau vom 26.10.1965). 654 Beim Aufenthalt mit seiner Frau in Amsterdam vom 23. bis 25. Mai 1964 bedauerte Celan den Abriß des Geburtshauses von Spinoza im 19. Jahrhundert. Der »Albigenserschatten« erinnert ihn an dieses, ihn intensiv beschäftigende Phänomen. 655 F, S. 20 ; GW II, S. 116 ; DG, S. 226 f. 656 Die gleiche Bedeutungsrichtung zeigen die von Celan notierten Varianten : »der Albigenser-streif / -fleck / -punkt / -strich« oder »das Albigensermal / -zeichen«. 657 Bloch, Ernst : Das Prinzip Hoffnung. Bd. 2. Frankfurt/M. 1967, S. 999. 658 Vgl. hierzu : »[…] war die Träne gewonnen« (im Gedicht : Einiges Handähnliche, GW I, S. 236). 659 PC/IS, S. 177 (Nachwort). 660 PC/IS, S. 175 und 174. 661 PC/FW, S. 124 (Brief Celans vom 9.1.1968). 662 PC/FW, S. 71 (Brief Celans vom 8.6.1967). 663 GW II, S. 255. 664 PC/GCL, S. 479 (Brief Celans vom 2.8.1967). 665 Der Brief Heideggers an Celan vom 30.1.1968 wurde von Stephan Krass in der Neuen Zürcher Zeitung vom 3./4.1.1968 veröffentlicht. 666 Felstiner, S. 314. 667 In der Originalfassung : »Je me suis fait des illusions. J’espérais pouvoir convaincre Heidegger. Je voulais qu’il me parle. Je voulais pardonner. J’attendais cela : qu’il trouve les mots de ma clémence. Mais il est resté sur ses positions« (Daive, Jean : La condition d’infini, 5 : Sous la coupole. Paris 1996, S. 153). 668 PC/FW, S. 199 (Brief Celans vom 20.6.1969). 669 PC/GCL, S : 481. Die Eintragung Kafkas findet sich in : Kafka, Franz : Tagebücher 1910–1923. Frankfurt/M. 1951, S. 553). 670 Zit. n.: Felstiner, S. 421. 671 So im Gedicht Heddergemüt aus der Sammlung Fadensonnen (GW II, S. 225). 672 PC/FW, S. 150 (Brief Celans vom 13.5.1968). 673 PC/FW, S. 185 (Brief Celans vom 23.4.1969). 674 GW II, S. 107 (Einmal aus der Sammlung Atemwende).
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Anmerkungen
So der Schlußvers des Gedichts Kermorvan (GW I, S. 263). PC/GCL, S. 584 (Brief Celans an den Sohn Eric vom 1.10.1969). GW III, S. 203. PC/FW, S. 220 (Brief Celans vom 20.10.1969). GW III, S. 108). PC/IS, S. 168 (Nachwort). PC/FW, S. 231 (Brief Celans vom 11.12.1969). PC/IS, S. 14 (Brief Celans vom 21.10.1969). PC/IS, S. 176 (Nachwort). PC/IS, S. 138 (Brief Ilana Shmuelis an Celan vom 9.4.1970). PC/FW, S. 239 (Brief Celans vom 27.3.1970). F, S. 60 ; GW II, S. 166. F, S. 69 (Unverwahrt), GW II, S. 175). F, S. 104 (Tagbewurf) ; GW II, S. 210. F, S. 13 (Sichtbar) ; GW II, S. 119. F, S. 115 (Das taubeneigroße Gewächs) ; GW II, S. 211. F, S. 117 (Draußen) ; GW II, S. 223. PC/IS, S. 116 (Brief Celans vom 6.3.1970). Prosa, S. 151. (267.5). Michaux, Henri : Sur le chemin de la vie. Paul Celan. Paris 1970 (zit. n.: Emmerich, S. 167). Auster, Paul : Die Kunst des Hungers. Essays und Interviews. 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2014 (The Art of Hunger, 1997), S. 64. 696 Musil, Robert : Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Hrsg. v. Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 1978, Bd. 1, S. 407. 697 Schiller, Friedrich : Werke. Nationalausgabe. 20 Bd.: Philosophische Schriften. Weimar 1962, S. 200. 698 Nietzsche, Friedrich : Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 11. München 1980, S. 329. Es handelt sich um die fünfte Strophe des Gedichts aus dem Zarathustra-Komplex Der Freigeist, auch Abschied (1954). 699 Benn, Gottfried : Gesammelte Werke in vier Bänden. Hrsg. v. Dieter Wellershoff ; Bd. 1 : Essays, Reden, Vorträge. 2. Aufl. Wiesbaden 1962, S. 513. 700 Drs.: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Gerhard Schuster, Bd. 1 : Gedichte 1. Stuttgart 1986, S. 135. 701 Eich, Günter : Gesammelte Werke, Bd. II : Hörspiele 1. Hrsg. v. Heinz Schwitzke. Frankfurt/M. 1973, S. 322. 702 Böll, Heinrich : Essayistische Schriften und Reden 1 : 1952–1963. Köln 1978, S. 472. 703 GW II, S. 31. 704 GW II, S. 324 und 233, GW III, S. 79 ; GW II, S. 345 und S. 198. 705 GW II, S. 307 und GW I, S. 213. 706 Auster, Paul : Die Kunst des Hungers. Essays und Interviews. Reinbek bei Hamburg 1974, S. 70. 707 GW II, S. 75. 708 GW II, S. 314. 709 So im Gedicht Chymisch (GW I, S. 227). 710 So im Gedicht Treckschutenzeit (GW II, S. 326). 711 Ebd. 712 GW II, S. 349, S. 352 und S. 268. 713 GW III, S. 189 und S. 167. 675 676 677 678 679 680 681 682 683 684 685 686 687 688 689 690 691 692 693 694 695
Anmerkungen
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714 So im Gedicht Weggebeizt (GW II, S. 31). 715 Sch, S. 27 ; GW II, S. 353. 716 »Ziw« ist ein Begriff der jüdischen Mystik und meint einen Lichtglanz, der als Gotteszeichen verstanden werden kann. 717 GW IV, S. 95. 718 GW II, S. 36. 719 PC/FW, S. 47 (Brief Celans vom »keinsten Mai« 1968). 720 So im Gedicht Die Fleissigen (GW II, S. 151). 721 So im Gedicht Der von den unbeschriebenen (GW II, S. 272). 722 DG, S. 496. 723 Vgl. hierzu : PC/GCL, S. 493 (Zeittafel). 724 So im Gedicht Entmischen mußt du, entmischen (DG, S. 471).
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Anmerkungen
Bibliographie
Erstausgaben der Gedichte Der Sand aus den Urnen. Gedichte mit zwei Originallithographien von Edgar Jené. Wien 1948 (zurückgezogen ; Sigle : SU). Auch in GW III, S. 7–64. Mohn und Gedächtnis. Stuttgart 1952 (Sigle : MuG). Von Schwelle zu Schwelle. Stuttgart 1953 (Sigle : SzS). Sprachgitter. Frankfurt/M. 1959 (Sigle : Sp). Die Niemandsrose. Frankfurt/M. 1963 (N). Atemwende. Frankfurt/M. 1967 (Sigle : A). Fadensonnen. Frankfurt/M. 1968 (Sigle : F). Lichtzwang. Frankfurt/M. 1970 (Sigle : L). Schneepart. Frankfurt/M. 1971 (Sigle : Sch). Zeitgehöft. Späte Gedichte aus dem Nachlaß. Frankfurt/M. 1976 (Sigle : Z).
Weitere Veröffentlichungen Celan, Paul : ›Microlithen sinds, Steinchen‹. Die Prosa aus dem Nachlaß. Hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou. Frankfurt/M. 2005 (Sigle : Prosa).
Übersetzungen Drei russische Dichter : Alexander Block, Ossip Mandelstamm, Sergej Jessenin. Gedichte, übertragen von Paul Celan (= Fischer Bücherei), Hamburg 1963. Shakespeare, William : Einundzwanzig Sonette, deutsch von Paul Celan. Mit einem Nachwort von Helmut Viebrock (= it 132). Frankfurt/M. 1967 (Sigle : ShC).
Ständig benutzte Werkausgaben Celan, Paul : Gesammelte Werke in fünf Bänden. Hrsg. v. Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rolf Bücher. Frankfurt/M. 1983 (Sigle : GW). Celan, Paul : Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann. Frankfurt/M. 2003 (Sigle : DG) Celan, Paul : Werke. Historisch-kritische Ausgabe der Bonner Arbeitsstelle. Frankfurt/M. 1990 ff. (Sigle : HKA).
Bibliographie
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Briefwechsel Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Herzzeit. Briefwechsel. Hrsg. und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Frankfurt/M. 2008 (Sigle : BC). Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. Correspondance (1951/1970). Editée et commentée par Bertrand Badiou avec le concours d’Eric Celan. Paris 2001. Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange. Briefwechsel. Mit einer Auswahl von Briefen Paul Celans an seinen Sohn Eric. Hrsg. und kommentiert von Bertrand Badiou in Verbindung mit Eric Celan ; deutsche Übersetzung durch Barbara Wiedemann. Frankfurt/M. 2001 (Sigle : PC/GCL). Paul Celan – René Char : Correspondance (1954–1968). René Char – Gisèle Celan-Lestrange (1969–1977). Édition établie, présentée et annotée par Bertrand Badiou. Paris 2015 Sigle : C/C). Paul Celan und Gustav Chomed. »Ich brauche Deine Briefe«. Hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel. Berlin 2010 (Sigle : CCh). Paul Celan – Klaus und Nani Demus. Briefwechsel. Mit einer Auswahl aus dem Briefwechsel zwischen Gisèle Celan-Lestrange und Klaus und Nani Demus. Hrsg. v. Joachim Seng. Frankfurt/M. 2009 (Sigle : CDD). Paul Celan – Erich Einhorn. »Einhorn, du weißt um die Steine […]«. Hrsg. und kommentiert von Marina Dmitrieva-Einhorn (= Friedenauer Presse). Berlin 2001 (Sigle : PC/ EE). »Alles is te zwaar omdat alles te licht is«. De Brieven van Paul Celan aan Diet Kloos-Barendregt. (deutsch-niederländisch). Amsterdam 1999. Hrsg. v. Paul Sars (Sigle : Sars). Paul Celan – Hanne und Hermann Lenz. Briefwechsel. Hrsg. v. Barbara Wiedemann in Verbindung mit Hanne Lenz. Frankfurt/M. 2001 (Sigle : PC/HHL). Paul Celan – Nelly Sachs. Briefwechsel. Hrsg. von Barbara Wiedemann. Frankfurt/M. 1993 (Sigle : PC/NS). Paul Celan – Franz Wurm. Briefwechsel. Hrsg. v. Barbara Wiedemann in Verbindung mit Franz Wurm. Frankfurt/M. 1995 (Sigle : PC/FW). Paul Celan – Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers. Briefwechsel mit den rheinischen Freunden. Hrsg. v. Barbara Wiedemann. Berlin 2011 (Sigle : CBSCHSCH). Paul Celan – Ilana Shmueli. Briefwechsel. Hrsg. v. Ilana Shmueli und Thomas Sparr. Frankfurt/M. 2004 (Sigle : PC/IS). Paul Celan »etwas ganz und gar Persönliches« – Briefe 1934–1970. Hrsg. u. kommentiert v. Barbara Wiedemann. Berlin 2019.
Sekundärliteratur Böschenstein, Bernhard und Weigel, Sigrid (Hrsg.) : Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Poetische Korrespondenzen. Vierzehn Beiträge. Frankfurt/M. 1997 (Sigle : BW).
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Bibliographie
Bollack, Jean : Paul Celan. Poetik der Fremdheit. Deutsch von Werner Wögerbauer. Wien 2000 (Sigle : Bollack). Böttiger, Helmut : Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. München 2017 (Sigle : Böttiger). Celan Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hrsg. v. Markus May, Peter Goßens und Jürgen Lehmann. Stuttgart, Weimar 2008 (Sigle : Handbuch). Celan-Jahrbuch. Hrsg. v. Hans-Michael Speier. Bd. 1–10, 1987–2018 (Sigle : CJ). Chalfen, Israel : Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend (= st 913). Frankfurt/M. 1983 (Sigle : Chalfen). Colin, Amy : Paul Celan. Hologramms of darkness. Indianapolis 1991 (Sigle : Colin). Colin, Amy-Diana und Silbermann, Edith : Czernowitz – Stadt der Dichter. Geschichte einer jüdischen Familie aus der Bukowina. Paderborn 2015 (Sigle : Colin/Silbermann). Corbea-Hoisie, Andrei (Hrsg.) Paul Celan. Biographie und Interpretation. Biographie et interprétation. Konstanz, Paris 2000 (Sigle : Corbea-Hoisie). Eisenreich, Brigitta : Celans Kreidestern. Ein Bericht : Mit Briefen und anderen unveröffentlichten Dokumenten. Berlin 2010 (Sigle : Eisenreich). Emmerich, Wolfgang : Paul Celan (= rm 50397). Reinbek bei Hamburg 1999 (Sigle : Emmerich). Felstiner, John : Paul Celan. Eine Biographie. Deutsch von Holger Fliessbach. München 1997 (Sigle : Felstiner). Gellhaus, Axel u. a. (Hrsg.) : »Fremde Nähe«. Celan als Übersetzer. Marbach am Neckar 1997 (Sigle : FN). Gossens, Peter/Patka, Marcus G. (Hrsg.) : Displaced. Paul Celan in Wien. 1947–1948. Frankfurt/M. 2001 (Sigle : DPC). Hamacher, Werner/Menninghaus, Wilfried (Hrsg) : Paul Celan (= st 2083). Frankfurt/M. 1988 (Sigle : HM). Janz, Marlies : Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Frankfurt/M. 1976 (Sigle : Janz). Lehmann, Jürgen (Hrsg.) : Kommentar zu Paul Celans ›Sprachgitter‹. Unter Mitwirkung von Jens Finckh, Markus May und Susanna Brogi. Heidelberg 2005 (Sigle : Lehmann). Mayer, Hans : Erinnerung an Paul Celan. In : Hans Mayer – Augenblicke. Ein Lesebuch. Hrsg. von Wolfgang Hofer und Hans Dieter Zimmermann. Frankfurt/M.1987, S. 99– 116. (Sigle : Mayer). Zuvor schon in ›Merkur‹, Dezember 1970 und in Mayer, Hans : Der Repräsentant und der Märtyrer. Konstellationen der Literatur (= es 463). Frankfurt/M. 1971, S. 169–188. Meinecke, Dietlind (Hrsg.) : Über Paul Celan (= es 495). Frankfurt/M. 1970 (Sigle : Meinecke). Pöggeler, Otto : Spur des Worts. Zur Lyrik Paul Celans. Freiburg i. Br., München 1986 (Sigle : Pöggeler 1). Drs.: »Der Stein hinterm Aug«. Studien zu Celans Gedichten. München 2000 (Sigle : Pöggeler 2). Selg, Peter : »Alles ist unvergessen«. Paul Celan und Nelly Sachs. Dornach 2008 (Sigle : Selg). Silbermann, Edith : Begegnung mit Paul Celan. Aachen 1993 (Sigle : Silbermann). Bibliographie
| 249
Szondi, Peter : Celan-Studien (= BS). Frankfurt/M. 1972, (Sigle : Szondi). Wiedemann-Wolf, Barbara : Antschel Paul – Paul Celan. Studien zum Frühwerk. Tübingen 1985 (Sigle : Wiedemann 1). Wiedemann, Barbara : Paul Celan – Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer ›Infamie‹. Frank furt/M. 2000 (Sigle : Wiedemann 2).
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Bibliographie
Personenregister A Adler, Hans Günther 99 Adorno, Theodor W. 154, 155 Aichinger, Ilse 81, 108 – 110 Andersch, Alfred 119, 121, 144 Antschel, Berta 36, 40, 99, 186, 209 Antschel, Friederike (Fritzi), geb. Schrager 14, 21 – 24, 28, 35, 40, 42, 51 – 57, 61, 63, 92, 96, 172, 184 Antschel-Teitler, Leo 12, 20 – 24, 27, 28, 51, 184, 224 Apollinaire, Guillaume 118 Ausländer, Rose 18, 51, 62, 73, 147 B Bachmann, Ingeborg 77, 81 – 86, 90, 97 – 101, 108 – 110, 113, 145, 147, 149, 151, 170, 174, 208, 230, 232, 238 – 240 Basil, Otto 66, 79, 81 Bender, Hans 114, 117, 223, 234, 238 Bermann Fischer, Gottfried 58, 223 Blöcker, Günter 152, 153 Bollack, Jean 184 Bollack, Mayotte 184 Böll, Heinrich 113 Bonnefoy, Yves 95, 116, 210 Borchers, Elisabeth 185 Bouchet, André du 117, 129, 210 Brâncuși, Constantin 93 Brauner, Victor 93 Brettschneider, Minna 22, 23, 27 Buber, Martin 171 C Cayrol, Jean 124, 125, 218 Celan, Eric 86, 122, 124, 144, 155, 170, 172, 174, 184, 186, 190 – 194, 201, 211, 242, 245 Celan, François 117, 118, 222 Celan-Lestrange, Gisèle, geb. de Lestrange 101, 102, 107, 108, 111 – 113, 115 – 117, 120, 122, 124, 144, 148, 149, 155, 170, 172, 174, 179,
181, 182, 184 – 187, 189 – 192, 194, 195, 201, 208, 210, 221, 222, 233, 234 Chalfen, Israel 17, 21, 23 – 25, 27, 28, 43, 58, 72, 224 Char, René 116, 117, 130, 168, 195, 208, 234, 242 Chiva, Isac 91 Chomed, Gustav 19, 24, 34, 42, 43, 49, 179, 182, 224 Cioran, Emile Michel 116 Cohn, Hans Werner 99 D Daive, Jean 209, 211 Delay, Jean 187 Demus, Klaus 18, 86, 93, 95, 96, 98 – 100, 107, 111, 113, 119, 120, 122 – 124, 130, 131, 136, 150, 152, 168, 170 – 172, 182 – 184, 232, 234, 237, 238, 240, 241 Demus, Nani 86, 98, 107, 122, 123, 182, 232 Döhl, Reinhard 170 Dor, Milo 78, 80, 81, 93, 96, 108, 111, 115 Drozdowski, Georg 18 Dupin, Jacques 117, 210 Dürrenmatt, Friedrich 181 E Ehre, Ida 14, 223 Eichner, Hans 99 Einhorn, Erich 19, 24, 40, 42, 43, 49, 58, 79, 120 Eisenreich, Brigitta 121, 145, 146, 149, 183 Eren-Ehrenkranz, Jehuda 30 F Federmann, Reinhard 78, 80, 81, 96 Feldenkrais, Moshé 207 Ficker, Ludwig von 88 Flinker, Martin 70, 170 Fried, Erich 25, 99 Frisch, Max 174, 228
Personenregister
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G Ginniger, Chaim 41, 51 Glasberg Gold, Ruth 28 Goldfeld, David 18 Goldmann, Ilse 28, 29, 34 Goll, Claire 12, 52, 70, 77, 86, 95, 117, 119, 124, 144, 146, 147, 151, 168 – 173, 188, 235 Goll, Yvan 95, 124, 170 Gong, Alfred 18, 62, 79 Grass, Günter 119, 121 H Hamburger, Michael 99 Härtling, Peter 121 Hartung, Harald 226 Heidegger, Martin 12, 81, 208, 209, 244 Hildesheimer, Wolfgang 181 Hilsbecher, Walter 109 Hirsch, Rudolf 145, 184 Hoff, Kay 185 Hohoff, Curt 180 Höllerer, Walter 209 Holthusen, Hans Egon 154, 180 Horowitz, Karl 15 Huchel, Peter 147 Huppert, Hugo 227, 228 I Ivanović, Christine 141 J Jené, Edgar 79, 80, 86, 87, 91, 93, 231, 232 Jens, Walter 108 – 110, 151, 233
Leibovici, Rosa 60, 62 Lenz, Hanne 121 Lenz, Hermann 111, 119, 121 Lenz, Siegfried 172 Lillegg, Erica (verh. m. Edgar Jené) 79, 91, 104, 231 Lustig, Emma 21, 224 Lutrand, Edmond 213, 222 M Marcovici, Corina ‚Ciuci‘ 65 Margul-Sperber, Alfred 18, 62, 64, 66, 67, 73, 78 – 80, 87 – 89, 95, 173, 223, 225, 228, 230, 231, 241 Margul-Sperber, Jessica 64 Martini, Fritz 119 Mayer, Hans 71, 147 Meerbaum-Eisinger, Selma 50 Meier, Nani 93 Meister, Ernst 185 Michaux, Henri 191, 213 Miller, Leonid 38, 40, 62, 67 Moras, Joachim 119 Müller-Altneu, Dorothea 41, 58, 226 Müller, Erwin 80 N Niedermayer, Max 142, 238 P Pinter, Eliyahu 39 Poethen, Johannes 121
K Kasack, Hermann 119 Kaschnitz, Marie Luise 117, 118, 123, 170 Kaswan, Ruth 29, 33 Kittner, Alfred 18, 58, 62, 72 Kloos, Diet 93, 94, 103, 232, 233 Koch, Willi A. 113, 114, 119 Krolow, Karl 121
R Rais, Emmanuel 237 Resnais, Alain 124 Rey, Jean-Dominique 93 Richter, Hans Werner 108, 110 – 112, 121 Rilke, Rainer Maria 14 Rosenkranz, Moses 18 Rühmkorf, Peter 112 Rychner, Max 65 – 67, 80, 94, 228, 231 – 233
L Lackner, Ruth, später Kraft 44, 46, 48 – 53, 58 – 60, 62, 65, 67, 72, 78, 84, 145, 227
S Sachs, Nelly 11, 150, 168 – 171, 174 – 178, 240 Schafler, Paul 25
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Personenregister
Schallück, Paul 113, 119, 124, 144, 152, 153, 185, 235, 238 Schnabel, Ernst 113 Schocken, Gershom 239 Scholz, Hannelore ‚Hannele‘ 145 Schrager, Bruno 38, 91, 92 Schreyer, Isaac 18 Schröder, Rudolf Alexander 149 Schroers, Rolf 109, 113, 114, 116, 117, 119, 125, 234, 235, 239 Schwedhelm, Karl 115, 224, 228 Schwerin, Christoph Graf 237 Shmueli, Ilana 175, 207, 211 – 213, 223, 245 Sieburg, Friedrich 125 Silbermann, Edith, geb. Horowitz 14, 15, 28, 29, 33, 34, 37, 38, 42, 51, 58, 62, 72, 145, 223, 224, 242 Singer, Erich 18 Singer, Manuel 27, 39, 40 Solomon, Petre 64, 65, 72, 78, 101, 130, 188, 228, 233, 241, 242, 244
Steiner, Franz Baermann 99 Stiehler, Heinrich 70 Struve, Gleb 150 Szondi, Peter 154, 155, 158, 184, 209, 213, 221 T Teitler, David 12, 27 U Unseld, Siegfried 184 W Wagenbach, Klaus 184 Weber, Werner 126, 236 Weigel, Hans 81, 96, 98 Weinheber, Josef 79 Weißglas, Immanuel 18, 28, 42, 58, 62, 70, 72, 73, 77, 223 Weyrauch, Wolfgang 114, 234 Winkler, Manfred 18 Wurm, Franz 184, 207, 209 – 212, 244
Personenregister
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DIE BEZIEHUNG DES DEUTSCHEN KLASSIKERS ZU FRANKREICH UND FRANKREICHS ZU IHM
Theo Buck Goethe und Frankreich 2018. 415 Seiten, gebunden € 50,00 D | € 52,00 A ISBN 978-3-412-50078-8 eBook € 39,99 D | € 41,20 A ISBN 978-3-412-50079-5
Johann Wolfgang von Goethe war und blieb Zeit seines Lebens unter dem Einfluss der französischen Geistesmacht. Theo Buck zeichnet diesen faszinierenden Dialog des Dichters und Denkers mit den Entwicklungen im Nachbarland in allen Bereichen nach. Trotz der widrigen historischen Umstände im Zusammenhang der Revolution von 1789 gelang es Goethe, aus seiner Beschäftigung mit Frankreich heraus, die Grundzüge eines humanen und toleranten Weltbürgertums zu entwickeln. Ohne diesen starken Einfluss ist Goethes Lebensprogramm nicht zu denken. Andererseits wäre ohne sein vielfältiges Einwirken auf das Geistesleben Frankreichs die Herausbildung deutsch-französischen Miteinanders nicht vorstellbar. Es geht dabei um nicht weniger als die Durchsetzung eines humanen Denkens, das die verheerenden Folgen chauvinistischer Überheblichkeit und Primitivität hinter sich lässt.
GRIECHENLAND ALS ÄSTHETISCHER UND PERSÖNLICHER FLUCHTPUNKT HÖLDERLINS
Jürgen Link
Hölderlins Fluchtlinie Griechenland 2020. 275 Seiten, gebunden € 40,00 D | € 42,00 A ISBN 978-3-525-35210-6 eBook € 32,99 D | € 34,00 A ISBN 978-3-647-35210-7
Preisstand 1.1.2020
Zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins zeigt der Literaturwissenschaftler Jürgen Link, dass es noch etwas Neues zu Hölderlins Griechenland-Faszination zu sagen gibt. Glaubte Hölderlin an die griechischen Götter? Oder ging es ihm bloß um eine selbstbezüglich experimentelle Schreibart? Diese Studie sagt: weder – noch. Mit dem Konzept der »mehrpoligen Fluchtlinie Griechenland« verankert sie Hölderlins Modernität im zeitgenössischen Europa von 1800 und im zeitgenössischen, vor allem naturgeschichtlichen, Wissen. Zur Fluchtlinie gehört auch Neugriechenland. Die altgriechischen Mythen dienen als Analogien zeitgenössischer Konflikte, etwa um Rousseau und Napoleon. Vor allem aber erweist sich Hölderlins Schreiben als Wandern längs der Fluchtlinien in wechselnden Tönen eines faszinierenden Sounds.