Passionspredigt im 16. Jahrhundert: Das Leiden und Sterben Jesu Christi in den Postillen Martin Luthers, der Wittenberger Tradition und altgläubiger Prediger 3161596609, 9783161596605, 9783161596612

Die Passion Jesu Christi gehört zu den wichtigsten Themen der Theologie und Frömmigkeit des Spätmittelalters und der Frü

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German Pages 436 [439] Year 2020

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
I. Einführung
1. Vom Herzstück spätmittelalterlicher Frömmigkeit zum Zentrum des höchsten Feiertages im Luthertum: Die Passion Jesu Christi
1.1 Der ‚Isenheimer Altar‘
1.2 ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘
1.3 Zur Forschungslücke zwischen dem ‚Isenheimer Altar‘ und ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘
2. Am Anfang war das Wort: Predigt und Postillen
2.1 Medialität der Reformation
2.2 Die Predigt
2.3 Die Postille
3. Von der reformatorischen Bewegung zur Entstehung konfessioneller Kulturen: Das 16. Jahrhundert
3.1 Reformation, Konfessionelles Zeitalter und das Konfessionalisierungsparadigma
3.2 Passionspredigt im Horizont von Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und Konfessionskultur
4. Zur Quellenauswahl
4.1 Kriterien
4.2 Auswahl
5. Zu Methode, Fragestellungen und Aufbau der Arbeit
5.1 Erste Untersuchungsebene
5.2 Zweite Untersuchungsebene
5.3 Dritte Untersuchungsebene
II. Martin Luther
1. Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick
1.1 Von den Anfängen bis zur Kirchenpostille
1.2 Die Hauspostillen
1.3 Resümee und These
2. Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)
2.1 Der doppelte Kontext
2.2 Gattung, Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte
2.2.1 Zur Gattung
2.2.2 Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte
2.3 Falsche Passionsbetrachtungen (Absätze 1–3)
2.3.1 Judenbeschimpfung
2.3.2 Magischer Schutz
2.3.3 Mitleiden mit Christus
2.4 Rechte Passionsbetrachtung: Erschrecken über sich selbst (Absätze 4–11)
2.4.1 Selbsterkenntnis als Ziel der Passionsbetrachtung
2.4.2 ‚Einbildung‘ und konkrete Meditation
2.4.3 Gleichförmigkeit mit Christus
2.4.4 Gnade und Gebet
2.5 Rechte Passionsbetrachtung: Der Zusammenhang von Karfreitag und Ostern (Absätze 12–14)
2.5.1 Erschrecken: Sünde im Gewissen – Glaube: Sünde auf Christus
2.5.2 Gotteserkenntnis und theologia crucis
Exkurs: Erschrecken und Glaube – Selbst- und Gotteserkenntnis – Gesetz und Evangelium
2.6 Rechte Passionsbetrachtung: Christus als Sakrament und Exempel (Absatz 15)
2.6.1 Zur Unterscheidung von sakramentaler und exemplarischer Betrachtung
2.6.2 Christi Leiden als Exempel: Kasuistische Konkretion
2.7 Resümee
3. Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544)
3.1 Zur Veröffentlichung der Hauspostille
3.2 Erste Predigt: Von der Frucht des Leidens Christi
3.2.1 Eine Lutherpredigt?
3.2.2 Aufbau der Predigt
3.2.3 Die Vorrede: Ermahnung zur Beschäftigung mit der Passion
3.2.4 Erster Teil: Biblische Vorbilder rechter Passionspredigt
3.2.5 Zweiter Teil: Die passionstheologische Auslegung von Röm 5,8–11
3.2.6 Die Rolle des Teufels
3.2.7 Der Glaube ‚im Herzen‘ und der ‚höchste Gottesdienst‘
3.2.8 Das Papsttum als Antipode
3.3 Zweite Predigt: Von Christi Gebet am Kreuz und dem Schächer zur Rechten
3.3.1 Einleitung
3.3.2 Erster Teil: Von Christi Gebet am Kreuz – Christus in seinem priesterlichen Amt
3.3.3 Zweiter Teil: Vom Schächer zu Christi rechter Hand – Ein Exempel der Wirkung der Passion
4. Die Passionspredigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (1559)
4.1 Zum Anlass der Neuedition der Hauspostille
4.2 Die Predigtreihe
4.2.1 Einleitung der Predigtreihe
4.2.2 Erste Predigt: Jesus im Garten Gethsemane
4.2.3 Zweite Predigt: Jesus im Haus des Hohepriesters Kaiphas
4.2.4 Dritte Predigt: Jesus vor Pontius Pilatus
4.2.5 Fünfte Predigt: Jesu Begräbnis
4.2.6 Resümee
4.3 Die Auslegung des Gottesknechtsliedes Jes 53 (Predigt 5)
4.3.1 Die ‚Klarheit‘ des Textes
4.3.2 Aufbau des Kapitels
4.3.3 Herrlichkeit und Elend des Messias und König (zu Jes 52,13–53,3)
4.3.4 ‚Das Erworbene ergreifen‘ (zu Jes 53,10b–12)
4.3.5 Rhetorische Akzente
4.4 Die separate Karfreitagspredigt
4.4.1 Erster Teil: Chronologie der Passion
4.4.2 Zweiter Teil: ‚Auff das die Schrifft durch jn erfüllet würde‘
4.4.3 Dritter Teil: Werbende Liebe und ihre Erwiderung
5. Resümee: ‚Allein das Kreuz‘ – ‚bene definire et dividere‘
5.1 ‚Normative Zentrierung‘ und ‚Theologie als Unterscheidungslehre‘
5.2 Das Papsttum als Antipode
III. Altgläubige Reaktionen (1530–1540)
1. Einleitung
2. Johannes Eck
2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
2.2 Zum Charakter der Passionsauslegungen
2.2.1 Die enthaltenen Passionsauslegungen
2.2.2 Zur ersten Auslegung der Passion
2.2.3 Zur zweiten Auslegung der Passion
2.2.4 Zur Auslegung der johanneischen Passionserzählung
2.3 Die ‚Neuchristen‘ in der Sicht des Altgläubigen
3. Friedrich Nausea
3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
3.2 Zum Charakter der Passionspredigten
3.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten
3.2.2 Zur ‚Vorrede‘ auf die Passion
3.2.3 Zur chronologischen Passionsauslegung
3.2.4 Zum ‚Beschluss‘ der Passion
3.3 Debatte um das Zentrum der Passionsbetrachtung: Zum Mitleiden mit Christus
3.3.1 Die Argumentation der ersten ‚Vorrede‘
3.3.2 Die Argumentation der zweiten ‚Vorrede‘
3.3.3 Resümee
4. Georg Witzel
4.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
4.2 Zum Charakter der Passionsauslegung
4.3 Bezugnahmen auf die aktuellen ‚Widersacher‘
4.3.1 ‚Wir Catholici‘ bedrängt von ‚Sekten‘
4.3.2 Lachen oder Weinen?
5. Zusammenfassender Vergleich
IV. Etablierung und Erweiterung im Wittenberger Lager (1540–1550)
1. Einleitung
2. Johann Spangenberg
2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
2.2 Erzählung und Erklärung der Passion in Frage und Antwort
2.2.1 Die enthaltene Passionsauslegung
2.2.2 Zu Erzählung und Deutung der ‚Geschichte‘
2.2.3 Die ‚Papisten‘ in der Sicht Spangenbergs
2.3 Ethischer Akzent in lutherischer Tradition
3. Philipp Melanchthon
3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
3.2 Die Passionspredigten der Postille
3.2.1 Die enthaltenen (Konzepte von) Passionspredigten
3.2.2 Die Anleitung zur Passionsbetrachtung
3.2.3 Zur Auslegung von Ex 12
3.2.4 ‚Papisten‘ und andere
3.3 Luther, Melanchthon und die bibelhermeneutische Tradition
4. Veit Dietrich
4.1 Kontext und Veröffentlichung der ‚Passio‘ in Luthers Hauspostille
4.2 Zum Charakter der Passionspredigten
4.2.1 Überblick über die Predigtreihe
4.2.2 Die Gegner ‚des Evangeliums‘
4.3 Identifikation mit Luther?
5. Zusammenfassender Vergleich
V. Altgläubige Resonanz (1550–1570)
1. Einleitung
2. Johann Wild
2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
2.2 Zum Charakter der Passionspredigten
2.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten
2.2.2 Ermahnung zur Passionsbetrachtung
2.2.3 Anleitung zur Passionsbetrachtung
2.2.4 Kritische Auseinandersetzung mit der Reformation?
2.3 Die Aneignung von Luthers Passionssermon (neunte Predigt)
2.3.1 Neunte Predigt: Ermahnung zur Passionsbetrachtung
2.3.2 Neunte Predigt: Anleitung zur Passionsbetrachtung
2.3.3 Resümee
3. Jakob Schöpper
3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
3.1.1 Schöpper in Dortmund
3.1.2 Schöppers Postille
3.2 Zum Charakter der Passionspredigten
3.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten
3.2.2 Zweite Predigt
3.2.3 Dritte Predigt
3.2.4 Vierte Predigt
3.3 Die Aneignung von Melanchthons Meditationsanleitung (erste Predigt)
4. Michael Helding
4.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
4.2 Zum Charakter der Passionspredigten
4.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten
4.2.2 Zur ‚Vorrede‘ auf die Passion
4.2.3 Zur chronologischen ‚Auslegung‘ der Passion
4.3 Verteidigung und Relativierung der compassio
5. Johann Craendonch
5.1 Zur Neuausgabe der Spangenbergschen Postille
5.2 Craendonchs ‚katholische Korrektur‘
5.2.1 Arten der Korrektur
5.2.2 Fehlende Korrektur
6. Zusammenfassender Vergleich
VI. Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)
1. Einleitung
1.1 Der veränderte zeitgeschichtliche Kontext zwischen 1546/47 und 1577/80
1.2 Die Frühzeit der Jenaer Universität
1.3 Zur Entwicklung des Postillenwesens
2. Johannes Wigand
2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
2.2 Zum Charakter der Passionspredigten
2.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten
2.2.2 Die Auslegung von Jes 53
2.2.3 Die Karfreitagspredigt
2.3 ‚Gottes Wort und Luthers Lehre‘
2.3.1 Lutherische Traditionsbildung
2.3.2 Gegen ‚Türken‘, ‚Papisten‘ und Thomas Müntzer
2.3.3 Das Verhältnis zu Osiander und Flacius bezüglich Gerechtigkeit und Sünde
2.3.4 Resümee: Darlegung der ‚reinen Lehre‘
3. Simon Musäus
3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
3.2 Zum Charakter der Passionspredigten
3.2.1 Die enthaltenen Passionsauslegungen
3.2.2 Die chronologische Passionsauslegung (erste und zweite Predigt)
3.2.3 Die Predigt alttestamentlicher Passionszeugnisse (dritte Predigt)
3.3 ‚Vom nützlichen Gebrauch der Passion Christi‘
3.3.1 Gegen Sicherheit, Verzweiflung und Eigennutz
3.3.2 Gegen Juden, ‚Türken‘ und ‚Ketzer‘
4. Christoph Vischer
4.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
4.2 Zum Charakter der Passionspredigten
4.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten
4.2.2 Die Passionspredigten der Sonntagspostille
4.2.3 Die Passionsauslegung der ‚Kinderpostille‘
4.2.4 Die Passionspredigten der Festpostille
4.3 Kontinuität und Spezifika
4.3.1 Grundlegende Kontinuität
4.3.2 Der Widersacher und ‚unsere Widersacher‘
4.3.3 Zur christologischen Frage
4.3.4 Vom Mitleiden mit Christus
5. Johann Habermann
5.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille
5.2 Zum Charakter der Passionspredigt
5.2.1 Die enthaltene Passionspredigt
5.2.2 Zur Einleitung
5.2.3 Wer gelitten hat
5.2.4 Wie Christus gelitten und was er erlitten hat
5.2.5 Warum Christus gelitten hat
5.2.6 Wofür Christus gelitten hat
5.2.7 Rhetorische Merkmale
5.3 In Wittenberger Tradition
5.3.1 Lutherische Passionstheologie
5.3.2 Altgläubige Prägungen?
6. Zusammenfassender Vergleich
VII. Zusammenschau und Ausblick
1. Formen der Passionspredigt im Überblick
1.1 Chronologische Passionspredigt
1.2 Thematische Passionspredigt
1.3 Typologische Passionspredigt
2. Typus ohne Antitypus: Lutherische Passionspredigt im konfessionellen Vergleich
2.1 Typisch lutherisch – typisch altgläubig?
2.2 Das theologische Zentrum lutherischer Passionspredigt
3. Vom kontroverstheologischen Härtefall zur Abschleifung der Gegensätze: Das Mitleiden mit Christus
3.1 Zuspitzung
3.2 Entschärfung
4. Inter- und transkonfessionelle Predigtforschung als Aufgabe
4.1 Die Studie im Horizont gegenwärtiger Forschungstendenzen
4.2 Weiterführende Perspektiven
Anhänge
Anhang 1: Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert
Anhang 2: Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds
Anhang 3: Craendonchs Überarbeitungen der Passionsauslegung Spangenbergs
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen (Handschriften)
Quellen (Drucke des 15. bis 17. Jahrhunderts)
Quellen (Editionen und Ausgaben seit dem 19. Jahrhundert)
Bibelausgaben und Hilfsmittel
Literatur
Register
Bibelstellenregister
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
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Passionspredigt im 16. Jahrhundert: Das Leiden und Sterben Jesu Christi in den Postillen Martin Luthers, der Wittenberger Tradition und altgläubiger Prediger
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Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism, and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin), Matthias Pohlig (Berlin), Eva Schlotheuber (Düsseldorf ), Klaus Unterburger (Regensburg)

119

Jonathan Reinert

Passionspredigt im 16. Jahrhundert Das Leiden und Sterben Jesu Christi in den Postillen Martin Luthers, der Wittenberger Tradition und altgläubiger Prediger

Mohr Siebeck

Jonathan Reinert, geboren 1989; Studium der Evangelischen Theologie in Jena, Göttingen und Tübingen; Promotionsstipendiat am Graduiertenkolleg „Kulturelle Wirkungen der Reformation. Medialität“ in Jena; 2019 Promotion; seit 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Spätmittelalter und Reformation in Tübingen. orcid.org/0000-0001-5560-4141

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein ISBN 978-3-16-159660-5 / eISBN 978-3-16-159661-2 DOI 10.1628/978-3-16-159661-2 ISSN 1865-2840 / eISSN 2569-4391 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nati­ onalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Minion gesetzt, von Druckerei in Gulde in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Studie wurde als Dissertation von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Dafür, dass sie entstehen und nun als Buch erscheinen konnte, bin ich zahlreichen Personen und Institutionen zu Dank verpflichtet. Ermöglicht wurde die Arbeit an ihr unter hervorragenden Bedingungen durch ein dreijähriges Promotionsstipendium im Rahmen des Graduiertenkollegs „Kulturelle Wirkungen der Reformation: Medialität“, finanziert durch den Freistaat Thüringen und die Ernst-Abbe-Stiftung, denen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Christopher Spehr (Jena) verdanke ich nicht nur eine stets wohlwollende, kritisch-konstruktive Begleitung im Verlauf der Erarbeitung der Dissertation, sondern auch die Anregung zu dieser und den Hinweis auf die Postillen als Untersuchungsgegenstand. Welch faszinierendes Forschungsfeld sich mir damit eröffnete, erahnte ich nicht. Ebenso dankbar bin ich, dass ich in Prof. Dr. Volker Leppin (Tübingen) nicht nur einen Zweitgutachter, sondern im Vollsinn einen zweiten Betreuer hatte. Die Einbindung in die Diskurse an beiden Orten – Jena und Tübingen – war für mich nicht nur persönlich eine erfreuliche Verbindung, sondern erwies sich sachlich als außerordentlich fruchtbar. Ich war allein aufgrund der unterschiedlichen Anregungen und Kritiken, Fragen und Zugänge zum Thema stets herausgefordert, meinen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und zu begründen. Der freundlich-freundschaftliche Umgang miteinander und das überaus hohe Diskussionsniveau in beiden akademischen Kontexten ließen für mich die Arbeit an der Dissertation zu einem Genuss werden. Wesentlichen Anteil daran haben Freunde, Diskussionspartnerinnen und Weggefährten, die mit zahlreichen wertvollen Gesprächen, weiterführenden Hinweisen und gewissenhaften Korrekturen direkt oder indirekt an der Entstehung des Buches beteiligt waren. Verbunden mit herzlichem Dank seien unter ihnen an dieser Stelle Megan Arndt, Jennifer Berger, Simon Blatz, Dr. Corinna Ehlers, Dr. Tobias Jammerthal, Jonas Frank, Fabian Kunze, Dr. Hanne Lamparter, Markus Löffler, Franz Schollmeyer, Tobias Stäbler, Dr. Joachim Werz und Daniel Zimmermann namentlich erwähnt. Besonders möchte ich in diesem Zusammenhang Anja Bork danken, die zur Vorbereitung auf den Druck das gesamte Manuskript durchgesehen hat.

VI

Vorwort

Für die Aufnahme in die Reihe „Spätmittelalter, Humanismus, Reformation“ gilt mein Dank Prof. Dr. Volker Leppin sowie den weiteren Herausgeberinnen und Herausgebern. Dem Verlag Mohr Siebeck, insbesondere Tobias Stäbler (Lektorat) und Susanne Mang (Herstellung), danke ich für die freundliche Beratung und kompetente fachliche Begleitung auf dem Weg vom Manuskript zum Buch. Für großzügige Druckkostenzuschüsse danke ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deuschlands (VELKD) und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (ELKW). Mein größter Dank gilt schließlich jenen Personen, die weniger direkt an der Entstehung der Studie beteiligt waren, jedoch mein Leben in besonderer Weise geprägt haben. Zunächst gilt dies für meine Eltern und Großeltern, ohne die ich nicht wäre und dieses Buch auch nicht. In den vergangenen intensiven Jahren wurde mein Lebensweg besonders von meiner Frau und unseren Kindern bestimmt. Sie haben nicht nur mit unermüdlichem Eifer dafür gesorgt, dass ich gedanklich nicht im 16. Jahrhundert versunken, sondern täglich ins 21. Jahrhundert zurückgekehrt bin, sondern mich auch rege daran erinnert, dass es im Leben Wichtigeres gibt, als ein Buch zu schreiben. Gerade damit entsprechen sie den Überzeugungen der in dieser Studie untersuchten Predigern des 16. Jahrhunderts. Aber auch letztere haben sich nicht davon abhalten lassen, Gedrucktes zu hinterlassen. Tübingen, im Mai 2020

Jonathan Reinert

Inhaltsverzeichnis Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

V

Abkürzungen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1

Vom Herzstück spätmittelalterlicher Frömmigkeit zum Zentrum des höchsten Feiertages im Luthertum: Die Passion Jesu Christi . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Der ‚Isenheimer Altar‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.3 Zur Forschungslücke zwischen dem ‚Isenheimer Altar‘ und ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2

Am Anfang war das Wort: Predigt und Postillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1 Medialität der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.2 Die Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.3 Die Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

3

Von der reformatorischen Bewegung zur Entstehung konfessioneller Kulturen: Das 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.1 Reformation, Konfessionelles Zeitalter und das Konfessionalisierungsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.2 Passionspredigt im Horizont von Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und Konfessionskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

4

Zur Quellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4.1 Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4.2 Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

5

Zu Methode, Fragestellungen und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 5.1 Erste Untersuchungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5.2 Zweite Untersuchungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5.3 Dritte Untersuchungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

VIII

Inhaltsverzeichnis

II. Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1

Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick . . . . . . . . . . . . . 23 1.1 Von den Anfängen bis zur Kirchenpostille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.2 Die Hauspostillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.3 Resümee und These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

2 Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1 Der doppelte Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2 Gattung, Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.1 Zur Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.2 Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.3 Falsche Passionsbetrachtungen (Absätze 1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3.1 Judenbeschimpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3.2 Magischer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.3.3 Mitleiden mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.4 Rechte Passionsbetrachtung: Erschrecken über sich selbst (Absätze 4–11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.4.1 Selbsterkenntnis als Ziel der Passionsbetrachtung . . . . . . . . . . 49 2.4.2 ‚Einbildung‘ und konkrete Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.4.3 Gleichförmigkeit mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.4.4 Gnade und Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.5 Rechte Passionsbetrachtung: Der Zusammenhang von Karfreitag und Ostern (Absätze 12–14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.5.1 Erschrecken: Sünde im Gewissen – Glaube: Sünde auf Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.5.2 Gotteserkenntnis und theologia crucis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Exkurs: Erschrecken und Glaube – Selbst- und Gotteserkenntnis – Gesetz und Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.6 Rechte Passionsbetrachtung: Christus als Sakrament und Exempel (Absatz 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.6.1 Zur Unterscheidung von sakramentaler und exemplarischer Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.6.2 Christi Leiden als Exempel: Kasuistische Konkretion . . . . . . 69 2.7 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3

Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) . . . . . . . . . . . 70 3.1 Zur Veröffentlichung der Hauspostille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.2 Erste Predigt: Von der Frucht des Leidens Christi . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2.1 Eine Lutherpredigt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2.2 Aufbau der Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhaltsverzeichnis

IX

3.2.3 Die Vorrede: Ermahnung zur Beschäftigung mit der Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.4 Erster Teil: Biblische Vorbilder rechter Passionspredigt . . . . 76 3.2.5 Zweiter Teil: Die passionstheologische Auslegung von Röm 5,8–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.6 Die Rolle des Teufels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.2.7 Der Glaube ‚im Herzen‘ und der ‚höchste Gottesdienst‘ . . . . 83 3.2.8 Das Papsttum als Antipode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3 Zweite Predigt: Von Christi Gebet am Kreuz und dem Schächer zur Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.3.2 Erster Teil: Von Christi Gebet am Kreuz – Christus in seinem priesterlichen Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.3.3 Zweiter Teil: Vom Schächer zu Christi rechter Hand – Ein Exempel der Wirkung der Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4

Die Passionspredigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (1559) . . . . . . . 91 4.1 Zum Anlass der Neuedition der Hauspostille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.2 Die Predigtreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.2.1 Einleitung der Predigtreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.2.2 Erste Predigt: Jesus im Garten Gethsemane . . . . . . . . . . . . . . . 96 4.2.3 Zweite Predigt: Jesus im Haus des Hohepriesters Kaiphas . . 99 4.2.4 Dritte Predigt: Jesus vor Pontius Pilatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.2.5 Fünfte Predigt: Jesu Begräbnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.2.6 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.3 Die Auslegung des Gottesknechtsliedes Jes 53 (Predigt 5) . . . . . . . . . 105 4.3.1 Die ‚Klarheit‘ des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.3.2 Aufbau des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.3.3 Herrlichkeit und Elend des Messias und König (zu Jes 52,13–53,3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.3.4 ‚Das Erworbene ergreifen‘ (zu Jes 53,10b–12) . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.3.5 Rhetorische Akzente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.4 Die separate Karfreitagspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.4.1 Erster Teil: Chronologie der Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.4.2 Zweiter Teil: ‚Auff das die Schrifft durch jn erfüllet würde‘ .112 4.4.3 Dritter Teil: Werbende Liebe und ihre Erwiderung . . . . . . . . 113

5

Resümee: ‚Allein das Kreuz‘ – ‚bene definire et dividere‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5.1 ‚Normative Zentrierung‘ und ‚Theologie als Unterscheidungslehre‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5.2 Das Papsttum als Antipode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

X

Inhaltsverzeichnis

III. Altgläubige Reaktionen (1530–1540) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2 Johannes Eck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.2 Zum Charakter der Passionsauslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2.2.1 Die enthaltenen Passionsauslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2.2.2 Zur ersten Auslegung der Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2.2.3 Zur zweiten Auslegung der Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2.2.4 Zur Auslegung der johanneischen Passionserzählung . . . . . . 134 2.3 Die ‚Neuchristen‘ in der Sicht des Altgläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3

Friedrich Nausea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.2.2 Zur ‚Vorrede‘ auf die Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3.2.3 Zur chronologischen Passionsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.2.4 Zum ‚Beschluss‘ der Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3.3 Debatte um das Zentrum der Passionsbetrachtung: Zum Mitleiden mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3.3.1 Die Argumentation der ersten ‚Vorrede‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3.3.2 Die Argumentation der zweiten ‚Vorrede‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.3.3 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

4

Georg Witzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.2 Zum Charakter der Passionsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4.3 Bezugnahmen auf die aktuellen ‚Widersacher‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.3.1 ‚Wir Catholici‘ bedrängt von ‚Sekten‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.3.2 Lachen oder Weinen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

5

Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

IV. Etablierung und Erweiterung im Wittenberger Lager (1540–1550) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2 Johann Spangenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2.2 Erzählung und Erklärung der Passion in Frage und Antwort . . . . . 172 2.2.1 Die enthaltene Passionsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2.2.2 Zu Erzählung und Deutung der ‚Geschichte‘ . . . . . . . . . . . . . . . 173

Inhaltsverzeichnis

XI

2.2.3 Die ‚Papisten‘ in der Sicht Spangenbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2.3 Ethischer Akzent in lutherischer Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3

Philipp Melanchthon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.2 Die Passionspredigten der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3.2.1 Die enthaltenen (Konzepte von) Passionspredigten . . . . . . . . 182 3.2.2 Die Anleitung zur Passionsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3.2.3 Zur Auslegung von Ex 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3.2.4 ‚Papisten‘ und andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.3 Luther, Melanchthon und die bibelhermeneutische Tradition . . . . 188

4

Veit Dietrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.1 Kontext und Veröffentlichung der ‚Passio‘ in Luthers Hauspostille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.2.1 Überblick über die Predigtreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.2.2 Die Gegner ‚des Evangeliums‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4.3 Identifikation mit Luther? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

5

Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

V. Altgläubige Resonanz (1550–1570) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2 Johann Wild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2.2.2 Ermahnung zur Passionsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2.2.3 Anleitung zur Passionsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2.2.4 Kritische Auseinandersetzung mit der Reformation? . . . . . . . 216 2.3 Die Aneignung von Luthers Passionssermon (neunte Predigt) . . . . . 216 2.3.1 Neunte Predigt: Ermahnung zur Passionsbetrachtung . . . . . 217 2.3.2 Neunte Predigt: Anleitung zur Passionsbetrachtung . . . . . . . 217 2.3.3 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3

Jakob Schöpper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.1.1 Schöpper in Dortmund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.1.2 Schöppers Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3.2.2 Zweite Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

XII

Inhaltsverzeichnis

3.2.3 Dritte Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3.2.4 Vierte Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3.3 Die Aneignung von Melanchthons Meditationsanleitung (erste Predigt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4

Michael Helding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.2.2 Zur ‚Vorrede‘ auf die Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4.2.3 Zur chronologischen ‚Auslegung‘ der Passion . . . . . . . . . . . . . . 242 4.3 Verteidigung und Relativierung der compassio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

5

Johann Craendonch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5.1 Zur Neuausgabe der Spangenbergschen Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5.2 Craendonchs ‚katholische Korrektur‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5.2.1 Arten der Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5.2.2 Fehlende Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

6

Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

VI. Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580) . . . . . . . . . 257 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1.1 Der veränderte zeitgeschichtliche Kontext zwischen 1546/47 und 1577/80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1.2 Die Frühzeit der Jenaer Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1.3 Zur Entwicklung des Postillenwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2

Johannes Wigand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2.2.2 Die Auslegung von Jes 53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2.2.3 Die Karfreitagspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2.3 ‚Gottes Wort und Luthers Lehre‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2.3.1 Lutherische Traditionsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2.3.2 Gegen ‚Türken‘, ‚Papisten‘ und Thomas Müntzer . . . . . . . . . . . 276 2.3.3 Das Verhältnis zu Osiander und Flacius bezüglich Gerechtigkeit und Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2.3.4 Resümee: Darlegung der ‚reinen Lehre‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

3

Simon Musäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Inhaltsverzeichnis

XIII

3.2.1 Die enthaltenen Passionsauslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3.2.2 Die chronologische Passionsauslegung (erste und zweite Predigt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3.2.3 Die Predigt alttestamentlicher Passionszeugnisse (dritte Predigt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3.3 ‚Vom nützlichen Gebrauch der Passion Christi‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3.3.1 Gegen Sicherheit, Verzweiflung und Eigennutz . . . . . . . . . . . . 288 3.3.2 Gegen Juden, ‚Türken‘ und ‚Ketzer‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4

Christoph Vischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 4.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 4.2 Zum Charakter der Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4.2.1 Die enthaltenen Passionspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4.2.2 Die Passionspredigten der Sonntagspostille . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4.2.3 Die Passionsauslegung der ‚Kinderpostille‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4.2.4 Die Passionspredigten der Festpostille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4.3 Kontinuität und Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4.3.1 Grundlegende Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4.3.2 Der Widersacher und ‚unsere Widersacher‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4.3.3 Zur christologischen Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 4.3.4 Vom Mitleiden mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

5

Johann Habermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 5.1 Kontext und Veröffentlichung der Postille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 5.2 Zum Charakter der Passionspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5.2.1 Die enthaltene Passionspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5.2.2 Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 5.2.3 Wer gelitten hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 5.2.4 Wie Christus gelitten und was er erlitten hat . . . . . . . . . . . . . . . 318 5.2.5 Warum Christus gelitten hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5.2.6 Wofür Christus gelitten hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5.2.7 Rhetorische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 5.3 In Wittenberger Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 5.3.1 Lutherische Passionstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 5.3.2 Altgläubige Prägungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

6

Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

VII. Zusammenschau und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 1

Formen der Passionspredigt im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1.1 Chronologische Passionspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1.2 Thematische Passionspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1.3 Typologische Passionspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

XIV

Inhaltsverzeichnis

2

Typus ohne Antitypus: Lutherische Passionspredigt im konfessionellen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2.1 Typisch lutherisch – typisch altgläubig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2.2 Das theologische Zentrum lutherischer Passionspredigt . . . . . . . . . . 334

3

Vom kontroverstheologischen Härtefall zur Abschleifung der Gegensätze: Das Mitleiden mit Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 3.1 Zuspitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 3.2 Entschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

4

Inter- und transkonfessionelle Predigtforschung als Aufgabe . . . . . . . . . . . . 340 4.1 Die Studie im Horizont gegenwärtiger Forschungstendenzen . . . . . 340 4.2 Weiterführende Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Anhang 1: Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Anhang 2: Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Anhang 3: Craendonchs Überarbeitungen der Passionsauslegung Spangenbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Quellen (Handschriften) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Quellen (Drucke des 15. bis 17. Jahrhunderts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Quellen (Editionen und Ausgaben seit dem 19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . 375 Bibelausgaben und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

Register Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Abkürzungen Die Abkürzungen folgen Siegfried M. Schwertner: IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Boston 2014. Darüber hinaus wurden folgende Abkürzungen verwendet: BSELK

Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hg. v. I. Dingel. DDStA Martin Luther: Deutsch-Deutsche Studienausgabe, hg. v. J. Schilling. LStRLO Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie. SbPr 1512 Johann von Staupitz: Salzburger Predigten 1512, hg. v. W. Schneider-Lastin. SSLG Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. VD16 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (www.vd16.de). VD17 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (www.vd17.de). Die Abkürzungen der biblischen Bücher folgen den Loccumer Richtlinien.

I. Einführung 1  Vom Herzstück spätmittelalterlicher Frömmigkeit zum Zentrum des höchsten Feiertages im Luthertum: Die Passion Jesu Christi 1.1  Der ‚Isenheimer Altar‘ Ein kunst- und kulturgeschichtlich herausragendes Beispiel der Passionsfrömmigkeit im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts bilden die Passions- und Kreuzigungsdarstellungen des Künstlers Mathis Gothart bzw. Neithart, genannt Matthias Grünewald:1 „Vom Beginn seiner künstlerischen Entwicklung in Nürnberg bis zu seinem letzten Bild in Tauberbischofsheim hat ihn ein Motiv der Heilsgeschichte insbesondere beeindruckt: die Kreuzigung Jesu.“2 Sein bekanntestes Werk, der zwischen 1512 und 1516 entstandene Isenheimer Altar, zeigt äußerst drastisch einen schmerzerfüllten Christus am Kreuz, dessen Querbalken sich biegt; daneben u. a. Johannes der Täufer, der in der einen Hand eine aufgeschlagene Bibel hält und mit der anderen durch einen betont überlangen Zeigefinger auf den Gekreuzigten weist, flankiert durch Joh 3,30: „ILLVM OPORTET CRESCERE ME AVTEM MINVI“.3 Das Gemälde stellt in besonderer Weise ein typisches Motiv jener Zeit dar, in der die Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu Christi, mit Martin Elze gesprochen, „das Herzstück der […] Frömmigkeit“4 bildete. Man hat versucht, Grünewalds Isenheimer Altar in enger Verbindung mit Luthers Theologie zu interpretieren, die er nur wenig später auf den Begriff der Theologie des Kreuzes brachte.5 Doch lässt sich zu dieser Zeit keine direkte Linie zwischen beiden ausmachen – als Grünewald am Isenheimer Altar arbeitete, un1 Vgl.

Berg, Passion; Lüdke, Kreuzigungen; Reuter, Bildsprache. Anschauungsmaterial bieten Ziermann, Grünewald, und der Ausstellungskatalog „Grünewald und seine Zeit“, in dem ein ausführlicher Teil der „Passionsfrömmigkeit zur Zeit Grünewalds“ (a. a. O., 350–404) gewidmet ist. 2  Marquard, Grünewald, 159. 3  Johannes der Täufer sagt über Christus: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmem. 4  Elze, Züge, 396. 5 Vgl. Marquard, Grünewald, 151 Anm. 187: „Grünewald bildet schon um 1515 als Künstler idealtypisch ab, was Martin Luther drei Jahre später in der Heidelberger Disputation von 1518 als theologia crucis (Theologie des Kreuzes) entfalten wird“.

2

I. Einführung

terrichtete Martin Luder gerade seine ersten Jahre als Professor für Theologie an der Universität Wittenberg – und auch später schloss sich der Künstler nicht der reformatorischen Bewegung an. Gleichwohl partizipierte Grünewald in den 1520er Jahren an dem, was man als reformatorische Öffentlichkeit bezeichnen kann.6 Zu seinem Nachlass gehörten ein Band mit Predigten Luthers und – aufbewahrt in einer zugenagelten Kiste – dessen Übersetzung des Neuen Testaments sowie weitere Schriften Luthers bzw. lutherischer Provenienz.7 Vor diesem Hintergrund wurde eine Verwandtschaft zu Luther und konkret ein möglicher Einfluss von dessen Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi (1519) auf die letzten Passionsdarstellungen Grünewalds ausgelotet.8 Die Interpretation der bildmotivisch innovativen Züge der Tauberbischofsheimer Kreuztragung (ca. 1523–1525) – mitsamt des prominent hervorgehobenen, nun deutschsprachigen Schriftzuges „ESAIAS∙53∙ER∙IST∙VMB∙VNSER∙SVND∙WILLEN∙GESCLAGEN∙“ – vor dem Hintergrund des Sermons Luthers ist zwar möglich; zwingend ist sie jedoch nicht. Wie auch immer es um diesen Einfluss bestellt sein mag – um ein eindeutig ‚lutherisches‘ Gepräge des Bildprogramms etwa im Sinne der Cranach-Werkstatt handelt es sich nicht. Person und Werk Grünewalds stehen damit für die fließenden Übergänge und unscharfen Grenzen in der bewegten Zeit der reformatorischen Bewegung, die auch im Bereich der Passionstheologie und -frömmigkeit wahrnehmbar sind. 1.2  ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ Als ca. 130 Jahre später, Mitte des 17. Jahrhunderts, der überzeugte Lutheraner Paul Gerhardt9 seine zum Teil bis heute viel gesungenen Passionslieder schrieb, war ein langer „Weg von einer als vorkonfessionell zu betrachtenden Wittenberger Reformation zum Luthertum“10 zurückgelegt. In den Folgejahren des Dreißigjährigen Krieges dichtete der „bedeutendste und bekannteste Kirchenlieddichter nach Luther“11 das womöglich „beliebteste deutsche Passionslied“:12 O Haupt voll Blut und Wunden.13 Das zehn Strophen umfassende Lied bilde6 Vgl. Schuster, Art. Reformatorische Öffentlichkeit; bezüglich Grünewald: Arndt/ Moeller, Bücher, 46. 7  Vgl. die Edition des Nachlass-Verzeichnisses von 1528 in: Marquard, Grünewald, 203– 219 (Nr. 45 und 58). 8 Vgl. Arndt/Moeller, Bücher; Marquard, Grünewald, 157–185. 9  Bis heute wird immer wieder eine Dichotomie zwischen dem „Dogmatiker“ und dem „Dichter“ Gerhardt behauptet (so etwa Lauster, Verzauberung, 389 f.), die wohl eher auf ein verzerrtes Bild der lutherischen Orthodoxie zurückzuführen ist und kaum angemessen erscheint (dazu Axmacher, Konfessionalismus). Vgl. auch Beutel, Gerhardt; Beutel, Kirchenordnung; Bunners, Gerhardt; Grosse, Gott; Ruschke, Gerhardt. 10  Dingel, Wittenberger Reformation, 259. 11  Evangelisches Gesangbuch, 1574. 12  Plum, Adoratio, 256. 13 Wichtige Liedinterpretationen bieten Lehnertz, Hymnus; Koch, Passionslieder;



1  Die Passion Jesu Christi3

te ursprünglich den letzten Teil der sog. Passionssalven (benannt nach dem jeweiligen Grußbeginn: ‚Salve‘), eines Hymnus des Zisterzienserabtes Arnulf von Löwen (um 1200–1250), der sich in sieben Abschnitten meditierend an die Gliedmaßen des sterbenden Christus richtet  – seine Füße, Knie, Hände, die Seite, die Brust, das Herz und schließlich das Antlitz – und den Gerhardt übersetzte bzw. als Vorlage benutzte.14 Zur Zeit Paul Gerhardts wurden die Passionssalven als aus der Feder Bernhards von Clairvaux überliefert. Sowohl dieser Ursprung des Liedes als auch seine beachtliche ökumenische Wirkungsgeschichte führten zu der Einschätzung, hier den „Typus des überkonfessionellen Liedes“15 repräsentiert zu sehen. Nun ändert der Umstand, dass dieses wie auch viele andere Lieder Gerhardts im Nachhinein nicht als exklusiv lutherisch, sondern als gemeinchristlich wahrgenommen und entsprechend ökumenisch rezipiert wurden, nichts an der Tatsache, dass sie ihren historischen Ort und ursprünglichen Verwendungszusammenhang in der voll ausgebildeten lutherischen Konfessionskultur des 17. Jahrhunderts haben: Das Lied erschien erstmalig 1656 in dem weit verbreiteten, stetig anwachsenden und klar konfessionell-lutherisch orientierten Liederbuch Praxis pietatis melica.16 Die in der Übersetzung Gerhardts gesetzten theologischen Akzente werden im Zusammenhang der zeitgenössischen lutherischen Theologie und Frömmigkeit verständlich.17 Auch dass ein vermeintlich von Bernhard stammender Text verwendet wurde, passt sich hervorragend in diesen Kontext ein: Bernhard galt im Luthertum des 17. Jahrhunderts nicht nur als letzter Kirchenvater,18 Bewahrer des Evangeliums und mitunter als guter Lutheraner, sondern wurde insbesondere auch „als Lehrer der Betrachtung der Passion Franz, O Haupt; Axmacher, Mensch; Axmacher/Schneider, O Haupt; Plum, Adoratio, 239–257. 14  Eine Gesamtinterpretation der Passionssalven Gerhardts bietet Grosse, Gott, 240–274. Er misst diesen ein besonderes „systematische[s] Gewicht […] innerhalb des gesamten geistlichen Liederwerks Pauls Gerhardts“ (a. a. O., 242) zu. 15  Lehnertz, Hymnus, 772. 16  Der Untertitel des von Johann Crüger herausgegebenen Gesangbuchs lautet bezeichnenderweise: Ubung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen Gesängen / H. D. Martini Lutheri fürnemlich / wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehre Bekenner. 17  Die Einschätzung, dass bei „so viel und so grundlegender Gemeinsamkeit [zwischen der lateinischen Vorlage und Gerhardts deutscher Version, J. R.] […] alle Unterschiede, so legitim und kenntnisreich deren Analyse, im Grunde nur von untergeordneter Bedeutung“ (Plum, Adoratio, 250) seien, ist jedenfalls mit Blick auf den historischen Kontext problematisch. Die Veränderungen scheinen durchaus theologisch mit Bedacht gesetzt zu sein; vgl. besonders Koch, Passionslieder, 9–12 und Axmacher, Mensch. Der von Franz, O Haupt, 290 herausgearbeitete Akzentunterschied, um ein Beispiel zu nennen, dass es – „vergröbernd“ gesagt – „im mittelalterlichen Hymnus um die Liebe geht, im barocken Kirchenlied dagegen um den Glauben“, lässt sich zwar auch als „kulturell bedingte[] Ausdrucksgestalt[] christlicher Frömmigkeit“ beschreiben, hat aber nichtsdestotrotz theologische Gründe. 18  Diese Einschätzung findet sich schon bei Luther; vgl. Posset, Kirchenväter.

4

I. Einführung

Jesu“19 geschätzt. Im Zuge der Herausbildung der lutherischen Konfessionskultur vollzog sich seit Ende des 16. Jahrhunderts eine „Aufwertung des Karfreitags zum Hauptfest“20 des Kirchenjahres, deren Ausgestaltung auch Paul Gerhardt mit seinen Dichtungen diente. Auslegungen der Passionsgeschichte überwogen „ihrer Anzahl nach alle übrigen Themen der Erbauungsliteratur weit“,21 was auch in Gebetbüchern und eben Kirchenliedern seinen Ausdruck fand. 1.3  Zur Forschungslücke zwischen dem ‚Isenheimer Altar‘ und ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ Den Weg von Grünewalds Isenheimer Altar zu Paul Gerhardts O Haupt voll Blut und Wunden hat Ernst Koch folgendermaßen zusammengefasst: „Als Erbe spätmittelalterlicher Frömmigkeit lebte im Wirkungsbereich der Wittenberger Reformation die intensive Beschäftigung mit der Passion Christi weiter. Die Feier der vorösterlichen Zeit gewann eine Bedeutung, die keiner anderen Zeit des Kirchenjahres zukam.“22

Dieser scheinbar linearen Entwicklungslinie stehen auf den ersten Blick Luthers Anspruch und Selbstverständnis entgegen. Insbesondere in der Frühzeit der öffentlichkeitswirksam gewordenen reformerischen Bewegung aus Wittenberg betonte Luther das Kreuz als „das unhintergehbare Kriterium der Theologie“23 gerade in scharfem Gegensatz zur überkommenen Theologie und Frömmigkeit. Prominent kontrastierte er in der Heidelberger Disputation 1518 die theologia crucis, als Bezeichnung für das eigene Unterfangen, mit der theologia gloriae, wie er ‚die‘ scholastische Theologie (und gelegentlich auch eine spekulativ-mystische Theologie areopagitischer Prägung) charakterisierte.24 Gleichwohl lässt sich gerade die Kreuzestheologie „als eine Transformation monastischer Kreuzesspiritualität“25 bestimmen, deren nachhaltige Prägungen 19  Koch, Bernhard-Rezeption, 336; der Aufsatz bietet zahlreiche instruktive Quellenbeispiele. Grundsätzlich ist freilich festzustellen: „wahrscheinlich hat Bernhard von Clairvaux im 16. und 17. Jahrhundert am meisten in die Breite gewirkt durch ihm untergeschobene geistliche Texte, die den Zeitgenossen jedoch als authentische Texte begegneten“ (a. a. O., 342) – wie eben auch im Fall der Passionssalven. 20  Holzem, Christentum, 523; vgl. dazu Jakubowski-Tiessen, Leiden Christi. Spuren dieser Entwicklung lassen sich noch heute feststellen (Bieritz, Kirchenjahr, 212): „In der Frömmigkeit evangelischer Christen kommt dem Karfreitag ein besonderer Rang zu. Er gilt vielfach als höchster Feiertag des Kirchenjahres und als einer der wichtigsten Abendmahlstage. Der Hauptgottesdienst am Vormittag des Karfreitags wird darum in den meisten evangelischen Kirchen als Abendmahlsgottesdienst begangen und – wo die Möglichkeit dazu besteht – kirchenmusikalisch reich ausgestaltet.“ 21  Koch, Das konfessionelle Zeitalter, 254. 22  A. a. O., 253. 23  Westhelle, Art. Kreuz, 372. 24 Vgl. zur Mühlen, Kreuz; Reinert, Luthers theologia crucis (mit weiterer Literatur). 25  Westhelle, Art. Kreuz, 370.

1  Die Passion Jesu Christi5



erkennbar bleiben.26 Denn die Wurzeln im Bereich der Passionsfrömmigkeit reichen tief: Von der Zeit des sog. Hochmittelalters an ist eine Entwicklung erkennbar, die in der Theologie-, Frömmigkeits-, Kunst- und Mentalitätsgeschichte gleichermaßen ihren Niederschlag gefunden hat. Die (dogmatisch gesprochen) Menschheit Jesu Christi – und damit seine Mit-Menschlichkeit – wird zunehmend in einer Weise betont, die die Identifikation der Gläubigen mit Christus ermöglicht.27 Krippe und Kreuz rücken ins Zentrum,28 und damit der schwache, menschliche, leidende, in der Passion von Schmerzen und Anfechtungen geplagte, schmachvoll sterbende und schließlich der gestorbene Gottessohn.29 Die Bedeutung des Themas findet im bildlich-künstlerischen Bereich – man denke an die besonders verbreiteten Bildmotive des Schmerzensmannes und der Pietà – ebenso ihren Niederschlag wie in der Meditations- und Erbauungsliteratur.30 In Momenten der Anfechtung und drohenden Verzweiflung, so erinnert sich der Reformator Luther, wurde er von seinem Beichtvater Staupitz auf die Wunden Christi verwiesen.31 In ihnen fand er Trost – wie viele seiner Zeitgenossen. Das in diesen kurzen Einblicken erkennbare spannungsvolle Geflecht von Kontinuität und Diskontinuität, von prägenden Traditionen und innovativen Pointierungen, vorgetragen mit scharfer Kritik und programmatischen Ansprüchen, ist Teil der Theologie Luthers  – und der durch ihn angestoßenen theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Entwicklungen. Damit ist im Blick auf die Passionstheologie und -frömmigkeit im 16. Jahrhundert jedoch lediglich der Rahmen abgesteckt. Denn trotz der hinlänglich anerkannten Bedeutung, die dem Umgang mit Leiden und Sterben Jesu Christi sowohl in der Zeit vor der Reformation als auch im Luthertum des 17. Jahrhunderts zukommt mitsamt der Spannung, die aus Luthers Antithetik von theologia crucis und theologia gloriae erwächst, ist festzustellen: „Daß Passionspredigt und -frömmigkeit des frühen Luthertums ein Forschungsdesiderat von höchster Dringlichkeit darstellen, während sich die Lage verbessert, je näher man Paul Gerhardt und der Bach-Zeit kommt, bedarf kaum der Erwähnung.“32

Aus mediävistischer Perspektive wird dasselbe Defizit wahrgenommen: „Während die Passionsliteratur des Mittelalters seit Jahrzehnten sehr gut erforscht wurde, ist ihre Fortsetzung in der Neuzeit – zumal bei Theologen – weitgehend in Vergessenheit geraten.“33 26 

Vgl. etwa Elze, Züge; ders., Passion; Nicol, Meditation, 117–150; Leppin, Passionsmystik. 27 Vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 725–732. 28 Vgl. Angenendt, Religiosität, 137–141. 29  Anders als später in der Aufklärungszeit stand bis zum 16. Jahrhundert die Gottheit und göttliche Herkunft gerade auch des betont menschlichen Jesus Christus nicht in Frage. 30  Vgl. etwa Haug/Wachinger, Passion Christi. 31 Vgl. WA.TR 2, 112,9–19 (Nr. 1490). 32  Steiger, Nachwort, 488 f. 33  Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 740.

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I. Einführung

Bei dieser offenkundigen Forschungslücke setzt die vorliegende Studie mit ihrer theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Fragestellung ein. Sie erstreckt sich von der Frühzeit der Reformation bis zur Fertigstellung des lutherischen Bekenntniswerkes, dem Konkordienbuch (1580). Untersucht werden volkssprachliche Passionspredigten von Martin Luther und von Predigern der Wittenberger Tradition,34 die in Postillen publiziert wurden. Ebenso werden altgläubige Postillen aus demselben Zeitraum in die Untersuchung einbezogen. Durch die bikonfessionelle Perspektive kann beobachtet werden, wie sich die theologischen und kirchenpolitischen Kontrahenten wahrnahmen, welche Wechselwirkungen zwischen den entstehenden Konfessionen und welche Entwicklungen innerhalb dieser stattfanden. Eine Fokussierung auf Postillen als Quellengrundlage legt sich aufgrund deren mediengeschichtlicher Bedeutung nahe.

2  Am Anfang war das Wort: Predigt und Postillen 2.1  Medialität der Reformation Die Medialität der Reformation rückte in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus sowohl einer interdisziplinären Forschung als auch einer interessierten Öffentlichkeit.35 Die Reformation war ein „Medienereignis“36 und Martin Luther wurde zum und agierte als ihr „Medienstar“.37 Dabei trugen und verstärkten sich Inhalt und Medien wechselseitig: „Ohne die zündende Botschaft ist also das Medienereignis Reformation nicht denkbar, wie umgekehrt erst bestimmte leistungsfähige Medien, vor allem Buchdruck und Predigt, der Botschaft zur Wirkung verhalfen und ihr eine Form gaben, die als Herausforderung wieder auf den Inhalt und die Ausdruckskraft zurückwirkte.“38

Es lässt sich zudem beobachten, wie im Zusammenwirken des Reformators mit den örtlichen Buchdruckern und der Cranach-Werkstatt so etwas wie eine „neue[] Markenidentität für Wittenbergs Reformationsschriften“39 erschaffen wurde. Der publizistische Erfolg Luthers – binnen weniger Jahre stieg er zum meistveröffentlichten Autor Europas aller Zeiten auf40 – war verblüffend und die damit einhergehenden kommunikationsgeschichtlichen Veränderungen wirkten nachhaltig, sodass mitunter der mediale Aspekt der Reformationsgeschichte 34 

Zur Auswahl der Quellen s. u. Kapitel I. 4. jüngst K aufmann/Mittler, Reformation und Buch; K aufmann, Mitte der Reformation; Pettegree, Marke; Steiger, Reformation und Medien. 36  Hamm, Medienereignis. 37  Leppin, Luther, 151–164. 38  Hamm, Medienereignis, 157. 39  Pettegree, Marke, 11. 40  Vgl. a. a. O., 9. 35  Vgl.



2  Predigt und Postillen7

als das eigentlich Moderne angesehen wird.41 Im Rückblick kann in dem, was ein renitenter Mönch – nicht nur, aber eben doch ganz wesentlich – durch das gedruckte Wort bewirkte, Zukunftsweisendes entdeckt werden: „An Luthers Beispiel wurde erstmals deutlich, dass die traditionellen Repressionsinstrumente der kirchlichen Hierarchie gegenüber einer unkontrollierbaren Verbreitung abweichender Gedanken versagen mussten – ein erster, noch tastender, aber alles entscheidender Schritt in eine neue Zeit.“42

2.2  Die Predigt Unter den Medien der Reformation im Sinne von Vermittlungs- und Verbreitungsinstanzen kommt neben den Flugschriften ohne Zweifel der Predigt eine besondere Bedeutung zu.43 Ging bereits im Jahrhundert vor der Reformation mit einem verstärkten Engagement der Laien vor allem in den Städten ein erhöhter Bedarf an guter volkssprachlicher Predigt einher,44 so steigerte sich deren Ansehen durch die theologische Bedeutung, die (nicht nur) Luther der Predigt beimaß: Sie ist dem Reformator zufolge nicht weniger als die herausragende Instanz zur Vermittlung des Wortes Gottes und hat damit als Heilsmittel soteriologische Relevanz.45 Das Pfarramt erhielt im reformatorischen Kontext entsprechend „den Titel des öffentlichen Dienstes am Wort Gottes“.46 Diese Hochschätzung des Predigtamtes hatte für den Verlauf der Reformationsgeschichte ganz praktische Konsequenzen: Die neue Lehre konnte sich gerade in der Frühzeit der Reformation durch die Neubesetzung von Prädikantenstellen im Volk verbreiten. Wie bereits Rudolf Hermann gezeigt hat, bildete dies konkret im Thüringer Raum in zahlreichen Städten die Basis für die Einführung der Reformation;47 und auch in anderen Städten äußerte sich reformatorische 41  Dies ist die These von Burkhardt, Reformationsjahrhundert, 15: „Was Luther sagte, war wichtig, aber wie er es sagte und unter die Leute brachte, war das eigentlich Moderne an der Reformation. Nicht in ihren Inhalten, sondern in den Druckmedien und der Kulturfertigkeit, mit der sie hier erstmals zum Einsatz kommen, gründet der innovative Impuls der Zeit. […] Während sich also Reformation, Konfessionalität und selbst der Staat eher rückwärtsgewandt zu legitimieren suchten, bewußtseinsmäßig unter dem epochalen Signum der Beharrung und Stabilität standen, und de facto alt und neu gemischt waren, ist auf dieser formalen Seite der Kultur der eigentliche Ansatz der frühen Moderne zu suchen.“ 42  K aufmann, Erlöste, 123. 43 Überspitzt fomuliert Stegmann, Beobachtungen, 259: „Luthers reformatorische Erkenntnis führte zur reformatorischen Bewegung, die ihrereseits vor allem durch Predigten die reformatorische Theologie verbreiteten.“ 44  „Je stärker sich das Bürgertum religiös engagierte, desto wichtiger wurde eine verständliche Erläuterung des Glaubens in der Predigt.“ (Leppin, Geschichte, 429); vgl. auch Stegmann, Beobachtungen, 260 Anm. 23. 45 Vgl. Beutel, Art. Predigt; ders., Im Anfang; Kolb, Enduring Word, 35–74; Stoellger/Wolff, Art. Wort Gottes. 46  Schwarz, Lehrer, 479. 47 Vgl. Hermann, Prediger. Auf diesen Aufsatz beziehen sich auch mehrere Beiträge in dem neueren Sammelband Emig/Leppin/Schirmer, Vor- und Frühreformation.

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I. Einführung

Gesinnung im Bürgertum meist in der Forderung nach der sog. freien Predigt des Evangeliums. Die Bedeutung der Predigt als Verkündigung des Wortes Gottes zeigt sich nicht zuletzt in anderen Medien wie dem Lied und dem Bild, deren Eigenwert freilich keineswegs zu bestreiten ist. So stand etwa das Gemeindelied in engem Zusammenhang mit der Worttheologie: „Als Bestandteil der Theologie des Wortes sollte der Gesang genauso wie die Predigt der Verkündigung von Gottes Wort dienen und stellte damit einen wichtigen Teil des Gottesdienstes für die Gemeinde dar.“48 Auch im Bild wurde die Predigt bzw. der predigende Pfarrer veranschaulicht. Die Predella des Wittenberger Altars mit seiner prototypischen Darstellung des predigenden Luther, der die Gemeinde auf den zentral hervorgehobenen Gekreuzigten weist, dürfte das bekannteste Zeugnis dessen sein. Auf Flugblättern wurde die Abbildung Luthers auf einer Kanzel nicht selten polemisch in Kontrast zum Papsttum, der Ablassverkündigung und Ähnlichem dargestellt.49 In solchen Abbildungen wurde stilisiert festgehalten, wie der Mönch und Professor aus Wittenberg wahrgenommen werden sollte bzw. zeitweilig auch wahrgenommen wurde. Getragen war dies zunächst noch von der persönlichen Präsenz des gefeierten Helden, die sich insbesondere bei der Reise zum Wormser Reichstag 1521, den man geradezu als „Siegeszug“ inszenierte, über den lokalen Horizont des ernestinischen Sachsens ausweitete; der Reichstag selbst wurde schließlich „zur wichtigsten Propagandaplattform des Wittenbergers“.50 In der anschließenden Zeit auf der Wartburg  – fern jeder Öffentlichkeit  – „widmete sich Luther nun verstärkt Fragen der evangeliumsgemäßen Erneuerung des christlichen Lebens und der gottesdienstlichen Praxis, die für das evangelisch zu reformierende Kirchenwesen von grundlegender Bedeutung war“.51 So begann er mit der Arbeit an den – neben den Katechismen – wohl wirkmächtigsten Werken der Wittenberger Reformation, der Übersetzung der Bibel und einer Postille. Die Möglichkeit der Lektüre der Heiligen Schrift in der eigenen Sprache bildete die Basis der angestrebten Erneuerung, doch ebenso wichtig war eine Anleitung zur rechten Predigt, da Luther „in seiner Vorstellung vom Gemeindeaufbau das Gewicht auf die evangeliumsorientierte Predigt“52 legte. Da die Idealvorstellung von gebildeten Predigern jedenfalls in der Fläche keine Voraussetzung darstellte, an die angeknüpft werden konnte,53 lässt sich die sog. Wartburgpostille als eine erste Maßnahme auf dem Weg zur Professionalisierung des Pfarrers in der Reformation verstehen.54 Sie stellt einen frühen und wichtigen 48 

Veit, Art. Lied, 385. Koerner, Reformation, 307–332. 50  K aufmann, Luther, 54. 51  Spehr, Entstehung, 17. 52  A. a. O., 21. 53 Vgl. Bünz, Pfarrgeistlichkeit, 659–663. 54 Vgl. Leppin, Professionalisierung, 282. 49 Vgl.

2  Predigt und Postillen9



Baustein bei der „Entstehung des lehrorientierten und predigtzentrierten Institutionengefüges“55 dar, das sich seit den 1520er Jahren sukzessive in den von der Wittenberger Bewegung ausgehenden Kirchentümern entwickelte. Denn durch seine Postillen legte Luther „die Basis für eine reformatorische Predigtpraxis, die zum Maßstab evangelischer Verkündigung in Stadt und Land wurde“.56 Die Erforschung der Postillen ist somit in den größeren Horizont der historischen Predigtforschung einzugliedern.57 2.3  Die Postille Unter einer Postille wird im Folgenden „die Sammlung von sonn- und festtäglichen Perikopenauslegungen des Kirchenjahres“58 verstanden. Sowohl den Begriff als auch die Sache gab es freilich schon vor Luther, jedoch nicht unbedingt in Kombination miteinander. Einerseits begegnet die wohl prominenteste Verwendung des Begriffs in den Postillae perpetuae des Nikolaus von Lyra, jedoch – im Sinne der Formel „post illa verba textus“ aus dem liturgischen Gebrauchskontext – als Bezeichnung eines fortlaufenden Kommentars zu den biblischen Schriften. Andererseits wurden etwa die Predigten Johannes Taulers in der Anordnung der Sonntage des Kirchenjahres überliefert, jedoch nicht unter dem Titel Postille. „Erst durch Luther verfestigte sich diese Terminologie und avancierte zur Bezeichnung einer literarischen Gattung.“59 Wird die Orientierung an den Perikopen des Kirchenjahres als konstitutiv für die Gattungsbestimmung betrachtet, so handelt es sich bei den Auslegungen zumeist – aber nicht immer – um Musterpredigten für die Pfarrer in den Gemeinden. Zwar beinhaltet der mit Abstand größte Teil der gedruckten Postillen des 16. Jahrhunderts ursprünglich vom Autor selbst gehaltene und für den Druck gegebenenfalls überarbeitete bzw. ausformulierte Predigten, die entsprechend in der Rezeption nicht nur als Handbuch zur Predigtvorbereitung, sondern auch direkt zum Vorlesen von der Kanzel genutzt werden konnten und genutzt wurden. Dies trifft jedoch nicht für alle Postillen zu. Manche Perikopenauslegungen waren entweder so lang oder so kurz bzw. nur stichpunktartig formuliert, dass sie sich nicht als Lesepredigten eigneten. Auch die ersten Auslegungen Luthers, an denen er auf der Wartburg und in der Zeit danach arbeitete und die 55 

Stegmann, Beobachtungen, 259–269. K aufmann, Luther, 54. 57  Vgl. nur die schon älteren und jeweils stark konfessionell geprägten Überblicksdarstellungen von Schütz, Geschichte und Schneyer, Geschichte sowie das opulente siebenbändige Werk The Reading and Preaching of the Scriptures in the Worship of the Christian Church von Hughes Oliphant Old. Zur Predigt in der Frühen Neuzeit vgl. Beutel, Art. Evangelische Predigt; ders., Kommunikation; Bittner, Art. Katholische Predigt; Werz, Predigtmodi, 3–6 (jeweils mit Literatur). Zu Luther vgl. Beutel, Art. Predigt; Eyjólfsson, Überblick; Meuser, Luther; ders., Preacher; Nembach, Predigt; Spehr, Art. Predigten; Zschoch, Art. Predigten. 58  Spehr, Art. Postillen, 551. 59  Ebd. Vgl. auch Eybl, Art. Postille; Friedrichs, Art. Postille; Holtz, Art. Predigt. 56 

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I. Einführung

schließlich Teil seiner großen sog. Kirchenpostille wurden, waren ‚am Schreibtisch‘ entstanden und stellten ausführliche Predigthilfen dar, die jedoch nicht einfach zum Verlesen gedacht waren.60 In einigen wenigen Fällen wurde auch von der grundsätzlichen Orientierung an der Predigt abgewichen, sodass die Auslegungen katechismusartig in Frage-Antwort-Form, in Reimen oder als Lieder erschienen. All dies konnte zeitgenössisch unter der Bezeichnung ‚Postille‘ veröffentlicht werden, wobei jeweils die Orientierung an den Perikopen des Kirchenjahres den Begriff rechtfertigte. Predigten konnten zudem durch thematisch passende Gedichte und Gebete ergänzt werden. Gerade volkssprachliche Postillen  – sie bildeten ohnehin die Mehrheit  – waren häufig nicht nur an Pfarrer gerichtet, sondern auch an Hausväter und gegebenenfalls Lehrer für den häuslichen und schulischen Unterricht. Daran zeigt sich sowohl die Bedeutung des Kirchenjahres und der Perikopen für die Frömmigkeit, als auch dass zwischen Predigt, Auslegung, Unterweisung und weiteren Formen der Lehrvermittlung auf literarischer Ebene keine scharfen Trennlinien verlaufen, was sachlich darin begründet ist, dass die Predigt einen eminent lehrhaften Charakter annahm.61 Luthers Postillen wirkten vorbildhaft, was zu einem immensen Anstieg des Angebots und der Nachfrage führte:62 In den folgenden Jahren und Jahrzehnten entstanden eine unüberschaubare Vielzahl an Postillen, sodass deren Bedeutung für das 16. und 17. Jahrhundert kaum überschätzt werden kann. John Frymire zufolge handelt es sich geradezu um „the most important genre for the dissemination of ideas in early modern Germany“.63 Seine Studie The Primacy of the Postils aus dem Jahr 2010 ist die erste (und einzige) umfassende mediengeschichtliche Untersuchung, die dem rasanten Aufstieg dieser Gattung seit der Reformation nachgegangen ist. Allein der Versuch, sämtliche gedruckte Postillen des deutschen Sprachraumes zwischen 1520 und 1620 mitsamt der Höhe der Auflagen zu erfassen, stellt einen Meilenstein der Forschung dar, auf dem weite60 

Zum Postillenwerk Luthers s. u. Kapitel II.1. Stegmann, Beobachtungen. 62 Vgl. K aufmann, Mitte der Reformation, 6: „Dass Angebot und Nachfrage auch in Bezug auf den Buchmarkt der Reformationszeit korrelierten und die Anzahl von Nachdrucken einen Aufschluss über Leser- und Käuferinteressen gestattet, scheint mir evident zu sein.“ 63  Frymire, Primacy, 1. Als Begründung für diese These führt Frymire „[t]he enormity of their print production combined with their use“ an (a. a. O., 3): „Pamphlets of all kind could and did have an impact. Chronologically and in terms of reaching wide audiences, however, such impact was always limited. Postils, on the other hand, were books used over and over again by ministers everywhere, and passed down from one generation to the next. They were often subsidized and distributed by the authorities. In some cases, they were property of parishes rather than individual clergy. They therefore represented, as a historical source, the closest one might get in terms of what the majority of the population heard over the long term. As such, like preachers themselves, postils were the key instrance of mediation between authorities and their subjects, between learned and unlearned, between what for lack of better terms we call elite and popular cultures.“ 61 Vgl.



2  Predigt und Postillen11

re Studien – auch diese – aufbauen können.64 Neben der mediengeschichtlichen Auswertung Frymires, auf deren Ergebnisse im Laufe der vorliegenden Studie verschiedentlich zurückgegriffen wird, lassen sich aus dessen statistischer Auflistung vier grundlegende Erkenntnisse gewinnen: Erstens belegt die Summe von 435 verschiedenen Postillen,65 die in der Regel zudem mehrere Auflagen erfuhren, in dem angegeben Zeitraum von 100 Jahren eindrucksvoll die Relevanz dieser Gattung im 16. und frühen 17. Jahrhundert – und damit grundsätzlich diejenige der Predigt. Zweitens ragen unter allen Postillen hinsichtlich der Auflagenzahl, der Übersetzungen und der Druckorte diejenigen Luthers mit großem Abstand heraus, was für deren enorme Verbreitung spricht. Seine Postillen bildeten nicht nur den Anstoß für die Blüte der Postillenproduktion, sie dominierten das Genre auch über das gesamte 16. Jahrhundert hinweg. Drittens erlebte die Gattung Postille in Reaktion auf den Erfolg der Postillen Luthers66 auch im altgläubigen Kontext einen beachtlichen Aufschwung. Man erlangte schnell Klarheit über Nutzen und Notwenigkeit der Bereitstellung von beispielhaften Predigten, auch in der Volkssprache. Im Vergleich dazu sind viertens dennoch die Anzahl und Auflagenstärke der Postillen im lutherischen Kontext insgesamt erheblich größer. Postillen sollten der Predigtvorbereitung dienen, als Lesepredigten vorgetragen werden oder Anwendung im häuslichen oder schulischen Unterricht finden. Dass sie reichlich gebraucht wurden, bezeugt schon die von Frymire zusammengetragene Quantität. Auch bei wenig gebildeten Landpfarrern, die zum Teil noch selbst von der Landwirtschaft lebten, gehörten neben Katechismus, Bibel und Gesangbuch auch Postillen zum Grundbestand der Pfarrbibliothek.67 Die in dieser Studie vorgenommene Begrenzung des Quellenmaterials auf volkssprachliche bzw. ins Deutsche übersetzte Postillen stellt somit eine Konzentration auf diejenigen Passionsauslegungen dar, die auf die direkte Weitergabe an die Bevölkerung in Kirche und Haus angelegt waren. Dadurch, dass sie sowohl im lutherischen als auch im altgläubigen Kontext große Verbreitung fanden und Auslegungen weitgehend derselben Perikopen beinhalten, eignen sich Postillen hervorragend für konfessionsvergleichende Studien zu bestimmten Bibeltexten, Themen, Kirchenjahreszeiten und Festen.68 64  Vgl. dazu die Anhänge a. a. O., 445–558. Erste Pionierarbeit in diese Richtung leistete Rub­l ack, Predigt, an den Frymire anknüpfte. 65  Erschienen Winter-, Sommer- und Festteil der Postille eines Autors in Einzeldrucken, so wurden diese von Frymire separat gezählt. 66  S. u. Kapitel III.1. 67 Vgl. Holzem, Christentum, 370 f. 68  Frymire schreibt selbst, dass er ursprünglich „a cross-confessional analysis of Protestant and Catholic preaching on disaster, i. e., plagues, famines, wars, the Turkish menace, and the religious schisms of early modern Germany“ (Frymire, Primacy, 1) geplant hatte und im ersten Kapitel einen Überblick über das Postillenwesen dieser Zeit geben wollte. Aus den immer umfangreicheren Vorarbeiten wurde schließlich das mediengeschichtliche Buch.

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I. Einführung

Beginnt man wie in der vorliegenden Untersuchung bei den Anfängen des Postillenwerkes Luthers, so stehen sich jedoch noch keine ausgebildeten Konfessionen gegenüber. Vielmehr spiegeln sich in den Predigten die Auseinandersetzungen der Lager, die mehr oder weniger differenzierte Wahrnehmung voneinander, die nicht selten pauschalen Abgrenzungen, aber auch der mitunter konstruktive Umgang mit der theologischen Kritik der Gegenseite. So zeugen die Postillen von dem im Detail gar nicht so geradlinigen Weg von der reformatorischen Bewegung zu einander gegenüberstehenden Konfessionskulturen.

3  Von der reformatorischen Bewegung zur Entstehung konfessioneller Kulturen: Das 16. Jahrhundert 3.1  Reformation, Konfessionelles Zeitalter und das Konfessionalisierungsparadigma Die Zeit der Reformation war zweifelsohne eine bewegte und unruhige Zeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und darüber hinaus in weiten Teilen Europas.69 In ihr dominierte der Streit um das rechte Verständnis des christlichen Glaubens, einer dem entsprechenden religiösen Praxis und frommen Lebensführung mit allen Konsequenzen für geistliche und weltliche Herrschaft, für Einzelne und Gesellschaften, für Obrigkeiten und Untertanen, für Städte, Universitäten, Orden, usw. die öffentliche Debatte. Da sich dieser Streit weder sachlich noch machtpolitisch lösen ließ, prägte die Folgezeit das konfessionelle Moment in der Weise, dass sich nunmehr unvereinbar konkurrierende Gestalten des Christentums in Abgrenzung voneinander etablierten und nebeneinander existierten. Die Reformation führte in ein konfessionelles Zeitalter. Der Begriff des konfessionellen Zeitalters findet sich in prominentem Gebrauch erstmals bei Ernst Troeltsch. Aktuell wird er jedoch weniger in dessen Sinn, sondern meist im Zusammenhang mit dem sog.  Konfessionalisierungsparadigma verwendet70 – ein insbesondere die deutschsprachige allgemein- wie kirchenhistorische Forschung lange Zeit dominierendes Konzept, das sich seit den späten 1970er und frühen 1980er Jahren mit den Namen Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling verbindet.71 Grob verallgemeinert wurden durch den 69 

Die europäische Dimension wird gegenwertig verstärkt in den Fokus gerückt, vgl. etwa Dingel, Reformation, 249–276; K aufmann, Erlöste, 195–347. 70 Vgl. Koch, Das konfessionelle Zeitalter, 48 f.; Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter, 31 f. Troeltsch verstand unter dem konfessionellen Zeitalter das 16.  und einen Großteil des 17. Jahrhunderts als eine Zeit zwischen Mittelalter und Neuzeit, dem er den sog. Altprotestantismus zurechnete, der noch stärker mittelalterliche Züge trage und der von dem eigentlich modernen und neuzeitlichen sog. Neuprotestantismus zu unterscheiden sei. Das Konfessionalisierungsparadigma betont demgegenüber die Modernisierungstendenz der Zeit nach der Reformation. 71  Es ist im Rahmen dieser Einführung nicht möglich, auf die Fülle der Forschungen und



3  Das 16. Jahrhundert13

Begriff der Konfessionalisierung „die funktionalen und entwicklungsgeschichtlichen Äquivalenzen und die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Konsequenzen der konfessionellen Formierung – und nicht die konfessionellen Spezifika  – in den Vordergrund“72 gerückt. Er ist als Weiterentwicklung des von Ernst Walter Zeeden etablierten Konzeptes der Konfessionsbildung zu verstehen, das als Alternative zum Begriff der Gegenreformation – zur Bezeichnung der als auf die Reformation folgenden Epoche  – bereits die parallele Herausbildung der Konfessionen betonte, als „die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform“.73 Reinhard und Schilling konnten diese Zwischenzeit noch weiter aus konfessionell einseitigen Deutungen und negativ besetzten Begriffen wie Glaubensspaltung und Gegenreformation lösen, indem nun parallel von katholischer, lutherischer und reformierter Konfessionalisierung gesprochen wurde. Zudem und insbesondere konnte mit der konzeptionellen Erweiterung durch die enge Verbindung zur frühmodernen Staatsbildung der positive Wert dieser Zeit mit ihrer konfessionellen Durchdringung für die Modernisierung herausgestellt werden. Die Zeit zwischen der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg trat in der Forschung aus ihrem Schattendasein heraus, sodass „das Paradigma allein wegen seiner inspiratorischen Kraft und seiner forschungsleitenden Perspektivierung als überaus erfolgreich gewertet werden muss, auch und gerade deswegen, weil es sich durch die dabei zutage geförderten Ergebnisse teils selbst korrigierte, teils modifizierte, teils seinen Geltungsanspruch einschränkte“.74

Als korrekturbedürftig wurde aus kirchenhistorischer Perspektive die eher funktionale Behandlung des Konfessionellen etwa in Bezug zum Prozess der frühmodernen Staatsbildung und überhaupt der frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Modernisierung angemahnt: Zum einen werde durch die einseitige Hervorhebung des strukturell Ähnlichen das jeweils Eigentümliche der Konfessionen und konfessionellen Prägungen zu wenig beachtet; zum anderen werde durch Diskussionen um diesen Begriff einzugehen. Grundsätzlich wird in den einzelnen Kapiteln die jeweils konkrete Forschung zu Personen und Kontexten aufgegriffen. Exemplarisch sei hier auf den die Debatten bündelnden und Stärken und Schwäche des Forschungskonzeptes evaluierenden Sammelband Brockmann/Weiss, Konfessionalisierungsparadigma verwiesen (darin besonders die Einleitung der Herausgeber a. a. O., 1–22 sowie die Aufsätze von Harm Klueting a. a. O., 45–65 und Andreas Holzem a. a. O., 127–164) sowie auf die Zusammenfassung der Diskussion bei Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation, 62–79 und den bereits etwas älteren zweiteiligen Literaturbericht: K aufmann, Konfessionalisierung. 72  Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation, 64. 73  Zeeden, Grundlagen, 88. Zur Arbeit Zeedens vgl. den Sammelband Gerstmeier/ Schindling, Zeeden, besonders das Vorwort der Herausgeber (a. a. O., 7–30) und den Beitrag von Johannes Burkhardt (a. a. O., 59–88). 74  Holzem, Augenaufschlag, 138.

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I. Einführung

die funktionale Betrachtung des Religiösen die Bedeutung dieser Dimension für die Menschen der Zeit nicht angemessen gewürdigt. Modifikationen in diese Richtung hat das Konfessionalisierungsmodell einerseits – ausgehend von Forschungen zur lutherischen Konfessionalisierung  – durch Thomas Kaufmanns Rede von den „Konfessionskulturen“75 und – ausgehend von Forschungen zur katholischen Konfessionalisierung  – durch Andreas Holzems Rede von den „Konfessionsgesellschaften“76 erfahren. Beide betonen damit die Bedeutung der konfessionell je eigenen Inhalte und Formen. Kaufmann geht es zudem darum, dass die Reformation nicht zum bloßen Vorlauf der Konfessionalisierung degradiert wird – beide voneinander zu scheiden, „ist offenkundig sinnlos“.77 Dagegen, dass nun durch den engen Zusammenhang von Reformation und konfessionellem Zeitalter bei Kaufmann die Gegenüberstellung zum Spätmittelalter umso stärker betont wird, hält Holzem fest: „In diese Debatte müsste, ohne völlige Einebnung zu einer unterschiedslos durchlaufenden Reformzeit, als drittes Element Pluralisierung und Wandel der spätmittelalterlichen Frömmigkeitskultur hinzugenommen werden.“78 Das Konfessionalisierungsparadigma, so hat die Debatte der letzten Jahrzehnte ergeben, hat seine unabweisbaren Stärken, doch ist es fraglich, ob es die zahlreichen Einzelphänomene und regionalen Unterschiede der Zeit insgesamt adäquat integrieren kann. Neben der Bedeutung der inhaltlichen und formalen Unterschiede der Konfessionen stellen etwa auch gemischtkonfessionelle Gebiete und das Verhältnis von obrigkeitlicher Verordnung bzw. Durchsetzung und Widerstand oder Eigeninitiativen aus der Bevölkerung, Adel und Bürgertum vor gewisse konzeptionelle Schwierigkeiten.79 Um dem zu begegnen und dennoch weiter von Konfessionalisierung als übergeordnetem Begriff reden zu können, hat Holzem das Konzept so weit modifiziert, dass von ihm die Grund75 Vgl. K aufmann, Dreißigjähriger Krieg; ders., Konfession. Mauerer, Konfessions­ kulturen verwendet den Begriff in kulturgeschichtlicher Perspektive in Analogie zu ‚Nationalkultur‘ oder ‚Standeskultur‘ sehr allgemein im Blick auf die kulturelle Prägekraft des Religiösen in Europa seit der Reformation, ohne auf die terminologischen Diskussionen genauer einzugehen. Zum gegenwärtigen Stand der Debatte um den Begriff der Konfessionskultur vgl. die Beiträge von Emich/Pohlig, Konfessionskultur(en); Emich, Konfession; Pohlig, Kern; Wassilowsky, Konfessionskultur. 76 Vgl. Holzem, Augenaufschlag; ders., Katholische Konfessionalisierung; historiographisch umfangreich ausgeführt in: ders., Christentum. 77  K aufmann, Konfession, 7. „Die Persistenz und nachhaltige Prägekraft des Konfessionellen ist ein gewichtiges Argument gegen das etatistisch geprägte Konfessionalisierungskonzept, das die Konfessionen in funktionstheoretischer Perspektive primär als integrationsstiftende und sozial disziplinierende Momente im Prozeß frühmoderner Staatsbildung analysiert hat“ (a. a. O., 13). 78  Holzem, Augenaufschlag, 157. Berndt Hamm, auf den sich Holzem für ein differenzierteres Verhältnis von Spätmittelalter und Reformation immer wieder bezieht, problematisiert das Denken in Epochen – gerade bezüglich der Reformation, ausgehend von seiner Forschung zum 14. bis 16. Jahrhundert – inzwischen grundsätzlich (vgl. Hamm, Abschied). 79 Vgl. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation, 67–71.



3  Das 16. Jahrhundert15

frage der frühen Konfessionalisierungsforschung umgekehrt wurde.80 Stattdessen verband Kaufmann mit seiner Einführung des Begriffs der Konfessionskulturen eine grundsätzliche Kritik an der konzeptionellen Leistungsfähigkeit des Konfessionalisierungsparadigmas.81 3.2  Passionspredigt im Horizont von Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und Konfessionskultur Statt einer zu starken Modifikation oder einer Verabschiedung des Konfessionalisierungsbegriffs kann dieser jedoch auch seiner zu schweren Bürde eines umfassenden Konzeptes entlastet und als ein wichtiges Element der Folgezeit der Reformation begriffen werden. So lassen sich mit Gottfried Seebaß Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und die Entstehung von Konfessionskulturen als drei zeitlich weitgehend parallel verlaufene Vorgänge verstehen, durch deren begriffliche Differenzierung verschiedene Aspekte des konfessionellen Zeitalters hervorgehoben werden: „Dabei meint ‚Konfessionsbildung‘ jenen bereits um 1530 einsetzenden Vorgang, innerhalb dessen sich die Konfessionen bewußt herausbilden, gegeneinander abgrenzen, konfessionsspezifische Züge bewußt herausarbeiten und eben damit konfessionelle Identitäten ausbilden. […] Mit ‚Konfessionalisierung‘ ist im Sinne Schillings und Reinhards jener Vorgang gemeint, in dem diese Konfessionen […] obrigkeitlich geduldet oder vorangetrieben, politisch und gesamtgesellschaftlich bestimmend wurden. […] Unter ‚Konfessionskulturen‘ wird mit Kaufmann jener […] Vorgang gemeint, in dem die Konfessionen, aber ebenso die christlichen Gruppen, die nicht zu einer bestimmenden Konfession wurden, von ihrem Glauben her die unterschiedlichsten lebensweltlichen Zusammenhänge durchdrangen und prägten.“82

Die aspektive Begriffsverwendung bietet sich an, um verschiedene Dimensionen und ineinandergreifende Vorgänge der Zeit zu verdeutlichen. So liegen etwa für die vorliegende Studie durch die behandelte Übergangszeit der Begriff der Konfessionsbildung und durch den theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Fokus der Kontext entstehender Konfessionskulturen nahe. Zugleich kann aber auch die Funktion der Postillen im Zusammenhang der versuchten Konfessionalisierung wahrgenommen werden, wenn diese den Pfarreien obrigkeitlich zur Anschaffung befohlen werden. Postillen sollten als Medium weniger kontrovers80 Vgl. Holzem, Christentum, 10: „Vorrangig geht es um das religiöse Wissen und seine Praxeologie selbst; erst von dort her wird nach dem funktionalen Bezug zur Entstehung der modernen Welt zu fragen sein. Nur so kann religiöses Wissen und Verhalten in seiner praktischen Logik und in seinen vielfältigen Sinnbezügen des Rück- und Vorgriffs genauer erfasst werden – sei es bei Einzelnen und Gruppen oder sozialen Systemen und politischen Institutionen.“ 81 Vgl. K aufmann, Konfession, 3–26. 82  Seebass, Geschichte des Christentums, 231 f. In diesem aspektiven Sinne ließen sich dann auch wieder Begriffe wie Gegenreformation in unpolemischer Weise verwenden.

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I. Einführung

theologisch nach außen als vielmehr zur Konsolidierung und Identitätsbildung der jeweiligen konfessionellen Lager nach innen wirken. Wurde das Thema Predigt und Konfessionalisierung bislang vor allem mit Blick auf die Zeit ab Mitte des 16. Jahrhunderts angegangen,83 so liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit durch den Einsatz bei Luther und der Frage nach dessen passionstheologischer Prägekraft auf dem von Kaufmann geforderten Zusammenhang von Reformation und konfessioneller Zeit. Luther wird jedoch nicht lediglich unter der Perspektive der Wirkungen auf Theologie, Frömmigkeit und Publizistik betrachtet, sondern wiederum selbst in den Kontext der zeitgenössischen Passionstheologie und -frömmigkeit eingebettet. Die nicht selten einlinige Forschung innerhalb nur einer Konfessionskultur wird schließlich durch die Einbeziehung altgläubiger Postillen erweitert, sodass konfessionsübergreifende Wechselwirkungen und Interferenzen wahrgenommen werden können. So gilt es einerseits im Blick auf die Kontextualisierung der behandelten Theologen, diese in dem Prozess sich herausbildender Konfessionen mit ihren jeweiligen konfessionskulturellen Prägungen zu verorten. Andererseits ist auch umgekehrt die Bedeutung der Entwicklungen der theologischen Auseinandersetzungen, die sich in den Predigten spiegeln, für das Bild der im 16. Jahrhundert entstehenden Konfessionen zu evaluieren.84

4  Zur Quellenauswahl 4.1 Kriterien In der vorliegenden Arbeit werden Passionsauslegungen in Postillen aus der Zeit vom Beginn der Reformation bis zur Fertigstellung des Konkordienbuches (1580) untersucht. Das Quellenmaterial ist freilich immens, sodass die Bearbeitung sämtlicher in dem angegebenen Zeitraum erschienenen Postillen auf Kosten der detaillierten Analyse der einzelnen Predigten gehen müsste. Eine Auswahl der Quellen ist demzufolge notwendig. Dabei sollen einerseits genügend Quellen aus verschiedenen Jahrzehnten in die Untersuchung einbezogen werden, um eine gewisse Breite zu erlangen, die versucht, repräsentativ zu sein. Andererseits sind die größeren Linien sinnvollerweise nur auf der Grundlage von Einzelanalysen zu ziehen, durch die die Autoren und ihre Predigten bzw. Postillen im konkreten Kontext ihrer Zeit mit den spezifischen Konstellationen und Auseinandersetzungen verortet werden. Zu den Kennzeichen der Postille gehört die unmittelbare Ausrichtung auf den Gebrauch in der Kirche und gegebenenfalls in Haus und Schule. Sie stellt pri83  Für dem Kontext des Luthertums vgl. beispielsweise Holtz, Theologie; K aufmann, Universität, 435–602 und zuletzt Angel, Confessionalist Homiletics. 84  Dazu s. u. Kapitel VII.3.



4  Zur Quellenauswahl17

mär nicht einen Beitrag zu einer aktuellen theologischen Debatte dar, sondern möchte längerfristig als Nachschlagewerk für Prediger und Hausväter dienen. Schon der Fakt, dass eine vollständige Postille in der Regel mehrere hundert Blätter in zwei bis drei Bänden umfasste und eine entsprechend kostspielige Angelegenheit war, spricht für die intendierte Langlebigkeit bei einer solchen Anschaffung. Die Möglichkeit der Verbreitung über ein studiertes, lateinkundiges Publikum hinaus im Volk wurde verstärkt, wenn die Postille in der Volkssprache erschien oder in diese übersetzt wurde. Mit einer Beschränkung auf volkssprachliche Postillen sollen eben jene Passionspredigten in die Untersuchung einbezogen werden, die durch die Verbreitung über eine Postille eine potentiell weiterreichende Wirkung in der Bevölkerung entfalten konnten. Demnach gelten folgende Formalkriterien für die Auswahl aller Postillen: – Die Postillen sind in deutscher Sprache verfasst oder zeitnah ins Deutsche übersetzt worden. Bei einer Übersetzung ist die deutsche Fassung die vorrangig untersuchte Quelle, wobei vergleichend auf das lateinische Original eingegangen wird. – Die Postillen sind vollständig, d. h. sie umfassen das gesamte Kirchenjahr und enthalten einen Abschnitt über die Passion.85 Da die theologischen Prägungen und die konkrete Gestaltung der evangelischen Kirchen in den Territorien des Reiches durchaus verschieden waren, wird für die Auswahl der Postillen aus der reformatorischen Tradition Wittenberger Prägung zudem ein lokales Kriterium in Anschlag gebracht, damit in dieser Hinsicht eine relative Vergleichbarkeit gegeben ist: – Die Autoren haben mehrere Jahre im ernestinischen und/oder albertinischen86 Sachsen bzw. in direkt umliegenden Graf- und Ortschaften aus dem mitteldeutschen Raum (z. B. Eisleben, Mansfeld, Schmalkalden, Gera) als Pfarrer, Prediger oder Professoren der Theologie gewirkt. Bei den Postillen altgläubiger Autoren ist ein solches lokales Auswahlkriterium weniger sinnvoll, da es kein Wittenberg vergleichbares Ursprungszentrum im altgläubigen Kontext gab. Je nach Veröffentlichungszeitraum wurden deshalb zwei verschiedene Charakteristika als maßgeblich erachtet: – Zunächst sind die – aus den 1530er Jahren stammenden – frühesten volkssprachlichen Postillen berücksichtigt, die erkennbar in Reaktion auf die re85  In der Regel ist eine Karfreitagspredigt oder eine mehrere Predigten umfassende Auslegung der Passionsgeschichte Teil der Sonntagspostille. Das verdeutlicht die besondere Stellung der Passion im Kirchenjahreszyklus, der kein eigener Sonntag zukommt. Es kommt freilich vor, dass zwischen Palmsonntag und Ostersonntag keine Karfreitagspredigt erscheint, wenn tatsächlich ausschließlich Sonntagspredigten aufgenommen wurden. In Ausnahmefällen wurden Karfreitagspredigten auch in Festtagspostillen gedruckt. 86  Das albertinische Sachsen wird freilich erst mit Einführung der Reformation als Wirkungsstätte reformatorischer Geistlicher in Betracht gezogen.

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I. Einführung

formatorische Bewegung und den Erfolg der Postillen Luthers verfasst und verbreitet wurden. – Unter den Postillen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden solche mit höherer Auflagenzahl ausgewählt, um von einer gewissen Verbreitung unter der Pfarrerschaft und im Volk ausgehen zu können. 4.2 Auswahl Aufgrund der genannten Kriterien erfolgt eine Auswahl von fünfzehn Autoren in einem Zeitraum von sechzig Jahren: Neben Martin Luther selbst wurden je sieben Postillatoren der Wittenberger reformatorischen Tradition (Johann Spangenberg [1484–1550], Philipp Melan­chthon [1497–1560], Veit Dietrich [1506– 1549], Johannes Wigand [1523–1587], Simon Musäus [1521–1576], Christoph Vischer [1518–1598], Johann Habermann [1516–1590]) und aus dem altgläubigen Lager (Johannes Eck [1486–1543], Friedrich Nausea [1496(?)–1552], Georg Witzel [1501–1573], Johann Wild [1495–1554], Jakob Schöpper [ca. 1512/16– 1554], Michael Helding [1506–1561], Johann Craendonch [† 1572]) in die Untersuchung einbezogen. Gegebenenfalls wurden mehrere Postillen mit verschiedenen Passionspredigten eines Autors berücksichtigt. Die Auswahl der unterschiedlichen Autoren bringt eine Vielfalt an Passionspredigten schon in formaler Hinsicht mit sich. So variieren der Umfang der Passionsauslegungen und die Anzahl der in die Postillen aufgenommenen Predigten erheblich. Sie reichen von einzelnen Karfreitagspredigten über ausführlichere Auslegungen der Passionsgeschichte bis zu umfangreichen Predigtreihen. Ohne also für diese publikationsstarke Zeit Vollständigkeit beanspruchen zu können, versucht die Auswahl an Passionspredigten doch eine gewisse Breite an lutherischen und altgläubigen Auslegungen in den Jahrzehnten seit der Reformation zu repräsentieren.

5 Zu Methode, Fragestellungen und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Studie zielt darauf, passionstheologische Prägungen und Entwicklungen über einen Zeitraum von sechzig Jahren seit Beginn der Reformation herauszuarbeiten. Dies setzt einen Vergleich sowohl von Personen und Predigten verschiedener Jahrzehnte innerhalb einer konfessionellen Orientierung als auch der konfessionellen Lager untereinander voraus. Grundlage dessen ist wiederum die Arbeit an einzelnen Theologen und deren Passionspredigten in ihrem jeweiligen Kontext. Deshalb werden in dieser Arbeit methodisch drei Untersuchungsebenen unterschieden, auf denen je eigene Fragestellungen verhandelt werden. Sie werden im Folgenden im Zusammenhang mit der Darstellung der Gliederung ausgeführt, da der Aufbau der Studie für die Untersuchungsebenen transparent ist.

5 Zu Methode, Fragestellungen und Aufbau der Arbeit19



5.1  Erste Untersuchungsebene Auf der ersten Untersuchungsebene kommen die Autoren und ihre Werke jeweils für sich in den Blick.87 Damit wird ein Beitrag zur Erforschung der einzelnen Theologen und ihrer Predigten geleistet. Die Unterkapitel zu den Autoren sind dreigeteilt: Zu Beginn steht die Kontextualisierung der Postille in ihrem Entstehungs- und Veröffentlichungszusammenhang. Diese bildet die Basis für die Predigtanalysen, die  – dargestellt unter dem Titel „Zur Charakterisierung der Passionspredigten“  – vornehmlich unter theologischen und rhetorischen Gesichtspunkten vorgenommen werden: Wie wird die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi erklärt und den Hörerinnen und Hörern vermittelt? Welche theologischen Akzente werden gesetzt und welche sprachlich-stilistischen Elemente bevorzugt? Auf welche Kontroversen wird Bezug genommen und wie werden diese angegangen? Zum Schluss werden die Passionspredigten unter Fragestellungen betrachtet, die jeweils für alle Autoren eines Kapitels gelten und die der zweiten Untersuchungsebene angehören. Eine Sonderrolle nimmt in diesem Zusammenhang das II. Kapitel über Martin Luther ein, da dieses drei Postillen verschiedener Jahrzehnte behandelt und da insbesondere Kapitel II.2 über den Passionssermon zugleich die Grundlage für die Fragestellungen der dritten Untersuchungsebene nach dem Profil lutherischer Passionspredigt und nach möglichen theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Entwicklungslinien bildet. 5.2  Zweite Untersuchungsebene Die zweite Untersuchungsebene bezieht sich auf die Kapitel, in denen je drei bis vier Autoren eines Zeitraumes gruppiert sind, geordnet nach evangelischem und altgläubigem Lager.88 Die Passionspredigten der Theologen eines Kapitels 87 

Zu Johannes Eck s. u. Kapitel III.2, zu Friedrich Nausea s. u. Kapitel III.3 usw. Gegenstand der Untersuchung sind, exakter formuliert, Postillen einerseits aus der reformatorischen Tradition Wittenberger Prägung und andererseits von Autoren, die sich nicht der reformatorischen Bewegung und den entstehenden evangelischen Kirchentümern angeschlossen haben, sondern bewusst der bestehenden kirchlichen Organisation mit dem Papst an der Spitze treu blieben. Der Einfachheit halber wird in dieser Arbeit teilweise kurz von ‚Evangelischen‘ und ‚Altgläubigen‘ gesprochen, da man sich in der hier behandelten Zeit der Postillendrucke ab 1530 durchaus als gegenüberstehende Lager wahrnahm, ohne dass damit die jeweils bestehende Vielstimmigkeit innerhalb der Lager negiert werden soll. Die später als ‚reformiert‘ bezeichnete reformatorische Tradition Zürcher und Genfer Prägung spielt für den behandelten Zeitraum keine bedeutende Rolle, da die praktizerte lectio continua an der Perikopenordnung orientierte Postillen nicht erforderte (vgl. dazu Frymire, Primacy, 225–251). Die Verwendung der Begriffe ‚evangelisch‘ und ‚altgläubig‘ ist durchaus nicht unproblematisch, da grundsätzlich auch das jeweils andere Lager für sich in Anspruch genommen hat, dem Evangelium gemäß bzw. im alten christlichen Glauben zu leben. Der Vorteil der Begriffsverwendung besteht jedoch darin, dass beide Begriffe einen Selbstanspruch besitzen, der schon zeitgenössisch besonders stark vertreten und jeweils gegen das andere Lager zur Geltung gebracht wurde. Unter den hier behandelten Autoren zeigt sich dies einerseits bei Spangenberg, der von ‚den Evangelischen‘ im 88 

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I. Einführung

werden unter gemeinsamen Fragestellungen analysiert und am Ende der Kapitel miteinander verglichen:89 In Kapitel III werden mit Johannes Eck, Friedrich Nausea und Georg Witzel altgläubige Autoren behandelt, deren Postillenpublikation in die 1530er Jahre fällt. Da es sich bei diesen Postillen um frühe Reaktionen auf die reformatorische Herausforderung handelt, wird gefragt, ob und inwiefern dies auch in den Passionspredigten Niederschlag gefunden hat: Wie werden die evangelischen Gegner dargestellt? Bei welchen Themen wird auf sie reagiert? Zeichnen sich spezifisch passionstheologische Kontroversthemen ab? Das IV. Kapitel beinhaltet mit Johann Spangenberg, Philipp Melan­chthon und Veit Dietrich drei Theologen des Wittenberger reformatorischen Lagers, deren Postillen Mitte der 1540er Jahre veröffentlicht wurden.90 Ihre Passionspredigten werden daraufhin befragt, wie sie die Impulse Luthers aufnehmen und eigenständig verarbeiten: Inwiefern stellen sie sich als reformatorische Passionspredigten dar? Woran knüpfen sie bei Luther an und welche eigenen Akzente setzen sie? Kapitel V fasst die zwischen 1550 und 1570 veröffentlichten Postillen der altgläubigen Reformtheologen Johann Wild, Jakob Schöpper und Michael Helding sowie die Neuausgabe der Spangenbergschen Postille durch den Franziskaner Johann Craendonch zusammen. Bei diesen Autoren begegnet grundsätzlich eine Offenheit für kirchenreformerische Anliegen, jedoch ohne dass sie sich der Reformation angeschlossen hätten. Damit aber stellen sich die Fragen: Unterscheidet sich deren Umgang mit den Impulsen der Reformation im Vergleich zu den in Kapitel III behandelten Autoren? Wurden einmal festgestellte Gegensätze bloß weiter kultiviert oder findet eine argumentative Auseinandersetzung statt? Lässt sich möglicherweise auch ein konstruktiver Umgang mit reformatorischen Anliegen ausmachen? Schließlich werden im VI. Kapitel mit Johannes Wigand, Simon Musäus, Christoph Vischer und Johann Habermann vier Theologen aus der Tradition der Wittenberger Reformation behandelt, deren Postillen zwischen 1560 und 1580 erschienen sind. Wie in Kapitel IV wird auch hier nach den Kontinutäten gefragt: Findet eine passionstheologische Traditionsbildung im Kontext des Sinne einer Gruppenbezeichnung spricht, der er sich selbst zurechnet (s. o. Kapitel IV. 2.2.3), und andererseits bei Eck, der den ‚alten wahren Glauben‘ gegen die ‚Neuchristen‘ zu verteidigen sucht (s. o. Kapitel III.2.3). Die Begriffe werden daher anderen möglichen Gruppenbezeichnungen, die in dieser Hinsicht nicht auf einer Ebene liegen, wie beispielsweise ‚Protestanten‘ und ‚Altgläubige‘ oder ‚Protestanten‘ und ‚Katholiken‘, vorgezogen. Die in dieser Hinsicht ebenfalls mögliche Gegenüberstellung von ‚Evangelischen‘ und ‚Katholiken‘ suggeriert zu stark ein Denken von späteren konfessionellen Ausprägungen her. 89  S. u. Kapitel III.5, Kapitel IV. 5 usw. 90  Bei Veit Dietrich handelt es sich nicht um eine eigene Postille, sondern um dessen Passionspredigten, die zusammen mit der von ihm herausgegebenen Hauspostille Luthers gedruckt wurden.



5 Zu Methode, Fragestellungen und Aufbau der Arbeit21

Wittenberger reformatorischen Erbes statt? Eben dieses Erbe war in dem entsprechenden Zeitraum jedoch Gegenstand theologischer Kontroversen. Wie also prägten die Streitigkeiten um das Erbe der Wittenberger Reformation die Passionspredigten? Wie verhalten sich die neuen Lagerbildungen zu den klassischen Gegnern, insbesondere den Altgläubigen? 5.3  Dritte Untersuchungsebene Die dritte Untersuchungsebene baut auf den Ergebnissen der beiden vorherigen Untersuchungsebenen auf. Sie beinhaltet Fragestellungen, die sich auf den gesamten Zeitraum und alle Postillatoren beziehen: Die Anzahl der Autoren, der quantitative Umfang der Passionsauslegungen und die Breite ihres Entstehungs- und Publikationszeitraumes ermöglichen es, im Sinne einer – nicht umfassenden, doch für den lutherischen und altgläubigen Kontext weitgehend repräsentativen – Bestandsaufnahme zu fragen: Wie wurde von wem über das Leiden und Sterben Jesu Christi gepredigt? Welche Arten der Passionspredigt bestimmten das 16. Jahrhundert? Wie wirkte sich reformatorische Theologie auf den Bereich der Passionsauslegung aus? Kristallisierte sich im Kontext lutherischer Theologie so etwas wie ein Typus lutherischer Passionspredigt heraus und wenn ja, welche Merkmale hat dieser? Die bikonfessionelle Perspektive lässt den Fragenkomplex erweitern: Welche spezifisch passionstheologischen Kontroversen und Konflikte gibt es zwischen den sich herausbildenden konfessionellen Lagern? Wurden diese von evangelischer und altgläubiger Seite gleich, ähnlich oder unterschiedlich eingeschätzt? Wie wurde überhaupt das jeweils andere Lager in den Passionsauslegungen wahrgenommen und thematisiert? In welcher Weise reagierten altgläubige Prediger auf die reformatorischen Impulse, Herausforderungen und Angriffe? Lassen sich gemeinsame Merkmale typisch altgläubiger Passionspredigten formulieren? Schließlich ist mit Blick auf die behandelte Zeitspanne zu fragen: In welcher Weise hat sich die Passionspredigt entwickelt? Zeigen sich Veränderungen über die Jahrzehnte im Umgang mit bestimmten Topoi? Wie wirkte sich die fortschreitende Konfessionsbildung auf die Wahrnehmung der konfessionellen Gegner und die Behandlung der kontroverstheologischen Themen aus? Die Ergebnisse dieser übergeordneten Fragen der dritten Untersuchungsebene werden im abschließenden Kapitel VII gebündelt.

II.  Martin Luther Unter den Postillen des 16. Jahrhunderts ragen hinsichtlich Popularität und Verbreitung diejenigen Martin Luthers bei Weitem heraus. Sie wurden an zahlreichen Orten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und darüber hinaus in unglaublicher Vielzahl gedruckt und gelesen.1 Das Gesamtwerk der Postillen Luthers besteht dabei aus diversen Zusammenstellungen von Auslegungen und Predigten des Reformators. Es ist in dem langen Zeitraum zwischen der Frühphase der reformatorischen Bewegung (1519/21) und der Situation der Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe nach Luthers Tod (1559) sukzessive gewachsen und immer wieder erweitert worden. In ihrer Genese, Verbreitung und den enthaltenen Auslegungen unterscheiden sich die (Teil-)Postillen Luthers signifikant, weshalb zunächst ein summarischer Überblick über das Postillenwerk des Wittenberger Reformators gegeben wird.2 ­Jeweils eigens hervorgehoben wird dabei, welche Passionspredigten in welche Postillen aufgenommen wurden.

1  Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick 1.1  Von den Anfängen bis zur Kirchenpostille Aus einem um den 16. Oktober 1519 verfassten Brief Luthers an Georg Spalatin, der als Vermittler zwischen Luther und Kurfürst Friedrich dem Weisen wirkte, geht hervor, dass der erste Impuls zur Abfassung einer Postille offenbar von dem ernestinischen Kurfürsten ausging.3 Zwar gab Luther an, dass er ziemlich beschäftigt sei, jedoch sehe er durchaus die Notwendigkeit, ein Hilfsmittel bereitzustellen, „quo puram Christi Theologiam in populo vulgarent & errores pellerent“.4 Luther arbeitete nicht kontinuierlich, jedoch immer wieder an 1 Vgl. Frymire, Primacy, 550–555 listet für das 16. Jahrhundert (1521–1598) 267 Drucke mit den Druckorten Wittenberg, Basel, Straßburg, Paris, Colmar, Augsburg, Regensburg, Erfurt, Leipzig, Magdeburg, Zwickau, Nürnberg, Frankfurt/Oder, Jena, Pforzheim, Frankfurt/ Main, Königsberg, Barth, Tübingen und Torgau auf. 2  Vgl. auch Kolb, Enduring Word, 191–195; Spehr, Art. Postillen. 3 Vgl. WA.B 1, 538 f. (Nr. 211). Spalatin notierte auf dem Brief unter der Adressatenanrede: „Doctoris Martini Responsum de Enarrandis Euangeliis et Epistolis MDXIX.“ 4  WA.B 1, 538 (Nr. 211,10 f.).

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II.  Martin Luther

dem Werk, das schließlich im März 1521 unter dem Titel Enarrationes epistolarum et euangeliorum, quas postillas vocant gedruckt vorlag.5 Es enthielt, wie der Titel angibt, Auslegungen der Epistel- und Evangelienperikopen, und zwar der vier Adventssonntage6 – daher auch Lateinische Adventspostille genannt.7 In der Widmung an den Kurfürsten schreibt Luther, dass dieser ihm geraten habe, von den ‚zänkischen, bissigen und aufwühlenden‘ Schriften Abstand zu nehmen,8 was angesichts der sich u. a. mit der Leipziger Disputation im Sommer 1519 zuspitzenden Lage9 durchaus verständlich ist. Diesem Wunsch nachkommend, habe er also Auslegungen „pro vulgo pastorum et populorum“10 verfasst. Dennoch betont Luther deutlich, dass auch schon Paulus die Bischöfe angewiesen habe, nicht nur in der heilsamen Lehre zu unterrichten, sondern auch die Widersprechenden zu widerlegen.11 Die Anweisung des Apostels kann Luther auf sich selbst beziehen, da mit Bischöfen nicht jene gemeint seien, die man äußerlich als solche erkennt, sondern alle mit dem „officium verbi“.12 Mit seinen Aus5 Vgl.

WA 7, 458 f. In der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers ist gelegentlich zu lesen, dass Luther beachtenswerterweise wohl 1517 „bereits zu der Perikopenordnung gelangt ist, welche hernach durch seine Kirchenpostille Gemeinbesitz der evangel. Kirchen geworden ist“ (WA 4, 622 Anm. 1). Noch im Advent 1516 habe er nach der Perikopenordnung der Consuetudo Romana gepredigt (vgl. die Predigten in WA 1, 104–111), nun jedoch sei er „zu dem ursprünglichen Perikopensystem zurückgekehrt“ (WA 2, 622 Anm. 1), er habe sich bei der Abfassung der Postillen an „der altkirchlichen Perikopenreihe“ (WA 10/I,2, XLII) orientiert. Bei dieser Erklärung scheint vorausgesetzt zu sein, dass die Consuetudo Romana die kirchliche Praxis bis dato selbstverständlich bestimmt habe und Luther sich von der altgläubigen Praxis bewusst abgesetzt habe (so ebd. im Anschluss an Bossert, Entstehung, 279). Eine andere Erklärung für die Perikopenauswahl, die von den Enarrationes an in den von Wittenberg ausgehenden Kirchen gängige Praxis wurde, liegt indes näher: 1516 und noch einmal 1518 wurde das 1494 entstandene Missale Brandenburgense von Luthers Diözesanbischof Hieronymus Schulz neu in den Druck gegeben – und dieses Messbuch enthält eben jene Adventsperikopen (abweichend von der Consuetudo Romana), die Luther ausgelegt hat (vgl. die mit Luthers Enarrationes übereinstimmenden Perikopen für den ersten Advent [aus Röm 13; Mt 21] in: Missale, fol. 1r; für den zweiten Advent [aus Röm 15; Lk 21] a. a. O., fol. 2v–3r; für den dritten Advent [aus 1 Kor 4; Mt 11] a. a. O., fol. 4r; für den vierten Advent [aus Phil 4; Joh 1] a. a. O., fol. 7v–8r). Natalie Krentz hat in der jüngsten umfassenden Studie zur frühen Reformation in Wittenberg zudem noch einmal bestätigt, dass das Missale Brandenburgense in Wittenberg sowohl bekannt als auch in Gebrauch war (vgl. Krentz, Ritualwandel, 26 f.). Luther hat sich demnach nicht bewusst von der altgläubigen Praxis abgewendet, sondern sich vielmehr schlicht nach der Perikopenordnung gerichtet, die in seinem Territorium gängig war. Ohnehin hat Paul Pietsch durch die von ihm untersuchten Plenarien herausgefunden, dass im Zeitraum zwischen 1473 und 1523 im deutschsprachigen Raum nicht unbedingt von einer einheitlichen Perikopenordnung ausgegangen werden kann (vgl. Pietsch, Ewangely). Das Missale Brandenburgense entspricht bei den Adventspredigten einem zeitgenössisch durchaus geläufigen Traditionsstrang (vgl. a. a. O., 64 Sigel A1). 7  Aufgenommen in: WA 7, 458–537. 8 Vgl. WA 7, 463,13 f.: „rixosis, mordacibus et turbulentis scriptionibus“. 9  Vgl. z. B. Schwarz, Luther, 80–86 sowie ausführlich Brecht, Weg, 285–332. 10  WA 7, 463,16 f. 11  Vgl. a. a. O., 464,20 f.: „Et Apostolus mandat, ut Episcopus non solum potens sit exhortari in doctrina sana sed et contradicentes redarguere“ – eine Zitation von Tit 1,9. 12  A. a. O., 464,23. 6 

1  Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick25



legungen gehe es ihm grundsätzlich darum, für das einfache Volk den ‚reinsten und einfältigsten Sinn des Evangeliums‘, das von menschlichen Zusätzen gereinigte Wort Gottes darzulegen.13 Die in der Gelehrtensprache verfasste Adventspostille wurde noch im gleichen Jahr in Basel, Paris und Straßburg – hier auch in deutscher Übersetzung – gedruckt und fand entsprechend sogleich eine überregionale Verbreitung.14 An seinem Postillenwerk arbeitete Luther in der zweiten Hälfte des Jahres 1521 auf der Wartburg weiter, die seit Mai sein Aufenthaltsort war.15 Die komplexen Entstehungsverhältnisse der sog. Wartburgpostille sind gut erforscht.16 Für den hiesigen Zusammenhang ist besonders das Ergebnis relevant: Luther verwarf seinen ursprünglichen Plan, die lateinischen Auslegungen weiterzuführen, und verfasste zunächst volkssprachliche Auslegungen der Epistel- und Evangelienperikopen von Weihnachten bis Epiphanias, die sog. Weihnachts­ postille, die wahrscheinlich im März des folgenden Jahres 1522 erschien.17 Nach Verfassen der Weihnachtspostille erarbeitete Luther auf Grundlage der Lateinischen Adventspostille, jedoch nicht – wie zunächst gedacht – einfach als Übersetzung, die sog. Deutsche Adventspostille, die kurz darauf, wohl im April, ebenfalls die Druckerpresse verließ.18 Die Weihnachtspostille leitete Luther mit dem programmatisch zu verstehenden Text Eyn kleyn unterricht, was man ynn den Euangelijs suchen und gewartten soll ein, der auch jedes Mal als Einleitung fungierte, wenn Advents- und Weihnachtspostille gemeinsam gedruckt wurden.19 In diesem Text verbindet Luther nach Dietrich Korsch „auf mustergültig klare und konzentrierte Weise die hermeneutischen Prinzipien der reformatorischen Bibelauslegung mit den systematischen Kernpunkten des neuen Glaubensverständnisses“.20 Auch für Reinhard Schwarz sind die Ausführungen Luthers in dem Text „so grundlegend, daß sie näher betrachtet werden müssen“.21 Beide Lutherforscher beziehen sich dabei vorrangig auf die Unterscheidung von Christus als Gabe und als Vorbild – eine Unterscheidung, die Luther in einem passionstheologischen Kontext gewon13 

Vgl. a. a. O., 465,11–15 (in Z. 11: „purissimo et simplicissimo Euangelii sensu“). Frymire, Primacy, 538. Die Einleitung in der WA kennt noch nicht alle Druckorte, da sich beispielsweise der Pariser Druck als ein Wittenberger ausgibt (in WA 7, 461 mit Sigel F). 15 Vgl. Schwarz, Luther, 130. Zur Arbeit an der Postille auf der Wartburg vgl. auch Brecht, Ordnung, 25–27. 16  Vgl. die ausführliche Einleitung von Walther Köhler in: WA 10/1,2, XLI–LXXIX. 17  Aufgenommen in: WA 10/I,1. 18  Aufgenommen in: WA 10/I,2, 1–208. 19  Vgl. die Drucke bei Frymire, Primacy, 538 f. Anders als die Übersicht Frymires suggeriert, enthalten der Baseler Druck von 1522 (VD16 L 4551) und der Colmarer Druck von 1523 (VD16 L 4552) jedoch nicht die Deutsche Adventspostille und die Weihnachtspostille, sondern die Weihnachtspostille zusammen mit der in Straßburg gedruckten deutschen Übersetzung der Lateinischen Adventspostille von 1521 (VD16 L 4550). 20  So in der Einleitung zu Ein kleiner Unterricht in: DDStA 1, 487. 21  Schwarz, Lehrer, 84. 14 Vgl.

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II.  Martin Luther

nen hat und sie in der Einleitung zur Weihnachtspostille für die Evangelien- und Evangeliumshermeneutik generalisiert.22 Auslegungen für die Epistel- und Evangelientexte eines weiteren Abschnittes des Kirchenjahres, die Zeit vom Sonntag nach Epiphanias bis Karfreitag, erschienen im November 1525: die sog. Fastenpostille.23 Die zügige Fertigstellung der Fastenpostille in der zweiten Jahreshälfte wurde durch einen Raub des (unvollständigen) Manuskriptes aus der Druckerei veranlasst, von dem Luther anscheinend erst durch den Druck des gestohlenen Manuskriptes erfuhr.24 Die Eile dürfte dafür verantwortlich sein, dass einige Auslegungen v. a. der Perikopen der späteren Sonntage erheblich kürzer sind als die meisten anderen.25 Außerdem verwies er an manchen Stellen auf bereits gedruckte Schriften aus seiner Feder und schließlich nahm er am Ende zwei Texte auf, die bereits früher im Druck erschienen waren. Bei einem der beiden Texte handelt es sich um den Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi aus dem Jahr 1519, der in der Fastenpostille als Karfreitagspredigt fungiert.26 Die Adventspostille, die Weihnachtspostille und die Fastenpostille decken zusammen die erste Hälfte des Kirchenjahres ab. Sie wurden ab 1525/26 nahezu ausschließlich zusammengenommen gedruckt. Als sog. Winterpostille erlebten sie bis zum Ende des 16. Jahrhunderts 45 Auflagen.27 Die überwiegende Mehrzahl der Auslegungen der Epistel- und Evangelienperikopen der Winterpostille sind gewissermaßen ‚am Schreibtisch‘ entstanden und gehen nicht auf gehaltene Predigten zurück. Dies gilt sicher auch für den Passionssermon28 von 1519.29 Das ändert sich mit den weiteren Postillen Luthers, in denen jeweils Anhänger des Reformators dessen mitgeschriebene Predigten zusammenstellten und nicht selten überarbeiteten – angefangen mit der das Kirchenjahr inklusive der Festtage umfassenden Postille, die Stephan Roth zwischen 1526 und 1528 zusammenstellte. Die folgenden Postillen enthalten – mit Ausnahme der von Cruciger herausgegebenen Sommerpostille – keine Auslegungen der Epistel-, sondern nur noch der Evangelienperikopen, über die Luther vorrangig gepredigt hat. Zudem wurden in der Fastenpostille erstmals bereits gedruckte Sermone in Postillen integriert – ein in der Folgezeit keineswegs mehr ungewöhnlicher Vorgang.30 22 

Dazu weiter in Kapitel II.2.6.1. Aufgenommen in: WA 17/II, 1–247. 24  Vgl. a. a. O., IX. 25  Vgl. a. a. O., XX. 26  Der Text wurden in WA 17/II nicht noch einmal abgedruckt; er findet sich in WA 2, 131–142. 27 Vgl. Frymire, Primacy, 540 f. In die WA wurde die Winterpostille nicht eigens aufgenommen. 28  Im Folgenden wird der Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi der Einfachheit halber kurz Passionssermon genannt. 29  S. u. Kapitel II.2.1. 30  Das erklärt sich u. a. schon allein daraus, dass zahlreiche Predigten Luthers in den frü23 



1  Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick27

Ende August 1526 erschien die von Stephan Roth herausgegebene31 sog. Sommerpostille mit Auslegungen der Evangelienperikopen für die zweite Hälfte des Kirchenjahres, von Ostern bis zum 24. Sonntag nach Trinitatis.32 Sie enthielt außerdem  – wie auch die folgende Fest- und Winterpostille  – zu Beginn jeder Perikope unter dem Stichwort Summa von Roth angefertigte Übersetzungen der von Johannes Bugenhagen stammenden Indices in Euangelia,33 was der Herausgeber auch in seiner Vorrede vermerkte.34 Die Sommerpostille trat gewissermaßen an die Seite der schon vorhandenen Winterpostille und erlebte in den ersten Jahren eine ebenso große Verbreitung wie jene: 32 Auflagen zwischen 1526 und 1537.35 Interessant ist hier, dass es sowohl ein Vorwort Roths als auch Luthers gibt, aus denen die Intention der Postille deutlich wird: Es ging nicht lediglich darum, die zweite Hälfte des Kirchenjahres mit Auslegungen abzudecken, sondern auch darum, die überall verstreut publizierten Predigten von Luther zu bündeln und durch Luther zu autorisieren.36 Schon Mitte der 1520er Jahre beginnt demzufolge ein Prozess der Kanonisierung der Werke Luthers.37 Im folgenden Jahr 1527 gab Roth auch eine sog. Festpostille heraus,38 d. h. Auslegungen der Evangelienperikopen „an den fürnemsten Festen jm gantzen jare“, wie es auf dem Deckblatt des Augsburger Erstdruckes heißt.39 Auch diehen 1520er Jahren unmittelbar als Einzelsermone gedruckt wurden und somit in dieser Form zur Verfügung standen. 31  Die Einleitung zu allen von Roth herausgegebenen Postillen findet sich in: WA 21, IX– XXV. 32  Aufgenommen in: WA 10/I,2, 209–441. 33  Vgl. die Einleitung zur kritischen Edition der Indices in Euangelia in: Bugenhagen, Werke I/1, 776 f. 34 Vgl. WA 10/I,2, 212,21–26. Roth gibt als Grund an: „Auff das jhe niemand kein entschuldigung habe, Das Euangelion sey jhm zu schwer oder nicht schier auff alle wege fürgetragen und an tag gehen.“ (a. a. O., 212,26–28). 35 Vgl. Frymire, Primacy, 542 f. 36  Stephan Roth beginnt seine Vorrede mit der Feststellung: „Es sind in kurtzen Jaren daher ettlich Sermon und Predigen vnder dem namen D. Martini Luthers außgangen, deren er fast das geringest teyl (wie es denn wol nach art der sprachen abzunemen) übersehen hat, welche nu zu letzt draussen im land in ein frembde sprach zusammen auf zwen oder drey hauffen on ordnung geworffen sind, so das einer nicht wayß, welcher der forderste oder der hinderste ist, will geschweygen, das sie so unfleyssig gedruckt, das mich schier wundertt, wie sich mancher einfeltiger daraus richten künne.“ (WA 10/I,2, 212,3–9). 37 Vgl. Michel, Kanonisierung. Roth war nach Michel der wichtigste unter den frühen Wittenberger Sammlern der Werke Luthers, dessen Sammelleidenschaft „als fast fanatisch bezeichnet werden“ müsse (a. a. O., 120). 38  Aufgenommen in: WA 17/II, 249–516. 39 Vgl. WA 10/I,2, XXVI (VD16 L 3977). Die Postille enthält u. a. je eine Predigt zum Fest der Auffindung des Kreuzes Christi (WA 17/II, 422–427 mit WA 20, 413–432) und zum Fest der Erhebung des Kreuzes Christi (WA 17/II, 483–485 mit WA 10/III, 332–341). Beide Predigten sind Zeugnisse des kritischen Umgangs Luthers mit den Phänomenen, die er als Missbräuche in der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit anprangerte (vgl. auch unten Kapitel II.2.3). Da es sich

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II.  Martin Luther

ses Werk fand mit 42 Auflagen bis Ende des Jahrhunderts großen Absatz40 und komplettierte gewissermaßen als dritter Teil die Postille Luthers – bestehend aus Winterteil, Sommerteil und Festteil. Schließlich brachte Roth noch eine weitere Winterpostille auf den Markt,41 die sich gegen die bereits existierende Winterpostille jedoch nicht durchsetzen konnte. Sie erlebte zwischen 1528 und 1535 ‚nur‘ sieben Auflagen und wurde danach nicht mehr gedruckt.42 Am Ende der Postille, im Anschluss an eine Gründonnerstagspredigt, wurden von Roth zahlreiche Sermone Luthers vorrangig aus der Zeit zwischen 1517 und 1521 platziert.43 Thematisch kreisen die enthaltenen frühen Erbauungsschriften44 zumeist um die Fragen von Buße, Beichte und Sakramente  – sie sind also nicht einfach Appendix, sondern kirchenjahreszeitlich passend um Gründonnerstag und Karfreitag platziert. Als eigentliche Karfreitagspredigt verwendet Roth, genau wie die Fastenpostille, den 1519er Passionssermon Luthers. Außerdem hat er die Bugenhagensche Harmonie von den Berichten des Leidens und Sterbens Jesu, seiner Auferstehung und Himmelfahrt im Anschluss an den Passions­sermon abgedruckt.45 Dies kann als Indiz dafür angesehen werden, „[w]ie sehr die Harmonie in diesen Jahren mit dem gottesdienstlichen Geschehen verbunden wurde“.46 Denn tatsächlich avancierte die  – entstehungsgeschichtlich vorreformatorische, humanistisch inspirierte47  – Passionsharmonie Bugenhagens in der von Wittenberg ausgehenden reformatorischen Tradition nach und nach zur selbstverständlichen Grundlage von Predigtreihen über die Passion Jesu Christi.48 Passionstheologisch relevant ist außerdem ein kurzer Text mit dem Titel Wie das Leiden Christi soll betrachtet werden, der seit 1518 als Anhang des auch in der Postille enthaltenen Sermons Von der würdigen Bereitung zu dem hochwürdigen Sakrament erschienen war.49 Ursprünglich entstammt der Text Wie das Leiden Christi soll betrachtet werden anscheinend einer bei den beiden Predigten jedoch nicht um Passionspredigten handelt, werden sie im Rahmen dieser Arbeit nicht eigens besprochen. 40 Vgl. Frymire, Primacy, 543 f. 41  Aufgenommen in: WA 21, 1–193. 42 Vgl. Frymire, Primacy, 544 f. Die Auflagenzahl bedeutete im Verhältnis zu den anderen Postillen Luthers gewissermaßen einen Flop; im Verhältnis zu den meisten späteren Postillen anderer Autoren ist sie dennoch beachtlich. 43 Vgl. WA 21, XXII–XXV. 44 Vgl. Schilling, Art. Erbauungsschriften. 45  Sie ist jetzt in verschiedenen Versionen kritisch ediert in: Bugenhagen, Werke I/1, 136– 605. 46  A. a. O., 89. 47  Vgl. a. a. O., 80 f. 48  Schon Luther predigte seit 1528 überwiegend nach der Passionsharmonie Bugenhagens (vgl. Mülhaupt, Einleitung, 29*–31*). Diese prägte die lutherische Frömmigkeit langfristig so, dass sie noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in zahlreichen skandinavischen Gesang­ büchern enthalten war (vgl. Bugenhagen, Werke I/1, 100 mit Anm. 160). 49  Dieser Sermon ist wiederum die deutsche Übersetzung des ebenfalls 1518 veröffentlich-



1  Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick29

kürzeren Nachschrift von Luthers Karfreitagspredigt aus dem Jahr 1518.50 Er gehört demnach noch in die Entstehungsgeschichte des 1519er Passionssermons.51 Da Luther mit der Arbeit Roths nicht sonderlich zufrieden war, dachte er seit Mitte der 1530er Jahre über eine Überarbeitung der Sommerpostille nach.52 Er delegierte die Aufgabe an Caspar Cruciger, der jedoch nicht sehr schnell voran kam, sodass die neu bearbeitete Sommerpostille erst 1544, knapp zwei Jahre vor Luthers Tod, im Druck erschien.53 Sie löste die Rothsche Sommerpostille ab, die nach 1537 kaum noch gedruckt wurde.54 Fortan bildete Crucigers Sommerpostille gemeinsam mit der Winterpostille die Kirchenpostille55 – zu der auch die Rothsche Festpostille als dritter Teil hinzutreten konnte.56 Eine offenbar ebenfalls angedachte Neubearbeitung der Festpostille durch Cruciger wurde nicht mehr in die Tat umgesetzt.57

ten lateinischen Sermo de digna praeparatione cordis pro suscipiendo sacramento eucharistiae (vgl. WA 1, 325–334). 50 Vgl. WA 1, 335. Die lateinische Vorlage des Textes ist abgedruckt a. a. O., 339 f. 51 Auf den lediglich ca. zwei Druckseiten umfassenden Text (Luther, Außlegu[n]g, fol. CLXr–CLXIr) wird in Kapitel II.2 gelegentlich verwiesen; er wird jedoch nicht darüber hinausgehend eigens thematisiert. 52  Vgl. die Einleitung zu der von Cruciger herausgegebenen Sommerpostille in: WA 22, XI– XXIX. 53  Aufgenommen in: WA 21, 195–551 und WA 22. 54  Frymire, Primacy, 542 f. gibt nach 1537 keine weiteren Drucke an. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich jedoch bei dem von Frymire (a. a. O., 545) der Sommerpostille Crucigers zugeordneten Straßburger Druck von 1544 (VD16 L 5609) um eine Neuauflage des Straßburger Drucks des Rothschen Sommerteils von 1537 (VD16 L 5600). Dafür spricht, dass (a) beide vom gleichen Drucker (Wolfgang Köpfel) als Element einer dreiteiligen Postille Luthers (b) unter dem gleichen Titel ohne weitere Bemerkung – wie z. B. „corrigirt und verbessert“ – veröffentlicht wurden (vgl. auch Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 1131 und 1132) und dass (c) VD16 bei beiden Drucken Bugenhagen als Beiträger angibt, dessen Summen Roth in seine Postillen aufgenommen hat. 55  Z. B. der Druck Luther, Kirchen Postilla, Wittenberg: Hans Lufft 1547 – der erste Teil (VD16 L 5613) enthält die Winterpostille (oben: 4.), der zweite Teil (VD16 ZV 23097) enthält die Sommerpostille Crucigers. Die WA weist darauf hin, dass die Kirchenpostille „kritiklos und mit vielerlei willkürlichen Änderungen nachgedruckt“ (WA 22, XXX) wurde, bis angefangen mit Philipp Jacob Spener um 1700 die Bemühung begann, eine ‚authentische‘ Kirchenpostille Luthers zu edieren (vgl. a. a. O., XXX–XXXIV). Verwirrenderweise läuft die Weihnachts­postille in WA 10/I,1 unter dem Titel „Kirchenpostille 1522“, obwohl dieser Name in den Drucken des 16. Jahrhunderts erstmalig 1544 über dem von Cruciger herausgegebenen Sommerteil steht (VD16 L 5611) und, wie erwähnt, danach für die Gesamtausgaben stand. Bei WA-internen Verweisen ist mit „Kirchenpostille“ zum Teil die Weihnachtspostille von 1522 gemeint (so z. B.  WA.B  12, 130 Anm. 6) und zum Teil das Gesamtwerk ab Mitte des 16. Jahrhunderts (so z. B.  WA 22, XXX). Die Weihnachtspostille kann wiederum auch unter eben diesem Titel laufen (so z. B.  WA 10/I,2, XIII). 56  Für ein Beispiel s. u. Anm. 60. 57 Vgl. WA 22, XIV.

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II.  Martin Luther

1.2 Die Hauspostillen Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist das Pendant zur Kirchenpostille: die von Veit Dietrich ebenfalls 1544 herausgegebene Hauspostille Luthers,58 die noch bis Ende des 16. Jahrhunderts auf über 70 Auflagen kam, zu denen auch mehrere Auflagen einer lateinischen Übersetzung sowie eine polnische und eine slowakische Übersetzung zählen.59 Der Name der Postille leitet sich vom Entstehungsort des Inhalts ab.60 Luther gibt in seiner Vorrede an, er habe die enthaltenen Predigten „in meinem hause gethan für meinem gesinde, Damit ich, als ein Hauß vatter, auch das mein thete bey meinem gesinde, sie zu unterrichten, ein Christlich leben zu füren“.61 Veit Dietrich habe als sein Tischgenosse die Hauspredigten ohne sein Wissen „auffgefangen und behalten“62 – doch nun, da sie schon erhalten sind, dürfen sie auch wie „brosamen, brocken und grumpen“63 zur Stärkung dienen. Dietrich nahm den Passionssermon Luthers nicht mehr in seine Postille auf; stattdessen zwei andere Passionspredigten: Die erste Predigt unter dem Titel Von 58 

Aufgenommen in: WA 52. Frymire, Primacy, 546–548 – die Liste abzüglich der Rörerschen Hauspostille. Die genaue Auflagenzahl variiert je nachdem, wie man die Drucke zählt, die nicht das ganze Kirchenjahr umfassen. 60  Offenbar etablierten sich die Bezeichnungen Kirchenpostille und Hauspostille wechselseitig zur Unterscheidung der beiden jeweils das ganze Kirchenjahr umfassenden Postillenwerke Luthers und trugen im Titel mit Kirche bzw. Haus den vorrangigen Entstehungszusammenhang – nicht in erster Linie, wie meist zu lesen (z. B. bei Eybl, Art. Postille; Friedrichs, Art. Postille), den intendierten Verwendungszusammenhang. Die Angabe in WA 52, VII, dass die Herausgabe der Kirchenpostille 1543 „zum Abschluß gekommen war“, ist insofern falsch, als auch der Erstdruck von Crucigers Sommerpostille erst Anfang 1544 erschien (in Wittenberg bei Hans Lufft [VD16 L 5610], vgl. WA 10/I,2, XXI f. Sigel Cr.A) – und zwar noch nicht unter dem Titel „Kirchen Postilla“! Die schon im Titel so bezeichnete „Haußpostil“ erschien in der Fastenzeit des gleichen Jahres (vgl. Klaus, Dietrich, 210) und wurde so anscheinend bewusst namentlich von anderen Postillenwerken unterschieden. Offenbar wiederum als Reaktion auf das Erscheinen der Hauspostille bekam nun das bisherige Postillenwerk den Namen „Kirchenpostille“ – erstmalig noch 1544 im Wittenberger Druck von Peter Seitz d. Ä. (VD16 L 5611). Noch in Veit Dietrichs Widmungsschreiben in der Hauspostille sprach er in Bezug auf das bestehende Postillenwerk Luthers nicht von „Kirchenpostille“, sondern schlicht von „D. Luthers Postill“ (WA 52, 3,18). Dass sich der Name Kirchenpostille als Bezeichnung für das (zwei- bzw.) dreiteilige Gesamtwerk der ‚großen‘ Postille Luthers erst allmählich und wiederum in Unterscheidung zur Hauspostille durchsetzte, zeigt auch das Beispiel des Leipziger Druckers Nikolaus Wolrab: Er veröffentlichte 1544/45 die dreiteilige Postille, bestehend aus dem Winterteil [VD16 L 5605], Crucigers Sommerteil [VD16 L 5606] und Roths Festteil [VD16 L 3992]. Im Jahr 1549 besorgte er eine weitere Auflage dieses Druckes (inklusive der letzten Seiten, die als Druckjahr 1544 bzw. 1545 angeben), nun jedoch mit neuem Deckblatt und dem Titel „Kirchen Postilla“ (Winterteil: VD16 L 5607; Sommerteil: VD16 L 5608; Festteil: VD16 L 5612. Frymire, Primacy, 522 ordnet diese fälschlicherweise ebenfalls den Druckjahren 1544/45 zu). 61  WA 52, 1,4–7. 62  A. a. O., 2,2. 63  A. a. O., 2,5. 59 Vgl.

1  Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick31



der frucht des leydens Christi64 besteht aus einer „Vorrede von der Passion predigt“65 und der eigentlichen Predigt „Von dem nutz des leidens Christi“66 über Röm 5,8–11. Daran angeschlossen findet sich eine explizit als Karfreitagspredigt gekennzeichnete Auslegung von Lk 23,32–43: Von dem gebett Christi am Creutz und Schecher zur rechten hand.67 Die Hauspostille wurde erstmalig 1544 bei Johann vom Berg und Ulrich Neuber in Nürnberg gedruckt,68 wo Veit Dietrich seit Dezember 1535 als Pfarrer wirkte.69 Bereits im folgenden Jahr erschien bei den gleichen Druckern eine weitere Auflage mit folgender Bemerkung auf dem Deckblatt: „Mit fleiß von newem ­ istori des corrigirt ‖ vnd gemeret mit XIII. Pre-‖​digen / von der Passio oder ‖ h leide[n]s Christi.“70 Obgleich die Postille schon in den ersten beiden Jahren auch ohne die Passio in Leipzig, Augsburg, Magdeburg und Wittenberg gedruckt wurde, waren die 13 Passionspredigten seit 1546 fester Bestandteil eines jeden weiteren Drucks der Hauspostille.71 Diese Reihe von Passionspredigten stammt jedoch nicht von Luther, sondern von Dietrich selbst.72 Das wurde allerdings in der Postille nicht vermerkt, sodass die Passio in der Regel als Predigten Luthers angesehen wurden: 1546 erschienen sie in Erfurt selbstständig als ein Werk Luthers.73 In den Kontext der theologischen Streitigkeiten der 1550er und 1560er Jahre um das Erbe Luthers bzw. der Wittenberger Reformation, die sich in den Konflikten zwischen den Universitäten Wittenberg und Jena mit ihren konkurrierenden Werkausgaben der Schriften Luthers besonders prominent ausdrückten,74 fällt die Veröffentlichung einer weiteren Hauspostille. Andreas Poach, der seit 1550 Pfarrer der Augustinerkirche in Erfurt war,75 ließ sie 1559 in Jena drucken76 – und zwar ausdrücklich mit der Absicht, die Dietrichsche Hauspostille 64 

A. a. O., 226–236. A. a. O., 226–228. 66  A. a. O., 228–236. 67  A. a. O., 237–244. 68  Vgl. a. a. O., XXIX Nr. 1 (VD16 L 4833). 69 Vgl. Klaus, Dietrich, 131. 70 Vgl. WA 52, XXXI Nr. 5 (VD16 ZV 10044 – dieser Druck fehlt in der Übersicht bei Frymire, Primacy, 546). 71 Vgl. Frymire, Primacy, 546. 72  Noch Georg Buchwald geht in seiner Einleitung zur Hauspostille in WA 52, VIII davon aus, dass die Passio von Luther stammt und sich die Quelle lediglich nicht nachweisen lasse (vgl. a. a. O., XXVI f.). Im Nachtragsband WA 60, 319–324 findet sich der korrigierende Vermerk, dass man inzwischen sicher sagen könne, dass es sich bei der Passio um Predigten Dietrichs handelt. Zur genaueren Begründung s. u. Kapitel IV. 4.1. 73 Vgl. WA 52, XXXIII unter „Nachtrag, die Passionspredigten enthaltend“ (VD16 ZV 4541). In dieser Arbeit werden die Predigten der Passio dennoch als von Dietrich stammend und also in einem eigenen Kapitel behandelt (s. u. Kapitel IV. 4). 74 Vgl. Volz/Wolgast, Geschichte, 464–543; Michel, Kanonisierung, 110–236. 75 Vgl. Jauernig, Poach, 198. 76 Vgl. WA 52, XXXV (VD16 L 4858). 65 

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II.  Martin Luther

durch eine solche zu ersetzen, die die Lehre und Predigt Luthers nicht durch Zusätze verfälscht. So heißt es schon auf dem Titelblatt: „aus M. Georgen Rö-‖​rers seligen geschriebenen Büchern / wie er die von jar zu jar aus sei-‖​nem des Doctors Mund auffgefasst vnd zuamenbracht / Trew-‖​lich on alle Enderung / Abbruch / oder Zusatz / auffs new ‖ zugericht / vnd in Druck geben.“77

Das Problem der bisher vorhandenen Hauspostille sei, wie Nikolaus von Amsdorff in einer Vorrede schreibt, dass darin „viel Lutheri predigten aussen gelassen / zum teil geendert / auch andere hinein gesatzt worden sind“.78 Der Herausgeber Poach spezifiziert in seinem Nachwort zudem: Gerade an der ­Passio könne man die Verfälschung sehen, da diese nicht von Luther, sondern von Dietrich selbst stamme – hat er sie doch bereits als seine eigene drucken lassen79 und Sibilla Baumgartner, der Frau des Nürnberger Patriziers Hieronymus Baumgartner,80 gewidmet.81 Die Poach-Rörersche Hauspostille beinhaltet eine eigene „Passio / oder Historia vom Leiden vnd sterben Jhesu Christi vnsers Heilands“,82 die aus fünf Predigten besteht. Tatsächlich entstammen die ersten vier Predigten einer Predigtreihe, die Luther 1534 – nicht in seinem Haus, sondern in der Pfarrkirche – gehalten hat;83 ergänzt durch eine erzählchronologisch in die Reihe passende fünfte Predigt aus dem Jahr 1531.84 Darüber hinaus enthält die Postille noch 77  Luther, Haußpostill [Poach], Titelblatt. Die WA hat die Poach-Rörersche Hauspostille nicht eigens ediert, da sämtliche Predigtmanuskripte aus der Feder Rörers ohnehin verstreut in der Weimarer Ausgabe vorhanden sind. Daher wird im Folgenden nach dem 1559er Druck (VD16 L 4858) zitiert, auf die Edition in Band 13/II der älteren Walchschen Ausgabe verwiesen (W2 13/II) und summarisch die WA–Stellen genannt, unter denen sich die Vorlagen Rörers finden lassen. 78  Luther, Haußpostill [Poach], fol. *3v ; Amsdorffs Vorrede ist in W2 13/II nicht enthalten. 79  Dietrich, PASSIO. 80 Vgl. Puchner, Art. Baumgartner. 81 „Vnd in der Vorrede vber die dreizehen Predigten von der Passion  / an die Fraw Bawmgartnerin / bekennet er / das dieselben dreizehen Predigten sein sind / vnd nicht D. Martini Luthers“ (Luther, Haußpostill [Poach], fol. 498r; Poachs Nachwort „An den Christlichen Leser“ ist in W2 13/II nicht enthalten). 82  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 139v (vgl. W2 13/II, 1750 f.). 83  Predigt 1 über Jesus im Garten Gethsemane (ursprünglich gehalten am Sonntag Judica, 22.3.1534), in: Luther, Haußpostill [Poach], fol. 139v–145v (vgl. W2 13/II, 1750–1767; vgl. WA 37, 322–327 [Nr. 18]); Predigt 2 über Jesus beim Hohepriester Kaiphas (ursprünglich gehalten am Tag Mariä Verkündigung, 25.3.1534), in: a. a. O., fol. 146r–151v (vgl. W2 13/II, 1768– 1785; vgl. WA 37, 330–335 [Nr. 20]); Predigt 3 über Jesus vor Pontius Pilatus (ursprünglich gehalten am Sonntag Palmarum, 29.3.1534), in: a. a. O., fol. 152r–158v (vgl. W2 13/II, 1786–1805; vgl. WA 37, 338–344 [Nr. 22]); Predigt 4 über Jesus auf Golgatha am Kreuz (ursprünglich gehalten am Karfreitag, 3.4.1534), in: a. a. O., fol. 158v–164r (vgl. W2 13/II, 1804–1821; vgl. WA 37, 352–358 [Nr. 25]) – diese vierte Predigt der Reihe ist auch diejenige, die Veit Dietrich in seiner Erstauflage der Hauspostille aufgenommen hat (s. o. Anm. 67); Dietrich hat sie außerdem in seine eigene Passio integriert (dazu s. u. Kapitel IV. 4). 84  Predigt 5 über das Begräbnis Jesu, mit einer Auslegung von Jes  53 im Anschluss (ur-



1  Luthers Postillenwerk und Passionspredigten im Überblick33

eine weitere Karfreitagspredigt über Joh 19,13–30, die Luther ursprünglich am Karfreitag, dem 11. April 1533 in seinem Haus gehalten hat.85 Bezeichnend für die Konkurrenzsituation und die ernestinische Konfessionspolitik ist, dass die neun Auflagen der Poach-Rörerschen Hauspostille bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ausschließlich in Jena, und in Jena ausschließlich die Poach-Rörersche Hauspostille gedruckt wurden.86 Das Titelblatt des Erstdruckes mit einem Holzschnitt, auf dem Luther und Johann Friedrich in Gebetshaltung unter dem Kreuz kniend zu sehen sind – ganz ähnlich dem Titelblatt des ersten Bandes der Jenaer Ausgabe der lateinischen Werke Luthers drei Jahre zuvor87 –, entspricht dieser konfessionell-territorialpolitischen Strategie: Die Ernestiner verstanden sich als standhafte Bewahrer des Erbes Luthers gegen alle Verfälschungen und Anpassungen.88 1.3  Resümee und These Von der Wartburgzeit bis zum Tod Luthers erschienen verschiedene Teilpostillen, durch die das Postillenwerk nach und nach erweitert wurde, wobei Luther in unterschiedlichem Umfang beteiligt war. Schrieb er zunächst selbst Auslegungen, wurden die Postillen später von seinen Mitarbeitern auf der Grundlage von Predigtmitschriften herausgegeben oder bereits gedruckte Sermone zusammengestellt. Die Predigtsammlungen wurden teils auf den Wunsch Luthers hin veröffentlicht, teils handelten die Redaktoren eher eigenmächtig. Zudem kombinierten die Drucker verschiedene auf dem Markt befindliche Teilpostillen miteinander. Aus der Vielfalt der 1520er und 1530er Jahre kristallisierte sich in den 1540er Jahren das Gegenüber von Haus- und Kirchenpostille heraus. Bezüglich der in den Postillen enthaltenen Passionspredigten reduziert sich die Komplexität erheblich: Der 1519 entstandene Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi war bis zur Veröffentlichung der Hauspostille von Veit Dietrich im Jahr 1544 die Passionspredigt Luthers. An ihm orientierte man sich, wenn man wissen wollte, was nach Luther über die Passion Jesu zu sagen ist, d. h. wie dem Wittenberger Reformator zufolge Leiden und Sterben des Erlösers ‚recht‘ und ‚fruchtbar‘ zu betrachten sind. sprünglich gehalten am Karsamstag Nachmittag, 8.4.1531), in: Luther, Haußpostill [Poach], fol. 164r–171r (vgl. W2 13/II, 1822–1841; vgl. WA 34/I, 258–271 [Nr. 26]). 85  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 176r–180r (vgl. W2 13/II, 1856–1867; vgl. WA 37, 21–23 [Nr. 8]). 86 Vgl. Frymire, Primacy, 547 f. 87  Zu dem Bildmotiv von Johann Friedrich und Martin Luther vgl. Michel, Luther, mit Abbildung des Titelblattes des ersten Bandes der Jenaer Luther-Werkausgabe a. a. O., 49. 88  Durch die Dynastie betreffende Hausverträge wurden dieses Selbstverständnis, das in der Beziehung der ernestinischen Fürsten zu Luther wurzelt (vgl. Spehr, Ernestiner), und eine entsprechende konfessionelle Bindung versucht, auf Dauer zu stellen (vgl. Westphal, Selbstverständnis).

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II.  Martin Luther

Diese These legt sich zunächst aufgrund der Verbreitung nahe: Schon als ursprünglich selbstständige Flugschrift fand der Passionssermon mit 31 Auflagen innerhalb weniger Jahre reißenden Absatz und erfuhr Übersetzungen ins Niederdeutsche, Dänische, Lateinische und Niederländische.89 Ab 152390 wurde der er fester Bestandteil des weit verbreiteten Betbüchleins Luthers91 und als Karfreitagspredigt gelangte er sowohl 1525 in die Fasten- bzw. Winterpostille als auch 1528 auch in die von Roth herausgegebene Winterpostille. Ab 1544/45 war er somit Bestandteil der großen Kirchenpostille Luthers. Außer dem Passionssermon waren keine gedruckten Passionspredigten oder eine Auslegung der Passionsgeschichte von Luther erhältlich. Die von Dietrich 1544 und von Poach 1559 herausgegebenen Hauspostillen nahmen den Passionssermon nicht auf, doch waren sie auch eher als Ergänzung denn als Ersatz der Kirchenpostille gedacht. Sie beinhalteten Passionspredigten späterer Jahre. Bei der folgenden inhaltlichen Analyse der in den Postillen Luthers enthaltenen Passionspredigten wird deshalb ein besonderes Gewicht auf den Passionssermon gelegt (II.2), bevor die Predigten (der Erstauflage) der Dietrichschen Hauspostille (II.3) sowie in veränderter zeitgeschichtlicher Situation die Predigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (II.4) betrachtet werden. Die herausragende wirkungsgeschichtliche Bedeutung des Passionssermons ist in den nachfolgenden Kapiteln III bis VI zudem inhaltlich durch die Analyse der Predigten evangelischer und altgläubiger Prediger in zweifacher Perspektive zu prüfen: Gibt er die passionstheologischen Grundlinien vor, die sich in lutherischen Passionspredigten der Folgezeit finden und sind die Motive, mit denen sich altgläubige Prediger kritisch auseinandersetzen oder die sie rezipieren, bereits in Luthers 1519er Passionssermon enthalten?92

2 Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525) 2.1  Der doppelte Kontext Als Predigt innerhalb der Postillen Luthers gehört der Passionssermon in den Zusammenhang der Durchsetzung und Konsolidierung der sich nach der Los89 Vgl. Benzing, Lutherbibliographie, 40–43 (Nr. 312–340); in WA 2, 131–135 sind etwas weniger Drucke verzeichnet. 90 Vgl. WA 10/II, 341. 91 Nach Benzing, Lutherbibliographie, 151–154 erschienen von dem Druck an, der den Passionssermon enthielt (Nr. 1284 = WA 10/II, 356 Sigel L), 36 Auflagen, wiederum inklusive Übersetzungen ins Niederdeutsche, Dänische, Lateinische und Niederländische. Ob tatsächlich alle diese Auflagen den Passionssermon enthalten, müsste eigens geprüft werden. 92  Auf diese Fragen wird in den Zusammenfassungen der Kapiteln III bis VI sowie in der Zusammenschau (Kap. VII) eingegangen.



2  Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)35

sagung von Rom neu konstituierenden reformatorischen Kirchen. Auf der einen Seite wurde der Papst bzw. das institutionalisierte Papsttum im Laufe des Jahres 1520 öffentlich als ‚Endchrist‘ respektive ‚Antichrist‘ identifiziert93 und die sog. Bannandrohungsbulle Exsurge Domine sowie das kanonische Recht am 10. Dezember 1520 durch Luther und einige seiner Studenten vor dem Wittenberger Elstertor symbolträchtig verbrannt94 – und dies schließlich literarisch aufbereitet verbreitet.95 Auf der anderen Seite wurde Luther in den Jahren 1520/21 durch Papst und Kaiser als Ketzer ordentlich exkommuniziert und geächtet. Damit war wechselseitig ein Bruch zwischen Luther und der zeitgenössischen Papstkirche vollzogen, der im späteren Verlauf der Geschehnisse trotz zahlreicher Ausgleichsbemühungen wie beispielsweise den Religionsgesprächen nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte.96 Die vollzogene Trennung der Wege stellt demnach den primären Rezeptionskontext des Passionssermons seit den frühen 1520er Jahren dar. Für den entstehungsgeschichtlichen Kontext ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Am 13. März 1519 schrieb Luther an Georg Spalatin: „habeo sermonem in mente de meditatione pass[ionis] Christi“97 und am 5. April konnte er ihm bereits den gedruckten Sermon zukommen lassen.98 Die Flugschrift Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi geht demzufolge nicht auf eine Karfreitagspredigt zurück,99 als welche sie später im Rahmen der Postillen fungierte. Sie gehört in den Zusammenhang der Veröffentlichung zahlreicher volkssprachlicher Schriften Luthers in den Jahren 1517 bis 1521, die im Titel nicht 93  Die öffentliche Identifizierung des Papstes bzw. des Papsttums als ‚Antichrist‘ erfolgte zunächst in Von dem Papstthum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig (WA 6, 285–324, hier z. B. 322,18), dann in An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (WA 6, 404–469, hier z. B. 434,16; 453,10 f.) und schließlich programmatisch im Titel der Flugschrift Adversus execrabilem Antichristi bullam (WA 6, 597–612) bzw. Wider die Bulle des Endchrists (WA 6, 614–629). Vgl. zum Thema K aufmann, Adel, 19–24; Leppin, Antichristverständnis; Moeller, Art. Papsttum, 112–114. 94  Lebendig erzählt bei Schilling, Luther, 200 f. Nach K aufmann, Erlöste, 128 nahm Luther mit dieser Aktion „für sich in Anspruch, die auf dem Fundament des kanonischen Rechts errichtete Papstkirche im Namen der wahren Kirche Jesu Christi zu exkommunizieren.“ 95  Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D. Martin Luther verbrannt sind (WA 7, 161–182). Es handelt sich hier um ein hervorragendes Beispiel der von Johannes Burkhardt als ‚gedruckte Berichterstattung‘ bezeichnete ‚mediengemachte Reformationsgeschichte‘ (vgl. Burkhardt, Reformationsjahrhundert, 35–43, v. a. 40). 96  Die in der Reformationsforschung äußerst umstrittene Metapher des ‚Bruchs‘ ist für die genannte Relation zwischen Luther und dem Papsttum im Zeitraum 1520/21 durchaus angemessen (so etwa bei K aufmann, Erlöste, 124), obgleich sie sich bei den verschiedenen Aspekten der Passionstheologie und -frömmigkeit als unpassend erweist – wie sich im Folgenden sowohl in der Analyse des Passionssermons Luthers als auch an den positiven Rezeptionsmöglichkeiten durch altgläubige Prediger (s. u. Kapitel V) zeigt. 97  WA.B 1, 359 (Nr. 161,26 f.). 98 Vgl. WA.B 1, 366 f. mit Anm. 3 (Nr. 166). 99  Der Karfreitag fiel im Jahr 1519 auf den 22. April. Der Sermon wurde also im Laufe der Fastenzeit, genauer: in den Tagen um den Sonntag Laetare publiziert.

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selten den Begriff ‚Sermon‘ tragen und heute häufig als Erbauungsschriften bezeichnet werden.100 Luther unterschied zumindest bis Ende 1519 recht genau zwischen seinen Publikationssprachen und den darin verhandelten Inhalten: Auf Latein schrieb er für ‚Gelehrte‘ und in deutscher Sprache für ‚Laien‘.101 Seine volkssprachlichen Sermone deckten dabei ein breites Feld frömmigkeitspraktischer und ethischer Themen ab, wobei er vielfach an die zeitgenössische seelsorgerlich-katechetische Literatur anknüpfte und dabei inhaltlich neue Akzente setzte.102 Luther agierte in seinen deutschen Flugschriften, die die erheblich größere publizistische Wirkung hatten,103 als ‚Frömmigkeitstheologe‘104 – zu einer Zeit, in der er weder ‚Ketzer‘ noch ‚Reformator‘ war.105 Eben jene Sermone dürfte er im Blick gehabt haben,106 wenn er in seiner Rede vor dem Kaiser auf dem Reichstag zu Worms am 18. April 1521 ausführt, dass er verschiedene Arten von Schriften verfasst habe, und darunter einige seien, „in welchen ich die gute des glaubens und der siten so Ewangelisch und schlechtlich gehandelt hab, das auch mein widerwertigen mussen bekennen fur nutzbar und unschedlich und allenthalben wirdig, das sie von Cristlichen leuten gelesen werden“.107 Bei der folgenden Interpretation ist diese doppelte Perspektive stets mit zu bedenken, auch wenn sie nicht durchweg eigens thematisiert wird: Einerseits ist der Passionssermon ein Text, der ganz in der Passionsfrömmigkeit der Zeit verwurzelt ist,108 an der Luther selbstverständlich partizipierte und an der er wich100 Vgl.

Brecht, Sermone; Schilling, Art. Erbauungsschriften. Moeller, Berühmtwerden, 22–24. 102 Vgl. Köpf, Luther, 66–74, v. a. 69 f. In der Regel werden diese Schriften in Lutherbiographien kaum in den Blick genommen, sondern stehen völlig im Schatten der Darstellung des Ketzerprozesses. Anders in der genannten Biographie Köpfs – der Wahrnehmung Luthers durch die Zeitgenossen wird dies eher gerecht. 103 Vgl. Moeller, Berühmtwerden, 36. 104  So beispielsweise bei Leppin als Bezeichnung für den Luther, der dann zum ‚Reformator‘ wurde (vgl. Leppin, Luther, 116) und ähnlich wie Moeller zur Unterscheidung zwischen dem (volkssprachlichen) Erbauungsschriftsteller einerseits und dem ‚streitlustigen Akademiker‘ andererseits in diesen Jahren (vgl. Leppin, Reformation, 67 f.). Der Forschungsbegriff der ‚Frömmigkeitstheologie‘ geht auf Berndt Hamm zurück: vgl. Hamm, Frömmigkeitstheologie; ders.: Was ist Frömmigkeitstheologie. 105 Vgl. Moeller, Berühmtwerden, 16. 106 Mit Schilling, Art. Erbauungsschriften, 297. 107  WA 7, 869,12–870,3. 108  So auch Thorsten Dietz in seiner Einleitung in: DDStA 1, 29, der allerdings formuliert, der Sermon sei vielfach „noch in Sprache und Formen der alten Frömmigkeit verwurzelt“ (Hervorhebung J. R.), was impliziert, Luther hätte sich später davon gewissermaßen ‚entwurzelt‘. Dies mag für ein paar wenige Aspekte stimmen, wie z. B. für die Fegefeuervorstellung, die sich noch in diesem Passionssermon findet; aufs Ganze gesehen lässt sich jedoch eine große Kontinuität in Theorie und Praxis der Passionsmeditation Luthers Zeit seines Lebens erkennen (vgl. Nicol, Meditation, 141–148). Im Übrigen impliziert die Feststellung von Dietz angesichts der überragenden Wirkung des Passionssermons bis in die Zeit der Orthodoxie und des Barocks (vgl. Steiger, Christus pictor, 101–105; ders., Nachwort, 495 f.) außerdem, dass die gesamte lutherische Tradition der folgenden beiden Jahrhunderte ‚noch‘ in Sprache und Formen der alten Frömmigkeit wurzelt – womit das ‚noch‘ ruhig gestrichen werden kann. Es ist hier viel101 Vgl.



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tige Korrekturen vorzunehmen beabsichtigte.109 Da Luther freilich gewohnt war, in lateinischer Sprache zu denken, ist immer wieder auf die ins Deutsche verdolmetschten lateinischen Begriffe zu rekurrieren, die Gegenstand zeitgenössischer theologischer Diskurse waren.110 Andererseits bildete der Passions­ sermon Luthers die passionstheologische und -hermeneutische Grundlage der sich als eigenständig und papstunabhängig konstituierenden Kirchen Wittenberger Prägung. Gerade der Doppelaspekt ist von Relevanz, um die divergierenden Resonanzen von der Bekämpfung bis zur positiven Rezeption auf altgläubiger Seite angemessen in den Blick nehmen und verstehen zu können.111 2.2  Gattung, Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte 2.2.1  Zur Gattung Luthers Passionssermon steht auf dem Feld der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit in der Tradition der Anleitungen zur Passionsbetrachtung bzw. -meditation.112 Seit dem 14. Jahrhundert erreichte die Passionsfrömmigkeit, die ihre entscheidenden Impulse von Bernhard von Clairvaux und Franz von Assisi erfahren hatte,113 eine Blütezeit. Nicht ohne Grund wurde von der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu Christi als dem „Herzstück der spätmittelalterlichen Frömmigkeit“114 gesprochen. Dies drückt sich u. a. darin aus, dass im mehr der von Ulrich Köpf festgestellte Mentalitätswandel seit dem 13. Jahrhundert in Anschlag zu bringen, der die passionsfrömmigkeitliche Praxis bis mindestens ins 17. Jahrhundert prägte (vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 727 f.). 109  Vgl. die Erläuterungen zu Gattung und Aufbau in II.2.2. 110  Z. B. die Begriffe ‚betrachtung‘ = meditatio; ‚mit leyden‘ = compassio; ‚gleych formig‘ = conformis; ‚weßenlich‘ = substantialiter etc. 111  S. u. Kapitel III. und V. 112  ‚Betrachtung‘ entspricht zeitgenössisch im Lateinischen meditatio. Als „Sermo de meditatione passionis Christi“ hatte Luther Spalatin den Passionssermon angekündigt (s. o. Kapitel II.2.1) und die lateinsche Übersetzung trug entsprechend den Titel Sermo de Meditatione ­Dominicę Passionis (vgl. WA 2, 134). Das lateinische Äquivalent meditatio fehlt im Artikel ‚Betrachtung‘ des Grimmschen Wörterbuchs, das lediglich contemplatio und consideratio angibt (vgl. DWb 1, 1707). 113  Obwohl derart genetische Fragen nicht selten umstritten sind, besteht bei der Frage der zentralen Impulsgeber der Luthers Zeit prägenden Passionsfrömmigkeit ein recht breiter Forschungskonsens: vgl. Angenendt, Religiosität, 138–140; Fraling, Art. Passionsmystik, 395; Kieckhefer, Currents, 84; Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 725 f.; Ruh, Geschichte 2, 436; Saak, Heaven, 506; Schiller, Ikonographie 2, 20. Für den „general shift in medieval spiri­ tuality from the Christus triumphans to the Christus patiens“ (Saak, Heaven, 505) wird vor und neben Bernhard gelegentlich noch Anselm von Canterbury angeführt (vgl. Richstaetter, Christusfrömmigkeit, 86 f.; Southern, Kräfte, 198.206). Dass jene Akzentverschiebung einen grundsätzlichen ‚shift‘ bedeute, zweifelt indes Kieckhefer an, da Christus auch weiterhin als Sieger über den Tod dargestellt werden konnte (vgl. Kieckhefer, Currents, 100). 114 Vgl. Elze, Züge, 396. Nicht ohne Grund stellt beispielsweise Kieckhefer in seiner Darstellung der ‚Main Devotional Themes‘ des Spätmittelalters die Passion an den Anfang (vgl. Kieckhefer, Currents, 83–89). Vgl. auch Seegets, Passionstheologie, 235 f.: „Für Menschen

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14. und 15. Jahrhundert Meditationen des Lebens und Leidens Jesu den Hauptbestandteil der „ins Unübersehbare“115 anwachsenden Erbauungsliteratur ausmachten.116 Nicht selten wird in diesen Meditationsschriften die Passion noch einmal dahingehend abgehoben, dass sie eine eigene Einleitung bekommt,117 mitunter einem anderen Aufbau folgt (wobei sich die Anordnung nach den Stundengebeten besonderer Beliebtheit erfreute118) oder auch als Einzelschrift verbreitet ist.119 In zahlreichen Passionsmeditationstexten der Zeit gibt es einen zumeist einleitenden Abschnitt, der als Anleitung zur Passionsbetrachtung bezeichnet werden kann. An einem Druck des frühen 16. Jahrhunderts sei dies kurz exemplifiziert:120 Der Nürnberger Arzt und Drucker Ulrich Pinder erstellte des ausgehenden Mittelalters gehörte das Leiden und Sterben Christi zum vertrautesten Gut kirchlicher Lehre und Frömmigkeit, denn das Gedächtnis an Ölberg, Geißelung, Verhöre, Kreuzigung und andere Stationen des Weges nach Golgatha war in unterschiedlichen Formen täglich präsent. Wohl keine andere Thematik wurde in der Theologie – vor allem der Frömmigkeitstheologie – der Zeit intensiver bedacht, in der Spiritualität mit größerer Kreativität und Innovationsbereitschaft praktisch begangen und in der Kunst vielfältiger und ergreifender dargestellt.“ Grundlegende Forschungen sowie Überblicke zum Thema stammen von Ulrich Köpf; vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit; ders., Art. Kreuz; ders., Christusfrömmigkeit; ders., Passion Christi; ders., Schriftauslegung. In Arnold Angenendts thematisch gegliederten Opus Magnum Geschichte der Religiosität im Mittelalter begegnen Phänomene der Passionsfrömmigkeit an diversen Stellen; zur Passionsbetrachtung vgl. a. a. O., 138–141 („Kind und Kreuz“) und 537–541 („Emotionalisierung und Passionsbetrachtung“). Für die Passionsliteratur des 14. und 15. Jahrhunderts sind als Überblicksarbeiten nach wie vor relevant: Keppler, Passionspredigt I; ders., Passionspredigt II; Ruh, Theologie. 115  Richstaetter, Christusfrömmigkeit, 157. 116  Richstaetter folgt zur Erhebung des vorherrschenden Christusbildes der Überlegung Heinrich Boehmers (vgl. Boehmer, Loyola, 5) darin, dass die Mainstream-Anschauungen aus der genannten unübersehbaren Fülle an Erbauungsliteratur auszumachen nur dann möglich sei, wenn man sich auf die am meisten gelesenen Werke der Zeit konzentriert, die aus der Menge und der Verbreitung der Abschriften gewonnen würden. Es handele sich dabei um Ps.‑Bonaventuras Meditationes vitae Christi (um 1300), Heinrich Seuses Horologium Sapientiae (1334), Ludolf von Sachsens Vita Christi (Mitte 14. Jh.) und Thomas von Kempens Meditationes de Vita Christi sowie die Imitatio Christi (Mitte 15. Jh.), vgl. Richstaetter, Christusfrömmigkeit, 157 f.; auch Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 738–741. Die Beschränkung auf Passionsliteratur geschieht hier aus methodologischen Gründen; die Passionsfrömmigkeit äußert sich darüber hinaus in diversen graphischen, liturgischen, musischen und aktionalen Formen. 117  So beispielsweise der Abschnitt „De passione Domini nostri“ (cap. LVIII) bei Ludolf von Sachsen, Vita Christi, fol. m.ij.v–[m. v.r], der die Anleitung zur Passionsbetrachtung weitgehend mit Jordan von Quedlinburgs Meditationes de passione Christi teilt, entweder weil er von diesem abhängt oder weil beide eine gemeinsame Quelle teilen (für letzteres argumentiert Baier, Untersuchungen 2, 314–325). 118  Dies begegnet sowohl in Ludolf von Sachsens Vita Christi als auch in Ps.‑Bonaventuras Meditationes vitae Christi (vgl. dazu die folgende Fußnote). 119  So z. B. die Bonaventura zugeschriebenen und sehr einflussreichen Meditationes de passione Christi, die sowohl einzeln als auch als Teil der Meditationes vitae Christi überliefert sind (vgl. Meditaciones de passione Christi; Ruh, Art. ‚Meditationes vitae Christi‘, 285). Als Autor wird heute zum Teil Johannes de Caulibus angenommen; unter dessen Namen ist das Werk ediert in: CChr.CM 153. 120  Die Wahl des Beispiels ist insofern nicht zufällig, als der Autor zum einen als Laie aus dem städtischen Kontext das Interesse des gebildeten Bürgertums repräsentiert, das von Luther



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1507 unter dem Titel Speculum passionis eine umfangreiche Kompilation, „ein dreiteiliges Handbuch“121 zur Passionsmeditation, das 1519 eine zweite Auflage erfuhr. Der erste Teil dieses reich bebilderten Werkes stellt eine umfassende Anleitung zur Passionsbetrachtung dar: In ihr wird zur Betrachtung und Erinnerung des Leidens Christi ermahnt,122 dargelegt, wie die Passion empfunden und auf welche Weisen sie angemessen betrachtet und gebraucht werden soll123 und schließlich aufgezeigt, welcher besondere Nutzen und welche Früchte aus dem Leiden Christi und seiner Betrachtung erwachsen.124 Die hier behandelten Themen und Fragen sind der Gegenstand von Luthers Passionssermon. Neben der ‚privaten‘ Meditation können zudem auch zwei Orte für Anleitungen zur Passionsbetrachtung im Rahmen der Verkündigung im ‚öffentlichen‘ Gottesdienst ausgemacht werden: Vielerorts war es üblich, die Passionsgeschichte in einer fortlaufenden Predigtreihe auszulegen. Die Eröffnungspredigt bot dabei eine ausgezeichnete Möglichkeit, Grundlegendes zur Passion vorzutragen und eben zur angemessenen Betrachtung anzuleiten. So predigte beispielsweise der Generalvikar der Augustinereremiten Johannes von Staupitz in der Fastenzeit 1512 an zwölf Wochentagen fortlaufend über das Leiden und Sterben Jesu Christi. In der ersten Hälfte der ersten Predigt legte der Frömmigkeitstheologe einen christologisch verankerten Weg zur Passionsmeditation dar: „Wellet ir wol und recht betrachten das leiden Christi, so müest ir ansechen dreu stuck heut und auch in allem leiden, von dem ich sagen wirt“125 – nämlich den Leib, dann die Seele und schließlich die Gottheit Christi.126 Anschließend verkündet Staupitz: „Siech, mein kind, und daraus nim ain ler, was nutz und frucht dir aus dem leiden kümbt.“127 Des Weiteren geht aus den Postillen der altgläubigen Prediger Friedrich Nausea und Johann Wild hervor, dass deren Karfreitagspredigten nicht nach der Lesung der Passion aus dem Johannesevangelium situiert waren, wo die Predigt im Lesegottesdienst an Karfreitag wohl ihren angestammten Platz gehabt hätte,128 sondern als „Vorrede“ auf die Passionslesung.129 In dieser Vorrede auf die durchaus (mit) im Blick ist, und er zum anderen diverse Traditionen in seiner Kompilation vereint. Zu den Quellen Pinders vgl. Junghans, Pinders, 11–19. 121  Junghans, Pinders, 22. Junghans führt ebd. aus, dass „Pinders ‚Speculum passionis‘ keine geschlossene Konzeption hat, sondern aus seinem Interesse entsteht, möglichst umfassend über die Passionsmeditation zu unterrichten.“ 122  „Exhortatio in meditationem passionis domini“ und „De modo recordandi passione[m] domini“ (Pinder, Speculum, fol. 1v–2v). 123  „Quomodo passio domini sentiri debeat in nobis“ und „De diuersis modis memorandi passionem domini“ (a. a. O., fol. 3r–5r). 124  „Viginti fructus seu vtilitates dominice passio[n]is s[e]c[un]d[u]m numeru[m] alphabeti“ (a. a. O., fol. Vr–XVIr). 125  Staupitz, SbPr 1512, 26 (Pr. 1,24–26). 126  Vgl. a. a. O., 26 f. (Pr. 1,27–53). 127  A. a. O., 27 (Pr. 1,54 f.). 128 Vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 734. 129  Vgl. zu Nausea III.3 und zu Wild V. 2.

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II.  Martin Luther

Lesung, die noch durch einen „Beschluss“ gerahmt werden konnte, wurde zum meditativen Hören angeleitet – in vergleichbarer Weise, wie dies in Luthers Passionssermon geschieht. Man kann wohl annehmen, dass diese an Nausea und Wild in den 1530er Jahren belegbare Praxis kein singuläres, auf den Mainzer Dom beschränktes Phänomen darstellte. 2.2.2  Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte Luthers Passionssermon von 1519130 besteht, wie auch viele andere deutschsprachige Sermone Luthers, aus durchnummerierten Absätzen ohne Zwischenüberschriften. Die 15 Absätze lassen sich jedoch eindeutig nach inhaltlichen Gesichtspunkten gliedern:131 Am Anfang steht die Kritik dreier falscher Arten der Passionsbetrachtung (1–3), bevor die rechte Art und Weise der Passionsbetrachtung demonstriert wird (4–15). Diese erfolgt dadurch, dass, wie aus dem letzten Absatz hervorgeht, Christus zuerst als Sakrament zu betrachten ist (4–14), der in uns wirkt, bevor Christus auch Exempel, d. h. Vorbild in der Lebensführung sein kann (15), was im Fall der Passion insbesondere Leiden und Anfechtung betrifft. Christus als Sakrament beinhaltet wiederum zwei Aspekte, nämlich einerseits das Erschrecken über sich selbst aufgrund der Erkenntnis seiner selbst angesichts der Betrachtung des ‚für mich‘ geschehenen Leidens und Sterbens Christi (4–11) und andererseits den Glauben an die Überwindung der Sünde durch Christus angesichts seiner Auferstehung (12–14). Die Gliederung des Passionssermons lässt sich wie folgt darstellen: 1–3 Falsche Betrachtung des Leidens Christi 4–15 Rechte Betrachtung des Leidens Christi 4–14 Christus als Sakrament 4–11 Karfreitagsbetrachtung: Erschrecken über sich selbst 12–14 Osterbetrachtung im Zusammenhang mit Karfreitag: ­Glaube 15 Christus als Exempel In den anschließenden Kapiteln werden entlang der Gliederung die folgenden inhaltlichen Schwerpunkte analysiert, wobei auch auf einige Details des Textes aufmerksam gemacht wird.132 130  Auf den Passionssermon gehen ausführlicher ein: Heintze, Predigt, 212–256 (im Zusammenhang von Luthers Passionspredigt insgesamt; bes. 220–224); Lienhard, Zeugnis, 75–83 (unter christologischem Blickwinkel im Zusammenhang mit Luthers Passionspredigten von 1518); Nicol, Meditation, 117–150 (im Kontext der Meditationstheorie und -praxis Luthers); Leppin, Passionsmystik (mit Fokus auf die mystische Tradition). 131  Vgl. auch Heintze, Predigt, 220. 132  Eine umfassende Interpretation kann indes nicht erfolgen. Ein Kommentar des Sermons, der die überaus reichhaltigen Bezüge zur passionstheologischen Literatur rückblickend sowie wirkungsgeschichtlich aufzeigt, wäre ein lohnendes Unterfangen.



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Unter den ersten drei Absätzen, die jeweils eine falsche Form der Passionsmeditation besprechen, liegen der quantitative und der qualitative Akzent auf der dritten Form, nämlich dem Fokus auf das Mitleiden (compassio) mit Christus. Dieses stellt tatsächlich einen ganz zentralen Aspekt der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit dar, wird jedoch von Luther als Missstand und Ablenkung von der eigentlich angemessenen Passionsmeditation angeprangert (Kapitel II.2.3). In Kontrast dazu wird in Absatz 4 bis 11 das Erschrecken über die eigene Sündhaftigkeit als der theologisch angemessene Akzent und Fokus bei der Betrachtung des Leidens Christi herausgestellt. Als passionshermeneutischer Schlüsselvers fungiert dabei Lk 23,28, nach dem Jesus auf dem Kreuzweg nach Golgatha den beistehenden und weinenden Frauen sagte, sie sollten nicht über ihn, sondern über sich selbst weinen (Kapitel II.2.4). Wie aus den Absätzen 12 bis 14 hervorgeht, betont Luther im Anschluss an Röm 4,25 den Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Das Leiden und Sterben Jesu kommt demnach nicht unter Absehung der Auferstehung, gewissermaßen historisierend mit offenem Ende, sondern soteriologisch qualifiziert und von Ostern aus in den Blick. Auch Ostern wird entsprechend ganz vom Kreuz her und auf es hin betrachtet.133 Als Gegenüber zum Erschrecken ist der Glaube die zweite wichtige und zur heilsamen Aneignung der Passion notwendige Wirkung derselben (Kapitel II.2.5). Am Anfang des Schlussabsatzes macht Luther darauf aufmerksam, dass „biß her“134 das Leiden Christi „als eyn sacrament“135 betrachtet wurde, „das yn unß wirkt vnd wir leyden“,136 während es nun „auch eyn exempel […] deynes gantzen lebens“137 sein soll, wobei „wir auch wircken“.138 Die Unterscheidung zwischen Christus als Sakrament und Christus als Exempel ist demnach für die rechte Betrachtung des Leidens Christi und das Verständnis des Sermons insgesamt grundlegend (Kapitel II.2.6). 2.3  Falsche Passionsbetrachtungen (Absätze 1–3) 2.3.1 Judenbeschimpfung Im ersten Absatz stellt Luther fest, dass „ettlich das leyden Christi also [bedenken], das sie uber die Juden tzornig werden, singen und schelten uber den armen Judas“,139 wie sie sich auch über andere beklagen und ihre Feinde verdammen. 133  Nicol macht darauf aufmerksam, dass es sich bei den Absätzen 12–14 „kaum um ein Bedenken der Osterereignisse, sondern um ein Bedenken der Passion im Lichte von Ostern“ (Nicol, Meditation, 133) handelt. 134  WA 2, 141,11. 135  A. a. O., 141,12. 136 Ebd. 137  A. a. O., 141,10. 138  A. a. O., 141,13. 139  WA 2, 136,3 f.

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II.  Martin Luther

Was Luther als Missstand anklagt, darf wohl als durchaus üblich vorausgesetzt werden. Es ist festgestellt worden, „that parallel to the rise in Passion piety in the later eleventh and twelfth centuries was an analogous rise in antiJudaism“.140 Monokausale Erklärungsmuster verbieten sich hier natürlich; dennoch kann durchaus davon gesprochen werden, dass sich das verstärkt emotionalisierte Mitleiden mit dem Erlöser im Horizont der Passionsfrömmigkeit auch in religiös motivierter Judenfeindlichkeit auswirkte. Zum einen konnten dafür Bibelverse aus dem Umkreis der Passion begründend angeführt werden, etwa wenn davon gesprochen wird, dass die Juden Jesus getötet haben141 oder wenn das Volk bei der Verurteilung Jesu durch Pilatus nach Mt 27,25 ruft: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Zum anderen konnten Erzähllücken in den biblischen Berichten ausgemalt werden, sodass beispielsweise in der Nacht der Gefangennahme auch eine Folterung durch die Juden angenommen werden konnte, die der Geißelung durch die römischen Soldaten vorangegangen sei. Und schließlich entstanden von biblischen Bezügen völlig losgelöste Anklagen, die seit dem 15. Jahrhundert auch als Einblattdrucke verbreitet wurden. Hier ist etwa der Hostienfrevel zu nennen, d. h. dass Juden angeblich Hostien beschädigen und zerstückeln, um dem Leib Christi erneut Leid zuzufügen, oder die verschiedene abergläubische Aspekte vereinende Beschuldigung des Ritualmordes: „Juden wurden vornehmlich in der Passionszeit bezichtigt, ein christliches Kind, in der Regel einen Knaben, rituell zu ermorden, da die das Christenblut für magische, kultische oder ‚medizinische‘ Zwecke benötigten.“142 Luthers Absage an Judenbeschimpfungen als Fokus der Passionsbetrachtung ist theologisch motiviert – sie lenken vom Eigentlichen ab: „Das mocht wol nit Christus leyden, sondernn Judas und der Juden bösheyt bedacht heyßen.“143 Was das positive Gegenstück ist, wird hier noch nicht dargelegt. Darauf kommt Luther im Zusammenhang von Absatz 8 zurück: Die Juden sind „deyner sunde diener gewest, und du bist warhafftig, der durch seyn sunde gott seynen sun erwurget und gecreutzuget hatt“.144 Die Erkenntnis der eigenen Sünde, für die Christus gestorben ist – darum geht es Luther;145 und in der Hinsicht sollen die Juden nicht anders denn als Diener ‚meiner‘ Sünde betrachtet werden. Zeitgeschichtlich ist zu beachten, dass Luther bis Mitte der 1520er Jahre eine „relativ judenfreundliche[]“146 Haltung zugeschrieben wird. Ausschlaggebend 140 

Saak, Heaven, 546. Summarisch natürlich in den Tötungsabsichten der Ältesten und Schriftgelehrten; aber auch in einer Rede des Petrus (Apg 2,36) oder bei Paulus (1 Thess 2,14 f.). 142  K aufmann, Juden, 24. Zum Hostienfrevel vgl. Angenendt, Religiosität, 508; zum Ritualmord a. a. O., 612 f. 143  WA 2, 136,8–10. 144  A. a. O., 138,31 f. 145  S. u. Kapitel II.2.4. 146  Kirn, Art. Juden, 217. 141 

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dafür ist seine Schrift Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei von 1523.147 Darin bezeichnet Luther antijüdische abergläubische Gerüchte als Lügen, wie die, dass Juden mit Christenblut ihren Gestank abwaschen148 – einem der Elemente, die mit dem Ritualmord verknüpft sind.149 Der lateinischen Übersetzung der Schrift ist ein Brief beigefügt, den Luther an den jüdischen Konvertiten Bernhard verfasste,150 einen ehemaligen Rabbiner, der sich 1519 hatte taufen lassen – also in dem Jahr, in dem Luther auch seinen Passionssermon verfasste. In Luthers Umfeld war jener Bernhard zu der Zeit der einzige Konvertit und „er hatte bei den Wittenbergern die Erwartung genährt, dass sich infolge der reformatorischen ‚Wiederentdeckung des Evangeliums‘ eine vertiefte, ernsthafte Hinwendung von Juden zum Christentum ergeben werde“151 – eine Hoffnung, von der Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei zeugt. Tatsächlich dürfte Luthers Schrift im Blick auf den Umgang mit Juden eine Wirkung entfaltet haben.152 1529 schrieb Andreas Osiander in Nürnberg ein Gutachten gegen einen Ritualmordvorwurf.153 Luther hat in diesen Belangen jedoch – u. a. aufgrund der Enttäuschung bezüglich ausbleibender Konversionen154 – umgeschwenkt: Anklagen, die Luther in Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei noch als Lügen betitelt hatte, setzte er als wahre Gegebenheiten in der Schrift Von den Juden und ihren Lügen von 1543 voraus.155 Luthers Passionssermon war für die lutherische Tradition äußerst wirkungsvoll.156 Das gilt auch in Bezug auf den Aspekt, dass bloße Judenbeschimpfung als unangemessene Passionsbetrachtung angesehen wurde. Johann Anselm Steiger spricht in diesem Zusammenhang von einer „De-Antijudaisierung der Passionspredigt“157 durch Luther im Vergleich zur Tradition und zeigt ihre Kontinuität über Nikolaus Selnecker bis zu Johann Gerhard auf. Eine Betonung dessen ist jedoch zumindest einseitig verkürzend, wenn außer Acht gelassen wird, dass Predigt und religionspolitische Praxis in eklatantem Widerspruch zueinanderstehen konnten: Gerade Selnecker war es, der sich im Umgang mit Juden an Luthers späten Judenschriften orientierte, diese 1577 neu drucken ließ und mut147  148 

WA 11, 314–336.

Vgl. a. a. O., 336,24–27. K aufmann, Juden, 26. 150  WA.B 3, 101–104 (Nr. 629). 151  K aufmann, Juden, 67. 152  Vgl. a. a. O., 83: „Nichts deutet darauf hin, dass die alten Anklagen der Brunnenvergiftung, des Hostienfrevels oder des Ritualmordes in den Städten und Territorien, in denen sich die Reformation durchsetzte, erneuert wurden und jüdisches Leben bedrohten.“ 153  Vgl. a. a. O., 83 f. Die Schrift ist als moderne Übertragung mit sachkundiger Einleitung zu Kontext und Argumentationsgang zugänglich: Osiander, Ob es wahr und glaublich sei. 154  Vgl. a. a. O., 87–105. 155  Vgl. a. a. O., 127 f. Die Schrift findet sich in: WA 53, 417–552 und wurde als kommentierte Ausgabe mit Nachwort neu bearbeitet von Matthias Morgenstern (vgl. Luther, Juden). 156  S. o. Kapitel II.1.3. 157  Steiger, Christus pictor, 101; wiederholt geäußert in: ders., Zorn, 87; ders., Nachwort, 499. 149 Vgl.

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maßte, man habe diese Schriften heimtückisch unterdrückt.158 „Selnecker […] wies die Treue zu Luthers und Melan­chthons Judenfeindschaft als Moment konfessionell-lutherischer Identitätspflege aus, die notfalls auch gegen die weltlichen Obrigkeiten durchzusetzen war.“159 2.3.2  Magischer Schutz Den zweiten Missbrauch leitet Luther damit ein, dass er einen bekannten, Albertus Magnus zugeschrieben Spruch zitiert, an den sich einige halten würden und der grundsätzlich die überragende Hochachtung der Passion in Heilsangelegenheiten zum Ausdruck bringe: „das es besser sey, Christus leyden eyn mal oben hyn uber dacht, dan ob man eyn gantz jar fastet, alle tag eyn Psalter bettet etc.“160 Das Zitat scheint in gewisser Variation weit verbreitet gewesen zu sein, wie z. B. sog. Albertus-Tafeln mit ähnlichen Sprüchen belegen.161 Luther kann es u. a. in dem Andachtsbuch Rosetum des Johannes Mauburnus begegnet sein,162 das Luther im monastischen Kontext genutzt hat163 und auf das er sich in einer früheren Passionspredigt positiv bezieht.164 Ein Beispiel für den Gebrauch des Zitates um 1500 stellt der Augustinereremit und Frömmigkeitstheologe Johannes von Paltz dar: In seinem Hauptwerk Coelifodina, das von einem ausführlichen Teil über die Passionspredigt und -betrachtung eröffnet wird,165 führt es Paltz im Kapitel „De fructibus et modis meditandi passionem domini nostri Iesu 158 Vgl.

K aufmann, Juden, 143 f. 144. Noch von Luthers letzter Reise kurz vor seinem Tod in Eisleben ist ein Aufruf an den Mansfelder Grafen überliefert, die von diesem geduldeten, aus Magdeburg geflohenen Juden wiederum zu vertreiben, damit man nicht deren Sünde teilhaftig werde, worüber Gott zürnen würde (vgl. WA 51, 196,4–11). Vgl. dazu Morgenstern, Luthers letzte Tage. Die in der Forschung üblichen Auffassung, dass es sich bei der Vermahnung wider die Juden um die letzten Worte von Luthers letzter Predigt gehandelt habe, wurde jüngst von Roland Lehmann mit guten Gründen angezweifelt (vgl. Lehmann, Reformation, 449–453). Er sieht in der Vermahung wider die Juden eine „eigenständige Rede, die zeitlich eigentlich zwischen der dritten und vierten [Eislebener] Predigt lag“ (a. a. O., 452) und die Aurifaber für den Druck den vier Predigten Luthers als Anhang beigefügt habe. 160  WA 2, 136,13 f. Vgl. dazu auch Nicol, Meditation, 125 f. 161 Vgl. Richstaetter, Christusfrömmigkeit, 148. In Auer, Leidenstheologie, 106 Anm. 31 sind 20 solcher Tafeln in Kirchen und Kapellen allein aus dem Gebiet Salzburg/München-Freising aufgelistet. 162 Vgl. Nicol, Meditation, 126 Anm. 161. 163 Vgl. Donndorf, Rosetum, 67. Luther verweist in der ersten Psalmenvorlesung zweimal auf das Andachtsbuch: WA 3, 380,32; a. a. O., 381,15. 164 Vgl. WA 1, 341,36. Überliefert sind die beiden Predigten Duo sermones de passione Christi (WA 1, 336–345) gemeinsam mit der Datierung auf 1518. Die zweite der beiden Predigten, in denen das Zitat vorkommt, wird von einigen Forschern vordatiert (eher unbestimmt in ‚nicht allzu große zeitliche Nähe‘ bei Elze, Passion, 134–140; genauer in die Zeit der ersten Psalmenvorlesung und „wohl nicht nach 1515“ bei Bayer, Promissio, 87). Nicol hält die inhaltlichen Argumente dafür, im ersten Sermon „eine deutlich fortgeschrittene Auffassung“ (Elze, Passion, 140) zu erkennen, für nicht stichhaltig (vgl. Nicol, Meditation, 118). 165 Vgl. Paltz, Werke 1, 1–137. 159  A. a. O.,

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Christi“ an.166 Dass auch Luther dem Inhalt des Albertus-Spruches im Grunde zustimmt und positiv daran anknüpfen kann, zeigt sich darin, dass er es in Absatz 10 des Passionssermons wieder aufnimmt – und zwar nachdem er die rechte Art der Passionsbetrachtung dargelegt hat: „Wer alßo gottis leyden eyn tag, eyn stund, ja eyn viertel stund bedecht, von dem selben wollen wyr frey sagen, das es besßer sey, dan ob er eyn gantz jar fastet, alle tag eynn psalter bettet, ja das er hundert messen horet, dann dißes bedencken wandelt den menschen weßenlich und gar nah wie die tauffe widderumb new gepirt.“167

Das Problem liegt nach Luther im Gebrauch des Zitates im Horizont einer in Richtung Magie tendierenden Volksfrömmigkeit.168 Mit derlei Phänomenen, die für die Zeit um 1500 in besonders hohem Maße überliefert sind,169 bekamen populäre Volksprediger wie der genannte Johannes von Paltz170 vielfach in Berührung und versuchten entsprechend gegenzusteuern.171 Was Luther verwirft, ist, dass das Leiden Christi zum Eigennutz missbraucht wird, indem man zum Schutz „vor wasser, eyßen, fewr und allerley ferlickeyt“172 diverse „bildelein und büchlein, brieffen und creutzen“173 bei sich trägt – also als Talisman mit Schutzfunktion. Das bedeute nichts anderes, als von Christi Leiden „eyn unleyden“174 zu erhoffen, was „widder seyn art vnd natur“175 sei. 166  167 

Vgl. a. a. O., 99,28–34 mit Anm. 4.

WA 2, 139,11–15.

168 Die Grenzen zwischen ‚Volksfrömmigkeit‘ und ‚Magie‘ sind fließend, beispielsweise zwischen einer vertieften eucharistischen Frömmigkeit der Hostienverehrung und einem Aberglauben, der den Elementen der Eucharistie magische Kräfte zuschreibt, was von kirchlichtheologischer Seite zwar immer wieder angemahnt wurde, aber freilich kaum kontrolliert werden konnte. Zudem ist die getroffene Unterscheidung erheblich von der Perspektive abhängig: „Für überzeugte Protestanten stellte der zentrale Akt christlicher Gottesverehrung im Mittelalter, die Messe, mit der Transsubstantiation von Brot und Wein in der Eucharistie im Kern eine magische Handlung dar.“ (Scribner, Volksmagie, 378). Für den gesamten Komplex wegweisend sind die Forschungen Robert W. Scribners, vgl. ders., Religion. 169 Vgl. Angenendt, Religiosität, 71, der anscheinend Huizingas Herbst des Mittelalters anschaulich paraphrasiert: „An die Kernpunkte des Christentums lagerten sich Sonderbräuche an wie Muscheln an Schiffsplanken; Schlingengewächse äußerlicher Glaubenselemente wucherten derart, daß sie auch das Heiligste überdeckten.“ Er macht aber gegenüber vorschnellen Urteilen a. a. O., 72 auch darauf aufmerksam, dass die Überlieferungslage im Verhältnis zu früheren Jahrhunderten schlicht besser ist. 170  Saak, Heaven, 470 findet eine interessante Analogie: „Johannes von Paltz can legitimately lay claim to having been the Billy Graham of the late fifteenth century.“ Der Augustinereremit war Prediger, Beichtvater und Unterkommissar bei Jubiläumsablasskampagnen des Raimund Peraudi um 1500 (vgl. Hamm, Frömmigkeitstheologie, 84–91) und gewissermaßen dessen „theologisches Sprachrohr“ (Hamm, Ablass, 66). Die Hauptwerke des zeitweiligen Mitbruders Martin Luders im Erfurter Konvent (1505/06) sind allesamt im Horizont der Ablassverkündigung zu verorten. 171 Vgl. Burger, Volksfrömmigkeit. 172  WA 2, 136,18. 173  A. a. O., 136,17. 174  A. a. O., 136,19. 175  A. a. O., 136,19 f.

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II.  Martin Luther

2.3.3  Mitleiden mit Christus Den dritten Aspekt bzw. Weg zeitgenössischer Passionsmeditation, den Luther kritisiert, ist, dass einige „eyn mitleyden mit Christo [haben], yhn zu clagen und zu beweynen alß eynen unschuldigen menschen“.176 Was von dem Augustinereremiten hier angesprochen wird, betrifft jedoch nicht irgendeinen weiteren Aspekt der Passionsfrömmigkeit, sondern mit der „Compassio-Frömmigkeit“ – wie Angenendt formuliert  – die „wichtigste[] Form der spätmittelalterlichen Christus-Begegnung“.177 Die Veränderung des Christusbildes und der damit zusammenhängenden Frömmigkeitspraxis zeigt sich besonders deutlich in den Kreuzes- und Kreuzigungsdarstellungen178 und damit einhergehenden bildmotivischen Innovationen: Wandelte sich in den ersten Jahrhunderten der Geschichte des Christentums das Kreuz  – grob vereinfacht  – von einem Skandalsymbol (nach 1 Kor 1,22–24) zu einem Siegeszeichen,179 so wurde der gekreuzigte Christus auch lange als Sieger über Tod, Sünde, die gefallene Welt und ihre gottfeindlichen Mächte dargestellt: aufrecht stehend und triumphierend, zum Teil mit offenen Augen und Krone auf dem Kopf.180 Das chronologische Nacheinander von Kreuz und Auferstehung war hier in einem Bild gewissermaßen zusammengeflossen, sodass der Gekreuzigte schon der Auferstandene ist – Leiden und Schwachheit des menschlichen Körpers Jesu waren weitgehend eliminiert. Das änderte sich mit zunehmender Fokussierung in Theologie und Frömmigkeitspraxis auf den leidenden Menschen Jesus: „Das zärtliche Mitleid mit dem Heiland der Welt in seinem Leiden und seiner Hilflosigkeit war ein Motiv, das in den Klöstern des 11. Jahrhunderts neu ans Licht trat, und jedes Jahrhundert hat es seitdem abgewandelt.“181 Der ‚Schmerzensmann‘, der schmerzerfüllt und leidend dargestellte halbnackte Jesus,182 war zu Luthers Zeit eines der populärsten Motive, ob allein, umgeben von Leidenswerkzeugen (arma Christi) oder auch im sakramental-liturgischen Kontext der ‚Gregorsmesse‘ – und er blieb es auch im reformatorischen Lager der Wittenberger.183 Die um das Kreuz versammelten Personen der Kreuzigungsszene – Johannes, Jesu Mutter Maria und einige weitere Frauen – wurden als Exempel der angemessenen Passionsbetrachtung vorgestellt, als „Vorbilder der Mitleidenden“.184 Wie sich im Motiv der ‚Pietà‘ 176 

A. a. O., 136,21 f. Angenendt, Religiosität, 146; vgl. Köpf, Mitleiden. 178  Einiges Anschauungsmaterial bietet der Ausstellungskatalog „Christus im Leiden“. 179 Vgl. Murray, Art. Kreuz; Schreiner, Kreuz. 180 Vgl. Köpf, Art. Kreuz, 751. 181  Southern, Kräfte, 206. 182 Vgl. Schiller, Ikonographie 2, 210–243. 183  Vgl. das Beispiel bei Leppin, Reformation, 15–18. 184  Schiller, Ikonographie 2, 21: „Die Hingabe, mit der man die einzelnen Leidensstationen nachzuempfinden wußte, brachte es mit sich, daß auch die Personen, die unter dem Kreuz standen – Maria, Johannes, die Frauen – in der geistlichen erbaulichen Literatur und in der 177 



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zeigt,185 das Maria mit dem toten, geschundenen Jesus auf dem Schoß darstellt, konnte dabei auch die Gottesmutter selbst zum Bezugspunkt des Mitleids werden, wogegen Luther im dritten Absatz des Passionssermons polemisiert: „Der art seynd, die mitten yn der passion weyt auß reyßen und dem abschied Christi zu Bethanien und von der Junckfrawen Marien schmertzen viel eyntragen und kummen auch nit weyter. Da kumpt es, das man die passion ßo vill stund vorzeugt, weyß gott, ab es mehr zum schlaffen ader zum wachen erdacht ist.“186

Worum es Luther hier mit seiner Kritik geht, ist das gleiche, wie auch bei den ersten beiden Absätzen: Der Fokus auf das Mitleiden mit Christus187 geht am Eigentlichen vorbei. Denn einerseits diente der Erweckung des Mitleids die sukzessive Ausmalung der Passionsgeschichte,188 worauf Luthers Bemerkung bezogen werden kann, man hänge so lange an Jesu Abschied von Maria, dass man ‚nicht weiter komme‘. Und andererseits bleibt ‚mir‘ Christi Leiden und Sterben – bei aller affektiven Beteiligung! – doch in gewissem Sinne äußerlich,189 was Luthers Bemerkung ausdrückt, man beweine Christus ‚wie einen unschuldigen Menschen‘.190 Eben dies entspreche den Frauen, „die Christo von Jerusalem nach folgeten, und von yhm gestrafft wurden, sie sollten sich selb beweynen und yhre kinder“.191 Mit der Anspielung auf Lk 23,27 f. gibt Luther bereits den Hinweis auf die in Jesu eigenen Worten verankerte Anweisung zur rechten Passionsbetrachtung, wie sie Luther im Folgenden darlegt. Auf den Vers, der für die Genese von Luthers Passionstheologie zentral sein dürfte,192 wird im siebten Absatz wieder Bezug genommen.193 In diesem Zusammenhang müssen nach Luther auch diejenigen erwähnt werden, welche die großen Früchte der heiligen Messe loben und behaupten, „das die messe opere operati, non opere operantis, von yhr selber, auch an unßer Kunst eine neue Bedeutung erhielten. In ihnen werden nun die Vorbilder der Mitleidenden gesehen, mit denen sich die Betrachter identifizieren konnten.“ 185  Vgl. A. a. O., 192–195. 186  WA 2, 136,24–28. 187 Die compassio war keineswegs das einzige Ziel der Passionsbetrachtung, jedoch war es grundsätzlich ein Aspekt bzw. ein notwendiges Element auf dem Weg der Passionsmeditation. Wichtige Stichworte, die das Ziel der Passionsbetrachtung angaben, waren außerdem die Nachfolge Christi (imitatio) und die Gleichgestaltung mit Christus (conformatio bzw. conformitas). Vgl. z. B. Ruh, Theologie, 20; Seegets, Passionstheologie, 239; Elze, Passion, 128. 188 Vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 728. 189 Vgl. Nicol, Meditation, 126: „Allen Formen des Mißbrauchs ist eines gemeinsam, nämlich daß das Bedenken der Passion den Menschen nicht im Kern seiner Existenz trifft. Genau dies aber wäre eine rechte, fruchtbare Passionsbetrachtung.“ 190  S. o. bei Anm. 176. 191  WA 2, 136,22–24. 192  Die früheste, wohl aus dem Herbst 1516 stammende Auslegung zur Passion von Luther beschäftigt sich mit Lk 23,28 (in: WA 59, 209–212). Den Vers zieht Luther in passionstheologischen Ausführungen zur biblischen, genauer: jesuanischen Begründung der rechten Passionsbetrachtung immer wieder heran. 193  S. u. Kapitel II.2.4.2.

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vordienst und wirde angenehm sey“.194 Luther entgegnet, dass man so aus der Messe „eyn leyplich, unfruchtbar werck“195 mache. ‚Leiblich‘ und ‚unfruchtbar‘ stehen hier insofern in einem Zusammenhang, als ‚leiblich‘ gleichbedeutend mit ‚bloß äußerlich‘ sein dürfte, d. h. eben nicht die Person im Innersten betreffend. Luther verwendet den Begriff auch in anderen Zusammenhängen in dieser Zeit so;196 er steht in Kontrast zu dem im folgenden Absatz formulierten ‚herzlichen‘ Erschrecken, welches die rechte und ‚fruchtbare‘ Wirkung der Passionsbetrachtung darstelle, und was eben ‚von Herzen‘ und d. h. aus dem Innersten der Person hervorgehend bedeutet.197 Religiöse Praktiken, die (scheinbar) an sich – ex opere operato – wirken, sind nach Luther eben nicht ‚fruchtbar‘ für die Gläubigen: „was hilfft dichs, das gott got ist, wan er dier nit eyn got ist? was ists nutz, das essen und trinken an yhm selb gesund und gut ist, wan es dir nicht gesund ist?“198 Luther knüpft hier – genau wie im Streit um den Ablass und das Bußsakrament199 – an zeitgenössische Tendenzen einer innerlichen, auf die subjektive Heilsaneignung fokussierten Frömmigkeit an und wendet sie gegen eine Messpraxis, die für die Gläubigen ‚nutz- und fruchtlos‘ bleibt. Eine solche Praxis kann das pro nobis des Leidens Christi, um das es nach Luther geht, wie ab Absatz 4 dargelegt wird, nicht angemessen zur Geltung bringen. Dass die Kritik an der compassio mit Christus einen ganz zentralen Aspekt der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit trifft, bestätigt sich in der unterschiedlichen Rezeption dieses passionshermeneutischen Impulses in der Folgezeit. Während unter den lutherischen Predigern die Kritik Luthers an der falschen Passionsbetrachtung zum Topos wird, ist an dieser Stelle der Rezeption auf altgläubiger Seite eine Grenze gesetzt: Einige, wie Friedrich Nausea,200 sehen die Passionsbetrachtung mit dieser Kritik im Kern getroffen und nutzen ihre Predigt, um das Mitleiden mit Christus als Grundlage und zentralen Inhalt der rechten Passionsmeditation zu rechtfertigen und biblisch zu begründen. Aber auch diejenigen, die Luthers passionshermeneutische Impulse weitgehend rezipieren, wie Johann Wild,201 vollziehen die grundsätzliche Kritik am Mitleid mit Christus nicht mit, obgleich es in seiner Bedeutung relativiert wird. 194  WA 2, 136,31–137,2. Der Abschnitt über die Messe ist interessanterweise in der lateinischen Übersetzung von 1521 weggelassen worden; womöglich „hat der Übersetzer ihn als unnötige Abschweifung empfunden“ (Nicol, Meditation, 125 Anm. 157). 195  WA 2, 137,5. 196  Am prominentesten ist die Gegenüberstellung in Luthers Freiheitsschrift von den zweierlei Naturen des Christenmenschen, nämlich einer ‚leiblichen‘ und einer ‚geistlichen‘, was konkretisiert wird durch „geistlich, new, ynnerlich“ einerseits und „leyplich, allt und eußerlich“ andererseits (WA 7, 21,14 f.). 197  Auch der ‚Herz‘-Begriff wird in der Freiheitsschrift in eben dieser Weise verwendet. Vgl. auch Härle, Mensch, 182–184; Joest, Ontologie, 228 f.; Slenczka, Art. Herz. 198  WA 2, 137,6–8. 199 Vgl. Leppin, Aufnahme. 200  S. u. Kapitel III.3. 201  S. u. Kapitel V. 2.

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2.4  Rechte Passionsbetrachtung: Erschrecken über sich selbst (Absätze 4–11) 2.4.1  Selbsterkenntnis als Ziel der Passionsbetrachtung Wie die Passion Jesu recht zu betrachten sei, formuliert Luther am Anfang des vierten Absatzes unmissverständlich: „Die bedenckenn das leyden Christi recht, die yhn alßo ansehn, das sie hertzlich darfur erschrecken und yhr gewissen gleych sincket yn eyn vorzagen.“202 Der Grund für dieses ‚herzliche Erschrecken‘ wird auch sogleich angegeben: „Das erschrecken sol da her kummen, das du sihest den gestrengen zorn und unwanckelbarn ernst gottis uber die sund und sundere“.203 Die Leiden Christi offenbaren den Zorn Gottes über die Sünde, denn der Sohn Gottes stirbt nicht für sich und um seiner selbst willen, nicht aufgrund eines bloßen Schicksals oder aufgrund von unglücklichen Umständen. Mit einem Zitat aus dem sog. vierten Gottesknechtslied Jes 52,13–53,12,204 welches seit den ersten Christen als Figur205 des Leidens und Sterbens des Messias Jesus verstanden wurde,206 legt Luther dies dar: Gott selbst spreche „durch Jsaiam 53. Umb der sund willen meyns volcks hab ich yhn geschlagen.“207 Der bereits zitierte Rekurs auf die Juden im achten Absatz, dass diese „deyner sunder diener gewest, unnd du bist warhafftig, der durch seyn sunde gott seynen sun erwurget 202  203 

WA 2, 137,10–12.

A. a. O., 137,12 f. Im Folgenden kurz: Jes 53. 205  Hier von alttestamentlichen ‚Figuren‘ bzw. ‚figuraler‘ Auslegung zu sprechen bietet sich insbesondere deshalb an, weil die Begrifflichkeit quellensprachlich verankert, in der Forschung reflektiert und sowohl im Blick auf das frühe Christentum als auch auf die weitere Auslegungsgeschichte anwendbar ist. Paulus bietet in 1 Kor 10 eine Allegorese und spricht hinsichtlich der von ihm auf Christus bezogenen Elemente der Schrift von „τύποι“ (1 Kor 10,6), was in der Vulgata mit „figura“ übersetzt wird (vgl. Reiser, Allegorese, 102). Im Bereich der neutestamentlichen Forschung redet beispielsweise Richard B. Hays von einer ‚figural interpretation‘ der Schriften Israels (vgl. Hays, Backwards). Für die Art und Weise der Passionsauslegungen des 14. und 15. Jahrhunderts nutzt der germanistische Mediävist Kurt Ruh den Begriff der ‚figuralen Exegese‘ oder ‚Figuralexegese‘ (Vgl. Ruh, Theologie). Sowohl Hays als auch Ruh beziehen sich dabei auf den einschlägigen Artikel „Figura“ von Erich Auerbach aus dem Jahr 1938 (jetzt in: Balke/Engelmeier, Mimesis, 121–188). Zwischen den verschiedenen theologischen Lagern im 16. Jahrhundert gab es hinsichtlich der diesbezüglichen Interpretationspraxis keine grundsätzlichen Unterschiede. Unter den hier behandelten Postillen Wittenberger Prägung erklärt beispielsweise Simon Musäus in seiner Predigt über alttestamentliche Aussagen über die Passion Christi (s. u. Kapitel VI.3) hinsichtlich der Opferpraxis, sie sei „eine Figur deß gecreutzig­ten Christi / daß dadurch seine [des Opfernden, J. R.] Sünde gebüsset / vnd er gnade erlangte“ (Musäus, Postilla, CLXXIIIIr). 206  Vgl. zum Überblick Wolff, Jesaja 53; Stuhlmacher, Jes 53; Hofius, Gottesknechtslied; umfassend für das lukanische Doppelwerk Mittmann-Richert, Sühnetod und Genz, Jesaja 53. Der Befund ist insgesamt eindeutig, sodass – insbesondere für den hiesigen Zusammenhang  – Detailfragen, über die in der Exegese und frühchristlichen Forschung gestritten wird, offengelassen werden können. 207  WA 2, 137,15 f. 204 

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und gecreutziget hatt“,208 legt dasselbe aus einer anderen Perspektive dar: Die gegen Jesus agierenden Juden seien als Diener ‚meiner‘ Sünde zu betrachten.209 Neben der Sünde als Grund für das Leiden Christi stellt das Zitat aus Jes 53,5 auch Gott den Vater als aktiv Handelnden dar. Nach Luther widerspricht das Leiden und Sterben des Sohnes dem Willen des Vaters auch nicht, sondern entspricht diesem vielmehr, da jener die Sünde gebüßt haben will.210 Für die genauere Bestimmung des Verhältnisses der beiden genannten ‚Ursachen‘ der Passion Christi – einerseits die Sünde der Menschen, andererseits der Wille Gottes des Vaters – konnten Prediger in der Tradition der Wittenberger Reformation, wie Johannes Wigand,211 durchaus auf das aristotelische Schema der mehrfachen Ursachen zurückgreifen. Dabei konnten auch weitere Ursachen, z. B. Nutzen und Früchte der Passion als Zweckursachen, einbezogen werden. Luther spezifiziert in seinem Passionssermon diese eher systematische Frage jedoch nicht weiter; er konzentriert sich auf den seines Erachtens relevanten Inhalt der Meditation und ihrer Bedeutung für bzw. Wirkung auf den Meditierenden, d. h. auf die Beziehung des Meditierenden zum Gegenstand der Meditation. Diese Beziehung ist von Seiten des Meditierenden geprägt durch Sünde – und eben dies zu erkennen, zur rechten Selbsterkenntnis zu kommen, darum gehe es bei der Meditation des Leidens Christi: „yn dießem punct muß man sich gar wol ubenn, dan fast der nutz des leydens Christi gar daran gelegen ist, das der mensch zu seyns selb erkentniß kumme und fur yhm selb erschrecke und zurschlagen werde, Und wo der mensch nit da hyn kommet, ist yhm das leyden Christi noch nit recht nutz worden“.212

Als besonderes Beispiel und also Vorbild für ein derartiges Erschrecken angesichts des Leidens Christi führt Luther Bernhard von Clairvaux an, den er mit folgenden Worten zitiert: „Ich meynet, ich were sicher, wiste nichts von dem ewigen urteyl, das yhm hymell uber mich gangen war, Biß das ich sach, das der eynige gottis sun sich meyn erbarmet, erfur208 

A. a. O., 138,31 f. S. o. Kapitel II.2.3.1. 210 Vgl. WA 2, 137,13–15: „das er auch seynem eynigen allerliebsten sun hat nit wollen die sunder loß geben, er thette dan fur sie eynn solche schwere puß“. 211  S. u. Kapitel VI.2. 212  WA 2, 138,15–19. Nach Martin Elze stellt die Selbsterkenntnis das „eigentliche[] Thema“ (Elze, Passion, 145) des Passionssermons dar, worin sich zeige, dass Luther „die im Sermo I de passione niedergelegten Einsichten konsequent ausgewertet“ (a. a. O., 144) habe. In der Passionspredigt von 1518 heißt es: „Primum itaque, quod Christus sua passione nobis ostendit, est quod nobis materiam cogitionis det et ostendat, quales simus intus coram Deo“ (WA 1, 337,34– 36); „Conclusio, Quod Christi passionem nondum intelligit, qui non se ipsum in illa depingi cernit“ (a. a. O., 338,12 f.). Das Thema war allerdings in dem von Elze vordatierten Sermon II de passione kaum weniger präsent: „Secundam notandum pro intellectu etiam, ut, sicut in caritatis exhibitione Dei cognitionem hic discimus, ita et nostra quoque cogitionem discamus.“ (a. a. O., 342,37 f.); „Non enim satis est Christum passum absolute inspicere, sed exemplum sumere, caritatem aestimare Dei et sui cogitionem haurire.“ (a. a. O., 343,10–12). 209 

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tritt unnd yn das selb urteyll sich für mich ergibt. Awe, es ist myr nit mer zu spielen und sich zu seyn, wan eyn solcher ernst dahynden ist.“213

Die Stelle, auf die sich Luther hier bezieht, dürfte aus einer Weihnachtspredigt Bernhards stammen,214 jedoch ursprünglich gerade nicht – wie bei Luther215 – in Kontrast zum Mitleiden mit Christus gemeint gewesen sein.216 Wichtiger als die Frage nach der ursprünglich Bedeutung bei Bernhard selbst ist jedoch der Sachverhalt, dass Bernhard die einzige Autorität ist, die Luther in seinem Passionssermon heranzieht – und ihn in seinem Sinne versteht: „Er sah Bernhard als Weggefährten seiner theologia crucis, in der das Kreuz die Sünden anklagt und sich die Barmherzigkeit unter dem Gericht offenbart.“217 Mit seiner Berufung auf Bernhard stellt sich Luther wiederum in den breiten Strom der zeitgenössischen Passionstheologie, denn Bernhard erlebte „als Lehrer der Passionsmeditation […] gerade im Zuge der Passionsfrömmigkeit des 15. Jahrhunderts eine Renaissance.“218 Wenn Luther Bernhard nun gerade gegen zeitgenössische Tendenzen ins Spiel bringt, die er als ablenkend vom Wesentlichen kritisiert, kann der Bezug auf Bernhard implizit auch als Streit um Bernhard angesehen werden.219 2.4.2  ‚Einbildung‘ und konkrete Meditation Es wurde bereits zitiert, dass man sich in dem Ausgeführten „gar wol ubenn“220 müsse, d. h. dass es zum besseren Verständnis der Passion der praktizierten Meditation bedürfe – eben dazu möchte Luther mit seinem Passionssermon anleiten.221 213 

WA 2, 137,38–138,4.

214 Vgl.

Bernhard, Nat 3,4 (in: Opera IV, 260,13–261,7). unmittelbaren Anschluss an das Bernhard-Zitat bezieht sich Luther auf Lk 23,28 (dazu s. u. Kapitel II.2.4.2 bei Anm. 233), wobei unklar ist, ob Luther die Verbindung des Jesuswortes mit Bernhard bereits vorgefunden hat oder selbst konstruierte. Sie findet sich jedenfalls auch in der Galatervorlesung desselben Jahres (vgl. WA 2, 543,6–9). In den beiden bislang vorgeschlagenen Vorlagen aus Predigten Bernhards (vgl. die folgende Anmerkung) findet sich jedoch kein Verweis auf Lk 23,28. 216 Vgl. hierzu Bell, Bernhardus, 263–265; Posset, Bernhardus, 262–264. Timothy J. Wengert verweist (in: The Annotated Luther 1, 173 Anm. 15) dagegen angesichts der Unsicherheit einer genauen Zuweisung allgemein auf eine Passionspredigt Bernhards (IV HM, in: Opera V, 56–67). 217  A. a. O., 263. 218  Hamm, Frömmigkeitstheologie, 193. Es braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden, dass der Bezug auf die Wunden Christi als Ort des Trostes, der ohne Zweifel in der Tradition Bernhards steht, von Luther  – gerade hinsichtlich seiner eigenen Prädestinationsanfechtungen – stets mit seinem Beichtvater Johannes von Staupitz in Verbindung gebracht wurde (vgl. Bell, Bernhardus, 250–257; Leppin, Begleiter, 246–251). 219  Zum Verhältnis Luther und Bernhard vgl. neben der Monographie Bells auch Köpf, Bernhard; ders., Wurzeln. 220  WA 2, 138,15. 221  Es zeichnet Martin Nicols Interpretation des Passionssermons aus, dass er die theologi215  Im

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II.  Martin Luther

Das Verstehen der Passion ist, so wird mit Recht immer wieder betont, für Luther kein bloß kognitiver Akt; es kann nicht angemessen in innerer Distanz zum Gegenstand der Betrachtung oder als Ableitung von einer allgemeinen Sündhaftigkeit der Menschheit gewonnen werden: „Vielmehr ist die Erkenntnis der Sünde für Luther von vornherein nur möglich als existentielle Erkenntnis.“222 Die Anleitung zur Passionsbetrachtung stellt demnach eine Anleitung zur Verinnerlichung dieses Aspektes dar, die durch den praktischen Vollzug der Meditation erreicht werden soll: „das du dir tieff eyn bildest und gar nicht zwey­ ffelst, du seyest der, der Christum alßo marteret, dan deyn sund habens gewißlich than.“223 In den Absätzen vier bis sechs gibt Luther praktische Ratschläge, wie eine solche Betrachtung durchgeführt werden kann, damit es zu jener ‚Einbildung‘ in das eigene Herz kommen kann.224 Dabei sind in den drei Absätzen unterschiedliche Aspekte des Gesamtzusammenhangs im Blick: Am Ende des vierten Absatzes lenkt Luther den Blick auf den Sohn Gottes und setzt in für Passionsbetrachtungen klassischer Weise225 die Würde der Person und die Bedeutung ihres Leidens zueinander ins Verhältnis: „Was wil den sundern begegen, wan das liebste kindt alßo geschlagen wirt? Es muß eyn unsprechlicher, untreglicher ernst da seyn, dem ßo eyn große unmeslich person entgegen geht und da fur leydet und stirbt, und wan du recht tieff bedenckst, das gottis sun, die ewige weyßheyt des vatters, selbst leydet, ßo wirstu wol erschrecken, unnd yhe mehr yhe tieffer.“226

schen Akzente konsequent im Zusammenhang der Meditationstheorie und -praxis Luthers entfaltet – ein durch die Gattung eigentlich bereits vorgegebener Interpretationshorizont (s. o. Kapitel II.2.2.1), der in bloß ‚theologischen‘ Interpretationen jedoch gern missachtet wird. 222  Heintze, Predigt, 222; vgl. auch Lienhard, Zeugnis, 79. 223  WA 2, 137,22 f. 224  Die Bedeutung des ‚Ein-bildens‘ oder ‚In-sich-bildens‘ bestimmter Bilder in das Innere des Menschen (d. h. die Seele, das Gewissen oder das Herz) prägt in noch stärkerem Maße den ebenfalls 1519 entstandenen Sermon von der Bereitung zum Sterben (WA 2, 685–697), der als klassische ‚Ars moriendi‘ die Todesstunde im Blick hat. In dieser Situation ist es nach Luther im Besonderen nötig, dass die richtigen Seelen- oder Herzensbilder den Menschen dominieren: „Macht gewinnen die Bilder dadurch, dass der Mensch ihnen anhängt, d. h. sich von ihnen in seiner Einbildungskraft dominieren, in seinen Gefühlen beeindrucken und in seinem Glauben leiten lässt. Immer – das ist jedenfalls die Meinung Luthers in einer nach Seuses Vorbild stark bildreligiös operierenden Frömmigkeitstradition  – lebt der Mensch unter diesem machtausübenden Eindruck von Bildern.“ (Hamm, Anleitung, 142). S. u. Kapitel II.3.2.5 Anm. 429. 225  Das Motiv taucht auch in den Predigten, die in den folgenden Kapiteln vorgestellt werden, immer wieder auf. Luther selbst hat diesen Aspekt im Sermo II. de Passione von 1518 oder früher (zur Diskussion um die Datierung s. o. Kapitel II.2.3.2 Anm. 164) ausführlicher angesprochen bzw. geradezu zum Leitgedanken der Predigt gemacht; vgl. WA 1, 343,14–344,21. Der Abschnitt liest sich vor diesem Hintergrund wie ein ausführlicher Kommentar zu dem im vierten Absatz des 1519er Passionssermons kurz Angesprochenen; bzw. umgekehrt: jener kurze Abschnitt im Passionssermon kann als Zusammenfassung des ausführlicher im Sermo II. de Passione Ausgeführten verstanden werden. 226  WA 2, 137,16–21.

2  Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)53



Der fünfte Absatz fokussiert die eigene Sünde als Ursache der Leiden Christi. Luther empfiehlt, in der Meditation die einzelnen Leidenselemente sehr konkret auf die eigene Sünde zu beziehen: „Drumb, wan du die negel Christi sihst durch seyn hend dringen, glaub sicher, das deynn werck seynd, sichstu deyn dörenn kron, glaub, es seyn seyn böß gedanken etc.“227 Was der Frömmigkeitstheologe rät, knüpft an die zeitgenössische Praxis an, einzelne Stationen der Passionsgeschichte und insbesondere die einzelnen Leidenswerkzeuge (arma Christi), wie sie auf zahlreichen Passionsdarstellungen – von Altarbildern bis Flugblättern – gezeigt werden, je für sich zur vertieften Andacht zu nutzen.228 Ähnlich wird auch im sechsten Absatz zur Meditation der einzelnen Aspekte des Leidens geraten, nun jedoch als Spiegel dessen, was ‚mich‘, den Betrachter, der ‚ich mich‘ als Sünder und also Verursacher der Leiden Jesu erkenne, in Ewigkeit als Strafe und Pein erwartet hätte.229 Mit der Bezeichnung des Leidens Christi als ‚Spiegel‘ greift Luther ebenfalls eine in passionstheologischen und -frömmigkeitlichen Kontexten sehr geläufige Metapher auf.230 Auffällig ist an den konkreten Empfehlungen Luthers, dass die von ihm beispielhaft angeführten Leidenswerkzeuge nicht über die in den Passionserzählungen der neutestamentlichen Evangelien erwähnten hinausgehen.231 In den Zusammenhang der Konkretion der Passionsmeditation gehört auch Luthers Verwendung des Jesuswortes, das als Luthers hermeneutischer Schlüsselvers für die Anleitung zur Passionsbetrachtung bezeichnet werden kann. Nachdem er auf Lk 23,28 bereits in der Kritik an der compassio mit Christus im dritten Absatz verwiesen hatte, zitiert er den Vers nun im siebten Absatz: „Alßo gepott er den weybernn: weynet nit uber mich, sondern uber euch selb und uber ewer kinder, Und sagt ursach: dan thut man alßo dem grunen holtz, was will mit dem

227 

A. a. O., 137,27–29. frömmigkeitspraktische Anknüpfung gilt unbeschadet dessen, dass die arma Christi in der Regel wohl für eine Steigerung des Mitleids mit Christus gedacht waren, d. h. im Horizont jenes von Luther angeprangerten Missstandes genutzt wurden (s. o. Kapitel II.2.3). Luther greift insofern die gängige Frömmigkeitspraxis auf, um ihr inhaltlich eine andere Prägung zu geben. 229  WA 2, 137,30–36: „nu sich, wa Christus eyn dorne sticht, da solten dich billich mehr dan hunderttaussent dornen stechen, ja ewiglich solten sie dich alßo unnd vill erger stechen. Wa Christo eyn nagell seynn hend adder füß durch martert, soltestu ewige solch und noch erger negell erleyden, alßo dan auch geschehn wirt denen, die Christus leyden an yhn laßen vorloren werden, dan dißer ernster spiegel, Christus, wirt nit liegen noch schimpfen, Was er anzeygt, muß alßo seyn uberschwencklich.“ 230  Vgl. nur das Werk Ulrich Pinders mit dem Titel Speculum passionis aus dem Jahr 1507 (s. o. Kapitel II.2.2.1). 231  Hier zeigt sich bereits, was nach Ulrich Köpf ein Unterscheidungsmerkmal des evangelischen vom altgläubigen Passionsgedenken wird: „Das reformatorische Prinzip sola scriptura verbietet die seit dem 13. Jahrhundert übliche Anreicherung des Stoffes mit neuen, unbiblischen Szenen und Elementen.“ (Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 751). 228 Diese

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II.  Martin Luther

dürren geschehn? Alß soltt er sagenn ‚auß meyner marter lernet, was yhr vordienet, unnd wie es euch gehen soll‘“.232

All dies verdeutlicht: Der Passionssermon ist eine Anleitung zur Passionsbetrachtung, in der passionshermeneutischen Grundlinien aufgezeigt und Anregungen zur Passionsmeditation gegeben werden. Durchgeführt wird diese jedoch nicht. Luther geht es dabei nicht um eine Abkehr von der affektiven Passionsbetrachtung, sondern um eine inhaltliche Umprägung derselben, wobei er Jesu Anweisung an die Jerusalemer Frauen in Lk 23,28 eine Schlüsselrolle zumisst.233 Dies wurde auch für die weitere Tradition entscheidend: „Insbesondere Lk 23,28 […] bietet innerhalb der lutherischen Passionspredigt und -dichtung den Anlaß, die Transformation des Affektes der compassio in denjenigen der tristitia peccati causa zu thematisieren und im Sinne der Einübung dieses Affektes zu versprachlichen.“234

2.4.3  Gleichförmigkeit mit Christus In den Absätzen acht und neun führt Luther zur Beschreibung für „das eygene naturlich werck des leydens Christi“235 eine weitere klassische Begrifflichkeit der Passionsfrömmigkeit ein: die angestrebte Gleichförmigkeit (conformitas) mit Christus. Denn dieses eigentliche Werk der Passion Christi sei, „das es yhm den menschen gleych formig mache, das wie Christus am leyb unnd seel jamerlich in unsern sunden gemartert wirt, mussen wir auch ym nach alßo gemartert werden im gewissen von unßernn sunden“.236

Diese Gleichförmigkeit äußert sich in eben dem, was Luther bereits beschrieben hat, nämlich in jenem ‚herzlichen Erschrecken‘ über die am Leiden Christi wahrgenommene und erkannte eigene Sündhaftigkeit mitsamt der ihr entsprechenden Strafe. Die (innere) Gleichförmigkeit mit dem (äußeren und inneren) Leiden Christi sei nötig und geboten, früher oder später: „wer sich ßo hart und dorre enpfindt, das yn Christus leyden nit alßo erschreckt unnd yn seyn erkentnis furet, der soll sich furchten, dan do wirt nit anders aus, dem Bild und leyden Christi mustu gleychformig werden, es geschehe yn dem leben adder yn der hellen, 232 

WA 2, 138,4–8.

233  In

Auseinandersetzung mit Elze, Passion, und Bayer, Promissio, die tendenziell das affektive Moment als ein Überbleibsel spätmittelalterlicher Frömmigkeit behandeln, betont Nicol, Meditation, 128: „Luther konnte für sein neues Konzept auf die affektive Brücke zwischen historia und cognitio sui et Dei nicht verzichten, so daß er die traditionelle compassio aufgriff und in entscheidender Weise umprägte.“ 234  Steiger, Christus pictor, 105. 235  WA 2, 138,19. Dieses steht natürlich in antithetischem Kontrast zu dem in Absatz zwei verworfenen Missstand des Eigennutzes und der Magie zur Abwehr von Gefahren (s. o. Kapitel II.2.3.2), was Luther als „widder seyn art und natur“ (a. a. O., 136,19 f.) bezeichnete. 236  A. a. O., 138,19–22.



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tzum wenigsten mustu am sterben und am fegfeur yn das erschrecken fallen und tzitteren, beben unnd alles fulen, was Christus am Creutz leydet.“237

Interessanterweise begegnet die eingeklagte Härte (des Herzens und Gewissens), welche nach Luther das Erschrecken und die Selbsterkenntnis verhindern können, später als Standardargument gegen Luthers Verwerfung der compassio mit Christus: Einzig Hartherzigkeit könne der Grund fehlenden Mitleides mit dem leidenden Christus sein.238 Die Gleichförmigkeit oder Gleichgestaltung mit Christus stellt seit Bernhard von Clairvaux eine klassische Forderung bzw. ein hervorragendes Ziel der Passionsmeditation und im Grunde des ganzen christlichen Lebens dar.239 Den biblischen Hintergrund bietet insbesondere Röm 8,29 („Nam quos praescivit, et praedestinavit conformes fieri imaginis Filii sui“), wie auch die Formulierung in Luthers Passionssermon verrät. Eng verbunden ist die conformitas-Vorstellung mit der Nachfolge/Nachahmung (imitatio) Christi,240 sodass Nachfolge immer auch als Leidensnachfolge verstanden wurde. Das Thema ist im 15. Jahrhundert mit nachhaltiger Wirkung durch die Imitatio Christi des Thomas von Kempen zur Sprache gebracht worden.241 So sehr also Gleichförmigkeit vielfach durch den Weg der Nachfolge in asketischer Aktivität versucht wurde zu erreichen,242 so einseitig ist doch die nicht selten anzutreffende Ansicht, in ‚der‘ spätmittelalterlichen Passionsfrömmigkeit sei das Entscheidende „eine vom Christen selbst zu erfüllende Aufgabe“,243 mithin die conformatio grundsätzlich eine „vom Menschen zu leistende“,244 dass es also „dieser ganzen Frömmigkeitsrichtung bei der Betonung von affectus und effectus allein darauf ankommt, welches 237  A. a. O., 138,33–38. Die Fegefeuerlehre, wie überhaupt die Frage eschatologischer Zwischenzustände, hat nach Luther grundsätzlich „den Charakter einer offenen theologischen Meinung“ (Sander, Art. Fegefeuer, 218). Seit der Zeit der Ablasskritik – in die auch der Passionssermon gehört – polemisiert er jedoch zunehmend gegen das Fegefeuer und v. a. die mit ihm verbundenen Spekulationen und Begleiterscheinungen wegen der beklagten fehlenden Schriftgrundlage und lehnt es entsprechend ab. Seinen „eschatologischen Realismus“ (Slenczka, Art. Hoffnung, 443) hinsichtlich der Eschata inklusive des ‚doppelten Ausgangs‘ in Himmel und Hölle behält er dagegen zeitlebens bei, wie z. B. Äußerungen in seinem Bekenntnis von 1528 zeigen (vgl. WA 26, 509,13–18). 238  So beispielsweise bei Nausea, s. u. Kapitel III.3.3. 239 Vgl. Angenendt, Religiosität, 138–140. 240 Vgl. Richstaetter, Christusfrömmigkeit, 99: „Erst im 12. Jahrhundert erkannte man […] mit dem hl. Bernhard, daß das innerliche Leben in der Gleichförmigkeit mit den Geheimnissen des irdischen Lebens des Heilandes besteht. Immer betont Bernhard, ‚den Fußspuren Jesu nachzufolgen‘, und damit wurde er führend für die Verbreitung der Verehrung der heiligsten Menschheit des Herrn.“ 241  Thomas von Kempen, De imitatione. 242  Dies darf, wie das genannte Beispiel der Imitatio Christi aus dem Kontext der Devotio moderna zeigt, nicht auf das monastische Leben eingeschränkt verstanden werden. 243  Elze, Passion, 128. 244  A. a. O., 131.

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Verhältnis der Einzelne in der von ihm aufzubringenden compassio und imitatio zu Jesus und seinen Leiden gewinnt.“245 Für Luther näherliegend und mit deutlich anderem Akzent ist etwa das 1517 erschienene Hauptwerk Libellus de executione aeternae praedestinationis seines Beichtvaters Staupitz,246 das Luther selbstverständlich kannte und ganz offenbar schätzte, da er sich um dessen Verbreitung kümmerte.247 Der Begriff der conformitas stellt in Staupitz’ Schrift, die insgesamt als eine Interpretation von Röm 8,(29–)30 angesehen werden kann, einen Zentralbegriff dar.248 Markus Wriedt hält den für den hiesigen Zusammenhang entscheidenden Aspekt fest, dass nämlich „die angestrebte Verähnlichung des Menschen mit Christus oder Gott keine Eigenleistung, sondern Folge der Gnadenzuwendung ist. Die conformitas cum Christo ist der theologische Ausdruck bei Staupitz für die Manifestation der Gnade in der individuellen Lebensgestaltung des erwählten und damit erlösten Menschen.“249

Luther knüpft an diese Tradition eines mystisch grundierten antipelagianischen Augustinismus250 an, wenn er die Gleichförmigkeit mit Christus eben als ein „werk des leydens Christi“251 bezeichnet. Dem entspricht – ist aber mit Blick auf den traditionell engen Zusammenhang zwischen conformitas und imitatio Christi explizit festzustellen –, dass Luther die Gleichförmigkeit in dem Teil des Passionssermons behandelt, den er von Absatz fünfzehn her als Betrachtung des Leidens Christi als in ‚uns‘ wirkendes Sakrament bezeichnet und von der Betrachtung Christi als Exempel unterscheidet. In der Passionspredigt aus dem Vorjahr, in der Luther die Unterscheidung sacramentum – exemplum ebenfalls durchgeführt hat, ordnete Luther die Nachfolge der Christen bereits explizit 245  A. a. O., 134 (Hervorhebung J. R.). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem viel zitierten Aufsatz Martin Elzes bietet Baier, Untersuchungen 3, 458–474. Neben der inhaltlichen Kritik wirft Baier Elze die „zu geringe[] Beachtung der Eigenart dieser spätmittelalterlichen aszetischen Schriften“ (a. a. O., 470) vor und fragt in historischer Perspektive nicht zu Unrecht, „ob überhaupt eine situationsbedingte und überspitzte Fragestellung aus der Zeit Luthers in dieser Form mit der zur Zeit Ludolfs verglichen werden kann“ (ebd.). 246  Staupitz, Libellus. 247  Dies geht aus mehreren Briefen des Jahres zwischen Luther und dem Nürnberger Christoph Scheurl hervor, der das Staupitzsche Werk ins Deutsche übersetzt hat (vgl. WA.B 1, 93–95 [Nr. 38]; 105 f. [Nr. 46]; 107 f. [Nr. 47]; 125 f. [Nr. 54]). 248 Vgl. Wriedt, Gnade, 145–186. 249  A. a. O., 149 (Hervorhebung J. R.). Dabei umfasst die Gleichförmigkeit sowohl passive als auch aktive Momente, wie bei Wriedt ausführlich dargestellt. 250 Vgl. Wriedt, Gnade, 211–213. Hervorzuheben ist gerade mit Blick auf den existentiellen Bezug in Luthers Passionssermon die Feststellung a. a. O., 212: „Das Ankommen der Gnade wird bei Staupitz sehr viel stärker existentiell gefaßt als in der vorausgehenden augustinischen Tradition. Dennoch bleibt er, wenngleich auch mit inhaltlichen Modifikationen, wobei die Anleihen in vermehrtem Maße bei der Mystik gemacht werden, der Terminologie Augustins treu.“ 251  WA 2, 138,19. Zum entsprechend gebrauchten conformitas-Begriff im Zusammenhang des Ablassstreits 1517/18 vgl. Lienhard, Zeugnis, 72–74.

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Christus als Vorbild im Lebensvollzug zu: „exemplum passionis Christi imitari“.252 Seiner Art zu Denken entsprechend253 hat Luther demnach Begriffe der Tradition aufgenommen und in klärender Unterscheidung einander zugeordnet: Die Gleichförmigkeit (conformitas) mit Christus entspringt der Betrachtung des Leidens Christi als wirkendem Sakrament; in der Nachfolge (imitatio) Christi ist der Christ mitwirkend und orientiert sich an Christus als Exempel der Lebensführung. Diese Verwendungsweise des conformitas-Begriffs ist bei Luther jedoch kein gefestigter. Er kann nämlich im annähernd zeitgleich entstandenen254 Sermo de duplici iustitia die Gleichförmigkeit  – ganz klassisch  – mit der Nachfolge des Vorbildes Christi verbinden: „Et in hoc imitatur exemplum Christi et conformis fit imagini eius.“255 Diese Aussage findet sich im Kontext der Unterscheidung von einer fremden Gerechtigkeit Christi und einer eigenen Gerechtigkeit auf der Seite der eigenen Gerechtigkeit. Während die fremde Gerechtigkeit von außen zugeeignet werde und durch den Glauben rechtfertige,256 wirke bei der eigenen Gerechtigkeit der Mensch selbst mit.257 Damit steht der Begriff in einer Unterscheidung, die mit derjenigen von Christi Leiden als Sakrament und Exempel dahingehend übereinstimmt, dass auch in ihr zwischen dem ‚an uns Wirken‘ und dem ‚mit uns Wirken‘ unterschieden wird,258 auf der entgegengesetzten Seite. So konträr Luther zu diesem Zeitpunkt den Begriff der Gleichförmigkeit auch verwenden kann, wenn man die beiden Texte miteinander vergleicht, so ist er doch jeweils eingebettet in eine grundsätzliche Unterscheidung und im jeweiligen Textzusammenhang eindeutig zugeordnet. Das ‚natürliche Werk‘ des Leidens Christi, das in den Absätzen acht und neun anhand des Begriffs der Gleichförmigkeit expliziert wurde, wird in Absatz zehn noch einmal in Analogie zur Taufe formuliert. In Anlehnung an Röm 6 schreibt Luther, das Leiden Christi „erwurget den alten Adam, vortreybt alle lust, freud und zuvorsicht, die man haben mag von creaturen, gleych wie Christus von allen, auch von got vorlaßen war“.259 Die Wirkung der Betrachtung des Leidens Christi stellt dabei eine tatsächliche Veränderung des Menschen dar: „dißes be252 

WA 1, 337,39–338,1.

253 Vgl. 254 Vgl. 255 

Beutel, Art. Unterscheidungslehre; Kolb, Hermeneutics.

WA 2, 141.

A. a. O., 147,19. Vgl. a. a. O., 145,9 f. 257  Vgl. a. a. O., 146,34 f. 258  Dazu s. u. Kapitel II.2.6.1. 259  WA 2, 139,16–18. Eine gegensätzliche Verwendung eines Topos in dem Passionssermon und dem Sermo de duplici iustitia zeigt sich auch an dieser Stelle: Während hier das Töten des alten Adam dem sakramentalen Charakter des Leidens Christi zugeordnet ist, bezeichnet Luther im Sermo des duplici iustitia das Vernichten des alten Adam als dauerhafte Aufgabe im Rahmen der zweiten Gerechtigkeit, an der der Mensch mitwirkt: „Haec iusticia perficit priorem, quia semper laborat, ut Adam perdatur et destruatur corpus peccati“ (a. a. O., 147,12 f.). 256 

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dencken wandelt den menschen weßentlich und gar nah wie die tauffe widderumb new gepiret“.260 2.4.4  Gnade und Gebet Im neunten Absatz wird explizit gemacht, was bereits in der Struktur des Sermons angelegt ist (‚Christi Leiden als Sakrament‘), aber mit Rückblick auf die laut Luther falschen Arten der Passionsbetrachtung doch gesagt sein muss: Eine solche ‚fruchtbare‘ Passionsmeditation mit den skizzierten Auswirkungen, dass der Mensch ‚herzlich‘ erschreckt, Christus gleichförmig wird und, wie durch die Taufe, von seinem Innersten her – ‚wesentlich‘ – verändert wird, liegt nicht im Machtbereich des Menschen: „dan es auch nit muglich ist, das Christus leydenn von unß selber müg bedacht werdenn gruntlich, gott senck es dan yn unßer hertz.“261 Man solle gar nicht auf die Idee kommen, so etwas aus sich selbst heraus vollbringen zu können – dies sei der Kardinalfehler der falschen Passionsbetrachtungen.262 An ‚unserer‘ Stelle ist es vielmehr, Gott um seine Zuwendung und Gnade zu bitten: „Darumb soltu gott bitten, das er deyn hertz erweiche und laße dich fruchtparlich Christus leyden bedenken“;263 man müsse, auf den konkreten Akt der Passionsbetrachtung bezogen, „zuvor gottis gnaden suchen und begeren, das du es durch seyn gnad und nit durch dich selb volbringst.“264 Hier wird gewissermaßen frömmigkeitspraktisch angewendet, was sich Luther in seinen früheren Vorlesungen und Disputationen gnadentheologisch erarbeitet hat.265 Um jedoch sogleich das mögliche Missverständnis auszuschließen, es könne sich hierbei doch wieder um eine handhabbare Mechanik handeln, greift Luther das Thema in dem diesen Teil abschließenden elften Absatz in seelsorglicher Weise erneut auf. Denn es geschehe „zu weylen“,266 dass man Gott bittet, aber „es doch nit zu der stund“267 erlangt – und umgekehrt. Hier dürfe man „nit vorzagen odder ablassen“,268 sondern muss wissen, dass Gott zuweilen verborgen 260  A. a. O., 139,14 f. Eilert Herms bezieht sich wiederholt auf diese Stelle (vgl. Herms, Auslegung, 73.81), um darzulegen, dass das Wirken des Heiligen Geistes nach Luther als ein „effektives Heiligmachen“ (a. a. O., 45) zu verstehen sei. Im Blick auf spätere Kontroversen widerspricht dieser Text zumindest – um es etwas vorsichtiger zu formulieren – der Ansicht, Luther habe grundsätzlich eine bloß ‚forensische Rechtfertigungslehre‘ vertreten. 261  WA 2, 139,2–4. 262  Vgl. a. a. O., 139,4–10. 263  A. a. O., 139,1 f. 264  A. a. O., 139,6 f. (Hervorhebung J. R.). Für Martin Nicol ist u. a. diese Formulierung ein Hinweis darauf, dass in Luthers Passionssermon bereits sein später ausgeführtes Meditationsschema Gebet (oratio) – Betrachtung (meditatio) – Nachfolge in Anfechtung (tentatio) Anwendung findet (vgl. Nicol, Meditation, 149). 265 Vgl. Grane, Modus. 266  WA 2, 139,20. 267  A. a. O., 139,20 f. 268  A. a. O., 139,21.

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(„heymlich“269) handle, während das Offenbare nur „scheynbarlich“270 sei – und so komme es vor, dass „die messe hören, die sie nit hören, unnd die nit hören, die sie hören“.271 2.5  Rechte Passionsbetrachtung: Der Zusammenhang von Karfreitag und Ostern (Absätze 12–14) 2.5.1  Erschrecken: Sünde im Gewissen – Glaube: Sünde auf Christus Der zwölfte Absatz wird von Luther mit der Feststellung eröffnet, dass „biß her“272 die Karwoche und der Karfreitag im Fokus standen, doch „Nu kummen wir zu dem Ostertag und aufferstehung Christi“.273 Denn wer, wie es das erste und notwendige Werk des Leidens Jesu ist, über seine Sünde erschrocken ist, muss aufpassen, dass er nicht dabei stehen bleibt – „es wurde gewiß eyn lauter vorzweyffelnn drauß“.274 Nun stellt die Verzweiflung (desperatio) selbst wiederum – was im Hintergrund steht, von Luther aber nicht weiter ausgeführt wird – eine Sünde dar, da sie sich unheilvoll auf sich selbst bezieht. In der Tradition des Thomas von Aquin beispielsweise ist die desperatio als Affekt das negative Pendant zur Hoffnung (spes)275 und wird theologisch als Sünde verstanden, weil der Mensch nicht mehr auf Gottes Güte hofft und damit gegen Gott als den Gütigen gerichtet ist.276 Bei Auslegungen der Passionsgeschichte wird gern der verzweifelnde Verräter Judas als Exempel angeführt.277 Verzweifeln also darf man nicht, was jedoch geschehen würde, wenn man die Sünde im „gewissen“278 oder „hertzen“279 belassen würde. Um von der sich in Gewissen und Herz ‚fressenden‘ Sünde frei zu kommen, würden viele verkehrterweise nach guten Werken, Genugtuung und Ablass streben,280 doch: „gleych wie sie [die Sünde, J. R.] auß Christo geflossen und erkand worden seynd, ßo muß man sie widder auff yhn schutten und das gewissen ledig machen.“281 269 

A. a. O., 139,28.

270 Ebd. 271 

272  273 

A. a. O., 139,30 f.

WA 2, 139,32.

A. a. O., 139,33. A. a. O., 139,36. 275 Vgl. Thomas von Aquin, STh I–II q. 40 (Editio Leonina 6, 265–271); vgl. Stickelbroeck, Ursprungssünde, 508–511. 276 Vgl. Thomas von Aquin, STh II–II q. 20 (Editio Leonina 8, 151–155); vgl. Stickelbroeck, Ursprungssünde, 511–520. 277  So beispielsweise bei Simon Musäus (s. u. Kapitel VI.3), demzufolge Christus Judas hat verzweifeln lassen, da dieser ihn mutwillig und vorsätzlich gegen das eigene Gewissen verraten habe, woraus die Lehre gezogen wird: „Solche gehen gemeinlich mit verzweifflung dahin / als sündigende wider den heiligen Geist.“ (Musäus, Postilla, CLXIIr). 278  WA 2, 139,36. 279  A. a. O., 140,2. 280  Vgl. a. a. O., 140,1–5. 281  A. a. O., 139,37 f. 274 

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Wie man die Sünde ‚wieder auf Christus schütten‘ kann oder – weiter gefasst – vom Zusammenhang von Karfreitag und Ostern handelt der dreizehnte Absatz: „Dan wirffestu deyn sunde von dir auff Christum, wan du festiglich gleubst, das seyne wunden und leyden seyn deyn sunde, das er sie trage und bezale“.282 Sowie für die Begründung dessen, dass Christus um ‚unserer‘ Sünde willen gelitten hat, Jes 53,5 angeführt wurde, so stellt nach Luther der Folgevers einen Beleg für das Tragen ‚unserer‘ Sünden durch Christus in Tod und Auferstehung dar: „wie Jsa: 53.[Vers 6, J. R.] sagt: Gott hat unßer aller sund auff yhn gelegt“;283 zudem werden die Apostel Petrus284 und Paulus285 als Autoritäten angeführt. Auf derartige Worte „musstu mit ganntzem wag dich vorlassen, ßo vil mehr, ßo herter dich deynn gewissen martert“.286 Luther schreibt hier ohne Zweifel geprägt von Anfechtungserfahrungen, die er selbst durchlebt und durchlitten hat – und mit dem Verweis auf die Wunden Christi als den alleinigen Ort des Trostes gibt er weiter, was er selbst als tröstenden Hinweis von seinem Beichtvater Staupitz erhielt.287 Bei Luther hat sich jedoch inzwischen zunehmend, anders als bei seinem geistlicher Begleiter, der ‚feste Glaube‘ im Sinne des ‚sich Verlassens‘ auf Christus und sein Heilswerk ‚für uns‘, wie es im Wort Gottes zugesagt ist, als der sein theologisches Koordinatensystem organisierende Zentralbegriff durchgesetzt.288 Das Gegenüber von Sündenerkenntnis und Erschrecken angesichts des Leidens und Sterbens Christi auf der einen Seite und Glaube an die Überwindung ‚meiner‘ Sünde – die „viel zu starck“289 ist, als dass man selbst damit fertig werden könnte – durch Tod und Auferstehung Christi auf der anderen Seite, sieht Luther biblisch vorgeprägt in Röm 4,25. Dieser Vers stellt damit das Strukturprinzip der ‚rechten‘ Passionsbetrachtung dar: „Alßo spricht S. Paulus, das Christus gestorben ist umb unser sund und aufferstanden umb unßer gerechtickeyt, das ist, yn seynem leyden macht er unßer sund bekannt und erwurgt sie alßo, aber durch seyn aufferstehn macht er unß gerecht unnd loß von allen sunden, ßo wir anders dasselb gleubenn.“290

282 

A. a. O., 140,6–8. A. a. O., 140,8 f. 284  1 Petr 2,24: „Er hatt unßer sund yhnn seynem corpor getragen auff dem holtz des Creutz“ (a. a. O., 140,9 f.). 285  2 Kor 5,21: „Gott hatt yhn gemacht zu eynem sunder fur unß, auff das wir durch yhn rechtfertig wurden“ (a. a. O., 140,10 f.). 286  A. a. O., 140,12 f. 287  Vgl. z. B. WA.TR 2, 112,9–19 (Nr. 1490); a. a. O., 227,20–25 (Nr. 1820); a. a. O., 582,15– 18 (Nr. 2654a). Zu den methodischen Problemen vgl. Leppin, Erinnerungssplitter, 55–57. 288 Vgl. Hamm, Gottesliebe; ders., Zentralbegriff; Saarinen, Art. Glaube; auch Bizer, Fides, der minutiös nachgezeichnet hat, wie in Luthers Theologie die Zentralstellung des Demutsbegriffs nach und nach von der des Glaubensbegriffs abgelöst wurde. 289  WA 2, 140,17. 290  A. a. O., 140, 22–26. Vgl. zu Luthers Verständnis von und Umgang mit Röm 4,25 in anderen Zusammenhängen Kolb, Resurrection. 283 

2  Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)61



2.5.2  Gotteserkenntnis und theologia crucis Mit dem Glauben, dem Schritt von dem Leiden und Sterben zur Auferstehung, verhält es sich, wie Luther noch einmal zu Beginn des vierzehnten Absatzes betont, wie mit der Betrachtung des Leidens: „dißer punct ist auch alleyn in gottis hand frey“,291 weshalb Gott um diesen Glauben gebeten werden soll. Doch man könne und solle sich zumindest „da zu reitzen“,292 wie Luther in einem Weg der Passionsmeditation in drei Schritten darlegt. Dieser Weg führt von dem Leiden Christi, dessen Betrachtung ja bereits Thema war, in dessen Herz und durch dieses in das Herz Gottes des Vaters. So kommt es zur innigsten und wichtigsten Gotteserkenntnis, nämlich zu erkennen, was Christus in Joh 3,16 über seine Sendung und dessen Grund in Gott sagt: „Zum ersten, nit das leyden Christi mehr an zusehen (dan das hatt nu seyn werck gethan und dich erschreckt), sundern durch hyn dringen und ansehen seyn fruntlich hertz, wie voller lieb das gegen dir ist, die yhn da zu zwingt, das er deyn gewissen und deyn sund ßo schwerlich tregt. Alßo wirt dir das hertz gegen yhm susße und die zuvorsicht des glaubens gstercket. Darnach weyter steyg durch Christus hertz zu gottis hertz und sehe, das Christus die liebe dir nit hette mocht erzeigen, wan es gott nit hett gewolt yn ewiger liebe haben, dem Christus mit seyner lieb gegen dir gehorsam ist. Da wirstu finden das gotlich gutt vatter hertz unnd, wie Christus sagt, alßo durch Christum tzum vatter gezogen, da wirstu dan vorsteen den spruch Christi: Also hat got die welt geliebt, das er seynen eynigen sun ubir geben hat etc.“293

Ein ausführlicher Vergleich mit zeitgenössischen Meditationswegbeschreibungen für die Passion würde einen detaillierten Aufschluss über Kontinuitäten und Luthers Spezifika bieten. Exemplarisch sei auf ein traditionsgeschichtlich naheliegendes Beispiel verwiesen: Bei allen Differenzen stimmt Luthers Wegbeschreibung etwa mit der bereits angesprochenen aus den 1512er Salzburger Predigten von Staupitz294 darin überein, dass es sich erstens formal um einen Dreischritt handelt, in dem zweitens ein immer tieferes Eindringen in das Geheimnis der Passion erreicht werden will, wobei drittens von der Betrachtung des äußeren Leidens ausgegangen und zur Erkenntnis der göttlichen Barmherzigkeit und Liebe als Movens und Kern der Passion Christi geführt wird.295 Mit dem Bild des Herzens Jesu und des Herzens Gottes lehnt sich Luther überdies an gängige Elemente der Passionsfrömmigkeit an: Seit den Hoheliedpredigten Bernhards wird die geöffnete Seitenwunde Jesu gern als Öffnung des Herzens Jesu verstanden.296 Es kann also, ohne dies weiter ausführen zu müssen, gesagt 291  292 

WA 2, 140,28 f.

A. a. O., 140,30. A. a. O., 140,30–141,3. 294  S. o. Kapitel II.2.2.1. 295  Überdies erinnert sich Luther, dass Staupitz in einem Rat gegen seine Prädestinationsanfechtungen ausgeführt habe, dass der Vater extra Christum nicht gefasst und begriffen werden wolle; vielmehr sei der Sohn der Weg zu ihm (vgl. WA.TR 2, 112,16 [Nr. 1490]). 296  Inwiefern sich zudem bis zur Zeit Luthers ein großer „Reichtum an Herz-Jesu-Ver293 

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II.  Martin Luther

werden, dass Luther mit seiner Wegbeschreibung dem Wunsch nach vertiefter Passionsmeditation entgegenkommt, verbreitete Motive aufgreift und selbst diesen Weg für notwendig erachtet, um zur rechten – nicht bloß kognitiv zu verstehenden – Gotteserkenntnis zu gelangen.297 Luthers Theologie wird gern – und mit gutem Grund – seit dem Klassiker Walther von Loewenichs298 pointiert als theologia crucis auf den Begriff gebracht.299 Damit wird bekanntermaßen ein Ausdruck verwendet, mit dem er sich 1518 auf der Heidelberger Disputation antithetisch gegen eine (scholastische) theologia gloriae wendete.300 Es handle sich bei dem Stichwort und dem in der Heidelberger Disputation Dargelegten um ein ‚Denkprinzip‘ Luthers,301 das Kreuz sei für Luther „nicht nur Gegenstand der Theologie, sondern Vorzeichen aller Theologie“.302 Dies ist durchaus richtig; es stellt sich allerdings die dabei kaum beachtete Frage, wie sich der ‚Gegenstand‘ zum ‚Vorzeichen‘ verhält, d. h. wie jene „Art von Theologie“303 unter dem Titel theologia crucis mit dem konkreten Kreuz, mit der Predigt und der Meditation von Christi Leiden und Sterben bei Luther verbunden ist.304 Aufschlussreich hierfür ist der zitierte Meditationsweg deshalb, weil ihn Luther wie folgt kommentiert: „Das heist dann got recht erkennet, wan man yhn nit bey der gewalt ader weyßheit (die erschrecklich seynd), sundernn bey der gute und liebe ergreifft, da kan der glaub und zuvorsicht dan besteen und ist der mensch alßo warhafftig new ynn got geporen.“305

Hier ist terminologisch aufgenommen, was Luther von Röm 1,20–22 und 1 Kor 1,18–25 ausgehend in den Thesen 19 und 20 der Heidelberger Disputation formuliert und in ihren Erklärungen unter Rückgriff auf die genannten Biehrung“ (Richstätter, Christusfrömmigkeit, 212) herausgebildet hatte, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Vgl. ders., Herz-Jesu-Verehrung 1; ders., Herz-Jesu-Verehrung 2. Die Forschungen Richstätters sind allerdings aufgrund dessen Motivation, die Herz-Jesu-Frömmigkeit durch entsprechende Ursprungslokalisierung in Deutschland als ‚urdeutsch‘ zu erweisen, im Horizont der (Kriegs-)Zeit des frühen 20. Jahrhunderts als hoch problematisch einzuschätzen. Zu den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen vgl. Schlager, Kult und Krieg. 297  Wirkungsgeschichtlich ist die Aussage, dass man durch Christus ‚zum göttlich, guten Vater-Herz‘ gelangt, insofern interessant, als Luther im großen Katechismus Christus als „spiegel […] des Veterlichen hertzens“ bezeichnet hat, „ausser welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter“ (BSELK, 1068,12–14). 298  Loewenich, Theologia. 299 Vgl. Reinert, Luthers theologia crucis. 300 Vgl. WA 1, 353–374; v. a. die Thesen 19–24 (a. a. O., 354,17–28). 301 Vgl. Loewenich, Theologia, 14 f. 302  A. a. O., 18. 303 Ebd. 304  Die konkreten Passionsmeditationsanweisungen Luthers aus dem Passionssermon (vgl. WA 2, 137,22–29; dazu s. o. Kapitel II.2.4.2) bezieht immerhin Gerhard Forde in seine Interpretation der Heidelberger Disputation ein (vgl. Forde, Theologian, 7 f.). Auf die hiesige Textstelle rekurriert er jedoch nicht. 305  WA 2, 141,3–7.

2  Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)63



belstellen begründet hat.306 Der Passionsmeditationsweg ist daher als die passionstheologische und frömmigkeitspraktische Grundierung des theologischen ‚Denkprinzips‘ theologia crucis anzusehen. Die ‚Art der Theologie‘ Luthers darf nicht von ihrem ‚Gegenstand‘ gelöst werden; das Prinzip muss bei Luther am Konkreten verankert gesehen werden. Denn ihm ging es auch in der Heidelberger Disputation nicht zuvorderst um ‚das Kreuz‘, sondern um ‚den Gekreuzigten‘: „Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei.“307 Exkurs: Erschrecken und Glaube – Selbst- und Gotteserkenntnis – Gesetz und Evangelium Die Passion Jesu Christi soll Luther zufolge eine doppelte Wirkung entfalten: einerseits ein Erschrecken aufgrund der Erkenntnis, dass ‚meine‘ Sünde das Leiden und Sterben Jesu Christi verursacht haben (Selbsterkenntnis), andererseits den Glauben an die Überwindung der Sünde durch Tod und Auferstehung Jesu Christi, dessen Hingabe als ein Akt göttlicher Liebe erkannt wird (Gotteserkenntnis). Die doppelte Wirkung entspricht dem, was Luther später vielfach als notwendige Unterscheidung von Gesetz und Evangelium formuliert hat.308 Denn diese Distinktion zeigt genau jene Doppelseitigkeit an, die auch das Kreuz Christi dem Betrachtenden offenbart und wirkt: „God uses the gospel to end the law and its accusation: the law reveals sin, and the gospel forgives it; the law terrifies the comfortable, and the gospel comforts the terrified; the law puts to death, and the gospel makes alive.“309 Angesichts der offensichtlichen Parallelität liegt die These nahe, dass Luthers passionstheologische Pointe, die er verdichtet in verschiedenen Kontexten in den Jahren 1518 und 1519 äußert,310 einen entscheidenden Beitrag zur Klärung und Präzisierung jener „Fundamentalunterscheidung“311 geleistet hat, deren besonderes Hervortreten in die Jahre 306 Vgl.

WA 1, 361,31–362,19. A. a. O., 362,18 f. 308  In der Tradition Gerhard Ebelings wird die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium immer wieder als die Zentralunterscheidung des theologisch ‚reifen‘ Luther angesehen. Vgl. Ebeling, Luther, 120: „Darum ist die Rechtfertigungslehre in dieser ihrer Funktion gleichsam als Lehre aller Lehren nur dann nach Luthers Verständnis richtig erfaßt, wenn sie identisch ist mit dem, das die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Grundanweisung theologischen Denkens, das heißt aber als entscheidender Gesichtspunkt theologische Urteilskraft meint.“; Beutel, Art. Unterscheidungslehre, 451: „Im Zuge seiner intensiven Beschäftigung mit Paulus etablierte sich bei Luther dann aber zunehmend die Distinktion von Gesetz und Evangelium als theologische Fundamentalunterscheidung.“; für Schwarz, Lehrer, 21 ist „mit Gesetz und Evangelium das Gestaltungsprinzip von Luthers Theologie als Lehre der christlichen Religion“ bestimmt. 309  Wengert, Bible, 31. 310  Vgl. die Heidelberger Disputation 1518, die Karfreitagspredigt(en) von 1518, die von kreuzestheologischen Ausführungen durchdrungene zweite Psalmenvorlesung ab 1518 und eben der Passionssermon von 1519. 311  Beutel, Art. Unterscheidungslehre, 451 im Gefolge von Ebeling, Unterscheiden. 307 

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1520312 oder 1522313 datiert wird, ohne dass damit ein Abschluss konstatiert werden könnte.314 In der Forschung wurde diesem Zusammenhang bisher jedoch kaum Aufmerksamkeit geschenkt.315 Gemeinhin wird die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium mit Ebeling316 als eine Weiterentwicklung der in den Dictata super Psalterium wichtigen Unterscheidung von Geist und Buchstabe angesehen.317 Dies hat v. a. zwei Gründe: (1.) Luther formuliert das, was einen Theologen wahrhaft ausmacht, ganz parallel in der ersten Psalmenvorlesung in Bezug auf die Unterscheidung von Geist und Buchstabe und später in Bezug auf Gesetz und Evangelium.318 (2.) In der Auseinandersetzung über bibelhermeneutische Prinzipien im Anschluss an 2 Kor 3,6 mit Hieronymus Emser 1520/21 vollzieht Luther explizit eine Entsprechung von Buchstabe und Geist mit der Predigt von Gesetz und Gnade/Evangelium;319 und er macht sogar eine entsprechende Randglosse in der Übersetzung des Neuen Testaments von 1522.320 312 

So z. B. Kolb, Art. Gesetz, 252. So z. B. Lohse, Theologie, 167. 314  Gerhard Heintze betont etwa, dass eine „selbständige Funktion der Gesetzespredigt neben der Evangeliumspredigt“ (Heintze, Predigt, 79) erst nach 1522 feststellbar sei. Die meisten Aussprüche oder Abhandlungen Luthers, in denen er die besondere Bedeutung dieser Unterscheidung hervorhebt, fallen ohnehin in die 1530er Jahre, einige veranlasst durch den sog. ersten antinomistischen Streit (vgl. Ebeling, Unterscheiden, 445 f.). Vgl. die vielzitierten Sentenzen WA 40/I, 207,17 f. von 1531/35 („Qui igitur bene novit discernere Evangelium a lege, is gratias agat Deo et sciat se esse Theologum.“) und WA 39/I, 361,1–4 von 1537 („Audistis autem iam saepe, meliorem rationem tradendi et conservandi puram doctrinam non esse, quam ut istam methodum sequamur, nempe ut dividamus doctrinam christianam in duas partes, scilicet in legem et evangelium.“) sowie die im Druck erschienenen Predigten Wie das Gesetz und Euangelion recht grundlich zu unterscheiden sind von 1532 (WA 36, 8–23 und 24–42) und Ein Newe predigt von dem Gesetz und Euangelio von 1537 (WA 45, 145–156). In der Tischrede Nr. 5518 von 1542/43 aus den Nachschriften Kaspar Heidenreichs wird die Erkenntnis der richtigen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als eine Art reformatorischer Durchbruch geschildert (vgl. WA.TR 5, 210,6–40). 315  Vgl. allerdings die kurze Erwähnung des Passionssermons im Zusammenhang der Genese von Gesetz und Evangelium bei Kolb, Confessor, 53. Schneider, Christus, 295 beobachtet in der zeitlich parallelen zweiten Psalmenvorlesung, dass „Luther die Gestalt des Gekreuzigten, der wir konformiert werden, mit derselben Funktion wie das Gesetz versieht“. 316 Vgl. Ebeling, Luther, 120 f.; ders., Unterscheiden, 444 f. 317  Eine alternative Ansicht vertritt Bernhard Lohse, demzufolge Gesetz und Evangelium „die reformatorische Neuformulierung der zuerst durch Augustin vorgenommenen Unterscheidung zwischen Gesetz und Gnade“ (Lohse, Theologie, 285) ist. 318  Vgl. etwa WA 3, 12,2 f. („Item in Scripturis sanctis optimum est Spiritum a litera discernere, hoc enim facit vero theologum.“) mit WA 7, 502,34 f. („Quando autem pene universa scriptura totiusque Theologiae cognitio pendet in recta cognitione legis et Euangelii“) und den in Anm. 314 angeführten Stellen. So z. B. Ebeling, Luther, 121 f. 319 Vgl. WA 7, 653,29–34: „Hie sehenn wir klar, das S. Paulus zwo taffeln nennet und tzwo predigett. Moses taffeln waren steynern, da das gesetz ein geschrieben ist mit gottis fingernn Exo. xx.; Christus taffeln odder (wie er hie sagt) Christus brieff sein der Christenn hertzen, ynn wilche nit buchstaben, wie ynn Moses taffel, ßondern der geyst gottis geschrieben ist durch das Euangelii predigt und Apostell ampt.“ Vgl. hierzu Schwarz, Lehrer, 37–44. 320  Vgl. WA.DB 7,147. 313 



2  Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)65

Sowenig diese Traditionslinie also bestritten werden soll, ist sie doch für die Erklärung der Genese der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium keineswegs hinreichend, sondern bedarf der inhaltlichen Füllung durch die passionstheologischen Überlegungen. Im Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi sind Erschrecken und Glaube aufgrund von Selbst- und Gotteserkenntnis die doppelte Wirkung der Betrachtung der Passion Christi als Sakrament. Die Unterscheidung von Christi Leiden und Sterben als sacramentum und exemplum begegnete auch in der Passionspredigt von 1518 und die Wirkung als sacramentum ist darin jeweils ebenfalls doppelseitig ausgeführt:321 Im Sermo I. de Passione Christi, und zwar in jenem Stück, das auch in deutscher Übersetzung (Wie das Leiden Christi soll betrachtet werden) Teil der Rothschen Winterpostille ist, geht es konkret um die Erkenntnis ‚unseres Elendes‘ (miseria) einerseits und von ‚Gottes Barmherzigkeit‘ (misericordia) andererseits im Leiden und Sterben Christi.322 Gerade diese Formulierung wurde nun interessanterweise als Zentrum der Theologie von Staupitz ausgemacht: „The dialogue between heaven and earth, between the self-giving misericordia of God and the dire miseria of man is the central and perennial theme of his sermons and treatises.“323 Im bereits erwähnten Libellus de executione aeternae praedestinationis von 1517 etwa ist das zehnte Kapitel überschrieben mit „De correspondentia summae misericordiae cum summa miseria“.324 Inhaltlich handelt dieses Kapitel von der christologischen Grundlegung des Heils. Während es dabei jedoch eher inkarnationstheologisch um Gottes Einlassen auf das wesentlich als Schuld (culpa) identifizierte menschliche Elend in Christus aufgrund göttlicher Barmherzigkeit geht – freilich immer in soteriologischer Perspektive –, führt Luther, seinem Thema entsprechend, die Gegenüberstellung konsequent an Christi Passion durch. Sowohl die zeitliche Nähe als auch Luthers grundsätzliche Hochschätzung des Libellus325 lassen die Annahme als wahrscheinlich erscheinen, dass Luther in der Passionspredigt von 1518 eine von Staupitz inspirierte passionstheologische Pointe formuliert, die er im 1519er Passionssermon weiterführt, und die – losgelöst aus ihrem passionstheologischen Kontext  – wegbereitend für die ‚Fundamentalunterscheidung‘ von Gesetz und Evangelium wurde.326 321  Im (eventuell älteren) Sermo II. de Passione ist zwar nicht die Unterscheidung von sacramentum und exemplum vorgenommen, jedoch ebenfalls jene Doppelseitigkeit ausgeführt, wobei etwas allgemeiner von der Erkenntnis unserer selbst (cognitio nostra) und der Erkenntnis Gottes (cognitio Dei) in Christi Passion die Rede ist (vgl. WA 2, 342,37–343,13). Vgl. Nicol, Meditation, 126. 322 Vgl. WA 2, 340,1–10; Luther, Außlegu[n]g, fol. CLXv. 323  Steinmetz, Misericordia, 1. 324  Staupitz, Libellus, 150–155 (Caput X, § 63–70). 325  S. o. Kapitel II.2.4.3. 326  Die These der impulsgebenden Bedeutung von Staupitz für Luthers Formulierung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wird noch verstärkt durch die Beobachtungen von

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Dass Luther eine passionstheologische Unterscheidung generalisiert, wäre nicht singulär: Dies zeigt sich auch bei der Unterscheidung von Christus als sacramentum und exemplum. 2.6  Rechte Passionsbetrachtung: Christus als Sakrament und Exempel (Absatz 15) 2.6.1  Zur Unterscheidung von sakramentaler und exemplarischer Betrachtung Die berühmte Unterscheidung zwischen Christus als Sakrament und als Exempel formuliert Luther erst im letzten, fünfzehnten Absatz, jedoch als ein dem Passionssermon insgesamt zugrundeliegendes Strukturprinzip: „Wan alßo deyn hertz in Christo bestetiget ist unnd nu den sunden feynd worden bist auß liebe, nit auß furcht der peyn, ßo soll hynfurter das leyden Christi auch eyn exempel seyn deynes gantzen lebens und nu auff eyn anderweyß dasselb bedencken. Dan biß her haben wir es bedacht als eyn sacrament, das yn unß wirkt und wir leyden, Nu bedencken wyr es, das wir auch wirken“.327

Es gibt eine recht ausführliche Forschungsdiskussion über Genese und Bedeutung sowie die Genese der Bedeutung der Unterscheidung von sacramentum und exemplum bei Luther, worauf an dieser Stelle nicht eingegangen werden muss.328 Im Rahmen der hiesigen Darstellung genügt es, Folgendes festzuhalten: Dem Begriffspaar begegnet Luther schon 1509 bei der Lektüre von Augustins De trinitate Buch IV Kapitel 3 in einem passionstheologischen Kontext und er macht sich entsprechende Randbemerkungen.329 Besonders gehäuft arbeitet Luther mit der Unterscheidung dann in den Jahren um 1518/19, wobei er in Vorlesungen und für ein Fachpublikum – anders als in Predigten und Sermonen – immer wieder explizit auf die augustinische Herkunft der Unterscheidung verweist.330 Lothar Graf zu Dohna zu Kapitel XVI und XVII des Libellus de executione von Staupitz in Kombination mit einer rückblickenden Tischrede Luthers aus dem Jahr 1532 (WA.TR 2, 665,28– 666,11 [Nr. 2797a]); vgl. Dohna, Gesetz. Dass Staupitz bei den Ausführungen zum Gesetz in Kapitel XVI des Libellus zudem auf die paulinisch-augustinische Unterscheidung von Geist und Buchstabe rekurriert, könnte eine Brücke zwischen der Ebelingschen und der hier vorgenommenen These zur Entwicklung von Gesetz und Evangelium bei Luther bilden. 327  WA 2, 141,8–13. 328 Vgl. in chronologischer Reihenfolge Jetter, Taufe, 142–159; Bizer, Entdeckung; ders., Fides, 75–79; Iserloh, Sacramentum; ders., Stellung, 31–47; Nagel, Sacramentum; Lienhard, Zeugnis, 64–66; Beer, Wechsel, 37–72; Blaumeiser, Kreuzestheologie, 368–388; Kyndal, Christus; Schneider, Christus, 284–299; Wolff, Metapher, 367–378 (der auf die Forschungsdiskussion jedoch keinen Bezug nimmt); Kwon, Christus, 167–171. 329 Vgl. WA 9, 18,18–32/AWA 9, 577,16–33. Die Unterscheidung zwischen sacramentum und exemplum bezieht sich in Luthers Randbemerkung auf „Crucifixio Christi“ (WA 9, 18,19/ AWA 9, 577,17). 330  Vgl. z. B.  WA 57/III, 223,11–14 (in der Hebräerbriefvorlesung); WA 1, 309,18–21 (in den Asterisci gegen Eck); WA 2, 501,34–502,4 (im Galaterkommentar); WA 5, 637,32–35 (in



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Im Zusammenhang des Passionssermons besagt die Distinktion primär: Die Unterscheidung der Meditationsweisen entspricht der Unterscheidung der Wirkweisen. Die Betrachtung des Leidens Christi in der Weise, dass dieses selbst in den Betrachtenden wirkt, nämlich Erschrecken bzw. Selbsterkenntnis einerseits und Glauben bzw. Gotteserkenntnis andererseits, ist der sakramentale Charakter der Passion. Dem folgend und nachgeordnet, jedoch keinesfalls überflüssig, ist der exemplarische Charakter der Passion für das ‚ganze Leben‘ derjenigen, an welchen die Passion in sakramentaler Weise bereits gewirkt hat. In dem an der Passion Christi ausgerichteten Lebensvollzug sind die Betrachtenden mitwirkend.331 In der in deutscher Sprache verfassten Einleitung in die Weihnachtspostille von 1522 unter dem Titel Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten soll hat Luther den Gedanken weiterentwickelt, indem er ihn erstens terminologisch präzisiert, zweitens mit anderen grundlegenden Unterscheidungen kombiniert und drittens in seinem Anwendungsbereich generalisiert hat. (1.) Im Deutschen schreibt Luther als Pendant zu Christus ‚als Exempel‘ von Christus als „eyn gabe und geschenck“332 und tatsächlich findet sich von da an auch in lateinischen Texten eher das Begriffspaar donum-exemplum.333 Anscheinend sah Luther im Begriff der Gabe das, was er als Gegenüber zum Vorbildcharakter Jesu sagen wollte, besser ausgedrückt.334 Dass es sich in jedem Fall um eine sprachliche Varianz der gleichen Gegenüberstellung handelt, geht nicht zuletzt aus den Antinomerdisputationen von 1537/38 hervor, wo Luther die Begriffe donum und sacramentum wechselseitig gebrauchen kann.335 (2.) Nachdem Luther – prominent in den Sermonen Von den guten Werken und Von der Freiheit eines Christenmenschen im Jahr 1520 – die Zuordnung von Glaube und Werken als Glaube und Liebe zur Gottesbeziehung und der Bezieder zweiten Psalmenvorlesung); aber auch schon in der Römerbriefvorlesung (WA 56, 321,23– 322,9). 331  Was Luther alles unter Christi Leiden als Sakrament fasst, wurde in den Kapiteln II.2.4 und II.2.5 aufgeführt; zum inhaltlichen Aspekt von Christi Leiden als Exempel s. u. Kapitel II.2.6.2. 332  WA 10/I,1, 11,14. 333  Z. B. in der Nachmittagspredigt am Karfreitag 1524: „Ita hodie audistis, quod Christi passio sit nostrum donum nobis datum et exemplum, quod imitari debemus.“ (WA 15, 515,14 f.); in einer Predigt vom 11.12.1524 (3. Advent): „Christus solus donum est, alii sancti possunt esse exemplum. In eo quod donum est, praecedit alois omnes. Exemplum est ferrum, donum est aurum.“ (WA 15, 778,2–8); in der 1527–1529 gehaltenen und 1532/34 gedruckten Jesajavorlesung: „Christus nobis dupliciter praeponitur. Primo sicut donum, deinde sicut exemplum.“ (WA 25, 314,36 f.); verschiedentlich im Galaterkommentar von 1531/35 (vgl. WA 40/I, 389; WA 40/II, 41–44). 334  Mögliche Gründe formulieren Kyndal, Christus, 215 f.; Schwarz, Lehrer, 90. Zum Gabebegriff vgl. Holm, Gabe; ders. / Widmann, Word; Hamm, Gabe; Saarinen, Luther. 335  Vgl. in der zweiten Disputation (WA 39/I, 462,20–22): „Atque ita primum proponitur nobis Christus ut donum seu sacramentum.“

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hung zum Nächsten vorgenommen hat, konnte er dies mit der Unterscheidung vom in ‚uns‘ wirkenden Leiden Christi und dem von ‚uns‘ mitgewirkten Lebensvollzug nach dem Vorbild Christi in seinem Leiden kombinieren. So pointiert Luther 1522: „Christus als eyn gabe nehret deynen glawben und macht dich tzum Christen. Aber Christus als eyn exempel ubet deyne werck, die machen dich nit Christen, ßondern sie gehen von dyr Christen schon zuuor gemacht. Wie ferne nu gabe und exempel sich scheyden, ßo fern scheyden sich auch glawbe und werck, der glawb hatt nichts eygens, ßondern nur Christus werck und leben, Die werck haben etwas eygen von dyr, sollen aber auch nit deyn, ßondern des nehisten seyn.“336

(3.) Die Unterscheidung von Gabe und Exempel betrifft nun, in der Einleitung zu einer Postille mit Auslegungen zu den Perikopen der Weihnachtszeit, nicht mehr lediglich Kreuz und Auferstehung: Aus der passionstheologischen Distinktion wurde eine grundlegende Unterscheidung der Evangelien- bzw. der Evangeliumshermeneutik.337 Christus selbst ist „dyr von gott geben und deyn eygen“338 – und dies ist das „hewbtstuck und grund des Euangelij“.339 Es ist angesichts der Generalisierung der Unterscheidung und ihrer Verknüpfung mit der Gegenüberstellung von Glaube und Werken durchaus angemessen, ihr den Status einer ‚elementaren Relation‘ in der Theologie Luthers zuzusprechen.340 Was hier historisch-genetisch differenziert wurde, fließt im literarischen Kontext der Postillen freilich zusammen: Die Einleitung der Weihnachtspostille von 1522 steht auch der Winterpostille voran, in der der Passionssermon als Karfreitagspredigt fungiert, sodass für die Rezeption in Anschlag zu bringen ist, dass die Texte miteinander und ineinander gelesen werden konnten.

336 

WA 10/I,1, 12,17–13,2.

337  Den

Ausführungen über die Unterscheidung von Christus als Gabe und als Exempel folgen Überlegungen zum Verhältnis der Evangelien zu dem einen Evangelium (vgl. a. a. O., 9,6–10,19), welches dann durch die Unterscheidung inhaltlich genauer bestimmt wird. 338  A. a. O., 11,14. 339  A. a. O., 11,12. Nicht so sehr in den vor der Einleitung entstandenen Weihnachtspredigten, dafür in der nach der Einleitung entstandenen deutschen Fassung der Adventspredigten (vgl. WA 10/I,1, LV) ist die Unterscheidung zwischen Christus als Gabe und als Exempel immer wieder betont eingeflossen. Am Anfang der Evangeliumspredigt des ersten Advents, die entsprechend die erste Evangeliumspredigt der ganzen Wartburgpostille darstellt, erinnert Luther programmatisch an die Einleitung (vgl. WA 10/I,2, 22,6–14), was die deutsche Auslegung signifikant von den lateinischen Enarrationes von 1521 unterscheidet (vgl. WA 7, 472). 340 Vgl. Schwarz, Lehrer, 84–91. Jin Ho Kwon, der eine Theologie des gepredigten Christus pro nobis aus Luthers Passions- und Osterpredigten bis 1530 erhoben hat, hat die Unterscheidung von Christus als sacramentum und als exemplum zur Grundlage seiner Darstellung gemacht (vgl. Kwon, Christus, § 2 und 3). Schon das systematische Schlusskapitel der zum Klassiker gewordenen Dissertation Gerhard Ebelings über Luthers Evangelienauslegung räumt der Unterscheidung eine zentrale Rolle im thematischen Gesamtzusammenhang ein (vgl. Ebeling, Evangelienauslegung, 424–446).



2  Der Passionssermon (1519) als Passionspredigt der Fastenpostille (1525)69

2.6.2  Christi Leiden als Exempel: Kasuistische Konkretion Nachdem die grundlegende Unterscheidung von Christi Leiden als Sakrament und als Exempel am Anfang des fünfzehnten Absatzes des Passionssermons rückblickend festgehalten wurde, führt der Rest des letzten Absatzes in meist kasuistischen Formulierungen konkrete Vorbildmöglichkeiten vor, z. B.: „So dich eyn weetag oder kranckheyt beschweret, denke, wie gringe das sey gegen der dornenn kronen und negelnn Christi. Szo du must thun adder lassenn, was dir widdert, denck, wie Christus gepunden und gefangen hyn und her gefurt wirt. Ficht dich die hoffart an, sich, wie deyn herr vorspottet und mit den schechern vorachtet wirt.“341

All diese und weitere Hinweise verdeutlichen, wie Luther in monastischer Prägung Kreuzesnachfolge im Alltag versteht: Es heißt in erster Linie, das eigene Fleisch mit seinen Begierden zu kreuzigen, was Luther etwa in Gal 5,24 („Die do Christo zugehören, die haben yhn fleysch mit allen seynen begirden gecreutzigt mit Christo.“342) begründet sieht.343 „Sich, alßo widder alle laster und untugent kann man yn Christo stercke und lobsall finden“,344 was besser sei als Messen zu lesen oder zu hören, da diese „an solche bedencken und ubung nichts helffen“345. Die kasuistischen Konkretionen, mit denen Luther am Ende des Passionssermons „die frucht seyns [d. h. Christi, J. R.] leydens“346 beschreibt, werden der Form nach vielfach von späteren Predigern weitergeführt.347 2.7 Resümee Der Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi ist ein Text, der als Anleitung zur Passionsmeditation – wie Luther selbst – tief in der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit wurzelt. Er enthält zugleich wesentliche passionstheologische Grundentscheidungen Luthers, von denen er in späteren Jahren nicht mehr abließ und die für die lutherische Tradition prägend wurden. 341  WA 2, 141,14–19. Nach Nicol zeigt sich in den Konkretionen, dass „Nachfolge als Nachfolge in Anfechtung“ (Nicol, Meditation, 138) beschrieben werden müsse. Er geht a. a. O., 136–141 dem Zusammenhang zwischen der sakramentalen und der exemplarischen Betrachtung nach. 342  A. a. O., 141,36 f. 343  Gal 5,24 zitiert Luther beispielsweise auch an der entsprechenden Stelle (vgl. WA 7, 30,29 f.) zur Begründung dessen, dass der äußerliche, leibliche Mensch ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan sei, was einerseits als Gehorsam des eigenen Leibes und andererseits als Liebe gegen den Nächsten ausgeführt wird. Das Verhältnis zum Nächsten ist im Passionssermon jedoch nicht im Blick. 344  WA 2, 141,30 f. 345  A. a. O., 141,34. 346  A. a. O., 141,31 f. 347  So findet sich beispielsweise als dritter und kürzester Teil einer jeden Passionspredigt von Christoph Vischer ein weitgehend kasuistisch formulierter Abschnitt unter der Frage, wie die ‚Nutz und Trost‘ der Passionshistorien ‚seliglich gebraucht‘ werden können (s. u. Kapitel VI.4.2.2).

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II.  Martin Luther

Die wichtigsten Merkmale der Theologie des Passionssermons lassens sich bereits in dessen wohl überlegten Aufbau erkennen: Zunächst grenzt sich Luther von ‚falschen‘ Arten der zeitgenössischen Passionsmeditation ab (Absatz 1–3), um anschließend positiv darzulegen, wie das Leiden und Sterben Jesu Christi angemessen verstanden und entsprechend ‚recht und fruchtbar‘ betrachtet werden könne (Absatz 4–15). Das richtige Bedenken der Passion, so wird vom letzten Absatz her deutlich, geschieht Luther zufolge in zweierlei Weise: in der Betrachtung der Passion als Sakrament einerseits, durch das Gott an ‚uns‘ wirkt, und als Exempel der Lebensführung andererseits, an der ‚wir‘ mitwirken. Allein die quantitative Aufteilung des Passionssermons – Absatz 4–14: Betrachtung als Sakrament, Absatz 15: Betrachtung als Exempel – stellt die eindeutige theologische Priorisierung der ersten Betrachtungsweise vor Augen: Die Passion muss nach Luther zuerst und vor allem unter soteriologischem Gesichtspunkt als Leiden und Sterben Jesu Christi ‚für uns‘ und ‚um unserer Sünde willen‘ verstanden und meditiert werden. Diese soteriologische Betrachtungsweise – die Passion als Sakrament – besteht wiederum aus zwei aufeinanderfolgenden, aber zusammengehörigen Aspekten: Einerseits müsse die Erkenntnis, dass Christus ‚um meiner Sünde willen‘ leidet, über die Gott zürnt, zum Erschrecken über sich selbst als Sünder führen. Um aber daran nicht zu verzweifeln, müsse anschließend auch die heilvolle Erkenntnis folgen, dass Christi Leiden und Sterben ein Leiden und Sterben aus Barmherzigkeit und Liebe ‚für mich‘ ist, d. h. glauben und sich darauf verlassen, dass Christus am Kreuz ‚meine‘ Sünde getragen hat. Der soteriologischen Betrachtung der Passion Christi sachlich und quantitativ nachgeordnet werden am Ende des Passionssermons kurz konkrete Anwendungsmöglichkeiten, Trost und Ermutigung durch die Betrachtung des leidenden Christus als Vorbild in Krankheit, Anfechtung und Leid zu erfahren.

3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 3.1  Zur Veröffentlichung der Hauspostille Luther predigte nicht nur regelmäßig in der Wittenberger Stadtkirche348 und auf Reisen,349 sondern auch „vor seiner Hausgemeinde“.350 Die Mit- und Nachschriften von den Predigten, die Luther v. a. in den Jahren 1532–1534 in sei348  Stadtpfarrer in Wittenberg war ab 1523 Johannes Bugenhagen (vgl. Holfelder, Art. Bugenhagen, 356; zu dessen Proklamation als neuen Pfarrer durch Luther vgl. Krentz, Ritualwandel, 298–310). In dessen Abwesenheit aufgrund kirchenorganisatorischer Aufgaben übernahm Luther in der Regel dessen Predigtdienst. Er selbst hatte wohl allerdings auch schon ab ca. 1514 eine Beauftragung als Prädikant, deren Umfang unklar ist (vgl. Schwarz, Luther, 51). 349  Vgl. hierzu jetzt Lehmann, Reformation. 350  Beutel, Art. Predigt, 558.



3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 71

nem Haus – dem ehemaligen Augustinereremitenkloster – gehalten hatte, bildeten die Hauptgrundlage für die 1544 gedruckte Hauspostille Luthers.351 Aus den überlieferten Vorlagen geht hervor, dass der Herausgeber Veit Dietrich diese für die Postille mitunter „sehr großzügig bearbeitete“,352 wobei eine entsprechende Bearbeitung der Vorlagen zu einem brauchbaren und „flüssig lesbaren Text“353 durchaus Aufgabe des Herausgebers war. In diesem Fall gehört dazu, dass Dietrich mehrere Predigtauszüge zu einer Predigt kompilierte, Teile aus anderen Schriften einfügte, sogar eine Predigt Melan­chthons nutzte und auch nicht auszuschließen ist, dass er „hier und da eigene Predigten eingefügt“354 hat. Letztes ist auch deshalb denkbar, weil dies zumindest für die Reihe von dreizehn Passionspredigten gesichert ist, die ab 1545/46 dem Werk zugeführt und seither mitgedruckt wurden – was Ende der 1550er Jahre einen der Hauptvorwürfe und Anlass der Jenaer Neuedition darstellte.355 Luther jedenfalls autorisierte das Werk durch eine Vorrede, in der er seine Predigten als exemplarisches Werk eines christlichen Hausvaters in der Tradition der israelitischen Patriarchen präsentierte und damit Anleitung zur Nachahmung gab.356 Der Kontext der Erstellung und Veröffentlichung der Hauspostille fällt in Veit Dietrichs Wirken als Prediger von St. Sebald in Nürnberg und seit 1542 als Beauftragter für die Einführung der Reformation in der östlich der freien Reichsstadt gelegenen Oberpfalz: „Als Repräsentanten der neuen Herrschaft hatten der vornehme Patrizier Hieronymus Baumgartner, Kirchenpfleger des Nürnberger Rates, und der gelehrte Magister Veit Dietrich, Prediger an St. Sebald, in kirchenregimentlicher Funktion in jeder einzelnen Pfarrei die Reformen durchzuführen und dabei eine Kirchenvisitation vorzunehmen.“357

Im Zuge dieser Reformmaßnahmen wurde Dietrich mit den Problemen der Landgemeinden vertraut, die auch äußerlich-praktische Fragen betraf, wie das Fehlen von Bibeln, Kelchen und Messgewändern, dem von der Stadt Nürnberg Abhilfe verschafft wurde.358 Sein vorrangiges, pastorales Anliegen jedoch stellte die Ermächtigung der Geistlichen für ein geordnetes gottesdienstliches Leben in den Gemeinden dar. In dem Zusammenhang entstand eines der wichtigsten Werke für die regionale Reformationsgeschichte, das Agend Büchlein für die 351  Nicht für alle Predigten ist eine Vorlage überliefert und nicht jede Nachschrift stammt tatsächlich von einer ‚Hauspredigt‘ (vgl. WA 52, XII–XXVII). Einen Überblick über die Arbeitsweise der Hauptmitschreiber und -herausgeber von Luthers Werken, Caspar Cruciger, Georg Rörer und eben Veit Dietrich, bietet Michel, Kanonisierung, 127–131; speziell zu Dietrich vgl. Klaus, Lutherüberlieferung, der jedoch auf die Hauspostille nur am Rande eingeht. 352  Zschoch, Art. Predigten, 317. 353  A. a. O., 316. 354  WA 52, XI. 355  Dazu s. u. Kapitel II.4.1. 356 Vgl. WA 52, 1 f. 357  Klaus, Dietrich, 203. 358  Vgl. a. a. O., 206.

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II.  Martin Luther

Pfar-Herren auf dem Land, das 1543 erstmals gedruckt wurde359 und in den folgenden Jahrzehnten in zahlreichen Auflagen erschien.360 Es hatte von Anfang an den Rang eines offiziellen und normativen Dokumentes des Nürnberger Stadtrates für die Landgemeinden.361 Als zweites Element in dieser Funktion der pastoralen Aufsicht für die Geistlichen über die Stadtgrenzen hinaus wollte Dietrich Predigthilfen zur Verfügung stellen. Da ihm als zeitweiligem Tischgenossen Luthers diverse Manuskripte von Lutherpredigten zur Verfügung standen, wandte er sich Ende 1542 bzw. Anfang 1543 mit seinem Plan einer weiteren Postille an die Wittenberger, um deren Einverständnis und eine Vorrede Luthers zu erhalten.362 Die von Dietrich erstellte Hauspostille mit Luthers Predigten will, das wird in der Widmung an die „Fürsichtigen, Erbarn unnd Weisen Herrn Burgermeistern und Rath der Stat Nürnberg“363 eigens betont, keinesfalls diejenige Postille Luthers, „so er selb hat lassen außgehen, [die] on zweyvel die beste ist“364 – und die nach Erscheinen der Hauspostille die Bezeichnung Kirchenpostille erhielt365 –, ersetzen. Vielmehr könne so noch mehr aus dem Reichtum der Predigten Luthers geschöpft werden, besitze er doch in der westlichen Kirche seit Augustin (und mit Abstrichen Bernhard von Clairvaux)366 in besonderem Maße jene herrlichste und wichtigste Geistesgabe, „die da heißt Außlegung der Schrifft“.367 Anders als Luthers Vorrede suggeriert, sind von dem Herausgeber Dietrich bei der Erstellung der Hauspostille die Hausväter lediglich in zweiter Linie als Adressaten im Blick.368 Der primäre Adressatenkreis sind jene weniger gut gebildeten Landgeistlichen, welchen Dietrich bei seinen Reform- und Visitationsreisen begegnet ist: „Sonderlich aber hat mich diß beweget, das ich sihe, wie es die not erfordern will, das man ein gemeine Form hab der Sonntags Predigten für die ungelerten Pfarrherrn auff 359 Vgl.

Dietrich, Agend Büchlein. um inhaltliche Erläuterungen ergänzte Gottesdienstordnung entspricht der Brandenburg-Nürnbergischen Kirchenordnung von 1533 (vgl. Klaus, Dietrich, 207). 361 Vgl. Klaus, Dietrich, 208. 362  Die noch erhaltenen Teile der Korrespondenz beginnen mit einem Brief Caspar Crucigers an Veit Dietrich vom 26. Januar 1543, mit dem Cruciger auf einen nicht mehr erhaltenen Brief Dietrichs antwortet (der entsprechende Auszug ist abgedruckt in: Kolde, Analecta, 387; zur weiteren Korrespondenz mit Wittenberg vgl. Klaus, Dietrich, 209). 363  WA 52, 3,1 f. 364  A. a. O., 3,18 f. 365  Dazu s. o. Kapitel II.1.2 Anm. 60. 366 Vgl. WA 52, 5,7–16: „Nach Augustino hat es von Jar zu Jar abgenommen, und ist die rechte Lehr ye lenger ye mer gefallen […], Das nu lenger denn vierhundert Jar ausserhalb des heyligen Bernhardi schir keyner ist, der geschriben hat, des man sich umb ein har in glaubens sachen bessern köndte. Und ist dennoch auch Bernhardus nit gar reyn, Die Müncherey und anders Bäpstisch geschmeiß hengt jhm an, das er nicht allenthalb gar gerad zu gehet, Wie doch ein Prediger soll.“ 367  A. a. O., 4,29. 368  Vgl. a. a. O., 6,20–26. 360  Die



3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 73

dem Lande. Denn die Kirchen sind ubel bestellet, Niemandt will nichts dazu geben, das man köndte gelerte, tugliche leut haben.“369

Interessanterweise gibt er als legitime Verwendungsmöglichkeit an, dass man die in der Hauspostille formulierten Predigten auch einfach vorlesen könne: „Denn ye die Lehr hie inn reyn und lautter und dermassen gestellet ist, das es ordentlich, einfeltig und verstendig ist unnd one frucht nit wirdt abgehen, wo mans bey dem schlechten Bawrs volch liset.“370 Was Dietrich hier – freilich für die Ausnahmesituation der prekären Verhältnisse – empfiehlt, verdichtete sich später als angeprangerter Missstand in dem Schimpfwort ‚Postillenreiter‘.371 In seinen Augen stellte dies jedoch die Möglichkeit einer geordneten Predigt des ‚reinen Evangeliums‘ durch das faktisch vorhandene Personal dar. 3.2  Erste Predigt: Von der Frucht des Leidens Christi 3.2.1  Eine Lutherpredigt? Die Vorlage der ersten Passionspredigt der Hauspostille ist nicht nachweisbar,372 sodass grundsätzlich gefragt werden kann, ob dieser Predigt überhaupt eine Predigt Luthers zugrunde liegt. Das ist hier jedoch insbesondere aus zwei Gründen wahrscheinlich: Zum einen betreffen die Fälle, in denen Dietrich für die Postille andere Quellen als Nachschriften von Lutherpredigten genutzt hat, jeweils solche Sonn- oder Festtage, für die ihm keine Predigt Luthers zur Verfügung standen. Für den Karfreitag konnte er allerdings auf eine Predigt Luthers zurückgreifen, sodass keine Lücke im Kirchenjahr aufgefüllt werden musste. Zum anderen macht der Nürnberger Erstdruck von 1544 als Glosse eine grobe Datums- und Ortsangabe: „Anno 34. in templo.“373 Es ist davon auszugehen, dass die Angabe von Dietrich bzw. aus seinen Aufzeichnungen stammt;374 eine genauere Datierung und Lokalisierung bereitet allerdings gewisse Schwierigkeiten.375 369  A. a. O., 6,5–7. Aus dieser kirchenpraktischen Absicht heraus erklärt sich auch am besten der freie Umgang mit den Vorlagen. Dietrich lag offenbar vorrangig daran, das Kirchenjahr vollständig zu umfassen, weshalb er das Material anderweitig auffüllen konnte, wo er keine oder keine ausreichende Vorlage Luthers besaß. Klaus, Lutherüberlieferung, 46 warnt durchaus angemessen in Sachen Beurteilung: „Weil die gedachten Leser nicht die kritische Lutherforschung des 19. und 20. Jahrhunderts waren, sondern die ungelehrten Landpfarrer des 16. Jahrhunderts, darum hat er nicht Quellenmaterial für die Lutherforschung tradiert, sondern einen Predigtband veröffentlicht, mit dessen Hilfe die Ungelehrten lernen sollten und konnten, wie man evangelisch predigt. Sein Werk war eine homiletische Tat, und nur so kann es in seiner eigentlichen Bedeutung gewürdigt werden.“ 370  A. a. O., 6,17–19. 371 Vgl. K aufmann, Konfession, 319 f.; Rublack, Predigt, 346 f. Anm. 7. Ausführlich stellt das Feld der intendierten, möglichen und unmöglichen Nutzung der Postillen als Vorbereitungshilfen und/oder Vorlesepredigten Frymire, Primacy, 195–216 dar. 372 Vgl. WA 52, XVI f. 373  WA 52, 226 im Apparat zu Z. 8. 374  Ein starkes Indiz für die prinzipielle Zuverlässigkeit der Glossen ist, dass darin eben-

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II.  Martin Luther

Es darf also davon ausgegangen werden, dass Dietrich auf der Grundlage einer Vorlage gearbeitet hat. Die Hand Dietrichs kann freilich im vorliegenden Text nicht mehr von der Stimme Luthers unterschieden werden.376 Im hiesigen Zusammenhang steht allerdings auch nicht die Frage nach ‚dem genuinen Luther‘ im Vordergrund, sondern die Predigt im literarischen Zusammenhang der Hauspostille. 3.2.2  Aufbau der Predigt Die erste Passionspredigt der Hauspostille besteht inhaltlich aus drei aufeinanderfolgenden Abschnitten, wobei auch formal durch Zwischenüberschriften die „Vorrede von der Passion predigt“377 von der eigentlichen Predigt „Von dem nutz des leidens Christi, Paulus zun Röm. am 5.“378 abgehoben ist. Diese ist noch einmal zweigeteilt: Auf eine Anleitung zur rechten Passionspredigt anhand von den biblischen Vorbildern „der Apostel unnd Propheten predigten“,379 wobei auch Jesu eigene Predigt über seinen Tod mitberücksichtigt wird, folgt eine passionstheologische Auslegung der Perikope Röm 5,8–11. Der Bibeltext ist in der Postille unter der zweiten Überschrift eigens abgedruckt,380 was noch einmal die liturgische Nutzbarkeit zum Vorlesen hervorhebt.381 falls notiert ist, wenn Dietrich z. B. am Tag des Matthäus keine Lutherpredigt zur Verfügung stand und er stattdessen auf Grundlage von Luthers Annotationes in aliquot Mattaei von 1538 gearbeitet hat (vgl. WA 52, XXVI f.): „Ex Commentario in Mattheum.“ (a. a. O., 705 im Apparat zu Z. 25). Bei der Predigt am Tag des Bartholomäus, die Melan­chthon zugeschrieben wird (vgl. a. a. O., XXVI f.) und deshalb in WA 52 nicht ediert wurde, findet sich bezeichnenderweise im Druck keine Orts- und Datumsangabe (vgl. Luther, Haußpostil […] Festen, fol. LXIIr–v). 375  1534 war Luther dem Predigttagebuch Georg Helts zufolge an Karfreitag für eine Nachmittagspredigt in der Stadtpfarrkirche eingeteilt, nachdem morgens Melan­chthon eine Festtagsvorlesung gehalten und am Vormittag Bugenhagen gepredigt hatten (vgl. Buchwald, Predigttagebuch, 208). Dabei dürfte es sich allerdings um die zweite Passionspredigt der Hauspostille Dietrichs handeln, die mit „Am Karfreytag“ (WA 52, 237,1) überschrieben ist und bei der die Glosse „Anno 34. publice.“ (a. a. O., 237 im Apparat zu Z. 4) angibt. Sie wurde auch von Rörer überliefert und stellt die vierte Predigt der 1534er Passionspredigtreihe dar, die Poach in seine Hauspostille von 1559 aufgenommen hat (s. u. Kapitel II.4.1). Die Ortsangaben ‚in templo‘ und ‚publice‘ können in der Dietrichschen Hauspostille beide die Wittenberger Stadtpfarrkirche bezeichnen, sodass dieser terminologische Unterschied nicht zwangsläufig verschiedene Orte anzeigen muss. Auch die Perikope Röm 5,8–11, über die Luther gepredigt hat, hilft bei der Datierung nicht weiter, da sie in dem Perikopenregister, das dem Druck des deutschen Neuen Testaments von 1526 beigegeben war, welches die Wittenberger Praxis zu dieser Zeit spiegeln dürfte (vgl. WA.DB 7, 529–544), an keinem der Sonn- oder Festtage angegeben ist. 376  Wenn im Folgenden der Einfachheit halber von Luther als Autor der Predigt gesprochen wird, ist diese Einschränkung stets mitzudenken. 377  WA 52, 226,6. 378  A. a. O., 228,24 f. 379  A. a. O., 229,4. 380  In der Edition der WA ist er nicht aufgenommen (vgl. a. a. O., 228,25). 381  Inhaltlich wäre dies nicht nötig gewesen, da die nacheinander ausgelegten Verse auch in der Predigt selbst zitiert werden.



3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 75

In der folgenden Predigtanalyse werden die drei unterschiedenen Abschnitte im Blick auf ihre passionstheologischen Akzente und deren sprachlicher Verarbeitung in der Predigt nacheinander behandelt (II.3.2.3–II.3.2.5). Die Abschnitte stehen jedoch selbstverständlich nicht unverbunden nebeneinander; sie bauen aufeinander auf und sind rhetorisch so miteinander verknüpft, dass es sich erkennbar um eine geschlossene Predigt handelt. Dies wird auch an Motiven und Stichworten erkennbar, die sich von der Vorrede an durch die gesamte Predigt ziehen und die im Folgenden als thematische Querschnitte eigens hervorgehoben werden. Es handelt sich dabei nicht um genuin passionstheologische Topoi, jedoch erhalten sie im Kontext der Passionspredigt spezifische Akzente: Luther kommt immer wieder auf den Teufel zu sprechen (II.3.2.6), die Frage nach der rechten Passionspredigt wird als Frage nach dem höchsten Gottesdienst mit einem Ringen im menschlichen Herzen verbunden (II.3.2.7) und schließlich wird mehrfach auf das Papsttum als dem negativen Antipoden Bezug genommen (II.3.2.8). 3.2.3  Die Vorrede: Ermahnung zur Beschäftigung mit der Passion Die ‚Vorrede zur Passionspredigt‘ stellt im Ganzen aus Anlass der Kirchenjahreszeit382 eine Ermahnung zur Beschäftigung mit der Passion Jesu Christi dar, und das heißt konkret: Vorlesen bzw. Hören der Passionsgeschichte383 und die Passion predigen bzw. die Passionspredigt hören384, damit „das opffer ymmer dar im gedechtnuß bleibe, das der Son Gottes für uns geopffert hat“.385 Dies sind die beiden hervorgehobenen Weisen, „mit Gottes wort“386 – bzw. meist in absoluter Formulierung: „mit dem wort“387 – umzugehen, an das man sich „ymmer […] halten“388 müsse, was Luther unablässig betont. Ziel der Lesung, der Predigt und des Unterrichts389 der biblischen Passionsgeschichte ist, dass diese und ihre Bedeutung stets ‚im Gedächtnis‘ behalten und 382  Die Predigt beginnt mit dem Satz (WA 52, 226,8–10): „Weyl die Jarzeyt da ist, das man von dem leyden unsers lieben Herrn Jesu Christi in der Kirchen singen unnd predigten pflegt, wöllen wir es auch dabei lassen bleyben.“ 383  Vgl. a. a. O., 226,15 f.: „sonderlich die Histori des leydens Christi von wort zu wort den einfältigen fürlesen“. 384  Vgl. a. a. O., 226,23 f.: „Darumb ist es von nöten, das man diese predigt stets treybe, auffblase und anzünde.“; a. a. O., 227,38 f.: „das wir sonderlich gern von dem leyden unsers Herren Jesu Christi predigen und hören sollen, auff das wirs nimmer vergessen“. Am Anfang und am Ende der Vorrede wird auch das Singen erwähnt (vgl. a. a. O., 226,9 und 228,8). 385  A. a. O., 227,17 f. 386  A. a. O., 226,19. 387  A. a. O., 226,15; 226,20; 227,15; vgl. 226,32; 227,40; 228,8. 388  A. a. O., 226,15. 389  ‚Unterrichten‘ und ‚predigen‘ sind nicht trennscharf voneinander geschieden, da sowohl das Unterrichten als auch das Predigen die Vermittlung der rechten Lehre (lateinsch doctrina) zum Ziel hat (vgl. Stegmann, Beobachtungen).

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II.  Martin Luther

‚im Herzen‘ gefestigt werden.390 Diese Predigt „hat sollen vom ersten menschen Adam an gehen unnd bleyben byß an der welt ende“.391 Besonders eindringlich warnt Luther diejenigen, die sich nicht der Predigt aussetzen wollen.392 Doch das größere Problem bestehe darin, dass offenbar „der meyste theyl [der Predigthörer, J. R.] das wort inn wind schlegt. Darum ist diese predigt zugleych ein hohe und nidere predigt, Ein heimliche und offenbare predigt, Ein starcke und schwache predigt.“393 Man sehe dies besonders an den ‚Papisten‘: „Auf der zungen haben sie das leiden Christi, im hertzen aber verfolgen sie es und haltens für nichts“.394 Das sei das Werk des Teufels, wie Luther wieder und wieder betont; denn dieser „hinderts, wo er kan, das es nicht inn alle hertzen gehet“,395 weil er „dem wort so feind ist und es so gern dempffen oder hindern wolte“.396 Doch aus zwei Gründen müsse man dem zum Trotz „ymmer dar mit dem wort anhalten“:397 Zum einen entspricht es Gottes Willen, „das du es hörest unnd lernest, das ich dirs predige, Das vatter unnd mutter im hause jre kinder und gesinde davon unterrichte“.398 Dies sei der ‚höchste Gottesdienst‘, den man tun könne, was jedoch ‚bei den Juden‘, ‚im Papsttum‘ und ‚in der Türkei‘ nicht geschehe.399 Der andere Grund ist, dass die regelmäßige Predigt des Leidens Christi „unser hohe not erfordert“.400 Denn hier ‚in der Welt‘ und ‚im Fleisch‘ werde man immer wieder durch ‚zeitliche Güter‘ abgelenkt, sodass „mans seer wol [bedarf ], das man solche predig stets treyb und höre“.401 3.2.4  Erster Teil: Biblische Vorbilder rechter Passionspredigt Auf den Bibeltext der Perikope Röm 5,8–11 folgt nicht unmittelbar eine Auslegung der Verse, sondern vorgeschaltet ist eine allgemeine Anleitung zur angemessenen Passionspredigt. Diese beginnt mit dem programmatischen Satz: 390  Obgleich das ‚Gedächtnis‘ einen kognitiven und das ‚Herz‘ einen emotiv-existentiellen Akzent besitzen, dürfen beide Begriffe nicht voneinander getrennt werden, da bei Luther auch das Herz nicht als gedankenlos und das Gedächtnis nicht als bloß kognitiv zu verstehen sind (vgl. Stolt, Rhetorik, 49–61; dies., Gefühlswelt, 33–39 u. ö.). 391  WA 52, 227,18 f. Angespielt wird hier an das Protevangelium Gen 3,15. Zu dessen Bedeutung für Luthers Theologie vgl. Schwarz, Lehrer, 48–55. 392 Vgl. WA 52, 226,17–22: „Denn es lest sich hie nit schertzen, solte man ein, zwei oder drey Jar nichts davon predigen, würd es so rein erleschen, das man nicht vil davon würde wissen. Wir, die stetes mit Gottes wort umbgehen, erfaren an uns selb, was es für schaden thut, wenn wie einen tag oder zwen mit dem wort nicht umbgehen, Was solt es denn bei denen thun, die in eim Jar oder zweyen kein predig hören? Da müssen rohe leut auß werden wie das viech.“ 393  A. a. O., 226,31–227,2. 394  A. a. O., 226,28 f. Weiter dazu s. u. Kapitel II.3.2.8. 395  A. a. O., 227,14. 396  A. a. O., 227,40. Weiter dazu s. u. Kapitel II.3.2.6. 397  A. a. O., 227,15 f. 398  A. a. O., 227,20–22. 399  Vgl. a. a. O., 227,19–32. Weiter dazu s. u. Kapitel II.3.2.7. 400  A. a. O., 228,1. 401  A. a. O., 228,12 f.

3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 77



„Wenn man von dem leyden unsers Herren Jesu Christi will predigen, so muß man nicht allein die Historien von wort zu wort den leuten fürlesen, Sonder sie auch vermanen und lehren, das die gedencken, warumb Christus also gelitten hab, und wie sie solches leydens geniessen sollen.“402

Auf die rechte Art der Passionsbetrachtung bzw. -predigt kommt es an – darauf macht Luther wie bereits im 1519er Passionssermon aufmerksam. Wer die Ursache des Leidens Christi nicht kennt, kann dessen Bedeutung nicht erfassen, und wer nicht weiß, wie er die Passion ‚genießen‘ soll, dem wird sie nichts nützen, d. h. dem wird keine ‚Frucht‘ aus der Passionspredigt erwachsen. Wie in jenem Passionssermon werden der rechten Art der Passionspredigt falsche und unfruchtbare Weisen der Predigt vorangestellt:403 Es sind jene Predigten, „die man im Bapsttumb gehalten hat“,404 mit denen man „die leut zum mitleyden unnd weynen bewegen“405 wollte, in denen man Juden beschimpft406 oder die leidende Jungfrau Maria vor Augen gemalt habe407. Dazu lautet Luthers Urteil schlicht: „die weiß taug gar nichts“,408 denn es handle sich um „nichts denn ein gleyssende heucheley on Geyst, da nimmer kein rechte frucht noch besserung auß volgen kan“.409 Dem gegenüber werden einige biblische Exempel ‚rechter‘ Passionspredigt vorgestellt und in ihrer Signifikanz erklärt: Johannes der Täufer, der auf Christus als dem Lamm Gottes verweist, das der Welt Sünde trägt (zu Joh 1,29)410; Christi eigene Predigt, dass das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben müsse, um Frucht zu bringen (zu Joh 12,23 f.)411, sowie dass der Menschensohn wie die Schlange des Mose in der Wüste erhöht werden muss, auf dass alle Glaubenden das ewige Leben erlangen (zu Joh 3,14)412; der Prophet Jesaja, der von dem Gottesknecht weissagt, dieser müsse um unserer Sünde willen leiden, auf dass wir Frieden hätten (zu Jes 53,4 f.)413; auch Sprüche des Propheten Sacharja (zu Sach 9,11 f.)414 und aus dem Buch Daniel (zu Dan 9,24)415 werden kurz als gute Passionspredigten erläutert. 402 

A. a. O., 228,27–30. S. o. Kapitel II.2.3. 404  WA 52, 228,31. Hier zeigt sich beispielhaft der veränderte zeitgeschichtliche Kontext zwischen dem 1519er Passionssermon und dieser wohl auf das Jahr 1534 zurückgehenden und jedenfalls 1544 publizierten Passionspredigt: Während damals Missstände der Passionsbetrachtung schlicht als solche angeprangert wurden, werden sie jetzt als diejenigen des ‚Papsttums‘ identifiziert. 405  A. a. O., 228,32 f. 406  Vgl. a. a. O., 228,35. 407  Vgl. a. a. O., 228,35–229,1. 408  A. a. O., 228,30. 409  A. a. O., 229,2 f. 410  Vgl. a. a. O., 229,9–230,7. 411  Vgl. a. a. O., 230,18–34. 412  Vgl. a. a. O., 230,35–231,11. 413  Vgl. a. a. O., 231,12–232,11. 414  Vgl. a. a. O., 232,12–21. 403 

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II.  Martin Luther

All diesen Vorbildern der Passionspredigt ist gemeinsam, dass sie „von der Histori nit vil wort machen“,416 sondern ihre Bedeutung, d. h. Grund und Zweck des Leidens Christi, und den rechten Gebrauch erklären.417 Am Ende fasst Luther noch einmal zusammen, „wie man von dem leyden Christi recht predigen soll. Nemlich, das die hertzen da durch lernen sollen, sich Gottes güte unnd gnade trösten. Denn solches leyden ist geschehen, das dadurch für unsere sünde bezalet, wir mit Got versönet und endtlich in solchem glauben an unsern Herrn unnd erlöser Christum selig würden.“418

Beispielhaft sei auf eines der Vorbilder genauer eingegangen, an dem sowohl die inhaltliche Kontinuität zu dem Passionssermon als auch die rhetorische Variabilität deutlich wird: So wie Luther 1519 konkrete Anleitung zur Meditation der Passion gegeben hat, so gibt er in dieser Predigt konkrete Höranweisungen für die Lesung. Im Zusammenhang der Auslegung von Jes 53,4 f. stellt Luther Christus als Arzt vor, der eine Arznei habe, nämlich das pro nobis der Passion.419 Entsprechend müsse man das Geschehene auf sich beziehen: „Darumb wenn du hörest inn der Historien, wie jhemmerlich Juden unnd Heyden deinem lieben Herrn Christo sind mit gefaren, So schreib an ein yedes stücklein: Das ist umb meinet willen geschehen, Das ist mein Ertzney, das ich nicht von leiblicher kranckheit, Sonder von sünde unnd dem ewigen tod erlöset unnd geheylet würde. Alsdenn brauchest du der Historien und des leydens Christi recht unnd wol.“420

Das Medikament wirke dabei in zweierlei Weise – und zwar genau in Übereinstimmung mit den Wirkweisen des Leidens Christi als Sakrament im Passionssermon von 1519: Zum einen lerne man, „wie ein greulich ding es umb die sünde ist“,421 da keine Kreatur, sondern allein der Sohn Gottes für die Sünde bezahlen könne; zum anderen wirke die Arznei gegen den Tod: „Denn wer da glaubt, das der Sone Gottes für seine sünd gestorben und mit dem todt dafür bezalet hab, Der kann ein fridliches hertz auff Gottes güte fassen und sich wider sünde unnd den ewigen tod trösten.“422 415 

Vgl. a. a. O., 232,22–29. A. a. O., 229,6 f. 417  Vgl. a. a. O., 229,7–9: „Aber wie man solches leyden ansehen, sein geniessen unnd es brauchen soll, da können sie jnen nicht gnug von reden.“ Hinter der Formulierung ‚genießen und brauchen‘ dürfte kaum, wie man vermuten könnte, die augustinische Unterscheidung von frui und uti stehen, da Luther beide Ausdrücke, ohne eine semantische Differenz zu markieren, positiv auf die Applikation der Passion bezieht, während das Begriffspaar bei Augustin dazu dient, den Unterschied im Umgang mit Gott und mit weltlichen Dingen zu markieren (vgl. Kreuzer, Art. Gottesbegriff ). 418  A. a. O., 232,30–34. 419  „Der hat ein Ertzney, Die heyst nicht gute werck thun, almosen geben, fasten, betten, Sonder für unns leyden, für uns gewundet werden, für unns zu schlagen werdn, die straffe für unns tragen“ (a. a. O., 231,25–28). 420  A. a. O., 231,28–33. 421  A. a. O., 231,36. 422  A. a. O., 232,7–10. 416 



3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 79

3.2.5  Zweiter Teil: Die passionstheologische Auslegung von Röm 5,8–11 Im Anschluss an die verschiedenen alt- und neutestamentlichen Beispiele rekurriert die Predigt auf den eingangs gelesenen Text Röm 5,8–11.423 Dieser wird als ein weiteres hervorragendes Beispiel der Passionspredigt eingeführt, welches, obgleich es „an jm selb ein klarer spruch“424 sei, ein wenig vertieft ausgelegt wird, „das er heller und liechter und auch tröstlicher uns sein möge“.425 Luther legt den paulinischen Bibeltext formal einer Homilie entsprechend Vers für Vers aus.426 Rhetorisch geschickt wird dabei die die Perikope eröffnende Aussage „Got preiset sein lieb gegen uns“427 sowohl in ihrem Sinn hinterfragt als auch als letztendlich wahre und wertvolle Erkenntnis in Aussicht gestellt: „Das ist ein seer seltzames unnd unglaubliches, aber doch, wie wir hören werden, wares wort.“428 Die folgenden Verse sind dann jeweils als neue und weiterführende Anstöße von Paulus in einen fortlaufenden Gedankengang integriert. Dieser Gedankengang soll gleichzeitig als Erkenntnisweg fungieren, bei dem die Kernbotschaft der Passion Christi den Hörerinnen und Hörern ins Herz ‚eingebildet‘ wird.429 Dafür werden die Rezipienten vom Prediger auf eine ge423  Vgl. a. a. O., 232,37–39: „Und weyl solcher sprüche sehr vil sind allenthalb, wöllen wir yetzund zum beschluß nur disen für uns nehmen, welchen ewer liebe im anfang auß dem fünfften Capitel zun Römern gehöret hat.“ Ob dieser Rekurs die ursprüngliche Predigtsituation Luthers spiegelt und aus der Vorlage stammt, kann nicht mehr ausgemacht werden. Auf literarischer Ebene verdeutlicht das Zitat in jedem Fall die von Dietrich intendierte Nutzung als Lesepredigt. 424  A. a. O., 232,39. Derartige assertorische Aussagen über die ‚an sich‘ klaren Schriftstellen stellen eine rhetorische Verarbeitung der besonders seit dem Streit mit Erasmus formulierten Auffassung von der claritas scripturae dar (vgl. Beutel, Bibel, 79–81; Herms, Klarheit, 5–49; ausführlich Beisser, Claritas; Buchholz, Lehrstreit, 74–138; Rothen, Klarheit, 79–222). 425  A. a. O., 232,41. 426 Vgl. a. a. O., 233,20–32 zu Röm 5,8a; a. a. O., 233,32–234,35 zu Röm 5,8b (inklusive einer Darlegung der Übereinstimmung der paulinischen Aussage mit Christi eigener Predigt in Joh 3,16); a. a. O., 234,36–235,13 zu Röm 5,9; a. a. O., 235,14–40 zu Röm 5,10; a. a. O., 236,1–17 zu Röm 5,11. 427  A. a. O., 233,20. 428  A. a. O., 233,20 f. 429  Auch in dieser Predigt benutzt Luther den Begriff des ‚Einbildens‘ (vgl. a. a. O., 234,14– 16: „Darumb ligt es nur an dem, das wir solche lieb [von der Joh 3,16 spricht, J. R.] vhest in uns bilden und uns nicht lassen nehmen, noch auß reden.“), wie schon im Passionssermon (s. o. Kapitel II.2.4.2). Athina Lexutt beobachtet in Bezug auf die Frage nach Luthers ‚Bildungsverständnis‘ zu Recht (Lexutt, Einbildung, 105): „Mehrfach benutzt Luther den von der Mystik geprägten Begriff der Einbildung, um die Verinnerlichung von außen zugesagter Wahrheiten recht zu beschreiben.“ Beachtet werden müsse jedoch der zentrale Unterschied zur Mystik (a. a. O., 106): „Der Mensch wird eingebildet in Christus – nicht umgekehrt! Nicht Christus wird im Menschen geboren, sondern der gerechtfertigte Mensch im Kreuz Christi.“ Leider sind ebd. keine Belege für diese These angeführt; denn zumindest im Sprachgebrauch Luthers in dieser Passionspredigt von 1534 wie auch im 1519er Passionssermon oder im Sermon von der Bereitung zum Sterben (s. o. Kapitel II.2.4.2 Anm. 224) kann jene Umkehrung nicht festgestellt werden.

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II.  Martin Luther

meinsame Erfahrungs- oder Erkenntnisebene hin angesprochen,430 direkt aufgefordert431 oder auch als Akteur in einen Dialog mit Paulus gebracht, wobei seelsorgliche Fragen nach dem Heil thematisiert werden.432 Inhaltlich setzt Luther bei der Erfahrung des Ungenügens an: „Wir dencken ymmerdar: Werest frömmer, so würde es baß umb sich stehen, so würdest mer zu hoffen haben.“433 Die Erkenntnis und Erfahrung der eigenen Sündhaftigkeit und das Wissen darum, „das Got der sünden feind ist und sie straffen will, wie das Gesetze und darnach die tägliche erfarung außweiset“,434 lasse den Zweifel daran wachsen, „das uns Gott lieb habe“.435 Dagegen predige Paulus in Röm 5,8– 11 „meysterlich“,436 um „die leut zum rechten vertrawen [zu] bringen unnd solchen unglauben jnen auß dem hertzen [zu] reissen“437 – was grundsätzlich die wichtigste Aufgabe eines rechten Predigers sei. In immer neuen Varianten und unter verschiedenen Blickwinkeln und Fragen geht es Luther darum, zu zeigen, dass Paulus dieser ‚höchsten Anfechtung‘438 entgegensetzt: Aufgrund der Liebe Gottes zu den Sündern leidet und stirbt Christus am Kreuz.439 Der Weg, den Luther mit Paulus die Hörerinnen und Hörer vom Leiden Christi zu der hinter diesem Leiden liegenden Liebe Gottes zu den Sündern führt, um zum Verstehen von Joh 3,16 zu gelangen, entspricht sachlich dem Weg der Passionsmedi430  Vgl. z. B. a. a.O., 233,1: „Wir erfahren es alle …“; a. a. O., 233,23: „Nun aber müssen wir bekennen …“; a. a. O., 234,23: „Dawider müssen wir unns wehren …“; a. a. O., 234,30 f.: „… wenn uns unsere sünde trawrig machen und unser hertz zweyfeln will …“. 431  Vgl. z. B. a. a.O., 233,33 f.: „Das Wort höre und behalte es wol.“; a. a. O., 233,36: „lieber mensch, besinne dich doch …“. 432  Vgl. z. B. a. a.O., 234,36–235,6: „Ja, sprichst du, es ist wol war, Gott hat seinen Son für mich in tod geben, Aber wie offt hab ich solche gaben durch meine sünd widerumb verschüttet. Derhalb, so mich Gott umb seines Sons tod willen vor hat lieb gehabt, So ist er mir doch yetzund von meiner sünd willen seind feind worden. Nein bey leib, spricht Paulus, laß dich solche gedancken nicht verfüren, Sonder halte dich hieher an disen trost, Christus ist für dich gestorben, da du noch ein sünder warest [Röm 5,8b, J. R.], Solches merk wol. Was hat aber sein sterben ausgerichtet? Jst es nit war, du bist durch das blut Christi Jesu gerecht geworden? So nun Gott dich hat lieb gehabt, da du ein sünder warest, und so vil an dich gewagt und seinen Son für dich in tod geben, Wie vil ee und mer will er dich für dem zorn behalten, nach dem du durch das blut Christi Jesu bist gerecht worden [Röm 5,9, J. R.]?“ 433  WA 52, 233,2–4. 434  A. a. O., 233,21 f. 435  A. a. O., 233,25. 436  A. a. O., 233,16. 437  A. a. O., 233,14 f. 438  Vgl. a. a. O., 235,7. 439  Vgl. z. B. a. a.O., 233,34–234,3: „All dein sorg und anfechtung ist, das du ein sünder bist, Sonst würdest du dich Gottes gnade und freundtligkeyt mer können trösten. Aber, lieber Mensch, besinne dich doch und höre hie Paulo zu, der sagt, Christus sey für die Sünder gestorben. Wer ist Christus? Er ist Gottes Son. Was thut er? Er wirdt mensch unnd stirbet. Wa für stirbet er? Umb der sünder willen. Da muß ye volgen, das Gott die sünder nicht ubel meindt, das er sie der sünden halb nicht will lassen verderben, Sonder er hat sie lieb und will jhnen helffen. Denn umb jrent willen lest er seinen Son sterben. Wie köndte er doch sein lieb uns gewiser anzeygen?“

3  Die Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (1544) 81



tation aus dem Passionssermon von 1519, der ebenfalls in der Erkenntnis des in Joh 3,16 ausgesprochenen Passionsgeheimnisses gipfelte.440 Am Ende der Predigt bündelt Luther das Ausgeführte, um es noch einmal im Blick auf die Anwendung bei den eingangs formulierten Anfechtungen durch die Sünde zuzuspitzen: „Auff das, wo die sünde unns anfichtet, wir uns hie her halten unnd sprechen: Wen ich kein sünder wer, so hette Christus nit dörffen leyden. Weyl er aber gelitten hat, soll ich seines leydens mich trösten. Damit ehret man Gott und danckt dem Herren Christo. Denn sonst können wir nichts thun, denn das wir solche gabe mit dancksagung annemen, die er uns durch seinen tod erworben hat.“441

Die mit Dank angenommene ‚Gabe‘ entspricht im 1519er Passionssermon ‚Christus als Sakrament‘442; und so folgt auch in dieser Predigt der Blick auf den Lebensvollzug (‚Christus als Exempel‘): „Da soll hernach auch diß volgen, das wir für sünden uns hüten, davon ablassen unnd in gedult unnd hoffnung in allerley anfechtung uns uben unnd von tag zu tag zunemen.“443 3.2.6  Die Rolle des Teufels Der Teufel war in Luthers Erleben und Denken und ebenso in seinen Predigten – quantitativ gesteigert ab 1526444 – äußerst präsent und höchst vital.445 Luther sah sich in den Kampf ‚zwischen Gott und Teufel‘ gestellt,446 wobei der Teufel trotz all seiner Versuchungsmacht grundsätzlich nicht neben Gott, sondern zwischen Gott und Mensch verortet wird.447 Die erste Passionspredigt der Hauspostille Dietrichs bildet hier keine Ausnahme. Je nach Predigtteil kommt Luther auf den Teufel und sein Wirken in jeweils spezifischer Weise zu sprechen. In der Vorrede ermahnt Luther ganz grundsätzlich zum Predigen und Hören der Passion; und er tut dies im Bewusstsein eines dauerhaft gegen ‚das Wort‘ agierenden Teufels,448 der bereits einigen Erfolg vorweisen könne: „Denn der Teuffel feyret nicht, Wilt du Gottes wort und warheyt nicht predigen, so must du des Teuffels lügen predigen und hören, wie man an den Papisten, Widertauffern, Türcken unnd Juden sihet. Darumb last unns solches Gottes dienstes ja nicht müde werden.“449 440 

441 

S. o. Kapitel II.2.5.2. WA 52, 236,25–30.

443 

WA 52, 236,30–32.

442 

Zur terminologischen Präzisierung von ‚Gabe‘ statt ‚Sakrament‘ s. o. Kapitel II.2.6.1.

444 Vgl.

Kwon, Christus, 141. Barth, Teufel; Leppin, Teufel; Kwon, Christus, 140–146. Für den größeren Kontext frühreformatorischer Flugschriften vgl. Löhdefink, Zeiten des Teufels. 446 Vgl. Obermann, Luther, bes. 223–234; Rieske-Braun, Duellum mirabile, bes. 82–84. 447 Vgl. Barth, Teufel, 208. 448 Vgl. WA 52, 227,39: „Sintemal der Sathan dem wort so feind ist und es so gern dempffen oder hinder wolte.“ 449  A. a. O., 228,19–23. 445 Vgl.

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II.  Martin Luther

Konkret sieht Luther den Teufel im aktuellen Umgang mit Gottes Wort v. a. in zweierlei Weise am Werk: Zum einen versucht dieser, das Wort daran zu hindern, ins Herz zu gehen und dort verankert zu werden; d. h. dass für Luther der Teufel eine Ursache der Wirkungslosigkeit der Predigt ist.450 Zum anderen möchte der Teufel dem Menschen seine Gedanken einflüstern, um diesen – im Zusammenwirken mit ‚leiblicher Not und eigener Bosheit‘ – von Christus abzubringen.451 Während also in der Vorrede das Wirken des Teufels im Zusammenhang der aktuellen Verkündigung in den Blick genommen wurde, kommt der Gegenspieler Gottes im ersten Hauptteil im heilsgeschichtlichen Zusammenhang des Ereignisses von Kreuz und Auferstehung zur Sprache. Der Teufel begegnet hier jeweils in der Trias mit Sünde und Tod als den gottwidrigen Mächten, die den Menschen gefangen halten: In der Auslegung von Joh 12,23 f. erscheint er als Herr des Reiches, das allein durch Christus zerstört werden kann,452 und – sachlich ähnlich, aber in einem anderen Bildzusammenhang – in der Erklärung von Sach 9,11 f. ist seine ‚Tyrannei‘ ein Element der ‚Grube‘, aus der der Mensch nur durch Christi Blut befreit werden kann.453 Im zweiten Hauptteil der Predigt, in dem Luther Röm 5,8–11 für die Gemeinde auslegt und dabei Christi Tod (und Auferstehung454) verkündigt, wird „der böse feind“455 wieder als einer angesprochen, der aktuell gegen den Glau450  Vgl. a. a. O., 226,11–13: „Sintemal der großte gewalt des Teuffels vor augen ist, der, ob man gleich täglich davon predigt, dennoch dem wort so vil widerstand thut, das die hertzen erkalten“; a. a. O., 226,24–26: „Denn der Teuffel lests nicht, er geust ymmer kalts wasser zu, sonst solt es nicht feilen, es müsten mer leut ab dem wort sich bessern, sintemal es so klar yederman fürtragen wirdt.“; a. a. O., 227,14: „Denn der Teuffel hinderts, wo er kann, das es nicht inn alle hertzen gehet.“ 451  Vgl. a. a. O., 228,6–12: „Zu solchen unsern gedancken schlagen noch des Teuffels ge­ dancken, die sind aller erst das rechte eyß, hagel unnd schne, die das hertz kalt machen. Wo man da nit ymmer wider anschiret durch das wort, mit reden, singen, predig hören, das wir sein nit gar vergessen, und er in unsern hertzen nit gar erlesche, Da ists unmüglich, das unser hertz, welches mit leyblicher not und eygner boßheyt und endtlich mit des Teuffels gedancken beschweret, nicht solt sincken unnd von Christo abfallen.“ 452  Vgl. a. a. O., 230,31–34: „Denn Christu muß uns ziehen, oder es ist verlorn, Denn er ists allein, der des Teuffels reich zuröret, für unsere sünd bezalet und uns von der welt und auß dem tod uber sich zum leben gezogen hat, nicht durch unser leiden oder werck, sonder durch sein leyden.“ 453  Die ‚Grube‘, aus der sich der Mensch nicht selbst befreien kann, ist „die sünde unnd der sünden straff “ (a. a. O., 232,15), wobei die Strafe der Sünde konkretisiert wird als „des Teuffels tyranney und der ewige todt“ (a. a. O., 232,16). Gleichzeitig kann die ‚Grube‘, von der Sach 9,11 spricht, als „grube des zorn Gottes“ (a. a. O., 232,21) bezeichnet werden. 454  Anders als im 1519er Passionssermon sind Erschrecken bzw. Selbsterkenntnis und Glaube bzw. Gotteserkenntnis nicht im Anschluss an Röm 4,25 Tod und Auferstehung Christi zugeordnet, da beide Aspekte mit Blick auf das Kreuz Christi zur Sprache gekommen sind. Die Auferstehung wird in dieser Passionspredigt im Zusammenhang der Erhöhung Christi angesprochen, „das er uns gaben geben unnd seine Christen in allen gnaden regirn unnd handhaben wölle wider alle anfechtung“ (a. a. O., 235,27 f.). 455  A. a. O., 234,18.



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ben der Hörerinnen und Hörer agiert.456 Er will sie von dem „haubtstück“457 abbringen, nämlich die Passion als einen Akt des liebenden Gottes zu erkennen. „Wo er nu solches auß richtet, da hett er gewonnen. Denn was will uns schützen oder retten, wenn wir Gott verloren haben?“458 3.2.7  Der Glaube ‚im Herzen‘ und der ‚höchste Gottesdienst‘ In diversen Zitaten ist bereits angeklungen, dass Luther auf Zweierlei besonderen Wert legt:459 Zum einen müsse ‚mit dem Wort umgegangen‘ werden, d. h. die Passion soll gepredigt und gelehrt und also von außen (extra nos) zugesagt werden.460 Zum anderen müsse dieses Wort Gottes ‚zu Herzen gehen‘, d. h. es soll im Inneren des Menschen ankommen.461 Das Herz ist der Ort des Glaubens oder Unglaubens bzw. Zweifels, weshalb sich hier die Ausrichtung der ganzen Person entscheidet.462 Gerade deshalb will der Teufel verhindern, dass das äußere Wort ins Herz gelangt.463 Die Auslegung von Röm 5,8–11 zeigt, dass Luther durch seine Predigt den Blick von der Sünde im eigenen Herzen, der Zweifel und Unglauben nährt,464 weglenken will – hin zum extra nos und pro nobis geschehenen Versöhnungswerk Christi, in dem Gott als ‚unser Freund und lieber Vater‘ erkannt wird, sodass auch in Anfechtung alles Vertrauen auf ihn gesetzt werden kann.465 Die Bedeutung der Relation gepredigtes Wort – Glaube kann zudem an einem bestimmten Topos abgelesen werden: dem ‚höchsten Gottesdienst‘.466 Damit bezeichnet Luther in dieser Predigt nicht den liturgischen Akt im Allgemeinen, sondern in der Vorrede meint er ganz spezifisch das Hören und die Verkündi456  Vgl. a. a. O., 235,22–24: „Das wir inn gnaden erhalten, wider den Teuffel unnd die welt geschützet und im glauben von tag zu tag zunemen werden.“ 457  A. a. O., 234,18. 458  A. a. O., 234,20–22. 459  Dies findet sich v. a. in der Vorrede, in der zum Hören und Predigen der Passion angeleitet wird, und im zweiten Hauptteil der Predigt, in dem dies exemplarisch durchgeführt wird. 460  Vgl. grundlegend Bayer, Promissio; Bizer, Fides; zur Mühlen, Nos extra nos. Auch Leppin spricht von einer zunehmend um 1518 feststellbaren „worttheologische[n] Brechung“ (Leppin, Reformation, 121) einer bis dato v. a. mystisch inspirierten Theologie. 461  Für Literatur zum Herz-Begriff bei Luther s. o. Kapitel II.2.3.3 Anm. 197. 462 Vgl. WA 52, 233,1–7; 233,14 f.; 234,28–31; 235,10–12; 235,35–38; 236,7–10. Die Terminologie hat sich bei Luther seit den 1520er Sermonen Von den guten Werken und Von der Freiheit eines Christenmenschen gefestigt, in denen der Glaube als Erfüllung des ersten Gebotes betrachtet und dabei (im Anschluss an Röm 10,10) vom ‚Glaube des Herzens‘ gesprochen wird (vgl. die argumentativen Kernstellen WA 6, 209,33 f. und WA 7, 25,21.27). Diese Wortverbindung stellte bei Luther fortan eine stehende Wendung dar. 463  Vgl. die Zitate in Kapitel II.3.2.6 Anm. 450. 464  So der Ausgangspunkt der Auslegung in WA 52, 233,1–7. 465  Vgl. a. a. O., 236,5–10 am Ende der Predigt. 466  Zu den verschiedenen Dimensionen des Gottesdienstes (nicht nur als Liturgie) bei Luther vgl. Spehr, Theologie; ders., Gottesdienst.

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II.  Martin Luther

gung der Passion Christi.467 Dieser ‚höchste Gottesdienst‘ ist gleichzeitig ein ‚geringer Gottesdienst‘ im Verhältnis zu denjenigen der Juden und des Papsttums, welche nämlich höhere Forderungen an die Menschen stellen;468 und von den ‚Türken‘ unterscheidet er sich grundlegend darin, dass diese das Leiden Christi „gar vergessen unnd an seiner stat die predigt von Machmet“469 eingeführt hätten. Am Ende der Predigt greift Luther in einer Art Inclusio die Begrifflichkeit noch einmal auf, jedoch konzentriert auf das zweite Relat: „Solcher glaub ist der höchste Gottes dienst.“470 Predigt und Glaube der Passion Christi sind deshalb der ‚höchste Gottesdienst‘, weil es dabei um nicht weniger als um Heil und ewiges Leben geht: „Derhalb so fasse ein guttes hertz gegen Gott, der dich so trefflich lieb hat gehabt, da du noch ein sünder warst, Unnd trawe jm, er wird dich umb Christi, seines Sons, willen in aller anfechtung erhalten und nicht sincken lassen, Sonder dir das ewige leben geben.“471

3.2.8  Das Papsttum als Antipode Durch die gesamte Predigt zieht sich wie ein roter Faden der antithetische Bezug auf das Papsttum.472 Die ‚Papisten‘ seien beispielhaft für jene, die das Leiden Christi zwar ‚auf der Zunge‘ haben, es aber ‚im Herzen‘ verfolgen – „sonst würden sie auff jr eygen leyden nicht so vil halten unnd jhre werck nicht so rhümen“.473 Damit ist gleich zu Beginn der Predigt das entscheidende Kriterium der Beurteilung bzw. Verwerfung genannt: der Gegensatz zwischen den eigenen Leiden und Christi Leiden sowie den eigenen Werken und Christi Werk, auf deren grundsätzlicher Unterscheidung für Luther alles Gewicht liegt.474 Auf zwei Stellen, an denen Luther auf dieses in seiner Perspektive immer gleiche Grundproblem des Papsttums zu sprechen kommt, sei noch hingewiesen: Nach einer Art Zusammenfassung des Kerngehalts der Passionspredigt im Zu467 Vgl. WA 52, 227,19–22: „Unnd Gott wils für den höchsten dienst achten, den wir jm thun können, das du es hörest unnd lernest, das ich dirs predige, Das vatter unnd mutter im hause jre kinder und gesinde davon unterrichte.“ 468  Vgl. a. a. O., 227,22–28. 469  A. a. O., 227,30. 470  A. a. O., 235,39 f. 471  A. a. O., 235,35–39. 472  Wie die rechte Art der Passionspredigt von den falschen Arten, nämlich jenen im Papsttum üblichen, abgehoben ist, wurde bereits ausgeführt (s. o. Kapitel II.3.2.4). Vgl. auch das Resümee in Kapitel II.5. 473  A. a. O., 226,29. 474  Vgl. z. B. a. a.O., 230,33 f.: „nicht durch unser leiden oder werck, sonder durch sein leyden“; a. a. O., 231,9–11: „Die frucht wechst allein auß dem tod Christi unnd nit auß unsern wercken, Wie die Papisten unrecht lehren.“; a. a. O., 236,17–22: „Solches haben wir allein durch die versönung, so durch den tod Christi geschehen ist. Was ist aber das für ein greulicher jammer, das der Bapst und sein hauff solche versönung dahinden lest unnd weyset die leut davon auff eygne werck unnd menschen verdienst, als sollte man dadurch zu gnaden kommen unnd ein gnedigen Gott kriegen.“



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sammenhang der Auslegung von Joh  1,29475 problematisiert Luther, dass die Frömmigkeitspraxis des Papsttums die Aussage ‚Christus ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt‘ konterkariere: „Denn warumb hat man sonst so streng gefastet? Warum hat man mit der beicht so sich zermartet? Warumb ist man tag und nacht in der Kirchen gesteckt, gesungen, gebettet, So man nit dadurch hat vergebung der sünden gehoffet unnd gesuchet? Das ist aber eben so vil, als köndte das opffer Christi nicht gnugsam oder fruchtbar sein, du helfest denn mit deinen eygen wercken dazu, unnd liddest auch für deine sünde, Wie Christus gelidden hat.“476

Am Beginn des zweiten Hauptteils der Predigt wird der Zweifel und Unglaube ‚in unseren Herzen‘ thematisiert.477 Um dem Abhilfe zu verschaffen, habe der Papst diverse Möglichkeiten eingerichtet, wie die Anrufung der Heiligen, Wallfahrten, Ablasskäufe, die Messe, das Klosterleben und „allerlei ander abgötterey“478 – und „wer es da hyn könde bringen, der gedacht, er wölte es im hymel dest besser haben“.479 Diesen misslungenen Versuchen setzt Luther Paulus entgegen, dessen Predigt in Röm 5,8–11 eben ein hervorragendes Beispiel sei, in angemessener Weise Vertrauen auf Gott zu wecken und den Unglauben zu vertreiben.480 3.3  Zweite Predigt: Von Christi Gebet am Kreuz und dem Schächer zur Rechten Die zweite Passionspredigt der Dietrichschen Hauspostille ist explizit als Karfreitagspredigt bezeichnet und wurde von Luther am Karfreitag des Jahres 1534 475  Vgl. a. a. O., 229,35–230,7: „Du solt wissen und glauben, Wie Johannes hie predigt, Das Christus solchs umb deiner sünden willen gelitten hab, das Gott die selben jm auffgeladen und er sie in allem gehorsam getragen und dafür bezalet hab, auff das, wenn du erkennest, das du ein sünder seyst und habst Gott erzürnet, du dennoch nit verzagest, Sonder nicht solches leydens und gnugthuung unsers Herrn Christi tröstest. Als denn kann man im hertzen einen schmack von solchem leyden haben, Das nit allein, wie an einer Bäbstischen predigt, dir die augen ubergehen, das hertz bleibt aber dürr und drucken, Sonder das hertz wirdt dir ubergehen, Erstlich für leyd, das du must bekennen, die sünd sey ein greulicher last, weil die slebe allein durch ein solches grosses opffer für dich geben ist, das du gewiß bist, Gott wölle deiner sünden halb dich nit wegwerffen noch verdammen.“ 476  A. a. O., 230,12–17. 477  Luther kann, wie hier, Zweifel und Unglaube geradezu parallel als Gegenüber zum Glauben gebrauchen. Nicht selten stehen dann auch beide Begriffe nebeneinander, z. B. „vel non credit vel dubitat“ (WA 2, 407,34), „seyn unglawbenn odder zweyffell“ (WA 7, 325,7). Andererseits verwendet Luther den Begriff des Zweifels aber auch analog zur Anfechtung in dem Sinne, dass jeder Gläubige ein Leben lang mit Zweifeln ringen muss. In einer Disputation von 1542 hat Luther den Zweifel im Horizont der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Werk des Gesetzes beschrieben, dem die Gewissheit als Werk des Evangeliums gegenüberstehe (vgl. WA 39/II, 163,16 f.). Vgl. auch die Zitate bei Rieger, Grundbegriffe, 355–357. 478  WA 52, 233,11. 479  A. a. O., 233,11 f. 480  Vgl. a. a. O., 233,13–19.

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gehalten. Ausgehend von der Perikope Lk 23,32–43 folgen auf eine kurze Einleitung481 zwei thematische Teile, deren Inhalt in der Überschrift bereits angegeben ist: Im ersten und längeren Teil legt Luther Christi Gebet am Kreuz  – Lk 23,34: ‚Vater, vergib ihnen, den sie wissen nicht, was sie tun.‘  – aus;482 im zweiten und kürzeren Teil folgen in Form einer Homilie Überlegungen zu dem rechts von Jesus gekreuzigten Schächer.483 3.3.1 Einleitung In der Einleitung wird die entscheidende passionshermeneutische Vorgabe formuliert, die aus der vorangegangenen Predigt v. a. in Antithetik zur Passionspredigt des Papsttums bekannt ist: „Denn das soll vor allen dingen sein, das man diß leyden soll unterscheiden von aller anderen menschen leyden.“484 Die kategoriale Differenz zwischen Christi Leiden und dem Leiden aller anderen Menschen wird in dreierlei Hinsicht festgestellt: Erstens „der person halb, das Jhesus Christus ewiger Gott ist, durch welchen himel unnd erden erschaffen unnd alles gemacht ist“,485 zweitens „der ursach halb seines leydens“486 und drittens „des nutzes oder frucht halb, die auß solchem leiden volget“.487 Die letzten beiden Aspekte werden sogleich in der kürzest möglichen Form als Vorgabe zusammengefasst: Christus leidet „Nicht seinet halb, sonder unserthalb, das wir dadurch von sünd unnd tod sollen gefreyet und ledig werden“.488 3.3.2 Erster Teil: Von Christi Gebet am Kreuz – Christus in seinem priesterlichen Amt Die drei genannten Aspekte, die Christi Passion von allen menschlichen Leiden abheben, thematisiert Luther im ersten Hauptteil seiner Predigt, wobei er jedoch anstatt auf die Person auf das Amt Christi eingeht. Denn mit dem Gebet ‚Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.‘, das Christus nach Lk 23,34 am Kreuz spricht, wirke Christus in seinem priesterlichen Amt.489 Diese Betrachtungsperspektive sei entscheidend, da sie keineswegs selbstverständlich ist. Man könne die Passion nämlich auch „mit fleischlichen augen“490 ansehen, d. h. so, wie sie äußerlich oder dem Anschein nach ‚vor der Welt‘ geschieht. Diese Perspektive habe eindrücklich schon Jesaja (in Jes 53,2 f.) geschildert.491 In Wahr481 Vgl. 482  483  484  485  486  487  488  489  490  491 

WA 52, 237,1–19. Vgl. a. a. O., 237,20–242,23. Vgl. a. a. O., 242,24–244,36. A. a. O., 237,10 f. A. a. O., 237,12 f. A. a. O., 237,13 f. A. a. O., 237,14. A. a. o., 237,16 f. Vgl. a. a. O., 237,22–25. A. a. O., 238,14. Vgl. a. a. O., 238,10–13.

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heit jedoch sei Christus – auch und gerade am Kreuz – „Priester unnd König“.492 Die priesterlichen und königlichen Insignien erscheinen in der Passion freilich sub contrario: Während Aaron nach dem Gesetz seinen priesterlichen Schmuck „zur pracht“493 gehabt habe, könne Christus nichts äußerliches vorweisen; während die alttestamentlichen Priester ihre Tiere im Tempel auf einem geweihten Altar opferten, opferte Christus „sich selb auff einem ungeweyhten unnd verfluchten Altar“,494 nämlich am Galgen. Genauso stehe zwar korrekterweise über dem Kreuz der Titulus ‚König der Juden‘, doch „an stat des Purpur [ist] sein gantzer leyb blutig und vol wunden unnd striemen“;495 und anstatt einer königlichen Krone „tregt er dorn in den kopff geschlagen“.496 Der Betrachtung mit den ‚fleischlichen Augen‘ steht an späterer Stelle der Predigt die Aufforderung Luthers gegenüber: „last uns unsere hertzen auff thun und unseren Priester Christum in seinem rechten schmuck anschawen.“497 Realisiert werden kann dies jedoch nur dadurch, dass dem äußerlich Geschändeten „in das hertz“498 gesehen wird. Denn dort finde man den priesterlichen Schmuck und Schatz: Zum einen den „grossen, hertzlichen gehorsam gegen seinen Vatter“499 und zum anderen „die grosse lieb gegen uns“.500 Diesen Schmuck könne man nicht von außen (‚außwendig‘), sondern nur innerlich (‚inwendig‘) erblicken.501 Dass Christus am Kreuz für seine Peiniger bittet, bezeuge diesen Schatz in seinem Herzen.502 Worin besteht nun Christi priesterliches Amt? Wie jeder Priester, so wirke auch Christus durch Opfer und Fürbitte, und das heißt in diesem paradoxen Fall: indem er sich selbst opfert und dabei für die bittet, die ihn kreuzigen. Das Gegenüber zu Christus seien jedoch nicht bloß ‚jene‘, sondern ‚wir‘ – darauf legt Luther allen Wert. Nur in Bezug auf ‚uns‘ bringt Luther denn auch sowohl die Ursache als auch Nutzen und Frucht der Passion zur Sprache. ‚Wir‘ – genauer: ‚unsere‘ Sünden – sind die Ursache seines Leidens; und ‚wir‘ sind Adressaten von 492 

A. a. O., 238,8. Zum priesterlichen und königlichen Amt vgl. Bornkamm, Christus. A. a. O., 238,1. 494  A. a. O., 238,19. 495  A. a. O., 238,6 f. 496  A. a. O., 238,7 f. 497  A. a. O., 240,8 f. 498  A. a. O., 240,10. Zu erinnern ist hier an den Weg der Passionsmeditation vom äußeren Leiden in Christi Herz und durch dieses zum Herzen des Vaters, den Luther in seinem frühen Passionssermon gewiesen hat (s. o. Kapitel II.2.5.2). 499  A. a. O., 240,13. 500  A. a. O., 240,17 f. Luther versucht dies durch ein lebensweltliches Beispiel zu erläutern und zu plausibilisieren (a. a. O., 240,25–30): „Gleich wie sichs mit kindern zutregt, das Vatter und Mutter durch ein feur lauffen, sie zu erretten, Da ist die lieb so groß, das das hertz auff sein eygne not nit denckt unnd allein sich darumb annimbt, wie dem kind geholffen wird. Also, sehen wir, brinnet unserm lieben Herrn Christo sein hertz auch, das er durch das leiden herdurch wie durch ein feur reysset und erhaschet uns inn aller lieb und barmhertzigkeyt.“ 501  Vgl. a. a. O., 240,32. 502  Vgl. a. a. O., 240,33. 493 

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Nutzen und Frucht der Passion – nämlich: ‚unsere‘ Befreiung von der Sünde und damit von Tod und Hölle.503 ‚Wir‘ müssen ‚uns‘ dementsprechend als im Geschehen der Passion involviert erkennen, wodurch das Gebet Christi am Kreuz für die Hörerinnen und Hörer der Predigt unmittelbar aktuell wird: „Solches leydens und gebette sollen wir uns trösten. Denn gleich wie er leydet, also bettet er auch, Nicht allein für die, so dazumal entgegen warden und hende an in legten unnd jhn an das Creutz schlugen, Sonder auch für uns. Denn jhene sind nur unser sünden knecht und diener gewest.504 Denn wo deine unnd meine sünde Christum nicht hetten an das Creutz gehefftet, sie hetten jhn wol müssen zu friden lassen. Weyl aber Christus alß der rechte Priester und das Lemlein Gottes da ist, für der gantzen welt sünde mit seinem opffer oder todt zubezalen, das macht, das Juden und Heyden gewalt wider jn zuthun uberkommen. Derhalb, wenn er für die bittet, die jhn creutzigen, bittet er für uns, die wir mit unsern sünden zu seinem Creutz und sterben ursach geben.“505

Im Papsttum habe man den Sinn der Passion Christi jedoch in sein Gegenteil verkehrt, und zwar „unangesehen, das der Text so klar und die geschicht so lauter ist“.506 Denn dort werde gepredigt, „Wir selb sollen Priester sein, sollen selb opffern und durch eigne werck das ewig leben erwerben.“507 Aufschlussreich für die Wahrnehmung Luthers ist sein Urteil, dass sich die Verurteilung der ‚evangelischen Lehre‘ auf die ganz basalen Aussagen des christlichen Glaubens bezieht: „Unser lehr aber, das wir leren, Christus hab uns von sünden erlöst unnd das ewig leben verdienet, verfluchen unnd verdammen sie als ketzerey. Jst aber das nicht ein jemmerlicher handel?“508 Gegen den ‚Hauptartikel‘, „das Christus sich für uns geopffert hat“,509 gieße der Papst „des Teuffels gifft“510 aus, dass nämlich die Leute „durch eygne gerechtigkeyt, werck unnd verdienst“511 in den Himmel kommen wollen. So findet sich am Ende des ersten Hauptteils noch eine interessante Differenzierung von „zweierley sünder“,512 um zu präzisieren, wen das Gebet Christi ein503  Vgl. a. a. O., 239,18–20: „Denn wer die sünde weg nimbt, der nimbt den tod auch weg. Ursach: der todt hat kein macht mer, wo die sünde weg ist, Also die hell auch.“ 504  Diese Aussage speziell in Bezug auf die Juden hatte Luther auch im 1519er Passionssermon getroffen (s. o. Kapitel II.2.3.1). 505  A. a. O., 239,5–14. Der Bezug auf ‚uns‘ zeigt sich in immer wiederkehrenden ähnlichen Formulierungen, wobei mal der Akzent eher auf dem Aspekt der Ursache und mal eher auf dem Aspekt von Nutzen und Frucht liegt: „sein leyden soll heyssen ein leyden für uns, nicht für sich selb oder seinethalb“ (a. a. O., 237,29); „Aber es geschicht alles umb unsert willen und uns zu gut, Auff das wir lernen, das er ein völliges, gnügsames opffer für unsere sünde thun habe“ (a. a. O., 238,23–25); „Umb unsert willen ist solches alles geschehen, Denn unser sünde haben es so verdienet.“ (a. a. O., 238,37 f.) etc. 506  A. a. O., 239,24 f. 507  A. a. O., 239,26 f. 508  A. a. O., 239,27–30. Dazu s. u. das Resümee Kapitel II.5. 509  A. a. O., 240,35 f. 510  A. a. O., 240,39. 511  A. a. O., 240,40. 512  A. a. O., 241,26.

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schließt und für wen Christus nicht bittet. Auf der einen Seite sind die Sünder, die wissentlich sündigen und wissentlich in ihren Sünden beharren, „sie nit bekennen, davon nicht ablassen noch vergebung der selben“513 erbitten. Diese sündigen gegen den Heiligen Geist, was (nach Mt 12,32/Lk 12,10) nicht vergeben werden kann; und sie kann Luther eindeutig identifizieren: „Wie unsere Junckhern, die Papisten, jetzt thun, Die wissen, das unser lehr recht ist, das Christus das Sacrament gantz entpfahen befolhen, die ehe nicht verbotten, von dem Meßopffer nichts gebotten hat, und dennoch verdammen sie uns umb solcher stuck willen alß Ketzer und straffen jre unterthan drumb, Dise sündigen nicht unwissend.“514

Auf der anderen Seite seien die Sünder, die unwissentlich sündigen. Selbstverständlich gebe es viele, die wissen, das ihr Tun Sünde ist, wie z. B. David in Bezug auf Uria, doch sie seien durch „die sünd und de[n] teuffel“515 getrieben. Doch wie Petrus, der Jesus selbst verraten hat, erkennen und bekennen sie ihre Sünde, bereuen und bitten um Gnade.516 Für diese Sünder habe Christus gebeten „unnd ist gewißlich erhört worden, da sollen wir nicht an zweyfflen, Sonder uns desselben trösten und frewen“.517 3.3.3 Zweiter Teil: Vom Schächer zu Christi rechter Hand – Ein Exempel der Wirkung der Passion In der Situation der Kreuzigung kann, wie Luther im ersten Teil der Predigt deutlich gemacht hat, ‚mit fleischlichen Augen‘ das Wesentliche nicht gesehen werden. Angesichts dessen sei die Geschichte (‚Historie‘) von dem zu Jesu Rechten gekreuzigten Schächer ein ‚wunderbares‘518 und „trefflich schönes Exempel“519 zum einen für einen ‚großen Glauben‘ und zum anderen für ein ‚herrliches Bekenntnis‘.520 Ersteres zeige sich darin, dass jener, obwohl „er wayß, das er gesündigt und da seyner sünden halb den tod leyden sol“521 (zu Lk 23,41), er sich dennoch mit der Hoffnung auf das Reich Gottes an Christus wendet. Und 513 

A. a. O., 241,29. A. a. O., 241,30–34. 515  A. a. O., 242,1. 516  Vgl. a. a. O., 242,2–11. 517  A. a. O., 242,18–20. 518  Vgl. a. a. O., 242,27.37. 519  A. a. O., 242,25. Die Verwendung des Begriffs ‚Exempel‘ ist hier eine andere als im Zusammenhang der Unterscheidung von ‚Christus als Gabe‘ und ‚Christus als Exempel‘. Es geht nicht (ausschließlich) wie in jener Unterscheidung um ein Vorbild für die Lebensführung, sondern meint eher eine Begebenheit, die als beispielhafte Veranschaulichung einer allgemeinen Wahrheit, eines Sachverhalts oder einer (typischen oder außergewöhnlichen) Situation im Leben von Gläubigen ausgelegt wird. Diese Art der Auslegung von biblischen Geschichten als ‚Exempla‘ stellt eine gängige zeitgenössische Form der Aktualisierung in Auslegungen dar, wie sie auch von Luther und im Luthertum vielfach gebraucht wurde (vgl. Steiger, Exempla). 520  Vgl. a. a. O., 243,17 f. 521  A. a. O., 242,28 f. 514 

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zweitens lasse er sich von dem offensichtlichen Ärgernis, das der Gekreuzigte für ‚alle Welt‘ darstellt,522 nicht beeindrucken: „Allein der arme mörder zur rechten hand reysset durch das ergernuß hindurch und darff Christum, der neben jm am galgen hangt einen Herrn und Künig nennen. Straffet der halb die gantze welt lügen, sihet nicht an, was andere leut von jhm halten oder sagen, Und rüffet jn für einen ewigen Künig auß“ (zu Lk 23,42).523

Einen zusätzlichen Auslegungsaspekt bringt Luther im letzten Abschnitt der Predigt, wenn er den Schächer zur Rechten nicht nur als Exempel des einzelnen Christen präsentiert, sondern in gegenwärtiger Absicht auf die (wahre) christliche Kirche bezieht: „Also will Gott noch heutiges tages seine Christliche Kirche erhalten, ob es gleich alles hin fiele, Keyser, König, Bapst, Bischoffe, so will doch Gott ein heüfflein behalten, das seinen Geyst haben und jhn für der welt bekennen sol.“524 Daran könne man sehen, „was Christus für leut hab“,525 nämlich solche, die (1.) Sünder sind, (2.) ihre Sünde bekennen und (3.) um Gnade bitten.526 Diese sollen auch Vergebung der Sünde erhalten, wie aus dem anfangs ausgelegten Gebet am Kreuz hervorgehe; und die Erlösung des Schächers zur Rechten von Sünden und dem ewigen Tod sei das erste dementsprechende Werk Christi am Kreuz.527 Damit werde der Sinn des Kreuzestodes Christi noch einmal überdeutlich: Es ist um der Sünder willen geschehen, nicht um der Frommen willen,528 was Luther mit Blick auf die Notwendigkeit von Sündenerkenntnis und -bekenntnis auch in Umkehrung und als Warnung gegen eine verfehlte Selbsteinschätzung formulieren kann: „Darumb, wer da gedenckt, er wölle gen himel kommen als ein heyliger mensch und on alle sünde, der wirdt betrogen. Denn wer nit will ein sünder sein, der darff des Herrn Christi nirgent zu“.529 Das dürfe freilich nicht als Freibrief zum Sündigen missverstanden und missbraucht werden: „Nein, weil er für die sünder leidet, will er, das sie nit mer also bleiben, sondern from und heilig sein und sich bekeren sollen.“530 Hier begegnet noch einmal die immer wiederkehrende Reihenfolge, an der nach Luther nicht weniger als alles liegt: Zuerst Sündenerkenntnis, -bekenntnis und Glaube und dann die Werke; zuerst Chris522  Vgl. a. a. O., 243,6 f.: „In summa: alle welt ergert sich an dem Christo, der am Creütz hengt, und helt nichts von jm.“ Luther zählt auf, dass „der gantze Radt zu Jerusalem, Weltliches und Geystliches regiment“ (a. a. O., 242,38 f.) Christi spotte, ebenso die Kriegsknechte und der Schächer zur Linken (vgl. a. a. O., 243,1–6), und am Ende haben auch die Jünger keine Hoffnung mehr (vgl. a. a. O., 243,7 f.). 523  A. a. O., 243,9–12. 524  A. a. O., 243,20–22. 525  A. a. O., 243,29 f. 526  Vgl. a. a. O., 243,31. 527  Vgl. a. a. O., 243,31–35. 528  Vgl. a. a. O., 243,36 f. 529  A. a. O., 243,39–244,1. 530  A. a. O., 243.



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tus als Gabe und dann als Vorbild in der Lebensführung.531 Letzteres ist keine bloße Option, sondern notwendige und selbstverständliche Folge, weshalb Luther in Bezug auf den Schächer noch spekulieren kann: „er stirbt im rechten bekentnuß und hertzlichem vertrawen auff die gnade Gottes durch Christum und lest jm sein sünd von hertzen leyd sein, und wo gott jn lenger auff dieser erden liesse, würde ers nimmer thun, was er vor thun hat.“532

4  Die Passionspredigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (1559) 4.1  Zum Anlass der Neuedition der Hauspostille 1559 wurde in Jena bei Christian Rödingers Erben eine Haußpostill mit Sonnund Festtagspredigten Luthers gedruckt, die im Titelblatt bereits klarstellte, welches Unterscheidungsmerkmal sie von der Dietrichschen Hauspostille abheben sollte: Alle Predigten seien, weil sie „aus M. Georgen Rö-‖​rers seligen geschriebenen Büchern“533 genommen wurden, „Trew-‖​ lich on alle Enderung / Abbruch / oder zusatz / auffs new zugericht / vnd in Druck geben“.534 Das Bestehen auf den ‚originalen‘ Luther ohne Zusätze und Abänderungen wurde von den Jenaer bzw. ernestinischen Theologen in der Zeit der Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe nach 1547 immer wieder als Kriterium der ‚Kanonisierung‘ Luthers in Abgrenzung zu den Wittenberger bzw. albertinischen Theologen angeführt.535 Denn der Kampf um den ‚wahren‘ Luther war in der Perspektive der Ernestiner ein Kampf um die Erhaltung des Evangeliums. Die biblisch-heilsgeschichtliche Verortung der Gegenwart in Nikolaus von Amsdorfs Vorrede zu der neuen Hauspostille ist in dieser Hinsicht aufschluss531  Man könnte auch noch anfügen: zuerst die Rechtfertigung und dann die Heiligung. Das birgt allerdings ein terminologisches Missverständnis: Für Luther, und darauf kommt er auch in dieser Predigt zu sprechen, sind es gerade nicht die Werke, die einen Menschen ‚heilig‘ machen, sondern der Glaube. So führt er zum Schächer zur Rechten aus: „Also wird ein gar ander mensch auß jhm, und sein tod, den er schmelich verdient hett, wird yetzt ein Gottes dienst, das er hinfürt nit mer leidet als ein mörder, sonder als ein rechter Heilig“ (a. a. O., 244,12–14, Hervorhebung J. R.); und: „Solcher glaub an Christum macht jn […] zum heyligen“ (a. a. O., 244,17 f.). 532  A. a. O., 244,14–16. In einem letzten Absatz werden diejenigen noch einmal eindringlich gewarnt, die „solche gnadenpredig mißbrauchen“ (a. a. O., 244,29) wollen. Diese sollten sich „den andern mörder zur lincken, die öberste der Juden und die kriegs knecht ansehen und bedencken, wie jnen solches geradten, und was sie mit jrem unbußfertigem leben verdient haben“ (a. a. O., 244,30–33). Interessanterweise findet sich dieser letzte Abschnitt (a. a. O., 244,21–36) nicht in Rörers Nachschrift und er fehlt entsprechend in dessen Hauspostille am Ende der Predigt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Ergänzung Dietrichs (vgl. a. a. O., XVII). 533  Luther, Haußpostill [Poach], Titelblatt. 534 Ebd. 535  Hier wird lediglich auf den engeren Zusammenhang der Veröffentlichung der Hauspostille eingegangen. Zum weiteren zeit- und theologiegeschichtlichen Kontext s. u. Kapitel VI.1.

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reich: Zwischen der Predigt des Evangeliums durch Christus und die Apostel „im Jüdischen Lande“536 und der Verfälschung derselben „mit Menschen Trewmen vnd Tradition durch die Werck vnd Gesetzprediger“537 hätten kaum 40 oder 50 Jahre gelegen. Und so sei es auch jetzt: Nachdem in „Deudsch Land aus lauter Gnad“538 die Predigt des ‚reinen‘ Evangeliums wieder kam, versuchen nun „vnser Feinde die Adiaphoristen vnser Lere vnter zu drücken vnd verdechtig zu machen“.539 Dagegen helfe besonders eines, nämlich „das man die Bücher vnd Schrifften Lutheri fleissig lese / vnd sich darinne teglich vbe“.540 Durchaus brauchbar sei dafür die (Dietrichsche) Hauspostille Luthers; doch seien „darinne / etliche / auch viel Lutheri predigten aussen gelassen / zum teil geendert / auch andere hinein gesatzt worden“541 – ein Missstand, dem nun dadurch Abhilfe geleistet werde, dass man sich ausschließlich an Georg Rörers Aufzeichnungen gehalten habe und also „nu mehr allein Lutheri Predigten“542 in dieser Hauspostille zu finden seien. Der Herausgeber Andreas Poach gibt in seinem Nachwort noch genauer die vier ‚Editionsrichtlinien‘ an, nach denen er vorgegangen sei:543 1. Alle fremden Predigten wurden weggelassen und an jede Predigt wurde eine Glosse mit Nachweis gesetzt, sodass jeder sie in Rörers Aufzeichnungen kontrollieren und nachlesen könne. 2. Wenn bei Rörer mehrere Predigten aus verschiedenen Jahren zu einer Perikope vorhanden seien, werden auch mehrere Predigten geboten. 3. Wo Dietrich zwei oder drei Predigten Luthers zu einer verarbeitet habe, werden diese wieder auseinandergenommen und einzeln abgedruckt. 4. Die Auswahl der Festpredigten richte sich nach der Wittenberger Kirchenordnung. Den Vorwurf, Dietrich habe „viel Predigten mit eingemenget […] / Die nicht des seligen Mannes Gottes D. Martini Luthers sind“,544 konkretisiert Poach durch Aufzählung einiger Merkmale, woran dies erkennbar sei. Vor allem aber weist er bezüglich der Passio, die ab 1545/46 in der Dietrichschen Hauspostille abgedruckt war, auf den separaten Druck derselben hin.545 Der angespannten Situation im Ringen um Luthers Erbe entsprechend, folgte auf den Druck der neuen Hauspostille unmittelbar eine Reaktion.546 Der Wit536 

Luther, Haußpostill [Poach], fol. *2v.

537 Ebd. 538 Ebd. 539 

Luther, Haußpostill [Poach], fol. *3r.

541 

Luther, Haußpostill [Poach], fol. *3v.

540 Ebd. 542 Ebd. 543 

Vgl. a. a. O., fol. 498r–v. A. a. O., fol. 498r. 545  Ebd.: „Vnd in der Vorrede vber die dreizehen Predigten von der Passion / an die Fraw Bawmgartnerin / bekennet er / das dieselben dreizehen Predigten sein sin / vnd nicht D. Martini Luthers“. 546  Zu Hintergrund und Verlauf des Streites um die Hauspostille vgl. Michel, Kanonisierung, 199–204. 544 

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tenberger Christoph Walther547 verteidigte in der kurzen Flugschrift „Antwort ‖ Auff der Flaciani-‖​sten Lügen vnd falschen Be-‖​richt wider die Hauspostill Do-‖​ctoris Martini ‖ Lutheri.“548 die Dietrichsche Hauspostille. Er bekräftigt die grundsätzliche Zuverlässigkeit Dietrichs und dass die Gegenargumente der ‚Flacianisten‘ nicht stichhaltig seien, zumal Rörer ohnehin ein weniger zuverlässiger Zeuge sei als Dietrich.549 Auf den Vorwurf bezüglich der Passio Dietrichs ging Walther jedoch nicht ein. 4.2  Die Predigtreihe Die ‚von Zusätzen gereinigte‘ Poach-Rörersche Hauspostille enthält eine eigene „Passio / oder Historia vom Leiden vnd sterben Jhesu Christi vnsers Heilands“,550 in der die Passionsgeschichte in fünf Predigten ausgelegt wird.551 Wenn Luther die Passionsgeschichte in einer Predigtreihe auslegte, dann orientierte er sich für gewöhnlich nicht an einem der Evangelientexte, sondern an einer Harmonie. In Wittenberg war diejenige Bugenhagens in Gebrauch, die auch Luther in seiner Predigtreihe von 1534 genutzt haben dürfte.552 Die fünf Predigten orientieren sich an fünf Stationen der Passionsgeschichte.553 Gerahmt ist die fortlaufende Auslegung von einer Einleitung am Beginn 547 

Dieser war den Ernestinern nicht unbekannt, wie WA 52, IX angibt, da er an den vorangegangenen Streitigkeiten um die konkurrierenden Werkausgaben Luthers als Wittenberger Redaktor beteiligt war (vgl. Michel, Kanonisierung, 193–199). 548  Walther, Antwort. 549  Zum einen habe Rörer nicht die Fähigkeiten eines Dietrich (oder Cruciger) gehabt und zum anderen könne Rörer gar nicht selbst die Hauspredigten Luthers gehört und mitgeschrieben haben, da er in der Kirche und nicht in Luthers Haus gewesen sei, während dieser dort gepredigt habe (vgl. Walther, Antwort, fol. A3r). 550  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 139v. Vgl. den ähnlichen Titel bei Dietrich: PASSIO ‖ oder Histori vom ‖ leiden Christi Jesu ‖ vnsers Heylands. 551  Zur Datierung der Predigten s. o. Kapitel II.1.2. 552 Vgl. Mülhaupt, Einleitung, 30*f. Die im Druck der Postille enthaltene Zusammenstellung des Bibeltextes entspricht zwar nicht der Harmonie Bugenhagens, doch lässt dies keinen Rückschluss auf eine Abweichung Luthers von seiner gängigen Praxis zu, da die Bibeltexte in den Rörerschen Manuskripten (s. o. Kapitel II.1.2 Anm. 83) nicht enthalten sind. Ein starkes Indiz für die Nutzung der Bugenhagenschen Harmonie ist die dritte Predigt, in der Luther den Text Vers für Vers auslegt (s. u. Kapitel II.4.2.4 Anm. 605). Im Übrigen bleibt die Zusammenstellung der Bibeltexte (durch Poach? / durch den Drucker?) qualitativ weit hinter derjenigen Bugenhagens zurück. Offenbar wurde weitgehend die matthäische Passionsgeschichte abgedruckt und Verse aus anderen Evangelien – chronologisch nicht immer passend – eingefügt, sofern sie als inhaltlich relevant erschienen. Um ein Beispiel zu erwähnen: In der ersten Predigt über Jesus in Gethsemane bietet der Bibeltext im Druck die matthäische Erzählung vom Gebet Jesu im Garten (Mt 26,36–46), fügt anschließend die Tröstung Jesu durch den Engel aus Lk 22,43 f. ein, was der lukanischen Erzählung nach jedoch während des Gebets stattgefunden hat, und fährt daraufhin mit Mt 26,47 ff. fort. Bei Bugenhagen sind die Perikopen erheblich ‚harmonischer‘ miteinander verwoben. 553  Luther legt in der Einleitung der Reihenpredigt dar, dass die Passion eigentlich in sechs Teile geteilt werden müsste, dass aber über den ersten Teil, nämlich ‚der Herrn Abendmahl‘, ge-

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der ersten Predigt und einer auf das Wesentliche der Passion gerichteten Auslegung des vierten Gottesknechtsliedes (Jes 53) als Abschluss der letzten Predigt. Predigt 1: Einleitung der Predigtreihe I. Jesus im Garten Gethsemane Predigt 2: II. Jesus im Haus des Hohepriesters Kaiphas Predigt 3: III. Jesus vor Pontius Pilatus Predigt 4: IV. Jesus am Kreuz Predigt 5: V. Jesu Begräbnis Auslegung von Jes 53 Im Folgenden werden die Predigten bzw. Predigtteile nacheinander behandelt. Dabei liegt der Fokus nicht auf einer umfassenden Darstellung der Predigten Luthers, sondern auf besonderen Akzenten hinsichtlich Art und Aufbau der jeweiligen Predigt sowie inhaltlicher und exegetischer Pointen. Da die vierte Predigt der Reihe Luthers Karfreitagspredigt des Jahres 1534 ist, die auch Veit Dietrich als Karfreitagspredigt in seine Hauspostille aufgenommen hatte, wird diese hier nicht noch einmal analysiert.554 Die Auslegung von Jes 53 wird, da es sich um einen in sich geschlossenen und inhaltlich gewichtigen Teil handelt, in einem extra Kapitel und etwas ausführlicher thematisiert.555 4.2.1  Einleitung der Predigtreihe Die Einleitung der Predigtreihe am Anfang der ersten Predigt556 hat den Charakter einer Anleitung zur Passionsbetrachtung:557 Auf eine Ermahnung zur Beschäftigung mit der Passion folgt ein Blick auf den fünfteiligen Aufbau der Predigtreihe und eine Anleitung, worauf man in der Passionspredigt „Für allen dingen […] vleissig mercken [soll] / Welchs auch das fürnemeste ist“.558 Obgleich man das ‚Leiden und Sterben unseres Heilandes‘ in keinem Augenblick vergessen sollte, so beginnt Luther, sei eine festgelegte Zeit im Kirchenjahr doch sinnvoll, sich dem im Besonderen zu widmen.559 Während von der „Frucht vnd Krafft des Leidens Christi“560 das ganze Jahr über gepredigt würde, sondert an Gründonnerstag gepredigt werden würde, weshalb er mit der Erzählung im Garten Gethsemane beginne (vgl. Luther, Haußpostill [Poach], fol. 140v). 554 Zwar sind die Unterschiede zwischen der Predigt in der Dietrichschen und in der Poach-Rörerschen Version im Wortlaut und in manchen Absätzen beträchtlich; die in Kapitel II.3.3 herausgearbeiteten theologischen Grundlinien jedoch finden sich so auch in der PoachRörerschen Postille. 555  S. u. Kapitel II.4.3. 556 Vgl. Luther, Haußpostill [Poach], fol. 139v–142v. 557  S. o. Kapitel II.2.2.1. 558  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 140v. 559  Vgl. a. a. O., fol. 139v. 560  A. a. O., fol. 140r. Die Predigt der ‚Frucht und Kraft‘ des Leidens Christi habe eine doppelte Ausrichtung: Positiv geht es darum, „Wie man an jn [Christus, J. R.] gleuben / vnd durch



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sei nun auch die Möglichkeit, die dem zugrunde liegende Geschichte genauer zu behandeln. Der pädagogische Zweck ist Luther zufolge gleichzeitig ein soteriologischer und existentiell-seelsorglicher: „Denn auff dieser Histori stehet der grund vnser Seligkeit / Darauff wir bawen vnd trotzen / auch wider der Hellen pforten“.561 Dies wird mit Paulus begründet, der die Korinther an das im Tod ‚für unsere Sünde‘ und Auferstehung konzentrierte Evangelium erinnert, das er selbst ‚empfangen‘ und ‚weitergegeben‘ habe (1 Kor 15,3 f.). Das Wissen um die historischen Sachverhalte der Passion Christi ist für Luther entsprechend ein konstitutives Element des Glaubens,562 wobei letztlich alles darauf ankomme, „die Vrsach vnd endliche meinung des Leidens Christi“563 zu kennen, wie der zum rechten Verstehen der Passion anleitende Abschnitt zuvorderst feststellt. Denn an Ursache und Zweck werde der „reine / feine / vn[d] klare Vnterscheid“564 zwischen dem Leiden Christ und allen anderen Leiden manifest. Diesen Unterschied zu verdeutlichen, ist der Rest der Einleitung gewidmet – und zwar, wie in den Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille, in deutlicher Opposition zum ‚Papsttum‘. Bei jenen, so der grundsätzliche Vorwurf, wurde der Unterschied zwischen dem Leiden der Heiligen und dem Leiden Christi verwischt und damit schließlich die Bedeutung des Leidens Christi in ihr Gegenteil verkehrt.565 Den ‚reinen und klaren‘ Unterschied markiert Luther zusammengefasst wie folgt: den Glauben an jn Gerecht vnd selig werden sol für Gott“ (ebd.), und negativ könne man „mit demselben Artickel streiten wider alle falsche Lerer / Ja wider den Teufel selbs“ (ebd.). 561 Ebd. 562  So wenig wie für Luther der christliche Glaube ein bloß ‚historischer Glaube‘ im Sinne des Glaubens an historische Sachverhalte ist, so wenig kann er von historischen Sachverhalten – d. h. konkret: von der Geschichte Jesu Christi mit ihrem Höhepunkt in Passion und Auferstehung – gelöst werden. Ersteres ist u. a. prominent in Art. XX der Confessio Augustana mit dem Hinweis verworfen worden, dass selbst der Teufel glaube, dass Christus auferstanden sei (vgl. BSELK, 123,23–29). Für letzteres zeugt u. a. das in den beiden vorangegangenen Anmerkungen Zitierte: Das Gerecht- und Seligwerden geschehe ‚durch den Glauben‘, und eben dieser Glaube sei auf etwas ‚außer sich‘ gegründet, auf das er sich beziehe, nämlich auf Christi Sterben ‚für unsere Sünden‘ und seine Auferstehung von den Toten (nach 1 Kor 15,3 f.). 563  A. a. O., fol. 140v. 564 Ebd. 565  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 142r: „Solche grewlich / schreckliche Predigten haben wir gehabt vnter dem Bapsthumb / Man hat wol das Leiden Christi auch geprediget. Aber man hats gar nicht vnterscheiden von dem leiden der andern Heiligen / Das ist / Man hat das Leiden Christi nicht also gehandelt / Das man angezeigt hette / Wie vns damit gedienet ist / vnd wie wir desselben geniessen sollen. Ja / man hat viel mehr das Widerspiel getrieben / Vnd die Leute dahin gewiesen / wie sie sich der Heiligen leiden sollten teilhafftig machen. Ob man schon gepredigt hat / Christus habe gelidden / So hat man doch die Frucht vnd den nutz solches Leidens nicht allein verschwiegen / Sondern aucht verkeret.“ Die Verwischung des zentralen Unterschiedes führt Luther an konkrete Beispiele einer in seiner Perspektive verheerenden Seelsorgepraxis der ‚Barfüßermönche‘ vor (vgl. a. a. O., fol. 141r–v). Es kehrt auch der Vorwurf wieder, man habe „Vor zeiten im Bapstumb“ (a. a. O., fol. 141r) lediglich darüber gepredigt, „wie man seinem [Christi, J. R.] Exempel nachfolgen solle“ (ebd.), und versucht, „die Leute zum mitleiden vnd weinen“ (ebd.) zu bewegen.

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„Das sind andere Causae & Fines, Vrsachen vnd ende / der Leiden in der Welt / Nemlich / das man durch solch Leiden für der Welt gnugthue / Wie der Vbeltheter leiden ist / Oder das man dadurch Gott Ehre vnd preise / Wie der Heiligen vnd Christen leiden ist / Aber Causa & finis, Vrsach vnd ende des Leidens Christi heist / Für vns gelidden.“566

Für Luther schließt das ‚für uns gelitten‘ alle soteriologischen Güter ein; an anderer Stelle formuliert er als Unterschied, „das er durch sein Leiden / die gantze Welt erlösen sol / den Himel auffschliessen / die Helle zusperren / vnd das ewige Leben erwerben“.567 In jedem Fall möchte Luther klarstellen: Der Blick auf Ursache und Zweck des Leidens muss das Alleinstellungsmerkmal der Passion Christi vor Augen führen, nämlich ihre soteriologische Bedeutung.568 Um jedoch derer teilhaftig zu werden, müsse man von ihr wissen – womit am Ende der Einleitung der Kreis zum Anfang, der Ermahnung zur Beschäftigung mit der Passion Christi, geschlossen wird: „Wenn ich schon nicht weis / Warumb Esaias / Johannes der Teuffer / vnd andere Propheten vnd Heiligen gelidden haben / da ligt nicht an. Weis ichs / So ists gut / Weis ichs nicht / So bin ich darumb nicht verdampt / Aber an dem ligts / Das ich wisse / Was / Wie / vnd Warumb / sonderlich aber Warumb / Christus gelidden hab. Weis ich das nicht / So bin ich verdampt vnd verloren.“569

Dass unsere Sünde und unser Heil die Antworten auf dieses ‚warum‘ sind, wird abschließend durch eine Reihe von Zitaten der „Propheten vnd Apostel“570 belegt. 4.2.2  Erste Predigt: Jesus im Garten Gethsemane Im zweiten Teil der ersten Predigt widmet sich Luther der Auslegung der Gethsemaneperikope. Dabei geht er nicht den biblischen Text entlang, sondern er greift zwei Aspekte heraus,571 auf die er genauer eingeht. Zuerst erklärt Luther, was es damit auf sich habe, dass Jesus nach Mt 26,52– 54 den ihn verteidigenden Petrus mit der Rückfrage zurückweist: „Oder meinestu / das ich nicht könde / meinen Vatter bitten / das er mir zuschicke mehr denn zwelff Legion Engel? Wie würde aber die Schrifft erfüllet?“572 Mit diesen Worten mache Christus deutlich, dass sein Leiden und Sterben als Weg der Erlösung 566 

A. a. O., fol. 141v. A. a. O., fol. 141r. 568  Vgl. ebd.: „Diese Vrsach vnd entliche meinung sol man keinem andern leiden sonst geben oder zuschreiben / denn dem Leiden Christi allein.“; a. a. O., fol. 141v : „Diese ehre / wie gesagt ist / sol man keinem andern Leiden geben.“; a. a. O., fol. 142r: „Das also all vnser vertrawen / vnd gantzes Hertz blos vnd allein hange / an dem einigen Leiden Christi Jhesu / darin vnser Seligkeit allein stehet / für vnd vber das Leiden aller anderer.“ 569  A. a. O., fol. 142r. 570  Ebd. Zitiert werden Jes 53,5; 1 Petr 1,18 f.; 1 Petr 2,21.24; 1 Joh 2,1 f. 571  Vgl. a. a. O., fol. 143r: „Daraus wollen wir auff dis mal zwey Stück nemen.“ 572 Ebd. 567 



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nicht etwas äußerlich Notwendiges oder Gott Aufgezwungenes sei. Vielmehr geschehe es, weil Gott zu seinem Wort stehe und damit Gott als wahrhaftig erkannt werden könne, der eben diesen Weg durch die Propheten verheißen habe.573 Dies sei „vmb der Klüglinge / vnd grossen Meister willen angezeigt“,574 die hinter Gottes in seinen Worten und Werken offenbaren Willen zurückfragen – Ausdrücke, mit denen Luther in polemischer und karikierender Weise spielt.575 In inszenierten Dialogen nutzt Luther sie v. a., um die menschliche bzw. ‚weltliche‘ Vernunft und Klugheit in ihre Schranken zu weisen,576 die es besser wissen wolle als Gott, der sich in seinem Wort kundgetan habe: „Ich könde auch wol Klügeln. Aber für Gott / der allmechtig ist / vnd alles wol zu machen weis / will ich nicht Klügeln / Sondern schlecht seinem Wort gleuben / vnd folgen / Vnd es jm befelhen / wie ers machen sol / als der es besser weis / denn ich.“577

Der zweite Aspekt, auf den Luther genauer eingeht, ist „des Herrn Christi Tods kampff im Garten“.578 Hier erscheine Christus „vmb vnsern wille[n] / als 573  Vgl. a. a. O., fol. 143r–v : „Das ist nu die Vrsach / warumb Christus leidet / Nemlich / nicht darumb / das er leiden müste / als gezwungen / Oder / das Gott nicht einen andern weg hette finden können / sein Preis vn[d] ehre auszurichten / Sondern darumb / das Gott warhafftig erfunden würde / Vnd sein Wort hielte / das er durch seine Propheten geredt hatte.“; a. a. O., fol. 144r: „Mit zwelff Legion Engeln hette der Herr nicht allein die Jüden allesampt / Sondern auch die gantze Welt / Ja wenn hundert tausent Welt auff einander stünden / Todschlagen können. Aber er mus leiden / Auff das die Schrifft erfüllet werde. Darumb leidet er nicht aus not / noch gezwungen / Sondern das die Schrifft erfüllet / Vnd Gott in seinem Wort wahrhafftig erfunden werde.“ 574  A. a. O., fol. 143v. 575  Vgl. ebd.: „Kond den Gott / spricht meister Klügel / keine andere weise erfinden / zu erlösen das menschliche Geschlecht […]?“; ebd.: „Vnsere Schwermer sind auch seeer Klug Gott zu meistern“. Neben den explizit genannten ‚Schwärmern‘ dürften im Wort der Meister auch die Scholastiker als magistri mitklingen. 576  Vgl. a. a. O., fol. 143v : „Ja spricht die Kluge Vernunfft / Wenn ich were / als Gott / So wolt ich meine Güte vnd Barmhertzigkeit / so vnd so der Welt erzeigen“, was Luther kommentiert mit: „Das ist die grösseste Plage in der Welt / das die Menschen kinder vnsern HERRN Gott für einen Narren ansehen“; a. a. O., fol. 144r: „Die Vernunft spricht […] Aber Christus spricht […]“. 577  A. a. O., fol. 144r. Die Gegenpositionen Luthers sind in diesem Abschnitt sowohl allgemeiner als auch konkreter Natur: Zum einen gibt es ganz allgemein jene, die Gottes Wort und Willen hinterfragen, eben die ‚Klüglinge‘, ‚Schwärmer‘ und ‚Weltweisen‘ – sie alle handeln wie ‚Unchristen und Ungläubige‘ (vgl. a. a. O., fol. 143v), weil sie mit ihren Fragen Gott für einen Narren halten und es besser wissen wollen als er. Zum anderen werden als ‚unsere Klüglinge‘ auch ganz konkret jene altgläubigen Kontrahenten angesprochen, gegen deren Vorwurf einer ‚neuen Lehre‘ sich Luther ‚auf die Schrift‘ beruft. Dabei verwendet er ‚dem Wort Gottes glauben‘ und ‚der Schrift glauben‘ parallel (a. a. O., fol. 144r): „Das ists nu / das Christus spricht / Es mus also gehen / Auff das die Schrifft erfüllet werde / Als wolt er sagen / Ich hette es wol anders anfahen können. Aber frage du nicht weiter / Sondern gleube der Schrifft. Wiltu der Schrifft nicht gleuben / noch folgen / So lasse es. Also sagen wir auch zu vnsern Klüglingen / Wie bringen keine newe lere auff / Predigen keinen andern Glauben / denn dauon die Heilige Schrifft saget / Vnd wenn wir nach der Schrifft geleret vnd geprediget haben / So haben wir das vnser gethan / Vnd lassen hie die andern klug sein / Wir aber bleiben bey dem kleinen Heufflin / welches der Schrifft gleubet vnd folget.“ 578  A. a. O., fol. 144r.

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ein armer Sündiger mensch / Vnd die Göttliche natur enthelt sich hie“,579 stattdessen werde „dem Versucher dem Teufel raum gegeben“.580 Den größten Teil verwendet Luther, um darzulegen, dass in dieser Stunde das Leiden Christi „alle menschliche Vernunfft / vn[d] gedancken“581 übertreffe. Er schildert und erläutert bildreich, dass und warum „ein pur Mensch“582 solche Todesangst und Teufelsanfechtung keinen Augenblick hätte ertragen können,583 wie Menschen im Gefängnis, die nur noch wenige Tage bis zur Hinrichtung zu leben haben, in Todesangst und Todeskampf verfallen, doch dass dies gegenüber dem Todeskampf Christi in Gethsemane ‚nichts‘ sei584 und dass man besonders an dem ‚blutigen Schweiß‘, der nach Lk 22,44 bei Christus während seines Gebetes ausgebrochen ist, sehen könne, dass die Intensität dieses Todeskampfes das für Menschen Vorstellbare überstiegen habe.585 Luther begründet dies mit der besonderen Höhe und Würde der Person sowie der Reinheit des ‚Fleisches‘ Jesu Christi im Gegensatz zu dem ‚sündigen, unreinen und aussätzigen Fleisch‘ der Menschen.586 Interessanterweise wird der Unterschied zwischen Christus und anderen Menschen an dieser Stelle, an der es um das Empfinden von Leid und Angst geht, nicht prinzipiell, sondern graduell, wenn auch in extremer Differenz geschildert.587 Derartige Schilderungen finden sich durchaus ganz ähnlich in jenen Predigten im ‚Papsttum‘, die zum Mitleiden anregen wollen – und Luthers Rhetorik ist in diesem Abschnitt klar affektorientiert. Insofern kann von einer Weiterführung, Zuspitzung und Transformation traditioneller Vorstellungen gesprochen werden. Dennoch geht es ihm auch hierbei, wie am Ende der Predigt deutlich wird, um die eindringliche Verdeutlichung des pro nobis, durch das Christi Passion wiederum kategorial von allen anderen Leiden unterschieden sei: 579 

A. a. O., fol. 144v.

580 Ebd. 581 Ebd. 582 Ebd. 583 

Vgl. ebd. Vgl. a. a. O., fol. 145r. 585  Vgl. a. a. O., fol. 145v : „Wir Mensche[n] komen in grosser Trawrigkeit dahin / Das die Zunge dürre / die Ohren taub / die Hende vnendpfindlich werden / vnd nicht ein tröpfflin Bluts in vnserm gantzen Leibe zu spüren ist. So weit kompts mit vns Menschen. Aber mit Christo ists dahin komen / Das das Blut widerumb vom Hertzen aus dem Leibe heraus gedrungen ist. Solchs ist wider allen menschlichen Verstand.“ 586  Vgl. a. a. O., fol. 144v und 145r. 587  Vgl. a. a. O., fol. 145r: „Je frischer / gesünder Mensch / vnd je feiner Hant / vnd je reiner Blut / Je ehe es fület vnd empfindet / was jm widerferet. Je vnfletiger Haut / vnd je vnreiner Blut / Je weniger es fület / vnd empfindet / Wie man an den Aussetzigen Menschen erferet. Weil nu Christus Leib / Fleisch / vnd Blut / Frisch / gesund / rein / vnd on Sünde ist / Darumb wenn wir schon vom Tode hören / vnd des Todes schrecken fülen / So fülen wir sie kaum in zween Grad / Da sie CHristus in zehen Grad gefület hat. Sintemal nu er der grösseste Merterer sein / vnd das höchste Leiden vnd Schrecken / vnd die grösseste bitterkeit des Todes fülen sol / Vnd dazu sein Natur fein rein vnd lauter ist / So hat er die Todesangst besser vnd mehr gefület / denn wir alle.“ 584 

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„Solche Angst hat vnser lieber Herr Christus / leiden wöllen / seinem Himelischen Vater zu Ehren / vnd vns Menschen zu nutz / […] Der Teufel wird seine feurigen Pfeile in jn geschossen / vnd sie jm ins Hertz gedruckt haben / vnd gesagt / Du bist in Gottes vngnade etc. Vnd dieselben Pfeile hat er in seinem vnschuldigen Hertzen / zarten Leibe vnd reinen Blut gelescht / Vnd sie so tieff hinein gesteckt / das sie stumpff worden sind / das sie keine Krafft mehr haben wider vns. Solchs vermag das leiden anderer Heiligen nicht. Denn in jrem Blut sind des Teufels Pfeile nicht stumpff noch krafftlos gemacht / Sondern in Christus Blut alleine.“588

4.2.3  Zweite Predigt: Jesus im Haus des Hohepriesters Kaiphas Die zweite Predigt beginnt mit einem zusammenfassenden Rückblick der Auslegung der Gethsemaneperikope, wobei Christus „durch die Angst im Garten“589 nicht nur „des Teufels gifft vnd bitterkeit“590 – worauf in der vorangegangenen Predigt der Akzent lag –, sondern auch „vnsers HERRN Gottes ernsten Zorn vnd Gericht / auff sich genommen / vnd rein ausgetrunken“591 habe. Am Anfang der Auslegung der Geschehnisse im Haus des Kaiphas hebt Luther die wichtigsten Punkte der Perikope hervor, die anscheinend als Predigtdisposition gedacht waren: Erstens das Verhör vor dem Hohepriester samt Hohen Rat, zweitens die Verleugnung durch Petrus und drittens die anschließende nächtliche Schmähung und Verspottung.592 Die gehaltene Predigt hat jedoch einen anderen Aufbau bekommen, da sich Luther offenbar in der Zeit verkalkuliert hat: In einem ersten Teil wird die Zusammensetzung der Versammlung im Haus des Kaiphas angesprochen, in einem zweiten Teil wird die Suche nach Jesu Schuld behandelt – beides zusammen bildet den ursprünglich ersten Aspekt des Verhörs – und ganz kurz wird noch auf die Verspottung eingegangen, bevor Luther in einem Fazit die Zentralaussage rekapituliert.593 Insgesamt fällt in der Rhetorik dieser Predigt auf, dass Luther einerseits erheblich lehrhafter und in588 

A. a. O., fol. 145v. A. a. O., fol. 146r. 590 Ebd. 591  Ebd. Predigten über die Erzählung von Christi Ringen im Gebet in Gethsemane können in beide Richtungen akzentuiert werden: entweder als Kampf mit den Anfechtungen des Teufels oder als Ertragen des göttlichen Gerichtes und Zornes über die Sünde, symbolisiert im ‚Kelch‘, von dem Jesus bittet, dass dieser an ihm vorübergehen möge (vgl. Mt 26,39.42/ Mk 14,36/Lk 22,42/Joh 18,11). Beides schließt sich für Luther nicht aus, im Gegenteil (vgl. Barth, Teufel, 67–74). 592 Vgl. Luther, Haußpostill [Poach], fol. 147r. 593  Im letzten Satz der Predigt heißt es bezüglich des Aspektes, der ursprünglich als zweiter Teil der Predigt geplant war, lediglich (a. a. O., fol. 151v): „Von dem Fall Petri / wollen wir zur andern zeit reden.“ Offenbar fand Luther dafür keine Zeit mehr. Im Rückblick am Beginn der dritten Predigt heißt es dazu (a. a. O., fol. 152r): „Da ist Petrus nicht allein von seinem Herrn geflohen / Sondern hat jn auch dreimal verleugnet / Welcher Fall allein einer sonderlichen Predigt bedürffte. Denn es ist ein seer reicher Trost für alle arme Sünder / Das der grosse Man / vnd Apostel solchen Fall thut / vnd dennoch Gnade vnd Vergebung erlanget. Aber dauon predigt man sonst offt im Jar“. 589 

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formationsreicher die historischen Zusammenhänge erklärt und dass er andererseits immer wieder aktualisierende Vergleiche zur Erläuterung nutzt. Die im Haus des Kaiphas Versammelten repräsentierten nach Luther sowohl das ‚geistliche Regiment‘, nämlich Hohepriester und Schriftgelehrte, als auch das ‚weltliche Regiment‘, nämlich die Ältesten und den Hohen Rat,594 was gleichbedeutend sei, „Als wenn jtzt der Bapst mit seinen Cardinelen vnd Bischouen / vnd der Keiser vnd König mit den Fürsten des Reichs jemand verdamneten“.595 Christus wurde also „Nicht durch Auffruhr / noch von Auffrhürern […] Sondern von denen ist er getödtet / Die in ordentlicher Gewalt sitzen“,596 worin Luther wiederum eine Parallele zu seiner gegenwärtigen Situation sieht: „Solche die in ordentlicher Gewalt sitzen / verfolgen jtzt das Euangelium.“597 Diese Beobachtung, dass Christus durch die ordentlich eingesetzte Obrigkeit verurteilt wurde, zieht Luther in verschiedene Richtungen weiter aus: Zum einen diene es allen in obrigkeitlichen Positionen als Spiegel, sich selbst darin zu entdecken,598 zum anderen diene die weitere Geschichte der Juden als Exempel dafür, dass Gott diejenigen, die Macht haben und sie missbrauchen, indem sie sie gegen das Evangelium einsetzen, dafür bezahlen lasse,599 und schließlich zeige es, dass sich Christen darauf gefasst machen sollten, von der Obrigkeit verfolgt und getötet zu werden.600 In einem zweiten Predigtteil schildert Luther die Suche nach der Schuld Jesu, d. h. nach einem Grund für die Verurteilung. Die Heranziehung falscher Zeugen u. a. belegen den Punkt, um den es hier gehe: „SOlchs alles ist darumb fürgeschieben / Auff das wir sehen / das vnser lieber Herr Jhesus Christus vnschüldiglich gestorben ist / Nicht allein was sein Person betrifft / welche on alle Sünde ist / Sondern auch was seine Widersacher betrifft / Welche nichts an jm finden können“.601

An der durch das Verhör vor weltlicher und geistlicher Gewalt erwiesenen Unschuld Jesu zeige sich der Kern der Passion – ihr pro nobis –, wie es auch in der 594  Vgl. a. a. O., fol. 147r–v. Dies ist insofern bemerkenswert, als eher üblich ist, geistliches und weltliches Regiment auf die Verhöre vor dem Hohepriester und vor Pontius Pilatus aufzuteilen (so beispielsweise bei Musäus, s. u. Kapitel VI.3.2.2). 595  A. a. O., fol. 147v. 596  A. a. O., fol. 148r. 597 Ebd. 598  Vgl. ebd.: „DA sehen wir nu / Was wir halten sollen / von dem geistlichen vnd weltlichen Stande / Auch von vns selbs / die wir Prediger / Fürsten / vnd Oberkeit sein / Nemlich / das wie die jenigen sind / Welche Gott verfolgen / vn[d] Christum creutzigen / der vns solche Gewalt gegeben hat.“ 599 Vgl. ebd. Diese Warnung spricht Luther wiederum in Richtung der gegenwärtigen Obrigkeit aus (a. a. O., fol. 148v): „ALso wird Gott dem Bapst / Cardinelen / Bischouen / Keiser / Königen / Fürsten auch thun / so jtzt sein Euangelium verfolgen.“ 600  Vgl. a. a. O., fol. 148v : „Also ists geschehen zu allen zeiten / vnd geschicht noch heutigs tages / das die Christen / vnd rechten Merterer getödtet werden / von ordentlicher Oberkeit beide Geistlich vnd Weltlich.“ 601  A. a. O., fol. 150v.



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ersten Predigt herausgearbeitet wurde: „Gleich wie er im Garten freiwillig vnd gern Schwach ist vmb vnsern willen / […] Also ist er hie freiwillig ein Sündern vmb vnsern willen / So er doch Gerecht vnd on alle Sünde ist.“602 In diesem Zusammenhang erläutert Luther als historische Hintergründe auch die Schwierigkeit der verschiedenen Jurisdiktionshoheiten, dass die Juden Christus um der Todesstrafe willen an die Römer ausliefern mussten, bei denen allerdings die Gotteslästerung nicht todeswürdig gewesen sei, weshalb sie ihn vor Pontius Pilatus als Aufrührer angezeigt hätten.603 Die mehrfach betonte zentrale Lehre aus der Geschichte, dass Christus erwiesenermaßen unschuldig verurteilt wurde und also freiwillig ‚um unseretwillen‘ leide, wird im Fazit noch mit Blick auf den Gesamtzusammenhang von Leiden und Sterben Christi ausgeweitet: „Solchs hat er vmb Vnsern willen gethan / Auff das er auffhübe die Gewalt / So Sünde / Tod / vnd Teufel wider vns haben. Wir müsten vnser Sünde halben / in den Tod / in Angst / vnd in die Helle faren. Aber Christus trit an Vnser stat / vnd feret vnschüldig in den Tod / Angst nvd Helle / Auff das wir durch jn vnd in jm heraus füren. Durch seinen vnrechten / vnd vnschuldigen Tod / Hilfft er vns aus dem rechten / schüldigen Tod / Das ist / aus der Sünde / damit wir den Tod vnd die Helle verdienet haben. Wenn wir vns nu an jn mit festem Glauben halten / So faren wir heraus.“604

4.2.4  Dritte Predigt: Jesus vor Pontius Pilatus Die dritte Predigt über Jesus vor Pontius Pilatus stellt stilistisch innerhalb der Reihe eine Besonderheit dar: Luther orientiert sich nicht, wie in den anderen Predigten, an wenigen inhaltlichen Kernpunkten, auf die er vertieft eingeht, sondern er erläutert die Erzählung in Form einer Homilie Vers für Vers. Entsprechend ist in der Postille der Bibeltext nicht geschlossen am Anfang (nach dem Rückblick auf die vorherigen Predigten) abgedruckt, sondern jeweils im Wechsel Bibelvers(e) und Luthers Auslegung.605 Diese ist in der dritten Predigt besonders lehrhaft und – gerade im Vergleich mit der vorangegangenen zweiten Predigt der Reihe – kaum auf affektive Applikation ausgerichtet: Es werden historische Erläuterungen geboten, um sich das Geschehen besser vorstellen zu können,606 Luther gibt Hinweise zu den differierenden Evangelienberich602  A.a.O., fol. 150r. Luther fährt fort: „Er lesst sich anklagen / als ein Lesterer vnd Auffrhürer / So er doch vnschuldig ist / Er wird zum Tode verdampt als ein Lesterer / Auffrhürer / vnd Mörder“. 603  Vgl. a. a. O., fol. 151r. 604  A. a. O., fol. 151v. 605  Auch wenn der Druck nicht exakt die Bugenhagensche Passionsharmonie wiedergibt, so ist die Reihenfolge und Zusammenstellung der Auslegung Luthers ein starkes Indiz dafür, dass er diese als Textgrundlage genutzt hat. 606  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 153r: „DAs Richthaus wird ein solch Haus gewesen sein / das gehabt hat einen Ercker / welcher erfür gangen ist für den andern Gemachen am Hause / Jn demselben Ercker ist der Landpfleger vnd Richter gesessen auff einem Stuel / vnd der Schüldige für jm ge-

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ten,607 und bietet weitgehend schlicht eine ausführlichere Nacherzählung der Geschehnisse, wobei das Erläuternde oft darin besteht, dass Luther die Gedanken und Dialoge der Akteure in eigenen – freilich interpretierenden – Worten ausführt.608 Als roter Faden zieht sich durch die Predigt eine Perspektive, die schon in der vorangegangenen herangezogen wurde: „DA stehets in der Passion / wie es den Christen in der Welt gehet. Denn wie es Christo dem Heubt in der Welt gegangen ist / Also gehets den Christen auch zu allen zeiten.“609 Wie es den Christen zu allen Zeiten geht, das zeige sich eben auch besonders in der Gegenwart – womit Luther das evangelische Lager als kleine, für die Wahrheit einstehende Gruppe gegen Papst und Kaiser analog zu Christus vor der ‚ordentlichen Obrigkeit‘ positioniert.610 Dabei sei jeweils die Unschuld der Angeklagten und also die unrechtmäßige Verurteilung offensichtlich, wodurch die Ankläger und Richter als bewusste Lügner und Mörder entlarvt seien.611 Dies wird noch einmal im Fazit am Ende der Predigt zusammengefasst, in dem Luther nach einer Auflistung der standen / Also / das alles Volck / so heraussen gestanden ist auff der gassen / solchs wol hat sehen können. Denn das Gericht ist herrlich zugangen.“ 607  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 154r: „Es sind zwo Vrsachen / S. Lucas fassets zusamen. Aber S. Johannes hats fein geteilet.“; auch der grundsätzliche Hinweis ebd.: „Kein Euangelist hat mit so vielen worten beschrieben / was Jhesus für Pilato geantwortet hat / als der Euangelist Johannes. Solchs aber ist kein wunder / das die Eua[n]gelisten nicht alle Stücke mit gleichen / vn[d] einerley worten beschreiben / Denn keine Histori so gewis ist / Die von einem andern nicht anders erzelet vn[d] beschrieben würde.“ 608 Vgl. z. B. zu Jesu Wort ‚Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‘ (Joh 18,36) a. a. O., fol. 154v : „DAs ist eine rechte Antwort auff solche Anklage vnd Frage. Es ist war / spricht er / Jch bekenne es / Jch habe ja geprediget / das ich ein König sey / vnd ein Reich habe / Aber mit vnterscheid. Also stehen aber die Sache. Das Reich / dauon ich gepredigt habe / vnd in welchem ich König bin / ist nicht ein weltlich Reich / Jch habe dem Keiser kein leid gethan / So hab ich auch dir / Landpfleger / in deinem Ampt kein leid gethan / Sondern habe geleret / Das man dem Keiser gebe / was des Keisers ist. Darumb gehet mein Reich den Römischen Keiser gar nicht an. Das ist des HErrn Verantwortung vnd entschüldigung für dem Landpfleger Pilato.“ 609  A. a. O., fol. 153v. 610  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 155r: „MJt dem wort Pilati (das er saget) Was ist Wahrheit? ist vnser zeit fein abgemalet. Denn jtzt gehets auch also / das man sagen mag / Was ist Wahrheit? Was ist Trewe vnd Glaube mehr in der Welt? Was ist Redligkeit? Gib her das Hembd zu dem Rock. Wer mit Wahrheit vmbgehen will / Der ist schon verloren. Wer aber fort komen will / Der mus Liegen / Triegen / Heucheln / Verrhaten.“; a. a. O., fol. 156v : „Heutigs tags gehets auch also / Es mache es einer so böse vnd Arg / wie er wölle / On allein / er halte nicht ob der Warheit / So ist er der Welt freund. Vnser zeit ist das fein abgemalet.“ 611  Vgl. a. a. O., fol. 156r: „HErodes vnd Pilatus bekennen alle beide des HErrn vnschuld. Also schickts Gott noch heutigs tags also / Das die / so Gewalt haben / bekennen / das den Christen vnrecht geschehe.“ Mehrfach betont Luther das lügnerische Handeln der Juden, das der Unschuld Jesu korreliert: a. a. O., fol. 154v : „Also entschüldiget sich der HErr wider die Jüden der Anklage halben / Vnd macht seine Ankleger für dem Landpfleger offentlich zuschanden / vnd zu offentlichen Lügenern.“; a. a. O., fol. 156r: „Die zween Regenten / der König Herodes / vn[d] der Landpfleger Pilatus / zeugen alle beide / Das Christus vnschüldig / vnd die Jüden Lügener sein.“; a. a. O., fol. 157v : „Das sind zwo tugend des Teufels / Lügen vnd Mord. Die mus Christus tragen vnschüldig / Vnd die vnschüldigen Christen müssen sie auch tragen.“

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sechs (bzw. sieben) wichtigsten Geschehnisse der Historie das Geschick Jesu mit dem der Evangelischen (‚uns‘) verschränkt: „Heutigs tages gehets vns auch also / Wenn der Bapst / Bischoue / vnd die gifftigen Papisten nicht können an vns komen / So sprechen sie / wir seien Auffrhürer. Erstlich schelten sie vns Ketzer. So das nicht helffen will / Sprechen sie / wir seien dem Keiser vngehorsam / Die Vngehorsamen aber müsse man straffen. Also müssen auch wir die zwo tugende des Teufels tragen / Lüge vnd Mord / Gleich wie Christus vnser Heubt sie getragen hat.“612

Die Abfolge entspricht der Verurteilung zunächst vor dem Hohepriester und dem Hohen Rat und dann vor Pontius Pilatus mit der Verschiebung des Anklage- bzw. Verurteilungsgrundes. Die Anklage, so Luthers Interpretation, ist angesichts der offenkundigen Unschuld eine Lüge und das Ergebnis ist Mord. In der dritten Predigt tritt hinter diese Perspektive das sonst betonte pro nobis des Leidens Christi auffälligerweise ganz zurück. In der vierten Predigt über Christi Predigt am Kreuz und vom Schächer zu seiner Rechten wird es wiederum betont in den Vordergrund gerückt.613 4.2.5  Fünfte Predigt: Jesu Begräbnis Der fünfte Teil der Passion, Kreuzabnahme und Begräbnis Jesu, wird lediglich im ersten und kürzeren Teil der fünften Predigt behandelt, bevor der zweite und längere Teil mit Jes 53 noch einmal die Passion Christi insgesamt fokussiert. Die beiden Hauptaspekte des ersten Teils dieser Predigt sind die beiden Pilatus gegenüber geäußerten Wünsche der Juden, Jesus und die Schächer vom Kreuz abnehmen zu können und das Grab Jesu zu bewachen. Zur ersten Frage erläutert Luther wiederum die Hintergründe der Sabbatgepflogenheiten, wobei ihm anscheinend mehr daran gelegen war, in spekulativen Überlegungen den Hass der Juden gegenüber Jesus auszumalen.614 Die Ausführungen zur zweiten Frage zielen darauf, Handeln und Geschick der Juden als warnendes Exempel vorzustellen: Gegenüber Pilatus handeln sie mit Vorwand, während sie in 612 

A. a. O., fol. 158r–v. S. o. Kapitel II.3.3. 614  Vgl. a. a. O., fol. 165r: „Ob nu die Jüden das meinen / Oder aber ob sie vmb einer andern Vrsach willen so eilen / weis ich nicht. Vielleicht haben sie also gedacht. Er ist noch nicht gestorben / Darumb sollen seine Beine gebrochen werden / Auff das er noch eins / vnd auffs new gemartert werde. Oder / so sie das nicht haben gesucht / Haben sie vielleicht nicht erharren können / bis er stürbe / Sondern geeilet / das die Leichnam vom Creutz abgenomen / Vnd er one verzug von dem Landpfleger Pilato vollend getödtet würde. Sie sind an dem nicht gesettigt / Das er zum Tode verdammet / vnd ans Creutz gehefftet ist / Sondern bitten das seine Beine gebrochen / oder durchstorchen werden / Auff das er ja bald sterbe / Oder seine Marter deste grösser vnd schwerer werde. So gar können sie jren grimmigen Hass wider jn / nicht erfüllen / Das sie nicht gnüge haben an dem / Das er nicht allein zum Tode verurteilt / Sondern auch das gericht schon vber jn gegangen / vnd er ans Creutz geschlagen ist / Vnd alle Augenblick gewarten mus / das er seinen geist auffgebe“ usw. 613 

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Wirklichkeit fürchten, Jesu Ankündigung der Auferstehung könnte wahr sein.615 Die Überwachung des Grabes diene schließlich „dazu / das sie zuschanden werden / Da sie hernach komen / vnd den Kriegsknechten Gelds gnug gebe[n]“.616 Obwohl sie also durch ihr eigenes Werk überführt seien, „bleiben sie hart vnd verstockt / wie ein Anbos“.617 Zwischen den Darlegungen zu den beiden Wünschen der Juden steht ein kurzer Abschnitt über Joseph von Arimathäa und Nikodemus, die der Heilige Geist dazu berufen habe, Christus zu begraben, weil die Juden dafür „nicht werd“618 seien. Wichtig seien diese beiden Akteure, weil sie  – nach dem Schächer zur Rechten – die zweiten ‚Früchte‘ des Todes Christi seien: „Zuuor waren sie heimliche Jünger / aus Furcht für den Jüden. Nu werden sie offentliche Jünger vnd bekenner.“619 An ihnen werde die Kraft der Passion Christi erkennbar.620 4.2.6 Resümee Eine Predigtreihe bot Luther die Möglichkeit, ausführlicher auf die ‚Historie‘ der Passion und auf gewisse Einzelheiten einzugehen. Die Kenntnis der Geschehnisse habe dabei durchaus heilsrelevanten Charakter, weil erst dadurch dasjenige Wissen vermittelt werde, welches dem Glauben einen inhaltlichen Bezugspunkt biete. Grundsätzlich kommt es Luther zwar  – der traditionellen Fragestellung entsprechend  – auf ‚Ursache und Frucht‘ der Passion an; und eben dies steht entsprechend sowohl in der die Predigtreihe eröffnenden Anleitung zur Passionsbetrachtung als auch in der Karfreitagspredigt (und schließlich in der abschließenden Auslegung von Jes 53) im Vordergrund. Dennoch kann Luther – in diesem Rahmen – auch andere Akzente setzen und theologisch weniger Zentrales ausführen, wie besonders an der zweiten, dritten und dem ersten Teil der fünften Predigt zu sehen war.

615  Vgl. a. a. O., fol. 165v : „Für Pilato wenden sie den schein für / Es möchten seine Jünger jn stele[n] / vnd sagen / er sey aufferstanden. Aber in jrem Hertzen ists des HErrn Jhesu wort / Das er gesaget hat / da er noch lebet / Jch will nach dreien tagen aufferstehen“; ebd.: „Sie haben sich mit jm [Christus, J. R.] wollen verwirren / So lest er jnen nu auch keinen Friede noch ruge.“ 616 Ebd. 617 Ebd. 618  A. a. O., fol. 165r. 619  A. a. O., fol. 165v. In der weiteren lutherischen Tradition werden Joseph von Arimathäa und Nikodemus immer wieder als herausragende Exempel ‚öffentlicher Bekenner‘ angeführt. 620  Vgl. ebd.: „Die waren zuuor furchtsam vnd erschrocken. Nu sind sie getrost vnd mutig. Denn das Opffer vnd Gebet Christi am Creutz dringet durch / vnd bringet Früchte.“; ebd.: „Jtzt haben sie mehr Glaubens / stercke / vnd muts / denn zuuor / da der HErr noch lebet. Das ist die Frucht vnd krafft des Leidens vnd Tods Christi.“



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4.3  Die Auslegung des Gottesknechtsliedes Jes 53 (Predigt 5) 4.3.1  Die ‚Klarheit‘ des Textes Jes 53 ist ein Bibeltext, auf den Luther regelmäßig rekurriert, wenn er die Bedeutung des Leidens Christi ‚für uns‘ herausstellen möchte.621 Der Text erscheint ihm auf literaler Ebene622 derart ‚klar‘623, dass er ihn immer wieder gegen jene in Stellung bringt, die ihn offenbar nicht verstehen: gegen Juden, die Christus trotz der ‚klaren‘ Verheißung nicht als den wahren Messias und König anerkennen,624 und gegen ‚Papisten‘, die trotz der ‚klaren‘ Worte von Christi alleinigem und ausreichenden Erlösungswerk auf ihre Werke setzen.625 Was besonders ‚klar‘ in Jes 53 beschrieben werde, sei das „grössest […], fürnemeste vnd beste Stück in der Passion“,626 nämlich „Vrsache vnd Frucht des Leidens Christi / Warumb / vnd wozu er gelidden hat“.627 Das müsse man wissen, um die Historien der Passion angemessen zu verstehen; und weil dies in Jes 53 621  Luther zitierte aus Jes 53 im 1519er Passionssermon (s. o. Kapitel II.2.4 und II.2.5), in beiden Passionspredigten der Dietrichschen Hauspostille (s. o. Kapitel II.3.2 und II.3.3) sowie in der passionshermeneutischen Einleitung der Predigtreihe (s. o. Kapitel II.4.2) und in der separaten Karfreitagspredigt der Poach-Rörerschen Hauspostille (s. u. Kapitel II.4.4). 622  Um Luthers Kritik an der Analogie richtig einschätzen zu können und ihn sowohl zu der früheren Hermeneutik eines mehrfachen Schriftsinnes als auch zu der späteren historischkritischen Exegese angemessen ins Verhältnis setzen zu können, muss beachtet werden, dass für Luther ein Text wie Jes 53 dem Literalsinn nach ‚klar‘ und eindeutig von Christus redet. Nicht nur die moderne historische Forschung sieht dies anders, sondern auch innerhalb der Lehre eines mehrfachen Schriftsinnes konnte dies anders gesehen werden: Bonaventura beispielsweise polemisiert (in: Hexaëmeron XIX, 9) gegen einen Juden, der Jes 53 auf der Wortebene nicht verstanden habe, was nicht verwunderlich sei, da nur ein übertragenes, nämlich christologisches Verständnis Sinn ergebe (vgl. Reventlow, Bibelauslegung II, 222). 623  Die Auslegung beginnt mit dem Satz (Luther, Haußpostill [Poach], fol. 166v): „DA hören wir / wie der Prophet Esaias lange zuuor / von des HErrn Christi Leiden geweissaget hat / Vnd sonderlich klar angezeigt / Das solch Leiden dahin verordnet vnd gerichtet sey / Das es eom Opffer sein soll / Damit vnsere Sünde bezalet / Vnd die Erlösung des menschlichen Geschlechts erworben werde.“ Vgl. z. B. auch a. a. O., fol. 167v : „Aber die Worte sind zu hell vnd klar […]“; a. a. O., fol. 168r: „Das ist ein klarer / gewaltiger Text.“ 624  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 167v : „Die Jüden können die zwey nicht zusammen reimen / Die elende Gestalt / Vnd Herrligkeit. Darumb verlassen sie den Elenden Messiam vnd Bettler / Vnd bleiben an dem hangen / der ein Mechtiger / Herrlicher König sein sol. Doch sind sie vberweiset vnd vberzeuget. Den[n] die Wort sind klar / Das beide der Verachte / vnd Herrliche Messias vnd König eine einige Person sey.“ 625  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 168r: „Aber ah leider / das wir im Bapsthumb das Leiden Christi so verdunckelt haben / Was der Prophet Esaias / vnd der Apostel Paulus geschrieben haben / Solches alles ist bey vns vergessen worden / Vnd sind von dem Leiden Christi gefüret / in vnsere eigen werck.“; a. a. O., fol. 168v : „Diese wort setzt wider den Bapst / vnd alle Werckheiligen. Wunder ists / das man so blind gewesen ist / Vnd diesen Text nicht angesehen hat / Ob man jn schon alle tage fast gesungen hat in den Responsorijs. Zwar die Papisten singen jn noch heutigs tages / vnd sehen jn doch nicht recht an. Der Prophet sagt klar […]“. 626  A. a. O., fol. 166r. 627  Ebd. Zusammengefasst lautet dies (ebd.): „vmb vnserer Sünde willen / Auff das er vns von Sünden / Tod vnd Helle erlösete“.

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im Zentrum stehe, habe „der Prophet des HErrn Leiden schier klerer beschrieben / denn die Euangelisten im newen Testament“.628 Weil nun wiederum das Leiden und Sterben Christi den Kern des christlichen Glaubens ausmache, wie er im zweiten und dritten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses formuliert ist,629 betont Luther in seiner Einleitung der Auslegung emphatisch die Relevanz dieses Kapitels: „Summa jm alten Testmanet ist dis Capitel der Ausbund / Gleich wie im newen Testament der Ausbund sind S. Pauli Episteln. Darumb sol es ein jeder Hausvater seinen Kindern fürlesen / Das sie es auswendig lernen / Auff das es bey dem jungen Volck bekand werde / den Glauben zustercken vnd zu vben.“630

4.3.2  Aufbau des Kapitels Luther legt Jes 53 – anders als die fünfte Station der Passionsgeschichte im ersten Teil der Predigt – als Homilie Vers für Vers aus. Dennoch präge das Kapitel eine innere Disposition, die dem ‚vornehmsten Stück‘ der Passion – der Frage von Ursache (‚warum‘) und Frucht (‚wozu‘) – entspricht. Zu Jes 53,10b („Wenn er sein Leben zum Schuldopffer gegeben hat / So wird er Samen haben / vnd in die lenge leben.“631) führt er aus: „BJsher hat der Prophet die Vrsach des leidens Christi angezeiget / Nemlich / das er gelidden habe für vns / vnd vmb vnser Sünde willen. Nu zeigt er auch an die Krafft vnd Frucht solches Leidens / Das Viel dasselbige Leiden werden annemen / sein genissen / Fro werden / Das Christus für sie gelidden hat / Vnd jm von Hertzen dafür dancken durch die gantze Welt.“632

Im Folgenden werden zwei Aspekte der Auslegung hervorgehoben, die inhaltlich über das bereits zu anderen Passionspredigten Luthers Ausgeführte ­hinausgehen bzw. dieses vertiefen. Anschließend sind Elemente dargestellt, welche die Auslegung als Predigt hervortreten lassen, was besonders durch einen 628 

A. a. O., fol. 166v. Luther zitiert (a. a. O., fol. 166r) „Jch gleube an Jhesum Christum Gelidden / gecreutziget / gestorben vnd begraben etc.“ und führt den dritten Artikel (ebd.: „Jch gleube Vergebung der Sünden / Aufferstehung des Fleisches / Vnd ein ewiges Leben“) als Sinn und Zweck (‚darum‘) des zweiten Artikels mit der Begründung an (ebd.): „Denn solchs alles ist durch Christus Leiden vnd Sterben ausgericht. Denn der heilige Geist wircket / Das man Christum erkenne / Vnd durch den Glauben an jn erlange Vergebung der Sünden / Leben vnd seligkeit.“ 630  A. a. O., fol. 166v. Dieser eben erläuterte Zusammenhang ist daher als materialer Kern von Luthers theologia crucis anzusehen. Die hohe Bedeutung der Passionspredigten für die weitere Wittenberger Tradition aufgrund ihres Inhaltes fasst Robert Kolb wiefolgt zusammen (Kolb, Enduring Word, 405): „These sermons on Christ’s passion supplemented the regular fare of biblical preaching that the congregations had at their disposal the rest of the year. They took on special importance because they delivered the heart of the Wittenberg message: the atoning death and life-restoring resurrection of Jesus Christ.“ 631  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 169v. 632 Ebd. 629 



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Vergleich mit der in zeitlicher Nähe entstandenen und publizierten Jesajavorlesung verdeutlicht werden kann.633 4.3.3  Herrlichkeit und Elend des Messias und König (zu Jes 52,13–53,3) Zu den ersten Versen des vierten Gottesknechtsliedes betont Luther die gleichzeitige Höhe und Niedrigkeit, die Herrlichkeit und das Elend des verheißenen Messias und König: „Er wird ein herrlicher / Vnd doch ein ergerlicher König sein. Denn sein Geberd wird kein ansehen haben. Beides setzet der Prophet zu gleich / Ein grosser König wird er sein / Vnd doch so heslich anzusehen / Das jm niemand die Augen gönnen wird.“634

Diesen gleichzeitig festgehaltenen (scheinbaren) Gegensatz, der in Jes 53 „nicht von zween Messias / zwo Personen / zween Königen / Sondern von einem Messias vnd König / vnd von einer einigen Person“635 ausgesagt werde, macht Luther v. a. gegen eine jüdische Auslegung geltend. Die Juden hätten zur Klärung der Dissonanz – gegen den ‚klaren‘ Text – die Beschreibung auf zwei Personen bezogen, wobei sie „den Elenden Messiam vnd Bettler“636 verlassen und „an dem hangen / der ein Mechtiger / Herrlicher König sein soll“.637 Doch gerade dagegen habe der Prophet (nicht nur die Juden) gewarnt.638 Das Ärgernis der Juden jedoch, so legt Luther Jes 52,15 aus, diene heilsgeschichtlich den Heiden: „WEil die Jüden sich an diesem König ergern / werden die Heiden beruffen / dieselben werden jn annemen.“639 Der elenden Gestalt des Königs Christus entspreche darüber hinaus dessen Reich: Dieses sei gleichzeitig jämmerlich und im Wachsen begriffen, was Luther in Unterscheidung der Dimensionen coram mundo und coram deo verdeutlicht: „Also ist das Christlich Volck für der Welt veracht / vnd verlassen / Dennoch scheusts auff / Aber für Gott.“640 Den Unterschied sieht Luther wiederum in der 633  Die 1531 gehaltene Passionspredigt steht chronologisch zwischen der 1527–1529 gehaltenen Vorlesung (wobei Kap. 53 natürlich Richtung Ende der Vorlesung gehört) und dem Druck der Vorlesung 1532/34 (vgl. WA 25, 79–401). Zum Verhältnis von Predigt und Vorlesung ist grundsätzlich anzumerken, dass sich keine literarische Abhängigkeit feststellen lässt. Es gibt zwar inhaltlich (jedoch nicht dem Wortlaut nach) identische Auslegungen einzelner Verse; an einigen Stellen finden sich aber auch größere Abweichungen; vor allem sind die Unterschiede in der Sprache deutlich (s. u. Kapitel II.4.3.5); die theologische Grundausrichtung ist selbstverständlich in beiden Fällen dieselbe. 634  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 167r. 635  A. a. O., fol. 162v–163r. 636  A. a. O., fol. 162v. 637 Ebd. 638  Vgl. a. a. O., fol. 167r: „Damit wil der Prophet beide Jüden vnd jederman / wider die ergerliche Gestalt Christi warnen / vnd also sagen / Sehet zu / Das jr euch an diesem Könige nicht ergert.“ 639 Ebd. 640  A. a. O., fol. 167v.

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Gegenwart realisiert: „Also sihet vns jtzt alle Welt an / Als würden wir nach dreien tagen nichts mehr sein / Dennoch bleiben / vnd leben wir.“641 4.3.4  ‚Das Erworbene ergreifen‘ (zu Jes 53,10b–12) In der Auslegung des zweiten Teils von Jes 53 und insbesondere in Vers 11 („Vnd durch sein Erkentnis wird er mein Knecht / der Gerechte viel gerecht machen.“642) gehe es um „das Heubtstück in diesem Capitel“,643 das man sich „Sonderlich wider den Bapst / vnd alle Wercklerer“644 merken solle, nämlich um die Aneignung des Heils: „Denn er [der Prophet, J. R.] zeiget deutlich an / Wie man die Erlösung durch Christum erworben / ergreiffen sol.“645 Bereits zu Vers 10b erläuterte Luther, dass die ‚Kinder des Messias‘ „durch die Tauffe / vnd durch das Euangelium“646 gezeugt bzw. „durchs Wort vnd Sacrament“647 geboren werden. Denn es ist nicht ‚unser‘ Verdienst, „das wir sein Same / vnd Gottes Kinder sein / Er aber hats erworben vnd verdienet damit / das er vnser Schuld auff sich genomen / vnd getragen hat.“648 Den ‚Erwerb‘ des Heils durch Christus formuliert Luther im Perfekt – dies ist getan, und zwar allein durch sein Leiden. Als media salutis sind Wort und Sakramente gegeben. Bezüglich der persönlichen Aneignung (‚ergreifen‘ / ‚annehmen‘) des Heils erklärt Luther die Formulierung ‚durch sein Erkenntnis‘ (V. 11), welche er als Genitivus Objectivus und als Pointe gegen menschliches Verdienst versteht.649 Christus recht zu erkennen heiße, ihn als das Lamm Gottes zu erkennen, dass der Welt Sünde trägt (Joh 1,29), d. h. „das er für vnsere Sünde gestorben / vnd jm die Straffe von Gott auffgelegt sey“,650 und eben dies „feste gleuben“.651 ‚Glauben‘ und ‚annehmen‘ verwendet Luther synonym, beide beziehen sich auf das ‚gehörte‘ Evangelium – und deshalb ‚erkennt‘ Christus nur recht, wer ihm ‚glaubt‘.652 In der damit beschriebenen Aneignung des Heils besteht für Luther die ‚christliche Gerechtigkeit‘, von der Jes 53,11 spreche.653 641 Ebd. 642 

A. a. O., fol. 170r.

643 Ebd. 644 Ebd. 645 Ebd. 646 Ebd. 647 Ebd. 648 

Ebd. Luther redet hier explizit davon, dass sich Christus als ‚Schuldopfer‘ gegeben habe. Vgl. a. a. O., fol. 170v : „ER spricht aber / Christus werde viel Gerecht machen / durch sein Erkentnis / Nicht durch jre Werck / Stercke / Weisheit / vnd Heiligkeit / Sondern dadurch / das er von jnen erkand wird.“ 650  Ebd. Die soteriologische Bedeutung des ‚Strafleidens‘ Christi bei Luther akzentuiert Wenz, Versöhnung, 143–162. 651 Ebd. 652  Vgl. ebd.: „Christum erkennen / ist nicht meine Kappe / Platte / Messe / Walfart / Werck / Verdienst etc. Sondern das man höre / was der Propheten Schrifft von Christo saget / Vnd das man sich des anneme vnd tröste.“ Der so beschriebene Zusammenhang in649 



4  Die Passionspredigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (1559)109

Im Zusammenhang der rechten Erkenntnis Christi kommt Luther auch explizit auf die chalcedonensische Christologie zu sprechen. Dabei geht er jedoch nicht – dogmatisch gesprochen – von der Person zum Werk über, sondern erläutert umgekehrt von dem im Bibeltext ‚klar‘ beschriebenen Erlösungswerk herkommend die Besonderheit der Person Christi als Implikat seines Werkes.654 4.3.5  Rhetorische Akzente Abschließend ist auf einige stilistische Auffälligkeiten hinzuweisen, die sachlich miteinander verbunden sind. Erstens fällt die vielfache Wiederholung des zentralen Gedankens der ‚Ursache‘ des Leidens Christi auf. Zu ihr sieht sich Luther vom Bibeltext, besonders in den mittleren Versen (Jes 53,4–9) und am Ende des Kapitels (Jes 53,12), genötigt.655 Zweitens formuliert Luther die relevanten Gedanken – und d. h. insbesondere das pro nobis – nicht nur als allgemeine Lehre, sondern immer wieder als konkrete Anrede: „Sein Leiden gilt mir vnd dir / vnd vns allen / Denn vns zu gut ists geschehen.“656 Oder: „ER wird gestrafft / Wir haben Fried. Ich vnd du / vnd wir alle haben Gott erzürnet / Das mus er büssen / Auff das wir von Sünden erlöset zu Frieden kemen. Er mus leiden / Wir gehen frey aus.“657 Drittens bleibt als stetiger Antipode das ‚Papsttum‘ präsent, nerhalb einer Predigt verdeutlicht exemplarisch, was Reinhard Schwarz in Bezug auf Luthers Theologie insgesamt formuliert hat (Schwarz, Lehrer, 76): „Wie die Verkündigung des Evangeliums durch Jesus dort ihr Ziel erreicht hat, wo er bei seinen Hörern Glauben gefunden hat, so charakterisiert das Evangelium des Jesus Christus in Verbindung mit dem Glauben Luthers Grundverständnis der christlichen Religion. Ungewöhnlich oft hat er das Evangelium des Jesus Christus und den Glauben zusammengebunden, vor allem wenn er in programmatischer Kürze das Anliegen der reformatorischen Theologie hervorkehren wollte.“ 653  Vgl. ebd.: „Welche jn nu dafür halten / vnd gleuben / das er jre Sünde trage / Die kennen jn recht. Die Christliche Gerechtigkeit ist nicht mein Werck / Verdienst / Gehorsam des Gesetzes / Sondern das ist höre von Christo / Der meine Sünde getragen hat / Vnd solchs fest gleube.“ 654  Vgl. a. a. O., fol. 170r: „Wir Menschen sind alle Sünder vnd verloren. Sollen wir nu Gerecht vnd Selig werden / So mus es durch Christum geschehen. Weil wir aber durch Christum allein Gerecht vnd Selig werden / So mus er mehr / denn ein pur lauter Mensch sein. Denn menschlich Hand vnd Macht vermag niemand Gerecht vnd Selig zumachen / Gott mus es selbs thun. Weil nu der Prophet von Christo zeuget / Das er Gerecht machen werde / alle / die an jn gleuben / So bekennet er das Christus nicht allein warhafftiger Mensch / Sondern auch warhafftiger Gott sey.“ 655  Vgl. zu Jes 53,4a a. a. O., fol. 168r: „Was ist aber die Vrsach seines Leidens? Warumb wird er leiden? Darum wird er leiden. Er trug vnser Kranckheit“; zu Jes 53,4b ebd.: „Darumb sollen wir diese wort des Propheten in vnsere hertzen schreiben / da er spricht / Er ist vmb vnser Missethat willen verwundet / Vnd vmb vnser Sünde willen zuschlagen.“; zu Jes 53,8b a. a. O., fol. 169r–v : „Der Prophet Esaias will die Vrsach / warumb Christus leide / wol einkeilen in vnsere Hertzen / Darumb widerholet ers so offt“; zu Jes 53,12 a. a. O., fol. 171r: „Es kan aber der Prophet nicht gnugsam dauon reden / Darumb widerholet er so offt / Christus ist für vns gestorben / Hat vnser Sünde getragen / Vnd ist schmelich als der ergeste Vbeltheter gestödtet. Weil er solchs gethan hat / spricht Gott / Will ich jn gros machen.“ 656  A. a. O., fol. 168r. 657  Ebd. Vgl. auch a. a. O., fol. 170v : „Also sol Jch / vnd Du / vnd ein jeder auch thun / Vnd wissen / was Christus Leiden gelte / Vnd sollen dabey bleiben.“

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II.  Martin Luther

dessen Praktiken Luther als Ausdruck des genauen Gegenteils versteht, wie die Fortsetzung des zuletzt Zitierten beispielhaft zeigt: „Vnd vnsere heillose Tropffen / vnd grobe Bachanten / die Ablaskremer / gaben für / Das des Bapsts Ablas vns von aller Pein vnd Straffe erlösete / Vnd weiseten vns dahin / Das wir gleuben sollen / vnser Seele muste im Fegfewer leiden / Wenn sie schon mit Gnade / vnd Liebe (wie sie dauon redten) abgeschieden were.“658

In der ca. zwei Jahre früher gehaltenen und ein Jahr später gedruckten Vorlesung über Jes 53659 finden sich inhaltlich weitgehend die gleichen Schwerpunkte wie in der Predigt, was kaum verwundert. Dass Christus pro nobis gelitten habe, wird nicht nur besonders betont, sondern auch druckgraphisch hervorgehoben.660 Der Akzent liegt entsprechend auf den Versen 4–6 (Ursache des Leidens) und 11 (Aneignung des Heils), die erheblich ausführlicher behandelt werden als andere Verse. Luther begründet dies mit der überragenden Bedeutung der Verse: Dies müsse den Studenten mit Nachdruck vermittelt werden, da diese Verse das „fundamentum Novi Testamenti“661 seien, aus dem alle Schätze der göttlichen Weisheit fließen – woraus natürlich auch Paulus und die Apostel geschöpft hätten.662 Der antithetische Bezug auf das falsche Verständnis und die falsche Anwendung durch die ‚Papisten‘ prägt auch die Vorlesung.663 Ein signifikanter Unterschied zwischen Vorlesung und Predigt besteht jedoch in Wortwahl und Sprache: In der Vorlesung ist es der „articulus iustificationis“,664 der als „fundamentum totius Ecclesiae et Christianismi“665 entfaltet wird; 658 

A. a. O., fol. 168r–v. zum Teil erheblichen Erweiterungen des 1534er Druckes im Vergleich mit dem 1532er Druck der Jesajavorlesung Luthers betreffen kaum das 53. Kapitel. Im Jahr 1539 erschien zudem eine deutsche Übersetzung von Luthers Vorlesung über Jes 53 unter dem Titel „Das LIII. Ca-‖​pitel des Propheten ‖ Jesaia, Von dem Leiden ‖ vnd der Herrligkeit ‖ Christi, Ausge-‖​legt durch ‖ D. Mart. Luther“ in Wittenberg (vgl. WA 25, 84 f.). 660 Vgl. WA 25, 328,19 f.: „Atque hic est articulus iustificationis credere Christum PRO NOBIS passum.“; a. a. O., 328,29 f.: „Tolluntur enim omnia haec unica illa sentential Christum PRO NOBIS passum.“ 661  Im Zusammenhang (a. a. O., 332,11–14): „Haec copiosius a me sunt dicta, ut commendarem hunc locum, qui es ceu fundamentum Novi Testamenti, ex quo tanquam ex patienti fonte omnes thesauri divinae sapientiae profluunt.“; vgl. auch a. a. O., 330,10–13. 662  Vgl. a. a. O., 328,26 f.: „Ex hoc enim loco Paulus tot Epistolas, tot sententiarum et consolationum flumina hausit.“; a. a. O., 329,21 f.: „Atque ex hoc loco omnem suam sapientiam Apostoli hauserunt.“; a. a. O., 331,17 f.: „Videmus igitur, quam disertum hic locus Paulum fecerit.“ 663  Vgl. a. a. O., 329,22–26: „Et nos hodie Papatum uno hoc articulo apus nos evertimus. Si enim Christus propter peccata nostra est vulneratus, Ergo Papa est Antichristus, qui vult, ut nostris satisfactionibus peccata nostra expiemus. Ergo Monachorum opera sunt damnata et impia, Ergo nulla sunt merita etc.“ Noch grundsätzlicher unterscheide dieser Artikel das Christentum von jeder anderen religio (a. a. O., 330,8 f.): „Es autem nulla religio in orbe terrarum, quae hanc sententiam de iustificatione admittat“. Einen Überblick über die Verwendung des religio-Begriffs bei Luther vgl. Feil, Religio, 236–245. 664  A. a. O., 328,19 f. 665  A. a. O., 333,14. 659  Die

4  Die Passionspredigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (1559)111



die iustitia aliena wird thematisiert666 und die iustitia Dei klar von der iustitia civilis unterschieden;667 was es mit der nach Jes 53,11 gerecht machende ‚Erkenntnis‘ Christi auf sich habe, wird in Auseinandersetzung mit den ‚Sophisten‘ und Aristoteles diskutiert und zu intellectus, voluntas und ratio ins Verhältnis gesetzt;668 die Gerechtigkeit der Christen müsse als ‚reputative‘, nicht als ‚formale‘ Gerechtigkeit verstanden werden669 – was Luther noch damit kommentiert, dass dieser Unterschied gelernt und den Menschen durch die Predigten eingeschärft werden müsse.670 Wie seine Predigt von Jes 53 zeigt, sind es aber gerade nicht die in der Vorlesung lehrmäßig entfalteten theologischen Begrifflichkeiten, Distinktionen und Auseinandersetzungen, die er in der Predigt vermitteln möchte – nicht einmal der Begriff ‚Rechtfertigung‘ kommt darin vor. Wollte man diese sprachliche Differenz auf den Punkt bringen, könnte man sagen: Dass Christus ‚aus Liebe zu uns um deiner und meiner und unser aller Sünden willen leidet, in Einklang mit dem guten und gnädigen Willen des Vaters, damit wir von Sünden erlöst und in Frieden mit Gott leben, sterben und auferstehen‘, soll gepredigt werden; die Explikation der ‚Rechtfertigungslehre‘ jedoch gehört in die akademische Theologie. 4.4  Die separate Karfreitagspredigt Die in die Poach-Rörersche Hauspostille separat aufgenommene Karfreitagspredigt über Joh 19,13–30671 trägt den Titel „Von dem Leiden vnd Sterben vnsers HErrn Jhesu Christi in gemein“.672 Sie ist also als summarische Predigt über die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu gedacht. Theologisch steht sie in Kontinuität zu den anderen behandelten Predigten, setzt dabei jedoch eigene Akzente, die bereits Angesprochenes weiterführen, vertiefen und ergänzen. Inhaltlich gliedert sich die Predigt in drei Abschnitte, die allerdings unmittelbar ineinander übergehen und inhaltlich miteinander verbunden sind, wie im Folgenden dargestellt wird. 4.4.1  Erster Teil: Chronologie der Passion Auf den klassischen, einführenden Hinweis, dass die Christen zwar „teglich vnd jmerdar das Leiden vnd Sterben Christi / predigen / bedencken vnd betrachten sollen“,673 doch eine bestimmte Zeit und ein bestimmter Tag dafür im speziellen 666 

Vgl. a. a. O., 328,33. Vgl. a. a. O., 334,14 f. 668  Vgl. a. a. O., 336,24–337,9. 669  Vgl. a. a. O., 337,34. 670  Vgl. a. a. O., 337,34–39. 671  S. o. Kapitel II.1.2 Anm. 85. 672  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 176v. 673  A. a. O., fol. 177r. 667 

112

II.  Martin Luther

angeordnet seien, folgt eine ausführliche Darstellung der chronologischen Abläufe der Passion.674 Die jeweilige Angabe der Uhrzeit der Geschehnisse könne man besonders aus den Angaben des Evangelisten Johannes errechnen, was belegt, „das Jhesus gelidden habe die gantze Nacht / vnd den gantzen Tag“,675 nämlich „Achtzehen Stunden / vnd lenger“.676 Während dieser ganzen Leidenszeit – so die Pointe des Abschnittes, die den folgenden Hauptteil der Predigt einleitet – „hat er nicht allein für seinen Ohren hören müssen / für dem Raht der Hohenpriester vnd für Gerichte / der Jüden Mord vnd Zetter geschrey / Creutzige jn / Hinweg mit jm / Creutzige jn [Joh 19,15 u. a.] / Sondern hat auch gehöret in seinem Hertzen der heiligen Schrifft Zeugnisse / Das er leiden / vnd sterben sollte.“677

4.4.2  Zweiter Teil: ‚Auff das die Schrifft durch jn erfüllet würde‘ An zwei Stellen im Predigttext (Joh 19,24 und 28) wird die Aussage getroffen, die im Zentrum der Predigt Luthers steht: „Solchs ist geschehe[n] / Auff das erfüllet würden die Schrifft der Propheten.“678 Einige Beispiele der Schrifterfüllung durch die Passion werden daraufhin erläutert: Das Protevangelium Gen 3,15 habe Christus „ins Hertz geklungen / vnd jm geprediget“,679 sodass ihm sein leidvoller Weg vor Augen war, aber auch, dass er durch sein Leiden den Teufel besiegen würde.680 In Psalmworten (Ps 16,2 f.; Ps 22,2.7. 9. 17.19; Ps 69,22) habe „der Prophet Dauid in der Person Christi“681 geredet. Und natürlich habe der Heilige 674  Ein gewisser Schwerpunkt liegt auf der Darstellung des Verhöres vor Pontius Pilatus, das der gelesenen Perikope vorausgeht (vgl. a. a. O., fol. 177r–v) und das – anders als die sonstigen Begebenheiten – nicht nur datiert, sondern auch inhaltlich vorgestellt wird. 675  A. a. O., fol. 177v. 676  Ebd. Genauer wird ebd. noch einmal rückwärts aufgelistet: „Drey Stunden ist er am Creutz gestanden / Drey Stunden für Gericht / Sieben Stunden / das ist / die gantze Nacht ist er in Caiphas Hause verhöret / verspottet / vnd verspeiet. Zwo Stunden hat er im Garten mit dem Tode gerungen / Zwo Stunden one gefehr / gefangen / vnd gebunden gefüret aus dem Garten / Erstlich zu Hannas / Darnach zu dem Hohenpriester Caiphas / On was er im Abendmal gelidden hat / Da er betrübet wird im Geist / wie S. Johannes 13. meldet.“ 677  A. a. O., fol. 178r. 678 Ebd. 679 Ebd. 680  Vgl. a. a. O., fol. 178v : „DJsen Spruch / sage ich / hat Christus angesehen / Da er leid / vnd gesagt / Dis ist die Stunde / Da ich dem Teufel den Kopff zertretten / Vnd er mich in die Verschen strechen sol. Das sol vnd will ich leiden / Heute ist mein Ostertag vnd rechte Feier / Vnd da ist solche grosse Schmertz / Leiden / Angst vnd Jamer gewesen / die vnaussprechlich ist. Es ist eine harte Predigt gewesen / Das Christus die gantze Nacht / vnd den gantzen Tag gehöret hat / der heiligen Schrifft Zeugnisse von seinem Leiden. Solchs hat er ausgestanden an der Jüden Oster­ tag / Vnd damit den Ostertag recht gefeiret / Vnd durch solch sein Leiden des Teufels Reich zustöret / Also das er nu Gewalt hat ber den Teufel / Wenn er ein Wort spricht / So ist der Teufel mit seinem Reich des Todes / Sünde vnd Helle hinweg. Vnd wer an jn gleubet / Der sol auch gewis sein / Das jm Sünd / Tod / Teufel vnd Helle nicht schaden sollen.“ 681 Ebd.

4  Die Passionspredigten der Poach-Rörerschen Hauspostille (1559)113



Geist in Jes 53 die Passion „so hell vnd klar bezeuget“682 wie später die Apostel im Neuen Testament. Davon also geben die Evangelisten mit ihren Erfüllungszitaten Zeugnis: „Das er [Christus, J. R.] Gottes wort von seinem Leiden gehöret hat / Vnd dasselbige mit der That / vnd mit dem Werck erfüllet.“683 Christus erfüllte die Schrift durch sein Leiden – wie Luther in Passionspredigten immer wieder ähnlich formuliert684  – „seinem Himelischen Vater zu gehorsam / Vnd vns zu Dienst vnd Liebe“.685 4.4.3  Dritter Teil: Werbende Liebe und ihre Erwiderung Gehorsam gegen den Vater und Liebe zu den Menschen als Beweggründe Jesu Christi geben die Stichworte für den dritten Teil der Predigt. Denn dieser beginnt mit einem Weg der Passionsbetrachtung, der jenem des Passionssermons von 1519 entspricht:686 (1.) Im Leiden Christi solle man (2.) dessen Herz erkennen, das voll Liebe zu den Menschen ist und für sie (3.) im Einklang mit dem Willen des himmlischen Vaters leidet. Im hiesigen Zusammenhang liegt die Betonung jedoch weniger auf der Erkenntnis selbst, sondern vielmehr auf der dadurch hervorgerufenen Gegenliebe der Menschen zu Christus und dem Vater.687 Umgekehrt „mus ein menschlich Hertz herter sein / denn ein Stein / ja herter / den[n] Eisen vnd Staal / Welchs dadurch nicht weich noch bewegt wird.“688 Diese Hartherzigkeit sei nun tragischerweise charakteristisch für eine ‚undankbare Welt‘, die „solchen grossen Schatz“689 verachtet, weshalb Gott sie als Reaktion „widerumb dahin gibt“.690 Diese Warnung der Verwerfung bei fehlen682 

A. a. O., fol. 179r.

683 Ebd.

684  Beispielsweise in der zweiten Predigt der Dietrichschen Hauspostille, die (weitgehend) mit der vierten Reihenpredigt der Poach-Rörerschen Hauspostille identisch ist (s. o. bei Kapitel II.3.3.2 Anm. 499 f.). 685  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 179r. 686  S. o. Kapitel II.2.5.2. 687  Im Wortlaut (Luther, Haußpostill [Poach], fol. 179r): „Dis stück sol man fleissig ansehen vnd bedencken / Auff das man nicht allein die grösse der Erlösung / der Bezalung / vnd der Marter erkenne / Sondern auch erkenne des HErrn Christi Hertz vnd geneigten willen gegen vns / Wie hertzlich gut ers mit vns gemeinet / Vnd wie ein gros Hertz / Liebe vnd Brunst in jm gewesen ist / Das er sich selbs für vns gegeben hat. Darumb sollen wir auch widerumb lieb gewinnen / beide / Jn / der solche Marter für vns gelidden hat / vnd den himelischen Vater / der jm solchs auffgeleget vn[d] befolhen hat. Solche Liebe sol in vns wircken das erkentnis seines Hertzens gegen vns / Jn welcher er solche marter auff sich nimpt / vn[d] für vns leidet.“ 688 Ebd. 689  A. a. O., fol. 179v. 690  Ebd. Die Terminologie – dass Gott die Menschen in ihre Verkehrung ‚dahingegeben‘ habe  – scheint Röm 1,18–32 entnommen zu sein, auch wenn Luther Paulus an dieser Stelle nicht explizit zitiert. Vgl weiter ebd.: „Vnd thut vnser HERR Gott eben recht / das er zu der vndanckbarn Welt spricht. Magstu nicht der grossen Liebe / Das ich dich so Veterlich vnd hertzlich heimgesucht / Vnd meinen liebsten Son / für dich / in so grosse Marter gesteckt habe / Wolan / so mag ich dein wider nicht. Fragestu nicht darnach / was ich gethan habe / So

114

II.  Martin Luther

der Erwiderung der Liebe wird am Schluss der Predigt in interessanter Weise noch konkretisiert: „H. G. vnd M. J. vnd allen Papisten geschicht recht / das sie Gott so dahin gibt. Denn weil sie diesen reichen vnd ewigen Trost / Liebe vnd Hülffe in die schantze schlagen / Vnd jren Mutwillen also treiben / widerferet jnen billich / das jnen widerfaren sol / vnd faren also dahin.“691

Herzog Georg der Bärtige von Sachsen und Markgraf Joachim I. von Brandenburg, die mit ‚H. G.‘ und ‚M. J.‘ gemeint sind, wie aus dem Manuskript Rörers hervorgeht,692 agierten beide als Gegner der Reformation. Trotz  – oder gerade wegen  – dieser Warnung betont Luther, dass man die Passion nicht predige, damit die Hörerinnen und Hörer undankbar werden, sondern im Gegenteil: „das man des himelischen Vaters / vnd seines Sons vnsers HErrn Jhesu Christi grosse Liebe gegen vns Menschen erkenne / Vnd den Vater vnd den Son wider lieb gewinne. Denn wer es von Hertzen gleubet / was Christus für jn gelidden hat / Der wird nicht ein vndanckbar Schelm sein / Sondern wird Christo von Hertzen hold sein.“693

Deshalb stellt Luther am Ende der Predigt ‚Nutz und Frucht‘ der Passion vor Augen, damit man sehe, dass diese ‚uns zu Gute‘ geschehen ist, und damit man erkenne, wie man diesbezüglich Gott danken und ‚uns‘ trösten kann. Er gibt dafür einen Ratschlag zur Meditation der Passion, der theologisch im soteriologischen Konzept des ‚fröhlichen Wechsels‘694 verankert ist: „Seinen blutigen Schweis / seine nacht Angst / vnd sein Creutzigen / sol ich also deuten / vnd sprechen / Das ist mein Hülffe / mein Stercke / mein Leben / mein Freude“695 bzw. ein weiteres Mal zum Nachsprechen: „Sein schmertzen ist mein Trost / Seine Wunden sind mein Heil / Seine Straffe ist meine Erlösung / Sein sterben ist mein Leben.“696

5  Resümee: ‚ Allein das Kreuz‘ – ‚bene definire et dividere‘ „CRUX sola est nostra Theologia.“697 So formulierte Luther programmatisch in der zweiten Psalmenvorlesung, zeitlich in unmittelbarer Nähe zu seinem frage ich auch nichts nach dir. Wilstu nicht haben meinen Son Jhesum Christum / So nim dafür Barrabam / ja den Teufel selbs.“ 691  A. a. O., fol. 180r. 692 Vgl. WA 37, 23,33. 693  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 179v. 694  Vgl. hierzu Allgaier, Wechsel; Lienhard, Zeugnis, 52 f. 103–108; Hamm, Glaube; Simon, Art. Admirabile commercium. 695  Luther, Haußpostill [Poach], fol. 180r. 696 Ebd. 697  WA 5, 176,33/AWA 2, 319,3.



5  Resümee: ‚ Allein das Kreuz‘ – ‚bene definire et dividere‘115

1519er Passionssermon, den Dreh- und Angelpunkt seiner – genauer: ‚unserer‘, und man mag ergänzen: Wittenberger – Theologie. Wie er das ‚Kreuz‘, d. h. Leiden und Sterben Jesu Christi in der Perspektive der Auferstehung gepredigt hat, wurde vorangehend dargestellt. Dabei zeigte sich in den verschiedenen Predigten durchgehend eine bestimmte Art und Weise, in der Luther die Passion verstand und predigte, die im Folgenden in Aufnahme von zwei geläufigen reformationsgeschichtlichen Konzepten präzisiert wird (II.5.1). In einer bestimmten Hinsicht unterscheidet sich dabei jedoch der frühe Passionssermon der Kirchenpostille von den Predigten der dreißiger Jahre, die in die Hauspostillen aufgenommen wurden (II.5.2). 5.1  ‚Normative Zentrierung‘ und ‚Theologie als Unterscheidungslehre‘ Luthers Verfahren der pointierten ‚allein‘-Aussagen, wie sie in den sog. Exklusivpartikeln Berühmtheit erlangt haben und mit denen Luthers Theologie gern bestimmt wird,698 hat Berndt Hamm auf den Begriff der ‚normativen Zentrierung‘ gebracht. In diversen Publikationen seit den frühen 1990er Jahren hat er dargestellt,699 wie die Akzentuierung der reformatorischen Theologie an „normierende[], verdichtende[] und zentrierende[] Tendenzen“700 des 15. Jahrhunderts anknüpfte und im 16. Jahrhundert zu einer „vereinfachende[n] und ausgrenzende[n] Dynamik“701 beitrug, die sich unter anderem im „Widereinander von Reformationsrichtungen und Katholizismus“702 zeigt.703 Eine derartige normative Zentrierung auf ‚das Kreuz allein‘ bzw. ‚das Leiden Christi allein‘ kam vielfach in den Passionspredigten zur Sprache. Die soteriologische Exklusivität der Passion Christi müsse ganz eindeutig herausgestellt, und das heißt für Luther gleichzeitig: scharf gegen alle sonstigen Leiden z. B. der Heiligen abgegrenzt werden. 698  Dies geschieht bis in aktuelle kirchliche Verlautbarungen, wie zuletzt Rechtfertigung und Freiheit, der Grundlagentext der EKD zum 500. Reformationsjubiläum, gezeigt hat. 699 Vgl. Hamm, Reformation; ders., reformatio; ders., Zentrierung. 700  Hamm, Zentrierung, 201. 701  A. a. O., 202. 702 Ebd. 703  Zum Begriff vgl. Hamm, reformatio, 8: „Unter ‚normativer Zentrierung‘ verstehe ich die Ausrichtung auf eine bestimmende, regulierende und legitimierende Mitte hin. Dieses Zentrum kann durchaus als komplex und in sich differenziert verstanden werden und in Wechselbeziehungen zu anderen dominanten, umfassend formierenden Zentren des gesellschaftlichen Lebens stehen. Die Orientierung von religiöser Mentalität, Glaube, Theologie und Frömmigkeit, von Kirche und Kultus auf ein solches Zentrum hin vollzieht sich in den Jahren der Reformation auf zwei Ebenen: zum einen konzeptionell auf der Ebene der Ideen, der theologisch und kirchenpolitisch die gesamte Gesellschaft erfassenden Leitvorstellungen (die von fundamentalen Sicherungsbedürfnissen, Ängsten und Hoffnungen gespeist sind); zum anderen ‚objektiv‘ auf der Ebene der faktisch sich verändernden Verhältnisse. Aus dem Zusammenspiel beider Ebenen ergibt sich jeweils der konkrete Denk-, Gefühls-, Willens- und Handlungshorizont der Zeitgenossen, eben jener Horizont einer neuen, erregenden und alle Kräfte mobilisierenden Zentrierung auf die als maßgeblich erkannte Mitte hin.“

116

II.  Martin Luther

Albrecht Beutel hat in seiner Charakterisierung der Theologie Luthers als ‚Unterscheidungslehre‘ den Fokus auf genau diesen inneren Zusammenhang von positiver Klarstellung und negativer Abgrenzung gelegt.704 Er verweist darauf, dass Luther das antithetische Formulieren als Nachvollzug des „modus loquendi scripturae“705 verstanden habe. In den Passionspredigten des Reformators folgen diese beiden Aspekte immer wieder hintereinander: zuerst die normative Zentrierung auf die soteriologische Exklusivität der Passion Christi, sodann die antithetische Zuspitzung gegen theologische Missverständnisse und frömmigkeitspraktische Missbräuche. Letzteres ist für Luther jedoch nicht einfach ein Zusatz, sondern – wie Beutel zu Recht herausstellt – integrales Element des Vollzuges von Theologie, und man kann ergänzen: der Vermittlung von Theologie durch die Predigt. In seiner Auslegung von Jes 53,11 hat Luther dies – am Ende der fünften Predigt der Poach-Rörerschen Hauspostille  – auf den Begriff gebracht: „Hie mus man aber der Kunst brauchen / die da heisst / Bene definire & diuidere, recht örtern / vnd teilen.“706 Deshalb sei die Erkenntnis „seines Leidens vnd Tods […] Das er / der Gerechte vnd Vnschüldige bezalet hat für vnsere Sünde“707 zugleich „ein starcker Donnerschlag wider die Gerechtigkeit der werck / Da ist nidder gestürtzt alle Müncherey / Klosterleben / vnd Menschliche Heiligkeit.“708 5.2  Das Papsttum als Antipode Obwohl Luther seine theologischen Pointen auch auf andere Gegner antithetisch zuspitzen kann  – v. a. ‚Juden‘, ‚Türken‘ und ‚Schwärmer‘  –, so ist in den untersuchten Predigten der 1530er Jahre doch das ‚Papsttum‘ das bedeutends­ te negative Gegenüber. Darin unterscheiden sich diese Predigten signifikant von dem Passionssermon aus dem Jahr 1519. Zwar stellten auch dort die frömmigkeitspraktischen Missbräuche die Negativfolie für die Entfaltung der ‚rechten Passionsbetrachtung‘ dar, doch waren es eben diese Missbräuche, die angeprangert wurden. Der Papst war noch nicht als Antichrist und das Papsttum noch nicht als Teufelswerk entlarvt. In den späteren Predigten werden dagegen diese Identifizierungen vorausgesetzt und weiter kultiviert.709 Dabei spielte die an.

704 Vgl. 705 

Beutel, Art. Unterscheidungslehre; er lehnt sich v. a. an Ebeling, Unterscheiden

A. a. O., 450 mit Verweise auf WA 40/I, 391,3–5 und WA 18, 779,17 f. 21 f. Luther, Haußpostill [Poach], fol. 170v. In der Jesajavorlesung weist Luther genau an dieser Stelle seine Studenten darauf hin, dass jene Art des Theologisierens der Heiligen Schrift entspreche (WA 25, 337,18–22, Hervorhebung J. R.): „Sunt igitur haec verba non oscitanter legenda, sed quia vigilanter posita sunt, a nobis diligentissime legi et observari debent, ut scilicet cogitemus, et quid illa noticia sit contra quid ponatur, nempe contra omnia humana studia, opera et noticias. Sic enim solet scriptura: fere semper ad antitheses respicit.“ 707 Ebd. 708 Ebd. 709  Die ‚Wiederentdeckung des Evangeliums‘ machte für Luther beispielsweise theologisch 706 



5  Resümee: ‚ Allein das Kreuz‘ – ‚bene definire et dividere‘117

eben dargestellte Art und Weise der Passionstheologie und -predigt eine durchaus gewichtige Rolle. Denn was vorher als Missbräuche  – und natürlich auch als Ausdruck verkehrter Theologie – angeprangert werden konnte, war nun unmittelbarer Ausdruck des genauen Gegenteils des eigentlich selbstverständlich Christlichen. So sah Luther bereits darin, „das wir leren, Christus hab uns von sünden erlöset unnd das ewig leben verdienet“,710 den Grund für die Verdammung seiner Lehre als Ketzerei. Ein Fundamentalsatz der christlichen Lehre wie der zitierte – so die Logik –, muss dem Antichristen und seinen Handlangern ein Gräuel sein. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung können sowohl die eindeutig antithetische Positionierung der Prediger in Wittenberger Tradition gegenüber dem ‚Papsttum‘ als auch die höchst unterschiedlichen Bezugnahmen altgläubiger Prediger auf die passionstheologischen Impulse Luthers, wie sie in den folgenden Kapiteln dargestellt sind, verständlich gemacht werden.

eine Unterscheidung der Zeiten möglich, die er rhetorisch nutzte (a. a. O., fol 168v): „Seer arg ists gewesen / das man solchs in der grewlichen Finsternis des Bapsttumbs nicht gesehen hat. Aber viel erger ists / Das man nu bey dem hellen Liecht solchs auch nicht sehen will.“ Vgl. auch Kapitel II.3.2.8. 710  WA 52, 239,28 f.

III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540) 1 Einleitung In den 1530er Jahren erschienen die ersten volkssprachlichen Postillen in expliziter Reaktion auf die reformatorische Bewegung. Zwar gab es durchaus vorher schon diverse an den Perikopen des Kirchenjahres orientierte Predigtsammlungen, auch in deutscher Sprache. Für ein Aufleben der Gattung muss jedoch der Erfolg der Postillen Luthers in Anschlag gebracht werden. Denn zwei zueinander in engem Verhältnis stehende Gründe werden wiederholt für die Veröffentlichung einer Postille angegeben, die Aufschluss darüber geben, weshalb der Nutzen dieser Gattung erkannt wurde und worin man die Notwendigkeit ihrer Verbreitung sah: Einerseits wurde mangelnde Bildung weiter Teile des Klerus als Missstand wahrgenommen, andererseits war die Verbreitung der Postillen Luthers in den 1520er Jahren spürbar. Da es bald auffiel, dass sich selbst in Gebieten, die nicht der Reformation zugeneigt waren, Prediger der Postillen Luthers bedienten – und zwar mit der Begründung, es gäbe einen Mangel an guten Alternativen –, musste Abhilfe geschaffen werden. Vorreiter waren in dieser Hinsicht die bayrischen Herzöge, die Ende der 1520er Jahre an der Universität Ingolstadt eine volkssprachliche Postille in Auftrag gaben. Diese wurde von Johannes Eck verfasst und erschien 1530 im Druck.1 Sie sollte flächendeckend in den Pfarreien der bayrischen Territorien vorhanden sein und genutzt werden. Ähnliches hatte auch Herzog Georg von Sachsen Ende der 1530er Jahre für das Gebiet des albertinischen Sachsens mit der Postille Witzels geplant.2 Offenbar wurde also die normierende Funktion eines standardisierten Predigtbuches innerhalb eines Territoriums als umso wertvoller erkannt, als die volkssprachliche Predigt ein wesentlicher Faktor in den brennenden, religiösen Auseinandersetzungen der Zeit darstellte und mit Luthers Postillen überaus erfolgreiche Konkurrenzprodukte vorlagen. Gerade volkssprachliche Postillen waren nun gefragt. Das stellte selbst die Theologen, die für gewöhnlich in deutscher Sprache predigten – wie Eck und Nausea –, vor gewisse Herausforderungen, denn sie dachten nicht nur in lateinischer Sprache, sondern waren es auch gewohnt, ihre – volkssprachlich gehal1  2 

S. u. Kapitel III.2.1. S. u. Kapitel III.4.1.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

tenen  – Predigten ursprünglich auf Latein auszuarbeiten. Während Eck seine Postille dem Auftrag entsprechend deutsch publizierte, erschien diejenige von Friedrich Nausea zunächst auf Latein. Auf drängende Nachfrage hin und weil ihm die Notwendigkeit deutschsprachiger Predigtliteratur bewusst geworden sei, habe er sie dann dennoch übersetzt – wobei Nausea in der Vorrede ausführlich die Schwierigkeiten einer angemessenen Übersetzung darstellt.3 Mit den Postillen von Johannes Eck, Friedrich Nausea und Georg Witzel werden in diesem Kapitel die frühesten, deutschsprachigen Postillen aus altgläubiger Feder untersucht, die explizit in Reaktion auf die Herausforderung durch die die ‚Predigt des Evangeliums‘ betonende reformatorische Bewegung entstanden.4 Alle drei Postillen waren verhältnismäßig auflagenstark, was auf einen größeren Wirkungskreis hindeutet. Bei der folgenden Untersuchung der Postillen wird jeweils in einem Dreischritt vorgegangen: Zunächst wird auf den entstehungsgeschichtlichen und druckhistorischen Kontext der Postille sowie auf die Intention ihrer Abfassung eingegangen. Anschließend werden die enthaltenen Passionsauslegungen überblicksartig dargestellt und hinsichtlich inhaltlicher sowie rhetorischer-stilistischer Akzente analysiert. In einem dritten Schritt wird schließlich die sich in den Predigten niederschlagende Reaktion auf die Reformation fokussiert: Wie wurden die evangelischen Gegner wahrgenommen und dargestellt? Findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit deren Impulsen statt und wie wird dabei argumentiert? Lassen sich spezifisch passionstheologische Kontroversthemen feststellen? In der Zusammenfassung am Ende des Kapitels werden die Passionsauslegungen mit ihren unterschiedlichen Reaktionen auf die Herausforderung durch die evangelische Seite miteinander verglichen. 3 

S. u. Kapitel III.3.1. werden muss die 1537 – also zeitgleich mit Witzel – in Köln gedruckte Postille (VD16 ZV 5550) des v. a. durch seine Bibelübersetzung und einen Katechismus nachhaltig wirkenden Dominikaners und Kontroverstheologen Johannes Dietenberger, der in den letzten Jahren seines Lebens von 1532 bis 1537 Theologieprofessor in Mainz war (vgl. Fabisch, Dietenberger). Die Sammlung von kurzen Evangelien- und Epistelauslegungen für die Sonn- und Feiertage in deutscher Sprache, die kurz nach seinem Tod erschien, könnte als Reaktion auf die weit verbreitete Postille Anton Corvins verstanden werde (vgl. Frymire, Primacy, 99–103). Anders als die Postillen Ecks, Nauseas und Witzels erlangte diejenige Dietenbergers zunächst jedoch keine besondere Verbreitung; mehrere Auflagen erfuhr sie erst ab Mitte der 1550er Jahre (1555 [VD16 D 1502], 1558 [VD16 ZV 5564], 1564 [VD16 E 4476], 1573 [VD16 ZV 5581] und 1593 [VD16 ZV 26118]). Im Kontext dieser Arbeit ist sie nicht von eigener Relevanz, da der Abschnitt zum Karfreitag im Wesentlichen aus dem Bibeltext Mt 26–27 in deutscher Sprache besteht (vgl. Dietenberger, Postill, fol. 93r–98v), ergänzt durch einen kurzen Kommentar und ein Gebet (vgl. a. a. O., fol. 98v–99v). Der Kommentar möchte zur ‚Vereinigung mit dem Leiden Christi‘ durch affektive Anteilnahme im Sinne der compassio anleiten. Das Gebet ist als Anrufung Christi eine Vergegenwärtigung dessen, dass dieser ‚alle diese Dinge um meiner Sünde willen gelitten hat‘, und die Bitte, dies stets vor Augen zu haben, mit dem Ziel der eschatologischen Ruhe und Tröstung: „auff das du [d. h. Christus, J. R.] mich mit teylhafftig machest der arbeyt vnd traurigkeyt / vnd auch deiner ruhe vnd vertröstunge“ (a. a. O., fol. 99v). Von den hier behandelten Autoren legen v. a. Eck und Nausea die Passion in diese Richtung aus. 4  Ergänzt

2  Johannes Eck121



2  Johannes Eck Johannes Eck (1486–1543),5 der prägende Kopf der Universität Ingolstadt, an welcher er von 1510 bis zu seinem Tod als Professor der Theologie lehrte, wird vorrangig als Scholastiker, Humanist und insbesondere als Kontroverstheologe der Reformationszeit wahrgenommen.6 Nach anfänglich freundschaftlichen Annäherungen mit Luther im Jahr 1517 – offenbar sah Eck in Luther einen ebenfalls humanistisch geprägten, potentiellen Weggefährten für eine reformorientierte Theologie – wurden schnell tiefgreifende Differenzen deutlich, die in der Leipziger Disputation Mitte des Jahres 1519 ausgetragen wurden. Fortan forcierte Eck den Häresieprozess gegen Luther, der seit Ende 1518 aufgrund der politischen Konstellation mit der Frage nach der Kaiserwahl ein Stück weit zum Erliegen gekommen war.7 Auf das rasante Erstarken und die besonders durch erfolgreiche Flugschriften weit über Sachsen hinausgehende Wirkung der reformatorischen Bewegung Wittenberger Provenienz reagierte Eck 1525 mit seinem Enchiridion locorum communium adversus Lutherum et alios hostes ecclesiae, das auch – wie die Wortwahl des Titels anzeigt  – ein Gegenstück zu Philipp Melan­chthons Loci communes von 1521 darstellen sollte.8 Diese nach Auflagen und Übersetzungen zu urteilende „verbreitetste und meistgelesene Schrift nicht nur Ecks, sondern der katholischen Literatur des 16. Jh. überhaupt“9 übersetzte Eck 1530 ins Deutsche.10 In eben diesem Jahr des Augsburger Reichstages erschien jedoch nicht nur das kontroverstheologische ‚Handbuch‘ des Ingolstädters, sondern waren bereits die ersten beiden Bände seiner volkssprachlich verfassten Postille gedruckt worden.11 2.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Der Pfarrer und Prediger Eck steht in der Forschung im Schatten des Kontroverstheologen,12 obgleich diese Tätigkeit keineswegs marginal war: Von 1519 bis 5  Zu

den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bautz, Art. Eck; Iserloh, Eck; ders., Art. Eck; Smolinsky, Art. Eck; Wicks, Art. Eck; Ziegelbauer, Eck. 6  So in Anlehnung an den treffend gewählten Untertitel von Iserloh, Eck. 7  Vgl. dazu jetzt Reinhardt, Luther, 105–118. 8  Zur Entstehung vgl. die Einleitung in Eck, Enchiridion, 7*–13*. 9  Iserloh, Art. Eck, 253. 10 Vgl. Eck, Handbüchlin mit der Einleitung a. a. O., V–VIII. 11  Eck verwies denn auch in der Vorrede „An den Christenlichen leser“ der deutschen Fassung 1530 zur Vertiefung der Inhalte auf seine frisch gedruckte Postille (Eck, Enchiridion, 13): „Dergleychenn materi auch fündt man in den teutschen predigen, disz jar vonn mir im druck auszgangen.“ Die Widmung des ersten Bandes der Postille ist datiert auf den 12. Januar 1530 (vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. a3v). 12  Zum Überblick über Eck als Prediger vgl. nach wie vor Brandt, Predigttätigkeit. Es existieren darüber hinaus Studien zu den Festtagspredigten (vgl. Klaiber, Ecclesia) und zu den Dekalogpredigten (vgl. Niepmann, Predigten). Ecks pfarramtliche Tätigkeit ist jetzt für

122

III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

1525 hatte der bereits 1508 zum Priester geweihte Professor eine Pfarrstelle an St. Moritz sowie von 1525 bis 1532 und noch einmal 1538–1540 an der Kirche Unser Lieben Frau in Ingolstadt inne. Sein gewissenhaft geführtes Pfarrbuch13 und ein Buch mit Predigtskizzen14 zeugen davon, wie engagiert Eck die pastoralen Aufgaben wahrnahm. In den 1530er Jahren veröffentlichte Eck fünf Bände mit deutschen Predigten; zunächst zwei die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres abdeckende Bände 1530  – also eine klassische Postille  –, im folgenden Jahr Predigten zu den Heiligenfesten, 1534 über die Sakramente und 1539 über den Dekalog. Aus Ecks Feder stammt somit die erste volkssprachliche Postille, die explizit als Reaktion und Antwort auf das erfolgreiche Postillenwerk Luthers entstand.15 Die Postille erlebte in den ersten Jahren nach Erscheinen mehrere Auflagen; vereinzelt wurde sie bis 1583 gedruckt.16 Mitsamt der ebenfalls mehrfach aufgelegten lateinischen Übersetzung ab 153317 gehörte sie zu den erfolgreichsten Postillen des 16. Jahrhunderts im altgläubigen Kontext. Die Initiative dazu ging jedoch nicht von dem Ingolstädter Theologen selbst aus, sondern, wie Eck in der Widmungsrede angibt, von den gemeinsam regierenden bayrischen Fürsten Wilhelm IV. und Ludwig X.18 Auf die Herausforderung, dass ‚falsche Propheten‘ „in kurtzen Jaren gantz Teütsch landt vol gefült haben / mit ketzerischen tractätlein vnd büechern: das all winckel vol stäcken: vnnd in sonderhait mit vil gedruckten predigen / darmit sie den gemainen armen man verfüeren / vnd in empörung / auffrur / vngehorsame bringen: wider Gott / die kirchen / vnd jr geystlich vnd weltlich von Gott auffgesetzte öberkeyt“,19

hätten die bayrischen Fürsten als gute christliche Obrigkeit zur Bewahrung des „waren rechten vralten Christlichen glauben[s]“20 diese Postillen in Auftrag geden Osterfestkreis aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive ausführlich untersucht worden (vgl. Benini, Feier); auf die Passionspredigt geht Benini nur kurz ein (vgl. a. a. O., 215–221). 13 Vgl. Bärsch, Pfarrbuch; Greving, Pfarrbuch. Ecks Pfarrbuch ist die Hauptquelle für die Studie Beninis (vgl. die voranstehende Anmerkung). 14 Vgl. Brandt, Predigttätigkeit, mit einer Auswahledition einiger Predigtskizzen a. a. O., 172–233. 15 Vgl. Frymire, Primacy, 50–74. 16 Das VD16 katalogisiert fünf Auflagen der Sonntagspostille: Ingolstadt: Peter und Georg Apian 1530 (VD16 E 282); Tübingen: Ulrich Morhart d. Ä. 1531 (VD16 E 285); Augsburg: Alexander Weißenhorn I. / Ingolstadt: Georg Krapf 1532 (VD16 E 286); Ingolstadt: Alexander Weißenhorn II. / Samuel Weißenhorn 1553 (VD16 E 290); Ingolstadt: Wolfgang Eder 1583 (VD16 E 291). 17 Vgl. Greving, Pfarrbuch, 76 f. Nach Frymire, Primacy, 480 hatten die Bände der Sonntagspostille insgesamt 10 bzw. 11 Auflagen (wohl Deutsch und Latein zusammen gerechnet). Im Titel des ins Lateinische übersetzten Predigtwerkes stand direkt die antilutherische Ausrichtung des Ganzen: Quinta pars operum Johannis Eckii, contra Lutherum et alios declamatoria (vgl. Eck, Homilias). 18 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. a2v–a3r. 19  A. a. O., fol. a2v. 20 Ebd.



2  Johannes Eck123

geben.21 Dem Adressaten der Vorrede, Anton II. von Lothringen, stellt Eck nicht nur die bayrischen Bischöfe, sondern auch eine ansehnliche lothringische Ahnenreihe zur Bekämpfung von Ketzerei und Sektierern vor Augen,22 von denen als aktuelle Herausforderung Luther und ‚die Lutherischen‘, Zwingli und ‚die Sakramentstürmer‘, die ‚Pickarden‘ (d. h. Hussiten) und die ‚Wiedertäufer‘ genannt werden.23 Die rasche Verbreitung der Eckschen Postille zumindest in Bayern wurde besonders dadurch gefördert, dass die Fürsten die Pfarreien zu einer flächendeckenden Anschaffung verpflichten wollten – was die kirchliche Obrigkeit jedoch als Eingriff in den eigenen Aufgaben- und Hoheitsbereich kritisierte.24 2.2  Zum Charakter der Passionsauslegungen 2.2.1  Die enthaltenen Passionsauslegungen Der erste Band der Postille Ecks enthält einen umfangreichen Teil über das Leiden und Sterben Jesu Christi, der aus drei Auslegungen der gesamten Passionsgeschichte mit jeweils eigenständigem Charakter besteht.25 Im Anschluss an die 21  Vgl. a. a. O., fol. a3r: „So haben sie [die beiden Fürsten, J. R.] mit zeytigem Rat bedacht jrem Christenlichen vorhaben / nicht wenig erspriißlich zu sein / wo predigen durch das gantz Jar / auß Biblischer geschrifft / nach gemaynem Christlichen verstandt / nach außlegung der heyligen vätter vnd leerer / so von der Christenlichen Kirchen angenommen sindt / fürnämlich Dionysij / Cypriani / Chrysostomi / Augustini / Hieronymi / Ambrosij / Gregorij / vnnd Bede / verfestigt wurden: das sie dann mir / dem allmächtigen zu lob / jren vnderthanen zu gutem / zu machen befolhen haben: vnnd ich auß vnderthäniger pflichtiger gehorsame sülche grosse arbeyt zu verrichten / angenomen habe: vnnd obgemeldt meine Genädigen Herren / das in druck zegeben beuolhen haben.“ Die Autoritätenfrage, die mit Luther bei der Leipziger Disputation debattiert wurde, ist hier – wie auch im Titel der Postille – eindeutig angegeben: Eck möchte (a.) auf der Grundlage der Schrift (b.) dem gemein-christlichen Verständnis entsprechend, wie es durch die (c.) von der Kirche anerkannten (d.) Väter und Lehrer der Christenheit repräsentiert wird, predigen. 22  Vgl. a. a. O., fol. a3r–v. 23  Vgl. a. a. O., fol. a2v–a3r. 24  Zum Hintergrund der Veröffentlichung und des Konfliktes um die Ecksche Postille vgl. Klaiber, Ecclesia, 3–13, die zu der perspektivischen Abwägung gelangt (a. a. O., 8): „So ist im Kontext der bayrischen Kirchenpolitik der Reformationszeit zu fragen, ob das von den Herzögen in Auftrag gegebene und verbreitete Predigtbuch eine versäumte Initiative der Bischöfe ersetzen mußte oder ob es ein weiteres Mittel war, um im Rahmen eines religiös-politisch motivierten Ausbaus kirchlicher Machtbefugnis der Herzöge den Episkopat des Landes ihren Zielen unterzuordnen.“ Niepmann betont v. a. die Berechtigung der ersteren Perspektive, wenn er schildert, dass die Situation „aufgrund des offensichtlichen Ausbleibens effektiver Initiativen seitens des bayrischen Episkopates das Eingreifen der Herzöge im Sinne der kirchlichen Reform als nützlich, ja notwendig erscheinen ließ“ (Niepmann, Predigten, 21). 25  Die erste Auslegung findet sich unter dem Titel „Der Passion Christi.“ in Eck, Christenliche außlegung, fol. 143r–161r; die zweite Auslegung unter dem Titel „Volgt hernach ein ander Passion aber kurtz.“ a. a. O., fol. 161r–173r; die dritte Auslegung im Anschluss an eine einleitende Vorrede unter dem Titel „Das Euangelium vom leyden Christi / nach beschreybung S. Johanns am xviij. Capitel.“ a. a. O., fol. 173v–189v, wobei der letzte Abschnitt der dritten

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

ersten beiden Auslegungen findet sich eine kurze und für die Einordnung der Auslegungen bemerkenswerte Zwischennotiz: „Vermerck ich was des willenß ettlich Passion mer zu setzen: den[n] ich der xiiij. gepredigt hab: aber es wolt zu lang sein.“26 Und nach einer summarischen Aufzählung von acht Passionspredigten bzw. -reihen27 und deren homiletisch-theologischen Propria28 fährt Eck fort: „Damit aber ein yeder ein guts weyts feld hab / sölich außlegung mit grundt der geschrifft auß zupraytten: So will ich Sa. Johanns Passion / so der am Karfreytag geleßen wirdt / von wort zu wort außlegen / vnd das alles auff das kürtzest: darmit danach ein yetlicher de[n] wisse ein zu fueren vnder einem bequemliche[n] text oder vorred von dem leyden Christi.“29

Über folgende Sachverhalte gibt dieser Vermerk Auskunft: (1.) Eck hat, obgleich erst seit 1519 Inhaber einer Pfarrstelle, nach eigenen Angaben bis inklusive 1529 bereits 14 Mal über die Passion gepredigt. Dabei wählte er offenbar immer wieder neue Zugangsweisen, von denen er Aufzeichnungen aufbewahrte. Dem entspricht, was wir durch das Predigtbuch sowie andere Zeugnisse über seine Predigtweise wissen:30 Eck predigte als Pfarrer in deutscher Sprache auf der Grundlage eines lateinisch angefertigten Predigtkonzeptes. (2.) Die dritte Auslegung – so dürfte die Unterscheidung dieser Notiz zu deuten sein – hebt sich insofern von den ersten beiden ab, als sie kaum auf gehalteAuslegung als eigenes „Euangelium am Karfreytag / das ettlich am Osterabend sagen.“ a. a. O., fol. 187v–189v abgesetzt ist. 26  A. a. O., fol. 173r. 27  Es ist aus den Kurzangaben nicht ersichtlich, ob es sich um einzelne umfassende Passionspredigten handelte oder um Reihenpredigten. Beides ist für Eck belegt: Er konnte sowohl die Passion in der Karwoche fortlaufend auslegen als auch an Karfreitag – nach eigenen Angaben – ca. 3 Stunden über die Passion predigen (vgl. Brandt, Predigttätigkeit, 85), während sich seine sonstige Predigtzeit im zeitgenössisch durchschnittlichen Rahmen von einer halben bis einer Stunde bewegt haben dürfte (vgl. a. a. O., 13). Auch terminologisch lässt sich nicht genau zwischen einer einzelnen Predigt und einer Reihe unterscheiden, da Eck immer nur angibt, er predige ‚die Passion‘. 28 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. 173r–v : „Jch hab wol den Passion zoge[n] auff die siben zeyt / metten / preim / tertz / sext / non / vesper / complet: Ein and[er] mal was Christus yedes mal geliten hab am leyb vn[d] was er darbey geliten hab jm gmuet vnd geyst. Auch hab ich den außgelegt vnnder der gleychnus der schechs flügel Cherubin. Jch hab auch wol der­massen den Passion erklärt: wie Christus geliten hab: vnd wie wir auff yedes stuck vnser creutz auff vns nemmen sollen vnnd jm nach volgen. Jch hab in außgelegt wie die tochter / die Christlich Seel soll sehen was geschehen sey / vnd hören was auff yeden artickel geredt sey. Auch hab ich in geprediget / wie wir sollen sehen d[as] leyden Christi: vnd darnach auch betrachten geystliche ding darinn. Jch hab in auch gepredigt vnder dem beyspil siben frawen / die ain man begriffen habe[n]. Dar zu auch vnder dem Thema: Mein Gott mein Got wie hast etc. Vn[d] in ander wäg auch / wie ein yeder geystlicher auß den zwaye[n] obgemelte[n] passion wol thun mag vnd verdrüßlich wär / so vil passion zusetze[n] vnd müesam.“ 29  A. a. O., fol. 173v. 30 Vgl. Brandt, Predigttätigkeit, 9–24.

2  Johannes Eck125



ne Predigten zurückgeht und auch nicht als eine solche genutzt werden will. Sie stellt eher eine exegetisch-theologische Grundlage zur eigenen Predigtvorbereitung dar. Tatsächlich hat sie, worauf im Folgenden näher eingegangen wird, im Verhältnis zu den anderen beiden Auslegungen mehr ‚Schreibtisch‘- als ‚Predigtcharakter‘, obgleich auch bei jenen nicht eindeutig ausgemacht werden kann, ob es sich um gehaltene Passionspredigten handelt. (3.) Die Notiz bestätigt für die liturgische Praxis Ingolstadts, dass es zum einen üblich war, in der Karwoche die Passion entlang einer Harmonie zu predigen und dass zum anderen an Karfreitag in der Regel die Passionserzählung nach dem Johannesevangelium gelesen und ausgelegt wurde.31 Das Hören der Lesung konnte dabei durch eine ‚Vorrede von dem Leiden Christi‘ angeleitet werden.32 2.2.2  Zur ersten Auslegung der Passion Die erste Passionsauslegung in Ecks Postille entstand einem voranstehenden Vermerk zufolge 16 Jahre früher und wird von dem Autor mit seinen ersten theologischen Veröffentlichungen sowie der Beziehung zu seinem verehrten Vorbild und Lehrer, dem Straßburger Münsterprediger Johann Geiler von Kaysersberg, in Verbindung gebracht:33 Eck publizierte 1512 unter dem Titel Das Schiff des Heils34 eine Erbauungsschrift, die im Wesentlichen eine von Eck gestaltete Kurzform der im Jahr zuvor erschienen Predigtreihe Navicula penitentie35 des Straßburger Münsterpredigers darstellt.36 Zwei Jahre später erschien eine deutsche Übersetzung der gesamten Predigtreihe Geilers,37 die tatsächlich, wie Eck in dem angesprochenen Vermerk angibt, im Anschluss an einen passionstheologischen Abschnitt die offenbar von ihm selbst geschriebene Passionsauslegung enthält.38 Da die gewechselte Autorschaft im Druck nicht vermerkt wurde und Eck dies offenbar lediglich in jener kurzen Notiz im ersten Band seiner 1530 ver31 

Vgl. die Perikopenordnung bei Pietsch, Ewangely, 67. stellt eine der in Kapitel II.2.2.1 vorgestellten Orte einer Anleitung zur Passionsbetrachtung dar. 33 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, 143r: „Vermerk / ich hab etwan vor xvj. jaren ein Passion zogen auß vil göttlicher lerern vnnd Byblischer deschrifft [sic!]: den hat mir der drucker eingemischt vnder des Kayserspergers penitentz schiff: den will ich hye setzen / gar lützel darinn verändern: vn[d] nachmals ettlich besonder Passion / aber kurtz setzen.“ Zur Beziehung Ecks zu Geiler von Kaysersberg vgl. Klaiber, Eck. 34 Vgl. Eck, schiff. 35 Vgl. Geiler, Nauicula. 36  Die Erbauungsschrift widmete Eck der Herzogin Kunigunde (vgl. Eck, Schiff der Reu’), die sich nach dem Tod ihres Mannes, des bayrischen Herzogs Albrechts IV., 1508 in das Püt­ rich-Regelhaus zurückgezogen hatte; vgl. Arlt, Schiff (inklusive Edition); Klaiber, Eck, 251– 253; Schlecht, Anfänge, 15 f.; Voltmer, Wächter, 117 f. Zur Witwenzeit der Herzogin im Pütrich-Regelhaus vgl. Graf, Kunigunde, 170–207. 37 Vgl. Geiler, Schiff. 38  Vgl. a. a. O., fol. LXXXr–Cv. 32  Dies

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

öffentlichten Postille erwähnte, ging die Geiler-Forschung bislang davon aus, dass die Passionsauslegung von diesem stammt,39 und die Eck-Forschung wusste bislang nicht, dass eine der ersten theologischen Schriften des Ingolstädter Professors – neben dem ebenfalls 1514 gedruckten Chrysopassus40 – ein Traktat zur Passionsmeditation darstellt.41 Tatsächlich wirkt die Auslegung  – sowohl der Form als auch dem Inhalt nach – wie eine klassische zeitgenössische Erbauungsschrift zur Meditation der Passion Christi. Der Verfasser leitet die Leserinnen und Leser in acht ‚Artikeln‘ entlang einer Passionsharmonie von Gethsemane bis zum Grab Jesu.42 Obgleich die ‚Artikel‘ formal lediglich die Erzählung gliedern, sollen sie gleichzeitig einen Aufstieg der Seele auf einer ‚geistlichen Leiter‘ mit acht ‚Sprossen‘ ermöglichen. Dafür wählte Eck die – beispielsweise durch Bonaventuras Soliloquium43 – bekannte Form eines Dialogs mit der eigenen Seele, die (literarisch gesehen) die Betrachtung vollzieht und dadurch den Lesenden seinerseits in andächtige Meditation leitet: „O mein seel steyg auff disen ersten sprossen / vnd schaw vmb dich: was siehestu in deiner andächtigen betrachtung? Ich siech (spricht sie) den herren IHESVM an dem ölberg knyen […]“.44 In dieser Weise beginnt, im Anschluss an den Bibeltext, die Auslegung jedes ‚Artikels‘, die in zwei bis sechs ‚Punkten‘ durchgeführt wird. Jede Auslegung endet mit einer Art Zusammenfassung der Betrachtungsgegenstände, die in ein abschließendes Gebet führt, welches den Blick immer auf das für den Menschen letztendlich Entscheidende lenkt, d. h. auf die Todesstunde, das Jüngste Gericht oder die drohende Verwerfung bzw. die ewige Seligkeit.45 39 

Es findet sich entsprechend kein Hinweis auf die Autorschaft Ecks bis in die jüngste und umfassendste quellenkritische Aufarbeitung der Werke Geilers durch Rita Voltmer (vgl. dies., Wächter, 809 sowie 999 f.). 40 Vgl. Eck, CHRYSOPASSVS. 41  Die Auslegung findet entsprechend weder Erwähnung in dem nach wie vor maßgeblichen Werkverzeichnis Ecks (vgl. Metzler, Verzeichnis, LXXIII f.) noch in der einschlägigen Literatur zur Frühzeit Ecks oder zur Beziehung zwischen Eck und Geiler (vgl. z. B. Klaiber, Eck; Schlecht, Anfänge). 42 Erster Artikel: Gebet Jesu in Gethsemane (vgl. Eck, Christenliche außlegung, a.  O., fol. 143r–145r); zweiter Artikel: Gefangennahme Jesu in Gethsemane (vgl. a.  fol. 145r–147r); dritter Artikel: Jesus vor dem Hohen Rat (vgl. a. a. O., fol. 147r–150r); vierter Artikel: Jesu Verhör durch Pontius Pilatus sowie die Geißelung (vgl. a. a. O., fol. 150r–154r); fünfter Artikel: Jesu Kreuzgang und die Kreuzigung (vgl. a. a. O., fol. 154r–156r); sechster Artikel: Kreuzestitulatur und Verspottung auf Golgatha (vgl. a. a. O., fol. 156r–157v); siebter Artikel: Jesu Tod und die wunderbaren Naturereignisse (vgl. a. a. O., fol. 157v–159v); achter Artikel: Jesu Begräbnis (vgl. a. a. O., fol. 159v–160v); abschließend ein kurzer „Beschluss des Passion.“ mit einem Gebet Gersons (a. a. O., fol. 160v–161r). 43 Vgl. Bonaventura, Soliloquium. 44  Eck, Christenliche außlegung, fol. 143v. 45  Vgl. beispielhaft das Ende der Auslegung des ersten ‚Artikels‘ (a. a. O., fol. 144v): „Also last vns betrachten auff dem ersten sprossen die grossen trawrigkeyt Christi / seine[n] blutigen schwaß vn[d] angst / sein andächtig gebeet vn[d] tröstung des Engels: Last vns in biten vn[d] sprechen: O herr JHESV Christe verleich vns genädigklich in aller vnser betrübnus vnd angst



2  Johannes Eck127

Bezeichnend ist, dass der Aufstieg auf der geistlichen Leiter, jener für den Aufbau der gesamten Passionsbetrachtung grundlegenden Metapher, nicht etwa ein Aufstieg der Seele zur Unio mit Gott bezwecken soll, wie man aus mystischen Frömmigkeitstraditionen dieser Metapher erwarten könnte. Dennoch stellt dieser ‚Aufstieg‘ der Seele mehr als ein bloßes Fortschreiten in der Passionsmeditation dar. Denn im Hintergrund steht jener passionstheologische Abschnitt des Navicula penitentie Geilers von Kaysersberg, hinter dem der Ecksche Passionstraktat 1514 ursprünglich gedruckt wurde und der auf Geilers Predigten der Karwoche 1501 zurückgeht.46 Dieser Abschnitt stellt in der Bildsprache der Predigtreihe den Schiffsmast als das Kreuz Christi vor, an dem „durch mitleidung vnd nachfolgung“47 des Leidens Christi auf 23 Sprossen emporgestiegen werden kann. Die Bedeutung der Höhe als dem Ziel des Aufstiegs liegt Ecks Zusammenfassung dieses Abschnittes zufolge darin, dass man im Korb des Mastes einen besseren Überblick hat als vom Schiffsdeck aus  – und das heißt in Bezug auf die Passion Christi, dass nur diejenigen, die den Aufstieg geschafft haben, den Gehalt und die Bedeutung der Passion ganz verstehen: sowohl das Schlimme der Sünde als auch die Freude der ewigen Seligkeit, denn nur von dem höchsten Aussichtspunkt aus kann das rettende Ufer – das Ziel der Schifffahrt – gesehen werden.48 Dem entspricht innerhalb der Passionsauslegung Ecks eine Aussage der Seele auf der sechsten Sprosse – eine der wenigen Aussagen über den Sinn des ‚Höhersteigens‘: „Ye höher ich steyg / ye grössern schmertzen ich siech an meine[m] schöpffer. Aber noch siehe ich ainß / des sich die gantz Christenhait billich freuen vn[d] trösten mag. Was ist d[as] mein Seel? Es ist der sighafft titel IHESV Christi“.49 vnd trawrigkeyt / tröstung deyner heyligen Engel / vn[d] voraus in der grossen not vnsers sterbens das wir haben mit grosser rew vnnd buß gedächtnuß deiner trawrigkeyt / deines gebets vnd blutigen schwayß. Amen.“ 46 Vgl. Voltmer, Wächter, 809. 47  Geiler, Schiff, fol. LXXIIIIv. 48  Vgl. die Passage im Schiff des Heils im Zusammenhang, die auch ein Zeugnis von Ecks umfassender Kenntnis der Klassiker der Passionsliteratur ist (Eck, schiff, fol. XVIIr): „Was ist die leiter oder was bedeuten die sprossen an dem segelbaum. Nicht anders dan die betrachtung des bittern leide[n]s Jhesu christi / deren staffel oder sprossen sein so vil als vil du artickel oder puncten setzest des leide[n]s Christi / das dan in mancherlei gestalt geschehen mag. Der heilig Bonauentura machet. xlii.artickel. Vbertinus macht.cxlix.puncten. Henricus süeß setzt hundert. Der christenlich Cantzler iohannes Gerson hat. cl. Jordanus hat es geteilt in. lxx. Doctor Joha[n]nes Keisersperg in de[m] schiff setzt. xxiiii. aber vormals im lebkuchen setzt er lxx. Jeglicher mag es machen nach seiner andacht / lützel [d. h. wenig, J. R.] oder vil / allein das er also durch betrachtung hinauff steige Dann die in dem knopff [d. h. wohl im Korb des Schiffsmastes, J. R.] sitzen / sehent gar vil meer / weder die vndern / das syn die vollkommen menschen / die erkenne[n] gar vil mer die grosse schnödikeit / vnd vnflat der sünd / auch daby die miesam arbeyt zu fallen geschefft der weltlichen menschen. Sie kunden wol ermessenn die Freid der Ewigen selikeit / dann dye schlechten vnd nidern menschen. Wan die höhe macht ein ding scheinbar­ liche[r] darumb die in der höhe seind / sehen ee an das gestad [d. h. Ufer, J. R.] / weder die hienide[r] / in de[m] schiff sitzen.“ 49 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. 156r.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

Ecks Passionsauslegung ist damit auch ein weiteres Indiz für die These von Wilbirgis Klaiber, dass sich dieser gerade in der Frühzeit seiner pastoralen und professoralen Tätigkeit als ein Schüler Johann Geilers von Kaysersberg verstand,50 – und daran musste er auch 1530, bei der Zusammenstellung der Postille, keine Abstriche machen. Was sich in der Passionsauslegung Ecks nicht findet, ist eine Vorrede mit einer grundsätzlichen Anleitung zur Passionsbetrachtung, sodass die inhaltlichen Pointen sowie die Art und Weise, wie die Passion zu verstehen ist, nicht vorgegeben werden. Die Auslegung setzt vielmehr jeweils bei der Wahrnehmung des Konkreten an (‚Was siehst du, meine Seele?‘) und wird von da aus in verschiedene Richtungen entfaltet. Einige Aspekte seien herausgegriffen: (1.) Die Beobachtungen von Geschehnissen führen immer wieder zu allgemeingültig formulierten Lehren, z. B. dass Sünder, die nicht bereuen, verdammt werden;51 dass jedoch – wie sich an der Verleugnung des Petrus zeige, der immerhin Papst wurde  – keine Sünde so groß sei, dass der Sünder nicht durch Gottes Barmherzigkeit bekehrt und zu Reue bewegt werden könne;52 dass man schließlich nicht verzweifeln dürfe in der Meinung, die eigene Sünden wären größer als Gottes Barmherzigkeit, was das Problem des Judas war, der doch – dem Bußsakrament gemäß korrekt – Reue empfunden und zur Beichte gegangen sei.53 Letzteres müsse gerade den Beichtvätern eine Lehre sein, „das sie nicht so härt vn[d] streng seyen jren beichtkindern / darmit sie [d. h. die Beichtkinder, J. R.] nicht auch in verzweyflung fallen mit Juda“.54 (2.) Insbesondere in den ersten Teilen der Passion wird Christus vielfach in seinem vorbildlichen Verhalten vorgestellt: So solle man Gott in Trübsal und Kummer anrufen, wie Christus dies in Gethsemane getan hat, man solle sich dabei an einen gesonderten Ort zurückziehen, beharrlich beten und den eigenen Willen dem Willen Gottes unterwerfen;55 vor dem Hohen Rat habe uns Christus durch seine Geduld gelehrt, „das wir ee schweygen sollten dann vnns on allen nutz beschirmen vnnd außreden [d. h. herausreden, J. R.]“.56 (3.) Mit dem Verlauf der Passionsgeschichte wird der Fokus zunehmend auf das Leiden Christi und das ihm entsprechende Mitleiden gelenkt, weshalb Einzelheiten des Leidens Jesu recht genau geschildert und ausgemalt werden. So seien beispielsweise beim Entledigen der Kleider Jesu auf Golgatha alle inzwischen getrockneten Wunden wieder aufgerissen worden,57 bei der Kreuzigung seien 50 Vgl.

Klaiber, Eck, 249 f. Eck, Christenliche außlegung, fol. 146r. 52  Vgl. a. a. O., fol. 148v. 53  Vgl. a. a. O., fol. 151r. 54 Ebd. 55  Vgl. a. a. O., fol. 144v. 56  Vgl. a. a. O., fol. 149v. 57  Vgl. a. a. O., fol. 155r–v. 51 Vgl.

2  Johannes Eck129



extra stumpfe Nägel genommen worden, weil diese stärker schmerzten,58 und schließlich sei  – unter expliziter Aufnahme anthropologisch-naturphilosophischer Gedanken von Aristoteles59 – der Gipfel des Schmerzes das Scheiden der ‚edelsten Seel‘ von dem ‚zartesten Fronleichnam‘, sodass selbst „die vnuernünfftigen creaturen jrem schöpffer ein mitleyden erzaygt haben“.60 Besonders eindringlich redet die Seele im Anschluss an diese Feststellung auf den ‚verhärteten‘ Sünder ein, dass er sich wenigstens jetzt zum Mitleid bewegen lasse.61 Das Erweichen des Herzens des Sünders soll diesen zu Reue und Beichte führen,62 „damit dein geyst der yetzo jn sünden vergraben ligt / auch aufferstee durch die götlichen gnad vnd krafft des bittern leyden vnsers herren Christi IHESV: vnd also kommen in die heyligen stat Jherusalem in d[as] ewig leben: wan[n] in dem weg magst du allein ein tröpflein von dem köstbarlichen blut IHESV Christi erlangen / darmit du von aller boßheyt gerayniget wurdest.“63

(4.) Maria spielt als Mutter Jesu bei Eck selbstverständlich eine herausgehobene Rolle: Ihr Mitleiden mit ihrem Sohn wird regelmäßig geschildert64 und ohne göttlichen Beistand wäre sie vor Schmerzen gestorben.65 Derlei Schilderungen, die nicht im Bibeltext enthalten sind, seien nach Eck dennoch ‚gü58 

Vgl. a. a. O., fol. 155v. Vgl. a. a. O., fol. 158v : „wie das sagt der natürlich mayster Aristoteles“. 60  Vgl. a. a. O., fol. 159r. 61  Vgl. ebd: „O du sündiger mensch / der du noch ligst in der kotlacken der sünden: der du also verhärt bist in den sünden: das dich so vil elend vnd schmach Christi / sein grosse wunden vnd blutuergiessen nicht bewegt hat: laß dich doch die vnuernünfftigen creaturen bewegen: sie haben sich erzaigt als wollten sie gern trawren mit jre[m] schöpffer.“ 62  In der bildreichen Sprache Ecks, die allegorisch die biblisch geschilderten Naturerscheinungen auf den Menschen bezieht (ebd.): „Darumb o sünder / die warheyt ist verhanden: du ertrich erzytter auch vor dem strengen zorn Gottes / den er brauche[n] wirt an dem jüngsten tag: bist du härter dann die felßen? bist du schwärer dan[n] das ertrich? bist du finsterer dan[n] der vmbhang? Expergiscere o peccator expergiscere: Wach auff o du sünder wach auff / zerspalt den felßen deines hertzen / mit dem hamer der lieb Christi / der sölche ding von deynet wegen geliten hat: schneyd dein hertz / vnd erwaich es auff dem anpoß der rew / thu auff dein grab der sünde / das da stincket: das grab deiner gewissen durch ein gantze beicht“. Im Vergleich mit Luthers Akzenten des Passionssermons von 1519 (s. o. Kapitel II.2) fällt auf, dass bei Eck die theologische Aussage, Christus habe ‚um unseretwillen‘ bzw. ‚um unserer Sünde willen‘ dies alles gelitten, durchaus immer wieder einfließt. Jedoch erscheint die Sündenerkenntnis dabei nicht, wie bei Luther, als eigenständiges Ziel, sondern als Teil- oder Nebenaspekt einer anderen Zielaussage, beispielsweise dass man nun umso mehr alle Kräfte in den Dienst Christi stellen solle (vgl. a. a. O., fol. 146r) oder, wie in dem Zitierten, dass das Herz zum Mitleiden bewegt werde. Das Bewusstsein der eigenen Sünde als Ursache des Leidens Christi hat bei Eck demnach eine motivierende Funktion für das Handeln und eine identifikatorische sowie affektsteigernde Funktion für das Mitleiden mit Christus. 63  Vgl. a. a. O., fol. 159r. Relativ selten wird wie in dem Zitierten explizit gemacht, dass durch das Leiden und Sterben Jesu Christi das Werk der Erlösung der Menschen durchgeführt wird, wobei dies implizit durchgängig vorausgesetzt wird (vgl. auch a. a. O., fol. 156v ; 158r–v). 64  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 146v ; 149v ; 154v. 65  Vgl. a. a. O., fol. 157r. Eck wehrt dabei die Vorstellung ab, Maria habe sich vor Trauer unter dem Kreuz unziemlich verhalten. Sie sei vielmehr „gantz standthäfftig gewesen“ (ebd.). 59 

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

tiglich zu glauben‘, wozu im Falle Mariens auch gehört, dass sie nach der Kreuzabnahme den Leichnahm Jesu noch einmal „auff jr schoß genommen / jn geküßt vnd vmbfangen“66 habe – der Bildtypus Pietà steht im Hintergrund – und dass ihr Geist zwischen Karfreitag und Ostersonntag entrückt wurde, sodass sie in dieser Zeit „viel schöner säliger betrachtung“67 gehabt habe. (5.) Das Gegenstück zu dem Fokus auf das Mitleiden mit Christus stellen ausgelassenes Beschimpfen und Negativdarstellungen der Gegenspieler Jesu dar. Insbesondere Judenschelten werden absatzweise ausgeführt68 und mit allerlei Stereotypen der Gegenwart in Verbindung gebracht. Die Auswirkungen der neidischen, hasserfüllten, grausamen und tobenden Juden, die Jesus getötet und sich gemäß Mt 27,25 selbst verflucht hätten, zeige sich bis in die Gegenwart an den Ritualmorden unschuldiger, christlicher Kinder, für deren Belege Eck Beispiele und einen Lektürehinweis für weitere Informationen angibt.69 Ein beson66 

A. a. O., 160r. A. a. O., 160v. 68  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 146r; 147v ; 154r. 69  Vgl. a. a. O., fol. 154r: „Es sagt Augustinus das die Juden von de[m] fluch (auch die man) leyden die kranckheyt der frawen (patiuntur menstrua) vnnd haben kein ertzney den[n] Christe[n] blut wie man sagt Da her kombt es das sie die vnschuldigen Christe[n] kindt als offt getödt haben: Wie dan[n] ist der heylig Simon zu Trint / vnd als man zalt 1503. jar hat in Bryßgey ein Christ sein aygen kynd den Juden zu kauffen geben: vn[d] do sie das blut von jm genom[m]en haben da ist es gestorben: Vnd wie das offt geschehen sey zaygt an Fortalicium fidei. Wol an es wer vil zu sage[n] von der boßheyt der Juden / von jhrem wucher vn[d] ander bueberey / ist zu förchten vnser Fürsten geystlich vnd weltlich versünden sich hart mit den Juden: so sie zu weyl mer Priuilegia vn[d] freyhaiten haben dann die Christen.“ Zu den Anspielungen: (a.) Um das Kind Simon von Trient, an dessen Tod um die Ostertage 1475 sich ein mehrjähriger Ritualmordprozess anschloss, der mit der offiziellen Anerkennung durch die Kurie und 14 Hinrichtungen sowie diversen Todesfällen aufgrund von Folter endete, entwickelte sich in kürzester Zeit ein Wunder-Kult (vgl. den Forschungsüberblick bei Brandstätter, Ritualmordvorwürfe, 495–518). (b.) Eck erlebte kurz vor seinem Tod einen Ritualmordprozess, in der eine anonyme, schriftliche Verteidigung der angeklagten Juden vorgelegt wurde, die wohl auf Andreas Osiander zurückging (vgl. Häger, Christen, 28–38, die noch einmal den hypothetischen Charakter der Zuschreibung an Osiander betont). Darauf reagierte Eck mit einer Veröffentlichung, in der er alle möglichen ‚Ausreden‘ durch gegenteilige Schriftbelege und zahllose überlieferte Fälle zu entkräften und dadurch den Verdacht zu erhärten suchte: Ains Jüden büchlins verlegung: darin ein Christ / gantzer Christenhait zu schmach / will es geschehe den Juden vnrecht in bezichtigung der Christen kinder mord (vgl. Hägler, Christen, 59–132; Herzig, Geschichte, 78–80; R addatz, Widerlegung). In dieser Schrift berichtet er auch über den Fall von 1503, auf den Eck hier anspielt: Als Student habe er das Geschehen in Freiburg im Breisgau miterlebt und sogar das tote Kind mit den Einstichen vom Blutabnehmen mit eigenen Augen gesehen, sodass ihm niemand vorwerfen könne, er könne nur auf das verweisen, wovon er durchs Hörensagen wisse (vgl. Eck, Jüden, fol. B3v– B4v). (c.) Die Schrift Fortalicium fidei contra iudeos saracenos aliosque christiane fidei inimicos von dem Franziskaner Alphonso de Spina aus der Mitte des 15. Jahrhunderts versammelt zahlreiche Berichte von jüdischen Lastern und Verbrechen  – inklusive der Ritualmordanschuldigung – und wurde ein wichtiges Referenzwerk der spanischen Inquisition (vgl. Poliakov, Antisemitismus, 38 f.). Sie fand über Spanien hinaus weite Verbreitung und wurde u. a. 1494 in Nürnberg gedruckt (vgl. Alphonso, Fortalicium). 67 



2  Johannes Eck131

deres Gegenbild zeichnet Eck für Judas, durch den in Kontrast mit der Sünderin aus Lk 7,36–50 eine Art umgekehrtes admirabile commercium veranschaulicht wird.70 (6.) Ecks Auslegung stellt sich als ein gelehrtes und harmonisches Geflecht von biblischen Anspielungen und Zitaten, Väter- und Lehrerzitaten und eigenen Akzenten dar. Namentlich erwähnt werden Ambrosius, Augustin, Beda Venerabilis, Bernhard von Clairvaux, Johannes Chrysostomus, Dionysius Areopagita, Johannes Gerson, die Glossa Ordinaria, Gregor der Große, Hieronymus, Johannes Damascenus, Jordan von Quedlinburg, Ludolph von Sachsen, Rabanus Maurus, Remigius von Auxerre, Tertullian, Theophylakt von Ohrid, ein Vinzentius71 sowie Aristoteles, Josephus, und Seneca. (7.) Nicht nur die Harmonie zur theologischen Tradition wird herausgestellt, sondern auch die Harmonie mit der gängigen Frömmigkeitspraxis. Immer wieder kommt Eck auf kirchliche und private Gebräuche der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit zu sprechen und ordnet diese den entsprechenden biblischen Passagen zu oder erläutert kurz deren Hintergrund in der kirchlich-theologischen Tradition: So stellen beispielsweise ein ‚entblößter‘ Altar, das fehlende Glockengeläut und das Löschen von Kerzen die Einsamkeit Christi dar, nachdem die Jünger ihn in Gethsemane verlassen haben;72 der Brauch des Pilgerns zu neun bzw. sieben Kirchen sei den Umherführungen Jesu nachempfunden;73 die Hintergründe der Verehrung des Schweißtuchs der Veronika,74 das man „noch heut“75 in Rom sehen könne, und – wie bereits genannt – der Darstellung der Pietà werden genannt.76 Eck ermutigt, was er als Gewohnheit vieler vorfindet: dass man „das recht fenlein IHESV Christi“77 – die Titelei des Kreuzes – am Morgen und am Abend spreche und diesen „sighafft Titel“78 zum Schutz vor Übel proklamiere. In ähnlicher Weise könnten auch die Namen Jesus, Johannes und Maria in allen Nöten angerufen werden,79 wobei Maria und Johannes als diejenigen, die bis zum Ende unter dem Kreuz verharrt haben, zudem eine Mitt70 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. 145v : „Das ist ein grosse veränderung des gewalts des höchsten: ein wunderbarliche vertauschung. Der jünger hat geküßt sein Herren an das angesicht / vnd ist verdambt worden. Die offen sünderin Magdalena hat geküßt die füeß des Herren vnnd ist behalten worden.“ 71  Die klassische Autorität unter diesem Namen wäre der Kirchenvater Vinzent von Lérins; möglicherweise ist aber auch der Dominikaner Vinzent von Beauvais gemeint, von dem einige Schriften Ende des 15. Jahrhunderts gedruckt wurden, wodurch er eine gewisse Verbreitung erfahren hat. 72  Vgl. a. a. O., fol. 146v. 73  Vgl. a. a. O., fol. 147v–148r. 74  Vgl. a. a. O., fol. 155r. 75  A. a. O., fol. 148r. 76  Vgl. a. a. O., fol. 160r. 77  A. a. O., fol. 156v. 78 Ebd. 79  Vgl. a. a. O., fol. 157v.

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lerfunktion zwischen dem Sünder und Christus, der ja um der Sünden des Sünders willen gelitten habe, wahrnehmen könnten.80 2.2.3  Zur zweiten Auslegung der Passion Die zweite und kürzere Passionsauslegung der Postille hat einen ähnlichen Sprachstil wie die erste und geht ebenfalls die Passionsgeschichte chronologisch entlang. Es handelt sich dabei jedoch nicht, wie gelegentlich zu lesen ist, um einen Auszug der ersten,81 sondern um eine eigens gestaltete Auslegung, die durchaus als Predigtreihe vorstellbar ist. Aus diversen Abgrenzungen von den ‚Neuchristen‘, zum Teil mit Namensnennung Luthers oder der ‚Lutherischen‘,82 und einem expliziten Verweis auf den Bauernkrieg kann eine Entstehung während Ecks Tätigkeit als Pfarrer an Unser Lieben Frau in Ingolstadt zwischen 1526 und 1529 geschlossen werden.83 Eck stellt die Auslegung unter den Leitvers „Was ist nutz jn meinem blut? wann ich wirdt absteygen jn zerstörung.“84 aus Ps. 30 (Vg.: 29),10, die er als Frage Jesu Christi an die Menschen versteht.85 Zwar gibt er an, die Passion in sechs Artikel entsprechend einem sechsmaligen Blutvergießen Jesu Christi zu gliedern,86 tatsächlich gliedert er die Passion jedoch in sieben Abschnitte, gerahmt von einer Vor- und einer Beschlussrede. Jede Auslegung des biblischen Textes wird eröffnet mit der auch druckgraphisch hervorgehobenen Frage: „Was nutz ist in meinem blut?“87 Die anschließende Antwort auf diese Leitfrage ist in der Regel dreiteilig: Zunächst wird (a.) eine vertiefende Betrachtung der im Bibeltext angesprochenen Szenerie geboten („Betracht nu[n] du from[m]er andächtiger mensch …“88), daraufhin wird (b.) auf mögliche Fragen an den Text 80  Vgl. ebd.: „IHESVS hat geliten an allen seinen glidern / darmit er all dein sündt abtilget: darfst du nit selbst zu jm gan / o sünder / so rueff die mittler an die berayt sind Mariam vnd Johannem / empfilch dich / dein seel / dein leyb vn[d] gut dein kinde vnnd freunde jnn die beschirmung der junckfrawen Marie vnd Sa. Johanns: wie IHESVS Christus beuolhen hat Mariam sein muter sant Johans: Thust du d[as] aus warem glauben vn[d] mit rechtem gemüet: fürwar die muter aller gnaden wird dich nit verlassen.“ 81  So etwa Brandt, Predigttätigkeit, 84. 82  Dazu s. u. Kapitel III.2.3. 83  Da sich Eck auf Luthers wechselhaftes Verhalten in seinen Schriften im Bauernkrieg bezieht (vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. 164r), ist die Passionszeit 1526 als frühestmögliche Entstehungszeit anzusehen. Das auf Januar 1530 datierte Vorwort Ecks zur Postille ist der terminus ante quem, sodass die Passionszeit 1529 als spätester Entstehungszeitraum in Frage kommt. 84  Eck, Christenliche außlegung, fol. 161r. 85  Vgl. a. a. O., fol. 161r: „Merck auff aber du sünder / vnd wer oren hab zu hören der höre / was Christus für ein frag dir fürhelt […] Er fragt dich: Er fragt mich: er fragt alle menschen: Was ist nutz in meinem blut?“ 86  Vgl. a. a. O., fol. 161v. 87  A. a. O., fol. 162r; 163r; 164v ; 165v ; 167r; 169v ; 171r. 88  A. a. O., fol. 165v.

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eingegangen („Fragst du: warumb hatt …“89) und schließlich werden (c.) Lehren abgeleitet („Lern hye: …“90), wobei es jeweils mehrere Betrachtungen, Fragen und Lehren geben kann. Die inhaltlichen Akzente der ersten Passionsauslegung, wie sie oben dargestellt wurden, finden sich der Sache nach auch in der zweiten wieder, wobei die Aufmerksamkeit dem vorangestellten Psalmenvers entsprechend in besonderem Maße auf das Blut, die Marter und Leiden Christi gelenkt wird – mit der immer wiederkehrenden Frage nach dem Nutzen und der Frucht dieses Blutes. Bei grundsätzlicher theologischer Kontinuität zur ersten Auslegung betont Eck bezüglich des Blutes Christi in der zweiten Folgendes: (1.) Als Sinn und Zweck des Leidens wird von Anfang an die Erlösung der Menschen angegeben: „Von des wegen hat er geliten / ist gecreutziget worden / vnnd gestorben / das er vnns erlößet vom teufel / vom tod / von der hell.“91 In der Vorrede wird die Frage nach dem Nutzen des Blutes zusammenfassend mit der Zitation von Joh 3,16, 1 Tim 1,15 und Gal 4,4 beantwortet, durch die die Menschwerdung und das Leiden Jesu als ein Akt des liebenden Gottvaters um der Seligkeit der Sünder willen herausgestellt werden.92 So steht die gesamte Passionsauslegung unter dem Vorzeichen, dass Christus nicht um seinetwillen gelitten habe, „sondern er hat das getragen / o sünder / das er ärtzneyte die wunden deiner sündt: das dein vatter von hymel / der almächtig ewig Gott hat seinen aygnen Sun nit ubersehen / hat in geben für vns allen spricht Pauls [Röm 8,32].“93 (2.) Die Leserinnen und Leser bzw. Hörerinnen und Hörer94 werden – korrespondierend der betonten Erlösung  – nicht nur als ‚andächtige und fromme Christenmenschen‘, sondern insbesondere auch als ‚Sünder‘ angesprochen: „Disen grossen schmertzen vn[d] bitters leyden (O sünder merck auff ) hat Christus gelitten“.95 Es findet sich auch die für Luther zentrale Aufforderung,96 angesichts des Leidens Christi über die eigenen Sünden zu trauern und zu wei89 

A. a. O., fol. 166r. A. a. O., fol. 166v. 91  A. a. O., fol. 161v. 92  Vgl. a. a. O., fol. 161r. 93 Ebd. 94  Während in der vorliegenden Form als Postille der erste Zugang zum Text freilich durch das Lesen geschieht und ähnlich der ersten Passionsauslegung auch die zweite der Sprache und Form nach als Meditationstraktat nutzbar ist, so soll sie andererseits den bayrischen Pfarrern als Predigtgrundlage dienen. Zudem schreibt Eck in der Auslegung explizit von sich als Redendem und den Angesprochenen als Hörenden (vgl. a. a. O., fol. 161v). Ob dies primär ein Hinweis auf den intendierten Verwendungszusammenhang – die Kanzel – ist oder als Indiz angesehen werden kann, dass diese zweite Auslegung auf gehaltene Predigten zurückgeht, muss offen bleiben. 95  A. a. O., fol. 161r; vgl. z. B. auch a. a. O., fol. 166v : „Das ist ein besonder grosser vnsäglicher schmertz geweßen: vnd billich der herr IHESVS fragt: Was ist nutz an dir / o sünder / mein blut / das ich von deinent wegen vergossen hab in meiner gayßlung vnd meiner krönung […]?“ 96  S. o. Kapitel II.2.4. 90 

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

nen. Eck erwähnt dies jedoch lediglich, ohne näher darauf einzugehen und auch ohne Bezug auf Lk 23,28.97 (3.) Das Vor-Augen-Führen des Leidens Christi ‚um deinet- und meinetwillen‘ soll Mitleid, Andacht und Dankbarkeit hervorrufen – damit ‚das Herz bewegt‘ wird, also das affektive Moment98 – und es soll die Christen vom weiteren Sündigen abhalten – das motivierende Moment.99 Verstärkt weist Eck zudem warnend auf diejenigen hin, an denen das Blut ‚verloren geht‘, weil sie verdammt werden. So sei eine Ursache der Angst Christi in Gethsemane, „das er gegenwürtig erkent hat die sündt aller Ketzer / zwyspalter / vngläubiger / vnd böser Christen die verdambt wurden: daran sein bitter leyden / sein blut verloren wurde sein“.100 (4.) Schließlich wird mehrfach die Verbindung von Christi Blut und dem kirchlichen Altarsakrament gezogen,101 denn dieses stellt einen bevorzugten Ort für die Vergegenwärtigung und Applikation des Heils und der Kraft dar, die aus diesem Blut hervorgehen. So verweist Eck in der letzten Lehre der letzten Auslegung darauf, dass die Sakramente, ja die Kirche als ‚neue Eva‘ aus der Seitenwunde Christi genommen wurde, gleichwie Eva aus dem ‚ersten Adam‘ genommen wurde.102 Die Beschlussrede läuft schließlich auf den Empfang des Abendmahls zu: „So nun er von vnsern sünden wegen / so überschwencklichen grossen schmertzen geliten hat: so sollen wir höchsten vleyß fürkeren / das wir vnsserm Gott vnnd schöpffer danckbar seyen / das er nit über vns klag: Was nutz ist in meinem blut? Sonder das wir yetz vnd zu aller zeyt jm lob vnd danck sagen vmb sein leyden vn[d] sterben: darumb wir das hochwürdig sacrament zu diser zeyt empfahen sollen: darmit wir hie seiner gnaden tailhäfftig werden: vnd dort in der glori ewigklich mit jm regieren: Das thu herr IHESV Christe / durch dein größte liebe / die du gehabt hast zu vns sündern / das du dein seel für vns in den todt geben hast: Biß vns barmhertzig: AMEN.“103

2.2.4  Zur Auslegung der johanneischen Passionserzählung Die dritte Passionsauslegung hebt sich insbesondere in zweierlei Weise von den ersten beiden Auslegungen ab: Zum einen hat sie nicht eine Harmonie, sondern die Passionsgeschichte nach dem ‚hochverständigen Adler‘104 Johannes zur Textgrundlage. Zum anderen fehlt ihr weitgehend der ‚Verkündigungscharakter‘, der 97  Vgl. a. a. O., fol. 162v : „Lern du / o sünder / trawen vnnd waynen vmb dein aygen sündt: so Christus also schmertzlich zähert hat vnd getrawrt vmb frembde sündt.“ 98  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 162v : „Darumb liebs kindt / will ich dir kein ordnu[n]g gebe[n] / wo du empfindest mer andacht in betrachtung des leydens Christi / da gee hyn: Bewegt dein hertz der ölberg mer / so bet da selbs: Bewegt dich das hochwürdig Sacrament mer / so bet vor dem selbigen.“ 99  S. o. Kapitel III.2.2.2 Anm. 62. 100  A. a. O., fol. 162r. 101  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 162v ; 167v ; 169v ; 173r. 102  Vgl. a. a. O., fol. 173r. 103 Ebd. 104  Vgl. a. a. O., fol. 174r.



2  Johannes Eck135

die anderen beiden Auslegungen ausgezeichnet hat. Die dritte Auslegung – die wie die zweite Auslegung in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre entstanden sein muss, wohl 1528 oder 1529105 – will das exegetisch-theologische Material für die Karfreitagspredigt bieten.106 Das prägt die in sieben Textabschnitte gegliederte Auslegung in verschiedener Hinsicht: (1.) Zunächst fällt auf, dass die Auslegung insgesamt erheblich weniger rhetorisch gestaltet ist. Statt eines Aufstiegs in Stufen oder dem dreigliedrigen Raster von Betrachtung, Fragen und Lehren werden die dem Autor relevanten Aspekte lediglich aufgezählt: ‚Merk zum ersten …‘, ‚zu dem andern merk …‘, ‚zum dritten: …‘ etc. (2.) Die Anrede der Hörer ist zurückgetreten.107 Zwar wird die Hörer- und Leserschaft noch direkt angesprochen (‚Merk‘, ‚Siehe‘), jedoch redet Eck kaum noch eindringlich die ‚andächtigen Christenmenschen‘ oder die ‚Sünder‘ an. Eher wird kommentarartig über die Sachverhalte und Deutungen des biblischen Textes gesprochen. (3.) Wie auch in den anderen beiden Passionsauslegungen werden zahlreiche Autoritäten zitiert. Diese werden jedoch eher als mögliche Textauslegungen vorgestellt. Nicht selten stehen diverse Kirchenväter und Theologen nebeneinander: ‚Der heilige Cyrill meint …‘, ‚Sanct Augustinus verstehts so …‘, ‚Chrysostomus schreibt …‘. Häufig gibt Eck den entsprechenden Schriftsinn mit an: „Es hat auch ein syttliche außlegung […] Oder ein andere sitlicher leer […]“;108 „nach dem buchstaben: […]“;109 „wollen besehen jnn ir geystliche bedeuttung“.110 Sowohl die differierenden ‚historischen‘ Erklärungen zu einer Frage als auch die nebeneinander vorgestellten ‚Bedeutungen‘, was v. a. Varianten auf der Ebene des sen105  Unter den Abgrenzungen von den ‚Neuchristen‘, die auch in dieser Auslegung an einigen Stellen vorkommen, kann insbesondere eine als terminus post quem ausgemacht werden: Eck wendet sich gegen „die närrisch einred des ketzers Pugenhags“ (a. a. O., fol. 180v), dass der jüdische Brauch einer Gefangenenfreilassung „dem österlichen fest zu eeren“ (ebd.) dem Gesetz Gottes widersprechen würde. Eck weist sich hier als Kenner der mit Anmerkungen versehenen Passions- und Osterharmonie Bugenhagens aus, die erstmalig 1524 lateinisch im Druck erschien und in der sich diese Bemerkung findet (vgl. Bugenhagen, historia, fol. 415 f. = Bugenhagen, Werke I,1, 265). Darüber hinaus kann die Entstehung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter auf die Jahre 1528 oder 1529 konkretisiert werden, da die Auseinandersetzung um das Begräbnis auf Luthers Schrift Ob man vor dem Sterben fliehen möge von 1527 und die damit kontroverstheologisch befeuerte Debatte um den Ort des Begräbnisses rekurriert (s. u. Kapitel III.2.3). 106 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. 173r–v ; s. o. Kapitel III.2.2.1. 107  Ausnahme bilden die Vorrede und eine Art Beschlussrede im Anschluss an die sechste Auslegung, in denen die Sprache eindringlicher ist. Der auf diese Schlussrede folgende siebte und letzte Teil über die Grablegung Jesu ist mit eigenem Titel „Euangelium am Karfreytag / das etlich am Osterabent sagen.“ (a. a. O., fol. 187v) eigens abgesetzt und auch im Inhaltsverzeichnis der Postille selbstständig angegeben (vgl. a. a. O., fol. [a4r]). Inhaltlich führt er die Reihe jedoch zu Ende. 108  A. a. O., fol. 174v. 109  A. a. O., fol. 181v. 110  A. a. O., fol. 184v.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

sus spiritualis meint, wecken den Eindruck, dass Eck in der Regel verschiedene mögliche Erklärungen, Vertiefungen und Aktualisierungen ausmacht, von denen keine als notwendig oder alleingültig angesehen werden muss, sodass die Nutzer der Postille für ihre Predigt auswählen können. Nicht selten gibt Eck dabei auch seine eigene Meinung an, sei es, dass er eine Frage für unentscheidbar bzw. nicht der Entscheidung nötig erklärt,111 sei es, dass er sich einer von mehreren angeführten Autoritäten und ‚Meinungen‘ anschließt oder ihnen widerspricht.112 Vergleicht man die Autoritätenverwendung der dritten mit den beiden anderen Auslegungen, so fällt auf: War die breite Tradition erbaulicher Literatur der ersten Auslegung (Dionysius Areopagita, Bernhard von Clairvaux, Johannes Gerson, Jordan von Quedlinburg, Ludolph von Sachsen) in der zweiten im Wesentlichen auf Bernhard enggeführt, so bietet die dritte Auslegung auch nur noch vereinzelt Verweise auf diesen. Andere Klassiker der Passionsliteratur werden nicht mehr zitiert; es dominieren nun die typischen Vertreter der Auslegungstradition, v. a. Augustin, Chrysostomus und Cyrill. Auffällig häufig verweist Eck neben diesen interessanterweise auf Theophylakt, jenen den Ostkirchen angehörenden Bischof von Ohrid, der im 11. Jahrhundert lebte und der insbesondere als Bibelkommentator weitreichende Wirkung erzielte.113 1524 erschien eine von Johannes Oekolampad besorgte lateinische Übersetzung der Evangelienkommentare in Basel,114 die in den kommenden Jahren mehrfach aufgelegt wurde und mit denen Eck offenbar intensiv gearbeitet hat. Insgesamt finden sich auch in der dritten Passionsauslegung die theologischen Grundlinien, die in den anderen beiden Auslegungen Ecks ausgemacht werden konnten. Stärker als in jenen, die in bestimmter Weise rhetorisch und thematisch durchgestaltet sind, wird hier die Breite der Auslegungstradition präsentiert, die Eck als rahmengebend für die eigene Verkündigung vorstellt, was freilich kritische Bezugnahmen im Einzelnen einschließt. 2.3  Die ‚Neuchristen‘ in der Sicht des Altgläubigen Um Ecks Verweise auf die ‚Neuchristen‘ – wie seine bevorzugte Sammelbezeichnung lautet – in den Predigten besser zu verstehen, sei zunächst ein Blick auf die Widmungsrede an Anton II. von Lothringen geworfen. Darin wird dem Her111  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 183r, wo er mit Chrysostomus, Theophylakt und Hieronymus die Frage diskutiert, ob Jesu Kreuzigung über dem Grab Adams stattgefunden hat. 112  Vgl. z. B. a. a.O., fol. 177r: „Sa. Chrysostomus maint […] Jch acht aber […]“; a. a. O., fol. 179v : „Hie fragen die lerer […] Der heylig Chrysostomus maint […] Ettlich mainen […] Jch main […]“; vgl. auch a. a. O., fol. 177v, wo Eck Cyrill dafür kritisiert, dass dieser die Sünde des Petrus bei der Verleugnung Jesu durch Entschuldigungen verringern möchte. 113  Einführend vgl. Brennecke, Art. Theophylakt; Mullett, Theophylact; Obolensky, Portraits, 34–82; Podskalsky, Art. Theophylaktos; ders., Theophylaktos. Zu den offenbar auch im westlichen Christentum vielfach rezipierten Kommentaren Theophylakts fehlen bislang einschlägige Arbeiten in der deutsch- und englischsprachigen Forschung. 114 Vgl. Theophylactus, Euangelia.



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zog nicht nur die grundsätzliche Bedeutung der Ketzerbekämpfung zum Schutz der Untertanen und für die Ordnung der Gemeinschaft mit alttestamentlichen, neutestamentlichen und historischen Beispielen und Vorbildern dargelegt und begründet. Die gegenwärtigen Gegner werden zudem in Abgleich mit den biblischen Aussagen über die ‚falschen Propheten‘, vor denen mannigfach gewarnt wird, charakterisiert und damit als solche identifiziert: In der Schrift werde von ‚den letzten Zeiten‘ und der Wiederkunft des Antichristen geredet, welcher jedoch mannigfache ‚Sekten und Zwiespalter‘ vorausgehen, die die Gläubigen verführen wollen. Die Zerstrittenheit der gegenwätigen ‚Neuchristen‘ verrate diese daher eindeutig als diejenigen, vor denen gewarnt wird.115 Derartige ‚helle‘ Schriftstellen „verkeren diese falschen Propheten mit jhren erdichten glosen / zerreyssen / vnd vmbkeren die heyligen geschrifft“.116 Dies alles verbreiten sie dann in höchster Geschwindigkeit v. a. durch Flugschriften und Traktate und dabei gingen sie viel eifriger und unerschrockener vor als „die waren rechten Christen“,117 wodurch sich das Wort Christi aus Lk 16,8 erfülle: „Die Sün dieser welt / sindt gescheyder dann die kinder des liechts in jr geburt“.118 Während die Uneinigkeit unter den reformatorisch Gesonnenen ein klassisches Argument der Altgläubigen darstellt, spiegelt Eck hier zwei typisch reformatorische Argumente gegen die Papstanhänger: Stellt die Identifikation des Papstes mit dem Antichristen für Luther eine wesentliche Erkenntnis für seine eigene Rolle im endzeitlichen Geschehen dar, in dem er sich verortet,119 so identifiziert Eck die Reformatoren als jene ‚falsche Propheten‘, die zu den Wehen der Endzeit vor der Wiederkunft des Antichristen gehören. Außerdem wurden Luther und die Reformatoren nicht müde, den altgläubigen Theologen vorzuwerfen, dass sie die ‚klaren und hellen‘ Schriftstellen durch ihre erdachten Menschenworte verfälschen und negieren würden – ebendies wirft Eck den ‚Neuchristen‘ vor. In der zweiten und dritten Passionsauslegung der Postille, die im Gegensatz zu der ersten aus einer Zeit stammen, in der Eck auf die reformatorische Bewegung reagieren konnte, finden sich immer wieder Bezugnahmen auf die ‚Neuchristen‘, von denen einige vorgestellt seien: 115 Vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. a2v : „Wie haytter warnet vns der barmhertzig Gott vor disen Secten: do Luther sagt: das reych Christi des glaubens sey bey jm. Zwingli vnd die Sacramentstürmer sagen / es sey bey jn (dann durch Christum wirdt verstanden hye sein reych im glauben / nicht das hochwirdig Sacrament seynes zarten Fronleychnamß / wie das die Ketzer außlegen) So sagen die Pickarden / Christus sey bey jn: Die Widertauffer verdammen die gantzen welt / allein ir Sect außgeschlossen. Darwider aber vnd der herr IHESVS trewlich verwarnt / an obgemeldten orten [Mt 24,23; Mk 13,21]: Auch Petrus [2 Petr 2] vnd Paulus [2 Tim 4,3 f.] vns das trefflich angezaygt haben.“ 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Vgl. Leppin, Luther, 144–151.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

(1.) Eck dienen die ‚Neuchristen‘ als warnende Beispiele für diejenigen, an denen das Blut Christi ‚verloren geht‘ und denen die Hölle droht.120 Dies kann ihn veranlassen zu beten, und zwar sowohl dafür, dass es ‚uns‘ nicht so gehe,121 als auch dafür, dass Gott ‚sie‘ doch noch zu wahrer Erkenntnis führe.122 (2.) Bei der allegorischen Auslegung des ‚ungenähten Rockes‘ Christi als der einen, ungeteilten Kirche wird auf die ‚Spalter‘ hingewiesen, die diesen Rock zerreißen würden.123 (3.) An diversen Stellen wird auf abweichende Lehren der ‚Neuchristen‘ verwiesen bzw. auf deren Kritik an Lehren und Gebräuchen, die Eck wiederum zurückweist: So plädiert er für die bibelhermeneutisch notwendige Unterscheidung von Geboten und Räten,124 während die ‚Neuchristen‘ aus den Räten Gebote machen würden und sich dann selbst nicht daran hielten.125 An Jesu Verhalten in Gethsemane sei offensichtlich, dass es bestimmte Zeiten und Orte zum Gebet gebe, dass es – „wider die Neuchristen“126 – beispielsweise gut sei, die Mette zu beten. Gegen die ‚neue‘ Meinung, die Kirche bzw. Konzilien dürften keine Änderungen vornehmen, verweist Eck darauf, dass Jesus selbst seine Anweisung bezüglich dessen, was die Jünger mit sich führen dürfen, geändert habe.127 Er richtet sich gegen die Verwerfung und den Spott über die Wundertaten der Heiligen durch die neuen ‚Heiligenstürmer‘, obwohl doch selbst Augustin von deren Wahrheit Zeugnis abgelegt habe.128 (4.) Verhältnismäßig ausführlich geht Eck auf Luthers unterschiedliche Aussagen zur Gewaltanwendung ein und wie er sie im Lauf der Bauernaufstände geändert habe. An dem, wie er zuletzt die Obrigkeit gegen die Bauern aufgehetzt habe, zeige sich – so Eck polemisch –, welches ‚Evangelium‘ der ‚Evangelist‘ Luther verkündige.129 (5.) Eck erklärt, es sei eine „besonder schickung vonn Gott / das dise Newchristen nit vergraben werden zu jren vorfarende vnnd ältern / das sint from[m] eerenleut gebesen“.130 Dieser Vorwurf klingt zunächst so, als würden die ‚Neuchristen‘ prinzipiell keine ordentliche Erdbestattung durchführen.131 Worauf 120 

Vgl. z. B. Eck, Christenliche außlegung, fol. 172r; 184v. Vgl. a. a. O., fol. 164r. 122  Vgl. a. a. O., fol. 185r. 123  Vgl. a. a. O., fol. 170v ; 184v. 124  Vgl. a. a. O., fol. 178r: Eck weist darauf hin, dass Jesus nach dem ihm zugefügten Backenstreich nicht die andere Wange hinhält, was er hätte tun müssen, wenn er gewollt hätte, dass dieser Rat als Gebot aufgefasst werden soll. 125  Vgl. a. a. O., fol. 164r: „Es sind lautter maul Christen“. 126  Vgl. a. a. O., fol. 175r. 127  Vgl. a. a. O., fol. 175r–v. Eck bezieht sich auf Jesu Aussage in der Aussendungsrede Mt 10,9 f., dass die Jünger nichts mitnehmen sollen, während er in Lk 22,36 die Anweisung gibt, ein Schwert zu kaufen, weshalb Petrus in Gethsemane ein Schwert mit sich geführt habe. 128  Vgl. a. a. O., fol. 168v–169r. 129  Vgl. a. a. O., fol. 164r. 130  A. a. O., fol. 188v. 131  Vgl. a. a. O., fol. 188v–189r. 121 

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diese Polemik zielen sollte, bliebe jedoch rästelhaft, da unter den Reformatoren die Erdbestattung zum selbstverständlichen christlichen Brauch gehörte.132 Vielmehr scheint als konkreter Hintergrund die Debatte um den Ort der Bestattung zu stehen, bei dem sich seit Ende der 1520er Jahre ältere Fragen um Hygiene und Gesundheit mit aktuellen kontroverstheologischen Zuschreibungen und der Entstehung konfessioneller Kulturen verbanden. Betont werden darf also nicht das Verb ‚begraben werden‘, sondern die Näherbestimmung ‚zu ihren Vorfahren‘. Luther hatte 1527 angesichts des Ausbruchs der Pestepedemie in Wittenberg am Ende der Flugschrift Ob man vor dem Sterben fliehen möge die Empfehlung formuliert,133 die Bestattung nicht bei der Kirche in der Stadt durchzuführen, sondern einen Friedhof außerhalb der Stadtmauern anzulegen. Die Verlegung des Friedhofs wurde verschiedentlich Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts nicht nur diskutiert, sondern auch durchgeführt, beispielsweise durch Kaiser Maximilian I. in dessen Residenzstadt Innsbruck.134 Offenbar durch den Impuls Luthers ausgelöst, wurde diese Frage jedoch zu einer theologischen und frömmigkeitspraktischen Kontroverse, die konfessionspolitisch aufgeladen wurde, wie das Beispiel Leipzig 1536 im Ringen zwischen dem Rat der Stadt, Herzog Georg und (v. a. den Theologen) der Universität eindrücklich zeigt.135 Dies war freilich einige Jahre nach der Erscheinung der Postille Ecks und der darin enthaltenen Auslegung der johanneischen Passionsgeschichte, die entsprechend aus den Jahren 1528 oder 1529 stammen dürfte und somit eines der frühesten Zeugnisse dieser nun unter konfessionellem Vorzeichen ausgetragenen Kontroverse darstellt.136 132  Seit

Mitte der 1520er Jahren wurden ausgehend von den theologischen Streitigkeiten unter den Fragen um die angemessene Frömmigkeitspraxis auch diejenigen um Tod und Bestattung diskutiert. Zu einer veränderten Sepulkralkultur kam es allerdings erst sukzessive, v. a. in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (vgl. Brinkmann, Grablege; Dies., Grabdenkmäler). Die Erdbestattung wurde dabei jedoch nicht in Frage gestellt. Für die Entstehung einer lutherischen Begräbnis- und Memorialkultur vgl auch Tietz, Eisleben; dies., Gottesacker; Zerbe, Memoria; dies., Memorialkultur. 133 Vgl. WA 23, 338–386, hier: 373,30–377,19. Dabei befolgte Luther nicht nur den Rat ‚der Doctores der Arznei‘, sondern führte neben biblischen Vorbildern zudem als Grund der praxis pietatis an, dass der Friedhof ein stiller Ort der Andacht und Ehrerbietung sein sollte, während er in den Städten eher einem Marktplatz gleiche. Zur Argumentation Luthers vgl. Tietz, Gottesacker, 59–64; zu den Vorgängen in Wittenberg vgl. Zerbe, Memoria, 75–83. 134 Vgl. Tietz, Gottesacker, 15–38. 135  Vgl. dazu Koslofsky, Trennung. Das Ineinander unterschiedlicher Interessen und Argumentationen kann durch das folgende Zitat angedeutet werden (a. a. O., 385): „Die empörten Mönche und Professoren von Leizpig machten den Zusammenhang zwischen Demographie, Topographie und Theologie deutlich, als sie ihren katholischen Herrscher 1536 davor warnten, daß das außerstädtische Begräbnis das trojanische Pferd des Luthertums sei. Herzog Georg sah die Angelegenheit jedoch als eine gesundheitspolizeiliche Frage an und weigerte sich zuzuhören: in Leipzig wie in anderen Städten wurden nun also die Lebenden von den Toten getrennt. Die ersten, die sich Gräber auf dem neuen außerstädtischen Friedhof kauften, waren pro-lutherische Ratsherren wie Heinrich Stromer.“ 136  Die älteste altgläubige Reaktion, die von Tietz, Gottesacker, 65 f. angeführt wird, ist

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

Für Eck, dies zeigte bereits die Widmungsrede, sind all die ‚Lutherischen‘, ‚Zwinglischen‘, ‚Wiedertäufer‘ usw. keine theologischen Kontrahenten im eigentlichen Sinne, mit denen man sich auseinandersetzen müsste. Ihm zufolge sind sie vielmehr erwiesene Ketzer, die als ‚Neuchristen‘ mit ihren Lehren gegen den ‚alten, waren Glauben‘ stehen.137 Von ihnen müsse man sich schlicht distanzieren. Diese Grundansicht prägt auch Ecks Bezugnahmen auf die ‚Neuchristen‘, die sich in den Passionspredigten finden. An keiner Stelle wird eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung geführt; meist wird nur beiläufig auf die erkennbar unchristlichen und irrsinnigen Ansichten der Ketzer verwiesen. Dass sich Eck nicht ernsthaft durch die Impulse Luthers, den er als „Erzbub“138 charakterisiert, oder anderer Reformatoren herausgefordert sah, zeigt sich vice versa darin, dass die vor den Auseinandersetzungen entstandene erste Passionsauslegung (um 1512 bis 1514) ohne signifikante Überarbeitungen oder nachträgliche negative Verweise auf die ‚Neuchristen‘ in die Postille übernommen wurde.139

3  Friedrich Nausea Der aus Oberfranken stammende Friedrich Nausea (1496[?]–1552)140 sei, so Remigius Bäumer, einer „der bedeutendsten Prediger Deutschlands“141 gewesen, der sich „selbstlos in den Dienst der Kirche gestellt“142 habe. Dieses Forschungsurteil hat seinen Grund insbesondere in den Zeugnissen der päpstlichen Nuntiaturberichte Lorenzo Campeggios und Girolamo Aleanders, die dessen Predigten und Predigtwerke in eine Reihe mit Johannes Eck und Johaneine ebenfalls womöglich 1529 entstandene und 1530 gedruckte Predigt des Franziskaners Augustin von Alveldt. 137  Die Bezeichnung ‚Neuchristen‘ kann bei Eck kaum in dem Sinne interpretiert werden, dass er die Gemeinten grundsätzlich als ‚Christen‘ betrachtet, die neben dem Alten auch Neues glauben. Die Neuheit des Glaubens disqualifiziert seines Erachtens das Christliche vielmehr in entscheidender Weise, sodass diesem häretischen Glauben kein Heil zukommen kann (s. o. bei Anm. 120). 138  A. a. O., fol. 164r. 139  Es zeigt sich umgekehrt an dieser frühen Passionsauslegung des bedeutendsten Gegenakteurs Luthers, dass Luthers Kritik an der zeitgenössischen Passionstheologie keine bloße Karikatur darstellt, sondern Phänomene wiedergibt, wie sie von herausragenden Theologen der Zeit vertreten wurden – wobei Luthers Kritik freilich nicht deren Selbstverständnis entspricht. Was Luther in den ersten drei Absätzen seines Passionssermons von 1519 als Missbrauch der Passion kritisiert – Judenbeschimpfungen, das Kreuz als Schutz gegen Unheil und die Anleitung zum Mitleiden mit Christus (s. o. Kapitel II.2.3) –, findet sich ganz selbstverständlich und positiv konnotiert bei Eck (s. o. in Kapitel III.2.2.2 in den Punkten 3, 5 und 7). 140  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bäumer, Nausea; Immenkötter, Art. Nausea; Scheible, Art. Nausea; Wolf, Art. Nausea. Zur Begründung dafür, dass als Geburtsjahr eher 1496 als 1490/91 (wie etwa noch bei Bäumer, Nausea, 92 zu lesen) anzunehmen ist, vgl. Wolf, Nausea, 71–73. 141  Bäumer, Nausea, 93. 142  A. a. O., 92.



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nes Cochläus stellten und sein Engagement gegen die reformatorische Bewegung rühmten.143 Nausea hat in Deutschland und Italien (Padua, Siena) studiert und sowohl den juristischen (1523) als auch später den theologischen (1533) Doktorgrad erlangt. Für den Prediger und Postillenautor waren die Zeiten als Mainzer Domprediger (1527–1534) unter Albrecht von Brandenburg, der seit 1514 Erzbischof von Mainz war, und als Hofprediger an der Residenz König Ferdinands  I. in Wien (1534–1541) entscheidend. Anschließend wurde Nausea zum Wiener Bischof erhoben und starb als solcher auf dem Konzil von Trient 1552. 3.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Die meisten und umfangreichsten Werke aus der Feder Nauseas entstanden in den 1530er Jahren und gehen auf Predigten zurück bzw. stellen selbst Predigtsammlungen dar. Seine Postille erschien 1530 in Köln zunächst in lateinischer Sprache unter dem Titel Tres Euangelicae veritatis Homiliarum Centuriae,144 die 1532 um eine vierte Centuria ergänzt wurde.145 Namensgebend dafür ist die Anordnung in Gruppen zu je 100 durchgezählten Predigten, die jeweils das Kirchenjahr umfassen. Die Postille hatte bis 1559 insgesamt neun Auflagen146 und eine 1539 erstmals gedruckte Kurzfassung derselben erreichte bis Anfang des 17. Jahrhunderts weitere 18 Auflagen.147 Allein diese Auflagenzahl zeugt von einer hohen Wertschätzung des Predigers Nausea. Die Widmungsrede an König Ferdinand I. in der deutschen Übersetzung der Postille – die Nausea nach eigener Angabe neben seinen Verpflichtungen und 143 Vgl. Wolf, Nausea, 86–90. Forschungsgeschichtlich ist zu erwähnen, dass der Prediger Nausea bislang kaum Beachtung gefunden hat. Während sowohl seine humanistische Bildung und die Erstlingswerke (vgl. z. B. Bezzel, Frühwerk) als auch und vor allem die kirchenpolitischen Aktivitäten und Reformansätze (bei den Religionsgesprächen, als Wiener Bischof und auf dem Konzil von Trient) Beachtung fanden (vgl. z. B. Bäumer, Wirksamkeit; Immenkötter, Religionsverhandlungen; Jedin, Reformprogramm), fehlen eingehende Studien zu dem umfangreichen Predigtwerk v. a. der Mainzer Zeit, dem er seinen guten Ruf unter (altgläubigen) Zeitgenossen verdankt. Daher kommt wohl auch ein Urteil wie dasjenige Gerhard Philipp Wolfs, bei Nausea habe keine eingehende Auseinandersetzung mit der Reformation stattgefunden, abgesehen von der Verteidigung der Messopferliturgie (vgl. Wolf, Art. Nausea, 509). Dagegen zeugen seine Passionspredigten von einer durchaus intensiven Auseinandersetzung mit den Impulsen Luthers (s. u. Kapitel III.3.3). 144 Vgl. Nausea, Centuriae. 145 Vgl. Nausea, Centuriae ADDITA. 146  Sieben der neun Auflagen sind in lateinischer Sprache erschienen; allesamt in Köln bei Peter Quentel oder Johann Quentel (Erben): 1530 (VD16 N 226); 1532 (VD16 ZV 19992; VD16 N 227; VD16 ZV 21309); 1534 (VD16 N 228); 1538 (VD16 ZV 11380) und 1540 (VD16 N 229). Die deutsche Übersetzung erschien zunächst in Mainz 1535 (VD16 N 230) und wurde 1559 noch einmal in Köln aufgelegt (VD16 N 231). 147 Vgl. Frymire, Primacy, 497. Diese Kurzfassung enthält keine Passionsauslegungen, jedoch in einigen Drucken an der entsprechenden Stelle zwischen Palm- und Ostersonntagspredigt einen Verweis auf die Passionspredigten in der ‚großen‘ Postille.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

Reisen eigenhändig angefertigt hat, weshalb die Veröffentlichung auch so lang gedauert habe148 – ist auf den 7. August 1535 datiert.149 In ihr führt Nausea aus, wie es zur Entstehung der Postille und der Übersetzung kam: Zunächst habe er seine Predigten auf Latein verfasst „vnd allein auß heiliger Bibelischer / vnd deren von heiliger gemeiner Christenlicher Kirchen angenommen Lerern schriften / so Götlichem wort nit zuwider / getrewlich zusammen getragen vnd gemacht“;150 sodann habe diese „im löblichen Ertzthumstiefft zu Meintz / in gemeiner Deutschen zungen zu allem volck“151 gepredigt und „auß grosser fleissiger bitt vieler personen“152 in lateinischer Sprache drucken lassen. Da ihm aber „beide / geistlich vnd weltlich persone auffs höchst gebetten haben / d[as] ich solich Lateinische Predig in gemein Deutsch wält bringen“,153 habe er sich nach langem Zögern an die Arbeit gemacht. Mit der Übersetzung der Postille hat Nausea drei Zielgruppen im Blick: Zunächst die Prediger mit mangelnden Lateinkenntnissen, die den Sinn der lateinischen Predigten nicht verstehen oder die, selbst wenn sie den Sinn mit Mühe erfassen, dennoch nicht in der Lage sind, daraufhin eine gute Predigt in deutscher Sprache zu halten.154 Zweitens sei die Übersetzung für Laien gedacht, die die Auslegungen in ihrer eigenen Sprache lesen wollen, z. B. weil sie es nicht schaffen, in den Gottesdienst zu gehen oder auch für diejenigen, die ihre ‚Weiber‘, Kinder, Knechte und Mägde unterrichten wollen.155 Drittens möchte er sich auch an das gemeine, ungelehrte Volk richten, und zwar weil ihm aus diesem offenbar ein ‚falscher Argwohn‘ entgegengebracht wurde, „als ob ich den newen Secten / so sich leider bisher / nit on mercklichen nachteil Deutscher Nation halte[n] / zuuiel nachgebe“.156 Diesen Verdacht, der in direktem Widerspruch zur oben angeführten Wahrnehmung der päpstlichen Nuntien und dem ihm folgenden Forschungsbild zu stehen scheint, erklärt sich Nausea wie folgt: Alle Prediger ‚der alten christlichen Religion‘, die „geistlicher vnd weltlicher Prelaten vnd Regenten gemeine sünd / schaden vn[d] laster / die ietz in disen letzten tagen (wie Christus sampt seinen heiligenn Aposteln geweissagt hat) erschrecklicher weiß […] vberhandt nemen“,157 anprangern, würden gegenwärtig von jenem ‚ungelehrten Laien‘ unter den Generalverdacht gestellt werden, der ‚neuen Sekte‘ 148 Vgl. Nausea, Predige, fol. * iijr; vgl. a. a. O., fol. * iijv : „dann mir jha kein mensch weder im Dolmetschen / noch im lesen / noch im schreiben / noch im corrigiern / noch in andere weiß darzu behülfflich gewesen ist“. 149  Vgl. a. a. O., fol. [* vjv]. 150  A. a. O., fol. * ijv. 151 Ebd. 152 Ebd. 153 Ebd. 154  Vgl. a. a. O., fol. * iijr–v. 155  Vgl. a. a. O., fol. * iijv. 156 Ebd. 157 Ebd.

3  Friedrich Nausea143



anzugehören.158 Diesem ungerechtfertigten Argwohn den Boden zu entziehen sei der dritte Grund für die Übersetzung, die – wie der Autor hofft – „zu allem nutz / heil vnd seligkeit / vnnd beuoran zu heilige Göttlicher Maiestat lob / ehr vnd preyß reychen soll“.159 Die deutsche Übersetzung der Postille beinhaltet – anders als die Widmungsrede suggeriert – nicht alle vier, sondern nur die ersten zwei Centurien, die allerdings den erheblich größeren Umfang ausmachen. Zudem seien sie inhaltlich ausreichend; sie enthalten – so versichert Nausea in einer am Ende der Postille abgedruckten Rede an den „gottseligen leser vnd zu hörer“160 – alle ‚notwendigen Lehren‘ und genügend Material gegen die ‚Ketzereien‘, durch die die Gewissen der Leser und Hörer angefochten sein könnten. 3.2  Zum Charakter der Passionspredigten 3.2.1  Die enthaltenen Passionspredigten Die ersten drei der vier Centurien der lateinischen Postille enthalten Passionspredigten, wobei die beiden Passionspredigten der dritten Centuria zusammen lediglich eineinhalb Druckseiten umfassen.161 Die meisten und umfangreichsten Passionspredigten sind demnach auch in der deutschsprachigen Postille enthalten: Die erste Centuria enthält eine umfassende Passionsbetrachtung in drei Predigten: Predigt 36 stellt eine ‚Vorrede‘ auf die Passion dar, d. h. eine Anleitung zur Passionsbetrachtung, in der die passionshermeneutischen Grundlinien vorgegeben werden.162 Die folgende, erheblich umfangreichere Predigt 37 legt die Passionsgeschichte entlang einer Harmonie Absatz für Absatz aus.163 Die als ‚Beschlussrede‘ gedachte Predigt 38 schließlich fasst in applikativer Absicht einige zentrale Aspekte zusammen.164 Die zweite Centuria folgt formal diesem Aufbau, wobei lediglich Predigt 37 als ‚Vorrede‘ vergleichbar ausführlich ist und insofern eine eigene Predigt dar158 

Dieser Vedacht erhärtet – gewissermaßen aus der gegenteiligen Perspektive – die reformationshistorische These, dass ein Nährboden für die Entstehung und Durchsetzung der reformatorischen Bewegungen die antiklerikalen Strömungen des frühen 16. Jahrhunderts gewesen seien, wie es besonders Hans-Jürgen Goertz vorgetragen hat (vgl. Goertz, Pfaffenhaß; ders., Antiklerikalismus). 159 Vgl. Nausea, Predige, fol. * ijv ; ähnlich auch auf dem Titelblatt: „Zu Gottes Ehrn / vnd allen Deutschen zu nutz heil vnd seligkeit.“ 160 Vgl. Nausea, Predige, fol. 1r–v. 161  Die Passion Jesu Christi behandeln aus der ersten Centuria die Predigten 36 bis 38 (vgl. Nausea, Centuriae, fol. XLVr–LIr), aus der zweiten Centuria die Predigten 37 und 38 (vgl. a. a. O., fol. CXCIIIv–CXCVIIIr) und aus der dritten Centuria die Predigten 35 und 36 (vgl. a. a. O., fol. CCCIIr–v). 162 Vgl. Nausea, Predige, fol. CIIIIv–CXIr. 163  Vgl. a. a. O., fol. CXIr–CXVIIv. 164  Vgl. a. a. O., fol. CXVIIv–CXIXr.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

stellt.165 Predigt 38 verweist für die Einzelauslegung der Passion auf die entsprechenden Ausführungen in der erste Centuria und geht ergänzend lediglich auf das Urteil über Jesus ein.166 Das Ende dieser Predigt bildet eine kurze ‚Beschlussrede‘.167 Aufgrund der sachlichen Parallelität werden die Passionspredigten Nauseas im Folgenden in diesem Dreischritt – ‚Vorrede‘, chronologische Auslegung, ‚Beschluss‘ – vorgestellt, bevor in Kapitel II.3.3 auf die argumentative Auseinandersetzung mit Kritik und Impulsen Luthers eingegangen wird, die sich insbesondere in den ‚Vorreden‘ findet. 3.2.2  Zur ‚Vorrede‘ auf die Passion Die ‚Vorreden‘ beider Centurien sollen  – als Anleitung zur Passionsbetrachtung168 – die Leser- und Hörerschaft dazu führen, sich dem Leiden und Sterben Jesu angemessen zu nähern und mit diesem ‚fruchtbar‘ umzugehen. Beide Predigten zielen – bei allen Unterschieden in der Durchführung – auf eines ab: Einzig das echte und ernsthafte Mitleiden mit dem ‚Seligmacher‘ ist der angemessene, nützliche und notwendige Weg der Passionsbetrachtung. Denn allein Christus hat durch sein Leiden und Sterben ‚unsere‘ Erlösung gewirkt; er hat unschuldig um ‚unserer‘ Sünde willen gelitten. Die dem entsprechende Dankbarkeit ist ausschließlich über den Weg der compassio mit Christus denkbar.169 Konkret vollzieht sich die Darlegung dessen in beiden Predigten in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den „verstockten / vn[d] gantz vnmenschliche[n] / vndanckbare[n] ketzer[n]“,170 die genau dieses – die Notwendigkeit und Angemessenheit des Mitleidens mit Christus – für falsch erklären und meinen, dies mit Verweis auf Lk 23,28 biblisch belegen zu können.171 Man darf und soll 165 

Vgl. a. a. O., fol. CCCCXXXIXv–CCCCXLIIIIr. Vgl. a. a. O., fol. CCCCXLIIIIr–CCCCXXXVv. 167  Vgl. a. a. O., fol. CCCXXXVv. 168  Dazu s. o. Kapitel II.2.2.1. 169  Zusammengefasst finden sich die Kerngedanken bereits im ersten Absatz der ersten Predigt (a. a. O., fol. CIIIIv): „Ihr aller liebsten brü[der] in dem Herrn / heut ist der tag / so da ist der aller beschrienst tag / in dem gantzen vmkreiß der welt / an welchem Jhesus Christus / vnser Herr vnd seligmacher / für vns vnd von wegen vnserer sünden on all sein schuldt / die er nie gehabt / jha vffs vnschüldigst erlitten hat den aller herbisten vnd schmelichsten todt / nemlich den todt des creutz / der etwan so schmelich vnnd verachtlich gewesen ist / das auch der jhenig / so am holtz hieng / für ein vermaledeitten vnd verfluchten mensche[n] gehalten ward. Dieweil aber nun Christus / vnser Herr für vns (wie S. Paulus schreibet [vgl. Gal 3,13]) ein vermaledeiter worden ist / vff das er vns von der vermaledeiung / derer wir zugeeignet waren / erlöset / Wer wolt doch eines solichen harten / steinige[n] / vnmenschlichen / vnda[n]ckbaren gemüts vn[d] hertzens sein / der heut zu tag nit mit höchster andacht mit Christo seinem gütigsten Herrn vnd seligmacher mit leiden wolt haben? dieweil sich auff den heutigen tag alle geschöpf vnd creaturen inn der welt / als mit sonderlichem schmertzen / mit jm bekümert haben.“ 170  A. a. O., fol. CVr. 171  Dies wird im folgenden Kapitel III.3.3 inhaltlich weiter ausgeführt. 166 

3  Friedrich Nausea145



klagen und weinen  – so Nausea  –, „wo nit mit dem eusserlichen aug / iedoch auffs minst mit dem inwendigen aug des hertzens“.172 Hinsichtlich der Art und Weise der Passionsbetrachtung fällt das häufig wiederholte ‚Heute!‘ auf, durch das Nausea offenbar rhetorisch eine Verschränkung der Zeiten erreichen möchte: ‚Heute‘, an Karfreitag, ist Christus gefangen und verhört worden, ‚heute‘ wurde er verspottet und geschlagen, ‚heute‘ hat er um ‚unserer‘ Sünde willen gelitten und ist gestorben – und deshalb „wöllen wir heutt auß rechter warer lieb zu Christo / clagen vnnd weinen / dieweil er solche grosse lieb zu vns gehabt hat / was für grosse liebe keyn mensch gehaben mag“.173 Was ca. 1500 Jahre früher geschehen ist, ist ‚heute‘ geschehen, sodass ‚heute‘ der Tag ist, an dem darauf zu reagieren und dieses zu vergegenwärtigen ist sowie die Auswirkungen im eigenen Leben folgen zu lassen sind. So bietet die liturgische Fixierung des Karfreitags im Kirchenjahr Nausea die Möglichkeit, das biblisch vorgegebene ‚für uns‘ des Leidens und Sterbens Jesu Christi rhetorisch einzuholen. Für Explikation und Applikation ist ‚heute‘ die richtige Zeit – dies hat der Prediger in der ‚Vorrede‘ grundsätzlich dargelegt und begründet; und das wird in der folgenden Auslegung der Passionsgeschichte konkretisiert. 3.2.3  Zur chronologischen Passionsauslegung Während die ‚Vorreden‘ durchweg in Auseinandersetzung mit der reformatorischen Kritik gehalten werden, geht Nausea in der chronologischen Passionsauslegung nicht mehr auf die ‚Ketzer‘ ein.174 Vielmehr wird das passionshermeneutische und -theologische Programm, wie es in der ‚Vorrede‘ dargelegt wurde, in der Predigt der Passionsgeschichte angewendet. Einige Aspekte seien exemplarisch vorgestellt: (1.) Das programmatische ‚Heute‘ der nauseaschen Passionspredigt wird in der Anrede der „christliche[n] leser vnd zuhörer“175 so verwendet, dass die inhaltliche Darlegung mit besonderem Nachdruck auf die situative Möglichkeit der Passionsbetrachtung erfolgt: „O du Christglaubiger mensch / Jch bitt dich / betracht / wie heutt Jhesus Christus […] Jha ich sag / Betracht / O Christglaubiger mensch / was für grosse bittrigkeit vn[d] schnödheit heut zu tag von deinet wegen entpfangen hatt der Künig der himeln […]“.176

(2.) Nausea redet als Prediger nicht allein die Leser und Hörer, sondern immer wieder auch verschiedene Akteure der Passionsgeschichte an, um das Ge172 

A. a. O., fol. [CVIr] (im Druck fälschlich CXI).

173 Ebd.

174  Nicht einmal bei der Bibelstelle Lk 23,28 – an der sich die exegetische Differenz festmacht, worauf die erste Vorrede auch eingeht (vgl. a. a. O., fol. CVr) – wird auf die kirchlichtheologischen Gegner verwiesen. 175  A. a. O., fol. [CVIv] (im Druck fälschlich CXI). 176  A. a. O., fol. CXv.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

schehen zu veranschaulichen, ein besseres Einfühlen zu ermöglichen und Identifikationsangebote zu schaffen. Die Art und Weise der Anrede macht dabei in der Regel bereits auf die jeweilige Rolle der Person und ihre Einschätzung durch den Prediger aufmerksam. So wird beispielsweise Jesus in der Szene, als er Petrus nach dessen Verleugnung anblickt (vgl. Lk 22,61), angesprochen mit „O Jesu / du aller süssigster herr / wie selig seind dein augen […]“177 und nach der Kundgabe seines ‚letzten Willens‘ an Maria und Johannes (vgl. Joh 19,26 f.) mit „O Herr Jhesu / du aller getrewester Testator“.178 Maria ist mit der Anrede „aller betrübseligste mutter“179 und „aller schmertzhafftigst mutter“180 als die von Jesu Leiden am stärksten affizierte Person dargestellt. Judas und die Juden werden durchweg beschimpft, zum Teil mit eigens gebildeten Superlativen.181 Dagegen wird Pontius Pilatus meist ohne charakterisierendes Adjektiv angesprochen, wodurch sein Agieren über weite Strecken als eher ambivalent dargestellt wird. (3.) Natürlich zieht Nausea immer wieder allgemeine und gegenwartsorientierte Lehren aus den geschilderten Ereignissen. Dabei konkretisiert er verschiedentlich gruppenspezifisch: Aus Jesu Anweisung an Petrus in Gethsemane, das Schwert wegzustecken (vgl. Joh 18,11), sei etwa ersichtlich, „das ein Bischoff vnd ein geistlicher Prelat nit streitten odder kriegen soll / sonder er soll betten / so die andern streiten / wie Moses thet“.182 Pilatus sei ein Negativ-Vorbild für alle Richter: Anders als Pilatus sollen Richter zum einen „all ding zuuor fleissiglich betrachten vnd erforschen“183 und kein voreiliges oder ungerechtfertigtes Urteil fällen und zum anderen dürfen sie „nit nachfolgen menschlichen adfection oder begirden“,184 da sowohl Freundschaft als auch Feindschaft durch Zu- bzw. Abneigung einem gerechten Verfahren und Urteil abträglich sind. Und Maria, die „aller bestendigst mutter“,185 habe durch ihr Verhalten ein „groß trefflich exempel vnd ebenbild mütterlicher tugend“186 gegeben. (4.) Im Vergleich etwa mit den zeitgleich erschienenen Passionspredigten Johannes Ecks fällt auf, dass Nausea – mit der Ausnahme eines Verweises auf Au177 

A. a. O., fol. CIXv. A. a. O., fol. CXVv. 179  A. a. O., fol. CXVv. 180 Ebd. 181  Vgl. z. B. zu Judas: a. a. O., fol. CVIIv : „O Juda / du trewloser schalck / o du aller boßhafftigster vnndanckbarigster mensch […] O du aller ergister feind“; a. a. O., fol. CXv : „O Du vnnseliger Judas / O du vermaledeitter verräther / O du Chains bruder.“; zu den Juden: a. a. O., fol. CXr: „O Jhr aller verkertigsten / O jr aller schalckhafftigsten Juden […] Was thustu / o du vnsinnige blindheit / vn[d] o du blinde vnsinnigkeit. Jha ich sag / o jhr vnseligste Juden“; a. a. O., fol. CXVr: „O Jhr dreulosesten Juden / O jr Gottlosen vnd gotslesterigste Juden“. 182  A. a. O., fol. CVIIIv. 183  A. a. O., fol. CXIIIr. 184  A. a. O., fol. CXIIIv. 185  A. a. O., fol. CXVr. 186 Ebd. 178 

3  Friedrich Nausea147



gustin187 – die Auslegung ausschließlich in eigenen Worten und mit biblischen Zitaten durchführt und keinerlei sonstige Autoritäten und Lehrer zitiert. (5.) Dass der passionstheologische Fokus auf dem Mitleiden mit Christus liegt, konkretisiert sich zum einen in einer entsprechenden Rhetorik. Zum anderen führt dies Nausea in der Auslegung jedoch auch noch mehrfach explizit aus. Dazu, dass Petrus Jesus verleugnete und jener ihn anblickte, sodass Petrus weinen musste, stellt Nausea beispielsweise (an Petrus gerichtet) fest, dass diese Tränen „zu abwaschung der schuld der verleugnung / ghabt haben die krafft der heiligen tauff. Denn ich ließ jha dein zeheren / Jch finde aber nit ein andere genugthuung“.188 Deshalb sollen ‚heute‘ alle Sünder Petrus darin nachfolgen und „bitterlich klagen / heulen vnd weinen mit S. Peter / vn[d] sollen außleschen jre schuldt mit jhren zehern mit zweierley bitterligkeit / nemlich / mitt der bittrigkeit für sie selbs / vnd mit der bittrigkeit des mit leidens gegen Christo dem Herren.“189

Die Kombination aus Schulderkenntnis und Mitleiden mit Christus in der Passionsbetrachtung, die sich im Weinen und Klagen äußert, hat für Nausea demnach sündenvergebende Wirkung. Am Ende der Auslegung fasst Nausea das Wichtigste in einer ‚Summa‘ zusammen: „Derhalben was werden wir heut vnd allzeit thun für sölich leyden vn[d] todt so Christus Jhesus für vns erlitten hatt? Wir wöllen danckbar sey / vnnd mitleyden haben mitt Christo Jhesu / vnserm haupt / dann er so da ist vnser lieb / vnser süssigkeyt / vnnser hoffnung / vnser seligkeit / vnser trost / ann seinem gantzen leib geliden hatt inn allem seinem leben.“190

Dankbarkeit und Mitleid – diese beiden Kernelemente wiederholt Nausea in den folgenden Zeilen noch zwei weitere Male,191 wobei er schließlich auf die Verheißung abzielt, „daß ewer abentweinen werd verwandelt in die früen freudt der aufferstehung“.192 3.2.4  Zum ‚Beschluss‘ der Passion Die ‚Beschlussrede‘ der ersten Centuria (Predigt 38) hält in einer Kompilation aus den Bibelversen Joh 3,16, Röm 8,32 und Gal 6,14 fest: Die gehörte Passionsgeschichte sei geschrieben, „auff das wir glauben / das Jesus sei der Sone Got187 

A. a. O., fol. CVIIIr. A. a. O., fol. CIXv. 189 Ebd. 190  A. a. O., fol. CXVIIr. 191  Vgl. ebd.: „Jch sag laßt vns mitleiden haben mit danckbarem gemüt / dann er alle diese ding von vnsert wegen gelitten hatt.“; ebd.: „Darumb / jhr lieben brüder / weinet auch / vnnd sagt Christo dem Herren danck / für sölich groß leiden“. 192  Ebd. Ähnlich auch der Schluss der Predigt mit dem Ausblick darauf, „daß jr […] am letzten tag widerumb mögt aufferstehen in der herlicheit / vnd möget mit freuden zukünfftig sitzen im hymmel mit Christo / vn[d] weinet heut traurig mit jm“ (a. a. O., fol. CXVIIv). 188 

148

III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

tes / den der Vater auß vbertrefflicher lieb / die er zu vnns gehabt / für vns gegeben hat“.193 Entsprechend sei „diß leiden vnd creutz / allein das jenig / inn dem wir vns / wie S. Pauls gethan / rühmen sollen vnd mögen“194 – und zwar aus zwei Gründen: Erstens habe ‚uns‘ Christus „allein durch sein leiden vnd creutz vom ewigen tod erlöst“195 und den Vater damit „vmbsonst widerumb versünet“.196 Zweitens sei „all vnsere kunst oder wissens / so zum heil von nöten“197 in diesem Leiden beschlossen, wie aus 1 Kor 2,1 f. ersichtlich sei. Auf diese konzentrierte Darlegung der Bedeutung des Kreuzes folgt der Hauptteil der Predigt, in dem Nausea darlegt, dass man aus dem Verhalten Jesu in der Passionsgeschichte drei Tugenden lernen könne, die drei Sünden entgegenstehen: Zum einen Demut (und Geduld) gegen Hoffart,198 zum anderen Reinheit bzw. Keuschheit gegen Wollust und fleischliche Begierde199 und zum dritten Mäßigkeit gegen Geiz.200 In diesen Tugenden konzentriert sich, so macht Nausea abschließend deutlich, ein Leben in der Kreuzesnachfolge.201 Auf die compassio in der Passionsbetrachtung – diese stand im Zentrum der ‚Vorrede‘ – hat die imitatio im Alltag zu folgen – so die ‚Beschlussrede‘.202 Denn nach 1 Petr 2,21 hat Christus in seinem Leiden ein Exempel gegeben, dem nachgefolgt werden soll, und nach Mt 16,24 hat Christus selbst dazu aufgefordert, das Kreuz auf sich zu nehmen, um ihm nachzufolgen – wobei Nausea das ‚und folge mir nach‘ kommentiert mit: „verstehe zu der ewigen seligkeit / zu deren wir nit kom[m]en mögen / dan[n] durch die nachuolgung deß leydens / zu welcher seligkeit / verhelf vnns Jhesus Christus / durch sein heiligs leiden Amen“.203

Kreuzesnachfolge, so die Pointe des ‚Beschlusses‘, ist heilsnotwendig.204 In der anderen, erheblich kürzeren ‚Beschlussrede‘ der zweiten Centuria findet sich eine solche Betonung der Nachfolge nicht.205 Dort schließt Nausea den 193 

A. a. O., fol. CXVIIv.

194 Ebd. 195 Ebd. 196 Ebd. 197 Ebd. 198 

Vgl. a. a. O., fol. CXVIIv–CXVIIIr. Vgl. a. a. O., fol. CXVIIIr–v. 200  Vgl. a. a. O., fol. CXVIIIv–CXIXr. 201  Vgl. a. a. O., fol. CXIXr. 202 Nach Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 725–727 stellen compassio und imitatio die strukturellen Grundelemente des Umgangs mit der Passion im Spätmittelalter dar, die auf bernhardinische und franziskanische Traditionen zurückgehen. Nausea steht demnach ganz im Mainstream der zeitgenössischen Passionstheologie und -frömmigkeit. 203  Nausea, Predige, fol. CXIXr. 204  Vgl. ebd.: „Dan[n] wir kön[n]en nit mit Christo vnserm Herrn / mit freuden weder aufferstehen noch gen hymmel farn / noch regirn / es sey dann / daß wir jm zuuor mit vnserm creutz nachuolgen“. 205  Vgl. a. a. O., fol. CCCCXXXVv. 199 



3  Friedrich Nausea149

Bogen zur ‚Vorrede‘ dadurch, dass er noch einmal deren Leitvers Klgl 1,12 zitiert und resümmierend die Bedeutung des Mitleidens hervorhebt, auf dem die Verheißung liege, in Freude verwandelt zu werden.206 Zu dieser Freude – es dürfte wie auch am Ende der ersten ‚Beschlussrede‘ an die ewige Seligkeit zu denken sein – geht es jedoch nur über den Weg des Mitleidens und nicht unmittelbar.207 3.3  Debatte um das Zentrum der Passionsbetrachtung: Zum Mitleiden mit Christus Friedrich Nausea setzt sich in den beiden ‚Vorreden‘, in denen er die compassio als Kernbestand der Passionsbetrachtung darstellt, intensiv mit der Kritik auseinander, die Luther 1519 in dem Sermon von der Betrachtung des Leidens Christi an der compassio-Frömmigkeit formuliert hat – wobei er dessen Position verzerrt wiedergibt.208 Für die Art der Auseinandersetzung ist bemerkenswert, dass Nausea – wie in der chronologischen Passionsauslegung – keinerlei Autoritäten außer den biblischen Schriften anführt und auch nicht auf kirchliche Bräuche und Traditionen zur Untermauerung des eigenen Standpunktes rekurriert.209 Er will aufzeigen, dass den Ansichten der ‚verstockten und gottlosen Ketzer‘ eindeutige Worte der Heiligen Schrift und Jesu selbst gegenüberstehen, und begründen, warum die von ihnen angeführte Schriftstelle Lk 23,28 anders zu verstehen ist. 3.3.1  Die Argumentation der ersten ‚Vorrede‘ In folgender Weise stellt Nausea die Argumentation der ‚versotockten, unmenschlichen und undankbaren Ketzer‘dar: „Nun sprechen aber die verstockten / vn[d] gantz vnmenschliche / vndanckbare ketzer / so da seind on alle liebe vn[d] andacht / vnnd alle ding verhönen vnd verspotten. 206  Vgl. ebd. mit Joh 16(,20–22); Hi 17(,12.15): „Habet mitleiden / sag ich / vnd seiet trau­ rig / auff das ewer schmertz vnd taurigkeit / nach der verheissung / verwandelt werd in freud / dieweill man auch nach der finsternus hoffet vffs licht.“ 207  Vgl. ebd. mit Röm 8(,17); 2 Tim 2(,12): „Es werden warlich nit mit geherlichet / dann allein die jhenen / die mit leiden / es werden auch allein die jenem nitt [sic! recte: die jenen mitt] regiere[n] / die mit dulden.“ 208  S. o. Kapitel II.2.3.3. Luthers Kritik konnte allerdings in die Richtung weiterentwickelt werden, die Nausea kritisiert, wie sich an einer Predigt Veit Dietrichs zeigt (s. u. Kapitel IV. 4.2.1 bei Anm. 216). 209  Frymire notiert die interessante Feststellung zur Autoritätenverwendung im Vergleich der Postillen Ecks und Nauseas (Frymire, Primacy, 60): „Although Nausea and Eck both pre­sented more biblical citations than references to authorities in der postils, the relationship ­between their prefaces and their homilies is misleading. Whereas in his preface Eck mentioned a compact list of ancient authorities as those that informed his sermons, Nausea’s list was nearly twice as long […]. He also provided a list of virtually every major controversialist contra Lutherum from Italy, Spain, England, France, and (overwhelmingly) Germany. The contrast seen in these prefaces – Eck the minimalist and Nausea bringing every possible authority into play – was belied in practice. Eck cited the Fathers much more frequently than did Nausea, who served up five, ten or twenty sermons consecutively without a single reference to them.“

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

Warum sollen wir heut / am tag des leidens Jhesu Christi / also klagen / heulen vnd weinen / die wir vns billicher des sollten frewen vnnd lachen / dieweil vns auß solichem leiden vn[d] sterben nichts böß sonder alles guts entsprungen ist / wie wir dan[n] ietz nach einer ordnung zum theil gehört haben? vnd beuoran / dieweil heut Christus der Herr / do er mit seinem creutz außgefürt ist worden zu der statt Caluarie / denn weibern / so da seinet halbe[n] klagten / verbotten hat zu weinen / sprechend. Jhr töchter von Jerusalem / jr sollet nit vber mich weinen / sonder weinet vber euch selbs vn[d] vber ewre kinder. Deshalbe[n] (sag ich) sprechen die ketzer / sollen wir nit klagen noch weynen / sonder sollen vns wolgehaben vnd lachen.“210

Dem stellt Nausea entgegen: (1.) Wer so redet, der bekommt von Jesus Christus selbst zur Antwort: „Wehe euch die jr ietz lachet / dan[n] jhr werdet heulen vnd weinen. [Lk 6,25b] Denn wir haben gklagt / vnd jr habt nit geweinet. [Mt 11,17; Lk 7,32] Ewer lachen wirt inß heulen verwandelt werden.“211 (2.) Jesu Aussage zu den Frauen in Lk 23,28, dass sie nicht über ihn, sondern über sich und ihre Kinder weinen sollen – eine Kernstelle der Argumentation Luthers u. a. im Passionssermon von 1519 – sei nicht so zu verstehen, wie es die ‚Ketzer‘ tun. Jesus habe den Frauen nicht grundsätzlich verboten zu weinen, was angesichts der Bedeutung des rechten, dankbaren Mitleidens auszuschließen ist, sondern er habe ein unangemessenes Motiv in ihrem Weinen ausgemacht. Offenbar haben die Frauen „menschlicher art“212 Mitleid mit Christus gehabt in der Befürchtung, dass „jm auß solichem leiden etwas böß würde zukünfftig sein“213 und dabei nicht erkannt, dass er durch sein unschuldiges Leiden um ihrer Sünde willen Heil und Seligkeit schafft und wieder in die himmlische Herrlichkeit eingehen wird. Weil aber „gedachte weiber / sampt andern Juden“214 nicht die Vergebung der Sünden begehrten und nicht von ihrem Unglauben abließen – dies hätten sie beweinen sollen! –, sondern Christus aus Neid und Hass kreuzigten, weissagte dieser die bald eingetretene Zerstörung Jerusalems als Strafe. Dies sei aus den folgenden Versen (Lk 23,29 f.) ersichtlich. (3.) Es sei also zu lernen, dass es ein unangemessenes und ein angemessenes Weinen in der Passion gibt; für letzteres könne man sich an Petrus und Maria Magdalena orientieren.215 Die gottgefällige Traurigkeit „macht die buß (wie 210 

Nausea, Predige, fol. CVr.

211 Ebd. 212 Ebd. 213 Ebd. 214 

A. a. O., fol. CVv. Vgl. a. a. O., fol. CVv–[CVIr] (im Druck fälschlich CXI): „Jedoch jhr lieben brüder / wir sollen heut nit weinen von wege[n] der vrsachen / deren halben etwan bemelte weiber geweinet haben / die der Herr darumb angezeiget hatt / sonder wir sollen weinen vonn wegen der vrsachen / derenhalben S.  Peter / S.  Maria magdalena / geweinet haben / nemlich auß rechtem warem mitleiden vn[d] das Christus also vnschuldiglich / also graussamlich / also williglich / vmb vnser sünd willen gelitten hatt: dem wir doch so gantz vndanckbar seind / d[as] wir auch noch nit von vnsern sünden lassen / sonder wir creutzigen jhn noch alle tag / mit vnsern 215 



3  Friedrich Nausea151

S. Pauls sagt [2 Kor 7,10]) zum bestendigen heil“,216 während die Traurigkeit der Weiber in Lk 23,28 auf Weltliches gerichtet war. Recht sei das Mitleiden aus Liebe zu Christus als Antwort darauf, dass er zuerst aus Liebe ‚für uns‘ gelitten habe.217 3.3.2  Die Argumentation der zweiten ‚Vorrede‘ Die ‚Passionsvorrede‘ der zweiten Centuria wird unter das programmatische – und in der Predigt mehrfach aufgegriffene – Wort aus Klgl 1,12 gestellt, welches Nausea als eine Aussage Jesu Christi, gesprochen durch den Propheten Jeremia, versteht: „O / jhr all / die jhr vber den weg gehet / habet acht vnd sehet / ob auch irgendt ein schmertz ist / wie mein schmertz.“218 Dies sei – so leitet Nausea seine Predigt ein  – ein Wort der Schrift, welches, „wie es geschrieben ist bey Sanct Pauls / von Gott eingeblasen / nütz ist zu leren die warheit wider die lügenhafftigenn […]“219 (2 Tim 3,16). Denn es gebe derzeit einige, die „gottlosiglich gedallet / vnd vnuerschembt geplappert haben“,220 die Passion werde vergeblich „so embsiglich von den predigern Göttlichs worts […] fürgehalten vnd eingebildet den menschen / vnd [sie] verspotten vnd verhönen vntherdes das Gottselig mitleiden […] gleich als solich mitleiden einem Christlichen menschen nit weder nütz noch von nöten sey“.221

Gegen solch ‚frevelische Gottlosigkeit‘ soll anhand des genannten Bibelverses aufgezeigt werden, warum und inwiefern die Betrachtung des Leidens und das Mitleiden mit Christus ‚nützlich und von Nöten‘ seien. Dafür gliedert der Prediger den Vers in drei Teile und fragt (1.), wer angesprochen sei (Klgl 1,12a: ‚Oh, ihr alle, die ihr über den Weg geht‘), führt (2.) sieben ‚Ursachen‘222 an, warum die Betrachtung des Leidens und das Mitleiden mit Christus nicht vergeblich mißthaten / vnd haben jn für ein spott. Dises weinen vnd trauren / ist warlich die traurigkeit / so Gott dem Herrn angenem vnd dem menschen heilsam ist.“ 216  A. a. O., fol. [CVIr] (im Druck fälschlich CXI). 217  Vgl. ebd. 218  A. a. O., fol. CCCCXXXIXv. Mit Klgl 1,12 legt Nausea seiner Predigt einen in der zeitgenössischen Passionsliteratur viel zitierten alttestamentlichen Bibelvers zugrunde, der beispielsweise auch von Eck der Vorrede seiner dritten Passionsauslegung vorangestellt wurde (vgl. Eck, Christenliche außlegung, fol. 173v). Obgleich sich Nausea somit ganz bewusst in diese Tradition stellt, wird nicht die Tradition selbst als Argument angeführt, sondern dass es sich um einen Schriftbeleg handle, der von den Gegnern schlechterdings nicht ignoriert werden könne. 219  A. a. O., fol. CCCCXXXIXv. 220  A. a. O., fol. CCCCXLr. 221 Ebd. 222  Es ist zu beachten, dass Nausea den Begriff ‚Ursachen‘ – wie in dieser Zeit üblich – im Sinne des lateinischen causae verwendet, d. h. dass sowohl (im Sinne der neuzeitlichen Verwendung der Begriffe) Gründe als auch Zwecke angegeben werden. Warum, womit, wodurch und wozu etwas geschieht, kann zwar durchaus mithilfe der aristotelischen Differenzierung verschiedener causae unterschieden werden. Es handelt sich für das zeitgenössische Verständnis bei all dem dennoch um Antworten auf die Frage nach den ‚Ursachen‘.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

seien (Klgl 1,12b: ‚habt Acht‘ auf das Leiden) und zeigt schließlich (3.), wie groß und schwer dieses Leiden gewesen sei (Klgl 1,12c: ‚und seht, ob irgendein Schmerz ist wie mein Schmerz‘). (1.) Da der gekreuzigte Christus derjenige ist, der dieses Wort durch den Propheten gesprochen hat, seien alle Sünder angesprochen, die er erlösen möchte – wobei Nausea die Hörer auch direkt anspricht: „Jha sag ich / wir seindt die / so vbern weg gehen / dieweil vnser lieber Herr Jhesus Christus am creutz hengt. Dann so lang wir inn disem leib seindt (schreibt S. Pauls [vgl. 2 Kor 5,1–10]) so wallen wir vom Herrn vn[d] gehen vber diese stadt / dieweil wir sie alhie nit bleibendt noch bestendig haben / die wir auch pilgram vnnd geste seindt auff dieser erden [vgl. Hebr 11,13].“223

(2.) ‚Habt Acht!‘ – in dieser Aufforderung sieht Nausea die Aufforderung zur Passionsbetrachtung, d. h. zum Umgang mit dem Zentrum des christlichen Glaubens, zusammengefasst. Vorbildhaft könne man sich dabei am besten an Paulus orientieren, der „die zeichen vnd narben des Herrn Jhesu Christi“224 an seinem Leib getragen habe (vgl. Gal 6,17), der sich allein des Kreuzes Christi rühmte (vgl. Gal 6,14) und der nichts wissen wollte als allein Christus den Gekreuzigten (vgl. 1 Kor 2,2). Der Apostel sei also im ‚Achthaben‘ auf das Leiden Christi nachzuahmen „vnd solichs nitt vergeblich / sonder vmb vieler vrsachen willen“.225 Erstens entspreche das Mitleiden mit Christus „der natur des mitleidens“,226 denn wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit (vgl. 1 Kor 12,26).227 Zweitens möge in der Betrachtung des Leidens Christi „die groß vnaußsprechlich lieb / die Christus vnser lieber HERR zu vns gehabt“228 erkannt werden. Drittens sei auf diese Liebe mit Dankbarkeit zu reagieren. Viertens sollten dadurch Sünde und Laster umso mehr verflucht und gemieden werden. Fünftens sei Jesu Leiden zu betrachten „vmb des großen nutzes willenn desselbigen / dann er durch solich sein heilig leiden vnser heil gewirckt hatt“.229 Sechstens möge man dadurch „leiden / angst / nott vnnd trübsall dieser welt“230 umso besser ertragen. Und siebtens stehe auf das Mitleiden die Verheißung, einst auch mit zu regieren. In geradezu überschwänglicher Weise führt Nausea anschließend die Bedeutung der Passion Christi und der Meditation derselben vor Augen.231 Eine wahrhaft andächtige, von Erkenntnis der soteriologischen Bedeutung der Pas223 

A. a. O., fol. CCCCXLv.

224 Ebd. 225 Ebd. 226 

A. a. O., fol. CCCCXLv. Zu jeder ‚Ursache‘ führt Nausea mehrere Bibelstellen als Beleg an. 228  A. a. O., fol. CCCCXLv. 229  A. a. O., fol. CCCCXLIr. 230 Ebd. 231  Vgl. a. a. O., fol. CCCCXLIv : „Dann es ist warlich nichts bessers vnd statthafftigers / zu der gewißmachung vnserer berüffung vnd erwelung zu dem ewigenn leben / dan[n] das Gottselig leiden vnsers lieben Herrn / vnd die gedechtnuß vnd betrachtung desselbigen.“ 227 

3  Friedrich Nausea153



sion sowie herzlichem Mitleiden geprägte Betrachtung sei nicht zu trennen von der Wirkung derselben in Werken: „das wir mit hertzen / mit mundt / mit werck dancksagenn vnserm erlöser. So wir solichs werden thun / so werden wir ware Christen sein / so wir jn Christum auff die weiß werden lieb haben / der vns auch also geliebt hatt.“232 Die ‚allein‘ durch wahrhafte Meditation des Leidens Christi entstehende Liebe zu Christus sei das letztlich Entscheidende, da ‚allein‘ in Christus und seinem Kreuz „verborgen seind alle schätz aller weißheit vnnd kunst tugendt vnd tröstung“233 (vgl. Kol 2,3). (3.) Schließlich führt Nausea an einigen Begebenheiten aus, wie und warum Christus so sehr gelitten hat – „grösser vnd herber […] dan[n] alles leiden vn[d] marter aller mertern“.234 Dies sei u. a. deshalb der Fall, da bei Jesus Christus aller Spott und alle Folter auf ein unschuldiges, sündloses und reines Herz235 sowie „das aller seligst / das reinigst vnnd das zertlichst“236 Fleisch getroffen sei. 3.3.3 Resümee Der Mainzer Domprediger Nausea sieht anscheinend in den Verwerfungen diverser passionsfrömmigkeitlicher Praktiken seitens der reformatorischen Bewegung samt der von Luther vorgetragenen theologischen Kritik an der Orientierung der Passionsbetrachtung am Mitleiden mit Christus die Bedeutung des Leidens Christi und deren intensiver Meditation fundamental angegriffen. Die Ausführungen der ‚Vorreden‘ – diese sind vor der Lesung der Passionsgeschichte an Karfreitag situiert – stehen ganz und gar in der Tradition der zeitgenössischen Passionstheologie und -frömmigkeit. Dennoch – oder gerade deshalb – stützt sich Nausea zur Begründung der Tradition nicht auf diese selbst, d. h. auf den faktischen Usus der Kirche, oder ihre autoritativen Lehrer, sondern ausschließlich auf die biblischen Schriften. Er begegnet der evangelischen Kritik insofern mit deren Mitteln als diese immer wieder anprangerte, dass überkommene Menschensatzungen und -gebräuche gegen die ‚klaren‘ Worte der Schrift stünden. 232 Ebd.

233  Das Zitat im Zusammenhang (ebd.): „Warlich diese liebe zu Christo Jesu / die allein entstehet vnd erwechst auß steter Gottseliger betrachtung seines heiligen leidens / ist der ware weg / durch den man gehet / die ware pfort durch die man kompt zu dem gewünschten vnd begertem endt. […] Dann wo ist doch anderßwo vnser rhum / vnsere hoffnung vnnd die frewde vnsers hertzen / dann allein inn dem einigen / höchsten / frömesten Jhesu Christo / vnd in seinem creutz / das ist / inn dem aller köstbarlichsten schatz seines vnschuldigenn leidens vnd sterbens / in dem verborgen seind alle schätz aller weißheit vnnd kunst tugendt vnd tröstung. Dann di ware betrachtung ietzbemelten heiligen leidens / macht auß dem vngelertsten den aller gelertertsten / vnd macht meister auß den vnerfarnen / jha ich sag / meister / nitt der kunst / die da auffblest zu hoffart / sonder der liebe die da bessert.“ 234  A. a. O., fol. [CCCCXLIIv] (im Druck fälschlich CCCXLIIC]. 235  Vgl. a. a. O., fol. CCCCXLIIIr. 236  A. a. O., fol. [CCCCXLIIv] (im Druck fälschlich CCCXLIIC].

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

Demgegenüber argumentiert Nausea: Das Mitleiden mit Christus ist genuiner Bestandteil sowohl der (prophetischen) Anweisung Jesu Christi zum Umgang mit seiner Passion (Klgl 1,12) als auch des Glaubens und der Lebenspraxis des Apostels Paulus, von der selbstverständlichen Anteilnahme unter Gliedern eines Leibes (1 Kor 12) und den mitleidsvollen Regungen sogar der unvernünftigen Natur in der Todesstunde ganz zu schweigen. Der vonseiten der Gegner vorgebrachte Einwand, in Lk 23,28 verbiete Jesus den Frauen paradigmatisch die compassio, kann durch die Unterscheidung eines rechten, wahren, christlichen Mitleidens und eines ungläubigen, bloß auf Weltliches gerichteten Mitleidens entkräftet werden. Letzteres habe Jesus den Frauen vorgeworfen. In der Passionsbetrachtung kein Mitleid zu empfinden, könne einzig als Hartherzigkeit und mangelnde Dankbarkeit gegenüber dem Erlöser verstanden werden. Da schließlich auf dem Mitleiden mit Christus ‚heute‘ die Verheißung auf Wandel in Freude und ewige Seligkeit liege (Röm 8; 2 Tim 2), muss die Anleitung zur rechten Passionsbetrachtung als Anleitung zur rechten compassio vollzogen werden.

4  Georg Witzel Georg Witzel (1501–1573)237 ist der wohl bedeutendste rekonvertierte Theologe der Reformationszeit.238 Nach der schulischen Ausbildung in Schmalkalden, Eisenach und Halle studierte der aus Vacha (bei Eisenach) stammende Witzel ab 1516 für zwei Jahre in Erfurt. 1520 kam er für einen mehrmonatigen Aufenthalt nach Wittenberg, erhielt im folgenden Jahr – auf Anraten seines Vaters – die Priesterweihe und wurde Vikar und Stadtschreiber in seinem Geburtsort. Nach seiner Hochzeit 1523 zog er nach Eisenach und erhielt in der Nähe (WenigenLüpnitz bzw. Wenigenlupnitz) als reformatorisch gesinnter Prediger eine Pfarrstelle, die er jedoch im Zuge des Bauernkrieges verlassen musste. Auf Empfehlung Luthers239 bekleidete er fortan die Pfarrstelle im nördlich von Wittenberg gelegenen Niemeck. Dort betrieb Witzel eigene Hebräisch- und Kirchenväterstudien. Nach fünf Jahren und einigen Zwischenfällen, in denen Witzels Rechtgläubigkeit im Sinne der reformatorischen Bewegung in Zweifel gezogen wurde, verließ er Niemeck und wandte sich gegen die Lehre Luthers und seiner Anhänger.240 237  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bäumer, Witzel; Henze, Liebe, 13–27; Henze, Art. Witzel; Mennecke-Haustein, Art. Witzel; Scheible, Art. Witzel; Trusen, Reform, 8–39. 238  Zum Konversionsbegriff in der Reformationszeit vgl. K aufmann, Konvertiten, wobei dort das (freilich verhältnismäßig seltene) Phänomen der Rekonversion nicht betrachtet wird, da sich Kaufmann in der Analyse auf Reformatoren beschränkt. 239 Vgl. Luther an Kurfürst Johann am 11.11.1525, in: WA.B 3, 615 (Nr. 945). 240  Über die Gründe herrscht keine eindeutige Klarheit; ekklesiologische Fragen dürften aber eine wesentliche Rolle gespielt haben (vgl. Henze, Liebe, 19–21). Auf Anfragen Witzels



4  Georg Witzel155

4.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Eine neue Anstellung erhielt der rekonvertierte und verheiratete Priester dank des Grafen Hoyer VI. von Mansfeld 1533 an der Andreaskirche in Eisleben, wo Witzel für die Seelsorge der wenigen verbliebenen Altgläubigen zuständig war und auch vermehrt literarisch tätig wurde. Auch seine Postille mit der darin enthaltenen Passionsauslegung entstand in Eisleben. Im Vorwort zu der auch separat gedruckten Passionsauslegung schreibt Witzel über die Entstehungssituation: „Zu diesem Passional hat mich am allermeisten verursacht vnd bewegt meiner Widderpart harte feindschafft. Den[n] dieweil mir am heilige[n] Freitag in der Martyrwochen […] alhie zu Eisleben in der Pfarrkirchen / so dieser zeit meiner sorge vertrawet / fur den Aposten (welche zum volck beide zeit vnd stete eingenom[m]en) die heilige Passion offentlich zu predigen nicht gepüren kann / vnd ich doch auch nicht gern solch Gut werck vnterlassen wolt / nam ich mir fur im Namen des Herren / das jhenig zu schreiben / so ich aus pflichten des Pfarreampts wol predigen solt / aber aus hindernüs der Secten nicht kundt / do mit die Schreibfedder erstattet / das dem Munde noch zur zeit gewehret wirt.“241

Die Postille Witzels wurde in drei Bänden 1537, 1538 und 1539 in Leipzig bei Nikolaus Wolrab unter dem Titel Homiliaticum Opus. Postillen oder Predigtbuch gedruckt und enthält sowohl Epistel- als auch Evangelienauslegungen für die Sonntage des Kirchenjahres.242 Der Druckort ist dabei kein Zufall, denn seit 1538 wirkte Witzel am Hof Herzog Georgs von Sachsen als dessen Berater. Der Herzog wollte Witzels Postille – auf dessen Vorschlag – als Alternative zu den im Umlauf befindlichen Postillen Luthers und Anton Corvins243 den Pfarreien des albertinischen Sachsens flächendeckend zur Anschaffung vorschreiben, um sie als Standardwerk in seinem Territorium zu etablieren.244 Doch schon im folgenden Jahr, am 14. April 1539, starb Herzog Georg und das Erbe trat sein jüngerer Bruder Herzog Heinrich an, der inzwischen Anhänger der Reformation und Mitglied des Schmalkaldischen Bundes geworden war. Der Herrschaftswechsel betraf unmittelbar die Biographien Witzels und seines Druckers Wolrab, da direkt nach dem Ableben Herzog Georgs die Wittenberger Theologen sowie der an Melan­chthon und Justus Jonas über das Missverhältnis der ‚Kirche Wittenbergs‘ zur ‚Kirche Jerusalems‘ reagierte ersterer ausweichend und letzterer gar nicht. 241  Witzel, Martyrologion, fol. A2r–v. 242  Band 1: VD16 W 3937; Band 2: VD16 W 3938; Band 3: VD16 W 3940. Die zweite, bereits 1539 gedruckte Auflage trägt den veränderten Titel Homiliae Orthodoxae (VD16 W 3939). Der Prediger Witzel ist bislang noch kein Gegenstand der Forschung gewesen. Arbeiten zu Witzel beschäftigen sich in der Regel mit dessen Ansichten zur Ekklesiologie, Kircheneinheit und Kirchenreform (z. B. Henze, Liebe; Thompson, Ecclesiology; Trusen, Reform). Bei Diez, Reform, 64–67 finden sich im Rahmen der Darstellung von Witzels Kirchenreformbemühungen immerhin drei Seiten zu dessen Vorschlägen zur Erneuerung der Predigt. 243  Zu Corvins Postille vgl. Frymire, Primacy, 77–85. 244 Vgl. Richter, Schriften, 39; Trusen, Reform, 20 f.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

ernestinische Kurfürst Johann Friedrich bemüht waren, den Postillendruck zu stoppen und gegen die Verantwortlichen vorzugehen.245 Trotz des Befehls, die Stadt nicht zu verlassen, floh Witzel aus Leipzig. Wolrab, der den Druck der Postille – die Erstauflage umfasste nach dessen Auskunft 3000 Exemplare246 – entgegen anderslautender Anordnung vollenden wollte, wurde gefangen genommen. Unter Mithilfe der Wittenberger Theologen und des ernestinischen Kurfürsten führte Herzog Heinrich kurz darauf von Leizpig aus auch im albertinischen Sachsen die Reformation ein. Die Postille erlebte dennoch weite Verbreitung: Sie wurde ins Lateinische übersetzt und erschien bis 1571 in insgesamt zehn Auflagen.247 4.2  Zum Charakter der Passionsauslegung Der zweite Band der Postille Witzels beginnt mit einer 78 Blätter (d. h. 156 Druckseiten) umfassenden „Passion Predigt / durch die gantze Marterwochen“248 – gegliedert nach den Geschehnissen am Abend (ab dem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern), in der Nacht (ab den Ereignissen in Gethsemane) und am kommenden Tag (ab Jesu Überführung von Kaiphas zu Pontius Pilatus) entlang einer Evangelienharmonie.249 Wenn Witzel hier von ‚Predigt‘ spricht, dann ist dies nicht im Sinne der schriftlichen Fassung einer im Gottesdienst vorgetragenen mündlichen Rede zu verstehen,250 denn die umfangreiche und gelehrte Auslegung der Passionsgeschichte geht weder unmittelbar auf gehaltene Predigten zurück, noch möchte sie beispielhafte Predigten bieten. Sie ist zum Lesen für die Gläubigen und als Grundlage für die Ausarbeitung eigener Passionspredigten durch die Priester gedacht.251 245 

Dazu grundlegend Vetter, Flucht. Vgl. a. a. O., 301. 247  Frymire, Primacy, 516 nennt neun Auflagen; doch offenbar hat er die Bibliographie Richters von 1913 nicht wahrgenommen, in der sechs deutsche (Richter, Schriften, 36–43 [Nr. 39]) und vier lateinische Auflagen (a. a. O., 68–73 [Nr. 62]) gelistet sind. 248  Witzel, Postillen, fol. [1r]. 249  Vgl. ebd.: „Den[n] wir wöllen ewer andacht keine trewme oder vnwarhafftigs gedicht vnd fabeley sagen aus vnserm kopffe / sondern die Passion / das ist / Christi leiden predigen / wie es alle vier Euangelisten / S.  Mattheus / S.  Marcus / S.  Lucas / vnd S.  Joannes beschrieben haben / nach dem sie es zum teil selbs gesehen / vnd in[n] der wahrheit erfaren / wie denn dis vnser heilige Glaube fest helt.“ 250  Es entspricht freilich einem weiten Begriff von ‚Predigt‘, wie ihn auch Hans-Jochen Schiewer gattungstypologisch im Zusammenhang mittelalterlicher religiöser Prosa charakterisiert (Schiewer, Sermons, 863): „The sermon as a text type or genre can be distinguished from other types of religious prose only through signals of orality within the text.“ 251  Folgende Aspekte sind in dieser Hinsicht von Belang: (1.) In der Vorrede zum Separatdruck der Passionsauslegung hat Witzel angegeben, er sei von seinen Gegnern am Predigen gehindert worden, sodass er nun schriftlich ausgearbeitet habe, „so ich aus pflichten des Pfarreampts wol predigen solt / aber aus hindernüs der Secten nicht kundt / do mit die Schreibfedder erstattet / das dem Munde noch zur zeit gewehret wirt“ (Witzel, Martyrologion, fol. A2v). (2.) Die fortlaufende Auslegung der Passionsgeschichte von über 150 Druckseiten hebt sich formal 246 



4  Georg Witzel157

(1.) Stilistisch ähnelt Witzels Ausarbeitung ein Stück weit der dritten Passionsauslegung in Ecks Postille:252 Über weite Strecken ist die Auslegung sprachlich verhältnismäßig nüchtern gehalten. Es werden Hintergründe der Geschehnisse beleuchtet und ihr Zusammenhang erklärt. Immer wieder geht Witzel auf sprachliche Aspekte der griechischen und hebräischen Urtexte ein, wodurch sein philologisches Interesse deutlich wird.253 Um der Veranschaulichung willen baut Witzel Worte Jesu zu ausführlicheren, erklärenden Reden aus. Regelmäßig werden aus den konkreten Geschehnissen allgemeine Lehren abgeleitet. Dabei handelt Jesus meist exemplarisch für ein rechtes christliches Leben. (2.) Die Auslegung Witzels lebt von der Auslegungstradition, in der sie steht. Oft werden mögliche Auslegungen und Bedeutungsvarianten anhand verschiedener Autoritäten und Kirchenväter dargelegt. Auffälligerweise spielt Theophylakt als Kommentator – wie schon in Ecks dritter Auslegung – eine herausragende Rolle, daneben Hilarius, Origenes und Cyrill, aber auch Chrysostomus, Hieronymus, Ambrosius und Augustin. Was fehlt, ist die gesamte zeitgenössische erbauliche Passionsliteratur – nicht einmal Bernhard von Clairvaux wird zitiert. (3.) Ähnlich wie bei Eck werden zwar diverse allegorische Deutungen vorgestellt, ihre Relevanz scheint jedoch erheblich geringer als diejenige der vom Literalsinn abgeleiteten Lehren. Um dies an einem Beispiel zu veranschaulichen: Zu der Szene in Gethsemane, in der Jesus das von Petrus abgeschlagene Ohr des Malchus heilt (vgl. Joh 18,10), führt Witzel aus: „lernen sollen Christen alhie / das was Jesus geboten / habe er auch selbs gehalten. Geboten hatt er den feinden gut zuthun / Matth.v.Roman.xij. vnd hie thut ers selbs / vns zum Exempel / Joan.xiiij.“254 Anschließend zählt er diverse Varianten auf, wie das Ohr des Malchus „von den alten Theologen allegorizirt“255 wurde, wobei nacheinander Origenes, Hieronymus, Augustin, Ambrosius, Hilarius und Theophylakt zu Wort kommen, ohne dass Witzel zwischen mehr und weniger angemessenen Deutungen unterscheidet. Es folgen Überlegungen über die Unterscheidung des ‚eisernen Schwertes‘ und des ‚Schwertes des Geistes‘ anlässlich Jesu Anweisung deutlich von den je ca. 7 bis 15 Druckseiten umfassenden Predigten über Epistel- und Evangelientexte an den Sonntagen, welche die Postille enthält, ab. (3.) Obwohl auch in anderen Predigten hin und wieder kurze lateinische Zitate eingeflochten sind, ist die Häufigkeit und besonders die Länge lateinischer (Kirchenväter-)Zitate in der Passionsauslegung auffällig. Witzel scheint bei der Erarbeitung der Auslegung diverse Kommentare vor Augen gehabt zu haben. (4.) Verschiedentlich gibt es textinterne Hinweise nach der Art (Witzel, Postillen, fol. LXIIIv): „Welche stück alle jhre geistliche bedeutung haben / Vnsere priester mögen solchs in der Veter bücher selbst suchen vnd lesen.“ 252  S. o. Kapitel III.2.2.4. 253  Witzel hatte sich 1538 vor seiner Berufung an den Hof Herzog Georgs von Sachsen auf eine Hebräischprofessur in Erfurt beworben. Die Besetzung wurde durch Wittenberger Intervention jedoch verhindert (vgl. Bäumer, Witzel, 126 f.). 254  Witzel, Postillen, fol. XXXVr. 255 Ebd.

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an Petrus, das Schwert wieder in die Scheide zu stecken (vgl. Joh 18,11). Die Pointe formuliert Witzel schließlich als Lehre an die Leser gerichtet: „Das schwerdt gebüret dir nicht zu tragen zur rach der bösen leute / Nimstu es aber eigener gewalt / vnd wilt dein selbs richter vnd rächer sein / so wirt ein ander vber dich kommen / dem das schwerdt befolhen ist / vnd dir thun / das du einem andern thetest.“256

Zur Plausibilisierung wird noch angefügt: „Die Jüden namen das schwerdt wider recht / darümb musseten sie hernach durch der Römer schwerdt vmbkomen etc.“257 (4.) In passionstheologischer Perspektive ist ein Abschnitt am Beginn des dritten Teils von Bedeutung, in dem Witzel einige grundlegende Worte zur Passionspredigt und -betrachtung ausführt. Dabei zeigen sich Witzels Ausführungen ganz den traditionellen Pointen der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit verpflichtet:258 Das Christenherz soll zunächst (affektiv) durch Betrachtung des ‚unschuldigen und heilsamen‘ Leidens Christi zum Mitleiden bewegt werden.259 Die Vergegenwärtigung dessen, dass all dies ‚um unseret willens‘ geschehen sei, hat dabei affektsteigernde Funktion.260 Darüber hinaus soll ‚durch Gottes Wirkung‘ jedoch auch (effiktiv) eine ‚Besserung‘ des Lebens und eine ‚Stärkung‘ im eigenen Leiden folgen.261 (5.) Eine deutliche theologische Akzentuierung kann in Witzels Auslegung dahingehend festgestellt werden, dass er wiederholt betont, es seien ‚unsere‘ Sün256 

A. a. O., fol. XXXVv.

257 Ebd.

258 Die Ausführungen Witzels entsprechen ziemlich genau dem, was Martin Elze ausgehend von Jordan von Quedlinburg und Ludolf von Sachsen für spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit als wesentlich herausgearbeitet hat: den zweifachen Bezug des Betrachtenden auf die Passion, nämlich affektiv durch compassio und effektiv durch imitatio (vgl. Elze, Passion). Dies entspricht auch den beiden hauptsächlichen Quellen, aus denen sich nach Ulrich Köpf die spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit gespeist habe: die auf affektiv-emotionale Meditation orientierte Tradition Bernhards von Clairvaux und die auf tätige Kreuzesnachfolge im täglichen Leben orientierte Tradition des Franz von Assisi (vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 725–727). 259 Vgl. Witzel, Postillen, fol. XLVIr: „Den[n] ein Christen hertz sollte sich warlich des vnschuldigen vnd heilbaren leidens Christi Jesu auffs mechtigst annemen / vnd des gleich ein mitleiden vnd mitwehethun haben vnd fülen.“ 260  Vgl. ebd.: „Es ist jhe vmb vnsert willen geschehen / was da geschehen ist / Dasselbig gleuben wir / vn[d] darümb sol es vns billich rüren.“ 261  Vgl. im Zusammenhang ebd.: „Hoffe doch / ewer andacht werde von der geringheit vnserer Homilien mit euch / durch Gotes wirckung / nicht allein etwas beweget vber dem erlittenen leiden Jesu / sondern auch gebessert / weil jhr solches in ewers hertzen Tafel einschreibet / vnd dardurch im glauben der Passion befestiget / auch hiruon zur gedult gleiches leidens gesterckt werdet.“ Allein die Formulierung ‚durch Gottes Wirkung‘ ist ein starkes Argument gegen die  – aus der Perspektive reformatorischer Kritik vorgetragene  – These Elzes, das besondere Problem der spätmittelalterlichen Passionsfrömmigkeit bestehe darin, dass der affektive und effektive Aspekt der Passionsbetrachtung grundsätzlich „von ihm [dem Betrachtenden, J. R.] aufzubringen[]“ (Elze, Passion, 134) sei. Zur Auseinandersetzung damit s. o. Kapitel II.2.4.3 Anm. 247.

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den, um derentwillen Jesus Christus leidet und stirbt. Dies fomuliert er dann auch in der Form der Anrede an die Leser gerichtet, z. B. bei Jesu Gebet in Gethsemane: „Ach es sindt meine vnd deine sünde / bruder / die diesem edln Herrn den schweis abiagen. Vnser aller Sünde lagen jm auff dem hals / Satan wolt jn vnd sein reich zu grund vnterdrücken / Der todt wolt vngetödt sein / vnd dis must doch geschehen / Darwider vermochten alle Creature[n] nichts. Solchs aber solt dieser Jesus allein ausfressen / vnd als der recht Hercules alexicacos so grosses vn[d] ewiges vnglück von vnsern helsen treiben.“262

Liegt in diesem Zitat der Akzent auf dem siegreichen Christus, dem Überwinder von Sünde, Teufel und Tod, so kann Witzel an anderen Stellen noch deutlicher und in eindringlichem Ton darlegen, dass an Christi Leiden abzulesen sei, was man selbst als Sünder hätte leiden müssen263 – sodass die Sündenerkenntnis als Selbsterkenntnis im Spiegel des Leidens Christi als ein wesentliches Ziel der Passionsbetrachtung anzusehen ist. Kann in dieser Hinsicht eine Übereinstimmung mit Luther festgestellt werden, so besteht eine Differenz darin, dass für Witzel die compassio mit Christus kein dem entgegenstehender, sondern ein ihm entsprechender und deshalb angemessener Weg der Passionsbetrachtung darstellt. Das Mitleiden mit Christus und das Erschrecken über die eigene Sündhaftigkeit 262 

A. a. O., fol. XXXv. Vgl. a. a. O., fol. XLIIIIv : „Bedencket hie jhr gleubigen / was ein iglichs sey. Vergleichet die verfolger mit dem verfolgten. Sehet an / als ob es für ewer augen geschehe / auff das euchs wol wol [sic] zu hertzen gehe. Dein seligmacher wirt verspott / Dein meister wirt verspeyet / Dein Herr wird geschlagen / Dein Gott wirt viel hönischer gehalten / weder nie kein mensch auff erden. Dis höre / dis verstehe / dis betrachte / wer du bist / der du dich für einen sünder erkennest. Vnsere sünde sinds / lieben brüder vn[d] schwester / vnsere sünde sinds / sage ich / die Gottes Son hirzu bracht haben. Hetten wir von Adam vnd Heua zeit her nicht gesündiget / so hett dieser vnschuldig ia onsündig Jesus Christus nicht gelitten. An diesem leiden / das so manigfeltig ist / sehen wir / wie vngerecht / wie schuldig / wie sündig wir seyen / vnd zuuoran gewest.“; a. a. O., fol. LXXIv : „O Mensch / O adams geschlecht / hie schlag an deine brust / vnd betracht diesen abscheid. Hie henget das höhiste gut am holtz / Hie lest sich blos sehen die ewige weisheit / Hie tregt ein Creütz den Schatz der welt. Da stirbt der Son Gottes. O Sünder vnd Sünderin / Da stirbt der Son des allerhöhisten / der König des hymels / der Herr des erdreichs / vnd stirbt am Creütz als ein vbeltheter / zwischen den vbelthetern / in so grosser schmach vnd schand. Darzu hastu vnd ich / O Menschen kindt / diesen gerechten Man bracht. Vnsere misse­ thaten sind vrsach dieses grossen leids. Hie wirt war das Sacramentwort / Dis ist mein Leib / der für euch vbergeben wirt / Dis ist mein Blut welchs vergossen wirt für viele / zur vergebung der Sünden. Da verstehestu nu / was der Herr mit diesen vberheiligen worten meyne / weils hie für augen ist. Hie ist gegründet der artikel vnsers durchleüchtigsten hochlöblichen Glaubens / Er hat gelitten vnter dem Pontio Pilato / Er ist gecreütziget / gestorben vnd begraben. Ach las dirs zu hertzen gehen / las dein inwendiges erfaren / wie wir menschen / wir sünder / schult haben an diesem Vnschuldigen Tod. Wir solten am creütz hangen vn[d] sterben / ia in der helle brennen vnd braten / sihe / so kame dieser vnser Herr Jesus Christus / trate ins mittel der welt / vnd sprach / Jch will bezalen / was ich nicht geborget habe / noch schuldig bin / Jch will in frembde schult treten / Jch will alles schlecht machen / Jch will wider fried anrichten / vnd alles auff ein gut ende bringen. O jhr gleubigen bedencket das / vnd lasset euch diesen dienst wolgefallen.“ 263 

160

III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

als Grund dieses Leidens stehen für Witzel nicht wie für Luther einander gegenüber, sondern gehören zusammen. Dies zeigt sich auch in den expliziten Referenzen Witzels auf die Anhänger der reformatorischen Bewegung. 4.3  Bezugnahmen auf die aktuellen ‚Widersacher‘ Bezugnahmen auf und Auseinandersetzungen mit den aktuell bedrängenden Gegnern, den Lutheranhängern,264 sind relativ selten in der Passionsauslegung enthalten: Auf über 100 Druckseiten finden sich lediglich sechs bzw. sieben meist kurze Verweise.265 Dies fällt insofern auf, als Witzel in der Vorrede des Separatdrucks explizit geschrieben hatte, dass die „harte feindtschafft“266 der ‚Widersacher‘ Grund für die Abfassung gewesen sei. Durch diese ‚Sekten‘ – ebenso wie durch die ‚Türken‘ – versuche Satan, die nötige „Reformation der kirchen“267 zu verhindern. 4.3.1  ‚Wir Catholici‘ bedrängt von ‚Sekten‘ In den meisten ‚Widersacher‘-Referenzen spiegelt sich die biographische Situation Witzels in Eisleben: Umringt und bedrängt von der neuen ‚Sekte‘ müssen die Anhänger der ‚Kirche‘ ausharren. Wie Luther und seine Anhänger die Unterdrückungs- und Verfolgungsszenarien der Passionsgeschichte auf sich unter den mächtigen geistlichen (Papst und Bischöfe) und weltlichen (Kaiser und Fürsten) Herrschern beziehen, genauso sieht Witzel sich selbst und die ‚katholische’ Kirche bedrängt von der ‚Sekte‘, „die itzt Deutschlandt frisset“.268 Die alles entscheidende, ekklesiologische Trennlinie verläuft für ihn zwischen den „Catholici (welche billich allein Christen geheissen sindt)“269 und den „Ketzern vnd Kirchstürmern“,270 den ‚Sekten‘ bzw. den ‚Widersachern‘271. Insofern kann Witzel Christus und die Juden – sie hätten ihn aus Neid und Hass verfolgt – auf die gegenwärtige Situation applizieren, in der die ‚Ketzer‘ die Verfolger darstellen.272 Ebenso würden immer noch die Unschuldigen widerrechtlich und mit bewuss264 

S. o. Kapitel III.4.1. Witzel, Postillen, fol. XLr; fol. XLIv ; fol. XLIIIr; fol. LIIIv ; fol. LVIr; (fol. LXIXv ;)

265 Vgl. fol. LXXIIIr. 266 

Witzel, Martyrologion, fol. A2r. A. a. O., fol. [A6r]. 268  Witzel, Postillen, fol. XLr. 269  A. a. O., fol. LVIr. 270 Ebd. 271  Vgl. a. a. O., fol. XLIv : „wir Catholici“ und „vnsere widersacher“. 272  Vgl. a. a. O., fol. LVIr (Hervorhebung im Original): „Ach Gott / wie vnserm Christo von[n] Jüden geschehen / also geschichts noch teglich / da vil Christen / besondern die Catholici (welche billich allein Christen geheissen sindt) eben solchs leiden müssen von[n] Ketzern vnd Kirchstürmern. Hass vn[d] neid ist efficiens causa aller trübsal vnd verfolgung. Aber dis zu ferben / wenden sie für was sie nur erdencken künden / domit sie nicht gehalten werden / als die jemand aus has verfolgen wollten / sondern als die aus dem rechten straffen solten. Gott sehe vnd vrteile es. Er thuts / vnd wirts thun / so warhafftig vnd gerecht er ist.“ 267 



4  Georg Witzel161

ten Lügen angeklagt.273 Schließlich bringt Witzel seine eigene Lebenssituation in Verschränkung mit der Passion Christi durch den Trost zum Ausdruck, der aus der vergleichbaren Lage entspringt: „Diese Herodische verachtung vnd verspottung ist vns allen tröstlich / die wir vnter den Secten / als vntern wolffen vnd Scorpionen leben.“274 Hier sei große Geduld von Nöten. 4.3.2  Lachen oder Weinen? In zwei Referenzen geht Witzel auf eine inhaltliche Differenz im Bereich der Passionsauslegung und -betrachtung ein: Als neuralgischer Punkt wird auch von ihm die compassio angesprochen. Mit Blick auf die Verleugnung Christi durch Petrus schreibt er: „Grosse sünd foddert grosse rewe. Wie kann aber grosse rewe on bitterlichs weynen vnd heülen sein?“275 Nach Belegzitaten der Kirchenväter Origenes, Hieronymus und Ambrosius wird dies gegen die ‚Widersacher‘ noch einmal bekräftigt: „Weynen nützet dem sünder. Vnd dis glauben vnd leren wir Catholici / ob vns wol vnsere widersacher drümb verlachen vnd verdammen. Der Schrifft exempel felen vns gewislich nicht.“276 Die zweite Stelle, an der Witzel  – wie schon Eck und Nausea  – diese Auseinandersetzung mit der von Luther geäußerten Kritik an der compassio sucht, ist die Schilderung der als Mitleid mit Christus gedeuteten, wunderhaften Ereignisse nach Jesu Tod.277 Als Position der Gegner wird formuliert: „Man sol lachen vnd frölich sein vber Christi tod / predigen itzt ettliche.“278 Das hält Witzel für einseitig und die Verwerfung des Weinens bzw. Mitleidens, wie bereits angesprochen, für falsch. Man müsse notwendigerweise differenzieren: Als vom ewigen Tod Freigekaufte könne man sich tatsächlich des heilsamen Todes Jesu Christi freuen, als Mensch jedoch müsse einem das unschuldige und bittere Leiden zu Herzen gehen – und das umso mehr, wenn erkannt wird, dass die eigenen Sünden Ursache dieses Leidens sind, „welche ia in diesem kleglichen sterbe[n] Jesu bitterlich zubeweynen sind“.279 273  Vgl. mit Bezug auf die falschen Zeugen, die Jesus nach Mt 26,60 f. / Mk 14,56–59 vor dem Hohen Rat angeklagt haben (a. a. O., fol. XLIIIr): „Ach es geschicht noch solchs auff diesen tag / da vnsere hässige widersacher die vnschuldigen auch nicht des verlassen / das doch rechlich verantwortet / vnd sie selbest wissen dass erlogen ist.“ 274  A. a. O., fol. LIIIv. 275  A. a. O., fol. XLIr–v. 276  A. a. O., fol. XLIv. 277  Vgl. a. a. O., fol. LXXIIIr: „Diese vier wunder Gottes [Zerreißen des Vorhangs im Tempel, Erdbeben, Zerbrechen der Felsen und Öffnung der Gräber, J. R.] beweisen diesen vnschüldigen tod des gerechten / straffend alle vngleubige vnd harte hertzen. Wollten sich dieses heiligen Tods die menschen nicht annehmen / vnd betrüben / so thuns die dinge / so weder vernunfft noch leben habe. Die harten felse werden weich / vn[d] erzeigen ettlicher massen jhr betrübnis an / vber dem vnschuldigen Tod Jesu / vnd du fleischern hertz wirst zum stein / stehest da / vnd lest dich dis gros leiden deines Herren nichts anfechten.“ 278 Ebd. 279  Im Zusammenhang (ebd.): „Man sol sich hinfurt des heilsamen Todes Jesu Christi

162

III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

Gerade die letzte Formulierung – dass die eigenen Sünden als Ursache des Leidens Christi in der Passionsbetrachtung zu beweinen seien – zeigt, dass Witzel die gegnerische Position verzerrt wahrnimmt.280 Denn für Luther stellte das Beweinen der eigenen Sünden angesichts des Leidens Christi gerade die Alternative zum Beweinen Christi dar.281 Beide zusammen sind für Witzel jedoch eine Art des Umgang mit der Passion, dem die Freude über die Erlösung komplementär gegenüber steht. Der Umgang mit der Passion erübrigt sich jedoch nicht in der Freude – so die gegen die ‚Widersacher‘ gerichtete Pointe bei Witzel –, sondern das Beweinen, die compassio, wird als elementarer Bestandteil der Passionsbetrachtung gesehen.

5  Zusammenfassender Vergleich Vergleicht man die Passionsauslegungen der Postillen von Eck, Nausea und Witzel sowohl im Allgemeinen als auch spezifisch hinsichtlich ihrer Reaktionen auf die reformatorischen Impulse, wie sie für Luther in Kapitel II dargestellt wurden, so lassen sich weitreichende Gemeinsamkeiten wie auch deutliche Unterschiede feststellen. (1.) Compassio, d. h. in weiterem Sinne: affektive Anteilnahme und Identifikation in der Passionsbetrachtung, und imitatio, also praktische Nachfolge im Sinne des Erduldens (von Leid, Schmach, Verfolgung etc.) und des Ablassens von Sünden, als die theologischen Hauptmotive der Passionstheologie und -frömmigkeit des 14. und 15. Jahrhunderts lassen sich in gleicher Weise bei diesen altgläubigen Predigern des 16. Jahrhunderts feststellen. Ergänzend müsste die Dankbarkeit für den Vollzug des Erlösungswerkes genannt werden, welche sowohl als eigener Aspekt genannt wird als auch als Motivator mit Blick auf eine verstärkte compassio und effektivere imitatio fungiert. (2.) In der Gestaltung der Passionspredigten unterscheiden sich Eck und Witzel von Friedrich Nausea hinsichtlich der Autoritätenverwendung. Während letzterer in ‚Vorrede‘, Auslegung und ‚Beschlussrede‘ lediglich mit Bibelzitaten billich frewen / als dardurch wir vom ewigen tode erkaufft sind / Nichts deste weniger sol vns dennoch auch das vnschuldig vnd bitter leiden zu hertzen gehen / als menschen / Wir weren denn vnmenschen / vn[d] nicht von menschen geborn / sondern aus steinen gesprungen. Vber das / das vns auch kein grosse freüd sein kan / wenn wir bedencken die vrsachen dieses erbermlichen sterbens / nemlich vnser sünde / welche ia in diesem kleglichen sterbe[n] Jesu bitterlich zubeweynen sind.“ 280  An Veit Dietrich zeigt sich, dass im reformatorischen Kontext Luthers Auslegung von Lk 23,28 durchaus in die Richtung weiterentwickelt werden kann, die Witzel kritisiert (s. u. Kapitel IV. 4.2.1 bei Anm. 216). Bei Dietrich hat die Anweisung Christi gewissermaßen eine doppelte Pointe: Weinen solle man über sich selbst bzw. die eigenen Sünden, fröhlich sein solle man dagegen über die durch Christi Leiden und Sterben vollbrachte Vergebung der Sünden. Die zweite Pointe begegnete in Luthers Auslegung von Lk 23,28 noch nicht. 281  S. o. Kapitel II.2.4.



5  Zusammenfassender Vergleich163

arbeitet, finden sich bei den anderen beiden zahlreiche Zitate von Kirchenvätern und Autoritäten. Bei diesem mitunter dichten Geflecht an Zitaten, in dem die Grenzen zwischen Zitat und eigener Darlegung zum Teil fließend sind, fungieren die herangezogenen Autoritäten als eine Art Deutungsraum für die Auslegung der Passionsgeschichte. Zu differierenden Erklärungen und Auslegungen, die vorgestellt werden, setzen sich die Autoren  – mitunter auch deutlich kritisch – ins Verhältnis; besonders allegorische Deutungen werden in der Regel als mögliche Vertiefungen präsentiert, ohne dass zwischen richtig und falsch abgewogen wird. In der Auswahl der Autoritäten ist wiederum zwischen der ersten Passionsauslegung Ecks, die zwischen 1512 und 1514, also erheblich früher entstanden ist, einerseits und den anderen beiden Auslegungen Ecks aus der zweiten Hälfte der 1520er Jahre sowie der Auslegung Witzels andererseits zu unterscheiden. Während in dem Frühwerk Ecks neben den Kommentaren der Kirchenväter auch die zeitgenössisch populäre Andachtsliteratur der Passionsfrömmigkeit herangezogen wird, verschwindet diese bis auf Bernhard von Clairvaux in seinen späteren Arbeiten. Witzel bezieht sich auch nicht mehr auf jenen. (3.) Luther fokussierte die Passion unter der Perspektive des ‚für uns‘ bzw. ‚um unseretwillen‘ bzw. ‚um unserer Sünde willen‘ 282 Geschehenen. Dies zu erkennen – das heißt, sich selbst als Sünder zu erkennen, für den Christus gestorben ist, um die Sünde aus der Welt zu schaffen, über die Gott zürnt – bildete das erste der beiden Hauptmotive seiner Anleitung zur Passionsbetrachtung, die er als grundlegende Korrektur an der überkommenen Theologie und Frömmigkeit verstand. Er formulierte die Erkenntnis und den ihr entsprechenden Affekt des Erschreckens im Gegensatz zum Mitleiden mit Christus. Die biblische Erkenntnis, dass das Leiden und Sterben Jesu Christi ‚für uns‘ geschehen sei, wird von allen drei altgläubigen Predigern – mal mehr und mal weniger deutlich – betont. Die Funktion dieses Topos im jeweiligen Verwendungszusammenhang entspricht dabei den theologischen Grundgedanken von Dankbarkeit, Mitleid und Nachfolge: Mit Blick auf Dankbarkeit und Mitleid hat der Verweis darauf, dass Christus ‚um unseretwillen‘ gelitten hat, affektsteigernde und mit Blick auf 282  Die genannten Formulierungen werden im 16. Jahrhundert im Wesentlichen semantisch deckungsgleich verwendet, können aber auch verschiedene Schwerpunktsetzungen bekommen, insbesondere wenn sie kombiniert auftreten (z. B.: ‚für uns und um unserer Sünde willen‘) oder nur einzelne Aspekte des Erlösungsgeschehens betrachtet werden. Grundsätzlich bezeichnen sie die Antwort auf die Frage nach der ‚Ursache‘ (im Sinne von lateinisch causae [s. o. Kapitel III.3.3.2 Anm. 222]) des Leidens Christi, wozu sowohl die menschliche Sünde als Grund als auch die Erlösung von dieser und die ewige Seligkeit als Zweck gehören; sie verweisen also auf den soteriologischen Gesamtzusammenhang. Biblisch gründet die Formulierung ‚für uns‘ bzw. ‚für unsere Sünde‘ eher in den paulinischen Aussagen zum Kreuzestod Jesu Christi (vgl. z. B. nach Vulgata Röm 5,8[Vg.: 9]; Röm 8,32: jeweils „pro nobis“; Gal 1,4: „pro peccatis nostris“), die Formulierung ‚um unseretwillen‘ bzw. ‚um unserer Sünde willen‘ im jesajanischen Gottesknechtslied (vgl. nach Vulgata Jes 53,5: „propter iniquitates nostras“; „propter scelera nostra“). Beide Aussagen wurden als sachlich identisch angesehen, da Jes 53 als Figur der Passion Jesu Christi gelesen wurde.

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III.  Altgläubige Reaktionen (1530–1540)

die Nachfolge motivierende Funktion. Das von Luther betonte Erschrecken über die eigene Sündhaftigkeit, die am Leiden Christi abzulesen ist, wird jedoch als Aspekt der compassio und nicht als Gegensatz zu dieser verstanden. (4.) In den Passionsauslegungen aller drei Postillen finden sich Reflexe auf reformatorische Impulse und alle stimmen darin überein, dass die ‚Ketzer‘ mitsamt ihren Ansichten zu verwerfen sind. Die Art der Entgegnung fällt dennoch sehr unterschiedlich aus. Johannes Eck begnügt sich mit eher formalen Ketzerverweisen, ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung zu führen. Thematisch betrifft dies diverse Ansichten der ‚Neuchristen‘, auf die bei entsprechenden Stellen warnend verwiesen wird. Friedrich Nausea dagegen fokussiert in beiden ‚Vorreden auf die Passion‘ die compassio als Kernelement der Passionsfrömmigkeit in ausführlicher Auseinandersetzung mit der Kritik durch die aktuellen kirchlichtheologischen Gegner allein auf biblischer Grundlage. Georg Witzel wiederum kommt angesichts seiner biographischen Lage erstaunlich selten auf Luther und seine Anhänger zu sprechen, wobei sich in den wenigen Verweisen diese lebensweltliche Situation – umringt und bedrängt durch die Gegner – spiegelt. Die einzige inhaltliche Debatte führt auch er in Bezug auf die compassio. (5.) Die Hauptkritik Luthers an der zeitgenössischen Passionstheologie und -frömmigkeit, dass das Mitleiden mit Christus ‚unfruchtbar‘ und ‚unnütz‘ sei, wurde von Nausea und Witzel als Angriff auf ein Kernelement der Passionspredigt wahrgenommen, auf das es zu reagieren galt, um die Kritik zu widerlegen. Bei beiden altgläubigen Predigern entspricht die Darstellung der Gegenposition freilich nicht deren Selbstverständnis: Nach Nausea und Witzel werde von etlichen gelehrt, anstatt des Weinens und Trauerns über Christus habe man zu lachen und sich zu freuen über die Erlösung. Luther selbst setzte jedoch an die Stelle des Weinens und Trauerns über den unschuldigen Menschen Christus das Weinen und Trauern über sich selbst als Sünder aufgrund der Erkenntnis, dass Christus ‚um unseretwillen‘ gelitten hat. Diese Erkenntnis wiederum wurde von Nausea wie von Witzel als ein Aspekt in der Anleitung zum Mitleiden in der Passion formuliert. Auf einer analytischen Metaebene ist demnach festzustellen, dass die jeweilige Kritik an der Gegenposition insofern an deren Selbstverständnis vorbeigeht, als der Kernpunkt des Streites von beiden Seiten unterschiedlich bestimmt wurde und das als fehlend Kritisierte bei den Gegenparteien in jeweils anderem Zusammenhang verortet war. Wenn Luther kritisierte, dass Christus bloß wie andere unschuldig Leidende beweint werde, sodass das Proprium ‚für uns‘ abhanden kommt, so ist zu beachten, dass in altgläubigen Passionsauslegungen erstens immer vorausgesetzt wurde, dass es sich nicht um irgendeinen unschuldigen Menschen handelt, sondern um den Erlöser, der aufgrund ‚unserer‘ Sünde leidet, was Dankbarkeit und Mitleid bzw. dankbares Mitleid erregen müsste und dass zweitens die von Luther anstelle dessen geforderte Betrachtung des Leidens Christi als Spiegel – in dem zu erkennen ist, wie es um ‚meine‘ Seele steht und



5  Zusammenfassender Vergleich165

was ‚ich‘ hätte erleiden müssen  – bei altgläubigen Predigern als Teil der compassio verhandelt wurde. Umgekehrt ist der affektiv-identifikatorische Zugang zum Leiden Christi über Weinen und Trauern angesichts der Passion bei Luther nicht eliminiert, sondern von Lk 23,28 ausgehend gewissermaßen transformiert in das Erschrecken über sich selbst aufgrund der Erkenntnis dessen, dass Christus ‚um meiner Sünde willen‘ dies alles erlitten hat. Diese Klärung auf einer analytischen Metaebene gilt unbeschadet der zum Teil deutlich unterschiedlichen Akzente und der Differenzen im Bereich der Passionstheologie und -frömmigkeit, wie sie in den Kapiteln II und III dargestellt geworden sind.

IV. Etablierung und Erweiterung im Wittenberger Lager (1540–1550) 1 Einleitung Luthers volkssprachliche Postillen, die in den 1520er Jahren erschienen, provozierten um 1530 die ersten altgläubigen Postillen als aktuelle Alternativen.1 Auf evangelischer Seite schien der Markt mit dem Erfolg der Predigtbücher Luthers zunächst gesättigt. In den 1530er Jahren wurde aus dem Wittenberger Lager lediglich die Kurtze Auslegung des Anton Corvin publiziert, ein ehemaliger Franziskaners, der seit 1529 die Pfarrstelle im hessischen Witzenhausen an der Werra innehatte2 und der später in religionspolitischen Angelegenheiten verschiedentlich von seinem Landesherrn Philipp von Hessen in Dienst genommen wurde.3 Die große Verbreitung der Postille lässt darauf schließen, dass Corvin gewissermaßen in eine Marktlücke stieß:4 Im Gegensatz zu der später als Kirchenpostille bezeichneten Sammlung von ausführlichen Auslegungen und Predigten Luthers waren die Auslegungen Corvins – wie im Titel angegeben – tatsächlich ‚kurz‘ und auf die wesentlichen theologischen Kerngedanken einer Perikope reduziert, inhaltlich dabei nahe an Luther.5 Damit bewirkte die Postille von Corvin in mediengeschichtlicher Perspektive anfänglich sowohl eine Erweiterung des Postillenfeldes als auch gleichzeitig eine Etablierung dieser Gattung über Luthers Werke hinaus. Ebendies kennzeichnet auch die weiteren Postillen, die aus dem der Wittenberger Kirchenrefombemühung entsprungenen Lager stammten und vor den einschneidenden Ereignissen von Luthers Tod und dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg 1546/47 entstanden. Sie etablierten die Gattung der Postille (als Auslegungen der sonn- und feiertäglichen Perikopen des Kirchenjahres) gerade dadurch, dass sie keine der Postillen Luthers gleiche Form 1 

Vgl. dazu das vorangehende Kapitel III. Stupperich, Art. Corvinus, 216; Corvinus, Auslegung. 3  Am ausführlichsten ist nach wie vor die Biographie samt Bibliographie von Tschackert, Corvinus. Zur Postille vgl. a. a. O., 20 f. und 201. 4 Vgl. Frymire, Postils, 79–85. 5  Während sich Corvin mit der Evangelienpostille (1535) zum Teil bis in den Wortlaut an Luthers Postille anschloss, legte er die Perikopen in der Epistelpostille (1537) erheblich selbstständiger aus (vgl. Tschackert, Corviniana, 25 f. No. VI). 2 Vgl.

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IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

wählten und somit verschiedene Adressaten und Verwendungszusammenhänge bespielten. Mit Johann Spangenbergs Postille ‚für die jungen Christen, Knaben und Mädlein, in Fragestücke verfasst‘ von 1543 wird der Rahmen der Predigtliteratur in einem engeren Sinne gesprengt und der Bereich der Katechetik und des (schulischen wie häuslichen) Unterrichts forciert.6 Die Postille Melan­chthons von 1544 besitzt gegenüber Luther, Corvin und Spangenberg die Besonderheit, dass sie zunächst nicht in deutscher, sondern in lateinischer Sprache erschien – eine volkssprachliche Übersetzung wurde freilich unmittelbar angefertigt. Seine den sonn- und feiertäglichen ‚Hauspredigten‘ entstammenden Auslegungen waren einerseits kürzer als diejenigen Luthers, wirkten andererseits (zumindest der Form nach und mit dem Namen des Praeceptor Germaniae versehen) gelehrter als diejenigen von Corvin und Spangenberg. Als Wittenberger Autorität neben Luther wurde auch seine Postille, die er jedoch weder gewollt noch selbst angefertigt hat, ein Erfolg.7 Auch die von Veit Dietrich ebenfalls 1544 herausgegebene Hauspostille Luthers – die im folgenden Jahr um seine eigenen Passionspredigten erweitert wurde, weshalb sie in diesem Kapitel besprochen werden –, wollte kein Ersatz der Kirchenpostille sein, sondern in ihrer relativen Kürze durch Adressierung der weniger gebildeten Landpfarrer (und Hausväter) einen weiteren Leserkreis abdecken.8 Nicht nur auf mediengeschichtlicher, sondern auch auf der inhaltlichen, passionstheologischen Ebene passen die Stichworte Etablierung und Erweiterung. Denn wie im Folgenden gezeigt wird, hat Luther mit den im Passionssermon von 1519 aufgezeigten theologischen Grundlinien die Bahnen gelegt, auf denen sich Spangenberg, Melan­chthon und Dietrich bewegen. Damit etablierte sich eine bestimmte Weise der Passionsbetrachtung und -auslegung. Gleichzeitig erweiterten die umfangreicheren Passionsauslegungen v. a. Spangenbergs und Dietrichs diesen Bereich innerhalb der Postillenliteratur evangelischer Provenienz, wobei freilich auch deren eigene Prägungen und Überzeugungen einflossen. Um dies zu veranschaulichen und zu konkretisieren, werden die Postillatoren und ihre Passionsauslegungen wiederum in einem Dreischritt präsentiert. Auf die Kontextualiserung der Postillenveröffentlichung folgt eine überblicksartige Charakterisierung der Passionsauslegungen und -predigten, an deren Ende jeweils der Blick auf die Rolle v.a der altgläubigen Gegner im Zentrum steht. Jeweils im dritten Teil wird sodann spezifisch gefragt: Inwiefern bildete sich eine ‚typisch lutherische‘ Passionsauslegung – im Sinne der Orientierung an Luthers Impulsen  – heraus? Welche je eigenen Akzente setzten die Autoren innerhalb dieser Tradition? Am Ende des Kapitels werden die Passionsauslegungen wiederum zusammenfassend verglichen. 6 

S. u. Kapitel IV. 2.1. S. u. Kapitel IV. 3.1. 8  S. o. Kapitel II.3.1 sowie unten Kapitel IV. 4.1. 7 



2  Johann Spangenberg169

2  Johann Spangenberg Johann Spangenberg (1484–1550)9 gehörte zur ersten Generation der Reformatoren und damit zu jenen, die noch nicht in Wittenberg bei Luther und Melan­ chthon studiert hatten.10 Seine akademischen Studien absolvierte er ab Herbst 1508 in Erfurt, wo er den Magistergrad erlangte und dem Humanistenkreis angehörte.11 Genauere biographische Informationen finden sich ab Anfang der 1520er Jahre, als Spangenberg eine Stelle als Rektor der Lateinschule sowie als Mittagsprediger in Stolberg innehatte. Da auffiel, dass er evangelisch predigte, bekam er 1524 einen Ruf auf die Pfarrstelle an St. Blasii in der freien Reichsstadt Nordhausen.12 Dort etablierte sich die reformatorische Bewegung zunehmend und der städtische Rat forcierte diese Richtung durch aktive Einflussnahme bei der Pfarrstellenbesetzung. Mit der Berufung Spangenbergs waren im April 1524 alle drei Stadtkirchen mit Anhängern der Reformation besetzt.13 Im September 1524 wurde der beschrittene Weg durch ein Mandat der Stadt abgesichert, demzufolge alle Pfarrer und Seelsorger verpflichtet seien, „Das gotlich wort Eyntrechtig Nach vormuge Des heiligen Euangelij vnd biblischer apostolischer schrift hinfurt(er) zup(re)digenn“.14 9  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Fauth, Art. Spangenberg; K aufmann, Art. Spangenberg; K awerau, Art. Spangenberg, 563–567; Koch, Art. Spangenberg. 10  Kolb, Enduring Word, 10 fasst das Gruppengefüge der ersten Generation wiefolgt zusammen: „A broad spectrum of colleagues, students, and also enthusiasts who had not studied in Wittenberg (such as Johann Spangenberg, Friedrich Myconius, Johannes Brenz, Paul Spera­ tus, and even Andreas Osiander) received impulses from Wittenberg for their thinking and acted together to support the spread of Luther`s writings. Despite differences at varying points of their own reform efforts, to a significant extent they shared common teachings, methods, and goals in their interpretation of Scripture and their practice of church life and plans for society, common enough to justify grouping them together. That does not at all mean that they did not exhibit differences in expression and emphasis. Nonetheless, they regarded themselves as disciples of Luther, and most recognized a great debt to Melan­chthon and their colleagues in Wittenberg. They supported one another, and even when they disputed, they argued about how best to pursue a common cause.“ Über die Art und Weise, wie Spangenberg die Passion in den Spuren Luthers auslegt und welche eigenen Akzente er setzt, wird in diesem Kapitel Auskunft gegeben. 11  Da Luther ab Herbst 1508 auf Empfehlung von Stauptiz in Wittenberg studierte, sind sich wohl beide in Erfurt nicht mehr begegnet. Es gibt jedenfalls keine Zeugnisse einer Begegnung oder Bekanntschaft aus dieser Zeit. 12 Die Reformationsgeschichte Nordhausens ist gut erforscht; vgl. Koch, Geschichte; Kohnle, Stadt; zum städtischen Kontext in dieser Zeit vgl. Kuhlbrod, Nordhausen. 13 Vgl. Koch, Geschichte, 60 f. 14  Stadtarchiv Nordhausen, II Na 29, 148 (zitiert nach Koch, Geschichte, 72). Die gängige Bezeichnung einer offiziellen ‚Einführung der Reformation‘ durch das zitierte Predigtmandat, hat Ernst Koch einer eingängigen Prüfung unterzogen und er kam zu dem Schluss (a. a. O., 74), „dass es nicht zutreffend [ist], dass das Ratsmandat mit der ‚Einführung der Reformation‘ in Nordhausen identisch ist. Vielmehr lässt die Beobachtung auch der weiteren Aktivitäten des Rats den Schluss zu, dass es einen solchen Akt nie gegeben hat. Das Ratsmandat sicherte wich-

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IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

2.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Nordhausen blieb – trotz verschiedener Berufungen15 – für 22 Jahre die Hauptwirkungsstätte Spangenbergs. Hier gestaltete er nicht nur die kirchliche, sondern insbesondere auch die schulische Neuordnung der Stadt maßgeblich mit: Zunächst unterrichtete er selbst, später war er als Verfasser zahlreicher Bücher für den unterrichtlichen Gebrauch wirksam.16 Spangenberg ging es nicht um inhaltliche Originalität, sondern um gute Vermittlung der Inhalte, was er methodisch durch die Frage-Antwort-Form zu erreichen gedachte. Dies zeigt sich neben einigen Lehrbüchern auch an seinen theologischen Hauptschriften, die allesamt Anfang der 1540er Jahre erschienen: Zunächst die sog. Margarita theologica (1540) – eine „durchaus eigenständig[e]“17 Bearbeitung von Melan­chthons Loci communes in Frage-Antwort-Form,18 die in lateinischer, deutscher, englischer, dänischer und schwedischer Sprache erschien;19 sodann gab er Luthers großen Katechismus in Frage-Antwort-Form heraus (1541)20 und schließlich 1543/44 ein mehrbändiges Postillenwerk in eben dieser Form. Interessanterweise hat Spangenberg auch Erbauungsschriften so gestaltet, z. B. seine weit verbreitete Ars moriendi unter dem Titel Ain new Trostbüchlin (1542).21 Entsprechend führt Spangenberg in der Widmungsvorrede des ersten Bandes seiner Postille selbst aus, dass er sich durchaus bewusst sei, dass es neben den existierenden Postillen Luthers, Anton Corvins oder Johannes Brenz’ eigentlich keiner weiteren bedürfe.22 Daher habe er selbst unter Nutzung eben jener die Auslegung der Sonntagsevangelien „zur täglichen übung / nach dem Catechismo / für die jungen Christen / Knaben vnd Meidlin / in Frag verfasset“.23 Diese explizite Ausrichtung auf tige Voraussetzungen für die Durchsetzung der Reformation in der Stadt, ohne zu einer durchgreifenden Maßnahme zu werden. Übergangsphänomene auf dem Weg zum Sieg der Reformation gab es noch lange Zeit. Die Fortexistenz des Stifts St. Crucis als Institution lässt sogar fragen, ob von einer wirklichen Durchsetzung der Reformation in Nordhausen überhaupt gesprochen werden kann.“ 15  Berufen wurde Spangenberg etwa 1542 zum Superintendent Magdeburgs als Nachfolger von Nikolaus von Amsdorff oder 1543 an die geplante Hohe Schule in Königsberg. 1546 wechselte Spangenberg dann doch auf die Stelle des Generalsuperintendenten der Grafschaft Mansfeld nach Eisleben, wohin ihn Luther auf seiner letzten Reise empfohlen hatte, auf der Luther verstarb. Spangenberg starb vier Jahre später ebenfalls in Eisleben. 16 Vgl. Koch, Geschichte, 125–141. 17  Köpf, Anfänge, 205. 18 Vgl. Spangenberg, MARGARITA THEOLOGICA. 19 Vgl. Fauth, Art. Spangenberg, 871. Dieser Schrift wurde eine besondere Wirkung dadurch zuteil, dass in der Württembergischen Kirchenordnung von 1559 geregelt war, dass dem Superintendenten des herzöglichen ‚Stipendiums zu Tübingen‘ die Aufgabe oblag, eine wöchentliche Vorlesung über die Margarita theologica Spangenbergs zu halten (vgl. Köpf, Anfänge, 203–207). 20 Vgl. Spangenberg, Catechismus. 21 Vgl. Spangenberg, Trostbüchlin. 22 Vgl. Spangenberg, Postilla, fol. 3v. 23 Ebd.

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den Unterricht der Jugend ‚dem (Kleinen) Katechismus entsprechend‘ lässt es fraglich erscheinen, ob die Postille von Spangenberg ursprünglich überhaupt für Pfarrer zur Predigtvorbereitung gedacht war – wie Luthers Vorrede suggeriert, in der er die Bedeutung der guten und gewissenhaft vorbereiteten Predigt darlegt.24 Eher dürfte der schulische und häusliche Kontext im Blick gewesen sein.25 Der erste Teil des Postillenwerkes, dessen zitierte Widmungsvorrede auf den 10. März 1542 datiert ist,26 wurde 1543 in den Orten Wittenberg, Leipzig und Augsburg gedruckt.27 Es handelt sich um eine Sonntagspostille mit Auslegungen der Evangelienperikopen im Kirchenjahr in zwei Bänden: Advent bis (exklusive) Ostern und Ostern bis (exklusive) Advent. Der ‚Winterteil‘ dieser Postille enthält die Passionsauslegung, die in Kapitel IV. 2.2 und IV. 2.3 analysiert wird. Im folgenden Jahr 1544 wurde sowohl die Sonntagspostille um Auslegungen der Epistelperikopen erweitert28 als auch Evangelienauslegungen für die kirchlichen Festtage veröffentlicht.29 Posthum gab Philipp Melan­chthon 1553 noch Auslegungen der Epistelperikopen für die Feiertage heraus, wodurch das Postillenwerk komplett war. Von da an erschienen v. a. Gesamtausgaben der Spangenbergschen Postille. Über die Verbreitung der Postille schrieb Paul Tschackert Ende des 19. Jahrhunderts im Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie: „Der Erfolg dieses Werkes war ein geradezu bewundernswürdiger; es erlebte eine Auflage nach der andern vom 16. bis in das 18. Jahrhundert hinein, wurde in das Lateinische und in das Plattdeutsche übersetzt und ist neben Luther’s beiden Postillen das verbreitetste Predigtbuch des Reformationszeitalters gewesen. (Die Abdrücke sind nicht zu zählen.)“30

Versucht man mithilfe des VD16 die Drucke dennoch zu zählen und vergleicht die Auflagenzahl der Postillen Luther und Spangenbergs mit denjenigen anderer Autoren, so bestätigt sich die Vermutung Tschackerts:31 Die Evangelienpostille samt Passionsauslegung kommt allein im 16. Jahrhundert (1543–1599) auf ca. 65 Auflagen, davon 53 in deutscher und niederdeutscher Sprache, acht lateinische Ausgaben sowie drei tschechische und eine slowenische Übersetzung.32 Darin enthalten sind ca. 24 Gesamtausgaben, die ab 1553 im Verhältnis 24 

Vgl. a. a. O., fol. 1v–2v (bzw. WA 53, 213–218). Dies wird zudem dadurch bestätigt, dass Spangenberg etwa bei der Margarita theologica auf dem Titelblatt explizit die kirchlichen Mitarbeiter und Verkündiger des Wortes adressiert: „continens praecipuos locos doctrinae christianae, per quaestiones, breviter et ordine explicatos, omnibus Pastoribus, verbi preconibus et ecclesiae ministris summe utilis et necessaria“. 26 Vgl. Spangenberg, Postilla, fol. 3v. 27  In dieser Arbeit wird nach dem Augsburger Druck zitiert. 28 Vgl. Spangenberg, Auslegung. 29 Vgl. Spangenberg, Postilla […] Festen. 30  Tschackert, Art. Spangenberg, 45. 31  Es sollte jedoch angesichts der katechetischen Ausrichtung der Postille Spangenbergs eher nicht von einem ‚Predigtbuch‘ gesprochen werden. 32  Den Einzelnachweis dieser Ausführungen bietet Anhang 1. In dieser Zahl noch nicht mit 25 

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zu Einzelausgaben die Regel darstellen.33 Als Druckorte ragen bis 1549 Augsburg und ab 1550 Nürnberg heraus sowie über die gesamte Zeit Frankfurt/Main. Es fällt auf, dass in der Buchmessestadt mit einer Ausnahme sämtliche lateinische Ausgaben gedruckt wurden. Ebenfalls mehrere Drucke erschienen in Wittenberg, Erfurt und – insbesondere niederdeutsche Ausgaben – in Magdeburg. Einzelne Drucke wurden zudem in Leipzig, Marburg, Dortmund, Lemgo und die slowenische Übersetzung ohne Verfasserangabe in Regensburg hergestellt. Ein Vergleich mit anderen Postillen des 16. Jahrhunderts verdeutlicht die Bedeutung derjenigen des Nordhäuser Reformators: Einzig Luthers Hauspostille kommt auf eine noch höhere Auflagenzahl, seine umfangreiche Kirchenpostille bleibt dagegen hinter der Spangenbergschen zurück.34 In Sachen Verbreitung folgt auf Luther und Spangenberg die ‚Kurze Auslegung‘ von Anton Corvin (erstmals 1535 gedruckt)35 mit ca. 42 Auflagen,36 deren Absatz allerdings mit dem annähernd zeitgleichen Erscheinen von Luthers Hauspostille, der Postille Spangenbergs und derjenigen Melan­chthons – die mit 23 deutschen und lateinischen Auflagen in der Rangfolge auf Corvin folgt37 – Mitte der 1540er Jahre stark zurückging. Ansonsten liegen die Spitzenwerte sowohl auf evangelischer als auch auf altgäubiger Seite bei ca. zehn bis fünfzehn Auflagen; der Durchschnitt ging nicht über drei bis vier Auflagen hinaus.38 So lässt sich zusammenfassend feststellen, dass aus der Feder Johann Spangenbergs die neben Luther am weitesten verbreitete Postille des 16. Jahrhunderts stammt – wobei es sich dabei weniger um ein Predigt-, sondern eher um ein katechetisches Unterrichtsbuch handelt. 2.2  Erzählung und Erklärung der Passion in Frage und Antwort 2.2.1  Die enthaltene Passionsauslegung Der Inhalt des umfangreichen Abschnitts „Vom leiden Christi.“39 wird in der ersten Frage und Antwort angekündigt: „Was ist nötig zusagen vom leiden Christi? Sechsserlay. Die vrsach des tods Christi. Die zeit / Stett / personen / die geschicht / der gebrauch / oder die frücht deß leidens Christi.“40 Die Abschnitte

enthalten sind die weiteren zahlreichen Einzeldrucke der Evangelien-Festpostille, der EpistelFestpostille, der Kombination beider und der Epistel-Sonntagspostille. 33  Die genaue Zahl ist, wie in der einleitenden Bemerkung in Anhang 1 vermerkt, mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. 34  S. o. Kapitel II.1 sowie Frymire, Primacy, 535–548. 35 Vgl. Corvinus, Auslegung. 36 Nach Frymire, Primacy, 477. 37  Vgl. a. a. O., 495. 38  Vgl. die umfangreiche Auflistung a. a. O., 454–516. 39  Spangenberg, Postilla, fol. CXVIv–CXXXIXv. 40  A. a. O., fol. CXVIv.

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über (2.) die Zeit,41 (3.) die Orte42 und (4.) die Personen43 der Passionsereignisse werden als bloße Wissensfragen lediglich kurz angesprochen. Den eigentlichen Hauptteil bilden die Erzählung, Erklärung und Auslegung (5.) der ‚Geschichte‘ in chronologischer Reihenfolge entsprechend einer Harmonie der kanonischen Evangelien,44 die in klassischer Weise nach den zuvor genannten Handlungsorten gegliedert ist. Die Teile über (1.) ‚Ursache‘ und (6.) den ‚Gebrauch‘ bzw. die ‚Früchte‘ des Leidens Christi enthalten zusammengenommen die zentralen passionstheologischen und -hermeneutischen Fragen, die für gewöhnlich in Anleitungen zur Passionsbetrachtung  – wie Luthers Passionssermon von 1519  – behandelt werden. Für Spangenberg dienen diese Abschnitte – offenbar aus didaktischen Gründen  – als Rahmen, in dem als Einleitung zunächst grundsätzlich darlegt wird, warum Christus leiden musste, während abschließend die Applikation fokussiert wird. Anhand dieser Fragen kann besonders gut gezeigt werden, wie sich der Nordhäuser Reformator auf den durch Luther gelegten Gleisen bewegt und dabei dennoch einen bemerkenswerten Akzent setzt.45 2.2.2  Zu Erzählung und Deutung der ‚Geschichte‘ In seiner Postille hat Spangenberg zu jedem Sonntag nach der Bezeichnung des Sonntags im Kirchenjahr und der Stellenangabe der Perikope den Bibeltext abgedruckt, bevor dieser durch Fragen und Antworten ausgelegt wird. Das Vorgehen ist bei der Passionsgeschichte insofern anders, als kein Bibeltext als Gegenüber zur Auslegung gesondert abgedruckt ist. Vielmehr hangelt sich auch die Erzählung der biblischen Geschichte von Frage zu Frage. Somit gibt es weder zwischen Zitation des Bibeltextes und freier Nacherzählung, noch zwischen Bibeltext und Auslegung klare Grenzen; die Übergänge sind jeweils fließend.46 Anders ausgedrückt, handelt es sich um eine durch die didaktische Form erzielte Verflechtung von vorgegebener Geschichte, ihrer Erklärung und vergegenwärtigender Deutung. In der Regel zeigt die Fragestellung jedoch an, ob die Passionsgeschichte weitererzählt wird,47 ob Lehren aus dem Erzählten gezogen werden,48 ob Aspekte erklärt werden49 – wobei zu den Erklärungen häufig auch 41 

Vgl. a. a. O., fol. CXVIIr. Vgl. a. a. O., fol. CXVIIr–v. 43  Vgl. a. a. O., fol. CXVIIv. 44  Vgl. a. a. O., fol. CXVIIv. 45  S. u. Kapitel IV. 2.3. 46  Zu unterscheiden ist allerdings zwischen der biblischen Passionsgeschichte und Zitaten aus dem Alten Testament oder den neutestamentlichen Briefen, die in der Auslegung als Zitat mit Stellenangabe ausgewiesen werden. 47  Z. B. a. a.O., fol. CXXIIr: „Was ist im Hauß Cayphe geschehen?“; a. a. O., fol. CXXIIIr: „Was antwortet Christus?“; a. a. O., fol. CXXVIr: „Was thun die Juden mit Christo frü morgens?“ 48  Z. B. a. a.O., fol. CXVIIIv : „Was sollen wir auß disem Exempel Petri leernen?“; a. a. O., fol. CXIXr: „Was wills vns leeren / das Christus wachet vnd bettet / vnd die Jünger schlafen?“ 42 

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Aktualisierungen auf die Gegenwart gehören – oder ob allegorische oder geistlich-theologische Deutungen vorgetragen werden.50 Die ‚Geschichte‘ ist, wie bereits erwähnt, anhand der fünf Hauptwirkungsstätten untergliedert, die jeweils durch eine eigene Zwischenüberschrift gekennzeichnet sind: „Vom Garten.“,51 „Vom hauß Cayphe.“,52 „Vom Richthauß Pilati.“,53 „Vom berg Caluarie / Schedelstett / vnd Creütz.“54 und „Vom Grab Christi.“55 Darüber hinaus gibt es innerhalb der Golgatha-Szenerie einen weiteren, durch eigene Überschrift gekennzeichneten Abschnitt: „Von mitleidung der Creaturen.“56 Es geht dabei um die den Tod Jesu begleitenden, wunderhaften Ereignisse, wie sie in den Evangelien, besonders dem Matthäusevangelium, geschildert werden.57 Auffallend ist an dem Abschnitt weniger die Auslegung als solche – nacheinander wird erklärt, was die Ereignisse bedeuten –, sondern die zitierte Überschrift.58 Denn dass es sich bei alldem um ein ‚Mitleiden der (unvernünftigen) Kreatur‘ mit Christus handle, war eines der Hauptargumente, die von altgläubiger Seite gegen Luthers Kritik an der compassio vorgetragen wurde – und Spangenberg hat diese Kritik Luthers selbst positiv rezipiert.59 Offenbar war ihm die Bezeichnung ‚Mitleid der Kreatur‘ für die Wunder um Jesu Tod so geläufig und unanstößig, dass er sie bei gleichzeitiger Verwerfung dessen, dass man in der Passionsbetrachtung Christus wie andere unschuldige Menschen beweint, beibehalten konnte. Zudem ist nicht erkennbar, dass sich Spangenberg in einer spezifisch passionstheologischen Kontroverse befand. 49  Z. B. a. a.O. fol. CXXIIr: „Was haißt Cayphas?“; a. a. O., fol. CXXVv : „Warumb zerreisset der hohe Priester seine klaider?“; a. a. O., fol. CXXVIIr: „Hülfft sein beichten vnd büssen nicht?“; a. a. O., fol. CXXXVIr: „Warumb begraben sy jn im Garten?“ 50  Z. B. a. a.O., fol. CXXIIIIr: „Was bedeüt der Han?“; ebd.: „Was ist das wainen Petri?“; a. a. O., fol. CXXXVIIv : „Was bedeüt das grab Christi?“ 51  A. a. O., fol. CXVIIv–CXXIv. 52  A. a. O., fol. CXXIv–CXXVIr. 53  A. a. O., fol. CXXVIr–CXXXIr. 54  A. a. O., fol. CXXXIv–CXXXVr. 55  A. a. O., fol. CXXXVr–CXXXVIIIr. 56  A. a. O., fol. CXXXIIIr–CXXXIIIIr. Das Ende ist nicht als solches gekennzeichnet; es wird lediglich durch eine entsprechende Frage („Was thet dieweyl der Hauptmann / vnd die bey jm waren?“) der Erzählfaden wieder aufgenommen. 57  Die Finsternis von der sechsten bis zur neunten Stunde (Mt 27,45/Mk 15,33/Lk 23,44 f.); das Zerreißen des Vorhangs im Tempel (Mt 27,51/Mk 15,38/Lk 23,45); ein Erdbeben; das Zerreißen von Felsen; das Öffnen von Gräbern und die Auferstehung ‚vieler Heiliger‘, die nach Jesu Auferstehung nach Jerusalem gingen (alles Mt 27,51–53). 58  Es kann im Übrigen ausgeschlossen werden, dass die Überschrift nicht von Spangenberg stammt, sondern vom Drucker eingefügt wurde, da ebenfalls 1543 eine andere (inhaltlich freilich in vielem ähnliche) Passionsauslegung aus Spangenbergs Feder bei einem anderen Drucker (Michael Lotter in Magdeburg) erschienen ist, in der sich die Formulierung ebenfalls als Zwischenüberschrift findet (Spangenberg, historia, fol. D3r): „Hie folget nu das mitleiden der creaturen.“ 59 Vgl. Spangenberg, Postilla, fol. CXXXVIIIr (s. u. Kapitel IV. 2.3); ebenso in Spangenberg, historia, B3v.



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2.2.3  Die ‚Papisten‘ in der Sicht Spangenbergs An diversen Stellen geht Spangenberg in der Auslegung der Passionsgeschichte auf die aktuellen altgläubigen Gegner ein.60 Als sich durchziehender Deutungsschlüssel erscheint dabei die Analogie zwischen dem Verhalten von Judas bzw. den Juden (gegenüber Christus) und dem Verhalten der ‚Papisten‘ (gegenüber ‚den Evangelischen‘): „Solche Argument füren die Papisten auch wider die Euan­gelischen […]“;61 „Yetz thun vnser widersacher auch alßo […]“.62 Beispielhaft kann hier etwa die Auslegung des Judaskusses erwähnt werden, denn dieser wiederhole sich gewissermaßen in „Aller Heüchler leere vnnd leben / die vnter dem schein der hailigkait / die albern vn[d] ainfeltigen / verfüren“63 – eine deutliche Anspielung an das Mönchtum, dem von evangelischer Seite stereotyp geheuchelte Heiligkeit vorgeworfen wurde. Auch die reformatorische Kritik am Bußsakrament konnte im Handeln des Judas vorabgebildet gesehen werden. Denn dieser, so legt Spangenberg dar, habe das Bußsakrament durchlaufen und wurde dennoch verdammt. Damit sei deutlich, dass die Wirksamkeit des Sakramentes am Glauben hängt.64 Für das (Kirchen-)Geschichtsbild des Autors ist die letzte Frage mit zugehöriger Antwort der Auslegung der Passionsgeschichte sprechend, in der Spangenberg eine allegorische Deutung des Grabes Christi und seiner Wächter sowie der Auferstehung bietet: „Das Grab Christi / ist die hailige Schrift / in der ruwet Christus Gaistlich. Diß Grab haben die Papisten versigelt mit grossen Römischen bullen der Päbste / Cardinel / vnnd Bischoffe / Vnnd dabey Hüter gelegt / Nemlich die hohen schulen / Stifftbüder vnd Bettelorden / mit jren Orden / Statuten vnd Regeln / mit Aristotele / Thoma / vnd andern Scribenten. Die liessen kainen Junger Christi zum erkantnuß der Schrifft kommen / Biß so lange / das Gott Lob / Christus erstanden ist / Vnd hat die Bullenkramer / vnnd Schrifft hütter / so zu scheüchtert / das sy selbs beken[n]en müssen / Christus sey erstanden / Allain das etliche haben von den Hohen Priestern gelt / Lehen / Prebenden / Thumerey / Probsteyen / Decheneyen / zu lon genom[m]en / die warhait Gots zu schwaigen / vnd lugen zu Predigen / Wider welche die Christenhait ernstlich bitt im 5. Psalm / Das Gott die lugner wölle vmbbringen.“65

60  Diese Abschnitte sind von besonderer Relevanz bei der Neuausgabe der Spangenbergschen Postille im altgläubigen Kontext durch den Franziskaner Johann Craendonch, s. u. Kapitel V. 5. 61  Spangenberg, Postilla, fol. CXXIIIIv. 62  A. a. O., fol. CXXVv. 63  A. a. O., fol. CXXv. 64  Vgl. a. a. O., fol. CXXVIIr: „Wenn der Glaub nicht im hertzen ist / so ist das beichten vmb sonst. Sehet an die Buß Jude / Er beichtet offentlich seine sünde / bringt das blutgelt wider / Thut gnug mit seinem tod / Dannocht wirdt er verdampt / Vrsach / Wie er Got helt / so ist er jm / darumb verzaget er endtlich an Gottes gnaden / vnd erhenckt sich selbs.“ 65  A. a. O., fol. CXXXVIIv–CXXXVIIIr.

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Deutlicher kann eine geschichtstheologische Deutung mit entsprechender Selbstverortung kaum ausgedrückt werden: Die Reformation verhält sich nach Spangenberg zu den Jahrhunderten der Herrschaft des Papsttums in Bezug auf das rechte, christusgemäße Verständnis der Heiligen Schrift wie die Auferstehung Jesu Christi zu dessen Todesruhe im Grab. Nun, da die wahre ‚Erkenntnis der Schrift‘ wieder offenkundig sei, könne nur noch mutwillig und wider besseres Wissen deren Ausbreitung behindert werden  – entsprechend der Leugnung der Auferstehung Jesu Christi. Wenn sich altgläubige Theologen der von den Reformatoren verkündigten Botschaft verwehren und gegen diese agieren, so lautet die Spitze des Vorwurfs dieser aktualisierenden Allegorie, dann handeln sie aus böswilligem Antrieb und bewusst gegen die göttliche Wahrheit. 2.3  Ethischer Akzent in lutherischer Tradition Johann Spangenberg repräsentiert eine ‚lutherische Tradition‘ der Passionsauslegung, die sich anhand einiger Kennzeichen festmachen lässt, wie sie durch Luthers Passionssermon von 1519 vorgegeben sind.66 Luthers Mitarbeiter und Anhänger rezipierten seine frühe und passionstheologisch grundlegende Schrift, kultivierten damit bestimmte Grundzüge der Anleitung zur Passionsbetrachtung und adaptierten deren Inhalte in je eigener Weise. Dies zeigt sich in den entsprechenden Rahmenteilen über (1.) ‚Ursache‘ und (6.) ‚Gebrauch‘ des Leidens Christi in Spangenbergs Postille. Als Ursache der Passion führt Spangenberg aus, dass ‚wir alle‘ durch den Sündenfall Adams und Evas unter der Sünde seien und ‚uns‘ nicht befreien können. „Derhalben mußt Christus kommen / vnd vns / die wir kinder deß zorns waren / widerumb mit dem Hymlischen vatter versünen / vnd alle sünde hinweg nemen / Wie Jsaias am 53. Capit. sagt“.67 Spangenberg fragt zurück, ob man für die Sünde keine Genugtuung leisten könne und er antwortet, dass Christus genug getan hat und man ihm nur vertrauen brauche – das entspricht Luthers Ausführungen.68 Auf die nochmalige Rückfrage, ob man dann nichts Gutes tun könne, gibt Spangenberg zur Antwort, dass gute Werke (a.) gegenüber Gott aus Lob und Dank, (b.) dem Nächsten zur Hilfe und (c.) gegenüber sich selbst zur Abtötung des alten Adam gedacht sind. Auf dieses Thema ist Luther im Passionssermon nicht eingegangen; es entspricht aber dem, was er beispielsweise in seiner Freiheitsschrift dargelegt hat.69 66 

S. o. Kapitel II.2.7. Spangenberg, Postilla, fol. CXVIv. 68 Vgl. WA 2, 140,1–15. 69  Vgl. allein den Aufbau des Sermons Von der Freiheit eines Christenmenschen: Im Anschluss an die Behandlung des inneren Menschen (coram Deo) in den Absätzen 3 bis 18 werden die Werke des äußeren Menschen (coram mundo) in den Absätzen 19 bis 29 thematisiert, und zwar erst mit Blick auf den eigenen Leib, sodann mit Blick auf den Nächstens (vgl. die 67 



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Den Schlussteil beginnt Spangenberg mit Varianten, die allesamt nicht die rechten Wege seien, die Passion Christi „nutzlich zu betrachten“,70 nämlich erstens Judas und die Juden beschimpfen, zweitens Passionsbilder u. ä. als Talisman zum Schutz vor Unheil benutzen, drittens die Passion um des großen Verdienstes willen betrachten71 und viertens Christus als einen unschuldigen Menschen beweinen.72 Abgesehen von der Reihenfolge entspricht dies der Kritik Luthers an der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit in den ersten drei Absätzen des Passionssermons.73 Demgegenüber besteht nach Spangenberg das rechte Bedenken der Passion darin, sich zunächst selbst als Grund des Leidens Christi zu erkennen und dadurch über die eigenen Sünden zu erschrecken, über die Gott derart zürne. Sodann sollen ‚wir‘ „von dem sündtlichen leben absteen / vnnd vns bessern / Das also das leiden Christi / auch würcklich vn[d] thetlich in vns etwas schaffe vnd würcke“.74 Schließlich dürfe man nicht verzagen und verzweifeln angesichts der Sündenerkenntnis, „Sonder du solt sy auff Christum schütten / vnnd glauben festigklich / das er sy hab ans creütz getragen / vnd bezalet“.75 Unter diesen drei Aspekten entsprechen der erste und der dritte – Erschrecken und Glaube – genau den beiden Seiten, die Luther als Betrachtung der Passion Christi als sacramentum ausgeführt hat.76 Die dazwischenstehende ‚Besserung des Lebens‘ gibt es so bei Luther nicht, jedenfalls nicht zwischen dem genannten DoppelGliederungen der Freiheitsschrift bei Rieger, Freiheit, 12–15 und von Dietrich Korsch in: Luther, Freiheit, 166). 70  Spangenberg, Postilla, fol. CXXXVIIIr. 71 An dritter Stelle gibt Spangenberg nicht explizit einen Grund an, sondern lediglich (ebd.): „Ettliche trösten sich des Spruchs / Es sey besser Christus leyden ain mal überhin betrachtet / dann ain gantz Jar zu wasser vnd brot gefastet / vnnd täglich ainen Psalter gebetet.“ Es ist jedoch naheliegend, diesen Spruch vor dem Hintergrund des Verdienstgedankens zu interpretieren, zumal Spangenberg in einer ähnlichen Liste passionsfrömmigkeitlicher Missbräuche – ohne den Spruch zu zitieren – die verdienstorientierte Passionsbetrachtung kritisiert (Spangenberg, historia, fol. B3v): „Etliche machen draus ein verdienstlick Werck / wenn sie die Historien des Leidens lesen / oder dencken / vnd wollen dadurch jhre sunde los sein / vnnd gnad erwerben / Das ist falsch / Denn auch der Teuffel vnd Gottlose menschen / die historien des Leidens Christi wissen vnnd gleuben / Werden doch da vonn nicht besser noch frümer.“ Dass eine solche Einstellung bei der Passionsbetrachtung ‚fruchtlos‘ sei, war auch schon die Kritik Luthers, der diesen Spruch ebenfalls zitiert hat (vgl. WA 2, 136,11–16). 72  Spangenberg zitiert im Zusammenhang der Kritik an der compassio-Frömmigkeit genau wie Luther Lk 23,28 als biblischen Beleg. Interessanterweise geht er innerhalb der Auslegung der Passionsgeschichte an entsprechender Stelle nicht näher darauf ein, sondern interpretiert Lk 23,28 zusammen mit V. 29–31 kontroverstheologisch unauffällig (Spangenberg, Postilla, fol. CXXXIr): „Als wolt er sag[e]n / Lieben kinder / auß meiner marter lernet / wie es eüch geen wirdt […] Fürwar solcher ernster spiegel / wirdt nit schertzen noch schimpffen. Wee den vndanckbarn.“ 73 Vgl. WA 2, 136,3–137,9; dazu s. o. Kapitel II.2.3. 74  Spangenberg, Postilla, fol. CXXXIXr. 75 Ebd. 76  S. o. Kapitel II.2.5.1.

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aspekt und nicht als Ziel der Erkenntnis der eigenen Sünde als ‚Ursache‘ des Leidens Christi. Durchaus prominent begegnet diese Akzentuierung demgegenüber in zeitgenössischen Passionsauslegungen nichtreformatorischer Prägung.77 Darin kann ein bemerkenswerter ethischer Akzent Spangenbergs in den Bahnen lutherischer Passionsauslegung ausgemacht werden.78 Den Schluss bilden konkrete, kasuistisch formulierte Möglichkeiten des praktischen Gebrauchs der Passion: „Wenn dich anficht Hoffart […]“;79 „Ficht die vnzucht an […]“;80 „Ficht dich an kranckhait / trübsal / armut […]“81 etc., wie sie sich auch am Schluss von Luthers Passionssermon als Konkretisierung zur Anwendung und Umsetzung im Alltag finden.82

3  Philipp Melan­chthon Philipp Melan­chthon (1497–1560),83 der Praecaeptor Germaniae und ‚Speaker of the Reformation‘,84 wirkte seit 1518 als Kollege Luthers an der Universität Wittenberg. Obgleich Melan­chthon Zeit seines Lebens vorrangig an der Artistenfakulät tätig war, wurde er 1519 zum baccalaureus biblicus promoviert und hielt seitdem auch Vorlesungen über biblische Schriften an der theologischen Fakultät. Seine Tätigkeit als Bibelinterpret ist gerade auch im Blick auf die Schülergeneration nicht zu unterschätzen.85 Zwischen Bibelauslegung, Theo77  Bei Johannes Eck beispielsweise (s. o. Kapitel III.2.2) begegnete dies als die das Handeln motivierende Funktion des Verweises darauf, dass Christus ‚um unseretwillen‘ gelitten habe, sowohl in der ‚vorreformatorischen‘ Passionsauslegung von 1512/14 als auch in denjenigen der 1520er Jahre. 78 Demgemäß werden die Früchte der rechten Passionsbetrachtung von Spangenberg auch noch einmal am Ende der Passionsauslegung zusammengefasst (Spangenberg, Postilla, fol. CXXXIXv): „Nemlich / rew vnd laid der sünden / warhafftige buß vnd besserung / vergebung der sünden / alle gnade vnd barmhertzigkait / Ain selig stunde / vnd das ewig leben / Amen.“ Bei Luther hat die ‚Besserung‘ zwischen Reue über die Sünde und Vergebung der Sünden keinen Platz, sondern danach als Frucht des Glaubens. Ein Vergleich mit der parallel entstandenen, anderen Passionsbetrachtung Spangenbergs legt nahe, dass er das Ablassen von Sünden (‚Besserung‘) wohl als konstitutives Element oder als selbstverständliche Frucht der wahren Reue bzw. des wahren Erschreckens auffasste (wofür auch die zitierte Formulierung ‚wahrhaftige Buße und Besserung‘ spricht), da dort Erschrecken und Glaube deutlicher als in der Postille in lutherischer Tradition als gegenüberstehendes Dual formuliert werden (vgl. Spangenberg, historia, fol. B4r–v). Ob die zusätzliche Betonung der ‚Besserung des Lebens‘ in der Postille dem Adressatenkreis geschuldet ist, d. h. dass der ethische Akzent für die Erziehung der Jugend gestärkt wurde, kann nur vermutet werden. 79  Spangenberg, Postilla, fol. CXXXIXr. 80  A. a. O., fol. CXXXIXv. 81 Ebd. 82 Vgl. WA 2, 141,13–34; dazu s. o. Kapitel II.2.6. 83  Vgl. zur Einführung Scheible, Melan­chthon; ders., Art. Melan­chthon. 84  So der Titel von Wengert, Speaker. 85 Vgl. Kolb, Enduring Word, 239–262; ders., Influence; Wengert, Commentaries; ders., Art. Kommentare.

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logie und Predigt bestand nicht nur faktisch, sondern intendiert ein enges Verhältnis:86 Theologie hatte sich als Bibelauslegung zu vollziehen und in der Predigt zu bewähren. Prediger bedurften eines Verständnisses des theologischen Gesamtzusammenhangs, welcher sich von dem Kern – Kreuz und Auferstehung Jesu Christi als die zentralen, heilsgeschichtlichen Ereignisse sowie Gesetz und Evangelium als hermeneutisch-theologischer Grundunterscheidung87 – her entfaltete. Dies war für die Predigt insofern von unmittelbarer Relevanz, als Melan­ chthon  – humanistisch-rhetorisch geschult88  – für Auslegung und Predigt die sog. Loci-Methode anzuwenden lehrte, nach welcher eine Perikope nicht lediglich Vers für Vers durchzugehen sei,89 sondern hinsichtlich ihrer theologischen Hauptaspekte (loci communes) auszulegen und zu predigen sei.90 3.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Den Zusammenhang von Schriftauslegung, Theologie und Predigt formulierte Melan­chthon nicht nur theoretisch, sondern führte ihn seit 1522 in seinen 86 Vgl. Wengert, Law, 139: „In the days before it became stylish to pretend that exegesis was pure science or simple description of a long-dead world, the interpreter of scripture, especially evangelical theologians like Melan­chthon and Agricola, thought their task incomplete until they brought the Word of God to bear on issues that confronted them on every side.“ Zu Melan­chthons Verständnis des Wortes Gottes, das demjenigen Luthers sehr ähnlich ist, vgl. Kolb, Enduring Word, 253–257. 87  Die Zentralität der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium für Melan­chthon stellt einen Forschungskonsens dar, wobei die Lehre des dreifachen Gebrauchs des Gesetzes im Verhältnis zu Luther wiederum typisch melanchthonisch ist. Vgl. etwa Dingel, Reformation, 73; Scheible, Melan­chthon, 170 f. und ausführlich Wengert, Law. 88 Vgl. Wengert, Art. Kommentare, 241: „Melan­chthon war überzeugt, dass die rhetorische Aufschlüsselung der biblischen Bücher die biblische Exegese vom scholastischen Würgegriff befreien würde.“ Zu den rhetorischen Schriften Melan­chthons vgl. Weaver, Art. Rhetorik. Auf den grundsätzlich engen Zusammenhang zwischen Lehre und Predigt bzw. den bevorzugt lehrhaften Charakter der Predigt als des rhetorischen genus didascalium macht Stegmann, Beobachtungen, 270–275 aufmerksam. Zur Homiletik Melan­chthons vgl. Schnell, Theorie. 89  Dies unterscheidet Melan­chthons Vorgehen von der Art der eher klassischen Homilie, wie sie etwa auch Calvin in Genf prägte, der das Übergehen einzelner Verse bei der Herausarbeitung des Textskopus bei Melan­chthon kritisierte (vgl. Wengert, Friendship, 42). 90  Eine Zusammenfassung dieses hermeneutischen Zusammenhangs bietet Melan­chthon selbst in der Vorrede zur Postille (Melan­chthon, Postill, [fol. A6v]): „Es kann niemand die stück oder sonderliche Artickel des Euangelions erkleren oder auslegen / er wisse vnd verstehe denn zuuorn zimlich die gantze Lehr. Hat aber nu jemand die gantze Lehr gefasset vnd verstehets / der solle fürsichtig sein vnd vleissig sehen / auff welches stück oder zu welchen Heuptartickel ein jede Historia vnd Predigt im Euangelio sich schicke / zu wenden oder zuziehen sey. Vnd ein jeder Prediger / der dem volck nütz sein will / sol vleis fürwenden / das er auch seine zuhörer vnd Pfarrkinder dahin gewehne / das sie sich befleissen eine gründliche Sum[m] oder ein kurtzen gewissen bericht der gantzen Lere zufassen / vnd die gantze Lehr gleichsam jnn ein Corpus zusamen zuschliessen. Darnach solle er im allen Materien / wo von er redet / seine gantze Predigt jnn etliche Locos oder Heuptstück des gantzen berichts ziehen / vnd soll er wie ein Bawmeister an einem Haus thut vom grund auff heraus füren vnd auffs vleissigest erkleren.“ Der original lateinische Textabschnitt ist ediert in: MBW Texte Bd. 13, Nr. 3546,61–68.

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sonn- und feiertäglichen ‚Hauspredigten‘ (sermones domestici), für die sich die problematische Bezeichnung ‚Sonntagsvorlesungen‘ eingebürgert hat,91 auch exemplarisch für ein akademisches Publikum durch. Die Forschung folgt für die Darstellung dieser Veranstaltungen einem Bericht Matthäus Ratzenbergers (1501–1559), der angibt, Melan­chthon habe für die ausländischen Studenten, die Probleme hatten, die deutsche Sprache zu verstehen, sonntagmorgens auf Latein für eine Stunde Bibeltexte ausgelegt und „die articulos et locos Theologicos gantz artlich secundum methodum Dialecticam“92 behandelt. Mitschriften dieser ‚Hauspredigten‘, bildeten die Grundlage für die Postillen Melan­chthons. 1544 erschien in Frankfurt/Main eine Postille Melan­chthons unter dem Titel In Euangelia, quae usitato more in diebus Dominicis & Festis proponuntur, Annotationes, die noch im selben Jahr in Leipzig und vier Mal in Wittenberg gedruckt wurde.93 Insgesamt erlebte die Postille zu Melan­chthons Lebzeiten 17 Auflagen, wobei zu den bereits genannten Druckorten noch Basel (erstmals 1545) ergänzt werden muss.94 Melan­chthon legt in seiner Widmungsrede an Georg Helt dar, dass er selbst nur mündlich vorgetragen und keine schriftliche Fassung der ‚Hauspredigten‘ (hos domesticos sermones) angefertigt habe; die 91  Dass es sich bei den von Melan­chthon selbst als sermones domestici (in der deutschen Postille übersetzt mit „Hauspredigten“ [Melan­chthon, Postill, fol. A5v]) bezeichneten Reden um akademische ‚Vorlesungen‘ gehandelt habe, wird in der Regel damit begründet, dass es keine „Predigten im eigentlichen Sinne“ (Michel, Sonntagsvorlesungen, 181) seien, da sie nicht im Gottesdienst gehalten worden sind und weil ihnen der spezifische Charakter der Predigt fehle (Schnell, Theorie, 153): „Ebenso ist festzustellen, daß die ursprünglichen Lektionen keinen Predigtcharakter tragen.“ Diese Feststellung ist insofern interessant, als Schnell (ebd.) auch darauf zu sprechen kommt, dass Melan­chthon in den Auslegungen methodisch genau so vorgeht, wie er es „auch in seinen theoretischen Äußerungen zur Homiletik den Studenten mitteilt“. Hier scheint entweder anachronistisch eine spätere Vorstellung darüber eingeflossen zu sein, wie eine Predigt auszusehen habe, oder der Fakt, dass Melan­chthon keine Kanzel im gottesdienstlichen Rahmen bestiegen hat (vgl. dazu Beutel, Praeceptor, 130–134), zu der Schlussfolgerung geführt haben: Melan­chthon predigte nicht, er hielt Vorlesungen. Tobias Jammerthal konnte demgegenüber jüngst die mittelalterliche, Melan­chthon aus Tübingen bekannte Universitätspraxis der collatio – d. h. von theologischen Hochschullehrern an Sonn- und Feiertagen gehaltene lateinische Predigten außerhalb der regulären Gottesdienste innerhalb der universitären Räume mit exemplarischen Charakter für Universitätsangehörige, v. a. Theologiestudenten – als impulsgebenden Erfahrungshintergrund für dessen ‚Hauspredigten‘ wahrscheinlich machen (vgl. Jammerthal, Abendmahlstheologie, 32–37). Es ist also schlicht nicht nötig, die von Melan­chthon praktizierten ‚Hauspredigten‘, die er auch als solche verstand (s. u. bei Anm. 95; anders Schnell, Theorie, 153: „Sie wollen keine Predigten sein“ – jedoch ohne Beleg), zu ‚Sonntagsvorlesungen‘ umzudefinieren – wie sich dies bis in die Beschilderung des Melan­chthon­hauses in Wittenberg durchgesetzt hat. 92  Zitiert etwa bei Buchwald, Postilla, 79 und Michel, Sonntagsvorlesungen, 177 f.; referiert bei Kolb, Enduring Word, 253; Scheible, Melan­chthon, 51. 93  Claus, Bibliographie, Nr. 1544.21, 37, 94, 103.1, 103.2 und 104. Die Ausgabe in CR 14, 161–528 beruht auf dem Druck Wittenberg: Hans Lufft 1549 (VD16 E 4540; Claus, Bibliographie, Nr. 1549.104). 94 Vgl. die Auflistung bei Gössner, Art. Deklamationen, 292. Verschiedentlich erfuhr die Postille einige Überarbeitungen und Erweiterungen; da diese jedoch nicht die Passionsabschnitte betreffen, wird darauf nicht weiter eingegangen.

3  Philipp Melan­chthon181



Veröffentlichung sei gegen seinen Willen geschehen.95 Die sonntäglichen Unterweisungen analog zur gottesdienstlichen Predigt über die entsprechenden Perikopen („lectiones usitates in ecclesia proponere“96) sollten beispielhaften Charakter haben: Die rechte, christliche Auslegung eines bestimmten Bibeltextes sei notwendigerweise von einem umfassenden Verständnis der Hauptstücke der christlichen Lehre abhängig, welche wiederum allein dem Wort Gottes zu entnehmen seien.97 Ziel sei es, dass die Hörer „ad meditationem de virtute omnium summa, id est de agnitione et invocatione dei, assuefierent et alia officia deo grata discerent“.98 Bereits 1545 erschien in Erfurt die von Kaspar Brusch angefertigte Übersetzung Kurtze Postill Herrn Philippi Melan­chthonis, die Grundlage der folgenden Analyse ist. Eine überarbeitete Übersetzung gab 1548 Johannes Pollicarius ebenfalls in Erfurt heraus, die in Nürnberg weitere Auflagen erfuhr.99 Die Übersetzung der Passionsabschnitte blieb dabei unverändert. Eine neue Postille Melan­chthons gab Ende des 16. Jahrhunderts Christoph Pezel heraus, die Postilla Melanthoniana, deren Wirkung im 20. Jahrhundert darauf beruht, dass sie als Bände 24 und 25 in das Corpus Reformatorum aufgenommen wurde. Pezel arbeitete auf Grundlage diverser Mitschriften der sonntäglichen ‚Hauspredigten‘, die wohl v. a. aus den 1550er Jahren stammen – wie aus den bislang wenigen überlieferungsgeschichtlichen Stichproben z. B. von Stefan Michel100 hervorgegangen ist.101 Die Erforschung der sonntäglichen ‚Hauspredigten‘ und die damit zusammenhängenden Entstehungsgeschichten der Postillen Melan­chthons steckt bislang noch in den Kinderschuhen.102

95 Vgl. 96 

MBW Texte Bd. 13, Nr. 3546,44–49. MBW Texte Bd. 13, Nr. 3546,31 f. Kolb, Enduring Word, 253 spricht von „informal ser-

vices“. 97  Vgl. v. a. MBW Texte Bd. 13, Nr. 3546, 38–45.61–68. 98  MBW Texte Bd. 13, Nr. 3546, 32f; Melan­c hthon, Postilla, fol. A5r–v : „damit sie zu betrachtung der aller höchsten tugent / Nemlich / des Gebets der erkendnis vnd anruffung Gottes gewehnet wurden / vnd sie auch andere / dem höchsten Gott angeneme dienst vnd werck lerneten“. 99  Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber 1552 (VD16 E 4595); 1555 (VD16 E 4597); 1561 (VD16 E 4600); Nürnberg: Ulrich Neuber/Dietrich Gerlach um 1565 (VD16 ZV 26923); 1566 (VD16 ZV 5557). 100 Vgl. Michel, Sonntagsvorlesungen, 183–189. Dies deckt sich insofern mit Pezels (ansonsten falscher) Angabe, Melan­chthon habe mit den Auslegungen erst nach dem „bellum Germanicum“ (CR 24,XXIX f.), d. h. dem Schmalkaldischen Krieg angefangen. 101  Die hier vorgenommenen Stichproben bezüglich der Passionsauslegungen bestätigen den Befund; s. u. Kapitel IV. 3.2. 102  Eine kritische Edition der Mit- und Abschriften, die für weitere Forschungen grundlegend wäre, stellt ein Desiderat dar. Sie ist im Rahmen der Opera omnia Melan­chthons geplant. Für diesbezgliche Informationen danke ich Tobias Jammerthal, Rauschenberg.

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IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

3.2  Die Passionspredigten der Postille 3.2.1  Die enthaltenen (Konzepte von) Passionspredigten Der Abschnitt „Am Rustag oder Kahrfreytag / Vom Leiden vnd Sterben vnsers HERRN JHEsu CHristi“ der zu Melan­chthons Lebzeiten erschienenen Postille enthält drei (bzw. vier) Teile: (1.) Zu Anfang steht eine klassische Anleitung zur Passionsbetrachtung, in der Melan­chthon drei Arten der Passionsmeditation unterscheidet.103 Ein Vergleich zwischen der 1544er Postille, die wohl v. a. auf die ‚Hauspredigten‘ der Jahre 1541 bis 1544 zurückgehen,104 und der Pezelschen Postille von 1594/95, der die Mitschriften der 1550er Jahre zugrundeliegen dürften, zeigt, dass Melan­chthon dieses Konzept der dreifachen Betrachtungsweise der Passionsgeschichte über die Jahre hinweg beibehalten hat, aber mit unterschiedlichen Worten und in verschiedener Ausführlichkeit erläuterte.105 Drucktechnisch ist der folgende Abschnitt sowohl im lateinischen Original als auch in der deutschen Übersetzung durch eine eigene Überschrift abgesetzt: „Vrsachen der trübsaln vnd alles jamers auff Erden seind diese.“106 Inhaltlich schließen die Ausführungen jedoch an die dritte Art der Passionsbetrachtung an, sodass hier beide miteinander interpretiert werden. (2.) An zweiter Stelle wird das Gottesknechtslied Jes 53 abgedruckt, bei dem auf „Acht fürnemliche Locos vnd Heuptartickel“107 zu achten sei. Das Kapitel aus dem Jesajabuch – so viel geht aus der Aufzählung der Hauptaspekte hervor – enthält für Melan­chthon alle wesentlichen Inhalte der Passion und Auferstehung Jesu Christi und damit auch alles heilsnotwendige Wissen.108 Zwar stellt diese Grundüberzeugung zu der Zeit keine Besonderheit dar; es ist in der Durchführung aber durchaus auch beispielhaft für die exegetische Methode Melan­ chthons, einen Text hinsichtlich der in ihm enthaltenen christlichen Hauptlehren – den ‚Locis‘ oder ‚Hauptartikeln‘ – auszulegen. Zudem gibt die Auflistung Aufschluss darüber, dass Melan­chthon, wenn er in verschiedenen Jahren dieselbe Perikope ausgelegt hat, dabei auch immer wieder auf dieselben ‚Hauptartikel‘ abzielte. Denn in ‚Hauspredigten‘ späterer Jahre, wie sie etwa in der Postil103 Vgl. Melan­c hthon, Postill, fol. 101v–104r. Kurz und bündig lautet die lat. Vorlage (CR 14, 241): „Triplex est meditatio passionis Filii Dei, Paedagogica, Spiritualis et Exemplaris.“ 104 Vgl. Buchwald, Postilla, 83 f. 105 Vgl. CR 14, 241–243 mit CR 24, 651–656. 106  Melan­c hthon, Postill, fol. 104r–105r. Lat. (CR 14, 243): „Causae afflictionum.“ 107  A. a. O., fol. 105v. 108  Ebd.: „I. Der erste ist / Die Geschicht vnd Historia an jhr selbst. II. Der Ander / Die vrsach dieser Geschicht. III. Der Dritte / Die Application / Das ist / wie wir vns sollen solche hohe theure Wolthat nutzmachen. […] IIII. Der Vierde / ist eine Busspredigt / die durch vnd durch alle menschen belanget. V. Der Fünffte / Jst ein Verheissung die da Vniuersales ist / Das ist / die durch und durch allen menchen geschehen ist. VI. Der Sechste / Vom Priesterthumb Christi. VII. Der Siebend / Von der Aufferstehung vnd vom Reich Christi. VIII. Der Achte / Von straffen der Gottlosen.“



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le Pezels aufgenommen wurden, legt Melan­chthon Jes 53 auf Grundlage exakt dieser acht Loci aus.109 Im Anschluss an die Auflistung der acht Punkte ist ungewöhnlicher Weise der Bibeltext Jes 53 ohne weitere Auslegung abgedruckt. Normalerweise wird zunächst der Bibeltext geboten, dann die zentralen Loci und schließlich Ausführungen zu jedem einzelnen Locus. Letztere fehlen in der 1544er Postille. (3.) Schließlich folgt eine Auslegung von Ex 12: „Vom Lamb / das an dem Osterlichen Fest geschlacht ward“.110 Der Bibeltext wurde zeitgenössisch selbstverständlich auf die Passion Jesu Christi bezogen, gehörte die Lesung der Perikope liturgisch doch zum Vorabend von Gründonnerstag.111 Diese Auslegung wird – was innerhalb der Postille Melan­chthons wiederum ungewöhnlich ist  – ohne Angabe der ‚Hauptartikel‘ entsprechend einer Homilie Vers für Vers vollzogen. Auf die umfangreicheren Teile (1.) Anleitung zur Passionsbetrachtung und (3.) die Auslegung von Ex 12 wird im Folgenden noch genauer eingegangen. 3.2.2  Die Anleitung zur Passionsbetrachtung Nach Melan­chthon gibt es für das Leiden und Sterben Jesu Christi drei Betrachtungsweisen: (1.) die „zuchtmeisterische oder Historische“,112 (2.) die geistliche und (3.) die exemplarische. (1.) Die erste, ‚pädagogische‘ Betrachtung der Passion meint, dass die Historie des Leidens Christi gewusst werden soll. Dazu gehöre auch, die prophetischen Verheißungen und Weissagungen zu kennen sowie die ‚Ursachen‘, d. h. warum und wozu Christus gelitten hat. Das regelmäßige Lesen der Passionsgeschichte und das daraus entspringende Wissen um diese Dinge ist nötig, da man ohne dieses „die andern breuch des leidens vnd sterbens Christi nicht haben“113 könne. Der Glaube hänge an diesen Historien und werde durch sie gestärkt.114 (2.) Die geistliche Betrachtung sei die eigentlich höchste und heilsame Art des Umgangs mit der Passion Christi, „dadurch wir vnd die gnad vnd wolthaten Christi JHESV Applicieren vnd nütz machen“.115 Sie bestehe aus einer doppelten, 109 Vgl. CR 14, 244 und CR 24, 656–658. Melan­chthon legte Jes 53 nachweislich in mehreren

Jahren aus. Die der Pezelschen Postilla Melanthoniana zugrundeliegende Auslegung dürfte aus dem Jahr 1550 stammen, wie Stichproben von Mitschriften verschiedener Jahrgänge ergeben haben: In zahlreichen Formulierungen bis in den Wortlaut hinein stimmt CR 24, 656–658 mit der Aufzeichnung Georg Rörers über die ‚Hauspredigt‘ Melan­chthons vom 4. April 1550 überein (Thulb Jena: Ms. Bos. q. 24a, fol. 235v–238r), ohne gänzlich identisch zu sein. Ob die Abweichungen an der Überarbeitung durch Pezel liegen – dieser hat bekanntlich Veränderungen am Text vorgenommen – oder ob diesem eine andere Mitschrift vorlag, ist fraglich. 110  Melan­c hthon, Postill, fol. 106v–111v. 111  Vgl. WA.DB 7, 533. 112  Melan­c hthon, Postill, fol. 101v. 113 Ebd. 114  Vgl. ebd.: „Dazu gehöret auch / das man mit solchem lesen den glauben mit dem wir an der Historien hangen / befestige vnd stercke.“ 115  A. a. O., fol. 102r.

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jedoch eng zusammengehörigen Erkenntnis, nämlich der „grösse vnd wichtigkeit des zorns Gottes wider die sünde“116 einerseits und „Gottes barmhertzigkeit“117 andererseits. Dieser doppelten Erkenntnis entspreche ein doppelter „Motus oder bewegung des gemüts / als schrecken / zittern / vnd widerumb trost / forcht vn[d] widerumb glaub an Christum / fülung des zorns Gottes / vnd widerumb lebendigmachung durch den glauben an den Son Gottes“.118

Dieser doppelte Fokus auf den Zorn Gottes über die Sünde und die Barmherzigkeit Gottes sei nötig, da Menschen dazu tendieren, ihre Sünden nicht angemessen zu gewichten. Derweile gebe alles Elend der Welt einen Hinweis auf den Zorn Gottes; der Tod Jesu Christi sei jedoch das sicherste Zeugnis, „das dieser zorn durch nichts anders hat mögen versönet weden / denn allein durch den Todt des Eingebornen Sohns“.119 Besonders nötig gerade für die dadurch erschrockenen Herzen sei es jedoch zu lernen, wie man sich „solche hohe gnade vnd wolthat Applicieren und nütz machen“ können: „Nemlich / das wir Vergebung der Sünden vnd das ewig leben nicht anderst erlangen / denn wenn wir mit warem / festen Glauben schliessen / das der ewige Vater vmb allein seines lieben Sohns willen (der für vns ein Opffer worden ist) vns zu gnaden auff vnd an neme vnd vns selig mache“,120

wie aus den zitierten Versen Röm 3,24 f., Röm 8,3 und 2 Kor 5,21 hervorgehe. An diesen Ausführungen wird deutlich, dass die geistliche Betrachtung der Passion bei Melan­chthon genau dem entspricht, was Luther in dem Passionssermon von 1519 als die Betrachtung der Passion Christi als sacramentum in dem Doppelaspekt von Erschrecken und Glaube darstellt – und was wiederum den Wirkweisen dessen entspricht, was später als Gesetz und Evangelium auf den Begriff gebracht wurde.121 116 

A. a. O., fol. 101v.

117 Ebd. 118 

A. a. O., fol. 102r. A. a. O., fol. 102v. 120  A. a. O., fol. 102v–103r. 121  S. o. Kapitel II.2.5. Als das, wovor man erschrecken soll, kann sowohl von Luther als auch von Melan­chthon entweder der Zorn Gottes oder die eigene Sündhaftigkeit angeführt werden. Beides gehört für beide sachlich zusammen: Christus leidet, weil Gott über ‚unsere‘ Sünde zürnt und er sich für ‚uns‘ an ‚unsere‘ Stelle begeben hat, sodass er aufgrund ‚unserer‘ Sünde den Zorn Gottes und dessen Folgen erleidet. Möglicherweise kann ein gewisser Akzentunterschied zwischen den beiden Wittenberger Reformatoren dennoch darin gesehen werden, dass Luther etwas stärker die ‚Selbsterkenntnis‘ angesichts des Leidens – also das Erschrecken vor der eigenen Sündhaftigkeit  – betont (vgl. WA 2, 128,15–22; dazu s. o. Kapitel II.2.4), während Melan­chthon etwas stärker das Gegenüber von Gottes Zorn und Barmherzigkeit als Erkenntnisziel hervorhebt, wie etwa seine Zusammenfassung der geistlichen Betrachtung zeigt (Melan­chthon, Postill, fol. 103r–v): „Diese Betrachtung des Leidens vnd sterbens Christi / als nemlich / erschrecken / wenn man Gottes zorn vor augen sihet jnn dem bittern Leiden vnd sterben des Sohns Gottes / vnd sich im Glauben starck widerumb auffrichten / wenn man Gottes Barmhertzigkeit widerumb erkennet / vnd vor solche thewre gaben Gott hertzlich 119 

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(3.) Die exemplarische Betrachtung gehe von der ‚Regel‘ aus: „Wie Christus gelitten hat / das auch wir also leiden müssen.“122 So müsse man auf „die rechten vrsachen der menschlichen trübsaln / jamers vnd elends“123 achten, um in dieser Lage getröstet zu werden. Die ‚Weisen der Welt‘ hätten diverse Erklärungen, doch allein das Wort Gottes könne die wahren ‚Ursachen‘ aufzeigen. So gibt Paulus in Röm 5,12 an, dass der Tod durch die Sünde der Menschen in die Welt gekommen sei und der Teufel konnte sich dies gegen die Menschen zu Nutze machen, wie aus Gen 3 hinreichend hervorgehe. Es folgt eine Liste von acht ‚Ursachen‘ der irdischen Trübsal, die v. a. Zweckursachen darstellen,124 wobei anschließend die Erläuterungen fortgeführt werden. Dabei fragt Melan­chthon, weshalb Christus „dem Creutz vnterworffen“125 wurde, obwohl er sündlos war. Dies hänge damit zusammen, dass der Tod der Sünde Sold sei (vgl. Röm 6,23). Dadurch, dass Christus ein „Opffer für vns worden ist“,126 indem er die Strafe für ‚unsere‘ Sünde auf sich genommen hat, so habe er auch „den Tod vnd schreckliche / grewliche Marter vnd Trübsal“127 erleiden müssen. Wie Christus dem Tod unterworfen war, so sei aber auch die Kirche dem Kreuz unterworfen, wie an diversen Stellen der Bibel verheißen ist.128 Wenn Gott ‚uns‘ – den Christen – Leid und Not schickt, dann soll man auch das eigentliche Ziel dessen bedenken: „Nemlich / das vns Gott wölle lassen gemarttert vnd geplaget werden / nicht das wir dar­ durch vnd darjnnen verderben sollen / sondern das wir Selig werden / das ist / das wir zu erkendnis der Sünd vnd Gottes Barmhertzigkeit widerumb gefordert vnd beruffen werden“.129

Auffällig ist an dieser Ausführung die analoge Zweckbestimmung von Christi Leiden und dem menschlichen Leiden, ohne dass der qualitative Unterschied aufgehoben würde: Selbstverständlich ist allein Christi Leiden der Grund des menschlichen Heils; aber wie im Leiden Christi die eigene Sünde und Gottes Barmherzigkeit erkannt werden sollen, so wird diese heilsame Erkenntnis auch als finis afflictionum – Zweckursache der von Gott auferlegten eigenen Leiden130 – dancken / Diese betrachtung sage ich / ist warhafftiglich der rechte Gottesdienst / den man auch ewiglich also zuhalten vnd Gott zu leisten schüldig ist.“ 122  A. a. O., fol. 103v. 123 Ebd. 124  Z. B. (a. a. O., fol. 104r): „ij. Erkendtnis der Sünde jnn der Kirchen.“; „vj. Das jnn vnser schwachheit Gottes gewalt leuchte vnd erkandt werde.“; „vij. Das wir dem Son Gottes gleich vnd ehnlich werden.“ 125  A. a. O., fol. 104v. 126 Ebd. 127 Ebd. 128  Melan­chthon zitiert Mt 16,24/Mk 8,34/Lk 9,23; Ps 34,20 (?) und 1 Petr 5,6 (vgl. a. a. O., fol. 105r). 129  Ebd. Belegt wird dies mit Ez 33,11 (a. a. O., fol. 104v–105r): „So war als ich lebe / So will ich nicht / das der Sünder sterbe / sondern das er sich bekere / vnd lebe.“ 130  A. a. O. fol. 104v spricht der Übersetzer von „entliche vrsachen“, d. h. der Zweckursache; im lateinischen Original ist von „finis afflictionum“ (CR 14, 243) die Rede.

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IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

nahegelegt. Die exemplarische Betrachtung hat für Melan­chthon somit letztlich einen ähnlichen Zweck wie die geistliche Betrachtung: Ausgehend davon, dass die Kirche leiden müsse wie Christus gelitten hat, sollen die Glieder derselben durch Erkenntnis der ‚Ursachen‘ des Elends zur Erkenntnis der Sünde und der ­Barmherzigkeit Gottes geleitet und dadurch getröstet werden. Dies unterscheidet sich deutlich von der Ausführung von Melan­chthons älterem Kollegen zur Betrachtung Christi als exemplum: Luther meinte damit, dass das Verhalten Jesu Christi im Leiden als Vorbild für die eigene Lebensführung genommen werden soll.131 3.2.3  Zur Auslegung von Ex 12 Dass es sich bei der Schilderung der Opferung des Lammes und des Bestreichens der Türpfosten vor dem Auszug Israels aus Ägypten in Ex 12 um eine „Figur oder Contrafectur“132 der Erlösung durch Jesus Christus handelt, stand für Melan­chthon in Anknüpfung an 1 Kor 5,7 unhinterfragbar fest.133 Das Volk Israel hatte sie daran zu erinnern, „das noch ein andere erlösung zukünfftig vorhanden were“,134 während die Christen erinnert werden, „wie die erlösung solle vollendet werden“.135 Theologische Orientierung bei der Auslegung der ‚Osterlamm-Historie‘ bietet der Doppelaspekt der geistlichen Betrachtung der Passion Jesu Christi: „Erstlich / Gottes zorn wider die Sünd der Epypter (sic) / nachmals Gottes Barmherzigkeit / jnn der rettung vnd Erlösung der Kirchen“.136 Auf Grundlage dieses doppelten Fokus legt Melan­chthon die Berichte aus Ex 12 in sämtlichen Details mit Bezug auf die Zielvorlage der ‚Figur‘, die Passion Christi, hin aus: Dass das Schlachttier rein und ohne Makel zu sein hat (V. 5), bedeute die Sündlosigkeit;137 es müsse männlich sein (V. 5);138 um die Abendzeit soll die Schlachtung durchgeführt werden (V. 6), was anzeige, dass „Christus vmb den Abend vnd vmb das ende der welt kommen würde“;139 das Bestreichen von Hausschwelle und Türpfosten (V. 7) sei auf das Abwaschen der Sünde durch Christi Blut zu beziehen;140 dass das Fleisch am Feuer gebraten werden müsse (V. 8) meine, dass Christus das Feuer des göttlichen Gerichtes „warhafftiglich versucht vnd erfaren [hat] / da er sich in solche grewliche straff für vns gegebe[n] hat“;141 die 131 

S. o. Kapitel II.2.6. Melan­chthon, Postill, fol. 110v. 133  Vgl. a. a. O., fol. 106v–107r. 134  A. a. O., fol. 110v. 135 Ebd. 136  A. a. O., fol. 107r. 137  Vgl. a. a. O., fol. 107v. 138  Vgl. ebd. 139 Ebd. 140  Vgl. ebd. 141  A. a. O., fol. 108r. 132 

3  Philipp Melan­chthon187



ungesäuerten Brote, die dazu gegessen werden sollen (V. 8), zeigen die Reinheit der Lehre an, die nicht durch menschliche Gedanken über Gott verändert werden dürfe,142 und das dazugehörige Gewürz (V. 8) beziehe sich auf „die Lehr oder predigt der Buss / odder auch das fülen vnd entpfinden der zeitlichen Trübsaln / angst vnd not“;143 das Verbot, etwas Rohes zu essen (V. 9), „lege ich von vnserer roheit aus“,144 während bei der Wiederholung dessen, dass nur am Feuer Gebratenes gegessen werden soll (V. 9), neben Christi eigenem Leiden auch diejenigen in den Blick kommen, die Gottes Gericht und seinen Zorn über die Sünde erkennen;145 nichts soll übrig gelassen werden (V. 10), was bedeute, dass man „die Lehre von Christo nicht stückweis / sondern gantz wissen vnd verstehen“146 soll, wie dies in der ‚Kirche Christi‘ üblich sei – anders als bei Samosatenus, ‚Machomet‘, ‚Ketzern und Schwärmern‘ und den ‚Papisten‘. Der Höhepunkt der Erzählung von Ex 12 und damit auch des Christusgeschehens wird aber in den Versen 12 und 13 beschrieben: Dass Gott die Ägypter schlägt, während er die Häuser verschont, deren Eingang mit Blut besprengt ist. „Dieses ist aber die fürnemeste deuttung. Gott wird seinen SON senden / vnd durch solche sendung seines SONS die gantze Welt richten / Er wird durch alle Völcker gehen / vnd sie jnns ewige verderbnis / vnd jnn die ewige verdamnis Marter vnd Qual werffen / Sein Kirchen aber (die mit dem Blut seines SONS besprenget ist) verschonet er gnediglich.“147

Zum Schluss fasst Melan­chthon noch einmal zusammen: „Das schlachten bedeutet den Tod Christi / Das besprenge[n] bedeut die Application oder frucht / wie wir vns das geschlachtete Lamb sollen nütz machen“.148 Dies geschehe durch ‚festen Glauben‘, durch den man die Gnade und Wohltat Christi ‚auf sich ziehe‘ und sich gemäß 1 Petr 1,2 ‚mit dem Blut Christi besprenge‘. 3.2.4  ‚Papisten‘ und andere An lediglich drei Stellen verweist Melan­chthon auf ‚Papisten‘ oder ‚Mönche‘ – und zwar immer im Zusammenhang mit anderen Gegnern bzw. Gruppen außerhalb der ‚Kirche Christi‘, z. B. ‚Türken‘, ‚Ketzer‘ und ‚Heiden‘. Dabei geht es jeweils darum, dass diese nicht die ganze und reine christliche Lehre mit dem entsprechenden Gottesdienst bewahrt hätten, sondern Wesentliches fehle oder etwas durch ‚menschliche Gedanken‘ verändert und hinzugedichtet werde.149

142 

Vgl. a. a. O., fol. 108r–v. A. a. O., fol. 108v. 144 Ebd. 145  Vgl. a. a. O., fol. 109r. 146 Ebd. 147  A. a. O., fol. 110r. 148  A. a. O., fol. 111r. 149  Vgl. a. a. O., fol. 108r–v ; 109r; 111r. 143 

188

IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

3.3  Luther, Melan­chthon und die bibelhermeneutische Tradition Angeregt durch die Augustinlektüre im Erfurter Augustinereremiten-Kloster entwickelte Luther einen Zugang zur Passion Jesu Christi durch die doppelte, klar hierarchisierte und nicht umkehrbare Betrachtungsweise derselben als sacramentum und exemplum: Als Sakrament wirke Christus mit seinem Erlösungswerk in ‚uns‘, während ‚wir‘ mit ihm zusammenwirken, wenn ‚wir‘ ihn anschließend zum Vorbild für Verhalten und Handeln nehmen. Die Wirkweise der Passion Christi als sacramentum sei wiederum eine doppelte und unumkehrbare: Zuerst müsse man angesichts des Leidens Christi über die eigene Sünde erschrecken, könne man doch an ihm äußerlich wie in einem Spiegel ablesen, wie es um die eigene Seele bestellt sei und was einem selbst aufgrund des Zornes Gottes über die Sünde geblüht hätte. Doch durch dasselbe Leiden und Kreuz müsse man hindurchdringen in das Herz Jesu Christi und des Vaters, um zu erkennen, dass diese aus Liebe zu den Menschen handeln. Aufgrund dessen könne und müsse man glauben, dass Christus am Kreuz die eigenen Sünden getragen hat. Sowie Luther das Dual sacramentum und exemplum zu einer allgemeinen Evangelien- und Evangeliumshermeneutik  – Christus als Gabe und Vorbild, dem Glaube und Liebe korrespondieren – ausbaute, so führte er die doppelte Wirkweise der Passion als sacramentum (Erschrecken und Glaube) in der theologisch-hermeneutischen Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium weiter.150 Melan­chthon baute darauf auf und lehrte in seinen ‚Hauspredigten‘ eine dreifache Passionsbetrachtung, bestehend aus einer pädagogischen, einer geistlichen und einer exemplarischen Betrachtungsweise. Während sich in der zweiten und dritten Betrachtungsweise Luthers Unterscheidung der Passion Christi als sacramentum und exemplum spiegelt – die geistliche Betrachtung Melan­chthons besteht aus dem Doppelaspekt von Erschrecken und Glauben151 –, setzt er das Lesen und Lernen der Historien als pädagogische Betrachtung den anderen beiden als notwendige Voraussetzung voran.152 Diese aus theologischen Gründen vollzogene Anleitung zum rechten Meditieren und Verstehen der Passion Christi in verschiedener Hinsicht steht nun in einem interessanten Verhältnis zur bibelhermeneutischen Tradition eines mehrfachen Schriftsinns, wie sie sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus entwickelte und dann in den Jahrhunderten vor der Reformation zum Standardrepertoire der Bibelexegese gehörte.153 Dabei wurde zwischen der literalen und der geistlichen Bedeutungsebene unterschieden, wobei sich letztere noch ein150 

Dies ist in den Kapiteln II.2.4 bis II.2.6 ausführlich begründet. Auf die unterschiedliche Akzentsetzung hinsichtlich der Betrachtung der Passion Christi als Exempel sein noch einmal hingewiesen (s. o. Kapitel IV. 3.2). 152  Freilich findet sich die Betonung der Notwendigkeit der Kenntnis der Heilsgeschehnisse ebenso in Passionspredigten Luthers (s. o. Kapitel II.4.2). 153 Vgl. Böttigheimer, Bibel, 311–321; K arpp, Schrift, 94; Mühlenberg, Art. Schrift151 



3  Philipp Melan­chthon189

mal in mehrere Richtungen differenzieren konnte. Klassisch ist etwa die Aufgliederung der geistlichen Ebene hinsichtlich Glaube, Hoffnung und Liebe, wie es in dem zeitgenössisch geläufigen Merkvers zum Ausdruck kommt: „Littera gesta docet, quid credas allegoria, Moralis quod agas, quo tendas anagogia.“154 Zwar lehnten Luther und Melan­chthon diese Theorie bekanntermaßen ab, doch kann eine auffällige Nähe zwischen den drei Betrachtungsweisen der Passion Christi und einem mehrfachen Schriftsinn nicht geleugnet werden: Der ‚pädagogische‘ Zugang entsprich dem sensus literalis und die geistliche und exemplarische Betrachtungsweise erinnern an Glaube und Liebe als Bedeutungsebenen der Schrift.155 Hinzu kommt, dass der Aspekt der Hoffnung bei den Reformatoren nicht verloren ging, sondern gewissermaßen dem Glauben inkorporiert wurde. Dieser war als Vertrauen darauf, dass Christus die eigenen Sünden getragen hat, eben hoffnungsvoller Glaube im vollen eschatologischen Sinne: Im Jüngsten Gericht rettet allein der Glaube – nicht aufgrund der besonderen Glaubensqualität, sondern aufgrund seines Bezugspunktes Jesus Christus, der die gottfeindlichen Mächte Tod und Teufel besiegt und die Sünde getragen hat. Vorausgesetzt ist dabei, dass Glaube und Liebe nicht mehr als Tugenden verstanden werden,156 sondern als die zentralen Kategorien für die angemessene Beziehung einerseits zu Gott und andererseits zum Nächsten fungieren. Es ist gut vorstellbar, dass die auffällige Nähe zwischen der bibelhermeneutischen Tradition des mehrfachen Schriftsinns und der mehrfachen Betrachtungsweise der Passion Jesu Christi, wie sie sich besonders in der Systematik auslegung, 497 f.; Schwienhorst-Schönberger, Schriftsinn; Stuhlmacher, Verstehen, 90 f. 154  Auch Luther zitierte den Vers in der zweiten Psalmenvorlesung als geläufigen Teil der bibelhermeneutischen Tradition (vgl. WA 5, 644,37 f.). 155  Dies ist umso auffälliger, als sich diese Entwicklung in den folgenden Generationen hin zu einer vierfachen Betrachtungsweise weiterzeichnen lässt: Christoph Vischer leitete schon 1561 zu einer vierfachen Betrachtung der Passion an: der historischen, der geistlichen, der exemplarischen und der allegorischen (vgl. Vischer, Gnadreiche Histori, fol. 23r–28v), wobei allegorisch bedeute: „Prophetisch / wie ein weissagung / wie es dem Herrn Christo gangen ist / also wirts seiner Christlichen Kirchen auch gehen“ (a. a. O., fol. 28r). Johannes Gigas empfiehlt für eine ‚fruchtbare‘ Betrachtung der Passion eine dreifache meditatio, bei der jedoch der Literalsinn nicht mit enthalten ist, nämlich „als donum, exemplum, mysterium“ (Gigas, Postilla, fol. 212r mit weiterer Erläuterung a. a. O., fol. 214v–215v ; veröffentlicht 1570/71). Bei Simon Gedik es heißt ganz ähnlich wie schon bei Vischer (Gedik, Postilla, fol. 119r; veröffentlicht 1595): „Es ist aber die Christliche vnnd heilsame betrachtung deß Leidens Christi viererley: 1. Meditatio historica, Eine Historische betrachtung / nach dem Buchstaben. 2. Spiritualis, Eine geistliche betrachtung / darinnen wir den Nutz vnd die Application des Leidens Christi behertzigen. 3. Exemplaris, betrachtung vnd bespiegelung des Exempels Christi. 4. Allegorica, geilstliche deutung auff die Christlich Kirche.“ Die Deutung des Leidens Christi auf die Kirche – bei Gigas die Passion als mysterium, bei Vischer und Gedik die meditatio allegorica  – findet sich der Sache nach freilich auch schon in Passionsauslegungen Luthers und Melan­chthons. 156  Einführend zu Glaube und Liebe bei Luther im Verhältnis zur Tradition (insbesondere Thomas von Aquin) vgl. Pesch, Hinführung, 174–197.

190

IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

Melan­chthons zeigt, die Rezeptionsmöglichkeit des Reformators im altgläubigen Kontext befördert hat.157

4  Veit Dietrich Veit Dietrich (1506–1549)158 ist ein Kind Nürnbergs, der neben Köln mit über 40.000 Einwohnern größten deutschen Stadt der damaligen Zeit.159 In Nürnberg ist Dietrich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen; 1535 wurde er evangelischer Pfarrer an der Stadtkirche St. Sebald und war zuständig für die Reform des Nürnberger Hinterlandes. In der dazwischenliegenden Zeit weilte Dietrich ab 1522 zunächst zum Studium, sodann als Dozent an der Universität in Wittenberg. Die bewegten 1520er Jahre erlebte er unmittelbar an Luthers Seite: in dessen Haus und bei Tisch, in Vorlesungen und bei Predigten sowie als Begleiter bei den wichtigen Reisen zum Marburger Religionsgespräch 1529 und auf die Veste Coburg während des Augsburger Reichstages 1530. Für die Lutherüberlieferung wurde er aufgrund seiner Funktion als Sekretär Luthers bedeutsam: Seit 1530 gab Dietrich zahlreiche Predigten und Vorlesungen des Reformators heraus.160 4.1  Kontext und Veröffentlichung der ‚Passio‘ in Luthers Hauspostille Die 1544 erstmals erschienene Hauspostille ist im Kontext dieser Herausgebertätigkeit zu betrachten; dennoch hat sie auch und vor allem ihren Ort in der pastoralen Tätigkeit Dietrichs als Reformator für das Umland Nürnbergs.161 Bereits im folgenden Jahr 1545 wurde die Hauspostille um dreizehn Passionspredigten ergänzt.162 In diesem Umfang wurde sie zum auflagenstärksten Predigtbuch des 16. Jahrhunderts. Weder auf dem Titelblatt noch in einem überarbeiteten Vorwort oder ergänztem Nachwort wurde dabei erwähnt, dass es sich bei diesen Passionspredigten – mit einer Ausnahme – nicht um Predigten Luthers, sondern Veit Dietrichs handelte. Das führte dazu, dass man, angefangen bei den ersten Rezipienten – 1546 erschien ein Extradruck dieser vermeintlichen Lutherpredigten in Erfurt163 – über die kritische Edition der Werke Luthers in

157 

Dazu s. u. Kapitel V. 3. Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bautz, Art. Dietrich; Klaus, Dietrich; Kolde, Art. Dietrich; Simon, Art. Dietrich; Zschoch, Art. Dietrich. 159 Vgl. Hamm, Bürgertum, 22. 160 Eine Bibliographie der Editionen Dietrichs samt erhaltenen Manuskripten bietet Klaus, Dietrich, 12–20; zu Dietrichs Editionsarbeit vgl. Meinhold, Genesisvorlesung. 161 Zur Hauspostille s. o. Kapitel II.3.1. Das Folgenden bezieht sich auf Dietrichs ‚Passio‘. 162 Vgl. Luther, Haußpostil mit Passio [Dietrich]; WA 52, XXXI Nr. 5. 163 Vgl. WA 52, XXXIII unter „Nachtrag, die Passionspredigten enthaltend“ (VD16 ZV 4541). 158 



4  Veit Dietrich191

WA 52 bis in die jüngere Forschung hinein, diese Passionspredigten als Predig-

ten Luthers las und auswertete.164 Dass es sich jedoch um Dietrichs eigene Passionspredigten handelt, geht daraus hervor, dass er sie bereits kurz zuvor als eigenständige Passio veröffentlichte.165 In der Widmung an die Nürnberger Patrizierin Sibilla Baumgartner166 schrieb Dietrich über den Entstehungskontext: „Solche histori / erbare vnd tugenthaffte Frau Baumgartnerin / hab ich in ewrem namen yetzundt / auch andern Christen zum trost vn[d] besserung / wie ichs diese faste[n] vber gepredigt hab / wöllen im truck außgehen lassen / weil doch vnser gnediger vater / euch so ein schweres creutz auffgelegt hat / das jhr euch damit trösten / vnd der trawigen ge­ dancken / so nit aussen bleyben / dest baß erwehren möget.“167

Unter Kenntnis dessen argumentierte Georg Buchwald in der Einleitung zur Edition der Hauspostille in der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers: „Damit ist nach der Vorrede zur Hauspostille […] nicht ausgeschlossen, daß es Predigten Luthers sind, wie sich von einer derselben auch nachweisen läßt […].“168 An der entsprechenden Stelle in der Vorrede zur Hauspostille schrieb Dietrich, dass er die in der Hauspostille aufgenommenen Predigten ‚dieses Jahr‘ selbst gepredigt habe.169 Daraus ergebe sich – so anscheinend der Gedankengang Buchwalds –, dass Dietrich kein Problem damit gehabt habe, Luthers Predigten selbst zu predigen. Zudem hat die elfte Predigt der Passio tatsächlich jene Lutherpredigt über das Gebet Jesu und die zwei Schächer am Kreuz zur Grundlage, die auch schon im Erstdruck der Hauspostille vorhanden war.170 Dementsprechend könnten auch alle anderen zwölf Passionspredigten auf der Grundlage von Lutherpredigten von Dietrich gehalten worden sein. Gegen diese hypothetische Annahme sprechen jedoch diverse Gründe: Auch wenn Dietrich bei Editions- und Herausgebertätigkeiten seine Vorlagen und Mitschriften großzügig bearbeitet hat, gibt es kein Beispiel dafür, dass er eine ganze Predigtreihe oder Vorlesung Luthers unter seinem eigenen Namen veröffentlicht hat. Zu seinem Vorgehen passt vielmehr umgekehrt, dass Dietrich – sich als treuer Schüler Luthers verstehend – eigene Zusätze und Predigten unter Luthers Namen veröffentlicht. Plausibel ist zudem die Annahme, dass die elfte Predigt nicht das Paradigma für die anderen Predigten abgibt, sondern als Aus164  Ein Beispiel für die neuere Forschung bietet Johann Anselm Steiger: Er kontrastiert das in den Passionspredigten der Hauspostille „gezeichnete, mitunter sehr unfreundliche Bild der Juden“ (Steiger, Zorn 89 = ders., Nachwort, 501) mit den im Passionssermon von 1519 dargelegten passionshermeneutischen Grundsätzen des „jungen Luther“ (ebd.) – offenbar in der Annahme, dass beides von demselben Autor stammt. 165 Vgl. Dietrich, PASSIO. 166  Zu den Hintergründen dieser Widmung vgl. Klaus, Dietrich, 228–234. 167  Dietrich, PASSIO, [fol. a8r]. 168  WA 52, VIII Anm. 1. 169 Vgl. WA 52, 6,29 f. 170 Vgl. WA 52, 237–244; dazu s. o. Kapitel II.3.3.

192

IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

nahme die Regel bestätigt. Denn es ist durchaus auffällig, dass man zu dieser elften Predigt  – im Gegensatz zu den anderen zwölf Predigten  – eine Vorlage hat, die sich in den Aufzeichnungen Rörers befindet; und dass diese erwiesenermaßen ursprünglich Teil einer anderen Predigtreihe Luthers war, nämlich jener, die Luther 1534 gehalten hat und die Andreas Poach in der Jenaer Ausgabe der Hauspostille Luthers veröffentlichte.171 Dass die elfte Predigt in die restliche Passio-Reihe eingefügt ist, zeigt sich weiterhin daran, dass Dietrich den Anfang der Predigt im Verhältnis zur Version im Erstdruck der Hauspostille verändert und mit Blick auf die vorangegangene Predigt angepasst hat. Peter Meinhold konnte darüber an einem Textabschnitt der zwölften Predigt zeigen, dass dieser einer früheren Abhandlung Dietrichs entspricht.172 Schließlich stellt sich das Problem, dass wir ansonsten keinen Hinweis auf eine mindestens zehn Predigten umfassenden Predigtreihe Luthers über den matthäischen Passionsbericht besitzen, während die Überlieferung gerade in der Zeit, in der Dietrich mit Rörer (und Cruciger) in Wittenberg war, recht gut ist. Es kann also – wie auch im Nachtragsband der Weimarer Ausgabe vermerkt wurde173 – als sicher gelten, dass die Passio Dietrichs ansonsten von Dietrich stammt. Für die Behauptung, dass für die Ergänzung der Hauspostille durch die Passio nicht Dietrich, sondern der Drucker verantwortlich gewesen sei, der beide Werke „zu einem Bande vereinigen zu dürfen geglaubt [hat], weil ihm die Herkunft beider Werke von Dietrich bekannt war“,174 findet sich weder bei Meinhold noch bei Klaus ein Quellennachweis oder eine Begründung. Das ist jedoch spekulativ; und man müsste dafür sowohl annehmen, dass der Druckerei entgangen ist, dass sie den einen Druck zuvor explizit als Predigten Luthers, den anderen als Predigten Dietrichs betitelten, als auch, dass nicht einfach beide Werke zusammengebunden, sondern genau so kombiniert wurden, dass die doppelte Karfreitagspredigt aus dem ersten Werk wieder entfernt wurde. Demgegenüber ist die Vermutung näher liegend, dass die Änderung auf Dietrich selbst zurückgeht.175 Es ist noch zu erwähnen, dass Dietrich nur wenig später (1546) eine Postille unter dem etwas verwirrenden Titel Kinderpredig veröffentlicht hat.176 Da diese jedoch lediglich Predigten über Jesu Abschiedsrede Joh 17 und keine Auslegungen der Passionsgeschichte oder Karfreitagspredigten enthält,177 wird sie im Folgenden nicht weiter berücksichtigt. 171 Vgl.

WA 52, XXVII; s. o. in Kapitel II.1.2 und II.4.2.

173 Vgl.

WA 60, 319–321.

172 Vgl. 174 

Meinhold, Genesisvorlesung, 241–243.

Klaus, Dietrich, 7 fast wörtlich nach Meinhold, Genesisvorlesung, 241. So auch WA 60, 320 f. 176  Dietrich nennt sie auch „Kinderpostil“ (Dietrich, Kinderpredig, fol. b5r). Damit ist jedoch nicht gemeint, dass sie sich primär an Kinder im Sinne von noch nicht erwachsenen Menschen richtet, sondern an das „einfeltige[] / geringe[] / grobe[] heufflein“ (ebd.), dem er „die lehr einfeltig / vnd wie mans nennet / kindisch“ (ebd.) vorlegen möchte. Zur Namensgebung äußert sich ausführlich Herrfurth, Predigt, 5–13. 177 Vgl. Dietrich, Kinderpredig, fol. 205v–[229r] (im Druck fälschlich 228r). 175 



4  Veit Dietrich193

4.2  Zum Charakter der Passionspredigten Die Formulierung ‚den Christen zu Trost und Besserung‘ in dem Zitat aus der Widmung der Passio an Sibilla Baumgartner kann als Inbegriff der zentralen Zweckbestimmungen von Dietrichs Passionspredigten – und im Grunde seiner Predigttätigkeit im Allgemeinen – gelesen werden. Auf den Trost der angefochtenen und zur Sündenerkenntnis gelangten Gewissen sowie auf die Besserung der Lebensführung zielen die Predigten immer wieder ab. Dabei werden – und dafür steht die Dietrichsche Predigtreihe als längste unter den hier untersuchten Passionspredigten paradigmatisch  – durchaus verschiedene Themen des Glaubens, Lebens und aktueller Streitigkeiten anhand einzelner Szenen und Begebenheiten angesprochen, sodass trotz eines übergreifenden Zusammenhangs jede einzelne Predigt einen oder mehrere eigene Schwerpunkte hat. Dies wird im Folgenden in einem Überblick über die Themen und theologischen Pointen der Predigten dargestellt, bevor noch eigens auf die bedeutende Rolle der aktuellen ‚Widersacher‘ in den Predigten eingegangen wird.178 4.2.1  Überblick über die Predigtreihe Die erste Predigt über die Anfechtungen Jesu und sein Gebet in Gethsemane (Mt 26,36–46) bietet eine Eröffnung der Reihe im Sinne einer Anleitung zur Passionsbetrachtung. Denn die Perikope sei insofern grundlegend und „der rechte anfang der Historien vom leiden unsers Herren Christi179, als sie „nit allein zur lehr [dienet], das wir am Herrn Christo sehen, wie er inn der angst und not sich gehalten hat, sondern auch zum trost wider die sünde und das böse gewissen“.180 Neben dem, dass hier Christus eindeutig als wahrer Mensch und wahrer Gott erkennbar werde, was der Stärkung des Glaubens gegen ketzerische Ansichten diene,181 erläutert Dietrich den ‚rechten Gebrauch‘ der Perikope in drei Aspekten: Erstens werde die Schwere der Sünde erkennbar, zweitens der Trost, der aus der Erkenntnis kommt, dass es eben der Sohn Gottes ist, der diese trägt, und drittens könne man das Beten in Anfechtung lernen.182 Während der letzte Punkt etwas für diese Perikope Spezifisches darstellt, bieten die anderen beiden Aspekte gewissermaßen die passionstheologische Basis der Predigtreihe. Die zweite Predigt behandelt die Gefangennahme Jesu, wobei der matthäische Abschnitt (Mt 26,47–50) am Ende durch nur im johanneischen Bericht Erzähltes (Joh 18,4–8) ergänzt wird. Im Vordergrund steht die Auslegung der Person des Judas: Mit der Frage nach der Identifikation ‚heutiger Judaskinder‘ als 178  Für einen Überblick über Dietrichs Predigtweise vgl. Herrfurth, Predigt; Klaus, Dietrich, 366–381. 179  WA 52, 734,4 f. 180  A. a. O., 734,5–7. 181  Vgl. a. a. O., 735,19–36. 182  Die drei Aspekte, die im Schlussabschnitt zusammengefasst sind (vgl. WA 52, 742,25– 37), entsprechen auch der Struktur der Predigt.

194

IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

„die Sacrament schwirmer, die Widertauffer und andere rotten“183 kann Dietrich erstens auf den Vorwurf altgläubiger ‚Widersacher‘ reagieren, dass die neue Lehre für Aufruhr und Ärgernisse verantwortlich sei. Zweitens warnt er vor der Gefahr von vermeintlich kleinen Sünden aufgrund der Unterschätzung des Teufels und mangelnder Gottesfurcht, womit auch erklärt werden könne, warum gerade „unter denen, so des Euangelions sich hoch rühmen“,184 Unmoral wie Geiz, Wucher und Unzucht mitunter noch schlimmer sind „denn zuvor im Bapstumb“.185 Drittens kann Dietrich aber auch aus der Defensive in die Offensive gehen und den Papst mit Judas identifizieren, denn „der hat den Judas seckel auch am halß und lest jhm gelt und gut lieben, das er das Euangelion darüber verreth und verkaufft“;186 und wie Judas bringt er ein ganzes Gefolge mit, nämlich „München Pfaffen, Hohenschulen, die alle jm Christum helffen fangen, das ist: die das Euan­gelion verfolgen und verdammen als die ergste Ketzerey“.187 Diese Identifikation der Gegner Jesu mit den ‚heutigen‘ Gegnern ‚des Evangeliums‘ bleibt auch in den folgenden Predigten leitend. Anhand der Perikope über den Verteidigungsversuch des Petrus mit dem Schwert (Mt 26,51–56) geht Dietrich in der dritten Predigt – wie auch Luther und so ziemlich alle Prediger in dessen Tradition – auf die rechte Zuordnung von geistlicher und weltlicher Gewalt ein. Dabei werde auch auf verschiedene praktische Fragen für das persönliche wie gesellschaftliche Leben eingegangen; etwa nach dem Verhältnis zu Jesu Anweisung, die andere Wange hinzuhalten (Mt  5,39 f.),188 nach der Möglichkeit von privater Gewaltanwendung in Notwehr,189 nach unangemessener Handhabung des ‚weltlichen Schwertes‘ durch die zuständige Obrigkeit190 und nach der Möglichkeit und Begründung der Verteidigung des Evangeliums mithilfe von Gewalt durch die weltliche Obrigkeit.191 In der vierten Predigt über den Prozess vor der jüdischen Gerichtsbarkeit (Mt 26,57–68) schöpft Dietrich die Analogie zwischen der Verurteilung Jesu – „das sie Christum zum Ketzer unnd Gotteslesterer machen“192 – und der Verketzerung ‚des Evangeliums‘ durch die ‚Papisten‘ voll aus. Er geht dabei auch auf konkrete Situationen wie den Umgang von Papst und Bischöfen mit der Konzilsforderung von „uns Deutschen“193 oder der Situation des Augsburger Reichstages von 1530 ein.194 183 

A. a. O., 743,20 f. A. a. O., 745,6. 185  A. a. O., 745,7. 186  A. a. O., 747,29–31. 187  A. a. O., 747,34–36. 188  Vgl. a. a. O., 753,17–39. 189  Vgl. a. a. O., 754,1–12. 190  Vgl. a. a. O., 754,13–755,31. 191  Vgl. a. a. O., 755,32–757,21. 192  A. a. O., 763,14. 193  A. a. O., 760,23 im Kontext von Z. 21–37. 194  Vgl. a. a. O., 763,23–37. 184 

4  Veit Dietrich195



Für die fünfte Predigt über die Verleugnung Jesu durch Petrus (Mt 26,69– 75) steht das Thema im Grunde fest, da dieser „ein feins exempel Christlicher ­busse“195 biete. Konkret müsse man zunächst „unser schwacheyt lernen erkennen, das weder wir auff andere leut noch auff uns selb etwas gewiss bawen sollen“.196 Sodann wird das Exempel Petri einerseits als Ausdruck der Gnade und Barmherzigkeit Gottes „uns zum trost“197 ausgelegt und andererseits – wiederum traditionell im Kontrast zu Judas – als Wegbeschreibung rechter Buße. Das Pendant zu Petrus findet sich mit dem Ende des Judas (Mt 27,1–10) in der sechsten Predigt. Hier könne man insbesondere „der sünde eygene art und natur“198 erkennen, wie sie sich „so glat erstlich einschleicht, aber hernach so ein greuliches ende verursachet“.199 Dietrich vergleicht die Sünde mit einem schlafenden Raubtier, das ungefährlich wirkt und sich streicheln lässt; aber sobald es erwacht, „da wirdts ein reyssender löw, ein zorniger ber, der alles zer­reysset und zerbeysset, was er ankombt“.200 Komplettiert wird die Negativspirale durch den Teufel, der sich die Sünde zu Nutze mache und Richtung Verzweiflung wirke.201 So ergeht die eindringliche Warnung, sich vor Sünden zu hüten und Gott täglich um Beistand zu bitten. Andererseits wird – „wo der fall geschehen, […] und die sünde, so anfencklich schlief, yetzung auffwachet und dir unter aufgen trittet und dich beklaget“202 – wieder auf Petrus zurückgeblickt: Dieser konnte nach Dietrich deshalb Trost finden, weil er – im Gegensatz zu Judas – zuvor ‚das Wort‘ nicht verachtet, sondern ‚fleißig gehört‘ habe, sodass er im entscheidenden Moment die Verheißung seines Meisters (Lk 22,31 f.) ergreifen konnte: „mit dem wort errettet er sich“.203 Biblische Zusagen der Annahme, der Vergebung und der Errettung204 zu hören, zu lernen und sich einzuprägen, damit sie ins Herz gehen – dies ist nach Dietrich das beste Rezept dagegen, in Verzweiflung zu fallen. Die Predigten sieben und acht gehören eng zusammen, sie behandeln die Gerichtsverhandlung vor Pilatus explizit auf der Grundlage der Berichte aller vier Evangelisten. Die siebte Predigt stellt eine ausführliche Nacherzählung der Berichte dar, wobei mit dem ausführlichsten von Johannes begonnen wird (Joh 18,28–40). Dieser wird um die bei den anderen Evangelisten zusätzlich erzählten Elemente ergänzt. Die Erzählung ist dabei von aktualisierenden Deu195 

A. a. O., 764,10 (Hervorhebung J. R.). A. a. O., 765,1–3. 197  A. a. O., 766,21. 198  A. a. O., 772,14 (Hervorhebung J. R.). 199  A. a. O., 772,15 f. 200  A. a. O., 773,28 f. 201  Vgl. a. a. O., 774,31–39. 202  A. a. O., 776,38–777,2. 203  A. a. O., 777,34. 204  Dietrich zitiert beispielhaft Mt 9,13; Mt 11,28–30; Joh 3,16–18a; Joh 5,24; Joh 11,25 und 1 Joh 2,1 f. 196 

196

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tungen durchzogen, immer nach dem Schema: Genauso, wie damals mit Jesus Christus umgegangen wurde, wird auch heute mit ‚dem Evangelium‘ umgegangen.205 In der mit „Erklerung etlicher stück auß dieser Histori“ überschriebenen achten Predigt werden drei Themen genauer behandelt: Erstens wird in der Perikope mehrfach Jesu Unschuld betont, wodurch man umso gewisser werden soll: „alles, was unser lieber herr Christus erlitten hat, haber er unserthalb erlitten […] das wir dadurch von sünden ledig unnd mit Gott wider versönet wurden“.206 Zweitens führt Dietrich anhand des Bekenntnisses Jesu vor Pilatus aus, dass die Regierweise des Reiches Jesu Christi allein das Zeugnis der Wahrheit, d. h. ‚das heilige Evangelium‘ ist.207 Schließlich werden drittens das schlimme zeitliche und ewige Schicksal sowohl von Pilatus und seiner Familie als auch des jüdischen Volkes als Warnung davor, „das blut unsers lieben Herrn Christi so gering [zu] achten“,208 dargestellt. Dietrich spricht sie insbesondere in Richtung der „grossen König und Fürsten“209 aus, dass niemand sich einbilden solle, Gott würde das Vergießen von „unschuldigem Christenblut“210 ungestraft lassen. In der neunten Predigt werden zwei Aspekte des Weges Jesu nach Golgatha ausgelegt, wie es in Lk 23,26–31 beschrieben ist: Zum einen thematisiert Dietrich anhand von Simon von Kyrene, was es mit dem sprichwörtlichen Kreuz auf sich hat, das die Christen tragen sollen. Dieses wird in drei Richtungen abgegrenzt: Es unterscheide sich von der verdienten Strafe der Gottlosen,211 von dem selbstauferlegten Kreuz sowohl des monastischen Lebens als auch der ‚Wie205  Vgl. z. B. a. a.O., 780,5–8: „Solche heyligkeyt finden wir an unsern Papisten auch, die haltens vil für ein geringere sünd, die armen Christen umbs Euangelions willen verfolgen und würden, denn am Freytag fleysch oder eyer in der Marterwochen essen.“; a. a. O., 780,38–781,1: „Wie heutigs tags mit dem heyligen Euangelio Bapst, Bischoffe, München und Pfaffen auch thun […]“; a. a. O., 782,20–22: „Also sihet man noch heutigs tages, Alles setzet es wider das Euangelion zusamm […]“. 206 A. a. O., 785,30–33 (Hervorhebung J. R.). Daraus folgt die passionshermeneutische Regel (a. a. O., 785,33–786,4): „Derhalben solen wir durch und durch in der gantzen Historien der Passion, wo wir hören, wie unbillich Juden und Heyden mit dem Herrn Christo umbgehen, wie sie jn vor dem Hohenpriester schlagen, vor Herode höhnen, im Richthauß geysseln und verspotten, wo, sag ich, wir solches in der gantzen Historien hören, sollen wir ymmerdar den gedancken dabey fasen und haben: Sihe, er ist unschuldig, seineshalb leydet ers nit, er hats nit verdienet, Ich aber, du und wir alle habens verdienes, Wir haben den todte und alles unglück der sünden halb auff uns gehabt, Aber da kommet der unschuldige, heylige Sun Gottes, steckt sich in meine schuld, will dafür bezalen, auff das ich quit und ledig werde.“ 207  Dabei betont Dietrich nachdrücklich, dass das ‚Anfangen‘ des Reiches Gottes auf Erden „nur im wort unnd glauben“ (a. a. O., 788,5; vgl. a. a. O., 788,31: „nur im glauben und wort“) bestehe – jenem Gegenüber, das auch für Luther nicht nur grundsätzlich von höchster Bedeutung ist (vgl. Bayer, Luthers Theologie, 51; Beutel, Antwort, 40–44), sondern eben auch in jener Passionspredigt Von der Frucht des Leidens Christi (s. o. Kapitel II.3.2) pointiert wird, die in der Hauspostille dem Zyklus der dreizehn Predigten Dietrichs voransteht. 208  A. a. O., 790,12. 209  A. a. O., 791,17. 210  A. a. O., 791,36. 211  Vgl. a. a. O., 793,30–796,9.

4  Veit Dietrich197



dertäufer‘212 und Kreuz Jesu Christi, welches – im Unterschied zum Kreuz der Christen – Vergebung der Sünden verdient und erwirkt.213 Zum anderen kommt Dietrich auf Jesu Worte an die beistehenden und weinenden Frauen zu sprechen (Lk 23,28), die er der Sache nach im Sinne Luthers als Anweisung Jesu an ‚uns‘ auslegt, dass ‚wir‘ angesichts seiner Passion nicht über ihn, sondern über die eigene Sünde weinen sollen.214 Anders als Luther formuliert Dietrich als Alternative zum Weinen über Christus jedoch explizit auch das Lachen und die Freude.215 Damit radikalisiert Dietrich den Gegensatz im Umgang mit der Passion Jesu Christi zwischen der traditionellen compassio-Frömmigkeit und einer auf die vollbrachte Sündenvergebung und Erlösung orientierten Passionstheologie: „Da wir unser sünden halb weynen sollten, lachen wir, da wir lachen und von hertzen frolocken sollten, das Christus für und gestorben ist und hat uns das ewig leben erworben, da weynen wir“.216 An Dietrich zeigt sich entsprechend, dass die so bei Luther nicht formulierte Alternative von Weinen angesichts des Leidens Christi oder Lachen angesichts der Erlösung durch Christus, die bei Nausea217 und Witzel218 als Negativfolie begegnet, durchaus Anhalt an Predigten reformatorisch gesonnener Theologen gehabt haben konnte.219 In der zehnten Predigt über die Kreuzigung Jesu bis zu seinem Tod (Mt 27,33– 56) werden zwei Fragen eingehend behandelt: Warum ausgerechnet die Passionsberichte voll von Schriftzitaten sind und warum Jesus am Kreuz sterben musste. Die elfte und die zwölfte Predigt nehmen Begebenheiten in den Blick, die sich nicht im matthäischen Passionsbericht finden: Jesu Gebet für seine Peiniger sowie das Gespräch mit den beiden Schächern, die sich in Lk 23,32–43 finden, sind Thema der von Luther übernommenen, elften Predigt.220 212 

Vgl. a. a. O., 796,10–35. Vgl. a. a. O., 796,36–797,16. Zusammengefasst a. a. O., 797,5–8: „Das creutz, das wir tragen, dienet dazu, das der alte Adam beschweret und der sünde gewehret werde, Das aber sünde vergeben werden, solchs ist allein unsers Herren Christi werck und verdienst.“ 214  Vgl. a. a. O., 799,3–800,9. 215  A. a. O., 799,4f: „uber jn sollen wir nicht weinen, sonder lachen, frölich vnd guter ding sein“. 216  A. a. O., 800,1–4. Interessanterweise formuliert Dietrich diese Alternative nicht als Kritik an der traditionellen compassio-Frömmigkeit, d. h. ohne Polemik gegen Altgläubige, sondern als Alternative zwischen einem das Gewicht der Sünde verkennenden ‚weltlichen‘ Umgang mit der Passion und der Weise, wie sie Jesus selbst vorschreibt. 217  S. o. Kapitel III.3.3.1. 218  S. o. Kapitel III.4.3.2. 219  Die im Schlussabschnitt der Predigt zusammengefasste Pointe entspricht genau dem Doppelaspekt, den Luther als Betrachtung der Passion als sacramentum bezeichnet hat (a. a. O., 800,10–14): „Derhalb bedarffe es zu beden teylen bettens, Erstlich, das Gott durch seinen heyligen Geyst unsere hertzen ruren, die sünde uns erleyden, uns davon abziehen und aller sicherheyt wehren wölle. Zum andern, das er den trost wider sie sünd in unserm hertzen anzünden und das vertrawen auff des Herrn Christi opffer und gnugthuung vest machen wölle“. 220  S. o. Kapitel II.3.3. 213 

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IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

Drei weitere Szenen, die Dietrich in Predigt zwölf auslegt, finden sich ausschließlich in Joh 19,25–37: Für Jesu wechselseitigen Verweis an Maria und den Jünger, den er lieb hatte (traditionell: Johannes), führt der Prediger verschiedene Deutungen an und plädiert anschließend dafür, sie auf Prediger und Zuhörer zu deuten.221 Das in Joh 19,36 zitierte Schriftwort, dass ‚ihm kein Bein gebrochen‘ werden solle, nutzt Dietrich, um die gesamte Begebenheit aus Ex 12 als „ein vorbild oder figur“222 zu erläutern. Schließlich wird auf die Seitenwunde eingegangen, aus der nach Joh 19,34 Blut und Wasser geflossen kam. Damit seien Kraft und Lebensmacht des Todes Jesu Christi veranschauchlicht (Blut), der seine Wirkung jedoch nur an den Getauften (Wasser) entfalte.223 In der dreizehnten und letzten Predigt behandelt Dietrich angesichts der Grablegung Jesu (Mt 27,57–66) die sich unmittelbar abzeichnende Wirkung des Todes Jesu Christi sowohl auf dessen Freunde als auch auf seine Feinde. Anhand von Joseph von Arimathäa und Nikodemus könne man sehen, wie zunächst ängstliche, ‚heimliche‘ Jünger Jesu im Herzen gestärkt zu mutigem Bekenntnis veranlasst werden, während man gleichzeitig Jesu Jünger verängstigt sieht. Dieses wechselhafte Verhältnis, das in der Kirche immer existieren werde,224 verknüpft Dietrich mit der pastoralen Ermahnung, dass sich die (zu einer Zeit) ‚Starken‘ niemals über die (zu dieser Zeit) ‚Schwachen‘ erheben sollen.225 An den Feinden Jesu sehe man dagegen, wie ihr Herz unruhig und schwach wird, sodass sie sich – wie man „bey unsern zeyten“226 an den ‚Papisten‘ sehe – wider besseren Wissens „mit lügen müssen […] behelffen“.227 221  Vgl. a. a. O., 810,26–28: „Wo es nun in der Kirchn recht zu gehet, sollen die, so das pre­ dig­ambt füren, ein mutter hertz gegen die Kirch haben.“; a. a. O., 810,35–811,1: „Wo nu das mutter hertz, die grosse lieb, nit da ist unnd die Prediger treibet, da wird der scheflein ubel gewartet. Widerumb auff der ander seitten, die, so das predigambt nit haben, sonder bedürffen, das man sie unterrichte und lehre, die sollen Süne sein, sich lassen weyden, füren, nehren und in andere weiß jhr pflegen lassen unnd sonderlich wie ein fromes kind gegen seine muter sich halten.“ 222  A. a. O., 812,22. 223  Vgl. a. a. O., 816,30–32: „Solches ist on zweyffel geschehen, damit anzuzeygen, das unsers lieben Herrn Christi blut niemand werde besprengen, Denn nur die, so in seinem namen getauffet sind“. 224  Vgl. a. a. O., 823,1–5: „Denn dieser wechsel wirdt ymmerdar inn der kirch bleyben, Etliche und die sterckesten werden schwach sein und im ergernuß sich nicht konnen halten, Widerumb werden die schwechsten sich herfür thun unnd mit frölichem bekentnuß sich hören lassen, auff das es nymermer mangele an leuten, die Christum erkennen und bekennen.“ 225  Vgl. a. a. O., 823,8–15: „Denn Gott als ein reycher Haußherr will allerley gesind in seim hausse haben, Nit eytel starcke und gewachßne, sonde auch kleyne und schache, Auff das nun die starcken niemand verachten, müssen sie jr schwacheyt an jnen selb lernen, Und das ja niemand den andern richte, kombt der Geyst Gottes uber die schwachen, ermannet, tröstet, unnd stercket sie dermassen, das yederman die Göttliche krafft an jnen sehen und rhümen muß. Das richtet unsers lieben Herrn Christi leyden für und für in seiner kirchen auß, auff das ja sein Christenheyt nicht zu grund gehe, sonder bleybe, wachse und weyter werd.“ 226  A. a. O., 826,5. 227  A. a. O., 826,1 f.



4  Veit Dietrich199

4.2.2  Die Gegner ‚des Evangeliums‘ Für die vergegenwärtigende Auslegung der Passionsgeschichte liest Dietrich die eigene Zeit und die Zeit der biblischen Berichte ineinander. Den interpretatorischen Schlüssel bildet die Analogie zwischen dem Kommen Jesu Christi damals und dem erneuten ‚An-den-Tag-Kommen‘ des Evangeliums in der Gegenwart sowie der kurz darauf folgenden Ablehnung, Folterung und Tötung Jesu Christi und der erlebten Bekämpfung des Evangeliums durch „Bapst, Cardinäl, Bischoffe, Pfaffen, München“.228 Diese Identifikation zieht sich angefangen bei der zweiten Predigt, d. h. seit dem Auftreten der jüdischen Gegner Jesu, durch die gesamte Predigtreihe. Während in der Regel allgemeine Verhaltensanalogien gezogen werden, geht Dietrich insbesondere in der vierten Predigt über den Prozess Jesu vor der jüdischen Gerichtsbarkeit auch auf konkrete zeitgeschichtliche Ereignisse ein (Umgang mit Konzilsforderung; Augsburger Reichstag 1530) und identifiziert eine bestimmte Personengruppe namentlich: „Solche Pfaffenknecht sind heutiges tages die unnützen wescher, Witzel, Cocles und der gleychen, die wol dienen wöllen, lestern und schenden das heylige Euangelion nur ­darumb, das sie bey jhren Bischoffen und dem Abgott zu Rom jhnen ein gunst schöpffen.“229

Ebenfalls aufschlussreich ist die siebte Predigt, die eine Nacherzählung des Prozesses vor Pontius Pilatus darstellt,230 bei der immer wieder die Verschränkung mit dem verwerflichen Agieren von Papst, Bischöfen und Mönchen gesucht wird.231 Insgesamt imaginiert Dietrich den Hörerinnen und Hörern somit die eigene Gegenwart als Passionszeit.232 Terminologisch fällt dabei auf, dass Dietrich als Gegenpol zu den ‚Papisten‘ stets absolut von ‚dem (heiligen) Evangelium‘ spricht. Was damals mit Christus geschehen ist, passiert nun mit ‚dem Evangelium‘; die ‚Papisten‘ bekämpfen und verfolgen daher nicht einfach ‚uns‘, sondern eben ‚das Evangelium‘: „Wer wider Christum will klagen, der muß ein schentlicher lügner werden, Wie wir an unsern Papisten auch sehen, eytel lügen ist es, was sie wider das Euangelion 228  A. a. O., 748,7. Dietrich bevorzugt derartige in der Hierarchie abfallende Aufzählungen, wobei er auch einfach summarisch von den „Papisten“ (a. a. O., 745,24) sprechen kann. 229  A. a. O., 762,24–27. 230  Die achte Predigt bietet dann die theologische Auslegung. 231  Vgl. a. a. O., 780,5–10; 780,36–781,4; 782,19–27. 232  Im Zusammenhang der Schilderung des Augsburger Reichstages von 1530 macht Dietrich dies explizit (a. a. O., 763,23–32): „Sihe aber mit fleyß drauff, ob es dem Euangelio heutigs tages nicht auch also gehe? Die Papisten fragen uns und wöllen unser lehr wissen. Wenn wird denn auff das einfeltigst und treulichst bekennen, wie zu Augspurg und anderswo auff dem Reychstage geschehen, so gehet das geschrey mit macht: ketzerio, ketzerio, und seumet sich niemand, was er für schmach, hon, spot und schaden den armen Christen kann zu fügen, das thut er. Ey, sagens, seyt jr die Euangelischen, ist das ewer Euangelion? beyte, Wir wöllen euch des Euangelions geben. Haben also des Passion hin und wider mit den fromen Christen in Deutschland, Welschland, Franckreych, Engellandt gespilet, das es Gott erbarme.“

200

IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

schreyen.“233 Obwohl durch den Bezug auf das Augsburger Bekenntnis und die gelegentliche Abgrenzung nicht nur in Richtung der Altgläubigen, sondern auch der ‚Wiedertäufer‘, ‚Sakramentschwärmer‘ und ‚anderer Rotten‘ implizit das Bewusstsein einer Gruppenzugehörigkeit gegeben ist, vermeidet Dietrich jegliche Gruppen-Selbstbezeichnung. Lediglich an zwei Stellen begegnet eine Gruppenbezeichnung, die bezeichnenderweise jeweils explizit als Fremdbezeichnung gekennzeichnet ist: „Ey, sagens, seyt jr die Euangelischen, ist das ewer Euangelion?“234 und „Lutherische (wie sie es nennen) predig hören“.235 Dietrichs Charakterisierung der ‚Papisten‘ unterscheidet sich dabei von derjenigen, die sich in der Passionspredigt Luthers findet, welche der Passio Dietrichs in der Hauspostille voransteht.236 Während Luther gegensätzliche Lehren und Anschauungen bezüglich des Umgangs mit der Passion betont, die Opposition also an Theologie und Frömmigkeit festgemacht hat, so ist es bei Dietrich die feindliche Stellung der Altgläubigen gegenüber ‚dem Evangelium‘ – und d. h. konkret gegenüber denjenigen, die für das neu ans Licht gekommene Evangelium stehen, also die von Wittenberg ausgegangene reformatorische Bewegung. Aufgrund der beschriebenen Analogie zwischen der Zeit Jesu und seiner eigenen Gegenwart, die sich durch die Passio zieht, und den damit festgelegten Rollen innerhalb des biblischen Szenarios, scheint Dietrich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gegenüber kaum noch für nötig zu erachten. 4.3  Identifikation mit Luther? Allein dass die Passionspredigten Veit Dietrichs jahrhundertelang als Bestandteil der Hauspostille Luthers überliefert und – abgesehen von Ausnahmen – als Lutherpredigten gelesen wurden, zeigt die große Nähe des Nürnbergers zu dem Wittenberger Vorbild. Dietrich sah sich im Dienst an ‚dem Evangelium‘, der sich gerade auch in seiner Herausgebertätigkeit der Vorlesungen und Predigten Luthers konkretisierte. Während die recht freie Bearbeitung seiner Vorlagen von einigen  – v. a. später aus ‚gnesiolutherisch‘-ernestinischer Perspektive  – missmutig beäugt und Dietrich Verfälschung des Originals vorgeworfen wurde, ging es ihm insbesondere mit der Hauspostille darum, pastoralen Herausforderungen zu begegnen, mit denen er als Reformator des Nürnberger Umlandes konfrontiert wurde. Nicht ‚originaler‘ oder ‚verfälschter‘ Luther war für Dietrich die entscheidende Frage, sondern der Nutzen für die Verkündigung des Evangeliums in den Landgemeinden. Dafür waren angesichts des engen Konnexes zwischen Luther und dem ‚An-den-Tag-Kommen‘ des Evangeliums dessen Predigten natürlich die geeignetsten. Und es kann wohl als Ausdruck der Identifikation mit Lu233  A. a. O., 761,29–31. Dies konkretisiert Dietrich anschließend anhand von altgläubigen Verleumdungen gegen die evangelische Abendmahlspraxis. 234  A. a. O., 763,29. 235  A. a. O., 801,34. 236  S. o. Kapitel II.3.2.

4  Veit Dietrich201



ther als dem Lehrer und Verkündiger des Evangeliums gedeutet werden, wenn Dietrich sich auf der Kanzel Luthers Predigten zu eigenen macht und seine Passionspredigten in der Hauspostille drucken lässt. Eine solche Reihe mit Predigten Luthers für diese bedeutende Kirchenjahreszeit hatte er offenbar nicht in seinen Aufzeichnungen; die Verkündigung der Passionsgeschichte in einer Predigtreihe gehörte gleichwohl zur üblichen kirchlichen Praxis – dem galt es Abhilfe zu schaffen. So sehr Dietrich von Luther geprägt war, so wenig war er mit diesem identisch. Für die Passionspredigten zeigt sich die Aneignung der Impulse Luthers und die eigene Akzentuierung an der Formulierung der passionstheologischen und -hermeneutischen Kerngedanken. Die konzentrierteste Fassung dessen bringt Dietrich im letzten Abschnitt der dreizehnten Predigt als Erinnerung und Zusammenfassung des Gehörten. Darin wird deutlich, dass sich Dietrich – genau wie Spangenberg und Melan­chthon  – auf den Gleisen bewegt, die Luther im Passionssermon von 1519 gelegt hat. Als Grundelemente finden sich der Doppelaspekt dessen, was bei Luther ‚Christus als sacramentum‘ hieß, d. h. Sündenerkenntis und Vertrauen auf das Erlösungswerk, sowie anschließend Christus in seiner Vorbildhaftigkeit (als exemplum): Die „zwo fürnembsten lehr, so jn solcher Histori uns fürgehalten und ymmerdar von uns sollen geübet werden“,237 seien einerseits, „wie groß und greulich last die sünde sey“238 und andererseits „sollen wir lernen wider die sünde uns mit dem opffer des Herren Christi trösten“.239 „Darnach“240 solle man sich Christus auch zum Vorbild für Geduld und Leiden sowie für Nächstenlieben nehmen. Ein Akzentunterschied im Vergleich zu Luther findet sich darin, dass die beiden ‚Hauptlehren‘ jeweils für sich mit einer Zweckbestimmung versehen sind. Während die zweite keinen Unterschied zu Luthers Ausführungen beinhaltet – „auff das, wo gleich sünde oder tod uns anficht, wir doch den trost gewiß behalten, Christus hab für unsere sünde bezalet, und Gott wölle seinethalb mit uns zu friden sein und unser sünd nicht mehr gedencken“241 –, so deutet sich ein solcher bei der Sündenerkenntnis durchaus an: „Auff das wir uns in Gottes forcht halten und für solchem last uns hüten“.242 Was Dietrich darunter versteht, zeigt sich besonders in der ersten Predigt, die als Anleitung zur Passionsbetrachtung gestaltet und durch die beiden ‚Hauptlehren‘ gegliedert ist. In der ersten Predigt veranschaulicht Dietrich seinen Hörerinnen und Hörern die Szenerie im Garten Gethsemane als ein ‚Ölberg-Gemälde‘, in dem zweierlei hervorsteche: Einerseits sei es ein „gemeld der sünden […], dafür du von 237  238  239  240  241  242 

A. a. O., 827,16 f. A. a. O., 827,9 f. A. a. O., 827,12 f. A. a. O., 827,17. A. a. O., 827,13–16. A. a. O., 827,11 f.

202

IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

hertzen erschrecken müst“.243 Andererseits „dienet dir der Oleberg auch zum trost, das du gewiß bist, Christus hab deine sünde auff sich geladen unnd dafür bezalet, denn wo solt sonst solches zagen und angst [Jesu Christi] sein herkommen?“244 Der Schritt vom Erschrecken zum Trost wird jedoch nicht unmittelbar vollzogen, sondern das Erschrecken vor der eigenen Sündhaftigkeit im Angesicht des leidenden Jesus Christus soll zunächst dazu dienen, „das du in Gottes forcht dich haltest und nit sündigest“.245 Denn wenn man Gottes Zorn über die Sünde recht erkennen würde, würde man „nit allein kein lust und lieb dazu haben, sonder uns, als für dem gehen [= jähen, J. R.] tod, dafür förchten und hüten“.246 Die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und des Zornes Gottes ist also bei Dietrich – genau wie bei Spangenberg247 – nicht ausschließlich auf den Glauben als Pendant ausgerichtet, sondern hat überdies die ethische Funktion, zum Ablassen vom Sündigen zu motivieren. Um dies nicht nur theoretisch zu formulieren, sondern die praktische Umsetzung und Anwendung dessen zu ermöglichen, gibt Dietrich seinen Rezipienten Worte für die Anfechtungssituation mit auf den Weg.248 In der Weise verfährt er auch für den Schritt vom Erschrecken zum Trost249 sowie für den hoffnungsvollen Trost und den Dank an Gott.250 In der Passionspredigt Veit Dietrichs zeigt sich somit ein Äquivalent dazu, dass er der Gesetzespredigt neben der Hinordnung auf das Evangelium eine eigene, der ‚Zucht‘ der Menschen dienende Funktion zuschreibt.251

5  Zusammenfassender Vergleich (1.) Ein Vergleich der Passionsauslegungen von Spangenberg, Melan­chthon und Dietrich, die allesamt Mitte der 1540er Jahre noch vor Luthers Tod erschienen, muss zunächst die großen Unterschiede hinsichtlich des Umfangs, der literarischen Form und des Adressatenkreises in Rechnung stellen. Neben der in Frage-Antwort-Form verfassten, recht umfangreichen Auslegung der Passionsgeschichte Spangenbergs steht der zum Teil fragmentarische Charakter der Aufzeichnungen von Melan­chthons akademischen ‚Hauspredigten‘ und eine dreizehn Kanzelreden umfassende Predigtreihe Dietrichs, die von der Passionsgeschichte ausgehend auch über den engeren passionstheologischen Kontext hi243 

A. a. O., 736,18 f. A. a. O., 738,37–39. 245  A. a. O., 737,14 f. 246  A. a. O., 736,14 f. 247  S. o. Kapitel IV. 2.3. 248  Vgl. a. a. O., 737,1–13. 249  Vgl. a. a. O., 738,14–36. 250  Vgl. a. a. O., 739,13–17. 251  Zur Gesetzespredigt bei Dietrich vgl. Herrfurth, Predigt, 97–105; Klaus, Dietrich, 370 f. 244 



5  Zusammenfassender Vergleich203

nausgehende Themen behandelt. Spangenbergs Postille ist für den Unterricht der Jugend gedacht, bei Melan­chthons Auslegungen war ein akademisches Publikum im Blick und Dietrich wollte vorrangig die städtische Bürgerschaft und die weniger gebildeten Landpfarrer erreichen. (2.) Alle drei Autoren behandeln am Anfang und bzw. oder am Ende ihrer Ausführungen die entscheidenden Fragen nach der rechten Art der Passionsbetrachtung, d. h. nach ‚Ursache‘ und Applikation des Leidens und Sterbens Jesu Christi. Dabei zeigt sich bei allen eine deutliche Prägung durch diejenigen Leitgedanken, die Luther 1519 im Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi dargelegt hat, der nicht zuletzt durch dessen Postillen verbreitet wurde: Im Zentrum steht der Doppelaspekt von Erschrecken und Glaube bzw. Trost aufgrund dessen, dass im unschuldigen Leiden Jesu Christi ‚für uns‘ bzw. ‚um unseretwillen‘ sowohl die eigene Sünde und Gottes Zorn über diese erkannt werden als auch Gottes Liebe und Barmherzigkeit, die sich darin zeigen, dass Christus ‚unsere‘ und der Welt Sünden ‚für uns‘ getragen und Hölle, Tod und Teufel besiegt hat. Dem harmatiologisch-soteriologischen Zentralgehalt – in der Terminologie Luthers, die keiner der anderen Autoren übernommen hat: ‚Christus als sacramentum‘  – nachgeordnet, aber ebenfalls relevant ist die Vorbildfunktion Jesu Christi – ‚Christus als exemplum‘ –, wobei Themen wie Geduld und Beharrlichkeit in Leid und Anfechtung, das Bekennen der Wahrheit und die Liebe zum Nächsten und den Verfolgern immer wieder angesprochen werden. Diesen Grundgedanken haben Spangenberg, Melan­chthon und Dietrich in ihrer Adaption eine je eigene Prägung gegeben. Melan­chthon lehrt das an einen mehrfachen Schriftsinn erinnernde Schema von historischer, geistlicher und exemplarischer Betrachtung, wobei er bezüglich des exemplarischen Charakters der Passion besonders die Existenz der Kirche ‚unter dem Kreuz‘ betont. Spangenberg und Dietich weisen der Sündenerkenntnis zudem auch die ethisch-pädagogische Funktion zu, dass sie die Hörerinnen und Hörer zum Ablassen von Sünden und der ‚Besserung‘ der Lebensführung bewegen soll – ein Motiv, dass auch in altgläubigen Passionspredigten eine wichtige Rolle spielt. (3.) Das Bild, das von den altgläubigen ‚Widersachern‘ – meist als ‚Papisten‘ tituliert – gezeichnet wird, ist aufgrund der differierenden Ausführlichkeit unterschiedlich konturiert. Die wenigsten Verweise finden sich bei Melan­chthon; er erwähnt die ‚Papisten‘ stets in Aufzählungen mit anderen Personengruppen (‚Türken‘, ‚Ketzer‘, ‚Heiden‘), denen die rechte Lehre und der rechte Gottesdienst mangele. Häufiger kommt Spangenberg auf die theologischen Gegner dadurch zu sprechen, dass er mithilfe der Analogie zwischen dem Verhalten von Judas bzw. den Juden und den ‚Papisten heute‘ die Passionsgeschichte aktualisiert. Noch deutlicher ist dies in den zahlreichen Bezugnahmen, die sich durch die Predigten Dietrichs ziehen: Die Gegner Jesu Christi entsprechen den Gegnern ‚des Evangeliums‘, wobei durch den zeitgenössischen Bezug auf den Augsburger Reichstag von 1530 sehr klar bestimmt ist, wie sich Anhängerschaft und Gegner-

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IV. Etablierung und Erweiterungim Wittenberger Lager (1540–1550)

schaft ‚des Evangeliums‘ konkretisiert. Dadurch, dass Dietrich nicht mehr wie Spangenberg von den Gegnern ‚der Evangelischen‘, sondern direkt ‚des Evangeliums‘ und damit Jesu Christi selbst spricht, vollzieht er rhetorisch eine klare Steigerung der theologischen Bedeutung dieser Opposition. Eine eingehendere argumentative Auseinandersetzung mit den ‚Widersachern‘ findet sich bei keinem der Autoren.

V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570) 1 Einleitung Impulse der Reformation fanden auch bei jenen Theologen, Bischöfen und Fürsten Resonanz, die eine Reform der Kirche für dringend geboten hielten, den Weg unabhängig von Rom und den bestehenden Kircheninstitutionen jedoch verwarfen.1 Denn auch unter reformorientierten Altgläubigen war die Klage über Missstände laut und man versuchte – so lange noch kein Allgemeines Konzil in Aussicht bzw. abgeschlossen war –, durch neue Kirchenordnungen und Reformbeschlüsse auf regionaler Ebene innerhalb eines Bistums oder Fürstentums zu agieren, so etwa bei den Reformen 1532/33 in Jülich-Kleve-Berg, 1535/36 in Köln oder 1548/49 in Mainz. Einer der Schwerpunkte wurde auf das Problem der mangelhaft gebildeten Kleriker gelegt, dem dringend Abhilfe geschafft werden sollte. Volkssprachliche Literatur, in der die wesentlichen Punkte des wahren Glaubens und der rechten Frömmigkeitspraxis verständlich erläutert werden, sollte möglichst viele Kleriker und darüber hinaus das lesekundige Publikum erreichen – was freilich immer auch eine normierende Funktion hatte. Von besonderer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang Katechismen und beispielhafte Predigten. So war die Gattung der Postille, die sich – angestoßen durch und in Reaktion auf das Postillenwerk Martin Luthers – zunehmend etabliert hatte, in der Mitte des 16. Jahrhunderts aus dem Angebot der Verleger und Druckereien nicht mehr wegzudenken. Sowohl auf evangelischer als auch auf altgläubiger Seite gehörte sie zum festen Bestandteil der theologischen Literatur im Alten Reich, die sich über den Kreis der studierten Theologen hinaus – freilich ausschließlich von diesen verfasst – an die weniger gebildeten Prediger und oft auch an Hausväter wandte.2 Dass die bedeutendsten volkssprachlichen Postillen im altgläubigen Lager der 1550er und 1560er Jahre aus der Feder von Reformtheologen wie Johann Wild, Jakob Schöpper und Michael Helding stammen, überrascht entsprechend kaum. 1 

Einen kleinen Überblick bietet Decot, Geschichte, 180–188. entspricht, dass die altgläubige Postillenproduktion im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert ein nahezu ausschließlich deutsches Phänomen war (vgl. Frymire, Primacy, 258 f.): „Until 1590 the vast majority of Catholic postils printed in the Empire intensified the trend that had emerged after the early 1540s: their authors were almost exclusively sixteenthcentury Germans or active in German-speaking lands.“ 2  Dem

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

Die Entstehung der Postillen konnte durchaus unterschiedliche Hintergründe haben. Nach wie vor wurden Auftragswerke geschaffen, die  – wie etwa im Falle Johann Wilds – in ein territoriales Reformprogramm eingebunden waren.3 Zunehmend war die Zusammenstellung von Predigtmanuskripten zu Postillen jedoch auch ein Akt, durch den bedeutenden Predigern eine Art literarisches Vermächtnis zuteil wurde. Man wollte – wie bei Jakob Schöpper4 und Michael Helding5 –, dass ihre herausragende und vorbildhafte Predigttätigkeit auch nach ihrem Tod weiterwirken konnte. Das bedeutete zugleich, dass die Predigten in wichtigen Postillen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus der Zeit vor dem Konzil von Trient stammten. Dies gilt freilich auch für die durch den Franziskaner Johann Craendonch neu herausgegebene und inhaltlich ‚gereinigte‘ Postille Johann Spangenbergs.6 Daraus ergibt sich eine Situation, die Beachtung verdient: Bedeutende altgläubige Postillen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beinhalteten entstehungsgeschichtlich vorkonziliare Predigten von Reformtheologen, die den Evangelischen bei ihrer Kritik an Missständen der zeitgenössischen kirchlichen Lage teilweise beipflichteten und entsprechend eine gewisse Offenheit für deren Anliegen zeigten. Ob sich eine solche Offenheit auch im spezifischen Bereich der Passionstheologie und -frömmigkeit ausmachen lässt oder ob die Predigten klare Abgrenzungen vollziehen, ist die übergeordnete Frage dieses Kapitels. Wie in den vorangehenden Kapiteln werden dabei je Autor zunächst der Entstehungs- und der Veröffentlichungskontext der Postille dargestellt und anschließend die Passionspredigten in Grundzügen charakterisiert. Schließlich werden die Predigten konkret mit Blick auf ihr Verhältnis zur reformatorischen Bewegung analysiert: Welche Resonanz fanden reformatorische Impulse in den Passionspredigten der altgläubigen Reformtheologen? In welcher Weise wurden deren Anliegen aufgenommen oder abgewiesen und wie wurde dabei argumentiert? Welche Rolle spielt das Mitleiden mit Christus in der Passionsbetrachtung, also jener Aspekt, der von Friedrich Nausea und Georg Witzel als kontroverstheologisch relevant wahrgenommen wurde?7 In dem zusammenfassenden Vergleich der vier Autoren Wild, Schöpper, Helding und Craendonch und ihrer Passionsauslegungen am Ende des Kapitels werden die Ergebnisse gebündelt.

3 

S. u. Kapitel V. 2.1. S. u. Kapitel V. 3.1. 5  S. u. Kapitel V. 4.1. 6  S. u. Kapitel V. 5.1. 7  S. o. Kapitel III.5. 4 



2  Johann Wild207

2  Johann Wild Der aus Schwaben stammende Johann Wild (1495–1554)8 trat mit 20 Jahren, womöglich in seinem Studienort Heidelberg, in den Franziskanerorden ein. Er wirkte ab 1523 als Lektor des Tübinger Konventes9 und ging fünf Jahre später als Artes-Lektor und Konventsprediger nach Mainz. Sowohl der Mainzer als auch der Tübinger und der Heidelberger Konvent gehörten der observanten Richtung der Franziskaner an.10 Zu einem über den eigenen Orden hinausgehenden Wirkradius kam Wild 1539 durch die Beauftragung, die vakante Domprädikatur in Mainz vertretungsweise zu übernehmen, bis ein neuer Prediger gefunden sei. Die Suche nach einem geeigneten Prediger für den Fürsterzbischofssitz des höchsten Kurfürstentums des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gestaltete sich bereits seit dem Weggang Friedrich Nauseas 1534 als schwierig. Der amtierende Dompfarrer Michael Helding wurde – wie aus Protokollen des Domkapitels hervorgeht – aufgrund seiner leisen Stimme für die Predigerstelle als ungeeignet erachtet.11 1536 trat Johann Metzinger aufgrund einer Empfehlung Johannes Ecks die Stelle an; er starb jedoch bereits zwei Jahre später.12 Der Vakanzvertreter Wild stellte sich binnen kurzer Zeit als Glücksgriff heraus, sodass das Domkapitel nach einem Jahr beschloss, den beliebten Prediger dauerhaft anzustellen.13 Er versah das Amt mit großer Leidenschaft und Arbeitsintensität bis zu seinem Tod.14 2.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Als angesehener Domprediger war Wild eine bedeutende Gestalt des kirchlichen Lebens, der in die Reformbemühungen des Kurfürstentums eingebunden wurde, die seit dem 15. Jahrhundert bereits in Gang waren und durch die Reformation neue Dringlichkeit erfuhren.15 Unter Albrecht von Brandenburg als Kurfürst, Erzbischof und Reichskanzler entwickelte sich Mainz zum Zentrum dessen, was „im weiteren Sinne als ‚Mainzer Reformkreis‘ bezeichnet werden“16 8  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Berger, Wild; Domínguez, Art. Wild; Paulus, Wild. 9  Gut möglich ist, dass Wild bereits in seiner Tübinger Zeit Michael Helding begegnete, der zwischen 1525 und 1529 dort studierte (vgl. Berger, Wild, 111). 10 Vgl. Ziegler, Franziskaner-Observanten, 164–174. 11 Vgl. Brück, Domprediger, 152. 12  Vgl. a. a. O., 152 f. 13  Das hochschätzende Urteil Brücks, Wild sei „einer der besten Kanzelredner des 16. Jahrhunderts“ (a. a. O., 153) gewesen, findet sich schon bei Paulus, Wild, 8, der dafür auch entsprechende zeitgenössische Quellen zitiert. 14  Zu Wilds Verständnis des Predigtamtes vgl. Berger, Wild, 112 f.; Paulus, Wild, 6–8. 15 Vgl. Decot, Versuche. 16  Jürgensmeier, Kurmainz, 77.

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

kann. Zu diesem ‚Kreis‘ werden diverse reformorientierte Theologen gezählt, die nicht im eigentlichen Sinne als Gruppe angesprochen werden können. Sie haben nur zum Teil gleichzeitig in Mainz gewirkt und es lässt sich kaum so etwas wie eine Gruppenidentität oder ein Bewusstsein einer aufeinander bezugnehmenden Tradition o. ä. feststellen. Was sie abgesehen von dem zeitweiligen Wirkungsort Mainz verbindet, beschreibt Thomas Berger wie folgt: „Sie verstanden ihre Theologie primär als ‚Verkündigungstheologie‘ und bemühten sich zur Wiederherstellung der Kircheneinheit vor allem durch eine ausführliche und ansprechende Darlegung des katholischen Glaubens auf der Grundlage der Heiligen Schrift beizutragen.“17

Häufig werden besonders dringende Missstände der Kirche im mangelhaft ausgebildeten Klerus und in verweltlichten Bischöfen ausgemacht – also Kritik, wie sie ebenso aus dem reformatorischen Lager kam. Die Konzentration auf kirchlich-seelsorgliche Primäraufgaben, insbesondere Verkündigung und katechetische Unterweisung, sahen sie als dringend geboten.18 Würden diese Missstände angegangen, so eine zumindest anfänglich immer wieder geäußerte Hoffnung, könnte eine Kirchenspaltung weitgehend verhindert werden, da den Anliegen der ‚Schismatiker‘ entsprochen worden sei.19 Vor dem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Namen mehrerer bedeutender altgläubiger Postillatoren des 16. Jahrhunderts mit diesem ‚Kreis‘ in Verbindung stehen: neben Wild auch Nausea, Witzel und Helding.20 Die Publikation der Postille Johann Wilds geschah im Kontext der Reformbemühungen der Erzdiözese Mainz.21 1545 wurde Sebastian von Heusenstamm – gegen den Willen von Kaiser und Papst, die den Augsburger Bischof und Kardinal Otto Truchseß von Waldburg favorisierten  – als Nachfolger Albrechts zum Erzbischof und Kurfürsten von Mainz gewählt.22 Nach anfäng17  Berger, Wild, 112. Von ‚Vermittlungstheologie‘ (vgl. Smolinsky, Art. Vermittlungstheologie) kann bei Wild „im Sinne eines Bemühens um eine Integration berechtigter Anliegen reformatorischer Theologie in die Kirchenreform“ (a. a. O., 129) gesprochen werden. Zur Art und Weise der ‚Vermittlungstheologie‘ Wilds vgl. auch Decot, Einfluß, 322 f. 18  So etwa in einem von Albrecht von Brandenburg in Auftrag gegebenen Kirchen- bzw. Klerusreformentwurf aus den frühen 1540er Jahren, an dessen Erstellung u. a. Johann Wild und als Weihbischof Michael Helding beteiligt waren (vgl. Decot, Erzbistum, 78–80; ders., Versuche, 387–389). 19  Zu dieser Einstellung beispielsweise bei Julius Pflug vgl. Pilvousek, Haltung, 36. 20  Der Umfang des ‚Kreises‘ wird recht unterschiedlich bestimmt. Als ‚Kern‘ können Friedrich Nausea, Johann Wild und Michael Helding gelten, die zumindest in den meisten Aufzählungen begegnen. Den Radius am weitesten spannt Jürgensmeier, der außerdem Valentin von Tetleben, Bernhard Scholl, Johannes Mentzinger, Julius Pflug, Konrad Necrosius, Johannes Dietenberger und Johannes Cochläus nennt (vgl. Jürgensmeier, Kurmainz, 77). Auch Georg Witzel wird von manchen zu diesem ‚Kreis‘ hinzugezählt (vgl. z. B. Smolinsky, Reformtheologen, 118). 21 Vgl. Berger, Wild, 125–127; Frymire, Primacy, 139–148. 22 Vgl. Decot, Erzbistum, 81–84. Zum Wirken Sebastians von Heusenstamm als Kurfürst und Erzbischof von Mainz vgl. Decot, Religionsfrieden.

2  Johann Wild209



lich vorsichtigem Agieren ließ er im Anschluss an das Interim zwischen 1548 und 1550 Visitationen sowie eine Diözesan- und eine Provinzialsynode durchführen, um die kirchliche Lage besser einschätzen und entsprechende Reformmaßnahmen ergreifen zu können.23 Als Prediger auf der Provinzialsynode 1549 positionierte sich Wild deutlich kritisch in Bezug auf kirchliche Missstände insbesondere im Klerus und weckte damit die Aufmerksamkeit der Anwesenden.24 Infolge der Synode schien die umgehende Bereitstellung geeingeten Predigt­ materials dringend nötig und Erzbischof Sebastian von Heusenstamm bedrängte Wild, seine Predigten drucken zu lassen – ein an Wild nicht zum ersten Mal herangetragener Wunsch, auf den er bislang nicht eingegangen war. Nun jedoch kam er diesem nach, sodass allein im Jahr 1550 neun zum Teil umfangreiche Werke aus seiner Feder erschienen.25 Außerdem wurde der Weihbischof Michael Helding beauftragt, drei Bücher zu publizieren, die verpflichtend von allen Pfarrern bzw. Kirchenpflegern der Diözese angeschafft werden mussten: einen Katechismus, die überarbeitete Kirchenordnung und eine Postille. Während die ersten beiden Werke bald erschienen, durchkreuzte Heldings Wahl zum Merseburger Bischof die Erstellung der Postille, sodass Wild ersatzweise beauftragt wurde.26 Der erste Band mit dem Winterteil, der auch die Passionspredigten enthält, erschien 1552, der zweite mit dem Sommerteil zwei Jahre später. Somit ist die Entstehungssituation der Postille Wilds – ein Auftragswerk, das im Territorium flächendeckend zum Standard werden sollte  – mit denjenigen Johannes Ecks und Georg Witzels vergleichbar.27 Offensichtlicher Ausdruck der obrigkeitlichen Funktion war im Falle Wilds das kurfürstliche Wappen auf der ersten Seite der Postille. Die doppelte Bestimmung ihres Titels  – Postill oder Predigbuch Euangelischer warheyt vnd rechter Catholischer Lehr – dürfte mit Blick auf die versuchte Inanspruchnahme der Begriffe ‚evangelisch‘ und ‚katholisch‘ in der Reformationszeit bewusst gewählt sein.28 23 

Vgl. a. a. O., 87–91; ders., Religionsfrieden, 135–145. Frymire, Wild; Paulus, Wild, 36–47. 25  Vgl. die Bibliographie bei Wild, Paulus, 68 f. 26  So die Schilderung Wilds in der Widmungsrede (vgl. Wild, Postill, fol. iiir–v). 27  S. o. Kapitel III.1; III.2.1; III.4.1. 28  Eine detaillierte begriffsgeschichtliche Studie zu ‚evangelisch‘ und ‚katholisch‘ in der Reformationszeit fehlt bislang leider. Allgemein kann gesagt werden: Auf evangelischer wie auf altgläubiger Seite war freilich grundsätzlich der Anspruch vorhanden, dem Wortsinn nach sowohl evangelisch (‚dem Evangelium gemäß‘) als auch katholisch (‚der allgemeinen Kirche zugehörig‘) zu sein. Dennoch wurden die Attribute kontroverstheologisch mit unterschiedlicher Intensität verwendet: Von altgläubiger Seite wurde den Evangelischen in besonderer Weise die institutionelle Loslösung von der mit Rom verbundenen Kirche vorgeworfen. Anders herum wurde schon von Beginn der reformatorischen Bewegung an ‚das Evangelium‘ gegen die bestehende Kirche und ihre Lehren in Anschlag gebracht. In der Postille Spangenbergs findet sich beispielsweise in den 1540er Jahren ‚die Evangelischen‘ als Gruppenbezeichnung im Gegenüber zu ‚den Papisten‘ (s. o. Kapitel IV. 2.2.3). Wenn also im Titel der Postille Wilds Mitte des 16. Jahrhunderts von der ‚evangelischen Wahrheit‘ und der ‚rechten katholischen Lehre‘ gesprochen wurde, so dürfte dies als Reaktion auf die kontroversen Ansprüche und Zuschreibungen bezwecken, 24 Vgl.

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

Die 1554/55 noch um einen zweibändigen Festteil (De Sanctis) erweiterte Postille wurde ein publizistischer Erfolg: Sie gehörte mit zahlreichen Auflagen besonders in den 1550er und 1560er Jahren nicht nur zu den am weitesten verbreiteten, altgläubigen Postillen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum,29 sondern wurde auch in lateinischer Übersetzung30 in Paris, Lyon und Antwerpen gedruckt und ins Französische, Italienische, Niederländische und Tschechische übersetzt.31 Die große, je Sonntag und Festtag zehn Predigten umfassende Postille erschien ab 1558 noch einmal eigens in einer Kurzfassung mit je zwei ausgewählten Predigten. Diese Kurtze Postil, die explizit nicht nur an Prediger, sondern auch an Hausväter adressiert war, wurde in den 1560er und 1570er Jahren ebenfalls vielfach aufgelegt.32 2.2  Zum Charakter der Passionspredigten 2.2.1  Die enthaltenen Passionspredigten Der Abschnitt „PASSIO CHRISTI“ am Ende des ersten Bandes von Wilds Postille wird mit einer Harmonie der biblischen Passionsberichte vom Todesbeschluss durch die Ältesten und Schriftgelehrten und der Salbung Jesu in Bethanien bis zur Aufstellung der Wachen vor Jesu Grab eröffnet.33 Anschließend werden beide positiven Attribute zu vereinen. Aus der bloßen Verwendung kann jedoch nicht abgeleitet werden, ob damit eine Vermittlung intendiert war oder lediglich der Versuch, das ‚Evangelische‘ in der öffentlichen Debatte nicht an die Gegner abzutreten. 29  Sämtliche Drucke in deutscher Sprache wurden in Mainz und Köln bei den offenbar in engem Austausch stehenden Verlegern Franz Behem, Johann Bathan und Arnold Birckmann d. Ä. (Erben) gedruckt. Die Sonntagspostille (Winter- und Sommerteil) erschien 1552/54 (VD16 W 2984/85), 1556 (VD16 W 2988/2989), 1558 (VD16 W 2992/2993), 1561 (VD16 W 2996/2997) und 1568/69 (VD16 W 3003/3006). Meist jeweils ein Jahr später erschien die Festtagspostille (ebenfalls Winter- und Sommerteil): 1554/54 (VD16 W 2986/2987), 1557 (VD16 W 2990/2991), 1559 (VD16 W 2994/2995), 1561 (VD16 W 2999/3000) und 1568/69 (VD16 W 3004/3005). Philipp Agricola, der Nachfolger Wilds als Domprediger, übernahm nach dessen Tod 1554 die Herausgabe der Predigtbände und ergänzte sie um zuvor unveröffentlichte Predigten. Außerdem ließ er eigens einen Ergänzungsband zur Sonntagspostille drucken, der drei Auflagen erfuhr: 1561 (VD16 W 2998), 1562 (VD16 W 3001) und 1564 (VD16 W 3002). 30  Die ersten lateinischen Übersetzungen ab 1554 wurden zunächst wie die deutsche Ausgabe in Köln und Mainz gedruckt. Die verschiedenen Ausgaben (Sonntagspostille Winter, Sonntagspostille Sommer, Festpostille Winter, Festpostille Sommer) erschienen 1554, 1558, 1559, 1560 und 1564 (vgl. VD16 W 3007–3017; VD16 ZV 20551–20555; VD16 ZV 25277–25278 und VD16 ZV 31489). 31 Vgl. Decot, Einfluß, 324. 32 Das VD16 verzeichnet zwischen 1558 und 1589 elf vollständige Ausgaben (d. h. Sonntags- und Festpostille für Winter und Sommer): 1558/59 (VD16 W 3018/3019), 1560 (VD16 W 3020–3023), 1562 (VD16 W 3024–3027), 1563/64 (VD16 W 3028–3031), 1566 (VD16 W 3032– 3035), 1569 (VD16 W 3036–3038 und VD16 ZV 21873), 1571/72 (VD16 W 3039–3041 und 3045), zwei Mal 1572 (VD16 W 3043 sowie VD16 ZV 27256), 1579 (VD16 W 3042 und 3047– 3049) und 1589 (VD16 W 3050–3053). 33 Vgl. Wild, Postill, fol. CCCCCCXXXVIv–CCCCCCXLIIv.



2  Johann Wild211

neun Passionspredigten unterschiedlicher Länge geboten:34 sie umfassen zwischen etwas mehr als zwei und über neun Druckseiten.35 Der vorausgesetzte liturgische Ort aller Predigten ist die Ansprache an Karfreitag vor der Lesung der Passionsgeschichte.36 Es handelt sich also nicht um eine Predigtreihe, sondern um Einzelpredigten – auch „Vorred auf die Passion“37 oder „Vorred am heyligen Karfreytag“38 genannt –, die jeweils als Hör- und Meditationsanleitung auf die Lesung des biblischen Textes hinführen wollen. Da für die Postille nicht neu verfasste, sondern vorhandene Predigten zusammengestellt (oder gegebenenfalls Manuskripte ausformuliert) wurden, dürfte es sich folglich um die Karfreitagspredigten aus neun verschiedenen Jahren handeln, die der Domprediger Wild zwischen 1539 und 1551 gehalten hat.39 Angesichts dessen fällt die große homiletische Variabilität der Predigten auf. Es gibt keine wiederholten Passagen – d. h. Wild hat jedes Jahr für den Karfreitag eine neue Predigt ausgearbeitet. Dadurch, dass eine solche Vielzahl an Predigten in die Postille aufgenommen wurde, ist den Rezipienten eine Bandbreite an Möglichkeiten der Verkündigung gegeben. Gleichwohl gibt es sowohl formal als auch inhaltlich wiederkehrende Muster. Alle Predigten haben erkennbar einen zweiteiligen Aufbau. Die beiden aufeinanderfolgenden Teile können mit ‚Ermahnung zur Passionsbetrachtung‘ und ‚Anleitung zur Passionsbetrachtung‘ überschrieben werden. Im ersten Teil werden die Hörerinnen und Hörer angehalten und motiviert, sich die Passion regelmäßig zu vergegenwärtigen; der Sinn dessen, dass ‚heute‘ – an Karfreitag – eine besondere Möglichkeit dafür gegeben ist, wird betont und die Bedeutung der Passion vorgeführt. Anschließend wird in Vorbereitung auf die der Predigt folgenden Lesung zur rechten Weise des Umgangs mit der Passion angeleitet.40 Die 34  Üblicherweise sind in Wilds Postille zehn Predigten je Sonntag versammelt (vgl. a. a. O., fol. [ivr]). 35  Vgl. Predigt 1: a.  a.  O., fol.  CCCCCCXLIIv–CCCCCCXLVr; Predigt 2: a.  a.  O., fol. CCCCCCXLVv–CCCCCCXLVIv ; Predigt 3: a. a. O., fol. CCCCCCXLVIv–CCCCCCXLVIIIr; Predigt 4: a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIIv–CCCCCCLv ; Predigt 5: a. a. O., fol. CCCCCCLIr– CCCCCCLIIr; Predigt 6: a.  a.  O., fol.  CCCCCCLIIr–CCCCCCLIIIr; Predigt 7: a.  a.  O., r r fol. CCCCCCLIII –CCCCCCLV ; Predigt 8: a. a. O., fol. CCCCCCLVr–CCCCCCLVIIIv ; Predigt 9: a. a. O., fol. CCCCCCLVIIIv–CCCCCCLXIIIr. 36  Dies ist erstens aus den Titeln ersichtlich, z. B.: „Die Ander Predig oder Vorred am heyligen Karfreytag.“ (a. a. O., fol. CCCCCCXLVv), zweitens aus dem häufigen Bezug auf den Tag des großen Abendmahls ‚gestern‘ und den Tag des heiligen Leidens ‚heute‘, und drittens daran, dass am Ende der Predigten häufig explizit auf die folgende Lesung der Passion verwiesen wird (vgl. a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIIr: „Vnd hierauff wöllen wir nun die History hören“), die in ‚fruchtbarer‘ Weise zu hören und zu meditieren, Ziel der Predigten ist. 37  Wild, Postill, fol. CCCCCCXLIIv. 38  A. a. O., fol. CCCCCCXLVr. 39  Die Vorrede der Postille ist auf den 1. März 1552 datiert (vgl. a. a. O., fol. [iv v]). 40  Der Übergang vom ersten zum zweiten Teil ist in der Regel sprachlich deutlich gekennzeichnet; vgl. z. B. in Predigt 3 (a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIr): „Jedoch muß ich den eynfältigen etwas ein wenig anleytung geben / warauff sie am allermeysten im Passion sehen vnd mercken

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

Länge und das Verhältnis der beiden Teile ist jeweils sehr verschieden, jedoch sind in jeder Predigt beide Teile in der genannten Reihenfolge vorhanden. In der Regel steht der Predigt ein Bibelvers voran.41 Zum Teil wird die Ermahnung bzw. Motivation zur Passionsbetrachtung daran angeschlossen, häufiger kommt Wild jedoch am Anfang des zweiten Teils auf den eingangs zitierten Vers zurück und erläutert die passionstheologisch und -hermeneutisch zentralen Aspekte ausgehend von diesem Bibelvers bzw. entlang dessen. Im Folgenden werden die Predigten anhand der beiden Teile, in die sie jeweils gegliedert sind, in Grundzügen charakterisiert. 2.2.2  Ermahnung zur Passionsbetrachtung Im ersten Teil der Predigten werden die besondere Bedeutung und Zentralität des Kreuzes vor Augen gemalt und die einzelnen Gläubigen aufgefordert, sich dessen zu vergewissern und aus gegebenem Anlass neu zu öffnen.42 Mit Vorliebe sollen.“; in Predigt 4 (a. a. O., fol. CCCCCCXLIXv): „Nun wil ich auch kürtzlich anzeygen / wie wir den Passion vnd Leyden Christi hören sollen / daß es vns nutzen bring […]“; in Predig 6 (a. a. O., fol. CCCCCCLIIv): „Diß wort sol vns heut lehren / wie wir den Passion müssen hören / Nemlich […]“; in Predigt 8 (a. a. O., fol. CCCCCCLVIr): „Jch musse zuuor das Wort Jsaie etwas weyttleuffiger außlegen / Es wirdt vns den Rechten Weg machen vnnd anzeygen / wie wir den Passion vnnd Leyden Christi fruchtparlichen hörn sollen vnnd mögen.“ 41  Dies betrifft Predigt 1: 1 Kor 6,20 („JR seind theuer erkaufft worden / derhalben ehrend vnnd tragend Gott in ewerem leyb“ [a. a. O., fol. CCCCCCXLIIv]); Predigt 4: Joh 1,29 („NEmend war / dieser ist das Lämlein Gottes / Dieser ists / der die sünden der Welt hinweg nimpt“ [a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIIv]); Predigt 5: Ps 69,4 mit Jes 65,2 („JCh hab gearbeytet mit ruffen / mein stimm vnnd kähl ist mir häyser worden. Den gantzen tag hab ich meine hend außgestreckt zu dem Volck / das nit glauben wil / sonder allezeit mir widerspricht.“ [a. a. O., fol. CCCCCCLIr]); Predigt 7: Lk 12,48 („Welchem viel gegeben ist [sagt Christus] von dem wirdt auch vil wider gefordert.“ [a. a. O., fol. CCCCCCLIIIr]); Predigt 8: Jes 43,24 f. („DV hast mir Mühe gemacht mit deinen sünden / vnnd mir arbeyt zugericht mit deiner boßheyt / Jch aber bin es / ya ich selber bins / der deine sünde außtilcket / vmb meinend willen / vnnd sünden wil ich nit mehr ge­ dencken“ [a. a. O., fol. CCCCCCLVr]) und Predigt 9: 2 Sam 2,5 f. („Gebenedeyet seyend jhr von Gott / daß jhr sölche barmherzigkeyt vnnd lieb an ewerem König erzeygt habt. Der Herr vnser Gott wölle euch sölichs bezalen vnnd widergelten / etc.“ [a. a. O., fol. CCCCCCLVIIIv]). Nicht der gesamten Predigt, aber dem zweiten Teil voran steht in Predigt 3: Mk 14,41 f. („so Christus zu seinen Jüngern sagt: Die stund ist hie / Nemend war / des menschen Son wirdt vbergeben inn die hend der sünder / Stehnd auff vnd lassend vns gehen.“ [a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIr]) und in Predigt 6: Jes 43,24 („Derhalben spricht er billich zu vns / wie im Jsaia steht: O mensch / du hast mich mit deinen sünden vberladen oder zum knecht gemacht / vnd hast mit mit deiner boßheyt arbeyt zugericht“ [a. a. O., fol. CCCCCCLIIv]). 42  Vgl. exemplarisch aus der zweiten Predigt (a. a. O., fol. CCCCCCXLVIr): „Derhalben O jr frommen christen / wölt jhr thun / das Gott am höchsten wolgefällig ist / euch den grösten nutz bringt / auch einem Christen menschen vor aller dingen zugehört / so machend euch heut auff / lassend euch bey Christo finden / folgend jm nach mit andächtigem hertzen / bleibend vnder seinem Creutz stehn / werffend ewere augen vbersich auff den der vor euch hängt / schämend euch seines Creutzes nit / Es ist ewer gröste ehr vnd nutz. Dan in dem Creutz vnd Leyden Christi ist vnser leben / heyl / vnnd Vrstende / vnd durch das Creutz seind wir erlöst vnd sälig worden. Derhalben sol billich ein jeder sein eygen hertz vnd gewissen auffwecken vn[d] begierig machen / die traurig vnd doch heylsam vnd nützlich History zu hören.“ Die heraus-



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kontextualisiert Wild insbesondere zu Beginn die ‚heutige‘ Predigt und Passionsbetrachtung im Kirchenjahr: So kann der Prediger auf die vergangene Fastenzeit rekurrieren,43 an die jüngst verlebte Karwoche mit den Hauptstationen Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag anknüpfen44 sowie – und das geschieht recht häufig  – den Zusammenhang von Abendmahl und Passionsbetrachtung betonen.45 Fastenzeit und Karwoche – und implizit das Kirchenjahr insgesamt – werden so als eine im historischen Geschehen sachlich begründete, von der Kirche festgelegte und für die Gläubigen äußerst nützliche Ordnung präsentiert.46 Offenbar ist es Wild ein großes Anliegen, den Sinn und die Relevanz der kirchlichen Gebräuche darzulegen, die allesamt eine Hilfe seien zu regelmäßiger und intensiver Vergegenwärtigung der Passion: Der heilsgeschichtlichen Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu entspricht die liturgische Besonderheit des Karfreitags.47 Deshalb gebe es keine geeignetere Möglichkeit als ‚heute‘, das Leiden Christi zu bedenken, so die Pointe seiner Ermahnung.48 ragende Bedeutung des Kreuzes wird immer wieder durch exklusiv und absolut formulierte Sätze in Bezug auf die Passion (‚alles‘, ‚nichts‘, ‚nirgends sonst‘) ausgedrückt; vgl. z. B. in Predigt 8 (a. a. O., fol. CCCCCCLVIr): „Jn dem heyligen Leyden Christi steht alle vnser heyl vnnd trost / Niergend kann man Gottes lieb vnd barmhertzigkeit besser sehen / Niergend sicht man auch klärlicher des menschen eytelkeyt vnd ellend / Nichts ist so krefftig zur verzeyhung der sünden / Nichts ist auch so starck / allerley anfechtung zu vberwinden / Nichts kann vns baß trösten in aller trübseligkeit / Nichts wirdt sich mehr zu andacht künden reytzen vnnd erwecken / dann das Heylig Leyden Christi.“ 43  Vgl. am Beginn der vierten Predigt (a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIIv): „Mir zweyffelt nit / in jeder frommer Christi / der sich diese zeit her auff vertröstung Göttlicher genaden / durch das heylig Leyden vnnd verdienst Christi zu erlangen / inn die Buß gegeben hat / der werde erstlich diese vergangene Fasten offt vnnd alle tag mit dem heyligen Dauid gebetten haben / daß sich Gott vber jn wölle erbarmen / jhm seine sünd abnemen vnd bedecken [vgl. Ps 51] …“. 44  Vgl. am Beginn der ersten Predigt (a. a. O., fol. CCCCCCXLIIv–CCCCCCXLIIIr): „Am anfange dieser wochen hetten wir dn tag des herrlichen eynreydtens / Gestern hetten wir den tag des grossen Abendmals / Heut haben wir den tag des bittern Leydens und Creützes. Jnn dem ersten hat sich Christus lassen sehen / als dem aller gewalt vnnd ehr gebürt vnnd von Gott gegeben ist / Jnn dem andern hat er sich erzeygt / als der alle seine güter / Jha auch sich selbs vns theylen wil / Jnn dem dritten hat er sich erzeygt als einen guten Hirten / der auch seine Seel vnd leben für seine schäfflein gegeben hat [vgl. Joh 10] / Jha als vnsern rechten Hohen Priester / der seinen eygenen leib für vns geopffert hat / vnd mit seinem eygegen vnd aller heyligsten blut in seinen ewigen Tempel eingegangen ist / daß er vor dem angesicht Gottes erscheyne für vns [vgl. Hebr 9].“ 45  Wild kommt darauf in den Predigten 1, 3, 4 und 7 sowie am ausführlichsten in Predigt 6 unter dem Stichwort ‚Tisch und Kreuz‘ zu sprechen (vgl. a. a. O., fol. CCCCCCLIIr–v). 46  Vgl. in Predigt 3 (a. a. O., fol. CCCCCCXLVIv): „AVff den heuttigen tag / helt die Kirch abermal die rechte ordnung / inn dem sie vns auff die Communion vnd entpfahung des heyligen Sacraments gleych zu dem Passion fürt vnd weiset / Dann also hat Christus vns selbs auch gethon / vnd gleych von seinem Abendmal inn das Leyden gegangen.“; vgl. in Predigt 7 (a. a. O., fol. CCCCCCLIIIIr): „Siehe / sölcher vrsach ist diese jetzige wochen verordnet […]“. 47 Vgl. in Predigt 9 (a. a. O., fol. CCCCCCLVIIIv–CCCCCCLIXr): „Vnnd dessen nemend ein Exempel von gemeiner Christlichen Kirchen / die wol das heylsam leyden Christi heut auff das aller andächstigst begeht / Last es aber bey dem selbigen nicht bleyben. Dann dreyerley gedächtnuß helt sie von dem Leyden Christi / Die erste / einmal im jhar / vnnd das geschicht

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2.2.3 Anleitung zur Passionsbetrachtung Die Anleitung zur Passionsbetrachtung im zweiten Teil ist in den Predigten unterschiedlich strukturiert. Es gibt nicht das eine gleichbleibende Meditationsschema, was u. a. an der Ausrichtung der Höranleitung an den jeweils zugrunde gelegten Bibelversen hängt. Dabei bilden gewisse theologische Leitgedanken und wiederkehrende Akzente ein Grundgerüst für die praktische Ausrichtung, sodass die stilistische und motivische Variabilität die theologische Konsistenz nicht widerlegt, sondern bestätigt. In einem systematisierenden Überblick lässt sich dies veranschaulichen.49 Daraus wird ersichtlich, dass die folgenden, häufig wiederkehrenden passionstheologischen Grundmotive zusammen betrachtet das theologische Gerüst der Karfreitagspredigten bilden: auff den heuttigen tag. Die andere / inn jeder wochen einmal / nemlich auff die Freytag / Vnnd die dritte / alle tag einmal inn dem ampt der Heyligen Messen / wölche nichts anderst ist / dan ein gedächtnuß / vnd gleich als ein representation vnnd sichtparliche darstellung des Leydens Christi.“ Auf die kirchlichen Bräuche kommt Wild besonders ausführlich in Predigt 1 zu sprechen (vgl. a. a. O., fol. CCCCCCXLIIIIr): „Derhalben ist auch keyn tag im gantzen ja / der so vil vn[d] ernstliche vermanu[n]g hab. Alles was man heut vn[d] gestern in der Kirche[n] thut / seind eytel manung / das Leyden Christi zu bedencken. Man singt vom Passion vnnd Leyden Christi / Man predigt daruon / Man stelt vnd das Creutz für die augen / Man zeygt vns an mit eusserlichen Ceremonien / was sich im Passion vnd Leyden Christi verloffen hat. Man Communiciert das volck / zum anzeygen / daß Christus seinen heyligen leyb vnd blut heut für vns gegeben hat. Man consecriert das Chrisma vnd öle / zum anzeygen / daß vns auß dem Leyden Christi genad vnd barmhertzigkeyt geflossen ist. Man sicht die Altar entdecket / zum anzeygen / daß Christus aller seiner herrligkeyt vnnd zierde / heut vmb vnsert willen beraubt ist worden. Man hört keyn glocken / zum anzeygen / daß auch die heylige Apostel inn dem Passion vnnd Leyden Christi geschwigen haben / die doch sonst mit jhrem gethön alle welt erfült haben. Man helt keyn Meß vnd danckopffer / zum anzeygen / daß heut das blutig Opffer Christi geschehen ist. Man erzeygt heut keyn frölicheyt in der Kirchen / zum anzeygen / daß alle außerwölten auff den tag getrawert haben. Man hört nicht anderst / dan das vnlieblich geklöpff / zum anzeygen / daß auff diesen tag auß anschickung Gottes der gewalt der finsternuß der massen vber hand hett genommen / daß auch die liebliche stimm Christi anff den tag bey den weltkindern nichts hat golten / Jha zu letzt gantz häyser worden / vnd einen kläglichen thon gegeben hat. Sihe / so viel dings haben wir heut / dardurch wir des heyligen Leydens Christi ermanet werden.“ 48 Vgl. in Predigt 7 (a. a. O., fol. CCCCCCLIIIIr): „Derhalben dieweyl wir heut den tag haben / an wölchem Christus gestorben ist / wil vns nit allein gebürn sondern auch von nöten sein / daß wir vns mit aller begierden zu dem heiligen vnd heylsamenleyden [sic] Christi wenden.“ Vgl. in Predigt 8 (a. a. O., fol. CCCCCCLVv): „Liebe Brüder vnnd jhr frommen CHRJsten / es ist billich / daß wir heut zu tag bey CHRisto stehnd vnnd verharren / Dann wölcher heut nicht andechtig ist wann wil er andechtig werden? Wöchen der todt Christi nicht bewegt / was wil jhn bewegen? Jetz ist die zeyt / von welcher Oseas gesagt hat [vgl. Hos 6,2] / Nach zweyen Tagen wird er vns lebendig machen / am dritten tag wirt er vns erwecken / Jetzunden steht Christus in sölchem werck. Dann darumb ist er gestorben / daß er vns lebendig machet / Heut hat er die verschreybung vnserer verdamnuß an das creutz gehefft vnnd außgethon / Heut hat er die vngehorsame Adams vnnd seiner kinder / mit seiner dieffen gehorsam gebüsset / vnnd den todt aller Gottes Diener / mit seinem Todt getödt / dargegen aber das Leben erwecket.“ 49  Siehe Anhang 2: Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds. In dieser Übersicht sind die Nachweise für die hier zusammengefassten Leitgedanken gegeben.



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(1.) Meist werden mehrere Betrachtungsweisen der Passion unterschieden, wobei jeweils mindestens zwischen der Passion als ‚Historie‘ und als ‚Evangelium‘ differenziert wird. Von beiden ebenfalls unterschieden wird das Leiden Christi in seinem exemplarischen Vorbildcharakter. (2.) Kerninhalt der Passion als Evangelium ist, dass Christus ‚für uns und um unseretwillen‘ gelitten hat und gestorben ist. Jene Predigten, die in ihrer Anleitung zur Passionsbetrachtung nicht verschiedene Zugäng zur Passionsbetrachtung nebeneinanderstellen, sondern die Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung fokussieren wollen (v. a. Predigt 2 und 6), betonen genau dies. Verschiedentlich empfiehlt Wild, sich dessen konkret anhand einzelner Leidenselemente (z. B. Schläge, Spott, Dornen, Blutvergießen) bewusst zu werden. (3.) Sachlich impliziert die in dieser Weise als Evangelium verstandene Passion, dass es (auch) die eigenen Sünden sind, für die Christus gelitten hat. Daher wird in den Anleitungen immer wieder als eigener Betrachtungsaspekt hervorgehoben, dass angesichts der Passion die eigenen Sünden zu beweinen seien. (4.) Die Passion Christi ist als Werk Gottes zu verstehen; Gott ist die causa efficiens der Passion. Mehrfach rekurriert Wild auf vier Eigenschaften Gottes, die erst im Leiden und Sterben Christi vollumfänglich offenbar geworden seien: seine Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit bzw. Liebe, seine Wahrheit und seine Weisheit. Während die Weisheit in verschiedener Hinsicht konkretisiert werden kann,50 zeige sich die Wahrheit dadurch, dass Gott seine alttestamentlichen Verheißungen im Geschehen der Passion erfüllt. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind demgegenüber von noch größerer Relevanz, da durch sie das Handeln Gottes bzw. Jesu Christi zum Heil der Menschen sowie die Passion als Erlösungsweg erklärt werden: Gottes Liebe bzw. Barmherzigkeit werden als der eigentliche Beweggrund der Passion Christi beschrieben. Diese war nötig, weil sich Gottes Barmherzigkeit gegen die Sünde richtet, welche Strafe verdient hat, die durch die Passion stellvertretend von Christus erlitten wurde, sodass der Gerechtigkeit ‚Genüge getan‘ wurde. In all dem betont Wild wiederholt, dass Christi Versöhnungs- und Erlösungswerk ‚umsonst‘ und ‚unverdient‘ sei und dass eben ausschließlich sein Leiden diesen soteriologischen Charakter habe. (5.) Die Passion als Exempel  – etwa hinsichtlich Geduld im Leiden und ‚Kreuztragen‘ oder des Gehorsams gegen Gott – wird immer wieder angeführt und betont, jedoch auch klar vom tröstenden ‚Evangelium‘ unterschieden. (6.) In der Übersicht nicht eigens aufgeführt und für den theologischen Gehalt auch nicht tragend, jedoch für die praktische Hör- und Betrachtungsanleitung durchaus bedeutsam, ist die mehrfache Darstellung von Akteuren des Geschehens (z. B. Petrus, die Mutter Jesu, Nikodemus, Joseph von Arimathäa) am 50  In Predigt 3 etwa zeige sie sich dadurch, dass Gott den ‚bösen Geist‘ gewissermaßen ausgetrickst hat, da dieser im Geschehen der Passion nicht gemerkt habe, dass er gefangen genommen wurde. Dagegen wird die Weisheit in Predigt 4 darauf bezogen, dass verschiedene Strafen, die Christus erleidet, verschiedene Sünden repräsentieren bzw. erkennen lassen.

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Ende der Predigten als Vorbilder für bestimmte Aspekte der Passionsbetrachtung. So werden Identifikationsangebote innerhalb der gehörten Geschichte gegeben.51 2.2.4  Kritische Auseinandersetzung mit der Reformation? Eine explizite kritische Auseinandersetzung mit der Reformation bzw. reformatorischem Gedankengut findet sich in den Karfreitagspredigten Wilds nicht. Die verschiedentlich im ersten Teil der Predigten begegnenden kritischen Töne gegenüber jenen, die die Betrachtung der Passion vernachlässigen, die sich des Kreuzes schämen oder die so hartherzig sind, dass sie „kein sonderliche lieb vnnd andacht zu dem Leyden Christi“52 haben, sind allgemein gehalten und lassen keinerlei spezifische Gegnerschaft o. ä. erkennen. Sie dienen im Zusammenhang der Ermahnung zur andächtigen Passionsbetrachtung jeweils als Negativfolie für die als ‚fromme Christen‘ angeredeten Hörer und Hörerinnen. Allenfalls in der ersten Predigt scheint ein Reflex auf aktuelle Stimmen vorzuliegen: Wild setzt sich mit einem Chrysostomus-Zitat gegen den Vorwurf zur Wehr, „der karfreytag sey vom Bapst erdacht / vnd werde alleyn im Bapstumb gehalten“.53 Die im Hintergrund stehende, sicherlich verkürzt widergegebene Papstkirchenkritik dürfte sich auf (bestimmte?) kirchliche Gebräuche bezogen haben, die an Karfreitag gepflegt werden. Denn im Fortgang der Predigt zählt Wild zahlreiche kirchliche Gebräuche auf und erläutert deren Sinn, um davon ausgehend wieder auf die genannte Kritik zurückzukommen: „Sihe / so viel dings haben wir heut / dardurch wir des heyligen Leydens Christi ermanet werden. Ey seind wir dann rechte Christen / sollen wirß billich etwas bey vns lassen gelten. Derhalben lasse sich keyner jrren / daß etliche ein gespött darauß machen“.54

2.3  Die Aneignung von Luthers Passionssermon (neunte Predigt) Wie aus der überblicksartigen Charakterisierung der Anleitungen zur Passionsbetrachtung in den Passionspredigten Wilds ersichtlich ist, kann in verschie51 Vgl. z. B. im ‚Beschlussteil‘ der ersten Predigt (a. a. O., fol. CCCCCCXLVr): „Das soll vnser vbung heut sein / Vnder dem Creutz sollen wir vns lassen finden mit Maria. Den heyligen todt Christi sollen wir ehren mit dem Joseph vnnd Nikodemo. Den gekreutzigten Christum sollen wir legen inn das grab vnsers hertzen / vnnd also mit den trawrigen Aposteln inn be­denckung / jha inn rew vnnd leyd vber vnsere sünd / die Christo ein vrsach seines todts seind gewesen / warten auff den frölichen tag der zukünfftigen Vrstende.“; in Predigt 6: „Wölcher dann nun ein rechter Christ ist / vnd darfür gehalten wil sein / auch jhm selber ein nützlich / Gott aber vnd Christo ein angenemen werck thun wil / der mercke mit fleiß / was inn dem Passion gemelt wirdt / folge hernacher mit Petro / bleybe vnder dem Creutz mit Maria / lasse sich die kleyne zeit nit verdriessen / beschwäre sich nit zu hören / daß Christus auß so grosser liebe erlitten hat.“ 52  A. a. O., fol. CCCCCCXLVv. 53  A. a. O., fol. CCCCCCXLIIIv. 54  A. a. O., fol. CCCCCCXLIIIIr.



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denen Aspekten eine gewisse Nähe zu den Predigten Luthers bzw. reformatorischen Akzenten ausgemacht werden.55 Im Folgenden wird darüber hinaus durch einen Vergleich der neunten Predigt Wilds mit Luthers Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi (1519) geprüft, ob von einer expliziten Lutherrezeption bei Wild gesprochen werden kann. 2.3.1  Neunte Predigt: Ermahnung zur Passionsbetrachtung Im ersten Teil der Predigt, der mit knapp zwei Druckseiten verhältnismäßig kurzen Ermahnung zur Passionsbetrachtung, finden sich noch keine Gedanken Luthers. Vielmehr wird – wie bei Wild üblich – den Hörerinnen und Hörern die ‚gemeine christliche Kirche‘ als Vorbild dahingehend vorgestellt, dass sie „das heylsam leyden Christi heut auff das aller andächtigst begeht“,56 ja darüber hinaus durch den Freitag wöchentlich und durch die heilige Messe täglich dem heiligen Leiden Christi gedenkt. Der Gegensatz zu „ewer lieben Mutter“,57 der Kirche, bilden „zu vnsern zeyten“58 jene, die „auch nit einmal im jahr an das leyden Christi gedencken“.59 Zu dieser Gruppe soll und will natürlich keiner der angesprochenen, versammelten Gemeinde gehören. Ihr sei für die folgende Betrachtung der Passion gesagt, wie man diese „mit frucht hörn“60 kann. 2.3.2  Neunte Predigt: Anleitung zur Passionsbetrachtung Der zweite Teil, die Anleitung zur Passionsbetrachtung, beginnt mit der Kritik dreier unzureichender Arten, die Passion zu betrachten – und zwar exakt jenen Betrachtungsweisen, die Luther in den ersten drei Absätzen, wenn auch in anderer Reihenfolge, kritisiert hat:61 (1.) „Dann etliche seind / die das Leyden Christi dermassen bedencken / daß sie vber den Verrhäter Judam vnnd die Jüden zürnen / jhnen fluchen / etc. thund auch nit weyters.“62 (2.) „Darnach seind etliche andere / die allein ein mitleyden haben mit Christo / klagen 55  Ein expliziter Vergleich wurde hier zwar nicht durchgeführt; die gedankliche Nähe, was die Akzentuierungen in der Passionsbetrachtung angeht, ist jedoch leicht ersichtlich, wenn das zu Luther in Kapitel II.2 Ausgeführte mit dem obrigen Überblick über den zweiten Teil der Predigten Wilds abgeglichen wird. 56  A. a. O., fol. CCCCCCLVIIIv. 57  A. a. O., fol. CCCCCCLIXr. 58 Ebd. 59  Ebd. Die Art und Weise der offenen Formulierung scheint hier eher einen Topos und eine Generalkritik an mangelnder Frömmigkeit darzustellen als bestimmte  – etwa evangelische – Gegner zu betreffen. 60 Ebd. 61  S. o. Kapitel II.2.3. 62  Ebd. Vgl. dazu den ersten Satz in Luthers Passionssermon (WA 2, 136,3–8): „Zcum ersten bedencken ettlich das leyden Christi alßo, das sie uber die Juden tzornig werden, singen vnd schelten ber den armen Judas vnd lassen es alßo gnug seynn, gleych wie sie gewont, andere leuth zu clagen vnd yhre widdersacher vordamen und vorsprechen“.

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vber seine vnschuldt / wie die weyber theten / zu denen Christus sagt / Sie solten nit vber jhn weynen / sonder vber sich selbs vnd jhre kinder [vgl. Lk 23,27 f.].“63

Anhand derselben Interpretation des Jesuswortes hatte auch Luther Kritik an der compassio-Frömmigkeit geübt.64 Anders als bei Luther wird diese Kritik bei Wild jedoch nicht in grundsätzlicher Weise artikuliert und mit einer Kritik am Messopfer verbunden, sondern die compassio lediglich als unzureichende Form der Passionsbetrachtung dargestellt, weil damit noch nicht das spezifische der Passion Christi erfasst werde.65 (3.) „Etliche gebrauchen sich des Leydens Christi allein dahin / daß sie dardurch vor fewer / wasser / schwerdt / vnnd anderen gefährlicheiten mögen sicher sein vnnd bleyben / gedencken auf nit weyter.“66

All das – so fasst Wild die drei Kritiken zusammen – „ist noch nit der rechte gebrauch des Leydens Christi“.67 Dafür sei es nötig, zwischen der Passion „als ein History“68 und der Passion „als ein Euangelium vnd fröliche botschafft“69 zu unterscheiden. Ersteres rufe Mitleid hervor, „wie wir von natur bewegt werden zu mitleydenn / wenn wir hören daß jemands vnschüldig leydet“70 – somit hat die compassio bei Wild einen Ort in der Passionsbetrachtung.71 Durch den Gebrauch als Evangelium werde die Passion nicht nur ‚wie andere Historien‘ betrachtet, sondern „das hertz frölich / die gewissen ruwig / vnd der will geneygt vnd bereydt […] zu allem guten“.72 Weil dies das Entscheidende ist, wird der Weg der Betrachtung der Passion als Evangelium auf über fünf Druckseiten ausführlich dargelegt. Die Passion als Evangelium betrachtet, wer bedenkt (1.) „was Christus gelitten“73 hat, (2.) „warumb er gelitten habe“74 und (3.) „was frucht oder nutz darauß kommen sey“.75 63 

Wild, Postill, fol. CCCCCCLIXv. WA 2, 136,21–24: „Zcum dritten haben sie eyn mit leyden mit Christo, yhn zu clagen vnd zu beweynen alß eynen unschuldigen mencshen, gleych wie die weyber, die Christo von Jerusalem nach folgeten, und von yhm gestrafft wurden, sie solten sich selbs beweynen und yhre kinder.“ 65 Vgl. Wild, Postill, fol. CCCCCCLIXv : „Es ist wol nit böß / sonder gut vnd Christlich / daß man mitleyden habe vnnd trage / mit denen / die vnschüldig leyden / jha Paulus lehrt / wir sollen weynen mit denen die da weynen [vgl. Röm 12,15]. Söllich mitleyden ist aber nit genug in dem Leyden Christi.“ 66  Ebd. Vgl. damit Luther (WA 2, 136,11 f. 16–19): „Zcum andernn haben ettlich angezeygte mancherley nutz und frucht, ßo auß Christus leyden betrachtung kummen. […] Darumb tragen sie sich mit bildelein und büchlein, brieffen und creutzen, auch ettlich ßo ferne faren, das sie sich vor wasser, eyßen, fewr und allerley ferlickeyt zu sicheren vormeynen“. 67  Wild, Postill, fol. CCCCCCLIXv. 68 Ebd. 69 Ebd. 70 Ebd. 71  Vgl. ebd.: „auff sölche weyß mit Christo ein mitleyden haben / ist wol nit böß / aber nit genugsam wie ich auch oben gesagt habe“. 72 Ebd. 73 Ebd. 64 Vgl.

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Die hier dargelegte Gliederung unterscheidet sich zwar der Bezeichnung nach von derjenigen in Luthers Passionssermon. Dennoch entsprechen die Ausführungen unter den ersten beiden Punkten (was und warum Christus gelitten hat) sachlich weitgehend dem, was Luther in den Absätzen 4 bis 11 ausgeführt hat,76 und der dritte Punkt den Absätzen 12 bis 14 bei Luther.77 Das Ziel des Bedenkens dessen, (1.) was Christus gelitten hat, lautet: „vns selber erkennen / Dann alle vngestalt so man an Christo inn seinem heyligen Leyden gesehen hat / ist vnser / vnnd zeygt vns vnser eygen ellend an“.78 Die Antwort auf die Frage, (2.) warum Christus gelitten hat, ist in ihrer kürzesten Form: „für vns / vnnd an vnser statt“.79 Die Erkenntnis (3.) der Früchte der Passion Christi „wirt vns dan[n] widerumb trösten“,80 da man verstanden habe: „Groß seind vnsere sünd / aber noch grösser ist das Leyden Christi / damit er vnsere sünden gebüßt vn[d] bezalt hat.“81 Immer wieder finden sich neben der weitgehenden sachlichen Übereinstimmung auch Argumentationsmuster und wörtliche Formulierungen, die den Schluss zwingend machen, dass Wild zur Vorbereitung seiner Predigt Luthers Passionssermon genutzt hat. Exemplarisch sei aus jedem der drei Abschnitte jeweils eine Stelle herausgegriffen: (1.) Nachdem Wild – wie Luther – zu Beginn in der Kritik an denjenigen, die lediglich Mitleid mit Christus haben, bereits auf Lk 23,28 verwiesen hatte, kommt er später – wie Luther in Absatz 7 – noch einmal auf die Bibelstelle und das Problem des Mitleidens zu sprechen. Anders als Luther hat er, wie bereits erwähnt, dem Mitleiden als ‚natürlicher Reaktion‘ einen positiven Platz innerhalb der Passionsbetrachtung eingeräumt. Dennoch dürfe man nicht beim Mitleiden mit Christus stehen bleiben, was Wild denn auch deutlich herausstellt: „So ist es vergebens mit Christo ein mitleyden haben / wenn wir vns inn seinem Leyden nit vber vns selber erbarmen / Dann wie schickt es sich zusammen / daß Christus inn seinem Leyden vber vns trawret / wir aber allein mitleyden mit jhm haben / vergessen vnser selbs / als ob vns nichts fählet? Jhr töchter Hierusalem (sagt Christus) weynend nit vber mich / sondern vber euch vnd ewere kinder [Lk 23,28].“82

(2.) Nachdem geklärt und festgehalten wurde, dass die Passion Christi in der Betrachtung zur Selbsterkenntnis führen müsse, wird als Grund der Passion die eigene Sünde vor Augen geführt: „Vnnd in summa / alles das er gelitten hat / so 74 Ebd. 75 Ebd. 76 

S. o. Kapitel II.2.4. S. o. Kapitel II.2.5. 78  Wild, Postill, fol. CCCCCCLXr. 79  A. a. O., fol. [CCCCCCLXIr] (im Druck fälschlich: CCCCCCLXIIr). 80  A. a. O., fol. CCCCCCLXIIr. 81 Ebd. 82  A. a. O., fol. CCCCCCLXv. 77 

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

wisse daß es deine vnd vnser aller sünde seind gewesen.“83 Dies müsse zum Erschrecken über sich selbst führen,84 was sowohl Luther als auch Wild – letzterer in verkürzter Form – mithilfe eines Vergleichs veranschaulichen, um noch einmal auf den rechten Umgang mit den Juden in der Passionsbetrachtung sprechen zu kommen: Wer erkannt hat, dass Christus ‚für unsere Sünden‘ gestorben ist, der muss in den gegen Christus agierenden Juden Diener der eigenen Sünde erkennen.85 Der Gedankengang wird bei beiden mit Blick auf die nötige Gleichförmigkeit mit Christus fortgeführt: Wild: „Vnd wölcher söllichs nit inn jhm selbs befindt / der muge sich wol förchten / Dann es kann vnd wirdt nit anderst sein / wir müssen gleychförmig werden der bildnuß des Son Gottes / die schröcken / angst vnnd not der sünden halben müssen wir befinden / es geschehe / jha hie oder inn der Hellen / oder auff dem todt beth. Nun ist es aber erschröcklich söllichs erst zubefinden / wen man auß disem leben scheyden soll / noch vil erschröcklicher wirdt es sein / söllichs inn der Hellen zuleyden. Derhalben sollen wir allezeyt bitten / daß vns Gott vnser hörtes hertz erweyche / daß wir hie vnnd jetzunden die viele vnnd schwäre vnserer sünden vnnd verdienter straff inn dem Passion künden sehen vnnd beweynen.“86 83 

Luther: „wer sich ßo hart vnd dorre enpfindt, das yn Christus leyden nit alßo erschreckt unnd yn seyn erkentnis furet, der sol sich furchten, dan do wirt nit anders aus, dem Bild und leyden Christi mustu gleychformig werden, es geschehe yn dem leben adder yn der hellen, tzum wenigsten mustu am sterben und ym fegfeur yn das erschrecken fallen und tzitteren, beben unnd alles fulen, was Christus am Creutz leydet. Nu ist es grausam ym todtpett zu warten. Darum soltu gott bitte, das er deyn hertz erweiche und laße dich fruchtparlich Christus leydenn bedencken, dan es auch nit muglich ist, das Christus leydenn von unß selber müg bedacht werdenn gruntlich, gott senck es dan yn unßer hertz.“87

A. a. O., fol. [CCCCCCLXIr] (im Druck fälschlich: CCCCCCLXIIr). Wild, Postill, fol. [CCCCCCLXIv] (im Druck fälschlich: CCCCCCLXIIv): „Wölcher dann nun söllichs recht bedenckt / der wirdt gewißlich erschröcken / bey jhm selbst kleinmütig werden“. Luther (WA 2, 138,15–17): „Zcum achten, yn dießem punct muß man sich gar wol ubenn, dan fast der nutz des leydens Christi gar daran gelegen ist, das der mensch zu seyns selb erkentniß kumme und fur yhm selbs erschrecke und zurschlagenn werde“. 85 Vgl. Luther (WA 2, 138,24–28): „Nym eyn gleychniß: wan eyn ubeltether wurde gerichtet, darumb das er eynes fursten odder kunigs kynd erwurget hette, und du sicher werst, singest und spieltest, als werst du gantz unschuldig, biß das man dich schrecklich angriffe und dich uber wunde, du hettest den ubeltheter darzu vormogt, sich, hie wurd dir die welt zu enge werden, sonderlich wan das gewissen dir auch abefiele. Alßo vill engster soll dir werden, wan du Christus leyden bedenckst, Dan die ubeltheter, die Juden, wie sie nu gott gerichtet und vortrieben hatt, seynd sie doch deyner sunde diener gewest, unnd du bist warhafftig, der durch seyn sunde gott seynen sun erwurget und gecreutziget hatt, wie gesagt ist.“ Wild, ­Postill, fol. [CCCCCCLXIv] (im Druck fälschlich: CCCCCCLXIIv): „Wenn du ergriffen wärest vnnd vberzeuget / daß du einem Künig seinen Son getödtest hettest / wie würde dir zu hertzen sein? Nun hörst du aber daß du schüldig bist an dem todt des eingebornen Son Gottes / Dann die Jüden seind allein vnsere diener gewesen / Wir haben Gott seinen Son gekreütziget.“ 86  Wild, Postill, fol. [CCCCCCLXIv] (im Druck fälschlich: CCCCCCLXIIv)–CCCCCCLXIIr. 87  WA 2, 138,33–139,4. 84 Vgl.

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(3.) Am Ende des dritten Punktes bei Wild und am Ende des entsprechenden Hauptteils in Luthers Passionssermon wird zusammenfassend eine Wegbeschreibung zur Passionsbetrachtung geboten, die von der ausführlich behandelten Selbst- bzw. Sündenerkenntnis angesichts des Leidens Christi zu der in Joh 3,16 festgehaltenen Erkenntnis führt, dass die Passion Ausdruck der Liebe Christi und Gott-Vaters zum Menschen ist: Wild: „Damit du aber söllichs desto baß glauben kündest / so thue einß / vnd wende deine augen ein wenig von dem eusserlichen Leyden Christi auff sein hertz vnnd gemüt / da wirdst du sehen / daß es voller lieb vnnd gutwillicheit ist gegen vns / Auß dem selbigen wirdst du darnach auch künden sehen / wie Gott gegen vns geschickt ist / Nemlich / daß Christus so viel vnnd grosses für vns nit würde gethon haben / wenn es nit Gott der Vater vorhin also beschlossen hett / Da wirdst du dann sehen / was das geredt ist / da Christus sagt [Joh 3,16]: Also hat Gott die welt geliebet / daß er seinen eynigen Son gegeben hat / Vnd das wirdt dir dann deinen glauben stercken.“88

Luther: „Magst dich aber da zu reitzen, Zum ersten, nit das leyden Christi mehr an zusehen (dan das hatt nu seyn werck gethan und dich erschreckt), sundern durch hyn dringen und ansehen seyn fruntlich hertz, wie voller lieb das gegen dir ist, die yhn da zu zwingt, das er deyn gewissen und deyn sund ßo schwerlich tregt. Alßo wirt dir das hertz gegen yhm susße und die zuvorsicht des glaubens gstercket. Darnach weyter steyg durch Christus hertz zu gottis hertz und sehe, das Christus die liebe dir nit hette mocht erzeigen, wan es gott nit hett gewolt yn ewiger liebe haben, dem Christus mit seyner lieb gegen dir gehorsam ist. Da wirstu finden das gotlich gutt vatter hertz unnd, wie Christus sagt, also durch Christum tzum vatter gezogen [vgl. Joh 6,44], da wirstu dan vorsteen den spruch Christi [Joh 3,16]: Also hat got die welt geliebt, das er seynen eynigen sun dir ubir geben hat etc.“89

Im Schlussteil der Predigt Wilds wie auch im letzten Abschnitt des Sermons Luthers wird der vorherige Betrachtungsfokus – bei Wild: die Passion als Evangelium, bei Luther: Christus als Sakrament – unterschieden von einer anderen Perspektive, nämlich der Passion als Exempel: „Wenn wir dann nun die beyde auß dem Passion gelehrnet haben / Nemlich / erkantnuß vnser selber vnd den glauben / so müssen wir dann wissen daß vns in dem Passion vnd Leyden Christi auch ein Exempel fürgestellt ist / wie wir alle vnser leben sollen anstellen / mit thun vnd leyden“.90

88 

Wild, Postill, fol. CCCCCCLXIIr–v. WA 2, 140,30–141,3. 90  Wild, Postill, fol. CCCCCCLXIIv. Selbsterkenntnis und Glaube sind genau die beiden 89 

Aspekte, die in Luthers Passionssermon die Betrachtung Christi als Sakrament ausgemacht haben. Vgl. Luther an entsprechender Stelle (WA 2, 141,8–12): „Wan alßo deyn hertz in Christo bestetiget ist unnd nu den sunden feynd worden bist auß liebe, nit auß furcht der peyn, ßo soll hynfurter das leyden Christi auch eyn exempel seyn deynes gantzen lebens und nu auff eyn anderweyß dasselb bedencken. Dan biß her haben wir es bedacht als eyn sacrament“.

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

Am Ende der Predigt gibt Wild genau wie Luther einige kasuistisch formulierten Anwendungsbeispiele dafür, was Christus als Exempel für das ‚Kreuztragen‘ im Alltag bedeuten könnte.91 2.3.3 Resümee Die hier angeführten sowohl strukturellen und theologischen Parallelen als auch Formulierungsähnlichkeiten lassen keinen Zweifel daran, dass Wild der Passionssermon Luthers bekannt war und er von diesem inspiriert wurde. Dies ist insofern nicht gänzlich überraschend, als Wild unter den für ihn hilfreichen Büchern durchaus auch solche von evangelischen Autoren nennen konnte.92 Von der erwiesenen Rezeption des Passionssermons Luthers ausgehend, kann als wahrscheinlich gelten, dass ebenso die festgestellte theologische Nähe der anderen Predigten zumindest mit auf die Lutherlektüre zurückgeführt werden kann. Die Übernahme reformatorischer Impulse im Bereich der Passionstheologie und -frömmigkeit geschieht bei Wild freilich nicht durch bloßes Nachreden. Es handelt sich vielmehr um eine produktive Aneignung, d. h. Vermittlung mit dem und Integration in den Traditionshorizont des praktischen Umgangs mit der Passion Jesu Christi in der Karwoche. Auch die Kritik an problematischen Aspekten der Passionstheologie und -frömmigkeit, wie sie Luther formuliert hat, wird geübt, jedoch eben nicht im Sinne eines fundamentalen Gegensatzes, sondern einer Korrektur, die die Tradition nicht sprengt, sondern neu ausrichtet. Die Kritik und theologische Akzentuierungen, wie sie bei Luther begegnen und im Verlauf der Reformationsgeschichte bald in Antithetiken gegenüber ‚den Papisten‘ ausgedrückt wurden, sind bei Wild dargestellt als Teil dessen, was „Vnser liebe Mutter / die heylige Christliche Kirch“93 seit jeher wollte und wofür sie durch ihre Traditionen und Gebräuche im Grunde den geeigneten Rahmen bereit hielt: die andächtige und rechte Betrachtung des heiligen Leidens Christi. Das auffälligste Element ist dabei der Umgang mit der compassio-Frömmigkeit. Anders als etwa Friedrich Nausea94 und Georg Witzel95 sieht Wild offenbar die Kritik und Neuausrichtung der Passionsbetrachtung durch Luther sachlich als berechtigt an: Wenn auch das Mitleiden mit Christus, wie gezeigt, nicht einfach verworfen wird, ist dessen Relevanz bei Wild deutlich relativiert. Auch in 91 Vgl.

Wild, Postill, fol. CCCCCCLXIIv–CCCCCCLXIIIr mit WA 2, 141,14–142,8. Frymire, Primacy, 143: „To the list of standard orthodox authors he mentioned over the course of prefaces, Wild added that he had employed whatever books proved useful for composing sermons, including those of Protestants such as Brenz and Oecolampadius.“ Derartige Bemerkungen haben sich bei der einsetzenden Indizierung auch der Werke Wilds und im nachtridentinischen Kontext verschärfter Abgrenzungen wohl kaum positiv auf die Rezeption des Mainzer Domprediger ausgewirkt (vgl. Decot, Einfluß, 324–327). 93  Wild, Postill, fol. CCCCCCXLIIIv. 94  S. o. Kapitel III.3.3. 95  S. o. Kapitel III.4.3. 92 Vgl.

3  Jakob Schöpper223



weiteren Predigten wird etwa Lk 23,28 mit der Aussage angeführt, dass in der Passion die eigene Sünde beweint werden müsse.96 Die Argumentation, dass das Mitleiden mit Christus wie mit anderen unschuldig Leidenden ‚nicht genug‘ sei, da das Leiden Christi ‚um unserer Sünde willen‘ zu einer auf die eigenen Sünden als Ursache des Leidens Christi fokussierten Betrachtung führen müsse, begegnet zudem auch ohne die Zitation von Lk 23,28.97 Dass sich die Rezeption und Verarbeitung des Passionssermons Luthers gerade in der neunten Predigt der Postille Johann Wilds nachweisen lässt, ist wirkungsgeschichtlich interessant. Denn zu den beiden Passionspredigten, welche in die Kurtze Postil übernommen wurden, gehört eben auch diese von Luther inspirierte Predigt.98 Die Kurzfassung der großen Postille war in einem kleinen, handlichen Format – gewissermaßen für den Hausgebrauch – erschienen und richtete sich dem Titel zufolge auch explizit an Hausväter.99 Ihre bemerkenswert hohe Auflagenzahl in dem 1560er und 1570er Jahren ist ein starkes Indiz für eine entsprechend große Verbreitung100 – und damit für eine zumindest zeitweilige Wirkung der passionstheologischen Impulse Luthers über den Kontext der reformatorischen Kirchen hinaus.

3  Jakob Schöpper Das Wirken Jakob Schöppers (ca. 1512/16–1554)101 führt in die besondere Situation Mitte des 16. Jahrhunderts in der einzigen freien Reichsstadt Westfalens. 96 

Vgl. in Predigt 8 (Wild, Postill, fol. CCCCCCLVIIIr–v): „Hüte sich ein jeder Christ / daß er nicht inn dergleichen vndanckparkeyt falle / Sonder lassend vns Christo nachfolgen / wie die weiber theten / vnnd inn allem dem / so Christus leydet vnsere eygene Sünd beweynen“. In Predigt 5 wird Lk 23,28 f. 31 als Beleg für den Unglauben der Juden zitiert und angefügt (a. a. O., fol. CCCCCCLIv): „Das müssen wir vns nun auch lassen gesagt sein / damit Christus nit dergleychen auch vber vns klagen möge.“ 97  Vgl. in Predigt 3 (a. a. O. fol. CCCCCCXLVIIv): „Derhalben ist es nicht genug, bedencken / daß Christus seiner person halber vnschuldig gelitten hat / Dann solche betrachtung bringt wol ein mitleyden gegen Christo / vnd einen zorn wider die Jüden / das macht dich aber nit besser oder frömmer. Wenn du aber bedenckest / daß Christus vmb deiner sünden willen gelitten hat / vnnd die selbige mit seinem heyligen Leyden gebüßt vnd abgethon hat / das gibt dir trost.“ Und wenig später (a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIIr): „Wer das recht bedenckt / der wirdt lehrnen bey dem Passion vnnd Leyden Christi seine eygene sünden beweynen / Gott vnnd sein gericht förchten / genad vnd hilff suchen. Vnd das wär auch der rechte gebrauch des Passions vnd heyligen Leydens Christi.“ 98 Vgl. Wild, Kurtze Postil, fol. 134r–143r. Während der Beginn der Predigt – die Ermahnung zur Passionsbetrachtung – in der Kurtzen Postil abgewandelt wurde, blieb der an Luthers Passionssermon angelehnte Hauptteil – die Anleitung zur Passionsbetrachtung – nahezu unverändert. 99 Vgl. Wild, Winterteil Der Kurtzen Postil, Deckblatt: „Jetzund newlich vor die arme Pharherrn vnd Haußuetter / mit fleiß auserlesen / vn[d] in dise kurtze form gestelt“. 100  S. o. Kapitel V. 2.1 Anm. 32. 101 Vgl. Czapla, Art. Schoepper; Madey, Art. Schöpper; Olschewski, Erneuerung, 34–

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Man könnte auch anders herum formulieren: Was zu der „verspäteten Reformation“ (Stupperich) in Dortmund führte, hängt nicht unwesentlich mit dem Humanisten, Prediger und Schriftsteller Schöpper zusammen.102 3.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille 3.1.1  Schöpper in Dortmund Zunächst zeichnete sich in Dortmund ein ähnliches Bild wie in verschiedenen anderen Städten des Reiches ab: Ohne dass im Einzelnen die Wege rekonstruierbar sind, auf denen die evangelische Bewegung Fuß fassen und sich ausbreiten konnte, gab es Ende der 1520er und Anfang der 1530er Jahren eine deutliche Mehrheit im Bürgertum der Stadt, die den Rat aufforderte, neue  – evangelische  – Prediger einzustellen. So standen sich tendenziell die der Reformation zugeneigte Handwerkerschaft (das Gildebürgertum) und der die Lehre Luthers weitgehend ablehnende Rat mitsamt der aus dem einheimischen Patriziat stammenden Pfarrerschaft gegenüber. Zwar konnten die Bürger 1532 erreichen, dass die evangelische Predigt erlaubt und ein neuer Prädikant berufen wurde, doch lehnte dieser das Angebot ab. Die Unruhen um das Täuferreich im nahegelegenen Münster in den folgenden beiden Jahren dürften ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass die erreichten Regelungen wieder rückgängig gemacht wurden.103 Anfang der 1540er Jahre taten sich anscheinend Rat, Bürgerschaft und Kirchen für Reformen der Armenfürsorge und des Schulwesens zusammen. Jedenfalls wurde das 1543 errichtete städtische Gymnasium zum „geistige[n] Zentrum einer humanistisch geprägten Reformbewegung“.104 Bezahlt wurde die aus sechs 37; dies., Schoepper. Über den Lebens- und Bildungsweg Schöppers vor seiner Tätigkeit in Dortmund ab 1543 besitzen wir kaum Informationen: lediglich eine Immatrikulation an der Universität in Löwen hat sich erhalten; womöglich besuchte er zuvor gemeinsam mit Lambach das humanistische Gymnasium in Münster. Dass Schöpper Sohn des 1478 bis 1530 in Dortmund ansässigen Priesters und Ratssekretärs Johann Schöpper gewesen sei, behauptete jetzt wieder – ohne Begründung und Namensnennung – Freitag, Reformation, 213 („Sohn eines Dortmunder Priesters [!]“). Olschewski (Erneuerung, 33) hatte dies – ebenfalls ohne weitere Begründung – bezweifelt. Für diese Verbindung könnte sprechen, dass die Stadt ihre Pfarrstellen mit Vorliebe durch Einheimische besetzte (vgl. Schilling, Dortmund, 156.158). 102  Überblicke über die (Reformations-)Geschichte Dortmunds im 16. Jahrhundert, auf die sich die folgende Darstellung stützt, bieten Freitag, Reformation, 211–215; Schilling, Dortmund, 157–164; Schröer, Reformation, 411–427; Stupperich, Reformationsgeschichte, 309–321; Winterfeld, Geschichte, 123–139. 103  Vgl. dazu Schilling, Dortmund, 159: „Wie Unmutsbezeugungen aus Gildekreisen – namentlich von seiten der Wollweber und Schmiede – belegen, hatte auch diese wiederum nur politisch legitimierbare Rückkehr in konservative Fahrwasser wenig Chancen, die evangelisch gesinnten Bürger für den alten Glauben zurückzugewinnen. Es hat allerdings den Anschein, als ob die offiziellen Vertretungsgremien der Bürgerschaft aus Sorge um die außenpolitische Sicherung der Reichsstadt diesen Umschwung mitgetragen hätten.“ 104  A. a. O., 160. Im Zuge dessen wurde auch ein Buchdrucker in Dortmund ansässig.

3  Jakob Schöpper225



Personen bestehende Lehrerschaft aus umgewidmeten geistlichen Pfründen.105 Für die Gestaltung des Gymnasiums holte sich der erste und langjährige Rektor Johann Lambach Rat bei Jakob Sturm, dem Rektor der Straßburger Hohen Schule. Lambach und Jakob Schöpper waren fortan die „führende[n] Köpfe“106 der an Erasmus orientierten Kirchenreform in Dortmund.107 Schöpper wirkte dabei sowohl als Lehrer des Gymnasiums und schrieb diverse Theaterstücke v. a. zu biblischen Personen, die von den Schülern öffentlich aufgeführt wurden und sich auch durch den Druck verbreiteten,108 als auch als Prediger zunächst an St. Petri und wenig später an St. Marien.109 Es dauerte nun ein reichliches Jahrzehnt bis nach Schöppers Tod 1554, dass erneut Bürgerbegehren in Richtung evangelische Predigt und reformatorischer Veränderung der Kirche aufkamen, die in allmählichen Schritten von 1556 bis 1570 dazu führten, dass sich Dortmund als lutherische Stadt im Sinne der Confessio Augustana zu erkennen gab. Angesichts dieser späteren Entwicklung wurde lange Zeit die Phase zwischen dem ersten Auftreten einer evangelischen Bürgerbewegung bis 1532 und der sukzessiven Etablierung und Durchsetzung der Reformation ab 1556 lediglich funktional im Blick auf die Reformation betrachtet.110 Nicht die eigenen Reformbemühungen Lambachs und Schöppers, sondern inwiefern diese schon erkennbar in Richtung Reformation liefen, war die Frage. Problematisch an der konfessionellen Einengung ist mit Blick auf Schöpper insbesondere, dass dieser entsprechend ex post als tendenziell ‚lutherisch‘ zugeordnet wurde. Dass dies inhaltlich nicht zu halten ist, hat die Analyse seiner Werke – gerade auch mit Blick auf die kontroverstheologisch brisanten Themen  – durch Ursula Olschewksi 105 Vgl.

Freitag, Reformation, 213. Olschewski, Erneuerung, 1. 107 Vgl. Olschewski, Schoepper, 133: „Für Schoepper und Lambach hatte das Gymnasium […] zunächst einen kirchlichen Zweck zu erfüllen, nämlich das ‚Heranziehen‘ eines bibelkundigen, eloquenten und kirchentreuen Klerus. Das Gymnasium eröffnete Schoepper die Möglichkeit, sein humanistisches Reformkonzept über den Raum der Pfarrei hinaus zur Entfaltnug zu bringen und bot zugleich ein Forum für theologischen Meinungsaustausch.“ 108  Vgl. a. a. O., 133 f. 109 Laut Winterfeld, Geschichte, 127 war Schöpper Dortmunds „bedeutendster Prediger“ (ebenso: Schröer, Reformation, 415; Stupperich, Reformationsgeschichte, 312). Woher die Einschätzung stammt, ist nicht ganz ersichtlich; zumindest aus Schöppers Lebzeiten gibt es keine Aussagen über seine Predigttätigkeit. Immerhin war er der einzige Prediger Dortmunds, dessen Predigten posthum gedruckt verbreitet wurden. Zudem hält Olschewski, Schoepper, 132 fest: „Durch die Pfündenkumulation scheint Schoepper seine seelsorglichen Verpflichtungen nicht vernachlässigt zu haben, denn die in seinen Werken enthaltenen Vermerke über den Zeitpunkt der von ihm gehaltenen Homilien bescheinigen eine kontinuierliche und sorgfältig ausgeübte Predigttätigkeit. Auch die Menge der Predigten, deren Länge und vor allem die jährlich an ihnen vorgenommenen inhaltlichen und redaktionellen Verbesserungen, Ergänzungen und Aktualisierungen zeugen von der Sorgfalt und Ernsthaftigkeit, mit der er sein Priesteramt versah.“ 110  Zur Forschungsgeschichte vgl. Olschewski, Erneuerung, 1–8. 106 

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erwiesen111 und wurde noch einmal von Christian Helbich bestätig.112 Seinem Selbstverständnis entspräche diese Einschätzung ohnehin nicht: Die bestehende, eine, ‚katholische‘ Kirche von Missständen zu befreien und „durch Bildung und Belehrung des Volkes“113 zu erneuern, war Schöppers Ziel. Einen angemesseneren Verstehenshorizont bildet demgegenüber der Blick auf die – konfessionspolitisch ebenso offeneren – Verhältnisse der umliegenden Territorien sowie der kirchlichen Situation in Köln, dessen Erzbischof Dortmund kirchenrechtlich untergeordnet war. Über die Herzogtümer Jülich-Kleve-­ Berg sowie die Grafschaften Mark und Ravensberg herrschten die Herzöge Johann III. (reg. 1511/21–1539) und Wilhelm V. (reg. 1539–1592), die in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen einen sog. ‚reformkatholischen Mittelweg‘ einschlugen114 – oder, wie es Heinz Schilling in einem einschlägigen Artikel bezeichnete, das „Modell der vorkonfessionellen, erasmianisch-niederrheinischen via-media-Reform“.115 Wesentliche Aspekte dieses Reformansatzes finden sich ebenso im Vorgehen der Stadt Dortmund und der Reformer Lambach und Schöpper in den 1540er und 1550er Jahren.116 Hinzu kommt, dass Hermann von Wied als Kölner Erzbischof ab 1543  – bei deutlichem Gegenwind im eigenen Domkapitel sowie durch einige Theologen, allen voran Johannes Gropper, und ohne sich letzten Endes durchsetzen zu können  – deutliche Akzente in Richtung Reformation unternahm.117 Reformorientierte Initiativen, wie die Gründung des Dortmunder Gymnasiums in demselben Jahr, hatten also von erzbischöflicher Seite keinen Widerstand zu erwarten. Sie deshalb einlinig als Ausdruck eines „starken 111 Vgl.

Olschewski, Erneuerung. Helbich, Pax, 142–155. 113  So im Titel von Olschewski, Erneuerung. Vgl. a. a. O., 297: „Mit seinem Reformkonzept verfolgte Schoepper das Ziel, die Fehlentwicklungen zu beseitigen und so die kirchliche Einheit wiederherzustellen, die allerdings durch die Rückkehr der ‚Abtrünnigen‘ erfolgen sollte. Die Disputationen mit Hamelmann [einem lutherisch gewordenen Schüler Schöppers, J. R.] zeigen, daß Schoepper zum Dialog mit den Reformatoren bereit war, die Konfessionsschranken zu überschreiten vermochte er indes nicht. Er wollte die ‚Andersdenkenden‘ überzeugen, daß die alte Kirche im Besitz der Wahrheit ist.“ 114 Vgl. Smolinsky, Jülich-Kleve-Berg, der die Perspektive des ‚reformkatholischen Mittelweges‘ gegenüber der Perspektive ‚gescheiterte Reformation‘ stark macht. Bei Freitag, Reformation wurde jetzt der ‚reformkatholische Mittelweg‘ als etwas Eigenes auf den konfes­ sionspolitischen Karten im Einband des Buches gekennzeichnet. Zur Konfessionspolitik der genannten Herzöge vgl. Schulte, Neutralität. 115  Schilling, Dortmund, 172. 116 Vgl. Schilling, Dortmund, 167–178. Als Kennzeichen dessen führt Schilling (a. a. O., 172 f.) auf: (1.) Eine gewisse „Anpassungsbereitschaft an die jeweiligen politischen und kirchlichen Rahmenbedingungen“; (2.) „der Versuch, die Reformen ohne Bruch mit den bestehenden Insitutionen durchzuführen“; (3.) „der Pragmatismus und die bewußt konfessionsneutrale Pädagogik“; (4.) „das bewußt unkonfessionelle, später dann überkonfessionelle persönliche Kontaktfeld dieser Humanisten“; (5.) die Verpflichtung dem erasmianisch-humanistischen Modell gegenüber „auch in seiner eigentlichen theologisch-religiösen Stoßrichtung“. 117 Vgl. Bosbach, Köln, 68–70. 112 Vgl.



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Auftrieb[s] der evangelischen Kräfte auch in Dortmund“118 zu interpretieren, geht jedoch fehl. Dem widerspricht, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure in Dortmund bei der Gründung des Gymnasiums offenbar an einem Strang zogen.119 Auffällig ist zudem der Befund Olschewskis, dass sich Schöpper mit seinen Auffassungen im Rahmen dessen aufhielt, was die Kirchenordnung (1532/33) und ein Reformdokument (1545) von Jülich-Kleve-Berg sowie die Reformbestimmungen der Kölner Provinzialsynoden von 1536 und 1549 (also nach Absetzung Hermanns von Wied) vorgaben.120 An letzteren war maßgeblich Johannes Gropper beteiligt, dessen auch von Schöpper rezipiertes Enchiridion christianae institutiones als Anhang der Kölner Bestimmungen von 1536 gedruckt wurde.121 3.1.2  Schöppers Postille Nachdem Johann Lambach bereits im Jahr nach Schöppers Tod einen Band mit dessen Katechismuspredigten veröffentlicht hatte,122 gab er 1557/58 eine dreibändige Postille heraus: eine zweiteilige Sonntagspostille mit Predigten zu den Evangelien- und Epistelperikopen,123 gefolgt von einer Festtagspostille.124 Die 118  Schröer, Reformation, 415 in der Tradition von Winterfeld, Geschichte, 127, die meint, die Besprechung von Lambach mit Sturm in Straßburg hätte den Zweck gehabt, „die neue Anstalt nach dem Typus der evangelischen Gelehrtenschule“ (ebd.) auszubauen; so auch noch Stupperich, Reformationsgeschichte, 311. 119 Vgl. Schilling, Dortmund, 160.175; Helbich, Pax, 118–121.135. 120  Zusammengefasst bei Olschewski, Schoepper, 153–143. 121  Die jüngste, Olschewskis Forschung aufgreifende, zusammenfassende Charakterisierung Schöppers bietet Helbich, Pax, 154: „Schöppers Standpunkte, die insbesondere in den Predigten zum Ausdruck kommen, stellen eine Mischung aus überwiegend traditionellen Ansichten, einem an Erasmus angelehnten humanistischen Amts- und Lehrverständnis sowie einer Rezeption der zeitgenössischen Kirchenauffassung in Jülich-Kleve-Berg und Kurköln dar. Nur vereinzelt finden sich an Luther erinnernde Formulierungen. Insgesamt blieb Schöpper inhaltlich somit weitgehend auf dem Boden der ‚alten‘ Kirche. Ein ‚Vermittlungstheologe‘ war er nur insofern, als auch er für eine Reform der Kirche ohne einen völligen Bruch mit der Tradition eintrat.“ 122 Vgl. Schöpper, INSTITVTIONIS CHRISTIANAE. 123 Vgl. Schöpper, TOMVS PRIMVS und TOMVS SECVN[DUS]. 124 Vgl. Schöpper, TOMVS TERTIVS. Es besteht in der Forschung – aufgrund mangelnder Quellen – keine Einigkeit darüber, ob Schöpper vor seiner Gemeinde in deutscher oder lateinischer Sprache gepredigt hat (referiert, ohne selbst Position zu beziehen, zuletzt bei Helbich, Pax, 153). Die Argumente für die lateinische Predigtsprache sind bereits bei Junghans, Schöpper, 86 vorgetragen, deren wichtigster die ursprüngliche Veröffentlichung auf Latein ist. Daraus lässt sich jedoch lediglich erschließen, dass die Manuskripte, die Lambach vorgefunden und veröffentlicht hat, in lateinischer Sprache verfasst waren. Nun gibt es jedoch diverse Zeugnisse – etwa von Eck (s. o. Kapitel III.2.2.1) oder Nausea (s. o. Kapitel III.3.1) – dafür, dass Prediger (mit höherer Bildung) in lateinischer Sprache Predigten ausarbeiteten, die sie in deutscher Sprache vor der Gemeinde vorgetragen haben. Angesichts dieser Quellen ist auch ein anderes Argument nicht tragfähig, dass nämlich die volkssprachliche Predigt „die Reformation offen begünstigt“ (ebd.) hätte. Dass Prediger an Stadtkirchen volkssprachlich gepredigt haben, war im 16. Jahrhundert alles andere als ungewöhnlich oder ein konfessionelles Differenzkriteri-

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Predigten seien hinsichtlich ihrer Lehre und ihrer Gestalt beispielhaft, sodass sich die Prediger an ihnen orientieren könnten, stellt der Herausgeber in seinem Widmungsbrief an Hermann Xylonius, den Abt des Benediktinerklosters Werden bei Essen, heraus.125 Die zweite Auflage des gesamten dreibändigen Werkes, 1560 ebenfalls in Dortmund gedruckt, wurde um einige Predigten erweitert und erlebte weitere Auflagen in Köln 1561 und 1570.126 1561/62 erschien zudem eine deutsche Übersetzung des Gesamtwerkes in Köln, welche ebenda noch zwei weitere Auflagen erfuhr (1570 und 1593, zuletzt ohne den Sommerteil der Sonntagspostille).127 Der Übersetzer der Postille Schöppers ist Christian Hipparius, Pfarrer an St. Quintin in Mainz. In seiner Vorrede an die Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln führt Hipparius in klassisch kontroverstheologischem Duktus vor Augen, dass die vielen falschen Propheten, Lehrer und Verführer, vor denen in der Heiligen Schrift gewarnt wird, „zu disen vnsern zeitten auffgestanden / vnd vnder dem namen CHRJSTJ / das ist / vnder dem schein der warheit“128 ihr Unwesen treiben, wie „die vielfaltige zweyspalt in vnser H. Christlichen Religion“129 hinlänglich bezeuge. So sei nun „bey dem grössern theil der menschen / der recht Glaub verlorn worden / die lieb erkaltet / gute werck / die gerechtigkeit / vnd die Heiligen Sacrament sampt aller Christenlichen andacht in gentzliche verachtung gerhaten“.130 Besonders schlimm seien die weit verbreiteten „Catechismi vnd Predig bücher […] vnd in sonderheit auch die Haußpostillen“,131 womit nur Luthers Werk gemeint sein kann. Sie um. Vor der kleinen und gebildeten, weil vor allem aus Patriziern bestehenden Gemeinde (vgl. ebd.; Schilling, Dortmund, 176) kann Schöpper also durchaus in deutscher Sprache gepredigt haben, auch wenn er die Predigten in lateinischer Sprache ausgearbeitet hat und sie in der Form überliefert wurden. Dass er 1550 zudem ein deutsches Synonymwörterbuch veröffentlichte (vgl. Schöpper, SYNONYMA), „Allen Predigern / Schreibern vnd Rednern zu dienste“, wie es im Titel heißt, spricht m. E. angesichts fehlender zwingender Gegenargumente für die volkssprachliche Predigt Schöppers. 125 Vgl. Schöpper, TOMVS PRIMVS, fol. a2r–[a6r]. 126  Vgl. die Bibliographie bei Olschewski, Erneuerung, 305–311. 127  Vgl. ebd. 128  Schöpper, Postill, fol. a2v. 129 Ebd. 130  A. a. O., fol. a3r. 131  A. a. O., fol. a3v. Die Hauspostille Martin Luthers nimmt Hipparius offenbar als besonders gefährlich wahr, sodass er ihr eine umfassende Charakterisierung widmet (ebd.): „in welchen an stätt der außlegung nichts den holhippen / schmehen / schenden / lestern vnd verwendung oder vergifftigung des Texts vnd der rechten meynung Göttliches wortts / Verachtung / verlachu[n]g / verhoenung vnd verspottung aller Christlichen disciplin / guter ordenung vnd geistlicher andacht / auch auffwieglung vnd anhitzung zu krieg / vnfried / vneinigkeit / auff­ ruhr vnd widerwillen zwischen geistlichen vnd weltlichen / zwischen Oberkeitten vnd vnderthanen / begriffen ist / vnd dem einfaltigen Leser mit weitlauffigen glossen / auffgemutzten wortten vnd erdichtem geschwetz eyngebildet wirt“.



3  Jakob Schöpper229

seien zu verbieten132 und durch gute „Catholische[] Predigbucher vnd Postillen“133 zu ersetzen. Freilich gebe es bereits genügend ‚deutsche katholische‘ Postillen, insbesondere die des Johann Wild.134 Doch könne bislang keine den kompletten Umfang – Evanglien- und Epistelauslegungen für Sonn- und Festtage  – abdecken und lege die Texte so „kurzlich / ordenlich / richtig / deutlich / verste[n]dlich / ermälich / beweglich / erbawlich / vnneidisch / vnparteyisch / vnd menigklich vnnachteylig“135 aus wie Schöpper. Gerade die Kürze und Verständlichkeit sei geeignet für die ‚Einfältigen‘ und die klare Methode und sinnvollen Dispositionen – ein bedauerlicher Mangel des „mehrertheil[s] Catholischer Postillatoren“136 – könnten sich Pfarrer und Prediger zum Vorbild nehmen.137 3.2  Zum Charakter der Passionspredigten 3.2.1  Die enthaltenen Passionspredigten Die Postille Schöppers enthält in der ersten Auflage drei und ab der zweiten, erweiterten Auflage  – somit auch in der Übersetzung  – vier Passionspredigten, die aus den Jahren 1545, 1546, 1553 und 1554 stammen.138 Sie werden auch als ‚Schlussreden‘ bezeichnet und sind für den Karfreitag nach der Lesung der Passionsgeschichte gedacht.139 Im Gegensatz zum lateinischen Original bietet die deutschsprachige Postille vor den Predigten die „Historia der Passion vnsers Herren Jesu Christi“,140 also eine Harmonie der biblischen Passionsberichte, und 132  Diese Forderung setzt implizit voraus, dass Hipparius weiß bzw. davon ausgeht, dass in den Erzbistümern bzw. Kurfürstentümern Mainz, Trier und Köln deutschsprachige reformatorische Katechismen und Postillen in Verwendung waren. 133  A. a. O., fol. a3v. 134  Vgl. a. a. O., fol. a4r. 135 Ebd. 136  A. a. O., fol. a4v. 137 Für das Verhältnis der Übersetzung zur lateinischen Erstausgabe erwähnt Hipparius, dass der Verleger Gerwin Calenius, entsprechend den Zensurbestimmungen, die lateinische Postille durch die Kölner Theologen hat prüfen und „an etlichen orten zu erklerung Catholischer meynung bessern“ (A. a. O., fol. a4r.) lassen, bevor er die Übersetzung angefertigt hat. Olschewski machte in einem Vergleich der deutschen Übersetzung mit dem Erstdruck von 1557/58 an einigen wenigen Stellen etwa bezüglich der Verhältnisbestimmung von göttlicher Gnade und den guten Werken des Menschen (vgl. Olschewski, Erneuerung, 89 f. mit Anm. 145) „Angleichungen an die Lehre des Tridentinums“ (a. a. O., 48) aus. Entsprechend signifikante Lehrangleichungen konnten bei den im Folgenden vorgestellten Passionspredigten jedoch nicht festgestellt werden. 138  Randglossen geben in den von Lambach herausgegebenen lateinischen Postillen das Entstehungsjahr jeder Predigt an; in der deutschen Übersetzung sind diese Angaben weggelassen. 139  So etwa ganz explizit (Schöpper, Postill, fol. CCv): „Am heiligen karfreitag nach verlesener vnd gehörter Historien der Passion vnd des heiligsten leidens Christi / die erst Predig“. Ähnliches ist auch zu Beginn der anderen Predigten formuliert. 140  A. a. O., fol. CXCIv–CCv.

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

vor einer Predigt über Jes 53 auch einen Abdruck des Bibeltextes141 – wie auch bei den übrigen Predigten die biblische Perikope in der deutschen Fassung abgedruckt ist, während sie in der lateinischen fehlt. Damit ist die Übersetzung stärker als die lateinische Fassung auch auf den ‚Hausgebrauch‘ ausgerichtet, insofern kein zusätzliches Lektionar oder eine Bibel vonnöten sind. Sachlich ist jede der vier Karfreitagspredigten auf das theologisch Wesentliche des Leidens und Sterbens Jesu Christi fokussiert: auf die Wahrnehmung des Geschehens als Heilsereignis. In der Gestaltung sind die Predigten untereinander jedoch gänzlich verschieden: Die erste Predigt legt im Sinne einer Anleitung zur Passionsbetrachtung142 verschiedene Meditationsweisen dar; die zweite Predigt legt Jes 53 als den passionstheologisch wichtigsten alttestamentlichen Text aus; die dritte Predigt nutzt einen nichtbiblischen Spruch für die Gegenüberstellung von Adam / Eva und Christus; und die vierte Predigt ist eine geistliche (typologische) Auslegung eines Psalmverses. Während im Folgenden die Predigten zwei bis vier vorgestellt werden, wird die erste Predigt mit Blick auf die darin offensichtliche Melan­chthon-Rezeption in Kapitel V. 3.3 analysiert. 3.2.2  Zweite Predigt143 Die zweite Predigt der Postille ist eine Auslegung des Gottesknechtsliedes Jes 53. Mit der Hochschätzung, die dem Prophetentext im passionstheologischen Kontext traditionell entgegengebracht wird, führt Schöpper aus, Jesaja „sey vielmehr vnd billicher ein Euangelist dann ein prophet zu nennen“.144 Es scheine, „als were er […] selbs in eigener person jegenwertig“145 gewesen. Eindeutig sei der Text auf das Leiden und Sterben Jesu Christi zu beziehen, sodass eigentlich „die Jüden doch allein aus dieser prophetey billich gewisst vnd abgenommen haben [sollten] / daß vnser JESUS der recht vnd war Messias gewesen ist“.146 Dass sie dies nicht tun, sei jedoch nicht verwunderlich, habe doch bereits Jesaja (in Jes 53,1) vorausgesagt: ‚Wer hat dem geglaubt, was wir gehört haben?‘ Der Grund für den Unglauben liege darin, dass die Juden meinten, der „Messias würde ein weltlich reich anfangen / vnd alles seinem gewalt vnd gebiet vnderwerffen mit höhester gluckseligkeit vnd glucklichem ausschlag [d. h. Ergebnis, J. R.]“.147 Die folgende Betrachtung des Jesajakapitels gliedert sich in fünf Abschnitte, die einer Homilie entsprechend den Bibeltext Vers für Vers behandeln und gleichzeitig eine systematische Ordnung darstellen: 141 

Vgl. a. a. O., fol. CCIIIv–CCIIIIr. S. o. Kapitel II.2.2.1. 143  Vgl. a. a. O., fol. CCIIIv–CCVIr. 144  A. a. O., fol. CCIIIIr. 145 Ebd. 146  A. a. O., fol CCIIIIr–v. Schöpper ist überzeugt, dass „auch die jetzige Jüden / doch allein auff diß mercken vnd achtung geben“ (a. a. O., fol. CCIIIIv) sollten; doch wie es jene damals nicht verstanden hätten, so auch nicht seine jüdischen Zeitgenossen. 147  A. a. O., fol. CCIIIIv. 142 

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Im ersten Abschnitt zu Jes 53,2a geht es um die Person des Messias. Wenn Jesaja sagt, er sei der ‚Arm des Herrn‘, so spreche er von der göttlichen Natur, während die ‚Wurzel aus dürrem Erdreich‘ auf die menschliche Natur zu beziehen sei. Hier kämen „die höheste barmhertzigkeit Gottes des vatters“148 – von der Joh 3,16 handle  – und „die vnaussprechliche leutseligkeit vnd demut des Sons“149 – wovon etwa Hebr 2,14 f. spreche – zusammen. Anschließend beschreibe der Prophet (Jes 53,2b–3) die Größe des Leidens und der Trübsal. Schöpper erinnert die Hörerinnen und Hörer in diesem Zusammenhang an das, was sie zuvor in der Lesung der Passionsgeschichte gehört haben und fragt: „Was kann aber grossers / grewlichers / vnmenschlichers vnd vngebürlichers erdacht werden / dann soliche pein vnd trübsal gewesen ist?“150 Der Text erläutere daraufhin drittens die Ursache dieses Leidens (Jes 53,4–6): Er leidet „nit vmb seiner sünden willen […] sondern vmb vnserer laster willen / vnd von wegen vnserer vbertrettungen vnd sünden“.151 Das, was ‚wir‘ verdient hätten, habe ihn getroffen und hat er erlitten – was Schöpper zu der die oben zitierten Frage bewusst kontrastierenden Formulierung führt: „Der Herr aber hat vnser aller sünden auff jn gelegt. Was kann doch für ein herrlich vnd furtrefflicher gutthat erdacht werden?“152 Jes 53,7 zeige viertens an, „mit welchem hertzen vnd gemüt er gelitten hab“,153 nämlich ungezwungen und freiwillig. Die Freiwilligkeit mache dieses Leiden „dem Vater angenem / vnd vns verdienstlich“.154 Ein fünfter und letzter Aspekt seien die am Ende des Kapitels (Jes 53,11 f. – die vorangehenden Verse werden nicht behandelt) bezeugten Früchte und der Nutzen der Passion. Christus habe durch sein Leiden „so wol jm selbs / als vns / etwas verdienet“:155 Sich selbst ein glückseliges Reich ohne Ende und ‚uns‘ all das, was nur durch Aufzählungen ausgesagt werden kann: „ewige gerechtfertigung / erlösung von der sünde / oder aber verzeihung der sünde[n] / erlösung vom tod / Teufel vnd Hell / vnd das ewig lebe[n]“.156 Als Reaktion darauf ermahnt Schöpper die Gemeinde, Gott dafür ohne Unterlass Lob und Dank zu sagen und „in der reinigkeit / mit welcher er vns aus lautter gnaden begabt hatt / standthafftig verharren“.157 148 Ebd. 149 

A. a. O., fol. CCVr.

151 

A. a. O., fol. CCVv.

153 

Ebd. (Hervorhebung J. R.).

155 

A. a. O., fol. CCVIr.

150 Ebd. 152 Ebd. 154 Ebd. 156 Ebd. 157 Ebd.

232

V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

3.2.3  Dritte Predigt158 Die Predigt des Jahres 1553 beginnt Schöpper mit einem Spruch, der zwar „dem buchstab nach in götlicher schrifft nit stehet“,159 ihrem Geist jedoch voll entspreche: „Die lieb des lebens hatt das lebe[n] verloren / Die lieb des tods hat das leben widderumb funden.“160 Diese beiden Sätze strukturieren die Predigt, die eine ausgebaute Adam/EvaChristus-Antithetik darstellt. Anhand des ersten Satzes wird das von ‚unseren‘ ersten Eltern ausgegangene Unheilsverhängnis darstellt,161 das all ihren Nachkommen „die vbertretung / ein verderbte natur / böse affect vnd begirten / allerley jamer / ellend vnd muheseligkeit / den leiblichen tod / vnd den ewigen tod“162 gebracht habe. Im zweiten Teil wird dem anhand des zweiten Satzes das Erlösungswerk Christi gegenübergestellt.163 Zum Schluss führt Schöpper aus, worauf es angesichts dessen ankomme: Zum einen, dass man diese ‚uns‘ betreffenden großen ‚Guttaten‘ Christi erkenne, sie im Gedächtnis behalte und voll Vertrauen annehme, und zum anderen, dass man „nach seinem exempel“164 ebenfalls den Tod liebe, und zwar „den tod der sunden / vnd den zeitlichen tod“,165 wofür Paulus (mit Gal 6,14; Apg 21,13; 2 Kor 12,15 und Phil 1,23.21) als Vorbild angeführt wird.

158 

Vgl. a. a. O., fol. CCVIr–CCVIIIr. A. a. O., fol. CCVIv. 160 Ebd. 161 Zusammengefasst (ebd.): „Lassend vns aber hören  / was auff soliche lieb des lebens gefolgt sey. Warlich es ist nichts anderst darauff gefolgt / dann erstlich / scham / darnach forcht / alsbald der zorn Gottes vnd der fluch oder vermaledeyung / zum vierdten verstossung aus dem Paradiß / Zum funfften vnd etzten / der tod vnd die hell.“ 162  A. a. O., fol. CCVIIr. 163  Der Kontrast betrifft zahlreiche Aspekte (a. a. O., fol. CVIIv): „Vnsere erste eltern hetten durch vngebürlich essen oder durch fresserey gesundiget. Christus aber hatt solliche sund durch fasten gereiniget vnd versünet. Jene hetten im garten gesundiget aus wollust: dieser aber ist im garten trawrig gewesen / vnd hatt für grosser angst seines hertzens blut geschwitzt. Jene hetten begert den göttern gleich zu sein / dieser aber hatt dagege[n] sich selbs enteussert / hat an sich genomen die gestalt eines knechts / ist worde[n] wie ein wurm / vnd nit wie ein mensch / ein schmahe der Menschen / vnd ein verachtung des volcks / in dem er ist verspiegen / verspottet / geschlagen vnd gegeisselt worden. Jene hetten gesundiget am holtz: dieser aber ist an das holtz auffgehengt worde[n] / vnd hatt am holtz des Creutzes genug gethan fur jener vnd aller menschen sunden. Jene hetten mit jrem eigen vnd aller menschen schaden / das leben lieb gehabt: Dieser aber hat dagege[n] den tod geliebet / vnd hatt sich in diesen fur jene vnd fur vns alle gantz freywillig vnd vngenötiget gegeben / vnd hatt darzu durch soliche[n] seinen freywilligen tod / die Sunden der Welt hinweg genommen / der alten schlangen den kopff zerknitzt / aus dem leiblichen tod ein sussen schlaff gemacht / den ewigen tod oder verdamnuß in ewigkeit gesturtzt vnd gefället / vnd dagegen das ewig leben vnd das verloren erbteil des Paradiß / dem menschlichen geschlecht widderumb zugeteilet.“ 164  A. a. O., fol. CCVIIIr. 165 Ebd. 159 

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3.2.4  Vierte Predigt166 In seiner letzten Karfreitagspredigt betonte Schöpper, dass „die wirdige betrachtung des leidens vnd tods Christi / nit allein jn erkantniß der Historien / sondern auch vnd darzu am allermeisten / in erwegung der vrsach vnd wirckung desselben / das ist / warumb Christus gelitten hab / vnd was fur frucht vnd nutzen aus seinem leiden entsprossen“167

sei, bestehe. Da die ‚Historie‘ zuvor gehört wurde, legt diese Predigt den Fokus in zwei Teilen zunächst auf die Ursache und danach auf Nutzen und Frucht, und zwar anhand des Psalmwortes (Ps 105,41 f.): „Gott hat den felßen geöffnet / da seynd wasser außgeflossen / vnd haben bäch gelauffen in der durren wüsten. Denn er gedacht an sein Heiliges Wort / das er zu Abraham seinem knecht geredt hett.“168 Den Vers bezieht Schöpper zunächst auf die in Ex 17 und Num 20 geschilderten wunderbaren Erfahrungen, die Mose und die Israeliten in der Wüste gemacht haben, um mit Paulus (1 Kor 10,4: Der Fels war Christus.) festzustellen, dass es sich dabei um eine ‚Figur‘ Christi handele. Die dürstenden Israeliten seien auf die Menschen vor dem Kommen Christi zu beziehen, die in „jamer / ellend / vnd mangel Göttlicher gnaden“169 lebten. Die Öffnung des Felsens bedeute das Leiden und Sterben Jesu Christi, woraus ersichtlich werde, das dieser „nit vmb seine selbs willen gelitten / sondern allein vmb vnsert willen“170 gelitten habe. Die Differenz hinsichtlich des Handlungssubjekts zwischen den Berichten in Ex und Num (Mose schlägt gegen den Felsen) und Ps 105,41 (Gott selbst öffnet den Felsen) entspreche ebenfalls dem Passionsgeschehen: Während offensichtlich die Juden und Heiden Christus geschlagen haben, heißt es doch andererseits bei Paulus (Röm 8,32), dass Gott ‚seinen Sohn für uns alle dahingegeben‘ hat, was durch Jesu Wort an Pilatus bestätigt werde, dass dieser keine Macht über ihn hätte, wenn sie ihm nicht von Gott gegeben wäre (Joh 19,11). Die Frage, was Gott dazu bewegt habe, werde durch Ps 105,42 beantwortet: Nicht „der Jüden frombkeit“,171 sondern dass Gott seines eigenen Verheißungswortes gedachte – und das heißt gleichzeigt: Er ist „nit durch vnsere verdienst 166 

Vgl. a. a. O., fol. CCVIIIr–CCXr. A. a. O., fol. CCVIIIr. 168  Ebd. Schöpper unterscheidet zwei Arten, in denen das Alte Testament über Leiden und Tod des verheißenen Messias spricht, nämlich einerseits „einfaltige oder offentliche weyß“ (a. a. O., fol. CCVIIIv) und andererseits „vorbedeutliche oder dunckele weyß“ (ebd.). Zu der ersten Variante zählt er Jes 53 (Leiden und Sterben des Gottesknechts) und Dan 9 (Gabriels Ankündigung an Daniel, dass ein Gesalbter getötet wird), zu der zweiten die Opferung Isaaks (Gen 22), das Schlachten des Passalamms (Ex 12), die Aufrichtung der ehernen Schlange (Num 21) und den zitierten Vers über die Öffnung des Felsens aus Ps 105. 169  A. a. O., fol. CCVIIIv. 170  A. a. O., fol. CCIXr. 171 Ebd. 167 

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angereitzt vnd bewegt worden […] sondern allein seine freywillige vnuerdiente verheisung vnd die höheste lieb gegen vns / habe[n] jn dazu bewegt“,172 wie aus Joh 3,16 und 1 Joh 4,10 deutlich werde. Zusammengefasst kann die Frage nach der Ursache der Passion Christi beantwortet werden: „das ellend vnd die sünden des Menschlichen geschlechts / vnd die höheste lieb gege[n] vns / Gottes vn[d] Christi selbs“.173 Im zweiten, kürzeren Teil der Predigt werden Nutzen und Frucht des Leidens Christi thematisiert und zwar als der „geistlich sin[n] vnd verstand“174 des Wassers, das aus dem geöffneten Felsen fließt. Grundsätzlich sei „ein vberflussiger bron[n] aller gnade[n] / aus dem leiden[n] Christi entsprunge[n]“,175 doch könne dies noch differenziert werden: Es handele sich um ‚Wasser der Reinigung‘, d. h. Vergebung der Sünden, Versöhnung mit Gott und ewige Gerechtigkeit, um ‚Wasser der Töstung‘ für das erschrockene und geängstigte Gewissen des Sünders und um ‚Wasser der reinen und aufrichtigen Andacht‘, d. h. der Reue, Liebe, Geduld, Weisheit und der heilsamen Lehre.176 Schließlich weist Schöpper auf eine letzte Dimension der Felsmetaphorik hin: „Wir sollen aber wissen / er werde daru[m]b ein felß gena[n]t / dz er in seine[m] leide[n] gleich wie ein felß vnbeweglich / stett / fest / gedultig / vn[d] starck gewesen ist: vnd dz er auch bewaret vn[d] erhellt alle die sich auff jn verlassen / daß auch die pforten der hellen nichts wider sie vermögen“.177

3.3  Die Aneignung von Melan­chthons Meditationsanleitung (erste Predigt) Während bei Johann Wild gezeigt werden konnte, dass dieser Luthers Passionssermon genutzt und sich theologisch angeeignet hat,178 kann bei dem Dortmunder Humanisten Schöpper die Rezeption von Luthers Wittenberger Kollegen Melan­chthon nachgewisen werden. Die im Folgenden aufzuzeigenden Ähnlichkeiten zwischen Schöppers erster Karfreitagspredigt und der Anleitung zur Passionsbetrachtung in Melan­chthons Postille können schwerlich Zufall sein. Man muss vielmehr annehmen, dass die Postille des Praeceptor Germaniae bei Schöpper in Gebrauch war. Dass gerade die erste Predigt von Melan­chthons Werk beeinflusst ist, ist zeitlich plausibel: Melan­chthons Postille erschien erstmals 1544,179 die Karfreitagspredigt Schöppers geht auf das Jahr 1545 zurück. 172 Ebd. 173 

A. a. O., fol. CCIXv.

174 Ebd. 175 Ebd. 176 

Vgl. ebd. A. a. O., fol. CCIXv–CCXr. 178  S. o. Kapitel V. 2.3. 179  S. o. Kapitel IV. 3.1. 177 

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‚Am heutigen Tag‘, so beginnt Schöpper, habe „vnsere Mutter vnd Allgemeyne heilige Kyrch“180 in besondere Weise ein Gedächtnis der „grösten vnd nutzlichsten gutthate[n]“181 Gottes ‚uns‘ zugute eingerichtet, nämlich des Leidens und Todes Christi. Die Historie wurde bereits gehört, weshalb nun noch erklärt werden soll, wie dies „Gottsäliglich / nutzlich / vn[d] fruchtbarlich betrachtet“182 werden kann. Die folgende Anleitung, die die Predigt gliedert, entspricht der Struktur nach exakt derjenigen Melan­chthons: „Die Passion vnd das allerheiligst leiden Jesu Christi vnsers Herren / soll auff drey weg betrachtet werde[n]: Zum ersten paedagogice / das ist / vnderrichtlich vnd wie die Historia lautt: Zum andern Geistlich: Zum dritte[n] / exempels weys / oder als ein Exe[m]pel dem wir sollen nachfolgen.“183

Unter (1.) der ‚pädagogischen‘ Betrachtung wird die Kenntnis der Geschehnisse und der ‚historischen Umstände‘ verstanden. Dazu zählt Schöpper die Frage nach der ‚Ursache‘ der Passion, der Zeit, der Orte, der beteiligten Personen und „wie sich Christus in allen disen ängsten vnd trübsalen gehalten vnd erzeigt hab“.184 Bezüglich der – verhältnismäßig ausführlich dargelegten – Ursache(n) hält Schöpper fest, dass „vnsere sunden die furnemst vrsach“185 gewesen sei, die den Zorn Gottes nach sich gezogen habe.186 Demgegenüber sei der Hass der Juden eine „nachfolglich oder neben vrsach“,187 da diese ohne „zulassung des vatters“188 Jesus nichts hätten antun können. Wie bei Melan­chthon  – im Anschluss an Luthers Betrachtung der Passion Christi als sacramentum189 – besteht (2.) die ‚geistliche‘ Betrachtung aus zwei Aspekten: „Zum ersten sollen wir erwegen den vbergrossen zorn Gottes / welchen er wider die sunde hat.“190 Obgleich etwa die Sintfluterzählung (Gen 7) oder 180 

Schöpper, Postill, fol. CCv.

181 Ebd. 182 Ebd.

183  A. a. O., fol. CCIr. Besonders deutlich ist die Übereinstimmung im lateinischen Original. Melan­chthon (CR 24, 652): „Meditatio passionis Christi est triplex: Prima paedagogica; II. Spiritualis; III. Exemplaris.“ Schöpper, TOMVS PRIMVS, fol. 515: „Paßio Domini tripliciter meditanda est: Primo Paedagogice, secundo spiritualiter, tertio exemplariter.“ 184  Schöpper, Postill, fol. CCIIr. 185  A. a. O., fol. CCIr. 186  Aus zahlreichen Bibelstellen werde ‚unsere‘ Sünde als Ursache des Leidens und Sterbens Jesu Christi ersichtlich, und darüber hinaus der Zusammenhang von menschlicher Sünde, Gottes Zorn, der Würde des Sohnes Gottes (eine ‚unendliche Person‘), seinem Erlösungs- und Versöhnungswerk und dem Erbarmen Gottes: Jes 53,4 f.; Röm 4,25; Röm 5,8; 1 Petr 2,24; 1 Joh 2,2 und 1 Joh 3,16. 187  A. a. O., fol. CCIv. Im Hintergrund steht die aristotelische Unterscheidung zwischen causa prima und causa secunda, die in der Scholastik zum theologischen Gemeingut wurde und zeitgenössisch ein übliches Mittel darstellte, um das Verhältnis der Ursachen des Leidens und Sterbens Christi zu differenzieren und zuzuordnen. 188 Ebd. 189  S. o. Kapitel IV. 3.2.2. 190  Schöpper, Postill, fol. CCIIr.

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Sodom und Gomorrha (Gen 19) deutliche Zeugnisse von Gottes Zorn über die Sünde geben, werde dieser erst vollends am Kreuz offenbar, da er „durch kein ander ding hat könne[n] oder mögen versönet vn[d] gestillet werde[n] / weder [d. h. außer, J. R.] durch den tod seines eingebornen sons“.191 Entscheidend für die andächtige Passionsbetrachtung sei, sich selbst als Ursache dieses Zornes Gottes zu sehen192 – was praktisch anhand der einzelnen Passionsgeschehnisse und -gegenstände (Schläge, Dornen, Lästerung etc.) durchgeführt werden könne, damit „vns ein forcht vnd schrecken“193 überkomme und das Herz betrübt werde. Doch dem muss ein zweiter Aspekt angeschlossen sein: „Wan[n] nun solicher warhafftiger schrecken das hertz eyngenommen hat / so sollen wir vns widderumb trösten vnd dagegen erkennen vn[d] bedencken die grösse Gottlicher barmhertzigkeit / nemlich / daß er darumb seine[n] Son hatt wöllen leiden lassen / auff daß er durch disen versünet würde / vnd vns widder zu gnaden anneme / vnd sälig mechte“194 – und dies müsse man „gantz fest vnd standhafftig glauben“.195

Für (3.) die ‚exemplarische‘ Betrachtung wird „das leiden Christi als ein vorbild“196 vorgestellt. Darauf liege zum einen die Verheißung einer ‚großen Nutzbarkeit‘ – mit Verweis auf Mt 5,11; 2 Tim 2,11; 1 Petr 4,14 – und zum anderen die ‚höchste Notwendigkeit‘ in der Mahnung, das ‚Kreuz auf sich zu nehmen‘ – entsprechend Mt 16,24 f.; Apg 14,22; 2 Tim 3,12; 1 Petr 2,21. Neben die allgemeine Vorbildfunktion tritt Christus „als ein artzeney“,197 was Schöpper in klassisch kasuistischen Formulierungen ausführt: ‚Wenn uns Hoffart plagt, sollen wir …‘; ‚Wenn uns Schmach angetan wird, sollen wir …‘. Schöpper, so kann zusammenfassend festgehalten werden, konnte sich die Anleitung zur Passionsbetrachtung, wie sie Melan­chthon in Anknüpfung an Impulse Luthers formuliert hat,198 sowohl strukturell als auch inhaltlich aneignen. Erkennbar ist nicht nur die dreifache Betrachtungsweise, sondern auch der doppelte Aspekt Erschrecken und Glaube, den die ‚geistliche‘ Betrachtung als theologischer Kern der Meditation ausmacht. Ein besonderer Akzent – und dies deckt sich mit den Karfreitagspredigten späterer Jahre – wird, wie auch bei Luther und Melan­chthon, auf die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und des Zornes Gottes als Ursache des Leidens und Sterbens Christi gelegt, das gleichzeitig als Erlösungs- und Versöhnungswerk Ausdruck der Liebe Gottes zu den 191 

A. a. O., fol. CCIIr–v. der  – zuvor in der ersten Betrachtungsweise dargestellten  – Unterscheidung der Haupt- und Nebenursachen wird hier betont (a. a. O., fol. CCIIv): „Judas / Caiphas / Annas / Pilatus / Herodes / die diener / die kriegsknechte etc. seynd vnsere diener gewesen / wir seynd die vrsächer.“ 193 Ebd. 194 Ebd. 195  Ebd. mit allgemeinen Verweisen auf Joh 3, Röm 3 und 1 Joh 2. 196 Ebd. 197  A. a. O., fol. CCIIIr. 198  S. o. Kapitel IV. 3.3. 192 Entsprechend

4  Michael Helding237



Menschen ist. Dem nachgeordnet, aber gleichwohl als ‚nützlich‘ und ‚notwendig‘ wird das Tragen des eigenen Kreuzes in der Nachfolge Christi beschrieben. In der Verkündigung dessen folgt Schöpper, wie er betont, dem Auftrag ‚unserer Mutter‘, der ‚allgemeinen heiligen Kirche‘, die am Karfreitag die Besinnung auf das Kreuz Christi eingerichtet hat. Dass Schöpper offenbar bald nach ihrem Erscheinen Melan­chthons Postille gelesen und rezipiert hat  – und nicht, wie etwa Wild, Schriften Luthers  –, passt gut in das Bild, das die jüngere Forschung für die humanistisch inspirierte Bildungs- und Kirchenreform der 1540er Jahre in Dortmund gezeichnet hat.199 Von dem Humanisten und Praeceptor Germaniae Melan­ chthon erwartete Schöpper anscheinend wertvolle Anregungen jenseits kontroverstheologischer Belange. Die konfessionellen Auseinandersetzungen und Zuspitzungen späterer Jahre brachten es mit sich, dass der Übersetzer von Schöppers Postille diese nun in expliziter Gegnerschaft zu reformatorischen Postillen veröffentlichte. Gegenüber etwa der Hauspostille Luthers seien die Predigten Schöppers voll „Euangelischer warheit / vnd rechter Catholischer Lehr“, wie es auf dem Deckblatt der Postille – sicherlich in Anlehnung an die ebenfalls in Mainz gedruckte Postille Wilds – heißt. Inhaltlich erregten die Karfreitagspredigten trotz ihrer reformatorisch inspirierten Bausteine auch bei der Zensur durch die Kölner Theologen keinen Anstoß.

4  Michael Helding Michael Helding (1506–1561)200 gehörte zu den bedeutendsten reformkatholischen Akteuren der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die längste Zeit wirkte er  – nach seinem Studium in Tübingen – in Mainz, zunächst ab 1531 als Lehrer und Rektor der Domschule, sodann ab 1533 als Dompfarrer und ab 1537 zugleich als Weihbischof.201 Zu Recht gilt Helding neben Nausea und Wild als einer der Hauptvertreter des sog. ‚Mainzer Reformkreises‘, die die dringendste Aufgabe der Kirchenreform in einer Erneuerung der Katechese und Verkündigung sahen.202 Entsprechend versuchte Helding auch in seiner Zeit als letzter altgläubiger Bischof des bereits evangelisch geprägten Merseburg203 ab 1549/50 zunächst 199 

Vgl. den kurzen Überblick in Kapitel V. 3.1.1. Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bautz, Art. Helding; Brück, Art. Helding; Feifel, Weihbischof; Reiter, Art. Helding; Schneider, Art. Helding; Smolinsky, Helding, sowie jetzt umfassend Seidel, Helding, 1–181. 201 Vgl. Brück, Dompfarrer, 166 f. 202  Zum ‚Mainzer Reformkreis‘ s. o. Kapitel V. 2.1. Bezüglich Helding fasst Reiter, Helding, 15 zusammen: „Bei hoher Wertschätzung der Bibel und der Kirchenväter waren ihm die rechte Verkündigung des Wortes Gottes und die religiöse Unterweisung des Volkes besondere Anliegen.“ 203  Die Besetzung gegen den Widerstand des Domkapitels ist als Ergebnis der kaiserlichen 200 

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insbesondere durch Predigten zu wirken,204 jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. So übertrug er schließlich sein Bistum 1558 einem Verwaltungsrat und wechselte auf die reichspolitische Ebene an das Reichskammergericht und später an den Reichshofrat, wo er 1561 in Wien verstarb. 4.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Petrus Canisius, der erste deutsche Ordensprovinzial der Jesuiten, hob in einem Brief an den als Legat am Hof Ferdinands I. tätigen Martin Cromer kurz nach dem Tod Heldings die Gelehrsamkeit und herausragende Predigttätigkeit des Merseburger Bischofs hervor: „De morte Merspurgensis Episcopi Germania merito tristetur: parem doctrina et in concionando dexteritate nullum quem sciam, Episcopum Germanum reliquit, et in hac aula poterat Ecclesiae causam promouere“.205 Diese Hochschätzung kam nicht von ungefähr, waren doch die wirkmächtigsten Schriften Heldings zu seinen Lebzeiten ein auf eine umfassende Predigtreihe zurückgehender, überaus weit verbreiteter Katechismus206 sowie ein Zyklus von 15 Abendmahlspredigten, die Helding auf dem Augsburger Reichstag 1548 – d. h. kurz nach dem Interim – hielt und die nicht nur für die Selbstklärung des (altgläubigen) Messverständnisses in Auseinandersetzung mit der evangelischen Kritik, sondern auch für die Wahrnehmung desselben vonseiReligionspolitik nach den militärischen Erfolgen des Jahres 1547 einzuschätzen. Die Vorgänge sind detailliert beschrieben bei Seidel, Helding, 87–92; vgl. zum Merseburger Kontext mit Blick auf Heldings Vorgänger Georg III. von Anhalt Jammerthal, Sacrament, 321–324. 204 Vgl. Seidel, Helding, 99–101; Jammerthal, Sacrament, 325–327. Zu Heldings Hochschätzung der Predigt bzw. des Predigtamtes und seinem Verständnis des Wortes Gottes vgl. Feifel, Grundzüge, 109–133. 205  Canisius an Martin Cromer, 14.10.1561, in: Petri Canisii Epistulae et Acta III, Nr. 608, 256–259, hier 257. 206 Zwischen 1542 und 1544 hielt Helding eine 84 Predigten umfassende Predigtreihe über das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, den Engelgruß (Ave Maria), die Zehn Gebote und die Sakramente. Die Veröffentlichung und Verbreitung der 1551 gedruckten Reihe unter dem Titel CATECHISMVS, der sich in deutscher Sprache an alle Christen richtete, war Teil des – von einer Provinzialsynode 1549 ausgehenden – Mainzer Reformprogramms, in dessen Zuge nach Heldings Wechsel nach Merseburg auch die Postille Johann Wilds entstand (s. o. Kapitel V. 2.1). Dem Durck der CONSTITVTIONES CONCILII PROVINCIALES MOGVNTINI von 1549 war bereits eine im Aufbau (und weitgehend auch hinsichtlich des Inhalts) identische lateinische Schrift unter dem Titel INSTITVTIO AD PIETATEM CHRISTIANAM (ab fol. [XXXIIIr]) ohne Namensnennung ihres Verfassers beigegeben, die jedoch der Predigtform entledigt war und sich als ausführliche Erläuterung der Konstitutionen für die Kleriker darstellte – ein Vorgehen, das an die Kölner Reformen von 1536 erinnert, deren Konstitutionen das (ebenfalls zunächst anonyme) Enchiridion christianae institutiones von Johannes Gropper beigelegt war. Noch im selben Jahr 1549 erschien auch eine für den Unterricht der Jugend  – laut Feifel, Grundzüge, 53: „der Edelknaben am erzbischöflichen Hof in Mainz“  – gedachte lateinische Kurzfassung (vgl. Helding, BREVIS INSTITVTIO). Zu den Vorgängen vgl. Decot, Religionsfrieden, 142; Feifel, Grundzüge, 51–58 (hier auch zur Verbreitung); Seidel, Helding, 207–209; eine ausführliche inhaltliche Analyse bietet Seidel, Helding, 245– 340.



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ten der Evangelischen von kaum zu unterschätzender Bedeutung gewesen sein dürften.207 Es verwundert demnach nicht, dass diverse Predigten und Predigtreihen nach Heldings Tod zusammengestellt und veröffentlicht wurden. So entstand aus überlieferten Manuskripten auch eine klassische dreiteilige Postille bestehend aus einem Winter- und einem Sommerteil mit Auslegungen für die Sonntage des Kirchenjahres (‚De Tempore‘) und einem Teil für die Heiligenfesttage (‚De Sanctis‘). Herausgeber des erstmals 1565 in Mainz gedruckten Werkes208 war Philipp Agricola, einer der „führenden Theologen in Mainz“,209 der zunächst nach Heldings Weggang als dessen zweiter Nachfolger von 1551 bis 1555 als Dompfarrer tätig war210 und nach dem Tod Johann Wilds von 1555 bis 1572 als Domprediger.211 In seiner Widmungsrede gibt Agricola an, dass die Postille aus Predigten bestehe, die Helding in seiner Zeit als Mainzer Dompfarrer (1533–1549) gehalten habe. Leider habe er nicht genügend gefunden, um das gesamte Kirchenjahr abzudecken, sodass auch einige Predigten Wilds mit aufgenommen worden seien – was jedoch kein grundsätzliches Problem darstelle, immerhin hätten die beiden „vber die siebenzehen jar neben ein ander den Predigstand Gottseliglich wol zu Meintz versehen / auch dermassen sich in der lehr verglichen / das sie jederman zur verwundernuß gewesen seind / vnd können sich auch jetzo wol neben einnander im Truck vertragen“.212

In einer drei Jahre später gedruckten zweiten Auflage konnte der Herausgeber jedoch mitteilen, dass er inzwischen weitere Predigten Heldings sammeln konnte, etwa diejenigen, die Helding vor Kaiser, Kurfürsten und Reichsständen in Augsburg (sicher beim Reichstag 1547/48) und Regensburg (möglicherweise im Rahmen des Reichstages 1546) gehalten habe.213 So war Agricola nicht mehr auf die ersatzweise eingefügten Predigten Wilds angewiesen.214 Die Passionspredig207 Vgl. Helding, Von der Hailigisten Messe; dazu Jammerthal, Abendmahlstheologie, 173–201. 208 Vgl. Helding, Postilla; Som[m]ertheyl der Postil; DE SANCTIS (alle in einem Band: VD16 H 1602). 209  Brück, Domprediger, 155. 210 Vgl. Brück, Dompfarrer, 168 f. Zwischen Helding und Agricola war kurzzeitig Georg Neander Dompfarrer (vgl. a. a. O., 167 f.). 211 Vgl. Brück, Domprediger, 154–157. In dieser Zeit war er zwischenzeitlich auch Rektor der Mainzer Universität. Eigene Predigten hat Agricola nicht veröffentlicht; er betätigte sich als Herausgeber der Predigten Wilds und Heldings. 212  Helding, Som[m]ertheyl der Postil, fol. iiiv. Um der besseren Nachvollziehbarkeit willen hat Agricola gewissenhaft angegeben, wenn eine Predigt nicht von Helding, sondern von Wild stammt; vgl. beispielsweise Helding, Postilla, fol. LVr: „Erste Predig / auff den vierdten Sontag nach Epiphaniae, Auß dem Fero [= Wild, J. R.] in mangel der Predig des Autoris, damit dem Christlichen Leser nichts gebreche / hinzu gesetzet.“ 213 Vgl. Helding, Postilla 1568, fol. iijv. 214  In dieser Form erlebte die Postille eine weitere Auflage: Mainz: Franz Behem 1574

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ten, auf die im Folgenden näher eingeganen wird, sind seit der ersten Auflage unverändert. 4.2  Zum Charakter der Passionspredigten 4.2.1  Die enthaltenen Passionspredigten Die Postille Heldings enthält zwei Passionspredigten, eine „Vorrede vnd anleytung wie der Paßion vnd leyden vnsers Herrn vnd Heylandts Jesu Christi / sol vnd wil bedacht sein“215 und eine „Außlegung des H. Paßions vnd leydens Jesu Christi“,216 die beide auf das Jahr 1538 zurückgehen.217 Die als Anleitung zur Passionsbetrachtung gestaltete ‚Vorrede‘ wurde am Abend des Gründonnerstages gepredigt und die eigentliche Auslegung, die der Passionsgeschichte chronologisch entlang einer Harmonie folgt, am Karfreitag.218 Während die ‚Vorrede‘ mit ca. sechs Druckseiten eine durchschnittliche Predigtlänge aufweist, fällt die Karfreitagspredigt außergewöhnlich lang aus: Mit 31 Druckseiten inklusive des abgedruckten Bibeltextes dürfte die Auslegung  – so sie in der Form gehalten wurde219 – eine jener mehrstündigen Karfreitagspredigten darstellen, von denen zeitgenössisch verschiedentlich berichtet wurde und an denen (nicht nur)220 von reformatorischer Seite Kritik geübt wurde.221 (VD16 H 1604) und noch einmal erweitert: Mainz: Kasper Behem 1587 (VD16 H 1606). Außerdem wurde die Postille von dem Wormser Pfarrer Konrad Distel in Frage-Antwort-Form gebracht und um thematische Zusammenfassungen und Gebete ergänzt: Mainz: Kasper Behem 1582 (VD16 H 1605). 215  Helding, Postilla, fol. CXXIIIr. 216  A. a. O., Postilla, fol. CXXVIr. 217  Vgl. a. a. O., fol. CXXIIIr. 218  So jeweils im Titel angegeben: „[…] auf Grün Donnerstag zu nacht vorm Karfreytag“ (a. a. O. fol. CXXIIIr) und „[…] auff den Karfrexytag geprediget“ (a. a. O., fol. CXXVIr). 219  Für die Annahme, dass im Mainzer Dom an Karfreitag die Passionsgeschichte entlang einer Harmonie vollständig ausgelegt wurde, spricht der Befunde, dass in gleicher Weise wie bei Helding auch bei Nausea, der vor Helding am Mainzer Dom wirkte, eine kürzere ‚Vorrede‘ und eine längere chronologische Auslegung als Karfreitagspredigt (sowie eine wiederum kürzere ‚Beschlussrede‘) in die Postille aufgenommen wurden (s. o. Kapitel III.3.2.1). Beide geben explizit an, dass es sich bei ihren Passionsauslegungen um Predigten für den Karfreitag handelt und keine der beiden Auslegungen geben einen Hinweis darauf, dass es sich ursprünglich um Predigtreihen gehandelt haben könnte. 220  So wird etwa überliefert, wie sich Geiler von Kaysersberg über die stundenlangen Passionspredigten lustig gemacht habe (Pauli, Schimpf, 270 [Nr. 460]): „Was sollen die langen Predigen des Passions, und wa kumen sie her? Sie kumen von den Geuchen [d. h. Gaukler, Narren, J. R.] her. Die Predicanten haben gethon, wie die Geuch in den Dörffern thun. Da guckt ein Gauch einmal, der ander zweimal, der dritt drümal etc. Also hat ein Predicant den Passion in einer Stund gepredigt, so hat der ander über in wöllen sein und hat zwo Stund daran gepredigt, der dritt drei Stund, und ist in die Gewonheit kumen, das einer acht Stund sol predigen. Die langen Predigen sollen sunst nichtz, dan das die Lüt schlaffen, vnd die weiber seichen [d. h. das natürliche Geschäft verrichten, J. R.] in die Stül, und der Predicant macht sich selber müd.“ 221  In diesem Sinne ist sicherlich auch die polemische Spitze Luthers bei der Aufzählung der Missstände in seinem Passionssermon von 1519 zu verstehen (WA 2, 136,27 f.): „Da kumpt



4  Michael Helding241

4.2.2  Zur ‚Vorrede‘ auf die Passion Michael Heldings ‚Vorrede‘ auf die Passion beginnt – ähnliche wie die Predigten Wilds222 – mit einem Abschnitt, der ausgehend von einem Bibelvers (Lk 16,8) zur Passionsbetrachtung ermahnt und motiviert,223 gefolgt von einer Anleitung, wie man das Leiden Christi zum eigenen Nutzen betrachten und ‚ins Herz einbilden‘ kann.224 Hinsichtlich der Applikation führt der Autor die Hörerinnen und Hörer in eine Spannung, die an keiner Stelle aufgelöst wird: Zwar stehe – objektiv und vorgegeben  – ‚unser‘ Heil im Leiden Jesu Christi, jedoch könne und müsse man – subjektiv – durch das rechte Bedenken und Meditieren der Passion ‚sich selbst‘ ewige Seligkeit ‚schaffen‘, indem man es ‚ins Herz fasst‘ und insofern aneignet.225 Gleichwohl könne dieses ‚Fruchbarmachen‘ des Todes Christi nicht ohne die Gnade Gottes vonstatten gehen,226 sodass Gott im Gebet um Gnade für ein ‚nützliches‘ Betrachten und das Empfangen der Frucht der Passion angerufen wird.227 Das Erste und Wichtigste in Bezug auf die Passion Christi sei, in der Schrift ihre Ursache zu ergründen: „Christus Jesus ist dargegeben worden vmb vnsere sünde willen“,228 wobei er sich, genauer gesagt, „williglich hat […] dargebe[n] für vnsere sünd“229 – wie auch aus dem zitierten Abschnitt Jes 53,4–7 deutlich werde. Durch sein stellvertretendes Strafleiden habe Christus „de[n] zorn Gottes von vns genom[m]en / vnd vns in die huld Gottes bracht“.230 Damit gibt Helding es, das man die passion ßo vill stund vorzeugt, weyß gott, ab es mehr zum schlaffen ader zum wachen erdacht ist.“ 222  S. o. Kapitel V. 2.2. 223 Vgl. Helding, Postilla, fol. CXXIIIr–v. 224  Vgl. a. a. O., fol. CXXIIIv–CXXVIr. Für die Applikation der Passion nutzt Helding verschiedene Begriffe und Wendungen (‚nutzbar machen‘, ‚annehmen‘, ‚in uns lebendig werden‘, ‚in unser Herz fassen‘), gehäuft die ‚Einbildung ins Herz‘; vgl. zu dieser Begrifflichkeit und ihrer ebenso gängigen Verwendung bei Luther II.2.4.2 und Kapitel II.3.2.5 Anm. 429. 225  Vgl. a. a. O., fol. CXXIIIv : „Vns aber stehet vnser heil / trost vnd gewisse seligkeit in de[m] leiden Christi / vnd wir können vns selbs durch den todt Christi ewiges lebe[n] schaffen / wo wir jn recht bedencken vn[d] recht fassen in vnsern hertzen.“ 226 Vgl. ebd.: „So nu diese täg sonderlich darzu verordnet sind / die last vns wol anlegen / vn[d] alle andere gedancken hindan stellen / vn[d] diß zeit allein wenden auff die betrachtung es H. leidens Christi. Ob vns Gott seine gnad geben / das wir die frucht des todts Christi in vnserm hertzen versuchten vnd möchte[n] selig werden / dan[n] drumb stehets als kurtz vmb / der jm selbs disen todt Christi nit nutz macht / der muß ein eigen ewigen todt selbs für sein sünd leiden.“ 227  Vgl. a. a. O., fol. CXXVv : „Wir seindt Herr  / die gesündiget haben in dir ist keine schuldt / wir dancken deiner vnaußsprechliche[n] liebe vnnd gütigkeit / daß du vnsere schmertzen auff dich geladen hast / vnd bitten dich / weil du für vns gelitten hast / du wöllest vns gnad geben / daß wir dein heyliges leyden recht vnd nützlich betrachten / vnd sein frucht entpfangen mögen / auff das wir / für die du dein heiliges blut vergossen hast / mögen in dir / vnnd mit dir selig werden / AMEN.“ 228  A. a. O., fol. CXXIIIv. 229  A. a. O., fol. CXXIIIIr. 230 Ebd.

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gleich zu Beginn die konzentrierteste Zusammenfassung der Bedeutung des Todes Jesu.231 Dies habe Konsequenzen für die Passionsbetrachung, da man die Passion nicht wie andere ‚Historien‘ hören soll, sondern immer unter dem Fokus: „sihe Christus mein Gott vnd schöpffer ist für meine sünde gestorben / vnd ich hab jm vrsach geben zu eim solchen schwertzlichen todt mit meinen sünden“.232 Eine solche Betrachtung führe den Menschen zur Selbsterkenntnis mit Blick auf die Schwere der Sünde und den Zorn Gottes, wodurch er zu einem Erschrecken vor der eigenen Sünde und zu ernsthafter Reue gebracht werde. Sei dies geschehen, sei der zweite zentrale Aspekt der Passionsbetrachtung vonnöten. Das Erschrecken dürfe nicht – wie im Falle des Judas – zur Verzweiflung führen,233 denn in der Passion „ist vns auch Gottes güte vnd barmhertzigkeit gegen sündern fürgebildt“,234 zu der man fliehen müsse. So könne man schließlich erkennen: „Also ist vns Got vil mehr gütig vnd barmhertzig gege[n] den sündern fürgebildet im Passion dan[n] ernstlich vnd streng gege[n] den sünden.“235 Nach einem Abschnitt, in dem die Bedeutung des Mitleidens mit Christus (compassio) in der Passionsbetrachtung dargelegt und gegen Einwände verteidigt wird,236 fasst Helding am Ende zusammen, wie das heilvolle Leiden „vnsers Herrn vnd Seligmachers“237 nützlich betrachtet wird, wobei er noch einmal etwas anders akzentuiert: Achten müsse man auf ‚die Ursache‘ und auf ‚den Ausgang‘, d. h. „warumb Christus gelitten hab“238 und „wohin dieser todt Christi gereicht habe“.239 Letzteres wird den Hörerinnen und Hörern abschließend als Verheißung vor Augen gestellt: „sein todt schaffet seligkeit / vnd reiniget von sünden / auff das Christus ein gerechtigkeit vnd erlösung sey aller Menschen / die jhm anhangen durch den glauben / vnd hie auff ersten seinen willen halten.“240 4.2.3  Zur chronologischen ‚Auslegung‘ der Passion In seiner Karfreitagspredigt legt Helding die zu einer Harmonie verwobenen Passionserzählungen der vier Evangelisten  – beginnend mit der Ankunft Jesu 231  Vgl. ebd.: „Dises ist die sum[m]a vnd der gantz nutz des leidens Christi / das er de[n] zorn Gottes begegnet ist / den er trug gege[n] vnsern sünden / vnd hat sich straffen lassen / das wir frieden hette[n] gegen Gott / vn[d] kemen auß dem zorn Gottes.“ 232 Ebd. 233  Vgl. a. a. O., fol. CXXIIIIv : „ein mensch hat wol vrsach im leiden Christi zuerschrecken für seine sünden / er hat aber nit vrsach zuuerzweiffeln bey so vnaußsprechlicher gütigkeit vnsers Gottes“. 234 Ebd. 235 Ebd. 236  Dazu s. u. Kapitel V. 4.3. 237  Helding, Postilla, fol. CXXVv. 238 Ebd. 239 Ebd. 240  A. a. O., fol. CXXVIr.



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und seiner Jünger in Gethsemane – Abschnitt für Abschnitt aus. Während die Auslegung der ersten Perikope noch relativ ausführlich ausfällt, ist in der Regel bei den weiteren Abschnitten die Auslegung nur wenig länger als der zuvor verlesene Bibeltext.241 Im Folgenden werden Charakteristika der Auslegung, die im zeitgenössischen Kontext der gedruckten Passionsauslegungen insgesamt weder rhetorisch noch theologisch außergewöhnlich sind, zusammenfassend dargelegt. (1.) In den beiden Rahmenabschnitten am Beginn242 und zum Schluss der Predigt betont Helding den passionstheologischen Leitgedanken, den er auch in der tags zuvor gehaltenen ‚Vorrede‘ betont hat. Christus ist um ‚unserer‘ Sünde willen und zu ‚unseren‘ Gunsten gestorben: „wiewol wir die thäter seindt / vmb der willen Christus leiden muß / so seindt wir doch auch die / denen Christus die frucht seines leidens wol gönnet“.243 Deshalb sei dies sowohl ein Tag höchster Traurigkeit als auch unaussprechlicher Freude, denn recht verstanden könne beides „wol beyeinander sein in eim Christlichen hertzen“.244 Am Ende werden die Hörerinnen und Hörer aufgefordert, den Gekreuzigten nun ‚geistlich‘ vom Kreuz zu nehmen und ins Herz zu schließen, „so werdn wir an jhm allezeyt tröstung haben / wider vnser sünd / todt vnd Hellen“.245 Auch innerhalb der Einzelauslegungen kommt Helding immer wieder auf den theologischen Leitgedanken zurück und zeigt auf, woran der Zorn Gottes, seine Güte und sein Heilswille oder die Sünde des Menschen und die Relevanz der Reue und Umkehr zu Gott in besonderer Weise erkennbar seien. (2.) Den Hauptgegenstand der Auslegungen bilden aus der Erzählung abgeleitete bzw. anhand von Aussagen und Handlungen Jesu Christi gewonnene Lehren sowie die Darlegung von vorbildhaftem bzw. falschem Verhalten, was sowohl allgemein das Leben von Christen als auch im Besonderen bestimmte Gruppen (geistliche und weltliche Obrigkeit, ‚Fürsten und Befehlhaber‘, Untertanen, Richter, Kinder und Eltern) betreffen kann. In der Darlegung konzentriert sich Helding teilweise auf die Auslegung einzelner Aspekte, teilweise werden aber auch eher summarisch Erkenntnisse, die man aus dem Textabschnitt gewinnen kann, aufgelistet, ohne diese im Einzelnen weiter auszuführen.246 So vielschich241  Allem Anschein nach wurde die in der Postille abgedruckte Passionsharmonie der Auslegung durch Herausgeber oder Drucker beigefügt, da nicht an allen Stellen die Auslegung exakt zu dem zuvor abgedruckten Bibeltext passt. Es wäre auch äußerst ungewöhnlich, hätte Helding in seinen Aufzeichnungen den Bibeltext komplett aufgenommen. 242  Der offenbar als Einleitungsabschnitt gedachte erste Abschnitt, der in der ersten Auflage nach der ersten Perikope abgedruckt ist (vgl. Helding, Postilla, fol. CXXVIv–CXXVIIr), wurde in der zweiten Auflage sinnvollerweise vor die ersten Perikope gesetzt (vgl. Helding, Postilla 1568, fol. CXLVIr–v) und damit erkennbar als Einleitung von der Auslegung der ersten Perikope abgehoben. 243  Helding, Postilla, fol. CXXVIIr; ähnlich zum Abschluss a. a. O., fol. CXLIIIv. 244  A. a. O., fol. CXXVIv. 245  A. a. O., fol. CXLIIIv. 246  Letzteres geschieht am auffälligsten bei der Szene in Gethsemane, in der Petrus Mal-

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tig und aspektreich wie die Passionsgeschichte ist, sind entsprechend auch die Auslegungen: In der Gebetspraxis Jesu sei die Art des rechten, fruchbaren Gebets abgebildet;247 die Schwäche der Jünger offenbare die ‚zwei Naturen‘ des Menschen: Sündhaftigkeit bzw. Fleisch und Geist;248 die List des Teufels werde an seinem Umgang mit Judas deutlich;249 das verborgene Handeln Gottes könne an der unbewussten ‚Prophetie‘ des Kaiphas250 und am Entstehen der Kreuzestitulatur erkannt werden;251 Jesu Antwortverhalten vor Pilatus zeige, dass ein Bekenntnis geboten ist, wenn es um Gott geht, jedoch Schweigen, wenn es um die eigene Ehre geht252 und das Begräbnis Jesu begründe die christliche Sepulkralkultur253 – um nur einige wenige Aspekte zu nennen. (3.) Mit einer besonderen Vorliebe geht Helding auf die einzelnen Personen der Passionsgeschichte ein, wobei wiederum sowohl Lehren abgeleitet als auch ihre negative oder positive Vorbildfunktion vorgeführt wird. So werden Petrus, Judas, Kaiphas, Pilatus, Herodes und Maria jeweils zum Gegenstand der Betrachtung.254 (4.) Schließlich ist auffällig, dass Helding  – wie auch die anderen Mainzer Postillatoren Nausea und Wild – keinerlei außerbiblische Autoritäten, sondern ausschließlich biblische Texte zitiert. Ein gewisser Schwerpunkt liegt dabei auf Jesaja und den Briefen des Paulus, wodurch zum einen die Erfüllung des längst Verheißenen angezeigt und zum anderen die Übereinstimmung mit dem wichtigsten Briefschreiber des Neuen Testaments verdeutlicht wird. 4.3  Verteidigung und Relativierung der compassio „Theologen wie Julius Pflug, Friedrich Nausea, Johannes Wild oder Michael Helding unterscheiden sich in ihrer Mainzer Zeit von anderen katholischen Theologen vor allem dadurch, dass sie eine persönliche Polemik weitgehend zurückdrängen und versuchen, durch eine gemäßigte, ruhige Darlegung einer gereinigten katholischen Position den reformatorischen Angriffen den Wind auf den Segeln zu nehmen.“255

chus, dem Knecht des Hohepriesters, ein Ohr abschlägt, das von Jesus wieder geheilt wird, wozu Helding feststellt (a. a. O., fol. CXXIXv): „Jn disen jetzt gehörten worten / haben wir viel schöner Christlicher vnderweisung / weils aber die zeit nit leiden wil dauon zureden / wil ichs allein anzeige[n]“. Es folgt eine Aufzählung von ca. sieben solcher ‚schönen Unterweisungen‘. 247  Vgl. a. a. O., fol. CXXVIIIr–v. 248  Vgl. a. a. O., fol. CXXVIIv–CXXVIIIr. 249  Vgl. a. a. O., fol. CXXXIIv. 250  Vgl. a. a. O., fol. CXXXr. 251  Vgl. a. a. O., fol. CXXXIXv. 252  Vgl. a. a. O., fol. CXXXVr. 253  Vgl. a. a. O., fol. CXLIIIr. 254  Zu Petrus vgl. a. a. O., fol. CXXXr und CXXXv–CXXXIr; zu Judas vgl. a. a. O., fol. CXXXv– CXXXIr; zu Kaiphas vgl. a. a. O., fol. CXXXr; zu Pilatus vgl. a. a. O., fol. CXXXIIIIv und CXXXIXv ; zu Herodes vgl. a. a. O., fol. CXXXIIIv ; zu Maria vgl. a. a. O., fol. CXLv. 255  Decot, Einfluß, 315.



4  Michael Helding245

Auch in den Passionspredigten von Helding finden sich kaum Auseinandersetzungen, insbesondere keine Polemik gegen namentlich genannte Personen und Gruppen. Lediglich an zwei Stellen wird Helding in der Wortwahl deutlich: Im Zuge des Verhörs Jesu durch Pilatus wendet sich der Prediger gegen jene auch in der Gegenwart anzutreffende ‚Rottengeister‘, die versuchen, mithilfe des Evangeliums Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit zu begründen.256 Auffälligerweise bleibt er bei dieser allgemeinen Kritik, ohne auf konkrete Ereignisse zu rekurrieren.257 Die andere Auseinandersetzung findet sich in der ‚Vorrede‘ der Predigt am Abend des Gründonnerstages und ist im engeren passionstheologischen Zusammenhang von großer Relevanz. Denn Helding schimpft hier gegen jene „verruchte Menschen […] / die da sprechen / das leiden Christi ist voller trost / drum[m] sol man nit weinen / man sol frölich sein wan mans hört predige[n] oder lesen“.258 Obgleich der Prediger auch hier nicht konkreter wird, so ist doch vor dem Hintergrund der compassio-Kritik Luthers und der bei der Mehrheit der untersuchten Postillatoren259 festgestellten Auseinandersetzung mit dieser Kritik davon auszugehen, dass es sich auch bei Michael Helding um einen Reflex auf die passionstheologische Herausforderung durch die Reformation handelt. Wie auch Nausea und Witzel referriert Helding die reformatorische Kritik an der compassio nicht den Ausführungen Luthers entsprechend (Erschrecken über sich selbst statt Mitleiden mit Christus), sondern in der Form einer Gegenüberstellung (Weinen oder Lachen), wie sie etwa von Veit Dietrich formuliert wurde.260 Dem stellt Helding die Unterscheidung einer äußerlich-teuflischen und einer innerlich-christlichen Freude gegenüber: „ja gewißlich ists [das Leiden Christi, J. R.] voller trost vn[d] freudt / aber nit eusserliche freudt / das man von aussen lachen sol vn[d] springen / das ist teuffels freudt / die bringt das muthwillig fleisch / das leyden Christi aber bringt sein freud im hertzen / das die augen weinen eusserlich / vnd das hertz seufftzet für die sünde vn[d] vmb das vnschuldig leiden Christi / vnd doch gleichwol hats diesen trost / das es erkent / das der todt Christi die sünde hinnimpt / vnd gibet vns seligkeit“.261

256 Vgl. Helding, Postilla, fol. CXXXIIIv : „wie man auff diesen tag auch rotte[n]geister findet / welche auch dem Euangelio die schandt auffmessen / alsob sie es auß dem Euangelio lehrnen / wie sie sollen der Oberkeit vngehorsam sein / vnd wöllen jren vngehorsam mit dem wort Gottes verthedigen. Nun denen zu einer offentlichen schandt / stehe hie Christo vor Pilato vnnd entschuldiget sein lehr / spricht / Sein lehr gehe nicht gahin / das er der Oberkeit jhren gehorsam nemmen wollte / sein reich sey nicht von dieser Welt.“ 257  Dagegen verwies beispielsweise Johannes Eck in seiner Postille als abschreckendes Beispiel sehr konkret auf Luthers Äußerungen im Zuge des Bauernkrieges (s. o. Kapitel III.2.3). 258  Helding, Postilla, fol. CXXVr. 259  Zu Nausea s. o. Kapitel III.3.3, zu Witzel s. o. Kapitel III.4.3; zu Wild s. o. Kapitel V. 2.3. 260  Zu Witzel und Nausea s. o. Kapitel III.5; zu Veit Dietrich s. o. Kapitel IV. 4.2.1. 261  Helding, Postilla, fol. CXXVr.

246

V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

Die kontroverstheologisch aussagekräftige Auseinandersetzung findet sich in einem größeren Abschnitt gegen Ende der Predigt, in dem Helding insgesamt auf die Bedeutung des Mitleidens mit Christus in der Passionsbetrachtung eingeht.262 Anders als Witzel und v. a. Nausea stellt Helding die compassio also nicht an den Beginn der Passionsbetrachtung; sie bildet weder die erste und wichtigste Reaktion noch den Rahmen für den Umgang mit der Passion. Das zuvor als Kern der rechten Passionsbetrachtung Dargelegte – das Erschrecken vor Gottes Zorn über die Sünde, die die Ursache des Leidens Christi darstellt und die als die eigene erkannt wird, sowie der Trost aus der Erkenntnis der Barmherzigkeit Gottes und der freiwilligen Lebenshingabe Jesu Christi ‚für uns‘, durch die er den Seinen ewige Seligkeit erwirkt hat263  – erinnert an den Doppelaspekt der Passionsbetrachtung bei Luther und den von ihm inspirierten Theologen sowie an die Predigten Wilds und lässt somit die compassio als begründungsbedürftig erscheinen. Tatsächlich betont Helding  – genau wie Wild264  –, dass „ein hertzlich mitleiden mit seim [d. h. Jesu Christi, J. R.] vnschuldigen schmertze[n] vnd blut vergisssen für vnser sünde“265 zwar „sein sol“,266 dass dies jedoch „nit gnug [ist] / wie etwa die menschen meinen / wan sie ein mitleiden haben mit Christo vnd weinen im Paßion / so haben sie das leiden Christi inerlich vnd wol bedacht“.267 Demgegenüber sei das zuvor Ausgeführte „vil mehr vonnöte[n] vnd vil nützer“.268 Mitleiden mit Christus sei dennoch angemessen und gut, und zwar als „ein anzeigung eines gütigen Christliche[n] hertzens“.269 Denn umgekehrt spreche fehlendes Mitleid einzig und allein für Undankbarkeit und Hartherzigkeit, wäre es doch allein gegen „vnser natur“,270 angesichts des ‚uns zugute kommenden‘ unschuldigen Leidens Christi kein Mitleid zu empfinden. Gegen Ende der Karfreitagspredigt, zu der Perikope mit Jesu Mutter Maria unter dem Kreuz, ermutigt Helding noch zum Bedenken des ‚großen Herzeleides‘ der seligen Jungfrau271 – also der zeitgenössischen verbreiteten compassio Mariens. So selbstverständlich dieser Aspekt also in die Passionsbetrachtung integriert wird, so sehr begrenzt Helding dessen Bedeutung im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Predigern, die der compassio Mariens mehr Aufmerk262 

Vgl. a. a. O., fol. CXXIIIIv–CXXVv. S. o. Kapitel V. 4.2.2. 264  S. o. Kapitel V. 2.3.2. 265  Helding, Postilla, fol. CXXVr. 266 Ebd. 267 Ebd. 268  Im Zusammenhang (ebd.): „Das ander das ich gesagt hab / ist vil mehr vonnöte[n] vnd vil nützer / das wir vns selbs vn[d] vnser sünd erkennen im leide[n] Christi / weine[n] vnd klagen vber vnser sünde / vnd erschrecken vorm ernst / dz Gott die sünd so hart strafft / vnd ergreiffen dagege[n] Gottes gütigkeit das wir fliehen zur gnad Gottes / vnd sagen jhm lob vnd danck / das er vnd von sünden erlöset hat durch Christum Jesum vnsern Herrn.“ 269 Ebd. 270 Ebd. 271  Vgl. a. a. O., fol. CXLr–v. 263 



5  Johann Craendonch247

samkeit widmen.272 Zudem hebt Helding in dem Zusammenhang noch einmal eigens hervor, dass man die Verehrung Mariens für nichts anderes halten soll als für eine Verehrung Jesu Christi selbst.273 Der Aufbau der Anleitung zur Passionsbetrachtung, die theologischen Akzente und Heldings Umgang mit der Frage nach Begründung, Sinn und Zweck der compassio als einem Kernelement der Passionsfrömmigkeit ähneln auffällig den Predigten Johann Wilds. Wenn der Herausgeber der Postille in der ersten Auflage aufgrund mangelnden Materials einige wenige Predigten von Wild mit aufnahm und dies mit ihrer theologischen Nähe und damit, dass beide am Mainzer Dom ohnehin über viele Jahre eng miteinander gearbeitet hätten, begründet, so bestätigt sich dies materialiter durchaus in den Passionspredigten. Dabei muss jedoch zweierlei angefügt werden: Erstens stammen die untersuchten Predigten Heldings aus dem Jahr 1538, während Wild erst 1539 als Domprediger angestellt wurde. Eine Abhängigkeit Heldings von Wild ist in diesem Punkt also ausgeschlossen. Zweitens kann bei Helding auf der vorliegenden Quellengrundlage – anders als bei Wild – im Bereich der Passionspredigt nicht von Lutherrezeption gesprochen werden. Dass Helding Luthers Passionssermon gelesen hat, kann weder ausgeschlossen noch wahrscheinlich gemacht werden. Der Reflex auf die compassio-Kritik, die Priorisierung der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und der Doppelaspekt des Erschreckens und des Trostes als Kernelemente der Passionsbetrachtung sind Anzeichen dafür, dass Impulse Luthers im Bereich der Passionstheologie und -frömmigkeit auch von Helding wahrgenommen und teilweise verworfen, teilweise übernommen wurden, ohne dass die Überlieferungswege klar erkennbar wären.

5  Johann Craendonch 5.1  Zur Neuausgabe der Spangenbergschen Postille 1567 erschien in Mainz ein Druck mit dem Titel: Wintertheil.  ‖ Der Postillen  ‖ oder außlegung Sontagi-‖​ scher Episteln vnd Euangelien / auch  ‖ der fürnemsten Festen.  ‖ Für gemeine Christen / auch junge  ‖ Knaben vnd Meidlin in Fragstück verfas|| set / vormals durch Johan Spangenbergk ‖ geschrieben / jetzt 272  Beispielsweise enthält der 1578 in Köln gedruckte Zyklus mit Fastenpredigten des v. a. im elsässisch-oberrheinischen Ensisheim tätigen Priesters und Dichters Johannes Rasser zwei Karfreitagspredigten, von denen die erste auf das Mitleiden mit Christus, die zweite auf das Mitleiden mit Maria ausgerichtet ist (vgl. R asser, Predigen, fol. 240–270). Der Zyklus wurde später auch in seine erstmals 1590 erschienene, mehrfach aufgelegte Postille übernommen (vgl. R asser, POSTILLA, fol. 486–506). 273 Vgl. Helding, Postilla, fol. CXLv : „Den letzten willen Christi last vns in vnser hertz schliessen / vnnd sein heilige Mutter auffs aller höchst ehren / vnnd jah alles für die ehr Christi halte[n] / was wir für gebürliche ehr seiner H. Mutter entbieten.“

248

V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

aber von newem mit fleiß ‖ vbersehen / vnd Catholisch corri-‖​giert vnd gebessert. ‖ Durch H. Johan Craendonch Francis|| caner Kloster zu Meyntz Guartian.274

Dass eine Schrift, zudem eine theologische, aus dem evangelischen Lager im altgläubigen Kontext neu gedruckt und durch Nennung des Autors auch kenntlich gemacht wurde,275 ist trotz der angegebenen ‚katholischen Korrektur‘ ein ungewöhnlicher Vorgang. Immerhin war die Nachfrage so groß, dass bis Anfang des 17. Jahrhunderts weitere Auflagen des zweibändigen Werkes erschienen.276 Der hier erstmals publizistisch in Erscheinung tretende Herausgeber der Postille Johann Spangenbergs im altgläubigen Kontext, Johann Craendonch, ist ansonsten nahezu unbekannt. Weder scheint er für die Ordens-, Kirchen- oder Regionalgeschichte von Bedeutung gewesen zu sein, noch finden sich weitere Schriften aus seiner Feder; in der entsprechenden neueren Forschungsliteratur wird er nicht erwähnt. Kombiniert man den zeitgenössischen Kontext mit den im Drucktitel gegebenen Informationen und den wenigen Erwähnungen in der älteren Ordensgeschichtsschreibung,277 so ergibt sich folgendes Bild: Die durch die Reformation hervorgerufene Existenzkrise zahlreicher Bettelordenskonvente278 erfasste auch den Franziskanerkonvent in Mainz, der immerhin bis 1554 mit Johann Wild noch einen sehr populären Domprediger und Verfasser zahlreicher Auslegungen stellte.279 Anfang der 1560er Jahre wurde das Mainzer Kloster jedoch von der Straßburger (= Bayrischen) an die Kölner Provinz abgegeben, weil es vom Süden aus nicht mehr zu verwalten war. Im Zuge 274  Mainz: Franz Behem 1567 (VD16 S 7931); parallel erschien auch der Sommerteil (VD16 S 7932). 275  Bekanntermaßen waren beispielsweise die Lehrbücher Melan­chthons über konfessionelle Grenzen hinweg anerkannt und wurden zum Teil unter seinem Namen, zum Teil ohne Autorenangabe gedruckt. Eine kleine Skurrilität stellt ein 1550er Druck der Latein-Grammatik Melan­chthons in Lyon dar, der unter dem Namen von Johannes Eck publiziert wurde und den Namen Melan­chthons im gesamten Buch und der Vorrede durch denjenigen Ecks ersetzt hat (vgl. Claus, Bibliographie, Nr. 150.45). 276 Das VD16 listet drei weitere Auflagen: 1570 (Winter: VD16 S 7935; Sommer: VD16 S 7936) und 1581 (Winter: VD16 S 7939; Sommer: VD16 S 7940) bei demselben Drucker sowie 1605 bei Andreas Angermaier in Ingolstadt (Winter: VD17 23:703024D; Sommer: VD17 23:703026U). Frymire, Primacy, 276–279.478 erwähnt darüber hinaus neun Ausgaben, die nicht im VD16 verzeichnet sind. Zudem nennt Frymire noch eine von der Spangenbergschen unterschiedene Evangelien- und Epistelpostille, die Craendonch selbst verfasst habe, die 1570 in Mainz erschienen sei und die ebenfalls nicht im VD16 verzeichnet sei. Frymire erinnert sich (vgl. a. a. O., 478 Anm. 57), ein Exemplar derselben in einer Mainzer Bibliothek in den Händen gehalten zu haben. Ein Exemplar dieser zusätzlichen Postille sei wohl auch in der Tübinger UB (Gi 1987) vorhanden. Bei dem Exemplar der Tübinger Universitätsbiliothek handelt es sich jedoch eben um die von Craendonch herausgegebene Spangenbergsche Postille, und zwar wohl um die zweite Auflage (= VD16 S 7935), deren Titel im OPAC der UB Tübingen unvollständig verzeichnet ist. Dass es jene weitere Postille aus Craendonchs eigener Feder gibt, von der Frymire spricht, scheint mir zweifelhaft. 277 Vgl. Holzapfel, Handbuch, 472 und v. a. Schlager, Geschichte, 103 f. 278 Vgl. Berger, Bettelorden, 616–620; Ziegler, Franziskanerobservanten. 279  S. o. Kapitel V. 2.



5  Johann Craendonch249

dessen wurden einige Brüder aus der Kölner Provinz nach Mainz umgesiedelt – und unter denen befand sich auch Johann Craendonch (= Franziskus Kravendon/Cranendonck [† 1572]), der dem Kloster als Guardian vorstehen sollte. Da es allerdings zu Spannungen zwischen den alten und den neuen Mönchen kam, wurden die Mönche der Kölner Provinz Ende August 1567 wieder aus Mainz abgezogen.280 Die Vorrede der Postille ist auf den 1. August 1567 datiert – es dürfte also eine der letzten Handlungen Craendonchs in Mainz gewesen sein, sie drucken zu lassen. Zehn Jahre später wurden in dem fast ausgestorbenen Franziskanerkloster die Jesuiten untergebracht,281 die 1561 unter Erzbischof Daniel Brendel von Homburg nach Mainz gekommen waren und von deren Wirken man sich einen kirchlich-geistlichen Aufbruch erhoffte. Von den letzten beiden verbliebenen Franziskanermönchen wurde einer als Pfarrer eingesetzt, der andere wurde Augustinereremit.282 5.2  Craendonchs ‚katholische Korrektur‘ 5.2.1  Arten der Korrektur In der Vorrede macht Craendonch die Angabe, dass die Postille, die ursprünglich nicht von ihm selbst stamme, „mit vielen irrthummen vnnd vnzimlichen worten wider die alte Catholisch Kirche vnnd jhre Regenten sehr erfüllt“283 gewesen sei. Er habe sie deshalb „gesaubert vnnd gebessert / aus daß sie hernach mit weniger ergernuß vnd grosserem nutz vom Christlichem einfeltigen volch gelesen wurde“.284 Offenbar sah Craendonch die Auslegungen Spangenbergs also grundsätzlich als rezipierbar an; sie bedurften jedoch der Überarbeitung der ‚Irrtümer‘ und der polemischen Akzente. Die Arten seiner Überarbeitung werden mit den Stichworden (1.) ‚Säuberung‘ und (2.) ‚Besserungen‘ angedeutet. Sie werden im Folgenden anhand von Beispielen veranschaulicht.285 280  Schlager gibt zudem die Information, dass Craendonch Wilds Stelle als Domprediger angetreten habe (vgl. Schlager, Geschichte, 104 und 274 f.) – was jedoch unsauber ausgedrückt oder völlig falsch ist. Nachweißlich war Philipp Acker (Agricola), der bis dato die Dompfarrstelle innehatte (vgl. Brück, Dompfarrer, 168 f.) von Wilds Tod 1555 bis 1572, also bis nach Craendonchs Weggang aus Mainz, Domprediger (vgl. Brück, Domprediger, 154–157). Möglicherweise gehörte Craendonch zu den Vertretungen, die Acker verschiedentlich benötigte. Schlagers Angabe zur Postille, Craendonch habe nach dem Vorbild Wilds seine Predigten drucken lassen (vgl. Schlager, Geschichte, 274 f.), sind jedenfalls falsch. Dies war wohl rein spekulativ fomuliert, wovon die Anmerkung zu Craendonchs Postille zeugt (ebd.): „Ich habe sie nicht zur Einsicht erlangen können.“ Entsprechend vorsichtig ist mit dem Bericht Schlagers umzugehen. Seine Verortung Craendonchs in die für die Mainzer Franziskaner wechselvollen 1560er Jahre, wie sie skizziert wurden, passt sich jedoch gut in das sonstige Bild ein. 281 Vgl. Müller, Jesuiten, 649. 282 Vgl. Ziegler, Franziskaner-Observanten, 193. 283  Craendonch, Postillen, fol. [VIIr–v]. 284  A. a. O., fol. [VIIv]. 285  Eine Auflistung aller Überarbeitungen der Passionspredigt findet sich in Anhang 3.

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V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

(1.) In den allermeisten Fällen wurden die Abschnitte, in denen Spangenberg die Altgläubigen theologisch kritisiert oder gegen kirchliche Praktiken polemisiert hat, schlicht weggelassen (‚gesäubert‘). (a.) Zum Verhör im Haus des Kaiphas führt Spangenberg beispielsweise aus: „Hie thun sy gleich das widerspil / Binden zu erst Christum / darnach fragen sy was er gethan hab / Also thun yetzund auch etliche Tyrannische Regenten vnd Bischoffe / verdammen die Prediger des Euangelij / ee sy sy hören.“286 Der Nachsatz ab „Also thun yetzund auch […]“ fehlt bei Craendonch.287 (b.) Im Anschluss an Erklärungen zur Grablegung Jesu Christi bietet Spangenberg unter der Frage „Was haben die Christen für trost auß seinem [Christi, J. R.] begrebnuß?“288 eine Aktualisierung mit Blick auf das Begräbnis der Christen. Die Antwort wird bei Craendonch nur in Ausschnitten widergegeben. Gemeinsam heißt es bei beiden zunächst: „Dieweil Christus vnder die erden kommen ist / vnd begraben / vnd sein Grab ist herrlich worden / Also müssen auch aller Christen greber herrlich sein / Vnd wo ain Christ begraben ligt / da ligt ain lebendiger Hailge[r]“.289

Den folgenden Nachsatz lässt Craendonch weg: „nicht darumb / das jn der Pabst erhaben vnnd canonisirt hat / Sonder das er in Christum glaubt hat / wie er gelitten / gestorben / begraben / vnd wider von den todten auferstan­ d[e]n ist.“290

Der nächste Satz steht wieder bei beiden: „Dan[n] dieser Christus macht alle welt vol eitel Hailthumb / also / das auch der tod / schwerdt / few[e]r wasser etc. eytel Hailthumb werden / denen die da glauben.“291

Und der letzte Satz fehlt wieder bei Craendonch: „Dieweil aber solchs menschliche vernunfft / vn[d] des flaisches klughait / nicht glauben noch versteen / So muß der Welt ain grawe Münchskappen den preiß haben / Wer darinnen begraben werde / der sey selig.“292

An diesem Verfahren zeigt sich, dass Craendonch die jeweils negative Abgrenzung zu dem zuvor positiv Ausgeführten wegstreicht. Während bei Spangenberg – wie auch bei Luther293 – positive Aussage und negative Abgrenzung in der Aktualisierung selbstverständlich zusammengehören, stellt für Craendonch 286 

Spangenberg, Postilla, fol. CXXIIv. Craendonch, Postillen, fol. 291r–v. 288  Spangenberg, Postilla, fol. CXXXVIv. 289 Ebd. 290  Ebd. (vgl. Craendonch, Postillen, fol. 312v). 291  Ebd. (vgl. Craendonch, Postillen, fol. 312v). 292  A. a. O., fol. CXXXVIv–CXXXVIIr (vgl. Craendonch, Postillen, fol. 312v). 293  S. o. Kapitel II.5. 287 Vgl.

5  Johann Craendonch251



Letzteres keineswegs eine logische oder notwendige Konsequenz aus dem Ersten dar. (2.) Einige Wendungen, die Polemik gegen Kirche, Papst, Mönche etc. enthalten, wurden jedoch nicht rausgekürzt, sondern umformuliert (‚gebessert‘) – wodurch die Polemik gewissermaßen gespiegelt und an die Evangelischen zurückgegeben wurde. (a.) Die Frage „Was ist [d. h. bedeutet, J. R.] dieser Judas kuß?“294 hat Spangenberg folgendermaßen beantwortet: „Aller Heüchler leere vnnd leben / die vnder dem schein der hailigkait / die albern vn[d] ainfeltigen / verfüren. Verkeren den kuß deß frids in vnfride / die warhait in lug[e]n / vnd verraten den armen Christum / sampt seinen Christen / täglich von newes / on auff hören.“295

Craendonch ersetzte ‚Heuchler‘ durch ‚Ketzer‘ und den ‚Schein der Heiligkeit‘ durch den ‚Schein des Evangeliums und Wort Gottes‘, sodass die Antwort nun lautet: „Aller ketzer lere vnd leben / die vnder dem scheyn des Euangelii vnnd wort Gottes / die albern vnd einfeltigen verfüren.“296 Stereotype der antipapistischen Polemik, die insbesondere gegen Kleriker und das monastische Leben zum Standardrepertoire gehörten (die zur Schau gestellte, aber selbstgemachte und daher nur scheinbare Heiligkeit, die nichts anderes als Heuchelei sei), wurden also durch Stichworte ersetzt (Ketzer, Evangelium), durch die die angeschlossenen Vorwürfe (Unfriede, Lüge, Verrat Christi und der Christen) an die Gegenseite zurückgegeben werden konnten. (b.) Über Malchus, dem Petrus in Gethsemane nach Joh 18,10 ein Ohr abgeschlagen hat, führt Spangenberg in allegorischer Weise aus: „Malchus / ist ain Figur aller Pfaffenknecht / die hab[e]n auch das recht or / damit sy Gottes wort hören sollten / verloren / vnnd haben nicht lust / dann eytel Teüffels leere / vnnd menschen tand [d. h. gehalt- und wertlose Rede, J. R.] / zuhören.“297

Bei Craendonch liest es sich dagegen folgendermaßen: „Malchus ist ein figur viler Herren knecht / die haben auch das recht ohr / damit sie Gottes wort / vnd was jren Herren nutz wer / hören sollten / verloren / bringen nichts an / Denn was sie zu zorn reitzen mag entgegen arms leut.“298

Spangenbergs Kritik an unterwürfigen Kirchendienern wird von Craendonch also in die weltliche Sphäre gewendet.

294 

Spangenberg, Postilla, fol. CXXv.

295 Ebd. 296 

Craendonch, Postillen, fol. 288r–v. Spangenberg, Postilla, fol. CXXIr. 298  Craendonch, Postillen, fol. 289r. 297 

252

V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

5.2.2  Fehlende Korrektur All die vorgenommenen Korrekturen durch den Herausgeber Craendonch finden sich interessanterweise ausschließlich in dem großen Teil mit der Erklärung und Auslegung der Passionsgeschichte.299 Das heißt: In den rahmenden Teilen über ‚Ursachen‘ und ‚Gebrauch‘ bzw. die ‚Früchte‘ der Passion, die die passionstheologisch und -hermeneutisch zentralen Passagen enthalten, sah sich Craendonch offenbar nicht genötigt, ‚katholisch korrigierend‘ einzugreifen.300 Nun wurde in Kapitel IV. 2.3 gerade anhand dieser Teile dargestellt, inwiefern Spangenberg die Passion im Sinne Luthers auslegt und mit einem ethischen Akzent versieht. Der Überarbeitungsstrategie Craendonchs entspricht dies durchaus, denn in diesen Teilen findet sich keine explizite Polemik, die weggelassen oder umformuliert werden müsste. Die schon in Luthers Passionssermon vom 1519 formulierte Kritik an einigen Missständen im Bereich der Passionsfrömmigkeit  – inklusive der Kritik an der compassio  –, die auch Spangenberg widergibt,301 kann der Franziskaner offenbar mittragen. Ein eigenes theologisches Profil lässt Craendonch in der Überarbeitung der Passionsauslegung Spangenbergs nicht erkennen. Positive theologische Aussagen sowohl in der konkreten Auslegung als auch bei den grundsätzlichen Fragen zur rechten Passionsbetrachtung konnte Craendonch demnach stehen lassen. Die punktuell angeschlossene Polemik und theologische Diffamierung wurde meist einfach weggelassen, konnte aber auch gespiegelt zurückgegeben werden. Angesichts der damit durchaus gegebenen gegenseitigen Abgrenzung – es handelt sich bei Craendonchs Neuausgabe schließlich auch nicht um ein Ausgleichsdokument von kirchenpolitischer Relevanz – sind die konfessionellen Grenzen im Bereich der Passionsauslegung und -predigt inhaltlich auffallend fließend; und mit Blick auf die theologisch entscheidenden Passagen zu ‚Ursache‘ und ‚Gebrauch‘ bzw. den ‚Früchten‘ der Passion könnte man sogar sagen: es gibt keine Grenzen. Die durch Luther geprägte Passionstheologie Spangenbergs wird von dem Franziskaner Craendonch ohne inhaltliche Korrekturen übernommen.

299 

Zum Aufbau der Passionsauslegung s. o. Kapitel IV. 2.2.1. Lediglich ein Absatz aus dem letzten Teil der Passionsauslegung fehlt bei Craendonch (vgl. Spangenberg, Postilla, fol. CXXXIXr mit Craendonch, Postillen, fol. 315v). Die Auslassung ist jedoch mit Sicherheit auf einen Abschreibfehler seitens des Herausgebers oder ein Versehen seitens des Druckers zurückzuführen, da es sich um das textkritisch geläufige Phänomen Homoioarkton handeln dürfte: Zwei untereinanderstehende Absätze beginnen mit denselben Worten am Anfang der Frage („Wie soll ich …?“). Inhaltlich gibt es keinen Grund für eine bewusste Streichung des Absatzes; vielmehr ist das Weglassen dessen für den Gesamtzusammenhang sinnentstellend. 301 Vgl. Spangenberg, Postilla, fol. CXXXVIIIr. 300 



6  Zusammenfassender Vergleich253

6  Zusammenfassender Vergleich (1.) Bei allen vier altgläubigen Postillatoren konnte festgestellt werden, dass reformatorische Impulse Luthers  – zum Teil vermittelt über Melan­chthon oder Spangenberg  – im Bereich der Passionspredigt Resonanz gefunden haben. Der Grad der Resonanz und die Form der Rezeption ist dabei verschieden. Am offensichtlichsten hat Craendonch durch seine ‚katholisch korrigierte‘ Neuausgabe der Spangenbergschen Postille auch dessen inhaltliche Schwerpunkte übernommen, betrafen seine Korrekturen doch ausschließlich polemische Äußerungen. Gerade die passionstheologisch zentralen Abschnitte zu Beginn und zum Schluss der Auslegung, in denen keine Polemik, wohl aber die Kritik, die Luther bereits in seinem Passionssermon von 1519 geäußert hatte, enthalten ist, wurden unverändert beibehalten. Bei Jakob Schöpper konnte in der chronologisch frühesten der vier recht unterschiedlichen, aber theologisch keineswegs disparaten Passionspredigten der Einfluss der Anleitung zur Passionsbetrachtung aus Philipp Melan­chthons Postille nachgewiesen werden. In einer der neun Passionspredigten Johann Wilds zeigte sich wiederum die Rezeption von Luthers Passionssermon nicht nur in Aufbau und Argumentation, sondern absatzweise bis in ähnlichen Formulierungen hinein. Im Vergleich mit den anderen Predigten wurde deutlich, dass die Impulse Luthers insgesamt prägend waren und von Wild produktiv angeeignet wurden. Weniger direkt ist dies bei Michael Helding der Fall, dessen Passionspredigten grundsätzlich denjenigen Wilds ähneln. Bei ihm kann immerhin von der Wahrnehmung und partiellen Aneigung lutherischer Impulse für die Passionspredigt gesprochen werden. Zugleich zeigt sich bei Helding – und weniger betont auch bei Wild – die Auseinandersetzung um die in der Passionsfrömmigkeit der Zeit tief verwurzelten und theologisch begründeten compassio-Frömmigkeit. (2.) Die Anleitung und Anregung zum Mitleiden mit Christus als einem wesentlichen Ziel der traditionellen Passionspredigt und die theologische Kritik an diesem durch Luther war bei Nausea und Witzel (Kapitel III) der Hauptpunkt der Auseinandersetzung. Dass hier ein empfindlicher Punkt für den frömmigkeitspraktischen Umgang mit der Passion betroffen war, zeigt sich gerade auch bei Wild und Helding: Einerseits teilen sie die von Luther vorgenommene theologische Umakzentuierung auf die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit mit einer dieser entsprechenden affektiven Reaktion des Erschreckens, zugleich sind sie bemüht – durch Argumente, die sich ähnlich auch bei Nausea finden –, dem Mitleiden mit Christus dennoch einen konstitutiven, wenn auch nicht mehr theologisch zentralen Platz im Gesamtzusammenhang der Passionsbetrachtung und -predigt zuzuweisen. Beide teilen Luthers Kritik an einer problematisch verstandenen und dadurch missbräuchlich genutzten compassio-Frömmigkeit, ziehen jedoch andere Konsequenzen. Craendonch hat demgegenüber an der von Spangenberg wiederholten Kritik Luthers an der compassio nichts geändert. Bei

254

V.  Altgläubige Resonanz (1550–1570)

Schöpper spielt die compassio auffallenderweise keine entscheidende Rolle und es findet sich bei ihm auch keine Auseinandersetzung. (3.) Hinsichtlich des Stils und der Argumentation fällt gerade im Vergleich zu den früheren Postillen Johannes Ecks und Georg Witzels auf, dass Wild, Schöpper und Helding  – und natürlich Craendonch bzw. Spangenberg  – keinerlei Autoritäten der kirchlichen Tradition, sondern ausschließlich Bibeltexte zitieren. Die biblischen Perikopen werden im kanonischen Zusammenhang ausgelegt und ihre Aussagen und die Bedeutung für die Gegenwart innerbiblisch plausibilisiert. Da die Predigten in dieser Hinsich jenen von Friedrich Nausea entsprechen, kann dies auch als Kennzeichen der Mainzer ‚Verkündigungstheologie‘ angesprochen werden, gehen doch die Postillen von Nausea, Wild und Helding – und das heißt, drei der wichtigsten altgläubigen Postillen des 16. Jahrhunderts – jeweils auf ihre Predigttätigkeit am Mainzer Dom zurück. So entsteht im Ergebnis für die altgläubigen Postillen der 1550er und 1560er Jahre ein vielschichtiges und differenziertes Bild, das die Bestimmung klarer konfessioneller Trennlinien bezüglich der Passionstheologie im Rückblick problematisch werden lässt. Denn so selbstverständlich sich all die genannten Postillatoren zur bestehenden Kirche bekannten, sich in der Tradition verwurzelt sahen und lediglich eingeschliffene Missstände abstellen wollten, so wenig eindeutig waren ihre Ansichten mitunter aus der Sicht der im Konzil von Trient festgeschriebenen Lehrentscheidungen. Sprechend ist in diesem Zusammenhang ein Brief vom 8. August 1580, den der Jesuit Petrus Canisius an den bayrischen Herzog Wilhelm V. den Frommen im Kontext der Erstellung des Münchner Index von 1582 geschrieben hat.302 Darin erwähnt er unter den Theologen, die – aus seiner nachkonziliaren Perspektive – eigentlich gar nicht wahrhaft katholisch seien, mit Jakob Schöpper und Johann Wild Autoren weit verbreiteter Predigtbücher dieser Zeit.303 Der Eindruck mangelnder Traditionstreue und Orthodoxie im Sinne altgläubiger Lehre konnte auch dadurch verstärkt werden, dass ihre Predigten stilistisch von denen aus dem evangelischen Lager kaum zu unterscheiden waren: Sie waren Auslegungen biblischer Texte, in denen ausschließlich biblisch argumentiert wurde. Zudem finden sich in den Predigten 302 Vgl.

Reusch, Index, 472–480, der den Brief fälschlich auf 1581 datiert. der Rekonvertit Georg Witzel wird genannt (Petri Canisii Epistulae et Acta VII, Nr. 2063, 549–557, hier 553 [Hervorhebungen J. R.]): „Vbi nec tacere possum nec debeo, scriptores quosdam huius temporis Catholicos nominari, eorumque libros in precio haberi, et Catholico nomine vulgo celebrari, sed qui reuera et integre Catholici non sunt. Loquor de Georgio Wicelio, Conrado Clingio, Joanne Fero [d. h. Johann Wild, J. R.], Jacobo Schöppero, Georgio Cassandro, vt alios id genus plures praetermittam. Etenim si horum scripta quae extant, legitime ponderentur, ac praesertim ad Sacri Concilij Tridentini normam, vereque solidam Theologiae regulam excutiantur; etiamsi maiore quidem ex parte doctrinam Catholicam tradant atque tueantur, tamen, si verum fatendum est, nonnunquam in fide sana, et catholica religione claudicant, ac lima et praecisione quadam indigent, vt sine offensione tuto legantur, et lectoribus pariant aedificationem.“ 303  Auch



6  Zusammenfassender Vergleich255

dieser reformorientierten Theologen  – abgesehen von Craendonchs Bearbeitung  – kaum Abgrenzungen von den evangelischen ‚Ketzern‘, anders als noch bei den ersten altgläubigen Postillatoren, wie in Kapitel III dargestellt wurde. Es konnte vielmehr gezeigt werden, dass eine erstaunliche Offenheit bezüglich reformatorischer Impulse im Bereich der Passionsauslegung vorhanden war – freilich ohne dies anzugeben.

VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580) 1 Einleitung 1.1  Der veränderte zeitgeschichtliche Kontext zwischen 1546/47 und 1577/80 Für die Kirchengeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit vorrangigem Blick auf das Gebiet des ernestinischen und albertinischen Sachsen sind in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwei Ereignisse hervorzuheben. Zum einen stellt die Niederlage des Protestantischen Bündnisses gegen die kaiserlichen Truppen Karls V. im Schmalkaldischen Krieg mit dem anschließenden Interim 1547 – nach Luthers Tod 1546 – einen Einschnitt von besonderer Bedeutung dar.1 Zum anderen kam mit dem Konkordienbuch 1580 und der darin enthaltenen Konkordienformel (1577) der von scharfen Kontroversen geprägte Prozess der Bekenntnisbildung der von Wittenberg ausgegangenen Reformation zum Abschluss. Es markierte fortan den Raum dessen, „was es hieß, lutherisch zu sein“.2 Die die Niederlage des Schmalkaldischen Bundes zeitigenden Folgen bis zur Ausarbeitung und Einführung der lutherischen Einigungsformel als einer – dem Selbstverständnis nach – „notwendigen Auslegung der Confessio Augustana“3 stellen den historischen Kontext für das Wirken der im Folgenden in den Blick zu nehmenden Postillatoren und ihrer Werke dar. In ihren Biographien zeigt sich beispielhaft die für diese Zeit typische Verflechtung von Territorialgeschichte, Reichsgeschichte, Universitätsgeschichte, Kirchengeschichte, Theologiegeschichte und Mediengeschichte. In Folge der verlorenen Schlacht von Mühlberg wurden die beiden Anführer des Schmalkaldischen Bundes, Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, von Kaiser Karl V. gefangengenommen.4 Ein 1 Vgl. Westphal/Schmidt, Art. Schmalkaldischer Krieg. Weniger einschneidend für die Formierung der lutherischen Konfession war der Augsburger Religionsfrieden von 1555 (vgl. Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter, 194), anhand dessen gern das Konfessionelle Zeitalter vom Zeitalter der Reformation getrennt wird (so z. B. im Gebhardt, Band 9 und 10). 2  Kolb, Konkordienformel, 179. 3  Seebass, Geschichte des Christentums, 245. 4  Auf Einzelnachweise bei den im Folgenden summarisch geschilderten Folgen des Schmalkaldischen Krieges, die in gängigen Überblickswerken nachzulesen sind, wird verzichtet.

258

VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

großes Gebiet des ernestinischen Sachsen sowie die Kurwürde gingen an die andere wettinische Linie, an den Albertiner Herzog Moritz von Sachsen. Dieser hatte Karl V. im Krieg gegen den Schmalkaldischen Bund unterstützt und dafür die Kurwürde in Aussicht gestellt bekommen, wofür er in der anschließenden Polemik als ‚Judas von Meißen‘ gebrandmarkt wurde. Da Wittenberg in dem übereigneten Gebiet lag, besaßen die Ernestiner keine Universität mehr. Dies veranlasste Johann Friedrich zum Plan der Gründung einer Universität in Jena, ursprünglich gedacht als Weiterführung der verlorengegangenen Wittenberger Universität.5 Der nunmehr ‚geborene Kurfürst‘ – so der Titel des der Kurwürde verlustig gegangenen Johann Friedrich – wurde als „Märtyrer und unerschütterlicher Glaubensbekenner“6 stilisiert und binnen kürzester Zeit mithilfe illustrierter Flugblätter u. a. breitenwirksam medial inszeniert. Die Wunde, die Johann Friedrich im Kampf am Gesicht zugefügt wurde, eignete sich dabei hervorragend als eine Art Markenzeichen des Märtyrers.7 Das im folgenden Jahr 1548 auf dem Augsburger Reichstag von Karl V. durchgesetzte Interim kam faktisch einer Rekatholisierung mit Ausnahme des Laienkelches und der Priesterehe gleich. Es stieß entsprechend in den protestantischen Ständen auf – je nach Möglichkeit unterschiedliche – Gegenwehr, besonders aus Magdeburg rund um Nikolaus von Amsdorf und Matthias Flacius Illyricus.8 Die Reaktionen aus dem ernestinischen und dem albertinischen Sachsen waren verschieden:9 Während sich Johann Friedrich I. und die Ernestiner eindeutig gegen die Bestimmungen des Augsburger Interims positionierten, wurde bei den Albertinern um einen möglichen Zwischenweg gerungen. Die ‚Adiaphora‘ wurden bald zum Schlagwort für diejenigen ‚Mitteldinge‘, die nach Ansicht der Wittenberger Theologen bloß äußerlich und deshalb verhandelbar, also jenseits der theologisch unbedingt festzuhaltenden Bekenntnisse anzusehen seien.10 Demgegenüber gab es für die Ernestiner, für die Landesherrscher wie für ihre Theologen  – und beide bedingten sich offenbar gegenseitig  –, im Zusammenhang des Interims nichts zu verhandeln, sondern nur zu bekennen.11 Aus ihrer Per5 

Zur Universität Jena s. u. Kapitel VI.1.2. Gehrt, Kurfürst Johann Friedrich I., 311. 7 Vgl. Flügel, Bildpropaganda; Müller, Märtyrer Christi; einige Abbildungen finden sich auch bei Enterlein/Nagel, Katalog. 8 Vgl. K aufmann, Ende der Reformation. 9 Vgl. Gehrt, Konfessionspolitik, 42–49. 10  Die Reihe „Controversia et Confessio“, in der die wichtigen Schriften der theologischen Debatten zwischen Interim und Konkordienbuch kritisch ediert werden, trennt zwischen einem im engeren Sinne interimistischen Streit, der sämtliche unmittelbaren Reaktionen auf das Augsburger Interim enthält, und dem adiaphoristischen Streit, der sich an dem von den Albertinern ausgearbeiteten sog. Leipziger Interim als Alternative zum Augsburger Interim entzündete (vgl. Dingel, Historische Einleitung, 13–18), wobei eigentlich erst letzterer im Vollsinne als theologische Kontroverse (mit wechselseitigen Flugschriften etc.) bezeichnet werden kann. 11  Man könnte – die Komplexität des Vorgangs freilich verkürzend – sagen, dass bei den Albertinern die politische Notwenigkeit eines Mittelweges eine theologische Möglichkeit eröffnet 6 



1 Einleitung259

spektive verrieten die ‚Adiaphoristen‘ aus den albertinischen Landen die Sache Luthers – und das hieß nicht weniger als Stärkung des antichristlichen Papsttums und Verrat der Wahrheit des Evangeliums.12 Die Art und Weise wie dieser ‚adiaphoristische‘ sowie die anschließenden Streitigkeiten – klassisch als ‚innerprotestantische Lehrstreitigkeiten‘ bezeichnet13 – geführt wurden, lag entsprechend nicht allein an den theologischen Differenzen (und den Persönlichkeiten) der Kontrahenten, sondern insbesondere an den konfessionellen Profilierungen der Territorien im Streit um das Wittenberger reformatorische Erbe,14 zumal die maßgebliche Autorität Martin Luther kurz zuvor verstorben war.15 In diesem Zusammenhang spielt die bereits erwähnte Gründung der Universität in Jena – zunächst als Hohe Schule – eine besondere Rolle, wurde sie doch gerade im Gegenüber zur Wittenberger Universität der Albertiner als Zentrum des ‚wahren‘ Luthertums profiliert. Zwei Postillatoren, Simon Musäus und Johannes Wigand, lehrten in einer der Hochzeiten der Kontroversen als Professoren der Theologie an der Universität Jena. 1.2  Die Frühzeit der Jenaer Universität Die Gründung der Universität Jena gehört, wie die viele Universitätsgründungen des 16. Jahrhunderts, in den Zusammenhang der sich herausbildenden Konfessionen.16 Sie gehört außerdem, als nach Leipzig und Wittenberg dritte Gründung der Wettiner, in den Zusammenhang von Territorialpolitik und hatte, während die fehlende politische Möglichkeit auf Seiten der Ernestiner theologische Differenzierungen nicht nötig gemacht, vielmehr die konfessionelle Eindeutigkeit provoziert haben. 12  Konkret stand nicht bloß die Frage im Raum, was genau und warum als ‚Mitteldinge‘ anzusehen seien, sondern besonders, wie diese in Beziehung zum Bekenntnis stehen. Flacius hielt 1550 fest, dass es (für ihn) in casu confessionis keine ‚Adiaphora‘ gebe (vgl. Gehrt, Konfessionspolitik, 53 f.). 13  Bei dem in Forschung und Historiographie geläufigen Begriff der ‚innerprotestantischen‘ Streitigkeiten (vgl. z. B. Lohse, Dogma und Bekenntnis, 102–138) ist zu beachten, dass für die Zeitgenossen das ‚Innen‘ und ‚Außen‘ keineswegs immer so eindeutig war, wie sich dies im Rückblick darstellen mag. Das ‚Innen‘ und ‚Außen‘ konstituierte sich zum Teil gerade in den und durch die Kontroversen. 14 Vgl. Dingel, Historische Einleitung, 10 (Hervorhebung im Original): „Zu klären waren nicht nur die einzelnen theologischen Streitpunkte, sondern auch und vor allem die Frage, in welcher Ausrichtung man die Tradition der Wittenberger Reformation, das Wittenberger reformatorische Erbe, bewahren und fortsetzen wollte: entweder im Sinne einer ausschließlich von Martin Luther her definierten theologischen Lehre oder aber im Sinne einer Luther und Melan­ chthon integrierenden Theologie oder schließlich in überwiegender Betonung der von Melan­ chthon ausgehenden Impulse, die den Weg dazu ebneten, sich in Lehre und Leben der Kirche gegebenenfalls auf konfessionell europäische Kontexte einzulassen und sich damit dem Calvinismus zu öffnen.“ 15  Das Interim mit den anschließenden „relativ geschlossene[n] ‚Streitkreise‘ mit einem jeweils klar zu identifizierenden thematischen Kern bzw. theologischen Problem“ (a. a. O., 6) fielen also unmittelbar in die Situation eines „Autoritätsvakuum[s]“ (a. a. O., 8, Hervorhebung im Original). Zu Ereignis und Erinnerung des Todes Luthers vgl. den Sammelband Kohnle, Tod. 16 Vgl. Weber, Geschichte, 80.

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

dynastischer Identitätsbildung.17 Dass sie keinesfalls erwartbar oder selbstverständlich war, zeigt sich daran, dass man sie – je nach historiographischer Perspektive – als „eine kühne Tat des Glaubens“18 oder als „ein höchst risikoreiches Unternehmen“19 bezeichnen kann. Die Prestigeeinbußen durch die Kriegsniederlage, die Gefangenschaft des Landesherrn, dass kein kaiserliches und / oder päpstliches Privileg vorlag (und in dieser Situation auch nicht zu erwarten war), die schwachen finanziellen Möglichkeiten und schließlich die Absage Philipp Melan­chthons, der als Organisator und Rektor vorgesehen war, um eine translatio studii von Wittenberg nach Jena plausibel machen zu können  – all dies sprach eigentlich gegen eine Gründung. Dennoch wurde im März 1548 der Lehrbetrieb an der Hohen Schule zu Jena mit zwei Professoren, dem Theologen Victorin Strigel und dem Humanisten und Dichter Johann Stigel, eröffnet. Im folgenden Jahr konnte außerdem Erhard Schnepf für die Theologie gewonnen werden, der sich als lutherischer Reformator im württembergischen Raum verdient gemacht hatte und zuletzt als Professor in Tübingen tätig war.20 Im Zuge der 1550er Jahre wurde die Hohe Schule zu einer vollwertigen Universität ausgebaut und 1557 erhielt man die kaiserlichen Privilegien, die am 2. Februar 1558 in Kraft traten. Das erste Siegel bildete den inzwischen verstorbenen Johann Friedrich I. inklusive Narbe ab.21 Die Statuten sind für Profil und Selbstverständnis der jungen Universität in mehrfacher Hinsicht aussagekräftig: „Nachdeme weiland der Hochgebornne Furst, Her Johans Friderich der elter, Hertzog zu Sachssen, vnnd Churfurst etc. vnnser Wurdiger Lieber Her, vnnd Vater, seliger vnnd Christlicher gedechtnus, hiuor die Vniuersitet zu Jhene, Zu erhaltung, Forderung, vnnd ausbreitunge gottes reinen Ewigen, vnd allein seligmachenden worts, Wie solchs sein allemechickeit, In diesen Tageszeitenn, durch denn Erwirdigen, vnnd hochgelartenn vnsern Lieben andechtigen, Ern Martinum Luther, der heiligenn schrifft doctor seliger, aus lauter gnade vnndt guthe, geoffenbart, vnnd an tag gegebenn. Desgleichenn zu widerstehen, vnd fechten, allen Corrupteln, vnnd Secten, so sich albereit ereugnet, vnnd kunftigk weiter erregt werden mochten […] Vnnd dieweil dann solche vnsere Vniuersitet, wie vorstehet, furnemlich zu erhaltung Gottes worts, vnnd Christlicher Religion, Vnndtt also zu seiner allemectickeit Lob, vnnd Preis gemeint, So wollenn wier, das sich erstlich alle Professorn, Studentenn, vnd alle Glider derselbenn Vniuersitet, nach Gottes reinem worth, wie das Inn der Augsburgischen Confession, vnnd darauf Erfolgtenn apologi, so Anno 30. 17  Zur Frühzeit der Hohen Schule und dann Universität Jena, um die sich besonders Joachim Bauer und Helmut G. Walther verdient gemacht haben, vgl. Bauer/Klinger/Schmidt/ Schmidt, Universität Jena, 11–108; Bauer, Universitätsgeschichte, 59–158; ders., Gründung einer Hohen Schule; ders., Gründung der Jenaer Universität; Walther, Von Leipzig nach Jena; ders., Von Schulen; ders., Gründung. Dauerhaft im Blick ist die Universität Jena „als zentrale Institution der Konfessionsbildung“ auch bei Gehrt, Konfessionspolitik (Zitat a. a. O., 31). 18  Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät, 20. 19  Bauer/Klinger/Schmidt/Schmidt, Universität Jena, 25. 20 Vgl. Leppin, Art. Schnepf, 234. 21  Abgebildet in: Bauer/Klinger/Schmidt/Schmidt, Universität Jena, 12.

1 Einleitung261



geschehenn, desgleichenn denn Schmalkaldischen artickeln, die Anno 37. vorglichenn worden, bekannt, vnnd vorfast, In Irem einfeltigenn Reinenn, vnnd gewissen vorstannde, vnd wortenn, haltenn, Darwider offentlich, oder heimlich des orts zu Ihena, oder anndertswo, durch einiche Practicirung, oder vnderschibunge, nicht thun noch handelnn sollen.“22

Folgende Aspekte sind in diesem Zusammenhang bemerkenswert: Zwei namentlich hervorgehobene Personen dienen als Identifikationsfiguren: Martin Luther ist derjenige, der ‚Gottes reines, ewiges und allein seligmachendes Wort‘ wieder zutage gefördert hat. Der ‚Erhaltung, Förderung und Ausbreitung‘ eben dieses Wortes Gottes dient die Universität. Johann Friedrich wird zudem ausdrücklich als der eigentliche Initiator der Universität hervorgehoben. Als Märtyrer und standhafter Bekenner sollte er auch nach seinem Tod profilbildend fungieren. Dieser Tradition aus Luther und Johann Friedrich entspricht die Verpflichtung aller Professoren, Studenten und sonstiger Glieder der Universität, also auch der örtlichen Drucker, nicht nur auf die Confessio Augustana und die Apologie, sondern auch auf die Schmalkaldischen Artikel, welche für eine strengere lutherische Linie standen.23 Doch nicht nur die positiven Verpflichtungen, sondern insbesondere auch die negative Aussage ist für den Kontext der geistig-theologischen Debattenlage von Belang, und zwar dass die Universität auch dazu da sei, ‚zu widerstehen und fechten allen Korruptelen und Sekten‘. Als ‚Korruptelen‘ bzw. ‚Korruptelisten‘ wurden von den ernestinischen Theologen nämlich all diejenigen bezeichnet, die irgendwelche Abstriche am reinen Wort Gottes, und das hieß konkret, an der reinen lutherischen Lehre machten: also insbesondere seit dem Interim die albertinischen Theologen in Wittenberg und Leipzig.24 Schon in einem 1554 gedruckten und von Johann Stigel verfassten Bericht vom Sterben Johann Friedrichs heißt es, dass dieser in seinen letzten Tagen seine Söhne ermahnt habe, dass „sie ja bey Gottes wort vnuerruckt bleiben / vn[d] sich zu keiner Corruptelen oder verfelschung desselbigen bewegen lassen sollten“.25 22 

Ediert bei Schwarz, Das erste Jahrzehnd, 94–102, hier 94–96. Forschungen zu den Schmalkaldischen Artikeln sind gesammelt im Lutherjahrbuch 2016, vgl. besonders Spehr, Bekenntnis; Bauer, Anspruch; Schmidt, Alternative; Gehrt, Beobachtungen und Hund, Funktion. 24  „In Reaktion auf das Interim und die aufgeschlossenere Konfessionskultur in Kursachsen entstand im ernestinischen Thüringen eine besonders strenge Auslegungskultur mit engeren Zugehörigkeitskriterien. Eine ‚Belagerungsmentalität‘ durchdrang das Denken am Weimarer Hof. Vom ‚Adiaphorismus‘ und anderen sogenannten ‚Korruptelen‘ umringt, erbauten die Herzöge hohe ideologische Mauern um die Landeskirche. Die als sehr bedrohlich empfundene Außengefahr wurde bei den konfessionspolitischen Entscheidungen immer mit berücksichtigt. Sie beförderte die Ausbildung einer territorialeigenen konfessionellen Identität im ernestinischen Territorium und katalysierte den Konsolidierungsprozeß innerhalb der Landeskirche“ (Gehrt, Konfessionspolitik, 84). 25  Stigel, Warhafftiger Bericht, fol. A2v–A3r. 23 Jüngste

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

Würden „sie aber wancken / vnd einige Corruptelen“26 annehmen, würde Gottes Segen und Gnade von ihnen weichen. Das sog. Weimarer Konfutationsbuch von 1558/59, ein von den Ernestinern als Grundlage innerlutherischer Verständigung gedachtes Bekenntniswerk,27 erklärte ausdrücklich im Titel, es gehe um „in Gottes wort / Prophetischer vnnd Apostolischer schrifft / gegründete Confutationes / Widerlegungen vnd verdammung etlicher ein zeit her / zu wider demselben Gottes wort / vnd heiliger Schrifft / auch der Augspurgischen Confession Apologien / vnd den Schmalkaldischen Artickeln / Aber zu fürderung vnd wider anrichtung des Antichristischen Bapstums eingeschlichenen / vnd eingerissenen Corruptelen / Secten vnd Irrthumen“.28

In neun Kapiteln befasste es sich „als eine Art negative[r] Katechismus“29 ausschließlich mit der Widerlegung von Irrtümern. Auffälligerweise handelt es sich bei allen bekämpften Gruppierungen um solche, „die nach der Reformation entstanden beziehungsweise größtenteils aus dieser oder doch ihren Grundanliegen entstanden sind – in der Perspektive der Gnesiolutheraner handelt es sich also um von der Reformation abgefallene Gruppen“.30 Unter ihnen befinden sich auch die Gegner der aktuellen Auseinandersetzungen, wie Andreas Osiander (Kapitel 7; ‚osiandischer Streit‘), Georg Majors (Kapitel 8; ‚majoristischer Streit‘) und die ‚Adiaphoristen‘ (Kapitel 9; ‚adiaphoristischer Streit‘), zu denen aus ernestinischer Perspektive eben auch die albertinischen Theologen gehörten.31 Für die dichten Ereignisse dieser Jahre um 1560 spielt der seit 1557 in Jena lehrende Theologe Matthias Flacius Illyricus eine entscheidende Rolle, für dessen Berufung sich der inzwischen ebenfalls im ernestinischen Sachsen wirkende Nikolaus von Amsdorf eingesetzt hatte. Seine „konfrontative[] Konfessionstheologie“32 entsprach der ernestinischen Konfessionspolitik, sodass er zur Schlüsselfigur ihrer Verwirklichung unter Johann Friedrich II. wurde.33 Zwischen 1558 und 1560 konnte das Personal der theologischen Fakultät in diese Richtung homogenisiert werden: Simon Musäus, Johannes Wigand und Matthäus 26 

A. a. O., fol. A3r. Gehrt, Konfessionspolitik, 129–137; zu den verschiedenen Drucken vgl. a. a. O., 130 Anm. 152. 28  Johann Friedrich II. / Ernestinische Theologen, Confutationes, Titelblatt. 29  Leppin, Bekenntnisbildung, 303. 30 Ebd. 31  Da Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Christoph von Württemberg „die ausdrückliche Nennung der und unverkennbare Anspielung auf die albertinischen Theologen und andere Augsburger Konfessionsverwandter“ (Gehrt, Konfessionspolitik, 135) erkannten und beanstandeten, hatte das Konfutationsbuch über das ernestinische Herrschaftsgebiet hinaus kaum Wirkung. Umso deutlicher steht es für das Selbstverständnis der ernestinischen Herrscher und Theologen. 32  K aufmann, Anfänge, 258. 33  Dies betont Gehrt, Konfessionspolitik, 213 und 531. 27 Vgl.

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Judex wurden berufen.34 Der in diesen Jahren aufgebrochene Streit u. a. um die Einführung des bereits angesprochenen Konfutationsbuches als verbindliches Landesbekenntnis führte zu einer von Johann Friedrich II. veranstalteten öffentlichen Disputation in Weimar 1560 zwischen Flacius und dem suspendierten Strigel, die zur Beilegung des Konfliktes gedacht war. Die Disputation um die Frage der Willensfreiheit führte zwar nicht zu einer Einigung, sondern im Gegenteil zum Abbruch der Disputation. Theologiegeschichtlich folgenreich war sie jedoch insofern, als Flacius hier die These formulierte, dass die Substanz des Menschen nach dem Sündenfall die Erbsünde sei.35 Da der Widerstand gegen Flacius, Musäus, Wigand und Judex u. a. von den übrigen Professoren wuchs, endete diese Epoche der Universitätsgeschichte mit der Amtsenthebung und Ausweisung aller vier Jenaer Theologieprofessoren Ende 1561.36 Anders als Flacius traten wenige Jahre später Wigand und Musäus mit Postillen an die Öffentlichkeit. 1.3  Zur Entwicklung des Postillenwesens Postillatoren hatten für gewöhnlich gehobene Stellungen inne: Sie waren Professoren der Theologie, Superintendenten, Hofprediger oder von ähnlichem Rang.37 Das zeigte sich bereits bei Luther, Spangenberg und Melan­chthon und die weitere Geschichte der Postillen bestätigt dies. Im Horizont des konfessionellen Zeitalters wirkten diese Personen entsprechend als, wie Frymire es ausdrückt, „spokesman of their princes“:38 „Whereas many postil authors in the past had produced their sermons with the approbation of, or appeal to, the highest political and religious authorities, most Lutheran postils that emerged after 1555 required neither approbation nor appeal: their authors were often the official spokesmen of those authorities, even though they dedicated their postils to them.“39

Auch die in diesem Kapitel behandelten Postillatoren Wigand, Musäus, Vischer und Habermann hatten entsprechende Postitionen inne.40 Die hohe Produktion von Postillen kann daher als Teil des Prozesses der versuchten Konfessionalisierung41 verstanden werden. Die prozentual höhere Popularität unter Lutheranern im Verhältnis zu Altgläubigen dürfte im Zu34 

Vgl. zu den Vorgängen Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät, 29–49. Ilić, Art. Flacius, 116. 36  Die Vorgänge sind ausführlich dargestellt bei Gehrt, Konfessionspolitik, 201–212. 37  Ausführlich ist die Entwicklung des Postillenwesens in dieser Zeit bei Frymire, Primacy, 157–224 dargestellt, auf den sich die folgenden Ausführungen stützen. 38  A. a. O., 172. 39  A. a. O., 173. 40  Vgl. die entsprechende Zusammenstellung ebd. sowie im Folgenden die Biogramme zu Beginn der jeweiligen Kapitel. 41  Zur Begriffsverwendung s. o. Kapitel I. 3. 35 Vgl.

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

sammenhang mit der Hochschätzung der Predigt und ihrer worttheologischen Grundierung stehen. Postillen dienten in hohem Maße der konfessionellen Lehrvermittlung sowie der Sozialdisziplinierung.42 Prediger hatten mit den Postillen, die zum Teil nicht ihnen selbst, sondern der Pfarrei gehörten, in der sie arbeiteten, ein – wenn nicht das wichtigste – Hilfsmittel für die eigene Predigt. Da die im Umlauf befindlichen Postillen inzwischen in der Regel gehaltene Predigten beinhalteten,43 konnten diese auch einfach wieder von der Kanzel vorgetragen werden. Auf diese Weise ermöglichten Postillenschreiber die Praxis von ‚Postillenreitern‘, die lediglich Predigten aus den Postillen vorlasen. Mediengeschichtlich ist in dieser Zeit ein weiteres Phänomen kennzeichnend: Luther hatte mit seinen Auslegungen einen breiteren Markt eröffnet; Spangenberg füllte durch seinen Frage-Antwort-Stil und die ausdrückliche Adressierung an die Jugend eine Marktlücke. Angesichts der ungeheuren Fülle an weiteren Postillen, ist es jedoch kaum verwunderlich, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Druckgeschichte einer Postille kaum weiter reichte als die Machtposition ihres Autors. Selten wurden mehr als drei oder vier Auflagen erreicht.44 Zu den Ausnahmen zählen u. a. die in diesem Kapitel behandelten Musäus, Wigand und Habermann, die auf fünf bis acht Auflagen kamen und zum Teil post mortem noch aufgelegt wurden. Die angesprochene, theologiegeschichtlich bewegte Zeit zwischen dem Augsburger Interim und dem Konkordienbuch brachte in den evangelischen Territorien immer wieder neue Zuspitzungen der Lehre und Verurteilungen hervor, auf die Prediger und Postillatoren reagierten.45 Erklärte Abgrenzungen und Akzentuierungen flossen in die Auslegungen der Postillen ein und so ist jede Postille, die in dieser Zeit entstand bzw. gedruckt wurde, auch ein Versuch, die nun erreichte theologische Klärung – in die eine oder andere Richtung – zum Standard zu erheben oder zumindest einflussreicher werden zu lassen. Zwar stand die Auslegung des Leidens und Sterbens Jesu Christi selbst nicht im Fokus der zeitgenössischen Lehrstreitigkeiten, doch spiegeln sich die Debatten zum Teil auch in den Passionspredigten der in diesem Kapitel zu behandelnden Postillen, die alle in den 1560er und 1570er Jahren entstanden. 42  Frymire sieht insbesondere das verstärkte Aufkommen von Epistel-Postillen im Zusammenhang der Sozialdisziplinierung, da nach einigen Äußerungen von Predigern diese geeigneter für ethische Ermahnungen seien (vgl. Frymire, Primacy, 164 f.). 43  Zum Vergleich: Luthers erste Postillen gingen nicht auf Predigten zurück, sondern entstanden auf der Wartburg ‚am Schreibtisch‘. Spangenbergs didaktisch aufbereiteten Auslegungen spiegeln eher einen katechetischen als einen homiletischen Sitz im Leben. Dietrich hatte die Mit- und Nachschriften der Predigten Luthers dagegen für die Hauspostille bereits in eine solche Form gebracht, dass sie von der Kanzel vorgetragen werden konnten. 44 Vgl. Frymire, Primacy, 174 f. 45  A. a. O., 160: „Each new discovery, pronouncement, or problem needed to be reworked into an existing postil or formulated in a new one. In the midst of all this chaos, those who pro­ fited most were the printers“.



2  Johannes Wigand265

Die Analyse der Predigten dieses Kapitels steht daher – nach der Darlegung des Kontextes und des Anliegens der Veröffentlichung der jeweiligen Postillen sowie einer Charakterisierung der Passionspredigten  – unter einer doppelten Fragestellung. Zum einen wird die Linie aus Kapitel IV weitergezogen und nach den grundlegenden inhaltlichen Kontinuitäten gefragt: Inwiefern können diese Predigten theologisch als lutherische Passionspredigten bezeichnet werden? Zum anderen sind die neuen Kontroversen und Frontbildungen und die damit zusammenhängenden Abgrenzungen in den Blick zu nehmen: Wer wird in den Predigten wie als Gegner wahrgenommen und wie positionieren sich die Prediger? Wie werden die neuen Kontrahenten der Streitigkeiten um das theologische Erbe der Wittenberger Reformation thematisiert und wie werden diese zu den klassischen Gegnern, v. a. den Altgläubigen, ins Verhältnis gesetzt? Welche impliziten und expliziten Reflexe der Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe finden sich in den Predigten und welche Auswirkungen haben diese auf die Theologie der Prediger?

2  Johannes Wigand Der aus Mansfeld stammende Johannes Wigand (1523–1587)46 studierte noch zu Lebzeiten Luthers, also vor der folgenreichen Niederlage des Schmalkaldischen Bundes, in Wittenberg. Seit 1546 arbeitete er als Prediger in seiner Heimatstadt, wo er von Johann Spangenberg, der in der Grafschaft Mansfeld seine neue Stelle als Superintendent angetreten hatte, ordiniert wurde. An den verschiedenen Streitigkeiten seit dem Interim 1547 beteiligte sich Wigand rege: Er schrieb gegen die ‚Adiaphoristen‘, gegen Georg Major und gegen Andreas Osiander. Hierbei stand er von Anfang an auf einer Seite mit Flacius. Die Arbeit zwischen Flacius und Wigand wurde noch enger, als Wigand 1553 als Pfarrer und Stadtsuperintendent nach Magdeburg kam, wo Flacius bereits weilte. Auf dessen Initiative arbeitete Wigand gemeinsam mit dem ebenfalls in Magdeburg ansässigen Matthäus Judex an den sog. Magdeburger Centurien, der ersten umfassenden protestantischen Kirchengeschichte,47 an der er sein Leben lang schreiben sollte. Als Flacius, Wigand und Judex um 1560 gemeinsam an der neu gegründeten Hohen Schule in Jena lehrten,48 kannten sie sich also aus der Magdeburger Zeit bereits gut. Die Theologen wurden zwar 1561 aus Jena vertrieben, doch kehrte Wigand 1568 nach der Ächtung und Gefangennahme Johann Friedrichs II. 46  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Brecher, Art. Wigand; Dingel, Art. Wigand; Hasse, Art. Wigand; K awerau/Wagenmann, Art. Wigand; Stupperich, Reformatorenlexikon, 221. 47 Vgl. Scheible, Magdeburger Zenturien; Bollbuck, Wahrheitszeugnis; MentzelReuters/Hartmann, Catalogus. 48  S. o. Kapitel VI.1.2.

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

unter dessen Bruder Johann Wilhelm als Professor und Superintendent zurück, bis er nach Johann Wilhelms Tod 1573 wieder des Landes verwiesen wurde. 2.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Wigands Postille erschien ursprünglich in lateinischer Sprache 1565,49 d. h. die erstmalige Publikation fiel genau in die Zeit zwischen die beiden Jenaer Aufenthalte. Auch die Predigten entstammen, wie Wigand in der Vorrede angibt, seiner damaligen Tätigkeit als Superintendent in Wismar.50 Obgleich sich Wigand damit lokal außerhalb des zentralen Konfliktbereichs zwischen den ernestinischen und den albertinischen Theologen befand, ist seine Postille ganz von dieser Auseinandersetzung geprägt. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Wortwahl der Vorrede: Das Wort Gottes und die Lehre Luthers werden aufs engste miteinander verbunden und bilden zusammengenommen das Kriterium der rechten Lehre.51 Was dem  – in der Sicht Wigands  – nicht entspricht, jedoch auch nicht zu den ursprünglichen kontroverstheologischen Themen zwischen Evangelischen und Altgläubigen gehörte, sondern auf dem Boden der Reformation entstanden war, bezeichnet Wigand immer wieder mit dem zeitgenössisch geprägten Begriff der Verderbnisse (corruptelae), den die ernestinischen Theologen auf die albertinischen anwandten.52 Diese seien vielfach ‚auf dem Acker des Herrn eingedrungen‘ und inzwischen seien auch zahlreiche Postillen entsprechend verderbt, wie etwa diejenige Georg Majors,53 der zu dieser Zeit an der Theologischen Fakultät des albertinischen Wittenberg lehrte und zugleich als Probst der dortigen Schlosskirche amtierte. Der Intention nach bietet die Postille Wigands insofern ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass die durch die Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe neu notwendig gewordenen Klärungen durch die Postille auf der Ebene der Gemeindepredigt verankert werden sollten. 49 

In dieser Arbeit wird der Druck von 1566 verwendet: Wigand, POSTILLA SEV EXPLI-

CATIO. 50 

Vgl. a. a. O., fol. A4r–v. Sprachlich zeigt sich dies an Wortverbindungen wie „Dei uerbum & Lutheri doctrinam“ (a. a. O., fol. [A6r]), „uerbum Dei & Lutheri confessionem“ (a. a. O., fol. [A7r]) oder sogar „doctrina Dei & Lutheri“ (ebd.), die als Prüfsteine für Abweichungen geltend gemacht werden. Konkret werden in der Vorrede als theologische Kontrahenten erstens der – namentlich nicht näher spezifizierte – Antinomismus genannt, demgegenüber mit Luther die klare Unterscheidung und Zuordnung von Gesetz und Evangelium nötig seien (a. a. O., fol. [A6v]): „Summa fide & diligentia inculcat Lutherus, oportere accuratissimis limitibus discerni lege[m] & Euangelium.“ Zweitens geht Wigand auf Georg Major und die These „Bona opera esse ita necessaria ad salutem“ (a. a. O., fol. [A7r]) ein. 52  S. o. Kapitel VI.1.2. 53  Vgl. a. a. O., fol. A5v : „Eduntur nunc, proh dolor, multae Postillae, quae plurimum corrumptelarum in agrum Domini inuehunt, dormita[n]tibus uigilibus, quos Christus ad excubias & clamores uocauerat. Vt enim de alijs breuitatis gratia nihil hic dicam, saltem in praesentia de Maioris Postillis, modeste & parce moneo.“ 51 



2  Johannes Wigand267

1569 erschien die Postille Wigands auch in deutscher Sprache, übersetzt von dem Urseler Pfarrer Christoph Obenhin.54 Die volkssprachliche Übersetzung enthielt nicht mehr die Vorrede Wigands, sondern eine neue aus der Feder des Übersetzers. Diese stellt anhand biblischer und historischer Vorbilder die Bedeutung derjenigen weltlichen Obrigkeit heraus, die sich schützend auf die Seite des ‚kleinen verachteten Häufleins‘ stellt, „so die Göttliche Warheit getrost vnd vnuerzagt wider den Teufel vnd alle pforten der Hellen bekennet / vnd darüber von meniglich verhasset vnd verfolget wird“.55 Den positiven werden negative Exempel gegenübergestellt, die entweder selbst die Kirche Gottes verfolgten oder aber zuließen, „das alle Predigstuel mit allerley irthumer beschmeisset werde[n]“.56 Gegenwärtig falle die Obrigkeit besonders auf „Leisetreter/Schmeichler/Neutraliste[n]“57 herein, die aufgrund ihrer scheinbar friedlichen und sanftmütigen Art als „gute Prediger gelobet“58 würden, während „die rechtschaffene / ware vn[d] getrewe Prediger des Euangelij / vnd alle rechte / ernste Christen / die mit warem vngeferbten Glauben Christo anhangen / als Auffrürer / vnrhurige / zenkische Köpfe vertriebe[n] werde[n]“.59 Hier spiegelt sich das zeitgenössisch relevante Problem der unerbittlichen Wahrheitsbekundungen einerseits und der häufigen Ausweisungen von unliebsamen Predigern aus Städten und Territorien andererseits, wie sie auch Wigand erfuhr – ein Thema, das auch in den Passionspredigten zur Sprache kommt.60 Der Adressat der Widmungsrede, Graf Dietrich VI. von Manderscheid-Schleiden, unter dem in Schleiden die Reformation eingeführt wurde, wird freilich für seinen Bekennermut lobend herausgestellt und in die Reihe der guten Vorbilder gestellt. Wenn dabei betont wird, wie er dafür Sorge getragen hat, dass „die reine / gesunde / vnuererfelschte / warhafftige Lere“61 in seinen Territorien „wider den Papistischen Grewel vnd alle verfelschunge“62 gepredigt und gelehrt werden konnte, so dürfte die zitierte Formulierung im Sinne einer doppelten Frontstellung gegen die Altgläubigen und die ‚Verfälscher‘ (d. h. die ‚Korruptelisten‘) innerhalb des evangelischen Lagers zu verstehen sein. Gerade in den ersten Jahren nach Erscheinung dürfte die Postille Wigands für zahlreiche Prediger Orientierung geboten haben. Fünf Auflagen der lateinischen Fassung und weitere drei Auflagen der deutschen Übersetzung zwischen 1565 und 1570 sprechen für einen großen Verbreitungsgrad in dieser Zeit.63 54 Vgl. Wigand, Postilla. Der zweite Teil der Sonntagspostille sowie die Festtagspostille wurden von dem Homburger Pfarrer Anthon Fabricius übersetzt. 55  A. a. O., fol. ijr. 56  A. a. O., fol. iiijr. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Ebd. 60  Vgl. a. a. O., fol. 319 f. 61  A. a. O., fol. vr. 62 Ebd. 63  Latein: Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1565/66 (VD16 W 2825, VD16 ZV 29902);

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2.2  Zum Charakter der Passionspredigten 2.2.1  Die enthaltenen Passionspredigten Die Postille Wigands enthält zwei der Passion Jesu Christi zugehörige Texte, eine Auslegung des Gottesknechtsliedes Jes 53 und eine Karfreitagspredigt, wobei erstere in etwa doppelt so lang wie die zweite ist.64 Am Beginn der Auslegung von Jes 53 steht in der deutschen Übersetzung, anders als im lateinischen Original, der Bibeltext – ein Merkmal der volkssprachlichen Fassung, das beispielsweise auch bei Jakob Schöpper beobachtet werden konnte und das die Vermutung nahe legt, dass die Übersetzung dadurch für den Hausgebrauch besser geeignet ist.65 Während Jes 53 als Homilie Vers für Vers, zum Teil Wort für Wort ausgelegt wird, hat die Karfreitagspredigt als Themenpredigt einen rein systematischen Aufbau, ohne dass ein Bibeltext zugrunde gelegt wäre. Die Kenntnis der Passionsgeschichte wird in ihr vielmehr vorausgesetzt.66 Im Folgenden werden zunächst die beiden Predigten mit ihren jeweiligen Argumentationen vorgestellt (2.2.2 und 2.2.3). Anschließend werden sie daraufhin untersucht, in welcher Weise sie lutherische Theologie tradieren und kultivieren (2.3.1), wie sie auf die klassischen Gegner Bezug nehmen (2.3.2) und in welcher Weise sie auf die Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe reagieren (2.3.3). Zusammenfassend wird schließlich auf den auffällig lehrhaften Charakter der Predigten eingegangen (2.3.4). 2.2.2  Die Auslegung von Jes 53 Mit Jes 53 möchte sich Wigand nicht nur dem – wie er selbst betont – wichtigsten Kapitel des Alten Testaments widmen,67 sondern den Weg der Erkenntnis, den Christus selbst nach seiner Auferstehung den Emmausjüngern in Lk 24,26 f. Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1566 (VD16 W 2826–7); Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1567 (VD16 W 2828–9); Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1569 (VD16 W 2830–1); Frankfurt/Main: Peter Schmidt/Sigmund Feyerabend 1569 (VD16 ZV 27373). Deutsch: Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1569 (VD16 W 2832–4); Frankfurt/Main: Johann Schmidt/Sigmund Feyerabend/Thomas Rebart/Martin Lechler 1570 (VD16 W 2835–7); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse 1570 (VD16 ZV 23883). 64  „Auslegunge des LIII Capitels Esaiae / vom leiden vnd sterben Jesu Christi.“, in: Wigand, Postilla, fol. 311–325; „Ein Predigt an dem Charfreytage / von dem leiden vnd sterben Jesu Christi.“, in: a. a. O., fol. 325–332. 65  S. o. Kapitel V. 3.2.1. 66  Die Karfreitagspredigt beginnt mit der Aussage, dass man in der christlichen Kirche die Passionsgeschichte aus dreierlei Gründen wissen müsse: Erstens biete sie die Erklärung des zweiten Artikels des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, zweitens sei sie der Grund des christlichen Glaubens („fundamentum fidei nostrae“ [Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 460]) und drittens wäre es eine große Sünde, würde sich jemand als Christ bezeichnen und die Passionsgeschichte nicht kennen (vgl. Wigand, Postilla, fol. 325). 67 Vgl. Wigand, Postilla, fol. 312: „Es ist aber dis Capitel das fürnemste / vnd gleich als der Kern vnd Ausbund vnter allen andern Capiteln / im Alten Testament“. Diese Ansicht gehört zwar zum zeitgenössischen Allgemeingut der Passionstheologie; die Formulierung erinnert je-



2  Johannes Wigand269

gewiesen hat, nachvollziehen; dass nämlich der Messias dies alles erleiden musste, wie es bei Mose und den Propheten verheißen sei. Damit werde zugleich der Glaube gestärkt und „der Jüden falschen Wahn vnd Jrthumb“68 widerlegt. Das Gottesknechtslied gliedert sich nach Wigand in fünf Teile, die zugleich einen systematisch sinnvollen Aufbau zur Erklärung des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu Christi darstellen und somit auch als Gliederung der Predigt dienen.69 (1.) Im ersten Teil (Jes 52,13–15) werde ein kurzes Summarium geboten, in dem das Wesentliche zusammengefasst vorweggenommen sei: Wenn der Messias als ‚Knecht‘ bezeichnet wird, so sei damit dessen Amt bezeichnet. ‚Mein‘ Knecht zeige an, dass die Erlösung „nicht Menschen / sondern Gottes Wercke“70 ist. Da dieser Knecht ‚weislich handeln‘ wird, agiert er „nicht aus fürwitz“,71 sondern nach Gottes Willen und Ratschluss. Die Erhöhung, die dem Knecht zuteilwerde, könne sowohl mit dem Johannesevangelium auf das Kreuz als auch auf die Verherrlichung nach der Auferstehung bezogen werden. Die ‚Besprengung der Heiden‘ rede „von der Applikation / oder austheilung des Verdiensts vnd Wolthaten Christi“,72 die eben auch die Heiden erreiche. (2.) Im zweiten Teil (Jes 53,1 f.) sei von der Erniedrigung und der Demut Christi die Rede. Der ‚Reiß‘ und die ‚Wurzel aus dünnem Erdreich‘ nehme zwar die Verheißung des Messias aus dem königlich-davidischen Geschlecht von Jes 11,1 auf, die sich in Jesus auch erfüllt. Zugleich sei das Familiengeschlecht zur Zeit der Jungfrau Maria bereits verarmt und ohne Ansehen gewesen.73 Besonders deutlich werde die Erniedrigung und Demut dadurch angezeigt, dass der Knecht ‚keine Gestalt noch Schönheit‘ habe – ein Aspekt, der im ersten Teil des Philipperhymnus (Phil 2,6–8) aufgenommen wurde. Dabei betont Wigand, dass die Erniedrigung in erster Linie „vns […] von nöten [war] / denn Messias sollte vnser Sünde tragen“.74 In zweiter Linie sei die Demut Christi als Tugend auch ein Vorbild für die Christen, wobei klar „zwischen warhafftiger Demut / vnd erdichter oder zum schein angenomener Demut vnd Gleissnerey“75 zu unterscheiden sei. (3.) Der mittlere und auch sachlich zentrale dritte Teil (Jes 53,3–7) behandle das Leiden des Messias und dessen Ursache. Er nimmt in Wigands Auslegung den größten Raum ein und ist theologisch recht dicht. Bezüglich der Ursache doch stark an Luthers Ausführung in der Poach-Rörerschen Hauspostille von 1559 (fol. 166v) findet: „Summa jm alten Testmanet ist dis Capitel der Ausbund“; dazu s. o. Kapitel II.4.3.1. 68  Wigand, Postilla, fol. 312. 69  Vgl. a. a. O., fol. 313. 70 Ebd. 71  A. a. O., fol. 314. 72 Ebd. 73  Vgl. a. a. O., fol. 316. 74 Ebd. 75  A. a. O., fol. 317.

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müsse unterschieden werden zwischen ‚unserer Sünde‘ und der „vrsach / die solches treibe“,76 nämlich die von Gott selbst gesetzte Ordnung. In der Tradition der anselmischen Satisfaktionslehre führt Wigand aus, dass „Gottes Gerechtigkeit kurtzumb ein gleichwirdige Ranzon oder Lösegelt / für die Sünde bezalet wolte haben / das ist / die gnugthuung vnd bezalung für die Sünde vnd volkomen Gehorsam / so man dem Gesetze schuldig war / forderte“.77

Dass ‚der Herr unser aller Sünde auf ihn warf ‘, ist zugleich „ein zeugnus einer vberaus hohen Liebe“,78 da sich Gott selbst einen Weg zur Erlösung der Menschen ins Werk gesetzt hat. Wenn Jesaja sagt, dass der Knecht Gottes ‚unsere Krankheit‘ und ‚unsere Schmerzen‘ getragen hat, so bezeichne das erste die Erbsünde als den „Brun vnd Quelle aller Geistlichen vnd Leiblichen Kranckheiten“79 und das zweite die auf die Sünde folgende Strafe. Die Pointe der Aussage ist freilich, dass alles, also Sünde und Strafe, von dem Messias getragen wurde. Offenbar sah sich der Autor genötigt, am Ende des Teils die wichtigsten bisher dargelegten Lehren – im lateinischen Original einfach überschrieben mit „Doctrinae.“80 – zusammenzufassen.81 (4.) Im vorletzten Abschnitt (Jes 53,8 f.) werde von der Auferstehung des Messias gesprochen, etwa wenn es heißt, dass er ‚aus Angst und Gericht genommen‘ sei. Zudem werde noch einmal dessen Unschuld herausgestellt.82 (5.) Der Schlussteil (Jes 53,10–12) ziele auf Nutzen und Frucht der Passion und der Auferstehung Jesu Christi. Erstens werde mit der Verheißung der Nachkommenschaft die durch Jesaja selbst (Jes 11,10) auf den davidischen Messias bezogene Abrahamsverheißung des Völkersegens (Gen 12,1–3) aufgenommen und erfüllt: „Nemlich / die versamlung der Kirchen aus allen Völckern“.83 Die zweite Frucht sei die „Erlösung des Menschlichen geschlechts“,84 welche mit ‚des 76  Ebd. Diese ‚treibende‘ Ursache ist im Lateinischen klar bezeichnet als causa efficiens (vgl. Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 450). 77  Wigand, Postilla, fol. 317. Im Vergleich mit Anselm fällt auf, dass die Ehre Gottes bei Wigand überhaupt keine Rolle spielt, dafür legt dieser einen Schwerpunkt auf die Notwendigkeit der Erfüllung des Gesetzes. 78  A. a. O., fol. 321. 79  A. a. O., fol. 318. 80  Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 456. 81 Vgl. Wigand, Postilla, fol. 322: „Lere / so man hieraus nemen sol. 1. Das Messias zum Leiden verordnet seye / vnd solches bezeuget der Prophet mit klaren worten. Wir sollens aber darzu brauchen / das wir erstlich der Jüden falschen wahn widerlegen / zum andern vnsern Glauben dadurch stercken. 2. Das Messias nicht sein / sondern vnsere Sünde trage / Den[n] also hats Gott gefallen / das er sich mit dem Menschlichen geschlecht durch seines Sons Leiden versönen wolte. 3. Das Gott der Vater / vnd sein Son der Messias / vns vnwirdige arme Sünder / die wirs nicht verdienet hatten / geliebet habe. 4. Das die Sünde so grewlich schrecklich gewesen seyen / das sonst kein ander opffer dasselbige hat können büssen noch tilgen / denn allein Christus durch sein Leiden vnd Sterben. 5. Das Messias willig vnd geduldig zu leiden gewesen.“ 82  Vgl. a. a. O., fol. 322 f. 83  A. a. O., fol. 323. 84  A. a. O., fol. 324.

2  Johannes Wigand271



Herren Rat‘ gemeint sei. Die dritte Frucht sei schließlich sehr deutlich dadurch angegeben, dass der Knecht ‚viele gerecht machen‘ wird, worunter „die ausspendung oder austheilung der Gerechtigkeit / so Christus durch sein Blut erworben hat“,85 zu verstehen sei. 2.2.3  Die Karfreitagspredigt Auch die Karfreitagspredigt gliedert Wigand in fünf Teile, die jedoch ohne die Grundlage einer bestimmten Perikope den Kerngehalt der durch Leiden und Tod Jesu Christi gewirkten Erlösung darstellen und erläutern. Dabei wählt der Prediger einen heilsgeschichtlichen Aufbau, der von (1.) Schöpfung und Fall über (2.) Gottes Beschluss eines erlösenden Eingreifens samt den über sich hinausweisenden Offenbarungen und Verheißungen seit Gen 3,15 (Protevangelium) zum (3.) Vollzug der Erlösung durch Christus führt und (4.) die dadurch erwirkten Früchte des Heilswerkes präsentiert, die von der eschatischen Auferstehung der Gläubigen (vgl. 1 Kor 15) abgeschlossen werden.86 Vor diesem Horizont geht der letzte Teil (5.) auf die Applikation der zuvor in Aussicht gestellten Früchte ein.87 (1.) Durch die Übertretung des Gebotes durch die ersten Menschen im Paradies (vgl. Gen 2) kam das Böse in die gute Schöpfung Gottes. Weder durch Gott selbst noch durch einen bösen zweiten Gott – den ‚etliche Ketzer‘ erdichtet hätten – „haben wir solchen schaden“,88 sondern „vom Teuffel vnd den Menschen“.89 Die Strafe für die Übertretung sei erstens der Verlust der höchsten Ehre, Herrlichkeit, Gerechtigkeit und der vollkommenen Gottebenbildlichkeit der Menschen, zweitens die vollkommene Verdorbenheit der menschlichen Natur90 85 Ebd.

86  Der heilsgeschichtliche Zugang zu Karfreitag äußert sich auch in einigen narrativen Elementen, die die ansonsten theologisch konzentrierten Erläuterungen besonders in den ersten drei Teilen miteinander verknüpfen: vgl. in Teil 1 (a. a. O., fol. 325 f.): „Es ist gewislich war […] das alles gut gewesen sey / was Gott gemacht hat.“, „Wenn nu die Menschen also blieben weren […]“, „als der Fall geschehen war […]“, „Darnach hat Gott […]“; in Teil 2 (a. a. O., fol. 327): „Als aber nu Gott solchen grossen verderblichen vnd vberwindlichen schaden des Menschlichen Geschlechts sahe / jamerte jn solches elend vber die massen / dachte an seine Barmhertzigkeit / vnd hat beschlossen den Menschen widerumb […] die Hand zu langen vnd auffzuhelffen […]“; in Teil 3 (a. a. O., fol. 328 f.): „Das Menschlich Geschlecht aber erlösen / ist vnd heisset […]“, „Wie ist aber nu solches ausgerichtet vnd volnbacht worden? […] Es hat aber Gott selber […] Mittel / Wege vnd Weise erfunden / Vnd ist das der Weg […]“. 87  Die Gliederung ist zu Beginn der Predigt aufgeführt (a. a. O., fol. 325): „1. Wo der Menschen elend vnd jamer herkome / wasserley / vnd wie gros dasselbig seye. 2. Wer vns hülffe verheissen vnd gethan habe / was jn darzu beweget vnd verursacht habe. 3. Wie die erlösung geschehen seye. 4. Welches die entliche Vrsach / die Frucht oder Nutze seye. 5. Wie vns solches applicieret vnd zueigenet werde / das wirs geniessen“. 88  A. a. O., fol. 326. 89 Ebd. 90  Zu der auffälligen Formulierung (ebd.): „Zum andern sind sie an jrer gantzen Substantz / Natur vnd Wesen verderbet“ s. u. Kapitel VI.2.3.3.

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und drittens der Zorn Gottes, die Verfluchung durch das Gesetz und die Todeswürdigkeit. Alles Böse und alles Übel in der Welt sei also auf die Sünde des Menschen zurückzuführen.91 (2.) Der zweite Teil legt den Fokus zum einen auf die theologischen Voraussetzungen bzw. Implikate, die durch die vollbrachte Erlösung durch Christus erkannt werden. Sie werden in einer Reihe von Dualen bestimmt: Gott ist, so werde deutlich, sowohl gnädig als auch gerecht.92 Als Gerechter fordert er Strafe und Genugtuung. Die notwendige Erfüllung des Gesetzes bestehe einerseits im Erleiden der Strafe des Todes und andererseits im vollkommenen Gehorsam. So müsse sowohl „die scherpffe vnd strenge des Gesetzes“93 als auch die „newe vnd vnerhörte genad“94 gesehen werden. Schließlich komme alles darauf an, in der Passion Christi, des „eine[n] Mittler[s] / Heiland[es] vnd Seligmacher[s]“95 sowohl die Schwere der Sünde als auch die überaus große Liebe Gottes zu erkennen, was besonders in Joh 3,16 und Röm 5,8 ausgedrückt werde.96 (3.) Die Erlösung des Menschengeschlechts97 geschah – argumentativ wiederum deutlich in der Spur Anselms von Canterbury98 – durch den menschgewordenen Gottessohn, bei dem „Menschliche vnd Göttliche Natur / in einer einigen Person vereiniget“99 sind. Zwei Grade der Erniedrigung sei er durchschritten, zunächst die Inkarnation in ärmliche Verhältnisse, sodann das Leiden und Sterben. Das Leiden sei sowohl innerlich als auch äußerlich gewesen, wobei Wigand 91  Vgl. ebd.: „Daher komen alle Kranckheiten / plagen vnd seuchte / Jamer / Not / Elend vnd Trübsal / bis so lang / das sich Leib vnd Seel scheidet.“ 92  Vgl. a. a. O., fol. 327. Die lateinische Fassung formuliert in der Regel knapp (hier [Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 463]: „Deus sit et clemens et iustus“), während die Übersetzung ausführlicher und etwas umschreibender ist. 93  Wigand, Postilla, fol. 327. 94 Ebd. 95  A. a. O., fol. 328. 96  Der Abschnitt schließt (ebd.): „Solches sol vnd mus man wissen / denn es ist das Hertz vnd der Keren der heiligen Schrifft / vnd alles / was im Alten vnd Newen Testament geschrieben stehen / siehet vnd gehet hierauff.“ 97  Der Inhalt der Erlösung wird in Teil drei einleitend zusammengefasst (a. a. O., fol. 328 f.): „Das Menschlich Geschlecht aber erlösen / ist vnd heisset Gottes Zorn stillen vnd versönen / den Fluch des Gesetzes hinweg nemen / den Todt vertilgen / den Teuffel vberwinden / die Helle stürmen vnd zerstören / den Himel eröffenen / den Menschen jre verlorne Güter / Das ist / Gottes Bilde wider erstatten vnd zustellen / die Sünde ausrotten vnd vertilgen / vom Tode aufferwecken / in as Reich der Herligkeit versetzen. Solches alles gehöret zur erlösung des Menschlichen Geschlechts.“ 98  Vgl. a. a. O., fol. 329: „Warumb wird er ein Mensch? Darumb / dieweil der Fall durch den Menschen geschehen war / vnd das Gesetze kurtzumb von den Menschen die bezalung vnd gnugthuung fordert vnd haben wolte / Vnd dieweil Gott den Menschen in ewiger Freude vnd Gemeinschafft bey vnd neben sich haben wolte / Darumb war geweissaget worden / Esai. am 7. Capitel. Das ein Jungfrawe Jmmanuel geberen würde.“ Genau wie in Auslegung von Jes 53 fällt im Vergleich zu Anselm auf, dass die Ehre Gottes keine Rolle spielt, dafür die Erfüllung des Gesetzes betont wird. 99 Ebd.

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die Hauptstationen der Passionsgeschichte in Erinnerung ruft.100 Auferstehung und Himmelfahrt vollenden den Weg der Erlösung. (4.) Im vierten Teil werden neun Früchte der Passion aufgezählt und mit Belegstellen versehen:101 der Sieg über den Teufel (Gen 3,15), die Erfüllung der Segensverheißung an Abraham (Gen 12,1–3; 18,17 f.; 22,15–18), das (ewige) Leben (Num 21,8 f. mit Joh 3,14 f.; Hos 13,14), die Gerechtigkeit (Jes 53,11; Dan 9,24; Röm 4–5; 2 Kor 5,21), die Erfüllung des Gesetzes (Röm 10,4; Röm 8,3 f.), die Erlösung vom Fluch (Gal 4,4 f. [mit Rückbezug auf Gal 3,13]), die neue Schöpfung (Eph 2,10), ein fröhliches Gewissen (Röm 5,1) und schließlich die Auferstehung (1 Kor 15). (5.) Im Schlussteil wird die Art und Weise erläutert, „auff welche Gott den [durch das Heilswerk Christi erworbenen, J. R.] Schatz austheilet“102  – natürlich durch „das Wort vnd die Sacrament oder Gnadenzeichen“.103 Gott wolle darin „Krefftig sein vnd wircke[n]“104 und der Mensch ergreife den Schatz dadurch, dass er das Sakrament gebraucht und sich glaubend auf Christus gründet und verlässt. „Welche aber solches nicht thun / werden solcher Güter vnd Schatzes nicht mitgenossen vnd theilhafftig / wie Jüden / Türcken / sichere / rohlose Leute / Gotteslesterer / Sacramentschwermer / Verechter vnd andere mehr.“105 2.3  ‚Gottes Wort und Luthers Lehre‘ Die Vorrede Wigands in der lateinischen Postille zeugt von seiner Intention, allen Verfälschungen ‚des Wortes Gottes und der Lehre Luthers‘ entgegenzutreten.106 Reflexe auf bestimmte Kontroversen dieser Zeit nach dem Interim finden sich implizit und explizit auch in den Passionspredigten. Bei zahlreichen Lehren bestand unter den Theologen in Wittenberger Tradition jedoch durchaus Einigkeit, sodass diesseits der vehement ausgetragenen Streitigkeiten die Bildung einer lutherischen Lehrtradition erkennbar wird. Dies zeigt sich – auch in den Passionspredigten Wigands – nicht zuletzt dran, dass immer wieder auf typische Lehrgehalte und Themen positiv oder in Abgrenzung zu klassischen Gegnern der frühen Reformation rekurriert wird. 2.3.1  Lutherische Traditionsbildung (1.) Die Frage ‚Wer glaubt unserer Predigt?‘ in Jes 53,1 könne nach Wigand sowohl im Sinne einer Aufmunterung des Propheten an seine Hörer, auf sein Wort 100 

Vgl. a. a. O., fol. 329 f. Vgl. a. a. O., fol. 330 f. 102  A. a. O., fol. 331. 103 Ebd. 104  A. a. O., fol. 332. 105 Ebd. 106  S. o. Kapitel VI.2.1 Anm. 51. 101 

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zu achten, verstanden werden als auch als Klage, „das wenig Leute solche Predigt gleuben werden“.107 Letzteres entspreche der christlichen Kirche, die „ein geringes vnd kleines heufflein“108 sei, welches – gemäß der Definition in CA VII109 – „die reine Lere des Euangelij annimpt / vnd der Sacrament recht brauchet“.110 (2.) An Wigands Ausführungen zeigt sich, wie Luthers passionshermeneutische Zentralunterscheidung zwischen der Betrachtung Christi als sacramentum und als exemplum sachlich aufgenommen ist und auf die Frage nach der Demut Christi angewendet werden kann, auch wenn die Begriffe sacramentum oder Gabe nicht vorkommen: Nachdem betont wurde, dass die Erniedrigung um der Vergebung der Sünden willen „vns […] von nöten“111 war, solle man sich „ein Exempel vnd Beyspiel von Christo nemen / vnd wie er auch / demütig sein“,112 wobei sogleich einschränkend angemerkt wird, dass „vnsere demut / weder vnsere noch anderer Leute Sünde tragen kann“.113 Auch nachdem die Bedeutung der Demut als ‚wunderschöner Tugend‘ herausgestellt wurde, wird noch einmal betont, dass der soteriologischen und darin exklusiven Bedeutung der Demut Christi in der Verkündigung die völlige Priorität zukommen muss.114 (3.) Die Passion wurde seit jeher aufgrund entsprechender Worte Jesu zur Kreuzesnachfolge auch als Hinweis darauf verstanden, was Christen durch Verfolgung bis hin zum Martyrium erleiden würden. Entsprechend identitätsstiftend und als Zeugnis der Wahrheit des Evangeliums gedeutet wurden die ersten Märtyrer der Reformationszeit, die niederländischen Augustinereremiten Jan van Esschen und Hendrik Vos, denen Luther einen Sendbrief115 und sein erstes Lied widmete,116 das sich durch die Gesangbücher der Reformation verbreitete. Wigand erinnert an diese Vorgänge, um darzulegen, dass zwischen dem vorbildhaften Leiden der ‚frommen Christen‘ und der gerechten Strafe ‚gottloser Leute‘ klar unterschieden werden muss, auch wenn ‚die Welt‘ anders urteilt – und er parallelisiert das Martyrium der Niederländer mit der Vertreibung ‚frommer Prediger‘, also mit seiner eigenen Situation.117 107 

Wigand, Postilla, fol. 315.

108 Ebd. 109 Vgl.

BSELK, 102 f. Wigand, Postilla, fol. 315. 111  A. a. O., fol. 316. 112 Ebd. 113 Ebd. 114  A. a. O., fol. 317: „Sollen derhalben alhie lernen / das alles das / so von der Demut Christi in vnser erlösung geschrieben ist / zur sterckung vnsers Glaubens zuuor verkündiget gewesen seye.“ 115 Vgl. WA 12, 73–80. Zum Hintergrund vgl. Christman, Reaction. 116  Ein neues Lied wir heben an, in: WA 35, 91–97.411–415 bzw. AWA 4, 75 f. 217–222. 117 Vgl. Wigand, Postilla, fol. 320: „Derhalben sollen wir auch sonst von Fromer vnd Gottsfürchtiger Christen Leiden vnd Trübsal recht vrtheilen lernen / als zum Exempel / Es werden jetzt viel Leute im Niderland vmb der Lere des Euangelij willen verbrant / frome Prediger werden jetzt verjagt vnd vertrieben / etc. Nu vrtheilet aber die Welt also von jnen / sie seyen 110 



2  Johannes Wigand275

(4.) Die Frage nach der Herkunft des Übels und der Sünde – zwischen Übel, Sünde, Bösem etc. wurde nicht wie seit der neuzeitlichen Bearbeitung der Theodizee streng unterschieden – wird von Wigand ganz im Sinne von CA XIX118 mit Hinweis auf den Teufel und die Menschen beantwortet; weder Gott noch ein zweiter Gott seien dafür verantwortlich zu machen.119 (5.) Für die lutherische Tradition wird im abschließenden fünften Teil der Karfreitagspredigt in geradezu lehrbuchhafter Weise die Applikation zusammengefasst: „Der Schatz vnd das Kleinot ist erworben. Es wil aber nu Gott solches nicht für sich behalten / Sondern austheilen“.120 Die Austeilung geschehe durch Wort und Sakrament,121 die jeweils wiederum zweifach seien: Das Wort ergehe als verklagendes Gesetz und als aufrichtendes Evangelium,122 als Sakramente seien Taufe und Abendmahl zur Festigung und Stärkung des Glaubens gegeben.123 (6.) In auffälliger Weise lehnt sich die deutsche Übersetzung – stärker als die lateinische Urfassung – an die Sprache des Kleinen Katechismus an: Insgesamt drei Mal, und zwar sowohl in der Auslegung des Gottesknechtsliedes als auch in der Karfreitagspredigt, zitiert der Übersetzer die einprägsame Wendung „aus lauter Veterlicher Güte vnd Barmhertzigkeit / one allen vnsern verdienst vnd wirdigkeit“,124 die aus Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikels in seinem Kleinen Katechismus stammt.125 An der Übersetzung der Postille Wigands wird anschaulich, wie durch die Aufnahme einprägsamer Wendungen Luthers dessen Sprache v. a. in der Bibel und im Kleinen Katechismus für die lutherische Theologie und Frömmigkeit der nachfolgenden Generationen eine kaum zu unterschätzende Bedeutung erlangen konnte. Vbeltheter vnd Bösswichter / vnd wie die Christum ein Gottslesterer / das ist / ein falschen Lerer vnd Auffrhürer scholten vnd lestertern / also gehets noch heutigs tags zu. Man sol vnd mus aber zwischen Gottsfürchtigen vnd Frommen Christen / vnd Gottloser böser Leute straffe vnd marter ein vnterscheid machen.“ 118 Vgl. BSELK, 114 f. Diese Frage war allerdings auch kein kontroverstheologisch strittiger Punkt (vgl. die Apologie zur Confessio Augustana Art. XIX, in: BSELK, 552 f.). 119 Vgl. Wigand, Postilla, fol. 326. 120 A. a. O., fol. 331. Die Terminologie eines durch Christus ‚erworbenen‘ Schatzes, der durch Wort und Sakrament ‚ausgeteil‘ und im Glauben ‚ergriffen‘ wird, begegnet auch vielfach bei Luther (s. o. Kapitel II.4.3.4). 121  Auf die Applikation des Verdienstes Christi durch Wort und Sakrament kam Wigand auch in der Jes-53-Auslegung zu sprechen, jedoch ohne die weitere Differenzierung (vgl. a. a. O., fol. 314 f.). 122  Vgl. a. a. O., fol. 331: „Das Wort fasset vnd befreiffet zwey Stücke / das Gesetze vnd Euangelium. Das Gesetze verklaget vnd verdammet alle Menschen / Das Wort des Euangelij richtet auff / stercket vnd tröstet alle Blöde vnd nidergeschlagene Gewissen“. 123  Vgl. ebd.: „Vnd auff das vns solcher Schatz desto mehr appliciert vnd anheimbracht werde / wir auch solches desto fester vnd stercker gleuben mögen / hat Gott darumb an die verheissung der Genaden / die Sacrament hinzu gethan / Als nemlich / die Tauffe / vnd des Herren Abendmal“. 124  A. a. O., fol. 321 und mit leichten sprachlichen Variationen a. a. O., fol. 327; fol. 331. 125 Vgl. BSELK, 870,15 f.

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

2.3.2  Gegen ‚Türken‘, ‚Papisten‘ und Thomas Müntzer Verschiedentlich grenzt sich Wigand von den klassischen Gegnern der Evangelischen ab, wobei sich dies auf einige wenige Stellen begrenzt: (1.) Dass ‚die christliche Kirche‘ im Sinne von CA VII eine kleines Häuflein ist, zeigt sich nach Wigand daran, dass die Gruppierungen, die eben keine christliche Kirche seien, zahlenmäßig erheblich stärker sind: „Lieber siehe doch / wie so ein grosser hauffe Türcken / wie auch so ein grosser hauffe Papisten seye. Dencke nu dagegen der Christlichen Kirchen nach“.126 (2.) Die Tugend der ‚wahren Demut‘ wird in kontroverstheologisch typischer Weise der ‚erdichteten, scheinbaren‘ Demut der Mönche gegenübergestellt, bei denen man eher Hochmut finden könne, da sie sich einen „volkomen Standt vnd Wesen“127 zuschreiben würden. ‚Rechte Demut‘ sei nicht am eigenen Stand, sondern entstehe aus Gottesfurcht und sei an der Ehre Gottes und am Nutzes des Nächsten orientiert. (3.) Als abschreckendes Beispiel für jemanden, der nicht als Christ sein Kreuz auf sich genommen, sondern als Aufrührer die gerechte Strafe für sein Handeln bekommen habe, führt Wigand Thomas Müntzer an.128 2.3.3  Das Verhältnis zu Osiander und Flacius bezüglich Gerechtigkeit und Sünde Im fünften und letzten Teil der Auslegung von Jes 53 geht es nach Wigand in V. 11 („Durch sein Erkentnus wird er viel gerecht machen“129) um die Austeilung der durch die Passion erworbenen Gerechtigkeit. Dabei „sol vnd mus man bedencken / was solchs für ein Gerechtigkeit seye“,130 denn „vnrecht vnd felschlich“131 hätten „die Osiandristen / von der wesentliche[n] Gerechtigkeit verstanden vnd ausgeleget“,132 was Paulus Gerechtigkeit Gottes und in Jes 53,11 ‚seine‘, also des Messias, Gerechtigkeit genannt werde. Im Streit um die Rechtfertigungslehre Andreas Osianders – viele ‚Osiandristen‘ gab es nicht, da sich gegen Osiander die allermeisten reformatorischen Theologen jenseits bestehender Lager (sog. Gnesiolutheraner ebenso wie sog. Philippisten) vereinigten133 – ging es um die Frage, ob es sich bei der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, um eine in den Gläubigen einwohnende göttliche Substanz handle (d. h. die von Wigand erwähnte ‚wesentliche Gerechtigkeit‘), wie Osiander aufgrund bestimmter philosophischer 126 

Wigand, Postilla, fol. 315. A. a. O., fol. 317. 128  Vgl. a. a. O., fol. 320. 129  A. a. O., fol. 324. 130 Ebd. 131 Ebd. 132  Ebd. Vgl. Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 459: „de substantiali iusticia“. 133  Die Vielzahl an Entgegnungen auf Osiander verarbeitet Wengert, Defending Faith. 127 



2  Johannes Wigand277

und theologischer Vorannahmen behauptete.134 Um diese, Gott wesentlich (substantialiter) eigene Gerechtigkeit könne es in Jes 53,11 nicht gehen, denn diese wäre ewig und könne gar nicht mitgeteilt werden. Zudem heiße es im zweiten Teil des Verses, dass der Messias ‚ihre Sünden tragen und hinwegnehmen wird‘, woraus geschlossen werden könne, dass es sich um eine erworbene Gerechtigkeit handeln muss, nämlich „eine bezalung vnd gnugthuung für die Sünde durch sein leiden vn[d] sterben / vnd seinen gantzen gehorsam“.135 Als Widerlegung der Ansicht Osianders bietet Wigand anschließend in aller Kürze eine Lösung des Gerechtigkeitsproblems, die sich interessanterweise weder vorher in den Schriften Luthers, noch später in der Konkordienformel findet.136 Er unterscheidet zweierlei Gerechtigkeit des Messias: „Die erste zwar hat er als ein Gott von ewigkeit her / vn[d] ist dermassen / das sie keiner Creaturen mitgetheilt kann werden / vnd vmb derselbigen willen hat er nicht gelitten. Die andere Gerechtigkeit hat er mit seinem Leiden erobert vnd gewonnen / als er die Sünde der Menschen getragen hat / diese aber kann durch den Glauben mitgetheilet / vnd zu eigen gegeben werden.“137

Wigand trennt also eine zweite, „zugerechnete Gerechtigkeit“,138 die der durch das Heilswerk ‚erworbenen‘ entspricht, von einer ersten, ‚wesentlichen‘ Gerechtigkeit,139 die dem Messias als zweiter Person der Trinität eigen ist, ab. Mit dieser wirkungsgeschichtlich bedeutungslosen Lösung versuchte Wigand offenbar das in seinen Augen berechtigte Insistieren Osianders auf einer ‚substantiellen‘ Gerechtigkeit Gottes  – freilich in Wigands eigenem Verständnis derselben  – aufzunehmen und zugleich keinen Abstrich an dem extra nos des Heils propter Christum zu machen, wie es durch die ‚zugerechnete‘ Gerechtigkeit festgehalten wird.140 Eine weitere Kontroverse um das theologische Erbe der Wittenberger Reformation bildet den theologiegeschichtlichen Kontext einer anthropologisch134  Zum Streit vgl. Lohse, Dogma und Bekenntnis, 125–129; Kolb, Konkordienformel, 97–109. 135  Wigand, Postilla, fol. 324. 136  Vgl. Formula Concordiae – Epitome Art. III (in: BSELK, 1234–1241); Solida Declaratio Art. III (in: BSELK 1388–1415). 137  Wigand, Postilla, fol. 324. 138  Ebd. Vgl. Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 460: „Ideo Dauid et Paulus uocant imputatiuam iusticiam, quia ea nobis per misericordiam propter Christum imputatur.“ 139 Vgl. Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 460: „iusticiam […] essentialem“. 140  Als Alternative zu den Gegenpolen, denen zufolge die Gerechtigkeit nur der göttlichen oder nur der menschlichen Natur zuzuschreiben seien, wurde in der Konkordienformel die Einheit der Person Jesu Christi betont (BSELK, 1410,28–30 / 1411,25–28): „Das unser Gerechtigkeit nicht auff die eine oder die andere Natur, sondern auff die gantze Person Christi gesetzt, welcher als Gott und Mensch in seinem einigen gantzen vollkomenem gehorsam unser Gerechtigkeit ist. / Nempe quod iustitia nostra neque in divina neque in humana natura, sed in tota ipsius persona consistat, quippe qui ut Deus et homo in sola sua tota et perfectissima oboedientia est nostra iustitia.“

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

harmatiologischen Formulierung, die Wigand in beiden Passionspredigten verwendet, jedoch nicht gegen bestimmte theologische Gegner: Die ‚Erbsünde‘ (peccatum originale) habe „die gantze Substantz Natur vnd Wesen des Mensches verderbet“,141 wie der Übersetzer die Wendung „corrumpit totam hominis substantiam“142 wiedergibt. Die Begrifflichkeit ist theologiegeschichtlich vor dem Hintergrund des sog. Erbsündenstreits interessant,143 fällt die Veröffentlichung der Postille (lateinisch 1565) doch zeitlich genau zwischen dessen Ausgangspunkt, der Weimarer Disputation 1560,144 und dessen Hauptphase um 1570/71. Bei der Weimarer Disputation hatte Flacius gegen Victorin Strigel die These vertreten, die Erbsünde sei die Substanz des Menschen nach dem Sündenfall.145 Dass sich Flacius den ihm von Strigel zu Beginn der Disputation geradezu aufgenötigten Substanzbegriff146 schließlich zu eigen machte und in seinem 1567 erschienenen Hauptwerk Clavis Scripturae Sacrae verwendete und verteidigte,147 wurde ihm zum 141  Wigand, Postilla, fol. 318. In der anderen Predigt heißt es ganz ähnlich über den Sündenfall und die Folgen, dass Adam und Eva als die Eltern der Menschheit (a. a. O., fol. 326) „an jrer gantzen Substantz / Natur vnd Wesen verderbet“ seien und durch sie bzw. mit ihnen alle nachgeborenen Menschen. 142  Wigand, POSTILLA SEV EXPLICATIO, fol. 450. 143  Im Editionsplan der Reihe Controversia et Confessio wird der Erbsündenstreit im engeren Sinne (Band 6) von dem sog. synergistischen Streit (Band 5) abgehoben und gesondert behandelt. In der Regel wurde die Debatte um die Erbsünde mit Flacius vornehmlich als eine Art Ausläufer des synergistischen Streites behandelt (vgl. Lohse, Dogma und Bekenntnis, 121– 125; Kolb, Konkordienformel, 77–91). 144 Vgl. Flacius/Strigel, DISPVTATIO DE ORIGINALI PECCATO. 145  Zur Weimarer Disputation vgl. Haikola, Gesetz und Evangelium, 110–116; Preger, Flacius, 127–133; sowie jetzt umfassend Gleiss, Weimarer Disputation (zur Analyse der Erbsündenfrage a. a. O., 193–219). 146  Tatsächlich wurde Flacius gegen seinen Willen von Strigel zur Anwendung der aristotelischen Kategorien von Substanz und Akzidens gedrängt, wie aus den von Musäus 1662 veröffentlichten Disputationsakten eindeutig hervorgeht: Weder Flacius noch Strigel hatten das Begriffspaar in ihren Thesen über die Willensfreiheit, Gesetz und Evangelium, die guten Werke, die Adiaphora und die Neutralität in Lehrkonflikten eingebaut (vgl. Flacius/Strigel, DISPVTATIO DE ORIGINALI PECCATO, fol. 1–4). In der ersten Sessio über die Frage der Willensfreiheit rückte schon sehr bald die Frage nach der Erbsünde in den Mittelpunkt. Als Strigel den Substanzbegriff in die Debatte einführte, hielt Flacius dies für eine unbrauchbare Durchmischung von Theologie und Philosophie (vgl. a. a. O., fol. 17: „Video disputationem ex Theologia ad Philosophiam discedere.“) Doch Strigel bestand auf der Verwendung der Unterscheidung von Substanz und Akzidens: „Sed articulo de libero arbitrio, id est de potentijs animae & modo agendi, necesse est adhiberi distinctionem ex philosophia […] Sed cupio tamen retineri uocabulum. Non de nomine, sed rebus est quaestio. […] Discerno substantiam & accidens: & non est sophistica, nec commenticia distinctio.“ (a. a. O., fol. 18). In der zweiten Sessio trieb Strigel mit seiner inzwischen klar formulierten These, die Erbsünde sei ein Akzidens, hartnäckig Flacius, der sich mit diesen Begriffen offenbar nicht wohl fühlte, zum Widerspruch (a. a. O., fol. 26): „VICTORINVS. Tu multa misces, & nullum pertexis. aliud est loqui de substantia, aliud de accidente. Vis ne negare peccatum esse accidens? ILLYRICVS. Quod sit substantia, dixi Scripturam & Lutheru[m] affirmare.“ 147 Vgl. den Artikel PECCATVM in: Flacius, CLAVIS SCRIPTVRAE S., Sp.  1130–1149



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Verhängnis. Wigand, der bei der Weimarer Disputation als Protokollant fungierte, war zu einem seiner schärfsten Gegner geworden:148 Als er wieder Professor in Jena war, diskreditierte er Flacius aufgrund seiner Erbsündenlehre bzw. Anthropologie als ‚neuen Manichäer‘149 und lehnte fortan die Verwendung des Substanzbegriffs kategorisch ab.150 Insofern ist die von Wigand in den Predigten der Postille verwendete Begrifflichkeit äußerst auffällig: Zwar gebraucht Wigand den Substanzbegriff nicht im Sinne des Flacius – es heißt nicht ‚Erbsünde ist die Substanz des Menschen‘, sondern dass die Erbsünde die Korruption der ganzen Substanz des Menschen ist.151 Daran hielt Wigand theologisch durchaus auch weiterhin fest, wenngleich er 1571 meint, eben das besser durch den Akzidensbegriff aussagen zu können und aus kontroverstheologischen Gründen aussagen zu müssen.152 Gerade deshalb aber springt die positive Verwendung des Substanzbegriffes inklusive des sowie die Ausführungen De peccati originalis in: Flacius, ALTERA PARS CLAVIS SCRIPTVrae, fol. 479–498. 148  Der Streit um den Artikel „Von der Sünde“ im Kleinen Corpus Doctrinae des Matthäus Judex, das 1564 erstmals gedruckt wurde und bereits 1565 in verschiedenen Versionen mit kleinen, aber signifikanten Änderungen erschien, ist ein Beleg dafür, dass im Umgang mit der Erbsündenthese des Flacius die Freunde und ehemaligen Jenaer Professorenkollegen Judex und Wigand verschiedene Ansichten vertraten (vgl. Gehrt, Kleine Corpus Doctrinae, 157–167.197 f.). 149  Vgl. etwa Wigand/Heshusius/Mörlin/Chemnitz: DE PECCATO ORIGINIS SCRIP­ TA QVAEDAM contra Manichaeorum delirium. Quod Peccatum Originis sit Substantia, Jena 1571. 150  Vgl. neben den lateinischen Streitschriften auch den volkssprachlich publizierten Text Von der Erbsünde, deren Anliegen es ist, auch für die ‚Einfältigen‘ Klarheit zu schaffen gegen den Irrtum, „Als solte die Erbsünde Substantia, das ist / das Wesen / oder die seele des menschen selbst sein“ (a. a. O., A2v). 151  Auf den Begriff gebracht besteht – zumindest für Wigand – der Unterschied zwischen Flacius und ihm in der Frage nach dem direkten Objekt: Ist die Erbsünde die verdorbene Substanz des Menschen (Flacius) oder ist die Erbsünde die Verdorbenheit der Substanz des Menschen (Wigand)? 152  Als Summe der biblische Erbsündenlehre definiert Wigand, Von der Erbsünde, fol. B3r (Hervorhebung J. R.): „Die Erbsünde ist ein mangel der ersten Gerechtigkeit / die Gott den menschen angeschaffen / vnd eine Schuld von wegen derselben fall im Paradies begangen / vnd eine verderbung / verunreinigung vn[d] verkehrung des gantzen menschen […]“. Genau in der Weise seien auch die Stellen bei Luther zu verstehen, wenn er von der Verkehrung ‚der ganzen Natur‘ des Menschen spricht (a. a. O., fol. B4r; das Zitat stammt aus Luthers Vorlesung über Ps. 51,2 [WA 40/II, 322,24 f.]): „Nam tota Natura per peccatum corrupta, et aeterna morti subiecta est.“ Keinesfalls dürfe man solche Aussagen im Sinne der ‚manichäischen Lehre‘ interpretieren, „als solte er hiemit leren / die Erbsünde were Substantia, welches D. Luthern nie in den Sinn kommen“ (ebd.). Deshalb plädiert Wigand für ein bestimmtes Verständnis des Akzidensbegriffs, weil er durch diesen nun sowohl die grundsätzliche Verkehrung hinreichend ausgesagt sieht, als auch und vor allem festgehalten werden könne, dass die Erbsünde nicht etwas Geschaffenes ist, sondern zum gut geschaffenen Menschen hinzugekommen ist und im Eschaton auch wieder von dem Menschen weggenommen werden kann: „Wir sagen aber rund vn[d] frey heraus / das diese rede / Die Erbsünde ist ein Accidens im menschen / recht vnd war sey / vnd in gegenwertigem streit wider die Manicheischen Lere / die Erbsünde ist Substantia / billich sol vnd mus entgegen gesetzt werden / der Manicheer irrthum damit zu widerlegen“ (a. a. O., fol. R3v).

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

‚tota‘ innerhalb der Explikation der Sündhaftigkeit des Menschen seit Adam in der Postille ins Auge. Schließlich unterzeichnete Wigand 1579 – inzwischen Professor in Königsberg sowie Bischof von Pomesanien und Samland und auch weiterhin in theologische Kontroversen involviert – die Konkordienformel. In ihr wurde die flacianische Erbsündenlehre als manichäisch verworfen153 und zudem ein Hinweis gegeben, der auch in Richtung der Postille Wigands, durch die er zeitweilig „viele Pfarrer erreicht“154 hat, verstanden werden kann: „Was aber die Lateinische wort Substantia und Accidens belanget, weil es nicht heiliger Schrift wort sind, darzu dem gemeinen Man unbekant, sollen dieselbigen in den Predigten vor dem gemeinen, unverstendigem Volck nicht gebraucht, sondern des einfeltigen volcks darmit verschonet werden.“155

2.3.4  Resümee: Darlegung der ‚reinen Lehre‘ Beide Passionspredigten haben einen sehr lehrhaften Charakter: Sie wollen die ‚reine Lehre des Evangeliums‘ darlegen. Dazu gehört auch, die Art und Weise der Applikation des Heilsgeschehens zu erläutern; diese durch die Predigt selbst zu ermöglichen, scheint für Wigand jedoch nicht im Vordergrund zu stehen. Nur selten werden die Hörerinnen und Hörer der Predigt direkt angesprochen oder wird versucht, ihnen Identifikationsmöglichkeiten in der Passionsgeschichte zu bieten. Die Rhetorik entspricht insofern der Situation, in der sich der Prediger sah: Die von Gott durch Luther neu ans Licht gebrachte Lehre des Evangeliums muss rein und ohne Abstriche weitergegeben werden. Dazu gehören auch die expliziten und impliziten Auseinandersetzungen mit neuen ‚Verfälschungen‘ des Wortes Gottes.

3  Simon Musäus Der aus Cottbus stammende Simon Musäus (auch Meusel/Muslik, 1521– 1576)156 studierte in Frankfurt/Oder und Wittenberg, wo er einige Jahre später auch den Doktorgrad erlangte.157 Die auffälligste Konstante seines Lebensweges ist der ständige Ortswechsel: Keine Stelle hatte er länger als drei Jahre inne. Er 153  Vgl. Formula Concordiae  – Epitomae Art. I, in: BSELK, 1218–1226; bes. Negativa 9 (a. a. O., 1224,20–25 / 1225,19–24). 154  Dingel, Art. Wigand, 37. 155  BSELK, 1226,17–21. 156  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Dorchenas, Art. Musäus; Mahlmann, Art. Musäus; Schimmelpfennig, Art. Musäus; Stupperich, Reformatorenlexikon, 151. 157  Während ihres Studium müssen sich Johannes Wigand und Simon Musäus 1545/46 in Wittenberg begegnet sein.



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wirkte als Lehrer, Pfarrer, Hofprediger, Professor, Superintendent und Generalsuperintendent an zahllosen Orten. Seine Kompromisslosigkeit in theologischen Angelegenheiten mitsamt der konfrontativ-polemischen Ausdrucksweise, mit der er das Erbe Luthers gegen alle ‚Verfälschungen‘ bewahren wollte, führten nicht selten zu Entlassungen und Ausweisungen.158 Eben diese Art der Predigt und des Theologietreibens machten ihn für das ernestinische Sachsen der späten 1550er Jahre attraktiv, sodass sich ein lokaler Schwerpunkt seiner Tätigkeit im mitteldeutschen Raum feststellen lässt: 1557 wurde Musäus als Nachfolger von Justus Menius Superintendent in Gotha, 1559–1561 war er mit Flacius, Wigand und Judex Professor und zudem Superintendent in Jena, 1566–1568 fungierte er als Superintendent der Grafschaft Reuß in Gera und zuletzt 1576 in Mansfeld. 3.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Zur Zeit der Veröffentlichung der Evangelienpostille im Jahr 1567 war Musäus Generalsuperintendent in Gera. Der Kampf um die reine und also lutherische Lehre stellt den Horizont dar, in dem die Predigten seiner Postille verstanden werden wollen. Dies wird unverkennbar in der Vorrede der Evangelienpostille deutlich, in der er darlegt, dass ihn „zu diesem Werck vnder andern nicht wenig bewogen [hat] / die geschwinde lesterung vnd ertichte aufflage der Widersacher“,159 die kurz darauf als „Corruptelisten“160 spezifiziert werden. Diesen „vnuerschämpten lügenern vnd verläumbdern / das Maul zu stopffen“161 hält Musäus für nötig, indem durch die in der Postille gesammelten Predigten nicht er, sondern sie als „Auffrührer[] im Reich CHRJSTO“162 entlarvt würden. Die Vorrede, die seiner dortigen Obrigkeit, dem Reußischen Grafen Heinrich dem Jüngeren und der Gräfin Dorothea, gewidmet ist, enthält einige aufschlussreiche Hinweise zum Selbstverständnis von Musäus und seiner Wahrnehmung der Ereignisse: Der Autor spricht die – angesichts der zahlreichen Postillen regelmäßig aufgeworfene163 – Frage an, warum er nun noch eine neue Postille drucke, wo doch schon König Salomo im Predigerbuch problematisierte, dass des vielen Büchermachens kein Ende sei. Salomo rede hier jedoch keinesfalls von den reinen und nützlichen Büchern, die der seligmachenden Wahrheit dienten  – von diesen 158 Vgl. Kolb, Konkordienformel, 62: „Die meisten der führenden Gnesiolutheraner beka-

men den langen Arm der Obrigkeit zu spüren, die sie mit eisernem Griff zum Stadttor hinausgeleitete und ins Exil schickte. Simon Musaeus erlitt dieses Schicksal achtmal, immer wenn er die moralischen Standards oder die Lehrmeinungen der jeweiligen Obrigkeit anprangerte.“ 159  Musäus, Postilla, fol. iijr. 160  Ebd. Zur zeitgenössisch spezifischen Verwendung des Begriffs s. o. Kapitel VI.1.2; er findet sich auch vielfach bei Wigand (s. o. Kapitel VI.2.1). 161 Ebd. 162 Ebd. 163 Vgl. Frymire, Primacy, 167–172.

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

könne es nie genug geben. Vielmehr sei das Wort auf die „Corruptelisten vnnd verführischen Geister[]“164 zu beziehen, „welchen man billich das Handtwerck solte verbiethen“.165 Wie sehr die kirchlich-theologische Situation von Musäus als Kampf wahrgenommen wurde, drückt sich in dem prononcierten Gebrauch der Kriegsmetaphorik aus: Für „Christus als de[n] HERR[N] Zebaoth“166 gilt es als „seine Ritter vnd Krieger“167 unablässig „wider die Rotten vnd Secten zu wachen vnd zu streyten“.168 Deutlich wird jedoch betont, dass es sich um einen geistlichen Krieg ‚sine vi sed verbo‘ handelt, wenn Psalm 149,6 zitiert und zu den darin erwähnten ‚scharfen Schwertern‘ in Klammern angemerkt wird: „verstehe die Geistliche Schwerdter deß Worts“.169 Dem entspricht auch, dass Musäus seine Aufgabe als theologischer Lehrer und Postillenautor durch den Vergleich mit den Bauleuten des Nehemia ausdrückt, die „mit einer Hand wider die Feinde streyten / vnd mit der andern die Kirche bauwen sollen“.170 In der biblischen Geschichte von Wiederaufbau der Mauer Jerusalems wird berichtet, dass angesichts der Bedrohung durch Feinde einige mit einer Hand arbeiteten, während sie in der anderen Hand eine Waffe hielten (vgl. Neh 4). Musäus bezieht diese Situation metaphorisch auf seine eigene: Seit die Wahrheit des Evangeliums wieder ans Licht gebracht wurde, sind treue Lehrer wie er selbst dabei, mit dem Wort Gottes einerseits die Feinde des Evangeliums, durch die sie bedroht werden, zu bekämpfen, und andererseits weiter die Kirche zu bauen. Das ‚seligmachende Evangelium‘ sei freilich kein anderes als das, welches „von Gott durch Doctor Luther heyliger gedächtniß / geoffenbaret / vnnd Summarischer weyse / in der Augspurgischen Confession verfasset“171 ist. Musäus möchte mit seiner Postille dazu beitragen, dieses „auff vnsere arme nachkommen vnuerrückt / vnd vnuerfelscht zu bringen vnd zuerhalten“.172 Trotz des Bewusstseins der Notwendigkeit von Tradierung lebte Musäus in zeitgenössisch typischer Weise mit apokalyptischem Horizont, sodass all die Erscheinungen und Kämpfe als Zeichen des nahen Endes gedeutet wurden: „was ists denn wunder / daß es jetzt vns auch widerfehret / in dieser letzten / vnnd aller ergsten Grundtsuppen der Welt“?173 164 

Musäus, Postilla, fol. [iv].

165 Ebd. 166 Ebd. 167 Ebd. 168 Ebd. 169 

A. a. O., fol. iir. A. a. O., fol. iir–v. 171  A. a. O., fol. [ivr]. 172 Ebd. 173  A. a. O., fol. iijv. ‚Grundsuppe der Welt‘ meint mit negativem Akzent den in zeitlicher Hinsicht letzten, schlechten Rest der Welt (vgl. DWb 9, 913). Die endzeitliche Konnotation begegnet auch bei Luther (vgl. WA 36, 482,26 f.). Zum apokalyptischen Horizont im Luthertum vgl. Leppin, Antichrist. 170 

3  Simon Musäus283



Anders als bei Wigand war die Druckgeschichte der Postille von Simon Musäus, die 1573 um Auslegungen der Epistel für die Sonn- und Feiertage erweitert wurde,174 nicht auf wenige Jahre nach Erscheinen begrenzt. Vielmehr wurde sie auch lange nach dem Tod des Autors bis zum Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder aufgelegt, wobei Frankfurt/Main als Druckort herausragt.175 3.2  Zum Charakter der Passionspredigten 3.2.1  Die enthaltenen Passionsauslegungen Die Evangelienpostille enthält drei Passionspredigten, von denen die ersten beiden Predigten die Passionsgeschichte von der Erzählung in Gethsemane bis zur Grablegung behandeln (3.2.2),176 während die dritte Predigt alttestamentliche Texte auslegt, in der die Passion Jesu verheißen und vorabgebildet sei (3.2.3).177 Am Ende der chronologischen Passionsauslegung und der Predigt alttestamentlicher Passionszeugnisse stehen Abschnitte über den ‚nützlichen Gebrauch der Passion Christi‘178, durch die zum einen die lutherische Tradition der Passionsbetrachtung, wie sie sich Musäus angeeignet hat, deutlich (3.3.1) und zum anderen ein Bezug auf die jüngeren theologischen Debatten hergestellt wird (3.3.2). Abgesehen von der abgrenzenden Erwähnung der ‚Majoristen‘ und ‚Osiandristen‘ im letzten Abschnitt der dritten Predigt sind die Passionspredigten von Musäus völlig frei von Polemik – was sowohl angesichts seiner Biographie mit den zahlreichen unfreiwilligen Stellenwechseln als auch angesichts der program174 Vgl.

Musäus, Postilla […] Episteln. Evangelienpostille: Eisleben: Urban Gaubisch und Frankfurt/Main: Johann Wolff d. Ä. / Peter Braubach (Erben) 1567 (VD16 M 5044–6); Eisleben: Urban Gaubisch und Frankfurt/Main: Paul Reffeler/Sigmund Feyerabend/Simon Hüter 1569/70 (VD16 M 5047–8); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse 1574 (VD16 ZV 10922–3; VD16 ZV 18119); Frankfurt/Main: Franz und Nikolaus Basse 1577 (VD16 ZV 10924 – ausschließlich Festteil!); Frankfurt: Nikolaus Basse 1583 (VD16 ZV 27014–5; VD16 M 5054); Epistelpostille: Jena: Simon Hüter/Donat Richtzenhan und Frankfurt/Main: Paul Reffeler/Johann Feyerabend/Simon Hüter 1573 (VD16 M 5049–50); Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1575 (VD16 ZV 16268); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse 1589 (VD16 M 5055); Gesamtausgaben (Evangelien- und Epistelpostille): Frankfurt/Main: Peter Schmidt/Johann Feyerabend/Melchior Schwarzenberg 1574 (VD16 M 5051); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse 1579 (VD16 M 5052); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse 1583 (VD16 M 5053); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse 1590 (VD16 M 5056); Frankfurt/Main: Nikolaus Basse (VD16 ZV 27584). 176 Vgl. Musäus, Postilla, fol. CLVIIv–CLXXIIr: „Zwo Predigten von der Passion Jhesu Christi / in der Marterwochen zu halten / in welchen auffs aller kürtzte erkläret wirdt / die ­gantze Historia von allen vier Euangelisten beschrieben vnd zusam[m]en gezogen.“ 177  Vgl. a. a. O., fol. CLXXIIv–CLXXVIIIr: „Eine Andere Predigt von der Passion Jhesu Christi / auß dem alten Testament / gerichtet auff diese wort S. Johannis in der heymlichen offenbarung / am 13. Capitel also lautendt. Das Lamb Gottes ist erwürget / von anfang der Welt.“ Diese dritte Predigt wird verwirrenderweise genau wie die zweite Predigt der chronologischen Passionsauslegung in der Postille stets als ‚andere Predigt‘ bezeichnet. Im Folgenden wird um der Eindeutigkeit willen von der ‚dritten Predigt‘ gesprochen. 178  Vgl. a. a. O., fol. CLXXIr–CLXXIIv und CLXXVIIIr. 175 

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matischen Vorrede, die den Kampf gegen die ‚Korruptelisten‘ betont, überrascht. Obwohl es sich an verschieden Stellen durchaus angeboten hätte, etwa bei Jesu Verrat durch Judas in Gethsemane „zur schrecklich warnu[n]g allen verrähtern / so fürsetzlich wider jr eygen Gewissen vmbs Bauchs willen / die erkannte vnd bekannte warheyt verfolgen / lestern / vnd falsche Lehre vertheidigen“,179 hielt es Musäus offenbar nicht für nötig, diese allgemeine Warnung polemisch auf aktuelle Gegner zu konkretisieren. 3.2.2  Die chronologische Passionsauslegung (erste und zweite Predigt) Die chronologische Auslegung der Passion wird in klassischer Weise nach den Hauptorten in fünf Teile untergliedert: (1.) am Ölberg, (2.) bei Kaiphas, (3.) bei Pontius Pilatus, (4.) auf Golgatha und (5.) am Grab.180 Die ersten drei Teile, die parallelisiert als (1.) Christus vor dem Gericht Gottes, (2.) Christus vor der geistlichen und (3.) vor der weltlichen Gerichtsbarkeit dargestellt werden, bilden die erste Predigt, die zweite Predigt umfasst die letzten beiden Teile und den auf den Gebrauch der Passion bezogenen Schluss. Musäus’ Ankündigung im Titel, die Geschichte werde „auffs aller kürtzte erkläret“,181 ist durchaus eingehalten; die Auslegungen sind insgesamt kürzer als der in die fünf Abschnitte untergliederte Bibeltext. Entsprechend gibt es kaum Beispiele, weiterführende Vertiefungen oder zusätzliche Veranschaulichungen, obgleich der Predigtsprache eine mitunter drastische Bildlichkeit eigen ist. (1.) Dies zeigt sich sogleich in der Auslegung der Gethsemane-Perikope, die als Erleiden des göttlichen Gerichts verstanden wird. Gott reiche Christus den bitteren Kelch „wie nach altem gewöhnlichen gebrauch / ein zorniger gestrenger Richter / einem vbelthäter Cicutam vnnd Giffttranck gibt / Daran er den Todt muß sauffen“.182 Die „greuwliche[n] Ingredentia“183 des Kelches seien „allerley Hellischer grundtsuppen / Gottes fluchs / Todt / Teuffel vn[d] Hellen“184 gewesen; und hätte Christus diesen Kelch ‚für uns‘ nicht getrunken, „so hetten wir alle in vnserm Todbette mit verzweiffelung müssen sterben / vn[d] mit den Teuffeln in der Hellen in ewigkeit schweffel vnd pech sauffen / vnd für den verzerenden fewr Göttlichs Gerichts am jüngsten tage zurschmeltzen“.185 Insofern sei Christus „vnser Vmbraculum, vnd Küelwasser worden“.186 Das Bild Gottes als eines Weinschenks wird mit Bezug auf Ps 75,9 passionstheologisch noch weiter ausgeführt, bevor Musäus noch auf die ‚Wunderzeichen‘ und drei Strafpredigten 179 

A. a. O., fol. CLXIv. Musäus, Postilla, fol. CLVIIIr. 181  A. a. O., fol. CLVIIv. 182  A. a. O., fol. CLIXv. 183 Ebd. 184 Ebd. 185  A. a. O., fol. CLXr. 186 Ebd. 180 Vgl.

3  Simon Musäus285



Jesu zu sprechen kommt: gegen „die Him[m]lische verretherey“187 des Judas, gegen „die vngebürliche gegenwehre“188 des Petrus, der sein Schwert entgegen dem Willen Gottes gegen die Obrigkeit richtet, und gegen „die Tyrannei der Obrigkeyt“,189 die ihre Macht eigentlich gegen Verbrecher gebrauchen sollte. (2.) und (3.) Musäus hat eine besondere Vorliebe für Systematisierungen und parallele Strukturen, was sich – in durchaus innovativer Weise – besonders an den Auslegungen der Erzählungen von Jesus vor dem ‚geistlichen Gericht‘ im Haus des Kaiphas und vor dem ‚weltlichen Gericht‘ bei Pontius Pilatus zeigt. Die Abschnitte beginnen jeweils mit einer Kurzzusammenfassung des Textinhalts, schildern dann die Rolle des Teufels als des Verkehrers alles eigentlich Guten, erläutern das Werk Christi in einem bestimmten Amt, verweisen auf eine thematisch passende Bitte des Vaterunsers und führen schließlich zwei Personen der Passionsgeschichte an, die jeweils als positiver und negativer Typos fungieren. Die Parallelität nicht nur des Inhalts, sondern bis in die Formulierung hinein, wird besonders gut in einer Synopse ersichtlich: „In diesem Text hören wir / wie Christus […] in das Haus Cayphe deß Hohenpriesters geführet / vnd gestellet ist für das eusserlich Gericht vnd Geistlich Consistoriu[m], welchs sonst an jm selbs nötig / vnd auß Gottes befehl geordnet gewesen / […] Aber der Teuffel als ein Lügner vnd Feind der Wahrheyt / treibet es hie wieder das hohe Priesterampt Christi […] Durch solche vnbilliche verdamnis deß Priesterampts / weyßheit vnd war­ heyt Christi / ist gebüsset vnser Blindheit / Thorheyt / Jrthumb vnd Abgötterey […] wenn wirs in der ersten Bitte deß Vatter vnsers suchen vnd sprechen: Geheyliget werde dein Name. Solche bitte ist eygentlich auf diß Stück des Leydens Christi gegründet. Zum wartzeichen tragen sich hie zween geschwinde felle zu / an zwo Geistliche Personen / Nemlich an Petro vnd Juda […]

187 

A. a. O., fol. CLXv.

188 Ebd. 189 Ebd.

„In diesem Text hören wir / wie Christus […] geführet sey inn deß Römischen Landpflegers Pilati hauß / vn[d] gestellet für das Weltlich Gericht / welchs auch an jhm selbs nötig vn[d] nützlich gewest / durch Gottes willen eyngesetzt […] Aber der Teuffel als ein Mörder / vnd Feind der Policey beweget es hie wider das vnschuldige leben vnd Geistlich Königreich Christi […] Durch solche vnbilliche verdammung vnd verspottung deß vnschuldigen lebens / vnd Geistlichen Königreichs Christi / ist ge­ büsset alle vnsere böse neygung vn[d] vnordnung […] Wenn wirs in der andern Bitte deß Vatter vnsers suchen / vn[d] sprechen: Zu komme dein Reich. Solche bitte ist eygentlich auff diß stück deß Leydens Christi gebauwet. Zum wartheychen […] begeben sich auch zween geschwinde felle / an zwo Weltlichen Personen / nemlich an den beyden Schechern zur rechten vn[d] zur lincken /

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

den[n] sie beyde wider das Priesterthumb Christi fallen vnd sündigen / Wie wol vngleicher gestalt. Petrus […] weil ers auß schwachheyt thäte / der sonst einen guten fürsatz hatte […] Darumb sihet er [d. h. Christus, J. R.] jn gnediglich an […] Judas […] auß mutwilligem vn[d] boßhafftigem fürsatz. Darumb läßt jhn Christus verzweiffeln […] zur schrecklichen warnu[n]g allen verräthern / so fürsetzlich wider jr eygen Gewissen […]“190

Welche beyde wider das Weltlich Reich gesündiget haben / durch Morden vnnd Rauben. Aber der zur rechten erkennet mit reuwe seine mißhandlung / vnnd hat zuflucht zum ewigen Königreich Christi / Darumb erlangt er Gnade […] Der ander zur lincken / erkennet seine Sünde nicht / vn[d] verachtet Christum mit seinem ewigen Königreich / Darumb fehet er mit Judas in die Helle. […]“191

(4.) Auf Golgatha erzeige sich Christus als wahrer Hohepriester, der „auff dem Altar deß Creutzes sein Opffer für der gantzen Welt Sünde außgerichtet“192 habe. Dabei sei dreierlei zu betrachten: die Schwere und Grausamkeit der Strafe,193 die tröstlichen Worte und Werke Christi am Kreuz und die Wunderzeichen, die bezeugen, dass der Vater das Opfer des Sohnes „als ein vollkömliche genugsame bezalung für der gantzen Welt Sünde“194 annehme. (5.) In der letzten und kürzesten Auslegung der Perikope von der Grablegung merkt Musäus an, dass der Abschluss ‚in einem Garten‘ stimmig sei, da die Passion im Garten (Gethsemane) begann und weil der ursprüngliche Anlass – das Sündigen durch Adam und damit der Verlust des Lebens und der Gerechtigkeit – in einem Garten geschah. Zudem gebe die Erzählung von Joseph von Arimathäa und Nikodemus „schöne Exempel deß Glaubens vnnd bekenntnis / mitten im höhesten grim[m] vnd verfolgung der Gottlosen“.195 3.2.3  Die Predigt alttestamentlicher Passionszeugnisse (dritte Predigt) Das Hauptinteresse der dritten Predigt ist zu zeigen, dass und wie das Geschehen des Leidens und Sterbens Jesu Christi Teil der Geschichte Gottes mit der Welt von Anbeginn der Zeit ist: „Damit niemand gedencke / die Predigt von dem gecreutzigten Christo sey eine zufellige geschicht / ohn alles gefehr plumps weyse geschehen / oder ein neuw geticht im neuwe[n] Testament erfunden / also daß weder Gott jemals dauon etwas geredt / noch die erste Christenheit etwas dauon gewust oder gegläubt habe.“196 190 

A. a. O., fol. CLXIv. A. a. O., fol. CLXVv. 192  A. a. O., fol. CLXIXr. 193  Der Gipfel der Passion ist nach Musäus in dem Gottverlassenheitsruf Jesu auszumachen; gerade auch darin könne man das Handeln Christi ‚für uns‘ erkennen (a. a. O., fol. CLXIXv): „Solches hat Christus darum erlitten / daß er vns natürlich verfluchte / vnd von Gott verlassene / zu Gottes gnade vnd segen wider brechte.“ – mit Bezug auf 2 Kor 5,21 und Gal 3,13 f. 194  A. a. O., fol. CLXIXr. 195  Vgl. a. a. O., fol. CLXXv. 196  A. a. O., fol. CLXXIIv. 191 

3  Simon Musäus287



Dies entspreche Jesu Umgang mit der Emmausjünger nach der Auferstehung (vgl. Lk 24,25–27), der diese „in Mosen vnd die Propheten führet / vnnd darauß beweyset / wie er habe müssen leyden / vnnd also zu seiner Herrligkeyt eyngehen“.197 In der recht langen Predigt ohne Grundlage eines spezifischen Bibeltextes führt Musäus zahlreiche Belege derjenigen fünf Propheten an, „die am aller gewaltigsten von dem gecreutzigten Christo vnd von der künfftigen schlachtung deß Lamb Gottes haben geweyssagt“:198 Mose (d. h. im Pentateuch),199 David (d. h. im Psalter),200 Jesaja,201 Daniel202 und Sacharja.203 Dem Prediger geht es dabei nicht um die bloße Fülle der Belege – man hätte zahllose weitere Stellen anfügen können  –, sondern theologisch von besonderer Relevanz ist für Musäus zweierlei: Er kann darstellen, wie es von der Paradieserzählung in Gen 3 an durch die gesamte im Alten Testament geschilderte Geschichte Verheißungen und Figuren der Passion gegeben habe, sodass der Anspruch des über der Predigt stehenden Verses Offb 13,8: „Das Lamb Gottes ist erwürget / von anfang der Welt.“204  – was freilich „nit […] dem werck nach […] Sondern der offen197 Ebd. 198 

A. a. O., fol. CLXXIIIr. Protevangelium Gen 3,15 samt der Bekleidung Adams und Evas mit Fellen nach dem Sündenfall (Gen 3,21), die als Lammfelle und dadurch als Wahrzeichen für das Bedecken der Sünden durch das Lamm Gottes gedeutet werden; die Anerkennung des Opfers (ein Lamm) Abels (Gen 4,4 f.) und die Entrückung Henochs (Gen 5,24) als positive Wirkungen der Passion Christi, die Sintflut (Gen 6–9) als negative Wirkung, da die Menschen trotz der Passionspredigt Noahs nicht Buße getan und Gnade gesucht hätten; die passionstheologischen Klassiker der ägyptischen Plagen als Gericht und die Rettung durch das Blut des Lammes (Ex 12) sowie analog die Erzählung von der ehernen Schlange (Num 21,4–9); schließlich sämtliche Opfer, die nichts anderes seien „als eine Figur deß gecreutzigten Christi“ (a. a. O., fol. CLXXIIIIr). 200  Ps 2,1 f. zitiert in Apg 4,25 f.; Ps 8,5–7 (mit V. 6 in der revidierten Lutherübersetzung ab 1531 [vgl. WA.DB 10/I, 122 f.]) zitiert in Hebr 2,6–8; Ps 16,8–11 zitiert in Apg 2,25–28, dazu als Warnung Ps 16,4; Ps 22,2 zitiert in Mt 27,46/Mk 15,34, dazu als Trost Ps 22,27; verschiedene Versteile aus Ps 69, die mit Teilen aus den Passionsgeschichten kombiniert werden. 201  Jesaja seien angesichts der Zerstörung Israels, des babylonischen Exils und der Verfolgung unschuldiger Frommer durch König Manasse (2 Kön 21,1–18, bes. V. 16)  – summarisch gedeutet als „wüten des Teuffels vnnd schreckliche Exempel Göttliches Gerichts“ (a. a. O., fol. CLXXVIr) – zahlreiche ‚tröstliche Offenbarungen‘ der Passion zuteil geworden, u. a. Jes 43,24 f., 50,5–7 und natürlich Kap. 53. 202  Dan 9, besonders die Ankündigung des Messias und dessen Erlösungswerk durch Gabriel in V. 24 f. 203  Sach 9,9.11; 11,12 f.; 12,10; 13,7. 204  Musäus, Postilla, fol. CLXXIIv. Musäus zitiert Offb 13,8b nach der Übersetzung des Septembertestaments (WA.DB 7,452): „und alle die auff erden wonen betten es [d. h. das Tier, J. R.] an, der namen nicht geschrieben sind ynn dem lebendigen buch des lambs, das erwurget ist von anfang der wellt“. Dies entspricht zwar der Wortstellung sowohl des griechischen Textes als auch der Vulgata („[…] quorum non sunt scripta nomina in libro vitae agni qui occisus est ab origine mundi“). Dem Sinn nach müsste ‚von Anfang der Welt‘ (ab origine mundi) jedoch nicht auf ‚erwürgt‘ (occisus), sondern auf das ‚Geschriebenstehen im lebendigen Buch‘ bezogen werden, wie dies alle gängigen modernen Bibelübersetzungen durch Umstellung des Satzbaus kenntlich machen (z. B. Luther 2017: „[…] alle, deren Namen nicht vom Anfang der Welt an 199  Das

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

barung / frucht vnnd brauch nach“205 zu verstehen sei – bestätigt werde. Zudem hätten diese Offenbarungen ekklesiologische und soteriologische Bedeutung, da gemäß der Predigt des Petrus in Apg 10,43 all diejenigen, die diese Zeugnisse „mit glauben angenom[m]en / darauff gebetet vn[d] gestorben sind / die hat er [d. h. Christus, J. R.] für Glieder seiner Kirchen gehalten / im Gebett erhöret / in nöthen geschützet / gerecht vnd selig gemacht“.206 3.3  ‚Vom nützlichen Gebrauch der Passion Christi‘ Den Schluss sowohl der chronologischen Auslegung als auch der Predigt über alttestamentliche Zeugnisse bilden Ausführungen zum ‚nützlichen Gebrauch der Passions Christi‘ mit je unterschiedlicher, aber ergänzender Ausrichtung. 3.3.1  Gegen Sicherheit, Verzweiflung und Eigennutz Die Passion Christi sei „wider drey hochschedliche vn[d] verdamliche anfechtunge täglich vnd ohne vnderlaß“207 zu gebrauchen. Die drei Abschnitte haben wiederum eine parallele Struktur: Nennung der Anfechtung, die Rolle des Teufels, worauf in der Passion geachtet werden soll, exemplarische Personen in der Passionsgeschichte und passende Psalmverse; sie bauen jedoch auch insgesamt aufeinander auf. Didaktisch klug rekapituliert Musäus dabei diverse solcher Aspekte, Szenen und Personen, auf die er bereits in der Auslegung verstärktes Gewicht gelegt hat. (1.) Die erste von Musäus genannte Anfechtung ist „sicherheit vnd künheyt zu sündigen / vnd wider Gottes Gebott vnd das Gewissen zu handeln“.208 Dabei verführe der Teufel, indem er den Zorn Gottes über die Sünde in den Augen des Menschen verkleinere. Entsprechend sei in der Passion auf Gottes strenge Gerechtigkeit über die Sünde zu achten, wie sie an dem ‚um unserer Sünde willen‘ leidenden Christus erkennbar sei „als ein verzehrendt Fewer / so grewlich gebrandt hat / daß er wie ein Wachs geschmoltzen / Blutigen Schweiß geschwitzet / vn[d] geschriehen hat / Mein Gott / Mein Gott / Warumb hast du mich verlassen“.209 Wenn Christus so leiden musste, fragt Musäus, „wie wirdts vns er-

geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes, das geschlachtet ist“). Bereits zu Zeiten der Reformation wurde dies wohl bemerkt, sodass in der überarbeiteten Ausgabe der Lutherbibel von 1544/45 der ‚Anfang der Welt‘ satztechnisch durch eine Virgel abgesetzt wurde (Biblia 1544/45 Bd. 2, fol. CCCCVv): „[…] der namen nicht geschrieben sind in dem lebendigen buch des Lambs / Das erwürget ist / von anfang der Welt“ (vgl. auch WA.DB 7, 453 für die Ausgabe 1546, in der die Virgel durch ein Komma wiedergegeben ist). 205  Musäus, Postilla, fol. CLXXIIv. 206 Ebd. 207  A. a. O., fol. CLXXIr. 208  Ebd. (Hervorhebung J. R.). 209 Ebd.

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gehen / die wir vnsere eygene Sünde haben“?210 Judas und der Schächer zur Linken könnten als Exempel betrachtet werden, die wegen ihrer Unbußfertigkeit ‚zum Teuffel gefahren‘ seien. Wie Jesus gemäß Lk 23,28 riet, angesichts der Passion solle jeder über sich selbst weinen, so müsste, wer Gottes strenge Gerechtigkeit über die Sünde betrachte, „mit Dauid auß dem 6. Psalm / mit zittern vnd zagen beten. Ach HERRE / straff mich nicht in deinem zorn / etc.“211 (2.) Die der ersten Anfechtung entgegenstehende zweite Anfechtung ist die „verzweiffelung an Gottes Genade“,212 dass nämlich der Teufel dazu drängt, nur noch einen unbarmherzigen Gott vor Augen und im Herzen zu haben. Dagegen müsse in der Passion Christus als der Mittler zwischen dem zornigen Vater und ‚uns armen Sündern‘ betrachtet werden, der den bitteren Kelch ‚für uns‘ ausgetrunken und am Kreuz ‚für uns‘ gebetet hat. „Mit seinem consumatum est vnd genugthuung für alle Sünder“213 sei er „vom Vatter angenom[m]en / vnd mit grossen wundern geehret“.214 Petrus und der Schächer zur Rechten stehen exemplarisch für Sünder, die durch die Passion ‚selig gemacht‘ wurden. Wer dies bedenkt, werde getröstet und kann „mit Dauid auß dem 103. Psalm frölich singen. Lobe den HERRN meine Seele / der dir alle deine Sünde vergibt / vnd heylet alle deine gebrechen / barmhertzig vnd gnedig ist der HERR / gedultig vnd von ­grosser güte […]“.215 (3.) Die dritte Versuchung schließlich „ist verdrossenheit im dienst deß nehesten vnd vngedult im Creutz“,216 denn der Teufel verführe zu Eigennutz und Selbstliebe. Der Sohn Gottes habe dagegen unmittelbar vor seinem Leidensweg den Jüngern die Füße gewaschen und seine Nachfolger zu entsprechender „Brüderlicher liebe“217 verpflichtet (vgl. Joh 13,1–20) sowie das ganze Leiden mit großer Geduld ausgestanden. Trotz der sehr eigenen Darstellung des Musäus ist Luthers Anleitung zur Passionsbetrachtung gut erkennbar: Was bei Luther die Betrachtung Christi als sacramentum ausgemacht hat, nämlich das Erschrecken über die eigene Sünde angesichts der Passion und der Glaube aufgrund der Erkenntnis, das Christus die eigene Sünde getragen hat, entspricht in Musäus’ Anleitung dem Gebrauch der Passion gegen die ersten beiden Anfechtungen. Auch Musäus zitiert Lk 23,28 in der Weise, in der Luther diesen Vers als passionshermeneutischen Schlüssel gebraucht hat,218 wobei auffällt, dass er ihn nicht in abgrenzender Weise gegen altgläubige Formen der Passionsfrömmigkeit gebraucht. Es ist daher naheliegend, 210 Ebd. 211 Ebd. 212 

Ebd. (Hervorhebung J. R.). A. a. O., fol. CLXXIv. 214 Ebd. 215 Ebd. 216  Ebd. (Hervorhebung J. R.). 217 Ebd. 218  S. o. Kapitel II.2.2.2; II.2.3.3; II.2.4.2. 213 

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

anzunehmen, dass diese Frontstellung bzw. konkret die Kritik am Mitleiden mit Christus (compassio), die die Verwendung des Verses auch bei Spangenberg prägte219 und die für die Auseinandersetzung altgläubiger Prediger mit den Impulsen Luthers von Relevanz war,220 in der Situation des Musäus keine bedeutende Rolle mehr gespielt hat. Die dritte Anfechtung schließlich entspricht bei Luther der Betrachtung Christi als exemplum, da Geduld im Leiden und Nächstenliebe typische Themen der Vorbildhaftigkeit Christi in der Passion darstellen. Auch bei Musäus zeigt sich demnach – in veränderter Gestalt durch die Anwendung auf Anfechtungen und ohne dass auf begrifflicher Ebene eine direkte Rezeption etwa des Passionssermons erkennbar wäre – die Prägung durch die Passionstheologie Luthers. 3.3.2  Gegen Juden, ‚Türken‘ und ‚Ketzer‘ Die Predigt der alttestamentlichen Passionszeugnisse könne zusätzlich zu dem bereits ausgeführten Gebrauch der Passion gegen die drei Anfechtungen221 in zwei Richtungen gebraucht werden: (1.) Die Kontinuität der Offenbarungen der Passion des Lammes Gottes seit Beginn der Welt widerlege hinreichend „die lesterung der jetzgen Jüden vnd Türcken“,222 die entweder behaupten, die Christen erfinden mit Christus einen neuen Gott oder in Christus zeige sich ein schwacher Gott oder ein unheiliger Gott, der zu Recht zwischen Übeltätern getötet werde. Der Kirche sei der Gekreuzigte vielmehr (vgl. 1 Kor 1) „eine vnüberwindliche krafft vnd weißheit Gottes zur seligkeit / den verdampte[n] Jüden aber ein ergernis / vnd den Griechen / Heyden vnd Türcken / eine Thorheit zum verdamnis“.223 (2.) Zudem könnte das Zeugnis der Propheten „wider alle Ketzer“224 gebraucht werden, denen zufolge das Leiden und Sterben Jesu Christi „nit gnugsam zur gerechtigkeyt vnd seligkeit“225 sei. Als solche identifiziert Musäus zwei Gruppen: „Papisten und Maioristen sagen: Gute Werck sind nötig zur Seligkeit / Die Osiandristen sagen: Die wesentliche gerechtigkeyt der gantzen H. Dreyfaltigkeyt in vns wohnende / mache vns gerecht vnd selig“.226 219 

S. o. Kapitel IV. 2.3. Zusammengefasst in Kapitel V. 6. 221  Am Beginn des Abschnittes „Vom nützlichen gebrauch der Passion Christi“ am Ende der dritten Predigt über die alttestamentlichen Passionsoffenbarungen wird auf den Abschnitt am Ende der zweiten Predigt zurückgeblickt und das dort Ausgeführte zusammengefasst, bevor es dann heißt (a. a. O., fol. CLXXVIIIr): „Aber vber dasselbig / sollen wir auß dieser Predigt der Passion auch lehrnen gebrauchen […]“, woraus ersichtlich ist, dass dieser zweite Text den ersten ergänzen soll. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd. 225 Ebd. 226 Ebd. 220 

4  Christoph Vischer291



Die theologischen Debatten mit Georg Major und Andreas Osiander, die bis dato in den Passionspredigten nicht vorkamen, sind für Musäus also durch den bereits ausgefochtenen Kampf mit den ‚Papisten‘ insofern erledigt, als sie alle die „eynige[] ware[] gerechtigkeyt“227 verachten würden, „welche allein stehet in der Passion Jhesu Christi / welche Gott Vatter auß lauter gnade den gläubigen schencket vnd zurechnet“.228 Musäus verstand sich als Kämpfer für die wahre, lutherische Lehre und entsprechend trat er als scharfer Polemiker auf.229 Seine Passionspredigten hielt er in der Auslegung der Bibeltexte jedoch gänzlich frei von Polemik. Dass diese gleichwohl im Kampf gegen Verfälschungen der Lehre genutzt werden konnten und sollten, wurde in den letzten Äußerungen der dritten Predigt über den ‚nützlichen Gebrauch‘ der Passion deutlich. Die Anwendung dessen oblag jedoch den Rezipienten der Postille.

4  Christoph Vischer Christoph Vischer (auch Fischer/Piscator, 1518–1598)230 gehörte zu jenen kirchenleitenden Personen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die die Anliegen der Reformation auf lokaler Ebene zur Durchsetzung verhalfen.231 Gebürtig aus Joachimsthal, studierte Vischer 1537–1543 in Wittenberg und wurde anschließend Pfarrer in Jüterborg sowie, nach seiner Flucht vor dem Schmalkaldischen Krieg, im nordböhmischen Bensen. Auf Empfehlung Melan­chthons,232 mit dem Vischer bis zu dessen Tod in regem Briefkontakt stand,233 beriefen ihn 227 Ebd. 228 Ebd. 229 

S. o. Kapitel VI.3.1. den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bautz, Art. Fischer; Keller, Art. Fischer; Koch, Art. Fischer; Stupperich, Reformatorenlexikon, 78 f.; zudem die Informationen in: WA.B 10, 682 f. (zu Nr. 4042) und in: MBW Personen Bd. 12, 62 f. Als Geburts- und Sterbejahre gibt es in den unterschiedlichen Artikeln die Angaben 1518, 1519, 1520 einerseits und 1597, 1598, 1600 andererseits. Die oben genannten Daten 1518 und 1598 werden auf guter argumentativer Grundlage in sämtlichen jüngeren Darstellungen vertreten. 231  Arndt, Fischer, 296 drückt dies etwas emphatischer aus: „Die Geschichte der Reformation in den deutschen Landen berichtet nicht nur von jenen großen Männern, Luther und Melan­chthon, Bugenhagen und anderen, die die evangelische Christenheit als ihre Reformatoren dankbar verehrt, sondern sie erzählt auch von Männern, die neben jenen Sternen erster Größe, deren Glanz weithin erstrahlte und niemald verlöschen wird, als Sterne zweiter und dritter Größe das von jenen Großen des deutschen Volkes begonnene Werk der Kirchenerneuerung in ihrem Sinn und Geist fortgesetzt und zu einem guten Ende geführt haben. Zu diesen Männern gehört ohne Zweifel auch ein Mann wie Christoph Fischer (1520–1598), der eine Reihe von Jahren, ja seine besten Mannesjahre von 1552–1574 der Thüringer Kirche gewidmet hat.“ ‚Thüringer Kirche‘ ist insitutionell freilich anachronistisch und lediglich als lokale Bestimmung zu verstehen. 232 Vgl. MBW Regesten Bd. 6, Nr. 6553/CR 7, 1064 f. (Nr. 5196). 233  Vgl. die Auflistung der Briefe in: MBW Personen Bd. 12, 63. 230  Zu

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die Hennebergschen Grafen 1552 zum Nachfolger Caspar Aquilas als Stiftspfarrer und Superintendenten nach Schmalkalden.234 Drei Jahre später wurde Vischer zum Generalsuperintendenten der südthüringischen Grafschaft Henneberg erhoben. Das Amt übte er bis 1571 aus und war anschließend in derselben Grafschaft bis 1574 als Superintendent in Meiningen tätig. Im Süden Thüringens begann das reiche publizistische Wirken Vischers, zu dessen Früchten auch ein umfangreiches Postillenwerk gehört.235 4.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Anders als Wigand und Musäus beteiligte sich Vischer publizistisch nicht an den Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe.236 Die Abgrenzung zu den ‚Papisten‘ einerseits und zu den ‚Sakramentschändern‘ (inklusive ‚Zwinglianern‘ und ‚Calvinisten‘) andererseits war für ihn in der Spur der Wittenberger Reformation dagegen selbstverständlich.237 Vischer veröffentlichte besonders Erbauungsschriften, Bibelauslegungen und Predigtsammlungen  – wobei diese kaum als Gattungen voneinander getrennt werden können. Dies zeigen etwa seine Auslegungen der Lobgesänge aus Lk 2  – das Nunc dimittis des Simeon (1560), das Magnifikat der Maria (1567), das Benediktus des Zacharias (1567) und das Gloria in excelsis Deo der Engel (1568) –, die allesamt aus Predigten hervorgegangen sind und als Erbauungsschriften gedruckt wurden. In den Jahren 1570, 1572 und 1575 veröffentlichte Vischer die drei Teile seiner Postille: den Winterteil mit Auslegungen der Evangelienperikopen von Advent bis Ostern, den Sommerteil von Ostern bis Advent und schließlich einen 234  Seit 1544/45 hatten sich durch die Übernahme des lutherischen Bekenntnisses durch das hennebergische Grafenhaus und die folgende Durchführung von Visitationen die Stadt und das Territorium konfessionell homogenisiert. Bis dahin existierte offenbar ein friedliches Nebeneinander der beiden Konfessionen: Die Bürger Schmalkaldens waren sowohl Untertan des (evangelischen) Landgrafen Philipps von Hessen als auch des (altgläubigen) hennebergischen Grafen und es fanden sowohl evangelische Gottesdienste als auch altgläubige Messen statt. Vgl. zu dieser Ausnahmesituation im mitteldeutschen Raum Lehmann, Einführung. 235  Eine Auflistung der bis 1574 gedruckten Schriften Vischers bietet Arndt, Fischer, 322– 324. 236  Zur Begrifflichkeit s. o. Kapitel VI.1.1 Anm. 14. 237  Ein gutes Beispiel findet sich in der Widmungsrede der Festpostille, in der Vischer über die Problematik christlicher Feiertage schreibt, insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit verstorbenen Heiligen. In der Nachfolge Christi könne man vom Teufel sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite vom Weg abkommen, wie es auch geschehen sei: Erst habe im Papsttum die Praxis der Anbetung der Nothelfer Einzug erhalten und nachdem „solche vnsegliche […] gotteslesterung fundamentaliter aus Gottes wort von den vnsern widerlegt“ (Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [)( vr]) worden sei, hätten Zwinglianer und Calvinisten christliche Feste ganz abschaffen wollen (vgl. a. a. O., fol. [)( v v]). Ebenso solle man beim Umgang mit den verstorbenen Heiligen statt der Anrufung dieser als Mittler einerseits und ihrer Verschmähung, obwohl sie doch Werkzeuge und Gefäße der Gnade Gottes seien, andererseits „die mittelstraß / die die beste was / gehen“ (a. a. O., fol. † 1r), nämlich Gott in ihnen loben, ihrem gottgefälligen Beispiel folgen und sich danach sehnen, ebenso nach Gottes Willen zu leben.



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Festteil. Jeder Perikope wurden drei bis vier Predigten beigegeben. Bereits zuvor, erstmals wohl 1565,238 war eine ‚Kinderpostille‘ erschienen, in der Vischer  – wohl nach dem Vorbild Spangenbergs – die Evangelienperikopen in möglichst basaler Weise für Kinder und ‚einfältige Leute‘ „in kurtze Fragstücklein gezogen“239 hat. Allerdings wurden im Unterschied zu Spangenberg immer dieselben Fragen an die Texte gestellt,240 die durchaus auch für die Predigten der Postille bestimmend sind: Vischer legt die biblischen Texte stets unter der Perspektive der in ihnen enthaltenen Lehren, der Warnungen und des Trostes aus.241 Ein über den Durchschnitt hinausgehender Verbreitungsgrad blieb der dreiteiligen Postille verwehrt; sie erreichte nur wenige Auflagen innerhalb der 1570er Jahre, die fast alle in Schmalkalden gedruckt wurden.242 Damit ist Vischer Teil des in dieser Zeit typischen Phänomens, dass die meisten der zahlreichen Postillen in ihrer Wirksamkeit kaum über die ihres Verfassers als Teil der kirchlichen Obrigkeit in einem bestimmten Territorium hinaus gingen.243 Die Kinderpostille erreichte dagegen eine höhere Auflagenzahl.244 Dass Vischer für die Passionspredigt offenbar eine besondere Leidenschaft entwickelt hatte, zeigen seine beliebten Predigtreihen über die Passion, die selbstständig gedruckt wurden und zu den verkaufsstärksten seiner Schriften gehörten.245 Doch auch die in die Postillen aufgenommenen Predigten liefern ein anschauliches Bild des Passionspredigers. 238  Die früheste im VD16 erfasste Ausgabe der Kinderpostille, nach der auch im Folgenden zitiert wird, ist 1571 erschienen. Da die Vorrede selbst auf 1565 datiert ist, kann von vorherigen Ausgaben ausgegangen werden. Arndt, Fischer, 323 gibt als Erstausgabe einen Druck von 1569 an. In der Bibliotheca Palatina ist unter der Signatur F2904–06 ein Schmalkaldischer Druck von 1566 verzeichnet, der im Titel angibt, „Gestellt vnd auffs newe mit vleis vbersehen“. Entsprechend ist ein 1565er Erstdruck wahrscheinlich, auf den auch die Datierung der unverändert gebliebenen Vorrede passt (vgl. Frymire, Primacy, 512 Anm. 56). 239  Vischer, Kinder Postill, fol. A5v. 240  S. u. Kapitel VI.4.2.3. 241  Die Wendung ‚Lehre, Warnung und Trost‘ als Ziel der Auslegung findet sich auch in den verschiedenen Vorreden und wird mit der Praxis des Paulus begründet (vgl. Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. )( iiijv ; Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [† v v]; Vischer, Kinder Postill, fol. A3r). 242  Sonntagspostille: Schmalkalden: Michael Schmuck 1570/72 (VD16 V 1595–6), Schmalkalden: Michael Schmuck 1573/74 (VD16 V 1597–8) und Leipzig: Hans Steinmann 1576/77 (VD16 V 1600–1); Festpostille: Leipzig: Hans Steinmann 1575 (VD16 V 1599) und Schmalkalden: Michael Schmuck 1577 (VD16 V 1602). Das 1592/93 in Uelzen bei Michael Körner erschienene Werk (VD16 V 1690–1) scheint eine Kurzfassung der Postille Vischers zu sein. 243  S. o. Kapitel VI.1.3. 244  Neben den im VD16 gelisteten Ausgaben von 1571 (VD16 E 4602), 1573 (VD16 E 4604) und 1594/95 (VD16 E 4479/VD16 E 4608) gab es weitere 1566 (Bibl. Pal. F2904–06), 1569 (vgl. Arndt, Fischer, 323), 1576 (Bibl. Pal. F1358–61) und die wahrscheinliche Erstausgabe von 1565. Hinzu kommt eine bei Arndt, Fischer, 323 verzeichnete, 1568 erschienene Postill in Frag und Antwort gestellt, die wohl identisch ist mit der ‚Kinderpostille‘ mit Epistelauslegungen, von der das VD16 eine Ausgabe von 1581 erfasst hat (VD16 V 1678). 245  1561 erschien sowohl eine Auslegung der Passionsgeschichte in 17 Predigten (vgl. Vischer, Gnadreiche Histori) als auch eine Auslegung der sieben Worte Christi am Kreuz (vgl.

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4.2  Zum Charakter der Passionspredigten 4.2.1  Die enthaltenen Passionspredigten Nicht nur die Sonntags-, sondern auch die Kinder- und sogar die Festpostille246 Vischers enthalten Passionspredigten, die sich allesamt von den beiden selbstständig veröffentlichen Predigtreihen über die Passion unterscheiden und sich gegenseitig ergänzen. In der Evangelienpostille wird durch drei sehr lange Predigten die Passionsgeschichte entlang der Bugenhagenschen Passionsharmonie ausgelegt.247 Die drei ebenfalls ausführlichen Karfreitagspredigten der Festpostille sind Themenpredigten, in denen ohne Grundlage eines Perikopentextes – lediglich Jes 53,4–6 ist als Themenvorgabe den drei Predigten voranstehend abgedruckt – ausgeführt wird, warum, wie die und was in der Passion ‚fruchtbar‘ betrachtet werden kann und soll.248 In der ‚Kinderpostille‘ wird schließlich in kurzer Zusammenfassung der Hauptinhalt und der wesentliche Trost der Passion angegeben.249 Sämtliche Passionspredigten kennzeichnet eine überaus bildreiche, anschauliche und mitunter drastische Sprache. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Predigten eine eigentümliche Konvergenz von Inhalt und Form aufweisen, wird in der folgenden Charakterisierung der Predigten der verschiedenen Postillen gefragt: Wie gestaltet Vischer das Zusammenspiel von Gliederung, Rhetorik und theologischen Akzenten (4.2.2–4.2.4)? Anschließend wird Vischer im Horizont der theologiegeschichtlichen Entwicklung der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verortet, indem seine Predigten in die Tradition lutherischer Passionstheologie eingezeichnet werden (4.3.1) und sowohl auf seine expliziten Abgrenzungen von Gegnern (4.3.2) als auch auf eine mehr implizite innerevangelische Debatte (4.3.3) eingegangen wird. Außerdem werden die Aussagen zum Mitleiden mit Christus untersucht (4.3.4), in Vischer, Erklärung […] der siben Wort). 1566 erschien zudem eine 20 neue (!) Passionspredigten umfassende Auslegung der Passionsgeschichte zusammen mit einer (1564 zunächst selbstständig gedruckten) ebenfalls 20 Predigten umfassenden Reihe über Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten (vgl. Vischer, Christliche vnnd Einfeltige Erklerung). Dieses umfassende Werk wurde gemeinsam mit der Auslegung der sieben Worte Christi am Kreuz bis zum Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder aufgelegt (1568, 1572, 1574/75, 1579, 1585, 1600). 246  Es ist im 16. Jahrhundert ungewöhnlich, Karfreitagspredigten in die Festpostille aufzunehmen, da diese, wie auch Gründonnerstagspredigten, in der Regel Teil der Sonntagspostille sind. 247 Vgl. Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. [Bbbb5r]–[Hhhh5r], d. h. 72 großformatige Druckseiten inklusive der abgedruckten Passionsharmonie, die insgesamt ca. 15 Seiten füllt. In der Vorrede der Sonntagspostille bekennt der Thüringer Prediger, „das manche Predigt eben lang worden“ (a. a. O., fol. [)( vr]) sei, und bittet, man möge dennoch geduldig sein und „nicht der Welt brauch nach kurtze jagpredigt begeren / wie die Welt kurtze Predigten vnd lange bratwürst fordert“ (ebd.). 248 Vgl. Vischer, Außlegung […] Fest, fol. O4v–S3r, d. h. 46 großformatige Druckseiten. 249 Vgl. Vischer, Kinder Postill, fol. O4v–P2r, d. h. 12 kleinformatige Druckseiten.

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denen sich eine Verschiebung bzw. Entspannung der Debatte um das von Luther als Missstand angeprangerte250 und von altgläubiger Seite als kontroverstheologisches Zentrum der Passionstheologie und -frömmigkeit wahrgenommene251 Thema niederschlägt. 4.2.2  Die Passionspredigten der Sonntagspostille Die drei Passionspredigten der Sonntagspostille, in denen die Passionsgeschichte chronologisch fortlaufend ausgelegt wird, haben jeweils denselben Aufbau. An den abgedruckten Bibeltext schließen sich drei Teile von abnehmender Länge mit jeweils spezifischer Rhetorik: (1.) Im ersten und umfangreichsten Teil wird jeweils die Passionsgeschichte nacherzählt und erläutert, „was wir fürmenlich daraus zu lernen haben“.252 Dabei geht Vischer nacheinander auf zahlreiche Einzelaspekte und Begriffe, auf Zusammenhänge und Handlungsweisen sowohl Jesu als auch der anderen Akteure (Judas, Petrus, die Juden, Pontius Pilatus etc.) ein, wobei er verschiedentlich darauf hinweist, dass er aus Platz- bzw. Zeitgründen nicht alles behandeln könne.253 Im Anschluss an die Schilderung folgt Absatz für Absatz die daraus zu ziehende Lehre.254 Diese können klassische theologische Aussagen über Gott, Christus, den Menschen, Sünde und Heil sein,255 die Vorbildhaftigkeit Jesu (oder anderer Akteure) vor Augen führen,256 aus verallgemeinerten Aus250 

S. o. Kapitel II.2.3.3. S. o. Kapitel III.3.3. 252  Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. Cccc2v. 253  Vgl. z. B. a. a.O., fol. Dddd1r: „Jch wil jetzt geschweigen / das Christen durchs Geebt der Engel schutz erlangen.“; a. a. O., fol. [Eeee6v]: „Kürtz halben kann ich jetzt dauon nicht sagen / das […]“; a. a. O., fol. Ffff1r: „Jch wil dauon jetzt nicht reden […]“; vgl. auch Querhinweise wie a. a. O., fol. [Cccc5r]: „[…] dauon wir oben am dritten Sontage nach der heiligen drey König tag weitleuffig gehört haben.“ 254  Häufig auch explizit in der Form: „Daraus wir denn fleissig lernen sollen […]“; „Daraus wir lernen […]“; „Es lehret vns auch Christus […]“ (alles a. a. O., fol. Cccc3v). 255  Vgl. z. B. a. a.O., fol. Cccc3v : „Des sollen wir vns versehen  / auff keinen Menschen ­trawen / alle Menschen sind Lügner / Menschen hülffe ist kein nütz.“; a. a. O., fol. Cccc6r: „Daraus wir lernen / das Christus willig vnd gerne leidet / aus hertzlicher brünstiger liebe gegen vns“; a. a. O., fol. Cccc6r: „Vnd ob wir gleich in vnserer feinde hende beschlossen weren / so sind doch Gott seine hende nicht gebunden / er kann vns dennoch wunderbarlich erretten.“; a. a. O., fol. Eeee4r: „Vnbusfertigkeit ist der riegel / den wir für Gottes gnade schieben / damit vns dieselbige nicht zu teil werde.“; a. a. O., fol. Ffff2v : „Die Menschen fürchten sich viel mehr für den Leuten / denn für Gott.“; a. a. O., fol. Hhhh1v : „Weiter lernen wir hieraus / das Christus warer natürlicher / rechter / leibhafftiger Mensch sei / weil der Kriegsknechte einer in seinen leib sticht / vnd daraus Blut vnd Wasser fleust.“ 256  Vgl. z. B. a. a.O., fol. Dddd2r: „Wir sollen vns des Euangelij nicht schemen / das eine krafft Gottes ist zur seligkeit allen die daran gleuben“; a. a. O., fol. Gggg2r: „Christus tregt sein Creutz gedultig / Also sollen wir auch in vnserm creutz gedultig sein“; Christi Gebet am Kreuz „Lehret vns auch / das wir nicht böses mit bösem vergelten / sondern das böse mit gutem vberwinden / vnsern feinden glüende kolen auffs heubt schütten / für sie bitten / vnd wenn sie vns fluchen / sie segnen sollen“ (a. a. O., fol. Gggg3v). 251 

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sagen über das einfache Volk, die weltliche und geistliche Obrigkeit, das Predigtamt, bestimmten Handlungsweisen etc. Analogien zur Gegenwart bilden257 oder auch das Alltagsleben und christliche Gebräuche betreffen.258 Vischers anschauliche Predigtweise kommt besonders zum Tragen, wenn die Begebenheiten in der Nacherzählung der biblischen Geschichte ausgemalt,259 (mögliche) Empfindungen und Handlungsmotive der Akteure geschildert260 und einzelne Worte Jesu erläuternd zu längeren Redepassagen ausgebaut werden.261 257  Vgl. z. B. a. a.O., fol. Eeee4v : „Vnd wie die Juden hie thun / also folgen jnen vnsere Papisten nach“; a. a. O., fol. [Eeee5v] (Pilatus betreffend): „An der klage ist jm am meisten gelegen / der Religion nimpt er sich gar nicht an / Wie leider noch viel Regenten wenig sich vmb die Religion / sondern viel mehr vmb das zeitliche bekümmern.“; a. a. O., fol. Ffff1r: „Es ist mit des gemeinen Mannes gunst wie mit Aprillen wetter gewant“; a. a. O., fol. Ffff2r: „Also sollen alle Regenten stets diese trewhertzige vermanung Christi zu hertzen füren / vnd bedencken / das sie Stadthalter Gottes sind“; a. a. O., fol. Gggg3v : „Wie Christi leib vnd gut preis gegeben wird / Also wird es den Christen auch gehen / jr hab vnd gut wird confiscirt vnd eingezogen werden / Wie wir leider an denen orten / da die Christen erwürget werden / sehen vnd erfaren.“ 258 Vgl. beispielsweise zum häuslichen Gebet bei den Mahlzeiten (a. a. O., fol. Cccc2v– Cccc3r): „JNdem Jhesus den Lobgesang mit seinen Jüngern nach dem sie das Osterlemblein gessen / spricht / lehret er vns / das wir nicht zum tische vnd dauon / wie die Saw zum troge / lauffen sollen / wie Judas zuuor vn[d] ehe dauon leufft / ehe das Gratias gesprochen. Alle die jenige[n] / die Gott für die entpfangen wolthat / speise vnd tranck / nit dancksagen / sind rechte Judas kinder / Rechte Christe[n] folgen jrem lieben Herrn Christo / von dem sie jren namen vnd ehrentittel haben / vnd heiligen durch die dancksagung die speise / alles was sie thun / mit worten oder wercken / sie essen vnd trincken / so thun sie es alles im namen vnsers Herrn Jhesu / vnd dancken Gott vnd dem Vater durch jn.“; zum Generationenverhältnis ausgehend von Joh 19,26 f. (a. a. O., fol. Gggg4r): „Er lehret vns auch / das wir vnser lieben Eltern nicht vergessen / sondern sie ehren vnd versorgen sollen / wie wir dauon im vierden gebot weiter hören.“; zur Tradition der Leichenpredigt (a. a. O., fol. [Gggg6v]): „Wie es eine feine Christliche gewonheit ist / das man den verstorbenen Leichenpredigten thut / Also thut hie der Heubtman sampt dem Volck / dem Herrn Christo auch eine schöne Leichpredigt“; zur Sepulkralkultur (a. a. O., fol. Hhhh2v): „Wir Christen sollen / vns zum trost / vnsere verstorbene Christen ehrlich zur Erden bestatten / Sollen auch dem exempel der andechtigen Matronen nach gerne bey vnd neben den Begrebnissen sein / vnd allda beide vnsere sterbligkeit vnd aufferstehung von den todten behertzigen“. 259  Vgl. z. B. die Schilderung der Kreuzigung a. a. O., fol. Gggg3r: „Sie werffen jn zu der Erden nider / spannen / dehnen vnd zerren seine heilige arm vnd beine aus / das man jm alle rieben im leibe hette zelen mögen / durchporen vnd durchlöchern mit grossen scharffen Nageln / wie er im 22. Psalm selbs von jm auff / werffens mit grosser vngestümigkeit in die Erden / darob sein gantzer heliger leib erschuttert / vnd jm alle seine wunden vnd striemen auffspringen / das er sein thewres allerheiligstes Blut mitldiglich vergeust.“ 260  Vgl. z. B. die Szene des Verrats Jesu durch Petrus a. a. O., fol. Dddd1v : „Wie nu Petrus sich bey dem kolfewer wermet / erkaltet sein Hertz gar gegen Christo / So bald eine Magd seiner ansichtig wird / jn nicht aus zorn oder bewegtem gemüte / sondern aus mitleiden fraget / ob er nicht auch Jhesu zustehe / leugnet er für allen / er sey es nicht / kenne auch sein nicht / wisse auch nicht was sie sage / gehet also hinaus / da krehet der Han.“ 261  Vgl. z. B. Jesu Antwort auf die Frage des Hohepriester, ob er der Christus sei, a. a. O., fol. Dddd2v : „Du sagests / Jch bins / Jch bedeute jn nicht / wie die alten Ostern vnd andere ­Opffer mich / das ware Osterlemblein vnd rechte einige Opffer / bedeutet haben / Sondern ich bin warhafftig der Schlangentreter / der alle Völker auff Erden gesegnen / ein ewiges Königreich / als ein Stulerbe Dauids / auff dem Stul meines Vaters stifften / durchbrechen / vnd meine



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(2.) Der zweite und kürzere Teil der Predigten behandelt jeweils den ‚Nutzen und Trost‘, der in den zuvor erläuterten ‚Historien‘ liegt. Ziel dieses Predigtabschnitts ist, in besonderer Klarheit herauszustellen, dass Christus ‚um unseretwillen‘ und ‚für uns‘ gelitten hat und gestorben ist, dass er allein die Erlösung der Menschen vollbringen konnte und vollbracht hat und dass deshalb allein in ihm Trost und Hoffnung sind. Dafür wird die Exklusivität Jesu Christi durchgängig in antithetischen Gegenüberstellungen herausgearbeitet und mithilfe aller zur Verfügung stehenden Bildlichkeit vor Augen geführt. In den meisten Fällen geht es – nach dem Schema ‚Er macht / lässt sich …, damit wir (nicht) …‘ – um den Kontrast zwischen Christus und ‚uns‘ als den Verursachern der Passion und Adressaten von deren Nutzen und Trost.262 Es kann aber auch die Antithetik zwischen Christus und dem – als dauerhaft aktiv handelnd dargestellten – Teufel263 oder zwischen dem ersten, irdischen Adam und dem ‚himmlischen Adam‘ dargestellt werden,264 wobei auch hier Christi exklusives Heilswerk ‚zu unseren gefangene aus der gruben da kein Wasser innen ist / durch das blut des Testaments erlösen / des Todes Todt / der Hellen gifft vnd Pestilentz sein / den Todt in sieg verschlingen / den Teuffel in die eisen schlagen / das blutige Raubschloss der Hellen zubrechen / vnd den verschlossenen Himel allen Gleubigen wider eröffnen soll vnd wil. Die warheit sol man frey öffentlich vnuerholen bekennen / ob wir gleich darüber leib vnd leben einbüssen solten.“ Aus dem Zitat wird ein weiteres Charakteristikum der Predigten Vischer deutlich: Es wird sehr häufig auf alttestamentliche Begebenheiten vergleichsweise hingewiesen, die über die typischen Figuren und Verheißungen der Passion Christi, wie sie in zeitgenössischen Passionspredigten zahlreich vorkommen, hinaus gehen. Dabei werden sie nur selten erläutert, sodass zu ihrem Verständnis ein nicht geringes bibelkundliches Wissen vorausgesetzt werden muss. 262  Vgl. z. B. a. a.O., fol. Ffff4r: „Er bereitet vns einen gnadenreichen Heilbrunnen oder Gnadenmeer / darinnen er alle vnsere Sünde ertrencke vnd erseuffe / vnd ein recht heil oder stichpflaster wider vnsere mördliche Wunden bereite. Er macht vns von ewiger seruitut vnd dienstbarkeit frey / das wir Himlische Freyherrn werden. Er wil vns mit gnaden / mit der vnuerwelcklichen Krone der ehren krönen / vnsere schuld mit seiner vnschuld bedecken / vns mit dem Ehrenkleid seiner Gerechtigkeit zieren / vnd zu Himlischen ehren befördern. Er lest sich / als einen Lügner / wie Micha der Prophet / auff den backen schmeissen / das er für vnsere lügen büsse / vns mit dem warhafftigen Gott vnzertrennlich vereinige. Er lest sich ver­speyen / damit vns nicht alle Teuffel in ewigkeit mit Hellischem fewer anspeyen. Er lest sich von Pilato heraus füren / vnd ist ein freudenspiel den Juden / damit wir nicht allen Teuffeln ein freudenspiel in abgrund der Hellen werden dürffen.“ 263  Vgl. die Interpretation des Gebets Jesu in Gethsemane als Schlacht zwischen ihm und dem Teufel (a. a. O., fol. Dddd3v–Ddd4r): „Derwegen sol vns diese Historien / weil vns die augen offen stehen / nicht entfallen / weil da der Schlangentreter mit der alte[n] Schlangen / Michael mit dem Drachen / der Hertzog des lebens mit dem Fürsten des todes / der Fürst der warheit mit dem Ertzlügner / das Liecht mit der finsternis / die Gerechtigkeit mit der vngerechtigkeit / Gottes natürlicher Son mit dem Ertzfeinde Gottes / der liebhaber der Menschen / mit aller Menschen geschwornem feinde / der demütige Herr mit dem stoltzen Böswicht vnd aller hoffart Vater vnd vrsprung / ein treffen thut / vnd vmb das gantze Menschliche geschlecht kempfet vn[d] streitet / ob es selig oder verdampt / verflucht oder gesegnet / Hellebrende oder Himelsfürsten / Gott oder dem Teuffel im leid oder in freuden ewig beywonen solle.“ 264  Vgl. a. a. O., fol. Dddd4v : „Wie der jrrdische Adam seine hende ausstrecket / vnd von dem verbotenen Baum brach / vnd asse / damit Gott erzörnet / vnd vns in die Sünde / des Gesetzes fluch / den zorn Gottes / vnter des Teuffels gewalt / in Tod / in das blutige Raubschloss

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Gunsten‘ herausgestellt wird. In der dritten Predigt werden im zweiten Teil die einzelnen Aspekte des Geschehens – das Kreuz, die beiden Mörder, Jesu Nacktheit und die Kleider, die Dornenkrone, Jesu Traurigkeit, die Verspottung, das Gebet am Kreuz, Jesu Mutter und Johannes unterm Kreuz, die Finsternis, Jesu Durst, der Hauptmann, die Seitenwunde und die Grablegung – nacheinander in dieser Weise mit Blick auf den darin liegenden Trost durchgegangen. Dieser Teil der Predigten verdeutlicht, dass alle Ereignisse rund um die Passion als Heilsereignisse verstanden werden können: „Wie aber Christus eine dörne Krone treget / Also wil er vnter den dörnen der widerwertigkeit vnser Patron vn[d] Schutzherr sein / henget auch darumb seine füsse vnterwarts / das er den Satan / sampt allen seinen Hellischen pforten / vnter seine vnd vnsere füsse trete. Er neiget sein Heubt / anzuzeigen / das er vns jederzeit gnedige audientz geben / vnd vnser gebet erhören wölle.“265

(3.) Im letzten und jeweils kürzesten Teil der Predigten geht es darum, wie man den zuvor ausgeführten Nutzen und Trost der Historien gebrauchen soll, denn: „Was wer es vns nütz / wenn wir gleich viel güter hetten / vnd wüsten der nit zu gebrauchen? Wenn wir gleich heilsame artzney hetten / vnd könten sie nicht nützen? Eben so wenig wer vns das höchste gut vnd die krefftigste Selenartzney des Leydens Christi nütz / wenn wir sie nicht wüsten wol anzulegen vnd zu gebrauchen.“266

Die Anwendung der ‚Seelenarznei‘ und das ‚Anlegen‘ des ‚Gnadenschatzes‘ wird – wie im Schlussabschnitt von Luthers Passionssermon – kasuistisch formuliert: „Wenn nu der Satan / das Gesetz Gottes / vnd vnser gewissen / vns vnser schlaffende Sünde auffwecken / vns so weh / angst vnd bange machen […] So last vns mit warem glauben Christum vnser eigenthumb vn[d] erbgut ergreiffen / vnd mit jm / als dem starcken gewissen Schilde […]“.267

Der Aufbau der Predigten, so lässt sich resümieren, folgt einem klaren Schema – (1.) die Historie und ihre Lehren, (2.) der Nutzen und Trost der Historie, (3.) der Gebrauch des Nutzens und Trostes der Historie –, in dem jeder Teil von einem bestimmten Sprachstil gekennzeichnet ist, der dessen homiletischtheologischer Absicht entspricht: Die Passionserzählung wird um der besseren Vorstellbarkeit veranschaulichend nacherzählt und daraus abzuleitende Lehren werden erläutert. Der Trost wird theologisch aus dem soteriologischen solus der Hellen / vnd in das erschreckliche ewige verdamnis damit gestürtzt: Also hat hergegen der Himlische Adam seine vnschüldige hende binden lassen / damit er vns aus der Sünde zur gerechtigkeit / die für Gott gilt vnd bestehet / aus dem fluch in segen / aus Gottes zorn in Gottes hulde / aus des Teuffels fewrigen klawen in des heiligen Geistes trost / schutz vnd schirm / aus dem Tode ins Leben / aus der Helle in Himel / aus der verdamnis in die ewige Seligkeit versetze.“ 265  A. a. O., fol. Hhhh4r. 266  A. a. O., fol. [Dddd5v]. 267 Ebd.

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Christus gewonnen, was sprachlich durch die Gegenüberstellung von Christus und ‚uns‘ (‚er …, damit wir …‘) ausgedrückt wird. Der Gebrauch dessen wird schließlich von Fall zu Fall unterschieden (‚wenn …, dann …‘), wobei dies am Ende der Predigt nur noch recht allgemein vorgegeben wird und der individuellen Anwendung durch die Rezipienten in entsprechenden Situationen bedarf. 4.2.3  Die Passionsauslegung der ‚Kinderpostille‘ In der Vorrede seiner ‚Kinderpostille‘ gibt Vischer an, dass er die Bibeltexte „auff einerley forme vnd weise“268 auslegen wolle, nämlich „Erstlich die Summa vnd inhalt / Folgende die fürnembsten Lehren / Zum dritten / die Heupttröste kürtzlich erzelet / Vnd zum vierden / die Lehren vnd Trost in ein kurtz Gebetlein verfasset“.269 Dieses auch in der Passionspredigt angewendete Schema270 entspricht also weitgehend demjenigen der Passionspredigten der Sonntagspostille, wobei lediglich Inhalt und Lehre in zwei Abschnitten nacheinander folgen und die Darlegung der Applikation des Trostes in ein Gebet transformiert wurde. Auch inhaltlich und rhetorisch wirkt die Predigt der ‚Kinderpostille‘ wie eine elementarisierte Kurzfassung der ausführlichen Passionsauslegung der Sonntags­postille. Die (1.) Inhalte werden entlang der sechs Hauptstationen Abendmahl, Gethsemane, bei Hannas und Kaiphas, bei Pilatus, Kreuzgang und Golgatha sowie das Grab geschildert. Als (2.) Lehren werden zunächst allgemein das Hüten vor Sünden und dass es sich bei Christi Tod um das einzige Sündenvergebung ermöglichende Opfer gehandelt habe genannt, bevor einzelne Lehren aus den Akteuren der Passionsgeschichte (Christus, Judas, die Jünger, die jüdische Obrigkeit, Pilatus, die unvernünftige Schöpfung, dem rechten Schächer, dem Hauptmann, Joseph von Arimathäa und Nikodemus) gezogen. Die Rhetorik ändert sich wiederum grundlegend bei der Darlegung (3.) des Trostes aufgrund der Exklusivität der Person Christi und seiner Heilstat, indem ‚er‘ und ‚wir‘ kontrastiert werden (‚Er hat …, damit wir nicht …‘). Als wichtiger Trost wird zudem aufgeführt, dass all das, was in der Passion geschieht, „zuvor im rath der heiligen Dreyfaltigkeit beschlossen / vnd in der heiligen Schrifft ausgesprochen“271 sei – ein Trostmotiv, dass regelmäßig in den Passionspredigten des 16. Jahrhunderts begegnet. Schließlich werden (4.) die in Lehre und Trost dargelegten Aspekte in einem Dank- und Bittgebet gebündelt, wobei sich der Dank auf die Liebe Christi als 268 

Vischer, Kinder Postill, fol. A5v.

269 Ebd.

270  Vgl. die als Auffoderungen oder in Frageform verfassten Zwischenüberschriften: „Sage mir den Jnnhalt dieses Euangelij.“ (a. a. O., fol. O5r); „Was soll ich fürnemlich aus dieser Historien lernen?“ (a. a. O., fol. [O6v]); „Was sol ich für einen Trost aus dieser Historien nemen?“ (a. a. O., fol. [O8r]); „Stele mir die Lehren vnd Trost in ein kurtz Gebetlein.“ (a. a. O., fol. P1v). 271  A. a. O., fol. P1r.

300

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Grund seiner Lebenshingabe ‚für mich‘ bezieht und die Bitte auf die Wirkung der Passion im eigenen Leben und Sterben gerichtet ist. 4.2.4  Die Passionspredigten der Festpostille In den drei Predigten der Epistelpostille will Vischer – in Ergänzung zu den chronologischen Passionsauslegungen272  – zusammenfassend begründen, warum man die Passion ‚fruchtbar‘ betrachten soll (Predigt 1), und ausführen, welche „acht Pünctlein […] gar nütz vnd bequem sein / zur heylsamen fruchtbaren betrachtung“273 der Passion (Predigt 2 und 3). In den höchsten Tönen hebt Vischer zu Beginn der ersten Predigt die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi hervor: es sei „Vnser höchster schatz / edelstes / thewerstes / werdestes kleinot“,274 da es sowohl die Erlösung von allem Übel als auch alle erstrebenswerten Güter in Ewigkeit bringe;275 es sei das ent- und unterscheidende Kennzeichen der Christen,276 das die Verwandlung von Trauer in Trost bringe;277 es sei „der kern / marck / safft vnd krafft / vnd wie es die Alchimisten nennen / die quinta essentia der heiligen Schrifft“;278 darauf hätten sich bereits alle Patriarchen, Propheten und Könige im Alten Testament gefreut279 und die Christen leben nun daraus, dass sie ‚in Christus alles haben‘, wie Vischer mit Ambrosius und Paulus ausführt.280 Neben Ambrosius 272  In der zweiten Passionspredigt der Festpostille verweist Vischer auch explizit auf die chronologische Passionsauslegung in der Sonntagspostille (Vischer, Außlegung […] Fest, fol. Q4r): „Jn meinen Predigten / die ich vber die Passion ausgehen lassen / deßgleichen im ersten teil meiner Postill / am Charfreytag / hab ich weitleuffig vnd stückweis solches leiden vnsers allerliebsten HErrn Christi erzelet“. Und a. a. O., fol. Q4v : „Da disses alles wieder hie erholet werden sollte / würde es eine gerawme zeit erfordern / darumb wil ich den Christlichen Leser in bemelte meine schrifften remittiren vnd weisen / da mag ers auff suchen / wenn erst lust zulesen hat.“ 273  A. a. O., fol. [P6r]. 274  A. a. O., fol. O4v. 275  Vgl. ebd.: „[…] ohne welches wir in ewigkeit / vnter allen Teuffeln / marter / qual / vnd hellische pein leiden / dazu sterben vnd verderben müssen in ewigkeit / Vmb deß artickels willen empfangen wir gnedige vergebung der Sünden / den heiligen Geist / vnd endtlich das ewige leben / die jmmerwerende frewde vnd seligkeit / […] dardurch erlangen wir die hochheilige oder hochwirdige kindschafft Gottes“. 276  Vgl. ebd.: „[…] dardurch warden wir von allen andern völckern vnd Religionen auff erden abgesondert“. 277  Vgl. a. a. O., fol. O4v–[O5r]: „Wer sich mit warem starcken glauben auff diesen trostreichen artickel stönet vnd verlest / der bekömpt im leid frewd / in trawrigkeit bestendigen trost / in schanden ehre / im fluch den segen / in Sünden gerechtigkeit / im todt das leben / in der helle den himel / in der verdamnis die ewige seligkeit.“ 278  A. a. O., fol. [O5v]. 279  Vgl. a. a. O., fol. [O5v]–[O6r]. 280  Vgl. a. a. O., fol. [O5r]: „Der heilige Ambrosius sagt / Omnia habemus in Christo; & omnia nobis Christus, das ist / Wir haben alles in Christo / vnd Christus ist vns alles / wie auch S. Paul in der I. zun Cor. am 3. [Vers 21–23] sagt / Alles ist ewer / Es sey Paulus oder Apollo / Ke-



4  Christoph Vischer301

werden auch Bernhard von Clairvaux und Augustin mehrfach angeführt,281 die allesamt in Kombination mit diversen Bibelstellen die nicht zu überschätzende Relevanz der Passion Christi und ihrer möglichst täglichen Vergegenwärtigung im Alltag herausstellen, zu welcher Vischer sehr konkrete Vorschläge macht.282 Um jedoch noch weiter zur Betrachtung der Passion zu motivieren, werden daraufhin neun Gründe genannt, von denen die ersten vier ausführlicher erläutert werden: die Hoheit und Würde der Person Christi,283 weil man in der Passion „Gottes des Vaters / vnd Gottes deß Sons hertz / sinn / mut vnd willen“284 besser erkennen könne, aufgrund ‚unserer‘ großen Not und dem unaussprechlich großen Nutzen der Passion,285 um der Dankbarkeit willen,286 um die grophas oder die welt / leben oder tod / gegenwertiges oder zukünfftiges / jr aber seid Christi / Christus aber ist Gottes“. Das Zitat stammt aus Ambrosius, De virginitate XVI (in: PL 16, 305C). 281  Bei der Autoritätenverwendung Vischers fällt auf, dass er die Kirchenväter Ambrosius, Augustin und Irenäus (zu letzterem s. u. Kapitel VI.4.3.3) – bzw. was er diesen zuschreibt – auf Latein zitiert und anschließend eine Übersetzung angibt (vgl. beispielsweise Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [O5r]; fol. [O6r]; fol. [P5r]), während Zitate Bernhards von Clairvaux  – bzw. des Bernhard zugeschriebenen erbaulichen Schrifttums  – (vgl. beispielsweise a. a. O., fol. [O5v]; fol. Q1v ; fol. R1r) direkt auf Deutsch wiedergegeben werden. Dass bei Vischer Augustin und Bernhard die am häufigsten erwähnten und zitierten Autoritäten darstellen, entspricht der These, die bereits Paul Althaus d. Ä. in seinen Studien zur lutherischen Gebetsliteratur aufgestellt hat: Die Frömmigkeit des Luthertums wurde seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht unwesentlich durch eine „augustinisch-bernhardinische Mystik des Mittelalters“ (Althaus, Gebetsliteratur, 61) geprägt, die nicht nur in der Gebetsliteratur feststellbar ist, sondern die sich auch in der zeitgenössischen Predigt niederschlägt, wofür Vischers Passionspredigt nur ein Beispiel darstellt. (Die problematische historiographische Einschätzung dieser Beobachtung, dass es sich dabei um ein „Einströmen der mystischen Stoffe in die ganz anders geartete evangelisch-reformatorische Literatur“ [a. a. O., 62] handle, ist aufgrund der zahlreichen neueren und differenzierteren Arbeiten zum Thema Reformation und Mystik freilich nicht zu halten.) Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass in dieser Frömmigkeitstradition diverse Literatur unter den Namen Bernhards und Augustins kursierte (vgl. dazu auch das Beispiel bei Habermann in Kapitel VI.5.3.2. Anm. 441) und dass die beiden Autoritäten im Grunde kaum noch als je eigene theologische Positionen wahrgenommen wurden. Sprechend ist in diesem Zusammenhang, dass ein von Vischer gleich an zwei Stellen zitierter Satz (vgl. Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [O6r]: „Turbabor, sed non perturbabor, quia vulnerum Christi recordabor“; vgl. a. a. O., fol. R4v), den er Augustin zuschreibt, tatsächlich aus Bernhards Hoheliedpredigten stammt (vgl. Bernhard, SC 61, in: Opera II, 150,11 f.). 282  Vischer empfielt die Erinnerung der Passion beim abendlichen Ausziehen der Kleidung (Entkleidung und Geißelung Christi), beim Schlafenlegen (wie Christus ‚um deinetwillen‘ gestorben ist), beim Ankleiden am Morgen (Umlegen des Purpurmantels Christi), beim Kämmen (Dornenkrone) und beim Gürten (Gefangennahme und Bindung Christi), vgl. a. a. O., fol. [O6r]. Zudem gäben Lebenssituationen wie Armut, Schmerzen, unerwünschte Umstände, Verspottung und Lästerei Anlass zur Passionsmeditation, vgl. a. a. O., fol. P1r. „Summa / damit es nicht zu lang werde / so wisse / das dein gantzes leben / auch dein todt / vnd aller dein zustand / dich der gnadenreichen / hochtröstlichen / nützlichen Historien erinnern sol“ (a. a. O., fol. P1r). 283  Vgl. a. a. O., fol. P1v. 284 Ebd. 285  Vgl. a. a. O., fol. P3v–P4r. 286  Vgl. a. a. O., fol. P4v–[P5r].

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ßen Tugenden Christi zu erlernen,287 weil es Gott geboten hat288 und er das Nichtbeachten unter Strafe gestellt hat,289 weil die Passion „ein trefflicher / schöner / lieblicher / lustiger Würtzgarten ist / daraus wir vns erlüstigen können“290 mit dem frischen Duft gegen den stinkenden Teufel und weil schließlich schon die Patriarchen, Propheten und Könige sich nach dem ausgestreckt hätten, was nun vollbracht worden und deshalb zugänglich sei.291 Auf die ‚appetitanregende‘ erste Predigt292 werden in den beiden folgenden die Hauptinhalte erläutert, nämlich wer leidet,293 was er leidet,294 warum er leidet,295 wie er leidet bzw. wie er sich im Leiden verhält,296 wozu er dies erleidet,297 für wen er leidet,298 wo die durch die Passion erworbenen ‚göttlichen Gnadenschätze‘ ausgeteilt299 und schließlich wie sie empfangen werden.300 Da die Predigten nicht wie diejenigen der Sonntagspostille gegliedert sind, gibt es auch nicht deren rhetorisch unterschiedene Teile. Häufig wechseln jedoch erklärendargumentative und veranschaulichende Abschnitte, wobei für letztere zahlreiche Bilder und Vergleiche aus unterschiedlichen Lebensbereichen verwendet werden.301 Verschiedentlich lässt Vischer Zitate von Augustin und Bernhard, verein287 

Vgl. a. a. O., fol. [P5r]. Vgl. a. a. O., fol. [P5r–v]. 289  Vgl. a. a. O., fol. [P5v]. 290 Ebd. 291  Vgl. ebd. 292  Die Metapher gebraucht Vischer selbst (a. a. O., fol. P1r–v): „Wie man offt Kindern vnd krancken leuten die speiß lobet / wie edel / wie köstlich sie sey / damit man in jnen einen appetit dazu erwecke / das sie gleich vber macht ein bißlein dauon essen / vnd es versuchen: Also sind jr viel vnter den Christen so kindisch / das sie den großmechtigen nutz der Passion nicht verstehen / Viel sind in Sünden kranck / denen das Gnadenmahl wie Bonenstro schmecket / Denen zu nutz wil ich kürzlich hochnotwendige vnd großwirdige vrsachen vermelden / die vns zu fleissiger wirdiger anhörung vnd betrachtung der gnadenreichen Historien erwecken sollen.“ 293  Vgl. a. a. O., fol. [P6r]–Q3v. 294  Vgl. a. a. O., fol. Q3v–[Q5r]. 295  Vgl. a. a. O., fol. [Q5r]–R2r. 296  Vgl. a. a. O., fol. R2v–R3v. Mit diesem Abschnitt beginnt die dritte Predigt. 297  Vgl. a. a. O., fol. R3v–R4v. 298  Vgl. a. a. O., fol. [R5r]–[R6v]. 299  Vgl. a. a. O., fol. [R6v]–S1r. 300  Vgl. a. a. O., fol. S1r–S3r. 301  Einige Beispiele: Die Art, wie Christus durch seinen Tod den Teufel besiegt, wird mit dem  – nach antikem Volksglauben, von dem Plinius der Ältere berichtet (vgl. Naturalis Historiae VIII, Cap. XXXVI–XXXVII / § 88–90 [König/Winkler, 70–73])  – listigen Agieren des Ichneumons gegenüber dem Krokodil verglichen (vgl. Vischer, Außlegung […] Fest, fol. Q2r). Zur Veranschaulichung dessen, dass „vnser leben […] eine stette busse sein“ soll (a. a. O., fol. [Q5v]; Vischer nennt weder an dieser noch an irgendeiner anderen Stelle den Namen Luthers, auch wenn es sich angesichts des Zitats der ersten von dessen 95 Thesen angeboten hätte), wird ein Vergleich aus der Pflanzenzucht bemüht: die Wirkweise der Sünde wird durch den Vergleich mit Quecksilber veranschaulicht (vgl. a. a. O., fol. [Q6v]). Das Verhalten von Waldvögeln, die sich vor bevorstehendem Unwetter in einem hohlen Baum verkriechen, dient zur Verdeutlichung des Umgangs mit ‚geistlichen‘ Gewittern, die „der rechte Wettermacher vnd Zeuberer / der leidige Teuffel“ (a. a. O., fol. S2v) verursacht usw. 288 

4  Christoph Vischer303



zelt auch von Irenäus und Chrysostomus einfliesen.302 Das auffälligste sprachliche Merkmal der Predigten – neben dem Metaphernreichtum – ist die Vielzahl an Aufzählungen von Substantiven, Adjektiven oder Verben, die sich in nahezu jedem Satz finden und diese nicht selten recht lang werden lassen.303 Inhaltlich bewegt sich Vischer mit all seinen Ausführungen im Rahmen der von Wittenberg ausgegangenen reformatorischen Tradition, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts etabliert hat.304 Die Besonderheit seiner Predigten liegt insofern v. a. in ihrer sprachlichen Gestalt. Dennoch lässt sich an einigen passionstheologisch relevanten Aspekten zeigen, dass nicht bloß einlinig Lehren und Aussagen Luthers wiederholt wurden, sondern eine gewisse Variationsbreite entstanden war und mitunter auch das Verhältnis zu den (altgläubigen) Gegnern differenzierter wahrgenommen werden konnte. 4.3  Kontinuität und Spezifika 4.3.1  Grundlegende Kontinuität Die Passionspredigten Vischers stehen grundsätzlich in der Kontinuität reformatorischer Passionstheologie. Luthers Unterscheidung zwischen der Passion Christi als sacramentum und als exemplum mit Betonung und Vorrangstellung des sacramentum305 wird zwar bei Vischer nicht terminologisch, aber in der klaren Kennzeichnung dessen, was Christus ‚für uns‘ getan hat, und der davon unterschiedenen Vorbildhaftigkeit Christi sachlich immer wieder herausgestellt. Dies wird etwa in der Gliederung der Predigten der Sonntagspostille und der ‚Kinderpostille‘ durch den jeweils zweiten bzw. dritten Predigtteil über den ‚Trost der Historien‘ deutlich, der auch rhetorisch erkennbar die soteriologische Exklusivität der Passion Christi als Grund des Trostes hervorhebt.306 Doch auch an verschiedenen Stellen innerhalb des Lehrteils der Predigten der Sonntagspostille und der ‚Kinderpostille‘sowie in den Predigten der Festpostille wird der Unterschied bzw. die doppelte Perspektive betont.307 302 

Zur Autoritätenverwendung s. o. Anm. 280 f. dies an einem beliebigen Beispiel zu illustrieren (a. a. O., fol. Q2v): „Darumb sollen wir alle vnsere schuld / Sünd vnd missethat / all jammer vnd elend auff Chfristum Jhesum / vnsern allmechtigen Sündentreger / rückenhalter vnd friedenschildt werffen / der tröstlichen / gewissen / gleubigen zuuersicht / er werde vns / laut vnd vermög seiner gnadenreichen verheissung / seinen gnadenfinger reichen vnd bieten / vnd vns seiner gütigen gantz getrewen art nach / wenn vns der adem erligen wil / auff seinen allmechtigen breiten rücken vnd machtschultern fassen / vnd aus dem betrübten jammerthal in den himlischen frewdensaal tragen / Er stehet auff starcken / gewissen beinen / last vns nur keine andere mittel / wege vnd stege zur seligkeit suchen / Niemandts kömpft zum Vater / denn durch jhn.“ 304 Vgl. Kolb, Enduring Word, 239–465. 305  S. o. Kapitel II.2.7. 306  S. o. Kapitel VI.4.2.2. 307  Sonntagspostille: Zu Beginn der dritten Predigt wird zunächst Christus selbst („Christus tregt sein Creutz gedultig / Also sollen wir auch in vnserm creutz gedultig sei“ [Vischer, 303  Um

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Auch das Gegenüber von Erschrecken und Glaube als den beiden Wirkweisen der Betrachtung der Passion Christi als sacramentum bei Luther308 hat in den Predigten Vischers Entsprechungen, wobei dieser mit Vorliebe von der Passion als Zorn- und Gnadenspiegel spricht.309 Dass dabei vorrangig der Blick auf Gott – dessen Zorn und dessen Gnade, die in der Passion in höchstem Maß erkennbar seien – gewendet wird, erinnert an die Ausführungen Melan­chthons.310 Außlegung (…) Sontage, fol. Gggg2r]) und anschließend Simon von Kyrene als Vorbild im Tragen des Kreuzes vorgestellt („Christen sollen Simon folgen / jr widerspenstiges fleisch vnd blut / das sich für dem Creutz stets sehr rümpffet / zwingen lassen“ [ebd.]), wobei Vischer sogleich betont, dass die ‚tröstliche Zuversicht‘ der Glaubenden darin bestehe, dass Simon „ledig ausgangen / Christus aber am Creutze für vnsere Sünde gestorben“ (ebd.) sei – und in Klammern wird um der Eindeutigkeit willen ergänzt: „Christus ist allein das Lösegelt für vnsere Sünde / vnd keiner mit jm / Er hat als der Principal vnd Selbschuldige / für vnsere Spnde gebüsset vnd bezalet / ist das Sündopffer für vnsere vnd der gantzen welt Sünde worden“ (ebd.). ‚Kinderpostille‘: Bevor gesagt wird, dass man von Christus lernen soll, „vnsern willen mit gedult in Gottes willen [zu] stellen“ (Vischer, Kinder Postill, fol. [O7r]), wird festgehalten, dass „kein ander Opffer zwischen Himel vnd Erden sey / dadurch vns die Sünde vergeben werde / denn das thewre werde verdienst vnsers lieben Heilandes Jhesu Christi“ (ebd.). Festpostille: Bezüglich der Art und Weise des Verhaltens Jesu Christi in der Passion führt Vischer zunächst aus, dass dieser durch freiwilligen Gehorsam, Geduld, Demut und Sanftmut „für vnsere widerspenstigkeit / vngehorsam / vngeduldt / hoffart vnd rachgirigkeit volkömlich gebüsset vnd bezalet“ (Vischer, Außlegung […] Fest, fol. R3r) habe, um daraufhin als zweite, nachgeordnete Perspektive anzuschließen: „Daneben sollen wir auch ein Exempel vnd beyspiel von vnserm lieben HErrn Christo nemen […]“ (a. a. O., fol. R3v), nämlich hinsichtlich der genannten Tugenden und Verhaltensweisen. 308  S. o. Kapitel II.2.5. 309  Vgl. z. B. das Fazit des ersten Teils der ersten Passionspredigt der Sonntagspostille (Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. Dddd3v): „Endlich ist aus diesem betrübten trawrigen Spectackel […] war zu nemen / was die Sünde für ein grawsamer wust vnd vntregliche last / wie grimmig der zorn Gottes sey / weil diese beide durch kein ander mittel haben können abgewendet werden / den[n] durch das thewre werde Opffer vnsers lieben Herrn Christi. Derwegen sollen wir / in betrachtung des trawrigen zornspiegels / die Sünde / als den hochschedlichen Selengifft / meiden / Gott nicht in die spiesse lauffen. Hergegen sollen wir auch die vnaussprechliche barmhertzigkeit / liebe vnd trewe vnsers lieben Herrn Christi bewegen / vnd in anschawung des Gnadenspiegels / in vnsern Sünden nicht verzagen / sondern auff den allmechtigen Gnadenreichen Sündentreger alle vnsere Sünde werffen.“ Ähnlich, wenn auch ohne die Begriffe Zornund Gnadenspiegel, als Lehre zusammengefasst (a. a. O., fol. Ffff1r–v): „Dabey wir beides / den zorn Gottes wider die Sünde / vnd seine vnmessige liebe gegen vns / wie oben gehört / betrachten sollen.“ 310  In der ersten Predigt der Festpostille führt Vischer aus, dass man zwar zahlreiche Berichte von Gottes Zorn habe (z. B. bei Adam und Eva, der Sintflut, Sodom und Gomorrha, den ägyptischen Plagen), dass man jedoch nirgends deutlicher Gottes strenge Gerechtigkeit erkennen können als in dem ‚Zornspiegel‘ der Passion; denn „diese Exempel alle sind lauter kinderspiel gegen dem / das Gott der Vater seinen vielgeliebten Son vmb frembder Sünden willen so jemerlich vnd erbermlich angreiffet“ (Vischer, Außlegung […] Fest, fol. P2r). Ebenso gebe es grundsätzlich eine Vielzahl an Werken Gottes, die seine Güte und Barmherzigkeit erkennen ließen, doch „alle diese wolthaten / wie herrlich / wie löblich / wie großwichtig dieselbigen absolute sein / So gering sind sie respectiue gegen diesem hellen lieblichen Gnadenspiegel des thewren werden leidens vnd sterbens vnsers lieben Heylandes Jhesu Christi“ (a. a. O., fol. P2v). Zu Melanchton s. o. Kapitel IV. 3.2.2.

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Was die Bedeutung der Sündenerkenntnis betrifft, zeigt sich bei Vischer ein ähnlicher ethischer Akzent wie bei Spangenberg:311 In den Predigten aller drei Postillen betont Vischer, dass die Erkenntnis des Zornes Gottes über die Sünde zugleich erkennen lässt, wie schlimm die Sünde sei, woran immer wieder die nachdrückliche Warnung angeschlossen wird, dass „wir vns ja für Sünden / als dem verdamlichsten hochschedlichsten Seelengifft / fleissig hüten“312 sollen. 4.3.2  Der Widersacher und ‚unsere Widersacher‘ Der Teufel ist in den Predigten Vischers omnipräsent. In nahezu jeder Szene und Begebenheit der Passion, nicht nur in den klassischen wie der Anfechtung Jesu in Gethsemane oder dem Verrat des Judas, wird auf die Rolle des Teufels rekurriert. Sein Agieren bildet für Vischer häufig eine Möglichkeit der Aktualisierung und Vergegenwärtigung, da die unsichtbaren Mächte, also Gott bzw. Christus und die Engel auf der einen Seite sowie der Teufel als ‚Fürst der Finsternis‘ und „Werkmeister alles argen“313 oder auch ‚alle Teufel‘ als Höllenbewohner auf der anderen Seite, zur Zeit der Passion und in der Gegenwart des Predigers in derselben Weise am Wirken seien. Obgleich der ‚leidige Teufel‘ in soteriologischer Hinsicht durch Christi Passion grundsätzlich entmachtet wurde,314 werde er als Anfechter, Lügner und Verführer nach wie vor erfahren. Als ‚Gebrauch des Nutzens und Trostes der Historien‘ bzw. im Bild als Anwendung der (Seelen)Arznei empfiehlt Vischer daher mitunter, sich direkt an den Teufel zu wenden und ihn mit Christus zu konfrontieren.315 311 

S. o. Kapitel IV. 2.3. Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. [Gggg5r]. Vgl. auch Vischer, Kinder Postill, v fol. [O6 ]; Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [Q5v]; Vischer, Außlegung […] Fest, fol. R1v. 313  Vischer, Ausßlegung […] Sontage, fol. Cccc4v. 314  Vgl. a. a. O., fol. [Dddd5r]: „Darumb lest er [d. h. Christus, J. R.] sich ins Angesichte streichen / damit vns nicht alle Teuffel in ewigkeit Hellische streiche geben dürffen. Er lest sich verspotten / das wir nicht ewig dürffen des Teuffels spott vnd spielvogel sein. Er lest sein reines Angesicht verspeyen / damit vns nicht alle Teufel in ewigkeit jren Hellischen speichel vnd vnflat vnters angesicht werffen dürffen. Er reiniget vns damit von vnserm vnflat vnd vernewert der gestalt das ebenbilde Gottes in vns / das der Teuffel durch die Sünde verrostet hatte. Er lest sein Angesicht bedecken / das er den schandfleck des Satans von vnserm angesichte weg thue / vns den rhum oder ehre / den wir für Gott haben sollen / des wir jetzt mangeln / restituire vn[d] wider zu wegen bringe / vnsere augen leutere / das wir sie für Gott erheben können.“ 315  Vgl. a. a. O., fol. [Dddd6r]: „So last vns mit warem glauben Christum vnser eigentumb vn[d] erbgut ergreiffen / vnd mit jm / als dem starcken gewissen Schilde / alle feurige mordpfeile des Teufels vnd seiner Hellen pforten anffangen / Hörestu schand Teufel / du hast Christum meinen Bürgen als einen principal vnd selbschuldigen angrieffen / deine finger an dem vnschuldigen Herrn dermassen verbrant / das du dich alles deines rechtlichen zuspruches gegen mir / alldieweil ich mich vnter seinen gnadenreichen flügeln / vnter seinen blutfliessenden Wunden verberge / verzeihen must / die straffe ligt auff jm / das ich friede habe / Jch bin durch seine Wunden heil worden / gestehe dir lauters nichts mehr / Hastu mich anzuklagen / so magstu es mit meinem Herrn Christo ausfechten / dem / als dem stamme des lebens / oder lebendigen Weinstock ich incorporirt vnd einuerleibet / vnd seines saffts / krafft vnd segens ich teilhafftig worden bin.“ 312 

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Neben dem Teufel als Feind Christi und der Christen wird in den Predigten der Sonntagspostille – weniger in der Festpostille und nicht in der ‚Kinderpostille‘ – auch verschiedentlich auf „vnsere widersacher die Papisten“316 Bezug genommen. Obgleich der Papst auch einmal als Antichrist,317 Geistlicher, Papst und Bischöfe kollektiv als „Teufelsrüden“318 und die ‚Heiligen Väter‘ sarkastisch als „Hellischen Veter“319 bezeichnet werden können, wird auffälligerweise ein direkter Konnex zwischen dem Teufel und den aktuellen Gegnern vermieden. Meist geht Vischer auf ‚unsere Widersacher‘ ein, wenn er strukturelle Analogien zwischen dem Umgang von Akteuren der Passionsgeschichte mit Christus und dem der ‚Papisten‘ mit ‚uns‘ auszumachen meint. Das betrifft insbesondere den Vorwurf des Aufruhrs und der Ketzerei, der von diesen ‚Gottlosen‘ erhoben werde, weil sie „das helle Gnadenliecht des Euangelij“320 nicht vertragen, und der daraus folgenden Verfolgung, die nicht nur an sich ungerecht sei, sondern auch mit unlauteren Mitteln durchgeführt werde.321 An einigen wenigen Stellen werden darüber hinaus inhaltliche Differenzen argumentativ angegangen: Nur angesprochen, aber aus Zeitgründen nicht weiter ausgeführt wird, dass „das Judas Exempel gewaltig beweise / das der Papisten Busse ein vnrechte / vnuolkömliche / ja eine verdamliche Busse sey“,322 da dieser die drei Elemente des Bußsakraments erfüllt habe – „ein hertzliche rew vber seine begangene Sünde / eine offene Beicht / eine weltliche satisfaction oder gnug­thuung“323 –, es ihm aber an Glauben gemangelt habe, „welcher der Busse leben vnd Seele ist“.324 Hinsichtlich der Gebetspraxis wird Jesus als Vorbild dafür angeführt, sich in Todesnöten als Kind vertrauensvoll direkt an den himmlischen Vater zu wenden (vgl. Lk 23,46), und den Geist bzw. die Seele „nicht Marien der Mutter Gottes / oder andern Heiligen / wie wir im Bapsthumb drauff gewiesen worden“,325 anzubefehlen. Ein kontroverstheologisch klassischer Vorwurf von Seiten der Reformation ist die Charakterisierung der ‚Papisten‘ in Analogie zu den Juden als ‚Heuchler‘ und

316 

A. a. O., fol. Dddd3r. Vgl. a. a. O., fol. Dddd2r. 318  A. a. O., fol. Eeee4v. 319  Ebd. Ähnlich sarkastisch führt Vischer zu Lk 23,12 aus, dass Christus als Friedefürst Feinde zu Freunden mache, wie dies nicht nur an Pilatus und Herodes, sondern auch in der Reformationszeit erkennbar sei: „Wie wir sehen / das Christus durchs Euangeliu[m] die zweyhunderterley Münchsorden des Bapsts / da jm[m]er einer besser den[n] der ander sein wolte / vereinigt vn[d] verglichen hat / das sie nu für einen Man wider Christum stehen“ (a. a. O., fol. [Eeee6v]). 320  A. a. O., fol. Dddd3r. 321  Vgl. a. a. O., fol. Dddd2r; a. a. O., fol. Eeee4v ; a. a. O., fol. [Eeee5r]; a. a. O., fol. Ffff1v ; a. a. O., fol. Hhhh2r. 322  A. a. O., fol. Eeee4r. 323 Ebd. 324 Ebd. 325  A. a. O., fol. [Eeee6r]. 317 

4  Christoph Vischer307



‚Werkheilige‘, den auch Vischer erhebt.326 So sehr er pauschal gegen alle „Gnadenfeinde vnd Werckheiligen“327 mit Bezug auf Joh 19,30 betont, „das Christus völlig genug gethan / vnd für vnser Sünde gebüsset vnd bezalet“328 habe, so differenziert äußert er sich am Ende der letzten Passionspredigt der Festpostille im Zusammenhang der Frage nach der Applikation. Dort schreibt Vischer, dass es mit den „Papisten vnd gnadenfeinden oder werckheiligen“329 einen Konsens darüber gebe, dass „allein der HErr Christus vns die ewige seligkeit / mit darstreckung seines thewren bluts / erworben vnd zuwegen gebracht habe“,330 während Streit darüber bestehe, „wodurch vnd womit wir vns solche erworbene seligkeit appliciren vnd zueigenen“.331 Nach Vischer besteht also zwischen den Konfessionsparteien Einigkeit im Blick auf die Vollbringung des Erlösungswerkes allein durch Christus (solus Christus), während die Differenz bei der Frage nach der Applikation allein durch Glauben (sola fide) oder auch durch Werke einsetze. Hinsichtlich der eigentlichen Streitfrage wird zudem eine Entwicklung festgestellt: Man habe auf Seiten der Altgläubigen ‚von uns gelernt‘, sodass inzwischen die meisten sagen, das Heil werde „zum teil durch den glauben / zum teil aber durch gute werck“332 angeeignet, d. h. dass sie „ein beyderman / ein quodlibet / aus dem glauben vnd guten wercken“333 machen. Dagegen gebe es nur noch wenige von „den groben Papisten[n]“,334 die sich das Heil durch selbst erdachte Werke, die „keinen grund in der heiligen Schrifft“335 haben, wie Ablass, Wallfahrten und das Mönchtum, aneignen wollen. Denn diese seien, wie die Mehrheit eingesehen habe, nicht geeignet, „das bawfellige Babsthumb / das gar auff schwachen beinen / wie ein peltz auff seinen ermeln stehet“336 zu stützen. Demgegenüber müsse, so Vischer, jedoch betont werden, dass zwar „die guten werck dem glauben folgen sollen vnd müssen […] jedoch können wir vns durch kein werck / wie gut / wie löblich / wie herrlich / wie scheinbarlich es auch sey / die wolthaten Christi zueignen / denn durch den glauben“,337 der wiederum freilich nicht als das beste unter den guten Werken verstanden werden darf, sondern – als „ein werck Gottes / das Gott in vns wircket“338 – als „die hand […] / die man dareut / damit man das gnadenlehen empfehet“.339 326 

Vgl. a. a. O., fol. Eeee4v. A. a. O., fol. [Gggg5v]. 328 Ebd. 329  Vischer, Außlegung […] Fest, fol. S1r. 330 Ebd. 331 Ebd. 332 Ebd. 333  A. a. O., fol. S1v. 334 Ebd. 335 Ebd. 336 Ebd. 337 Ebd. 338  A. a. O., fol. S1r. 339  A. a. O., fol. S1v. 327 

308

VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

In der Wahrnehmung des altgläubigen Gegenübers hat also im Vergleich zu Luther eine Entwicklung stattgefunden: Luther hatte in seiner in der Hauspostille veröffentlichten Karfreitagspredigt noch als Wirkung verstockter Herzen interpretiert, dass man ‚im Papsttum‘ eigentlich das von Sünden erlösende und das ewige Leben verdienende Opfer Jesu Christi am Kreuz erkennen müsste, doch sie stattdessen „jhren trost auff eygne werck, auff Ablaß, auff ein lausichte Münchs kappen setzen“.340 Vischer kann demgegenüber als Ergebnis der kontroverstheologischen Auseinandersetzungen festhalten, dass zwischen der Frage nach dem Erwerb des Heils allein durch Christus  – hier bestehe keine Differenz – und nach der Applikation des Heils durch Glaube bzw. Glaube und Werke – hier beginne der Streit – unterschieden werden müsse,341 wobei auch auf altgläubiger Seite kaum noch die von Luther angeführten Werke herangezogen werden, sondern nur noch die biblisch belegten und gebotenen, wie Almosen geben, brüderliche Liebe, Sanftmut, dem Nächsten zu vergeben etc.342 Möglicherweise steht bei dieser differenzierten Einschätzung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden – direkt oder indirekt – die Wahrnehmung des am 13. Januar 1547 in der ersten Sitzungsperiode des Konzils von Trient verabschiedeten Dekrets über die Rechtfertigungslehre im Hintergrund.343 340 

WA 52, 239,37 f. Diese Unterscheidung war für Luther unzulässig, da ihm zufolge das solus Christus und das sola fide im Blick auf das Heilswerk Christi in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen. Vgl. etwa die gegen die Altgläubigen gerichteten Thesen 18 und 19 der Disputation über Hebr 13,8 (WA 39/II, 188,22–25): „18. Frustra credunt papistae et sophistae Deum patrem et omnes articulos alios fidei nostrae, dum respuunt opus Christi pro nobis impletum. 19. Negant enim, sola fide seu, quod idem est, solius Christi opere impleto nos iustificari.“ In eben diesem Zusammenhang sieht Reinhard Schwarz „das reformatorische Grundverständnis der christlichen Religion“ (Schwarz, Lehrer, 78; zum Ganzen vgl. a. a. O., 75–83). 342 Vgl. Vischer, Außlegung […] Fest, fol. S1r–v. 343 Vgl. Dantine, Dogma, 453–464; Holzem, Christentum, 167–175. Das Trienter Dekret über die Rechtfertigung möchte die Gnade und Barmherzigkeit Gottes und das Verdienst Christi als Grund der Rechtfertigung und den Rechtfertigungsprozess umschließend herausstellen, an der Mitwirkung des Menschen (cooperatio) in diesem Prozess festhalten (vgl. DH 1525), klären in welcher Weise der Mensch ‚durch den Glauben‘ und ‚umsonst‘ gerechtfertigt werde (vgl. DH 1532) und dabei das reformatorische Verständnis der Heilsaneignung ‚allein durch den Glauben‘ und einer Heilsgewissheit eine Absage erteilen (vgl. DH 1534; 1538). Gute Werke und Verdienst werden dabei insofern integriert, als die Verheißung ihres Lohnes durch ein ‚sowohl – als auch‘ mit der den Kindern Gottes durch Christus barmherzig verheißenen Gnade im Blick auf das ewige Leben zusammengebunden werden („et tamquam gratia […] et tamquam merces […]“, DH 1545). Entsprechend werden in mehreren Kanones am Ende des Dekrets Sätze, die Formulierungen mit ‚sola fide‘ bzw. ‚sola fiducia‘ enthalten, mit dem Anathema belegt (vgl. DH 1559; 1562; 1564), ebenso die Vorstellung, dass sämtliche Werke, die vor der Rechtfertigung getan werden, Sünde seien (vgl. DH 1557) und dass gute Werke lediglich Früchte und Zeichen der erlangten Rechtfertigung seien (vgl. DH 1574). Die Ausführungen Vischers können also durchaus als Verarbeitung des – über welche Wege auch immer wahrgenommenen – tridentinischen Rechtfertigungsverständnisses und des Verhältnisses von Glauben und guten Werken im Blick auf das ewige Heil verstanden werden. 341 

4  Christoph Vischer309



Abgesehen von den altgläubigen Gegnern wird nur vereinzelt auf andere theologische Kontrahenten Bezug genommen. So müsse gegen „die Manicheer vnd andere Schwermer“344 an der wahrhaftigen Fleischwerdung des Sohnes festgehalten werden, gleichwohl dürfe man auch nicht wie „Osiander vnd andere Schwermer“345 die Bedeutung der Passion Christi dadurch schmälern, dass man meine, Christus sei „ein pur lauter mensch“346 gewesen. Dieser kurze Verweis auf Andreas Osiander ist der einzige Reflex auf die Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe in den langen Passionspredigten Vischers, an denen er sich – im Gegensatz zu Wigand und Musäus – allerdings auch sonst nicht beteiligt hat. Stattdessen wird wie in den ersten Jahrzehnten der Reformationszeit gegen die ‚Wiedertäufer‘ Stellung bezogen, dass Christen sehr wohl reich und in hohen Ämtern sein dürften,347 und summarisch gegen „Stenckfeld348 / Widerteuffer vnd alle Enthusiasten“349 betont, dass Gott die Austeilung der durch Christus erworbenen Gnadenschätze an Wort und Sakramente gebunden habe. 4.3.3  Zur christologischen Frage Der erste Teil der zweiten Passionspredigt in der Festpostille über die Hauptartikel der Passion handelt von der Person Jesu Christi (Wer leidet?). Hier führt Vischer zunächst sehr klassisch in Rezeption des christologischen Dogmas aus, dass es „nicht ein vnschüldiger Mensch allein“350 sei, sondern „Gottes lebendiger / ewiger / warer Son“,351 der „zugleich in einer vnzurtrennlischen vnaufflößlichen Person / auch warer natürlicher Mensch“352 gewesen sei. Nach der Zitation einer Reihe von biblischen Belegstellen, erörtert Vischer weiter, wie sich nun die göttliche und die menschliche Natur Jesu Christi in der Passion verhielten. An zweierlei möchte er dabei festhalten: Einerseits müsse man ‚in abstracto‘ sagen, dass „die Göttliche natur nicht gelitten [hat] / denn dieselbige ist keinem leiden vnterworffen / sie kann nicht leiden vnd sterben“.353 Belegt wird dies durch 1 Petr 4,1 („Christus hat gelitten im fleisch für vns“354) – wobei in diesem Fall die Betonung auf ‚im Fleisch‘, verstanden als menschliche 344 

Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. [Gggg5r]. Vischer, Außlegung […] Fest, fol. Q1v. 346 Ebd. 347  Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. Hhhh2r. 348  Es handelt sich hierbei um eine von Schwenckfelds Gegnern verschiedentlich genutzte Verunglimpfung seines Namens. Derartige Namensänderungen gehörten zum Standardrepertoire kontroverstheologischer Polemik. Für entsprechende Hinweise danke ich Franz Schollmeyer, Leipzig. 349  Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [R6v]. 350  A. a. O., fol. [P6v]. 351 Ebd. 352 Ebd. 353 Ebd. 354 Ebd. 345 

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

Natur, zu legen ist – und durch das bekannte Irenäus-Zitat, dass die Gottheit in der Passion geruht habe, während die menschliche Natur gelitten hat („Requi­ escente diuinitate, sagt Jreneus“355). Andererseits müsse in dem Zitat aus dem ersten Petrusbrief auch ‚Christus‘ betont werden können, dass also „die Person / die Gott vnd Mensch zugleich ist / im fleisch gelitten hat“,356 schließlich seien die Naturen in Christus unzertrennlich vereinigt. Eben darauf ist nach Vischer auch der Akzent zu legen, dass die Gottheit wahrhaftig und substantiell in der Person anwesend ist.357 Denn darin bestehe die soteriologische Relevanz der christologischen Frage, dass die Personwürde den Wert des Leidens bestimme.358 Die von Vischer zur Sprache gebrachte soteriologische Ausrichtung und  – als ein wesentlicher Aspekt dessen – die Betonung des wahrhaften Gegenwärtigseins Gottes in Jesus Christus charakterisierte die reformatorische Christologie sowohl Luthers als auch Melan­chthons von Beginn an.359 Insbesondere die Streitigkeiten um das Verständnis des Abendmahls und der damit zusammenhängenden Erörterung des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur in Christus ließen nicht nur die Wittenberger Christologie gegenüber der Schweizerischen profilieren, sondern mehr und mehr auch Akzentunterschiede innerhalb der Wittenberger reformatorischen Tradition erkennbar werden,360 die sich in den kurzen Ausführungen Vischers spiegeln. Luther betonte in seiner Christologie, jedenfalls in ihrer gereiften Gestalt,361 die Idiomenkommunikati355  Ebd. Das Zitat entstammt Irenäus, Adversus Haereses III 19,3 (in: FC 8/3, 240,23). Für den literarischen und theologischen Zusammenhang des Diktums in seinem ursprünglichen Kontext vgl. Wanke, Kreuz, 198–205. Da Irenäus grundsätzlich betonte, dass der an und für sich leidensunfähige Logos durch die Inkarnation leidensfähig wurde, erwägt Wanke, ob Irenäus hier „einen ursprünglich gnostischen Text umformuliert“ (a. a. O., 203 Anm. 298) haben könnte. 356 Ebd. 357  Vgl. a. a. O., fol. Q1r: „Das last euch nicht nemen / sage vnd warne ich noch ein mal / Die person leidet / in der die fülle der Gottheit nicht vmbratice sed corporaliter, non figuraliter sed substantialiter, non cooperatiue sed personaliter wohnet.“ 358  Vgl. ebd.: „Christi blutstropfen sind deß Sohns Gottes blutstropffen / die er in seine Göttliche person angenommen hat / vnd ist derwegen sein leiden viel / viel wirdiger / denn aller menschen verwirckung / höher / denn aller Merterer leiden / Vnd gleich wie die person deß der da leidet / hoch vnd gros / vnd viel wichtiger ist / denn alle welt / alle Engel / himel vnd erden / also das auch seine güte / dignitet vnd wirdigkeit / nicht kann oder mag ausgesprochen werden / Also ist auch sein gnadenwerck viel höher / viel wirdiger / viel köstlicher / denn aller welt Sünde vnd missethat / Ein einiges blutströpflein des thewren bluts dieser allmechtigen person reiniget vns von allen vnsern Sünden / vnd ist vber wirdig vnd vberköstlich / zur bezalung für vnsere blutrote Sünde“. 359 Vgl. zur Mühlen, Art. Jesus Christus, 759 f. und 764 f. 360  Für die Zusammenhänge der christologischen und abendmahlstheologischen Kontroversen der 1560er und 1570er Jahre vgl. Hund, Wort. 361  Die Entwicklung der Christologie des Reformators Luther ab den frühen 1520er Jahren lässt sich grob in drei Etappen einteilen: (1.) In den Predigten der Weihnachtspostille (1522) formuliert Luther, dass alles, was Christus getan oder gelitten hat, auch Gott getan oder gelit-



4  Christoph Vischer311

on in der Weise, dass in Christus eine Trennung der beiden Naturen, nach der bestimmte Eigenschaften nur für eine Natur aussagbar wären, abzulehnen sei und stattdessen deren wechselseitige, reale Anteilhabe vertreten werden müsse.362 Ihren Gipfel findet diese wechselseitige Mitteilung der Eigenschaften in der Rede vom Leiden und Sterben Gottes in Christus einerseits, in der Ubiquität Christi andererseits.363 Melan­chthon beschränkte die Idiomenkommunikation demgegenüber darauf, dass die ‚in abstracto‘ nur für eine Natur aussagbaren Eigenschaften (etwa die Leidensfähigkeit einerseits, die Allgegenwart andererseits) für Eigenschaften der konkreten Person Jesu Christi zu halten sind; darüber hinaus befürchtete er jedoch eine unangemessene Vermischung der Naturen.364 Vischers Äußerungen über die Person Christi und seine beiden Naturen liegen entsprechen auf der melanchthonischen Linie, wie insbesondere auch die positive Zitation des Diktums von Irenäus zeigt. Während Luther dieses seinen Vorstellungen von der Idiomenkommunikation zuwiderlaufende Wort vermied, hat es Melan­chthon verschiedentlich verwenden können.365 4.3.4  Vom Mitleiden mit Christus Einer der Hauptkritikpunkte Luthers an der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit betraf die compassio, das Mitleiden mit Christus: So würde dieser wie ein gewöhnlicher, unschuldig Leidender bemitleidet, wodurch das passions-theologisch Wesentliche, nämlich die soteriologische Exklusivität der Passion Christen habe, obgleich dies jeweils eigentlich nur einer Natur in der Person widerfahren sei (vgl. WA 10/I,1, 150,21–23). Die soteriologische Ausrichtung der Christologie ist deutlich, ebenso die Betonung der Einheit der Person Christi; von der Idiomenkommunikation ist hier jedoch noch keine Rede. (2.) Auf dem Höhepunkt des Abendmahlsstreits wirft Luther Zwingli in Vom Abendmahl Christi vor, die Naturen in einer Weise zu trennen, durch die das Erlösungswerk Christi zerstört werde; denn die menschliche Natur Christi könne die Menschen nicht erlösen (vgl. WA 26, 319,37–39; a. a. O., 342,19 f.). Luther betont hier deshalb nicht nur die Einheit der Person Christi, sondern auch eine Art gegenseitige Zuschreibung dessen, was göttliche und menschliche Natur in Christus ausmacht, jedoch noch ohne begrifflich auf die Idiomenkommunikation zu rekurrieren (vgl. a. a. O., 321,19–24). (3.) Noch einmal neu hat Luther die christologischen Fragen im Zusammenhang seiner Beschäftigung mit den altkirchlichen Konzilien durchdacht und in diesem Zusammenhang die altkirchliche Lehre von der Idiomenkommunikation bis hin zu einem Austausch der Eigenschaften in der Person Christi weiterentwickelt. Wichtige Ausführungen dazu finden sich beispielsweise in Luthers Schrift Von den Konziliis und Kirchen (in: WA 50, 488–653, bes. 589,21–590,22) sowie in den Disputationen Verbum caro factum est (in: WA 39/II, 1–33) und De divinitate et humanitate Christi (in: WA 39/II, 92–121). Zu Luthers Umgang mit dem Konzilsthema vgl. Spehr, Konzil. 362 Vgl. Bayer, Wort; Haga, Metaphysics, 21–89; Lienhard, Zeugnis, 251–260; Nüssel, Art. Christologie; Schwarz, Lehrer, 288–298; Slenczka, Art. Christus. Zu den folgenden Generationen vgl. Baur, Christologie; ders., Auf dem Wege; Haga, Metaphysics, 115–212; Klinge, Gegenwart. 363 Vgl. Lienhard, Zeugnis, 178. 364 Vgl. Haga, Metaphysics, 91–113; Klinge, Gegenwart, 53–65; zur Mühlen, Art. Jesus Christus, 765 f. 365 Vgl. CR 13, 525; CR 23, 91.

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VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

ti – dass er um ‚unserer‘ Sünde willen und zu ‚unseren‘ Gunsten gelitten hat und gestorben ist – verdeckt werde.366 Dass damit ein empfindlicher Nerv getroffen wurde, zeigte sich in Reaktionen, insbesondere bei Friedrich Nausea.367 Vischer, der einer jüngeren Generation angehörte, hatte den von Luther angeprangerten Missstand anscheinend nicht mehr in gleicher Weise vor Augen, denn in seinen Predigten lässt sich ein erheblich entspannteres, sogar positives Verhältnis zur compassio feststellen, und zwar in allen drei Postillen. Bereits die sehr bildreiche Sprache und die plastisch geschilderten Leidensszenen zielen auf das affektive Bewegtwerden des Herzens der Leser- bzw. Hörerschaft. Angesichts der dramatisch und drastisch geschilderten Kreuzigung heißt es etwa: „Vnd ist so ein jemmerliches betrübtes Spectackel / das es ein steinern Hertz erweischen / vnd blut zu weinen verursachen sollte.“368 Ähnlich werden im Anschluss an die summarisch repetierten Leiden in der Festpostille die Hörerinnen und Hörer angesprochen: „Ach lieben Christen / es sollte einem sein hertz brechen vnd zuschmeltzen / wenn er in der furcht des HErrn solches beweget / das die hohe edle person solche schmertzen / angst vnd not / gelitten“;369 und weiter: „Solten wir denn so steinhart / vnd eisen oder stahlfest sein / das wir solche historien mit trocknen augen hören oder lesen solten?“370

In der ‚Kinderpostille‘ schließlich werden auch explizit die Ereignisse zur Todesstunde Jesu als Vorbild der ‚unvernünftigen Schöpfung‘ für ein ‚herzliches Mitleiden‘ in der Passionsbetrachtung interpretiert371 – eine klassische Auslegung der Ereignisse,372 die auch als ein Hauptargument gegen die reformatorische Kritik an der compassio genutzt wurde.373 In dem Zusammenhang fällt auch die von Luthers Interpretation deutlich differierende Auslegung der weinenden Frauen am Kreuzweg Jesu (Lk 23,27– 31). Denn die Frauen, „welche ein hertzliches mitleiden mit Christo tragen“,374 werden als Vorbilder der Kreuzesnachfolge und des Mitleidens vorgestellt: „Vnd wie hie mit Christo etzliche Leute mitleiden tragen / Also werden sich auch etzliche vnser in vnserm großen trübsal trewlich annemen. Wie auch diss Völcklein Christo im Creutz gehorsamlich nachfolget / So sollen wir jm auch in lieb vnd leid nachfolgen / vnd von jm keines weges setzen / So werden wir nicht zu schanden werden.“375 366 

S. o. Kapitel II.2.3.3. S. o. Kapitel III.3.3. 368  Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. Gggg3r. 369  Vischer, Außlegung […] Fest, fol. Q4v. 370 Ebd. 371 Vgl. Vischer, Kinder Postill, fol. [O8r]: „Von der vnuernünftigen Creaturen sollen wir lernen / das wir auch ein hertzliches mitleiden mit vnserm Herrn Christo tragen / vnsere hertzen erweichen lassen / die thewre werde Historien fruchtbarlich zu bedencken.“ 372  Vgl. etwa die frühe Passionsauslegung Ecks (s. o. Kapitel III.2.2.2). 373  Beispielsweise von Georg Witzel (s. o. Kapitel III.4.3.2). 374  Vischer, Außlegung […] Sontage, fol. Gggg2r. 375 Ebd. 367 

5  Johann Habermann313



Anschließend wird zwar, ähnlich wie bei Luther, Jesu Wort an die Frauen in Lk 23,28 in der Weise gedeutet, dass er „sie vnd vnd [leret] / wie wir nützlich vnd fruchtbarlich sein aller heiligstes Leiden bedencken vnd betrachten sollen […] in ansehung / das wir so faule / vnfruchtbare / ja gar bein dürre Bewme sind / das wir zu lauter nichts / denn zu eitel fewerholtz in abgrundt der Hellen trügen“,376

doch steht dies nicht gegen die zuvor als vorbildlich herausgestellte compassio. Vielmehr mündet der Abschnitt bei Vischer in eine allgemeine Warnung und Gerichtspredigt über die ‚dürren Bäume‘, die Christus als den ‚grünen Baum‘ (vgl. Lk 23,31) unbußfertig verwerfen, wofür das Ergehen der Juden unter Titus und Vespasian, verstanden als in Lk 23,29 f. angekündigte Strafe Gottes, als Warnung dient.377 Gleichwohl kann Vischer durchaus deutlich formulieren, dass – „wenn wir es im grund beym liecht besehen“378  – eigentlich ‚wir‘ „mit vnsern schweren manchfeltigen Sünden“379 die Mörder und Übeltäter seien, von denen die Bibel in der Passionsgeschichte berichtet. In für lutherische Passionspredigt typischer Weise wurde die Bedeutung der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit angesichts des Leidens Christi auch von Vischer nicht abgemildert. Sie stand für ihn jedoch auch nicht in Opposition zur affektorientierten Anleitung zum Mitleiden mit Christus – obgleich auf jenem auch kein theologischer Schwerpunkt gelegt wurde, wie dies etwa bei Johannes Eck und kontroverstheologisch zugespitzt bei Friedrich Nausea der Fall war.

5  Johann Habermann Der Name Johann Habermanns (auch Avenarius/Egranus, 1516–1590)380 blieb der Nachwelt im Bereich der evangelischen Kirche über Jahrhunderte durch das verfasste Gebetbuch, das „Habermännle“, erhalten.381 Im westböhmischen Eger (Cheb) geboren, schloss sich Habermann zunächst 1540 dem dortigen Deutsch376 

A. a. O., fol. Gggg2v. Vgl. ebd. 378  Vischer, Außlegung […] Fest, fol. [Q6r]. 379 Ebd. 380  Zu den im Folgenden geschilderten Lebensdaten und -stationen vgl. Bautz, Art. Habermann; Beck, Art. Avenarius; Hammann, Art. Habermann; Koch, Betbüchlein, 143–148; Stupperich, Reformatorenlexikon, 93 f.; Wagenmann, Art. Avenarius; Wallmann, Art. Habermann; zudem die Informationen in: MBW Personen Bd. 11, 100 f. 381  Hermann Beck schrieb in seinem 1899 erschienenen Artikel, das Gebetbuch Habermanns werde von der evangelischen Christenheit „bis auf den heutigen Tag […] noch gerne gebraucht“ (281) – eine Aussage, die ein weiteres Jahrhundert später nicht mehr getätigt werden kann. 377 

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ordenskonvent an382 und wurde zum Priester geweiht, bevor er ab 1542 verschiedene evangelische Prediger- und Pfarrstellen v. a. im sächsischen Raum versah. Sein Betbüchlein ließ er 1567 in Wittenberg drucken, als er sich zwischenzeitlich an der dortigen Universität für Hebräischstudien befand. 1573 wurde Habermann Professor für Hebräisch in Jena, wo er den theologischen Doktorgrad erlangte, und 1574 erging nach der Vertreibung der sog. Kyptophilippisten aus Kursachsen der Ruf an die Universität Wittenberg, wo er als Professor für Hebräisch und wenig später der Theologie tätig war. 1576 trat Habermann das Amt des Superintendenten von Naumburg und Zeitz an, das er bis zu einem Tod innehatte und in dessen Rahmen er auch sein umfangreiches Postillenwerk erarbeitete. 5.1  Kontext und Veröffentlichung der Postille Bereits 1575 erschien erstmals eine Postille des Wittenberger Theologieprofessors Habermann mit Auslegungen der sonntäglichen Evangelienperikopen in Jena und Frankfurt/Main im Druck.383 Drei Jahre später wurde in Wittenberg unter ähnlichem Titel eine dreibändige Postille aus der Feder des Superintendenten Habermann gedruckt, ebenfalls mit den Evangelienauslegungen der Sonntage, ergänzt um Evangelienauslegungen für die Festtage im Kirchenjahr.384 Dieses erweiterte und überarbeitete Werk sollte das Erstlingswerk ablösen, da dieses gedruckt worden sei, ohne dass Habermann es „gantz verfertiget / vnd recht vbersehen“385 habe, wie er in der Vorrede des Sommerteils der 382 Die Kommende in Eger gehörte seit dem 13. Jahrhundert zur Thüringer Deutschordens-Ballei, vgl. Die Deutschordens-Ballei Thüringen, 23. 383  Eine detaillierte und kommentierte Bibliographie der Postillen Habermanns inklusive der Nachauflagen im 16. Jahrhundert findet sich bei Koch, Betbüchlein, 161–168, sodass hier lediglich ein zusammenfassender Überblick mit Verweis auf die jeweilige Nummer in der Bibliographie Kochs geboten wird. 384  Vgl. a. a. O., 163–165 Nr. 37–39. 385 Das Zustandekommen der Postille von 1578 schildert Habermann (Postilla [Sommerteil], fol. A4v–A5v [inklusive des obrigen Zitats]) folgendermaßen: „Wiewol ich weis / das zuuor viel guter Postillen in Druck ausgangen sind / vnd one not gewesen were dieser meiner arbeit / habe ich doch nicht wollen vnterlassen / sie in den Druck zu geben / auff das die vorige Editio meiner Postillen möchte dahinden bleiben / vnd nicht wider auffgeleget werden / welche mir abgedrungen ward / ehe ich sie gantz verfertiget / vnd recht vbersehen hatte / wie denn auch von wegen des grossen eilens / der Apostel Fest Euangelia / so an jren tagen nach Christlichem gebrauch gehalten werden / sind vbergangen / vnd nicht dazu gebracht worden / sintemal ich vbereilet / vnd dazumal mit profitiren vnd lesen in den hohen Schulen zu schaffen vnd zu thun hatte / das mir nicht müglich war / beides zu gleich / vnd in einer kurtzen zeit auszurichten. Nach dem ich aber itzund widerumb aus Gottes schickung in der Kirchen zu lernen / beruffen bin / habe ich mich der mühe nicht wollen lassen verdriessen / meine Postillam zu vbersehen / zu bessern / vnd an viel enden zu mehren / vmb obzelter vrsachen willen / vnd sonderlich dz ich meinen ich in meinem alte[n] tagen meines glaubens vnd lere ein offentlich bekentnis hinder mir möchte lassen / vnd den jungen Predigern eine kleine anleitung zu geben / wie man die Euangelia sol tractiren / handeln vnd fürtragen den Zuhörern / auff das sie dadurch möchten erbawet vnd gebessert werden.“



5  Johann Habermann315

1578er Postille angibt. Tatsächlich wurden die ausschließlich in Wittenberg erschienenen Nachdrucke in den folgenden Jahrzehnten lediglich von der Fassung von 1578 angefertigt. Die dreibändige Evangelienpostille wurde 1583 um eine ebenfalls dreibändige Epistelpostille erweitert, die sowohl einzeln als auch gemeinsam mit der Evangelienpostille gedruckt wurde.386 In der Widmungsrede des Winterteils der Postille von 1578  – deren Karfreitagspredigt auch im Folgenden zugrunde gelegt wird387 – an seine Heimatstadt Eger legt Habermann dar, dass er mit seinen Predigten zuvorderst den ‚gemeinen Mann‘ im Blick habe.388 Daher habe er zum einen immer denselben übersichtlichen Aufbau für die Predigten gewählt,389 wobei er „Lere / Trost vnd Warnung“390 von der Erklärung der Hauptstücke des Perikopentextes eigens abgehoben habe, „auff das nicht eine confusion vnd verwirrung / sondern gute ordnung gehalten werde / damit es die Zuhörer gesto besser möchten fassen vnd im gedechtnis behalten“.391 Zum anderen wolle er aus diesem Grund in den Predigten auf besondere ‚rhetorische Kunst‘ verzichten, obgleich er diese nicht verwerfe.392 Schließlich habe er auch „nicht viel disputierend gebraucht / welches in die hohe Schulen / vnd nicht für den gemeinen man gehöret / Auch nicht zanckens vnd haderns oder lesterns mich beflissen“393 – was sicherlich als Anspielung auf die Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe der vergangenen drei Jahrzehnte und  – begründet durch 1 Kor 11,16  – als Kritik an anderen Theologen verstanden werden kann, die in der Sicht Habermanns das Zanken und Lästern nicht lassen konnten.394 Offenbar hält er es für unangemessen, alle theologischen Lehrfragen vor der Gemeinde zu erörtern, was sich durchaus auch in der Passionspredigt bemerkbar macht. Es entspricht zudem der Meinung der Konkordienformel – wie an der Streitfrage nach der Sünde als Substanz oder Akzidens gezeigt395 –, die ebenfalls 1578 fertiggestellt wurde und 386 Vgl. Koch, Betbüchlein, 165–167 Nr. 40–41. Die Gesamtausgabe der Postille wurde in Drucken 1589 und 1600 zudem erweitert um weitere Predigtsammlungen, darunter eine 1585 erstmals erschienene Auslegung der Passionsgeschichte in 18 Predigten (vgl. a. a. O., 168 Nr. 43). 387  Auf die Überarbeitung der Passionspredigt in der 1578er Postille im Verhältnis zu der früheren Fassung (vgl. Habermann, Postilla […] 1575, fol. CXXXIIIIr–CXXXIXr) wird an entsprechenden Stellen in den Anmerkungen hingewiesen (s. u. Kapitel VI.5.2.1; VI.5.2.5; VI.5.3.1 und VI.5.3.2). 388 Vgl. Habermann, Postilla, fol. A3v und [A6r]. 389  Vgl. a. a. O., fol. A3v–A5r. 390  A. a. O., fol. A4v. 391 Ebd. 392  Vgl. a. a. O., fol. [A6r]. 393  A. a. O., fol. [A6r–v]. 394  Davon unterschieden wird, dass auch für Habermann „die Lere des heiligen Euange­ lions […] rein vnd lauter“ (a. a. O., [A6v]) gepredigt werden muss, was nach Möglichkeit und mit dem Segen Gottes „onde Ketzerey / Secten vnd spaltung“ (a. a. O., fol. [A7r]) zugehen möge, wie er seiner Heimatstadt Eger wünscht. 395  S. o. Kapitel VI.2.3.3.

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die Habermann 1581 als kurfürstlicher Kommissar den Wittenberger Professoren zur Unterschrift vorzulegen hatte. 5.2  Zum Charakter der Passionspredigt 5.2.1  Die enthaltene Passionspredigt Einzig Habermanns Evangelienpostille für die Sonntage im Kirchenjahr enthält, wie üblich, auch eine Karfreitagspredigt. Sie erläutert als systematisch angelegte Themenpredigt ohne Grundlage eines konkreten Perikopentext,396 „wie man das bitter leiden vnsers HErrn Jhesu Christi sol fruchtbarlich bedencken / auff das wir dauon lere vnd trost mügen haben zu vnser heil vnd seligkeit“.397 Dabei geht es jedoch nicht nur um die Art der Passionsbetrachtung, sondern auch inhaltlich um die wesentlichen Bestandteile der Passion, die innerhalb der Systematik an entsprechender Stelle  – d. h. vorrangig nicht nach chronologischem Gesichtspunkt – behandelt werden. Nach einer Einleitung bespricht der Prediger in übersichtlicher Weise in vier Teilen die leidende Person (Wer?), die Art des Leidens (Was? Wie?), die Ursache des Leidens (Warum?) und Nutzen und Frucht der Passion (Wofür?),398 um das Ergebnis am Ende der Predigt noch einmal kurz zu repetieren.399 Die Hauptteile der Predigt bestehen jeweils aus Erläuterungen zu der genannten Frage und, davon durch eine Zwischenüberschrift abgehoben, einer Zusammenfassung der ‚Lehren‘ aus dem Teil.400 Im Folgenden wird nacheinander auf die einzelnen Teile (5.2.2 bis 5.2.6) und zusammenfassend auf einige rhetorische Merkmale der Predigt (5.2.7) eingegangen. Anschließend wird Habermanns Predigt in der Tradition der Wittenberger Reformation verortet, indem Charakteristika lutherischer Passionstheologie he396  Die 1575er Postille hatte der Karfreitagspredigt den Text Joh 18 f. als Lesung für den Karfreitag vorangestellt (vgl. Habermann, Postilla […] 1575, fol. CXXIXr–CXXXIIIr); dieser fehlt ab 1578. 397  Habermann, Postilla, fol. 378v. 398  Vgl. ebd.: „Teilung des Passions Christi in vier Hauptstücke. i. Sollen wir inniglich betrachten / wer vnd welche person ist die da leidet / nemlich warer Gott vnd Mensch. ij. Was vnd wie viel er leidet / als nemlich an Seel vnd Leib / innerlich vnd eusserlich den zorn Gottes / vnd die schwersten pein. iij. Sollen wir auch bedencken die fürnembste vrsach seines todes / welche ist vnser Sünd vnd Missethat. iiij. Vom nutz vnnd frucht seines leidens vnd sterben / dadurch wir erlöset sind vom weigen Tod vnd Hellischer pein.“ 399  Vgl. a. a. O., fol. 386r–v. In der Fassung von 1575 bestand die Predigt noch aus fünf Teilen; der fünfte Teil über den ‚fruchtbaren Gebrauch‘ der Frucht der Passion Christi ist 1578 als ‚Lehre‘ dem vierten Teil einverleibt worden. 400  Darin konkretisiert sich der in der Vorrede dargelegte generelle Predigtaufbau (s. o. Kapitel VI.5.1), Lehren und Trost in den Predigten von den Erklärungen der Hauptstücke der Perikope abzuheben, wobei sich im Falle der Karfreitagspredigt die Schwierigkeit ergibt, dass sie keine Text-, sondern eine Themenpredigt ist. Darin, dass die Predigt 1575 noch keine eigens als Gliederungspunkte abgehobenen ‚Fragen‘ und ‚Lehren‘ hatte, zeigt sich, dass Habermann 1578 die Predigten der Postille formal deutlicher einander angleichen und einheitlich strukturieren wollte.

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rausgearbeitet (5.3.1), aber auch auf einige Auffälligkeiten im Vergleich zu Luther hingewiesen wird (5.3.2). 5.2.2  Zur Einleitung Die Einleitung der Karfreitagspredigt möchte zum andächtigen Bedenken der Passion motivieren und ermahnen, wie man dies an diesem Tag „in der gantzen Christenheit thue vnd verrichte“.401 Die Betonung der ‚ganzen Christenheit‘ bzw. bereits zuvor ‚der christlichen Kirche‘ ohne exklusive Näherbestimmung fällt insofern auf, als sich auch in der gesamten Predigt keine einzige Abgrenzung oder Polemik gegen eine andere Gruppe oder Position – weder in Richtung der Altgläubigen noch gegen evangelische Gegener – findet. Während das Leiden Jesu eigentlich „zu jeder zeit vnd alle tag“402 bedacht werden solle, so ist doch gerade für ‚die liebe Jugend‘ und den „gemeinen Man der nicht schreiben noch lesen kann“403 – also für jene Zielgruppe, auf die Habermanns Predigten vorrangig ausgerichtet sind, wie er in der Vorrede dargelegt hatte –, ein besonderer Gedenktag im Jahr sinnvoll. Immerhin werde an Karfreitag „vnser höchster Schatz“404 und „vnser höchster Artickel des glaubens“405 thematisiert und als basale Erklärung dessen kann die Predigt angesehen werden. 5.2.3  Wer gelitten hat Der erste Hauptteil fragt, wer die ‚für unsere Sünden‘ leidende Person sei, denn die rechte Passionsbetrachtung bestehe eben darin, die Herzen auf Jesus Christus als der wichtigsten Person der Handlung auszurichten.406 Dabei müsse begriffen werden, dass es sich um „die höchste Person vnter allen Engeln vnd Menschen“407 handle, die zugleich „ewiger / wesentlicher Gottes Son / vnd warhafftiger natürlich Mensch“408 sei. Der Höhe bzw. Würde einer Person korrespondiere der Bedeutung ihres Leidens („Die person macht das leiden wichtig“409), sodass beim Leiden des Sohnes Gottes „alle Creatur in Himel vnd auff 401 

Habermann, Postilla, fol. 378r.

402 Ebd. 403 Ebd. 404 Ebd. 405 Ebd.

406  Vgl. a. a. O., fol. 379r: „auff Christum den HErrn sollen wir fürnemlich sehen / der ist die rechte Person in dem actu / auff welchen wir vnsere hertzen sollen richten“. 407 Ebd. 408 Ebd. 409  Ebd. Die Argumentation über die Würde der Person oder auch ihrer Reinheit ist im 16. Jahrhundert weit verbreitet und war offenbar selbstevident, sodass sie sich für entsprechende Veranschaulichungen eignete (ebd.): „Darumb so viel höher der Son Gottes ist vber alle Engel vnd Menschen / so viel höher vnd wirdiger ist auch sein leiden / vber aller menschen leide[n]. Sintemal eines Königes oder Fürstens leiden viel theurer vnd werder geschetzt wird / denn eines knechts / oder eines andern geringen Menschen“. Zu Luthers Verwendung dieses Argumenta­ tionsmusters s. o. Kapitel II.2.4.2 und II.4.2.2.

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Erden“410 Mitleid hat, wie aus den Naturereignissen der Sterbestunde Jesu ersichtlich sei. Auf die Frage, ob nicht auch ein anderer Mensch oder Engel das Werk hätte ausrichten können, wird entsprechend geantwortet, dass nur das Leiden der ‚höchsten Person‘ „ein gnugsame bezalung vnd wirdiger abtrag“411 auch der größten Sünde und aller Welt Sünden sei. Jeder andere Mensch könne nicht einmal die eigenen Sünden büßen, schon gar nicht die von anderen Menschen. Auch den gerechten Zorn Gottes über die Sünde hätte kein Mensch ertragen können, „wenn es nicht ein solcher Mensch were gewesen / der auch zu gleich ewiger Gott ist“.412 Die Lehre dieses Teils ist demzufolge, „was die Sünde für ein gros vbel vnd schrecklich ding ist“,413 dass kein Mensch oder Engel hätte für diese genügend büßen und leiden können; einzig der Sohn Gottes sei dessen fähig gewesen. Zugleich sei dies ein großer Trost gegen alle Anfechtungen, da man sicher sein könne: „Weil ein solche hohe person für vnsere Sünde gelidten hat / so vberwiget dieser person leiden alle vnsere Sünde / wie gros / mectig / vielfeltig vnd greulich auch dieslebigen sein.“414 5.2.4  Wie Christus gelitten und was er erlitten hat Christus litt sowohl innerlich als auch äußerlich, antwortet Habermann ganz klassisch auf die Frage nach der Art des Leidens. Innerlich ‚an der Seele und im Herzen‘ habe er „den grimmigen zorn Gottes wider die Sünde der gantzen welt“415 erlitten, wie insbesondere an der Gethsemaneszene deutlich werde, während das äußerliche Leiden ‚am Leib‘ im Fortgang der Passionserzählung klar erkennbar sei. Beides führt Habermann relativ ausführlich aus, wobei er betont, dass man auch in der äußerlichen Marter Christi den Zorn Gottes bedenken soll, „welcher auff dies Schlachtlemblein ist geleitet worden“.416 Die vom Prediger angeführte Rückfrage, ob Gott die Sünden nicht auch ohne das Leiden und Sterben seines Sohnes hätte vergeben können, wird mit Verweis auf dessen Allmacht grundsätzlich bejaht. Der Weg der Erlösung sei jedoch gewählt, um der Gerechtigkeit Gottes Genüge zu tun.417 410 Ebd. 411 

A. a. O., fol. 379v.

412 Ebd. 413 Ebd. 414 

A. a. O., fol. 380r. A. a. O., fol. 380v. 416  A. a. O., fol. 381v. 417  Vgl. a. a. O., fol. 382r: „denn weil es billich vnd recht war / das für die Sünde ein gnugsame bezalung sollte geschehen / vnnd kondte durch keine andere Person geschehen / muste Christus Gottes Son in seiner menscheit leiden vnd sterben“ (mit Verweis auf Hebr 2,10). Das Festhalten an seiner Gerechtigkeit, die nicht gegen die Allmacht ausgespielt werden dürfe, sieht Habermann bereits durch das Gotteswort an den ersten Menschen im Paradies (Gen 2,17) begründet (ebd.): „Darumb muste Christus der HErr vnd kein ander Person leiden / sollte anders 415 



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Als Lehre wird mit 1 Petr 1,18 festgehalten, dass ‚wir‘ nicht durch Silber und Gold, sondern dem teuren Blut Christi erlöst seien. Angesichts dessen, was ‚wir‘ Christus gekostet haben, könne und solle bedacht werden, dass man all dies hätte in Ewigkeit selbst erleiden müssen.418 5.2.5  Warum Christus gelitten hat An zahlreichen Stellen in der Passionsgeschichte werde die Unschuld Christi beteuert und bekannt, von Judas, Pilatus, Herodes, der Frau des Pilatus, dem Hauptmann am Kreuz und zuletzt auch durch die Sonnenfinsternis und das Erdbeben.419 Christus kann demnach nicht für seine Sünde gestorben sein, da er keine hatte. Als doppelte Ursache bezeuge die Heilige Schrift vielfach einerseits ‚unsere Sünde‘ und andererseits Gottes Liebe und Barmherzigkeit.420 Die Lehren dieses dritten Hauptteils seien entsprechend die Erkenntnis der eigenen Sünde als Ursache des Leidens Christi, die wie von Petrus bitterlich beweint werden und zum Hüten vor weiteren Sünden führen solle, und die Erkenntnis von Christi „grundlose[r] liebe gegen vns / sein freier wil vnnd lust zu dem Menschlichen geschlecht / dasselbig zu erlösen“,421 auf die durch Gegenliebe von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus aller Kraft reagiert werden soll.422 5.2.6  Wofür Christus gelitten hat Im letzten Teil werden die Früchte des Leidens Christi vor Augen gestellt, die zum einen im Abwenden allen Schadens beruhen, nämlich in der Erlösung der gerechtigkeit Gottes gnug geschehen / weil Gott den Sentenz im Paradis selbs gesprochen hatte / Welches tages du dauon essen wirst / soltu des todes sterben / Auff das wir aber nicht des ewigen todtes müsten sterben / ist Christus der HErr komen / Hat an vnser stad den Sentenz vber sich lassen gehen.“ 418  Vgl. a. a. O., fol. 382v. Dazu s. u. Kapitel VI.5.2.7. 419  Vgl. a. a. O., fol. 382v–383r. 420  Vgl. a. a. O., fol. 383r–v. Habermann zitiert als Beleg für die erste Ursache Jes 43,24b; Jes 53,4–5a. 6b.12b; Ps 69,5b; 1 Petr 3,18a und für die zweite Ursache Röm 5,8; 1 Joh 4,9 f.; Joh 15,13. 421  A. a. O., fol. 384r. 422  Der dritte Teil hat 1578 im Vergleich zu 1575 die deutlichste Überarbeitung erfahren: 1575 bestand der Teil aus fünf nacheinander aufgezählten und durch Bibelstellen begründeten Ursachen des Leidens Christi, nämlich die Sünde der Menschen, Gottes Liebe und Barmherzigkeit, Gottes ewiger Ratschluss und Vorsehung, die Erfüllung der Schrift und – sachlich nachgeordnet, aber durchaus Teil der Passionsgeschichte – der Hass und Neid der Juden (vgl. Habermann, Postilla […] 1575, fol. CXXXVIv–CXXXVIIv). 1578 konzentrierte sich Habermann auf die beiden Hauptursachen ‚unsere‘ Sünde und Gottes Liebe und Barmherzigkeit, die in der ‚Lehre‘ noch einmal als die beiden wesentlichen Erkenntnisse aus der Passion betont werden. Die drei anderen Ursachen der 1575er Fassung kommen in dem Teil zwar durchaus mit vor, doch sind sie nicht den Hauptursachen gleichwertig beigeordnet. Entsprechend lässt sich 1578 eine deutlichere Konzentration auf den soteriologischen Kern der Passion ausmachen, der der Tradition lutherischer Passionspredigt entspricht (s. u. Kapitel VI.5.3.1).

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von Sünden (nach 1 Joh 1,7), in der Erlösung vom Fluch des Gesetzes (nach Gal 3,13 f.) und in der Errettung von Tod, Teufel und ewiger Höllenpein (nach Hebr 2,14 f.).423 Positiv werde (nach Röm 5,10 f. und Kol 1,13 f.) durch den Tod Christi „segen / heil vnd seligkeit widerbracht“.424 Was anschließend recht ausführlich unter der Überschrift „Lehr aus diesem stück“425 ausgeführt wird, ist im Grunde eine Anleitung zur Passionsbetrachtung bzw. zum rechten Gebrauch der Passion. Dieser beinhaltet dreierlei: Erstens geht es um das Erlösungswerk Christi, dessen Früchte zuvor dargestellt wurden. Dieses „können wir vns nicht anders appliciren vnd zueignen / den[n] durch den glauben“,426 der nicht allein im Fürwahrhalten der Historien bestehe, sondern man müsse „auch mit warer zuuersicht vnsers hertzen mit glauben annemen / das er vmb vnser Sünde willen / für vns vnd vns zu gut gestorben ist“.427 Zweitens soll Christus im Sinne von 1 Petr 2,21 ein Vorbild für die Christen sein, insbesondere „der geduld / das wir vnserm HERRN nachfolgen im Creutz vnd leiden“.428 Schließlich solle man ihm „heut vnd allezeit dancken“429 und darum bitten, dass die Betrachtung des Leidens Frucht bringe und tröstlich sei gegen die Schrecken und Anfechtungen des Teufels „sonderlich aber an vnser letzten stunde“.430 5.2.7  Rhetorische Merkmale Ziel der Karfreitagspredigt Habermanns ist, zum ‚fruchtbaren Bedenken‘ der Passion Jesu Christi anzuleiten. Dafür bedarf es zunächst einer Vermittlung der wesentlichen Inhalte und der theologischen Schwerpunkte, gerade auch, weil die Predigten die nicht lesefähige Bevölkerung mit im Blick haben. Die in den ersten beiden Teilen eingebauten Rückfragen geben die Möglichkeit zur Verdeutlichung und die eigens abgesetzten ‚Lehren‘ repetieren meist noch einmal zuvor dargelegte Hauptaspekte, um daraus Folgerungen für Glauben und Leben der Hörerinnen und Hörer abzuleiten. Zu der durch die Predigt gegebenen Elementarbildung gehören zudem die zahlreichen zitierten Bibelstellen, mit denen jeweils die thetisch angeführten Aussagen über Wer, Wie und Was, Warum und Wofür der Passion begründet und legitimiert werden. Stilistisch bleibt Habermann jedoch nicht auf der beschreibenden und erläuternden Ebene; vielmehr wird versucht, die Bedeutung des Inhalts durch eine entsprechende Rhetorik zu vermitteln. Die Herausforderung des Predigers ist 423 Vgl.

Habermann, Postilla, fol. 384r–v. A. a. O., fol. 384v. 425 Ebd. 426  A. a. O., fol. 385r. 427 Ebd. 428  A. a. O., fol. 385v. 429  A. a. O., fol. 386r. 430 Ebd. 424 



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dabei, der menschlichen Vorstellungskraft einen Zugang zu der immer wieder betonten einzigartigen Situation des Erlösers, die über alle menschenmöglichen Erfahrungen hinaus geht, zu ermöglichen. So wird etwa die Schwere des Leidens Christi durch bekannte Erfahrungen von zum Tode Verurteilten versucht annäherungsweise nachvollziehbar zu machen431 und der Unterschied zwischen der menschlichen Erfahrung des Zornes Gottes für die eigenen Sünden und derjenigen Christi, nämlich des Zornes Gottes für die Sünden der ganzen Welt, wird durch den Vergleich zwischen Nieselregen und einem Wolkenbruch veranschaulicht.432 Da das Bedenken des Leidens Christi jedoch in lutherischer Tradition auch bei Habermann primär auf der Erkenntnis des Gewichts der eigenen Sünde als Ursache des Leidens Christi liegt, wird durch eine Reihe von Fragen am Ende der ausführlichen Darstellung dessen, was und wie Christus gelitten hat, in der Anrede an die Hörer und Hörerinnen deren Vorstellungskraft angeregt, was dies für einen selbst bedeutet hätte, wenn Christus nicht ‚für uns‘ gestorben wäre.433 Der umso größere Trost durch Christi stellvertretenden Tod gegenüber dem Schrecken der Sünde wird entsprechend durch eine Rhetorik der Überbietung zu vermitteln versucht.434 431  Vgl. a. a. O., fol. 380v–381r: „Diesem seinem jnnerlichen leiden sollen wir ferner Christlich nachdencken / denn es ist vnmüglich / das wir all sein hertzleid vnd jnnerliche schmertzen mit zungen können aussprechen / so sind auch aller Menschen hertzen viel zu enge solches alles zu fassen. Wir sehens an denen / so zum tod verurteilet sein / wie sie zittern vnd zagen / was sie für schmertzen vnd pein in jren hertzen leiden vnd fülen / wenn sie zu jrem tode gehen / welchs doch nur eitel kinderspiel ist gegen dem jnnerlichen leiden Christi / der aller welt sünde tregt.“ 432  Vgl. a. a. O., fol. 381v : „Denn da auff andere leut Gottes zorn ein wenig tröpffelt / sind auff dis Schlachtlemblein alle wolkenbrüche vnd wasserflut geleitet worden / sintemal aller welt Sünde auff jm gelegen ist. Dieser zorn Gottes wider aller welt Sünde gerichtet / macht dis leiden so schwer / das kein Menschlich noch Englisch zunge kann ausreden / vn[d] kein hertz gnugsam bedencken kann.“ 433  Vgl. a. a. O., fol. 382v : „Dis bedenckt nu / weil der HERR Christus so viel / vnd solche grosse marter vnd pein an Leib vnd Seele gelidten hat vmb vnser Sünde willen / was hetten wir müssen in ewigkeit leiden / das ers nicht für vns gethan hette? Denn thut man das am grünen Holtz / was wil am dürren werden? Luc. 23. Jst solchs dem vnschüldigen HERRN Christo für frembde Sünde widerfaren / was hetten wir Gottlose für vnsere eigen missethaten müssen leiden? Vnd weil sich Gott der Vater gegen seinem allerliebsten Son also hart gestelt hat / was solt er wol gegen vns seinen Feinden fürgenommen haben? in dem so wir hetten sollen vmb vnser Sünde willen genug leiden? Wir hetten immer vnd ewiglich müssen verloren sein / ewige hellische pein leiden / wenn nicht Christus für vns den todt gelidten vnd vberwunden hette. Derwegen erkennet doch / was für ein vbel die Sünde ist / vnd was sie für schwere straff verdient / auff das jr euch besser könnet hüten für jr / vnd euch nicht leichtlich drein begebet jren willen zuthun.“ 434  Vgl. a. a. O., fol. 380r: „Denn wenn man wil zusamen / oder gegen einander rechnen die Sünde des schuldigen Menschen / vnd die gnad des Erlösers / so vbertrifft Gottes gnad so fern vnd weit die Sünde / so fern Morgen vnd Abend von einander stehen etc. Des sollen sich alle arme busfertige Sünder zu dieser höchsten person versehen / vnd wissen / das sie haben nicht allein ein giltig vnd genugsam Opfer für jre Sünde / wie da spricht die Epistel zu den Ebr. 9[,13 f.]. Denn so der ochsen vns böckeblut / vnd die asche von der kue gesprengt / heiliget die vnreinen zu der leiblichen reinigkeit / wie viel mehr wird das Blut Jhesu Christi / der sich selbs on allen wandel durch den heiligen Geist Gott geopffert hat / vnser gewissen reinigen von den toden

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5.3  In Wittenberger Tradition 5.3.1  Lutherische Passionstheologie Habermanns Karfreitagspredigt steht grundsätzlich in der Tradition lutherischer Passionstheologie, wie sie maßgeblich durch Luthers Passionssermon von 1519 geprägt wurde, wie an einigen Grundcharakteristika erkennbar ist: (1.) Zu Beginn des ersten Teils der Predigt werden vor der Darlegung der rechten Passionsbetrachtung, die sich durch den Fokus auf die Person Jesu Christi hinsichtlich ihrer soteriologischen Exklusivität auszeichnet, zwei Arten der Passionsbetrachtung als problematisch charakterisiert, die sich ebenso am Beginn von Luthers Passionssermon finden: erstens das Schelten der negativen Akteure der Passionsgeschichte (Judas, die Juden, der Hohepriester, Pilatus, die ‚gottlosen Kriegsknechte‘) und zweitens das Mitleiden mit Christus, wie es Jesu Mutter Maria und andere ‚gottselige Weiber‘, die Christus gefolgt sind, gehabt haben.435 (2.) Einen besonderen Akzent legt Habermann auf die Erkenntnis ‚unserer Sünde‘, über die Gott zürnt, als Ursache der Passion sowie der Erkenntnis der Liebe Christi gegen den Sünder, durch die er freiwillig den Weg der Erlösung geht und die Sünde trägt. Dieses Gegenüber entspricht bei Luther den beiden Elementen der Betrachtung Christi als sacramentum.436 (3.) Am Ende des vierten Teils von Habermanns Predigt, die als Anleitung zur Passionsbetrachtung gestaltet ist, führt er aus, dass die Applikation des Heilswerkes Christi ‚durch den Glauben‘ im Sinne einer ‚herzlichen Zuversicht‘ geschieht. Dieses ‚für uns‘ geschehene Leiden und Sterben unterscheidet Habermann  – genau wie Luther in der Unterscheidung von Christus als Gabe und als Vorbild437 – von dem exemplarischen Verhalten Jesu: „Darnach lernen wir weiter von dem leiden vnd sterben vnsers HERRN Jhesu Christi / das dasselbige vns nicht allein ein geschenck ist / sondern es sol vns hernach auch ein Exempel sein“.438 wercken / zu dienen dem lebendigen Gott. Derwegen wir diesen trost wol mercken sollen wider alle anfechtung des Teuffels / vnd wider aller Sünden macht.“ 435 Vgl. Habermann, Postilla, fol. 378v ; zu Luther s. o. Kapitel II.2.3. 436  S. o. Kapitel II.2.7. Gerade dieses Gegenüber, das 1578 besonders in Teil drei der Predigt herausgestellt wurde, war 1575 durch die aneinandergereihte Aufzählung von fünf Ursachen noch nicht so deutlich ersichtlich (s. o. Kapitel VI.5.2.5 Anm. 422). 437  S. o. Kapitel II.2.6.1. 438  Habermann, Postilla, fol. 385v. Auch diese deutliche terminologische Verbindung zu Luthers passionstheologischem Impuls ist 1578 deutlicher ausgeprägt als in der Fassung von 1575. Zwar hat Habermann sachlich auch schon 1575 die Erkenntnis der eigenen Sünde und den Glauben an das Erleiden und Tragen der Sünde durch Christus den Werken vorangestellt (vgl. Habermann, Postilla […] 1575, fol. CXXXVIIIv : „Es sollen aber nach dem Glauben folgen die guten werck / das wir auch lehrnen gedultig seyn in vnserm Leiden“). Doch fehlt gerade die begriffliche Gegenüberstellung von der Passion als ‚Geschenk‘ einerseits und ‚Exempel‘ andererseits.



5  Johann Habermann323

5.3.2  Altgläubige Prägungen? Interessanterweise finden sich in der Predigt Habermanns keinerlei Reflexe auf die Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe der 1550er und 1560er Jahre  – weder explizit durch Verwerfungen noch implizit durch bestimmte Begrifflichkeiten439 –, wie auch keinerlei polemische Abgrenzung gegen Altgläubige die Predigt durchziehen.440 Im Vergleich zu anderen lutherischen Predigern und auch zu Luther ist schon dies auffällig, doch zeigen auch einige Formulierungen der Predigt, dass das Feld der lutherischen Theologie im Sinne derjenigen Wittenberger Prägung breiter ist als Luther selbst. (1.) Hin und wieder baut Habermann in seinen Predigten Zitate altkirchlicher Autoritäten in der Volkssprache ein, was freilich an sich noch nicht ungewöhnlich ist. In der Karfreitagspredigt zitiert er an zwei Stellen Augustin441 und ein Mal Irenäus.442 Irenäus wird – wie schon von Vischer – zum Beleg dessen 439  Dies entspricht den in der Vorrede getätigten Ankündigungen Habermanns: Streitigkeiten, die in den Hohen Schulen ausgefochten werden, seien nichts für den ‚gemeinen Mann‘und vom Zanken und Lästern halte er nichts (vgl. a. a. O., fol. [A6r–v]; s. o. Kapitel VI.5.1). 440  Interessanterweise ist die einzige Polemik gegen Altgläubige, die sich in der 1575er Fassung findet, 1578 weggelassen: Die als unzureichenden Formen der Passionsbetrachtung verworfenen Praktiken der Beschimpfung von Juden, des Judas, des Hohepriesters etc. und der compassio waren ursprünglich eingeleitet durch den Satz: „Wir wöllen nicht thun / wie vorzeiten die München / die in jren predigen nur […]“ (Habermann, Postilla […] 1575, fol. CXXXIIIv). 441  Bei dem ersten, etwas längeren Zitat (vgl. Habermann, Postilla, fol. 380r) gibt Habermann explizit an, dass es Augustins Meditationes cap. 8 entstamme (vgl. PL 40, 907f ). Auch das zweite, kürzere Zitat (Habermann, Postilla, fol. 383v : „Wir sind der Sper der seine Seiten geöffnet hat / wie Augustin sagt“) entspricht dem Duktus des cap. 7 der Meditationes (vgl. etwa PL 40, 906: „Ego tuae passionis livor“; ein zeitgenössischer Druck übersetzt: „Ich bin die Öffnung der Wunden deines Leidens“ [Ps.‑Augustin, Büchlein, fol. 52]). Die Schrift Meditationes (in: PL 40, 897–942), gehört mit den Schriften Soliloquia (in: PL 40, 863–898; nicht zu verwechseln mit der unter demselben Kurztitel [vgl. Drecoll, Augustin Handbuch, 656] verwendeten authentischen Schrift Soliloquiorum libri duo, in: PL 32, 869–904/CSEL 89, 1–98) und Manuale (in: PL 40, 949–969), die „alle aus dem späten 12. Jh.“ (Ruh, Art. Augustinus, 533) stammen, zu den bedeutendsten und verbreitetsten pseudoaugustinischen Schriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Sie wurden – neben diversen Einzelabschriften und -drucken – auch häufig zu dritt verbreitet, so allein in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert in Kölner und Dillinger Drucken 1562 (VD16 A 4289), 1570 (VD16 ZV 878), 1571 (VD16 A 4290), 1575 (VD16 A 4291), 1584 (VD16 A 4292), 1594 (VD16 A 4293) und 1598 (VD16 A 4294) sowie in deutscher Übersetzung 1571 (VD16 A 4295), 1577 (VD16 ZV 902), 1585 (VD16 ZV 20825), 1597 (VD16 A 4297). Auch im reformatorisch gesinnten Bremen wurden die Schriften 1585 (VD16 ZV 903) gedruckt, sowie eine neue Übersetzung der Meditationes in Wittenberg 1589 (VD16 ZV 1565). In der lutherischen Frömmigkeit des 17. Jahrhunderts wirkten die pseudoaugustinischen Meditationes unter anderem durch ihre Verarbeitung in Martin Mollers Meditationes sanctorum patrum (vgl. Axmacher, Praxis, 103–138) und – weniger gewichtig – in Johann Arndts Paradiesgärtlein (vgl. Park, Paradiesgärtlein, 154–174). Parallel dazu wurden sie ebenso in römisch-katholischer Tradition hochgeschätzt und bis ins 19. Jahrhundert als volkssprachliche Erbauungsliteratur genutzt (vgl. etwa die 1840 veröffentlichte Ausgabe Betrachtungen des heiligen Augustin von Joseph Schropps). 442  Vgl. a. a. O., fol. 379r.

324

VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

zitiert, dass Christus in der Passion lediglich nach seiner menschlichen Natur gelitten habe, da die göttliche Natur weder leiden noch sterben könne.443 Der durch die Idiomenkommunikation geprägten Christologie Luthers widerspricht diese Aussage zwar, doch war Irenäus mit dem entsprechenden Zitat von Melan­ chthon rezipiert worden und so Teil der in Wittenberg gelehrten Theologie.444 Im Unterschied zu Vischer relativiert Habermann das Zitat jedoch nicht durch die auch bei Melan­chthon begegnende Unterscheidung von ‚abstrakter‘ und ‚konkreter‘ Rede mit Blick auf die Naturen; dennoch zielt die christologische Argumentation insgesamt genau wie bei Vischer auf die Würde der Person, die den Unterschied im Wert des Leidens ausmache.445 (2.) Bei seiner Kritik an bestimmten Passionsbetrachtungsweisen zu Beginn des ersten Teils, erwähnt Habermann genau wie Luther das Mitleiden mit Christus (compassio). Anders als Luther setzt er das Erschrecken über die Sünde jedoch nicht alternativ zur compassio an dessen Stelle, sondern fügt an, dass diese „an jm selber nicht vnrecht“446 sei, wenngleich es „doch nicht die rechte betrachtung des leidens Christi“447 sei. Das ist insofern auffällig, als genau diese Form der Relativierung ohne Ablehnung des Mitleidens in der Passionsbetrachtung dem Umgang mit diesem Thema entspricht, wie er sich bei den altgläubigen Theologen Wild und Helding findet,448 aber auch bei Vischer beobachtet werden konnte.449 Insgesamt legt Habermann, ohne dass er dies betonen würde, der compassio tendenziell positive Konnotationen bei, etwa wenn er sich auf das ‚herzliche Mitleiden‘ der unvernünftigen Kreatur450 oder das Mitleid, das Pontius Pilatus mit Christus hat,451 bezieht. (3.) Schließlich führt Habermann bei seiner Beschreibung des äußerlichleiblichen Leidens Christi aus: „Wenn wir aber seine geisselung bedencken / ist wol zu erachten / wie man alda mit jm wird sein vmbgegangen / da die schirganten vnd krigesknechte den HErrn Christum an eine seule gebunden haben / vnd genomen nicht kindes ruthen / sondern henckers gerten / hefftige geissel vnd scharffe peitschen / vnd haben die starcken schelmen seinen heiligen zarten Leib durchgeisselt vnd zerschmissen / das nichts gantzes an seinem heiligen Leib blieben ist“.452 443  Vgl. ebd.: „derselbige [d. h. Christus, J. R.] leidet nach seine Menschlichen natur / die Gottheit aber hat geruhet / wie Jreneus sagt / denn sie kan weder leiden noch sterben / weil sie nicht fleisch vnd blut ist“. 444  S. o. Kapitel VI.4.3.3. 445  S. o. Kapitel VI.5.2.3. 446  Habermann, Postilla, fol. 377v. 447  A. a. O., fol. 378r. 448  S. o. Kapitel V. 2.3.3 und V. 4.3. 449  S. o. Kapitel VI.4.3.4. 450 Vgl. Haberman, Postilla, fol. 379r. 451  Vgl. a. a. O., fol. 381r. 452 Ebd.

5  Johann Habermann325



Derartige Details bezüglich bestimmter Waffen sowie das Motiv der Geißelsäule, die ikonographisch im 15. und 16. Jahrhundert weit verbreitet waren,453 sind nicht Bestandteil des biblischen Berichtes, erlangten jedoch im Zuge der Intensivierung der Passionsfrömmigkeit große Berühmtheit und waren Teil der zeitgenössischen Andachtsliteratur.454 Die Geißelsäule selbst wurde jedoch bereits von frühchristlichen Pilgern, u. a. auch von Hieronymus als Teil der frühchristlichen Passionstradition erwähnt.455 Sie ist insofern Teil der Überlieferung der Kirchenväter, die auch in reformatorischer Tradition studiert und rezipiert wurden und in hohem Ansehen standen. In einer späteren, 18 Predigten umfassenden Auslegung der Passion Jesu Christi, in der Habermann sowohl noch stärker mit altkirchlichen Überlieferungen und Autoritäten arbeitet, also auch die Geißelung deutlicher schildert, beruft er sich hinsichtlich der Geißelsäule explizit auf die Bezeugung durch Hieronymus.456 Auch andere evangelische Prediger konnten, wenn sie die Passion in einer umfangreichen Predigtreihe auslegten, die Geißelung samt Geißelsäule anschaulich beschreiben;457 auf den die Geißelung abbildenden Holzschnitten, die auch in zahlreichen evangelischen Postillen und Passionsauslegungen enthalten sind, findet diese ohnehin in der Regel an der Säule statt.458 Die genannten Elemente der Karfreitagspredigt Habermanns – ein der Christologie Luthers widersprechendes Irenäus-Zitat, die Relativierung der Kritik an der compassio und die Ausmalung des Leidens Christi durch Motive, die nicht den kanonischen Evangelien entstammen – könnten als altgläubige Prägungen interpretiert werden, die für den nicht im reformatorischen Kontext aufgewachsenen und noch zum Priester geweihten Theologen auch als evangelischem Prediger unanstößig waren. Gleichwohl kann all das durchaus auch, wie gezeigt, als Teil der Tradition der Wittenberger Reformation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angesehen werden, wenn diese nicht auf Luther bzw. Lutherrezeption enggeführt wird.

453 

Zu den sog. arma Christi vgl. Schiller, Ikonographie 2, 198–210; zum Motiv der Geißelsäule, deren in der römischen Basilika Santa Prassede befindlicher Teil beim Trienter Konzil als Reliquie anerkannt wurde, vgl. Volkmann, Art. Geißelsäule. 454 Vgl. Köpf, Art. Passionsfrömmigkeit, 745–747. 455 Vgl. Küchler, Jerusalem, 614. Die Geißelsäule erwähnen die Pilgerin Egeria, Itinerarium 37,1 (in: FC 20, 270,25–27) und Hieronymus, Epistula 108,9 (in: CSEL 55, 315,21 f.). 456 Vgl. Habermann, PAssion, fol. 283 (Predigt 12). 457  Vgl. beispielsweise Vischer, Gnadreiche Histori, fol. 232r (Predigt 13). 458  U. a. in der 1575er Ausgabe der Postille Habermanns (fol. CXXXIv). Da 1578 die Passionsharmonie nicht mit abgedruckt wurde, fehlen auch die diese zierenden Holzschnitte.

326

VI.  Variationen in der Wittenberger Tradition (1560–1580)

6  Zusammenfassender Vergleich Ein Vergleich der Passionspredigten aus den Postillen Wigands, Musäus’, Vischers und Habermanns ergibt das Bild einer großen Variationsbreite auf der Basis gemeinsamer passionstheologischer Grundlinien. (1) Zunächst spiegeln die untersuchten Predigten die verschiedenen Arten der Passionspredigt: Es gibt thematische Predigten, die  – mit zum Teil unterschiedlicher Systematik459 – konzentriert die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi darlegen (Wigand, Habermann und Vischer), chronologische Auslegungen der Passionsgeschichte, die in der Regel in einer Predigtreihe auf Grundlage einer Passionsharmonie gehalten werden (Musäus und Vischer), und die Predigt alttestamentlicher Texte, verstanden als Figuren460 der Passion, wobei unter diesen das Gottesknechtslied Jes 53 von herausragender Bedeutung ist (Wigand und Musäus). Die Länge der Predigten variiert zwischen den knappen Auslegungen eines Musäus und den auch für das 16. Jahrhundert auffallend langen Ausführungen Vischers. Ebenso unterschiedlich ist die Rhetorik der Prediger: Während Wigand in sehr lehrhaftem, argumentativem Stil die ‚rechte Lehre‘ des Evangeliums von der Passion Christi darlegt und auch die Predigten des Musäus stets auf das theologisch Wesentliche begrenzt sind, zielen die Predigten Habermanns und mehr noch Vischers stärker auf eine affektive Beteiligung der Hörerinnen und Hörer. (2) Der tendenzielle stilistische Unterschied zwischen Musäus/Wigand einerseits und Vischer/Habermann andererseits korreliert mit deren unterschiedlichen Stellungen in den Streitigkeiten um das Wittenberger reformatorische Erbe. Musäus und Wigand, die grundsätzlich dem sog. gnesiolutherischen Lager zugerechnet werden, beteiligten sich vielfach an den theologischen Kontroversen. In den Vorreden der Postillen und auch in den Predigten selbst äußert sich dies etwa darin, dass sie in besonderem Maße an der ‚Reinhaltung‘ des Evangeliums – das mit der Lehre Luthers identisch sei – gegen alle ‚Verfälschungen‘ interessiert sind, gerade auch wenn diese auf dem Boden der Reformation erwachsen sind. Entsprechend hat Wigand das Stichwort Gerechtigkeit genutzt, um gegen die irrigen Ansichten Osianders zu argumentieren, und Musäus sieht den ‚nützlichen Gebrauch‘ seiner Predigt über alttestamentliche Passionstexte u. a. in der Anwendung gegen ‚alle Ketzer‘, wozu gleichermaßen ‚Papisten‘, ‚Osiandristen‘ und ‚Majoristen‘ gezählt werden. Für Vischer und Habermann ist die Abgrenzung gegenüber den Altgläubigen und der Schweizerischen Reformation 459  Während Wigand in seiner Predigt einen heilsgeschichtlichen Bogen von Schöpfung und Fall über die Erlösung bis zur Auferstehung zum ewigen Leben spannt, orientiert sich Habermann eher christologisch an den Fragen wer, wie, warum und wofür gelitten hat. Vischer hat in der zweiten und dritten Predigt der Festpostille einen ähnlichen Aufbau wie Habermann, jedoch um einige Fragen erweitert. 460  Zu diesem Begriff s. o. Kapitel II.2.4.1 Anm. 205.

6  Zusammenfassender Vergleich327



zwar ebenso selbstverständlich, doch waren sie kaum an den Kontroversen um das Erbe der Wittenberger Reformation beteiligt, was sich auch an der geringen Bedeutung dieser Kontroversen in den Predigten zeigt.461 Habermann sah in den Schulstreitigkeiten vielmehr die Gefahr von der Verwirrung des ‚gemeinen Mannes‘, weshalb er prinzipiell in seinen Predigten nicht auf diese eingehen wollte. Unter anderem in den christologischen Ausführungen Vischers und Habermanns bestätigt sich deren größere Nähe zu Melan­chthon. (3) Die etwas stärker affektorientierte Rhetorik Vischers und Habermanns entspricht deren tendenziell positiven Bezugnahmen auf das Mitleiden mit Christus. Richtete sich einer der Hauptkritikpunkte Luthers an der Passionspredigt und -frömmigkeit seiner Zeit gegen die compassio – eine Kritik, die bei Habermann immerhin noch kurz erwähnt wird –, so scheint diese Abgrenzung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts für die evangelischen Prediger an Bedeutung verloren zu haben. Bei Wigand und Musäus kommt die compassio überhaupt nicht vor, Vischer und Habermann können sie in die Passionsbetrachtung integrieren, wobei ihr dennoch kein zentraler Stellenwert beigemessen wird – ähnlich wie bei den altgläubigen Predigern Helding und Wild. (4) Alle genannten Unterschiede basieren auf fundamentalen passionstheologischen Gemeinsamkeiten, die die Zentralgedanken von Luthers 1519er Passionssermon darstellen und entsprechend als Wirkungen seiner passionstheologischen Impulse verstanden werden können: Luthers Unterscheidung von der Betrachtung der Passion Christi als sacramentum und als exemplum zeigt sich bei allen Predigern in der Betonung der soteriologischen Exklusivität Jesu Christi und der – sowohl quantitativen als auch qualitativen – Nach- und Unterordnung der Vorbildbedeutung seines Verhalten. Ebenso begegnen die beiden Zentralaspekte der Betrachtung der Passion als sacramentum bei Luther – dem Erschrecken aufgrund der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit, über die Gott zürnt, und dem Glauben, dass Christus die Sünde getragen hat, weil die Passion Christi in der Liebe Gottes zu den sündigen Menschen gründet – sachlich bei allen Predigern an zentraler Position. Mitunter werden zur Veranschaulichung dessen bestimmte Ausdrucksweisen oder Metaphern bevorzugt, etwa wenn Vischer von der Passion als ‚Zorn- und Gnadenspiegel‘ spricht.

461 

Lediglich eine allgemeine Verwerfung Osianders findet sich in den umfangreichen Predigten Vischers, jedoch ohne weitere argumentative Auseinandersetzung.

VII.  Zusammenschau und Ausblick Erstmals wurden in dieser Arbeit Passionspredigten des 16. Jahrhunderts auf breiter Quellengrundlage untersucht, um die diesbezügliche Forschungslücke zwischen der Zeit vor der Reformation und dem Barockzeitalter1 ein Stück weit zu schließen. Die Postillen Luthers und weiterer vierzehn sowohl lutherischer als auch altgläubiger Autoren wurden in die Studie einbezogen. Dabei sind methodisch drei Untersuchungsebenen unterschieden worden, die sich im Aufbau der Arbeit spiegeln:2 Kamen auf einer ersten Ebene die einzelnen Postillatoren und ihre Passionspredigten für sich und in ihrem je spezifischen Kontext in den Blick, so wurden auf einer zweiten Ebene mehrere Autoren einer Zeit und einer konfessionellen Orientierung in größeren Kapiteln zusammengefasst und miteinander verglichen. Im Schlusskapitel sind nun die Ergebnisse der dritten Ebene zu bündeln, die sich auf übergreifende Fragestellungen für den gesamten Untersuchungszeitraum von den Anfängen der Reformation bis zur Entstehung des Konkordienbuches (1580) beziehen. Dies geschieht in drei Blöcken: Zunächst wird zusammenfassend dargestellt, worüber wie gepredigt wurde. Obgleich ein solcher Überblick den behandelten Zeitraum keineswegs umfassend wiedergibt, zeigen sich doch in den Quellen deutlich die bevorzugten Arten von Passionspredigten im 16. Jahrhundert. Sodann wird auf die der Arbeit zugrunde liegende Leitfrage eingegangen, ob sich in dem behandelten Zeitfenster so etwas wie ein Typus lutherischer Passionspredigt herausgebildet hat und an welchen Merkmalen dieser erkennbar ist. Dabei wird sowohl in der Binnenperspektive auf die Predigten Luthers und der Wittenberger reformatorischen Tradition als auch in konfessionsvergleichender Perspektive auf die altgläubigen Prediger Bezug genommen. Der dritte Teil ist schließlich der Frage nach Entwicklungen in den theologischen Kontroversen zwischen Evangelischen und Altgläubigen gewidmet. Als bedeutender Konfliktpunkt, dessen Behandlung in den Passionspredigten im Laufe der Jahrzehnte sehr verschiedene Ausprägungen erfahren hat, erwies sich das Thema des Mitleidens mit Christus (compassio). Neue Forschungsergebnisse generieren neue Forschungsperspektiven. Am Ende werden deshalb in Form eines Ausblicks derartige Perspektiven eröffnet, 1  2 

S. o. Kapitel I. 1. S. o. Kapitel I. 5.

330

VII.  Zusammenschau und Ausblick

die aus den Erkenntnissen dieser Studie erwachsen sind, jedoch über ihre thematische, personelle und zeitliche Begrenzung hinausweisen.

1  Formen der Passionspredigt im Überblick Bei den in den Postillen des 16. Jahrhunderts vorhandenen Passionspredigten lassen sich grundsätzlich drei Arten unterscheiden, die keine bestimmte konfessionelle Prägung aufweisen, sondern im evangelischen wie auch altgläubigen Kontext zu finden sind: chronologische, thematische und typologische Passionspredigten. 1.1  Chronologische Passionspredigt Die gewöhnliche Form der christlichen Predigt ist die Auslegung eines biblischen Textes. Während die zahlreichen Erzählungen über die Worte und Werke Jesu Christi in den Evangelien in mehr oder weniger geschlossenen Perikopen vorliegen, die den Sonntagen im Kirchenjahr zugeordnet wurden, stellt sich liturgisch die Herausforderung, dass der größte zusammenhängende Erzählkomplex auf die letzten Tage des Lebens Jesu Christi konzentriert ist: Die vielen Kapitel, zudem in vierfacher Version,3  – vom Einzug Jesu in Jerusalem über das letzte Mahl mit den Jüngern, die Verhaftung und die Verhöre samt Geißelung bis zur Kreuzigung und schließlich der Auferstehung – sind im Kirchenjahr in der Woche von Palmsonntag über Gründonnerstag und Karfreitag bis zu den Ostertagen verortet. Entsprechend intensiv wurden diese Tage im 16. Jahrhundert kirchlich begangen. Dazu gehörte nicht selten – und zwar sowohl im evangelischen als auch im altgläubigen Kontext – die komplette Lesung und Auslegung der Passionsgeschichte, wobei letzteres in sehr unterschiedlichem Umfang geschehen konnte. Als Textgrundlage diente dabei meist eine Harmonie der vier Evangelienberichte zu einer zusammenhängenden, chronologisch geordneten Erzählung. In den von Wittenberg geprägten Kirchen entwickelte sich die Passionsharmonie Johannes Bugenhagens zum Standard, nach der auch Luther meist über die Passion predigte.4 Luther hatte sich schon früh gegen stundenlange Karfreitagspredigten ausgesprochen  – eine Kritik, die durchaus schon vor der Reformation verschiedentlich laut geworden war. Bei Friedrich Nausea und Michael Helding zeigte sich jedoch, dass im 16. Jahrhundert auch weiterhin am Karfreitag die gesamte Passionsgeschichte Abschnitt für Abschnitt ausgelegt werden konnte.5 Da3  Die zusammenhängende Erzählung vom letzten Mahl bis zur Auferstehung ist enthalten in Mt 26–28, Mk 14–16, Lk 22–24 und Joh 18–20. 4  S. o. Kapitel II.1.1 Anm. 48. 5  S. o. Kapitel III.3.2.1 und Kapitel V. 4.2.1.

1  Formen der Passionspredigt im Überblick331



neben war es vielerorts üblich, dass die Passionsgeschichte in einer Predigtreihe verkündigt werden sollte, beispielsweise von Mittwoch bis Samstag in der Karwoche. Die Predigtreihen der hier untersuchten evangelischen Autoren, die die Passionsgeschichte chronologisch entlang einer Passionsharmonie auslegten, umfassen zwei (Simon Musäus)6 bis dreizehn Predigten (Veit Dietrich)7. Jedoch scheint die Praxis einer langen chronologischen Passionspredigt am Karfreitag im reformatorischen Lager Wittenberger Prägung nicht mehr geübt worden sein – in den Postillen, die anderen Predigern zum Vorbild dienen sollten, finden sie sich jedenfalls nicht. 1.2  Thematische Passionspredigt Die Alternative zur Predigt als Auslegung eines bestimmten Bibeltextes ist die Themenpredigt. Die Karfreitagspredigt kann eine solche über die Bedeutung des Kreuzes Jesu Christi sein. Da zum Karfreitagsgottesdienst die Lesung der Passionsgeschichte gehörte – entweder nach dem Johannesevangelium8 oder nach einer Harmonie –, zeigte sich insbesondere bei den altgläubigen Theologen, dass sie ihre Karfreitagspredigten als ‚Vorreden‘ oder ‚Beschlussreden‘ konzipierten, das heißt zur Vorbereitung oder am Ende der biblischen Lesung.9 In dieser Funktion sollten sie den Gläubigen zusammenfassend darlegen, worum es an diesem Tag bzw. in dieser Geschichte im Kern geht und welche Bedeutung dies für sie hat – in der Sprache des 16. Jahrhunderts: Es ging darum zu erklären, wie die Passion ‚nützlich und fruchtbar betrachtet‘ und der ‚Nutzen‘ und die ‚Früchte‘ angeeignet werden können. Genau das sind auch die Fragen, auf die Luther 1519 im Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi einging. Der Passionssermon war von Luther selbst nicht als Predigt gehalten worden, er diente aber in derselben Weise wie die auf die biblische Lesung vorbereitenden Predigten als Anleitung zur Passionsbetrachtung. Indem der Passionssermon in die Fastenpostille aufgenommen wurde, fungierte er zudem als vorbildliche Karfreitagspredigt. Die Karfreitagspredigten der evangelischen Prediger waren in aller Regel thematische Predigten, in der konzentriert die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi erläutert wurde.10 Sie dienten jedoch weniger als die altgläubigen Predigten, die als ‚Vorreden‘ auf die Lesung gehalten wurden, – und auch weniger als Luthers Passionssermon – als Anleitung zur konkreten Passionsmeditation. 6 

S. o. Kapitel VI.3.2.2. S. o. Kapitel IV. 4.2.1. 8  Dies zeigt sich auch an der dritten Passionsauslegung in der Postille Johannes Ecks (s. o. Kapitel III.2.2.1). 9  So bei Friedrich Nausea (s. o. Kapitel III.3.2), Johann Wild (s. o. Kapitel V. 2.2) und Jakob Schöpper (s. o. Kapitel V. 3.2). 10  So bei Johannes Wigand (s. o. Kapitel VI.2.2.3), Christoph Vischer (s. o. Kapitel VI.4.2.4) und Johann Habermann (s. o. Kapitel VI.5.2). 7 

332

VII.  Zusammenschau und Ausblick

1.3  Typologische Passionspredigt Eine gewisse Sonderrolle spielten die Passionspredigten über alttestamentliche Texte, allen voran dem vierten Gottesknechtslied Jes 53. Sie waren fester Bestandteil sowohl altgläubiger als auch evangelischer Passionspredigten.11 In zahlreichen Einzelmotiven, Erzählungen und Personen nahm man ‚Figuren‘ – gewissermaßen Vorabbildungen – des Leidens und Sterbens Jesu Christi wahr. Man wollte damit dem Weg folgen, den der auferstandenen Jesus nach Lk 24,25– 27 den Emmausjünger gewiesenen hatte, als er ihnen aus der Tora und den Propheten darlegte, dass ‚der Christus dies alles erleiden musste‘. Die Prediger des 16. Jahrhunderts sahen darin in doppelter Weise einen glaubensstärkenden Nutzen: Zum einen könne eine Kontinuität im Handeln Gottes ausgemacht werden, die die Geltung seiner Verheißungen garantiere; zum anderen könnten so die alternativen Deutungen von Juden wiederlegt werden. Für beides wurde Jes 53 als herausragender Text angesehen, da dieses Kapitel so ‚klar‘ und konkret wie kein anderes die Passions Christi verkündige. Es diente entsprechend häufig als Grundlage von typologischen Passionspredigten.

2  Typus ohne Antitypus: Lutherische Passionspredigt im konfessionellen Vergleich 2.1  Typisch lutherisch – typisch altgläubig? Das Ergebnis dieser Studie hinsichtlich der Frage, ob im 16. Jahrhundert eine Art Typus lutherischer Passionspredigt ausgemacht werden kann, lässt sich in einer zweiteiligen Antwort zusammenfassen: Es gibt inhaltliche Merkmale, die angeregt von passionstheologischen Impulsen Luthers die Passionspredigten aller Theologen in Wittenberger Tradition kennzeichnen, sodass diese durchaus als typisch lutherische Passionspredigten bezeichnet werden können. Die Komplexität des Befundes im konfessionellen Vergleich besteht jedoch darin, dass dem lutherischen Typus kein anderer, altgläubiger Typus gegenübersteht, sodass die typischen Merkmale lutherischer Passionspredigten nicht exklusiv in lutherischen Passionspredigten zu finden sind. Das so formulierte Ergebnis einer synchronen Betrachtung der analysierten Predigten findet in diachroner Perspektive eine plausible Erklärung: Im Bereich der Wittenberger Reformation lässt sich eine passionstheologische Traditionsbildung feststellen, die von Luthers Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi von 1519 ausgeht und bis in die hier bearbeitete Zeit des Kon11  Auslegungen alttestamentlicher Texte in Bezug auf die Passion Christi finden sich auf evangelischer Seite bei Luther (s. o. Kapitel II.4.3), Melan­chthon (s. o. Kapitel IV. 3.2.1 und IV. 3.2.3), Wigand (s. o. Kapitel VI.2.2.2) und Musäus (s. o. Kapitel VI.3.2.3) sowie auf altgläubiger Seite bei Nausea (s. o. Kapitel III.3.3.2) und Schöpper (s. o. Kapitel V. 3.2.2).



2  Lutherische Passionspredigt im konfessionellen Vergleich333

kordienbuches andauert. Die beachtliche Variationsbreite in der konkreten Ausgestaltung der Predigten und die je eigenen inhaltlichen Akzentuierungen gehen von klar erkennbaren passionstheologischen Leitgedanken aus, die bereits in Luthers Passionssermon enthalten sind. Wenn hier also von ‚typisch lutherischen‘ Passionspredigten gesprochen wird, dann meint dies nicht anachronistisch ein fixiertes normatives Gerüst im Sinne eines Konkordienluthertums, sondern die Prägung der Passionspredigten im Bereich der Wittenberger reformatorischen Tradition durch passionstheologische Impulse Luthers, deren Verbreitung, Tradierung und Verfestigung bis zu einem gewissen Grad rezeptionsund literargeschichtlich aufweisbar sind. Auf altgläubiger Seite hat demgegenüber im 16. Jahrhundert keine analoge Traditionsbildung stattgefunden, was wohl dadurch zu erklären ist, dass es keine in der Weise prägende Gestalt gab, wie dies Luther im Bereich der von Wittenberg ausgegangenen reformatorischen Tradition war. Folglich wurde über die Passion Christi auf der Grundlage einer jahrhundertelangen Auslegungstradi­ tion und in mehr oder weniger intensiver Auseinandersetzung mit den reformatorischen Impulsen gepredigt. An der Auslegungstradition partizipierte freilich ebenso das evangelische Lager, wenn auch gewissermaßen durch die passionstheologischen Impulse Luthers gefiltert, und die Auseinandersetzung mit den passionstheologischen Anliegen der evangelischen Theologen erfolgte  – wie in Kapitel V gezeigt worden ist – nicht ausschließlich in negativ abgrenzender Weise. Vielmehr konnten reformorientierte altgläubige Prediger die offenbar als berechtigt empfundene Kritik an Missständen der zeitgenössischen Passionstheologie und -frömmigkeit teilen und die von evangelischer Seite positiv gesetzten passionstheologischen Akzentuierungen sogar übernehmen. Diese wurden als Korrektur, nicht als Kontrast zur passionstheologischen Tradition wahrgenommen und konnten entsprechend in sie integriert werden. Auch die evangelische Orientierung allein an der Heiligen Schrift stellt kein formales konfessionelles Differenzkriterium der Passionspredigten dar, denn einerseits zitierten ebenso evangelische Prediger Autoritäten wie Augustin und Bernhard von Clairvaux und andererseits konnten auch altgläubige Predigten ausschließlich biblisch argumentieren. Die Bandbreite an Passionspredigten auf altgläubiger Seite lässt sich demzufolge nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen: ‚Typisch altgläubige‘ Passionspredigten gab es im 16. Jahrhundert nicht. Wollte man aus konfessionell lutherischer Perspektive nur jene Predigten als typisch altgläubig deklarieren, die der eigenen Kritik entsprechen, so steht dem der Umstand entgegen, dass die am weitesten verbreiteten Postillen im deutschsprachigen Raum ab Mitte des 16. Jahrhunderts ausgerechnet aus der Feder jener altgläubigen Prediger kamen, bei denen reformatorische Impulse auch positive Resonanz fanden. Deren Predigten stammten allesamt aus der Zeit vor dem Konzil von Trient, das in Reaktion auf die Reformation theologische Klärungen und entsprechend

334

VII.  Zusammenschau und Ausblick

eine konfessionelle Homogenisierung der römisch-katholischen Kirche herbeiführen wollte. Zu prüfen, ob und inwiefern sich dies in nachkonziliarer Zeit auch auf die Passionspredigten auswirkte, wäre eine Forschungsaufgabe, die die Postillen vom Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts zur Grundlage nehmen müsste. 2.2  Das theologische Zentrum lutherischer Passionspredigt Welches sind die theologischen Grundcharakteristika, die für lutherische Passionspredigten maßgeblich sind? Zwei Leitgedanken finden sich bei sämtlichen Predigern, die dergestalt und in dieser spezifischen Zuordnung im passionstheologischen Kontext erstmals in Luthers Passionssermon 1519 formuliert wurden: Der erste theologische Leitgedanke ist die Betonung der soteriologischen Exklusivität Jesu Christi, die Ausdruck findet in der grundsätzlichen, immer wieder hervorgehobenen Unterscheidung zwischen dem Erlösungs- und Versöhungswerk des Gottessohnes durch sein Leiden und Sterben ‚für uns‘ einerseits und der Vorbildfunktion Jesu Christi für die eigene Lebensführung sowie den Umgang mit Leid, Anfechtungen und der Todessituation andererseits. Diese Unterscheidung brachte Luther in seinem Passionssermon auf die Begriffe der Betrachtung der Passion Christi als Sakrament (sacramentum) einerseits und als Exempel (exemplum) andererseits.12 Schon aus der Gliederung des Sermons – Absatz 4–14: Die Betrachtung der Passion Christi als Sakrament, Absatz 15: Die Betrachtung der Passion Christi als Exempel – wird das sachliche Gewicht und die unaufgebbare Priorisierung des ersten ersichtlich. Was Christus ‚um unserer Sünde willen‘ und ‚uns zugute‘ getan hat, gelte es klar zu trennen von allem, woran ‚wir mitwirken‘. Während die Bezeichnung Exempel im Sinne des Vorbildes sowohl von Luther selbst als auch von zahlreichen anderen Theologen weiterhin gebraucht wurde, verfestigte sich die von Augustin stammende begriffliche Unterscheidung sacramentum  – exemplum nicht. Luther selbst sprach später bezüglich des ‚Christus für uns‘ eher von diesem als donum bzw. als Gabe und Geschenk. Unter den Theologen der Wittenberger Tradition bildete sich hierfür keine feste Begrifflichkeit aus. Am ehesten fand noch die an die bibelhermeneutische Tradition eines mehrfachen Schriftsinns erinnernde und von Melan­chthon im Kontext seiner Anleitung zur Passionsbetrachtung bevorzugte Formulierung der ‚geistlichen‘ Betrachtung (meditatio spiritualis) anstelle der Betrachtung Christi als sacramentum Verbreitung. Sie wurde sowohl von Christoph Vischer als auch später von weiteren Theologen der Wittenberger Tradition gebraucht.13 Wenn auch nicht begrifflich einheitlich, so erschien die Unterscheidung zwischen dem, was allein Christus durch sein Leiden und Sterben im Blick auf ‚unser‘ Heil tat, und dem, worin ‚wir‘ seinem Beispiel folgen sol12  13 

S. o. Kapitel II.2. S. o. Kapitel IV. 3.3 mit Anm. 155.

2  Lutherische Passionspredigt im konfessionellen Vergleich335



len, der Sache nach in lutherischen Passionspredigten nicht nur immer wieder, sondern wurde auch stets betont. Die kontroverstheologische Negativfolie, vor der die soteriologische Exklusivität der Passion Christi von Luther und Predigern der Wittenberger reformatorischen Tradition nicht selten hervorgehoben wurde, ist die ‚im Papsttum‘ anzutreffende ‚Werkgerechtigkeit‘. Der Vorwurf lautete, dass nicht angemessen zwischen dem alleinigen Heilswerk Christi und den Werken der Menschen unterschieden werde; dass also Christus in den Augen der ‚Papisten‘ durch seinen Tod am Kreuz nicht ‚genug getan‘ habe, sondern durch das Leiden der Christen oder ähnliches vervollständigt werden müsste. Äußerst bemerkenswert sind in dem Zusammenhang jedoch die aus den 1570er Jahren stammenden Ausführungen Christoph Vischers. Wohl in Wahrnehmung der rechtfertigungstheologischen Aussagen des Tridentinums differenzierte er: Mit den ‚Papisten‘, die freilich nach wie vor als ‚Werkheilige‘ bezeichnet wurden, sei man durchaus einig darin, dass allein Christus die Erlösung vollgenügsam vollbracht habe, jedoch bestehe weiterhin eine Differenz in der Frage nach der Applikation des Erlösungswerkes, nämlich ob diese allein durch den Glauben oder durch Glauben und Werke geschehe.14 Die von Vischer vorgenommene kontroverstheologische Differenzierung zwischen dem Erwerb des Heils durch Christus und der Applikation des Heils stellt im Verhältnis zu Luthers Wahrnehmung bzw. Charakterisierung der altgläubigen Soteriologie in den 1530er Jahren eine deutliche Entwicklung dar. Es bedarf der Analyse weiterer Passionspredigten über den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit hinaus, um der damit aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob die Differenzierung Vischers lediglich eine Ausnahme blieb oder weitere Verbreitung gefunden hat. Der zweite theologische Leitgedanke ist die Antwort auf die Frage, wie die Passion Christi recht zu verstehen sei und welche Bedeutung sie ‚für uns‘ habe: Im Kern gehe es um die Erkenntnis der eigenen Sünde als Ursache der Passion (‚um unserer Sünde willen‘) und um die Erkenntnis, dass das Heil der Menschen darin begründet ist, dass Christus diese getragen hat. Entsprechend müsse die Betrachtung der Passion einerseits zum Erschrecken über die eigene verdammungswürdige Sündhaftigkeit führen, andererseits zum trostspendenden Glauben an Christus als Überwinder von Sünde, Tod und Teufel. Diese zwei zusammengehörigen Aspekte, die eine auffällige Entsprechung in dem Gegenüber von Gesetz und Evangelium haben,15 sind Inhalt und Wirkung dessen, was Luther die Betrachtung der Passion als sacramentum nannte und Melan­chthon (und andere) die ‚geistliche‘ Betrachtung der Passion, auf die alles theologische Gewicht gelegt wurde. Das Leiden und Sterben Jesu Christi, 14 

15 

S. o. Kapitel VI.4.3.2. S. o. den Exkurs in Kapitel II.2.5.

336

VII.  Zusammenschau und Ausblick

so lässt sich dies zusammenfassen, wird in lutherischer Tradition zuerst und vor allem soteriologisch verstanden, das heißt: als ein Geschehen, durch das Gott richtend und rettend die durch die Sünde gestörte Beziehung zwischen sich und den Menschen wiederherstellt, wodurch diesen Heil und ewiges Leben eröffnet wird. Der für lutherische Passionspredigt typische Doppelaspekt kann sich in dem Beziehungsgeschehen auf Gott in seinem Verhältnis zum Menschen beziehen (als Gegenüber von Zorn und Barmherzigkeit Gottes), auf die Wirkung am Menschen (als Erschrecken und Glaube bzw. Trost) oder auf die Ursache der vom Menschen ausgehenden Beziehungsstörung und die Ursache der von Gott ausgehenden Versöhnung (d. h. menschliche Sünde und göttliche Liebe bzw. Gnade). Kernthema der Passionspredigt ist also genau dasjenige, das nach Luther Gegenstand aller Theologie ist – der sündigende Mensch und der rechtfertigende Gott16 –, wobei die Rechtfertigungsterminologie selbst in der Predigt vom Kreuz eine untergeordnete Rolle spielte. Während in chronologischen Passionsauslegungen, je umfangreicher die Predigtreihe desto mehr, weitere Themen ausgehend von der biblischen Erzählung angesprochen wurden, beschränkten sich die thematischen Karfreitagspredigten meist auf dieses Kernthema, das sie in unterschiedlicher Weise entfalteten. Da wie erwähnt die typischen inhaltlichen Kennzeichen lutherischer Passionspredigten nicht exklusiv in lutherischen Predigten zu finden sind, ist eine eindeutige Zuordnung von Passionspredigten zur reformatorischen Tradition Wittenberger Prägung letztlich erst durch weitere, nicht im engeren Sinne passionstheologische Kennzeichen möglich, allem voran durch diffamierende Bemerkungen gegen ‚Papisten‘, ‚Sakramentschwärmer‘, ‚Zwinglianer‘, ‚Calvinisten‘ etc. Derartige polemische Äußerungen stellten im 16. Jahrhundert seit der Reformation freilich keine Ausnahme dar.

3  Vom kontroverstheologischen Härtefall zur Abschleifung der Gegensätze: Das Mitleiden mit Christus 3.1 Zuspitzung Neben der Anleitung zur rechten Passionsbetrachtung standen schon in Luthers Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi Abgrenzungen zu unzureichenden Weisen und falschen Wegen der Passionsbetrachtung, die verschiedentlich von seinen Anhängern, etwa von Spangenberg oder Habermann, wiederholt wurden. Unter ihnen spielte die Kritik am Mitleiden mit Christus (compassio) in kontroverstheologischer Perspektive eine besondere Rolle. Im Umgang mit diesem Thema vollzog sich in den Jahrzehnten seit den ersten kri16 Vgl.

Bayer, Theologie, 36–42.

3  Das Mitleiden mit Christus337



tischen Äußerungen Luthers jedoch eine interessante Entwicklung, die in einem Durchgang durch die Kapitel dieser Untersuchung abschließend nachgezeichnet wird. Unter den drei von Martin Luther kritisierten Formen der Passionsfrömmigkeit – die Beschimpfung der Juden, der eigennützige Gebrauch des Kreuzes zum Schutz vor innerweltlichem Unheil und das Mitleiden mit Christus oder Maria17  – war die dritte diejenige mit dem größten Konfliktpotential. Zwar können retrospektiv auch die ersten beiden kritisierten Phänomene nicht einfach als volkstümliche Missbräuche abgetan werden, denen die gebildeteren Theologen abhold waren. Dies bestätigte nicht zuletzt die erste der drei Passionsauslegungen Johannes Ecks, deren frühe Entstehungszeit (zwischen 1512 und 1514) identifiziert werden konnte und in der all die genannten Aspekte positiv konnotiert enthalten sind.18 Dennoch galt gerade die compassio zeitgenössisch als ein ganz wesentliches Element und häufig als der notwendige Weg oder das Ziel der andächtigen Passionsmeditation bzw. der Passionspredigt, wovon ebenfalls die Passionsauslegungen Ecks zeugen. Bei ihm finden sich jedoch keine Spuren einer Auseinandersetzung mit der Kritik Luthers; anders dagegen bei Georg Witzel und mehr noch bei Friedrich Nausea. Beide reagierten auf die als neu wahrgenommene Ansicht, dass das Mitleiden und Weinen ein unnützer und falscher Umgang mit der Passion Jesu Christi sei.19 Insbesondere Nausea nahm dies zum Anlass, gegen die ‚gottlosen Ketzer‘ – und allein auf biblischer Grundlage – zu argumentieren, dass und warum die Anleitung zur rechten Passionsbetrachtung nichts anderes sei als eine Anleitung zur rechten compassio. Er setzte sich dafür explizit mit der Frage nach dem angemessenen Verständnis von Lk 23,28 auseinander – der Anweisung Jesu an die am Kreuzweg stehenden Frauen, nicht über ihn, sondern über sich und ihre Kinder zu weinen –, also mit jener Bibelstelle, mit der Luther die Kritik am Mitleiden mit Christus und als Alternative dazu das Erschrecken über die eigene Sündhaftigkeit angesichts der Passion begründete. Dass Nausea Anfang der 1530er Jahre gerade diese Karfreitagspredigt in seine Postille aufnahm, zeigt, welche Bedeutung er dem Konflikt beimaß – zumal in einer Zeit, in der altgläubige Postillen zur Orientierung der Prediger noch als Mangelware empfunden wurden. Die Frage nach dem Mitleiden mit Christus schien sich zum kontroverstheologischen Härtefall der Passionstheologie und -frömmigkeit zu entwickeln, zumal Luther seine Kritik auch in jener Predigt wiederholte, die Mitte der 1540er Jahre in die Hauspostille aufgenommen wurde.20 Zu derselben Zeit begegnete die compassio-Kritik zudem in Spangenbergs Postille zur Unterrichtung der Ju17 

S. o. Kapitel II.2.3. S. o. Kapitel III.2.2.2 und III.2.3 Anm. 139. 19  S. o. Kapitel III.3.3 und III.4.3.2. 20  S. o. Kapitel II.3.2.4. 18 

338

VII.  Zusammenschau und Ausblick

gend,21 der nach Luthers Hauspostille meistgedruckten Postille des 16. Jahrhunderts, und in Veit Dietrichs Passio,22 die in der Hauspostille Luthers mitgedruckt wurde.23 3.2 Entschärfung Die Postillen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts spiegeln demgegenüber eine zunehmende Abschleifung der Gegensätze, und zwar sowohl auf altgläubiger als auch auf evangelischer Seite. Es kam nicht zu einer Verhärtung der Fronten, sondern tendenziell zu einer sachlichen Anerkennung der relativen Berechtigung des Anliegens der je anderen Position, freilich ohne der Gegenpartei explizit zuzustimmen. Bei den altgläubigen Postillatoren Johann Wild und Michael Helding zeigt sich ein doppeltes Bemühen:24 Einerseits wurde der passionstheologische Impuls Luthers, dass es im Umgang mit der Passion allem voran darum gehen müsse, die eigene Sündhaftigkeit und die Erlösung allein durch Christi Leiden und Sterben ‚für uns‘ zu erkennen, als berechtigt erkannt. Andererseits sollte dies nicht an die Stelle des Mitleidens mit Christus treten, denn beide waren überzeugt, dass auch diesem in der Passionstheologie und -frömmigkeit ein angemessener Platz zukommen muss. In der Kombination beider Anliegen wurde zwar mit ähnlichen Argumenten, die beispielsweise auch Nausea vorgetragen hatte, die compassio als für die Passionsbetrachtung konstitutiv verteidigt, jedoch theologisch erheblich relativiert. Sie stand nun in der Priorisierung weit hinter der Selbsterkenntnis als Sünder zurück. Dass als ausschlaggebend dafür – zumindest auch – Luthers Impulse in Anschlag zu bringen sind, konnte in beiden Fällen wahrscheinlich gemacht werden. Bei Johann Wild ließ sich literarkritisch sogar die Rezeption von Luthers Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi aufweisen. Zudem konnte gezeigt werden, dass Jakob Schöpper Melan­chthons Postille und die darin befindliche Anleitung zur Passionsbetrachtung genutzt hat.25 Genau wie bei dem Praeceptor Germaniae findet sich auch bei Schöpper keine Kritik an der compassio, aber auch keine Verteidigung derselben. Auffälligerweise spielt das Mitleiden mit Christus in den Passionspredigten des Dortmunder Theologen keine Rolle. Der Franziskaner Johann Craendonch schließlich, der die Spangenbergsche Postille ‚gereinigt‘ und ‚katholisch korrigiert‘ im altgläubigen Kontext neu herausgegeben hat, ließ die von Luther stammende Kritik, die sich ebenso bei 21 

S. o. Kapitel IV. 2.3. S. o. Kapitel IV. 4.2.1. 23  In der Postille Melan­chthons findet sich die compassio-Kritik nicht, da Melan­chthon seiner Anleitung zur rechten Passionsbetrachtung keine Kritik an Missständen oder verkehrten Formen vorangestellt hat. 24  S. o. Kapitel V. 2.3 und V. 4.3. 25  S. o. Kapitel V. 3.3. 22 

3  Das Mitleiden mit Christus339



Spangenberg findet, unangetastet.26 Offenbar war diese für ihn nicht in der Weise anstößig, dass er sie  – im Gegensatz zu den explizit polemischen Aussagen gegen ‚Papisten‘ etc. – hätte tilgen müssen. Obgleich nur einige, wenn auch durchaus bedeutende altgläubige Postillen des 16. Jahrhunderts in dieser Studie behandelt wurden, so ist die Tendenz deutlich: Von keinem der Autoren, deren Postille aus den Jahren 1550 bis 1570 stammte, wurde der compassio jene Bedeutung beigemessen, die sie in den Passionspredigten der Postillen der 1530er Jahre hatte. Zwar verteidigten Wild und Helding grundsätzlich das Mitleiden mit Christus als Aspekt des spirituellen Umgangs mit der Passion, aber auch bei ihnen war seine Relevanz – wohl aufgrund der passionstheologischen Korrektur Luthers – stark relativiert. Auf evangelischer Seite lässt sich ebenfalls ein zunehmend entspannter Umgang mit der Frage nach dem Mitleiden mit Christus feststellen. Johannes Wigand und Simon Musäus thematisierten die compassio in ihren Passionspredigten überhaupt nicht. Keine ihrer Abgrenzung gegen die Altgläubigen bezog sich auf spezifische Fragen der Passionstheologie und -frömmigkeit.27 Noch weiter gingen in diesem Punkt Christoph Vischer und Johann Habermann.28 Ohne Scheu vor einer auch stärker affektorientierten Rhetorik, zeichnete sich bei beiden ein positives Verhältnis zum Mitleiden mit Christus als Element der Passionsfrömmigkeit ab. Zwar bewegten sie sich grundsätzlich auf den Bahnen typisch lutherischer Passionspredigt, wie sie in Kapitel VII.2.2 zusammenfassend dargestellt wurden. Doch nahmen sie offenbar die von Luther geäußerte Problematik, dass bei der Fokussierung auf das Mitleiden mit Christus der soteriologische Kern der Passion aus dem Blick gerät, nicht mehr in derselben Weise als Gefahr war. So konnten bei Vischer die Jerusalemer Frauen aus Lk 23,27–31, an denen Luther seine compassio-Kritik festgemacht hatte, gar als Vorbilder rechten Mitleids und ernsthafter Nachfolge interpretiert werden. Diese der Auslegungstradition durchaus geläufige Deutung wurde schon von Nausea argumentativ gegen Luthers Verständnis vorgebracht. Habermanns theologischer Umgang mit der Frage nach der Bedeutung der compassio entsprach wiederum weitgehend derjenigen von Wild und Helding: Das Mitleiden mit Christus sei an sich nicht verkehrt, doch sei es für sich genommen auch nicht genug, da es am theologisch Wesentlichen vorbei gehe. Die Nachverfolgung der im 16. Jahrhundert geführten Debatte um das Mitleiden mit Christus als Ziel, als Weg, als Element oder als Problem und Gefahr des rechten Zugangs zum Leiden und Sterben Jesu Christi und des angemessenen 26 

S. o. Kapitel V. 5.2. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Musäus zwar auf Lk 23,28 zu sprechen kommt und diesen Vers wie Luther dahingehend auslegt, dass Jesus dazu anleite, in seinem Leiden sich selbst als Sünder zu erkennen, dem das harte Gericht Gottes gedroht hätte. Die Auslegung formuliert Musäus aber gerade nicht vor der Negativfolie einer an die Altgläubigen gerichteten compassio-Kritik (s. o. Kapitel VI.3.3.1). 28  S. o. Kapitel VI.4.3.4 und VI.5.3.2. 27 

340

VII.  Zusammenschau und Ausblick

Umgangs mit diesem brachte eine Entwicklung zum Vorschein, die keineswegs einlinig verlief. Diese theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Erkenntnis ist auch für den größeren Zusammenhang vom Prozess der sich herausbildenden Konfessionen von Relevanz. Denn ein allzu lineares Modell, in dem die Reformation als ein Abstoßungsprozess gesehen wird, durch das sich die Konfessionen recht früh lediglich im Kontrast zueinander bildeten und relativ unabhängig voneinander je eigene Konfessionskulturen entwickelten, muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Daraus erwächst die Aufgabe, stärker als bisher einzelne, auch theologische Themen aus der Perspektive verschiedener theologischer und kirchlich-konfessioneller Lager in den Blick zu nehmen und inhaltlich genauer zu untersuchen, ob und inwiefern auch in der Mitte des 16. Jahrhunderts und später noch Wechselwirkungen und Entwicklungen stattfanden, die bislang nicht erfasst werden konnten, da der Fokus in der Regel auf lediglich einer Konfession lag. Die vorliegende Studie gibt Anlass zu der Vermutung, dass dies unser Bild von der Zeit der Reformation und der sich herausbildenden Konfessionen vielfältiger und differenzierter werden ließe. So seien abschließend einige Schlaglichter auf die Aufgabe der Predigtforschung in inter- und transkonfessioneller Perspektive geworfen.

4  Inter- und transkonfessionelle Predigtforschung als Aufgabe 4.1  Die Studie im Horizont gegenwärtiger Forschungstendenzen Aufgrund der Forschungsdebatten rund um das Konfessionalisierungsparadigma hat sich, wie bereits in der Einführung dargestellt,29 die Erforschung des konfessionellen Zeitalters und des Übergangs von der Reformation zu diesem erheblich weiterentwickelt, differenziert und korrigiert. Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Arbeit an Phänomenen  – Personen, Entwicklungen, Territorien etc. –, die sich der etatistischen Perspektive, den Modernitätsbestrebungen oder der konfessionellen Eindeutigkeit hinsichtlich des religiösen Wissens30 und der Lebensführung entziehen und damit quer zu dem 29 

S. o. Kapitel I. 3. hier verwendete Terminus ‚religiöses Wissen‘ meint mehr als ‚Glaubensinhalte‘. Er wurde in dem Tübinger Graduiertenkolleg ‚Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800– 1800)‘ konzeptualisiert und betont unter anderem folgende Aspekte: (a.) Religiöses Wissen ist dezidiert akteursorientiert, d. h. es nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Sicht der Zeitgenossen, nicht bei späteren theologischen oder religionswissenschaftlichen Erkenntnissen; (b.) es rekurriert auf in Texten (der Bibel) vorliegendes Offenbarungswissen (das von den Zeitgenossen als unumstößlich geltend gedacht wurde), ist jedoch von diesem als transformierter Aneignung unterschieden; (c.) es umfasst nicht nur theoretisches Denken und sprachliche Äußerungen, sondern prinzipiell alle Medien und Ausdrucksgestalten und schließt auch das praktisch 30  Der



4  Inter- und transkonfessionelle Predigtforschung als Aufgabe 341

Paradigma stehen. So blieb trotz aller Differenzierung innerhalb des Paradigmas „am Ende de[r] Eindruck einer evolutionistischen Zwangsläufigkeit“,31 die dem Modell inhärent zu sein scheint. Letztlich stellt sich die Frage nicht nur an dieses, sondern auch an alternative historiographische Großkonzepte, ob sie erstens im Blick auf die sich herausbildenden Konfessionen „Einheit und gleichzeitig Pluralität angemessen verbinden“32 können und ob sie zweitens die Dynamik und die Wechselbeziehungen zwischen den sich herausbildenden Konfessionen zu erfassen in der Lage sind. Die jüngere Forschungsgeschichte zeigt diesbezüglich eine interessante Entwicklung: Standen zunächst strukturelle Parallelen der Konfessionen im Vordergrund und wurden anschließend – gewissermaßen als Gegenbewegung – verstärkt wieder konfessionelle Propria und Entwicklungen innerhalb der einzelnen Konfessionen in den Blick genommen, so werden seit einigen Jahren den Aspekten der Interkonfessionalität, der Transkonfessionalität und der konfessionellen Ambiguität verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet.33 In diese Forschungstendenz kann auch die vorliegende Studie eingezeichnet werden. Zugleich eröffnet sie weiterführende Perspektiven. Formal gesehen liegt ihr Innovationspotential in der Kombination zweier Elemente: (1.) der Analyse von Predigten über konfessionelle Grenzen hinweg über einen längeren Zeitraum, sodass nicht nur ‚synchron‘ ein Vergleich hergestellt, sondern auch ‚diachron‘ mögliche Entwicklungen untersucht werden konnten, und (2.) der Fokussierung auf einen für alle sich bildenden Konfessionen zentralen Inhalt der zeitgenössischen Theologie und Frömmigkeit, der Passion Christi. Dabei wurden Ergebnisse erzielt, die vielfach an bisherige Forschungen anknüpfen und diese im Blick auf Passionspredigten konkretisieren und weiterführen. Neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den sich bildenden Konfessionen konnten jedoch auch überraschende Wechselwirkungen und Entwicklungen sichtbar gemacht werden: Tun insofern mit ein, als die Praxis als Ereignisform des impliziten oder expliziten Wissens verstanden werden kann (vgl. dazu Dürr/Gerok-Reiter/Holzem/Patzold, Einleitung). 31  v. Greyerz, Religion, 105. 32  Pohlig, Luthertum, 78. 33 Wegweisend waren die Sammelbände: v. Greyerz/Jakubowski-Tiessen/K aufmann/Lehmann, Interkonfessionalität und Pietsch/Stollberg-Rielinger, Ambiguität. Aktuell widmet sich diesem Thema insbesondere das Hamburger Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit“: „Es erforscht mit einem neuartigen Ansatz, der sich in der ersten Förderphase bewährt hat, inter- und transkonfessionelle Durchlässigkeiten im 16. bis 18. Jahrhundert. Das Augenmerk richtet sich hierbei auf Phänomene theologischer, literarischer, politischer und künstlerischer Art, welche die Grenzen zwischen den sich formierenden Konfessionen definieren oder überwinden (interkonfessionell) oder die ihnen gemeinsam sind (transkonfessionell). Besonderes Interesse gilt den heterogenen medialen Repräsenta­ tionsformen konfessionsübergreifender Kommunikationsprozesse, zunehmend auch im Bereich der material culture.“ (https://www.gwiss.uni-hamburg.de/einrichtungen/ graduiertenschule/interkonfessionalitaet.html [06.05.2020]).

342

VII.  Zusammenschau und Ausblick

Hinsichtlich der Formen der Passionspredigt wurden vorrangig Gemeinsamkeiten festgestellt. Chronologische, thematische und typologische Passionspredigten sind bei evangelischen und altgläubigen Predigern gleichermaßen zu finden.34 Was die Art der Traditionsbildung anbelangt, so sind deutliche Unterschiede zwischen den Konfessionen zu markieren. Mit seinem frühen Passionssermon von 1519 wirkte Luther für die von Wittenberg ausgehende evangelische Tradition in einer Weise prägend, für die es auf altgläubiger Seite kein Pendant gibt. Zudem konnten auch altgläubige Prediger in Luthers passionstheologischen Impulsen berechtigte Anliegen entdecken und diese aufnehmen. Dies führt zu der Beobachtung, dass sich eine durchaus ‚typisch lutherische‘ Passionspredigt entwickelte, deren inhaltliche Bestimmung jedoch keine exklusiven Identitätsmarker darstellen und der keine ‚typisch altgläubige‘ Passionspredigt gegenüber steht.35 Im Umgang mit einem zentralen Element der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Passionsfrömmigkeit, der compassio (Mitleiden mit Christus), wurde schließlich die Entwicklung aufgedeckt, dass die kontroverstheologische Zuspitzung in den 1530er und 1540er Jahren gerade nicht zu konfessionellen Verhärtungen führte. Statt einer Tradierung und Kultivierung konfessioneller Grenzen zeigte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Abschleifung der Gegensätze, die sich zumindest zum Teil einer impliziten Dialoggeschichte und dem gemeinsamen Rückgriff auf die biblischen Schriften verdankt.36 Diese Wechselwirkungen und eine solche Entwicklung wären ohne die theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Perspektive nicht ersichtlich gewesen. So zeigt sich, dass Kirchengeschichte gerade durch diese ihre Kernkompetenz einen unverzichtbaren Beitrag zur Erforschung der Frühen Neuzeit leistet. Im Blick auf das Konzept der entstehenden Konfessionskulturen etwa bedeuten die hier gewonnenen Erkenntnisse folgendes:37 Erstens hat sich bestätigt, dass den unterschiedlichen Entwicklungen der verschiedenen konfessionellen Kulturen aufgrund ihrer ungleichen Voraussetzungen Rechnung getragen werden muss. Zweitens müssen die konfessionellen Kulturen nicht nur, wie vielfach betont, als in sich plural verstanden werden, sondern ihre Herausbildung darf auch nicht einfach linear von den Weichenstellungen der Reformation her gedacht werden. Vielmehr muss stets mit Unschärfen, alternativen Wegen und gegenläufigen Tendenzen gerechnet werden. Drittens sollte diesbezüglich möglichen Wechselwirkungen zwischen den Konfessionen noch stärkeres Gewicht beigemessen werden. Das heißt konkret, 34 

S. o. Kapitel VII.1. S. o. Kapitel VII.2. 36  S. o. Kapitel VII.3. 37  Vgl. hierzu die Literatur in Kapitel I. 3.1 Anm. 75. 35 



4  Inter- und transkonfessionelle Predigtforschung als Aufgabe 343

dass auch bei der Erforschung von Entwicklungen innerhalb einer Konfession der Blick über den Tellerrand dieser Konfession hinaus gerichtet sein muss. 4.2  Weiterführende Perspektiven Unter den Stichworten der Interkonfessionalität, der Transkonfessionalität und der konfessionellen Ambiguität kann  – verallgemeinert gesprochen  – all das subsumiert werden, was über die konfessionellen Grenzen hinausgeht, was sie verflüssigt, transzendiert, unkenntlich macht oder gar in Frage stellt. Bisherige Forschungen aus diesem Bereich sind mehrheitlich dem 17. Jahrhundert gewidmet; sie gehen gewissermaßen von den ‚fertig‘ entwickelten Konfessionen aus. Tatsächlich setzen auch die Begriffe rein terminologisch ‚Konfessionalität‘ voraus, von der aus in irgendeiner Weise ein ‚zwischen‘ (inter), ein ‚(hin)über‘ bzw. ‚jenseits‘ (trans) oder eine Mehrdeutigkeit (ambig) bestimmt werden könnte. Gleichwohl haben die Begriffe darüber hinaus auch hinsichtlich der ‚Übergangszeit‘38 zwischen der ‚heißen Phase‘ der Reformation in den 1520er / 1530er Jahren und den ‚etablierten‘ Konfessionen im 17. Jahrhundert heuristisches Potenzial. In Ergänzung, Erweiterung, aber auch Korrektur bisheriger Forschungen können durch sie Aspekte der entstehenden Konfessionen und ihrer jeweiligen Kulturen in dreierlei Weise stärker als bisher in den Blick genommen werden: (a.) ihre Bezogenheit aufeinander, gerade auch in den Abgrenzungen,39 (b.) ihre wechselseitigen Beinflussungen und (c.)  das ihnen Gemeinsame, sowohl das eher unbewusst Prägende (wie Mentalitäten und weltanschauliche Gemeinplätze) als auch das normativ in Anspruch Genommene (wie die biblischen Schriften und altkirchliche Bekenntnisse). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung legen es nahe, dass den folgenden Bereichen in inter- und transkonfessioneller Perspektive verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte: – Offenbar lohnt eine Intensivierung der Erforschung gedruckter volkssprachlicher Predigten. An der mediengeschichtlichen Bedeutung von Predigten und Postillen für diese Zeit gibt es keinen Zweifel40 und an Quellenmaterial mangelt es nicht.41 Aus kirchenhistorischer Perspektive ist reizvoll, dass in 38  ‚Übergangszeiten‘

gibt es nicht an und für sich, denn prinzipiell kann jede Zeit je nach Bestimmung des Ausgangs- und Endpunktes und je nach historischer Perspektive (theologiegeschichtlich, wirtschaftsgeschichtlich, mediengeschichtlich, sozialgeschichtlich etc.) als Übergangszeit in den Blick genommen werden. 39  Vgl. etwa Garloff/Witt, Confessio, deren Beiträge allerdings zeitlich weiter reichen. 40  S. o. Kapitel I. 2. 41  Zwar gibt es im Blick auf die Quellenlage durchaus unterschiedliche Gewichtungen in den jeweiligen konfessionellen Systemen, doch besteht zumindest bei den drei großen Konfessionen grundsätzlich kein Mangel: Bei den Lutheranern und ihren massenhaften Postillen ist dies evident. Reformierte hatten zwar kaum am Kirchenjahr orientierte Postillen, jedoch eine

344

VII.  Zusammenschau und Ausblick

ihnen sowohl der Transfer theologischer Themen und Argumentationen in die Bevölkerung als auch die theologische Verarbeitung lebensweltlicher Fragen und Probleme greifbar sind. Die Predigten sind freilich selbst wiederum, wie durch die Beispiele in Kapitel I. 1 nur exemplarisch angedeutet, in den multimedialen Zusammenhang des Transfers religiösen (und spezifisch konfessionellen42) Wissens inklusive der praktizierten Frömmigkeit zu stellen. – Inhaltlich bieten sich Themen an, die jenseits der sich herausbildenden konfessionellen Grenzen liegen.43 Die Entdeckungen hinsichtlich der Frage nach dem Mitleiden als Element der Passionsfrömmigkeit lassen erahnen, dass ein besonderes Potential an impliziten Debatten, unausgewiesenen Rezeptionsvorgängen und entsprechend bislang unbekannten Entwicklungen gerade im Bereich derjenigen Themenfelder schlummert, die nicht zu den klassischen kontroverstheologischen Fragen zählen. Der hier gelegten Spur könnte auch insofern gefolgt werden, als die Zeiten und Hochfeste des Kirchenjahres vergleichend analysiert werden: Predigten der Advents- und Weihnachtszeit, des Osterfestes, Himmelfahrt und Pfingsten. – Unter personellem Gesichtspunkt erscheint in dieser Perspektive eine vertiefte Beschäftigung mit denjenigen altgläubigen Predigern verheißungsvoll, die auf die Herausforderungen durch die Reformatoren reagierten, denen eine Reform grundlegender Missstände ebenfalls ein Anliegen war, die allerdings selbst die Kirche in ihrer überkommenen Gestalt und Struktur nicht verlassen wollten – kurz: die sogenannten ‚reformkatholischen‘ Theologen. Wie sich Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Blick auf spätere, durch die Bestimmungen des Tridentinums geprägte Generationen darstellen, kann hier nur als offene Frage formuliert werden. – Schließlich sollte unter verändertem Blickwinkel auch neu der jeweilige Umgang mit den biblischen Schriften in den Predigten betrachtet werden. Nicht zuletzt die der lutherischen und der römisch-katholischen Tradition ebenso ausgeprägte Produktion an gedruckten Predigten. Für das altgläubige Lager haben gerade die Forschungen zu Postillen deutlich werden lassen, dass gedruckte volkssprachliche Predigten einen immensen Aufschwung erfuhren. Deren Erforschung steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Schwierig wird es demgegenüber bei marginalisierten Gruppen wie täuferischen Gruppierungen und Spiritualisten. Deren Publikations- und Verbreitungsmöglichkeiten waren sowohl rechtlich als auch technisch erheblich eingeschränkter, was sich in der Quellenlage niederschlägt. 42  In Weiterführung und Konkretisierung des Konzeptes ‚religiöses Wissen‘ (dazu s. o. Kapitel VII.4.1 Anm. 30) hat Joachim Werz für die Zeit der Konfessionsbildung und Konfessionalisierung den Begriff des ‚konfessionellen Wissens‘ zur Diskussion gestellt (vgl. Werz, Zisterzienserbibliothek) und konkret anhand der Predigten Leonhard Hallers und Georg Scherers erprobt (vgl. Werz, Predigtmodi, bes. 398–400). 43  Beispielhaft kann diesbezüglich auch auf die jüngsten Forschungen aus dem Hamburger Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit“ zu Leid und Trost in Leichenpredigten (vgl. Lehmann, Pilgrimschafft) sowie die Vorstellung des Jüngsten Gerichtes (vgl. Kurzmann, Rede) verwiesen werden.

4  Inter- und transkonfessionelle Predigtforschung als Aufgabe 345



gemeinsame Orientierung an den Perikopen des Kirchenjahres bietet Vergleichsmöglichkeiten hinsichtlich Interpretation und Applikation konkreter biblischer Texte. Doch auch darüber hinaus können Gemeinsamkeiten und Differenzen, Entwicklungen innerhalb konfessioneller Lager sowie zwischen Gruppierungen und einzelnen Personen im Blick auf die jeweilige Inanspruchnahme der gemeinsamen normativen Grundlage herausgearbeitet werden. Eine von konfessionellen Vorurteilen Abstand nehmende, differenzierte historische Forschung dürfte dabei in neuer Weise die Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift als ein Kernelement der Kirchengeschichte entdecken. Seit jeher steht die Kirchengeschichte in dem Spannungsfeld zwischen Theologie und allgemeiner Geschichtswissenschaft.44 Diese Spannung stellt jedoch nicht lediglich ein Problem dar, sondern bietet besondere Potentiale, und zwar in beide Richtungen: Fokussiert die Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit, was ihr qua Profession naheliegt, nämlich Theologie und Frömmigkeit, so wird sie in historischen Prozessen auf die Relevanz dieser Faktoren für das Denken und Leben der Menschen dieser Zeit verweisen und sie so gut wie möglich zur Geltung bringen. Dass es dabei nicht um letztgültige Deutungshoheit geht, sondern um den Beitrag einer bestimmten Perspektive zu einem größeren Gesamtbild, versteht sich in Zeiten der Interdisziplinarität von selbst. Zugleich wird Kirchengeschichte in Richtung des theologischen Diskurses einerseits stets die zeitspezifischen Debatten und Kontexte zur Geltung bringen, in denen sich bestimmte Glaubensvorstellungen, Lebensentwürfe und Gestaltwerdungen von Kirche herausbildeten und durchsetzten oder auch unterdrückt wurden. Andererseits wird sie aufzeigen, wie sich die Inhalte des Glaubens, die Formen der praxis pietatis und ihr jeweiliger Rekurs auf die normativen Grundlagen des Christentums entwickelten, wie sie zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlicher Weise adaptiert und transformiert wurden. Dass diesbezüglich speziell für die evangelische Theologie eine gründliche Auseinandersetzung mit der Reformationszeit geboten ist, liegt auf der Hand. Eine theologie- und frömmigkeitsgeschichtlich ausgerichtete Kirchengeschichte leistet damit gleichermaßen ihren Beitrag zur Orientierung und Differenzierung in Theologie und Geschichte.

44 

Vgl. beispielhaft den Sammelband Kinzig/Leppin/Wartenberg, Historiographie.

Anhänge Anhang 1:  Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert Die tabellarische Erfassung der Auflagen der ‚Jugend-Postille‘ Spangenbergs dient dem Nachweis dessen, dass es sich bei ihr um die nach Luthers Hauspostille meistgedruckte Postille des 16. Jahrhunderts handelt. Erstellt wurde die Tabelle auf der Grundlage einer Recherche im VD16. Die Zahlen sind jedoch mit einer gewissen Unschärfe behaftet, da aus dem Titel und den weiteren im VD16 erfassten Angaben der Drucke, die mehrere Teile der sukzessive angewachsenen Postille enthalten, nicht immer exakt hervorgeht, welche Teile sie enthalten. Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil)

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel

1543 Augsburg: Valentin Otmar (Winter: VD16 S 7888; Sommer: VD16 S 7889) Wittenberg: Georg Rhau (W: VD16 S 7891; S: VD16 S 7892) Leipzig: Jakob Bärwald (W: VD16 S 7890; S: ???)1



1544 Augsburg: Valentin Otmar (W: VD16 S 7893; S: VD16 S 7894) Augsburg: Valentin Otmar (VD16 S 7895) Augsburg: Valentin Otmar (VD16 S 7896) Frankfurt/Main: Hermann ­Gülfferich (W: VD16 S 7897; S: VD16 S 7898)



1 

✓ ✓

✓ ✓ ✓

Von dem Leipziger Druck ist lediglich ein Winterteil verzeichnet, obwohl üblicherweise beide Teile zusammen gedruckt wurden.

348

Anhänge

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil) Magdeburg: Michael Lotter (W: VD16 S 7899; S: VD16 S 7900) Wittenberg: Georg Rhau (VD16 S 7901) Magdeburg: Hans Walther (W: ???; S: VD16 S 7944)2 Erfurt: Wolfgang Stürmer (VD16 ZV 25753) Erfurt: Wolfgang Stürmer (VD16 ZV 25756) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 7996) [lat.] 1545 Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 7996) [lat.] Magdeburg: Michael Lotter (VD16 S 7945) Magdeburg: Christian Rödinger d. Ä. (W: VD16 S 7946; S: VD16 S 7947) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 7997) [lat.] Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 7998) [lat.] Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 ZV 14582) [lat.] Marburg: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 7999) [lat.]

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓

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1546 Frankfurt/Main: Hermann ­Gülfferich (W: VD16 S 7904; S: VD16 ZV 14584) 1547 Augsburg: Valentin Otmar (W: VD16 S 7905; S: ???)3 Augsburg: Valentin Otmar (VD16 S 7906)

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2  Von dem Magdeburger Druck ist lediglich ein Sommerteil verzeichnet, obwohl üblicherweise beide Teile zusammen gedruckt wurden. 3  Von dem Augsburger Druck ist lediglich ein Winterteil verzeichnet, obwohl üblicherweise beide Teile zusammen gedruckt wurden.



Anhang 1:  Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert349

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil) Magdeburg: Michael Lotter (W: VD16 S 7948; S: VD16 S 7949) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 ZV 14585) [lat.]

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel ✓ ✓



1548 Frankfurt/Main: Hermann Gülfferich (W: VD16 ZV 17125; S: VD16 ZV 17124) Frankfurt/Main: Hermann Gülfferich (VD16 ZV 14586) Augsburg: Valentin Otmar (W: VD16 S 7907; S: VD16 S 7908) Augsburg: Valentin Otmar (W: VD16 S 7909; S: VD16 S 7910)



1549 Magdeburg: Michael Lotter (W: VD16 S 7950; S: VD16 S 7951) Magdeburg: Michael Lotter (VD16 S 7952)



1550 Nürnberg: Hans Daubmann (VD16 ZV 26781) Frankfurt/Main: Cyriacus Jacob (VD16 ZV 30054) Wittenberg: Georg Rhau (VD16 S 7911) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 ZV 30601) [lat.] ??? (um 1550) (W: VD16 ZV 25535; S: ???)4









1553 Magdeburg: Michael Lotter (W: VD16 S 7950; S: VD16 S 7951) Magdeburg: Michael Lotter (VD16 S 7952) Wittenberg: Georg Rhau (VD16 ZV 14588)



4  Von



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diesem nicht näher bestimmten Druck ist lediglich ein Winterteil verzeichnet, obwohl üblicherweise beide Teile zusammen gedruckt wurden.

350

Anhänge

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil) Wittenberg: Veit Kreutzer (W: VD16 S 7913; S: VD16 S 7914) Wittenberg: Peter Seitz d. Ä. (Erben) (VD16 S 7915)5 Magdeburg: Michael Lotter (VD16 S 7956) Erfurt: Barbara Sachse (VD16 S 7912) Dortmund: Albert Sartor (VD16 ZV 25689)6 Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 ZV 30240) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 8000) [lat.] Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 8001) [lat.] Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 ZV 14589) [lat.] Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (W: VD16 S 8007; S: VD16 S 8008) [tschechisch: „Postylla ­Cžeská“] 1554 Magdeburg: Hans Prüß (W: VD16 S 7957; S: VD16 S 7958) Magdeburg: Hans Prüß (VD16 S 7959) Magdeburg: Hans Walther (W: VD16 S 7960; S: VD16 S 7961) Magdeburg: Hans Walther (VD16 S 7962) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 ZV 30241)

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓







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5  Die Festpostille zu den Epistelperikopen wurde posthum von Melan­chthon herausgegeben. Die Vorrede ist datiert auf den 1.1.1553. 6  Der Dortmunder Druck wird im VD16 auf „um 1550“ datiert. Da die Festpostille zu den Epistelperikopen erst 1553 von Melan­chthon herausgegeben wurde, ist 1553 die frühest mögliche Datierung des Druckes.



Anhang 1:  Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert351

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil)

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel

Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (W: ???; S: VD16 S 7916)7



1555 Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 ZV 14593) [lat.] Wittenberg: Georg Rhau (W: VD16 S 7917; S: VD16 ZV 14594) Wittenberg: Georg Rhau (W: VD16 S 7918; S: ???)8 Magdeburg: Michael Lotter [W] / Hans Walther [S] (W: VD16 S 7963; S: VD16 S 7964) Frankfurt/Main: Cyriacus Jacob (Erben) (W: VD16 ZV 14592; S: VD16 ZV 14576) Frankfurt/Main: Cyriacus Jacob (Erben) (VD16 ZV 14595) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (VD16 S 8002) [lat.]



1556 Magdeburg: Hans Walther (W: VD16 S 7966; S: VD16 S 7965) Magdeburg: Hans Walther (VD16 S 7967) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 S 7919) 1557 Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 S 7920) Augsburg: Valentin Otmar (W: VD16 ZV 14596; S: VD16 ZV 14574) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 S 8010) [tschechisch: „Postilla Cžeská“]

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7  Der Nürnberger Druck (VD16 S 7916) kombiniert die Evangelien- und Epistelauslegungen für die Sonntage. Verzeichnet ist jedoch nur der Sommerteil. 8  Von dem Wittenberger Druck ist lediglich ein Winterteil verzeichnet, obwohl üblicherweise beide Teile zusammen gedruckt wurden.

352

Anhänge

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 ZV 23681) [tschech.]9

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel (✓)

1558 Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (S: VD16 S 7921) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 S 7922) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (W: ???; S: VD16 ZV 14597)10 Augsburg: Valentin Otmar (VD16 ZV 14598)



1559 Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber ([W:] VD16 S 7923)11 Wittenberg: Georg Rhau (Erben) (VD16 S 7968 / 7969 / 7970 / 7971)12 Erfurt: Melchior Sachse d. Ä. (VD16 ZV 14599)

(✓)

1560 Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (Erben) (W: VD16 S 7924; S: VD16 S 7925) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (Erben) (VD16 S 7926) Lemgo: Johann Schuchen (W: VD16 S 7972; S: VD16 S 7973) Lemgo: Johann Schuchen (VD16 S 7974) Magdeburg: Hans Walther/Ambrosius Kirchner d. Ä. (W: VD16 S 7975; S: VD16 S 7981)



9 

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Es könnte sich sowohl um eine weitere Ausgabe als auch um eine Fortführung der zuvorgenannten Nürnberger Ausgabe (VD16 S 8010) handeln. 10  Die verzeichnete Ausgabe enthält dem Titel zufolge die Evangelien- und Epistelauslegungen von Trinitatis bis Advent. 11  Laut Titel handelt sich es bei diesem Druck um eine Gesamtausgabe, jedoch scheint es sich um lediglich einen Band zu handeln, der die bei denselben Druckern im Vorjahr erschienenen Bände (VD16 S 7921–7922) zu einer Gesamtausgabe der Postille komplettiert. 12  Die unter den vier genannten VD16-Nummern katalogisierten Drucke lassen sich nicht eindeutig voneinander unterscheiden. Es scheint sich insgesamt um einen Druck der gesamten Postille zu handeln.



Anhang 1:  Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert353

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil) Magdeburg: Ambrosius Kirchner d. Ä. (VD16 S 7976) Magdeburg: Hans Prüß (W: VD16 S 7977; S: VD16 S 7979) Magdeburg: Hans Prüß (W: VD16 S 7978; S: VD16 S 7980) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (Erben) (VD16 ZV 14603) [lat.] 1562 Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7982) Wittenberg: Peter Seitz d. J. (W: VD16 ZV 14604; S: VD16 ZV 14575) Frankfurt/Main: David Zöpfel/Johann Rasch/Sigmund Feyerabend (VD16 ZV 14605)

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel ✓ ✓ ✓ ✓





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1563 Wesel: Hans de Braecker (W: VD16 S 8003; S: VD16 S 8004) Wesel: Hans de Braecker (VD16 S 8005) 1564 Erfurt: Melchior Sachse d. Ä. (W: VD16 S 7927; S: VD16 S 7928) Erfurt: Melchior Sachse d. Ä. (VD16 S 7929) Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber (VD16 S 7930)







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1566 Nürnberg: Ulrich Neuber/Dietrich Gerlach (VD16 S 8011) [tschechisch: „Postilla Cžeská“ Magdeburg: Andreas Gehne (VD16 S 7983) Magdeburg: Andreas Gehne (VD16 S 7984)









1567 Nürnberg: Ulrich Neuber/Dietrich Gerlach (VD16 S 7933) Regensburg: Johann Burger (VD16 S 8006) [slowenisch: „Postilla ­Slovenska“]

















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354

Anhänge

Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil)

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel

ab 1567 erscheint die ‚catholisch corrigierte und gebesserte‘ Version Crandonchs (s. o. Kapitel V. 5) 1568 Nürnberg: Christoph Heußler (VD16 S 7934) Wittenberg: Johann Krafft d. Ä. / Samuel Selfisch d. Ä. (VD16 S 7985) Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7986)

















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1570 Magdeburg: Wolfgang Kirchner (W: VD16 S 7987; S: VD16 S 7988) Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7989) Frankfurt/Main: Christian Egenolff d. Ä. (Erben) (VD16 ZV 14609) [lat.] 1571 Erfurt: Konrad Dreher (W: VD16 S 7937; S: VD16 S 7938) Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7990)

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1572 Frankfurt: Georg Rab d. Ä. / Weigand Han (Erben) (VD16 ZV 14610)









1575 Nürnberg: Dietrich Gerlach (VD16 ZV 17126)









1578 Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7991)



1580 Nürnberg: Katharina Gerlach/Johann vom Berg (Erben) (VD16 ZV 14611)

















1581 Nürnberg: Katharina Gerlach/Johann vom Berg (Erben) (VD16 ZV 23087) 1582 Nürnberg: Katharina Gerlach/Johann vom Berg (Erben) (VD16 ZV 23088) Nürnberg: Leonard Heußler (VD16 ZV 14612)









Anhang 1:  Drucke der ‚Jugend-Postillen‘ Johann Spangenbergs im 16. Jahrhundert355



Jahr Druckort: Drucker (VD16-Nummer, nach Sommerund Winterteil)

enthält enthält enthält enthält SonntagsSonntags- Fest­ Fest postille: postille: postille: postille: Evangelien Evangelien Epistel Epistel

1584 ???13 (VD16 S 7941) Erfurt: Esaias Mechler (VD16 S 7942)



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1585 Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7992) Erfurt: Melchior Sachse d. J. (W: VD16 ZV 27569; S: VD16 ZV 27570) Erfurt: Melchior Sachse d. J. (VD16 ZV 27571)









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1586 Magdeburg: Wolfgang Kirchner (VD16 S 7993)



1591 Magdeburg: Andreas Gehne (VD16 S 7994)









1598 Nürnberg: Valentin Fuhrmann (VD16 S 7943)









1599 Hamburg: Philipp von Ohr (VD16 S 7995)









ca. 36 ca. 56 ca. 50 ca. 65 (davon ca. (davon ca. (davon (davon 24 Gesamt- 24 Gesamt- ca. 24 Ge- ca. 24 ausgaben) ausgaben) samtaus- Gesamtgaben) ausgaben)

13 

Zu Drucker und Druckort sind keine weiteren Angaben verzeichnet.

356

Anhänge

Anhang 2:  Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds Predigt 1:14 Die Passion Christi muss betrachtet werden 1.) „als ein History / die gewißlich also geschehen ist“ 2.) „als ein werck / darinnen Gott sein warheyt / güte / liebe / gerechtigkeyt / vnnd weyßheyt auff das höchst erzeygt hat“ 3.)  „als ein Euangelium vnnd fröliche Bottschafft / dadurch vns verkündt wirdt / daß Christus mit seinem Leiden vnser sünden gebüßt vnd bezalt / mit seinem todt vnsern todt getödt hat“ 4.) „als ein Exempel / auß dem wr auch allerley tugend sollen vnd künden lehrnen / sonderlich aber geduld in vnserm Creutz“ In dem dieser Predigt zugrunde gelegten Vers 1 Kor 6,20 sei alles Wesentliche enthalten: – Wie soll die Passion verstanden werden? Als „precium, die bezalung vnd vergnügung für entspricht (3.) vnser sünden“ dem Evangelium – Wem dient dies? „Jhr (spricht er) seindt thewer erkauft [1 Kor 6,20a]“ – Was folgt daraus? entspricht (4.) „Hör was Paulus weyter sagt / Ehrend vnd dem Exempel tragend Gott in ewerem leyb [1 Kor 6,20b]“ Predigt 2:15 Die ganze Passionsgeschichte soll in der Weise bedacht werden, „daß Christu für vns da steht in seinem leyden vnd an vnser statt“. Gemäß dem Prinzip ‚Je größer das Leiden Christi, desto größer unser Trost‘ könne die Meditation eines jeden Elementes der Passion – jeder Backenstreich, jeder Dorn, jeder Bluttropfen etc. – nützen, „daß vnsere Seelen dardurch getröst vnd gebessert werden“. Predigt 3:16 Der Leitvers für die dritte Predigt, Jesu Wort an seine Jünger in Mk 14,41 f., enthalte „die rechte stück / die darbey [d. h. in der Passion, J. R.] wöllen vnd müssen bedacht seind“: 14 

Alle folgenden Zitate finden sich Wild, Postill, fol. CCCCCCXLIIIIv. Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCXLVIr–v. 16  Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIr–CCCCCCXLVIIIr. 15 



Anhang 2:  Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds357

1.) Gott: ‚Die Stunde ist gekommen.‘ weise auf Gott, der „die rechte vrsach ist gewesen solches Leydens“ bzw. in aristotelischer Terminologie: die causa ­efficiens. Als Implikation dieses Jesuswortes werde (a.) seine „strenge gerechtigkeit wider die sünd“, (b.) seine große „barmhertzigkeyt vnd lieb gegen vns“, (c.) seine „vnfählige warheyt“, da sich erfülle, was er „durch figuren vnd Prophetische verkündung“ verheißen hat, und (d.) „Gottes weyßheyt“ sichtbar, „als der den bößen geyst der massen vberwunden hat / daß ers nit kündt mercken / biß er schon gefangen war“. 2.) die Person Christi: ‚Siehe, der Menschensohn …‘ (Ecce filius hominis) bedeute, den leidenden Christus „nit alleyn ansehen als einen vnschüldigen oder Heyligen / sonder als des menschen Son / das ist / als einen der vmb der sünden willen gelitten hat“, wobei es „nit eygene / sonder vnsere sünden“ seien. Das Leiden Christi sei deshalb grundsätzlich vom Leiden der Heiligen und Märtyrer zu unterscheiden. 3.) Christi Leiden: ‚… wird übergeben werden …‘ (tradetur) fasse das Leiden Christi zusammen, der „von jnnen vnd von aussen / inn allen gliedern / allerley schmach vnnd schmertzen / vnd von allerley geschlecht der menschen gelitten“ habe, sodass Klgl 1,12 auch von ihm hätte gesprochen werden können.17 4.) die Kreuzigenden: ‚… in die Hände der Sünder.‘ sei inklusiv zu verstehen, d. h. es meine nicht diesen oder jenen, „sonder alle sünder inn gemeyn“. Wer sich als Sünder erkennt und dies bedenkt, der werde angesichts der Passion „seine eygene sünden beweynen“ – „Und das wär auch der rechte gebrauch des Passions vnd heyligen Leydens Christi.“ 5.) das Exempel: ‚Steht auf und lasst uns gehen‘ sei als paradigmatische Aussage dahingehend aufzufassen, dass die vormals kleinmütigen und nun getrösteten Christen (‚wir‘) nun ihm auch nachfolgen und ihr Kreuz tragen sollen.18 Predigt 4:19 Mit Joh 1,29 gibt ein locus classicus der vierten Predigt den Aufbau der Betrachtung vor: 1.) ‚Nehmt war‘ – Damit „wecket er vns auff / das wir im Passion fleyssig zusehen vnnd zuhören söllen“.20 17  Der traditionell auf die Passion Christi bezogene Vers wurde von Friedrich Nausea mit kontroverstheologischer Pointe genutzt (s. o. Kapitel III.3.3). 18  Vgl. a. a. O., fol. CCCCCCXLVIIIr: „Stohnd auff (spricht Christus) lassend vns gehen / Als ob er sagen wölt: Jch wil voranhin gehen / folgend jhr hernacher / Jch trage mein Creutz / tragend jhr das ewer auch / Jch leyste meinem Vatter die höchste gehorsam / lassend euch das ein Exempel sein.“ 19  Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCXLIXv–CCCCCCLv. 20 Wer die Passion angemessen wahrnimmt, der werde erkennen, dass darin wesentli-

358

Anhänge

2.) ‚Das Lamm …‘ – verweise auf die Person Christi in seinem Leiden,21 das in dreierlei Weise betrachtet werden müsse: (a.) als gehorsam gegen Gott, geduldig im Leid, sanftmütig gegen die Verfolger, guttätig gegen ‚uns‘ ist es Exempel (b.) als unschuldig, zart und von allen verlassen weckt es Mitleid (c.) als „das für vns alle geopffert[e]“ Lamm, durch dessen Blut „wir von der Teuffelischen gefängnuß erlöst seind worden“ stärkt es den Glauben 3.) ‚ … Gottes‘ – bedeute, dass es sich bei der Passion um ein Werk Gottes gehandelt habe, „in wöchem er seiner gerechtigkeyt genug gethon / sein barmhertzigkeyt offenbart / sein warheyt beweyßet / vnnd sein weißheyt erzeygt hat“. 4.) ‚… der die Sünden der Welt trägt / hinweg nimmt.‘ – Das sei „gewißlich war“, wie auch Petrus bestätige (vgl. 1 Petr 2,24), und habe erforderlich gemacht: (a.) große Arbeit, wie die Länge seines Leidens zeige. (b.) große Bezahlung, was mehrfache Blutvergießen und das Leiden an allen Gliedern zeige. (c.) große Weißheit, da verschiedene Sünden durch verschiedene Strafen durch ihn selbst gebüßt wurden.22 Für die konkrete Sündenerkenntnis sei jedoch zentral, zu bedenken, dass Christus alle Sünden der ganzen Welt getragen hat „vnnd die hat er nit alleyn ein mal hinweg genommen in praeterito, sonder nimpt sie noch täglich hinweg in praesenti“.23 – ebendies sei: 5.) die Frucht der Passion – „so wirdt dir der Passion / ein Euangelium vnd fröliche Bottschafft sein“.

che theologische Aspekte erst vollends offenbar werden, die vorher verborgen seien (a. a. O., fol. CCCCCCXLIXv): „Als zum ersten / die boßheit des bößen Geysts / Zum andern die blindtheit vnnd vndanckparkeit der welt / Zum dritten / die schwere der sünden / Zum vierdten / die grosse Göttliche liebe / Zum fünfften / wölches der gewissest weg sey zur ewigen glory vnnd säligkeit.“ 21  Die Person Christi ist nach Wild durch die Lamm-Metapher nicht voll erfasst; er habe sich in verschiedener Weise offenbart: durch die Wunder als Gott, durch die Predigten als Lehrer, durch die ‚Guttaten‘ als Vater, durch die Strafworte als Richter, in seinem ‚Urstand‘ als Löwe und eben in seinem Leiden als Lamm (vgl. ebd.). 22  Vgl. a. a. O., fol. CCCCCCLr: „Dann für die sünden des hertzen vnd der gedancken / hat er jnnerliche traurigkeyt vnnd angst erlitten. Für vnser leychtfertigkeyt hat er blutigen schweyß geschwitzet / Für vnsern wollust ist er gegeyßlet / Für vnser hoffart ist er mit dornen gekrönt worden / vnd also auch mit allen anderen sünden.“ Die Funktion der Passion Christi als Sündenspiegel lässt sich Wild zufolge also nicht nur auf Sündenerkenntnis im Allgemeinen, sondern auch auf die konkreten Sünden beziehen. 23  Wild differenziert dreierlei Sünden: die Erbsünde, die ‚wirkliche‘ Sünde (d. h. konkrete Tatsünden) und eine besondere Sünde, die an Christus begangen worden ist. Jeder Mensche sei aller drei Sünden schuldig und „allen denen sünden künden wir auch nit anderst entgehn / dan durch das heilig blut dises Lämleins“ (a. a. O., fol. CCCCCCLv): Kraft des Leidens Christi werde die Erbsünde in der Taufe, die konkrete Sünde in der Buße und die besondere Sünde durch Christi Gebet für die, die ihn kreuzigen, weggenommen.

Anhang 2:  Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds359



Predigt 5:24 Die Passion dürfe „nit als ein blosse History“ bedacht werden, sondern „als ein werck / in wölchem Christus sein Priesterlich ampt mit beten / lehren / vnnd opffern volnbracht“ habe (vgl. Hebr 8). Dem entspreche ein Fokus der Betrachtung darauf, 1.) „wie Christus gearbeytet hat in seinem Opffer“, 2.) „wie er gerufft hat in seinem Predigen“, 3.) „wie er seine hend vn[d] arm außgespannet hat / im gebett für vns“. Predigt 6:25 Das Wort des Propheten in Jes 43,24 wird als Wort Jesu Christi verstanden, der die Gläubigen anspricht; was Wild mit Blick auf die Passionsbetachtung konkretisiert: „Als ob er sprechen wolt: Um deinet willen bin vnnd hang ich hie / Deine sünd haben mich zum knecht gemacht / Dein elend vnnd dürfftigkeyt hat mich so schwach gemacht / Dein verdammung hat mich an das Creut bracht.“ → Der Fokus der Betrachtung muss demach lauten: „Vns hat er damit gedienet“ – und die angemessene Reaktion sei: „lassend vns danckpar sein“. Dies konkretisiere sich zum Mindesten darin, mit Andacht hören und bedenken zu wollen, „was er für vns gelitten hat“, auf dass Gott die Herzen bewegen und öffnen möge, „daß wir den Passion vnnd Leyden Christi nit ohn frucht hörn“. Predigt 7:26 Die Passion Christi sei „vff vielerlei weiß“ zu bedenken: 1.) „cum intellectu, das ist / mit verstand / auffmerckung vnd fleyß“: Wer die Passion genau bedenkt, werde „die grösse Göttlicher genaden“ besser ergründen können. Konkret sei zu bedenken: (a.) die ‚unaussprechliche‘ Liebe Gottes, die nach 1 Joh 4,19 aller Liebe zu Gott vorausgehen und die nach Röm 5,10 keiner verdient habe (b.) Christi ‚wunderbarlichen‘ Gehorsam gegen den Vater und seine ‚unaussprechliche‘ Liebe gegen ‚uns‘ (c.) die Größe des Leidens Christi, die erahnt werden könne, wenn man sich „ein nach dem andern“ vor Augen hält – und dabei immer bedenke, „daß Christus söllichs alles vmb vnsert willen gelitten hat“ 2.) „cum affectu, das ist / mit andacht / begierde / vnd bewegung vnsers hertzens“: Je nachdem, was „ein frommer Christ“ in der Passion liest bzw. hört, trauert er (über die Größe des Schmerzes), freut er sich (über die offenbare 24 

Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCLIIr. Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCLIIv–CCCCCCLIIIr. 26  Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCLIIIIr–CCCCCCLVr. 25 

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Liebe Gottes und die Frucht der Passion), wundert er sich, seufzt er oder dankt er. Insbesondere aber wird er „lieb vnd anmütigkeit zu Christo“ empfinden, denn in all dem „wirdt jm Christu süß / lieblich / köstlich vnd thewer“ 3.) „mit betrachtung vnserer sünden“: Dadurch werde Furcht und Schrecken geweckt werden und so „werden wir dann anfahen vns selbs in Christo zubeweynen“ und die Schwere der Sünde erkennen. 4.) „cum effectu, mit dem Werck vnnd Nachdruck“: Christus sei schließlich als Exempel mit dem Ziel „gleichförmig [zu] werden der bildnuß des Sons Gottes“. Das Exempel Christi weise in drei Richtungen: (a.) „deinen Nächsten lieb haben“ (b.) „Gott vnderworffen vnnd gehorsam sein“ (c.) „dich selber demütigen / vnd gedultig dein creutz tragen“ Predigt 8:27 Der Abschnitt Jes 43,18–25 gebe „den Rechten Weg“ vor, wie die Passion ‚fruchtbar‘ gehört werden kann: 1.) Gott habe „in seinem ewigen rhadt“ beschlossen, das Menschengeschlecht durch Christus zu erlösen. Dies gehe aus der genannten Verheißung unmissverständlich hervor, ebenso wie aus zahlreichen anderen atl. Figuren und Verheißungen.28 2.) Das Heil der Menschen hat Gott „durch Christum angericht“, und zwar so, „daß beyde sein barmhertzigkeyt vnd gerechtigkeyt darinnen erschienen ist“. Beiden zentralen Eigenschaften Gottes sei vollständig entsprochen, insofern Gott des Menschen Heil in seiner Barmherzigkeit nicht anders aufrichtet als dadurch, „daß auch seiner Gerechtigkeyt genug geschehe“, welche Genugtuung für die Sünde gefordert habe. 3.) Die Jesaja-Stelle drücke aus „wie not vns das leyden CHRisti ist gewesen“. Wenn Gott nun in Jes 43,25 sagt, ‚um meinetwillen (Vg.: „propter me“) will ich deine Sünde austilgen‘, so heißt das in den Worten Wilds: „Auß Gnaden vnnd vmbsonst hab ichs verheissen / Auß Gnaden wil ichs auch halten / Dann du hasst mich nicht angerufft / Du hast es nit verdient / Darumb solt du es auch weder deiner gerechtigkeit / gebett oder verdiensten zuschreyben / sonder meiner barmhertzigkwit vnnd warheit.“ Die bisherige ausführliche Auslegung gibt Wild zusammengefasst – und in umgekehrter Reihenfolge – als Grundsätze der Betrachtung vor: 27 

Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCLVIr–CCCCCCLVIIIv. Dies entspreche der Verkündigung des Apostels Petrus (vgl. Apg 4,12; 10,43; 15,11). Wild führt anschließend als alttestamentliche Figur die Jakobsleiter (Gen 28) an und zitiert bzw. paraphrasiert als Verheißungen Jes 41,14; Jes 45,21; Jes 49,25 f.; Jer 17,14; Jes 43,18; Jer 23,7 f. und Jes 43,19. 28 



Anhang 2:  Übersicht über die Struktur der neun Passionspredigten Johann Wilds361

– Das ‚heilige und heilsame‘ Leiden Christi war notwendig. – „dardurch werden wir kommen zur erkantnuß vnser selbs“ – Gott hat seinen Sohn aus Barmherzigkeit in die Passion gegeben. – „das wirdt vns lehrn danckpar sein“ – Dies ist als Erfüllung der Verheißungen geschehen und bestätigt Gottes Wahrheit. – „Das wirt vns dan[n] auch vnsern Glauben stercken.“ Predigt 9:29 Der Anleitung zur ‚Nutz und Frucht‘ bringenden Passionsbetrachtung voran stehen problematische bzw. unzureichende Formen: – über den Verräter Judas und die Juden zürnen – bloßes Mitleid mit Christus haben – zum Schutz vor Gefahren gebrauchen Der „rechte Gebrauch des Leydens Christi“ muss demgegenüber beachten, dass die Passion grundsätzlich in zweierlei Weise betrachtet werden kann und muss: 1.) „als ein History“ 2.) „als ein Euangelium“ – Um dieses zu erfassen, müssen drei Aspekte genauer bedacht werden: (a.) Was Christus gelitten hat (b.) Warum Christus gelitten hat (c.) Welcher Nutzen und welche Frucht darauf entstanden seien Schließlich sei (3.?) Christi Leiden auch ein Exempel „wie wir alle vnser leben sollen anstellen / mit thun vnd leyden“.

29  Alle folgenden Zitate finden sich a. a. O., fol. CCCCCCLIXr–CCCCCCLXIIIr. Die ausführliche Anleitung in dieser Predigt wird hier nur in ihrer Struktur dargestellt und wird in Kapitel V. 2.3 genauer analysiert.

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Anhang 3:  Craendonchs Überarbeitungen der Passionsauslegung Spangenbergs In der Tabelle sind alle inhaltlich relevanten Überarbeitungen, nicht jedoch lediglich orthographische Variationen, der Passionsauslegung Spangenbergs durch Johann Craendonch aufgeführt.30 Die veränderten Formulierungen sind kursiv gedruckt. Die Zitate folgen den in dieser Arbeit verwendeten Drucken: – Johann Spangenberg: Postilla Teütsch […]. Augsburg: V. O. 1543. – Johann Craendonch: Wintertheil. Der Postillen […]. Mainz: F. B. 1567. Spangenberg

Craendonch

„[…] der Vatter hat uns quit / ledig vnnd loß / gescholten / so ferr wir Christo vertrawen / vnnd an seine worte halten.“ (CXVIIr) „Was sollen wir auß disem Exempel Petri leernen? Das wir nichts anfahen auß aigner witz vnnd gutduncken / one Gottes wort / wise [sic] laider in der Christenhait geschehe ist / Darumb ist auch über geraten […]“ (CXVIIIv)

„[…] der Vatter hat uns quit / ledig / vnnd loß gescholten / so ferr wir Christo ver­ trawen / vnnd sein wort halten.“ (282v)

„Was ist diser Judas kuß? Aller Heüchler leere vnnd leben / die vnder dem schein der hailigkait / die albern vn[d] ainfeltigen / verführen. Verkeren den kuß deß frids in vnfride / die warhait in lug[e]n / vnd verraten den armen Chris­ tum / sampt seinen Christen / täglich von newes / on auff hören.“ (CXXv)

„Was ist dieser Judas kuß? Aller ketzer lere vnd leben / die vnder dem scheyn des Euangelij vnnd wort Gottes / die albern vnd einfeltigen verführen / Verkeren den kuß des friedes in vnfriede / die warheit in lügen vnd verrathen den armen Christum / sampt seinen Christen / täglich von newens / ohn auff hören.“ (288r–v)

„Malchus / ist ain Figur aller Pfaffenknecht / die hab[e]n auch das recht or / damit sy Gottes wort hören solten / verloren / vnnd haben nicht lust / dann eytel Teüffels leere / vnnd menschen tand / zuhören.“ (CXXIr)

„Malchus ist ein figur viler Herren knecht / die haben auch das recht ohr / damit sie Gottes wort / vnd was jren Herren nutz wer / hören solten / verloren / bringen nichts an / Denn was sie zu zorn reitzen mag entgegen arme leut.“ (289r)

„Was sollen wir auß disem Exempel Petri lernen? Das wir vnser eigene schwachheit al wege bekennen / auff vnser starckheit nit bawen / noch zu viel vns vermessen […]“ (285r)

30  Zwei Abweichungen sind textkritisch nicht als Überarbeitung, sondern als Abschreibefehler im Sinne eines Homoioarkton zu werten. Zu der einen Stelle, die ein Versehen Craendonchs (oder seines Druckers) darstellt, vgl. Kapitel V. 5.2.2 Anm. 300. Die andere Stelle ist wohl als Fehler des Augsburger Druckes anzusehen, da sich die in Craendonchs Ausgabe befindlichen Worte („[…] Was hastu getan? Jhesus antwortet […]“ [Craendonch, Postillen, fol. 299v]) zwar nicht in dem Augsburger Druck von 1543 der Postille Spangenbergs finden (vgl. Spangenberg, Postilla, fol. CXXVIIIr), wohl aber in dem Leipziger Druck aus demselben Jahr (VD16 S 7890). Craendonch hatte also offenbar einen Druck zur Grundlage, der nicht den Fehler des Augsburger Druckes enthält.



Anhang 3:  Craendonchs Überarbeitungen der Passionsauslegung Spangenbergs363

Spangenberg

Craendonch

„Also thun yetzungd auch etliche Tyrannische Regenten vnd Bischoffe / verdammen die Prediger des Euangelij / ee sy sy hören.“ (CXXIIv)

fehlt (291v)

„Will vnns hiemit leeren / wenn wir dermassen auch werden vmb vnser Leere gefragt / so sollen wir von vns selbs kain zeügknuß geben / sonder vns berüffen auff die zuhörer / vnnd Christliche Gemaine / Dann die hat allain zu vrtailen vnd zu richten / zwischen Gotes wort vnd menschen leere / wie Christus sagt / Sehet eüch für / vor den falschen Propheten / die in Schaffsklaidern zu eüch kom[m] en / innwendig aber seind sy reissende Wölff / an jren früchten solt jr sy erkennen Matth.7.“ (CXXIIv)

fehlt (291v)

„Es ist aber auch ain werck der liebe / vnser feinde ermanen / vnd warnen / das sy von jrer boßhait absteen. Yetzt geets auch also / wenn nur ain Euangelischer Prediger den mund auffthut / so seind solche hofschrantzen da / die lestern vnd schänden / bayde Wort vnd Prediger / vnnd haben doch nye gehört oder erforschet / was recht oder vnrecht / lugen oder warhait / sey.“ (CXXIIIr)

„Es ist auch ein werck der liebe / vnser feinde ermanen / das sie von jrer boßheyt abstehen.“ (292r)

„Zum andern / die sich verhaissen das Euangelion anzunemen / wenn es Kaiser vnnd Pabst annemen / Sehen dieweil zu wie Expectanten / vnnd lassen Chris­ tum gaiseln / verspotten vnd creützigen.“ ­(CXIIIIr)

fehlt (293v)

„Solche Argument füren die Papisten auch wider die Euangelischen / vnd schreyen / Er hat den Römischen stul geschmehet / Päbstliche hailigkait verachtet. Hat die Patres vnd Concilia gescholten. Die lieben hailigen geuneeret. Die aine gestalt des Sacraments angefochten. Wider den Ablaß / Walfart vnd Brüderschafft geprediget / Vnnd darnach flugs das vrtail darauff gefellet / vnd hingewürget.“ ­(CXXIIIIv– CXXVr)

fehlt (294v)

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Spangenberg

Craendonch

„Yetz thun vnser widersacher auch also / Wenn sy ain Euangelischen inn jre gewalt kriegen / so arbaiten sy erst mit allem fleiß darnach / das sy jnen außforschen / Hast du auch etwan Wickleiffs vnd Hussen bücher / vnd Luthers Schrifft gelesen / Wenn er dann so bald nicht das Euangelion verleügnet / vnd jren Teüffels leeren zu felt / so hebt sich auch das mordgeschray / Er hat Gott gelestert / was dürffen wir fürther zeügknuß. Er ist ein Wicklefist / Hussit / ain kätzer / Was dunckt eüch? Da schryen sy alle / Er ist des todes schuldig. Also giengs hie auch mit Christo. Hie höret man kain klage / kain Schrifft / kain recht / sonnder nur jr gutduncken / Quid vobis uidetur? Was dunckt eüch? Moriatur / Er soll sterben. Placet / Das sein die vrtail der Juden vnd Papisten. So gieng es Johanni Huss auch.“ (CXXVv)

fehlt (295v)

„Darauß sehen wir / das menschliche tradition / leere vnnd gebot / seind eytel schanddeckel vnd heücheley.“ (CXXVIv)

fehlt (297r [im Druck fälschlich: 267])

„Die Hohen priester namen das gelt / vnnd sprachen […]“ (CXXVIIv)

„Die Hohenpriester namen die silberling / vnd sprachen […]“ (298r)

„Also werden noch auff den heüttigen tag alle Secten / Orden / stifft vn[d] Klös­ter  / über Christo vnd seinem worte ainß / die vorhin ainander todfeind geweßt seind.“ (CXXVIIIv)

„Also werden noch auff den heutigen tag alle Secten / vnd ketzer uber Christo vnd sein kirche eins / die vorhin einander todtfeindt gewest sindt.“ (300r)

„Auff das erfüllet werde die Schrifft Psal. 22.“ (CXXXIIr)

„Auff das erfüllet werde die Schrifft. Psalm 21.“ (305v)31

„Was haben die Christen für trost auß seinem begräbnuß? Dieweil Christus vnder die Erden kommen ist / vnd begraben / vnd sein Grab ist herrlich worden / Also müssen auch aller Christen greber herrlich sein / Vnd wo ain Christ begraben ligt / da ligt ain lebendiger

„Was haben die Christen für trost aus seinem Begräbniß? Dieweil Christus vnder die Erden kommen ist / vnd begraben / vnd sein grab ist herrlich worden / Also müssen auch aller Christen gräber herrlich sein / Vnnd wo ein Christ begrabe[n] ligt / da ligt ein lebendiger Heylige.

31 

Hierbei handelt es sich hier wohl nicht um ein Versehen, sondern um eine Angleichung an die Zählung der Psalmen nach der Vulgata.



Anhang 3:  Craendonchs Überarbeitungen der Passionsauslegung Spangenbergs365

Spangenberg

Craendonch

Hailige / nicht darum / das jn der Pabst erhaben vnnd canonisirt hat / Sonder das er in Christum glaubt hat / wie er gelitten / gestorben / begraben / vnd wider von den todten auferstand[e]n ist. Dan[n] diser Christus macht alle welt vol eitel Hailthumb / also / das auch der tod / schwerdt / fewr wasser etc. eytel Hailthumb werden / denen die da glauben. Dieweil aber solchs menschliche vernunfft / vn[d] des flaisches klughait / nicht glauben noch versteen / So muß der Welt ain grawe Münchskappen den preiß haben / Wer darinnen begraben werde / der sey selig.“ (CXXXVIv–CXXXVIIr)

Denn dieser Christus / macht alle welt voll eytel Heyligthumb / also / das auch der Todt / schwert / fewer / Wasser / etc. eytel Heyligthumb werden / denen / die da glauben.“ (312v)

„Wie soll man dann die Christen begraben? Löblich ists / das man bey den Christen eerliche begrebnuß helt vnnd hat / Allain das der grewel / der Vigill vnnd Seelmessen / Caland / vnd Jargedechtnuß dauon bleibe. Dann wo ain Christ ligt / da ist das rechte Hailthumb / Gott gebe / es habe die Stette der begrebnuß / Papst oder Bischoff / geweihet. Wer hat hie disen Garten geweihet. Der Kirchhoff / oder Gottes acker / wirt gehailiget / durch Gottes Wort / durch das Gebet der Christen / er sey in der Stat oder daussen [sic] auff dem felde.“ (CXXXVIIr)

„Wie soll man den[n] die Christen begraben? Löblich ists / das man bey den Chris­ ten ehrliche Begräbniß helt vnd hat.“ (312v)

„Was bedeüt das grab Christi? Das Grab Christi / ist die hailige Schrifft / in der ruwet Christus Gaistlich. Diß Grab haben die Papisten versigelt mit grossen Römischen bullen der Päbste / Cardinel / vnnd Bischoffe / Vnnd dabey Hüter gelegt / Nemlich die hohen schulen / Stifftbrüder vnd Bettelorden / mit jren Orden / Statuten vnd Regeln / mit Aristotele / Thoma / vnd andern Scribenten. Die liessen kainen Junger Christi zum erkandtnuß der Schrifft kommen / Biß so lange / das Gott Lob / Chris­ tus erstanden ist / Vnd hat die Bullenkramer / vnnd Schrifft hütter / so zu scheüchtert / das sy selbs beken[n]en

„Was bedeut das Grab Christi? Das Grab Christi / ist die Heylige Schrifft / inn der ruhet Christus Geistlich.“ (313v–314r)

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Spangenberg müssen / Christus sey erstanden / Allain das etliche haben von den Hohen Priestern gelt / Lehen / Prebenden / Thumerey / Probsteyen / Decheneyen / zu lon genom[m]en / die warhait Gots zu schweigen / vnd lugen zu Predigen / Wider welche die Christenhait ernstlich bitt im 5. Psalm / Das Gott die lugner wölle vmbbringen.“ (CXXXVIIv–CXXXVIIIr)

Craendonch

Quellen- und Literaturverzeichnis Die in den Anmerkungen verwendeten Kurztitel sind in den folgenden bibliographischen Angaben kursiv gedruckt.

Quellen (Handschriften) Eck, Johannes: Johann Geilers von Kaysersberg Schiff der Reu’, ausgezogen von Dr. Johannes Eck für die Herzogin Kunigunde von Bayern, Witwe Albrechts IV. des Weisen, 1512 – Bayrische Staatsbibliothek München: Cgm. 46. Melan­chthon, Philipp: Sonntagsvorlesungen vom 23. Sonntag nach Trinitatis 1549 bis zu Miserikordias Domini 1550, Handschrift von Georg Rörer – Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: Ms. Bos. q. 24a, fol. 180r–248v.

Quellen (Drucke des 15. bis 17. Jahrhunderts) Alphonso de Spina: Fortalicium fidei contra iu-‖​deos saracenos aliosq[ue] chri|| stiane fidei inimicos. Nürnberg: Anton Koberger 1494. Bugenhagen, Johannes: IOAN ‖ NIS BVGENHAGII ‖ POMERANI ANNO ‖ tationes ab ipso iam emissae. ‖ In Deuteronomium. ‖ In Samuelem propheta[m], ‖ id est duos libros Regu[m]. ‖ Ab eode[m] praeterea con|| ciliata ex Euangelistis historia ‖ passi Christi & glorificati,  ‖ cu[m] annotationibus.  ‖ Indice Adiecto. Basel: Adam Petri 1524 (VD16 B 9247). CONSTITV|| TIONES ‖ CONCILII PROVINCIALES ‖ MOGVNTINI, ‖ Sub reuerendiss. in CHRISTO patre ‖ & ampliss. principe & domino, Dn. SE-‖​B ASTIANO archiepiscopo mogun|| tino, Sacri Roma. Imperij per Germani-‖​am archicancellario & Principe Electo-‖​re &c. sexta Maij, Anno Domini ‖ M. D.LXIX. celebrati. ‖ His accessit ‖ INSTITVTIO AD ‖ pietatem Christianam, secu[n]dum doctri-‖​nam catholicam, complectens Explica-‖​tionem Symboli Apostolici, Orationis ‖ Dominicae, Angelicae Salutationis, De-‖​calogi, & septem Sacramentorum. Mainz: Franz Behem 1549 (VD16 M 256). Corvinus, Anton: Kurtze  ‖ Auslegung der  ‖ Euangelien / so auff die  ‖ Sontag / vom Aduent ‖ bis auff Ostern / ge-‖​predigt werden. ‖ Vor die armen Pfarrhern vnd ‖ hausveter. Wittenberg: Georg Rhau 1535 (VD16 C 5380). Craendonch, Johann: Wintertheil. ‖ Der Postillen ‖ oder außlegung Sontagi-‖​scher Episteln vnd Euangelien / auch ‖ der fürnemsten Festen. ‖ Für gemeine Christen / auch junge ‖ Knaben vnd Meidlin in Fragstück verfas|| set / vormals durch Johan Spangen-

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Quellen- und Literaturverzeichnis

bergk  ‖ geschrieben / jetzt aber von newem mit fleiß  ‖ vbersehen / vnd Catholisch corri-‖​giert vnd gebessert. ‖ Durch H. Johan Craendonch Francis|| caner Kloster zu Meyntz Guardian. […] Mainz: Franz Behem 1567 (VD16 S 7931). Dietenberger, Johann: Postill oder Außlegung der ‖ Episteln vn[d] Euan-‖​gelien auff alle Sontag vnd etliche ‖ Feirtag des gantzen iars / wie sie in der ‖ Christlichen Kyrche[n] gehalten werde[n]. Köln: Johann Quentel (Erben) 1555 (VD16 D 1502). Dietrich, Veit: Agend ‖ Büchlein ‖ für die Pfar-‖​Herren auff dem Land. Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1543 (VD16 A 637). –: Kinder-‖​predig / vom  ‖ Aduendt biß auff  ‖ Pfingsten. Nürnberg: Hans Daubmann 1548 (VD16 ZV 18094) [Erstauflage Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1546 (VD16 D 1573)]. –: PASSIO ‖ oder Histori vom ‖ leiden Christi Jesu ‖ vnsers Heylands. ‖ Gepredigt durch Vitum Dietrich. ‖ zu Nürmberg M. D. XLV. Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1545 (VD16 D 1598). Eck, Johannes: Ains Jüden büech-‖​lins verlegung:darin ain Christ / || gantzer Christenhait zu schmach / will ‖ es geschehe den Juden vnrecht in be-‖​zichtigung der Chris­ ten kin-‖​der mordt. ‖ Durch Doctor Joh. Ecken zu Ingoldstat. ‖ Hierin findst auch vil histori / was übels vnd ‖ büeberey die Juden in allem teütschen ‖ land / vnd andern künigreichen ‖ gestift haben. Ingolstadt: Alexander Weißenhorn 1541 (VD16 E 383). –: Christenliche  ‖ außlegung der Euangelienn  ‖ vonn der zeit / durch das gantz Jar / || nach gemainem verstand der Kirchen vnnd ‖ heiligen vätter vo[n] der selbigen angenom[m]en / || Auß befelch der durchleüchtigen / hochgebor-  ‖ nen Fursten vn[d] H. H. Her Wilhelmen vn[d] ‖ Herr Ludwigen pfal: bey Rhein / Hertzogen ‖ in Obern vnd Nidern Bairn etc. Gebrüder. [… durch Johann von Eck doctor …] Der Erste Tail ‖ vom Aduent biß Ostern. Ingolstadt: Peter und Georg Apian 1530 (VD16 E 282). –: CHRYSOPASSVS ‖ A IOANNE MAIORIS ECKIO PROCANCELLARIO ‖ AVRIPOLI ET CANONICO EISTETEN. LECTA EST ‖ SVBTILIS ILLA PRAEDESTINATIONIS MATERIA ‖ VVILHELMO ILLVSTRIS. PRINCIPE BAIOARIAM ‖ GVBERNANTE. Augsburg: Johann Miller 1514 (VD16 E 305). –: Das schiff des Heils ‖ Auff das aller kürtzest hie ußgeleget ‖ Nach der figur die doctor Johannes von Eck gemacht hat zu Ingolt|| stat.bewegt aus den predigen des wirdigen Herren doctor Johannes gei-‖​ler von Keisersperg etwan Predicant zu Straßburg in dem Elsas. Straßburg: Johann Grüninger 1512 (VD16 G 775). –: QVINTA ‖ PARS OPERVM JOHAN-‖​NIS ECKII, CONTRA LV-‖​THERVM ET ALIOS ‖ DECLAMATORIA.  ‖ Continet Homilias de Tempore,  ‖ Sanctis ac Sacramentis.  ‖ Tomus primus de Tempore, ab ‖ Aduenti us[que] ad Pascha. ‖ Secundus de Tempore, a Pascha-‖​te us[que] in finem anni. […] Augsburg: Alexander I. Weißenhorn 1533 (VD16 E 391). Flacius Illyricus, Matthias: ALTERA PARS ‖ CLAVIS SCRIPTV-‖​rae, seu de Sermone Sacrarum ‖ literarum, plurimas generals ‖ Regulas continens: ‖ AVTORE MATTHIA FLACIO ‖ ILLYRICO Albonense. […] Basel: Johann Oporinus 1567 (VD16 F 1308). –: CLAVIS ‖ SCRIPTVRAE S. ‖ seu de Sermone Sacrarum ‖ literarum, ‖ Autore MATTHIA FLACIO  ‖ ILLYRICO,  ‖ PARS PRIMA:  ‖ IN QVA SINGVEARUM VOCVM, ATQUE ‖ locutionum S. Scripturae usus ac ratio Alphabe-‖​tico ordine explicatur. […] Basel: Johann Oporinus und Eusebius Episcopus 1567 (VD16 F 1307). Flacius Illyricus, Matthias/Strigel, Victorinus: DISPVTATIO ‖ DE ORIGINALI PECCA-‖​TO ET LIBERO ARBITRIO, INTER MA-‖​thiam Flacium Illyricum & Victorinum Strige-‖​lium publice Vinariae per integram hebdomadam ‖ praesentibus Illu-



Quellen (Drucke des 15. bis 17. Jahrhunderts)369

stris. Saxoniae Principibus ‖ Anno 1560. initio mensis Au-‖​gusti habita: ‖ CVM Praefatione, in qua & Disputationis huius ‖ utilitas, & editionis causae ‖ exponuntur: ‖ ACCESSERVNT eiusdem argumenti et alia quaedam ‖ scripta, eiusdem Disputationis occasione, ac illustrandae ueritatis ‖ gratia composita: quorum alia quidem ante quoq[ue] edita fuere, ‖ alia uero nunc primum in lucem prodeunt: Omnia lectu dignis-‖​sima, et nostro praesertim seculo ad formandum re-‖​ctius de praesentibus controuerijs iudicium ‖ utilißima cognitu. ‖ Item, Rerum & uerborum praecipue in his omni-||bus memorabilium copiosus ‖ INDEX. Basel: Johann Oporinus 1562 (VD16 F 1352). Gedik, Simon: Postilla  ‖ Das Jst  ‖ Außlegung  ‖Der Euangelien / durchs gantze  ‖ Jahr / auff alle Sontag vnd gewöhnliche Feste / darinnen nach ‖ richtiger vnd kurtzen Erklerung deß Texts / die fürnembsten Lehr vnd Trostpunct ‖ ordentlich gefasset vnd gehandelt werden / beneben schönen andechtigen Gebetlein ‖ auff ein jeden Euangelion / Gestellet ‖ Vnd jetzo auffs newe vbersehen / auch mit vielen Predigten vnd Passional Büchlein vermehret vnnd gebessert. Leipzig: Henning Grosse 1595 (VD16 ZV 21145). Geiler von K aysersberg, Johann: Das Schiff ‖ der penitentz vn[d] bußwürckung / ge|| prediget in dem hohen stifft / in vn|| ser lieben frauwen münster zu ‖ Stroßburg / von dem Wir-‖​digen hochgelerten herren  ‖ Doctor Johan[n] Geyler  ‖ von Kaysers­ perg / in ‖ Teütsch gewendt ‖ vom latin / auß ‖ seiner aygnen ‖ handtge-‖​schrifft. ‖ etc. ‖ Ecce ascendimus Hierosolima[m] & ‖ consummabunt[ur] omnia. ‖ Luce XVIII. Augsburg: Georg Diemar und Johann Otmar 1514 (VD16 G 776). –: Nauicula penitentie ‖ Per excellentissimum sacre Pagine doctorem Joan|| nem Keyserspergium Argentiniensium Con|| cionatorum predicata.A Jacobo Ot-‖​thero Collecta. ‖ Ecce ascendimus hierosolimam. Augsburg: Georg Diemar und Johann Otmar 1511 (VD16 G 773). Gigas (Heune), Johannes: Postilla  ‖ der Sontags Euangelien  ‖ vnd etlicher Festen durch das ‖ gantze jar / gebessert vnd mit ‖ Zehen Predigten ‖ gemehrt. Frankfurt/ Oder: Johann Eichorn 1571 (VD16 H 3231). Habermann, Johann: Die gantze historia und geschicht ‖ Vom ‖ PAssion / Leiden ‖ vnd sterben Jesu Christi vnsers hey-‖​lans / nach beschreibung aller ‖ vier Euangelisten: ‖ Jn achtzehen Predigten geteilt / || vnd ausgelegt / durch ‖ Doctorem Johannem Haberman ‖ von Eger / des Stiffts Naumburg vnd ‖ Zeitz Superintendenten. Leizpig: Hans Steinmann 1585 (VD16 H 41). –: Postilla / || Das ist:  ‖ Außlegung der Sontags Euangelien / wie sie durchs  ‖ Jar vber in der Kirchen gelesen vnd gepredigt wer-‖​den / Mit sonderm fleiß vnd treuwen  ‖ beschrieben:  ‖ Durch  ‖ Den Ehrwirdigen vnd Hochgelehrten D. Johannem  ‖ Auenarium / Sonst Habermann genannt. Jena: Donat Richtzenhan und Sigmun Feyerabend / Frankfurt/Main: Georg Rab d. Ä. 1575 (VD16 H 52). –: Postilla / || Das ist / || Auslegung vber ‖ die Sontags Euangelia / vom ‖ Aduent bis auff Ostern. Wittenberg: Clemens Schleich und Anton Schöne 1578 (VD16 H 53). –: Postilla / || Das ist / || Auslegung vber ‖ die Sontags Euangelia / von ‖ Ostern bis auffs Aduent. Wittenberg: Clemens Schleich und Anton Schöne 1578 [Sommerteil]. Helding, Michael: BREVIS ‖ INSTITVTIO AD CHRISTIA-‖​nam Pietatem, secundum Doctrinam Ca-‖​tholicam continens, ‖ EXPLICATIONEM Symboli Apostolici, ‖ Orationis Dominicae, ‖ Salutationis Angelicae, ‖ Decem praeceptorum, ‖ Septem Sacramentorum. ‖ AD VSVM PVERORVM NO-‖​bilium, qui in Aula Reuerendiß, in Chris­ to  ‖ Patris, et amplißimi Principis et Domini,  ‖ Domini Sebastiani Archiepiscopi

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Moguntin. et ‖ Principis Electoris, etc. erudiun-‖​tur, conscripta.|| Per R. in Cristo patrem ac D. D. ‖ Michaelem Episcopum Sidonien|| sem, et Suffraganeum Mo-‖​guntinensem. Mainz: Ivo Schöffer 1549 (VD16 H 1577). –: CATECHISMVS  ‖ Christliche Vnderweisung  ‖ vnd gegrundter Bericht / nach warer Catho-‖​lischer lehr vber die fürnemste stücke vnsers ‖ heiligen Christen Glaubens / || Nemlich: ‖ Von den zwölff Artickeln vnsers heili-‖​gen Christen Glaubens. ‖ Von dem Gebeth Vatter vnser. ‖ Von dem Englischen Gruß. ‖ Von den zehen Gebotten. ‖ Von den heiligen Sacramenten. ‖ Gepredigt zu Meyntz im Dhum Stifft / durch ‖Herrn Michaeln Bischoff zu Merseburg / der zeyt Suffraganeen. […] Mainz: Franz Behem 1551 (VD16 H 1593). –: DE SANCTIS  ‖ Sommertheyl der Postil von  ‖ Heiligen / durch den Hochwirdigen Fürsten ‖ vnd Herrn / Herrn.Michaeln Weylandt Bischoffen ‖zu Mersenburg gepredigt. […] Mainz: Franz Behem 1565 (VD16 H 1602). –: De Tempore,  ‖ das ist  ‖ Som[m]ertheyl der Postil vnd  ‖ Predig nach Catholischer Außlegung aller ‖ Sontäglich Euangelien / von Ostern ‖ an biß auff den Aduent / etc. ‖ Durch den Hochwürdigen in Gott Vatter Für-‖​stend vnd Herrn Michael Weylandt Bi-‖​schoffen zu Mersenburck geprediget. ‖ Allen Catholischen Rechtglaubigen Chris­ ten / zu ‖ trost vnd wolfart der Seelen / jetzo erst ‖ in Truck verfaßt vnd ge-‖​ordnet. ‖ […] Mainz: Franz Behem 1565 (VD16 H 1602). –: Postilla. ‖ das ist ‖ Predige vnd außlegung nach ‖ Catholischer lehre / aller Sontäglichen Euan-‖​gelien mit etlichen den fürnembsten Festen vom  ‖ ersten Sontag des Aduents biß ‖ zu ende des Jars. ‖ Durch den Hochwürdigen in Gott Vatter Für-‖​sten und Herren / Herrn Michael Weylandt Bi-‖​schoffen zu Mersenburgk geprediget.  ‖ Allen Catholischen Rechtglaubigen Christen / zu ‖ trost vnd wolfart der Seelen / jetzo erst ‖ in Truck verfaßt vnd ge-‖​ordnet. ‖ […] Mainz: Franz Behem 1565 (VD16 H 1602). –: Postilla. ‖ Das ist ‖ Predig vnd Außlegung nach ‖ Catholischer lehre / aller Sontäglichen Euange-‖​lien mit etlichen den fürnembsten Festen vom  ‖ ersten Sontag des Aduents biß ‖ zu ende des Jars. ‖ Durch den Hochwürdigen in Gott Vatter Für-‖​sten und Herren / Herrn Michael Weylandt Bi-‖​schoffen zu Mersenburgk geprediget.  ‖ Allen Catholischen Rechtglaubigen Christen / zu ‖ trost vnd wolfart der Seelen / jetzo zum anderen ‖ mahl vbersehen / mit vielen Predigen des Autoris / || deren wir zuuor in mangel gestanden / gemehret vnd gebessert. […] Mainz: Franz Behem 1568 (VD16 H 1603). –: Von der Hailigisten ‖ Messe ‖ Fünffzehen Predige / zu Augspurg auff ‖ dem Reichsztag / im Jar M. D.  ‖ XLviij. gepredigt.  ‖ Durch Michaeln Bischoff zu Sidonien / || Meintzischen Suffraganeen. […] Ingolstadt: Alexander Weißenborn 1548 (VD16 H 1623). Johann Friedrich II. / Ernestinische Theologen: Des Durch-‖​leuchtigen hochgebornen ‖ Fürsten vn[d] Herrn / Herrn Johans ‖ Friderichen des Mittlern / Hertzo-‖​ gen zu Sachssen / Landgrauen in Düringen / || vnd Marggrauen zu Meissen / für sich selbs / || Vnd von wegen seiner F. G. / Brüdere / Hertzog  ‖ Johans Wilhelmen / vnd Hertzog Johans Fri-‖​derichen des Jüngern zu Sachssen etc. in Got-‖​tes wort Prophetischer vnnd Apostolischer  ‖ schrifft / gegründete Confutationes / Widerle-‖​gungen vnd verdammung etlicher ein zeit her / || zu wider demselben Gottes wort / vnd heiliger ‖ Schrifft / auch der Augspurgischen Confession ‖ Apologien / vnd den Schmalkaldischen Arti-‖​ckeln / Aber zu fürderung vnd wider anrichtung ‖ des Antichristischen Bapstums eingeschliche-‖​nen / vnd eingerissenen Corruptelen / Secten vn[d]



Quellen (Drucke des 15. bis 17. Jahrhunderts)371

Jrrthumen / Wie dieselben vnterschiedlich / vnd  ‖ in Specie / namhafftig angezeigt werden / An ‖ ihrer F. G. getrewe Landstende / Vnterthanen ‖ vnd Verwanten ausgangen / Damit sie sich ‖ durch Götliche verleihung / dafür zu hüten / || Auch in Gottes worts / vnd der Christlichen ‖ Religion Sachen / gemelter Augspurgischen ‖ Confession / Apologien / vnd den Schmalkal-‖​dischen Artickeln gemes (dabey de[n] ihre ‖ F. G. durch Göttliche gnad / bis an ‖ derselben ende zuuerharren ‖ willens vn[d] entschlossen)  ‖ zu halten wissen  ‖ vnd haben. Jena: Thomas Rebart [1559] (VD16 S 1096). Ludolf von Sachsen: Vita Christi. Köln: Ludwig von Renchen 1487. Luther, Martin: Außlegu[n]g ‖ der Euangelien ‖ vom Aduent biß ‖ auff Osteren; ‖ smpt vil an ‖ dern pre-‖​digen. [hg. v. Stephan Roth] Augsburg: Heinrich von Steiner 1528 (VD16 L 3998). –: Haußpostil ‖ D. Martin ‖ Luther / von für-‖​nemsten Festen ‖ durchs Jar [hg. v. Veit Dietrich]. Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1544 (VD16 L 4833). –: Haußpostil D. Mar|| tin Luthers / vber die ‖ Sontags vnd der fürnembsten ‖ Fest Euangelia / durch ‖ das gantze Jar. ‖ Mit fleiß von newem corrigirt ‖ vnd gemeret mit XIII. Pre-‖​digen / von der Passio oder ‖ histori des leide[n]s Christi [hg. v. Veit Dietrich]. Nürnberg: Johann vom Berg/Ulrich Neuber 1545 (VD16 ZV 10044). –: Haußpostill ‖ vber die Sontags vnd der für-‖​nemesten Feste Euangelien / durch das gantze Jar / || von D. Martino Luthero seligen gepredigt / aus M. Georgen Rö-‖​rers seligen geschriebenen Büchern / wie er die von jar zu jar aus sei-‖​nem des Doctors Mund auffgefasst vnd zuamenbracht / Trew-‖​lich on alle Enderung / Abbruch / oder Zusatz / auffs new ‖ zugericht / vnd in Druck geben. ‖ II. Petri I. (…) [hg. v. Andreas Poach]. Jena: Christian Rödingers Erben 1559 (VD16 L 4858). –: Kirchen Postilla ‖ das ist: ‖ Auslegung der Episteln ‖ vnd Euangelien / an Sontagen vnd furnemesten Festen. ‖ D. Mart. Luth. ‖ Auffs new corrigirt / vnd gebessert. Wittenberg: Hans Lufft 1547  – erster Teil: Winterpostille (VD16 L 5613); zweite Teil: Sommerpostille (VD16 ZV 23097). Melan­chthon, Philipp: KVrtze  ‖ Postill / Herrn  ‖ Philippi Melanthonis  ‖ Vber die Euangelia / || Vom Aduent bis ‖ auff Ostern. ‖ Verdeudschet durch ‖ Gasparem Bruschium / || vo[n] Schlackenwald. Erfurt: Wolfgang Stürmer 1545 (VD16 E 4592). Missale s[e]c[un]d[u]m rubrica[m] ecclesie Brandenburgensis. Leipzig: Melchior Lotter d. Ä. 1516 (VD16 M 5561). Musäus, Simon: Postilla.  ‖ Das ist / || Außlegung der  ‖ Euangelien / so vber alle Sontage / || vom Aduent biß auff Ostern in der Kirchen ‖ gebreuchlich sind. Frankfurt/ Main: Johann Wolff d. Ä. und Peter Braubachs Erben 1567 (VD16 M 5045). –: Postilla ‖ Das ist ‖ Ausslegung ‖ aller Episteln / so durchs gantze Jar ‖ an Sontagen vnd namhafftigen Feyertagen / in ‖ der Kirchen vblich vnd gebreuchlich sind / in drey ‖ Theil gefasset vnd gestellet / || Durch ‖ SIMONEM MVSAEVM, Der H. Schrifft D. […] Jena: Simon Hüter und Donat Richtzenhan 1573 (VD16 M 5050). Nausea, Friedrich: FRIDERICI ‖ NAVSEAE BLANCICAMPIANI, ‖ diuinarum, humanarum[que]. LL. Doctoris ‖ Consultiss. Euangelicae veritatis ‖ Homiliaru[m] Centuriae tres, ‖ nuper excusae. ‖ ADDITA EST IN HAC SECVN ‖ da aeditione, quarta in dordine Cen ‖ turia, quae in prima aeditione ‖ non habetur. ‖ Ad Christianae pietatis ‖ augmentum & decus. Köln: Peter Quentel 1532 (VD16 N 227). –: FRIDE-‖​RICI NAV-‖​SEAE BLANCI-‖​C AMPIANI, ‖ diuinarum, humanarum[que] ‖ LL. Doctoris Co[n]sultiss. ‖ Tres Euangelicae ve-‖​ritatis Homi-‖​liarum ‖ Centuriae. ‖

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Ad Christianae pietatis ‖ augmentum & decus. Köln: Peter Quentel 1530 (VD16 N 226). –: Predige ‖ Euangelischer war-‖​heit / vber all Euangelien / so nach ord-‖​nung Christlicher Kirchen / durch das  ‖ gantze jar gelesen werden. […] Vom Latein in gemein Deutsch gebracht. ‖ Zu Gottes Ehrn / vnd allen Deutschen zu nutz ‖ heil vnd seligkeit. Mainz: Peter Jordan und Peter Quentel 1535 (VD16 N 230). Pinder, Ulrich: Speculum passionis  ‖ domini nostri Ihesu christi. In quo reluce[n]t hec omnia sin-‖​gulariter vere & absolute: puta. Omnis p[er]fectio yerarchie ‖ Omniu[m] fidelium beatitudo. Omnes virtutes. Dona. Fru|| ctus. Et spiritualiu[m] bonoru[m] omnium efficacia. Quod in ‖ sine prime partis huius speculi manifestissime coproba[n]t. Nürnberg: Ulrich Pinder 1507 (VD16 P 2807). Praxis Pietatis Melica ‖ Das ist ‖ Ubung der ‖ Gottseligkeit in Christ-‖​lichen und trostreichen  ‖ Gesängen / || H. D. Martini Lutheri fürnem-‖​lich / wie auch anderer seiner getreuen ‖ Nachfolger / und reiner Evangelischer ‖ Lehre Bekenner: ‖ Ordentlich zusammen gebracht / || Und / über vorige Edition mit ‖ noch gar vielen schönen trostreichen Ge-‖​sängen vom neuen vermehret und  ‖ verbessert / || Auch zu Befoderung des so wol  ‖ Kirchen- als Privat-Gottesdienstes / || mit beygesetzte[n] bißhero gebräuchlichen und ‖ vielen schönen neuen Melodien / nebenst darzu ge-‖​hörigem Fundament / verfertiget ‖ Von ‖ Johann Crügern / Gub. Lusat. ‖ Direct. Mus. in Berlin / ad D. N. ‖ Editio IX. ‖ Wobey befindlich D. Johan[n] Habermanns ‖ Gebetbuch / nebst trostreichen Sprüchen / von denen / || so zum Tische des Herrn gehen wollen / nützlich ‖ zu gebrauchen. Stettin: Daniel Starck 1660 (VD17 39:149243W). Ps.‑Augustin: Drey Büchlein des ‖ H. Augustini / || Welch zu Latein MEDITA-‖​TIONES, SOLILO-‖​QVIA vnd MANVALE ‖ genennet. ‖ Darinne[n] erstlich die Gottselige Betrach-‖​tungend d[er] hohen himlische[n] ding: darnach die Son-‖​derbaren geheyme gesprech / wie sie ein glaubige  ‖ seel mit Gott pflegt zuhalten / Gebtes weyse  ‖ verfasset: Sampt seine[n] Handbüchlein ‖ gleicher matery vnd inhalts. ‖ Allen from[m] en andechtigen hertzen / so der Lateinische[n] ‖ sprachen vnerfaren / zu Christlicher vbung heilsamlich ‖ zugebrauche[n] furgestelt vn[d] tewlich verteutscht / durch ‖ den W. H. Johannen Schwayger / vnser lieber ‖ Frawen Stifftkyrchen zu Franckfurt am ‖ Mayn / Scholastern. Köln: Johann Quentel (Erben) 1571 (VD16 A 295). Rasser, Johannes: Christenliche / Catho-‖​lische wolgegrundte Predigen / durch  ‖ die gantze Fasten vnd Marterwochen. Welche auß  ‖ einem alten Scribenten verteutscht / Vnnd neben der  ‖ verdolmetschung / mit etlichen Predigen geme-‖​ret / vnnd in vnderscheidliche puncten ‖ außgetheilt worden. ‖ Darher auch die bedeutung / aller Ceremonien vnd  ‖ Kirchen gebreuch / so viel deren / durch die gantze Fasten vnd  ‖ Carwochen (nichts außgenommen) in Catholischer  ‖ Kirchen Gott löblich / vnd dem jnnern Christen ‖ Menschen fruchtbarlich geübet / auff ‖ das verstendlichest außgelegt / vnd angezeigt werden. ‖ Durch ‖ Johan Rassern / Pfarhern zu Ensisheim in  ‖ Obern Elsaß / dem einfeltigen zu gut / || also Colligiert vnd zusammen ‖ getragen. Köln: Maternus Cholinus 1578 (VD16 R 337). –: POSTILLA  ‖ Christlicher Ca-‖​tholischer Predigen / auff alle  ‖ Sontäg durch das ­gantze Jahr / dar-‖​under das Quadragesimale oder Fasten-‖​predigen / alle in vnderschidliche ‖ Puncten außgetheylt. ‖ Darbey auch die bedeuttungen ‖ der Ceremonien oder Kirchenge-‖​bräuch / so vil deren hierzwichen (fürnem[m]lich ‖ durch die gantze Fasten) fürfallen / vnd in der H.  Rö-‖​mischen / Catholischen / Christlichen Kirchen / Gott ‖ löblich / vnd dem jnnern Menschen besserlich / || geübt / mit gründtlicher Warheit an-‖​gezeygt werden. Dillingen: Johann Mayer 1590 (VD16 R 340).



Quellen (Drucke des 15. bis 17. Jahrhunderts)373

Schöpper, Jakob: INSTITVTIONIS ‖ CHRISTIANAE, ‖ PRAECIPVAE QVE DO-‖​ctrinae summa, Concionibus aliquot ‖ succinctis iuxta ac Catholicis compre-‖​hensa, nunc primum & aedita & ty-‖​pis excusa, homini cuiuis Chri-‖​stiano lectu cognituque  ‖ valde necessaria.  ‖ Auctore D. IACOBO SCHOEPPERO,  ‖ Presbytero.  ‖ Quae sint opusculi huiusce potiora capita, sequens fa-‖​cies indicabit: Concionum autem seriem in fine ‖ eiusdem offendes. ‖ Omnia Ecclesiae Catholicae Apostolicaeq[ue] ‖ iudicio submißa sunto. Köln: Maternus Cholinus und Jakob Soter 1555 (VD16 S 3779). –: SYNONYMA. ‖ Das ist / Man-‖​cherley gattungen Deut-‖​scher worter / so im Grund einerley ‖ bedeutung haben. ‖ Allen Predigern / Schrei-‖​bern vnd Rednern zu dienste colligiert ‖ vnd zusamen getragen. Dortmund: Melchior Soter 1550 (VD16 S 3790). –: TOMVS PRIMVS  ‖ D. JACOBI  ‖ SCHOEPPERI CON-‖​CIONVM, QUAS TREMONIAE, ‖ dum in uiuis esset, methodice ‖ conscripsit & publice ‖ habuit. ‖ Nunc tandem easdem Ioannes Lambachius cognomine ‖ Sceuastes, pro ijs, qui in Ecclesia docent, in tres Tomos concinna-‖​uit & digeßit. Dortmund: Albert Sartor 1557 (VD16 S 3755). –: TOMVS SECVN[DUS] ‖ D. JACOBI ‖ SCHOEPPERI CON-‖​CIONVM, QUAS TREMONIAE, ‖ dum uiueret cum artificiosa Methodo stiloq[ue], ‖ succinctißimo conssripsit, tum public-‖​ce ibidem habuit. ‖ Nunc tandem easdem Ioannes Lambachius cognomine ‖ Sceuastes, in illorum gratiam, qui in Ecclesiis ‖ docent, in tres tomos summa dili-‖​gentia congeßit. Dortmund: Albert Sartor 1557 (VD16 S 3757). –: TOMVS TERTIVS  ‖ D. JACOBI  ‖ SCHOEPPERI CON-‖​CIONVM, QUAS TREMONIAE, ‖ cum eleganti Methodo, stiloq[ue] suc-‖​ctissimo conscripsit, tum ‖ publice ibidem ha-‖​buit.  ‖ Nunc tandem easdem Ioannes Lambachius cognomine  ‖ Sceuastes, in iuniorum Ecclesiastarum ‖ gratiam, in tres tomos ‖ selegit. Dortmund: Albert Sartor 1558 (VD16 S 5759). –: Winterteil der Postill ‖ Euangelischer warheit / vnd ‖ rechter Catholischer Lehr / vber die Episteln vnd Euangelien / || so vom Aduent an / biß auff Ostern / auff die Sontag / mit sampt  ‖ den Freitagen der viertzigtägiger Fasten / in der  ‖ Heiligen Kyrchen gelesen werden. Durch Weiland den W. Herren Jacobbum Scopperum in der ‖ Reichsstadt Dortmund mit grosser frucht gepredigt / auch methodice  ‖ vnd ordenlich zu Latin beschrieben. Vnd jetzt dem gemeynen ‖ Christlichen Teutschen volck zu nutz / wolfarth vnd trost ‖ mit fleiß verdolmetscht. ‖ Durch den W. vn[d] hochgelerten Herrn Christianum Hipparium / Gött-‖​licher Schrifft Lehrern vnd Pfarherrn S. Quintin in Meintz. Köln: Johann Quentel (Erben) 1561 (VD16 S 3770). Spangenberg, Johann: Ain new Trost|| büchlin / Mit ainer Chri-‖​stenlichen vnderrichtung / Wie ‖ sich ain Mensch berayten soll / || zu ainem seligen sterben / || inn Frag­ stuck ver-‖​fasset. Augsburg: Valentin Otmar 1542 (VD16 S 7873). –: Auslegung ‖ der Episteln / so auff die ‖ Sontage vom Aduent ‖ bis auff Ostern / jnn der Kirchen  ‖ gelesen werden / fur die jungen  ‖ Christen / Knaben vnd Meidlein  ‖ jnn Fragestücke verfasset. Magdeburg: Michael Lotter 1544 (VD16 S 7899; Sommerteil: VD16 S 7900). –: Der Gros ‖ Catechismus ‖ vnd Kinder Lere / || D. Mart. Luth. ‖ Fur die jungen Christen / jnn Fra-‖​gestücke verfasset. Wittenberg: Georg Rhau 1541 (VD16 L 4354). –: Die historia ‖ Vom Leiden ‖ vnd sterben / vnsers ‖ HERRn Jhe-‖​su Christi. ‖ Sampt dem XXII.  ‖ vnd LXiiij. psalm David / || Vom Leiden vnd Auffer-‖​stehung Christi / auffs ‖ kurtzeste vorfast. Magdeburg: Michael Lotter 1543 (VD16 S 7836). –: MARGARI-‖​TA THEOLOGICA, CONTINENS ‖ PRAECIPVOS LOCOS DOCTRINAE ‖ Christianae, per quaestiones, breuiter & ‖ ordine explicatos, omnibus Pastori-‖​bus,

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Quellen- und Literaturverzeichnis

uerbi preconibus & ecclesiae ‖ ministris summe utilis & ‖ necessaria. […] Cum praefatione D. CASPARIS ‖ Crucigeri. Leipzig: Michael Blum 1540 (VD16 S 7843). –: Postilla ‖ Teütsch. ‖ Für die jungen Christen / || Knaben vnd Meidlein / in ‖ Fragstuck verfasset / Vom ‖ Aduendt biß auff ‖ Ostern. […] Mit ainer Vorrede D. ‖ Martini Luthers. Augsburg: Valentin Otmar 1543 (VD16 S 7888). –: Postilla ‖ Teütsch / für die jungen Chri-‖​sten / Knaben vnd Meidlein / || in Fragstuck verfasset / || Von den fürnemsten Festen / durch ‖ das gantze Jar. Augsburg: Valentin Otmar 1544 (VD16 S 7895). Stigel, Johann: Warhafftiger Bericht / || wie der Durchlauch-‖​tigst Fürst vnd thewre Gottes Man / || Hertzog Johans Friderich / der El-‖​ter / Hertzog zu Sachsen vnd ge-‖​ borner Churfürst / etc. von die-‖​ser Welt abgeschieden. Jena: Christian Rödinger d. Ä. 1554 (VD16 S 9126). Theophylakt von Ohrid: THEOPHYLA|| CTI ARCHIEPISCOPI BVL|| gariae, in quatuor Euangelia enarratio-‖​nes, Ioanne Oecolampadio  ‖ interprete. Basel: Andreas Cratander 1524 (VD16 B 4599). Vischer, Christoph: Außlegung  ‖ der Euangelien / so man auff  ‖ die Fest der Apostel / vnd andere tage / in der Christ-‖​lichen Kirchen zuhandeln pfleget. ‖ Darinnen ein jedes Euangelium in drey / bißweilen ‖ auch in vier predigten / gefast ist. Leipzig: Hans Steinmann 1575 (VD16 V 1599). –: Außlegung ‖ der Euangelien / so man auff die ‖ Sontage in der Christlichen Kirchen zu handeln ‖ pfleget / Vom Aduent bis auff Ostern / Darinnen ‖ ein jedes Euangelium in drey / bisweilen ‖ in vier Predigten verfasset ist. Schmalkalden: Michael Schmuck 1570 (VD16 V 1595). –: Christliche vnnd  ‖ Einfeltige Erklerung  ‖ der Gnadenreichen Historien des Lei-‖​ dens vnd Sterbens / Auch der Hochtröstlichen Aufferstehung ‖ vnd Siegreichen Himelfart vnsers lieben HERRN Jhesu  ‖ Christi / Jtem der Sendung des heiligen Geistes / Wie solchs alles ‖ die Vier Euangelisten beschrieben haben. Schmalkalden: Michael Schmuck 1566 (VD16 ZV 18599). –: Die Gnadrei-‖​che Histori deß bittern Leidens  ‖ vnd Sterbens cnsers Herren Jesu  ‖ Christi / nach den vier Euangelisten. Frankfurt/Main: Georg Rab d. Ä. und Weigand Han 1561 (VD16 ZV 20807). –: Erklärung vnd ‖ einfeldige Außlegung / der ‖ siben Wort vnsers Herrn Jesu ‖ Christi / die er am Stamme deß ‖ heyligen Creützes ge-‖​redt hat. Frankfurt/Main: Georg Rab d. Ä. und Weigand Han 1561 (VD16 V 1648). –: Kinder Postill.  ‖ Darinnen alle  ‖ Sontegliche vnd der furne-‖​msten Feste Euangelia / mit vier ‖ kurtzen Fragstücken / auff eine form / ein-‖​feltig erkleret werden / Nemlich / was die Summa / die furnembsten Lehren vnd ‖ Heubttrost eines jeden Euangelij / || vnd wie die Lehren vnd Trost ‖ in ein kurtz Gebetlein zu fassen sind. ‖ Gestellet vnd auffs newe ‖ mit vleis vbersehen. Schmalkalden: Michael Schmuck 1571 (VD16 E 4602). Walther, Christoph: Antwort ‖ Auff der Flaciani-‖​sten Lügen vnd falschen Be-‖​richt wider die Hauspostill Do-‖​ctoris Martini  ‖ Lutheri. Wittenberg: Hans Lufft 1559 (VD16 W 942). Wigand, Johannes: Postilla / || Außlegung ‖ der Euangelien, so ‖ man durch das gantze Jar ‖ auff einen jeden Sontag vnd fürnemste ‖ Fest / in der Kirchen pfleget fürzutra-‖​ gen / Erstmals in Lateinischer ‖ Sprach verzeichnet / Durch den ‖ Ehrwirdigen vnd Ach-‖​barn Herrn  ‖ Johannem Wigandum / der heili-‖​gen Schrifft Doctor.  ‖ Nach-



Quellen (Editionen und Ausgaben seit dem 19. Jahrhundert)375

mals verdeutschet / || Durch ‖ Christophorum Obenhin / Ottingensem / || Pfarherrn zu Vrsel. Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1569 (VD16 W 2832). –: POSTILLA ‖ SEV ‖EXPLICA-‖​TIO EVANGELIO-‖​RVM, QVAE DOMINICIS ‖ DIEBVS POPVLO CHRISTIA-‖​no proponi solent, à prima Domi-‖​nica Aduentus Domini, ‖ vsq[ue] ad Dominicam  ‖ Trinitatis.  ‖ Pars Prima. Oberursel: Nikolaus Heinrich d. Ä. 1566 (VD16 W 2826). –: Von der ‖ Erbsünde / Lere aus ‖ Gottes Wort / aus dem Düringi-‖​schen Corpore Doctriae / vnd aus ‖ D. Luthers Büchern. ‖ Vnd ‖ Vnterricht von etlichen gegenwer-‖​tigen Streiten. Jena: Donat Richtzenhan 1571 (VD16 W 2902). Wigand, Johann/Heshusius, Tileman/Mörlin, Joachim/Chemnitz, Martin: DE ‖ PECCATO ‖ ORIGINIS SCRI-‖​PTA QVAEDAM ‖ contra Manichaeorum ‖ delirium. ‖ Quod Peccatum Originis ‖ sit Substantia. ‖ D. VVIGANDI. ‖ D. HESHVSII. ‖ D. MORLINI. ‖ D. KEMNICII. Jena: Donat Richtzenhan 1571 (VD16 P 1093). Wild, Johann: Kurtze Postil ‖ oder Predigbuch Euangeli-‖​scher Warheit/Des Erwir-‖​ digen Herrn Johan Wilden ‖ Domprediger zu Meintz ‖ Auff die Fest der Heiligen ‖ Gottes / so nach Ordnung der ‖ Allgemeynen Christlichen Kyrche[n] ‖ durchs gantze jar gefeiret ‖ werden. Mainz: Franz Behem 1560 (VD16 W 3023). –: Postill  ‖ oder Predigbuch  ‖ Euangelischer warheyt und  ‖ rechter Catholischer Lehr / vber die Euangelien / so  ‖ nach Ordnung der Allgemeynen Christlichen Kirchen / vom  ‖ Aduent an / biß auff Ostern gelesen werden / vnd  ‖ auff jeden Sontag Zehen son-‖​derlicher Predig / || Allen Gotförchtigen/Guthertzigen / vnd sonder-‖​lich dem eynfältigen gemeynen Christenlichen  ‖ Volck zu nutz / wolfart / vnd trost/Jm löblichen Ertzdhomstifft zu Meyntz / || Durch den Ehrwürdigen Herrn Johan Wild/ Dhomprediger daselbs / gepredigt  ‖ vnd in diese Form  ‖ gestelt. […] Mainz: Franz Behem 1552 (VD16 W 2984). –: Winterteil ‖ Der Kurtzen ‖ Postil od[er] Predigbuchs Eua[n]-‖​gelischer warheit vber die Son-‖​tags Euangelia so vom Aduent ‖ biß auff Ostern in der Hei-‖​ligen Kyrchen gelesen ‖ werden. Auß der grossen Postille[n] des ‖ Erwürdige[n] Herrn Johan Wil-‖​ den/Jetzund newlich vor die arme  ‖ Pharherrn vnd Haußuetter / mit fleiß  ‖ auserlesen / vn[d] in diese kurtze form ‖ gestelt/Durch Petrum Vl-‖​ner von Gladbach. Mainz: Franz Behem 1560 (VD16 W 3020) Witzel, Georg: Das Andere Teil / || Postillen / vber alle Episteln ‖ vnd Euangelien / vom heiligen Palmtage an / || bis auff Sontag nach Barptolomei / || Recht vnd gut ans liecht ‖ geben. Leipzig: Nikolaus Wolrab 1538 (VD16 W 3938). –: MARTYRO-‖​LOGION CHRISTI. ‖ Die heili-||ge Passion vn-‖​sers Herrn / nach der ‖ Beschreibung aller vier ‖ Euangelisten/Aus-‖​geleget. Leipzig: Nikolaus Wolrab 1538 (VD16 B 4777).

Quellen (Editionen und Ausgaben seit dem 19. Jahrhundert) Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hg. v. Irene Dingel im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen 2014. Bernhard von Clairvaux: Sancti Bernardi Opera, Editiones Cistercienses, Rom 1957 ff.

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Bibelausgaben und Hilfsmittel Biblische Texte werden in der Regel so wiedergegeben, wie sie in der jeweiligen Quelle formuliert sind. Moderne Zitationen biblischer Texte folgen der revidierten Lutherbibel von 2017. Biblia: Das ist: ‖ Die gantze Heilige ‖ Schrifft: Deudsch ‖ Auffs new zugericht. ‖ D. Mart. Luth. (2 Bände) Wittenberg: Hans Lufft 1544/45 (VD16 B 2718). Biblia Sacra. Iuxta Vulgatam Versionem, hg. v. Robert Weber/Roger Gryson, Stuttgart 52007. Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017. Jubiläumsausgabe. 500 Jahre Reformation. Mit Sonderseiten zu Martin Luthers Wirken als Reformator und Bibelübersetzer, Stuttgart 2016 (= Luther 2017). Georges, K arl Ernst: Der Neue Georges. Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, hg. v. Thomas Baier, bearb. v. Tobias Danzer, 2 Bände, Darmstadt 2013. Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854ff (Nachdruck: München 1984). Novum Testamentum Graece, begründet von Eberhard und Erwin Nestle, hg. v. Barbara und Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini, Bruce M. Metzger, Stuttgart 282012. Sleumer, Albert (Hg.): Kirchenlateinisches Wörterbuch, Zweite, sehr vermehrte Auflage des „Liturgischen Lexikons“ unter umfassendster Mitarbeit von Joseph Schmid, Limburg an der Lahn 1926 (6. Reprint: Hildesheim 2015).

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Literatur403

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Bibelstellenregister Gen 2 Gen 2,17 Gen 3 Gen 3,15 Gen 3,21 Gen  4,4 f. Gen 5,24 Gen 6–9 Gen 7 Gen 12,1–3 Gen  18,17 f. Gen 19 Gen 22 Gen 22,15–18 Gen 28 Ex 12 Ex 17 Ex 20 Num 20 Num 21 Num 21,4–9 Num  21,8 f. 2 Sam 2,5 f. 2 Kön 21,1–18 Neh 4 Hi 17,12 Hi 17,15 Ps  2,1 f. Ps 5 Ps 6 Ps 8,5–7 Ps  16,2 f. Ps 16,4 Ps 16,8–11 Ps 22 Ps 22,2 Ps 22,7 Ps 22,9 Ps 22,17

271 318 185, 287 76, 112, 271, 273, 287 287 287 287 287 235 270, 273 273 236 233 273 360 183, 186 f., 198, 233, 287 233 64 233 233 287 273 212 287 282 149 149 287 175, 366 289 287 112 287 287 296, 364 112, 287 112 112 112

Ps 22,19 112 Ps 22,27 287 Ps 30,10 132 Ps 34,20 185 Ps 69 287 Ps 69,4 212 Ps 69,5 319 Ps 69,22 112 Ps 75,9 284 Ps 103 289 Ps 105 233 Ps  105,41 f. 233 Ps 149,6 282 Jes 7 272 Jes 11,1 269 Jes 11,10 270 Jes 41,14 360 Jes 43,18–25 360 Jes 43,18 360 Jes 43,19 360 Jes 43,24 f. 212, 287 Jes 43,24 212, 319, 359 Jes 43,25 360 Jes 45,21 360 Jes  49,25 f. 360 Jes 50,5–7 287 Jes 52,13–53,12 [= Jes 53] 32, 49, 94, 103– 111, 113, 163, 176, 182 f., 230, 233, 267, 272, 275 f., 287, 326, 332 Jes 52,13–53,3 107 Jes 52,13–15 269 Jes 52,15 107 Jes  53,1 f. 269 Jes 53,1 230, 273 Jes 53,2 f. 86, 231 Jes 53,2a 231 Jes 53,3–7 269 Jes 53,4–9 109

406

Bibelstellenregister

Jes 53,4–7 Jes 53,4–6 Jes 53,4 f. Jes 53,5 Jes 53,6 Jes 53,7 Jes  53,8 f. Jes 53,10–12 Jes 53,10b Jes  53,11 f. Jes 53,11 Jes 53,12 Jes 65,2 Jer 17,14 Jer  23,7 f. Klgl 1,12 Ez 33,11 Dan 9 Dan 9,24 Hos 6,2 Hos 13,14 Sach 9,9 Sach 9,11 f. Sach 9,11 Sach  11,12 f. Sach 12,10 Sach 13,7

241 110, 231, 294 77 f., 245, 319 2, 49 f., 60, 96, 163 60, 319 231 270 108, 270 106 231 110 f., 116, 273, 276 f. 109, 319 212 360 360 149, 151 f., 154, 357 185 233, 287 77, 273 214 273 287 77, 82 287 287 287 287

Mt 5 Mt 5,11 Mt  5,39 f. Mt 7 Mt 9,13 Mt  10,9 f. Mt 11 Mt 11,17 Mt 11,28–30 Mt 12,32 Mt 16,24 Mt 21 Mt 24,23 Mt 26–28 Mt 26–27 Mt 26,36–46 Mt 26,39 Mt 26,42 Mt  26,47 ff. Mt 26,47–50

157 236 194 363 195 138 24 150 195 89 148, 185, 236 24 137 330 120 93, 193 99 99 93 193

Mt 26,51–56 Mt 26,52–54 Mt 26,57–68 Mt  26,60 f. Mt 26,69–75 Mt 27,1–10 Mt 27,25 Mt 27,33–56 Mt 27,45 Mt 27,46 Mt 27,51–53 Mt 27,51 Mt 27,57–66 Mk 8,34 Mk 13,21 Mk 14–16 Mk 14,36 Mk 14,41 f. Mk 14,56–59 Mk 15,33 Mk 15,34 Mk 15,38 Lk 2 Lk 6,25b Lk 7,32 Lk 7,36–50 Lk 9,23 Lk 12,10 Lk 12,48 Lk 16,8 Lk 21 Lk 22–24 Lk  22,31 f. Lk 22,36 Lk 22,42 Lk  22,43 f. Lk 22,44 Lk 22,61 Lk 23 Lk 23,12 Lk 23,26–31 Lk 23,27–31 Lk 23,27 f. Lk 23,28

Lk  23,28 f.

194 96 194 161 195 195 42, 130 197 174 287 174 174 198 185 137 330 99 212, 356 161 174 287 174 292 150 150 131 185 89 212 137, 241 24 330 195 138 99 93 98 146 321 306 196 312, 339 47, 218 41, 47, 53 f., 134, 144, 149–151, 154, 162, 165, 177, 197, 219, 223, 289, 313, 337, 339 223

Bibelstellenregister407

Lk 23,29–31 Lk 23,29 f. Lk 23,31 Lk 23,32–43 Lk 23,34 Lk 23,41 Lk  23,44 f. Lk 23,45 Lk 23,46 Lk 24,25–27 Lk  24,26 f. Joh 1 Joh 1,29 Joh 2,1 f. Joh 3 Joh  3,14 f. Joh 3,14 Joh 3,16–18a Joh 3,16 Joh 3,30 Joh 5,24 Joh 6,44 Joh 11,25 Joh 12,23 f. Joh 13 Joh 13,1–20 Joh 14 Joh 15,3 Joh 16,20–22 Joh 17 Joh 18–20 Joh 18 Joh 18,4–8 Joh 18,10 Joh 18,11 Joh 18,28–40 Joh 18,36 Joh 19,11 Joh 19,13–30 Joh 19,15 Joh 19,24 Joh 19,25–37 Joh  19,26 f. Joh 19,28 Joh 19,30 Joh 19,34 Joh 19,36

177 150, 313 223, 313 31, 86, 197 86 89 174 174 306 287, 332 268 24 77, 85, 108, 212, 357 96 236 273 77 195 61, 79–81, 133, 147, 221, 234, 272 1 195 221 195 77, 82 112 289 157 319 149 192 330 123 193 157, 251 99, 146, 158 195 102 233 32, 111 112 112 198 146 112 307 198 198

Apg 2,25–28 287 Apg 2,36 42 Apg 4,12 360 Apg  4,25 f. 287 Apg 10,43 288, 360 Apg 14,22 236 Apg 15,11 360 Apg 21,13 232 Röm 1,18–32 113 Röm 1,20–22 62 Röm 3 236 Röm  3,24 f. 184 Röm 4–5 273 Röm 4,25 41, 60, 82, 235 Röm 5,1 273 Röm 5,8–11 31, 74, 76, 79 f., 82 f., 85 Röm 5,8 272, 319 Röm  5,10 f. 320 Röm 5,12 185 Röm 5,8 163, 235 Röm 5,10 359 Röm 6 57 Röm 6,23 185 Röm 8 154 Röm  8,3 f. 273 Röm 8,3 184 Röm 8,17 149 Röm 8,29 55 Röm 8,(29–)30 56 Röm 8,32 133, 147, 163, 233 Röm 10,4 273 Röm 10,10 83 Röm 12 157 Röm 12,15 218 Röm 13 24 Röm 15 24 1 Kor 1 290 1 Kor 1,18–25 62 1 Kor 1,22–24 46 1 Kor 2,1 f. 148 1 Kor 2,2 152 1 Kor 3,21–23 301 1 Kor 4 24 1 Kor 5,7 186 1 Kor 6,20 212, 356 1 Kor 10 49 1 Kor 10,4 233 1 Kor 10,6 49

408 1 Kor 11,16 1 Kor 12 1 Kor 12,26 1 Kor 15 1 Kor 15,3 f. 2 Kor 3,6 2 Kor 5,1–10 2 Kor 5,21 2 Kor 7,10 2 Kor 12,15 Gal 1,4 Gal 3,13 f. Gal 3,13 Gal  4,4 f. Gal 4,4 Gal 5,24 Gal 6,14 Gal 6,17 Eph 2,10 Phil 1,21 Phil 1,23 Phil 2,6–8 Phil 4 Kol  1,13 f. Kol 2,3 1 Thes 2,14 f. 1 Tim 1,15 2 Tim 2 2 Tim 2,11 2 Tim 2,12

Bibelstellenregister

315 154 152 271, 273 95 64 152 60, 184, 273, 286 151 232 163 286, 320 144, 273 273 133 69 147, 152, 232 152 273 232 232 269 24 320 153 42 133 154 236 149

2 Tim 3,12 2 Tim 3,16 2 Tim 4,3 f. Tit 1,9 Hebr 2,6–8 Hebr 2,10 Hebr 2,14 f. Hebr 8 Hebr  9,13 f. Hebr 11,13 1 Petr 1,2 1 Petr 1,18 f. 1 Petr 1,18 1 Petr 2,21 1 Petr 2,24 1 Petr 3,18 1 Petr 4,1 1 Petr 4,14 1 Petr 5,6 2 Petr 2 1 Joh 1,7 1 Joh 2 1 Joh 2,1 f. 1 Joh 2,2 1 Joh 3,16 1 Joh 4,9 f. 1 Joh 4,10 1 Joh 4,19 Offb 13 Offb 13,8

236 151 137 24 287 318 231, 320 359 321 152 186 96 319 96, 148, 236, 320 60, 96, 235, 358 319 309 236 185 137 320 236 195 235 235 319 234 359 283 287

Personenregister Biblische Personen sind kursiv gedruckt. Abel 287 Adam/Eva 76, 136, 159, 176, 214, 230, 232, 278, 286 f., 297 f., 304, 318 Agricola, Johannes 179 Agricola, Philipp 210, 239, 249 Albertus Magnus 44 f. Albrecht IV. von Bayern 125 Albrecht von Brandenburg 141, 207 Aleander, Girolamo 140 Alphonso de Spina 130 Ambrosius von Mailand 123, 157, 161, 300 f. Amsdorf, Nikolaus von 32, 91, 170, 258, 262 Angermaier, Andreas 248 Anselm von Canterbury 37, 272 Anton II. von Lothringen 123, 136 Apian, Georg 122 Apian, Peter 122 Apollos 301 Aquila, Caspar 292 Aristoteles 111, 129, 131, 175, 235, 365 Arndt, Johann 323 Arnulf von Löwen 3, Augustin 64, 66, 72, 78, 123, 130 f., 135 f., 138, 157, 188, 300–302, 323, 333 f. Augustin von Alveldt 140 Aurifaber, Johannes 44 Bach, Johann Sebastian 5 Bartholomäus 74 Bärwald, Jakob 347 Basse, Franz 283 Basse, Nikolaus 268, 283 Bathan, Johann 210 Baumgartner, Hieronymus 32, 71 Baumgartner, Sibilla 32, 92, 191, 193

Beda Venerabilis 123, 131 Behem, Franz 210, 248 Behem, Kasper 240 Berg, Johann vom 31, 181, 350–353 Berg, Johann vom (Erben) 354 Bernhard [jüdischer Konvertit der Reformationszeit] 43 Bernhard von Clairvaux 3 f., 37, 50 f., 55, 61, 72, 131, 136, 157 f., 163, 301 f., 333 Birkmann, Arnold 210 Bonaventura 38, 105, 126 f. Braecker, Hans de 353 Braubach, Peter (Erben) 283 Brendel von Homburg, Daniel 249 Brenz, Johannes 169 f., 222 Brusch, Kaspar 181 Bugenhagen, Johannes 27–29, 70, 74, 93, 135, 291, 294, 330 Burger, Johann 353 Calenius, Gerwin 229 Calvin, Johannes 179 Campeggio, Lorenzo 140 Canisius, Petrus 238, 254 Cassander, Georg 254 Christoph von Württemberg 262 Chrysostomus, Johannes 123, 131, 135 f., 157, 216, 303 Cochläus, Johannes 140 f., 199, 208 Corvin, Anton 120, 155, 167 f., 170, 172 Craendonch, Johann 18, 20, 175, 206, 247–255, 338, 354, 352–366 Cranach, Lukas [d. J. + d. Ä.] 6 Cromer, Martin 238 Crüger, Johann 3 Cruciger, Caspar 26, 29 f., 71 f., 93, 192 Cyprian von Karthago 123 Cyrill von Allexandria 135 f., 157

410

Personenregister

Daniel 77, 287 Daubmann, Hans 349 David 89, 112, 269, 287, 289, 296 Dietenberger, Johannes 120, 208 Dietrich, Veit 18, 20, 30–34, 70–74, 79, 81, 85, 91–95, 105, 149, 162, 168, 190– 204, 245, 331, 338 Dietrich VI. von Manderscheid-Schleiden 267 Dionysius Areopagita 123, 131, 136 Distel, Konrad 240 Dorothea zu Solms-Laubach 281 Dreher, Konrad 354 Eck, Johannes 18–20, 119–140, 146, 149, 151, 157, 161–164, 178, 207, 209, 227, 245, 248, 254, 313, 331, 337 Eder, Wolfgang 122 Egenolff, Christian d. Ä. 348–354 Egeria [Pilgerin] 325 Emser, Hieronymus 64 Erasmus von Rotterdam 79, 225 Fabricius, Anthon 267 Ferdinand I. [König] 141, 238 Feyerabend, Johann 283 Feyerabend, Sigmund 268, 283, 353 Flacius Illyricus, Matthias 258 f., 262 f., 265, 276, 278 f., 281 Franz von Assisi 37, 158 Friedrich der Weise 23 f. Fuhrmann, Valentin 355 Gaubisch, Urban 283 Gedik, Simon 189 Gehne, Andreas 353, 355 Geiler von Kaysersberg, Johann 125–128, 240 Georg III. von Anhalt 238 Georg der Bärtige von Sachsen 114, 119, 139, 155, 157 Gerlach, Dietrich 181, 353 f. Gerlach, Katharina 354 Gerhard, Johann 43 Gerhardt, Paul 2–5 Gerson, Johannes 126 f., 131, 136 Gigas, Johannes 189 Gregor der Große 123, 131

Gropper, Johannes 226 f., 238 Grünewald, Matthias 1 f., 4 Gülfferich, Hermann 347–349 Habermann, Johann 18, 20, 263 f., 313– 327, 331, 336, 339 Haller, Leonhard 344 Han, Weigand 354 Hannas 299 Heidenreich, Kaspar 64 Heinrich I. (XVI.) der Jüngere [Reuß ­jüngere Linie] 281 Heinrich der Fromme von Sachsen 155 f. Heinrich, Nikolaus d. Ä. 267 f., 283 Helding, Michael 18, 20, 205–209, 237– 247, 253 f., 324, 327, 330, 338 f. Helt, Georg 74, 180 Henoch 287 Herkules 159 Herodes 236, 244, 306, 219 Heußler, Christoph 354 Heußler, Leonard 354 Hieronymus 123, 131, 136, 157, 161, 325 Hilarius von Poitiers 157 Hipparius, Christian 228 f. Hoyer VI. von Mansfeld 155 Hus, Jan 364 Hüter, Simon 283 Irenäus von Lyon 301, 303, 310, 323–325 Jacob, Cyriacus 349, 351 Jeremia 151 Jesaja 77, 86, 96, 105–108, 230, 244, 270, 287 Joachim I. von Brandenburg 114 Johann der Beständige 154 Johann Friedrich I. von Sachsen 33, 156, 257 f., 260 f. Johann Friedrich II. von Sachsen 262 f., 265 Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar 266 Johannes de Caulibus 38 Johannes [Evangelist] 85, 102, 112, 124, 134, 156, 195 Johannes [‚Lieblingsjünger‘ unterm Kreuz] 46, 131 f., 146, 198, 298

Personenregister411

Johannes Damascenus 131 Johannes der Täufer 1, 77, 96 Jonas, Justus 155 Jordan von Quedlinburg 38, 127, 131, 136, 158 Joseph von Arimathäa 104, 198, 215 f., 286, 299 Josephus 131 Judas 42, 59, 128, 146, 175, 177, 193–195, 217, 236, 242, 244, 251, 258, 284–286, 289, 295 f., 305, 319, 322 f., 361 f. Judex, Matthäus 262 f., 265, 279, 281 Kaiphas 32, 99 f., 112, 156, 173 f., 236, 244, 250, 284 f., 299, 322 f. Karl V. 257 f. Kirchner, Ambrosius d. Ä. 352 f. Kirchner, Wolfgang 353–355 Klingen, Conrad 254 Köpfel, Wolfgang 29 Körner, Michael 293 Krafft, Johann d. Ä. 354 Krapf, Georg 122 Kreutzer, Veit 350 Kunigunde von Bayern 125 Lambach, Johann 224–227, 229 Lechler, Martin 268 Lotter, Melchior 174 Lotter, Michael 348–351 Ludolf von Sachsen 38, 131, 136, 158 Ludwig X. von Bayern 122 Lufft, Hans 29 f. Lukas [Evangelist] 102, 156 Luther, Martin 1–12, 16, 18–20, 23– 117, 119, 121–123, 129, 132, 135, 138–141, 144, 149 f., 153, 159–165, 167–174, 176–179, 184, 186, 188– 192, 194, 196, 200–203, 205, 216– 224, 228, 234–237, 240 f., 245, 247, 250, 252 f., 257, 259–261, 263–266, 269, 273 f., 279–282, 289–291, 295, 298, 303 f., 308, 310–312, 317, 322– 327, 329–339, 342, 347 Major, Georg 262, 265 f., 290 f., 326 Malchus 157, 243 f., 251, 362 Manasse 287

Maria [Mutter Jesu] 32, 46 f., 77, 129–132, 146, 198, 215 f., 244, 246 f., 269, 292, 298, 306, 322, 337 Maria Magdalena/Sünderin 131, 150 Markus [Evangelist] 156 Matthäus [Evangelist] 74, 156 Mauburnus, Johannes 44 Maximilian I. [Kaiser] 139 Mechler, Esaias 355 Melanchthon, Philipp 18, 20, 44, 71, 74, 121, 155, 168 f., 171 f., 178–190, 201– 203, 234–237, 248, 253, 260, 263, 291, 304, 310 f., 324, 327, 332, 334 f., 338, 350 Metzinger, Johann 207 f. Micha 297 Mohammed 84 Moller, Martin 323 Morhart, Ulrich d. Ä. 122 Moritz von Sachsen 258 Mose 64, 77, 146, 269, 287 Müntzer, Thomas 276 Musäus, Simon 18, 20, 49, 59, 100, 259, 262–264, 278, 280–292, 309, 326 f., 331 f., 339 Myconius, Friedrich 169 Nausea, Friedrich 18–20, 39 f., 48, 55, 119 f., 140–154, 161 f., 164, 197, 206– 208, 222, 227, 237, 240, 244–246, 253 f., 312 f., 330–332, 337–339, 357 Neander, Georg 239 Neuber, Ulrich 31, 181, 350–353 Necrosius, Konrad 208 Nehemia 282 Nikodemus 104, 198, 215 f., 286, 299 Nikolaus von Lyra 9 Noah 287 Obenhin, Christoph 267 Oekolampad, Johannes 136, 222 Ohr, Philipp von 355 Origenes 157 Osiander, Andreas 43, 130, 161, 169, 262, 265, 276 f., 290 f., 309, 326 Otmar, Valentin 347–349, 351 f. Paltz, Johannes von 44 f.

412

Personenregister

Paulus 24, 42, 60, 63, 66, 74, 80, 95, 105 f., 110, 113, 144, 148, 151–153, 185, 218, 244, 293, 300 f. Peraudi, Raimund 45 Petrus 42, 60, 89, 96, 99, 136, 138, 146 f., 150, 157 f., 161, 173 f., 195, 215 f., 243, 251, 285 f., 288 f., 295 f., 301, 319, 358, 360, 362 Pezel, Christoph 181–183 Pflug, Julius 208, 244 Philipp von Hessen 167, 257, 262, 292 Pinder, Ulrich 38 f., 53 Plinius der Ältere 302 Poach, Andreas 31–34, 74, 91–94, 105, 111, 113, 116, 192 Pollicarius, Johannes 181 Pontius Pilatus 32, 100–104, 126, 146, 156, 159, 174, 195 f., 199, 236, 244 f., 284 f., 295–297, 299, 306, 319, 322 Prüß, Hans 350, 353 Ps.-Bonaventura 38 Quentel, Johann (Erben) 141 Quentel, Peter 141 Rab, Georg d. Ä. 354 Rabanus Maurus 131 Rasch, Johann 353 Rasser, Johannes 247 Ratzenberger, Matthäus 180 Rebart, Thomas 268 Reffeler, Paul 283 Remigius von Auxerre 131 Rhau, Georg 347–349, 351 Rhau, Georg (Erben) 352 Richtzenhan, Donat 283 Roth, Stephan 26–30, 34, 65 Rödinger, Christian d. Ä. 348 Rödinger, Christian (Erben) 91 Rörer, Georg 32–34, 71, 74, 91–94, 105, 111, 113 f., 116, 183, 192 Sacharja 77, 287 Sachse, Barbara 350 Sachse, Melchior d. Ä. 352 f. Sachse, Melchior d. J. 355 Salomo 281 Sartor, Albert 350

Scherer, Georg 344 Scheurl, Christoph 56 Schmidt, Johann 268 Schmidt, Peter 268, 283 Schmuck, Michael 293 Schnepf, Erhard 260 Scholl, Bernhard 208 Schöpper, Jakob 18, 20, 205 f., 223–237, 253 f., 268, 331 f., 338 Schöpper, Johann 224 Schuchen, Johann 352 Schulz, Hieronymus 24 Schwarzenberg, Melchior 283 Schwenckfeld, Kaspar 309 Sebastian von Heusenstamm 208 f. Seitz, Peter d. Ä. 30, 350 Seitz, Peter d. J. 353 Selfisch, Samuel d. Ä. 354 Selnecker, Nikolaus 43 f. Seneca 131 Seuse, Heinrich 38, 52, 127 Simeon 292 Simon von Kyrene 196, 304 Simon von Trient 130 Spalatin, Georg 23, 35, 37 Spangenberg, Johann 18–20, 168–178, 201–204, 206, 209, 248–254, 263–265, 290, 293, 305, 336–339, 347–355, 362– 366 Spener, Jacob 29 Speratus, Paul 169 Staupitz, Johannes von 5, 39, 51, 56, 60 f., 65 f., 169 Steinmann, Hans 293 Stigel, Johann 260 f. Strigel, Victorin 260, 263, 278 Sturm, Jakob 225, 227 Stürmer, Wolfgang 348 Tauler, Johannes 9 Tetleben, Valentin von 208 Tertullian 131 Theophylakt von Ohrid 131, 136, 157 Thomas von Aquin 59, 175, 189, 365 Thomas von Kempen 38, 55 Ubertinus de Casale 127 Uria 89

Personenregister413

Van Eschen, Jan 274 Veronika [Schweißtuch-Legende] 131 Vincent von Beauvais 131 Vinzent von Lèrins 131 Vischer, Christoph 18, 20, 69, 189, 263, 291–313, 324–327, 331, 334 f., 339 Vos, Hendrik 274 Waldburg, Otto Truchseß von 208 Walther, Christoph 93 Walther, Hans 348, 350–352 Weißenhorn I., Alexander 122 Weißenhorn II., Alexander 122 Weißenhorn, Samuel 122 Wied, Hermann von 226 f. Wigand, Johannes 18, 20, 50, 259, 262– 281, 283, 292, 309, 326 f., 331 f., 339

Wild, Johann 18, 20, 39 f., 48, 205–223, 229, 237–239, 241, 244–249, 253 f., 324, 327, 331, 338 f., 356–361 Wilhelm IV. von Bayern 122 Wilhem V. der Fromme 254 Witzel, Georg 18, 20, 119 f., 154–164, 197, 199, 206, 208 f., 222, 245 f., 253 f., 312, 337 Wolff, Johann d. Ä. 283 Wolrab, Nikolaus 30, 155 f. Wyclif, John 364 Xylonius, Hermann 228 Zacharias 292 Zöpfel, David 353 Zwingli, Huldrych 123, 137, 311

Ortsregister Biblische Orte sind kursiv gedruckt. Antwerpen 210 Augsburg 23, 27, 31, 122, 171 f., 208, 347– 349, 351 f., 362 Barth 23 Basel 23, 25, 136, 180 Bensen 291 Bremen 323 Coburg 190 Colmar 23, 25 Cottbus 280 Deutschland 141, 149, 160, 199, 205 Dillingen 323 Dortmund 172, 224–228, 234, 237, 350 Eger (Cheb) 313 f. Eisenach/Wartburg 8 f., 25, 154, 160 Eisleben 17, 44, 155, 170, 283 England 149, 199 Erfurt 23, 31, 45, 154, 157, 169, 172, 181, 188, 190, 348, 350, 352–355 Essen 228 Europa 12 Frankfurt/Main 23, 172, 180, 268, 283, 314, 347–354 Frankfurt/Oder 23, 280 Frankreich 149, 199 Freiburg im Breisgau 130 Genf 19, 179 Gera 17, 281 Gethsemane/Ölberg 32, 38, 93 f., 96–99, 112, 126, 131, 138, 146, 156 f., 159, 174,

193, 201 f., 243, 251, 283 f., 286, 297, 299, 305 Golgatha/Kalvarienberg 32, 38, 41, 126, 128, 150, 174, 196, 284, 286, 299 Gotha 281 Halle/Saale 154 Hamburg 355 Heidelberg 207 Heiliges Römisches Reich Deutscher ­Nation 12, 23, 205, 207, 257 Homburg 267 Ingolstadt 121 f., 125 f., 132, 248 Innsbruck 139 Italien 141, 149 Jena 23, 31, 33, 71, 91, 192, 258–263, 265 f., 279, 283, 314 Jerusalem 90, 129, 155, 174, 218 f., 282, 330 Joachimsthal 291 Jülich-Kleve-Berg 205, 226 f. Jüterborg 291 Köln 120, 141, 190, 205, 210, 226–229, 237 f., 247–249, 323 Königsberg 23, 170, 280 Leipzig 23 f., 30 f., 35, 121, 123, 139, 155 f., 171 f., 180, 259, 261, 293, 347, 362 Lemgo 172, 352 Löwen 224 Lyon 210, 248 Magdeburg 23, 31, 44, 170, 172, 174, 265, 348–355 Mainz 120, 141 f., 153, 205, 207 f., 210,

416

Ortsregister

222, 228 f., 237–240, 244, 247–249, 254, 362 Mansfeld 17, 265, 281 Marburg 172, 190, 348 Mark 226 Meiningen 292 Merseburg 209, 237 f. München 44, 254 Münster 224 Naumburg 314 Niemeck 154 Nordhausen 169 f., 172 f. Nürnberg 1, 23, 31 f., 38, 43, 56, 71–73, 130, 172, 181, 190 f., 200, 349–355 Oberpfalz 71 Ohrid 136 Ölberg → Gethsemane Padua 141 Paris 23, 25, 210 Pforzheim 23 Ravensberg 226 Regensburg 23, 172, 239, 353 Rom 35, 131, 205, 209 Sachsen, albertinisch 17, 91, 155 f., 257– 259, 261 f., 266, 314 Sachsen, ernestinisch 17, 33, 91, 93, 156, 200, 257–259, 261 f., 266, 281 Salzburg 44, 61 Schleiden 267 Schmalkalden 17, 154, 292 f. Siena 141

Sodom und Gomorrha 304 Spanien 149 Stolberg 169 Straßburg 23, 25, 29, 125, 225, 227, 248 Tauberbischofsheim 1 Thüringen 7, 291 f., 294 Torgau 23 Trier 228 f. Tübingen 23, 122, 170, 180, 207, 237, 248, 260 Uelzen 293 Ursel/Oberursel 267 f., 283 Vacha 154 Weimar 261–263 Welschland 199 Wenigen-Lüpnitz 154 Wesel 353 Wien 141, 238 Wismar 266 Wittenberg 2, 4, 6, 8 f., 17–21, 23 f., 28– 31, 35, 37, 43, 46, 49, 70, 72, 74, 91–93, 106, 110, 113, 116, 121, 139, 154–157, 167, 169, 171 f., 178, 180, 184, 192, 234, 257–261, 265 f., 268, 273, 277, 280, 291 f., 303, 310, 314–316, 322–324, 326, 329–335, 342, 347–354 Witzenhausen 167 Worms 8, 36 Zeitz 314 Zürich 19 Zwickau 23

Sachregister Abendmahl 4, 93, 134, 156, 200, 211, 213, 238, 275, 299, 310 f., 330 Aberglaube 42 f., 45 Ablass 8, 45, 48, 55 f., 59, 85, 307 Anfechtung 5, 40, 51, 58, 60 f. 69 f., 80–85, 98 f., 193, 202 f., 213, 288–290, 305, 318, 320, 322, 334 arma Christi → Leidenswerkzeuge Auferstehung 28, 40 f., 46, 60 f., 63, 68, 82, 95, 104, 111, 115, 174–176, 179, 182, 250, 268–271, 273, 287, 294, 326, 330, 332, 365 Bekenntnisse – Apostolisches Glaubensbekenntnis 106, 238, 268 – Augsburger Bekenntnis 95, 200, 225, 257, 260 f., 274–276 Bild 1 f., 5, 8, 33, 46, 52–54, 130, 177, 218, 220, 258, 325 – ‚Einbildung‘ 51 f., 79, 241 Bund, Schmalkaldischer 155, 257 f., 265 Bußsakrament 28, 48, 175, 306 ‚Calvinisten‘/Genfer Tradition 19, 179, 292, 336 Christologie 5, 39 f., 65, 105, 109, 309– 311, 324–327 compassio → Mitleiden Confessio Augustana → Bekenntnisse conformitas → Gleichförmigkeit Dankbarkeit 81, 114, 134, 144, 147, 150, 152, 162–164, 176, 202, 231, 300 f. → Undankbarkeit Disputation 58, 67, 85, 226, 308, 311 – Heidelberger Disputation 1, 4, 62 f. – Leipziger Disputation 24, 121, 123 – Weimarer Disputation 263, 278 f.

Erbauungsliteratur 4 f., 38, 323 Erkenntnis – Gotteserkenntnis 61–63, 65, 67, 80, 82 f., 108, 113 f., 184–188, 193, 236, 242 f., 246, 272, 288, 301, 304 f., 318 f., 327, 335 f., 357 f. – Selbsterkenntnis/Sündenerkenntnis 40, 42, 49–53, 55, 60, 63, 65, 67, 70, 80, 85, 88–90, 108, 127, 129, 147, 159, 163– 165, 177 f., 184–188, 193, 195, 201–203, 215, 219–22, 236, 242 f., 246 f., 253, 272, 286, 288 f., 305, 313, 319, 321 f., 327, 335 f., 338 f., 357 f., 360 Erlösung 7, 41, 65, 70, 78, 88, 90, 95–97, 105, 108–111, 113–117, 129, 133, 144, 148, 152–154, 162–164, 186, 188, 197, 201, 203, 212, 215, 231 f., 235 f., 242, 246, 269–274, 287 f., 297, 299 f., 303, 305, 307 f., 310 f., 316, 318–322, 326 f., 334–336, 338 f., 358, 360 Evangelium 3, 8, 19, 25 f., 43, 68, 73, 76, 85, 91 f., 95, 100, 108 f., 112, 116, 120, 138, 179, 188, 194, 196, 199–204, 209, 215, 218, 221, 245, 251, 259, 271, 274 f., 280, 282, 287, 326, 356 → Gesetz und Evangelium exemplum → Jesus Christus Flugschriften 7, 34–36, 81, 93, 121, 137, 139, 258 Frömmigkeit → Passionsfrömmigkeit Frömmigkeitstheologie 36, 38 f., 44, 53 Gabe → Jesus Christus Gebet 10, 31, 33, 38, 58, 61, 85–90, 93, 98 f., 104, 120, 126 f., 138, 142, 159, 177, 181, 191, 193, 197, 213, 240 f., 244, 288 f., 295–301, 306, 321, 358–360, 365 Gebetbuch 4, 301, 313

418

Sachregister

‚Gebräuche‘, kirchliche/menschliche 131, 138, 153, 213, 216, 222, 296 Gesangbuch 3, 11, 28, 274 Gesetz und Evangelium 63–66, 85, 179, 184, 188, 266, 275, 278, 335 Glaube 3, 7, 12, 15, 19 f., 25, 36, 40 f., 52 f., 57, 59–63, 65, 67 f., 70, 72, 78, 82–85, 88–91, 95, 97, 101 f., 104, 106, 108 f., 115, 122, 130, 132, 137, 140, 147, 152, 154, 156, 158 f., 161, 175, 177 f., 183 f., 187–189, 193, 196, 202 f., 205, 208, 212, 221, 224, 228, 230, 236, 242, 250, 260, 267–271, 273–275, 277, 286, 288 f., 298, 300, 304–308, 314, 317, 320, 322, 327, 335 f., 340, 345, 358, 361, 365 – ‚historischer Glaube‘ 95 → Unglaube Gleichförmigkeit/Gleichgestaltung (conformitas) 37, 47, 54–58, 220, 360 Hamartiologie → Sünde Heilsgeschichte 1, 82, 91, 107, 179, 188, 213, 271, 280, 326 imitatio → Nachfolge Inkarnation 5, 38, 65, 133, 272, 310 Interim, Augsburger 209, 238, 257–259, 261, 264 f., 273 Jesus Christus – als Gabe und Geschenk (donum/sacramentum) 25, 41, 56, 65–68, 89, 91, 177, 184, 188, 197, 201, 203, 221, 235, 274, 289, 293, 303 f., 322, 327, 334 f. – als Vorbild (exemplum) 25, 40 f., 56 f., 65–70, 81, 89, 91, 95, 128, 148, 157, 182 f., 185 f., 188 f., 201, 203, 215, 221 f., 232, 235 f., 243, 269, 274, 290, 295, 303 f., 306, 312, 320, 322, 327, 334, 356–358, 360 f. → Auferstehung → Christologie → Inkarnation → Kreuz Karfreitag 4, 26, 28, 39 f., 59 f., 120, 125, 130, 145, 153, 211, 213, 216, 237, 271, 317, 330

Karfreitagspredigt 17 f., 26, 28 f., 31, 33– 35, 39, 63, 68, 85, 94, 104 f., 111, 135, 192, 211, 214, 216, 230, 233 f., 236 f., 240, 242, 246 f., 268, 271, 275, 294, 308, 315–317, 320, 322 f., 325, 330 f., 336 f. Katechese/Katechismus 8, 10 f., 36, 62, 120, 168, 170–172, 205, 208 f., 227, 229, 237 f., 262, 264, 275 Kirchenjahr 4, 9–11, 17, 26–28, 30, 73, 75, 94, 119, 122, 141, 145, 155, 167, 171, 173, 201, 213, 239, 314, 316, 330, 343–345 Kloster → Mönchtum Konfessionalisierung 12–16, 263, 340, 344 Konfessionskultur 3f, 12, 14–16, 261, 340, 342 Konzil 138, 194, 199, 205, 311 – Konzil von Trient 141, 206, 229, 254, 308, 325, 333, 335, 344 Konkordienformel/Konkordienbuch 6, 16, 257 f., 264, 277, 280, 315, 329 Kreuz 1 f., 4 f., 8, 27, 32 f., 38, 41, 46, 51, 62–64, 66, 68–70, 79 f., 82, 85–90, 95, 103, 114 f., 126–131, 136, 140, 148, 152 f., 163, 179, 185, 188, 191, 196 f., 203, 212 f., 216, 236 f., 243 f., 246, 269, 286, 289 f., 293–296, 298 f., 308, 312, 319, 330 f., 335–337, 357 f. Kreuzesnachfolge → Nachfolge Kriege – Bauernkrieg 132, 154, 245 – Dreißigjähriger Krieg 2, 13 – Schmalkaldischer Krieg 167, 181, 257 f., 291 Laien 7, 36, 142, 258 Leidenswerkzeuge 46, 53, 325 Lied 2–4, 8, 10, 274 Lutherisch/Luthertum 1–6, 11, 13 f., 16, 18 f., 21, 28, 34, 36, 43 f., 48, 54, 69, 89, 104, 123, 132, 139 f., 168, 176–178, 200, 225 f., 253, 257, 259–262, 265, 268, 273–275, 281–283, 291 f., 294, 301, 313, 316, 319, 321–323, 326, 329, 332–336, 339, 342, 344 Mitleiden (compassio) 37, 41 f., 46–48, 51, 53–56, 95, 98, 120, 127–130, 134, 140,

Sachregister419

144, 147–154, 158 f., 161–165, 174, 177, 197, 206, 218 f., 222 f., 242, 244–247, 252–254, 290, 294, 296, 311–313, 318, 322–325, 327, 329, 336–339, 342, 344, 358, 361 Mönchtum/Kloster/Orden 4, 7 f., 12, 44, 46, 55, 69, 71, 85, 95, 103, 116, 175, 187 f., 196 f., 199, 207, 228, 238, 248 f., 251, 276, 306 f., 313 f., 364 f. Mystik 4, 40, 56, 79, 83, 127, 301 Nachfolge (imitatio) 38, 47, 55–58, 67, 69, 95, 127, 147 f., 158, 162–164, 215, 222 f., 235, 237, 274, 289, 292, 304, 312, 320, 339, 357, 360 Orden → Mönchtum Orthodoxie, lutherische 2, 36 Passion/Leiden Jesu Christi – ‚Früchte‘ (Nutzen) und ‚Gebrauch‘ (Applikation) 31, 33, 39, 47 f., 50, 58, 69 f., 73, 77 f., 84–88, 94 f., 104–106, 114, 133 f., 144 f., 151, 163 f., 172 f., 176–178, 187, 189, 203, 211 f., 217–220, 223, 231, 233–235, 241, 243, 252, 269– 271, 273, 275, 280, 283 f., 288–291, 294, 298–300, 305, 307 f., 312 f., 316, 319 f., 322, 326, 331, 335, 337, 345, 357–361 – Passionsliteratur 5, 38, 127, 136, 151, 157 – ‚Ursachen‘ (causae) 50, 53 f., 77, 87 f., 95 f., 104, 106, 109 f., 129, 151 f., 161– 163, 173, 176, 178, 183, 185 f., 203, 215, 223, 231, 233–236, 238, 241 f., 246, 252, 269 f., 297, 316, 319, 321 f., 335, 357 Passionsfrömmigkeit 1–6, 10, 14–16, 19, 27 f., 35–39, 41 f., 45–48, 51–55, 58, 61– 63, 69, 85, 115 f., 127, 131, 139, 148 f., 153, 158, 162–165, 177, 197, 200, 205 f., 217 f., 222, 247, 252 f., 275, 289, 295, 301, 311, 323, 325, 327, 333, 337–342, 344 f. → Gleichförmigkeit → Leidenswerkzeuge → Mitleiden → Nachfolge

Passionstheologie 2, 5, 16, 18, 20 f., 25, 28, 34 f., 37, 40, 47, 51, 53, 63, 65 f., 68 f., 74 f., 79, 117, 120, 125, 127, 140, 147 f., 153, 158, 162, 164 f., 168, 173 f., 176, 193, 197, 201 f., 206, 212, 214, 222 f., 230, 243, 245, 247, 252–254, 268, 284, 287, 290, 294 f., 303, 316, 322, 326 f., 332–339, 342 → Christologie → Erlösung → Jesus Christus → Sünde Perikope/Perikopenordnung 9–11, 19, 24–27, 68, 74, 76, 79, 86, 92 f., 96, 99, 112, 119, 125, 167, 171, 173, 179, 181– 183, 193 f., 196, 227, 230, 243, 246, 254, 271, 284, 286, 292–294, 314–316, 330, 345, 350 Pietà 5, 46, 130 f. Predigtamt 7, 207, 238, 296 Reformatorische Bewegung 2, 4, 7, 9, 12, 18 f., 23, 119–121, 137, 141, 153 f., 160, 169, 200, 206, 209, 224 f. Reichstage – Augsburger Reichstag (1530) 121, 190, 194, 199, 203 – Augsburger Reichstag (1548) 238 f., 258 – Regensburger Reichstag (1546) 239 – Wormser Reichstag (1521) 8, 36 Religionsfrieden, Augsburger 257 sacramentum → Jesus Christus Sakrament 28, 46, 108, 122, 128, 134, 175, 238, 273, 275, 309 → Abendmahl → Bußsakrament → Taufe Schmerzensmann 5, 46 Scholastik 4, 62, 97, 121, 179, 235 ‚Schwärmer‘ 97, 116, 187, 200, 336 Soteriologie → Erlösung Sünde 40–42, 44, 46, 49–54, 59–63, 70, 77 f., 80–91, 95 f., 98–101, 105 f., 108 f., 111 f., 116 f., 120, 127–136, 142, 144 f., 147 f., 150, 152 f., 159, 161–165, 175– 178, 184–189, 193–197, 201–203, 212 f.,

420

Sachregister

215 f., 219–221, 223, 231 f., 234–236, 241–247, 253, 263, 267–270, 272, 274– 280, 286–289, 295, 297–300, 302–308, 310 f., 313, 315–322, 324, 327, 334–339, 356–360 – Erbsünde 263, 270, 278–280, 358 – Sündenfall 176, 263, 278, 287 → Erkenntnis Taufe 43, 57 f., 275, 358 Teufel 75 f., 81–83, 95, 98 f., 101–103, 112, 114, 116, 133, 159 f., 185, 189, 194 f., 203, 231, 244, 267, 273, 275, 285, 288 f., 292, 297 f., 302, 305 f., 320, 335 theologia crucis 1, 4 f., 61–63, 106 theologia gloriae 4 f., 62 Trost 3, 5, 51, 60, 69 f., 78–81, 85, 88 f., 93, 99, 108, 114, 120, 126 f., 147, 153, 161, 170, 177, 184–186, 191, 193, 195, 197 f., 201–203, 213, 215, 219, 223, 236, 241, 243, 245–247, 250, 275, 286 f., 289, 293 f., 296–301, 303–305, 308, 315 f., 318, 320–322, 335 f., 344, 356 f., 364

Undankbarkeit 113 f., 149 f., 154, 246 → Dankbarkeit Unglaube 80, 83, 85, 150, 154, 223, 230 → Glaube Ursache (causa) → Passion Verdienst 84, 88, 108 f., 177, 197, 213, 231, 233, 269, 275, 304, 308, 360 Verfolgung 76, 84, 100, 159 f., 162, 194, 196, 199, 203, 267, 274, 284, 286 f., 306, 358 Verzweiflung 5, 59, 70, 128, 177, 195, 242, 284, 286, 288 f. ‚Wiedertäufer‘ 123, 140, 196 f., 200, 309 Wort Gottes 7 f., 25, 60, 75 f., 81–83, 97, 113, 181, 185, 245, 251, 260–262, 266, 273, 282, 292, 362, 365 Wunden Christi 2–5, 51, 60, 87, 114, 128 f., 133, 296 f., 305, 323 ‚Zwinglianer‘/Zürcher Tradition 19, 40, 292, 310, 326, 336