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German Pages 189
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 37
Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht Von Klaus Friedrich Arndt
Duncker & Humblot · Berlin
KLAUS F R I E D R I C H
ARNDT
Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht
Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 37
Recht
Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht
Von
Dr. jur. Klaus Friedrich Arndt
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1966 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1966 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
Vorwort Diese Arbeit ist die überarbeitete und auf den Stand des Frühjahres 1966 gebrachte Fassung einer Dissertation, die der Verfasser während seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent an einem Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angefertigt und der Fakultät i m Sommer 1963 eingereicht hat. Seinem Lehrer K a r l Josef Partsch ist der Verfasser für die während dieser Zeit bewiesene Geduld und Ungeduld gleichermaßen dankbar. Sein Dank gilt auch Herrn Ministerialrat Werner Blischke von der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Bundestages für zahlreiche Gespräche und Anregungen, sowie den Kräften der Bibliothek des Bundestages für ihre immer aufs neue bewiesene Hilfsbereitschaft. Mainz, i m Sommer 1966 Klaus
Friedrich
Arndt
Inhaltsverzeichnis Einleitung
13
Erster
Teil
Grundlagen 1. K a p i t e l : Terminologische Grundlagen
15 15
§ 1: Z u r Begriffsbestimmung
15
2. K a p i t e l : Historische Grundlagen
18
§ 2: Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments zur Zeit des Konstitutionalismus
19
§ 3: Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung
39
Zweiter
Teil
Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages 1. K a p i t e l : Z u r Auslegungsfrage § 4: Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments als geschichtlich geprägtes Rechtsinstitut 2. K a p i t e l : I n h a l t u n d Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie . . . .
43 43 43 50
§ 5: Der A r t i k e l 40 Abs. 1 G G als Kompetenzregelung
50
§ 6: Die Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie
60
3. K a p i t e l : Der Umfang der Geschäftsordnungsautonomie
64
§ 7: Der Gegenstand der Regelungsbefugnis
64
§ 8: Die Regelung durch Verfassung u n d Gesetze
69
4. K a p i t e l : Die Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie § 9: Die verfassungsrechtlichen Schranken der Regelungsbefugnis . .
71 71
Inhaltsverzeichnis
8
Dritter
Teil
Das autonome Parlamentsrecht 1. Kapitel. Die Quellen des autonomen Parlamentsrechts §10: Z u r
Abgrenzung
§ 11: Die Quellen des autonomen Parlamentsrechts 2. Kapitel. Die Adressaten des autonomen Parlamentsrechts § 12: Der persönliche Geltungsbereich des autonomen Parlamentsrechts 3. Kapitel. Der Geltungsrang des autonomen Parlamentsrechts § 13: Das Verhältnis von autonomem Parlamentsrecht u n d Gesetz . . . . 4. Kapitel. Die Geltungsdauer des autonomen Parlamentsrechts
81 81 81 85 110 110 121 121 126
§ 14: Die zeitliche Geltung der kodifizierten Geschäftsordnung
126
§15: Die zeitliche Geltung des autonomen Parlamentsrechts
130
5. Kapitel. Die Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts
136
§ 16: Die Theorien über die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung
136
§ 17: Die Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts
156
Literaturverzeichnis
167
Personenregister
185
Sachregister
185
Abkürzungen aaO Abg. Abs. Abt., Abth. Amtsbl. Anl.Bd. Anm. AnnDR AöR Art. AS Aufl. BAnz. BayVerf GHE N.F.
Bek. BGBl. Bonner Kommentar
am angeführten O r t Abgeordneter Absatz Abteilung Amtsblatt Anlagen-Band Anmerkung Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Volkswirtschaft A r c h i v des öffentlichen Rechts Artikel Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland Auflage Bundesanzeiger Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. I n : Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs m i t Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs u n d des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte. Neue Folge. Bekanntmachung Bundesgesetzblatt
BVerfGE
Hans Jürgen Abraham/Ottmar Bühler/Bodo Dennewitz u. a. : Kommentar zum Bonner Grundgesetz. Hamburg 1950 ff. Zweitbearbeitungen 1964 ff. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
ders. Diss. DJZ
derselbe Dissertation Deutsche Juristenzeitung
DÖV Drs.Nr. DRV DVB1.
Die Öffentliche V e r w a l t u n g Drucksache N u m m e r Verfassungsurkunde für das 16. A p r i l 1871 Deutsches Verwaltungsblatt
Erl.
Erläuterung
Deutsche
Reich
vom
Abkürzungen
10 GBl. GeschO GeschOBT GeschOPrAH
Ges.-S. GG
Gesetzblatt Geschäftsordnung Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses Geschäftsordnung für den Reichstag v o m 12. J u n i 1868 Geschäftsordnung f ü r den Reichstag v o m 12. Dezember 1922 Gesetzsammlung Grundgesetz
GVB1., GVOB1.
Gesetz- u n d Verordnungsblatt
H.
Heft Halbband E n t w u r f eines Grundgesetzes des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee Handbuch des Deutschen Staatsrechts. Hrsg. von Gerhard Anschütz u n d Richard Thoma. Bd. 1. 2. T ü b i n gen 1930, 1932. Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. Hrsg. von Fritz Stier-Somlo u n d Alexander Elster. Bd. 1—8. B e r lin, Leipzig 1926—1937. herausgegeben Ernst Rudolf Huber: Dokumente zur deutschen V e r fassungsgeschichte. Bd. 1—3. Stuttgart 1961—1966.
GeschORT GeschOWRT
Halbbd. HChEntw. HdbDStR
HdwbRWiss. hrsg. H u b er
i.d.F.
i n der Fassung
JöR JW JZ
Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
MinBl.
Ministerialblatt
N.F. NJW
Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift
o.J. o.O. OVGE
ohne Jahrgang ohne O r t Entscheidungen gerichts
Pölitz/Bülau
K a r l Heinrich L u d w i g Pölitz: Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit. Fortgesetzt von Friedrich Bülau. Abth. 1—3. Leipzig 1847. Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat v o m 31. Januar 1850
Jg.
PrVU
Jahrgang
des
Preußischen
Oberverwaltungs-
Abkürzungen Rauchhaupt
Rdnr. RGBl.
Friedrich W i l h e l m von Rauchhaupt: Handbuch der Deutschen Wahlgesetze u n d Geschäftsordnungen. M ü n chen, Leipzig 1916. Randnummer Reichsgesetzblatt
Sp. Sten.Ber. Stoerk/Rauchhaupt
Spalte Stenographische Berichte F e l i x Stoerk: Handbuch der Deutschen Verfassungen. 2. Aufl. von Friedrich W i l h e l m von Rauchhaupt. M ü n chen, Leipzig 1913.
T.
Teil
u.a. u.d.T.
u n d andere unter dem T i t e l
VerwRspr.
Verwaltungsrechtsprechung i n Deutschland. Hrsg. von G. Ziegler. Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VVDStRL WbStVR
WRV ZaöRV ZfP ZgesStaatswiss. Ziff. zit.
Wörterbuch des Deutschen Staats- u n d Verwaltungsrechts. Begründet von K . von Stengel. 2. Aufl. hrsg. von M . Fleischmann. Bd. 1—3. Tübingen 1911—1914. Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht Völkerrecht Zeitschrift für P o l i t i k Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Ziffer zitiert
und
Einleitung I m Jahre 1875 schrieb Robert von Mohl: „Theoretisch ist die Ordnung der parlamentarischen Geschäfte, trotz der offenbaren Wichtigkeit der Sache und der Zweifelhaftigkeit mancher Fragen, bis itzt noch wenig und kaum genügend bearbeitet." 1 Diese Feststellung gilt noch heute. Die seither erschienenen größeren Bearbeitungen des Parlamentsrechts sind vorwiegend an den praktischen Bedürfnissen des Parlaments orientiert und zudem veraltet, weil noch zur Zeit des Konstitutionalismus entstanden 2 . Das groß angelegte „Parlamentsrecht des Deutschen Reiches" von Julius Hatschek 3 blieb unvollendet; die von i h m entwikkelten theoretischen Lehren fanden keine Anhänger. Lediglich der Frage nach der Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung wurde eine Zeitlang Interesse entgegengebracht. Die Behandlung von Grundproblemen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie und des autonomen Parlamentsrechts blieb aber i m wesentlichen auf diesen Teilaspekt beschränkt. Seit einiger Zeit ist auch diese Auseinandersetzung unter dem Eindruck einer herrschenden Meinung fast vollständig zum Erliegen gekommen. Dieser Mangel an theoretischer Durchdringung ist nicht ohne bedenkliche Folgen geblieben. Rechtsfragen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie und des autonomen Parlamentsrechts werden häufig nicht an Hand der maßgeblichen Verfassungsvorschriften beantwortet, sondern durch Ableitungen aus der als gesichert geltenden Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung. So erklärte das Bundesverfassungsgericht, ohne den A r t i k e l 40 Abs. 1 des Grundgesetzes heranzuziehen, i n Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre und wohl deshalb ohne Begründung, die Geschäftsordnung des Bundestages 1 Robert von M o h l : Kritische Erörterungen über Ordnung u n d Gewohnheiten des deutschen Reiches, I I . Die Verhandlungen i m Reichstage, i n : ZgesStaatswiss. Bd. 31 (1875) S. 41. 2 Vgl. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903; August Plate: Die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses, ihre Geschichte und ihre Anwendung, 2. Aufl., 1904; A d o l f Gröber: Bericht der Geschäftsordnungskommission über die Revision der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r des Württembergischen Landtags, i n : Verhandlungen der W ü r t t e m bergischen Zweiten K a m m e r (Kammer der Abgeordneten) auf dem 37. L a n d tag i n den Jahren 1907/1909, Beilagen-Bd. 105, 1909, Beilage 372; Bernhard Jungheim: Die Geschäftsordnung f ü r den Reichstag m i t Anmerkungen, 1916. 3 Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915.
14
Einleitung
sei eine autonome Satzung. Aus dieser Rechtsnatur folge, daß die Geschäftsordnung der geschriebenen Verfassung und den Gesetzen i m Rang nachstehe4. Die A r t und Weise, i n der i n Vergangenheit und Gegenwart Geschäftsordnungsangelegenheiten vom Parlament selbst gehandhabt worden sind, offenbart zudem ein erhebliches Auseinanderklaffen der herrschenden Theorie und der Parlamentspraxis. Denn an Erlaß, Abänderung, Anwendung und Aufhebung von Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung werden i n der parlamentarischen Praxis nicht die strengen Anforderungen gestellt, die aus rechtsstaatlichen Gründen gestellt werden müßten, handelte es sich bei der kodifizierten Geschäftsordnung um eine autonome Satzung. Die herrschende Theorie erklärt auch nicht alle Erscheinungsformen der kraft der Geschäftsordnungsautonomie getroffenen Regelungen. Denn sie äußert sich nur über die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung, die lediglich einen Teil des autonomen Parlamentsrechts darstellt, während Geschäftsordnungsangelegenheiten vom Parlament nicht selten außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung und auch i m Widerspruch zu ihr geregelt werden. M i t dieser Arbeit soll ein Beitrag zur Auslegung des A r t i k e l 40 Abs. 1 des Grundgesetzes und zur dogmatischen Erfassung des Parlamentsrechts geleistet werden. Durch die Auslegung der Verfassungsvorschrift werden Inhalt, Umfang und Grenzen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie zu bestimmen gesucht. Da die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments ein i m deutschen Verfassungsrecht seit der Zeit des Konstitutionalismus verwurzeltes Rechtsinstitut darstellt und dies für die Auslegung von erheblicher Bedeutung ist, w i r d zunächst der Entstehung und Ausprägung des Rechtsinstituts nachgegangen. A n Hand der Ergebnisse der Verfassungsinterpretation und der Auswertung der Parlamentspraxis werden Quellen, Adressaten, Geltungsrang und Geltungsdauer des autonomen Parlamentsrechts näher untersucht. Schließlich w i r d auf dieser Grundlage versucht, den Rechtscharakter des autonomen Parlamentsrechts zu bestimmen.
4 U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts v o m 6. März 1952, — 2 BvE 1/51 —, BVerfGE Bd. 1 S. 144—162 (S. 148 f).
Erster
Teil
Grundlagen Erstes
Kapitel
Terminologische Grundlagen § 1: Zur Begriffsbestimmung 1. Unter parlamentarischer Geschäftsordnungsautonomie wird im folgenden das — i m Grundgesetz durch A r t i k e l 40 Abs. 1 gewährleistete — Recht des Parlaments verstanden, seine Geschäftsordnungsangelegenheiten selbständig und unabhängig zu regeln. Weil die herrschende Meinung die vom Parlament kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie erlassene geschriebene Geschäftsordnung als autonome Satzung qualifiziert 1 , muß nachdrücklich hervorgehoben werden, daß unter parlamentarischer Geschäftsordnungsautonomie hier allein das Recht des Parlaments auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit bei der Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten verstanden w i r d und nicht etwa eine i h m von der Verfassung eingeräumte und garantierte Autonomie i m Sinne autonomer Rechtsetzungsbefugnis oder Satzungsgewalt. Ob die kraft der Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten als autonome Rechtsetzung, als Satzungen zu qualifizieren sind, w i r d erst i m letzten Kapitel dieser Arbeit untersucht werden. 2. Als Parlamentsrecht werden, dem Sprachgebrauch von Julius Hatschek folgend 2 , alle Vorschriften und Regelungen bezeichnet, die die Organisation und Zusammensetzung des Parlaments bestimmen, seine Funktionen und sein Verfahren regeln und auf die Frage A n t 1
So z.B. v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I V 1 zu A r t . 40, S. 914 f; Theodor Maunz: i n : M a u n z / D ü r i g : Grundgesetz, 1964, Rdnr. 21 zu A r t . 40; Giese/Schunck: Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., 1965, Erl. 3 zu A r t . 40, S. 102; BVerfGE Bd. 1 S. 148; BayVerfGHE N. F. Bd. 8 S. 100. 2 Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 1.
16
1. T e i l : Grundlagen
wort geben, wie jene Funktionen mittels des bestehenden Parlamentsverfahrens und der bestehenden Parlamentsorganisation verwirklicht werden. Die Verwendung des Wortes Parlamentsrecht i n diesem weiten Sinne hat sich eingebürgert 3 . A n ihr w i r d deshalb festgehalten. 3. Unter innerem Parlamentsrecht werden alle Vorschriften und Regelungen verstanden, die Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments betreffen. Dazu gehören verfassungsgesetzliche wie gesetzliche Vorschriften und solche Regelungen, die das Parlament kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie trifft. Für die Gesamtheit dieser Bestimmungen ist häufig auch der Terminus „parlamentarische Geschäftsordnung" verwendet worden — zur genaueren Kennzeichnung seiner Bedeutung auch als „Geschäftsordnung i m weiten (im weiteren, i m weitesten) Sinne" 4 oder auch als „materielle Geschäftsordnung" 5 . Da die vom Parlament kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie erlassene geschriebene Geschäftsordnung ebenfalls als „parlamentarische Geschäftsordnung" bezeichnet zu werden pflegt, w i r d hier terminologischer Eindeutigkeit wegen die Bezeichnung „inneres Parlamentsrecht", die schon von K u r t Pereis verwendet wurde 6 , gebraucht. 4. Als autonomes Parlamentsrecht werden alle Regelungen bezeichnet, die kraft der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie vom Parlament getroffen werden. Zum autonomen Parlamentsrecht gehören die Regelungen der geschriebenen (kodifizierten) Geschäftsordnung, soweit sie ihre Geltung allein der dem Parlament mit der Geschäftsordnungsautonomie garantierten Regelungsbefugnis verdanken, und ferner alle außerhalb der geschriebenen Geschäftsordnung kraft der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments ergehenden Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten, unabhängig davon, ob sie gene3 Fritz Stier-Somlo: A r t i k e l „Parlament u n d Parlamentsrecht", i n : HdwbRWiss. Bd. 4, 1927, S. 364 ff, verwandte i h n u n d neuerdings v o r allem das Bundesverfassungsgericht i n BVerfGE Bd. 4 S. 151 u n d Bd. 7 S. 73. 4 Vgl. Josef B r a u n : Das autonome Reichstagsrecht, Diss. Bonn 1914, S. 11; Bernhard Dondorf: Die rechtliche N a t u r der Geschäftsordnung u n d der Geschäftsgang i m Deutschen Reichstag, Diss. Greifswald 1919, S. 5; O. Th. L . Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 7; K u r t Haagen: Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung . . Diss. Breslau 1929, S. 3; Hans Rösch: Wesen u n d Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung, Diss. Tübingen 1934; neuerdings auch Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 16 u n d Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d i h r e Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958, S. 10. 5 Diese Bezeichnung gebrauchten z.B. Georg Jellinek: Besondere Staatslehre, i n : Georg Jellinek: Ausgewählte Schriften u n d Reden, Bd. 2, 1911, S. 258 u n d Gustav A d o l f Walz: Staatsrecht, in: Das gesamte deutsche Recht i n systematischer Darstellung, Bd. 2, T. 11, 1931, S. 332. 6 Vgl. K u r t Pereis: Geschäftsgang und Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449.
l . K a p . : Terminologische Grundlagen
17
reiler oder individueller, abstrakter oder konkreter Natur sind. M i t der Bezeichnung autonomes Parlamentsrecht — einer Wortschöpfung, die ebenfalls auf K u r t Pereis zurückgeht, von i h m allerdings i n anderer Bedeutung verwendet wurde 7 — ist keine Aussage über die Rechtsnatur dieser Regelungen etwa i n dem Sinne verbunden, daß sie autonome Satzungen und damit Gesetze i m materiellen Sinne seien und Rechtssätze i m historisch-konventionellen Sinne enthielten. 5. Kodifizierte Geschäftsordnung w i r d die Summe der geschriebenen Vorschriften und Regelungen genannt, die nach den Prinzipien der Gesetzestechnik gestaltet, i n fortlaufenden Paragraphen oder A r t i k e l n niedergelegt, unter der Bezeichnung „Geschäftsordnung" vom Parlament zur Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten angewendet wird. Die „kodifizierte Geschäftsordnung" enthält, was nicht selten übersehen wird, neben autonomem Parlamentsrecht häufig eine größere Anzahl von Vorschriften, deren Geltung nicht auf der dem Parlament mit der Geschäftsordnungsautonomie garantierten Regelungsbefugnis beruht, sondern die ihren Geltungsgrund i n der Verfassung oder i n einfachen Gesetzen haben. Die „kodifizierte Geschäftsordnung" ist zwar bisher häufig als „Geschäftsordnung i m engeren Sinne" 8 oder auch als „formelle Geschäftsordnung" 9 bezeichnet worden. Demgegenüber w i r d die hier gewählte Bezeichnung vorgezogen, weil sie eindeutiger ist.
7
Vgl. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903. Vgl. z.B. Gustav Adolf Walz, aaO; Josef Braun, aaO; Bernhard Dondorf, aaO; O. Th. L . Zschucke, aaO; K u r t Haagen, aaO; Manfred R.Bernau, aaO; Gerhard Alois Reifenberg, aaO. 9 So z.B. Georg Jellinek, aaO; Gustav A d o l f Walz, aaO; Hans Rösch, aaO, S. 33. 8
2 Arndt
Zweites
Kapitel
Historische Grundlagen Die Autonomie des Parlaments, seine institutionelle Selbständigkeit, seine Unabhängigkeit von anderen Staatsorganen, vornehmlich von der Exekutive, ist i n Deutschland erst seit der Beseitigung der konstitutionell-monarchischen Staatsform am Ende des Ersten Weltkrieges, erst seit der durch die Weimarer Verfassung bewirkten Etablierung des Parlaments als Repräsentation des zum Souverän erhobenen Staatsvolkes i n vollem Umfang anerkannt und von Verfassungs wegen gewährleistet. Erst seit diesem Zeitpunkt ist auch die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie unbestrittener, ja selbstverständlicher Bestandteil des gemeindeutschen Verfassungsrechts. Aufs Ganze gesehen vollzog sich die Ausbildung, Anerkennung und verfassungsrechtliche Sicherung der Autonomie der Volksvertretung und damit i n engem Zusammenhang und von größter Bedeutung auch die der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n einem langwährenden Prozeß, der zugleich m i t der Einführung von Repräsentativverfassungen am Beginn des vorigen Jahrhunderts einsetzte und i n den einzelnen deutschen Staaten durchaus unterschiedlich verlief. Diese Entwicklung und der schließlich i n der Weimarer Zeit erreichte Zustand sind für die folgenden Untersuchungen von entscheidender Bedeutung, weil Zielrichtung und Zweck sowie Inhalt, Umfang und Grenzen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n ihrer heutigen Gestalt nur auf dem historischen Hintergrund klare Umrisse gewinnen. Denn die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, aus denen die Forderung nach parlamentarischer Geschäftsordnungsautonomie erwuchs sowie die verfassungspolitischen Ziele, die mit ihrer Garantie verfolgt wurden, sind heute weitgehend dem unmittelbaren Gesichtskreis entrückt. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, daß die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems eine entscheidende Verringerung des politischen Gegensatzes von Parlament und Exekutive bewirkte und damit fast allen mit der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments zusammenhängenden Fragen einiges an Schärfe und Aktualität genommen wurde. Das ist für das Verständnis der m i t der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie zusammenhängenden Probleme nicht ohne nachteilige Folgen geblie-
2. Kap.: Historische Grundlagen
19
ben. Die historische Perspektive soll die unscharf gewordenen Konturen wieder hervortreten lassen.
§ 2: Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments zur Zeit des Konstitutionalismus Die eigentümliche Problematik, die m i t der Autonomie der Volksvertretung und i n Sonderheit m i t der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n der konstitutionellen Epoche verbunden war, t r i t t hervor, wenn man, der damals üblichen Einteilung der Befugnisse des Parlaments i n politische und kollegiale folgend, die unterschiedliche Stellung betrachtet, die dem Parlament bei der Ausübung dieser Befugnisse jeweils eingeräumt wurde. Für die politischen Befugnisse, durch deren Wahrnehmung das Parlament an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligt war, vor allem für seine M i t w i r k u n g am Zustandekommen der Gesetze und des Staatshaushalts, war von Anbeginn der Grundsatz anerkannt, daß die Volksvertretung völlig frei und unabhängig über ihren Gebrauch entscheiden solle 1 . Dieser Grundsatz war durch die allgemeine Rechtsüberzeugung gesichert, daß den Abgeordneten i n Bezug auf den Inhalt ihrer parlamentarischen Tätigkeit von keiner Seite Weisungen erteilt und sie wegen ihrer Abstimmungen i m Parlament nicht zur Verantwortung gezogen werden durften. I n einer Anzahl frühkonstitutioneller Verfassungen war das bereits ausdrücklich ausgesprochen 2, galt aber i n Anknüpfung an die Freiheit der landständischen Stimme der vorkonstitutionellen Epoche3 als Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts auch ohne solche verfassungsgesetzliche Verbürgung. Streitig war damals nur, ob den Abgeordneten neben der Freiheit der parlamentarischen Abstimmung unabhängig von ausdrücklicher verfassungsgesetzlicher Zusicherung als Grundsatz eines allgemeinen konstitutionellen 1 Vgl. z.B. Heinrich A l b e r t Zachariä: A r t i k e l „Landtag i n den deutschen Staaten", i n : Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 6, 1861, S. 299. 2 So z. B. T i t e l V I I § 27 der bayerischen Verfassungsurkunde v o m 26. M a i 1818 (abgedruckt i n : Ernst Rudolf Huber: Dokumente zur deutschen V e r fassungsgeschichte, Bd. 1—3, 1961—1966, [zit.: Huber], Bd. 1, S. 154): „ K e i n M i t g l i e d der Stände-Versammlung k a n n f ü r die Stimme, welche es i n seiner K a m m e r geführt hat, anders als i n Folge der Geschäftsordnung durch die Versammlung selbst zur Rede gestellt werden." Ferner § 185 Abs. 1 der württembergischen Verfassungsurkunde v o m 25. September 1819 (Huber, Bd. 1, S. 196): „Niemand k a n n wegen seiner i n der Stände-Versammlung gehaltenen Vorträge u n d gegebenen Abstimmungen zur Verantwortung gezogen werden. Jedoch sind Beleidigungen oder Verläumdungen der Regierung, der Stände-Versammlung oder einzelner Personen der Bestrafung nach den bestehenden Gesetzen i n dem ordentlichen Wege des Rechts unterworfen." 3 Vgl. dazu Eduard Hubrich: Die parlamentarische Redefreiheit u n d Disciplin, 1899, S. 142 ff. 2*
1. Teil: Grundlagen
20
Staatsrechts auch parlamentarische Redefreiheit zukomme, und ob diese auch dann Schutz gegen Verfolgung gewähre, wenn ein Abgeordneter i n Ausübung seiner parlamentarischen Tätigkeit gegen die allgemein geltenden Gesetze verstoßen hatte 4 . Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments bei der Ausübung seiner politischen Befugnisse konnte demnach schon zu jener Zeit jedenfalls grundsätzlich als anerkannt und gesichert angesehen werden. Anders verhielt es sich m i t den sogenannten kollegialen Befugnissen des Parlaments, die seine inneren Angelegenheiten betrafen und der Ausübung seiner politischen Befugnisse dienten; sie umfaßten die Regelung des Geschäftsganges, der inneren Organisation und der Disziplin des Parlaments 5 . Ihr Umfang und das Ausmaß an Selbständigkeit, das dem Parlament auf diesem Gebiet zukommen sollte, waren vom A n beginn des konstitutionellen Systems durchaus umstritten. Während die monarchische Exekutive so viel Einfluß wie möglich zu behalten trachtete, versuchten die Parlamente, mehr Selbständigkeit zu gewinnen. Bei der Geltendmachung ihres Unabhängigkeitsanspruches knüpften sie offenbar an Vorstellungen an, die an der Rechtsstellung der Landstände der vorkonstitutionellen Zeit orientiert waren. Das lag deshalb nahe, weil die alten Landstände als rechtsfähige Korporationen eigene „autonome" Rechte besessen hatten, wenn diese auch schließlich durch die Praxis des Absolutismus häufig weitgehend zurückgedrängt oder beseitigt worden waren. Selbst i n der Staatsrechtslehre wurden noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts eigenständige Rechte der Landstände auf deren Charakter „als einer eigenen, für sich bestehenden Corporation" gestützt 6 . Erst sehr viel später ist von einer kollegialen Autonomie des Parlaments die Rede, der die Geschäftsordnung ihre Gültigkeit verdanke 7 . 4
Dazu eingehend Eduard Hubrich, aaO, S. 248—275. Z u m Begriff der kollegialen Befugnisse vgl. z.B. Hermann Schulze: Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes, 1. Buch, 1881, S. 476, 481 f; M a x von Seydel: Bayerisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1896, S. 351, 353, 455 ff ; Gerhard Anschütz: Deutsches Staatsrecht, i n : Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 7. Aufl., Bd. 4, 1914, S. 143 f. 0 Vgl. z. B. Johann L u d w i g K l ü b e r : öffentliches Recht des Teutschen Bundes u n d der Bundesstaaten, 4. Aufl., 1840, S. 451: „Den Landständen, als einer eigenen, f ü r sich bestehenden Corporation, steht i n der Regel das Recht zu, unter landesherrlicher Oberaufsicht, ihre collegialischen Angelegenheiten nach Gutfinden zu bestimmen, u n d die nöthigen landschaftlichen Beamten zu bestellen, auch Canzleien, Archive u n d Registraturen zu unterhalten." Ferner Romeo Maurenbrecher: Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts, 3. Aufl., 1847, S. 275, der den neuen Landständen ausdrücklich die den alten zustehenden „corporativen Rechte" zuschrieb; ebenso Heinrich A l b e r t Zachariä: Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, 3. Aufl., T e i l 1, 1865, S. 652, unter Verweis auf J . J . M o s e r : Von der Teutschen Reichs-Stände Landen . . . , das 1769 (!) erschienen war. 7 Vgl. z. B. Hermann Schulze: Das preußische Staatsrecht auf der G r u n d lage des deutschen Staatsrechts dargestellt, Bd. 2, 1877, S. 182. 5
.Kap.:
i o i s c h e Grundlagen
21
I m folgenden w i r d zu zeigen sein, wie umstritten die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Parlamente bei der Regelung ihrer Geschäftsordnungsangelegenheiten (1) sowie bei der Bestellung ihrer eigenen Organe (2) war und welch unterschiedlicher Einfluß ihnen auf diesen Gebieten eingeräumt wurde. Sodann w i r d geschildert werden, i n welchem Umfang ihnen sonstige Befugnisse zu eigener selbständiger Wahrnehmung übertragen waren (3), w e i l daran das Ausmaß ihrer Selbständigkeit und die Materien sichtbar werden, die autonomer Regelung überhaupt zugänglich waren. Schließlich w i r d auf den Schutz politischer Minderheiten innerhalb des Parlaments (4) einzugehen sein, der auf die Grenzen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie bedeutsamen Einfluß erlangt hat. 1. Seit der Einführung konstitutioneller Verfassungen kämpften die deutschen Volksvertretungen u m Selbständigkeit und Unabhängigkeit b e i d e r Regelung
ihrer
Geschäftsordnungsangelegenheiten.
Dabei stand
die Frage i m Vordergrund, ob solche Regelungen nur i n Übereinstimmung mit dem Monarchen, nur mit seiner Genehmigung, nur auf dem Wege der Gesetzgebung oder vom Parlament selbst erlassen werden durften. I m Verlaufe der konstitutionellen Epoche führte die Beantwortung dieser Frage zu durchaus unterschiedlichen Lösungen. Keine der Verfassungen des Frühkonstitutionalismus enthielt eine ausdrückliche Garantie für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments bei der Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten. Derartige Bestimmungen fanden erst i n den Jahren 1848 bis 1850 nach dem Vorbild der belgischen Verfassung 8 Eingang i n die Frankfurter Reichsverfassung 9 und i n die Verfassungsurkunde für den 8 A r t . 46 der belgischen Verfassung v o m 7. Februar 1831 (abgedruckt i n : Günther Franz: Staatsverfassungen, 2. Aufl., 1963, S. 62 f): „Chaque chambre détermine par son règlement le mode suivant, lequel elle exerce ses a t t r i butions." A r t . 37: „ A chaque session chacune des chambres nomme son président, ses vice-présidents et compose son bureau." Über den Einfluß der belgischen Verfassung auf die Verfassungs-Urkunde f ü r den Preußischen Staat von 1848 u n d 1850 vgl. Rudolf Smend: Die Preußische V e r fassungsurkunde i m Vergleich m i t der Belgischen, Diss. Göttingen 1904 u n d Gerhard Anschütz: Die Verfassungs-Urkunde f ü r den Preußischen Staat, Bd. 1, 1912, S. 36 ff.
» Verfassung des Deutschen Reichs v o m 28. März 1849 (Huber, Bd. 1, S. 315 f): § 116 Satz 1: „Jedes Haus hat das Recht, sich seine Geschäftsordnung selbst zu geben." § 110: „Jedes der beiden Häuser w ä h l t seinen Präsidenten, seine Vicepräsidenten u n d seine Schriftführer." § 114: „(1) Jedes Haus hat das Recht, seine Mitglieder wegen unwürdigen Verhaltens i m Hause zu bestrafen u n d äußersten Falls auszuschließen. Das Nähere bestimmt die Geschäftsordnung jedes Hauses. (2) Eine Aus-
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1. Teil: Grundlagen
preußischen S t a a t 1 0 . D a m i t b e g a n n i n d e r z w e i t e n H ä l f t e des 19. J a h r h u n d e r t s eine E n t w i c k l u n g , i n d e r e n V e r l a u f einzelne deutsche P a r l a m e n t e i n z u n e h m e n d e m M a ß e E i n f l u ß a u f die R e g e l u n g i h r e r Geschäftsordnungsangelegenheiten g e w a n n e n . E i n e verfassungsgesetzliche G a r a n t i e der p a r l a m e n t a r i s c h e n Ges c h ä f t s o r d n u n g s a u t o n o m i e ä h n l i c h d e r d e r preußischen V e r f a s s u n g w u r d e i n der Folgezeit, abgesehen v o n i h r e r — später noch n ä h e r z u b e h a n d e l n d e n — w ö r t l i c h e n Ü b e r n a h m e i n d i e V e r f a s s u n g e n des N o r d deutschen B u n d e s 1 1 u n d des Deutschen Reiches 1 2 , n u r i n d i e V e r f a s s u n g e n der H a n s e s t ä d t e 1 3 , E l s a ß - L o t h r i n g e n s 1 4 u n d e i n i g e r k l e i n e r e r d e u t scher S t a a t e n 1 5 a u f g e n o m m e n . Schließung k a n n n u r d a n n ausgesprochen w e r d e n , w e n n v o n z w e i D r i t t e l n der S t i m m e n sich d a f ü r entscheidet."
eine
Mehrheit
Die Geschäftsordnung des Frankfurter Parlaments ist abgedruckt i n : Franz Wigard: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, Bd. 1, 1848, S. 163 ff. Vgl. auch Robert von M o h l : Vorschläge zu einer Geschäftsordnung des verfassunggebenden Reichstages, 1848, sowie K u r t Schauer: Der Einzelne u n d die Gemeinschaft, V o m Geschäftsverfahren des F r a n k furter Parlaments, 1923, u n d neuerdings Gilbert Ziebura: Anfänge des deutschen Parlamentarismus, Geschäftsverfahren u n d Entscheidungsprozeß i n der ersten deutschen Nationalversammlung, i n : Faktoren der politischen Entscheidung, Festgabe für Ernst Fraenkel, 1963, S. 185 ff. 10 A r t . 77 Abs. 1 Satz 2 der Verfassungs-Urkunde für den preußischen Staat v o m 5. Dezember 1848 (Huber, Bd. 1, S. 391): „Sie (d.h. jede Kammer) regelt ihren Geschäftsgang durch eine Geschäfts-Ordnung u n d erwählt ihren Präsidenten, ihre Vicepräsidenten u n d Schriftführer." A r t . 78 Abs. 1 Satz 2 der Verfassungs-Urkunde f ü r den Preußischen Staat v o m 31. Januar 1850 (Huber, Bd. 1, S. 409): „Sie (d.h. jede Kammer) regelt ihren Geschäftsgang u n d ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung u n d erwählt ihren Präsidenten, ihre Vicepräsidenten u n d Schriftführer." Z u r Entstehung u n d E n t w i c k l u n g der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses vgl. August Plate: Die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses, ihre Geschichte u n d ihre Anwendung, 2. Aufl., 1904. 11 A r t . 27 Satz 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes v o m 17. A p r i l 1867 (Huber, Bd. 2, S. 231): „ E r (d.h. der Reichstag) regelt seinen Geschäftsgang u n d seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung u n d erwählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten u n d Schriftführer." 12 A r t . 27 Satz 2 der Verfassung des Deutschen Reichs v o m 16. A p r i l 1871 (Huber, Bd. 2, S. 295). Diese Vorschrift entsprach dem A r t . 27 Satz 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes (vgl. Anm. 11) wörtlich. Z u r Geschäftsordnung des Reichstages vgl. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903; Julius Hatscheck: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915; Bernhard Jungheim: Die Geschäftsordnung für den Reichstag m i t Anmerkungen, 1916. Auch August Plate, aaO, berücksichtigt die Geschäftsordnung des Reichstages weitgehend. 13 I n Lübeck: A r t . 48 der Verfassung v o m 7. A p r i l 1875 i. d. F. der Bekanntmachung v o m 2. Oktober 1907 (abgedruckt i n : F e l i x Stoerk: Handbuch der Deutschen Verfassungen, 2. A u f l . v o n Fr. W. v. Rauchhaupt, 1913 [zit. : Stoerk/Rauchhauptl, S. 225). I n Bremen: § 55 der Verfassung v o m 21. Februar 1854 i. d. F. der Bekanntmachung v o m 1. Januar 1894 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 160).
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E i n e S o n d e r s t e l l u n g n a h m e n B a d e n u n d W ü r t t e m b e r g ein. D o r t e n t h i e l t e n d i e V e r f a s s u n g e n zunächst ü b e r h a u p t k e i n e V o r s c h r i f t e n ü b e r d i e Frage, a u f w e l c h e Weise d i e p a r l a m e n t a r i s c h e n Geschäftsordnungsangelegenheiten z u r e g e l n seien. A n f a n g s v e r s u c h t e n d i e R e g i e r u n g e n , die R e g e l u n g a u f d e n W e g d e r Gesetzgebung z u v e r w e i s e n oder sie wenigstens einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen. D e m w i d e r setzten sich die K a m m e r n m i t E r f o l g , k o n n t e n i h r e S e l b s t ä n d i g k e i t i n Geschäftsordnungsangelegenheiten durchsetzen u n d i h r schließlich auch verfassungsgesetzliche A n e r k e n n u n g verschaffen. So l e g t e i n W ü r t t e m b e r g 1 6 die R e g i e r u n g d e n K a m m e r n des L a n d t a ges bereits i m J a h r e 1820 d e n E n t w u r f e i n e r ständischen Geschäftsordn u n g v o r u n d n a h m z u g l e i c h e i n G e n e h m i g u n g s r e c h t f ü r sich i n A n spruch. D i e K a m m e r d e r A b g e o r d n e t e n h a t t e i m J a h r e 1821 d e m K ö n i g I n Hamburg: A r t . 47 der Verfassung v o m 13. Oktober 1879 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 177). 14 § 13 des Gesetzes über die Verfassung Elsaß-Lothringens v o m 31. M a i 1911 (Huber, Bd. 2, S. 357). 15 So i n Lippe: § 6 des Gesetzes, die Zusammensetzung des Landtages u n d die Ausübung der Rechte desselben betreffend, v o m 3. J u n i 1876 (Stoerk/ Rauchhaupt, S. 210). I n Schaumburg-Lippe: A r t . 24 des Verfassungs-Gesetzes v o m 17. November 1868 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 451). I n Reuß ä. L.: § 79 der Verfassung v o m 28. März 1867 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 301). I n Reuß j. L.: § 87 des Revidierten Staatsgrundgesetzes v o m 14. A p r i l 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 315). I n Waldeck: § 60 der Verfassungs-Urkunde v o m 17. August 1852 (Stoerk/ Rauchhaupt, S. 488). I n Schwarzburg-Sonderhausen erlangte der Landtag Geschäftsordnungsautonomie erst durch die Verfassungsänderung des Jahres 1911, nachdem bis dahin seine Geschäftsordnungsangelegenheiten durch Gesetz geregelt worden waren; vgl. § 71 des Landesgrundgesetzes v o m 8. J u l i 1857 i. d. F. des Gesetzes, betreffend eine Änderung des Landesgrundgesetzes u n d die Geschäftsordnung für den Landtag, v o m 27. Februar 1911 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 478). I n Sachsen-Meiningen w a r die Geschäftsordnung zwar durch Gesetz v o m 23. A p r i l 1868, die E i n f ü h r u n g einer neuen Geschäftsordnung f ü r den L a n d tag betreffend (abgedruckt i n : Fr. W. v. Rauchhaupt: Handbuch der Deutschen Wahlgesetze u n d Geschäftsordnungen, 1916, [zit.: Rauchhaupt], S. 561 ff) geregelt. Dieses Gesetz bestimmte aber i n A r t . 2 Satz 2: „Änderungen der Geschäftsordnung, soweit sie n u r den parlamentarischen Brauch u n d nicht die Rechte des Landesherrn, des Landtags u n d der Herzoglichen Commissarien betreffen, können durch den Landtag jederzeit beschlossen werden." 16 Vgl. zum folgenden Robert von M o h l : Das Staatsrecht des K ö n i g reiches Württemberg, 2. Aufl., 1840, S. 695 ff. u n d die ausführlichen D a r legungen von Adolf Gröber über die Geschichte der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r des württembergischen Landtags i m „Bericht der Geschäftsordnungskommission über die Revision der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r des Württembergischen Landtags", in: Verhandlungen der Württembergischen Zweiten K a m m e r (Kammer der Abgeordneten) auf dem 37. Landtag i n den Jahren 1907/1909, Beilagen-Bd. 105, 1909, S. 409 ff; ferner die Bemerkungen bei K a r l Göz: Das Staatsrecht des Königreichs W ü r t t e m berg, 1908, S. 138 f.
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mitgeteilt, sie wünsche ihre Geschäftsordnung nur für die Dauer der laufenden Wahlperiode zur Probe einzuführen, worauf die königliche Genehmigung auch nur für diesen Zeitraum erteilt wurde. Ohne je um eine Verlängerung der Genehmigung nachzusuchen, befolgte sie diese Geschäftsordnung dann auch i n den folgenden Wahlperioden. Die Regierung ihrerseits hielt ihren Genehmigungsanspruch ausdrücklich aufrecht und bestand auf i h m noch anläßlich der Beratungen einer neuen Geschäftsordnung i m Jahre 1851 und wiederholt i n einem königlichen Reskript vom 3. Juni 1854, vermochte ihn gegen die Kammer aber nicht durchzusetzen 17 . Die Geschäftsordnung der Kammer der Standesherrn wurde erst i n den Jahren 1839 und 1841 — für die die inneren und die äußeren Geschäfte regelnden Teile — vom König bestätigt, aber dessen ungeachtet bereits seit 1820 angewandt. Erst die Verfassungsänderung von 1874 brachte den Kammern auch eine förmliche Garantie ihrer Selbständigkeit i n Geschäftsordnungsangelegenheiten 18 . Allerdings waren parlamentarische Geschäftsordnungsangelegenheiten noch i n größerem Umfang durch die Verfassung selbst geregelt, weshalb sich die Kammern u m die Aufhebung dieser Vorschriften bemühten, um damit den Weg für eine weitergehende selbständige Gestaltung durch das Parlament freizumachen 19 . I n Baden 2 0 unternahm die Regierung zunächst den Versuch, den Geschäftsgang der Ständeversammlung durch Gesetz regeln zu lassen. Sie erkannte die Geschäftsordnungsautonomie der Kammern aber bereits i m Jahre 1819 stillschweigend an, nachdem jede der beiden Kammern sich i n dieser Angelegenheit für allein zuständig erklärt hatte. Erst durch die Verfassungsänderungen i n den Jahren 1867 und 1869 wurde den Kammern die Autonomie auch auf der Ebene des Verfassungsrechts bestätigt. Die damals eingefügten Verfassungsvorschriften verwiesen nämlich auf Bestimmungen der von jeder der beiden Kammern selbständig erlassenen Geschäftsordnungen 21 . I n Bayern und i m Königreich Sachsen waren die Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments zunächst allein durch die Verfassungen 17
Vgl. dazu eingehend Adolf Gröber, aaO, S. 412 f. Durch das Verfassungsgesetz v o m 23. J u n i 1874 w u r d e i n die V e r fassung der § 164 a eingefügt (Huber, Bd. 1, S. 193 A n m . 72, wo statt „ J u n i " „ J u l i " steht): „Jede K a m m e r regelt innerhalb der verfassungsmäßigen Schranken ihre Geschäftsordnung." 19 Vgl. dazu A d o l f Gröber, aaO, S. 419 ff. 20 Vgl. dazu Ernst Walz: Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden, 1909, S. 82 f u n d ders.: Über die Prüfung der parlamentarischen Wahlen zunächst nach badischem Recht, o. J., S. 12 ff. 21 Vgl. § 48 a der Verfassungsurkunde f ü r das Großherzogtum Baden v o m 22. August 1818, eingefügt durch Gesetz v o m 21. Oktober 1867, u n d § 74 Abs. 2 i. d. F. des Gesetzes v o m 21. Dezember 1869 (Huber, Bd. 1, S. 163 A n m . 23 u n d S. 168 A n m . 34) u n d dazu Ernst Walz: Uber die Prüfung der parlamentarischen Wahlen . . . , aaO, S. 14. 18
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und durch Geschäftsordnungsgesetze festgelegt. Erst nach langen Auseinandersetzungen mit der Krone konnten die Kammern erreichen, daß ihnen neben den i n den bestehenden Geschäftsordnungsgesetzen getroffenen Regelungen ein anfangs geringer, später wachsender Spielraum zu selbständiger Gestaltung durch eigene autonome Geschäftsordnungen eingeräumt wurde. So war i n Bayern 2 2 zunächst der weitaus größte Teil der Geschäftsordnungsangelegenheiten der Kammern durch das Edict über die Ständeversammlung 23 geregelt, das als Beilage X zur Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 zusammen m i t dieser oktroyiert worden war. Für darüber hinaus ins Einzelne gehende Regelungen konnte nur die Kammer der Reichsräte m i t einiger Mühe ihre Autonomie durchsetzen, während der Kammer der Abgeordneten, nachdem sie kein eigenes Reglement hatte zustandebringen können, i m Jahre 1825 eine vom König genehmigte und sanktionierte Geschäftsordnung 24 mitgeteilt wurde, die die Kammer dann durch Beschluß annahm 2 5 . Erst das Verfassungsgesetz vom 2. September 1831, den Geschäftsgang der beiden Kammern der Ständeversammlung betreffend 26 , änderte das Edict über die Ständeversammlung i n einer Reihe von Punkten ab, gab den Kammern größere Freiheit zu eigener selbständiger Regelung und gewährte ihnen ausdrücklich das Recht, eigene reglementäre Vorschriften zu erlassen, die der Regierung nur vorgelegt zu werden brauchten, damit diese sich von der Gesetzmäßigkeit der Bestimmungen überzeugen konnte 2 7 . Bis zum Ende der konstitutionellen Ära blieb i n Bayern dann der Zustand erhalten, daß die Geschäftsordnungsangelegenheiten durch die Verfassungsvorschriften, durch ein Gesetz, den Geschäftsgang des Landtages betreffend 28 , und i m Rahmen dieses Gesetzes durch autonom erlassene Geschäftsordnungen der Kammern 2 9 geregelt wurden. 22 Die geschichtliche E n t w i c k l u n g des Rechtes der „Selbstgesetzgebung" der bayerischen K a m m e r n i n Bezug auf ihre Geschäftsordnung ist ausführlich geschildert bei M a x von Seydel: Bayerisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1896, S. 455 ff. 23 Dieses ist abgedruckt i n : K a r l Heinrich L u d w i g Pölitz: Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes, fortgesetzt von Friedrich Bülau, Abth. 1—3, 1847, [zit. : Pölitz/Bülaul, S. 159 ff. 24 Edict über die Geschäftsordnung für die K a m m e r der Abgeordneten v o m 28. Februar 1825 (Pölitz/Bülau, S. 175 ff). 25 Vgl. M a x v o n Seydel, aaO, S. 455 f. 26 GBl. S. 25. 27 Vgl. § 18 des Gesetzes v o m 2. September 1831. 28 Gesetz, den Geschäftsgang des Landtags betreffend, v o m 25. J u l i 1850 (GBl. S. 297), das durch das Gesetz v o m 19. Januar 1872 (Rauchhaupt, S. 112 ff) ersetzt wurde. 29 A r t . 1 des Gesetzes v o m 19. Januar 1872: „Jeder K a m m e r k o m m t zu, ihre Geschäftsordnung selbst festzustellen u n d nach Bedürfnis abzuändern unter Beobachtung der nachfolgenden u n d der sonstigen über den Landtag bestehenden verfassungsmäßigen Bestimmungen."
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Die Geschäftsordnungsgesetze von 1850 und 1872 brachten jeweils beträchtliche Erweiterungen der autonomen Rechte der Kammern, weshalb sich diese beidemal genötigt sahen, ihre Geschäftsordnungen zu revidieren 3 0 . I m Königreich Sachsen verwies der § 137 der Verfassungsurkunde vom 4. September 1831 wegen der „nähern Bestimmungen über den Landtag und den Geschäftsbetrieb bei selbigem" auf die Landtagsordnung. Damit war aber keine von den Kammern autonom zu erlassende Geschäftsordnung gemeint, denn Landtagsordnungen waren i n Sachsen immer einseitig von der Krone nach dem „Gutachten" der Stände dekretiert worden. So wurde es schon als Fortschritt angesehen, daß die Landtagsordnungen dann i n der Form des Gesetzes ergingen und deshalb nicht ohne Zustimmung der Kammern erlassen oder abgeändert werden durften 3 1 . Erst 1874 wurde die umfangreiche und sehr ins Einzelne gehende Landtagsordnung aus dem Jahre 185732 revidiert und den Kammern größere Selbständigkeit und die Befugnis zum Erlaß eigener autonomer Geschäftsordnungen eingeräumt 33 . Auch soweit den Parlamenten ihre Geschäftsordnungsautonomie verfassungsgesetzlich verbürgt oder doch tatsächlich zugestanden war, blieb der Umfang ihrer autonomen Gestaltungsfreiheit zumeist hinter dem heute üblichen Ausmaß zurück, da Geschäftsordnungsangelegenheiten zum Teil weit ins Einzelne gehend i n den Verfassungsurkunden geregelt waren 3 4 . Eine Anpassung dieser Vorschriften an die Gegebenheiten und Erfordernisse der parlamentarischen Praxis konnte dann nur auf dem Wege der Verfassungsänderung erfolgen und deshalb nicht ohne die M i t w i r k u n g der anderen gesetzgebenden Faktoren erreicht werden. Für eine ganze Anzahl deutscher Parlamente blieben aber die i n der Jahrhundertmitte verstärkt einsetzenden Bestrebungen, den Volksvertretungen Selbständigkeit i n ihren Geschäftsordnungsangelegenheiten einzuräumen und die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie auch verfassungsrechtlich zu sichern, ohne Erfolg. I m Großher30
Vgl. dazu i m einzelnen M a x von Seydel, aaO (Anm. 22), S. 458 ff. Vgl. dazu Otto Mayer: Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, 1909, S. 140 f m i t A n m . 11. ^ 3 2 Landtagsordnung v o m 8. Oktober 1857 (GVOB1. S. 175). '33 § ι der Landtagordnung v o m 12. Oktober 1874 (Rauchhaupt, S. 467): „Jeder K a m m e r steht das Recht zu, ihre Geschäftsordnung unter Beobachtung der i n der Verfassungsurkunde enthaltenen, sowie der nachstehenden Bestimmungen selbständig festzustellen." 31
34 Vgl. z.B. die eingehende Regelung i n den §§ 124 bis 194 der Verfassungsurkunde des Königreichs Württemberg v o m 25. September 1819 (Huber, Bd. 1, S. 183 ff).
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z o g t u m Hessen 3 5 , i n O l d e n b u r g 3 6 , i n B r a u n s c h w e i g 3 7 , i n A n h a l t 3 8 sowie i n einigen thüringischen Staaten39 erfolgte die Regelung der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten, s o w e i t sie n i c h t bereits d u r c h V e r f a s s u n g s v o r s c h r i f t e n getroffen w a r , v o m B e g i n n i h r e s k o n s t i t u t i o n e l l e n Lebens bis z u m E n d e der K a i s e r z e i t ausschließlich a u f d e m W e g e d e r Gesetzgebung. Das bedeutete i m k o n s t i t u t i o n e l l e n S y stem, anders als heute, d i e v o l l s t ä n d i g e rechtliche A b h ä n g i g k e i t des P a r l a m e n t s v o n d e r E x e k u t i v e , da e i n Gesetz n u r zustande k a m , w e n n der S o u v e r ä n u n d das P a r l a m e n t i n i h r e m W i l l e n ü b e r e i n s t i m m t e n 4 0 . B e s t a n d das P a r l a m e n t aus z w e i K a m m e r n , so w a r e n diese i n der Ges t a l t u n g i h r e r j e w e i l i g e n Geschäftsordnungsangelegenheiten auch noch v o n e i n a n d e r a b h ä n g i g , w e i l g r u n d s ä t z l i c h auch i h r e Ü b e r e i n s t i m m u n g f ü r e i n Gesetz e r f o r d e r l i c h w a r 4 1 . D i e E x e k u t i v e u n d gegebenenfalls 35 Vgl. z. B. das Gesetz, die landständische Geschäftsordnung betreffend v o m 23. März 1914 (Rauchhaupt, S. 281 ff). 36 Durch A r t . 165 des Revidierten Staatsgrundgesetzes v o m 22. November 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 260) wurde der Erlaß der Geschäftsordnung ausdrücklich auf den Weg der Gesetzgebung verwiesen. Vgl. i m übrigen z. B. die Bekanntmachung der Geschäftsordnung des Landtages i. d. F. des Gesetzes v o m 17. A p r i l 1900 (Rauchhaupt, S. 346 ff). 37 Vgl. § 152 der Neuen Landschaftsordnung f ü r das Herzogthum B r a u n schweig v o m 12. Oktober 1832 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 135), nach dem für die Abänderung der landschaftlichen Geschäftsordnung die „Übereinkunft z w i schen dem Landesfürsten u n d den Ständen" erforderlich war. So ist z. B. auch die Geschäftsordnung für die Landesversammlung v o m 19. M a i 1912 (Rauchhaupt, S. 177 ff) als Gesetz erlassen worden. 38 Vgl. z. B. das Gesetz, betreffend die Einführung einer neuen Geschäftsordnung f ü r den Landtag v o m 16. A p r i l 1914 (Rauchhaupt, S. 47 ff). 39 I n Sachsen-Weimar-Eisenach: Revidirte Geschäfts-Ordnung für den Landtag v o m 1. A p r i l 1878 (Rauchhaupt, S. 581 ff), die als Landesgesetz erlassen wurde. I n Sachsen-Altenburg: Landschaftliche Geschäftsordnung v o m 23. Dezember 1858 (Rauchhaupt, S. 521), die wie ihre späteren Änderungen durch Gesetz erging. I n Sachsen-Coburg-Gotha: Geschäftsordnung f ü r die Landtage der Herzogthümer Coburg u n d Gotha v o m 29. März 1908 (Rauchhaupt, S. 544), die als Gesetz erlassen wurde. I n Schwarzburg-Rudolstadt schrieb § 38 Satz 2 des Grundgesetzes für das Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt v o m 21. März 1854 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 468) ausdrücklich v o r : „ D i e zu erlassende Geschäftsordnung w i r d als Gesetz publiziert." Das Gesetz v o m 19. Januar 1872, die Einführung einer neuen Geschäftsordnung f ü r den Landtag betreffend (Rauchhaupt, S. 616 ff), gewährte allerdings i n §24 der Landtagsversammlung das Recht, „die F o r men der Erörterung, Berathung u n d A b s t i m m u n g nach dem Bedürfnis des Augenblicks abzukürzen u n d zu ändern" u n d damit auch eine gewisse Selbständigkeit i n Geschäftsordnungsangelegenheiten. 40 Klassischen Ausdruck hat dieser, das konstitutionelle System charakterisierende Grundsatz i n A r t . 62 Abs. 1 u n d 2 der preußischen Verfassung von 1850 (Huber, Bd. 1, S. 407) gefunden: „(1) Die gesetzgebende Gewalt w i r d gemeinschaftlich durch den K ö n i g u n d durch zwei K a m m e r n ausgeübt. (2) Die Übereinstimmung des Königs u n d beider K a m m e r n ist zu jedem Gesetze erforderlich." 41 Vgl. A n m . 40.
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auch d i e andere K a m m e r h a t t e n es d e m n a c h i n d e r H a n d , b e s t i m m e n d e n E i n f l u ß a u f d i e G e s t a l t u n g der p a r l a m e n t a r i s c h e n Geschäftsordn u n g s a n g e l e g e n h e i t e n auszuüben. I m m e r h i n k o n n t e a u f diese Weise eine R e g e l u n g n i c h t ohne die Z u s t i m m u n g des P a r l a m e n t s b z w . d e r b e t r e f f e n d e n K a m m e r erfolgen. A l s K u r i o s i t ä t s o l l n i c h t u n e r w ä h n t b l e i b e n , daß d e r L a n d t a g f ü r M e c k l e n b u r g - S c h w e r i n u n d M e c k l e n b u r g - S t r e l i t z sich bis z u m E n d e des K a i s e r r e i c h s ü b e r h a u p t k e i n e k o d i f i z i e r t e Geschäftsordnung gegeben h a t t e 4 2 . 2. I n d e r F r ü h z e i t des K o n s t i t u t i o n a l i s m u s w a r d e n P a r l a m e n t e n auch k e i n e S e l b s t ä n d i g k e i t u n d U n a b h ä n g i g k e i t b e i der Bestellung ihrer eigenen Organe g e w ä h r t . V e r f a s s u n g s b e s t i m m u n g e n oder V o r s c h r i f t e n der Geschäftsordnungsgesetze s t a n d e n i h r e r f r e i e n Entscheid u n g entgegen. B i s z u r M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s w a r es ü b l i c h , daß d i e A b g e o r d n e t e n f ü r die S t e l l e des P r ä s i d e n t e n u n d der V i z e p r ä s i d e n t e n des P a r l a m e n t s z w a r aus i h r e r M i t t e einige K a n d i d a t e n — g e w ö h n l i c h d r e i f ü r jedes A m t — w ä h l e n d u r f t e n ; d e m M o n a r c h e n s t a n d aber das Recht zu, v o n diesen K a n d i d a t e n e i n e n nach seinem B e l i e b e n z u e r nennen43. I n den meisten Staaten m i t Z w e i k a m m e r s y s t e m w u r d e n die 42 Vgl. dazu Otto Büsing: Das Staatsrecht der Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin u n d Mecklenburg-Strelitz, 1884, S. 31 f. 43 Vgl. dazu z. B. i n Bayern: T i t e l I § 63 des Edictes über die Ständeversammlung vom 26. M a i 1818 (Pölitz/Bülau, S. 168): „Die Mitglieder der K a m mer wählen f ü r die Stelle des Präsidenten sechs Mitglieder, aus welchen der K ö n i g den ersten u n d einen zweiten Präsidenten, . . . f ü r die Dauer der Sitzung ernennt." I n Baden: § 45 der Verfassungsurkunde v o m 22. August 1818 (Huber, Bd. 1, S. 163): „ . . . die zweite K a m m e r w ä h l t f ü r die Präsidentenstelle drei Candidaten, wovon der Großherzog f ü r die Dauer der Versammlung einen bestätigt." I n Württemberg: § 164 Abs. 3 der Verfassungsurkunde v o m 25. September 1819 (Huber, Bd. 1, S. 192): „Ebenso w ä h l t die zweite K a m m e r aus ihrer Mitte, ohne Unterschied der Classen, drei Mitglieder zur Stelle ihres Präsidenten, u n d w e n n hierauf die Königliche Ernennung erfolgt ist, auf gleiche A r t zu dem A m t e des Vicepräsidenten, welchen der K ö n i g ebenfalls aus den hiezu vorgeschlagenen drei Mitgliedern ernennt." I m Großherzogtum Hessen: A r t . 86 Abs. 2 Satz 2 u n d 3 der Verfassungsurkunde v o m 17. Dezember 1820 (Pölitz/Bülau, S. 686): „ B e i der Berufung eines Landtags m i t neuen Wahlen w i r d alsdann sogleich, unter der L e i t u n g der Einweisungscommission, zur A u s w a h l von sechs Mitgliedern geschritten, welche dem Großherzoge zur Ernennung des ersten u n d zweiten Präsidenten vorgeschlagen werden. Bei der Berufung eines Landtags ohne neue Wahlen dagegen, w i r d die Einweisungscomission dem ältesten Mitgliede der K a m m e r einstweilen den Präsidentenstuhl anweisen, um, unter Assistenz zweier Secretaire, welche dasselbe sich zu diesem A k t e ernennt, zur W a h l der sechs zu den Präsidenten vorzuschlagenden Mitglieder zu schreiten." I m Königreich Sachsen: § 72 Abs. 1 u n d 2 der Verfassungsurkunde v o m 4. September 1831 (Huber, Bd. 1, S. 234 f): „(1) Der Präsident der zweiten K a m m e r u n d dessen Stellvertreter werden von dem Könige ernannt. (2) Z u Anfange jeden Landtags sind von der K a m m e r vier ihrer Mitglieder
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Präsidenten der ersten Kammer noch bis zum Ende der Kaiserzeit vom Monarchen ernannt, ohne daß der Kammer ein Vorschlagsrecht zustand 44 , während für die Ernennung ihrer Vizepräsidenten häufig das für die Ernennung des Präsidenten der zweiten Kammer übliche Verfahren des Dreiervorschlags vorgesehen war, das aber i n einigen Staaten später durch die volle Selbständigkeit der ersten Kammer bei der Auswahl ihrer Vizepräsidenten abgelöst wurde 4 5 . Erst die durch die Ereignisse des Jahres 1848 ausgelöste neue Phase der Verfassungsbewegung brachte für einige deutsche Parlamente auch i n dieser Frage einen Wandel. Beispielgebend war hier ebenfalls die preußische Verfassung von 1850, deren bereits i n der oktroyierten Verfassung von 1848 enthaltene Regelung i n enger Anlehnung an ihr belgisches Vorbild 4 6 bestimmte, daß jede Kammer ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer selbst wählen sollte 47 . Bei der Ausarbeitung des Entwurfs der preußischen Verfassungsurkunde von 1848 versuchte übrigens auch Friedrich Wilhelm IV. Einfluß auf die Auswahl der Parlamentsorgane zu gewinnen. Zu dem § 51 des i h m vom Staatsministerium vorgelegten Entwurfs, der die Wahl der Präsidenten, der Vizepräsidenten und Sekretäre allein durch die Kammern vorsah, schrieb er i n einer Randbemerkung: „Ich w i l l unter drei Candidaten wählen". Dem trug die Regierungsvorlage der Verfassungsurkunde an die Nationalversammlung allerdings keine Rechnung 4 8 . durch geheime Stimmgebung zu wählen u n d vorzuschlagen, von denen der K ö n i g eins als Präsidenten u n d eins als dessen Stellvertreter bestellt." 44 So z. B. i n Bayern, wo allerdings durch den A r t . 4 des Gesetzes v o m 25. J u l i 1850, den Geschäftsgang des Landtages betreffend, die Unabhängigkeit auch der K a m m e r der Reichsräte bei der W a h l ihres Präsidenten eingeführt worden war. Diese Regelung wurde aber durch das Gesetz v o m 28. M a i 1852 zugunsten des Ernennungsrechts des Königs wieder aufgehoben. Vgl. dazu auch A r t . 6 des Gesetzes, den Geschäftsgang des Landtags betreffend v o m 19. Januar 1872 (Rauchhaupt, S. 114 m i t A n m . 1). I n Baden: § 45 Halbsatz 1 der Verfassungsurkunde v o m 22. August 1818 (Huber, Bd. 1, S. 162 f). I n Württemberg: § 164 Abs. 2 Satz 1 der Verfassungsurkunde v o m 25. September 1819 (Huber, Bd. 1, S. 192). I m Großherzogtum Hessen: A r t . 85 der Verfassungsurkunde v o m 17. Dezember 1820 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 199). I m Königreich Sachsen: § 67 Abs. 1 der Verfassungsurkunde v o m 4. September 1831 (Huber, Bd. 1, S. 233). 45 Vgl. i n Württemberg die Regelung des § 164 Abs. 2 der Verfassungsurkunde von 1819 m i t der gleichen Vorschrift i. d. F. der Gesetze v o m 23. J u n i 1874 u n d v o m 13. J u l i 1912 (Huber, Bd. 1, S. 192 m i t A n m . 71). I m Königreich Sachsen die Regelung des § 67 Abs. 2 der Verfassungsurkunde von 1831 m i t der gleichen Vorschrift i. d. F. des Gesetzes v o m 12. Oktober 1874 (Huber, Bd. 1, S. 233 m i t A n m . 19). 40 Vgl. dazu oben A n m . 8. 47 Vgl. dazu oben A n m . 10. 48 Vgl. den ersten E n t w u r f der preußischen Verfassungsurkunde, dem K ö n i g v o m Staatsministerium vorgelegt m i t Bericht v o m 15. M a i 1848, die
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1. T e i l : Grundlagen
D i e R e g e l u n g der preußischen V e r f a s s u n g ü b e r n a h m e n a l s b a l d B a y e r n 4 9 u n d einige k l e i n e r e S t a a t e n 5 0 , w ä h r e n d i n B a d e n erst 1869 5 1 , i n W ü r t t e m b e r g 5 2 u n d i m K ö n i g r e i c h Sachsen 5 3 erst 1874 der z w e i t e n K a m m e r d i e v o l l e S e l b s t ä n d i g k e i t b e i der W a h l i h r e r Organe, v o r nehmlich ihres Präsidenten, eingeräumt wurde. E i n i g e P a r l a m e n t e v e r m o c h t e n sich aber b i s z u m E n d e des K a i s e r reichs d e m E i n f l u ß der K r o n e a u f die B e s e t z u n g i h r e r O r g a n e n i c h t z u entziehen. Es v e r b l i e b b e i d e r Regelung, daß der L a n d e s h e r r e i n E r n e n n u n g s r e c h t aus e i n e m D r e i e r v o r s c h l a g d e r V o l k s v e r t r e t u n g besaß oder daß d i e W a h l e n der V i z e p r ä s i d e n t e n oder des gesamten V o r s t a n des des P a r l a m e n t e s der l a n d e s h e r r l i c h e n B e s t ä t i g u n g u n t e r l a g e n 5 4 . Bemerkungen K ö n i g Friedrich W i l h e l m I V . dazu, sowie die Regierungsvorlage v o m 20. M a i 1848 (abgedruckt i n : Gerhard Anschütz: Die Verfassungs-Urkunde f ü r den Preußischen Staat, Bd. 1, 1912, S. 596 ff, 608 ff). 49 A r t . 4 des Gesetzes, den Geschäftsgang des Landtags betreffend v o m 25. J u l i 1850. 50 So z. B. i n Sachsen-Weimar-Eisenach: § 9 des Revidirten Grundgesetzes v o m 15. Oktober 1850 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 438): „ V o n der W a h l des Präsidenten u n d der beiden Vice-Präsidenten, welche nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung erfolgt, ist dem Landesfürsten n u r Anzeige zu machen." I n Sachsen - Coburg - Gotha: § 82 Abs. 1 des Staatsgrundgesetzes v o m 3. M a i 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 402): „Die Landtage haben ihre Beamten u n d zwar aus ihrer M i t t e selbst zu wählen." I n Reuß j. L.: §87 des Revidirten Staatsgrundgesetzes v o m 14. A p r i l 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 315) i n wörtlicher Übernahme des Textes der preußischen Regelung (vgl. oben A n m . 10). 51 § 45 Halbsatz 2 der badischen Verfassungsurkunde von 1818 i. d. F. des Gesetzes v o m 21. Dezember 1869 (Huber, Bd. 1, S. 163 A n m . 22): „ . . . ; die zweite K a m m e r w ä h l t selbst ihren Präsidenten." 52 § 164 Abs. 3 der württembergischen Verfassungsurkunde von 1819 i. d. F. des Gesetzes v o m 23. J u n i 1874 (Huber, Bd. 1, S. 192 A n m 71): „Die K a m m e r der Abgeordneten w ä h l t durch absolute Stimmenmehrheit aus i h r e r M i t t e ihren Präsidenten u n d ihren Vicepräsidenten." 53 § 72 der sächsischen Verfassungsurkunde von 1831 i. d. F. v o m 12. O k t o ber 1874 (Huber, Bd. 1, S. 235 A n m . 23): „ D i e zweite K a m m e r w ä h l t ihren Präsidenten u n d einen oder mehrere Vicepräsidenten." 54 So i n Anhalt: Nach § 19 des Gesetzes, betreffend die Einführung einer neuen Geschäftsordnung f ü r den Landtag v o m 16. A p r i l 1914 (Rauchhaupt, S. 51) wurde der Landtagspräsident v o m Herzog aus drei v o m Landtag gewählten Kandidaten ernannt; gemäß § 20 bedurfte die W a h l der Vizepräsidenten der landesherrlichen Bestätigung. § 25 des Gesetzes schrieb vor, daß das A m t des Schriftführers nebenamtlich von einem Staatsbeamten zu versehen sei, der v o m Staatsministerium i m Einvernehmen m i t dem L a n d tagspräsidenten ernannt w u r d e ; das übrige Landtagspersonal sollte vom· Staatsministerium zur Verfügung gestellt werden; Disziplinarbefugnisse i h m gegenüber standen dem Landtagspräsidenten nicht zu. I n Braunschweig: Nach § 136 der Neuen Landschaftsordnung v o m 12. Oktober 1832 i. d. F. des Gesetzes v o m 18. M a i 1912 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 132) w u r d e n zu dem A m t e des Präsidenten drei Kandidaten gewählt, von denen einer durch den Landesfürsten bestätigt wurde; auch die v o m Landtag gewählten beiden Vizepräsidenten bedurften der landesherrlichen Bestätigung. I n Sachsen-Altenburg: Nach § 2 der Landschaftlichen Geschäftsordnung v o m 23. Dezember 1858 (Rauchhaupt, S. 522) w u r d e n drei Kandidaten für die
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i o i s c h e Grundlagen
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3. I n der konstitutionellen Epoche war nicht nur die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Parlamente bei der Regelung ihrer Geschäftsordnungsangelegenheiten und bei der Bestellung ihrer Organe umstritten, es w a r i h n e n auch eine ganze A n z a h l sonstiger
Befugnisse
nicht übertragen, die die Parlamente heute unbestritten selbständig wahrnehmen. Das war i n erster Linie für die Stellung des Parlaments als Verfassungsorgan bedeutsam, hatte aber dort, wo die Geschäftsordnungsautonomie der Volksvertretung anerkannt war, auch unmittelbare Auswirkungen auf deren Umfang. Dort hatte nämlich das Parlament bei allen Angelegenheiten, für die es zuständig war, auch selbständig zu entscheiden, wie es sie geschäftsordnungsmäßig behandeln wollte. Weder zur Zeit des Frühkonstitutionalismus noch später durften die Landtage sich selbst versammeln. Das war nur den Bürgerschaften der Hansestädte erlaubt 5 5 . I n einigen Staaten war es allerdings in wenigen bestimmten Fällen den Mitgliedern des Landtages gestattet, sich ohne Einberufung durch den Monarchen zu versammeln, so z. B. wenn die Einberufung des Landtages durch den Monarchen nicht i n der verfassungsgesetzlich dafür vorgesehenen Frist erfolgt war oder nach einem Thronwechsel; i n einigen Staaten waren die Abgeordneten i n solchen Ausnahmefällen sogar dazu verpflichtet, von selbst zusammenzutreten 5 6 . Stelle des Landschaftspräsidenten v o m Landtag gewählt u n d dem Landesherrn präsentiert, u m aus ihnen den Landschaftspräsidenten zu ernennen. Nach § 4 der Geschäftsordnung bedurfte auch die W a h l der Vizepräsidenten der Bestätigung durch den Landesherrn. I n Sachsen-Meiningen: Nach § 3 des Gesetzes v o m 23. A p r i l 1868, die E i n führung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag betreffend (Rauchhaupt, S. 562) unterlagen die Wahlen der Vorstandsmitglieder des L a n d tages der landesherrlichen Bestätigung. 55 I n Hamburg: A r t . 50 der Verfassung v o m 13. Oktober 1879 (Stoerk/ Rauchhaupt, S. 177). I n Bremen: § 49 der Verfassung v o m 21. Februar 1854 i. d. F. der Bekanntmachung v o m 1. Januar 1894 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 159). I n Lübeck: A r t . 37 der Verfassung v o m 5. A p r i l 1875 i. d. F. der B e k a n n t machung v o m 2. Oktober 1909 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 223). 58 Besonders weitgehend, aber auch einzig i n seiner A r t w a r das „Convocaticnsrecht" des § 113 der Neuen Landschaftsordnung für das Herzogthum Braunschweig v o m 12. Oktober 1832 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 128), das u. a. bei plötzlicher allgemeiner Landesgefahr, bei Verfassungsverletzungen u n d wenn der Landtag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist berufen wurde, stattfinden sollte. I n Sachsen-Weimar-Eisenach schrieb § 34 Abs. 3 des Revidirten G r u n d gesetzes v o m 15. Oktober 1850 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 441) vor, daß ein aufgelöster Landtag von selbst wieder hergestellt sei, w e n n nicht binnen dreimonatlicher Frist Neuwahlen angeordnet worden waren. I n Oldenburg sah A r t . 150 § 2 des Revidirten Staatsgrundgesetzes v o m 22. November 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 259) vor, „die Mitglieder des aufgelösten Landtags (treten) bis zum Zusammentritt der neugewählten Abgeordneten i n ihre früheren Rechte u n d versammeln sich ohne E i n -
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1. Teil: Grundlagen
Auch die Gesetzesinitiative stand bis zur Revolution von 1848, von zwei Ausnahmen abgesehen 57 , nur dem Monarchen und nicht der Volksvertretung zu 5 8 . Allerdings war ihr überall das Recht der GesetzesPetition eingeräumt, d. h. sie durfte die Regierung u m die Vorlage eines Gesetzentwurfs bitten 5 9 . Erst i n der auf die Ereignisse von 1848 folgenden Zeit wurde i n die Mehrzahl der deutschen Verfassungen das Initiativrecht der Volksvertretung aufgenommen 60 . Dem Unterschied von Gesetzes-Petition und Initiativrecht der Volksvertretung wurde allerdings nicht durchgängig die gleiche Bedeutung zugemessen. So meinte etwa Heinrich Zoepfl, daß „die Forderung wie die Einräumung einer landständischen Initiative als politisch bedeutungslos (erscheint), indem durch deren Ausübung . . . i n keiner Weise mehr erreicht werden kann, als durch den Gebrauch des landständischen Petitionsrechts" 61 , während anderseits Carl Friedrich von Gerber die Verleihung des Rechts der Initiative an die Stände für prinzipiell nicht ganz unbedenklich hielt, weil er darin eine Hinwendung zu den von den Verfassungen selbst abgelehnten Prinzipien der Teilung der Gewalten und der parberufung . . . " , w e n n nach Auflösung des Landtags nicht innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen ausgeschrieben oder der Landtag nicht innerhalb von drei Monaten nach der Wahlanfechtung einberufen worden war. Gemäß A r t . 198 § 2 t r a t der Landtag bei Regierungserledigung auch ohne Berufung zusammen. I n Sachsen-Coburg-Gotha t r a t der gemeinschaftliche Landtag gemäß §§ 158, 160 des Staatsgrundgesetzes v o m 3. M a i 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 412 f) bei Regierungserledigung ohne Berufung zusammen. 57 I n Sachsen-Weimar-Eisenach: § 117 des Grundgesetzes über die landständische Verfassung v o m 5. M a i 1816 (Pölitz/Bülau, Abth. 2, S. 775). I n Sachsen-Meiningen: § 86 des Grundgesetzes f ü r die vereinigte L a n d schaftliche Verfassung v o m 23. August 1829 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 430). 58 Vgl. dazu Heinrich Zoepfl: Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, T e i l 2, 1863, S. 372 f f u n d Heinrich A l b e r t Zachariä, aaO (Anm. 6), T e i l 2, 1867, S. 163 ff. 59 Vgl. dazu z. B. i n Bayern: T i t e l V I I § 19 der Verfassungsurkunde vom 26. M a i 1818 (Huber, Bd. 1, S. 153). I n Baden: § 67 der Verfassungsurkunde v o m 22. August 1818 (Huber, Bd. 1, S. 165). I n Württemberg: § 172 der Verfassungsurkunde v o m 25. September 1819 (Huber, Bd. 1, S. 194). I m Großherzogthum Hessen: § 76 der Verfassungsurkunde v o m 17. Dezember 1820 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 198). I m Königreich Sachsen: § 85 der Verfassungsurkunde v o m 4. September 1831 (Huber, Bd. 1, S. 237). 60 So z. B. i n Bayern: Gesetz, die ständische I n i t i a t i v e betreffend, vom 4. J u n i 1848 (GBl. S. 61). I n Preußen: A r t . 64 der Verfassungsurkunde v o m 31. Januar 1850 (Huber, Bd. 1, S. 407). I n Sachsen: § 85 der Verfassungs-Urkunde v o m 4. September 1831 i. d. F. des Gesetzes v o m 31. März 1849 (Huber, Bd. 1, S. 237 A n m . 28). Weitere Nachweise bei Meyer/Anschütz: Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 659 Anm. 2. 61 Heinrich Zoepfl, aaO (Anm. 58), S. 374.
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lamentarischen Regierung und damit eine Abkehr vom monarchischen Prinzip erblickte 62 . Beide Äußerungen werden indes der Bedeutung des Initiativrechts i m konstitutionellen System nicht gerecht. Denn einerseits erfuhr die Volksvertretung durch die Zubilligung dieses Rechts eine nicht unbeträchtliche Stärkung ihrer politischen Stellung, da es dem Monarchen schwerer fallen mußte, ein vom Parlament beschlossenes Gesetz abzulehnen, als eine auf die Einbringung eines Gesetzentwurfs gerichtete Petition unbeachtet zu lassen. Anderseits blieb das monarchische Prinzip unangetastet, da es dem Monarchen unbenommen blieb, einem vom Parlament eingebrachten und beschlossenen Gesetz die Zustimmung zu versagen und es damit zu Fall zu bringen. Wo die Regelung der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten auf den Weg der Gesetzgebung verwiesen war, beeinträchtigte die Versagung des Initiativrechts an das Parlament dessen Einfluß auf die Regelung freilich nicht unerheblich, da es sich der Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Änderung seiner Geschäftsordnung wegen an die Regierung nur i n der Form der Petition wenden konnte. Das blieb i n einigen Ländern bis zum Ende der konstitutionellen Zeit geltendes Recht 63 . Die Rechtsstellung des Parlaments blieb selbst i n Preußen und i m Reich, wo die Verfassungen i h m Selbständigkeit und Unabhängigkeit i n gleichem Umfang gewährten und umfassender als i n den meisten anderen deutschen Staaten, weit hinter dem heutigen Standard zurück. 62 Carl Friedrich von Gerber: Grundzüge des Deutschen Staatsrechts, 3. Aufl., 1880, S. 131 f A n m . 2; ähnlich auch Robert von M o h l : Die Abfassung der Rechtsgesetze, i n : Robert von M o h l : Staatsrecht, Völkerrecht u n d Politik, Bd. 2, 1862, S. 519. 63 So i n Sachsen-Altenburg, wo das Initiativrecht durch das Gesetz v o m 21. Oktober 1848, die landständische I n i t i a t i v e bei Gesetzesvorschlägen betreffend, eingeführt, durch das Gesetz v o m 11. Februar 1854, die A u f hebung der landschaftlichen I n i t i a t i v e bei Gesetzesvorschlägen betreffend, aber wieder beseitigt worden war. Der durch dieses Gesetz wiederhergestellte W o r t l a u t des § 214 Satz 2 des Grundgesetzes v o m 29. A p r i l 1831 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 382) lautete: „ D i e Gesetzesvorschläge selbst gehen von der Staatsregierung aus." I n Anhalt: § 46 Abs. 1 Halbsatz 1 des Gesetzes, betreffend die E i n f ü h rung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag v o m 16. A p r i l 1914 (Rauchhaupt, S. 56): „Uranträge der Abgeordneten dürfen nicht i n F o r m eines Gesetzentwurfs eingebracht werden; . . . " . I n Schwarzburg-Rudolstadt hatte der Landtag gemäß § 35 des G r u n d gesetzes v o m 21. März 1854 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 467) n u r das Recht, „ A n träge auf den Erlaß von Gesetzen zu stellen". I n Reuß ä. L. bestimmte § 66 der Verfassung v o m 28. März 1867 (Stoerk/ Rauchhaupt, S. 298): „Gesetzentwürfe können n u r von dem Landesherrn durch die Regierung an den Landtag, nicht von diesem an den Landesherrn gebracht werden. Der Landtag k a n n aber auf neue Gesetze sowie auf Aufhebung und Abänderung bestehender antragen." I n Waldeck w a r der Landtag gemäß § 65 der Verfasungs-Urkunde v o m 12. August 1852 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 489) n u r befugt, die Vorlage von Gesetzen zu beantragen.
3 Arndt
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So waren i n der preußischen Verfassungsurkunde von 1850 und i n der Reichsverfassung von 1871 außer der Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie nur das Wahlprüfungsrecht 64 und das Recht, über die Immunitätsaufhebung selbst zu entscheiden 65 , verankert. Weder der Reichstag noch die preußischen Kammern besaßen ein Selbstversammlungsrecht. Die Frage, ob die Polizeigewalt innerhalb des Parlamentsgebäudes dem Parlament bzw. dessen Präsidenten zustehe, war in den Verfassungen nicht geregelt und wurde von der herrschenden Meinung negativ beantwortet 6 6 . Das Recht des Parlaments auf selbständige Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten war nicht anerkannt 6 7 . Der Reichstagspräsident war zwar durch das Reichsbeamtengesetz von 1873 zur vorgesetzten und anstellenden Behörde für die Reichstagsbeamten erhoben worden 6 8 ; nach dem i n der Geschäftsordnung zum Ausdruck gebrachten Willen des Reichstages sollte er aber auch über die Einstellung und Entlassung des sonstigen Dienstpersonals entscheiden 69 . Die Reichsregierung trat dem entgegen und stellte sich auf den Standpunkt, der Reichstag bzw. der Reichstagspräsident sei nicht befugt, Verträge über Angelegenheiten der Reichstagsverwaltung abzuschließen und könne deshalb auch nicht sein eigenes nicht-beamtetes Personal anstellen 70 . Sie konnte sich dafür auf eine Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts stützen, nach der die Ver64 A r t . 78 Abs. 1 Satz 1 der preußischen Verfassung von 1850; A r t . 27 Satz 1 der Reichsverfassung von 1871. 65 A r t . 84 Abs. 2—4 der preußischen Verfassung von 1850; A r t . 31 der Reichsverfassung von 1871. 66 So M a x Seydel: Der deutsche Reichstag, i n : A n n D R Jg. 1880 S. 411 A n m . 3; K u r t Pereis, aaO (Anm. 12), S. 102; L u d w i g Dambitsch: Die V e r fassung des Deutschen Reichs, 1910, S. 464; Gerhard Anschütz, i n : M e y e r / Anschütz, aaO (Anm. 60), S. 514 A n m . b; Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 213 f; Hermann F. Schmid: Parlamentarische Disziplin, i n : AöR Bd. 32 (1914) S. 570 ff ; a. A. Eduard Hubrich: Die parlamentarische Redefreiheit u n d Disciplin, 1899, S. 439 ff, i h m folgend Ernst M ü l l e r - M e i n i n g e n : Z u r I m munität der Reichstagsabgeordneten, in: A n n D R Jg. 1906 S. 655 ff u n d J ü r gen von Heyden Graf von Cartlow: Die parlamentarische Polizeigewalt i m Preußischen Landtag u n d i m Reichstag, Diss. Greifswald 1913, S. 16 ff. 67 Vgl. hierzu die Darstellung über die Reichstagsverwaltung u n d i h r V e r hältnis zu den Gerichten u n d Reichsverwaltungsbehörden bei Julius H a t schek, aaO (Anm. 12), S. 248 ff. 68 Das w a r gesetzlich geregelt seit der nach ihrem Urheber benannten „ l e x Forckenbeck", d. i. der § 156 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten v o m 31. März 1873 (RGBl. S. 61): „(1) Die Reichstags-Beamten haben die Rechte u n d Pflichten der Reichsbeamten. (2) Die Anstellung der Reichstags-Beamten erfolgt durch den ReichstagsPräsidenten, welcher die vorgesetzte Behörde derselben bildet." 69 § 14 der Geschäftsordnung f ü r den Reichstag (abgedruckt bei K u r t Pereis, aaO (Anm. 12), S. 114): „Der Präsident beschließt über die Annahme u n d Entlassung des f ü r den Reichstag erforderlichen Verwaltungs- und Dienstpersonals, sowie über die Ausgaben zur Deckung der Bedürfnisse des Reichstages innerhalb des gesetzlich festzustellenden Voranschlages." 70 Vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 264 f.
2. Kap. : Historische Grundlagen
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tretung des Reichsfiskus i n Angelegenheiten des Reichstages allein dem Reichskanzler und i n dessen Vertretung dem Reichsamt des Innern zustehe 71 . I n Preußen schrieben die Geschäftsordnungen der Kammern ebenfalls vor, daß die Präsidenten über die Annahme und Entlassung des erforderlichen Verwaltungs- und Dienstpersonals entscheiden sollten 7 2 . Für ihre Befugnisse i n den Angelegenheiten der Beamten der Kammern fehlte jedoch eine der „lex Forckenbeck" entsprechende gesetzliche Bestimmung. Für die Kammer der Abgeordneten ging man aber davon aus, daß das königliche Ernennungsrecht durch einen Etatvermerk, nach dem die Anstellung aller Beamten und Dietarien dem Präsidenten des Hauses zustehe, auf diesen delegiert sei 73 . Nach der Auffassung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts gehörte die Vertretung des preußischen Fiskus i n Angelegenheiten der beiden Häuser des preußischen Landtages zum Geschäftskreis des Ministers des Innern, und da sie nicht ausdrücklich anderen Ministern oder Behörden überwiesen sei, sei dieser zur Vertretung gegenüber den Behörden, Gerichten und Privatpersonen zuständig 74 . 4. Besonders bedeutsam für das Institut der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie ist auch der Grundsatz des Schutzes politischer Minderheiten innerhalb des Parlaments, der sich bereits zur Zeit des Konstitutionalismus, damals auf der Ebene parlamentsinterner, häufig auch gänzlich formloser Regelungen entwickelte. Er hat, wie noch zu zeigen sein wird, i m System des Grundgesetzes Verfassungsrang erlangt und setzt deshalb der freien Entscheidungsbefugnis des Parlaments i n seinen Geschäftsordnungsangelegenheiten rechtliche Grenzen. Als organisatorisches Instrument zum Zwecke angemessener Beteiligung der i m Parlament vertretenen politischen Richtungen an dessen Arbeiten entstand der Ältestenrat, häufig als Seniorenkonvent bezeichnet 7 5 . I m Reich und i n Preußen stand er außerhalb des geschriebenen Parlamentsrechts 76 , i n einigen deutschen Ländern war für ihn bereits 71 Vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 263 und U r t e i l des Preußischen Oberverwaltungsgerichts v o m 6. Dezember 1907, OVGE Bd. 51 S. 125 ff. 72 Vgl. § 12 der Geschäfts-Ordnung für das Haus der Abgeordneten v o m 16. M a i 1876 (Rauchhaupt, S. 402) u n d § 7 der Geschäfts-Ordnung für das Herrenhaus (Rauchhaupt, S. 386). 73 Vgl. dazu Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 251 u n d August Plate, aaO (Anm. 10), S. 44. 74 U r t e i l des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. J u n i 1907, OVGE Bd. 51 S. 122 ff. 75 Z u r Entstehung des Seniorenkonvents des Reichstages vgl. Julius H a t schek, aaO (Anm. 12), S. 175 ff; f ü r das preußische Abgeordnetenhaus August Plate, aaO (Anm. 10), S. 229; für die württembergische Zweite K a m m e r A d o l f Gröber, aaO (Anm. 16), S. 444. 76 F ü r den Reichstag vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 192 u n d K u r t Pereis, aaO (Anm. 12), S. 32; f ü r das preußische Abgeordnetenhaus vgl. August Plate, aaO (Anm. 10), S. 229.
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1. Teil: Grundlagen
i n den kodifizierten Geschäftsordnungen eine ausdrückliche Regelung getroffen 77 . Er stellte ein Gremium von Vertrauensmännern dar, die von den Fraktionen, damals noch Mitgliedervereinigungen genannt, i n dieses Gremium entsandt wurden, i m Reichstag zunächst nur je ein Vertreter für jede Fraktion, später mehrere proportional zu deren Mitgliederzahl 7 8 . Gegen Ende der Kaiserzeit tagte der Ältestenrat i m Reich und i n den meisten Ländern auf Einladung und unter Vorsitz des Präsidenten 79 . Das darf als ein Zeichen dafür angesehen werden, daß der Ältestenrat als ein Organ des Parlaments Anerkennung gefunden hatte. I m Reichstag entstand diese enge Verbindung zum Präsidium des Hauses erst, nachdem der Ältestenrat geraume Zeit bestanden hatte 8 0 ; i m preußischen Abgeordnetenhaus kam es erst am Anfang dieses Jahrhunderts dazu, daß der Präsident dem Seniorenkonvent regelmäßig vorsaß 81 . Zu den Aufgaben des Ältestenrates gehörte es vor allem, und das war von ausschlaggebender Bedeutung für den Schutz der Minderheiten, Vereinbarungen über die proportionale Beteiligung der Fraktionen an der Besetzung der Organe des Parlaments (Präsidium, Schriftführer, Ausschußvorsitzende, Ausschüsse) zu treffen 82 , um auf diese Weise alle 77 So i n Württemberg: § 15 der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r v o m 12. August 1909 (Rauchhaupt, S. 699). I n Baden: § 15 der Geschäftsordnung für die zweite K a m m e r der L a n d stände vom 16. J u l i 1912 (Rauchhaupt, S. 92 f). I n Hessen: A r t . 36 des Gesetzes, die landständische Geschäftsordnung betreffend, v o m 23. März 1914 (Rauchhaupt, S. 289). I n Elsaß-Lothringen: § 16 der Geschäftsordnung f ü r die Zweite K a m m e r v o m 22. Dezember 1911 (Rauchhaupt, S. 750). I n Anhalt: §§ 27, 28 des Gesetzes, betreffend die E i n f ü h r u n g einer neuen Geschäftsordnung f ü r den Landtag, vorn 16. A p r i l 1914 (Rauchhaupt, S. 52 f). 78 Vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 180. 79 So i m Reichstag, vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 177 f u n d i n den Ländern Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen u n d A n h a l t gemäß den i n A n m . 77 angeführten Vorschriften. 80 Vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 175 ff. 81 Vgl. August Plate, aaO (Anm. 10), S. 230. 82 F ü r den Reichstag vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 185 ff u n d K u r t Pereis, aaO (Anm. 12), S. 22 A n m . 110 m i t weiteren Nachweisen von L i t e r a t u r u n d Praxis. F ü r das Preußische Abgeordnetenhaus vgl. August Plate, aaO (Anm. 10), S. 94 Ziff. 29, S. 229 f. Ausdrücklich vorgeschrieben w a r die Beteiligung des Ältestenrates bei der proportionalen Verteilung der Stellen: I n Württemberg: §§ 14, 15 der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r v o m 12. August 1909 (Rauchhaupt, S. 699) für die Schriftführer, die Ausschußmitglieder, die Ausschußvorsitzenden und ihre Stellvertreter; vgl. dazu auch A d o l f Gröber, aaO (Anm. 16), S. 441 ff. I n Baden: §§ 15, 16 der Geschäftsordnung für die zweite K a m m e r der Landstände v o m 16. J u l i 1912 (Rauchhaupt, S. 92 f) für die Ausschußmitglieder, die Ausschußvorsitzenden und ihre Stellvertreter. I n Anhalt: § 28 des Gesetzes, betreffend die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag v o m 16. A p r i l 1914 (Rauchhaupt, S. 53) für die Besetzung der Ausschüsse.
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i o i s c h e Grundlagen
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Fraktionen an den Arbeiten des Parlaments zu beteiligen. Der Ältestenrat hatte ferner für eine Verständigung zwischen den Fraktionen über die Behandlung der vom Parlament zu erledigenden Geschäfte zu sorgen 83 . Zu diesem Zwecke waren i h m — allerdings unter dem Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung des Plenums 8 4 — die Aufstellung des Arbeitsplanes, der Tages- und Redeordnung, aber auch ein Einfluß auf die Gestaltung der Rednerliste überlassen 85 . Indem die Fraktionen nach dem Verhältnis ihrer Stärke bei der Stellenbesetzung innerhalb des Parlaments berücksichtigt wurden 8 6 und Vertreter i n den Ältestenrat entsenden durften, fanden sie als Teile des Parlaments Anerkennung. I m Reichstag bildeten sich schließlich förmliche Voraussetzungen für das Recht von Mitgliedervereinigungen, Vertreter i n den Seniorenkonvent zu entsenden 87 , indem die Mindestzahl einer Mitgliedervereinigung für den Zugang zum Ältestenrat durch Beschluß auf 15 Abgeordnete festgesetzt wurde 8 8 . Das führte auch dazu, daß grundsätzlich nur noch Vereinigungen mit wenigstens 15 Mitgliedern bei der proportionalen Verteilung von Stellen innerhalb des Reichstages Berücksichtigung fanden. I n der Weimarer Zeit wurde die Mindestzahl von 15 Mitgliedern dann auch förmliche Voraussetzung für die Anerkennung einer Vereinigung als Reichstagsfraktion 89 . Dem Schutz der Minderheiten dienten ferner Vorschriften i n den Geschäftsordnungen einiger Parlamente, die den Minderheiten i n den Fachausschüssen das Recht einräumten, eigene Anträge an das Plenum 83 Das schreiben die i n A n m . 77 zitierten Geschäftsordnungsvorschriften ausdrücklich vor. 84 Eine Abweichung von den Vereinbarungen i m Ältestenrat wurde v o m Plenum aber selten beschlossen, w e i l die Fraktionen i n der Regel i n dieses Gremium ihre maßgebenden oder n u r wohlinstruierte Vertreter entsandten; vgl. dazu z. B. K u r t Pereis, aaO (Anm. 12), S. 31. 85 Vgl. dazu Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 185 ff; K u r t Pereis, aaO (Anm. 12), S. 31; August Plate, aaO (Anm. 10), S. 230 f. 86 I n Hessen: A r t . 35 Abs. 1 des Gesetzes, die landständische Geschäftsordnung betreffend, v o m 23. März 1914 (Rauchhaupt, S. 288): „ B e i den W a h len der Präsidenten, der Schriftführer, der Ausschüsse der Zweiten K a m m e r u n d deren Präsidenten u n d Schriftführer sollen die einzelnen Mitgliedervereinigungen der K a m m e r nach dem Verhältnis ihrer Mitgliederzahl beteil i g t u n d hierbei ihre Vorschläge berücksichtigt werden." I n Elsaß-Lothringen: § 15 Abs. 2 der Geschäftsordnung für die zweite K a m m e r des Landtags v o m 22. Dezember 1911 (Rauchhaupt, S. 750): „ B e i den Wahlen zu den Kommissionen sollen die einzelnen Fraktionen der K a m m e r nach dem Verhältnis ihrer Mitgliederzahl beteiligt u n d zu diesem Behufe ihre Vorschläge berücksichtigt werden." 87 Vgl. dazu Julius Hatschek, aaO (Anm. 12), S. 181 ff. 88 Vgl. den Mündlichen Bericht der verstärkten Geschäftsordnungs-Kommission v o m 26. März 1912, Drs. Nr. 341, Sten. Ber. Bd. 289 S. 273 u n d den Beschluß des Reichstages v o m 8. M a i 1912, Sten. Ber. Bd. 285 S. 1750 C. 89 Vgl. § 7 der Geschäftsordnung für den Reichstag v o m 12. Dezember 1922 (RGBl. 1923 I I S. 101).
1. T e i l : Grundlagen
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zu stellen und diese i m schriftlichen Ausschußbericht oder auch durch einen eigenen Berichterstatter vor dem Plenum zu begründen 90 . Die m i t der Ausprägung des Schutzes der Minderheiten verbundene Anerkennung der Fraktionen als Arbeitseinheiten des Parlaments sanktionierte allerdings für bestimmte Fälle eine durch die Gruppenbildung innerhalb der Parlamente seit langem bewirkte gewisse Mediatisierung der Stellung des einzelnen Abgeordneten. Das zeigte sich besonders deutlich an der A r t und Weise der Ausschußbesetzung. Die Fraktionen benannten nun für die nach dem Proporz auf sie entfallenden Ausschußsitze Abgeordnete aus der Zahl ihrer Mitglieder und das Parlament akzeptierte grundsätzlich ihre personellen Vorschläge. Die Abgeordneten wurden dadurch i n den Ausschüssen stärker zu Abgesandten ihrer Fraktionen und konnten i n der Regel auch von diesen nach Belieben abberufen und durch andere Fraktionsmitglieder ersetzt werden. Für die fraktionslosen Abgeordneten, die sogenannten Wilden, war der durch die Anerkennung der Fraktionen bewirkte Verlust an Wirkungsmöglichkeiten besonders einschneidend, denn sie w u r den bei der proportionalen Verteilung der Ausschußsitze unter die Fraktionen nicht mehr berücksichtigt und waren damit von der Ausschußarbeit grundsätzlich ausgeschlossen. Wenn auf den Schutz von Minderheiten innerhalb des Parlaments nicht verzichtet werden soll, läßt sich die mit der Anerkennung der Fraktionen notwendig verbundene Schwächung der Stellung des einzelnen Abgeordneten allerdings nicht umgehen. Denn i m parlamentarischen Geschäftsverfahren können i n vielen Fällen Rechte sinnvollerweise nur Gruppen von Abgeordneten eingeräumt werden, während die Gewährung gleicher oder ähnlicher Positionen an die einzelnen Abgeordneten das Parlament arbeitsunfähig machen müßte. 90
Vgl. dazu: I n Württemberg: § 24 der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r (Rauchhaupt, S. 702 f). I m Großherzogthum Hessen: § 28 Abs. 4 des Gesetzes, die landständische Geschäftsordnung betreffend, v o m 23. März 1914 (Rauchhaupt, S. 287). I n Hamburg: §§ 23, 43, 50 Ziff. 2 der Geschäftsordnung der Bürgerschaft von 23. März 1881 (Rauchhaupt, S. 250 ff). I n Lübeck: §§ 88, 30 der Geschäftsordnung der Bürgerschaft (Rauchhaupt, S. 335, 328). I n Oldenburg: §§ 29, 33 der Geschäftsordnung des Landtags i. d. F. v o m 17. A p r i l 1900 (Rauchhaupt, S. 350 f). I n Reuß j. L.: § 23 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Landtag (Rauchhaupt, S. 444). I n Sachsen-Altenburg: §§ 20, 43 der Landschaftlichen Geschäftsordnung v o m 23. Dezember 1858 (Rauchhaupt, S. 525, 530). I n Sachsen-Coburg-Gotha: §§ 53, 63 der Geschäftsordnung f ü r den L a n d tag v o m 29. März 1908 (Rauchhaupt, S. 551 f). I n Sachsen-Weimar-Eisenach: §§ 59, 61, 66, 71 der Revidirten GeschäftsOrdnung für den Landtag v o m 1. A p r i l 1878 (Rauchhaupt, S. 592 ff).
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i o i s c h e Grundlagen
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§ 3: Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments zur Z e i t der W e i m a r e r Reichsverfassung M i t dem Übergang v o m konstitutionellen zum parlamentarischen S y s t e m f a n d die S e l b s t ä n d i g k e i t u n d U n a b h ä n g i g k e i t des P a r l a m e n t s , besonders auch i n Geschäftsordnungsangelegenheiten, umfassende A n e r k e n n u n g 1 . I n d i e V e r f a s s u n g e n des Deutschen Reiches u n d a l l e r d e u t scher L ä n d e r 2 w u r d e n V o r s c h r i f t e n a u f g e n o m m e n , die die R e g e l u n g der p a r l a m e n t a r i s c h e n Geschäftsordnungsangelegenheiten a l l e i n d e m P a r l a m e n t ü b e r t r u g e n u n d sein Recht z u r W a h l seines P r ä s i d e n t e n u n d dessen S t e l l v e r t r e t e r n , m e i s t auch der S c h r i f t f ü h r e r , a u s d r ü c k l i c h v e r a n k e r t e n 3 . Das S e l b s t v e r s a m m l u n g s r e c h t des P a r l a m e n t s w u r d e i m Reich u n d i n a l l e n L ä n d e r n verfassungsgesetzlich g a r a n t i e r t 4 . E i n g r o ßer T e i l der L a n d e s v e r f a s s u n g e n sah u n t e r der V o r a u s s e t z u n g e r s c h w e r t e r Beschlußfassung auch e i n Selbstauflösungsrecht des L a n d tags v o r 5 . Das S e l b s t v e r w a l t u n g s r e c h t des P a r l a m e n t s w a r i n v o l l e m U m f a n g a n e r k a n n t u n d — außer i n Baden, Hessen u n d L ü b e c k — z u 1
Z u m Parlamentsrecht der Weimarer Zeit vgl. K u r t Pereis : Geschäftsgang u n d Geschäftsformen; ders.: Geschäftsgang, Geschäftsformen, Rechtsstellung der Mitglieder, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449 f f u n d S. 642 ff. 2 Die Verfassungen sind abgedruckt i n : Otto Ruthenberg: Verfassungsgesetze des Deutschen Reichs u n d der deutschen Länder, 1926; die Geschäftsordnungen i n : O. Th. L. Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928. 3 Vgl. A r t . 26 der Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919 (WRV); A r t . 18 u n d A r t . 29 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Preußen v o m 30. November 1920 (PrV); § 28 der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern v o m 14. August 1919 (BayV); A r t . 10 der Verfassung des Freistaates Sachsen v o m 1. November 1920 (SaV); die §§ 17 u n d 18 der Verfassung Württembergs v o m 25. September 1919 (WürttV); § 39 Abs. 2 des Gesetzes, die badische Verfassung betreffend, v o m 21. März 1919 (BadV); § 18 der Verfassung des Landes Thüringen v o m 11. März 1921 (ThürV); A r t . 26 u n d A r t . 28 der Hessischen Verfassung v o m 12. Dezember 1919 (HessV); A r t . 17 Abs. 1 der Verfassung der Freien u n d Hansestadt Hamburg v o m 7. Januar 1921 (HambV); § 33 der Verfassung des Freistaates Mecklenburg-Schwerin v o m 17. M a i 1920 (M-SchwV); § 57 der Verfassung für den Freistaat Oldenburg v o m 17. J u n i 1919 (OldbV); A r t . 21 der Verfassung des Freistaates Braunschweig v o m 6. Januar 1922 (BraunschwV) ; § 16 der Verfassung für Anhalt v o m 18. J u l i 1919 (AnhV); §§ 23 u n d 34 der Verfassung der freien Hansestadt Bremen v o m 18. M a i 1920 (BreV); A r t . 15 der Verfassung des Landes Lippe v o m 21. Dezember 1920 (LippV); die A r t . 27, 29 u n d 40 der Lübeckischen Landesverfassung v o m 23. M a i 1920 (LübV); § 12 des Landesgrundgesetzes von Mecklenburg-Strelitz v o m 29. Januar 1919/24. M a i 1923 (M-StreV); § 16 der Verfassung des Freistaates Schaumburg-Lippe vom 24. Februar 1922 (Sch-LippV). 4 W R V A r t . 24; P r V A r t . 17; B a y V § 30; SaV A r t . 8; W ü r t t V § 15; BadV § 45; T h ü r V § 13; HessV A r t . 23; H a m b V A r t . 22; M - S c h w V §§ 31, 32; OldbV § 54; BraunschwV A r t . 20; A n h V § 10; BreV § 25; L i p p V A r t . 8; L ü b V A r t . 30; M - S t r e V § 11; Sch-LippV § 8. 5 P r V A r t . 14; B a y V § 31; SaV A r t . 9; T h ü r V § 16; H a m b V A r t . 14; M - S c h w V § 30 Abs. 2; OldbV § 55; BraunschwV A r t . 24; BreV § 17; M - S t r e V §21.
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1. T e i l : Grundlagen
dem ausdrücklich i n den Verfassungen verankert, wenn auch i n unterschiedlichem Umfang und m i t verschiedenen Formulierungen 6 . Der A r t . 20 der preußischen Verfassung übertrug dem Präsidenten des Landtages ausdrücklich und i n umfassender Weise alle diejenigen Befugnisse, die zur Sicherung der Autonomie des Parlaments als Verfassungsorgan allgemein für unentbehrlich gehalten und dem Parlamentspräsidenten auch dort zugestanden wurden, wo eine derartige ausdrückliche Regelung fehlte 7 : „Der Präsident verwaltet die gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten des Landtags nach Maßgabe des Staatshaushaltsgesetzes m i t den Befugnissen eines Staatsministers. I h m steht die Dienstaufsicht über sämtliche Beamten und Angestellten des Landtags, die Annahme und Entlassung der Lohnangestellten sowie i m Benehmen m i t dem Vorstande des Landtags die Ernennung und Entlassung der planmäßigen Beamten des Landtags zu. Er vertritt den Staat i n allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung. Er übt das Hausrecht und die Polizeigewalt i m Landtagsgebäude aus." Obwohl die beiden zuletzt genannten Rechte nur i m Reich, i n Preußen und i n einigen anderen Ländern ausdrücklich i n den Verfassungen garantiert waren, wurden sie dem Parlamentspräsidenten überall zugebilligt 8 . Das Recht der Wahlprüfung war unterschiedlich geregelt. I m Reich und i n einigen Ländern bestanden zur Entscheidung über Wahlprüfungssachen besondere Gerichte 9 , i n Bayern und Schaumburg-Lippe war der Landtag selbst zuständig, konnte aber die Aufgabe einem Wahlprüfungsgericht übertragen 10 . I n anderen Ländern erfolgte die Prüfung durch ein Wahlprüfungsgericht auf Antrag einer Parlamentsminderheit 1 1 , i n wieder anderen entschied das Parlament allein über 6 W R V A r t . 28 Satz 2; P r V A r t . 20; B a y V § 29; SaV A r t . 12 Abs. 2; W ü r t t V § 25; T h ü r V § 19; H a m b V A r t . 17 Abs. 2; M - S c h w V § 34; OldbV § 59 Abs. 1; BraunschwV A r t . 22; A n h V § 17; BreV § 30 Abs. 2; L i p p V A r t . 16; M - S t r e V § 14 Satz 2—3; Sch-LippV § 17. 7 Vgl. dazu K u r t Pereis, aaO (Anm. 1), S. 644. 8 So i n W R V A r t . 28 Satz 1; P r V A r t . 20 Satz 4; SaV A r t . 12 Abs. 1; T h ü r V § 19 Satz 2; H a m b V A r t . 17 Abs. 2 Satz 1; M - S c h w V § 34 Satz 2; BraunschwV A r t . 22 Abs. 3 Satz 2; M - S t r e V § 14 Satz 1 (nur f ü r das Hausrecht). 9 I n Württemberg u n d Hessen entschieden die Staatsgerichtshöfe über Wahlanfechtungen, w e n n streitig war, ob ein M i t g l i e d des Landtags das Recht der Mitgliedschaft verloren hatte ( W ü r t t V § 14; HessV A r t . 27); i m Reich (WRV A r t . 31), Preußen (PrV A r t . 12), Braunschweig (BraunschwV A r t . 19) u n d L i p p e (LippV A r t . 19) wurde die Wahlprüfung durch besondere bei den Parlamenten gebildete Wahlprüfungsgerichte vorgenommen, die aus Mitgliedern der Parlamente u n d richterlichen Mitgliedern zusammengesetzt waren. 10 Vgl. B a y V § 33 u n d Sch-LippV § 27 Satz 2. 11 Vgl. T h ü r V § 9 Abs. 2 Satz 1; Sch-LippV § 27 Satz 3; A n h V § 26 Abs. 2 Satz 1 auf A n t r a g j e von einem Drittel, einem Fünftel, einem Sechstel der gesetzlichen Z a h l der Abgeordneten.
2. Kap. : Historische Grundlagen
41
die Mitgliedschaft seiner Abgeordneten 12 . Die Indemnität und Immunität der Abgeordneten sowie das Recht des Parlaments, über die I m munitätsaufhebung selbst zu entscheiden, das Zeugnisverweigerungsrecht und das Verbot der Durchsuchung oder Beschlagnahme i n den Räumen des Parlaments ohne Zustimmung seines Präsidenten waren i n der Reichsverfassung für den Reichstag und die Landtage gleichermaßen garantiert 1 3 . I n einige Länderverfassungen wurden solche Vorschriften deshalb gar nicht erst aufgenommen; wo entsprechende Bestimmungen bestanden, büßten sie ihre Bedeutung ein. Von der weitgehenden Einheitlichkeit des Parlamentsrechts der Weimarer Zeit gab es einige beachtenswerte Ausnahmen, die unmittelbar auf den Umfang der Geschäftsordnungsautonomie der Parlamente einwirkten. I m Reich war die Regelung der Beschlußfähigkeit des Parlaments allgemein 14 , i n Hamburg nur i n Fragen der Geschäftsbehandlung 1 5 der Geschäftsordnungsautonomie des Hauses überlassen worden, während sie für die Parlamente aller anderen Länder durch die Verfassungen getroffen war. Einige Landesverfassungen enthielten eingehende Bestimmungen über die geschäftliche Behandlung von Gesetzentwürfen oder über die erforderliche Anzahl ihrer Lesungen 16 . I n Bayern ga12 Vgl. SaV A r t . 7; BadV § 39 Abs. 2 Satz 1; H a m b V A r t . 12; M - S c h w V § 33 Satz 1; OldbV § 56; M - S t r e V § 9. 13 Vgl. W R V A r t . 36 bis 38. 14 W R V A r t . 32 Abs. 2: „Die Beschlußfähigkeit w i r d durch die Geschäftsordnung geregelt." 15 H a m b V A r t . 19 Abs. 2: „Die Beschlußfähigkeit für Anberaumung der Sitzungen, für Feststellung der Tagesordnung u n d der Niederschrift sowie für andere die Geschäftsbehandlung betreffende Fragen w i r d durch die Geschäftsordnung geregelt." 16 I n Bayern: § 28 Abs. 3 der Verfassung: „Über Gesetzentwürfe findet mindestens eine doppelte Lesung i n der Vollversammlung statt." I n Baden: § 49 der Verfassung: „ D i e Annahme eines Gesetzentwurfs sowie die Ablehnung einer Regierungsvorlage k a n n . . . erfolgen, . . . n u r auf G r u n d einer zweimaligen, durch eine Zwischenzeit von mindestens einer, bei V e r fassungsänderungen von mindestens zwei Wochen getrennten Beratung und Abstimmung. V o n diesen Fristen k a n n durch Beschluß des Landtags abgesehen werden, wenn nicht mehr als 15 Abgeordnete widersprechen." § 50 Abs. 2: „ K e i n e wesentliche Änderung einer Regierungsvorlage soll beschlossen werden, ohne daß sie m i t den Vertretern der Regierung i n einem Ausschuß erörtert worden ist." I n Mecklenburg-Schwerin verlangte § 37 Abs. 2 der Verfassung für Gesetzesvorlagen des Staatsministeriums eine dreimalige Beratung u n d Beschlußfassung. I n Lippe u n d Mecklenburg-Strelitz forderten die Verfassungen (LippV A r t . 20 Abs. 1; M - S t r e V § 30) eine dreimalige Lesung aller Gesetze. I n Lübeck enthielt der A r t . 38 der Verfassung eine komplizierte Regelung, die grundsätzlich zwei Lesungen forderte u n d i n verschiedenen Beziehungen einen Vorrang von Senatsvorlagen statuierte. I n Hamburg lautete A r t . 20 der Verfassung: „Anträge des Senats, die er als dringlich bezeichnet, sind vor allen anderen Gegenständen zur Verhandlung zu bringen."
1. Teil: Grundlagen
42
rantierte die Verfassung jedem einzelnen Abgeordneten das Recht, nach Maßgabe der Geschäftsordnung Anträge zu stellen 17 . I n Baden hatte der Landtag als Ganzer das Recht, „die zuständigen Behörden unmittelbar um die Vornahme von Beweiserhebungen, die er für erforderlich hält, zu ersuchen oder solche selbst vorzunehmen". Für diese Beweiserhebungen waren die Vorschriften der Strafprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Jedem Mitglied des Landtages war darüber hinaus die freie Einsicht i n die gesamte Staatsverwaltung nach Maßgabe der Geschäftsordnung des Landtages zugesichert 18 . I n Hessen war der Grundsatz der Diskontinuität ausdrücklich i n der Verfassung verankert 1 9 . Erstmals fanden sich i m deutschen Parlamentsrecht auch Vorschriften mit Verfassungsrang, nach denen i m Parlament vertretene Parteien, Minderheiten oder Gruppen nach dem Verhältnis ihrer Stärke an den Arbeiten oder an der Stellenbesetzung innerhalb des Parlaments zu beteiligen waren. So schrieb die Verfassung i n Bayern vor, die Geschäftsordnung des Landtages habe für die verhältnismäßige Vertretung der Minderheiten i n den Parlamentsausschüssen zu sorgen 20 , und i n Bremen, daß die i n der Bürgerschaft vertretenen Gruppen und Parteien bei der Wahl des Vorstandes des Parlaments nach ihrer Stärke zu berücksichtigen seien 21 .
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Vgl. B a y V § 36. Vgl. BadV § 38. 19 Vgl. HessV A r t . 25. 20 B a y V § 42: „ D i e Geschäftsordnung des Landtages hat dafür zu sorgen, daß i n seinen Ausschüssen die Minderheiten verhältnismäßig vertreten sind." 21 BreV § 23 Abs. 1 Satz 3: „ B e i der W a h l (des Vorstandes) sind die i n der Bürgerschaft vertretenen Gruppen u n d Parteien nach ihrer Stärke zu berücksichtigen." 18
Zweiter
Teil
Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages Erstes
Kapitel
Zur Auslegungsfrage I m Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages durch Art. 40 Abs. 1 garantiert. Diese Vorschrift kann nur ausgelegt werden, wenn auf ihre historischen Vorläufer zurückgegriffen wird. Darauf ist zunächst einzugehen.
§ 4: Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments als geschichtlich geprägtes Rechtsinstitut Inhalt, Umfang und Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages können durch eine Auslegung des Art. 40 Abs. 1 GG, die sich allein am Wortlaut dieser Vorschrift orientiert oder i m Rahmen des Grundgesetzes und dessen Entstehungsgeschichte verbleibt, nicht bestimmt werden. Denn die Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie ist i n das Grundgesetz nicht als neuartige Erscheinung aufgenommen worden, sondern i n herkömmlicher Formulierung und i n überkommener Gestalt als geschichtlich geprägtes Institut des deutschen Verfassungsrechts. Das läßt bereits die Entstehungsgeschichte des Wortlauts erkennen, mit dem die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments i m Grundgesetz garantiert ist. Der historische Ursprung der heutigen Formulierung findet sich i m A r t . 78 Abs. 1 Satz 2 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 18501: 1 Bereits die oktroyierte preußische Verfassung v o m 5. Dezember 1848 enthielt i n A r t . 77 Abs. 1 Satz 2 eine Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie: „Sie (d.h. jede Kammer) regelt ihren Geschäftsgang durch eine Geschäfts-Ordnung u n d e r w ä h l t ihren Präsidenten, ihre Vicepräsidenten u n d Schriftführer."
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages „Sie (d. h. jede Kammer) regelt ihren Geschäftsgang u n d ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung u n d erwählt ihren Präsidenten, ihre Vicepräsidenten u n d Schriftführer."
Dem Vorbild dieser Formulierung folgend lautete die Garantie der Geschäftsordnungsautonomie des Reichstages i m A r t . 27 Satz 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 17. A p r i l 1867 und i m Art. 27 Satz 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. A p r i l 1871: „ E r (d. h. der Reichstag) regelt seinen Geschäftsgang u n d seine Disziplin durch eine Geschäfts-Ordnung u n d e r w ä h l t seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten u n d Schriftführer."
Der Art. 26 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 garantierte die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie mit den Worten: „Der Reichstag w ä h l t seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter u n d seine Schriftführer. E r gibt sich seine Geschäftsordnung."
Die Formulierung des Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland entspricht dem fast wörtlich: „Der Bundestag w ä h l t seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter u n d die Schriftführer. E r gibt sich eine Geschäftsordnung."
Der teils völligen, teils sehr weitgehenden Übereinstimmung des Wortlautes der Vorschrift des Grundgesetzes mit den Formulierungen ihrer historischen Vorläufer entspricht eine Übereinstimmung des rechtlichen Gehaltes der Bestimmungen. Denn als die herkömmliche Formulierung der Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n den Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes aufgenommen wurde, war mit ihr ein ganz bestimmter rechtlicher Inhalt verbunden. Die Formulierung stellte den sprachlichen Ausdruck für die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n der Ausprägung dar, die die Garantie zur Weimarer Zeit erfahren hatte, und die wieder, wie gleich zu zeigen sein wird, von ihren historischen Vorgängern entscheidend bestimmt war. Die mit dem Wortlaut verbundene Bedeutung muß der Formulierung grundsätzlich auch i m Grundgesetz zugemessen werden, da jede Absicht, von der bisher herrschenden Auslegung des Wortlautes abzuweichen, i n der Verfassung hätte zum Ausdruck gebracht werden müssen. Zudem sprechen auch keinerlei Anzeichen dafür, daß eine Veränderung des mit der Formulierung verbundenen rechtlichen Gehaltes beabsichtigt war. Der einzige Unterschied i n der Formulierung des A r t . 26 der Weimarer Reichsverfassung und des Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes — „seine Geschäftsordnung" und „eine Geschäftsordnung" —, der auf eine Veränderung des rechtlichen Gehaltes der Vorschrift des Grundgesetzes hindeuten könnte, ist tatsächlich bedeutungslos. I n dem vom Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee erarbeiteten „Entwurf eines
1. Kap.: Z u r Auslegungsfrage
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Grundgesetzes" w a r e n die B e s t i m m u n g e n des h e u t i g e n A r t . 40 Abs. 1 G G noch i n z w e i verschiedenen A r t i k e l n e n t h a l t e n . B e i d e w i c h e n i n i h r e m W o r t l a u t w e d e r v o n der F o r m u l i e r u n g des A r t . 26 der W e i m a r e r Reichsverfassung noch v o n d e r e n d g ü l t i g e n Fassung des A r t . 40 A b s . 1 G G e r h e b l i c h ab 2 . I n d e m h i e r i n t e r e s s i e r e n d e n P u n k t s t i m m t e n sie m i t der R e g e l u n g der W e i m a r e r V e r f a s s u n g w ö r t l i c h ü b e r e i n . W ä h r e n d der B e r a t u n g des Grundgesetzes i n d e n Ausschüssen des p a r l a m e n t a r i s c h e n Rates wechselte d i e F o r m u l i e r u n g a l l e r d i n g s z w i s c h e n „ s e i n e " u n d „ e i n e " m e h r m a l s . D i e M a t e r i a l i e n z u r E n t s t e h u n g des Grundgesetzes lassen jedoch e r k e n n e n , daß d a m i t k e i n e Ä n d e r u n g des I n h a l t s d e r V o r s c h r i f t v e r b u n d e n sein s o l l t e 3 . U n t e r diesen U m s t ä n d e n k a n n d e m U n t e r s c h i e d i n der F o r m u l i e r u n g gegenüber der W e i m a r e r V e r f a s s u n g auch o b j e k t i v k e i n e rechtliche B e d e u t u n g z u e r k a n n t w e r d e n . 2 Vgl. E n t w u r f eines Grundgesetzes, i n : Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 61 ff : A r t . 50 Abs. 1: „Der Bundestag w ä h l t sein Präsidium, bestehend aus dem Präsidenten, dessen Stellvertretern u n d den Schriftführern." A r t . 52: „Der Bundestag gibt sich seine Geschäftsordung." 3 Der „ K o m b i n i e r t e Ausschuß für die Organisation des Bundes u n d für Verfassungsgerichtshof u n d Rechtspflege" hatte seinen Beratungen den „ E n t w u r f eines Grundgesetzes" des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee zugrunde gelegt (Kurzprotokoll der 1. Sitzung v o m 15. September 1948, S. 2). I n der 2. Sitzung v o m 16. September 1948 w u r d e der A r t . 52 des Entwurfs ohne Änderung — also i n der Fassung „Der Bundestag gibt sich seine Geschäftsordnung" — angenommen (Protokoll, S. 82). I n der Anlage zum K u r z protokoll der 6. Sitzung, die die Zusammenstellung der i n der 1. Lesung verabschiedeten A r t i k e l des Abschnittes I V „Der Bundestag" enthält, lautet die Formulierung des A r t . 52 jedoch: „Der Bundestag gibt sich eine Geschäftsordnung". I n der 11. Sitzung wurde der A r t i k e l i n dieser Fassung angenommen (Protokoll, S. 81). I n der Anlage zum K u r z p r o t o k o l l dieser Sitzung lautet die Formulierung jedoch: „Der Bundestag gibt sich seine Geschäftsordnung". Dies wurde i n der 20. Sitzung v o m 5. November 1948 durch eine Bemerkung des Abg. Dr. Schwalber korrigiert und die Vorschrift als Bestandteil des A r t . 50, i n den der I n h a l t des A r t . 52 inzwischen eingefügt worden war, i n der Fassung: „ E r gibt sich eine Geschäftsordnung" angenommen (Protokoll, S. 24). Die Anlage zum Protokoll dieser Sitzung (Drs. Nr. 265) enthält jedoch die Formulierung: „ E r gibt sich seine Geschäftsordnung". Die Drucksache 267 (Abschnitt I V „Der Bundestag" i n der vom Allgemeinen Redaktionsausschuß i n erster Lesung formulierten Fassung — Stand v o m 10. November 1948) enthält dann die Fassung: „ E r gibt sich eine Geschäftsordnung". Diese Formulierung wurde i n beiden Lesungen des Hauptausschusses (2. Sitzung v o m 11. November 1948, Protokoll, S. 12; 32. Sitzung v o m 7. Januar 1949, Protokoll, S. 392) sowie i n der zweiten u n d dritten Lesung i m Parlamentarischen Rat (9. Sitzung v o m 6. M a i 1949, Sten. Ber. S. 182; 10. Sitzung v o m 8. M a i 1949, Sten. Ber. S. 228) unverändert angenommen. Bei v. Doemming/Füsslein7Matz: Entstehungsgeschichte der A r t i k e l des Grundgesetzes, JöR N. F. Bd. 1 (1951) S. 359, ist diese verwirrende E n t stehungsgeschichte sehr verkürzt wiedergegeben, sodaß nicht zum Ausdruck kommt, w i e bedeutungslos die Veränderung der Formulierung ist. Es ist zudem irritierend, daß dort die Fassung des A r t . 52 des v o m Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee erarbeiteten Entwurfs eines Grundgesetzes i n dem entscheidenden P u n k t falsch wiedergegeben ist (statt „seine" steht dort „eine"; aaO, S. 359).
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2. Teil : Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
Der A r t . 40 Abs 1 GG stellt sich demnach als die Rezeption des Rechtsinstituts der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n der Ausprägung dar, die es zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung erhalten hatte. Für seine Auslegung ist es deshalb unentbehrlich, die Auslegung der entsprechenden Vorschrift der Weimarer Verfassung heranzuziehen. Das geschieht i m folgenden nicht i m Sinne der willensjuristischen subjektiven Methode der Verfassungsinterpretation 4 , weil etwa der Wille des historischen Gesetzgebers, der sich i n der bewußten Übernahme der herkömmlichen Formulierung manifestiert habe, als maßgeblich erachtet wird. Daß das Rechtsinstitut der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie durch den Art. 40 Abs. 1 GG i n seiner überkommenen Gestalt rezipiert worden ist, w i r d vielmehr aus der i m Text des Grundgesetzes verwendeten Formulierung geschlossen, mit der, wie dargelegt wurde, ein bestimmter rechtlicher Gehalt verbunden ist. Auch i n der Weimarer Verfassung stellte das Institut der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie keine neuartige Erscheinung dar. So wie die Formulierung und der m i t ihr verbundene rechtliche Gehalt des A r t . 26 der Weimarer Reichsverfassung i n das Grundgesetz Eingang gefunden hat, so ist i n die Weimarer Verfassung der kaum veränderte Wortlaut des A r t . 27 der Verfassung des Kaiserreichs und damit dessen rechtliche Bedeutung aufgenommen worden. I n den von Hugo Preuss ausgearbeiteten ersten Entwürfen zur Weimarer Verfassung war die Formulierung des A r t . 27 der alten Reichsverfassung sogar noch wörtlich beibehalten worden 5 . Bereits der folgende Entwurf enthielt dann die Formulierung, die schließlich fast wörtlich genau von der Nationalversammlung als Art. 26 der Weimarer Reichsverfassung beschlossen worden war 6 . Den i n i h m enthaltenen Abwei4 „ Z u r Problematik der Verfasungsauslegung" Stellung zu nehmen, ist hier nicht der Raum, erscheint aber i m vorliegenden Zusammenhang auch entbehrlich. Z u den „Prinzipien der Verfassungsinterpretation" vgl. neuerdings Peter Schneider u n d Horst Ehmke, i n : V V D S t R L Heft 20 (1963) S. 1 ff u n d S. 53 ff u n d die bei Peter Schneider, S. 2 A n m . 6 angeführte Literatur. 5 Vgl. die übereinstimmenden Formulierungen des § 39 Abs. 1 des V o r entwurfs zur Verfassung des Deutschen Reichs v o m 3. Januar 1919 u n d des § 45 Abs. 1 des Entwurfs einer Verfassung des Deutschen Reichs v o m 20. Januar 1919 (Heinrich Triepel: Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 5. Aufl., 1931, S. 6 f f u n d S. 10 ff): „Jedes der beiden Häuser regelt seinen Geschäftsgang u n d seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung u n d w ä h l t seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten u n d Schriftführer." 8 Vgl. A r t . 48 des Entwurfs einer Verfassung des Deutschen Reichs v o m 17. Februar 1919 (Heinrich Triepel, aaO, S. 17 ff): „Der Reichstag w ä h l t seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten u n d Schriftführer. Er gibt sich seine Geschäftsordnung." Die Formulierungen der verschiedenen E n t w ü r f e vgl. auch bei L u d w i g Gebhard: Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, A n m . 1 zu A r t . 26, S. 185.
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chungen vom Wortlaut der herkömmlichen Formulierung des Art. 27 der Reichsverfassung von 1871 kam nur redaktionelle Bedeutung zu. Irgendeine Änderung des rechtlichen Gehalts der Verfassungsgarantie war mit ihnen nicht verbunden 7 . Die Vorschrift ist deshalb i n der Weimarer Zeit i n der gleichen Weise ausgelegt worden wie zur Zeit des Kaiserreichs 8 . M i t der Übernahme des Wortlautes der Vorschrift über die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie aus der preußischen Verfassung von 1850 i n den Art. 27 der Reichsverfassung des Kaiserreichs war die Rezeption des rechtlichen Gehalts dieser Vorschrift ebenfalls eindeutig verbunden. Denn für die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Reichstages dienten auch i n diesem Falle die Verfassungsvorschriften über das Preußische Abgeordnetenhaus als Vorbild 9 . Die Bestimmung der Reichsverfassung ist deshalb von Wissenschaft und Staatspraxis nicht anders ausgelegt worden wie diejenige der preußischen Verfassung. Auch konnte der Reichstag die kodifizierte Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses übernehmen, ohne befürchten zu müssen, daß dabei eine Kollision zwischen deren Inhalt und dem Umfang seiner Geschäftsordnungsautonomie eintreten könnte 1 0 . Die aufgezeigten Zusammenhänge zwischen der Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i m Grundgesetz und der i n den Verfassungen Preußens und des Deutschen Reiches erweisen 7 I m Verfassungsausschuß (24. Sitzung v o m 7. A p r i l 1919 u n d 38. Sitzung vom 5. J u n i 1919, i n : Bericht u n d Protokolle des Achten Ausschusses über den E n t w u r f einer Verfassung des Deutschen Reichs, 1920, S. 254 und S. 451) u n d i n der Nationalversammlung (zweite Beratung i n der 46. Sitzung v o m 4. J u l i 1919 u n d dritte Beratung i n der 70. Sitzung v o m 30. J u l i 1919, Sten. Ber. S. 1282 D—1284 C; S. 2106 C) wurde die Vorschrift über die Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie ohne jede Erörterung ihrer rechtlichen Bedeutung angenommen. 8 Geschäftsgang u n d Disziplin als Gegenstand der Regelung sind zwar i n der neuen Fassung nicht mehr genannt worden. Das ist aber nicht als Änderung des Inhalts der Vorschrift sondern i m m e r nur als Vereinfachung der Formulierung angesehen worden. I n diesem Sinne ausdrücklich K u r t Haagen: Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung . . . , Diss. B e r l i n 1929, S. 37 u n d speziell f ü r die Frage der Disziplin Reinhart Vogler: Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, 1926, S. 2 A n m . 6. 9 Vgl. dazu auch Paul Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 293 m i t A n m . 1, der die historische u n d dogmatische Bedeutung des preußischen Staatsrechts f ü r die Bestimmungen des A b schnitts der Reichsverfassung über den Reichstag hervorhebt, da diese denen der preußischen Verfassung nachgebildet oder ihnen w ö r t l i c h entnommen worden seien. A u f das V o r b i l d der preußischen Verfassung weist auch Gerhard Anschütz hin, vgl. Deutsches Staatsrecht, i n : Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 7. Aufl., Bd. 4, 1914, S. 106. I n die Verfassung des Norddeutschen Bundes w u r d e der A r t . 27 übrigens ohne Diskussion über seine rechtliche Bedeutung aufgenommen, vgl. Holtzendorff/Bezold: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung, Bd. 3, 1873, S. 128. 10 Vgl. dazu K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 1 f.
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
eine durchgängige Kontinuität des Rechtsinstituts seit seiner ersten Aufnahme i n das deutsche Verfassungsrecht. Zur Auslegung des Art. 40 Abs. 1 GG sind deshalb grundsätzlich die wissenschaftlichen Lehrmeinungen und die Staatspraxis heranzuziehen, die sich seither zur Auslegung und Anwendung der Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie gebildet haben. Bei solchem Zurückgreifen auf die geschichtliche Ausprägung des Rechtsinstituts darf allerdings nicht übersehen werden, daß ein Rechtsinstitut i m Rahmen einer anderen verfassungsrechtlichen Gesamtordnung, durch neuen Systemzusammenhang, Veränderungen erfahren kann. Bei der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie verdient das besonders beachtet zu werden, weil die Stellung des Parlaments i m Verfassungsganzen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts entscheidenden Wandlungen unterworfen war. Der Übergang vom konstitutionellen zum parlamentarischen System veränderte sie vor allem gegenüber den anderen Verfassungsorganen. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war die Volksvertretung lediglich dazu berufen gewesen, bei der Ausübung der i n der Person des Monarchen vereinigt gedachten Staatsgewalt mitzuwirken. Seitdem ist ihr eine zentrale Stellung i m Verfassungsgefüge zugewachsen. M i t dem Erlaß des Grundgesetzes trat eine weitere entscheidende Änderung ein. Sie berührt weniger die Position des Parlaments i m Kräftespiel der Verfassungsorgane, bindet es aber an rechtlich fixierte Werte und Ordnungsvorstellungen, von denen einige durch die Verfassung selber für unabänderlich erklärt sind. Hier ist vor allem die durch das Grundgesetz statuierte Bindung des Parlaments an die verfassungsmäßige Ordnung besonders bedeutsam, weil aus ihr ein Wandel der Rechtsstellung innerparlamentarischer Gruppen abzuleiten ist und der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie aus den Rechten der Opposition und dem Schutz politischer Minderheiten neue Grenzen erwachsen. Diesen Grenzen w i r d i m § 9 dieser Arbeit i m einzelnen nachzugehen sein. Der Rückgriff auf die historische Entwicklung der Verfassungsgarantie verhilft ferner zu einer Verdeutlichung des Wortlautes des Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes, die deshalb notwendig erscheint, weil das Wort „Geschäftsordnung" hier zwei Bedeutungen haben kann. Es kann sowohl die Ordnung der Geschäfte, den Gegenstand der Regelung, die parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten bezeichnen wie auch das Gebilde geschriebener Bestimmungen, das Instrument der Regelung, die kodifizierte Geschäftsordnung. I n der ursprünglichen Formulierung zeichnete das Wort „Geschäftsordnung" die kodifizierte Geschäftsordnung. Denn Parlament „regelt seinen Geschäftsgang
der Verfassungsgarantie bedas Instrument der Regelung, die Formulierung lautete, das und seine Disziplin durch eine
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Geschäftsordnung" (Art. 78 der preußischen Verfassung von 1850, Art. 27 der Reichsverfassung von 1871). Die gleiche Bedeutung kommt dem Wort „Geschäftsordnung" auch i n A r t . 40 Abs. 1 des Grundgesetzes zu, da die Verfassungsgarantie, abgesehen von ihrem veränderten Systemzusammenhang, keine Änderung erfahren hat. Die ursprüngliche Formulierung enthielt ferner eine Aussage über die Materie, die kraft der Geschäftsordnungsautonomie geregelt werden konnte, denn Geschäftsgang und Disziplin waren als Regelungsgegenstand ausdrücklich genannt. Seit der i m Art. 26 der Weimarer Verfassung gewählten Formulierung ist zwar diese ausdrückliche Nennung entfallen, die Materie, die das Parlament selbständig zu regeln befugt ist, ist aber des gleichbleibenden Inhalts der Garantie wegen die gleiche geblieben 11 . Dementsprechend ist die Vorschrift des A r t i k e l 40 Abs. 1 des Grundgesetzes folgendermaßen zu lesen: Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich zur Regelung der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten (Geschäftsgang und Disziplin) eine kodifizierte Geschäftsordnung.
11 So auch Reinhart Vogler, aaO (Anm. 8), S. 2 A n m . 6 u n d K u r t Haagen, aaO (Anm. 8), S. 37.
4 Arndt
Zweites
Kapitel
Inhalt und Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie § 5: Der Artikel 40 Abs. 1 GG als Kompetenzregelung Der Inhalt des A r t . 40 Abs. 1 GG, das Wesentliche seines normativen Gehaltes, läßt sich, wie i m vorigen Kapitel gezeigt worden ist, nur ermitteln, wenn die Gründe aufgedeckt werden, die ursprünglich — zur Zeit des Konstitutionalismus — dazu geführt haben, die Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n Verfassungsgesetze aufzunehmen, welcher rechtliche Zweck damit verfolgt wurde und welche Auslegung die Verfassungsgarantie damals und seitdem erfahren hat. Für den Inhalt der Garantie ist es von bezeichnender Bedeutung, daß sie i n Deutschland i n das Verfassungsrecht erst Eingang fand, als dem Parlament i m Verlaufe der Ereignisse von 1848 erstmals ein erhebliches politisches Eigengewicht gegenüber der monarchischen Gewalt zugewachsen war. Dadurch war die Voraussetzung dafür geschaffen, den seit der Zeit des Frühkonstitutionalismus bestehenden Konflikt u m die Frage, ob und i n welchem Umfang das Parlament seine Geschäftsordnungsangelegenheiten selbständig und unabhängig regeln dürfe, i m Sinne des Parlaments zu lösen. Die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie erweist sich bei näherer Betrachtung der besonderen Umstände ihrer Entstehung 1 als die rechtliche Fixierung der Lösung dieses Konfliktes zugunsten des Parlaments. Sie sollte dem Parlament die souveräne Entscheidungsgewalt i n seinen Geschäftsordnungsangelegenheiten sichern und Mitwirkungsrechte anderer Staatsorgane an der Regelung dieser Angelegenheiten ausschließen. Das wurde dadurch erreicht, daß dem Parlament die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten verfassungskräftig zugewiesen wurde. Die Formulierungen der Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n der Paulskirchenverfassung 2 und in den Ver1
Diese Umstände sind i m § 2 dieser A r b e i t ausführlich geschildert. § 116 Satz 1 der Verfasung des Deutschen Reichs v o m 28. März 1849: „Jedes Haus hat das Recht, sich seine Geschäftsordnung selbst zu geben." 2
2. Kap.: I n h a l t und Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie
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fassungsgesetzen einiger kleinerer deutscher Staaten 3 , nach denen dem Parlament das Recht zustehen sollte, sich seine Geschäftsordnung s e 1 b s t zu geben, brachten das deutlich zum Ausdruck. I n der staatsrechtlichen Literatur und i n der praktischen Anwendung herrschte zur Zeit des Konstitutionalismus Übereinstimmung i n der Erkenntnis dieses rechtlichen Gehalts der Vorschrift. Das galt auch für diejenigen Verfassungen, i n denen der Zweck der Garantie nicht derart deutlich zum Ausdruck gelangt war, wie i n der Paulskirchenverfassung, i n denen vielmehr nur niedergelegt war, daß das Parlament seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung regele, wie z. B. i n den Verfassungen Preußens und des Kaiserreichs. Von den zahlreichen Äußerungen i n der Literatur sollen hier einige repräsentative wiedergegeben werden 4 . Paul Laband formulierte: „ . . . daß weder der Bundesrat noch die Reichsregierung ein M i t w i r kungs- und Einspruchsrecht bei Feststellung der Geschäftsordnung haben, sondern das Belieben des Reichstages allein entscheide" 5 . K u r t Pereis, einer der besten Kenner des Parlamentsrechts seiner Zeit, kennzeichnete die Verfassungsgarantie mit folgenden Worten: „ K e i n anderes Organ hat ein Mitwirkungs- oder auch nur ein Zustimmungsrecht i n Bezug auf die vom Reichstage über sein geschäftliches Verfahren getroffenen Vorschriften" 6 . Die Bestimmung der preußischen Verfassungsurkunde über die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie sollte nach der Meinung L u d w i g von Rönnes jede Kammer berechtigen, ihre Geschäftsordnung „ganz selbständig ohne Konkurrenz des anderen Hauses und ohne Bestätigung von Seiten der Staatsregierung festzustellen" 7 . Hermann Schulze äußerte über den Inhalt der 3 So i n Schwarzburg-Sonderhausen: § 71 des Landesgrundgesetzes v o m 8. J u l i 1859 i. d. F. des Gesetzes v o m 27. Februar 1911 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 478). I n Waldeck: § 60 der Verfassungsurkunde v o m 17. August 1852 (Stoerk/ Rauchhaupt, S. 488). I n Reuß ä. L.: § 79 der Verfassung v o m 28. März 1867 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 301). I n Lippe: § 6 des Gesetzes, die Zusammensetzung des Landtages u n d die Ausübung der Rechte desselben betreffend v o m 3. J u n i 1876 (Stoerk/Rauchhaupt, S. 210). 4 Vgl. außerdem z.B. M a x Seydel: Der deutsche Reichstag, i n : A n n D R Jg. 1880 S. 408, der von den Vorschriften der Geschäftsordnung sagte, daß sie der Reichstag „aus seiner Machtvollkommenheit festsetzt"; K a r l Freiherr von Stengel: Das Staatsrecht des Königreichs Preußen, 1894, S. 82: „Jede K a m m e r hat das Recht, ihren Geschäftsgang u n d ihre Disziplin . . . durch eine der Bestätigung der Regierung nicht unterliegende Geschäftsordnung zu regeln." 5 Paul Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 344. 6 K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 2. 7 L u d w i g von Rönne: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 4. Aufl., Bd. 1 Abt. 1, 1881, S. 325 f. 4*
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
preußischen Regelung, die Geschäftsordnung bedürfe nicht wie ein Gesetz der Zustimmung der Krone und des anderen Hauses8. Mehrere Vorgänge i m Reichstag lassen die Übereinstimmung der i n der Staatspraxis vertretenen Ansichten über die Stellung des Reichstages bei der Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten und den Inhalt der durch A r t . 27 RV verbürgten Geschäftsordnungsautonomie mit der Auffassung der Doktrin erkennen. 1. Unter dem 12. Februar 1879 hatte der Reichskanzler dem Reichstage den vom Bundesrat beschlossenen Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Strafgewalt des Reichstags über seine Mitglieder, m i t einer ausführlichen Begründung und einer Reihe von Materialien vorgelegt 9 . Dieser Vorlage war ein vom Reichskanzler dem Bundesrat zugeleiteter Entwurf vorausgegangen, der, nachdem sein Inhalt i n die Öffentlichkeit gelangt und auf entschiedenen Widerstand gestoßen war, bereits i m Bundesrat erhebliche Modifikationen erfahren hatte 1 0 . Der Gesetzentwurf, der dem Reichstag schließlich vorgelegt worden war und i n der Öffentlichkeit als „Maulkorbgesetz" bezeichnet wurde, sah vor, daß dem Parlament eine Strafgewalt gegen seine Mitglieder wegen einer bei Ausübung ihres Berufes begangenen „Ungebühr" zustehen und von einer Kommission ausgeübt werden sollte, der der Reichstagspräsident, die beiden Vizepräsidenten und zehn vom Reichstag für die Dauer jeder Session gewählte Reichstagsmitglieder angehören sollten. Als Mittel, eine Ungebühr zu ahnden, war neben dem Verweis und der Verpflichtung zur Entschuldigung oder Widerruf vor versammeltem Hause als schärfstes M i t t e l der Ausschluß eines Abgeordneten auf bestimmte Zeitdauer, auch bis zum Ende der Legislaturperiode vorgesehen. Es sollte ferner die Möglichkeit geschaffen werden, bestimmte Äußerungen von Abgeordneten, Teile ihrer Reden oder die ganze Rede von der Aufnahme i n den Stenographischen Bericht auszuschließen; damit sollte dann ein Verbot der Veröffentlichung dieser Äußerungen durch die Presse verbunden sein 11 . I n der dem Entwurf beigegebenen Begründung war dargelegt worden, daß der Entwurf, „wenn er den Gegenstand i m Zusammenhang 8 Hermann Schulze: Das preußische Staatsrecht auf der Grundlage des deutschen Staatsrechts dargestellt, Bd. 2, 1877, S. 182. 9 Drs. Nr. 15, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 4 S. 326—339. Der Gesetze n t w u r f selber ist auch abgedruckt bei R. Schleiden: Die Disciplinar- u n d Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen über ihre Mitglieder, Heft 1, 1879, S. 77 ff. 10 Vgl. dazu die Ausführungen des Staatssekretärs i m Reichsjustizamt, Friedberg, i n der 14. Sitzung des Reichstags vom 4. März 1879, (IV. W a h l periode, 2. Session) Bd. 1 S. 248. 11 Vorwiegend diesen P u n k t der Vorlage behandelt Rudolf Heinze: Die Straflosigkeit parlamentarischer Rechtsverletzungen u n d die Aufgabe der Reichsgesetzgebung, 1879.
2. Kap.: I n h a l t und Bedeutung der Geschäftsordnungsautonmie
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erschöpfend regeln wollte, es nicht vermeiden (konnte), auch solche Bestimmungen aufzunehmen, welche an sich von dem Reichstag i m Wege der Geschäftsordnung hätten getroffen v/erden können". Unmittelbar daran anschließend hieß es: „Die Bestimmungen der Vorlage enthalten somit eine theilweise Abänderung des Art. 27 der Reichsverfassung." 12 Zu Beginn der ersten Beratung des Gesetzentwurfs i m Reichstage berichtete der Staatssekretär i m Reichsjustizamt, Friedberg, die Vorlage sei bereits Gegenstand von Anträgen und Erörterungen i n den gesetzgebenden Körperschaften der Partikularstaaten gewesen, die darauf hinzielten, daß die Vertreter der betreffenden Staaten i m Bundesrat instruiert werden sollten, gegen die Vorlage des Gesetzentwurfs an den Reichstag zu stimmen 1 3 . Bei dieser Haltung i n den Landtagen w i r d die Sorge u m die Bewahrung der Autonomie des Reichsparlaments neben der um die Unabhängigkeit der Abgeordneten ein Beweggrund gewesen sein, zumal die Parlamente der Einzelstaaten von einer Änderung der Rechtslage i m Reichstag schwerlich unberührt bleiben konnten. Vor dem Reichstag betonte der Staatssekretär, daß i n den Fällen, i n denen dem Reichstag die Beseitigung von Mißständen aus eigener Initiative und Autonomie möglich sei, ihm die Initiative zu solcher autonomischen Bestimmung überlassen werden müsse 14 . I n der sich an diese Erklärung anschließenden ersten Beratung wurde der Gesetzentwurf von fast allen Sprechern wegen der m i t i h m verbundenen Verfassungsänderung, die eine Beeinträchtigung der Autonomie des Hauses bedeute, abgelehnt, obwohl nicht verkannt wurde, daß über eine Verschärfung der Disziplin des Hauses durch Einführung strengerer autonomer Regelungen durchaus debattiert werden könne 15 . Besonders deutlich und auch die Konsequenzen für die allgemeine verfassungsrechtliche Stellung des Reichstages klar hervorhebend waren die Ausführungen des Abg. Frhr. von Heereman, die sich an die des Staatssekretärs unmittelbar anschlossen: „Meine Herren, ich freue mich, mit dem Herrn Vorredner dahin mich einverstanden erklärren zu können, daß eine gesetzliche Behandlung dieser Angelegenheit, wie sie durch die Vorlage seitens der Regierung uns gebracht worden, auch von i h m als unzulässig betrachtet w i r d " ; das Recht des Reichstages, sich seine eigenen Angelegenheiten, seine Disziplin und Ordnung 12
Drs.Nr. 15, aaO (Anm. 9), S. 328. 14. Sitzung v o m 4. März 1879, aaO (Anm. 10), S. 248. 14 14. Sitzung v o m 4. März 1879, aaO (Anm. 10), S. 248. 15 Vgl. dazu die Ausführungen der Sprecher i n der 14. u n d 15. Sitzung v o m 4. u n d 5. März 1879, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 1 S. 248 ff u n d S. 279 ff: Frhr. von Heereman (S. 251 u n d 253); Eduard Lasker (S. 266); A l b e r t Hänel (S. 282 f); Heinrich von Treitschke (S. 330); Gustav von Gossler (S. 302); L u d w i g Windthorst (S. 311); Rudolf von Gneist (S. 314); Georg Beseler (S. 320). 13
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
selbst zu geben, sei damit angetastet. „Wenn i n dieser A r t von freier innerer Rechtsstellung das Parlament der Regierung zur Seite steht, so ist es unmöglich, daß i h m die Schranken für seine eigene rechtliche Thätigkeit i m Verfassungsleben durch Gesetz von der Regierung könnten gegeben werden; es kann seine eigenen Schranken, seine eigene Ordnung nur aus sich selbst entwickeln. W i l l man i n anderer Weise, durch Gesetz von oben herab, durch den anderen Faktor der Gesetzgebung i n das Recht des Parlaments eingreifen, so drückt man dadurch die Stellung des Parlaments herab, die Würde des Parlaments bleibt nicht gewahrt, und die freie, selbständige Stellung neben der Regierung w i r d dadurch i n eine untergeordnete Stellung her abgedrückt 16 ." Der Abg. Eduard Lasker schilderte mit beredten Worten den Sinn der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie und die Folgen, die sich einstellen müßten, wenn die Geschäftsbehandlung durch Gesetz festgelegt würde: „Die Autonomie für den Geschäftsbetrieb, die Autonomie i n dem ganzen Umfang, i n welchem die Verfassung sie dem Reichstag beilegt, ist unentbehrlich für den parlamentarischen Beruf. Kein Gesetz wäre i m Stande i n seiner starren Abgeschlossenheit Genüge zu thun den Wechselfällen, wie sie tagtäglich i m Parlament vorkommen. Das ist der hauptsächlichste Grund der Autonomie. Selbst der Geschäftsordnung gegenüber sehen w i r uns i n der Praxis gar nicht selten gezwungen, durch unabweisbare Nothwendigkeit, wenn ein Widerspruch aus dem Hause nicht erhoben wird, von unserm autonomischen Gesetz i n dem einzelnen Fall abzugehen, und wichtige Staatsinteressen, andere wichtige öffentliche Interessen sind häufig hiervon abhängig. Legen w i r irgend einen Theil der Geschäftsordnung gesetzlich nieder, so kann der Reichstag davon nicht dispensiren, auch nicht wenn alle Mitglieder zustimmen. Und wenn ein Zweifel entsteht über die Auslegung der Geschäftsordnung, wenn dieser Theil durch das Gesetz bestimmt ist, so ließe sich eine authentische Deklaration nur bewirken durch Übereinstimmung der Regierung und des Parlaments. Denken Sie sich, daß bei irgendeiner entscheidenden Angelegenheit die Mitglieder des Bundesraths sich erst instruiren lassen müßten, wie der Gegenstand der Geschäftsordnung zu lösen sei, damit w i r zu einer authentischen Interpretation gelangen." „Aber ganz abgesehen von dieser Schwierigkeit: für eine Korporation, i n welcher alles auf die mündliche Verhandlung ankommt, i n welcher zu jeder Zeit Person gegen Person gekämpft wird, ist es nicht möglich, eine solche Unsumme von Vorschriften zu geben, als möglicher Weise Fragen i n Betracht kommen und lediglich aufgeworfen werden, die sofort entschieden werden müssen und häufig die Entscheidung verlangen verschieden nach der äußeren Situation. Jeder Versuch würde 16
aaO, S. 251, 253.
2. Kap.: I n h a l t und Bedeutung der Geschäftsordnungsautoncmie
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vergeblich sein, eine gesetzliche Grundlage zu finden für die Disziplin, wie sie der augenblicklichen Rede gegenüber gehandhabt werden soll. Die Viva vox kann bloß ertragen die viva lex: das lebendige Wort verträgt nur das verkörperte Gesetz i m Präsidenten, nicht aber ein Gesetz, welches schriftlich niedergelegt ist und nicht jeder Zeit seine Erläuterung durch den Präsidenten finden kann 1 7 ." Albert Hänel erklärte, der Gesetzentwurf hebe den Verfassungsartikel über die Autonomie des Reichstages auf und sei nichts anderes, „als eine Verminderung der Befugnisse, als ein Einbruch i n dasjenige verfassungsmäßige Recht, das uns bisher zustand 18 ". Nach diesen Äußerungen in der ersten Beratung wurde der Gesetzentwurf nicht einmal mehr einem Ausschuß überwiesen und bereits i n der nächsten Sitzung i n zweiter Beratung i n allen seinen Teilen abgelehnt 19 , womit seine Behandlung für den Reichstag nach den Vorschriften seiner Geschäftsordnung erledigt war 2 0 . 2. Auch der demReichstag unter dem 15. M a i 1879 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes, betreffend die vorläufige Einführung von Änderungen des Zolltarifs 2 1 , führte dazu, Inhalt und Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie des Reichstages zu erörtern. Der Gesetzentwurf sah vor, daß Eingangszölle mit Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags durch Anordnung des Reichskanzlers vorläufig erhoben werden durften, wenn dem Reichstag ein Gesetzentw u r f vorlag, i n dem vorgesehen war, diese Zölle einzuführen. Der A n trag an den Reichstag, seine Zustimmung zu erteilen, sollte gemäß § 2 des Entwurfs nur einmaliger Beratung und Abstimmung i m Reichstage bedürfen und der Reichstag m i t absoluter Stimmenmehrheit beschließen können, daß die Beratung und Abstimmung über diesen A n trag am gleichen Tage stattfinden solle, an welchem er schriftlich eingebracht worden war. Das entscheidende Problem war bereits i n den Motiven zu dem § 2 des Entwurfs angesprochen: „Die Nothwendigkeit, eine schleunige Entschließung sicher zu stellen, rechtfertigt es, wenn hiermit i n diesem vereinzelten Falle dem Reichstage ausnahmsweise ein Verzicht auf das Recht, seinen Geschäftsgang selbst zu regeln — Art. 27 der Verfassung —, vorgeschlagen w i r d 2 2 . " 17 18 19 20
1868. 21
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aaO, S. 266. aaO, S. 282, 283. 16. Sitzung v o m 7. März 1879, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 1 S. 318. Vgl. § 19 Abs. 6 der Geschäftsordnung f ü r den Reichstag v o m 12. J u n i Drs.Nr. 178, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 5 S. 1384—1386, Drs.Nr. 178, aaO, S. 1386.
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Diesem weiteren Versuch, durch die Gesetzgebung einen Teil der Geschäftsordnung abzuändern, traten gleich i n der ersten Beratung des Entwurfs i m Reichstag verschiedene Mitglieder entgegen. Der A b geordnete von Bennigsen sah darin „eine Veränderung der Verfassung und einen erheblichen Eingriff i n die Gerechtsame des Reichstags" 23 ; der Abg. Windthorst erklärte, der Reichstag dürfe das autonome Recht, sich die Bestimmungen der Geschäftsordnung zu geben, unter keinen Umständen beschränken und an der Verfassungsbestimmung absolut nichts ändern lassen 24 . Der Abg. Braun verwies auf die Stellungnahme der Parteien bei der Beratung des „Maulkorbgesetzes" und erklärte, er wolle den Weg des Gesetzentwurfs nicht betreten, weil er einen Eingriff i n die Autonomie des Reichstages darstelle 25 . Nach diesen Erklärungen i m Reichstag verzichtete die Reichsregierung schon i n der ersten Sitzung der mit der Beratung des Entwurfs betrauten Reichstagskommission auf den § 2 der Vorlage 2 6 . Nachdem die Kommission dementsprechend vorgeschlagen hatte, den § 2 der Vorlage fortfallen zu lassen 27 , unterblieb jede Regelung, die als Eingriff i n die Autonomie des Reichstags hätte angesehen werden können. 3. Als der Reichstag i m Jahre 1894 von der Staatsanwaltschaft ersucht worden war, die Genehmigung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Abg. Liebknecht wegen Majestätsbeleidigung zu erteilen, weil dieser bei einem im Reichstag auf den Kaiser ausgebrachten Hoch sitzengeblieben war, wurde von der Kommission für die Geschäftsordnung beantragt, diese Genehmigung nicht zu erteilen 28 . I n der sich an die mündliche Berichterstattung der Kommission anschließenden Plenardebatte wurde die bei den Beratungen des „Maulkorbgesetzes" i m Jahre 1879 zum Ausdruck gelangte Auffassung des Hauses mehrfach herangezogen und bekräftigt 2 9 . 4. I m Jahre 1906 gaben die Gesetzentwürfe, die dem Reichstag zur Einführung von Diäten für seine Mitglieder vorgelegt wurden, erneut Anlaß, zu der grundsätzlichen Frage der Bedeutung der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie Stellung zu nehmen. Außer der Diätenregelung war vorgesehen, der Vorschrift des Art. 28 der Reichs23
48. Sitzung v o m 19. M a i 1879, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 2 S. 1315. aaO, S. 1317 B. 25 aaO, S. 1318. 26 Vgl. die E r k l ä r u n g des Berichterstatters der 15. Kommission, von Benda, i n der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, 54. Sitzung v o m 24. M a i 1879, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 2 S. 1482 B. 27 Drs.Nr. 209, (IV. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 6 S. 1469—1470. 28 Drs.Nr. 77, ( I X . Wahlperiode, 3. Session) Anl.Bd. 1 S. 282 D. 29 Vgl. 7. Sitzung v o m 15. Dezember 1894, ( I X . Wahlperiode, 3. Session) Bd. 1 S. 137 C—170 C, vor allem die Äußerungen der Abg. Roeren (S. 141) u n d von Bennigsen (S. 150 C). 24
2. Kap. : I n h a l t und Bedeutung der Geschäftsordnungsautoncmie
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Verfassung, die die Beschlußfähigkeit des Reichstages regelte und sie von der Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der M i t glieder abhängig machte, auf dem Wege der Gesetzgebung folgenden Zusatz zu geben: „Beschlußfassungen über den Geschäftsgang sind, soweit sie nicht selbst den Gegenstand der Tagesordnung bilden, von der Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern nicht abhängig 3 0 ." Für diese Änderung sollte zwar der Weg der förmlichen Verfassungsänderung gegangen werden, dennoch wurden gegen die Regelung sogleich bei der ersten Beratung des Entwurfs i m Reichstag Einwände erhoben, w e i l sie die Autonomie des Hauses antaste 31 . Auch die m i t der Beratung des Entwurfs betraute Reichstagskommission empfahl, die vorgesehene Änderung der Verfassung abzulehnen 32 . Der Berichterstatter der Kommission begründete deren Stellungnahme vor dem Reichstag damit, daß die vorgesehene Regelung „gleichsam i n die Geschäftsordnungsfragen des Reichstags eingreife" und den Eindruck mache, „als ob man die Autonomie des Reichstags i n einem wichtigen Punkte einschränken wolle" und ferner Bedenken bestünden, „ i n einem Gebiet, das die Verfassung dem Reichstage zur autonomen Behandlung überlassen habe, ohne zwingende Notwendigkeit eine Änderung zu treffen" 3 3 . Die von der Kommission abgelehnte Änderung des Art. 28 RV unterblieb daraufhin 3 4 . 5. Ein Vorfall aus dem Jahre 1912 kennzeichnet auch eindeutig die Rechtsauffassung der Regierung und des Bundesrates. Damals erklärte der Staatsminister Delbrück als Stellvertreter des Reichskanzlers zu Beginn der Beratungen über eine Geschäftsordnungsänderung: „Meine Herren, ich habe i m Namen der verbündeten Regierungen folgende Erklärung abzugeben: Nach A r t . 27 der Reichsverfassung hat der Reichstag seine Geschäftsordnung allein zu regeln. Dementsprechend verzichten die verbündeten Regierungen darauf, an Ihren Verhandlungen teilzunehmen 35 ." 30 Vgl. die Gesetzentwürfe betreffend die Abänderung der A r t i k e l 28 und 32 der Reichsverfassung u n d die Gewährung einer Entschädigung an die Mitglieder des Reichstags, v o m 20. A p r i l 1906, Drs.Nr. 353 u n d 354, (XI. Wahlperiode, 2. Session) Anl.Bd. 5 S. 3845—3849. 31 Vgl. 88. Sitzung v o m 26. A p r i l 1906, (XI. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 4 S. 2701 C—2730 A, vor allem die Äußerungen der Abg. Singer (S. 2708 ff), Traeger (S. 2721 A/B) u n d Schräder (S. 2725 A—C). 32 Drs.Nr. 403, (X. Wahlperiode, 2. Session) Anl.Bd. 5 S. 4266—4270 (Berichterstatter: Gröber). 33 101. Sitzung v o m 12. M a i 1906, (XI. Wahlperiode, 2. Session) Bd. 4 S.3130 D. 34 Vgl. 101. Sitzung v o m 12. M a i 1906, aaO, S. 3130 B—3164 C u n d 103. Sitzung v o m 15. M a i 1906, S. 3196 A—3210 A. 35 Vgl. 54. Sitzung v o m 3. M a i 1912, ( X I I I . Wahlperiode, 1. Session) Sten.Ber. Bd. 285 S. 1653 D f.
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
Die aufgeführten Beispiele aus der Staatspraxis bestätigen die Auffassung der Doktrin über den Inhalt der Verfassungsgarantie: Dem Parlament die Zuständigkeit zur Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten ausschließlich und allein zuzuweisen und die i m deutschen Staatsrecht damals noch zuweilen üblichen Mitwirkungs-, Einspruchs· und Bestätigungsrechte anderer Staatsorgane auszuschließen. Sie lassen zudem deutlich erkennen, daß das Parlament sorgfältig darauf bedacht war, sein Recht zu selbständiger Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten zu wahren und daß es auf jede drohende Beeinträchtigung dieses Rechts empfindlich reagierte. Über den bisher gekennzeichneten Inhalt der Verfassungsgarantie hinaus zwang der Verfassungsrang der Garantie zu rechtlichen Konsequenzen, die i n der Lehre nicht ausgesprochen, in den Äußerungen der Staatspraxis aber deutlich hervorgehoben sind. Da die Garantie sich als verfassungskräftige ausschließliche Zuständigkeitsregelung darstellt, ist jede Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten in anderer Weise als durch das Parlament selbst nur auf dem Wege der Verfassungsänderung, nur durch die Aufhebung oder Abänderung der Verfassungsgarantie zulässig. Für die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten mußte der Weg der einfachen Gesetzgebung deshalb ausscheiden, weil gerade auf i h m für das Zustandekommen einer Regelung die Zustimmung der Krone und etwaiger anderer an der Gesetzgebung beteiligter Verfassungsorgane erforderlich war 3 6 . I n der Weimarer Verfassung blieb die ursprüngliche Funktion der Verfassungsvorschrift über die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie, dem Parlament die Selbständigkeit und Unabhängigkeit bei der Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten durch ausschließliche verfassungskräftige Kompetenzzuweisung zu garantieren, unverändert erhalten. Allerdings wurde i n der staatsrechtlichen Literatur der Zweck der Bestimmung nicht mehr so deutlich hervorgehoben wie früher. Das ist sicher dadurch verursacht, daß die Selbständigkeit des Parlaments gegenüber den anderen Verfassungsorganen und seine Unabhängigkeit von ihnen als gesicherter Bestandteil der Verfassungsordnung angesehen und deshalb eine besondere Betonung dieser Frage nicht mehr für notwendig erachtet wurde. Auch schien die Regierung, die jetzt grundsätzlich vom Vertrauen des Parlaments abhängig war, keine ernsthafte Gefahr mehr für die Selbständigkeit der Volksvertretung darzustellen. Als Folge dieser Situation wurde i n einigen Kommentaren und Lehrbüchern zur Weimarer Reichsverfassung der ursprüngliche Zweck der Verfassungsbestimmung nicht einmal mehr erwähnt. Selbst K u r t Pereis, der zur Zeit des Kaiserreichs die Sicherung 36 So i m Ergebnis w o h l auch Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 41.
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der Unabhängigkeit des Parlaments gegenüber den anderen Staatsorganen als das Wesentliche der Verfassungsgarantie hervorgehoben hatte, ging auf dieses Ziel der Verfassungsvorschrift i n seiner zur Weimarer Zeit erschienen Abhandlung über den Geschäftsgang und die Geschäftsformen des Reichstages mit keinem Wort mehr ein 3 7 . I m merhin wurde der Inhalt der Verfassungsgarantie von einer ganzen Reihe von Autoren noch deutlich gekennzeichnet 38 . Wenn demnach der Zweck der Verfassungsvorschrift i n der Weimarer Zeit auch an politischem Gewicht verloren hatte und für die Staatsrechtslehre i n den Hintergrund getreten war, so blieb ihr rechtlicher Gehalt dadurch doch unberührt. Da i n das Grundgesetz die Formulierung des Art. 26 der Weimarer Reichsverfassung wörtlich übernommen und damit ihr Inhalt rezipiert wurde, ist auch der Inhalt der Grundgesetzvorschrift darin zu sehen, daß der Bundestag über seine Geschäftsordnungsangelegenheiten selbständig, unabhängig und i n eigener Verantwortung entscheiden soll und andere Verfassungsorgane keine Mitwirkungs-, Einspruchs- oder Bestätigungsrechte bei der Regelung dieser Angelegenheiten haben sollen 39 . Demnach sind zwar durch den Art. 40 Abs. 1 GG Einwirkungsr e c h t e anderer Staatsorgane auf die Entscheidungen des Bundestages i n Geschäftsordnungsangelegenheiten ausgeschlossen, es bleibt aber zu fragen, ob es dem Parlament etwa erlaubt sei, von sich aus anderen Staatsorganen einen Einfluß auf die Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten einzuräumen. Da die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments von Verfassungs wegen mit dem Ziel garantiert ist, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit dieses wichtigen Verfassungsorgans zu wahren, muß davon ausgegangen werden, daß es i h m auch verwehrt ist, sich seiner Rechte freiwillig zu begeben und sich einem Einfluß auszusetzen, den die Verfassung gerade ausschließen will. Dieser Auffassung wurde i n der Praxis des Bundestages gleich am Anfang der ersten Wahlperiode Ausdruck verliehen. Damals war beantragt worden, die Berechnung der Zahl der Ausschußsitze, die den einzelnen Fraktionen entsprechend ihrer Stärke zustehen sollten, einem Büro der Bundesregierung zu übertragen. Diesem Antrag wurde ent37 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 6), 1903, S. 2 u n d ders.: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449 ff. 38 So von Hatschek/Kurtzig: Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 505; Fritz Stier-Somlo: Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, Bd. 1, 1924, S. 594; Hermann Breiholdt: Die A b s t i m m u n g i m Reichstag, i n : AöR N. F. Bd. 10 (1926) S. 292; Reinhart Vogler: Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, 1926, S. 2. 39 I n diesem Sinne besonders deutlich Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 16 zu A r t . 40: „selbständig u n d ohne M i t w i r k u n g anderer Staatsorgane".
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
gegengehalten, daß das Parlament der Regierung nicht den Auftrag erteilen dürfe, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln, sondern diese selbst wahrnehmen müsse. Der Antrag wurde daraufhin abgelehnt und die Berechnung vom Parlament selbst vorgenommen 40 . Unabhängig von Einzelfragen der Auslegung läßt sich der Inhalt der Verfassungsvorschrift über die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie nach dem Ergebnis der bisher angestellten Untersuchung dahin charakterisieren, daß er unverändert seit der ersten Auf nähme der Vorschrift i n das deutsche Verfassungsrecht eine objektive verfassungsrechtliche Garantie der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments bei der Gestaltung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten gegenüber dem rechtlichen Einfluß anderer Staatsorgane darstellt 4 1 .
§ 6: Die Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie, die hier allein behandelt werden soll 1 , kann nur i n engem Zusammenhang mit der Stellung des Parlaments als Verfassungsorgan gesehen werden. Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments erweist sich dann als Bestandteil einer allen Verfassungsorganen grundsätzlich zukommenden Autonomie, als Teil ihres verfassungsrechtlichen Status. Dem seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts gleichbleibenden rechtlichen Gehalt der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie steht ein tiefgreifender Bedeutungswandel gegenüber, den sie i m Gefüge des Verfassungsrechts seither erfahren hat. I n der Zeit des Konstitutionalismus erschien sie als eine der kollegialen Kompetenzen des Parlaments, die i h m zur besseren und unabhängigeren Ausübung seiner politischen Zuständigkeiten durch die Verfassung garantiert oder von der Regierung formlos eingeräumt war. Sie hatte allerdings besondere Bedeutung der prinzipiell gegensätzlichen Stellung von Parlament und monarchischer Gewalt wegen. Dem Parlament mußte deshalb seine Selbständigkeit bei der Regelung der Geschäftsordnungsangelegenheiten zwar besonders erwünscht erscheinen. Die M i t w i r k u n g anderer Verfassungsorgane wurde dabei aber nicht als unvereinbar mit Grundprinzipien des Verfassungssystems angesehen. Das beweist die Tat40 41
11. Sitzung v o m 30. September 1949, Sten.Ber. Bd. 1 S. 207. So i m wesentlichen schon Julius Hatschek, aaO (Anm. 36), S. 6.
1 A u f die politische Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie des P a r laments u n d v o r allem auch des parlamentarischen Geschäftsverfahrens u n d der Geschäftsordnung w i r d hier bewußt nicht eingegangen. Das forderte eine eigene Untersuchung, die sich auch politikwissenschaftlicher Methoden zu bedienen hätte.
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sache, daß i n einer Reihe deutscher Staaten Erlaß, Abänderung und Aufhebung der Geschäftsordnung des Parlaments bis zum Ende des Kaiserreichs nur auf dem Wege der Gesetzgebung erfolgen konnte bzw. von Einspruch oder Bestätigung des Monarchen abhängig war 2 . Erst zur Weimarer Zeit wurde die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie i m System des Verfassungsrechts zum Bestandteil einer allgemeinen und umfassenden Autonomie des Parlaments und damit Ausdruck eines gewandelten Verständnisses seiner Funktionen und seiner Stellung als Verfassungsorgan 3 . Der verfassungsrechtlichen Fixierung dieses eigenständigen Status des Parlaments i n der Weimarer Reichsverfassung war allerdings schon zur Zeit des Konstitutionalismus eine Entwicklung vorausgegangen, i n deren Verlauf die Parlamente die Einräumung autonomer Rechte mit dem Hinweis darauf zu erwirken suchten, daß ihnen auf Grund ihrer Stellung ein solcher Status zukomme. Diesen Bemühungen war damals nur zum Teil Erfolg beschieden. Eine umfassende Autonomie für die Regelung ihrer eigenen inneren Angelegenheiten konnten weder der Reichstag noch die Länderparlamente durchsetzen 4 . Immerhin begannen sich die Grundzüge der Autonomie der Verfassungsorgane schon i n der konstitutionellen Aera, und zwar gerade am Beispiel des Parlaments, auszubilden. Damals stand allein das Parlament i m Brennpunkt des Interesses, weil nur seine Unabhängigkeit gefährdet erschien und der Gesichtspunkt der Gewaltenteilung, der die Unabhängigkeit der Verfassungsorgane voneinander als notwendigen Grundsatz erscheinen läßt, noch sehr i m Hintergrund stand. M i t der Stellung des Parlaments i m Verfassungsgefüge war deshalb damals ein bestimmter Umfang seiner autonomen Befugnisse nicht notwendig verbunden, seine autonomen Rechte konnten noch als Privilegien verstanden werden 5 . Bei der Einräumung der Geschäftsordnungsautonomie an das Parlament hat sicher die Überlegung eine Rolle gespielt, daß die Volksvertretung, die von niemandem in ihren sachlichen Entscheidungen rechtlich abhängig sein sollte, auch i n Geschäftsordnungsangelegenheiten der Selbständigkeit bedürfe. Diese Überlegung mußte schon deshalb nahe liegen, weil die A r t und Weise der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung einer Angelegenheit beträchtlichen Einfluß auf ihre sachliche Erledigung auszuüben vermag. 2
Vgl. oben § 2 Nr. 1, S. 21 ff. Vgl. oben § 3, S.39ff. 4 Vgl. oben § 2 Nr. 3, S. 31 ff. 5 So Julius Hatschek: Allgemeines Staatsrecht auf rechts vergleichender Grundlage, T e i l 1, 1909, S. 89, der allerdings auch noch zur Weimarer Zeit die autonomen Rechte der Volksvertretung i m Abschnitt „ D i e Parlamentsprivilegien" behandelte; vgl. Hatschek/Kurtzig: Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 469 ff. 3
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
I m Ganzen gesehen erschien aber zur Zeit des Konstitutionalismus die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments zwar wünschenswert, u m dessen Unabhängigkeit zu sichern, aber nicht notwendig mit der Rechtsstellung der Volksvertretung als Verfassungsorgan verbunden. Erst langsam begann sich die vor allem von Otto von Gierke und Georg Jellinek vertretene Auffassung 6 durchzusetzen, daß allen Verfassungsorganen eine besondere, grundsätzlich selbständige und unabhängige Stellung zukäme. Diese Lehre von einem besonderen öffentlich-rechtlichen Status der Verfassungsorgane 7 fand erst i n der Weimarer Zeit Anerkennung i m Verfassungsrecht und geht von der Erkenntnis aus, daß die Rechtsstellung unmittelbarer Staatsorgane (Verfassungsorgane) in der Verfassung selbst begründet ist und „Einwirkungsmöglichkeiten eines Verfassungsorgans auf ein anderes nur dann zulässig (sind), wenn sie von der Verfassung selbst vorgesehen sind" 8 . Das Besondere eines Verfassungsorgans ist demnach dadurch gekennzeichnet, daß es grundsätzlich von keinem anderen Organ abhängig und keinem unterstellt ist, daß es außerhalb der verfassungsrechtlich vorgesehenen Möglichkeiten keinem anderen verantwortlich 9 , niemals der Befehlsgewalt eines anderen Verfassungsorgans unterstellt und i n Beziehung auf den Inhalt seiner i h m verfassungsrechtlich eingeräumten Funktionen ganz selbständig gestellt ist 1 0 . Aus einem so verstandenen Status der Verfassungsorgane fließen eine ganze Anzahl einzelner autonomer Rechte mit Verfassungsrang, von denen immer nur ein Teil ausdrücklichen Niederschlag i n den Verfassungsurkunden gefunden hat, die aber unabhängig von solcher ausdrücklichen Regelung gelten. I n diesem Sinne ist heute auch die Ge6 Vgl. Otto v. Gierke: Labands Staatsrecht u n d die deutsche Rechtswissenschaft, 2. Aufl., 1961, S. 46 f; Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 1914, S. 544 ff, besonders S. 548 u n d 556. 7 Vgl. dazu neuerdings Gerhard Leibholz: Der Status des Bundesverfassungsgerichts, i n : JöR N.F. Bd. 6 (1957) S. 109 ff, sowie die Bemerkung von Ernst Rudolf Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 1953, S. 86 u n d — vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstellung der Mitglieder k o l legialer Verfassungsorgane — A r n o l d Köttgen: Abgeordnete und Minister als Statusinhaber, i n : Forschungen u n d Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 195 ff. 8 Bemerkungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem Rechtsgutachten von Richard Thoma, i n : Der Status des Bundesverfassungsgerichts, i n : JöR N.F. Bd. 6 (1957) S. 203, u n d ebenso Gerhard Leibholz, aaO, S. 113. 9 So Otto von Gierke, aaO (Anm. 6), S. 46. 10 Georg Jellinek, aaO (Anm. 6), S. 548. Vgl. dazu auch BVerfGE Bd. 9 S. 281 f, wo die selbständige, verantwortliche Entscheidungsgewalt der V e r fassungsorgane (dort der Regierung) als zwingendes Gebot der demokratischen, rechtsstaatlichen Verfassung angesehen w i r d . Indes ist das Postulat w o h l besser auf das i m Grundgesetz verwirklichte System der Gewaltenteilung zu stützen; vgl. dazu auch K a r l Josef Partsch i n der A n m e r k u n g zu diesem Urteil, i n : JZ 1960 S. 23 f.
2. Kap. : I n h a l t und Bedeutung der Geschäftsordnungsautonmie
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schäftsordnungsautonomie der Verfassungsorgane als Bestandteil ihres Status anzusehen 11 , die auch dann bestünde, wäre sie nicht ausdrücklich i n der Verfassung garantiert. Lediglich Beschränkungen dieser Autonomie, wie das für die Geschäftsordnung der Bundesregierung vorgesehene Genehmigungsrecht des Bundespräsidenten (Art. 65 des Grundgesetzes), bedürfen ausdrücklicher verfassungsgesetzlicher Regelung. Die Auffassung, es verstehe sich von selbst, daß das Parlament sich seine Geschäftsordnung selbst geben dürfe, wurde auch während der Beratungen des Grundgesetzes i m Organisationsausschuß des Parlamentarischen Rates vertreten und deshalb der Antrag gestellt, die betreffende Vorschrift zu streichen, weil sie überflüssig sei 12 . Die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie, deren Inhalt als verfassungsrechtliche Garantie der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments i n Geschäftsordnungsangelegenheiten gegenüber dem rechtlichen Einfluß anderer Staatsorgane gekennzeichnet wurde, ist demnach als Bestandteil der autonomen Rechtsstellung zu verstehen, die i n einem gewaltenteilenden Verfassungssystem grundsätzlich allen Verfassungsorganen zukommt, und die sicherstellen soll, daß die die einzelnen Gewalten verkörpernden Verfassungsorgane selbständig, unabhängig und i n eigener Verantwortung ihre Funktion erfüllen können.
11 So Bericht des Berichterstatters an das Plenum des Bundesverfassungsgerichts zur „Status"-Frage, i n : Der Status des Bundesverfassungsgerichts, aaO (Anm. 7), S. 135. 12 A n t r a g des Abgeordneten Dr. Dehler i n der 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses für die Organisation des Bundes u n d für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege v o m 24. September 1948, Protokoll S. 50.
Drittes
Kapitel
Der Umfang der Geschäftsordnungsautonomie § 7: Der Gegenstand der Regelungsbefugnis Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments erstreckt sich nur auf die Regelung seiner Geschäftsordnungsahgelegenheiten. Die Befugnis des Parlaments zu autonomer Regelung ist demnach ihrem Umfang nach auf eine bestimmte Materie beschränkt. I n A r t . 78 Abs. 1 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat von 1850 und i n A r t . 27 der Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich von 1871 war diese Materie noch ausdrücklich benannt: Geschäftsgang und Disziplin. I n A r t . 40 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Gegenstand, den das Parlament kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie zu regeln befugt ist, i n dem Begriff „Geschäftsordnung" implicite enthalten 1 . Der Bundestag darf deshalb auf Grund des A r t . 40 Abs. 1 des Grundgesetzes nur solche Anordnungen treffen, die dem konkreten Zweck „Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten" dienen 2 . Eine nähere inhaltliche Bestimmung der kraft Geschäftsordnungsautonomie regelungsfähigen Materie muß deshalb aus dem Begriff der Geschäftsordnungsangelegenheiten selber hergeleitet werden. 1. Als Gegenstand der autonomen Regelung kommen demnach einmal solche Angelegenheiten i n Betracht, die den Geschäftsgang betreffen, die Ordnung des Verfahrens, i n dem das Parlament seine Geschäfte behandelt 3 . Es kann sich immer nur um die A r t und Weise, um das Ob, Wann und Wie der Erledigung handeln, um die Formen der Beratung und u m die Vorbereitung der Entscheidungen des Parlaments 1
Vgl. die Ausführungen oben S. 48 f. Vgl. dazu auch Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 17 zu A r t . 40; Hans Nawiasky: Die Verpflichtung der Regierung durch Beschlüsse des Landtags nach bayerischem Verfassungsrecht, i n : Staat u n d Bürger, Festschrift f ü r W i l l i b a l t Apelt, 1958, S. 141, 143; Reinhart Vogler: Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, 1926, S. 5; M a x von Seydel: Commentar zur Verfassungs-Urkunde f ü r das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1892, S.192. 3 Vgl. B V e r f G E Bd. 1 S. 148 u n d Theodor Maunz, aaO. So auch schon Meyer/Anschütz: Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 512 u n d Otto Meyer: Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, 1909, S. 136. 2
3. Kap.: Der Umfang der Geschäftsordnungsautonomie
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über seine nach außen h i n wirksamen Willensäußerungen, nur um A n gelegenheiten der formellen Ordnung 4 , der „bloßen Verfahrensordnung" 5 für die Abwicklung der Parlamentsgeschäfte. Geschäftsordnungsangelegenheiten sind demnach nur die eigenen inneren Angelegenheiten des Parlaments 6 . Was innere Angelegenheiten, Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments sind, w i r d an einem neueren Beispiel aus der Staatspraxis besonders deutlich. I m Bundestag entstand die Frage, ob bei verfassungsändernden Gesetzen die Einzelabstimmung i n der zweiten und dritten Beratung eine Geschäftsordnungsangelegenheit sei und deshalb abweichend von der Vorschrift des A r t . 79 Abs. 2 des Grundgesetzes vom Parlament dahin geregelt werden dürfe, daß für die Einzelabstimmungen die einfache Mehrheit genügt. Der Bundestag hat auf Vorschlag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität die Einzelabstimmung i n der zweiten und dritten Beratung als Geschäftsordnungsangelegenheit angesehen und läßt deshalb seitdem auch bei verfassungsändernden Gesetzen i n der zweiten und dritten Beratung die einfache Mehrheit entscheiden 7 . Die vom Bundestag damit vertretene Auffassung über Umfang und Grenzen seiner Geschäftsordnungsautonomie bei der Beschlußfassung ist durchaus zutreffend. Denn i m Gesetzgebungsverfahren stellen lediglich die Schlußabstimmung, die erneute Beschlußfassung gemäß Art. 77 Abs. 2 und die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gemäß Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes eine 4 P a u l Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 344. 5 So BVerfGE Bd. 1 S. 153. 6 Vgl. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 2 u n d ders.: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449, der die diese Angelegenheiten regelnden Bestimmungen deshalb als „inneres Reichstagsrecht" bezeichnete; P a u l Laband, aaO, S. 306; Hermann Schulze: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, Buch 2, 1886, S. 83; M a x von Seydel, aaO (Anm. 2), A n m . 1 zu A r t . 27, S. 207; Fritz Stier-Somlo: Deutsches Reichs- u n d Landesstaatsrecht, Bd. 1, 1924, S. 594; Theodor Maunz, aaO (Anm. 2), Rdnr. 18 zu A r t . 40; Hans Nawiasky, aaO (Anm. 2). 7 Vgl. den Beschluß des Bundestages i n der 272. Sitzung der 1. W a h l periode v o m 17. J u n i 1953 (Sten.Ber. Bd. 16 S. 1396 A gemäß Drs. 1/4454): „Beschlüsse des Bundestages w ä h r e n d der Einzelabstimmung zu verfassungsändernden Gesetzen i n der zweiten u n d d r i t t e n Beratung sind v o r bereitende Handlungen gemäß A r t . 42 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes und fallen nicht unter A r t . 79 Abs. 2 GG. A r t . 79 Abs. 2 des Grundgesetzes g i l t n u r f ü r die Schlußabstimmung bei verfassungsändernden Gesetzen. Dieser Beschluß bedarf einer Z w e i d r i t t e l - M e h r h e i t der Mitglieder des Bundestages. Bei der Einzelabstimmung i n der zweiten u n d dritten Beratung ist eine solche Mehrheit nicht erforderlich." Vgl. dazu auch die Diskussion i n der 224. Sitzung der 2. Wahlperiode v o m 5. J u l i 1957 (Sten.Ber. Bd. 38 S. 13 352 C f) u n d die E r k l ä r u n g des Bundestagspräsidenten Gerstenmaier i n der 140. Sitzung der 3. Wahlperiode v o m 25. Januar 1961 (Sten.Ber. Bd. 47 S. 7976 B): „ I n der zweiten Lesung genügt die einfache Mehrheit."
5 Arndt
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
nach außen hin rechtsverbindliche Beschlußfassung des Parlaments dar. Nur für sie gelten die Verfassungsvorschriften über die Beschlußfassung, nur bei ihr ist eine förmliche und ausdrückliche Beschlußfassung geboten, nur sie ist der autonomen Regelung durch das Parlament entzogen. Auch i m Bereich der autonomen Regelung bestehen zwar, wie noch zu zeigen sein wird, bestimmte verfassungsrechtliche Schranken, es stellt aber eine Verkennung der dem Parlament m i t der Geschäftsordnungsautonomie von Verfassungs wegen eingeräumten Gestaltungsfreiheit dar, wenn behauptet wird, die Verfassungsvorschrift über die Beschlußfassung des Parlaments gelte nicht nur für die Beschlüsse des Bundestages auf Grund der Verfassung oder auf Grund von Gesetzen sondern auch für die dem Parlament nach seiner Geschäftsordnung obliegenden Angelegenheiten 73 . Die Haltlosigkeit dieser Behauptung zeigt sich i n den praktischen Konsequenzen für das parlamentarische Geschäftsverfahren. Gälte nämlich das Prinzip der einfachen Mehrheit auch i n diesem Bereich, so wären die zahlreichen Regelungen des parlamentarischen Geschäftsverfahrens verfassungswidrig, mit denen Minderheiten bestimmte Rechte eingeräumt werden. Denn immer, wenn auf Antrag einer Minderheit oder auf deren Widerspruch h i n bestimmte Maßnahmen getroffen oder unterlassen werden müssen, w i r d vom Mehrheitsprinzip abgewichen. Zu den parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten gehört die Ausgestaltung des Verfahrens bei der Behandlung aller Parlamentsgeschäfte, also der politischen Zuständigkeiten wie der kollegialen oder autonomen Rechte. Dazu zählen nicht nur die Zuständigkeiten zur Gesetzgebung, zur Bestellung anderer Bundesorgane, zur Feststellung des Haushaltsplanes und die sonstigen Mitwirkungs- und Kontrollrechte wie das Zitierungs- und Untersuchungsrecht, sondern auch das Selbstversammlungsrecht, die Befugnisse auf dem Gebiet der Immunitätsaufhebung und der Bundestagsverwaltung 8 . Gegenstand der autonomen Regelung ist ferner die verfahrensmäßige Ausgestaltung des dem Parlament gegenüber der Regierung zustehenden Fragerechts. A u f diese Weise ist vom Parlament die Einrichtung der Kleinen und Großen Anfragen, die Fragestunde und die Auskunfterteilung 7a Vgl. ζ. Β . v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I V 2 zu A r t . 42, S. 929; Theodor Maunz, aaO (Anm. 2), Rdnr. 14 zu A r t . 42. 8 F ü r den Bereich der Bundestagsverwaltung w i r d hier davon ausgegangen, daß der Bundestagspräsident nicht etwa von Verfassungs wegen allein u n d ausschließlich zuständig ist u n d das Parlament i m Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie deshalb die Zuständigkeit anderer Gremien begründen oder die Entscheidungen des Präsidenten von seiner Zustimmung oder eines seiner Organe abhängig machen kann. I m übrigen k a n n auf die besonderen Probleme der Parlamentsverwaltung i n dieser A r b e i t nicht eingegangen werden.
3. Kap.: Der Umfang der Geschäftsordnungsautonomie
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der Regierung über die Ausführung von Parlamentsbeschlüssen entwickelt worden 9 . Es ist dabei allerdings zu beachten, daß i n diesen Fällen dem Fragerecht des Parlaments eine verfassungsrechtlich begründete Auskunftspflicht der Regierung, die nur durch die mit Mehrheit des Parlaments beschlossene Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung gemäß Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes begründet wird, nicht entspricht 10 . Geschäftsordnungsangelegenheit ist auch die verfahrensmäßige Handhabung der allgemein anerkannten Rechte des Parlaments, durch Aussprachen, Kundgebungen, Entschließungen und Empfehlungen seine Meinung zum Ausdruck zu bringen und seine Würde und sein Ansehen zu wahren. Zu den Geschäftsordnungsangelegenheiten gehört ferner, und das ist, wie noch zu zeigen sein wird, von entscheidender Bedeutung für den Rechtscharakter des autonomen Parlamentsrechts, die Regelung der Frage, i n welchen Formen und mit welcher rechtlichen Bindungsw i r k u n g das Parlament seine Entscheidungen i n Geschäftsordnungsangelegenheiten treffen w i l l , ob sie i n genereller Form oder von Fall zu Fall ergehen sollen, ob innerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung oder neben ihr, und, wenn generelle Regelungen getroffen werden, ob diese strikt einzuhalten sind, oder unter welchen Voraussetzungen sie durchbrochen werden dürfen. Denn die Verfassung hat, anders als bei der Gesetzgebung, bei der das Parlament an strenge Formen und an die Unverbrüchlichkeit der von ihm gesetzten Normen gebunden ist, bei den kraft Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Anordnungen die Entscheidung über die Form und Bindungswirkung dieser Regelungen dem Parlament überlassen 11 . 2. Zu den Geschäftsordnungsangelegenheiten i m Sinne der Verfassungsgarantie gehört das Verfahren (Geschäftsgang), das das Parlament bei Erledigung seiner Geschäfte anwendet; damit ist notwendigerweise auch die innere Organisation des Parlaments, also die B i l dung der für eine geordnete verfahrensmäßige Behandlung der parlamentarischen Geschäfte erforderlichen Organe und die Bestimmung ihrer Aufgaben verbunden. I n diesem Sinne ist die Verfassungsgaran9 Vgl. zu den Großen Anfragen (Interpellationen): §§ 105 ff GeschOBT; §§ 55 f f GeschOWRT; §§ 32 ff GeschORT; zu den K l e i n e n Anfragen: § 110 GeschOBT; §§ 60 f f GeschOWRT; zur Fragestunde (Anfragen): § 111 GeschOBT; §§ 31 a f f GeschORT; zur Auskunfterteilung der Regierung über die Ausführung von Parlamentsbeschlüssen : §§ 115 f GeschOBT; §§ 67 f GeschO W R T ; § 34 GeschORT. 10 Das w i r d unten i n § 12 der A r b e i t noch eingehender begründet; vgl. S. 112 f. 11 Vgl. dazu die Ausführungen unten i n § 11. 5*
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2. Teil : Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
tie auch immer verstanden worden 1 2 . Seit der Frühzeit des Konstitutionalismus haben die Parlamente, soweit ihnen überhaupt Geschäftsordnungsautonomie zustand, sowohl innerhalb ihrer kodifizierten Geschäftsordnungen wie außerhalb derselben frei über ihre innere Organisation verfügt und nach ihrem Gutdünken Organe, wie z. B. Abteilungen, Ausschüsse oder ausschußähnliche Gremien gebildet. Das Selbstorganisationsrecht ist unmittelbar aus der Verfassungsgarantie des A r t . 40 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes herzuleiten und nicht etwa, wie neuerdings Theodor Maunz meint 1 3 , aus der besonderen Vorschrift des Satzes 1, nach der das Parlament seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und seine Schriftführer wählt. Diese Vorschrift enthält lediglich eine ausdrückliche Bestätigung des i n A r t . 40 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes enthaltenen allgemeinen Selbstorganisationsrechts des Parlaments speziell für diese Parlamentsorgane. Deren gesonderte Erwähnung i m Satz 1 ist ein Relikt aus der Zeit des Konstitutionalismus, i n der sie notwendig war, u m das für diese Parlamentsorgane häufig bestehende Ernennungs- bzw. Bestätigungsrecht der Krone auszuschließen 14 . Die ausdrückliche Erwähnung kann deshalb nur zur Bestätigung, nicht aber zur Begründung dafür herangezogen werden, daß die parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten auch die innere Parlamentsorganisation umfassen. 3. Zu den Geschäftsordnungsangelegenheiten gehört schließlich die zur Durchsetzung des Verfahrens und zur Aufrechterhaltung der Ordnung unentbehrliche parlamentarische Disziplin. Das war i n Art. 78 Abs. 1 der preußischen Verfassung von 1850 und i n Art. 27 der Reichsverfassung von 1871 noch ausdrücklich ausgesprochen, erschien aber dann so selbstverständlich, daß seit der Weimarer Zeit auf die Erwähnung verzichtet w i r d 1 5 . Seitdem gehört die parlamentarische Disziplin unbestritten zu den Geschäftsordnungsangelegenheiten 16 . 12 Vgl. z.B. v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, Erl. I I I zu A r t . 40, S. 908. So auch schon Gerhard Anschütz: Die V e r fassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, Erl. 2 zu A r t . 26, S. 202; f ü r die Kaiserzeit vgl. M a x Seydel: Der Deutsche Reichstag, i n : A n n D R Jg. 1880 S. 408; A d o l f Gröber: Bericht der Geschäftsordnungskommission über die Revision der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r des Württembergischen Landtags, i n : Verhandlungen der Württembergischen Zweiten K a m m e r (Kammer der Abgeordneten) auf dem 37. Landtag i n den Jahren 1907/1909, Beilagen-Bd. 105, 1909, Beilage 372, S. 404. 13 Vgl. Theodor Maunz, aaO (Anm. 2), Rdnr. 2 zu A r t . 40; i n diesem Sinne w o h l auch Giese/Schunck: Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., 1965, Erl. 2 zu A r t . 40, S. 102 u n d früher auch Hatschek/ K u r t z i g : Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 490 ff. 14 Vgl. oben § 2 Nr. 2. Z u r Kaiserzeit w u r d e diese F u n k t i o n der Vorschrift noch ausdrücklich hervorgehoben; vgl. z.B. L u d w i g von Rönne: Das V e r fassungsrecht des Deutschen Reiches, i n : A n n D R Jg. 1871 Sp. 263. 15 So Hatschek/Kurtzig, aaO; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 2), S. 2 m i t A n m . 6; Gert K l i n k e : Die Geschäftsordnung des Bundestages, insbesondere
. Kap.: Der
der Geschäftsordnungsautonomie
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§ 8: Die Regelung durch Verfassung und Gesetze Nicht alle Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments unterliegen seiner autonomen Regelungsbefugnis. Sie können durch die Verfassung selbst geregelt oder durch sie anderen Stellen zur Entscheidung zugewiesen und damit der autonomen Entscheidungsgewalt des Parlaments entzogen sein. I m Grundgesetz selbst geregelt sind die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen und das Verfahren für den Ausschluß der Öffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1). Auch für eine Reihe von Einzelangelegenheiten finden sich Vorschriften über den Geschäftsgang unmittelbar i m Grundgesetz. So bestimmt Art. 63 Abs. 1, daß der Bundeskanzler „ohne Aussprache" gewählt w i r d ; nach Art. 67 Abs. 2 und Art. 68 Abs. 2 muß zwischen dem Antrag auf Neuwahl des Bundeskanzlers und der Wahlhandlung sowie zwischen der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers und der Abstimmung über sie ein spatium deliberandi von 48 Stunden eingehalten werden. A r t . 61 Abs. 1 schreibt vor, daß der Bundestag über die Erhebung der Anklage gegen den Bundespräsidenten nur abstimmen darf, wenn ein Viertel seiner Mitglieder es beantragt. Das Grundgesetz regelt unmittelbar auch die Errichtung und W i r k samkeit einiger Organe des Bundestages. Dies geschieht vor allem durch die Art. 44 bis 45 a, i n denen sich nähere Vorschriften über die Untersuchungsausschüsse, den Ausschuß nach Art. 45 sowie den Auswärtigen und den Verteidigungsausschuß finden. Die Organisation des Parlaments w i r d ferner dadurch von Verfassungs wegen gestaltet, daß die Ausübung bestimmter, dem Parlament eingeräumter Rechte einzelnen Parlamentsorganen, wie dem Parlamentspräsidenten, den Untersuchungsausschüssen oder etwa dem Wehrbeauftragten übertragen wird1. Für den Umfang der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie sind auch diejenigen Verfassungs Vorschriften erheblich, die den Erlaß von Bestimmungen über die Behandlung der vom Parlament zu besorgenden Angelegenheiten ausdrücklich auf den Weg der Gesetzdie Rechtsstellung des Bundestagspräsidenten unter Heranziehung der Geschäftsordnungen der Länderparlamente, Diss. K ö l n 1959, S. 126; Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958, S. 218; Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 236. 16 So neuerdings auch Gerhard Alois Reifenberg, aaO; Manfred R. Bernau, aaO; früher: Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 12), Erl. 2 zu A r t . 26, S. 202; Hatschek/Kurtzig, aaO (Anm. 13); O. Th. L. Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 7; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 2), S. 2; A d o l f Gröber, aaO (Anm. 12), S. 404. 1
Vgl. A r t . 39 Abs. 3 u n d A r t . 40 Abs. 2, A r t . 44, A r t . 45 b.
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
gebung verweisen und damit der autonomen Regelungsbefugnis des Parlaments entziehen. Das ist nach dem Grundgesetz für die Behandlung der Wahlprüfungsangelegenheiten der Fall, die gemäß Art. 41 Abs. 3 durch Bundesgesetz zu regeln sind 2 . Die Frage, ob das Parlament befugt ist, seine Geschäftsordnungsangelegenheiten auf dem Wege der Gesetzgebung zu regeln, wenn eine ausdrückliche Verweisung auf diesen Weg i n der Verfassung nicht enthalten ist, w i r d i m § 13 dieser Arbeit untersucht werden.
2 Vgl. dazu Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 19 zu A r t . 41; v. M a n g o l d t K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, Erl. I I I 5 zu A r t . 41, S. 926.
Viertes
Kapitel
Die Grenzen der GeschäftsordnuDgsautonomie § 9: Die verfassungsrechtlichen Schranken der Regelungsbefugnis Die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie findet ihre Grenzen am gesamten formellen Verfassungsrecht. Denn die kraft der Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen müssen sich i m Rahmen der Verfassung halten. Das ist allgemein anerkannt und bedarf keiner näheren Begründung 1 . Es genügt, darauf hinzuweisen, daß das Parlament andernfalls auf dem Wege autonomer Regelung Verfassungsänderungen vornehmen und damit das förmliche für die Verfassungsrevision vorgeschriebene Verfahren überspielen könnte. Die kodifizierte Geschäftsordnung ist zwar als Ergänzungsvorschrift zur Verfassung bezeichnet worden, dabei wurde aber deutlich hervorgehoben, daß sie ihrem Rang nach unter dem formellen Verfassungsrecht steht. K u r t Pereis hat das folgendermaßen ausgedrückt: „ N u r eine Schranke besteht für die Regelung des Geschäftsganges seitens des Reichstages, die Verfassung selbst und das ihr gleichstehende Staatsgewohnheitsrecht. Die durch Gesetz dem Reichstage übertragene Normgebung kann niemals rechtswirksam i n einen Gegensatz zum Gesetzesrecht treten, welches die Quelle des fraglichen Rechts i s t . . ." 2 Es ist nicht der Zweck dieser Arbeit, alle Fälle aufzuführen, i n denen verfassungsrechtliche Grenzen der parlamentarischen Geschäfts1 So Theodor Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g : Grundgesetz, 1964, Rdnr. 22 zu A r t . 40; v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I V 2 zu A r t . 40, S. 915; Lechner/Hülshoff : Parlament u n d Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 4 vor § 1 GeschOBT, S. 159; BVerfGE Bd. 1 S. 147 f. So auch schon K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 19Ó3, S. 3 u n d ders.: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449 f; Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, A n m . 2 zu A r t . 26, S. 202. I n einigen Länderverfassungen ist ausdrücklich ausgesprochen worden, daß die Geschäftsordnungsautonomie nur i n den Grenzen der Verfassung besteht. Vgl. z. B. A r t . 99 der Verfassung des Landes Hessen v o m 1. Dezember 1946: „Der Landtag gibt sich seine Geschäftsordnung i m Rahmen der Verfassung." So auch schon A r t . 29 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Preußen v o m 30. November 1920. 2 K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 3. Ebenso Fritz Morstein M a r x : Beiträge zum Problem des parlamentarischen Minderheitenschutzes, 1924, S. 16.
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
ordnungsautonomie bestehen. Diese Grenzen sollen vielmehr nur paradigmatisch veranschaulicht werden. Sie bestehen zunächst dort, wo die Beachtung der verfassungsmäßigen Rechte anderer Staatsorgane oder auch von Teilen des Bundestages eine bestimmte geschäftsordnungsmäßige Behandlung von Angelegenheiten gebietet. Dem Recht zur Gesetzesinitiative entspricht z. B. die Pflicht des Gesetzgebungsorgans, sich mit dem Gesetzesvorschlag zu beschäftigen, ihn zu beraten und über ihn zu beschließen3. Bei Gesetzentwürfen darf deshalb nicht zur Tagesordnung übergegangen werden, und sie dürfen auch nicht abgelehnt werden, ehe nicht eine Einzelberatung stattgefunden hat 4 . Da der Initiant verlangen kann, daß das Gesetzgebungsorgan selbst, also das Plenum des Bundestages, über den Gesetzentw u r f berät und abstimmt, erscheint es verfassungsrechtlich nicht unbedenklich, daß Grundlage der zweiten Beratung, wenn eine Ausschußüberweisung stattgefunden hat, nicht der eingebrachte Gesetzentwurf, sondern die vom Ausschuß vorgeschlagene Fassung ist, daß über sie abgestimmt w i r d und es unter Umständen eines Änderungsantrages bedarf, um eine Beschlußfassung über die ursprüngliche Fassung des Gesetzentwurfes herbeizuführen 5 . Besondere Beachtung verdienen die Grenzen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie, die i n der organschaftlichen Stellung des Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes, i n seinem verfassungsrechtlichen Status begründet sind. Es versteht sich von selbst, daß dem Abgeordneten die i h m durch die Verfassung ausdrücklich gewährten, zu seinem verfassungsrechtlichen Status gehörigen Rechte, wie z. B. der Anspruch auf Entschädigung, nicht durch eine lediglich kraft der Geschäftsordnungsautonomie ergehende Regelung entzogen werden können. Es ist deshalb z. B. auch verfassungsrechtlich unzulässig, dem wegen gröblicher Verletzung der Ordnung von den Sit3 So B V e r f G E Bd. 1 S. 153; Heinrich Triepel: Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, i n : AöR Bd. 39 (1920) S. 476; Lechner/ Hülshoff, aaO, A n m . 6 zu § 29 GeschOBT, S. 174. 4 Dieser Verfassungsforderung entspricht die geltende Geschäftsordnung des Bundestages n u r zum Teil. I h r § 29 verbietet nämlich den Übergang zur Tagesordnung n u r f ü r Gesetzentwürfe des Bundesrates u n d der Bundesregierung, aber nicht für solche aus der M i t t e des Bundestages, f ü r die, jedenfalls während der zweiten Beratung, das gleiche zu gelten hat; vgl. dazu auch Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 1), A n m . 6 zu § 29 GeschOBT, S. 174. Der § 79 GeschOBT läßt dagegen für alle Initiativgesetzentwürfe i n der ersten Beratung, i n der n u r die Grundsätze eines Gesetzentwurfs besprochen werden, keine andere A b s t i m m u n g zu, als die darüber, ob der Gesetzentwurf einem Ausschuß überwiesen werden soll. 5 Vgl. Ritzel/Koch: Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 1952, A n m . 2 zu § 74, S. 138 u n d A n m . 3 a zu § 80, S. 149; Hans Trossmann: Der Deutsche Bundestag, Organisation u n d Arbeitsweise, 1963, S. 50; Vizepräsident Schmid i n der 14. Sitzung der 4. Wahlperiode v o m 14. Februar 1962 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 438 B).
. Kap. :
e n
der Geschäftsordnungsautonmie
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zungen des Parlaments ausgeschlossenen Abgeordneten, über den Verlust des Tagegeldes hinaus, gemäß § 42 Abs. 5 der Geschäftsordnung seine durch das Grundgesetz garantierte und gesetzlich näher festgelegte Aufwandsentschädigung dadurch zu kürzen, daß ihm eine Ordnungsstrafe auferlegt wird, für die seine Aufwandsentschädigung haftet. Diese Verkürzung der Entschädigung über den Betrag hinaus, der unentschuldigt fehlenden Abgeordneten abgezogen wird, entbehrt der rechtlichen Grundlage. Sie ist i m Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages 6 nicht vorgesehen und könnte wohl auch durch einfaches Gesetz nicht rechtswirksam angeordnet werden. Denn der i n Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährte Anspruch auf angemessene, die Unabhängigkeit des Abgeordneten sichernde Entschädigung darf zwar i n allen Fällen des unentschuldigten Fernbleibens eines Abgeordneten von der Sitzung i n gleicher Höhe gekürzt werden aber nicht darüber hinaus durch eine Ordnungsstrafe in Geld wegen gröblicher Ordnungsverletzung. Von dieser Auffassung ging auch der Reichstag zur Weimarer Zeit aus, denn er hielt eine verfassungsändernde Mehrheit für erforderlich, um ein Gesetz zu verabschieden, durch das folgende Bestimmung i n das Diätengesetz eingefügt werden sollte: „ I n der Geschäftsordnung des Reichstags kann außer der zeitweiligen Ausschließung von den Sitzungen des Reichstags und seiner Ausschüsse das gleichzeitige Ruhen des Rechtes auf freie Eisenbahnfahrt und auf Entschädigung ausgesprochen werden." 7 Zu dem verfassungsgesetzlich gesicherten Status des Abgeordneten, der durch die autonome Regelungsbefugnis des Parlaments grund6 Vgl. das Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages (Diätengesetz) v o m 25. März 1964 (BGBl. I S. 230). 7 Vgl. das nach Maßgabe des A r t . 76 W R V m i t verfassungsändernder Mehrheit beschlossene Gesetz v o m 27. Dezember 1929 (RGBl. I I S. 762). — Die bei Verabschiedung des § 42 Abs. 5 GeschOBT i m Bundestag offenbar herrschende Meinung, daß die erhöhte K ü r z u n g der Entschädigung beim Ausschluß eines Abgeordneten i n der deutschen Verfassungspraxis üblich sei u n d deswegen keiner besonderen rechtlichen Grundlage bedürfe, beruht offensichtlich auf der Verkennung der Rechtsauffassung zur Weimarer Zeit. Damals wurde nämlich f ü r eine solche Maßnahme nicht einmal ein einfaches Gesetz f ü r ausreichend erachtet. Das konnte deswegen übersehen werden, w e i l das Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Reichstages v o m 25. A p r i l 1927 (RGBl. I I S. 323), dessen § 1 auf G r u n d des m i t verfassungsändernder Mehrheit beschlossenen Gesetzes i m Jahre 1929 durch Hinzufügung der i m T e x t wiedergegebenen Vorschrift ergänzt worden war, bereits durch das Entschädigungsgesetz v o m 15. Dezember 1930 (RGBl. I I S. 1275), das diese Regelung nicht mehr enthielt, aufgehoben wurde. Der § 91 Abs. 1 der Geschäftsordnung f ü r den Reichstag w a r i n Übereinstimmung m i t dem Gesetz von 1929 geändert worden (Beschluß des Reichstages i n der 113. Sitzung v o m 11. Dezember 1929, Sten.Ber. Bd. 426 S. 3508 f u n d A n l . Bd. 438 Drs. 1461), behielt aber seine Fassung bei, auch nachdem seine m i t verfassungsändernder Mehrheit geschaffene Rechtsgrundlage fortgefallen war.
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
sätzlich nicht beeinträchtigt werden darf, gehört ferner das Recht auf Anwesenheit i m Plenum und auf freie ungehinderte Stimmabgabe. Die Ausübung dieser Rechte kann auf Grund der Disziplinargewalt des Parlaments durch den Ausschluß von der Sitzung nur deswegen auf eine gewisse Zeit verhindert werden, weil, jedenfalls seit der Weimarer Zeit, der verfassungsrechtliche Status des Abgeordneten insoweit durch die ebenfalls i n der Verfassung begründete Diszplinargewalt des Parlaments als eingeschränkt angesehen w i r d 8 . Zum Status des Abgeordneten gehört auch das Recht, an den Arbeiten des Parlaments mitzuwirken, das seine konkrete Ausprägung z. B. darin findet, i m Plenum des Bundestages Anträge stellen und dort das Wort ergreifen zu dürfen 9 . Dieses Recht ist dem Abgeordneten aber nicht absolut gewährt, sondern besteht grundsätzlich nur in den Grenzen der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten, die der Gestaltungsfreiheit der jeweiligen Mehrheit unterliegt 1 0 . Eine Beeinträchtigung des Status des Abgeordneten liegt deshalb in diesen Fällen immer nur dann vor, wenn der Bundestag die i h m mit der autonomen Regelungsbefugnis eingeräumte Gestaltungsfreiheit überschreitet oder mißbraucht 1 1 . Insoweit ist die autonome Entscheidungsbefugnis des Parlaments durch das Mißbrauchsverbot begrenzt. Für eine verfassungsgerichtliche Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt, ob eine Verletzung des Abgeordnetenstatus vorliege, können die Kriterien herangezogen werden, die das Bundesverfassungsgericht für die durch den Gleichheitssatz der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers gezogenen Grenzen herausgearbeitet hat, da auch sie durch das Mißbrauchsverbot bestimmt sind. Dementsprechend stellt eine Regelung von Geschäftsordnungangelegenheiten, die i n das Antrags- und Rederecht der Abgeordneten eingreift, nur dann einen Mißbrauch der der Mehrheit nach Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes eingeräumten Gestaltungsfreiheit und damit einen unzulässigen Eingriff i n den ver8 Z u r Kaiserzeit w a r diese Frage nicht unbestritten. Besonders K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 100 f hielt die Ausschließung m i t der Verfassung f ü r nicht vereinbar. Einen Überblick über den Stand der Diskussion bis gegen Ende der Weimarer Zeit gibt Heinrich von Brentano d i Tremezzo: Die Rechtsstellung des Parlamentspräsidenten nach deutschem Verfassungsu n d Geschäftsordnungsrecht, Diss. Gießen 1930, S. 55 ff. Die Zulässigkeit der Ausschließung w i r d neuerdings ausdrücklich bejaht von Manfred R. B e r nau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 268; Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. G ö t t i n gen 1958, S. 221; Gert K l i n k e : Die Gechäftsordnung des Bundestages, insbesondere die Rechtsstellung des Bundestagspräsidenten unter Heranziehung der Geschäftsordnungen der Länderparlamente, Diss. K ö l n 1959, S. 154. 9 Vgl. dazu BVerfGE Bd. 10 S. 11 f. 10 So BVerfGE, aaO, S. 13. 11 So BVerfGE, aaO.
4. Kap.: Die Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie
75
fassungsrechtlichen Status der Abgeordneten dar, wenn sie unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist 1 2 . Damit ist dem Bundesverfassungsgericht auch die Prüfung der Frage versagt, ob das Parlament bei der Regelung die zweckmäßigste, „vernünftigste" oder „gerechteste" Lösung gefunden hat 1 3 . Von grundlegender Bedeutung ist schließlich die Frage, ob die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie auch durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt ist, ob das Parlament also bei seiner autonomen Regelung von Geschäftsordnungangelegenheiten ebenso an A r t . 20 Abs. 3 des Grundgesetzes gebunden ist wie bei der Gesetzgebung. Eine derartige Bindung ist schon deshalb anzunehmen, weil ihr grundsätzlich alle Ausübung von Staatsgewalt unterliegt 1 4 . Dabei braucht hier auf die Frage nicht näher eingegangen zu werden, ob der Abgeordnete i m Rahmen der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten i n seinen Grundrechten etwa deshalb beschränkt werden kann, weil sein besonderer verfassungsrechtlicher Status solche Einschränkungen zuläßt. Denn die enge Begrenzung des Umfangs der Geschäftsordnungsangelegenheiten auf einen schmalen sachlichen Bereich einerseits und die dem Abgeordneten durch die Verfassung gewährleisteten, seine Unabhängigkeit und ungehinderte Amtsausübung sichernden Statusrechte anderseits lassen für Grundrechtseinschränkungen durch die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten kaum Raum. Das Parlament w i r d bei den kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten jedenfalls die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die den fundamentalen Kern der verfassungsmäßigen Ordnung darstellen 15 , beachten müssen. Damit stellt sich die Aufgabe, die einzelnen Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung daraufhin zu untersuchen, ob sie konkret geeignet sind, der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie Grenzen zu setzen. Dafür kommen vor allem folgende, vom Bundesverfassungsgericht i n seiner Rechtsprechung herausgearbeitete und auch i n der Literatur anerkannte Prinzipien i n Frage: Die Ausübung der Herrschaft grundsätzlich nach dem Willen der jeweiligen Parlamentsmehrheit 16 , das Recht 12
Entsprechend BVerfGE Bd. 4 S. 18. Entsprechend B V e r f G E Bd. 3 S. 182. 14 Vgl. Maunz/Dürig, aaO (Anm. 1), Rdnr. 85 zu A r t . 20 u n d v. M a n g o l d t / Klein, aaO (Anm. 1), Bd. 1, 1957, A n m . V I 4 e zu A r t . 20, S. 603. 15 Vgl. dazu BVerfGE Bd. 2 S. 12. 16 Vgl. dazu auch Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, 14. Aufl., 1965, S. 61; ders., i n : M a u n z / D ü r i g , aaO (Anm. 1), Rdnr. 32 zu A r t . 20 u n d v. M a n g o l d t / K l e i n , aaO (Anm. 1), Bd. 1, 1957, A n m . V 1 zu A r t . 20, S. 593. 13
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2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition 17 sowie die Chancengleichheit für alle politischen Parteien 18 . Diese Prinzipien sind deshalb auch innerhalb des Parlaments und seines Verfahrens anwendbar, w e i l hier die Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, die Opposition i m wesentlichen ihre Wirksamkeit entfaltet und die Parlamentsfraktionen — als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens 19 und durch A r t . 21 des Grundgesetzes anerkannt 2 0 — als parlamentarische Gruppierungen von Abgeordneten der gleichen Partei sich gegenüberstehen. Die Geltung dieser Prinzipien auch innerhalb des Parlaments erfordert eine von der bisher herrschenden Meinung abweichende Beurteilung des Problems des parlamentarischen Minderheitenschutzes. Seit der Zeit des Konstitutionalismus herrscht nämlich die einhellige Auffassung, daß i m Bereich der kraft der Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen kein wirksamer Minderheitenschutz bestehe, weil die Mehrheit es i n der Hand habe, das parlamentarische Verfahren nach ihrem Willen zu gestalten. Kennzeichend für diese Auffassung ist die Äußerung von Georg Jellinek, eine Mehrheit könne ihre Macht brutal mißbrauchen, ohne daß es ein M i t t e l gegen solche W i l l k ü r gäbe 21 . Fritz Morstein Marx machte sich diese Auffassung i n seiner Arbeit über den parlamentarischen Minderheitenschutz zu eigen und ergänzte sie durch die Bemerkung, die Omnipotenz der Majorität finde nicht i m Geschäftsordnungsrecht sondern nur i n einem Netz metajuristischer Zusammenhänge ihre Schranken; der geschäftsordnungsmäßige Minderheitenschutz sei parlamentarische Ornamentik 2 2 . Das charakterisiert die seither vertretenen Ansichten über den parlamentarischen Minderheitenschutz 23 . 17 Vgl. dazu auch Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig, aaO (Anm. 1), Rdnr. 37 zu A r t . 20; BVerfGE Bd. 2 S. 13; dazu neuestens Hans-Gerd Schumann: Die Opposition — Stiefkind der deutschen Forschung?, i n : Der Staat, Bd. 5 (1966) S. 81—95 m i t annähernd erschöpfender A n f ü h r u n g der einschlägigen Literatur. 18 Vgl. dazu BVerfGE Bd. 1 S. 255; Bd. 2 S. 13; Bd. 3 S. 82 f; Bd. 6 S. 94, 280; Bd. 8 S. 65. 19 BVerfGE Bd. 2 S. 160, 167; Bd. 10 S. 14. 20 BVerfGE Bd. 10 S. 14. 21 Georg Jellinek: Die parlamentarische Obstruktion, i n : Georg Jellinek: Ausgewählte Schriften u n d Reden, Bd. 2, 1911, S. 424. 22 Fritz Morstein M a r x : Beiträge zum Problem des parlamentarischen Minderheitenschutzes, 1924, S. 32. 23 Vgl. i n dem gekennzeichneten Sinne schon die Bemerkung von Paul Laband: Parlamentarische Rechtsfragen, i n : D J Z 1903 S. 5 ff. Ebenso: W a l ther Kleinenberg: Der staatsrechtliche Schutz der M i n d e r h e i t nach der Reichsverfassung v o m 11. August 1919 u n d der Geschäftsordnung des
4. Kap.: Die Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie
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Demgegenüber ist allerdings schon früh erkannt worden, daß es zu dem m i t demokratischen Wertvorstellungen unlöslich verbundenen Mehrheitsprinzip gehöre, der Minderheit die Chance zu gewähren, selbst Mehrheit zu werden. Für die Rechtsfragen des parlamentarischen Minderheitenschutzes und die Grenzen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie sind daraus allerdings keine rechtlichen Folgerungen gezogen worden. Wolodymyr Starosolskyj gab i n seiner Arbeit über das Majoritätsprinzip 2 4 der Erkenntnis Ausdruck, daß es diesem Prinzip eigen sei, „eine prinzipielle, subjektive Unbestimmtheit des Über- und Unterordnungsverhältnisses" zu schaffen und „damit die Möglichkeit der Abwechslung i n der persönlichen Zusammensetzung der Mehrheit" 2 5 . Damit sei für die Untergeordneten die Möglichkeit gegeben, ihrerseits die Majorität zu gewinnen. Starosolskyj fand darin die Rechtfertigung des Satzes, daß das Recht der Minorität i n der Berechtigung bestehe, danach zu trachten, Mehrheit zu werden, und daß da, wo diese Berechtigung praktisch undurchführbar ist, von Majoritätsprinzip — und so darf hinzugefügt werden, auch von Demokratie — nicht mehr gesprochen werden könne 2 6 . I n der Weimarer Zeit hat dann Carl Schmitt eindringlich auf die Bedeutung der Offenhaltung der gleichen Chance für die politische Machtgewinnung als Gerechtigkeitsprinzip und existenznotwendige Erhaltungsmaxime des „parlamentarischen Gesetzgebungsstaates" hingewiesen und betont, dieser Staat gäbe sich selbst, seine Gerechtigkeit Reichstages v o m 12. Dezember 1922, Diss. Göttingen 1929, S. 40 ff; O. Th. L . Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 8; Carl Bilfinger: Die Geschäftsordnung des Reichstages u n d die Grenzen des parlamentarischen Systems, i n : ZaöRV Bd. 2 Τ. 1 (1931) S. 453; W o l f Friedrich von Kleist-Retzow: Das Problem des parlamentarischen M i n d e r heitenschutzes i m Deutschen Reiche, Diss. Göttingen 1932, S. 6 f f ; Heinrich Oestmann: Rechte u n d Schutz der parlamentarischen Minderheit i n Deutschland, Diss. H a m b u r g 1931, S. 16 f f u n d K u r t Haagen: Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung..., Diss. Breslau 1929, S. 63. So neuerdings auch Hansjürgen Paul: Parlamentarischer Minderheitenschutz — eine rechtsvergleichende Betrachtung an Hand der geltenden Verfassungs- u n d Geschäftsordnungsnormen i n Deutschland, Frankreich u n d Italien, Diss. Göttingen 1953, S. 23 ff; Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 8), S. 14 f und W i l helm Hudde: Die Geschäftsordnung des Bundesrates, Diss. Bonn 1960, S. 5; Goswin Lörken: Die Rechte der parlamentarischen Minderheiten u n d der einzelnen Abgeordneten nach dem Geschäftsordnungrecht des Deutschen Bundestages, Diss. K ö l n 1963; Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 8), S. 79. 24 W o l o d y m y r Starosolskyj: Das Majoritätsprinzip, 1916. 25 Wolodymyr Starosolskyj, aaO, S. 63, 64. 26 Wolodymyr Starosolskyj, aaO, S. 90 f. Ä h n l i c h auch K u r t Lehmann: Das Recht der parlamentarischen Minderheiten, 1933, S. 21 f, ohne daraus allerdings einschneidende Konsequenzen zu ziehen. Vgl. dazu neuerdings Heinz Josef Varein: Die Bedeutung des Mehrheitsprinzips i m Rahmen unserer politischen Ordnung, i n : Zeitschrift f ü r Politik, N.F. Jg. 11 (1964) S. 239—250.
2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
und Legalität preis, wenn er das Prinzip gleicher Chance innerpolitischer Machtgewinnung preisgäbe 27 . Erst mit der i n Art. 20 Abs. 3 und 79 Abs. 3 des Grundgesetzes verwirklichten Bindung auch des Parlaments an die fundamentalen Prinzipien der Verfassungsordnung erhielten das Mehrheitsprinzip und vor allem das mit i h m verbundene Prinzip der gleichen Chance unmittelbare verfassungsrechtliche Relevanz. Das Prinzip der gleichen Chance steht nun allerdings innerhalb des Parlaments i n dem dialektischen Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Mehrheit darauf, daß ihr Wille schließlich entscheidet, und einem gleichrangigen Recht auf Bildung und Ausübung der Opposition. I n diesem Spannungsverhältnis darf die Aufrechterhaltung der Chance der Minderheit nie dazu führen, daß sie den Inhalt der zu fällenden Entscheidung zu bestimmen oder die Mehrheit an einer Entscheidung zu hindern vermag. Chancengleichheit ist aber nur dann gewährleistet, wenn der Minderheit Gelegenheit und Zeit zur Meinungsäußerung und damit Einfluß auf den Willensbildungsprozeß des Parlaments eingeräumt ist. Dabei kann nicht davon abgesehen werden, daß die Teilnahme am Willensbildungsprozeß innerhalb des Parlaments zugleich auch M i t w i r k u n g bei der politischen Willensbildung des Volkes bedeutet, und daß die Parlamentsfraktionen, auch die der Minderheit, damit Aufgaben wahrnehmen, die i n A r t . 21 Abs. 1 des Grundgesetzes besondere verfassungsgesetzliche Anerkennnung erfahren haben. Die kraft der Geschäftsordnungsautonomie bestehende Gestaltungsfreiheit i n Geschäftsordnungsangelegenheiten ist demnach dadurch begrenzt, daß es der Minderheit möglich bleiben muß, ihre eigenen politischen Vorstellungen vorzutragen und zu verteidigen. Die oppositionelle Minderheit muß grundsätzlich auch Gelegenheit haben, ihre Bedenken und ihre K r i t i k an den politischen Vorstellungen der Mehrheit anzubringen 28 . Da das Grundgesetz ausreichenden Schutz gegen verfassungsfeindliche Minderheiten i m Parlament vorsieht (Parteiverbot), besteht auch kein Anlaß, den Minderheitenschutz aus dem Gesichtspunkt der Staatserhaltung zu beschränken. Anderseits bleibt der Mehrheit die Möglichkeit unbenommen, eine Obstruktion der Minderheit, also jedes Verhalten, das über das Vorbringen von Bedenken und K r i t i k hinaus die Mehrheitsentscheidungen verzögern oder gar verhindern will, zu unterbinden, indem sie von ihrer autonomen Regelungsbefugnis Gebrauch macht. 27 Vgl. dazu bei Carl Schmitt: Legalität und Legitimität, 1932, das Kapitel: „Legalität u n d gleiche Chance politischer Machtgewinnung" S. 30 ff m i t vielen scharfsinnigen Bemerkungen zum Thema. 28 I n diesem Sinne auch B V e r f G E Bd. 5 S. 199.
4. Kap.: Die Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie
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Daß i n dem gekennzeichneten Rahmen auch innerhalb des parlamentarischen Verfahrens die Abwägung der Rechte und Pflichten von Mehrheit und Minderheit durchaus möglich und praktikabel ist, erweist vor allem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. J u l i 1959 über die Redezeitbeschränkung 29 . Wenn auch mit diesem Urteil nur die Frage entschieden wurde, ob durch die Gestaltung des parlamentarischen Verfahrens Statusrechte einzelner Abgeordneter verletzt seien, so w i r d doch auf die Rolle der Parlamentsfraktionen als notwendige Einrichtung des Verfassungslebens hingewiesen 30 und auch offenbar davon ausgegangen, daß den Mitgliedern oppositioneller Fraktionen eine reelle Chance zur Darlegung ihres Standpunktes verfassungsrechtlich gesichert sei 31 . Die Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie, die sich aus dem Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition und auf Erhaltung der Chance für die Minderheit herleiten lassen, sollen hier noch an einigen Beispielen sichtbar gemacht werden. Für die Opposition erwächst das Recht, an den Arbeiten des Parlaments beteiligt zu werden und zu Worte zu kommen. Das bedeutet z. B., daß die Beteiligung der Fraktionen nach dem Verhältnis ihrer Stärke an den Organen und Gremien des Hauses, wie sie durch § 12 der Geschäftsordnung des Bundestages für den Vorstand, die Ausschüsse und die Regelung des Vorsitzes i n den Ausschüssen vorgesehen ist, nicht zugunsten einer Regelung beseitigt werden darf, die oppositionelle Fraktionen von der Vertretung i n den Organen und Gremien des Parlaments ausschließt. Unter dem gleichen Gesichtspunkt darf auch die zur Bildung einer Fraktion notwendige Mitgliederzahl nicht wesentlich höher als auf die herkömmliche Stärke von 15 Abgeordneten festgesetzt werden, da nur Fraktionen an der proportionalen Besetzung der Stellen innerhalb des Parlaments teilnehmen dürfen und i m übrigen zahlreiche „Rechte" innerhalb der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten nur von mindestens so vielen Abgeordneten ausgeübt werden können wie einer Fraktionsstärke entspricht. Das trifft vor allem gemäß § 97 der Geschäftsordnung für die überwiegende Mehrzahl von selbständigen Anträgen von Abgeordneten zu und damit auch für die Initiativgesetzentwürfe aus der Mitte des Bundestages gemäß Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes; ferner für Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen i n der dritten Beratung gemäß § 86, für die Anträge auf Annahme von Entschließungen zu Gesetzentwürfen gemäß § 81 und für alle Änderungsanträge zu Anträgen, die keinen Ge29 30 31
BVerfGE Bd. 10 S. 4 ff. BVerfGE Bd. 10 S. 14 f. BVerfGE Bd. 10 S. 18 f.
90
2. Teil: Die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
setzentwurf enthalten gemäß § 100 der Geschäftsordnung des Bundestages. Die Möglichkeit, solche Anträge zu stellen, muß aber nicht nur den oppositionellen Fraktionen unter dem Gesichtspunkt eingeräumt werden, daß die Ausübung von Opposition verfassungskräftig garantiert ist, sondern auch sich ad hoc zusammenfindenden Minderheiten von Abgeordneten offenstehen. Der Begriff der parlamentarischen Minderheit ist nämlich nicht festgelegt auf Gruppierungen von Abgeordneten, die i n grundsätzlichem Gegensatz zu der die Regierung tragenden oder unterstützenden Gruppe von Abgeordneten stehen, sondern kann sich aus Anlaß jeder parlamentarischen Entscheidung entsprechend der den Abgeordneten verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit auf eigene Weise bilden. Zur Durchsetzung solcher durch das Grundgesetz verliehener Rechte müssen Minderheiten als parteifähig i m Organstreit vor dem Bundesverfassungsgericht angesehen werden; eine Möglichkeit, die das Bundesverfassungsgericht erwogen und nicht ausgeschlossen hat 3 2 .
32
BVerfGE Bd. 2 S. 164.
Dritter
Teil
Das a u t o n o m e Parlamentsrecht Erstes
Kapitel
Die Quellen des autonomen Parlamentsrechts § 10: Zur Abgrenzung Gegenstand der folgenden Untersuchungen sind die kraft der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten, das autonome Parlamentsrecht. Ein Teil dieses autonomen Parlamentsrechts ist gewöhnlich i n der kodifizierten Geschäftsordnung des Parlaments aufgezeichnet, weshalb diese i n den Umkreis der Untersuchungen mit einzubeziehen ist. Es verdient aber hervorgehoben zu werden, daß i n der kodifizierten Geschäftsordnung normalerweise neben autonomem Parlamentsrecht i n erheblichem Umfang auch Bestimmungen enthalten sind, die lediglich geltendes Verfassungs- oder Gesetzesrecht wiederholen, ihren Geltungsgrund also nicht i n der autonomen Regelungsbefugnis des Parlaments, sondern i n der Verfassung oder i n Gesetzen haben. Das Nebeneinander von autonomem Parlamentsrecht und Bestimmungen mit Verfassungs- oder Gesetzesrang innerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung rührt zu einem gewissen Teil daher, daß autonomes Parlamentsrecht, also die Regelungen über die verfahrensmäßige und organisatorische Behandlung bestimmter Angelegenheiten innerhalb des Parlaments, häufig nur zusammen mit den Verfassungsund Gesetzesbestimmungen für die Behandlung dieser Angelegenheiten durch das Parlament formuliert werden kann. Z u einem anderen Teil beruht die Wiederholung von Verfassungs- und Gesetzesrecht auf dem Bestreben, den Abgeordneten i n der kodifizierten Geschäftsordnung ein möglichst lückenloses B i l d der für bestimmte Parlamentsgeschäfte geltenden Vorschriften und Regeln zu geben. Das i n der kodifizierten Geschäftsordnung reproduzierte Verfassungs« und Gesetzesrecht erfordert hier Beachtung und Darstellung, u m den Gegenstand der folgenden Untersuchungen exakt bestimmen zu 6 Arndt
82
3. Teil : Das autonome Parlamentsrecht
können, denn es w i r d nur zu leicht als autonomes Parlamentsrecht angesehen und daraus Folgerungen für dessen Bindungswirkung und Rechtsqualität hergeleitet 1 . Bei einer nicht eindeutigen Differenzierung der verschiedenen i n der kodifizierten Geschäftsordnung enthaltenen Bestimmungen kann auch das Parlament selbst dazu verleitet werden, Bestimmungen als seiner autonomen Regelungsbefugnis unterworfen anzusehen, die es nur auf dem Wege der Gesetzgebung oder gar der Verfassungsänderung zu verändern vermag. Dieser möglichen Verwirrung w i r d allerdings zuweilen dadurch vorzubeugen gesucht, daß die betreffenden Verfassungs- und Gesetzesvorschriften als solche i m Text der kodifizierten Geschäftsordnungen selbst oder i n den von den Parlamentsverwaltungen veranstalteten Ausgaben gekennzeichnet werden 2 . Die kodifizierte Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages enthält eine Reihe von Bestimmungen, die nicht auf der autonomen Regelungsbefugnis des Parlaments beruhen. Einige sind wörtlich aus dem Grundgesetz übernommen 3 , andere annähernd wörtlich oder doch sinngemäß i m Grundgesetz enthalten 4 , wieder andere wiederholen Grund1 So hat i n der Weimarer Zeit z. B. von Craushaar: Die Behandlung von Reichsratseinsprüchen i m Reichstag und Geschäftsordnungsfragen, i n : AöR N.F. Bd. 10 (1926) S. 391, u m den Rechtssatzcharakter von Geschäftsordnungsvorschriften darzutun, auf verschiedene Bestimmungen verwiesen, die ihren Rechtsgrund i m Verfassungsrecht hatten (z. B. auf das Recht der Abgeordneten auf Sitz und Stimme i m Reichstag sowie auf deren Pflicht zur Teilnahme an den Arbeiten des Parlaments, auf die Vorschrift über die Herbeirufung eines Reichsministers etc.). Neuerdings ähnlich Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 138 ff i n Bezug auf die Verpflichtung der Abgeordneten, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen. 2 I n der Geschäftsordnung des Bundestages geschieht das z. T. durch E i n beziehung des Hinweises auf die Grundgesetzvorschriften i n den Text einzelner Geschäftsordnungsbestimmungen (vgl. §§ 23, 25 Abs. 2 und § 90 Abs. 1) und zum größeren Teil dadurch, daß i n den Ausgaben der Geschäftsordnung die einschlägigen Verfassungsvorschriften bei den betreffenden Regelungen der Geschäftsordnung m i t abgedruckt werden; vgl. dazu z. B. die von der Verwaltung des Deutschen Bundestages i m September 1965 herausgegebene Ausgabe. 3 Wörtlich stimmen überein: § 4 Abs. 1 GeschOBT und A r t . 63 Abs. 1 GG, § 23 GeschOBT u n d A r t . 42 Abs. 1 GG, § 98 Abs, 1 GeschOBT und A r t . 67 Abs. 1 Satz 1 GG, § 98 Abs. 4 GeschOBT u n d A r t . 67 Abs. 2 GG. 4 Sinngemäß stimmen überein: § 1 Abs. 1 (2. Hälfte) GeschOBT u n d A r t . 39 Abs. 2 GG, § 4 Abs. 2 Satz 2 GeschOBT und A r t . 63 Abs. 2 Satz 1 GG, § 4 Abs. 3 GeschOBT und A r t . 63 Abs. 3 GG, § 4 Abs. 4 GeschOBT und A r t . 63 Abs. 4 Satz 1 GG, § 7 Abs. 2 Satz 1 GeschOBT u n d A r t . 40 Abs. 2 Satz 1 GG, § 25 Abs. 2 GeschOBT u n d A r t . 39 Abs. 3 Satz 3 GG, § 45 Abs. 1, 2. Halbsatz GeschOBT und A r t . 40 Abs. 2 Satz 1 GG, § 47 GeschOBT und A r t . 43 Abs. 2 Satz 2 GG,
l . K a p . : Die Quellen
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gesetzbestimmungen und ergänzen sie durch Regelungen über die Behandlung der betreffenden Angelegenheiten innerhalb des Parlaments 5 . Die kodifizierte Geschäftsordnung des Bundestages enthält ferner Bestimmungen, die zwar nicht ihrem Wortlaut nach i m Grundgesetz enthalten sind, die aber nach Geltungsgrund und Rechtsgehalt auf Verfassungsrecht beruhen. So schreibt § 1 Abs. 1 der Geschäftsordnung vor, daß der Bundestag zu seiner ersten Sitzung von dem bisher amtierenden Präsidenten einberufen wird. Diese Bestimmung beruht auf ungeschriebenem Verfassungsrecht 6 und könnte allein durch autonomes Parlamentsrecht gar nicht rechtsverbindlich angeordnet werden. — Die i n § 16 Abs. 1 der Geschäftsordnung ausgesprochene Pflicht der Abgeordneten, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen, ist i n ihrem i n Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes normierten verfassungsrechtlichen Status begründet 7 , wenn auch die Verfassungsvorschrift diese Verpflichtung i m Wortlaut nicht enthält. — Die Vorschrift des § 75 Abs. 7, nach der Petitionen von jedem Staatsbürger eingebracht werden können, entspricht dem i n Art. 17 des Grundgesetzes garantierten Petitionsrecht. — Auch die Bestimmung des § 131 Abs. 2 über die Fortführung der Geschäfte des Bundestages zwischen zwei Wahlperioden durch den „Ausschuß nach A r t . 45 GG" ist lediglich die Wiederholung dessen, was durch Art. 45 des Grundgesetzes selbst angeordnet ist. — Die Erledigung der beim Bundestag eingebrachten Gegenstände m i t dem Ende der Wahlperiode (§ 126 der Geschäftsordnung) folgt unabhängig von der Vorschrift der kodifizierten Geschäftsordnung aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Diskontinuität 8 . — Auch der § 20, nach dem jeder Abgeordnete eine Fahrkarte für alle staatlichen Ver§ 63 Abs. 1 Satz 1 GeschOBT u n d A r t . 44 Abs. 1 Satz 1 GG, § 67 Abs. 1 GeschOBT und A r t . 77 Abs 2 Satz 1, 2. Halbsatz GG, § 90 Abs. 1 GeschOBT und A r t . 77 Abs, 2 Satz 4 GG, § 91 GeschOBT und A r t . 77 Abs. 2 Satz 2 GG sowie § 103 Abs. 1 GeschOBT u n d A r t . 68 Abs. 2 GG. 5 Vgl. § 1 Abs. 4 GeschOBT und A r t . 40 Abs. 1 Satz 1 GG, § 92 Satz 1 GeschOBT u n d A r t . 77 Abs. 4 GG, § 103 Abs. 2 GeschOBT und A r t . 68 Abs. 1 GG sowie § 123 GeschOBT und A r t . 77 Abs. 1 Satz 2 GG. 8 So auch Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 12 zu A r t . 39; i m Ergebnis ebenso Hermann von Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz, 1953, A n m . 3 zu A r t . 39, S. 236 f; Giese/Schunck: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., 1965, Erl. I I 3 zu A r t . 39, S. 101; Gewohnheitsrecht (ohne Verfassungsrang) n i m m t auch v. Mangoldt/Klein: Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, Anm. V 1 b zu A r t . 39, S. 903 an. 7 So auch v. Mangoldt/Klein, aaO, Anm. I V 1 b zu A r t . 38, S. 887 u n d Ritzel/ Koch: Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 1952, A n m . 1 zu § 16, S. 45. 8 Vgl. Theodor Maunz, aaO, Rdnr. 16 zu A r t . 39; v. Mangoldt/Klein, aaO, Anm. I I I 5 b zu A r t . 39, S. 899; Lechner/Hülshoff : Parlament und Regierung, 2. Aufl., 1958, Anm. 1 zu § 126 GeschOBT, S. 220. 6*
84 f
3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
kehrsmittel ausgehändigt erhält, begründet nicht etwa den Anspruch, sondern beruht auf der i n A r t . 48 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes den Abgeordneten garantierten freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel. Die i n § 26 Abs. 1 und § 72 der Geschäftsordnung ausgesprochene Pflicht zur Unterrichtung der Bundesministerien und des Bundesrates über die Tagesordnung der Plenar- und Ausschußsitzungen hat ihren rechtlichen Grund i n dem i n Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes statuierten Recht der Mitglieder und Beauftragten des Bundesrates und der Bundesregierung, an den Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse teilzunehmen und dort gehört zu werden. Da ohne eine den §§ 26 Abs. 1 und 72 entsprechende Mitteilung diese i n der Verfassung verbrieften Rechte unter Umständen nicht wahrgenommen werden können, ist der Bundestag zu der i n der Geschäftsordnung vorgesehenen Unterrichtung schon durch das Grundgesetz verpflichtet. Die Vorschriften der §§ 29 Abs. 2 und 79 Abs. 2, nach denen über die Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrates nicht zur Tagesordnung übergegangen werden und i n der ersten Beratung von Gesetzentwürfen keine andere Abstimmung als die über die Überweisung an einen oder mehrere Ausschüsse stattfinden darf, entsprechen dem i n A r t . 76 Abs. 1 des Grundgesetzes verankerten Recht der Gesetzesinitiative, denn das Gesetzgebungsorgan muß sich mit dem Gesetzesvorschlag beschäftigen, d. h. über i h n beraten und Beschluß fassen 9. Die i n § 29 Abs. 2 getroffene Regelung dürfte übrigens aus den gleichen Gründen auch für Gesetzentwürfe zu gelten haben, die der Initiative aus der Mitte des Bundestages entstammen 10 . Bestimmungen der kodifizierten Geschäftsordnung geben ferner häufig Vorschriften wieder, die das Parlament befolgen muß, w i l l es nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen, an die es, wie gezeigt wurde, auch bei der autonomen Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten gebunden ist. Die i m § 12 der Geschäftsordnung vorgesehene Beteiligung der Fraktionen an der Zusammensetzung bestimmter Unterorgane des Bundestages nach dem Verhältnis ihrer Stärke beruht z. B. nicht auf autonomem Parlamentsrecht, sondern ist durch die dem Parlament von Verfassungs wegen auferlegte Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung gefordert 11 . 9 So auch BVerfGE Bd. 1 S. 153; Heinrich Triepel: Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, in: AöR Bd. 39 (1920) S. 476; Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, 14. Aufl., 1965, S. 300; Lechner/Hülshoff, aaO, Anm. 6 zu § 29 GeschOBT, S. 174. 10 So auch Lechner/Hülshoff, aaO und Anm. 3 zu § 79 GeschOBT, S. 200. 11 Diese Rechtspflicht sollte nach der Auffassung des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee i m Grundgesetz ausdrücklich verankert werden; vgl. den Bericht über den Verfassungskonvent, S. 68: A r t . 54 Abs. 1 Satz 3: „ A u s -
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Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wiederholen auch Bestimmungen, die bereits i n Gesetzen enthalten sind. So regeln die §§ 64 Abs. 1 und 66 Abs. 1 Angelegenheiten, die i m Wahlprüfungs- bzw. i m Bundesverfassungsgerichtsgesetz ihre Normierung erfahren haben. Die §§ 16 Abs. 2 und 17 behandeln die Anwesenheitsliste und die Einbehaltung eines Teilbetrages der Aufwandsentschädigung der Abgeordneten bei unentschuldigtem Fernbleiben von den Sitzungen des Bundestages. Diese Angelegenheiten sind i n gleicher Weise i n dem Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages — auf das § 16 Abs. 2 der Geschäftsordnung übrigens ausdrücklich verweist — geregelt 12 . Der § 7 Abs. 4 der Geschäftsordnung bezeichnet den Bundestagspräsidenten als oberste Dienstbehörde der Bundestagsbeamten, deren Ernennung, Anstellung und Versetzung i n den Ruhestand er vornehmen soll. Das entspricht dem § 176 des Bundesbeamtengesetzes. Die zahlreichen Fälle, i n denen Übereinstimmung von Verfassungsund Gesetzesrecht m i t Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung besteht, und mit deren Schilderung übrigens kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird, zwingen dazu, bei der wissenschaftlichen Behandlung wie bei der praktischen Handhabung des autonomen Parlamentsrechts darauf Bedacht zu nehmen, daß die Geltung von manchen i n der kodifizierten Geschäftsordnung enthaltenen Vorschriften nicht auf autonomem Parlamentsrecht sondern auf Verfassungs- oder Gesetzesrecht beruht.
§ 11: Die Quellen des autonomen Parlamentsrechts Die Frage, mit welchen rechtlichen Mitteln der Bundestag seine Geschäftsordnungsangelegenheiten zu gestalten vermag, ist m i t der Formulierung des A r t . 40 Abs. 1 des Grundgesetzes „Er gibt sich eine Geschäftsordnung" angesprochen. Der Rückgriff auf die historische Entwicklung der Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie führte zu folgender Lesart der Vorschrift: Der Bundestag gibt sich zur Regelung der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten (Geschäftsgang und Disziplin) eine kodifizierte Geschäftsordnung 1 . schüsse werden anteilig besetzt" u n d die Begründung S. 87: „Es erschien notwendig, i m Grundgesetz selbst die bisherige Übung, daß Ausschüsse nicht durch Mehrheitsbeschluß, sondern anteilig besetzt werden, festzulegen. Die Verschärfung des politischen Kampfes könnte sonst dahin führen, daß die Mehrheitsparteien gewisse Minderheiten von den Ausschüssen ausschließen." 12 Vgl. § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages (Diätengesetz) v o m 25. März 1964 (BGBl. I S. 230). ι Vgl. oben § 4 am Ende, S. 49.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
M i t dieser Vorschrift ist nach zutreffender und allgemein anerkannter Meinung nicht nur das Recht des Parlaments zum Erlaß einer kodifizierten Geschäftsordnung gewährleistet, sondern auch das Recht zur Veränderung und Aufhebung ihrer Vorschriften sowie zu deren Auslegung und Anwendung 2 . Da i n Art. 40 Abs. 1 GG allein die kodifizierte Geschäftsordnung als Instrument der Regelung genannt ist, erscheint eine Auslegung der Verfassungsvorschrift möglich, nach der das Parlament die Regelung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten allein durch die kodifizierte Geschäftsordnung oder auf Grund derselben vornehmen darf. Es liegt i m Sinne einer solchen Auslegung, wenn die herrschende Meinung die kodifizierte Geschäftsordnung als autonome Satzung qualifiziert, wenn sie die verfassungsrechtliche Garantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie als Zuweisung autonomer Rechtsetzungsbefugnis an das Parlament ansieht und das außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung stehende autonome Parlamentsrecht nur als eine die autonome Satzung ergänzende oder derogierende Observanz oder als rechtlich unverbindlichen Parlamentsbrauch zu deuten vermag 3 . Bei einer solchen Auffassung bliebe dem Parlament zur unmittelbaren rechtlich verbindlichen Gestaltung seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten nur die Möglichkeit der Regelung durch Erlaß, Abänderung oder Aufhebung von Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung. Damit w i r d der kodifizierten Geschäftsordnung innerhalb des autonomen Parlamentsrechts eine ähnliche Bedeutung zugemessen, wie sie dem Gesetz i m sonstigen Recht zukommt: Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten könnten, abgesehen von der Möglichkeit der Entstehung von Gewohnheitsrecht, nur dann als rechtswirksam angesehen werden, wenn sie durch die kodifizierte Geschäftsordnung oder doch wenigstens auf Grund derselben ergingen, sei es weil die Abgeordneten i m Sinne eines Allgemeinvorbehalts nur auf diese Weise rechtlich verpflichtet werden könnten, sei es, daß i m Sinne eines Son2 So zu A r t . 27 D R V schon Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 57—62; K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 2 f ; August Plate: Die Geschäftsordnung des Preußischen A b geordnetenhauses, ihre Geschichte u n d ihre Anwendung, 2. Aufl., 1904, S. 22; L u d w i g von Rönne: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 4. Aufl., Bd. 1, 1881, S. 326; P a u l Laband: Parlamentarische Rechtsfragen, i n : D J Z Jg. 8 (1903) S. 5 ff; O. Th. L. Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 8, 13. 3 Vgl. Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 15 zu A r t . 40; Lechner/Hülshoff: Parlament und Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 4 Abs. 3 vor § 1 GeschOBT, S. 160. So auch schon K u r t Pereis, aaO, S. 3 u n d ders.: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 450; Reinhart Vogler, aaO, S. 6; H e r m a n n Breiholdt: Die A b s t i m m u n g i m Reichstag, i n : AöR N.F. Bd. 10 (1926) S. 296.
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dervorbehalts Regelungen nur ergehen dürften, wenn ein bestimmtes förmliches Verfahren — das autonomer Rechtsetzung — eingehalten würde. Veränderungen i n der Behandlung von Geschäftsordnungsangelegenheiten wären nur zulässig, wenn sie durch förmliche Abänderung oder Aufhebung der betreffenden Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung vorgenommen würden. Eine solche Auffassung entspricht, wie zu zeigen sein wird, weder dem rechtlichen Gehalt des Art. 40 Abs. 1 GG, noch vermag sie die parlamentarische Praxis zu erfassen oder die Probleme des autonomen Parlamentsrechts domatisch zu bewältigen. Die Auffassung, der kodifizierten Geschäftsordnung käme i m Rahmen der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie eine dem Gesetz vergleichbare Bedeutung zu, verdankt ihre Entstehung wohl der Tatsache, daß die Geschäftsordnungsangelegenheiten der Parlamente, bevor die Geschäftsordnungsautonomie Eingang i n das deutsche Verfassungsrecht fand, allein auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt werden konnten 4 . Damit war ihre Gestaltung durch den Vorbehalt und den Vorrang des Gesetzes beschränkt: Geschäftsordnungsangelegenheiten konnten rechtswirksam nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt, Geschäftsordnungsgesetze konnten nur auf dem Wege der Gesetzgebung aufgehoben oder abgeändert werden. Da das Parlament mit der Einführung der Geschäftsordnungsautonomie seine Geschäftsordnungsangelegenheiten selbst und i n eigener Verantwortung regeln durfte und sich i n Ausübung dieses Rechts eine kodifizierte Geschäftsordnung gab, trat diese i n gewissem Sinne an die Stelle des Geschäftsordnungsgesetzes. Daher lag es nahe, nun auch den Erlaß der kodifizierten Geschäftsordnung als einen A k t der Rechtsetzung zu begreifen und der kodifizierten Geschäftsordnung eine ähnliche Bedeutung zuzumessen wie sie vorher dem Geschäftsordnungsgesetz zukam 5 . Eine Auslegung des Art. 40 Abs. 1 GG, nach der die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten nur durch die kodifizierte Geschäftsordnung oder auf Grund derselben erfolgen darf, könnte nur dann als zutreffend angesehen werden, wenn der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie dieser Inhalt von Anfang an eigen gewesen wäre, da sie mit ihrem traditionellen Gehalt in das Grundgesetz aufgenommen wurde und keine Anzeichen auf eine Veränderung dieses Gehaltes hindeuten. 4 Vgl. oben § 2 Nr. 1, S. 21 if. 5 Besonders deutlich w i r d das z. B. bei Ferdinand von Martitz: Betrachtungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1868, S. 83, der i n der Geschäftsordnungsautonomie eine Befugnis gesetzgebender Gewalt sah.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Wie die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n diesem Punkt ursprünglich ausgelegt worden ist, läßt sich nicht aus einer Einordnung der kodifizierten Geschäftsordnung i n die herkömmlichen Kategorien der Rechtsquellen herleiten sondern nur auf Grund der Handhabung der Verfassungsgarantie i n der Staatspraxis feststellen. A u f die Staatspraxis ist deshalb näher einzugehen. Ihre Schilderung w i r d einen breiteren Raum einnehmen müssen, weil sie unter dem hier i m Vordergrund stehenden Gesichtspunkt bisher nicht ausgewertet worden ist. Es ist schon früh erkannt worden, daß die Gestaltung der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten nicht allein durch Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung erfolgt und daß es deshalb der Kenntnis und Berücksichtigung des gesamten übrigen autonomen Parlamentsrechts bedarf, um zu erkennen, i n welcher Weise ein Parlament von seiner Geschäftsordnungsautonomie Gebrauch macht. Die Autoren, die sich intensiver mit parlamentarischen Geschäftsordnungsfragen beschäftigten, haben das durchaus gesehen. Schon Robert von Mohl wies i n seiner 1860 erschienenen Abhandlung über „Die Geschäftsordnungen der Ständeversammlungen" darauf hin, daß die Parlamente „sich keineswegs immer genau an die Vorschriften ihrer Geschäftsordnung halten, sondern theils i m einzelnen Falle, theils sogar gewohnheitsmäßig nach vermeintlicher Zweckmäßigkeit davon abweichen" 6 . I n einem fünfzehn Jahre später erschienenen A r t i k e l über „Die Verhandlungen i m Reichstage" schrieb er: „ . . . jeden Falles bestehen überall neben den schriftlichen Feststellungen auch Gewohnheiten, theils zur Ausfüllung von Lücken, theils zur Abänderung von Feststellungen, welche sich i n der Erfahrung nicht erprobt haben" 7 . Robert von Mohl sah darin eine billigenswerte Berücksichtigung praktischer Bedürfnisse. Er schätzte zudem die m i t diesem Verfahren verbundenen Nachteile, die Erschwerung der Kenntnis des tatsächlich einzuhaltenden Verfahrens und die dadurch hervorgerufenen Unsicherheiten, gering gegenüber der Möglichkeit, nötige Änderungen und neue Regelungen ohne die zeitraubenden Verhandlungen einzuführen, die ausdrückliche Beschlüsse nun einmal erforderlich machten. Auch ergäbe sich auf diese Weise Gelegenheit, erst Versuche anzustellen, ehe eine bleibende Regelung erfolge. K u r t Pereis stellte fest, daß ein Eindringen i n die Geschäftsordnung unmöglich sei, „ohne eine vollständige Kenntnis der Anwendung und Auslegung, die sie i n den Verhandlungen des 6 Robert von M o h l : Die Geschäftsordnungen der Ständeversammlungen, i n : Robert von M o h l : Staatsrecht, Völkerrecht u n d Politik, Bd. 1, 1860, S. 284. 7 Robert von M o h l : Kritische Erörterungen über Ordnung u n d Gewohnheiten des deutschen Reiches, I I . Die Verhandlungen i m Reichstage, i n : ZgesStaatswiss. Bd. 31 (1875) S. 45.
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Organs, für welches sie bestimmt ist, gefunden hat sowie ganz besonders der Reichstagsobservanz" und betonte, daß die Möglichkeiten, von der Geschäftsordnung abzuweichen, so zahlreich seien wie die i n der Geschäftsordnung normierten Fälle 8 . Auch August Plate wies i n seinem Kommentar zur Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses darauf hin, daß „man auf die schriftliche Festlegung der Formen des parlamentarischen Verkehrs keinen allzu großen Wert legen" dürfe und „sich teils gegen die Geschäftsordnung, teils zu ihrer Auslegung und Ergänzung i m Laufe der Zeit gewisse Gewohnheiten und Bräuche (bilden), deren Kenntnis für die Handhabung der Geschäfte... durchaus notwendig ist" 9 . Die Erkenntnis, daß die kodifizierte Geschäftsordnung nicht das einzige Instrument zur Regelung des parlamentarischen Verfahrens ist und ihre Vorschriften sich nicht einmal gegenüber neu entstehendem „Parlamentsbrauch" durchzusetzen vermögen, veranlaßte Julius Hatschek dazu, die kodifizierte Geschäftsordnung sogar gegenüber dem Parlamentsbrauch, dem er keine rechtliche Verbindlichkeit sondern nur Konventionalregelcharakter zuerkannte, für „unterwertig" zu halten 1 0 . Selbst die Parlamentsverwaltungen mußten damals wie heute i n den von ihnen veranstalteten Ausgaben der kodifizierten Geschäftsordnungen der Tatsache Rechnung tragen, daß die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten i n nicht unerheblichem Umfang außerhalb und auch i m Widerspruch zu Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung erfolgt. So ist auf die verschiedenartigste Weise versucht worden, über den Abdruck des Textes der kodifizierten Geschäftsordnung hinaus ein einigermaßen zutreffendes B i l d von der Gestaltung der Geschäftsordnungsangelegenheiten zu vermitteln, wie sie i n der W i r k lichkeit der parlamentarischen Praxis gehandhabt wird. Anmerkungen, Hinweise und Anlagen dienen seit der Zeit des Konstitutionalismus diesem Zweck. I n der Weimarer Zeit war die Geschäftsordnung für den Reichstag m i t amtlichen „Anmerkungen" versehen, die nicht nur i n den von der Verwaltung des Reichstages veranstalteten Ausgaben der Reichstagshandbücher und der Geschäftsordnungen, sondern sogar i n der Bekanntmachung der Geschäftsordnung i m Reichsgesetzblatt mit abgedruckt waren 1 1 . Auch die von der Parlamentsverwaltung herausgegebenen Ausgaben der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages enthalten solche Anmerkungen, Hinweise und Anlagen, die dem gleichen Zweck dienen 12 . 8
K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. I I I u n d 4. August Plate, aaO (Anm. 2), S. I I I u n d I V . 10 Julius Hatschek, aaO (Anm. 2), S. 18, 43. 11 Vgl. Bekanntmachung der Geschäftsordnung f ü r den Reichstag v o m 31. März 1931 (RGBl. I I S. 221). 12 Vgl. z.B. die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, heraus9
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Die Äußerungen i n der Literatur und die Geschäftsordnungsausgaben geben nur erste Hinweise, während die Handhabung der Geschäftsordnungsangelegenheiten i n der parlamentarischen Praxis deutlich zeigt, daß die Parlamente seit jeher ihre Geschäftsordnungsangelegenheiten nicht allein durch die Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung oder auf Grund derselben sondern auf verschiedene Weise auch außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung geregelt haben. 1. Das geschah einmal durch Beschlüsse des Parlaments, die außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung ergingen und Geschäftsordnungsangelegenheiten i n genereller Weise regelten. Solche Beschlüsse wurden schon vom Reichstag der Kaiserzeit und zwar über die geschäftsordnungsmäßige Behandlung von Etatresolutionen gefaßt 13 . Ihnen wurde die gleiche rechtliche Wirkung zuerkannt wie den Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung selber 14 . Die tatsächliche und rechtliche Bedeutung, die ihnen damals zugemessen wurde, zeigt sich darin, daß der Beschluß vom 12. Dezember 1891 i n den vom Reichstags-Büro veranstalteten Geschäftsordnungsausgaben mitabgedruckt 1 5 und schließlich sogar als Teil X i n die Geschäftsordnung aufgenommen wurde 1 6 , obwohl ein dahingehender Beschluß des Reichstages nie ergangen war. Auch die Praxis des Bundestages weist Beschlüsse auf, die außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung ergingen und die parlamentarische Behandlung bestimmter Angelegenheiten i n genereller Form regeln. Ihre Bedeutung kommt darin zum Ausdruck, daß sie als Anlagen zur Geschäftsordnung i n den von der Verwaltung des Deutschen Bundestages veranstalteten Separatausgaben ebenso abgedruckt sind wie i m „Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages". I n dieser Form ist über die „Behandlung von Vorlagen gemäß A r t i kel 2 und 3 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und gegeben von der V e r w a l t u n g des Deutschen Bundestages, J u l i 1962 u n d September 1965. 13 Beschluß des Reichstages i n der 64. Sitzung v o m 11. März 1886 (Sten. Ber. Bd. 87 S. 1443 u n d A n i . Bd. 89 Drs. Nr. 65 u n d 107) sowie Beschluß i n der 135. Sitzung vom 12. Dezember 1891 (Sten. Ber. Bd. 118 S. 3387 und Ani. Bd. 123 Drs. Nr. 303). Beide Beschlüsse sind abgedruckt bei K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 127 und bei Bernhard Jungheim: Die Geschäftsordnung für den Reichstag m i t Anmerkungen, 1916, Anm. I Β u n d D zu § 23, S. 61 f. 14 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 55, 127. 13 I n den A m t l i c h e n Reichstags-Handbüchern w a r dieser Beschluß zunächst anschließend an die kodifizierte Geschäftsordnung, aber deutlich von i h r getrennt, abgedruckt. Vgl. die Amtlichen Reichstags-Handbücher der 8. Legislaturperiode, S. 80 u n d Nachtrag dazu, S. 4; 9. Legislaturperiode, S. 80; 10. Legislaturperiode, S. 84. 16 Vgl. die A m t l i c h e n Reichstags-Handbücher der 11.—13. Legislaturperiode und den Abdruck der separaten Ausgabe von 1912 bei Friedrich W i l h e l m von Rauchhaupt: Handbuch der Deutschen Wahlgesetze u n d Geschäftsordnungen, 1916, S. 35.
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EURATOM" 1 7 , sowie über die „Behandlung von Rechtsverordnungen gemäß § 21 Abs. 6 und § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes sowie gemäß § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes" 18 entschieden worden. Auf die gleiche Weise sind ferner die vom Bundestag beschlossenen „Richtlinien für die Fragestunde" ergangen 19 . Sie legen die Vorschrift des § 111 der Geschäftsordnung über die Fragestunde i n einer Reihe von Punkten aus, enthalten ausführende Bestimmungen, bringen aber auch Abänderungen des i m § 111 vorgesehenen Verfahrens. So w i r d durch die Nr. 2 der Richtlinien die Zahl der Anfragen, die ein Abgeordneter an die Bundesregierung richten darf, auf drei Anfragen pro Woche beschränkt, während der § 111 eine derartige Begrenzung nicht enthält. Die Vorschrift der kodifizierten Geschäftsordnung sieht nach Bedarf mindestens einmal i m Monat eine Stunde eines Sitzungstages für Anfragen vor; die Richtlinien (Nr. 3) bestimmen jedoch, daß jede Plenarsitzung mit einer Fragestunde zu beginnen hat und darüber hinaus auch an sitzungsfreien Tagen Fragestunden abgehalten werden können. Die kodifizierte Geschäftsordnung verlangt, daß die Anfragen dem zuständigen Bundesminister mindestens drei Tage vorher mitgeteilt werden; die Richtlinien (Nr. 9) erlauben dem Präsidenten dagegen, Anfragen von offensichtlich dringendem öffentlichen Interesse auch zuzulassen, wenn sie erst am Tage vor der Fragestunde vorgelegt werden. Nach den Richtlinien (Nr. 14 und 15) darf der Fragesteller nur noch zwei Zusatzfragen stellen und der Präsident Zusatzfragen auch von anderen Abgeordneten zulassen, während die kodifizierte Geschäftsordnung nur Zusatzfragen des Fragestellers kennt und diese zuläßt, wenn sie notwendig sind, ihre Zahl aber keiner Beschränkung unterwirft. 17 Vgl. den Beschluß des Bundestages i n der 79. Sitzung der 3. Wahlperiode vom 25. J u n i 1959 (Sten. Ber. Bd. 43 S. 4314 Β u n d A n i . Bd. 62 Drs. III/1187), ergänzt durch den Beschluß des Bundestages i n der 194. Sitzung der 4. W a h l periode v o m 30. J u n i 1965 (Sten.Ber. Bd. 59 S. 9907 A u n d Anl.Bd. 100 Drs. I V / 3633), abgedruckt als Anlage 4 zu GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 89 f. 18 Vgl. den Beschluß des Bundestages i n der 17. Sitzung der 4. W a h l periode v o m 23. Februar 1962 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 579 Β u n d Anl.Bd. 77 Drs. IV/189 u n d IV/196), abgedruckt als Anlage 4 zu GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 90. 19 Vgl. 121. Sitzung der 3. Wahlperiode v o m 29. J u n i 1960 (Sten.Ber. Bd. 46 S. 6960 D) u n d Anlage 2 zum Stenographischen Bericht dieser Sitzung: „Neugestaltung der Fragestunde" (Sten.Ber. Bd. 46 S. 7031 f). I n der Sitzung erklärte Vizepräsident Schmid: „ . . . es liegen I h n e n die i m Ältestenrat erarbeiteten Richtlinien f ü r die Neuordnung der Fragestunde abgedruckt vor. I m Ältestenrat ist gestern Einverständnis darüber erzielt worden, diese Richtlinien, die eine Aktualisierung der Fragestunde zum Z i e l haben, nach der Sommerpause zu erproben . . . Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Widerspruch erfolgt nicht. D a n n ist so beschlossen." Die „Richtlinien für die Fragestunde" sind auch abgedruckt als Anlage 1 zu GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 74 ff.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
E i n e generelle R e g e l u n g v o n Geschäftsordnungsangelegenheiten a u ß e r h a l b d e r k o d i f i z i e r t e n G e s c h ä f t s o r d n u n g n a h m der B u n d e s t a g auch d u r c h seine Beschlüsse ü b e r das V e r f a h r e n z u r A u f h e b u n g d e r I m m u n i t ä t b e i V e r k e h r s d e l i k t e n u n d B a g a t e l l a n g e l e g e n h e i t e n , sowie ü b e r die E r t e i l u n g der Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung des Bundestages v o r . D a b e i w u r d e eine V o r e n t s c h e i d u n g des Ausschusses f ü r G e s c h ä f t s o r d n u n g u n d I m m u n i t ä t e i n g e f ü h r t , die m i t m i n d e stens z w e i D r i t t e l n der s t i m m b e r e c h t i g t e n M i t g l i e d e r des Ausschusses ergehen m u ß u n d d e m B u n d e s t a g d u r c h d e n P r ä s i d e n t e n s c h r i f t l i c h m i t g e t e i l t w i r d , ohne a u f d i e T a g e s o r d n u n g gesetzt z u w e r d e n . D i e V o r entscheidung des Ausschusses g i l t als E n t s c h e i d u n g des Bundestages, w e n n i n n e r h a l b v o n 7 T a g e n ( f r ü h e r : i n n e r h a l b v o n 3 Tagen) k e i n W i derspruch erfolgt 20. 20 Vgl. den Beschluß des Bundestages i n der 149. Sitzung der 1. W a h l periode v o m 8. J u n i 1951 (Sten.Ber. Bd. 8 S. 5964 B/C u n d Anl.Bd. 10 Drs. 1/2076 [neul) u n d die Beratung i n der 148. Sitzung v o m 7. J u n i 1951 (Sten.Ber. Bd. 8 S. 5944 B/D). Der Beschluß lautet: „Der Ausschuß f ü r Geschäftsordnung u n d I m m u n i t ä t w i r d beauftragt, i n allen Fällen v o n Verkehrsdelikten u n d i n den Fällen, die nach Auffassung des Ausschusses als Bagatellangelegenheiten zu betrachten sind, eine Vorentscheidung über die Aufhebung der I m m u n i t ä t gemäß A r t . 46 Abs. 2 des Grundgesetzes zu treffen, w e n n sich mindestens zwei D r i t t e l der stimmberechtigten M i t glieder des Ausschusses für den Beschluß entscheiden. Das gleiche g i l t für die Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung des Bundestages gemäß § 197 des Strafgesetzbuches. Die Beschlüsse des Ausschusses werden dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich m i t geteilt, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Sie gelten als E n t scheidungen des Bundestages, w e n n innerhalb von drei Tagen nach M i t teilung k e i n Widerspruch erfolgt." Vgl. auch den Beschluß des Bundestages i n der 36. Sitzung der 4. W a h l periode v o m 27. J u n i 1962 (Sten.Ber. Bd. 51 S. 1560 Β f f u n d Anl.Bd. 79 Drs. IV/506) : ,,a) Z u r Vereinfachung des Geschäftsganges ist der Ausschuß für W a h l prüfung, I m m u n i t ä t u n d Geschäftsordnung beauftragt, bei allen Fällen von Verkehrsdelikten eine Vorentscheidung über die Aufhebung der I m m u n i t ä t zu treffen, w e n n mindestens zwei D r i t t e l der stimmberechtigten Mitglieder des Ausschusses sich f ü r den Beschluß entscheiden. I m Wege der Vorentscheidung k a n n auch über die Strafvollstreckung entschieden werden, soweit nicht auf eine höhere Freiheitsstrafe als drei Monate erkannt w u r d e oder bei einer Gesamtstrafenbildung keine der erkannten Einzelstrafen drei Monate übersteigt. Die Beschlüsse des Ausschusses werden dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich mitgeteilt, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Sie gelten als Entscheidung des Bundestages, w e n n innerhalb von sieben Tagen nach M i t t e i l u n g kein Widerspruch erfolgt. b) Fälle, die nach Auffassung des Ausschusses f ü r Wahlprüfung, I m m u nität u n d Geschäftsordnung als Bagatellangelegenheiten zu betrachten sind, können bezüglich der Genehmigung zur Strafverfolgung i m Wege der V o r entscheidung w i e bei den Verkehrsdelikten behandelt werden. c) Die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 197 Satz 2 StGB bei Beleidigung des Bundestages k a n n i m Wege der Vorentscheidung w i e bei den Verkehrsdelikten erteilt werden." Der I n h a l t dieses Beschlusses erscheint jetzt unter A . Nr. 12 u n d 13 sowie
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Die Einführung der „Aktuellen Stunde" erfolgte durch die vom Bundestag beschlossenen „Vorläufigen Bestimmungen über Aussprachen zu Fragen von allgemeinem und aktuellem Interesse", die ebenfalls der kodifizierten Geschäftsordnung lediglich als Anlage beigegeben sind 2 1 . Auch die Zulassung von Zwischenfragen i n den Plenarsitzungen ging außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung vor sich. Hier besteht lediglich eine Vereinbarung i m Ältestenrat vom 26. Januar 1955, die unter dem Titel „Handhabung der Zwischenfragen i n den Plenarsitzungen" als Anlage zur kodifizierten Geschäftsordnung erscheint 22 . Durch die Zulassung von Zwischenfragen wurden die §§ 32 und 38 der kodifizierten Geschäftsordnung des Bundestages, nach denen ein Abgeordneter sich i n der Regel schriftlich bei dem Schriftführer, der die Rednerliste führt, zum Wort melden muß, und nur von der Rednertribüne sowie nur dann sprechen darf, wenn i h m der Präsident das Wort erteilt hat, modifiziert. I n der Ausgabe der kodifizierten Geschäftsordnung w i r d darauf i n der Weise aufmerksam gemacht, daß i n Anmerkungen zu den beiden Vorschriften auf die Regelung der Zwischenfragen i n der Anlage zur Geschäftsordnung verwiesen w i r d 2 3 . Dagegen gehört die der kodifizierten Geschäftsordnung ebenfalls als Anlage beigefügte „Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages" nicht zu den hier aufgeführten Regelungen außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung, denn sie ist i n dem durch Beschluß des Bundestages neu eingefügten § 21 a der Geschäftsordnung ausdrücklich zum Bestandteil der Geschäftsordnung erklärt 2 4 . Gegen Ende der 4. Wahlperiode des Bundestages fand übrigens die Übung der Verwaltung des Bundestages aus eigenem Antrieb die außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung gefaßten Beschlüsse über Geschäftsordnungsangelegenheiten als Anlagen der von ihr veranstalteten Ausgaben der Geschäftsordnung abzudrucken insoweit offizielle A n erkennung durch das Parlament selbst, als das Plenum auf Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung eine Änderung der Behandlung von Vorlagen gemäß A r t i k e l 2 und 3 unter B. der als Anlage 3 zur GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 79 ff, abgedruckten „Grundsätze i n Immunitätsangelegenheiten u n d i n Fällen der Ermächtigung gemäß § 197 StGB". 21 Vgl. den Beschluß des Bundestages i n der 159. Sitzung der 4. W a h l periode v o m 27. Januar 1965 (Sten.Ber. Bd. 57 S. 7821 C/D u n d dazu Anl.Bd. 95 Drs. IV/2958), abgedruckt als Anlage 6 zu GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 94 f. 22 Vgl. GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 77 f. 23 Vgl. GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 26 u n d 28. 24 Vgl. den Beschluß des Bundestages i n der 132. Sitzung der 4. W a h l periode v o m 24. J u n i 1964 (Sten.Ber. Bd. 55 S. 6498 A / B u n d Anl.Bd. 89 Drs. IV/1949 sowie Anl.Bd. 90 Drs. IV/2303) u n d Anlage 5 zu GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 91 ff.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und EURATOM förmlich als Änderung der Anlage 4 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages beschloß 24a . 2. Geschäftsordnungsangelegenheiten sind ferner auch von Fall zu Fall durch Beschlüsse, die keinerlei Grundlage i n der kodifizierten Geschäftsordnung hatten, entschieden worden. Das geschah immer dann, wenn die kodifizierte Geschäftsordnung selber keine Regelung der betreffenden Angelegenheiten enthielt. Dabei sahen sich die Parlamente nicht etwa i m Sinne eines Vorbehalts der kodifizierten Geschäftsordnung veranlaßt, diese jeweils vorher zu ergänzen, u m dadurch für ihre Entscheidungen eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Geschäftsordnungsfragen blieben auch nicht selten absichtlich ungeregelt und damit Lücken i n der kodifizierten Geschäftsordnung gelassen. Ferner wurde die Formulierung von Tatbeständen bewußt weit gefaßt, weil eine Festlegung vermieden oder m i t einer bestimmten Verfahrensweise vor der Entscheidung über ihre Aufnahme i n die kodifizierte Geschäftsordnung erst Erfahrungen gesammelt werden sollten. Der Reichstag des Kaiserreichs ging z. B. davon aus, daß nicht für alle seine Entscheidungen über Geschäftsordnungsfragen eine Grundlage i n der kodifizierten Geschäftsordnung vorhanden sein müsse. So wurden i n den Jahren 1876 und 1895 Abgeordnete, die nicht zu Präsidenten gewählt waren, durch einfachen, außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung ergehenden Beschluß des Reichstages ermächtigt, für eine gewisse Zeit das Präsidium zu übernehmen, obwohl die kodifizierte Geschäftsordnung dies nicht vorsah 25 . Resolutionen gehörten zum immer wieder benutzten Instrumentarium des Reichstages, obwohl ihre geschäftsordnungsmäßige Behandlung i n der kodifizierten Geschäftsordnung nicht vorgesehen war 2 6 . Auch über die Frage, ob und bis zu welchem Zeitpunkt Anträge und Vorlagen zurückgenommen werden können 2 7 , waren i n der Geschäftsordnung des Reichstages keine Vorschriften enthalten, so daß das Parlament von Fall zu Fall entscheiden mußte, ob es die Rücknahme zulassen wollte. Alle Fragen, die i n der kodifizierten Geschäftsordnung nicht geregelt waren, wurden durch Beschluß ad hoc entschieden. 24a Nachweise s. A n m . 17. 25 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 18. 26 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 55. 27 Vgl. dazu A d o l f Gröber, Bericht der Geschäftsordnungskommission über die Revision der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r des W ü r t t e m bergischen Landtags, i n : Verhandlungen der Württembergischen Zweiten K a m m e r (Kammer der Abgeordneten) auf dem 37. Landtag i n den Jahren 1907/1909, Beilagen-Bd. 105, 1909, Beilage 372, S. 535 ff ; K u r t Pereis, aaO (Anm 2Ì. S 64.
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Dieser Praxis folgte auch der Bundestag. Seine kodifizierte Geschäftsordnung enthält z. B. keine Vorschriften darüber, wann ein I r r t u m bei der Abstimmung beachtlich und die Wiederholung einer Abstimmung zulässig ist 2 8 . Bei einer grundsätzlichen Prüfung der Frage, was in diesem Falle zu gelten habe, ist der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zwar zur Formulierung gewisser Grundsätze gelangt, an die sich der Bundestag wohl auch gehalten hat. Die ursprünglich beabsichtigte Ergänzung der Geschäftsordnung i m Sinne dieser Grundsätze unterblieb aber, weil der Ausschuß später zu der Auffassung kam, daß über die Wiederholung der Abstimmung wegen Irrtums keine Vorschriften i n die kodifizierte Geschäftsordnung aufgenommen werden 2 9 und die jeweilige Entscheidung der Praxis des Bundestages überlassen werden sollte. Es wurde demnach davon ausgegangen, daß das Parlament grundsätzlich frei darüber entscheiden könne, ob es eine Regelung bestimmter Fragen i n seine kodifizierte Geschäftsordnung aufnehmen wolle oder nicht. Reichstag und Bundestag haben ihre Entscheidungen i n Geschäftsordnungsangelegenheiten also nicht nur auf Grund der Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung getroffen, sondern auch frei darüber entschieden, welche Angelegenheiten sie i n der kodifizierten Geschäftsordnung regeln oder ungeregelt lassen wollten. Erfolgte keine Regelung, so erging die Entscheidung von Fall zu Fall durch Beschluß mit einfacher Mehrheit 3 0 . 3. Schließlich zeigt die Parlamentspraxis, daß Entscheidungen über Geschäftsordnungsangelegenheiten seit jeher nicht nur außerhalb der von der kodifizierten Geschäftsordnung vorgesehenen Regeln sondern auch ohne ausdrücklichen Beschluß des Parlaments formlos und stillschweigend ergingen. Dabei wurde eine verbindliche Entscheidung des Hauses schon dann angenommen, wenn sich i m Parlament kein W i derspruch gegen die beabsichtigte Regelung erhoben hatte. Ein Beispiel dafür ist die stillschweigende Übernahme der gesamten kodifizierten Geschäftsordnung durch ein neugewähltes Parlament. I n diesem Fall ist die stillschweigende Übereinstimmung als Parlamentsentscheidung i n Geschäftsordnungsangelegenheiten von Lehre und Rechtsprechung seit langem anerkannt 3 1 . 28 Z u der Frage vgl. Ferdinand Bücker: Die Unverrückbarkeit von Parlamentsbeschlüssen i m Gesetzgebungsverfahren, Diss. K ö l n 1961. 29 Vgl. dazu Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 1 zu § 54 GeschOBT, S. 186 u n d Ferdinand Bücker, aaO, S. 34. 30 Vgl. A d o l f Gröber, aaO (Anm. 27), S. 583 f. 31 Vgl. dazu Theodor Maunz, aaO (Anm. 3), Rdnr. 19 zu A r t . 40 GG; v. Mangoldt/Klein: Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I V zu A r t . 40, S. 915; Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 4 vor § 1 GeschOBT, S. 159. So auch schon Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen
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A n der Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung läßt sich auch zeigen, unter welchen Umständen i n der parlamentarischen Praxis das Stillschweigen als Zustimmung und damit als Entscheidung über Geschäftsordnungsangelegenheiten angesehen wird. Die Übernahme kann nämlich einmal dadurch erfolgen, daß der Alterspräsident bzw. der amtierende Präsident zu Beginn einer neuen Wahlperiode eine gewisse Zeitlang die Verhandlungen nach den Vorschriften der Geschäftsordnung des vorangegangenen Parlaments führt und sich dagegen aus dem Hause kein Widerspruch erhebt. Das war i m Reichstag der Kaiserzeit seit der 6. Legislaturperiode 32 und i m Bundestag zu Beginn der 2. Wahlperiode der Fall. Die erste Sitzung der 2. Wahlperiode des Bundestages wurde nämlich „gemäß § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des ersten Deutschen Bundestages" 33 eröffnet und diese Geschäftsordnung auch i m weiteren Verlauf der Wahlperiode als maßgeblich gehandhabt, ohne daß sie förmlich beschlossen worden wäre oder sich Widerspruch gegen ihre Anwendung erhoben hätte. A u f andere Weise erfolgte die Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung zu Beginn der 3. Wahlperiode des Bundestages. Damals erklärte die Alterspräsidentin, daß die bisherige Geschäftsordnung nach einer interfraktionellen Vereinbarung auch für die 3. Wahlperiode gelte 34 . I n der 4. Wahlperiode des Bundestages schließlich gab der Alterspräsident dem Hause folgende interfraktionelle Vereinbarung bekannt: „Die bisherige Geschäftsordnung gilt auch für die 4. Wahlperiode." Er erklärte jedoch, nachdem sich kein Widerspruch erhob: „Das Haus ist damit einverstanden." 35 Zu Beginn der 5. Wahlperiode erklärte der Alterspräsident: „Nach einer interfraktionellen Besprechung gilt die Geschäftsordnung der vergangenen Session mit den späteren Beschlüssen und Vereinbarungen auch für diese Session. — Ich stelle fest, daß Sie damit einverstanden sind." 3 6 Weitere Beispiele für stillschweigend ergehende Entscheidungen bieten die zahlreichen Fälle, i n denen GeschäftsordnungsangelegenReichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, A n m . 2 zu A r t . 26, S. 202 f; Paul Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 1911, S. 345 A n m . 2; K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 2 u n d 4 sowie ders., aaO (Anm. 3), S.450. 32 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 2 u n d 4 sowie die Nachweise auf S. 2 A n m . 11. 33 Vgl. Alterspräsidentin F r a u Lüders i n der 1. Sitzung v o m 6. Oktober 1953 (Sten.Ber. Bd. 18 S. 1 B). 34 Vgl. Alterspräsidentin F r a u Lüders i n der 1. Sitzung v o m 15. Oktober 1957 (Sten.Ber. Bd. 39 S. 1 B). 35 Vgl. Alterspräsident Pferdmenges i n der 1. Sitzung v o m 17. Oktober 1961 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 1 B). 36 Vgl. Alterspräsident Adenauer i n der 1. Sitzung v o m 19. Oktober 1965, (Sten.Ber. Bd. 60 S. 1 B).
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heiten abweichend von der i n der kodifizierten Geschäftsordnung vorgesehenen Regelung entschieden werden. I m Reichstag der Kaiserzeit — i n dessen kodifizierter Geschäftsordnung Abweichungen zwar nicht vorgesehen waren, aber dennoch zugelassen wurden, wenn kein M i t glied widersprach — erging die Entscheidung darüber, welches Verfahren abweichend von dem i n der kodifizierten Geschäftsordnung vorgeschriebenen zu befolgen sei, i n der Regel nicht durch ausdrücklichen Beschluß des Hauses. Das vom Präsidenten vorgeschlagene Verfahren wurde vielmehr schon dann als gebilligt angesehen und angewandt, wenn keine Einwände dagegen erhoben wurden 3 7 . Die Geschäftsordnung für den Reichstag der Weimarer Zeit enthielt dann zwar i n ihrem § 114 eine ausdrückliche Bestimmung, nach der A b weichungen von ihren Vorschriften auf Grund eines Beschlusses des Reichstages erlaubt sein sollten, wenn keines der anwesenden Mitglieder widersprach. I n der Praxis des Reichstages wurde aber auch zu dieser Zeit für eine abweichende Regelung kein Beschluß des Hauses gefordert, sondern nur eine Abweichung verhindert, wenn Widerspruch erhoben wurde 3 8 . Die Geschäftsordnung des Bundestages bestimmt i n § 127, daß Abweichungen von ihren Vorschriften mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossen werden können 3 9 . Diese Bestimmung w i r d vom Bundestag i n Übereinstimmung mit der geschilderten Praxis seiner Vorläufer in der Weise gehandhabt, daß ein ausdrücklicher Beschluß über das in Abweichung von den Vorschriften der Geschäftsordnung einzuschlagende Verfahren i m allgemeinen dann nicht erfolgt, wenn kein Widerspruch erhoben w i r d 4 0 . 37 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 4; P a u l Laband, aaO (Anm. 2), S. 6; dazu auch Julius Hatschek, aaO (Anm. 2), S. 48; für das Preußische Abgeordnetenhaus August Plate, aaO (Anm. 2), S. 217. 38 Vgl. Heinrich von Brentano d i Tremezzo: Die Rechtsstellung des Parlamentspräsidenten nach Deutschem Verfassungs- u n d Geschäftsordnungsrecht, Diss. Gießen 1930, S. 33; K u r t Haagen, aaO (Anm. 1), S. 56 f. 39 Vgl. dazu den Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung u n d I m m u nität, betr. E n t w u r f der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, M i t berichterstatter Abg. Ewers (Anl.Bd. 13 Drs. 1/2550) S. 28: „ . . . Abweichungen aus praktischen Gründen dann zulässig . . . , wenn sie von einer M e h r heit von zwei D r i t t e l der anwesenden Mitglieder beschlossen werden". 40 Vgl. dazu Präsident Gerstenmaier i n der 1. Sitzung der 3. W a h l periode v o m 15. Oktober 1957 (Sten.Ber. Bd. 39 S. 110) anläßlich der W a h l der Stellvertreter des Präsidenten: „Ich nehme an, das Haus ist m i t dem folgenden Modus, der interfraktionell vereinbart ist, einverstanden, daß w i r uns i n diesem F a l l von der Vorschrift des § 2 hinsichtlich der W a h l durch Stimmzettel entbinden. — Ich höre keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden." u n d i n der 1. Sitzung der 4. Wahlperiode v o m 17. Oktober 1961 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 7 A) anläßlich der gleichen Gelegenheit: „ I c h nehme an, daß das Haus m i t der interfraktionellen Vereinbarung ein-
7 Arndt
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Der amtierende Präsident stützt sich übrigens bei einer beabsichtigten Abweichung häufig ausdrücklich auf eine interfraktionelle A b sprache oder eine Vereinbarung i m Ältestenrat 4 1 . Nicht selten w i r d auch die Formel gebraucht: „Ich darf das Einverständnis des Hauses verstanden ist, daß i n diesem F a l l auf die W a h l durch Stimmzettel v e r zichtet w i r d . Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden." Vgl. auch die Äußerungen der Alterspräsidenten zur Verbindung des Namensaufrufs zur Feststellung der Beschlußfähigkeit u n d der W a h l des Bundestagspräsidenten, die gemäß § 1 Abs. 4 GeschOBT getrennt vorgenommen werden müssen. Alterspräsidentin Frau Lüders i n der 1. Sitzung der 2. Wahlperiode v o m 6. Oktober 1953 (Sten.Ber. Bd. 18 S. 3): „ I c h schlage Ihnen vor, zur Vereinfachung des Geschäftsganges den Namensaufruf m i t P u n k t 2 der Tagesordnung: W a h l des Präsidenten zu verbinden. — Ich darf annehmen, daß das hohe Haus m i t diesem Vorschlag einverstanden ist." u n d i n der 1. Sitzung der 3. Wahlperiode v o m 15. Oktober 1957 (Sten.Ber. Bd. 39 S. 5 Β f): „ I c h empfehle zur Vereinfachung des Geschäftsganges diesen P u n k t der Tagesordnung (Namensaufruf der Abgeordneten) m i t P u n k t 3: W a h l des Präsidenten zu verbinden. Das hohe Haus ist, w i e ich sehe, damit einverstanden." Alterspräsident Pferdmenges i n der 1. Sitzung der 4. Wahlperiode v o m 17. Oktober 1961 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 2 C): „Ich empfehle zur Vereinfachung des Geschäftsganges diesen P u n k t der Tagesordnung (Namensaufruf der Abgeordneten) m i t P u n k t 3: W a h l des Präsidenten zu verbinden. — Das Haus ist m i t diesem Vorschlag einverstanden." Alterspräsident Adenauer i n der 1. Sitzung der 5. Wahlperiode v o m 19. O k t o ber 1965 (Sten.Ber. Bd. 60 S. 1 C/D): „Bisher ist es üblich gewesen, den Namensaufruf m i t der W a h l des Präsidenten . . . zu verbinden. Ich darf Sie fragen, ob Sie auch dieses M a l m i t diesem Vorgehen, durch das w i r ja Zeit sparen, einverstanden sind. — Ich stelle I h r Einverständnis fest . . . " Wegen dieser Praxis sind Bestrebungen i m Gange, bei einer Neuredaktion der kodifizierten Geschäftsordnung vorzusehen, daß die Feststellung der Beschlußfähigkeit durch Namensaufruf i n der Regel m i t der W a h l des Präsidenten verbunden w i r d . Vgl. den § 1 Abs. 5 des Neuredaktionsentwurfs des Abg. Ritzel i n Ausschußdrucksache 10 v o m 25. J u n i 1959 des A u s schusses für Wahlprüfung, I m m u n i t ä t u n d Geschäftsordnung der 3. W a h l periode. 41 Vgl. ζ. B. die Ernennung von acht vorläufigen Schriftführern i n der 1. Sitzung der 3. Wahlperiode v o m 15. Oktober 1957 (Sten.Ber. Bd. 39 S. 1 B) nach einer „interfraktionellen Absprache", obwohl i n § 1 Abs. 3 der gerade vorher übernommenen Geschäftsordnung n u r vier vorläufige Schriftführer vorgesehen waren. I n der 1. Sitzung der 4. Wahlperiode v o m 17. Oktober 1961 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 1 B) erklärte der Alterspräsident schlicht: „Anstatt vier Abgeordnete werden acht Abgeordnete als vorläufige Schriftführer benannt." I n der 1. Sitzung der 5. Wahlperiode v o m 19. Oktober 1965 (Sten. Ber. Bd. 60 S. 1 B) sagte der Alterspräsident: „Nach einer interfraktionellen Absprache darf ich zunächst 10 Mitglieder des Hauses bitten, m i r als v o r läufige Schriftführer zur Seite zu stehen", nachdem unmittelbar zuvor die Geschäftsordnung übernommen worden war, nach deren § 1 Abs. 3 vier Abgeordnete zu vorläufigen Schriftführern zu ernennen sind. O b w o h l die v o m Bundestag am 29. J u n i 1960 beschlossenen „Richtlinien für die Fragestunde" unter Ziffer 4 vorsehen: „Die Fragestunde darf 60 M i n u t e n nicht überschreiten", erklärte der amtierende Präsident Dehler i n der 13. Sitzung der 4. Wahlperiode v o m 31. Januar 1962 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 349 B): „ . . . auf G r u n d einer interfraktionellen Vereinbarung werden w i r heute . . . noch die restlichen Fragen erledigen". Vgl. auch die Beispiele i n A n m . 40.
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unterstellen..." Hauses" 42 .
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oder gar: „Ich unterstelle das Einverständnis des
Einer der wenigen Fälle, i n denen eine Abweichung von den Vorschriften der Geschäftsordnung nicht stillschweigend vor sich ging, weil ein Abgeordneter der Abweichung widersprach, ereignete sich zu Beginn der 5. Wahlperiode des Bundestages bei der Wahl der Stellvertreter des Präsidenten 43 . A u f die Erklärung des Bundestagspräsidenten, er nehme an, daß das Haus m i t der interfraktionellen Vereinbarung einverstanden sei, auf die Wahl durch Stimmzettel zu verzichten und über die vier Vorschläge gemeinsam abzustimmen, verlangte der Abg. Wuermeling durch Zuruf eine Zettelwahl, die übrigens für diesen Wahlakt durch § 2 der Geschäftsordnung ausdrücklich vorgeschrieben ist. Daraufhin beschloß der Bundestag m i t Zweidrittel-Mehrheit gemäß § 127 der Geschäftsordnung, von der Vorschrift abzuweichen und auf die Wahl durch Stimmzettel zu verzichten. Als anschließend über die Vorschläge für die vier Stellvertreter gemeinsam abgestimmt werden sollte, bat der Abg. Wuermeling um Einzelabstimmung, die ebenfalls i n § 2 der Geschäftsordnung vorgeschrieben ist. A u f Zurufe, die sich gegen die Einzelabstimmung wandten, antwortete der Bundestagspräsident: „Von § 127 darf man nur i n seltenen Fällen Gebrauch machen, aber nicht i n der Regel." Berücksichtigt man die zahlreichen Fälle, i n denen i n der Praxis des Bundestages stillschweigend von den Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung abgewichen wird, so kann die Äußerung des Bundestagspräsidenten nur dahin verstanden werden, daß das Plenum sich nicht zu häufig mit Zweidrittel-Mehrheit über einen Widerspruch gegen eine Abweichung hinwegsetzen sollte. 4. Die Auswertung der Staatspraxis zeigt ferner, daß selbst das von der kodifizierten Geschäftsordnung ausdrücklich vorgeschriebene Verfahren nicht selten ohne förmliche Änderung geändert wurde. Das ist bereits zur Kaiserzeit der Fall gewesen. Bemerkenswert ist besonders die der Bestimmung des § 26 Abs. 3 der Geschäftsordnung für den Reichstag widersprechende Regelung für die Bildung der Kommissionen. Während die kodifizierte Geschäftsordnung die Wahl der Kommissionsmitglieder durch die Abteilungen vorsah, erfolgte ihre Auswahl tatsächlich durch Vereinbarung i m Seniorenkonvent nach Maß42 Vgl. dazu z.B. Präsident Ehlers i n der 1. u n d 4. Sitzung der 2. W a h l periode v o m 6. u n d 28. Oktober 1953 (Sten.Ber. Bd. 18 S. 6 A u n d 23 C) anläßlich der W a h l von stellvertretenden Präsidenten des Bundestages durch Z u r u f statt der i n § 2 Abs. 1 GeschOBT vorgesehenen W a h l m i t verdeckten Stimmzetteln, u n d Präsident Gerstenmaier i n der 157. Sitzung der 2. Wahlperiode v o m 4. J u l i 1956 (Sten.Ber. Bd. 31 S. 8574 A) anläßlich der gleichen Gelegenheit. 43 Vgl. 1. Sitzung der 5. Wahlperiode am 19. Oktober 1965 (Sten.Ber. Bd. 60 S. 4 D f).
τ
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gäbe der Stärke der Fraktionen 4 4 . Dabei war auch die Einrichtung des Seniorenkonvents der kodifizierten Geschäftsordnung unbekannt. Mögen einige dieser Erscheinungen i m Sinne der herrschenden Meinung als Entstehung derogierender Observanz erklärt werden können, so ist das bei einer Reihe von Regelungen, die z. B. auch i n der Praxis des Bundestages zu finden sind, keinesfalls möglich. Diese sind nämlich i n der Absicht getroffen, sogleich vollziehbare Vorschriften festzulegen und sind dementsprechend auch vom Augenblick ihres Erlasses an als verbindlich gehandhabt worden. Die vom Bundestag beschlossenen „Richtlinien für die Fragestunde" z. B. treffen Regelungen, die das i n § 111 der Geschäftsordnung für die Fragestunde vorgeschriebene Verfahren i n verschiedenen Punkten abänderten 45 . Auch die bereits erwähnten Beschlüsse über die „Behandlung von Vorlagen gemäß A r t i k e l 2 und 3 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und EURATOM" und über die „Behandlung von Rechtsverordnungen gemäß § 21 Abs. 6 und § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes sowie gemäß § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes" 46 bewirkten eine Änderung des i n der kodifizierten Geschäftsordnung vorgesehenen Verfahrens, das sich sonst nach den §§ 77 Abs. 1, 101 und 96 a zu vollziehen hätte. Die ebenfalls bereits angeführten Beschlüsse des Bundestages zur Vereinfachung des Verfahrens bei Aufhebung der I m m u n i t ä t 4 7 sind ein weiteres Beispiel. Sie änderten durch die Einführung einer Vorentscheidung des zuständigen Ausschusses, die als Entscheidung des Hauses gilt, wenn innerhalb von 7 Tagen kein Widerspruch erfolgt, das i n § 114 der Geschäftsordnung vorgesehene Verfahren, bei dem davon ausgegangen wird, daß die Immunitätsaufhebung durch ausdrücklichen Beschluß des Bundestages erfolgt 4 8 . Die lediglich vom Ältestenrat vereinbarten Richtlinien für die „Handhabung der Zwischenfragen i n den Plenarsitzungen" 49 führten ein Verfahren ein, das nach den Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung, nach denen lediglich Zwischenrufe als erlaubt angesehen werden, unzulässig ist. Eine andere Vereinbarung i m Ältestenrat führte z. B. dazu, daß Kleine Anfragen, sobald die Bundesregierung zu ihrer Beantwortung 44 Vgl. dazu K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 22 A n m . 110 sowie S. 21 A n m . 105; Julius Hatschek, aaO (Anm. 2), S. 185 ff sowie S. 229 ff. 45 Vgl. die Ausführungen oben S. 91 m i t A n m . 19. 46 Vgl. oben S. 90 f. m i t A n m . 17 und 18. 47 Vgl. oben S. 92 m i t A n m . 20. 48 Vgl. § 114 GeschOBT u n d die oben i n A n m . 20 zitierten Bundestagsbeschlüsse. 4» Vgl. oben S. 93 u n d A n m . 22.
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bereit ist, nicht wie § 110 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung vorschreibt, auf die Tagesordnung gesetzt werden, sondern es w i r d lediglich i n den „Amtlichen Mitteilungen", die ohne Verlesung i n den Stenographischen Bericht aufgenommen werden, bekanntgegeben, daß die Antwort der Bundesregierung eingegangen ist, und unter welcher Drucksachennummer sie verteilt w i r d 5 0 . I m Ältestenrat wurde ferner vereinbart, daß die Bestimmung des § 26 Abs. 3 der Geschäftsordnung — Gegenstände, die nicht auf der Tagesordnung stehen, dürfen grundsätzlich nur beraten werden, wenn nicht fünf Mitglieder widersprechen — dann keine Anwendung finden soll, wenn i m Ältestenrat keine Einmütigkeit über die Aufsetzung eines Punktes auf die Tagesordnung erzielt werden konnte; i n diesem Fall soll über einen Antrag auf Aufsetzung auf die Tagesordnung durch Mehrheitsbeschluß des Hauses entschieden werden 5 1 . Ebenfalls durch eine Vereinbarung i m Ältestenrat sind die Vizepräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden und die Fraktionsgeschäftsführer generell zu den Sitzungen derjenigen Bundestagsausschüsse zugelassen worden, für die die Teilnahme auf Grund des § 73 Abs. 4 Satz 2 der Geschäftsordnung durch Beschluß des Bundestages auf die stimmberechtigten Mitglieder und ihre ordentlichen Vertreter beschränkt ist. Die Parlamentspraxis läßt demnach erkennen, daß die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie weder i n der Vergangenheit noch i n der Gegenwart dahin verstanden worden ist, daß die kraft der Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen nur i n der kodifizierten Geschäftsordnung oder auf Grund derselben getroffen werden dürften, u m gegenüber den Abgeordneten wirksam zu sein oder u m einer Verfassungsforderung nach Einhaltung eines bestimmten förmlichen Verfahrens zu genügen. Geschäftsordnungsangelegenheiten sind vielmehr außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung durch generelle wie durch von Fall zu Fall ergehende Beschlüsse des Parlaments geregelt worden. Die Verfassungsgarantie ist ferner auch nicht dahin verstanden worden, daß durch sie ein Vorrang der kodifizierten Geschäftsordnung geschaffen worden ist, auf Grund dessen ihre Bestimmungen nur durch ausdrückliche förmliche Änderung der kodifizierten Geschäftsordnung selber abgeändert werden dürften. Es besteht deshalb kein Anlaß, anzunehmen, daß kraft der Geschäftsordnungsautonomie rechtswirksame Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten nur durch die kodifizierte Geschäftsordnung 50 Vereinbarung i m Ältestenrat v o m 23. Februar 1950, vgl. dazu die A n m e r k u n g zu § 110 GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 63. 51 Vereinbarung i m Ältestenrat v o m 26. A p r i l 1955, vgl. dazu die A n m e r k u n g zu § 26 GeschOBT (Ausgabe September 1965) S. 24.
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oder auf Grund derselben erfolgen könnten. Grundsätzlich kann das Parlament i m Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie vielmehr frei darüber entscheiden, welche Geschäftsordnungsangelegenheiten es i n der kodifizierten Geschäftsordnung, welche es durch Beschlüsse außerhalb derselben regeln und bei welchen es von einer generellen Regelung absehen und die Entscheidung von Fall zu Fall treffen w i l l . Dieses Ergebnis stimmt mit einer Äußerung des Bundesverfassungsgerichts über ein, i n der es heißt, die Geschäftsordnung „könne Lücken enthalten und bewußt weit gefaßt" sein, die Form des Gesetzgebungsverfahrens sei „der Geschäftsordnung u n d d e r parlamentarischen P r a x i s " überlassen 52 . Es bleibt aber zu untersuchen, ob nicht bestimmte Geschäftsordnungsangelegenheiten auf jeden Fall i n der kodifizierten Geschäftsordnung selbst geregelt werden müssen. Das könnte z. B. i m Falle des A r t . 42 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes geboten sein, da „die Geschäftsordnung" für die vom Bundestag vorzunehmenden Wahlen Ausnahmen von der allgemeinen Regelung des A r t . 42 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes zulassen kann. Für diese Sonderregelung läge das immerhin deswegen nahe, weil für sie, ihrer über die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten möglicherweise hinausreichenden und auch nach außen wirkenden Bedeutung wegen, aus allgemeinen rechtsstaatlichen Erwägungen besondere Publizität und Evidenz geboten sein könnte. Diese Überlegung käme dann möglicherweise auch bei sonstigen wichtigen Vorschriften zum Tragen, wenigstens bei solchen, die unmittelbar endgültige Entscheidungen des Bundestages betreffen, wie z. B. diejenige über die Beschlußfähigkeit. Allein, die angeführten Gesichtspunkte führen dennoch nicht zu dem Ergebnis, die Verfassung gebiete die Aufnahme der i n Frage stehenden Regelungen i n die kodifizierte Geschäftsordnung. Denn alle Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung können gemäß § 127 i m einzelnen Fall durch Beschluß mit Zweidrittel-Mehrheit der anwesenden Abgeordneten durchbrochen werden 5 3 . Damit verlieren aber alle Argumente, die für einen Zwang zur Regelung i n der kodifizierten Geschäftsordnung angeführt werden können und sich aus der Forderung nach Publizität und Evidenz der betreffenden Vorschriften herleiten, ihre Überzeugungskraft. Denn sie sind an einer bis zur formellen A b änderung bestehenden Unverbrüchlichkeit genereller Vorschriften orientiert, die gerade für die kodifizierte Geschäftsordnung nicht besteht. 52
Vgl. B V e r f G E Bd. 1 S. 153 (Sperrung v o m Verfasser). D i e verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Durchbrechungen soweit ersichtlich, noch nie bezweifelt worden. 53
ist,
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Verschiedentlich ist nun allerdings behauptet worden, das Parlament sei durch die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie nicht nur berechtigt sondern auch verpflichtet, sich eine kodifizierte Geschäftsordnung zu geben 54 . Tatsächlich haben die Verfassungsvorschriften über die parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie wohl zur stillschweigenden Voraussetzung, daß sich die Parlamente eine kodifizierte Geschäftsordnung geben werden. Angesichts der deutschen parlamentarischen Tradition und der kontinentalen Rechtsauffassung erscheint es auch so gut wie ausgeschlossen, daß ein Parlament von dem Erlaß einer kodifizierten Geschäftsordnung ganz absieht und sich etwa mit der Aufzeichnung von Präzedenzfällen begnügt. Damit verliert die Frage, ob das Parlament verpflichtet sei, sich eine kodifizierte Geschäftsordnung zu geben, an praktischem Interesse. Selbst wenn aber i n der Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie eine Verpflichtung des Parlaments zum Erlaß einer kodifizierten Geschäftsordnung erblickt würde, so fehlte dieser Verpflichtung doch jeder konkrete Inhalt. Da es dem Parlament grundsätzlich freisteht, darüber zu entscheiden, welche Geschäftsordnungsangelegenheiten es i n der kodifizierten Geschäftsordnung regeln w i l l , könnte nicht einmal angegeben werden, welchen Mindestinhalt diese kodifizierte Geschäftsordnung aufweisen müßte. Zusammenfassend kann demnach festgestellt werden, daß die Verfassungsgarantie des A r t . 40 Abs. 1 des Grundgesetzes dem Parlament nicht nur das Recht gewährt, seine Geschäftsordnungsangelegenheiten ihrem Inhalt nach selbständig und unabhängig von anderen Staatsorganen zu regeln, sondern ihm auch erlaubt, frei darüber zu entscheiden, i n welchen Formen es diese Regelungen vornehmen w i l l . Die Frage, ob den kraft Geschäftsordnungsautonomie erlassenen Regelungen, wenn sie i n der Form der kodifizierten Geschäftsordnung ergehen, von Verfassungs wegen eine bestimmte Bindungswirkung zukommt, oder ob das Parlament auch über diese autonom verfügen kann, läßt sich ebenfalls nur durch Auswertung der Staatspraxis beantworten. Dabei zeigt sich, daß die deutschen Parlamente seit der Einführung der Geschäftsordnungsautonomie nach ihrem Gutdünken über die rechtliche Bindungswirkung der Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung befunden haben, indem sie Abweichungen unter den verschiedensten Voraussetzungen, sogar mit einfacher Mehrheit, zuließen. Sie sind demnach nicht davon ausgegangen, daß die Verfas54 So Eduard Hubrich: Das demokratische Verfassungsrecht des deutschen Reiches, 1921, S. 64; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 1), S. 2 A n m . 5; K u r t Haagen, aaO (Anm. 1), S. 2.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
sungsgarantie die Unverbrüchlichkeit oder eine bestimmte Bindungswirkung der Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung fordere. Abweichungen von den Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung, also Durchbrechungen i m Einzelfall bei Fortgeltung der generellen Vorschrift i m übrigen, erfolgten, ohne daß dies i n der Geschäftsordnung zugelassen war; Geschäftsordnungen enthielten aber auch Bestimmungen, die Abweichungen ausdrücklich gestatteten. Von den Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung wurde abgewichen, wenn keiner der anwesenden Abgeordneten widersprach. Das war zur Kaiserzeit die Praxis des Reichstages und des preußischen Abgeordnetenhauses, obwohl die kodifizierten Geschäftsordnungen dieser Parlamente keine Regelung der Frage enthielten, ob Abweichungen von ihren Vorschriften zulässig seien 55 . I m § 114 der Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922 war dagegen ausdrücklich geregelt, daß Abweichungen von ihren Bestimmungen durch Beschluß des Reichstages zugelassen werden konnten, wenn keiner der i n der Sitzung anwesenden Abgeordneten widersprach 50 . Unter den gleichen Voraussetzungen war zur Weimarer Zeit die Abweichung auch i n den kodifizierten Geschäftsordnungen der Parlamente verschiedener deutscher Länder zugelassen 57 . Die gleiche Regelung ist jetzt i n Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein i n Geltung 5 8 . I n einer Reihe von kodifizierten Geschäftsordnungen war für eine Abweichung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Anwesenden gefordert. Das galt zur Kaiserzeit i n Württemberg, wo allerdings auf Verlangen von mindestens zehn anwesenden Mitgliedern der Beschlußfassung eine Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß vorauszugehen hatte 5 9 , i n Braunschweig, wenn die anwesenden Vertreter der 55 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 2), S. 4 m i t Quellenangaben über entsprechende Äußerungen aus der Praxis des Reichstages i n A n m . 21 u n d verschiedenen Beispielen auf S. 5; Julius Hatschek, aaO (Anm. 2), S. 48; A d o l f Gröber, aaO (Anm. 27), S. 582 f; Paul Laband, aaO (Anm. 2), S. 6 u n d die Bemerkungen von August Plate, aaO (Anm. 2), S. I V u n d 217. se Über die tatsächliche Handhabung dieser Vorschrift vgl. oben S. 97. 57 So i n Sachsen: § 78 der Geschäftsordnung des Landtags v o m 3. März 1921; i n Baden: § 90 Abs. 3 der Geschäftsordnung v o m 19. November 1919; i n Thüringen: § 108 der Geschäftsordnung v o m 13. M a i 1924; i n Hamburg: § 79 der Geschäftsordnung v o m 14. März 1924, nach der allerdings n u r geringfügige Abweichungen zulässig waren; i n Oldenburg: § 92 Abs. 3 der Geschäftsordnung v o m 17. J u n i 1919 u n d i n Braunschweig: § 89 der Geschäftsordnung v o m 25. Januar 1927. Vgl. O. Th. L . Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928. 58 Vgl. § 95 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin v o m 3. Februar 1966 (GVB1. S. 454); § 91 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft v o m 13. März 1963 f ü r „geringfügige Abweichungen" u n d § 66 der Geschäftsordung des Schleswig-Holsteinischen Landtages v o m 17. Dezember 1956 (GVOB1. 1957 S. 1). 59 Vgl. § 79 der Geschäftsordnung der Zweiten K a m m e r des Königreichs Württemberg v o m 12. August 1909.
1. Kap.: Die Quellen
105
Landesregierung ihre Zustimmung erteilten 6 0 und i n Reuss ä. L., wo das Einverständnis der Landtagskommissarien erforderlich war, wenn ihre Berechtigungen berührt wurden 6 1 . Zur Weimarer Zeit galt i n Württemberg die gleiche Regelung wie schon zur Zeit des Kaiserreichs 62 . Die geltende Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sieht ebenfalls vor, daß eine Abweichung m i t Zweidrittel-Mehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden kann 6 3 . Die gleiche Regelung wie i m Bundestag gilt i n Baden-Württemberg, nur muß dort auf Verlangen von fünf Abgeordneten der Beschlußfassung eine Prüfung durch den zuständigen Ausschuß vorausgehen 64 . Einige kodifizierte Geschäftsordnungen ließen Abweichungen von ihren Vorschriften dann zu, wenn dem nicht eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten widersprach. So erlaubte zur Kaiserzeit i m Königreich Sachsen die Landtagsordnung und ihr folgend die Geschäftsordnung Abweichungen, wenn nicht zehn Abgeordnete widersprachen; bei Abweichungen von den Vorschriften der Landtagsordnung mußten allerdings die Vertreter der Staatsregierung zustimmen 65 . Zur Weimarer Zeit konnte eine Abweichung i n Mecklenburg-Strelitz beschlossen werden, wenn nicht vier anwesende Abgeordnete widersprachen 66 . Heute ist die Abweichung zulässig i n Bayern, wenn nicht mindestens fünfzehn, i n Niedersachsen zehn und i n Nordrhein-Westfalen fünf A b geordnete widersprechen 67 . 60 § 90 der Geschäftsordnung f ü r die Landesversammlung des Herzogtums Braunschweig v o m 19. M a i 1912. 61 Vgl. § 47 der undatierten Geschäftsordnung f ü r den Landtag des F ü r stentums Reuß ä. L. 62 Vgl. § 84 der Geschäftsordnung für den Württembergischen Landtag von 1926. 63 Vgl. dazu den Bericht des Ausschusses f ü r Geschäftsordnung u n d I m m u n i t ä t , betr. E n t w u r f der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Anl.Bd. 13 Drs.Nr. 1/2550), Bericht des Mitberichterstatters Abg. Ewers, S. 28: Abweichungen m i t Z w e i d r i t t e l - M e h r h e i t sollten zugelassen werden, w e i l „auch die vollständigste Geschäftsordung nicht jeden denkbaren Fall, der i m Parlamentsleben auftreten mag, berücksichtigen u n d regeln (kann), sodaß i m m e r wieder Fälle vorkommen mögen, i n denen i n einem einzelnen F a l l eine Abweichung von den zwingenden Vorschriften der Geschäftsordnung i m Interesse der praktischen Erledigung geboten sein mag." 64 Vgl. § 100 der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg v o m 21. Oktober 1965 (Beilage IV/2000). 85 Vgl. § 39 Abs. 1 der Landtagsordnung v o m 12. Oktober 1874 (GVB1. S. 378) u n d § 43 der Geschäftsordnung f ü r die zweite K a m m e r der Ständeversammlung v o m 13. Oktober 1874. 66 Vgl. § 114 der Geschäftsordnung für den Landtag von MecklenburgStrelitz v o m 24. November 1923. 67 Vgl. § 151 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag v o m 13. Dezember 1954: Der Landtagspräsident hat durch ausdrückliches Fragen den Abgeordneten Gelegenheit zu geben, Widerspruch zu erheben; § 95 der Geschäftsordnung für den Nieder sächsischen Landtag der Fünften W a h l -
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Von den Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung konnte aber auch mit einfacher Mehrheit abgewichen werden. So war es dem Landtag von Schwarzburg-Rudolstadt zur Kaiserzeit erlaubt, „die Formen der Erörterung, Berathung und Abstimmung nach den Bedürfnissen des Augenblicks abzukürzen und zu ändern" 6 8 . Auch i n Baden und Anhalt bestanden damals Abweichungsmöglichkeiten durch Mehrheitsbeschluß, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Regierung zustimmte 6 9 . Heute kann i n Hessen durch einfachen Beschluß des Landtages von der kodifizierten Geschäftsordnung abgewichen werden 7 0 ; i n Rheinland-Pfalz bedarf es dazu des Beschlusses der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl 7 1 . Bei der Beurteilung dieser Praxis ist zu berücksichtigen, daß für die Abweichungen nicht einmal ein förmlicher Beschluß des Parlaments für erforderlich gehalten wurde, sondern daß die Abweichung als gebilligt galt, wenn kein Widerspruch erfolgte. Nur wenn sich Widerspruch erhob, sah man Anlaß, einen die Abweichung billigenden ausdrücklichen Beschluß mit der dafür üblichen oder vorgeschriebenen Mehrheit zu fassen. Angesichts dieser Praxis besteht auch kein Anlaß, anzunehmen, daß die Verfassungsgarantie des A r t . 40 Abs. 1 des Grundgesetzes die Unverbrüchlichkeit der Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung fordere oder deren Durchbrechung nur gestatte, wenn dies mit einer bestimmten qualifizierten Mehrheit beschlossen wird. Die autonome Regelungsbefugnis des Parlaments erstreckt sich vielmehr auch darauf, über die Bindungswirkung der Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung zu verfügen. Es steht demnach verfassungsrechtlich nichts i m Wege, die Durchbrechung von Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung auch m i t einfacher Mehrheit zuzulassen. Periode v o m 12. J u n i 1963 (MinBl. S. 534); § 113 der Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen v o m 25. M a i 1965. 68 Vgl. § 24 des Gesetzes v o m 19. Januar 1872, die E i n f ü h r u n g einer neuen Geschäftsordnung f ü r den Landtag betreffend (Ges.-S. S. 77). 69 Vgl. § 52 der Geschäfts-Ordnung f ü r die Zweite K a m m e r der L a n d stände des Großherzogtums Baden v o m 16. J u l i 1912, nach dem i n dringenden Fällen i m Einverständnis m i t der Regierung beschlossen werden konnte, die Formen der Beratung u n d Entscheidung i n jeder geeigneten Weise abzukürzen. Nach § 101 des anhaltischen Gesetzes, betreffend die E i n f ü h r u n g einer neuen Geschäftsordnung f ü r den Landtag v o m 16. A p r i l 1914 (Ges.-S. S. 471) konnten Abweichungen bei besonderem Bedürfnis für den einzelnen F a l l m i t Z u s t i m m u n g der Staatsregierung beschlossen w e r den. Der Beschlußfassung mußte auf Verlangen von mindestens zehn Abgeordneten eine Vorberatung durch den Geschäftsordnungsausschuß v o r ausgehen. 70 Vgl. § 118 der Geschäftsordnung des Hessischen Landtags v o m 10. September 1952. 71 Vgl. § 110 der Geschäftsordnung f ü r den Landtag Rheinland-Pfalz v o m 18. März 1963.
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Den vom Parlament i m Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie getroffenen Regelungen kommt deshalb selbst dann, wenn sie i n der Form der kodifizierten Geschäftsordnung ergehen, nicht die Unverbrüchlichkeit, Publizität und Evidenz zu, die gesetzten Rechtsnormen nach rechtsstaatlichen Maßstäben eigen sein muß. Es ist aus diesem Grunde i m Rahmen des autonomen Parlamentsrechts auch unmöglich, klare Scheidungen zwischen mehr oder weniger formlosen Einzelfallentscheidungen und generellen förmlichen Vorschriften zu treffen und ihnen grundsätzlich rechtlich verschiedene Bindungswirkungen zuzumessen. Da die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten, wie die parlamentarische Praxis zeigt, auch ohne ausdrücklichen Beschluß des Plenums erfolgt, solange sich nicht Widerspruch aus der Mitte des Hauses erhebt, entscheiden über Geschäftsordnungsangelegenheiten tatsächlich i n nicht geringem Umfang die Organe des Parlaments, die m i t der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten i n besonderem Maße befaßt sind, wie Präsident, Ältestenrat und Geschäftsordnungsausschuß. Von diesen Parlamentsorganen kommt schon immer dem Präsidenten deswegen besondere Bedeutung für die Gestaltung der Geschäftsordnungsangelegenheiten zu, weil er es ist, der die Verhandlungen leitet und die Redeordnung sowie die parlamentarische Disziplin handhabt. Für i h n besteht keine strikte Bindung an die i m Hause übliche Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten und selbst an die Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung, weil er für Abweichungen keinen förmlichen Beschluß des Hauses herbeizuführen braucht, sondern nur durch Widerspruch an der beabsichtigten Abweichung gehindert bzw. zur Herbeiführung eines förmlichen Beschlusses gezwungen wird. Inwieweit ein Parlamentspräsident diese Möglichkeit zu großzügiger Handhabung der Geschäftsordnungsangelegenheiten ausnutzt, hängt freilich weitgehend von seinem persönlichen Temperament und von dem Ansehen ab, das er i m Hause genießt. Jedenfalls w i r d er i n wichtigeren Fällen sich vorher versichern, daß Abweichungen die Billigung des Hauses finden, schon um nicht durch Widerspruch desavouiert zu werden. I m Ältestenrat finden i n offenbar ständig wachsendem Umfang A b sprachen über die Handhabung von Geschäftsordnungsangelegenheiten statt und werden bestimmte Wege des Prozedierens vereinbart. Das zeigen die verschiedenen bereits angeführten Beispiele, die erkennen lassen, daß Geschäftsordnungsangelegenheiten auf Grund von „Vereinbarungen i m Ältestenrat" geregelt werden 7 2 . Dieser Einfluß des Älte72 Vgl. oben S. 100 f.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
stenrates beruht ganz wesentlich darauf, daß sich i n ihm die Verständigung zwischen den Fraktionen und dem Präsidenten über Geschäftsordnungsangelegenheiten zu vollziehen pflegt, was vor allem dadurch begünstigt wird, daß i h m i n der Regel die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen als deren Repräsentanten angehören. Die Vereinbarungen i m Ältestenrat haben wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung von Geschäftsordnungsangelegenheiten, obwohl der § 14 der Geschäftsordnung ausdrücklich bestimmt, daß der Ältestenrat kein Beschlußorgan ist. Freilich w i r k t eine solche Vereinbarung nicht unmittelbar normierend, sondern bedarf der Praktizierung durch den Präsidenten, der allerdings an den Vereinbarungen als Mitglied des Ältestenrates beteiligt ist, und ferner der stillschweigenden Billigung durch das Parlament. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann auf Grund von Vereinbarungen i m Ältestenrat auch das von der kodifizierten Geschäftsordnung vorgeschriebene Verfahren geändert werden. Die Vereinbarungen i m Ältestenrat stellen also Übereinkünfte zwischen den Repräsentanten der Fraktionen und dem Präsidenten über die zweckmäßigste Handhabung von Geschäftsordnungsangelegenheiten dar. Sie sind dabei keine rechtsverbindlichen Abmachungen, geben dem Präsidenten aber die Überzeugung, i n Übereinstimmung mit dem W i l len des Hauses zu handeln. Dafür, daß das Haus das beabsichtigte Verfahren tatsächlich billigt, geben sie keine Gewähr. Es ist immerhin möglich, daß die Repräsentanten der Fraktionen Vereinbarungen treffen, die keine allgemeine Billigung finden und die dann i m Plenum auf Widerspruch und Ablehnung stoßen. Vereinbarungen i m Ältestenrat über generelle Regelungen erstarken aber, wenn sie keinen Widerspruch erfahren, alsbald nach ihrer Bekanntgabe und Praktizierung zu autonomem Parlamentsrecht, das mit Hilfe der Disziplinargewalt des Präsidenten durchgesetzt wird. Nach den Vorschriften der §§ 129, 130 der Geschäftsordnung soll der Geschäftsordnungsausschuß einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Gestaltung der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten ausüben. Denn eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift der kodifizierten Geschäftsordnung darf der Bundestag gemäß § 129 nur nach Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß beschließen. Der Ausschuß kann gemäß § 130 auch Fragen, die sich auf Geschäftsordnungsangelegenheiten beziehen, aus eigener Initiative erörtern und dem Präsidenten darüber Vorschläge machen. Allerdings scheint der i n der Geschäftsordnung verankerte und i n den ersten beiden Wahlperioden tatsächlich auch vorhandene Einfluß des Ausschusses erheblich zurück- und auf den Ältestenrat übergegangen zu sein. Das zeigen die zahlreichen Vereinbarungen des Älte-
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stenrates, die Geschäftsordnungsangelegenheiten betreffen 73 . Seit einiger Zeit kommt es offenbar vor, daß i m Ältestenrat Vereinbarungen über die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten getroffen und I n terpretationen der kodifizierten Geschäftsordnung vorgenommen werden, ohne daß der dafür zuständige Geschäftsordnungsausschuß auch nur konsultiert w i r d oder i h m die Ergebnisse offiziell mitgeteilt werden.
7 Vgl. oben S. 100 f.
Zweites
Kapitel
Die Adressaten des autonomen Parlamentsrechts § 12: Der persönliche Geltungsbereich des autonomen Parlamentsrechts M i t der Begrenzung des Umfanges der dem Parlament kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie zukommenden Regelungsbefugnis auf die Geschäftsordnungsangelegenheiten 1 ist zugleich auch der Kreis der Personen abgesteckt, die als Adressaten des autonomen Parlamentsrechts überhaupt i n Frage kommen; sie müssen an der Abwicklung der Parlamentsgeschäfte i n irgendeiner Weise beteiligt oder wenigstens dabei anwesend sein: Abgeordnete, Mitglieder eines anderen Gesetzgebungsorgans oder der Regierung sowie ihre Beauftragten, soweit sie an den Arbeiten des Parlaments teilnehmen, Sachverständige und Zeugen bei den Beweiserhebungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, Interessenvertreter, Auskunftspersonen und Sachverständige bei Informationssitzungen von Ausschüssen, Zuhörer bei den Verhandlungen des Plenums und bei öffentlichen Informationssitzungen von Ausschüssen. Es steht außer jedem Zweifel, daß die Abgeordneten Adressaten des autonomen Parlamentsrechts sind, sowohl hinsichtlich des parlamentarischen Verfahrens als auch der parlamentarischen Disziplin. Die Mitglieder eines anderen Gesetzgebungsorgans und der Regierung sowie ihre Beauftragten können nach der seit der Zeit des Konstitutionalismus herrschenden Auffassung durch das autonome Parlamentsrecht weder berechtigt noch verpflichtet werden. Das Parlament w i r d demnach nicht als befugt angesehen, kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie sein Verhältnis zur Regierung und zu einer anderen Kammer rechtlich verbindlich zu regeln, da es nur Gewalt über seine eigenen Mitglieder h a t l a . Auf dieser Überzeugung beruhte die damals übliche Unterscheidung von innerer und äußerer Geschäftsordnung. Nur die erstere, die die inneren Angelegenheiten des Parlaments re1 Vgl. oben S. 64 ίϊ. la So Paul Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 344; M a x von Seydel: Commentar zur Verfassungs-Urkunde f ü r das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1897, S. 192; P a u l Hensel: Die Stellung des Reichskanzlers nach dem Staatsrechte des Deutschen Reiches, i n : A n n D R Jg. 1882 S. 16; K a r l Baumbach: Der Deutsche Reichstag, 1890, S. 31.
2. Kap.: Die Adressaten
111
gelte, konnte vom Parlament selbst erlassen werden, während es für die letztere, die das Verhältnis der Kammern zueinander und das des Parlaments zur Regierung regelte, der Feststellung durch Gesetz oder der Übereinkunft durch die Beteiligten bedurfte 2 . Seit dieser Zeit herrscht Übereinstimmung darüber, daß die am parlamentarischen Verfahren beteiligten Mitglieder anderer Verfassungsorgane und ihre Beauftragten i n Fragen des parlamentarischen Verfahrens nicht Adressaten des autonomen Parlamentsrechts sein können 3 . Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Denn das Fehlen rechtlicher Bindungswirkungen des autonomen Parlamentsrechts gegenüber anderen Staatsorganen ist darin begründet, daß die gegenseitigen Rechte und Pflichten und die Einwirkungsmöglichkeiten der Staatsorgane untereinander, jedenfalls i m gewaltenteilenden Rechtsstaat, auf der Ebene des Verfassungsrechts festgelegt sind und Verschiebungen innerhalb der auf diese Weise geschaffenen Kompetenzverteilung deshalb nicht durch die einseitige Regelung des rein internen Parlamentsverfahrens erfolgen dürfen. Deshalb kann z. B. das den Mitgliedern anderer Verfassungsorgane sowie ihren Beauftragten verfassungsrechtlich zustehende Zutritts- und Anhörungsrecht bei allen Sitzungen des Parlaments und seiner Ausschüsse (Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes) durch das autonome Parlamentsrecht i n keiner Weise beschränkt werden 4 . Ebensowenig könnte das Parlament durch autonomes Parlamentsrecht Mitglieder der Regierung über das i n der Verfassung verankerte Zitierungsrecht des Parlaments und seiner Ausschüsse (Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes) hinaus zur Anwesenheit i n einem seiner Unterorgane verpflichten, das nicht als Ausschuß i m Sinne dieser Verfassungsbestimmung angesehen w i r d wie z. B. der Ältestenrat. 2 Wegen der Unterscheidung u n d der aus i h r abgeleiteten Folgerungen vgl. Robert von M o h l : Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, 2. Aufl., 1840, Bd. 1, S. 695. Die Unterscheidung t r i f f t auch M a x Kulisch: Die rechtliche Stellung der beiden Häuser des österreichischen Reichsrates zur Geschäftsordnung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für Paul L a band, Bd. 1, 1908, S. 339. Vgl. dazu auch Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 38. 3 Z u r Rechtslage nach dem Grundgesetz vgl. Theodor Maunz, i n : Maunz/ D ü r i g : Grundgesetz, 1964, Rdnr. 18 zu A r t . 40; v. Mangoldt/Klein: Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., 1964, A n m . I V 2 zu A r t . 40, S. 915; Lechner/Hülshoff: Parlament u n d Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 4 vor § 1 GeschOBT, S. 159; Hans Nawiasky: Die Verpflichtung der Regierung durch Beschlüsse des Landtags nach bayerischem Verfassungsrecht, i n : Staat u n d Bürger, Festschrift für W i l l i b a l t Apelt, 1958, S. 141, 143; B V e r f G E Bd. 1 S. 148; Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 215 f ; Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958, S. 73 f. 4 Vgl. dazu Parlamentsausschüsse u n d Regierung, i n : AöR Bd. 83 (1958) S. 423 f f m i t A n m e r k u n g von K a r l Josef Partsch, S. 459 ff.
112
3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Aus den gleichen Gründen kann die seit der Zeit des Konstitutionalismus i m deutschen Verfassungsrecht anerkannte Befugnis des Parlaments, Große, Kleine und Mündliche Anfragen an die Regierung zu richten 5 , nicht kraft autonomen Parlamentsrechts durch die Verpflichtung der Regierung, zu antworten, ergänzt werden 6 . Denn die Regierung ist nur dann rechtlich verpflichtet, dem Parlament Rede und A n t wort zu stehen, wenn das auf Grund des Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes, der einen Mehrheitsbeschluß des Hauses bzw. eines Ausschusses voraussetzt, verlangt w i r d ; Mündliche Anfragen dürfen dagegen von einem einzelnen Abgeordneten, Kleine und Große Anfragen von fünfzehn bzw. dreißig Abgeordneten gestellt werden 7 . I n der Geschäftsordnung des Bundestages ist deswegen die Herbeirufung eines Bundesministers gemäß A r t . 43 Abs. 1 des Grundgesetzes i n § 46 völlig getrennt von den i n den §§ 105 ff getroffenen Bestimmungen über die Anfragen geregelt und zudem durch die Formulierung der §§ 106 und 108 deutlich zum Ausdruck gebracht, daß eine Verpflichtung der Bundesregierung zur Beantwortung nicht besteht 8 . Es ist deshalb unzutreffend, wenn sowohl bei v. Mangoldt/Klein wie auch bei Maunz/Dürig die Regelung der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen i n den §§105 ff der Geschäftsordnung des Bundestages als Konkretisierung des dem Bundestag i n Art. 43 Abs. 1 des Grundgesetzes eingeräumten Rechtes angesehen wird 9 . Auch die Vorschrift des § 115 der Geschäftsordnung des Bundestages, nach der die Bundesregierung dem Bundestag über die Ausführung 5 Vgl. dazu Meyer/Anschütz: Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 333 u n d S. 502 m i t A n m . 6; K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 65 u n d die §§ 31 a ff GeschORT. F ü r die Weimarer Zeit vgl. Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, A n m . 1 zu A r t . 33, S. 213; K u r t Pereis: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 458 f u n d die §§ 55 f f GeschOWRT. F ü r die Rechtslage nach dem Grundgesetz vgl. Theodor Maunz, aaO, Rdnr. 1 zu A r t . 43 u n d v. Mangoldt/Klein, aaO, A n m . I I I 2 zu A r t . 43, S. 936 f. 6 So i m Ergebnis auch Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 1 zu § 106, A n m . 3 zu § 110 u n d A n m . 2 zu § 111 GeschOBT, S. 210 f f ; Ritzel/Koch: Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 1952, A n m . 1 a zu § 106 GeschOBT, S. 180. So auch schon K u r t Pereis: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 459 m i t A n m . 30. 7 Vgl. §§ 105, 110, 111 GeschOBT. 8 Vgl. § 106 GeschOBT: „Der Präsident t e i l t der Bundesregierung die Große Anfrage m i t u n d fordert schriftlich zur E r k l ä r u n g auf, ob u n d w a n n sie antworten werde . . . " . Vgl. § 108 GeschOBT: „ L e h n t die Bundesregierung überhaupt oder f ü r die nächsten zwei Wochen die Beantwortung der Großen Anfrage ab, so k a n n der Bundestag die Große Anfrage zur Beratung auf die Tagesordnung setzen . . . " . 9 Vgl. v. Mangoldt/Klein, aaO (Anm. 3), A n m . I I I 2 zu A r t . 43, S. 937; Theodor Maunz, aaO (Anm. 3), Rdnr. 1 (am Ende) zu A r t . 43; beide offenbar i m Anschluß an Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 5), A n m . 1 zu A r t . 33, S. 213.
2. Kap.: Die Adressaten
113
seiner Beschlüsse schriftlich Auskunft zu geben und einen Zwischenbericht zu erstatten hat, wenn die Ausführung i n angemessener Frist nicht möglich ist, und nach der der Bundestag die Auskunft binnen einer von i h m zu bestimmenden Frist verlangen kann, vermag die Regierung rechtlich nicht zu binden, da sie i m Verfassungsrecht keine Grundlage besitzt 10 . Die Vorschrift enthält, soweit sie sich an die Bundesregierung richtet, nur die Kundgabe von Wünschen des Bundestages und i m übrigen Regelungen für das Verfahren innerhalb des Parlaments. Selbst dann, wenn andere Verfassungsorgane solchen i n der Geschäftsordnung niedergelegten Wünschen des Parlaments i n der Weise entgegenkommen, daß sie i n ihren Geschäftsordnungen die Vornahme der gewünschten Handlungen von sich aus anordnen, entstehen daraus keine gegenseitigen rechtlichen Verpflichtungen. Auch wenn durch autonomes Parlamentsrecht nach außen rechtlich verbindliche Bestimmungen über die Beziehungen zu anderen Verfassungsorganen nicht getroffen werden können, bleibt es dem Parlament doch unbenommen, die A r t und Weise zu regeln, i n der es den Verkehr mit anderen Verfassungsorganen gestalten w i l l . Dafür bieten die Ausgestaltung der parlamentarischen Fragen an die Regierung und die Zulassung von Regierungsvertretern zum Ältestenrat Beispiele. Soweit die Beziehungen zwischen den Verfassungsorganen nicht durch Verfassungsrecht geregelt sind, ist ihre Gestaltung auf die loyale Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten angewiesen und kann i n dem weiten Gebiet der täglichen Verfassungspraxis nicht einseitig durch die autonome Regelung eines Verfassungsorgans rechtlich bindend festgelegt werden. Das autonome Parlamentsrecht entfaltet gegenüber den am parlamentarischen Verfahren beteiligten Vertretern anderer Verfassungsorgane also keine rechtlichen Bindungswirkungen. Es regelt die parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten nach dem Willen des Parlaments und äußert für Nichtabgeordnete lediglich Reflexwirkungen. So befindet das Parlament z. B., soweit sich nicht dafür Grenzen unmittelbar aus der Verfassung ergeben, grundsätzlich autonom darüber, zu welcher Zeit und i n welcher A r t und Weise es Gesetzesvorlagen der anderen Verfassungsorgane behandeln w i l l , ohne daß diesen Organen irgendeine rechtliche Möglichkeit der Einwirkung auf diese parlamentarischen Entscheidungen gegeben wäre. Auch wenn das Parlament i m Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie den anderen Verfassungsorganen über ihre verfassungsrechtlich begründeten Rechte 10
So auch Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), A n m . 1 zu § 115, S. 198; Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 1 zu § 115 GeschOBT, S. 217. 8 Arndt
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
hinaus Befugnisse innerhalb des parlamentarischen Verfahrens einräumt, erhalten jene dadurch keine „Rechte", auf deren Ausübung sie bestehen könnten. So würde z. B. eine selbst i n der kodifizierten Geschäftsordnung verankerte Bestimmung, nach der ein Mitglied der Bundesregierung Z u t r i t t zum Ältestenrat haben soll, keinen Rechtsanspruch auf Teilnahme an dessen Sitzungen begründen können. Genausowenig haben Bundesrat und Bundesregierung Anspruch darauf, daß ihre Gesetzesvorlagen i m Bundestag dreimal gelesen werden, wie es die kodifizierte Geschäftsordnung grundsätzlich vorsieht. Es handelt sich bei allen diesen Vorschriften oder Maßnahmen u m Interna des Bundestages, dem unbestritten das Recht zusteht, von den Vorschriften seiner kodifizierten Geschäftsordnung abzuweichen, und der, wie bereits gezeigt wurde, nicht einmal genötigt ist, die Ordnung seines Verfahrens i n der Form der kodifizierten Geschäftsordnung zu regeln, sondern auch von Fall zu Fall nach seinem Belieben entscheiden darf, so daß schon deshalb ein Anspruch auf Einhaltung eines bestimmten Verfahrens nicht bestehen kann. Die Befugnisse, die anderen Verfassungsorganen i m parlamentarischen Verfahren eingeräumt sind und die nicht auf der Verfassung sondern lediglich auf autonomem Parlamentsrecht beruhen, begründen demnach keine Rechtspositionen. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Abgrenzung des Adressatenkreises des autonomen Parlamentsrechts ist ferner die Frage, ob die Mitglieder anderer Verfassungsorgane und ihre Beauftragten der parlamentarischen Disziplin unterliegen. Zur Zeit des Konstitutionalismus ging die Meinung völlig einhellig dahin, daß Regierungsvertreter der parlamentarischen Disziplin nicht unterworfen seien 11 . Streitig war lediglich, ob sie vom Parlamentspräsidenten i n ihrer Rede unterbrochen und auf den parlamentarischen Brauch verwiesen werden durften 1 2 . I n den A r t i k e l 33 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung und i n einige Länderverfassungen 13 wurde dann aber eine ausdrückliche Bestimmung aufgenommen, nach der die Regierungsvertreter der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden unterstehen sollten. Diese Bestimmung wurde von der 11 Vgl. z.B. M a x von Seydel, aaO (Anm. 1), A n m . I I I zu A r t . 27, S. 208, u n d ders.: Der deutsche Reichstag, in: A n n D R Jg. 1880 S. 414. So i m Ergebnis auch L u d w i g von Rönne: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 4. Aufl., Bd. 1, 1881, S. 343 f A n m . 3; Meyer/Anschütz, aaO (Anm. 5), S. 367 u n d S. 514; K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 96 f; Eduard Hubrich: Die parlamentarische Redefreiheit u n d Disciplin, 1899, 5. 441; Hermann F. Schmid: Parlamentarische Disziplin, i n : AöR Bd. 32 (1914) S. 480 ff. 12 Eduard Hubrich, aaO, S. 442 ff; Hermann F. Schmid, aaO. 13 Vgl. z. B. A r t . 24 Satz 4 der Verfassung des Freistaates Preußen v o m 30. November 1920; A r t . 16 Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen v o m 1. November 1920; § 20 Abs. 2 Satz 3 der Verfassung des Landes Thüringen v o m 11. März 1921.
2. Kap.: Die Adressaten
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herrschenden Meinung dahin ausgelegt, daß Ordnungsgewalt soviel wie Disziplinargewalt bedeute, und daß die Regierungsvertreter deshalb „der durch die Geschäftsordnung geregelten und vom Präsidenten zu handhabenden Disziplin des Hauses i n demselben Maße unterliegen wie die Abgeordneten, mit der Einschränkung, daß ihr verfassungsmäßiges Recht auf Anwesenheit und jederzeitiges Gehör durch die disziplinarischen Maßregeln des Präsidenten nicht beeinträchtigt werden dürfen" 1 4 . Dieser Auffassung folgend wurde damals ein Ordnungsruf auch gegenüber Regierungsvertretern für zulässig gehalten 15 . Julius Hatschek hat allerdings die Meinung vertreten, unter Ordnungsgewalt i m Sinne des Art. 33 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung sei etwas anderes zu verstehen als unter Disziplinargewalt 1 8 . Dafür spricht immerhin, daß bereits zur Zeit des Konstitutionalismus zwischen Disziplinargewalt und Ordnungsgewalt unterschieden wurde. Die Disziplinargewalt sollte nur gegenüber den Abgeordneten, die Ordnungsgewalt, die vor allem die Redeordnung betraf, auch gegenüber den Vertretern der Staatsregierung bestehen 17 . Diese sollten trotz ihres durch die Verfassung garantierten Rechtes, jederzeit gehört zu werden, dann nicht reden dürfen, wenn ein Mitglied des Hauses das Wort hatte oder eine Abstimmung i m Gange war 1 8 . Dem Parlamentspräsidenten sollte es auch erlaubt sein, sie zum Zwecke geschäftsleitender Mitteilungen zu unterbrechen und die Handlungsweise eines Regierungsvertreters zu beanstanden, was regelmäßig mit dem Hinweis darauf geschah, daß ein Mitglied des Hauses i m gleichen Falle zur Ordnung gerufen worden wäre 1 9 . Tatsächlich hat auch die Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922 den Ordnungsruf nur für Mitglieder des Hauses vorgesehen 20 . Es spricht demnach vieles dafür, daß Ordnungsgewalt i m Sinne des Art. 33 Abs. 4 nicht Disziplinargewalt bedeutet, sondern die 14 So Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 5), A n m . 4 zu A r t . 33, S. 215; ebenso Reinhart Vogler: Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, 1926, S. 45 ff, S. 50; Heinrich von Brentano d i Tremezzo: Die Rechtsstellung des Parlamentspräsidenten nach Deutschem Verfassungs- u n d Geschäftsordnungsrecht, Diss. Gießen 1930, S. 65 ff. 15 Vgl. z.B. K u r t Pereis, aaO (Anm. 6), S. 465; Reinhart Vogler, aaO, S. 50; Heinrich von Brentano d i Tremezzo, aaO, S. 66. 16 Vgl. Hatschek/Kurtzig: Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 512 ff. So auch L u d w i g Gebhard: Handkommentar zur V e r fassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 1932, A n m . 8 zu A r t . 33, S. 198. 17 Vgl. Julius Hatschek, aaO (Anm. 2), S. 211. 18 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 10), S. 87; August Plate: Die Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses, ihre Geschichte u n d ihre Anwendung, 2. Aufl., 1904, A n m . 6 zu § 44, S. 140. 19 Vgl. K u r t Pereis, aaO (Anm. 10), S. 96. 20 Vgl. § 89 GeschOWRT. 8*
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Vorschrift allein die Unterwerfung der Regierungsmitglieder unter die parlamentarische Redeordnung i n dem oben angegebenen Sinne zum Ausdruck bringen wollte. I n das Grundgesetz ist eine dem A r t . 33 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung entsprechende Vorschrift nicht aufgenommen worden. U m die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten der parlamentarischen Disziplin zu unterstellen, bedürfte es aber einer ausdrücklichen Verfassungsvorschrift. Denn eine solche Unterwerfung kann nicht aus der Befugnis des Parlaments, seine Disziplin autonom zu regeln, hergeleitet werden. Sie war auch nur immer dann anerkannt, wenn sie durch Verfassungsbestimmungen ausdrücklich angeordnet war. Zur Zeit des Kaiserreichs gehörte die Disziplinargewalt des Parlaments über die Regierungsvertreter nicht zu den Befugnissen, die i h m durch die Geschäftsordnungsautonomie eingeräumt waren 2 1 , und zur Weimarer Zeit wurde sie nur i n den Ländern als gegeben erachtet, i n denen sie von Verfassungs wegen dem Parlament ausdrücklich übertragen war 2 2 . Deshalb kann der Auffassung, daß die Mitglieder des Bundesrates und der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten der parlamentarischen Disziplin unterliegen 2 3 , nicht gefolgt werden. Bei der Auseinandersetzung u m diese Frage herrscht eine beträchtliche Verwirrung der Begriffe. Bei v. Mangoldt/Klein w i r d Ordnungsgewalt und Disziplinargewalt ausdrücklich gleichgesetzt. Deshalb werden dort Autoren, die dem Bundestag bzw. seinem Präsidenten lediglich eine Ordnungsgewalt über die Vertreter der Bundesregierung und des Bundesrates zuerkennen, für die dort vertretene Auffassung, diese unterstünden der Disziplinargewalt, angeführt, obwohl aus ihren Äußerungen das Gegenteil zu entnehmen ist 2 4 . Bei Maunz/Dürig w i r d die Disziplinargewalt der 21
Vgl. die Nachweise oben i n A n m . 11. Vgl. Reinhart Vogler, aaO (Anm. 14), S. 46 f f u n d Heinrich von Brentano d i Tremezzo, aaO (Anm. 14), S. 64 ff. 23 So Hermann von Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz, 1953, A n m . 3 zu A r t . 43, S. 245: „Sie unterliegen dabei wie bisher (!) der Ordnungsgewalt des Präsidenten."; v. Mangoldt/Klein, aaO (Anm. 3), A n m . I V 5 zu A r t . 43, S. 939: „Die . . . Zutrittsberechtigten unterstehen — ebenso wie schon nach A r t . 33 Abs. 4 W R V (!) — der Ordnungsgewalt, d . h . Disziplinargewalt des BT-Präsidenten . . . " . 24 So ist bei Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 3 zu § 40 GeschOBT, S. 179 ausdrücklich betont: „ E i n förmlicher Ordnungsruf ist n u r gegenüber Abgeordneten, gegenüber Mitgliedern der BReg. nur, w e n n diese i n ihrer Eigenschaft als Abgeordnete sprechen, zulässig."; aus der A n m . 1 zu § 45 GeschOBT, S. 182, daß es sich bei Sitzungsteilnehmern, die nicht Abgeordnete sind, u m Mitglieder der Bundesregierung, des Bundesrates sowie deren Beauftragte handele, k a n n nicht entnommen werden, daß diese der Disziplinargewalt des Parlaments unterliegen sollen, denn i n der Bestimmung ist von „Ordnungsgewalt" die Rede, der auch die Zuhörer unterstehen sollen, weshalb es sich gerade nicht u m Disziplinargewalt handeln kann. Das 22
2. Kap.: Die Adressaten
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§§ 40 ff der Geschäftsordnung des Bundestages als Leitungsgewalt bezeichnet. Sie soll nur gegenüber Abgeordneten bestehen, während die übrigen Sitzungsteilnehmer und die Zuhörer der Ordnungsgewalt i m Sinne des § 45 der Geschäftsordnung unterliegen sollen 25 . Die Geschäftsordnung des Bundestages selbst enthält keine Vorschriften, m i t denen eine Disziplinargewalt des Parlaments über die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates sowie ihre Beauftragten i n Anspruch genommen wird. Denn ein Ordnungsruf ist gemäß § 40 der Geschäftsordnung nur gegenüber Abgeordneten zugelassen 26 , und die Vorschrift des § 45, nach der die Sitzungsteilnehmer, die nicht Abgeordnete sind, der Ordnungsgewalt des Bundestagspräsidenten unterstehen, kann nicht dahin ausgelegt werden, daß die Vertreter der Bundesregierung und des Bundesrates der parlamentarischen Disziplin unterworfen werden sollen. Denn nach dieser Bestimmung unterstehen auch Zuhörer der Ordnungsgewalt, die nicht Disziplinargewalt bedeuten kann, weil die Zuhörer auf jeden Fall nur dem Hausrecht und der Polizeigewalt unterliegen können. Nach der Geschäftsordnung sind die Vertreter von Bundesregierung und Bundesrat nicht der Disziplinargewalt sondern lediglich der Redeordnung i n der Weise unterworfen, wie das zur Zeit des Kaiserreichs der Fall war 2 7 . Auch bei dieser Auffassung, die dem Parlament keine Disziplinargewalt über die Vertreter von Bundesrat und Bundesregierung zuerkennt, steht das Parlament ernsthaften Störungen von deren Seite nicht machtlos gegenüber. Jedenfalls besitzt der Parlamentspräsident das Hausrecht und die Polizeigewalt auch gegenüber Regierungs- und Bundesratsvertretern, weshalb diese i m äußersten Fall auch trotz ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus A r t . 43 Abs. 2 des Grundgesetzes aus dem Parlament verwiesen werden können, wenn sie diese Rechte gröblich mißbrauchen. Ein Sachruf ist allerdings i n § 40 der Geschäftsordnung nicht nur gegenüber Abgeordneten sondern auch gegenüber sonstigen Sitzungsteilgleiche g i l t f ü r Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), A n m . 4 zu § 40, S. 72, denn dort heißt es: „Der Präsident k a n n die Feststellung treffen, daß die Ordnung verletzt worden ist, u n d darauf hinweisen, daß die Äußerung, wenn sie von einem M i t g l i e d des Bundestages gefallen wäre, m i t einem Ordnungsruf geahndet worden wäre." Bei Schneider/Dennewitz, i n : Bonner Kommentar, A n m . I I 6 zu A r t . 40, heißt es: „Gegenüber den Vertretern der Bundesregierung hat der Präsident eine Ordnungsgewalt. Sie zur Ordnung zu rufen oder von der Sitzung auszuschließen steht i h m allerdings nicht zu, w i e überhaupt die Geschäftsordnung n u r für Mitglieder des Bundestages gilt." 25 Theodor Maunz, aaO (Anm. 3), Rdnr. 13 zu A r t . 40. 28 Vgl. Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 3 zu § 40 GeschOBT, S. 197, und Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), A n m . 4 zu § 40, S. 72. 27 Vgl. dazu die Ausführungen oben S. 114 f.; Lechner/Hülshoff, aaO; Ritzel/Koch, aaO.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
nehmern vorgesehen 28 . Diese formelle Verweisung zur Sache ist verfassungsrechtlich bedenklich, da es sich wegen der Folgen aus § 41 der Geschäftsordnung — Wortentziehung nach dreimaligem Sachruf — um die Anwendung eines Disziplinarmittels und daher u m die Ausübung von Disziplinargewalt handelt, der nur Abgeordnete unterliegen. Da die Vertreter des Bundesrates und der Bundesregierung gemäß Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes jederzeit, also auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden müssen 29 , erscheint es weder von der Sache her sinnvoll noch rechtlich vertretbar, dem Präsidenten das Recht einzuräumen, sie zur Sache zu verweisen, wenn sie das Wort zu einem bestimmten Gegenstand der Tagesordnung erhalten haben und i m Verlaufe ihrer Ausführungen von diesem Gegenstand abschweifen 30 . Der Bundestagspräsident kann den Redner lediglich i m Rahmen seiner geschäftsleitenden Befugnisse unterbrechen und ihn auf die Folgen aufmerksam machen, die sich aus § 48 Abs. 3 der Geschäftsordnung ergeben 31 , daß nämlich auf Verlangen von dreißig anwesenden Abgeordneten die Beratung über seine Ausführungen außerhalb der Tagesordnung eröffnet wird. Wenn ein Regierungsmitglied, das zugleich Abgeordneter ist, das Wort ergreift, ist zu unterscheiden, ob es als Minister oder als Abgeordneter spricht 32 . N i m m t es als Parlamentsmitglied das Wort, so unterliegt es i n vollem Umfang der parlamentarischen Disziplin, spricht es als Minister, beschränken sich die Befugnisse des Präsidenten auf die gegenüber den Vertretern anderer Verfassungsorgane zulässigen Maßnahmen. Die Unterscheidung zu treffen, i n welcher Eigenschaft ein 28 Vgl. Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 2 zu § 40 GeschOBT, S. 179, u n d Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), A n m . 2 zu § 40, S. 71. 29 Vgl. § 47 GeschOBT u n d dazu die Erläuterung von Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), S. 82. 30 So schon Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 5), A n m . 3 zu A r t . 33, S. 215 u n d K u r t Pereis, aaO (Anm. 6), S. 465 f ; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 14), S. 50; Heinrich von Brentano d i Tremezzo, aaO (Anm. 14), S. 66 f. 31 Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), A n m . 2 zu § 40, S. 71, erklären zwar den Sachruf für möglich, bemerken aber dazu, es sei zu berücksichtigen, daß die Vertreter von Bundesrat u n d Bundesregierung jederzeit auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden müssen. Jedoch sei es dem Präsidenten unbenommen, sie „darauf hinzuweisen, daß sie v o m Gegenstand der V e r handlung abweichen, w e n n sie das W o r t zu einem Gegenstand der Tagesordnung (also nicht ausdrücklich außerhalb der Tagesordnung) erhalten hatten". Vgl. dazu auch Theodor Maunz, aaO (Anm. 3), Rdnr. 22 zu A r t . 43. 32 So schon Eduard Hubrich, aaO (Anm. 11), S. 422 A n m . 88; Hermann F. Schmid, aaO (Anm. 11), S. 482 f f ; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 14), S. 46 f; Theodor Maunz, aaO (Anm. 3), Rdnr. 13 Nr. 2 zu A r t . 43; Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 3), A n m . 3 zu § 40 GeschOBT, S. 179; Ritzel/Koch, aaO (Anm. 6), A n m . 4 zu A r t . 40, S. 72; Gert K l i n k e : Die Geschäftsordnung des Bundestages, insbesondere die Rechtsstellung des Bundestagspräsidenten unter Heranziehung der Geschäftsordnungen der Länderparlamente, Diss. K ö l n 1959, S. 170.
2. Kap.: Die Adressaten
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Minister, der zugleich Abgeordneter ist, das Wort ergreift, w i r d dem Präsidenten nicht immer leicht fallen. Er w i r d diese Frage aber i n jedem Falle i m Hinblick auf die Folgen aus § 48 der Geschäftsordnung — Wiedereröffnung der Beratung — entscheiden müssen. Das autonome Parlamentsrecht vermag auch gegenüber den Zeugen und Sachverständigen bei der Beweiserhebung durch Untersuchungsausschüsse keine Rechtswirkungen zu entfalten. Denn i m Rahmen des autonomen Parlamentsrechts kann lediglich das innere Verfahren dieser Ausschüsse geregelt werden. Alle gegenüber den Zeugen und Sachverständigen verbindlichen Regelungen müssen dagegen i n den Vorschriften über den Strafprozeß, deren sinngemäße Anwendung auf die Beweiserhebung durch Art. 44 Abs. 2 des Grundgesetzes ausdrücklich angeordnet ist, ihre rechtliche Grundlage haben und können nicht durch autonomes Parlamentsrecht begründet werden, weil Rechtspflichten gegenüber Bürgern nur auf Grund formeller Gesetze geschaffen werden können. Bei den öffentlichen Informationssitzungen der Ausschüsse gemäß § 73 der Geschäftsordnung des Bundestages können Interessenvertreter, Auskunftspersonen und Sachverständige weder zum Erscheinen noch zur Aussage gezwungen werden, weil dafür eine der Regelung des Verfahrens der Untersuchungsausschüsse entsprechende Rechtsgrundlage fehlt und diese durch autonomes Parlamentsrecht nicht ersetzt werden kann. Soweit diese Personen erscheinen, haben sie das durch autonomes Parlamentsrecht geregelte Verfahren der öffentlichen Informationssitzungen hinzunehmen. Das autonome Parlamentsrecht vermag sie aber i n ihrem Verhalten rechtlich nicht zu binden. Einer Ungebühr ihrerseits kann der Ausschußvorsitzende lediglich m i t den Mitteln des Hausrechts begegnen. Die zu den Plenarsitzungen zugelassenen Zuhörer sollen nach § 45 der Geschäftsordnung der Ordnungsgewalt des Bundestagspräsidenten unterstehen. Das könnte zu der Annahme verleiten, sie seien als Adressaten des autonomen Parlamentsrechts anzusehen. Tatsächlich unterliegen sie allein dem unmittelbar durch Art. 40 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes dem Bundestagspräsidenten zugewiesenen Hausrecht und der Polizeigewalt, Befugnissen, die i n § 45 der Geschäftsordnung zwar angesprochen sind, dort aber nicht ihre Rechtsgrundlage haben. Das autonome Parlamentsrecht könnte lediglich, soweit man Hausrecht und Polizeigewalt nicht ausschließlich durch die Verfassung dem Bundestagspräsidenten übertragen ansieht, die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für ihre Ausübung z. B. dahingehend regeln, daß der Parlamentspräsident vorher den Sitzungsvorstand oder ein anderes Gremium anhören muß oder auch nur i n Ubereinstimmung mit ihnen entscheiden darf.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Adressaten des autonomen Parlamentsrechts ausschließlich die Abgeordneten sind. A l lein ihnen gegenüber zeitigt das autonome Parlamentsrecht rechtliche Wirkungen. Für die am parlamentarischen Verfahren beteiligten Vertreter anderer Staatsorgane hat das autonome Parlamentsrecht lediglich die Bedeutung einer bloßen Tatsache und kann für sie Rechte und Pflichten nicht begründen.
Drittes
Kapitel
Der Geltungsrang des autonomen Parlamentsrechts § 13: Das Verhältnis von autonomem Parlamentsrecht und Gesetz Die Frage nach dem Geltungsrang des autonomen Parlamentsrechts muß sich auf dessen Verhältnis zum einfachen Gesetz richten, denn es versteht sich von selbst, daß die kraft Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen i m Range unter der Verfassung stehen. Das Verhältnis des autonomen Parlamentsrechts zum Gesetz ist bisher ausschließlich an Hand der herrschenden Meinung über die Qualifikation der kodifizierten Geschäftsordnung als autonome Satzung und durch ihre Einordnung i n die Rangkategorien der Rechtsquellen bestimmt worden. Das Verhältnis w i r d ausschließlich nach dem Satz „lex superior derogat legi inferiori" beurteilt. Die Äußerungen zu der Frage sind demnach i m allgemeinen auf die Feststellung beschränkt, die gewöhnlichen Gesetze gingen der kodifizierten Geschäftsordnung i m Range vor, die Geschäftsordnung stehe unter dem Gesetz, ihre Bestimmungen müßten den Gesetzen entsprechen 1 . Aus dem auf diese Weise konstruierten Rangverhältnis w i r d dann gefolgert, die Geschäftsordnung dürfe keine Bestimmungen enthalten, die gegen die bestehenden Gesetze verstoßen, oder gar, die autonome Regelungsbefugnis reiche nur soweit, als die Verfassung und die Gesetze keine Vorschriften enthalten 2 . Die herrschende Auffassung hat deshalb zu der Annahme geführt, das Parlament könne seine Geschäftsordnungsangelegenheiten auch auf dem Wege der Gesetzgebung regeln. I n diesem Sinne kann z. B. die Formulierung von Gerhard Anschütz verstanden werden: „Die Geschäftsordnung regelt die Organisation, das Verfahren und die Disziplin 1
Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 22 zu A r t . 40; v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., 1964, A n m . I V 2 zu A r t . 40, S. 915; Lechner/Hülshoff: Parlament u n d Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 4 Abs. 1 v o r § 1 GeschOBT, S. 160; B V e r f G E Bd. 1 S. 148. So auch schon K u r t Pereis: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449 f u n d Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, A n m . 2 zu A r t . 26, S. 202. 2 So z.B. Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958, S. 76.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
des Reichstages, soweit Verfassung und Gesetz hierüber keine Vorschriften enthalten 3 ." I n der parlamentarischen Praxis sind i n neuerer Zeit i m Saarland und i n Berlin Geschäftsordnungsangelegenheiten durch Gesetz geregelt worden. Die Geschäftsordnung des Saarländischen Landtages wurde durch Gesetz erlassen und wiederholt abgeändert, die Geschäftsordnung für die nach Art. 81 der Verfassung des Saarlandes eingesetzten Untersuchungsausschüsse erging ebenfalls auf dem Wege der Gesetzgebung4. Auch das Verfahren vor den Untersuchungsausschüssen des Abgeordnetenhauses von Berlin ist durch Gesetz geregelt worden 5 . Dem Bayerischen Landtag lagen i n der 4. Legislaturperiode zwei Initiativanträge von der CSU und von der Bayern-Partei vor, die eine gesetzliche Regelung für die Geschäftsordnung der Untersuchungsausschüsse vorsahen 6 . Die Abgrenzungsprobleme, die sich aus dem Verhältnis von autonomem Parlamentsrecht und Gesetz ergeben, können auf Grund der rechtlichen Qualifikation der kodifizierten Geschäftsordnung und der sich daraus ergebenden Einordnung i n die Rangstufen der Rechtsquellen nicht gelöst werden. Denn der Geltungsrang stellt dann keinen Maßstab für die Beurteilung des Verhältnisses dar, wenn von Verfassungs wegen für die Regelung eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit begründet ist 7 . Ist die Zuständigkeit zur Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten dem Parlament, und nur dem Parlament kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie, durch die Verfassung übertragen, so ist sie einer Regelung durch Gesetz nicht zugänglich und die Frage nach dem Rangverhältnis zwischen autonomem Parlamentsrecht und Gesetz damit hinfällig. Es bleibt demnach zu untersuchen, ob die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie eine ausschließliche Zuständigkeitsregelung für die Geschäftsordnungsangelegenheiten des Parlaments darstellt und damit einer gesetzlichen Regelung i m Wege steht. 3
Gerhard Anschütz, aaO. Vgl. Gesetz Nr. 544 über die Geschäftsordnung des Saarländischen Landtages v o m 20. Dezember 1956 (Amtsblatt S. 1625) i. d. F. der Ä n d e rungsgesetze Nr. 610 v o m 17. Dezember 1957 (Amtsblatt 1958 S. 61), Nr. 718 v o m 5. J u l i 1960 (Amtsblatt S. 532) u n d Nr. 730 v o m 21. November 1960 (Amtsblatt S. 919) u n d Nr. 819 v o m 19. J u l i 1965 (Amtsblatt S. 641). Siehe auch Gesetz Nr. 391 über eine Geschäftsordnung für die nach A r t . 81 der Verfassung des Saarlandes eingesetzten Untersuchungsausschüsse v o m 10. J u l i 1953 (Amtsblatt S. 395). 5 Vgl. Gesetz über das Verfahren vor den Untersuchungsausschüssen des Abgeordnetenhauses von B e r l i n v o m 10. August 1951 (GVB1. S. 575). 6 Vgl. Bayerischer Landtag, 4. Legislaturperiode, Vorlage 764 u n d 992. 7 So neuestens auch f ü r die Geschäftsordnung der Regierung Ernst W o l f gang Böckenförde: Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, 1964, S. 124. 4
3. Kap.: Der Geltungsrang
123
Zur Zeit des Konstitutionalismus verstand es sich noch von selbst, daß die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten auf dem Wege der Gesetzgebung mit der Geschäftsordnungsautonomie nicht vereinbar war. Denn das Zustandekommen eines Gesetzes war von der Zustimmung des Souveräns abhängig, während der Sinn und Zweck der Verfassungsgarantie darin bestand, andere Organe von der M i t w i r k u n g bei der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten auszuschließen. Den Mitgliedern der Regierung wurde lediglich das Recht zugebilligt, an den Verhandlungen des Parlaments über Geschäftsordnungsangelegenheiten m i t beratender Stimme teilzunehmen, weil sie auf Grund der Verfassung das Recht hatten, jederzeit i m Parlament das Wort zu ergreifen 8 . I m Jahre 1912 erklärte der damalige Stellvertreter des Reichskanzlers, der Staatsminister Delbrück, sogar, daß der Reichstag nach Art. 27 der Reichsverfassung seine Geschäftsordnung allein zu regeln habe und die verbündeten Regierungen dementsprechend darauf verzichteten, an den Verhandlungen über Geschäftsordnungsangelegenheiten teilzunehmen 9 . Der Reichstag hat auch von sich aus peinlich darauf geachtet, daß nur er selbst und ausschließlich seine Geschäftsordnung regele 10 . Gegen Ende der Weimarer Zeit hat dann Julius Hatschek darauf hingewiesen, daß die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten durch Gesetz nicht mehr i n Frage gekommen sei, seitdem der Reichstag i m Jahre 1906 ein Gesetz abgelehnt hatte, weil mit i h m versucht werden sollte, Geschäftsordnungsangelegenheiten zu regeln 11 . Heute wäre mit der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten auf dem Wege der Gesetzgebung zwar kein gleich starker Einfluß anderer Verfassungsorgane verbunden wie zur Zeit des Konstitutionalismus, weil das Zustandekommen eines Geschäftsordnungsgesetzes keiner Zustimmung anderer Staatsorgane bedürfte. Auch heute brächte aber die gesetzliche Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten vielfache rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten anderer Verfassungsorgane mit sich. Der Bundesrat könnte gemäß Art. 77 des Grundgesetzes den Vermittlungsausschuß anrufen und gegen das Gesetz Einspruch ein8 Vgl. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 3; M a x von Seydel: Der deutsche Reichstag, i n : A n n D R Jg. 1880 S. 408 A n m . 1; B e r n hard Jungheim: Die Geschäftsordnung für den Reichstag m i t Anmerkungen, 1916, A n m . 6 zu § 43, S. 119; u n d für Preußen: August Plate: Die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses, ihre Geschichte u n d ihre Anwendung, 2. Aufl., 1904, S. 22 u n d A n m . 9 zu § 44, S. 141. 9 Vgl. 54. Sitzung der 1. Session der 13. Wahlperiode v o m 3. M a i 1912, Sten.Ber. S. 1654. 10 Vgl. dazu i m einzelnen oben § 5 u n d die Darstellung v o n Julius H a t schek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 41 f. 11 Hatschek/Kurtzig: Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 505.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
legen, den der Bundestag unter Umständen nur mit qualifizierter Mehrheit zurückweisen könnte. Zudem bedürfte das Gesetz gemäß Art. 58, 82 des Grundgesetzes der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder einen Bundesminister sowie der Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten. Es gäbe auch kaum ein durchschlagendes Argument, u m Bundesrat und Bundesregierung die Gesetzesinitiative auf dem Gebiet der parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten zu verweigern, wenn für die Regelung der Weg der Gesetzgebung überhaupt offenstünde. Schließlich wäre es dann auch nicht auszuschließen, daß die Bundesregierung i n einer bestimmten Situation versuchte, eine Gesetzesvorlage über Geschäftsordnungsangelegenheiten des Bundestages auf dem Wege des A r t . 81 des Grundgesetzes durchzusetzen, indem sie mit Zustimmung des Bundesrates beim Bundespräsidenten beantragt, für diese Vorlage den Gesetzgebungsnotstand zu erklären. Die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten auf dem Wege der Gesetzgebung brächte ferner die Bindung eines neugewählten Parlaments an diese Regelungen mit sich, jedenfalls solange, bis es sie auf dem umständlichen und langwierigen Wege der Gesetzgebung wieder aufgehoben hätte, wollte man nicht annehmen, die Geltungsdauer solcher Gesetze sei auf die Wahlperiode desjenigen Parlaments beschränkt, das sie erlassen hat. Da die Verfassungsgarantie der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie aber die Einwirkungsmöglichkeiten anderer Verfassungsorgane gerade ausschließen w i l l , darf das Parlament sich entgegen dieser Intention der Verfassungsgarantie solchen Einflüssen nicht dadurch aussetzen, daß es für die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten den Weg der Gesetzgebung beschreitet. I m Grunde scheint auch Theodor Maunz diese Auffassung zu teilen, denn er sieht darin, daß durch Art. 41 Abs. 3 des Grundgesetzes zur näheren Regelung der Wahlprüfung nicht die Geschäftsordnung des Bundestages sondern ein Bundesgesetz ermächtigt und damit auch der Bundesrat beteiligt wird, eine Einschränkung der Parlamentsautonomie 12 . Eine Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten durch Gesetz kommt nur dann i n Frage, wenn die Verfassung selber, wie i m Falle des Art. 41 Abs. 3 des Grundgesetzes, die nähere Regelung auf diesem Wege ausdrücklich vorschreibt. Weder die geschäftsordnungsmäßige Behandlung von Immunitätsangelegenheiten 13 noch die Geschäftsord12
Vgl. Theodor Maunz, aaO (Anm. 1), Rdnr. 19 zu A r t . 41. F ü r diesen F a l l h ä l t auch Theodor Maunz den Gesetzgeber durch A r t . 40 Abs. 1 Satz 2 von der Regelung ausgeschlossen, aaO (Anm. 1), Rdnr. 78 zu A r t . 46. So auch Heinrich Meyer: Die I m m u n i t ä t der Abgeordneten, i n : Goltdammer's Archiv f ü r Straf recht, Jg. 1953 S. 109 f u n d ders.: Bundestag u n d I m m u n i t ä t , 1953, S. 7. 13
. Kap.: De Geltungsr
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nungsangelegenheiten der Untersuchungsausschüsse 14 oder andere Geschäftsordnungsfragen dürfen deshalb ohne ausdrücklichen Verfassungsauftrag auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt werden.
14 F ü r den F a l l eines Ausführungsgesetzes zu A r t . 44 verweist Theodor Maunz auf seine i n der vorigen A n m e r k u n g angeführte Äußerung zu A r t . 46; vgl. aaO (Anm. 1), Rdnr. 28 zu A r t . 44.
Viertes
Kapitel
Die Geltungsdauer des autonomen Parlamentsrechts § 14: Die zeitliche Geltung der kodifizierten Geschäftsordnung D i e k o d i f i z i e r t e G e s c h ä f t s o r d n u n g g i l t n a c h der h e u t e herrschenden M e i n u n g n u r f ü r das P a r l a m e n t , das sie sich selbst gegeben h a t ; e i n n e u g e w ä h l t e s P a r l a m e n t v e r m a g sie r e c h t l i c h n i c h t z u b i n d e n 1 . Gegen diese A u f f a s s u n g v o n der b e s c h r ä n k t e n G e l t u n g s d a u e r der k o d i f i z i e r t e n Geschäftsordnung s i n d i m m e r w i e d e r E i n w ä n d e e r h o b e n w o r d e n 2 . I n n e u e r e r Z e i t h a t H a n s S c h n e i d e r die A n s i c h t v e r t r e t e n , d i e Geschäftso r d n u n g w i r k e g r u n d s ä t z l i c h ü b e r die W a h l p e r i o d e h i n a u s ; die h e r r schende M e i n u n g b e r u h e a u f e i n e r l e e r e n K o n s t r u k t i o n , die gegenüber 1 Vgl. v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I V 2 zu A r t . 40, S. 915; Theodor Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 19 zu A r t . 40; Lechner/Hülshoff: Parlament u n d Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 4 vor § 1 GeschOBT, S. 159; Ritzel/Koch: Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 1952, A n m . 3 zu § 1, S. 18 f; G. B. Schweitzer: A k t u e l l e Probleme des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts, i n : N J W 1956 S. 85; Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 157 ff ; Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958, S. 65 ff. Vgl. dazu auch die bemerkenswerten Formulierungen des A r t . 56 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung für Württemberg-Baden v o m 28. November 1946: „ E r (der Landtag) gibt sich für jede Wahlperiode eine Geschäftsordnung." u n d A r t . 29 Abs. 1 u n d Abs. 2 Satz 1 der Verfassung für Württemberg-Hohenzollern v o m 20. M a i 1947: „(1) Der Landtag w ä h l t f ü r den Zeitraum, für den er gewählt ist, einen Präsidenten, dessen Stellvertreter u n d die Schriftführer. (2) Er gibt sich für denselben Zeitraum eine Geschäftsordnung." 2 Die Geschäftsordnung gelte, da sie staatliche Rechtsetzung, nämlich eine Verordnung des Parlaments sei, solange, bis sie ausdrücklich abgeändert werde; so Georg Jellinek: Besondere Staatslehre, i n : Georg Jellinek: A u s gewählte Schriften u n d Reden, Bd. 2, 1911, S. 253 u n d M a x Kulisch: Die rechtliche Stellung der beiden Häuser des österreichischen Reichsrates zur Geschäftsordnung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für Paul Laband, Bd. 1, 1908, S. 343. Die Fortgeltung der Geschäftsordnung v e r treten ferner, allerdings m i t unterschiedlicher Begründung: Bernhard Weiss: I n w i e w e i t ist der deutsche Reichstag H e r r seiner Geschäftsordnung?, Diss. Würzburg 1906, S. 7 A n m . 4; Josef B r a u n : Das autonome Reichstagsrecht, Diss. Bonn 1914, S. 50; Fritz Morstein M a r x : Beiträge zum Problem des parlamentarischen Minderheitenschutzes, 1924, S. 15 A n m . 32; K u r t Haagen: Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung . . . , Diss. Breslau 1929, S. 40 f f u n d neuerdings Stefan Böttcher: Die Rechtsstellung des Landtagspräsidenten, seine Rechte u n d Pflichten, Diss. K i e l 1956, S. 8 f.
4. Kap.: Die Geltungsdauer
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einer ganz anders verlaufenden Praxis nur durch eine Reihe von F i k tionen aufrechterhalten werden könne 3 . Tatsächlich erwecken zwei Erscheinungen aus der Praxis der Parlamente Zweifel an der herrschenden Meinung: Die kodifizierte Geschäftsordnung w i r d oft über viele Legislaturperioden hinaus tatsächlich befolgt, ohne daß sie nach der Neuwahl des Parlaments durch ausdrücklichen Beschluß wieder angenommen w i r d 4 . Das könnte dahin gedeutet werden, die neugewählten Parlamente gingen jeweils davon aus, an die bisher geltende Geschäftsordnung gebunden zu sein. Ferner werden bei der Ausarbeitung einer neuen Geschäftsordnung i n der Regel auch Vorschriften aufgenommen, die ihrer Natur nach nur für ein folgendes Parlament Bedeutung haben können, weil sie z. B. die Konstituierung regeln, das beschließende Parlament aber bereits konstituiert ist. Das könnte dafür sprechen, daß diese Bestimmungen in der Überzeugung formuliert wurden, sie würden auch ein folgendes Parlament binden 5 . Ob die kodifizierte Geschäftsordnung tatsächlich in ihrer rechtlichen Wirkung auf das jeweilige Parlament beschränkt ist, läßt der Wortlaut des Art. 40 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht erkennen. „Bundestag" i m Sinne dieser Vorschrift kann sowohl die kontinuierlich bestehende Verfassungsinstitution bezeichnen, deren Identität durch die Neuwahl des Parlaments nicht berührt wird, als auch den jeweiligen Bundestag i n seiner konkreten personellen Zusammensetzung. Meint „Bundestag" die Verfassungsinstitution, dann drängt sich die Auslegung auf, die Geschäftsordnung solle für diese erlassen werden und über die Legislaturperiode hinaus auch für einen neugewählten Bundestag gelten 6 . Meint „Bundestag" dagegen das Organ i n seiner konkreten personellen Zusammensetzung, dann kann daraus zwar gefolgert werden, daß jeder Bundestag selbst über seine Geschäftsordnungsangelegenheiten entscheiden soll. Das kann aber sowohl dahin ausgelegt werden, ein neugewählter Bundestag solle sich jeweils eine neue Geschäftsordnung geben und an die bisherige nicht gebunden sein, als auch dahin, die bis3 Hans Schneider: Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane für das Verfassungsleben, in: Rechtsprobleme i n Staat u n d Kirche, Festschrift für Rudolf Smend, 1952, S. 314. 4 So verfuhr der Reichstag zur Kaiserzeit von seiner sechstenWahlperiode an (vgl. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 4) und auch zur Weimarer Zeit (vgl. K u r t Pereis: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, in: HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 450 u n d Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, A n m . 2 zu A r t . 26, S. 202 f). Z u r Praxis des Bundestages vgl. oben § 11 Nr. 3, S. 96. 5 Bernhard Weiss, aaO (Anm. 2), stützt darauf seine These von der F o r t geltung der Geschäftsordnung über die laufende Wahlperiode hinaus. 0 So für die Weimarer Verfassung K u r t Haagen, aaO (Anm. 2), S. 42 f ; i m Anschluß an Josef Braun, aaO (Anm. 2), S. 48 ff.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
h e r i g e Geschäftsordnung gelte w e i t e r u n d d e m j e w e i l i g e n B u n d e s t a g w e r d e v o n Verfassungs w e g e n das Recht g a r a n t i e r t , diese Geschäftso r d n u n g nach s e i n e m W i l l e n z u gestalten. D i e B e s c h r ä n k u n g der G e l t u n g s d a u e r der k o d i f i z i e r t e n G e s c h ä f t s o r d n u n g k a n n d e m n a c h auch aus d e m Nachweis, „ B u n d e s t a g " bedeute i n A r t . 40 A b s . 1 des G r u n d g e s e t zes „ j e w e i l i g e r B u n d e s t a g " 7 , j e d e r B u n d e s t a g solle ü b e r sein V e r f a h r e n selbst entscheiden, n i c h t z w i n g e n d h e r g e l e i t e t w e r d e n 8 . N u n ist aber d i e V e r f a s s u n g s g a r a n t i e d e r p a r l a m e n t a r i s c h e n G e s c h ä f t s o r d n u n g s a u t o n o m i e seit i h r e r E n t s t e h u n g v o n Wissenschaft 9 u n d P a r l a m e n t s p r a x i s 1 0 i n d e m S i n n e ausgelegt w o r d e n , daß d i e G e l t u n g s d a u e r d e r k o d i f i z i e r t e n G e s c h ä f t s o r d n u n g a u f die D a u e r des P a r l a m e n t s b e s c h r ä n k t ist, das sie erlassen h a t . V o n dieser b i s h e r e i n h e l l i g a n e r k a n n t e n A u s l e g u n g der V e r f a s s u n g s g a r a n t i e abzuweichen, besteht 7 So neuerdings Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 1), S. 153 u n d i h m folgend Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 1), S. 67 f. Sie meinen, die F o r m u lierung i n A r t . 40 Abs. 1 G G „ E r g i b t sich eine Geschäftsordnung" müsse sich auf den jeweiligen Bundestag beziehen, w e i l n u r der jeweilige Bundestag „seinen Präsidenten, dessen Stelvertreter u n d die Schriftführer" wählen könne. F ü r die Frage der Geltungsdauer ist eine solche sich allein am W o r t l a u t orientierende Auslegung auch schon deshalb problematisch, w e i l die Entstehungsgeschichte der Verfassungsgarantie erweist, daß i h r Zweck allein die Ausschaltung des Einflusses anderer Staatsorgane auf die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten war, u n d daß über die Geltungsdauer nichts ausgesagt werden sollte. 8 So Theodor Maunz, aaO (Anm. 1). 9 Vgl. f ü r die Kaiserzeit: P a u l Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 345; ders.: Parlamentarische Rechtsfragen, i n : D J Z Jg. 8 (1903) S. 5; M a x v o n Seydel: Commentar zur VerfassungsU r k u n d e f ü r das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1897, A n m . 1 zu A r t . 27, S. 207; ders.: Der deutsche Reichstag, i n : A n n D R Jg. 1880 S. 408; Robert von M o h l : Kritische Erörterungen über Ordnung u n d Gewohnheiten des deutschen Reiches, I I . Die Verhandlungen i m Reichstage, i n : ZgesStaatswiss. Bd. 31 (1875) S. 48; K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 4. F ü r die Weimarer Zeit: vgl. z. B. Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 4), A n m . 2 zu A r t . 26, S. 202 f; K u r t Pereis: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 450; Hatschek/Kurtzig: Deutsches und preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 504 ff; Friedrich Giese: Deutsches Staatsrecht, 1930, S. 132. 10 So bereits i n der F r a n k f u r t e r Nationalversammlung, vgl. die Äußerungen der Abgeordneten T e l l k a m p f u n d K o l b (Franz Wigard: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu F r a n k f u r t am Main, Bd. 1, 1848, S. 166 ff). Auch die i n den ersten fünf Wahlperioden geübte Praxis des Reichstages des Kaiserreiches, die Geschäftsordnung des vorhergehenden Reichstages ausdrücklich zu übernehmen, zeigt, daß von einer Weitergeltung nicht ausgegangen wurde. Vgl. dazu K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 4 u n d die Nachweise dort auf S. 2 A n m . 10 u n d 11, sowie Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 26, der an anderer Stelle auch über die gleiche Auffassung i m Preußischen Abgeordnetenhause berichtet (S. 37), nach der die Geschäftsordnungsvorschriften nicht einmal über die Session hinaus Geltung haben sollten. Vgl. auch z. B. die E r k l ä r u n g des Präsidenten i n der 8. Sitzung der 4. Session der 1. Legislaturperiode des Reichstages v o m 26. März 1873, Sten.Ber. S. 90.
4. Kap.: Die Geltungsdauer
129
bei der unveränderten Übernahme des Wortlauts der Verfassungsvorschrift i n das Grundgesetz kein Anlaß. Die heute herrschende Lehre und der Bundestag selber sind deshalb mit Recht der überkommenen Auslegung gefolgt. Bei der Ausarbeitung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 6. Dezember 1951 wurde ausdrücklich der Überzeugung Ausdruck verliehen, daß jeder neugewählte Bundestag das Recht habe, sich eine neue, eigene Geschäftsordnung zu geben und an die bisherige nicht gebunden sei 11 . Es wurde dabei allerdings als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Geschäftsordnung ausdrücklich oder stillschweigend von den zukünftigen, neugewählten Bundestagen übernommen werden könne und entsprechend der deutschen parlamentarischen Praxis wohl auch übernommen werde. Deshalb ist die Geschäftsordnung des Bundestages wie andere Geschäftsordnungen auch nicht nur für den Rest der laufenden Wahlperiode, sondern i n der Überzeugung formuliert worden, daß ihre Bestimmungen auch nach einer Neuwahl angewendet werden 1 2 . Die i n der Eröffnungssitzung des Bundestages der dritten Wahlperiode abgegebene Erklärung des Alterspräsidenten, die bisherige Geschäftsordnung solle weitergelten 1 3 , und die Annahme der Geschäftsordnung zu Beginn der vierten 1 4 wie der fünften 1 5 Wahlperiode zeigen, daß das Parlament auch fernerhin nicht von einer Weitergeltung der bisherigen Geschäftsordnung ausgegangen ist. Die Beschränkung der Geltungsdauer der kodifizierten Geschäftsordnung auf den jeweiligen Bundestag läßt sich nicht nur aus der herkömmlichen Auslegung der Geschäftsordnungsautonomie herleiten. Sie findet auch eine sachliche Berechtigung i n dem verfassungsrechtlichen Prinzip der sich immer wieder erneuernden Repräsentation, dessen 11 Vgl. Abg. Ritzel als Vorsitzender u n d Berichterstatter des Ausschusses f ü r Geschäftsordnung u n d I m m u n i t ä t i n der 179. Sitzung der 1. Wahlperiode v o m 6. Dezember 1951 (Sten.Ber. Bd. 9 S. 7411 D f) u n d Abg. Ewers als Mitberichterstatter (aaO, S. 7460 D). 12 So der Abg. Ewers, aaO. 13 E r k l ä r u n g der Alterspräsidentin i n der 1. Sitzung v o m 15. Oktober 1957 (Sten.Ber. Bd. 39 S. 1 B): „Nach einer interfraktionellen Vereinbarung gilt die bisherige Geschäftsordnung vorläufig auch für die 3. Wahlperiode." T a t sächlich w u r d e die Geschäftsordnung die ganze Wahlperiode über befolgt. 14 E r k l ä r u n g des Alterspräsidenten i n der 1. Sitzung v o m 1. Oktober 1961 (Sten.Ber. Bd. 50 S. 1 B): „ I c h gebe dem Haus . . . folgende interfraktionelle Vereinbarung bekannt: Die bisherige Geschäftsordnung gilt auch für die 4. Wahlperiode m i t Ausnahme des § 6 Abs. 1, über dessen Neufassung i n t e r fraktionelle Besprechungen i m Gange sind. — Das Haus ist damit einverstanden." 15 E r k l ä r u n g des Alterspräsidenten i n der 1. Sitzung v o m 19. Oktober 1965 (Sten.Ber. Bd. 60 S. 1 B): „Nach einer interfraktionellen Besprechung gilt die Geschäftsordnung der vergangenen Session m i t den späteren Beschlüssen u n d Vereinbarungen auch f ü r diese Session. — Ich stelle fest, daß Sie damit einverstanden sind."
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Arndt
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3. Teil : Das autonome Parlamentsrecht
Sinn es ist, i n bestimmten zeitlichen Abständen immer wieder den Wandlungen des politischen Willens des Volkes entsprechend eine Neuzusammensetzung des Parlaments zu ermöglichen, u m damit den Weg zu neuen politischen Entscheidungen zu eröffnen. Diese periodische Revozierbarkeit der Zustimmung des Volkes zur Herrschaftsausübung — ein Grundelement der Demokratie 1 6 — verlangt, u m effektiv zu sein, daß ein neugewähltes Parlament ungehindert vom Einfluß des vorherigen über seine Angelegenheiten entscheiden kann 1 7 . Diese Entscheidungsfreiheit eines neugewählten Parlaments würde bei Fortgeltung der kodifizierten Geschäftsordnung aber gerade eingeschränkt werden können. Zwar umfaßt die kodifizierte Geschäftsordnung nur formelle Vorschriften, diese sind aber, wenn man mit der herrschenden Meinung von der Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung als autonomer Satzung und der damit verbundenen Bindungswirkung ihrer Vorschriften ausgeht, i n nicht geringem Umfang geeignet, Einfluß auch auf den materiellen Inhalt der Entscheidung des Parlaments auszuüben. Ein neugewähltes Parlament könnte zwar grundsätzlich Beeinträchtigungen seiner Entscheidungsfreiheit, die es durch die Fortgeltung der Geschäftsordnung erfährt, dadurch aufheben, daß es von der i h m jedenfalls zustehenden Befugnis zur Abänderung der Geschäftsordnung Gebrauch macht. Das neue Parlament wäre dabei aber immerhin an ein von seinem Vorgänger eingeführtes Verfahren für die Abänderung der Geschäftsordnung gebunden und müßte sich wohl auch nach den fortgeltenden Geschäftsordnungsvorschriften konstituieren, da es vor seiner Konstituierung kaum i n der Lage wäre, die Geschäftsordnung abzuändern.
§ 15: Die zeitliche Geltung des autonomen Parlamentsrechts Die aufgezeigten Grenzen für die zeitliche Geltung der kodifizierten Geschäftsordnung müssen für das gesamte autonome Parlamentsrecht gelten. Denn das neben der kodifizierten Geschäftsordnung stehende autonome Parlamentsrecht ergeht wie diese auf der gleichen rechtlichen Grundlage, kraft der Geschäftsordnungsautonomie, und muß deshalb den gleichen rechtlichen Schranken unterliegen. Das gesamte autonome Parlamentsrecht verliert also jeweils m i t dem Ende der Wahlperiode seine Geltung. 16 Vgl. dazu W i l h e l m Hennis: Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, 1957, S. 38 ff. 17 Vgl. z. B. Bundestagspräsident Gerstenmaier i n der 127. Sitzung der 3. Wahlperiode v o m 28. September 1960 (Sten.Ber. Bd. 47 S. 7173 D): „ . . . w i r können den Beschlüssen des nächsten Bundestages oder künftiger Bundestage nicht vorgreifen".
4. Kap. : Die Geltungsdauer
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Das muß auch für parlamentarisches Gewohnheitsrecht gelten — vorausgesetzt es gäbe solches i m Rahmen des autonomen Parlamentsrechts überhaupt —, da die Geltung von Gewohnheitsrecht nicht weiterreicht als die Geltung des Rechts, das es ergänzt. Jedes neugewählte Parlament ginge unter dem Gesichtspunkt der Bildung parlamentarischen Gewohnheitsrechts gleichsam vom Nullpunkt aus, da es weder gewohnheitsrechtlichen Regeln unterworfen noch an Rechtsüberzeugungen oder Übungen rechtlich gebunden wäre, die sich i n einem früheren Parlament ausgebildet haben. Von den Vertretern der herrschenden Meinung w i r d das parlamentarische Gewohnheitsrecht gewöhnlich als Observanz bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, daß es i n seiner verbindlichen Kraft der als autonome Satzung qualifizierten kodifizierten Geschäftsordnung ebenbürtig sei 1 . Dann kann aber die zeitliche Geltung des parlamentarischen Gewohnheitsrechts nicht weiter reichen als die der kodifizierten Geschäftsordnung. Dennoch w i r d immer wieder so argumentiert, als gäbe es ein i n seiner Geltungsdauer unbegrenztes parlamentarisches Gewohnheitsrecht. Denn häufig w i r d behauptet, es bestehe für die Regelung bestimmter Angelegenheiten eine Observanz, wobei das Vorliegen der länger dauernden Übung damit nachzuweisen versucht wird, daß die betreffende Angelegenheit über mehrere Wahlperioden i n gleicher Weise gehandhabt worden sei 2 . Besonders deutlich w i r d das Unhaltbare dieser Auffassung, wenn sie für solche parlamentarischen Angelegenheiten vorgetragen wird, die innerhalb einer Wahlperiode gewöhnlich nur einmal oder doch sehr selten erledigt werden, wie z. B. für die Präsidentenwahl. Eine Observanz könnte i n diesen Fällen nur aus einer früheren Wahlperiode als fortgeltend angesehen werden und i n ein und derselben Wahlperiode gar nicht entstehen, w e i l nicht genügend Gelegenheiten erwachsen, die zur Ausbildung einer durch lange Übung getragenen Rechtsüberzeugung Anlaß geben könnten. Auch für sonstige Angelegenheiten könnte sich innerhalb einer Wahlperiode parlamentarisches Gewohnheitsrecht kraft Geschäftsordnungsautonomie schwerlich bilden, weil i m allgemeinen die Entstehung einer durch lange Übung getragenen Rechtsüberzeugung i n diesem Zeitraum unmöglich ist. 1 So z. B. K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 3; ders.: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 450; H e r mann Breiholdt: Die A b s t i m m u n g i m Reichstag, i n : AöR N.F. Bd. 10 (1926) S. 296; O. Th. L. Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 13. 2 So vor allem bei K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, z.B. S. 78, 79, 90, 91, 105.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Das gesamte a u t o n o m e P a r l a m e n t s r e c h t v e r l i e r t erst m i t d e m Z u s a m m e n t r i t t eines n e u e n P a r l a m e n t s seine G e l t u n g 3 , o b w o h l das b i s h e r i g e P a r l a m e n t bereits m i t d e m E n d e der W a h l p e r i o d e z u bestehen a u f g e h ö r t h a t . D e n n z w i s c h e n d e n W a h l p e r i o d e n a m t i e r e n verschiedene Ausschüsse 4 u n d das P r ä s i d i u m 5 , d e r e n T ä t i g k e i t sich nach d e n R e g e l n d e r b i s h e r i g e n G e s c h ä f t s o r d n u n g z u r i c h t e n h a t ( § 7 1 d e r Geschäftsordn u n g ) , w e i l sie als O r g a n e des b i s h e r i g e n P a r l a m e n t s dessen Geschäftsordnung unterworfen
sind. A l l e r d i n g s
werden
eine Reihe v o n
Ge-
s c h ä f t s o r d n u n g s v o r s c h r i f t e n schon v o r h e r u n a n w e n d b a r , da das P l e n u m n i c h t m e h r z u s a m m e n z u t r e t e n v e r m a g . A u c h eine B e s t i m m u n g , nach der d e r b i s h e r a m t i e r e n d e P r ä s i d e n t das n e u g e w ä h l t e P a r l a m e n t z u seiner ersten S i t z u n g e i n b e r u f t (§ 1 A b s . 1 d e r Geschäftsordnung) k a n n n i c h t f ü r d i e W e i t e r g e l t u n g des a u t o n o m e n P a r l a m e n t s r e c h t s ü b e r d i e W a h l p e r i o d e h i n a u s f ü r d i e folgende W a h l p e r i o d e a n g e f ü h r t w e r d e n , da diese Regelung k r a f t
Geschäftsordnungsautonomie
nicht
getroffen
werden
k a n n s o n d e r n a u f ungeschriebenem Verfassungsrecht b e r u h t 6 . B e i m Z u s a m m e n t r e t e n eines n e u g e w ä h l t e n P a r l a m e n t s g e l t e n
auf
der Ebene des a u t o n o m e n P a r l a m e n t s r e c h t s zunächst k e i n e das P a r l a m e n t r e c h t l i c h b i n d e n d e n Regeln. D i e O r d n u n g der Geschäfte
kann
3 Es gilt nicht etwa „bis zur ersten Sitzung des neuen Parlaments, i n der es sich diesem zur Übernahme anbietet". Das n i m m t Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung v o n Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954, S. 165 ff, f ü r die kodifizierte Geschäftsordnung an, w e i l er fälschlicherweise davon ausgeht, daß nur geltendes Recht übernommen u n d deshalb der Vorgang der stillschweigenden Übernahme der Geschäftsordnung n u r auf diese Weise e r k l ä r t werden könne. Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958, S. 70 f, weist zwar die K o n s t r u k t i o n Bernaus v o m Angebot zur Übernahme zurück, geht aber ebenfalls davon aus, daß nur eine noch geltende Geschäftsordnung übernommen werden könne. N u r w e i l die Geschäftsordnung des vorhergehenden Parlaments bis zum Zusamm e n t r i t t des neuen gültig sei, sei das neue Parlament i n der Lage, i m Augenblick seines Zusammentretens geltendes Recht zu übernehmen. Bernau u n d Reifenberg knüpfen an K u r t Haagen: Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung . . . , Diss. Breslau 1929, S. 41 an. Dieser vertrat aber die Fortgeltung der Geschäftsordnung u n d wandte sich lediglich gegen die Auffassung, eine untergegangene Geschäftsordnung könne „durch eine stillschweigende Willenserklärung der neuen Volksvertretung wieder zum Leben erweckt werden". Dazu bedürfe es „eines erneuten formellen Beschlusses, zum mindesten aber einer ausdrücklichen Willenserklärung". 4
Vgl. A r t . 45, 45 a GG. Das k a n n aus A r t . 49 GG, der f ü r die Mitglieder des Präsidiums die Geltung der A r t i k e l 46, 47 u n d 48 Abs. 2 u n d 3 G G auch für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden statuiert, hergeleitet werden. So i m Ergebnis: Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 6 zu A r t . 49; v. M a n g o l d t / K l e i n : Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I I I 1 b zu A r t . 40, S. 909; Lechner/Hülshoff: Parlament u n d Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 2 zu § 131 GeschOBT, S. 222. 6 Vgl. Theodor Maunz, aaO, Rdnr. 12 zu A r t . 39 m i t Nachweisen. 5
4. Kap.: Die Geltungsdauer
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deshalb zunächst nur i n allgemeiner Übereinstimmung, oder, wenn diese nicht besteht, durch Mehrheitsbeschluß von Fall zu Fall erfolgen. Besteht somit vom Rechtsstandpunkte aus i m Bereich des autonomen Parlamentsrechts keine Verbindung zwischen den einzelnen Wahlperioden, so weisen die Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten tatsächlich doch eine bemerkenswerte Kontinuität auf. Denn i n der Regel übernimmt ein neugewähltes Parlament ausdrücklich oder auch stillschweigend die von seinem Vorgänger befolgten Regeln des autonomen Parlamentsrechts. Daß die kodifizierte Geschäftsordnung von einem neugewählten Parlament sehr häufig unverändert übernommen wird, steht der Auffassung von der Begrenzung der zeitlichen Geltungsdauer des autonomen Parlamentsrechts nicht entgegen. Denn es handelt sich dabei nicht u m die Weitergeltung autonomen Parlamentsrechts sondern u m die Rezeption von Vorschriften, die ihre rechtliche Verbindlichkeit verloren haben. Die Tatsache solcher immer wiederkehrenden Rezeption und der damit verbundenen Kontinuität der Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten erklärt sich aus verschiedenen Gründen. Zunächst daraus, daß das autonome Parlamentsrecht überwiegend technische, von reinen Zweckmäßigkeitserwägungen getragene Regelungen enthält, die sich i n einer langen geschichtlichen Entwicklung ausgebildet haben und politisch weitgehend neutral sind, weshalb auch wechselnde Mehrheiten es jeweils für sinnvoll halten, nach ihnen zu verfahren. Ferner ist das autonome Parlamentsrecht i n gewissem Umfang inhaltlich durch geltendes Verfassungs- und Gesetzesrecht bestimmt, so daß insofern eine Änderung nicht i n Frage kommt. Schließlich bleibt es auch deshalb über weite Zeiträume relativ unverändert, weil i m allgemeinen eine bemerkenswerte Scheu der jeweiligen Mehrheit davor besteht, das parlamentarische Verfahren von sich aus zu ändern. Das resultiert offenbar daraus, daß nicht nur die Minderheit, sondern i m allgemeinen auch eine breite Öffentlichkeit auf Änderungen des parlamentarischen Verfahrens, die nicht vom ganzen Hause getragen sind, äußerst empfindlich reagiert und der Mehrheit dabei sehr schnell Vergewaltigung der Minderheit vorgeworfen wird. Die ausdrückliche Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung w i r f t keine besonderen rechtlichen Probleme auf. Die stillschweigende 7 Das ist seit langem herrschende Meinung; vgl. Theodor Maunz, aaO, Rdnr. 19 zu A r t . 40; v. Mangoldt/Klein, aaO, A n m . I V 2 zu A r t . 40, S. 915; Lechner/Hülshoff, aaO, A n m . 4 v o r § 1 GeschOBT, S. 159; so auch schon Gerhard Anschütz, aaO, A n m . 2 zu A r t . 26, S. 202 f; Paul Laband: Das V e r fassungsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 345 A n m . 2; sowie K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 2 u n d 4 u n d ders.: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 450.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Übernahme erscheint dagegen problematisch, w i r d aber von Wissenschaft und Rechtsprechung als zulässig angesehen7. I m Sinne der herrschenden Meinung über die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung kann die stillschweigende Übernahme nur als Erlaß einer neuen autonomen Satzung angesehen werden. Bei dieser „stillschweigenden Rechtsetzung" bleibt der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen ungewiß, weil nicht genau angegeben werden kann, mit welchen Handlungen die Übernahme als erfolgt anzusehen ist. Es mangelt auch notwendigerweise an jeder Formalisierung und Publizität des Rechtsetzungsvorganges. Dessen Ergebnis, die übernommene kodifizierte Geschäftsordnung, w i r d nicht einmal ihren Adressaten i n einer amtlich, d. h. i n einer vom Plenum gebilligten Form bekanntgemacht. Ausgaben der Geschäftsordnung werden lediglich von der Verwaltung des Parlaments veranstaltet. Unter diesen Gesichtspunkten bestehen erhebliche Bedenken, die stillschweigende Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung als einen A k t der Rechtsetzung anzuerkennen. Bei der ausdrücklichen wie bei der stillschweigenden Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung w i r d immer zugleich auch das gesamte autonome Parlamentsrecht i n dem Entwicklungsstande, i n dem es sich am Ende der vorangegangenen Wahlperiode befunden hatte, rezipiert. So sind z. B. i m Bundestag die außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung oder durch Vereinbarungen des Ältestenrates ergangenen Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten wieder angewandt worden, ohne daß sie erneut beschlossen oder vereinbart wurden. Erst zu Beginn der fünften Wahlperiode des Bundestages wurde die Geschäftsordnung erstmalig ausdrücklich „ m i t den späteren Beschlüssen und Vereinbarungen" übernommen 8 . Die herrschende Meinung, die ihren Blick allein auf die kodifizierte Geschäftsordnung richtet, hat weder für die Übernahme des neben der kodifizierten Geschäftsordnung stehenden autonomen Parlamentsrechts noch für den Gesamtvorgang, i n dem ein neugewähltes Parlament alle die Regelungen des autonomen Parlamentsrechts übernimmt, die sich bis zum Ablauf der vorangegangenen Wahlperiode ausgebildet haben, eine rechtliche Deutung. Das ist nicht erstaunlich. Denn bestehen schon erhebliche Bedenken, bei der stillschweigenden Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung von der tatsächlichen Anwendung einiger Bestimmungen auf den Willen des Hauses zu schließen, die ganze Geschäftsordnung anzunehmen, so fehlt für einen solchen Schluß bei den nur einzelne Angelegenheiten regelnden, außerhalb der kodifizier8
Vgl. 1. Sitzung v o m 19. Oktober 1965 (Sten.Ber. Bd. 60 S. 1 B).
4. Kap. : Die Geltungsdauer
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ten Geschäftsordnung stehenden Bestimmungen des autonomen Parlamentsrechts jede Voraussetzung. Als Rechtsetzungsvorgang i m Sinne des Erlassens autonomen Satzungsrechts läßt sich die Übernahme autonomen Parlamentsrechts kaum begreifen. Welche Folgerungen daraus für die Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts zu ziehen sind, muß der abschließenden rechtsdogmatischen Untersuchung überlassen bleiben.
Fünftes
Kapitel
Die Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts Die Gesamtheit der Erscheinungen des autonomen Parlamentsrechts einheitlich zu qualifizieren, ist bisher nicht versucht worden. Das Interesse konzentrierte sich allein auf die kodifizierte Geschäftsordnung, der innerhalb des autonomen Parlamentsrechts entscheidende Bedeutung beigemessen wurde. Daneben fanden lediglich Observanz und der rechtlich unverbindliche Parlamentsbrauch einige Beachtung. Die anderen Regelungsformen des autonomen Parlamentsrechts w u r den dagegen vernachlässigt und i n ihrem Gewicht verkannt. So ist bisher allein die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen gewesen. I m Folgenden werden zunächst die Theorien über die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung dargestellt und kritisch gewürdigt. Sodann w i r d der Versuch unternommen, eine einheitliche, alle Regelungsformen umfassende rechtliche Qualifikation des autonomen Parlamentsrechts zu entwickeln.
§ 16: Die Theorien über die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung Es liegt nahe, die kodifizierte Geschäftsordnung i m System der Dogmatik unter die Arten der Rechtsquellen einzuordnen, da sie ein Gebilde geschriebener Regeln m i t einem gewissen Geltungsanspruch darstellt und nach den Grundsätzen der Gesetzgebungstechnik gestaltet ist. I n der Diskussion u m ihren Rechtscharakter hat die kodifizierte Geschäftsordnung dabei jede denkbare Qualifikation erfahren. Der Streit der Meinungen befand sich gegen Ende der Kaiserzeit auf seinem Höhepunkt 1 und nahm auch noch zur Zeit der Weimarer 1 Über den Stand der Diskussion zur Kaiserzeit unterrichtet am ausführlichsten Julius Hatschek: Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 33 ff; vgl. aber auch K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 2 ff ; Georg Jellinek: System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 169; ders.: Besondere Staatslehre, i n : Georg Jellinek: A u s gewählte Schriften u n d Reden, Bd. 2, 1911, S. 153 ff (S. 252—256); M a x
5. Kap.: Die Rechtsnatur
137
Verfassung einen gewissen Raum ein 2 . Neuerdings ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung unter dem Eindruck einer fast einhellig herrschenden Meinung so gut wie zum Erliegen gekommen. Zwar sind vereinzelt Bedenken gegen die herrschende Meinung geäußert worden; das hat aber zu erneutem grundsätzlichen und auch an der Staatspraxis orientierten Durchdenken der Problematik nicht geführt 3 . Kulisch: Die rechtliche Stellung der beiden Häuser des österreichischen Reichsrates zur Geschäftsordnung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, Festgabe für Paul Laband, Bd. 1, 1908, S. 331 ff; Hermann F. Schmid: Parlamentarische Disziplin, i n : AöR Bd. 32 (1914) S. 439 f f (S. 455—460); sowie die Äußerungen von P a u l Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, 1911, S. 344; Gerhard Anschütz: Deutsches Staatsrecht, i n : Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 7. Aufl., Bd. 4, 1914, S. 144; Otto Mayer: Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, 1909, S. 141. 2 Vgl. vor allem die Darstellung bei Hatschek/Kurtzig: Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, 1930, S. 502 ff; ferner F r i t z Morstein M a r x : Beiträge zum Problem des parlamentarischen Minderheitenschutzes, 1924, S. 16 f f m i t ausführlichen Literaturangaben i n den Anmerkungen; Hermann Breiholdt: Die A b s t i m m u n g i m Reichstag, i n : AöR N.F. Bd. 10 (1926) S. 289 f f (S. 292—296); v. Craushaar: Die Behandlung von Reichsratseinsprüchen i m Reichstag u n d Geschäftsordnungsfragen, i n : AöR N.F. Bd. 10 (1926) S. 372 f f (S. 383—391); Fritz Stier-Somlo, A r t i k e l „Parlament u n d Parlamentsrecht", i n : HdwbRWiss. Bd. 4, 1927, S. 364 ff (S. 368 f); K u r t Haagen: Die Rechtsnatur der parlamentarischen Geschäftsordnung m i t besonderer Berücksichtigung der Geschäftsordnungen des Preußischen L a n d tags u n d des Reichstags, Diss. Breslau 1929, S. 19 f f ; sowie die beachtenswerten Bemerkungen von Carl Bilfinger: Die Geschäftsordnung des Reichstages u n d die Grenzen des parlamentarischen Systems, i n : ZaöRV Bd. 2 T e i l 1 (1931) S. 439 f f (S. 443 f). 3 I n der Rechtsprechung ist die Frage am ausführlichsten behandelt i n der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs v o m 30. November 1955 (Vf. 2-VII-55), B a y V e r f G H E N.F. Bd. 8 S. 91 ff (S. 95—101) = VerwRspr. Bd. 9 S. 393 f f (S. 395—401). Dagegen ist das Bundesverfassungsgericht i n seinem U r t e i l v o m 6. März 1952 (2 B v E 1/51), BVerfGE Bd. 1 S. 144 (S. 148), auf die Problematik überhaupt nicht eingegangen u n d hat sich auf den Boden der herrschenden Satzungstheorie gestellt. I n der Literatur vgl. die Äußerungen von G. B. Schweitzer: A k t u e l l e Probleme des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts, i n : N J W 1956 S. 84 ff; Rüdiger A l t m a n n : Z u m Rechtscharakter der Geschäftsordnung des Bundestages, i n : D Ö V 1956 S. 751 ff; Manfred R. Bernau: Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1954; Gerhard Alois Reifenberg: Die Bundesverfassungsorgane u n d ihre Geschäftsordnungen, Diss. Göttingen 1958 u n d K a r l Schweiger: Organisations- u n d Verfahrensrecht der obersten bayerischen Staatsorgane, 1957, S. 14 f; K u r t K l e i n r a h m , i n : Geller/Kleinrahm/Fleck: Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., 1963, A n m . 5 d zu A r t . 38, S. 247; K a r l Schweiger,in: Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher: Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl., 1964, Rdnr. 16 zu A r t . 20; vgl. ferner Hans Schneider: Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane für das Verfassungsleben, i n : Rechtsprobleme i n Staat u n d Kirche, Festschrift für Rudolf Smend, 1952, S. 303 ff. Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 21 zu A r t . 40 h ä l t n u r noch die Frage f ü r u m stritten, ob die kodifizierte Geschäftsordnung Rechtsverordnung oder autonome Satzung sei, m i ß t diesem Streit aber k a u m eine praktische Bedeutung bei; i m gleichen Sinne Otto Koellreutter: Deutsches Staatsrecht, 1953, S. 187.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
1. Nach der i n Literatur und Rechtsprechung herrschenden Auffassung ist die kodifizierte Geschäftsordnung ihrer Rechtsnatur nach eine autonome
Satzung.
Diese Meinung wurde bereits zur Kaiserzeit von einer ganzen Reihe anerkannter Autoren vertreten 4 . Sie traf allerdings damals noch auf einige bedeutende Gegner 5 . Paul Laband formulierte die überwiegende Meinung dahin, die Geschäftsordnung des Reichstages unterliege der „statutarischen Feststellung", woraus folge, „daß . . . das Belieben des Reichstages allein entscheidet; andererseits, daß die Geschäftsordnung nur die Mitglieder des Reichstages selbst verpflichte und unter ihnen statutarisches Recht erzeugt" 6 . Georg Meyer sprach von „autonomischer Festsetzung" und von „autonomischen Normen" 7 . K u r t Pereis, wohl einer der besten Kenner des deutschen Parlamentsrechts, hielt die Geschäftsordnung ihrer rechtlichen Natur nach für „eine i n Autonomie erlassene Ergänzungsvorschrift zur Reichs Verfassung"; unter Autonomie verstand er dabei das Recht, sich innerhalb des Gesetzes für den eigenen Herrschaftsbereich selbst verbindliches, objektives Recht zu setzen, das dem Gesetz als Satzung gegenüberstehe 8 . Gegen Ende der Weimarer Zeit definierte Pereis die kodifizierte Geschäftsordnung i n annähernd der gleichen Weise als ein „autonomes, einerseits die Reichsverfassung ergänzendes, andererseits durch die Reichsgesetzgebung gebundenes Recht — unter Autonomie verstanden die Kompetenz eines von dem staatlichen unterschiedenen Trägers öffentlicher Gewalt, innerhalb des Gesetzes für den eigenen Herrschaftsbereich verbindliches Recht i m objektiven Sinne zu setzen" 9 . Er gab damit die damals herrschende Meinung wieder 1 0 . 4 So von Paul Laband, aaO (Anm. 1); Georg Meyer, i n : Meyer/Anschütz: Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 235, 363, 512; K u r t Pereis, aaO (Anm. 1); Hermann Schulze: Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes, Bd. 1, 1881, S. 482, Bd. 2, 1886, S. 83; L u d w i g von Rönne: Das Staats-Recht des Deutschen Reiches, 2. Aufl., Bd. 1, 1876, S. 283; P h i l i p p Zorn: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. Aufl., Bd. 1, 1895, S. 231, 236. 5 Vor allem die Vertreter der später zu behandelnden Verordnungstheorie: Georg Jellinek, aaO (Anm. 1); Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 1) u n d — abweichend von Georg Meyer — aaO (Anm. 4), S. 235 A n m . e, S. 363 A n m . a; auch Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 42 ff, als Vertreter der Konventionalregeltheorie ist hier zu nennen. β Paul Laband, aaO (Anm. 1). 7 Georg Meyer, aaO. 8 K u r t Pereis, aaO (Anm. 1). » K u r t Pereis: Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 449 f. 10 Vgl. dazu August Finger: Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 1923, S. 236; Fritz Stier-Somlo: Deutsches Reichs- u n d Landesstaatsrecht, Bd. 1, 1924, S. 339 f, 594 f u n d aaO (Anm. 2), S. 368 f; Hans Kelsen: Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 353; Hans Peters: Die Satzungsgewalt innerstaatlicher
5. Kap.: Die Rechtsnatur
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H e u t e w i r d die A u f f a s s u n g , d i e k o d i f i z i e r t e G e s c h ä f t s o r d n u n g sei als a u t o n o m e S a t z u n g anzusehen, fast e i n h e l l i g v e r t r e t e n 1 1 . D i e noch v o n F r i e d r i c h Giese i n seinem K o m m e n t a r z u m Grundgesetz v e r t r e t e n e A n s i c h t , die Geschäftsordnung sei eine gemischte Rechts- u n d V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g 1 2 , ist i n d e n v o n E g o n Schunck b e a r b e i t e t e n N e u a u f l a g e n z u g u n s t e n der herrschenden M e i n u n g a u f g e g e b e n 1 3 . Das B u n d e s verfassungsgericht g i n g i n seinem U r t e i l v o m 6. M ä r z 1952 v o n d e r A u f f a s s u n g der herrschenden M e i n u n g aus, ohne sich m i t a n d e r e n A n s i c h t e n auseinanderzusetzen 1 4 . D e r Bayerische VerfassungsgerichtsVerbände, i n : HdbDStR Bd. 2 (1932) S. 264 f f (S. 273); Walter L e w a l d : Enqueterecht u n d Aufsichtsrecht, i n : AöR N.F. Bd. 5 (1923) S. 269 f f (S. 276); Fritz Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 17; Reinhart Vogler: Die Ordnungsgewalt der deutschen Parlamente, 1926, S. 4 f; H e r m a n n Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 295 f; Carl Bilfinger: Die Geschäftsordnung des Reichstags u n d ihre Änderung i m Rahmen der Reichsverfassung, i n : D J Z 1931 Sp. 393 ff (Sp. 396). 11 Vgl. Hermann von Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz, 1953, Erl. 2 zu A r t . 40, S. 239; v. Mangoldt/Klein: Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. 2, 1964, A n m . I V 1 zu A r t . 40, S. 914 f ; Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, 14. Aufl., 1965, § 31 I I 1 b, S. 298; ders., i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 21 zu A r t . 40; Andreas Hamann: Das Grundgesetz f ü r die B u n desrepublik Deutschland, 2. Aufl., 1961, A n m . Β 3 zu A r t . 40, S. 279; ders.: Autonome Satzungen u n d Verfassungsrecht, 1958, S. 26; Otto Koellreutter: Deutsches Staatsrecht, 1953, S. 187; Giese/Schunck: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., 1965, A n m . 3 zu A r t . 40, S. 102; Lechner/Hülshoff: Parlament u n d Regierung, 2. Aufl., 1958, A n m . 4 vor § 1 GeschOBT, S. 159; Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht I, 6. Aufl., 1965, § 25 I X a) 1, S. 112; Ernst Forsthoff: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 8. Aufl., 1961, S. 421; Hans Peters: Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 79; Friedrich K l e i n : Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, i n : Genzer/Einbeck: Die Übertragung rechtsetzender Gew a l t i m Rechtsstaat, 1952, S. 110; Hans Schäfer: Der Bundesrat, 1955, S. 42 f; Werner Gross: Betrachtungen, i n : DVB1. 1955 S. 80; G. Prost: Über die Autonomie, i n : N J W 1955 S. 1464; A r t u r M e l l w i t z : Die Geschäftsordnungen des Bundesverfassungsgerichts u n d der oberen Bundesgerichte, i n : N J W 1962 S. 779; Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3); Ferdinand Bücker: Die U n v e r r ü c k b a r k e i t von Parlamentsbeschlüssen i m Gesetzgebungsverfahren, Diss. K ö l n 1961, S. 72. Nawiasky/Leusser: Die Verfassung des Freistaates Bayern, 1948, A n m . zu A r t . 20, S. 97; Hans Nawiasky: Die Verpflichtung der Regierung durch Beschlüsse des Landtags nach bayerischem Verfasungsrecht, i n : Staat u n d Bürger, Festschrift f ü r W i l l i b a l t Apelt, 1958, S. 141; K a r l Schweiger: Organisations- u n d Verfahrensrecht der obersten bayerischen Staatsorgane, 1957, S. 14 f; ders., aaO (Anm. 3); Robert Nebinger: K o m m e n t a r zur V e r fassung für Württemberg-Baden, 1948, A n m . 2 zu A r t . 56, S. 192 f ; Spreng/ Birn/Feuchte: Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1954, A n m . 2 zu A r t . 32, S. 145; Drexelius/Weber: Die Verfassung der Freien u n d Hansestadt Hamburg, 1953, A n m . 2 zu A r t . 18, S. 19; Heinrich Körte: Verfassung u n d V e r w a l t u n g des Landes Niedersachsen, 1962, S. 119; Süsterhenn/Schäfer: K o m m e n t a r der Verfassung f ü r Rheinland-Pfalz, 1950, Anm. 2 zu A r t . 85, S. 329. 12 Friedrich Giese: Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., 1955, A n m . 3 zu A r t . 40, S. 77. 13 Vgl. zuletzt Giese/Schunck, aaO (Anm. 11). 14 aaO (Anm. 3).
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
h o f h a t i n seiner E n t s c h e i d u n g v o m 30. N o v e m b e r 1955 die F r a g e d e r R e c h t s n a t u r e i n g e h e n d b e h a n d e l t u n d g e l a n g t e schließlich z u d e m E r gebnis, der Wesensart d e r k o d i f i z i e r t e n G e s c h ä f t s o r d n u n g w e r d e „ a m besten die A u f f a s s u n g gerecht, daß d i e G e s c h ä f t s o r d n u n g eine a u t o nome Satzung i s t " 1 5 . Gegen d i e herrschende M e i n u n g ist v o r a l l e m u n d w i e d e r h o l t der E i n w a n d e r h o b e n w o r d e n , A u t o n o m i e , v e r s t a n d e n als die F ä h i g k e i t z u selbständiger Rechtsetzung, k ö n n e n u r V e r b ä n d e n m i t eigener Rechtspersönlichkeit, n i c h t aber d e m P a r l a m e n t z u k o m m e n , d e n n dieses sei l e d i g l i c h e i n O r g a n d e r Rechtsperson Staat u n d als solches n i c h t rechtsfähig 16. D i e s e m E i n w a n d folgend, g l a u b t e n e i n i g e A u t o r e n eine L ö s u n g d a r i n z u finden, daß sie die k o d i f i z i e r t e G e s c h ä f t s o r d n u n g als „ q u a s i - a u t o n o m e S a t z u n g " bezeichneten, die a u f G r u n d „ u n e c h t e r " A u t o n o m i e erlassen w e r d e 1 7 . D i e V e r t r e t e r der herrschenden M e i n u n g gehen, d a auch sie d e m P a r l a m e n t k e i n e selbständige R e c h t s p e r s ö n l i c h k e i t zugestehen, v o n der V o r a u s s e t z u n g aus, a u t o n o m e Rechtsetzung k ö n n e auch v o n n i c h t rechtsfähigen G e b i l d e n g e ü b t w e r d e n 1 8 . E i n i g e A u t o r e n h a b e n das auch a u s d r ü c k l i c h h e r v o r g e h o b e n 1 9 . 15
aaO (Anm. 3), S. 100. Gerhard Anschütz, aaO (Anm. 1), bezeichnete z. B. den Ausdruck „ p a r l a mentarische Autonomie" f ü r das Recht zur Regelung der Geschäftsordnungsangelegenheiten als irreführend, „da Autonomie, Selbstgesetzgebung n u r üben kann, w e r ein rechtliches Selbst besitzt, was bei dem Landtag, der keine Korporation, sondern n u r ein K o l l e g i u m darstellt, nicht der F a l l ist"; ders. i m gleichen Sinne i n : Meyer/Anschütz, aaO (Anm. 5). Vgl. auch Georg J e l l i nek, aaO (Anm. 1); M a x Kulisch, aaO (Anm. 1), S. 342; Hermann F. Schmid, aaO (Anm. 1), S. 455 ff. Ebenso Gustav A d o l f Walz: Staatsrecht, i n : Das gesamte deutsche Recht i n systematischer Darstellung, 1931, Bd. 2 T e i l 11, S. 332 f; v. Craushaar: Die Behandlung von Reichsratseinsprüchen i m Reichstag u n d Geschäftsordnungsfragen, i n : AöR N.F. Bd. 10 (1926) S. 384; Heinrich von Brentano d i Tremezzo: Die Rechtsstellung des Parlamentspräsidenten nach Deutschem Verfassungs- u n d Geschäftsordnungsrecht, Diss. Gießen 1930, S. 11. Auch Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 39 u n d aaO (Anm. 2), S. 502 bediente sich dieses Arguments gegen die herrschende Lehre. Neuerdings sind die gleichen Bedenken von Manfred. R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 80 f, 89 u n d von G. B. Schweitzer, aaO (Anm. 3), S. 85 geäußert worden. 17 So zuerst w o h l von K u r t Haagen, aaO (Anm. 2), S. 36, der von satzungsähnlichen Normen der Geschäftsordnung, von unechter Autonomie, Quasiautonomie spricht u n d meint, die parlamentarische Satzung sei ein Gebilde sui generis, das wegen der vielen Gemeinsamkeiten der parlamentarischen u n d der autonomen Körperschaft i n vielen Beziehungen der autonomen Satzung entsprechend zu behandeln sei. I n diesem Sinne — i m Anschluß an Haagen — auch Hans Helfritz: Allgemeines Staatsrecht, 5. Aufl., 1949, S. 160 A n m . 1. L u d w i g Gebhard: Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, A n m . 5 b zu A r t . 26, S. 186, spricht ebenfalls v o m satzungsartigen Charakter der Bestimmungen der Geschäftsordnung. 18 Darauf hat Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 21 zu A r t . 40, neuerdings zutreffend hingewiesen. 19 Fritz Stier-Somlo, aaO (Anm. 2 u n d A n m . 10), allerdings m i t dem H i n 16
5. Kap.: Die Rechtsnatur
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D i e B e h a u p t u n g , a u t o n o m e Rechtsetzungsbefugnis k ö n n e n u r selbs t ä n d i g e n Rechtspersonen z u k o m m e n , ist n i c h t ü b e r z e u g e n d u n d z u t r e f f e n d als eine „ r e i n b e g r i f f l i c h e A r g u m e n t a t i o n " 2 0 gekennzeichnet w o r d e n . D e n n d u r c h d i e R e c h t s o r d n u n g , z u m a l d u r c h d i e Verfassung, k ö n n e n o r g a n i s i e r t e G e b i l d e m i t eigenen R e c h t e n u n t e r s c h i e d l i c h e n U m f a n g s ausgestattet w e r d e n , ohne daß i h n e n R e c h t s f ä h i g k e i t i n d e m umfassenden S i n n e g e w ä h r t z u w e r d e n b r a u c h t , w i e sie j u r i s t i s c h e n Personen i n der R e g e l eigen ist. Das h a t O t t o Bachof n e u e r d i n g s ü b e r zeugend n a c h g e w i e s e n 2 1 , ist aber auch schon f r ü h e r u n t e r H i n w e i s auf d i e A u t o n o m i e d e r n i c h t rechtsfähigen F a m i l i e n des h o h e n A d e l s ausgesprochen w o r d e n 2 2 . D i e ü b r i g e n P r o b l e m e , d i e aus d e r Q u a l i f i k a t i o n d e r k o d i f i z i e r t e n Geschäftsordnung als a u t o n o m e S a t z u n g erwachsen, w e r d e n z u s a m m e n m i t d e r W ü r d i g u n g der i m F o l g e n d e n d a r z u s t e l l e n d e n R e c h t s v e r o r d nungstheorie behandelt werden. 2. G e o r g J e l l i n e k u n d G e r h a r d A n s c h ü t z h a b e n die k o d i f i z i e r t e Ges c h ä f t s o r d n u n g als Rechtsverordnung q u a l i f i z i e r t 2 3 ; i h n e n h a b e n sich E r n s t W a l z u n d später E d u a r d H u b r i c h angeschlossen 2 4 . weis, daß das Parlament ein körperschaftsähnliches Gebilde sei. Die Rechtspersönlichkeit als Voraussetzung autonomer Rechtsetzungsbefugnis haben ausdrücklich abgelehnt: Fritz Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 18 A n m . 53; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 5; Hans Peters, aaO (Anm. 10), S. 265, 273 u n d aaO (Anm. 11), S. 78; Ernst Forsthoff, aaO (Anm. 11); Friedrich Klein, aaO (Anm. 11). 20 Gegen die „ r e i n begriffliche Argumentation", die den Satzungscharakter leugnet, w e i l die Rechtsetzungsgewalt nur einer juristischen Person zukommen könne, wendet sich m i t Recht Fritz Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 18 A n m . 53, m i t verschiedenen Argumenten. 21 Otto Bachof: Teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts, i n : AöR Bd. 83 (1958) S. 208 ff (S. 259 ff). 22 Vgl. Hans Peters, aaO (Anm. 10); Ernst Forsthoff, aaO (Anm. 11); Friedrich K l e i n , aaO (Anm. 11). 23 Vgl. Georg Jellinek: System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 169 u n d ders.: Besondere Staatslehre, i n : Georg Jellinek: Ausgewählte Schriften u n d Reden, Bd. 2, 1911, S. 253; Gerhard Anschütz, i n : Meyer/Anschütz: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 235 A n m . e. V o r Georg Jellinek hatte sich zwar schon Robert von M o h l : Kritische Bemerkungen über die Wahlen zum Deutschen Reichstage, 1874, S. 12 = Kritische Erörterungen über Ordnung u n d Gewohnheiten des deutschen Reiches, I. Die Reichstag-Wahlen, in: ZgesStaatswiss. Bd. 30 (1874) S. 528 f f (S. 534), dahin geäußert, die Geschäftsordnung habe „etwa die staatsrechtliche Bedeutung einer Verordnung". Er w i r d deshalb i n der L i t e r a t u r allgemein als Begründer der Verordnungstheorie bezeichnet; w o h l zuerst von Julius Hatschek, aaO ( A n m 1), S. 39 sowie Hatschek/Kurtzig, aaO (Anm. 2), S. 503 u n d i h m folgend von Fritz Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 16; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 292; Fritz Stier-Somlo, aaO (Anm. 2), S. 368; O. Th. L . Zschucke: Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, 1928, S. 11; neuerdings wieder von Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 62. Die vorsichtig andeutende Bemerkung Robert von Mohls k a n n aber k a u m als der Versuch einer eindeutigen rechtlichen Qualifikation verstanden werden. 24 Ernst Walz: Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden, 1909, S. 82;
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Georg Jellinek formulierte seine Auffassung dahin: „Die Sätze, welche sich auf Abstimmung, Teilnahme an den Sitzungen, A n tragstellung, Interpellation, Bestellung des Präsidiums, des Bureaus, der Ausschüsse und Abteilungen der Kammern beziehen, sind Bestandteile der Normen über staatliche Organisation. Sie haben genau denselben Charakter, wie die Normen der Prozeßordnungen, welche die Befugnisse der Vorsitzenden bei Leitung öffentlicher Gerichtsverhandlung oder das Verfahren bei der Urteilsberatung regeln. Ihre Verletzung wäre daher nicht Verletzung eines subjektiven Rechtes, sondern Bruch einer Rechtsnorm, Verletzung des Staates i n seiner Ordnung, nicht Verletzung eines Individuums." 2 5 Die Geschäftsordnungen, so sagte Jellinek an anderer Stelle, „enthalten Normen, welche nähere Bestimmungen über die Organisation der Kammern treffen und die Ausübung ihrer staatlichen Zuständigkeiten regeln, sie sind daher Bestandteil der Rechtsordnung selbst. Sie ergänzen die Bestimmungen der Verfassungen und Gesetze. Daher fallen sie wie alle staatlichen Anordnungen allgemeiner A r t , die nicht Gesetze sind, unter den Begriff der Verordnung." 2 6 Damit ist die kodifizierte Geschäftsordnung als Rechtsverordnung qualifiziert. Georg Jellinek hat diese Charakterisierung allerdings noch ergänzt: „Einem großen Teil der Bestimmungen der parlamentarischen Geschäftsordnung mangelt aber überhaupt der juristische Charakter. Die Festsetzungen über Form der Anträge, Reihenfolge der Redner, Sitzungsprotokolle, Modus der Abstimmungen (Aufstehen von den Sitzen, itio i n partes, Händemehr usw.) haben nicht den Zweck, Kompetenzen gegeneinander abzugrenzen, sondern für die passendste Erledigung der parlamentarischen Geschäfte zu sorgen. Sie haben den Charakter von Verwaltungsverordnungen, ähnlich den der Publikation nicht bedürftigen Reglements der Verwaltungsbehörden. Sie erzeugen auch nicht statutarisches Recht' zwischen den Mitgliedern, denn parlamentarische Kammern sind keine Korporationen." 2 7 Neben Rechtssätzen sollen i n der kodifizierten Geschäftsordnung demnach auch Bestimmungen m i t dem Charakter von Verwaltungsvorschriften enthalten sein. Angesichts dieser eindeutigen Äußerungen von Georg Jellinek erscheint es unverständlich, daß ihn Julius Hatschek 28 , und diesem folgend Fritz Stier-Somlo 29 und andere 30 , Eduard Hubrich: Das demokratische Verfassungsrecht des deutschen Reiches, 1921, S. 64/65; i n seiner 1899 erschienenen Monographie über „ D i e parlamentarische Redefreiheit u n d Disciplin" w a r Eduard Hubrich allerdings noch davon ausgegangen, daß die i n Autonomie erlassenen Geschäftsordnungen „statutarisches Recht darstellen" (S. 409/410). 25 Georg Jellinek: System . . . , aaO, S. 169. 20 Georg Jellinek: Besondere Staatslehre, aaO, S. 253. 27 Georg Jellinek: System . . . , aaO, S. 169. 28 Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 40 u n d Hatschek/Kurtzig, aaO (Anm. 2), S. 503. 29 F r i t z Stier-Somlo, aaO (Anm. 2), S. 368.
5. Kap.: Die Rechtsnatur
zu denjenigen rechnen, die die kodifizierte Geschäftsordnung schließlich als Verwaltungsverordnung qualifizieren.
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aus-
Gegen die Qualifikation der kodifizierten Geschäftsordnung als Rechtsverordnung ist eingewandt worden, daß der Kreis der Adressaten der Geschäftsordnung sich auf die Mitglieder des Parlaments beschränke, es aber gerade zum Wesen der Rechtsverordnung gehöre, über den internen Kreis hinaus Wirkungen zu entfalten. Julius Hatschek begründete diese Ansicht, der sich später verschiedene Stimmen angeschlossen haben, folgendermaßen: Von einer Rechtsverordnung könne nur dann die Rede sein, „wenn einem Staatsorgan die Ermächtigung zu Eingriffen i n die Rechtssphäre, die i h m sonst nicht zustehen, erteilt wird. Gerade aber das Gegenteil soll durch die gesetzlichen Verfassungsschranken und die Geschäftsordnungsgesetze erzielt werden. Es soll verhindert werden, daß die parlamentarische Körperschaft i n die Rechtssphäre der Individuen übergreife . . ." 3 1 . K u r t Pereis meinte, die „Konstruktion als Verordnung (teils Rechts-, teils Verwaltungsverordnung) scheitert vor allem daran, daß die Geschäftsordnung i m wesentlichen eine Selbstbindung, nicht zuletzt gegenüber parlamentarischen Minderheiten, und nicht eine Bestimmung fremder Rechtssphären zum Gegenstand hat" 3 2 . Es ist auch hervorgehoben worden, daß die Geschäftsordnung, wenn sie als RechtsverOrdnung angesehen werde, für die Folgezeit, jedenfalls für das nächste neugewählte Parlament gelte 33 . Dieses Argument ist jedoch nicht überzeugend. Aus der begrenzten Geltungsdauer der kodifizierten Geschäftsordnung läßt sich für die Beantwortung der Frage nach ihrer Rechtsnatur nichts herleiten. Denn einerseits versteht es sich für keine A r t von Rechtsvorschriften von selbst, daß sie mit dem Zusammentreten eines neuen Parlaments ihre Geltung verlieren 3 4 , und anderseits ist eine von vornherein begrenzte Geltungsdauer mit jeder A r t von Rechtsvorschriften vereinbar. Das Außerkrafttreten der kodifizierten Geschäftsordnung folgt deshalb auch i n keinem Falle aus 30 So Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 3; neuerdings auch Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 59 u n d Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 40. 31 Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 40 u n d Hatschek/Kurtzig, aaO (Anm. 2), S. 503; Hatschek folgend Fritz Stier-Somlo, aaO (Anm. 2), S. 368; F r i t z Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 18 A n m . 53; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 292 f; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 3; Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 41. 32 K u r t Pereis, aaO (Anm. 9), S. 449; so auch Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 41. 33 So schon Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 41 u n d Hatschek/Kurtzig, aaO (Anm. 2), S. 504; i h m folgend F r i t z Stier-Somlo, aaO (Anm. 2), S. 368; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 293; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S.4. 34 I n diesem Sinne w o h l auch Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: G r u n d gesetz, 1964, Rdnr. 21 zu A r t . 40.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
i h r e r R e c h t s n a t u r , s o n d e r n l ä ß t sich n u r aus d e m I n h a l t der fassungsgarantie der G e s c h ä f t s o r d n u n g s a u t o n o m i e h e r l e i t e n 3 5 .
Ver-
F e r n e r , so w i r d gesagt, s o l l die k o d i f i z i e r t e G e s c h ä f t s o r d n u n g auch deshalb n i c h t als R e c h t s v e r o r d n u n g q u a l i f i z i e r t w e r d e n d ü r f e n , w e i l sie k e i n e r V e r k ü n d u n g b e d a r f 3 6 . A u c h aus diesem A r g u m e n t l ä ß t sich f ü r d i e F r a g e d e r R e c h t s n a t u r d e r k o d i f i z i e r t e n G e s c h ä f t s o r d n u n g nichts g e w i n n e n . R e c h t s v o r s c h r i f t e n b e d ü r f e n z w a r , u m V e r b i n d l i c h k e i t geg e n ü b e r d e n B e t r o f f e n e n z u e n t f a l t e n , i n j e d e m F a l l e der B e k a n n t m a c h u n g 3 7 . A u c h eine f ö r m l i c h e V e r k ü n d u n g k a n n u n t e r U m s t ä n d e n V o r a u s s e t z u n g f ü r i h r e W i r k s a m k e i t sein, l i e f e r t aber k e i n entscheidendes K r i t e r i u m , i h r e R e c h t s n a t u r z u b e s t i m m e n . F ü r die W i r k s a m k e i t u n d d i e Q u a l i f i k a t i o n der k o d i f i z i e r t e n G e s c h ä f t s o r d n u n g ist das V o r l i e g e n einer f ö r m l i c h e n V e r k ü n d u n g u m s o w e n i g e r entscheidend, als die V o r s c h r i f t e n ü b e r die V e r k ü n d u n g v o n R e c h t s v e r o r d n u n g e n 3 8 auf d i e k o d i f i z i e r t e G e s c h ä f t s o r d n u n g n i c h t a n w e n d b a r sind. D e n n i m d e u t schen Verfassungsrecht ist eine f ö r m l i c h e V e r k ü n d u n g d e r k o d i f i z i e r t e n Geschäftsordnungen b i s h e r n i c h t e r f o l g t 3 9 u n d es h ä t t e deshalb, 35
Vgl. dazu die Ausführungen oben § 14. Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 3; Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 64 f ; Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 42. 37 Vgl. dazu Werner Weber: Die Verkündung von Rechtsvorschriften, 1942, S. 7 f, 25 u n d Friedrich Giese: Verkündung u n d Gesetzeskraft, i n : AöR Bd. 76 (1950/51) S. 464 f f (S. 466 ff). 38 Vgl. A r t . 82 GG u n d das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen v o m 30. Januar 1950 (BGBl. S. 23). 39 Die Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Juni 1868, die bis zum Ende des Kaiserreichs galt, ist nie amtlich publiziert worden. I h r ursprünglicher T e x t ist i n amtlicher Fassung lediglich aus der Drucksache Nr. 117 der 2. Session des Reichstages des Norddeutschen Bundes zu ersehen. Diese Drucksache k a n n aber schon deshalb nicht als P u b l i k a t i o n der Geschäftsordnung angesehen werden, w e i l sie n u r eine von der GeschäftsordnungsCommission überarbeitete Fassung der provisorischen Geschäftsordnung darstellte, die v o m 8. J u n i 1868 datiert ist u n d die Grundlage für die Beschlußfassung des Reichstages i n der 21. Sitzung am 12. J u n i 1868 (Sten.Ber. S. 368 f) bildete. Später ist die Geschäftsordnung weder i n ihrer ursprünglichen Gestalt noch i n einer der Fassungen, die durch die v e r schiedenen Abänderungen i m Laufe der Zeit entstanden waren, als Reichstagsdrucksache erschienen. Ausgaben der Geschäftsordnung u n d seit der V I I I . Legislaturperiode auch Abdrucke i n dem seit dieser Zeit herausgegebenen „ A m t l i c h e n Reichstags-Handbuch" wurden lediglich v o m Bureau des Reichstages veranstaltet (vgl. dazu K u r t Pereis: Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 109). I n der Weimarer Zeit ist die Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922 zwar v o m Reichsminister des I n n e r n unter dem 17. Februar 1923 i m Reichsgesetzblatt T e i l I I (S. 101) bekanntgemacht worden; sie w a r zu diesem Z e i t p u n k t aber gemäß § 122 bereits seit dem 1. Januar 1923 i n K r a f t . Erst nachdem die Geschäftsordnung i m Laufe der Zeit mehrere Änderungen erfahren hatte, wurde sie unter dem 31. März 1931 (RGBl. I I S. 221) neu bekanntgemacht. Eine Bekanntmachung der vom Reichstag am 23. März 1933 beschlossenen Änderungen folgte unter dem 30. März 1933 (RGBl. I I S. 150). Der Beschluß des Reichstages v o m 15. Sep38
5. Kap.: Die Rechtsnatur
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um eine von der bisherigen Praxis abweichende Regelung einzuführen, der ausdrücklichen Normierung bedurft. Diese ist weder i m Grundgesetz noch i n anderen Rechtsvorschriften vorgenommen worden. Die Bekanntmachung der Geschäftsordnung und ihrer Änderungen, die tember 1935 (Sten.Ber. Bd. 458 S. 57): „Bis zum Erlaß einer neuen Geschäftsordnung f ü h r t der Reichstagspräsident die Geschäfte nach freiem Ermessen." ist i m Reichsgesetzblatt nicht bekanntgemacht worden. Die vorläufige Geschäftsordnung für den Bundestag v o m 20. September 1949 ist weder i m Bundesgesetzblatt bekanntgemacht worden noch als Parlamentsdrucksache erschienen. I h r W o r t l a u t ist auch nicht aus sonstigen a m t lichen Unterlagen (Beschlußprotokolle oder Stenographische Berichte) zu ersehen. Bei der Beschlußfassung über die vorläufige Geschäftsordnung i n der 5. Sitzung des Bundestages am 20. September 1949 (Sten.Ber. Bd. 1 S. 19 f) hat der Berichterstatter des Ausschusses für die Geschäftsordnung, der Abg. Dr. von Brentano, i m Namen des Ausschusses vorgeschlagen, „die Geschäftsordnung des früheren Deutschen Reichstags i n der Fassung v o m 31. Dezember 1922, die I h n e n j a w o h l vorliegt, m i t den Änderungen, die sich aus der Drucksache Nr. 18 ergeben, . . . anzunehmen." E i n Exemplar dieser Geschäftsordnung von 1922 befindet sich weder i n den Originalakten noch unter den Drucksachen des Bundestages. Der Verfasser hat allerdings das Exemplar einer „Geschäftsordnung für den Reichstag. Beschlossen am 12. Dezember 1922. Nachdruck nach der amtlichen Ausgabe v o m 31. Dezember 1922" i m Bundestag ausfindig machen können, u n d der seinerzeit i n der V e r w a l t u n g des Deutschen Bundestages tätige Oberregierungsrat a. D. Dr. Friedrich Geisler hat i h m i m November 1962 schriftlich mitgeteilt, daß dieses Exemplar seiner Erinnerung nach dem Bundestag am 20. September 1949 zur Beschlußfassung vorgelegen habe. Der I n h a l t dieser Ausgabe der Geschäftsordnung entspricht allerdings nicht i h r e m Titel. Denn auf S. 17 z. B. lautet ein Hinweis zu den §§ 90, 91, 95: „Neue Fassung nach dem Beschluß des Reichstags i n der 113. Sitzung v o m 11. Dez. 1929". Da diese Änderungen verzeichnet sind, dagegen nicht mehr die i n der Bekanntmachung der Geschäftsordnung für den Reichstag v o m 31. März 1931 (RGBl. I I S. 221) enthaltene, auf einen Beschluß des Geschäftsordnungsausschusses v o m 11. J u l i 1930 zurückgehende A n m e r k u n g zu § 36 u n d auch nicht die v o m Reichstag am 9. Februar 1931 beschlossenen Änderungen, muß es sich u m den Nachdruck einer Ausgabe der Geschäftsordnung handeln, die zwischen dem 11. Dezember 1929 u n d J u l i 1930 bearbeitet worden ist. Grundlage der vorläufigen Geschäftsordnung für den Bundestag v o m 20. September 1949 w a r demnach nicht die Geschäftsordnung für den Reichstag i n der Fassung v o m 31. Dezember 1922, sondern eine Fassung, die die v o m Reichstag bis zum 11. Dezember 1929 gefaßten Änderungsbeschlüsse und damit auch die Anmerkungen zu den §§ 12, 48, 49 u n d 55 enthielt. Das w i r d dadurch bestätigt, daß der Ausschuß für Geschäftsordnung u n d I m m u n i t ä t i n seinem A n t r a g an den Bundestag über die Behandlung von Anträgen der K P D F r a k t i o n v o m 29. September 1950 (Sten.Ber. Anl.Bd. 7 Drs.Nr. 1/1403) sich auf die A n m e r k u n g zu § 49 der vorläufigen Geschäftsordnung gestützt hat, diese A n m e r k u n g i n die Geschäftsordnung des Reichstages aber erst durch einen Beschluß v o m 22. Februar 1924 (Sten.Ber. Bd. 361 S. 12 443 ff) aufgenommen wurde. Der einzige allgemein zugängliche A b d r u c k der vorläufigen Geschäftsordnung für den Bundestag (in: Die Volksvertretung, Handbuch des Deutschen Bundestags, Hrsg. von Fritz Sänger, 1949, S. 70 ff) enthält die Anmerkungen zu den §§ 12, 48, 49 u n d 55, die integrierender Bestandteil der Geschäftsordnung waren, allerdings nicht. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages v o m 6. Dezember 1951 t r a t gemäß § 132 am 1. Januar 1952 i n K r a f t , ist aber erst unter dem 28. Januar 1952 i m Bundesgesetzblatt T e i l I I (S. 398) v o m Bundesminister des I n n e r n bekanntgemacht worden. Sie ist allerdings auch als Drucksache 10 Arndt
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
seit der W e i m a r e r Z e i t d u r c h d e n I n n e n m i n i s t e r i m Reichs- b z w . B u n d e s g e s e t z b l a t t v e r a n l a ß t w i r d , k a n n ü b r i g e n s als eine f ö r m l i c h e V e r k ü n d u n g n i c h t angesehen w e r d e n , da die b e t r e f f e n d e n V o r s c h r i f t e n z u m Z e i t p u n k t i h r e r B e k a n n t m a c h u n g h ä u f i g schon seit b e t r ä c h t l i c h e r Zeit i n K r a f t getreten waren 40. Vorausgesetzt, d i e k o d i f i z i e r t e G e s c h ä f t s o r d n u n g e n t h i e l t e Rechtssätze i m h i s t o r i s c h - k o n v e n t i o n e l l e n Sinne, so ist d i e Entscheidung, sie als S a t z u n g oder als R e c h t s v e r o r d n u n g zu q u a l i f i z i e r e n , n u r schwer zu t r e f f e n . F ü r k e i n e dieser b e i d e n L ö s u n g e n lassen sich e i n d e u t i g e u n d v ö l l i g überzeugende K r i t e r i e n g e w i n n e n . D e n n einerseits s p r i c h t z w a r die E i n e n g u n g der B i n d u n g s w i r k u n g d u r c h die B e g r e n z u n g des Regelungsgegenstandes a u f die eigenen i n n e r e n A n g e l e g e n h e i t e n des P a r l a m e n t s u n d d u r c h d i e B e s c h r ä n k u n g des Adressatenkreises auf die P a r l a m e n t s m i t g l i e d e r f ü r eine Q u a l i f i k a t i o n als a u t o n o m e S a t z u n g 4 1 , d e r ü b l i c h e n R e g e l u n g s f o r m der S e l b s t b e s t i m m u n g 4 2 . A n d e r s e i t s w e r d e n — u n d das ist e i n beachtliches A r g u m e n t gegen diese L ö s u n g — a u t o n o m e S a t z u n g e n fast a l l g e m e i n als I n s t r u m e n t d e r m i t t e l b a r e n S t a a t s v e r w a l t u n g angesehen, „ v o n einer n i c h t s t a a t l i c h e n Stelle erlass e n " 4 3 . W ä r e es z. B . der R e g i e r u n g e r l a u b t , die Rechtsverhältnisse i h r e r Nr. 3000 des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, erschienen. M i t der Bekanntmachung i m T e i l I I des Bundesgesetzblattes wurde der Praxis der Weimarer Zeit gefolgt, die i m § 72 Abs. 1 l i t . Β Nr. 6 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien, Besonderer Teil, v o m 1. M a i 1924 (Heinrich Triepel: Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 5. Aufl., 1931, S. 268) ihren Niederschlag gefunden hatte. Die v o m Bundestag am 26. M a i u n d am 27. Oktober 1955 beschlossenen Änderungen der Geschäftsordnung w u r d e n erst unter dem 6. Dezember 1955 (BGBl. I I S. 1048) bekanntgemacht. Die am 13. Dezember 1961 beschlossene Änderung w u r d e unter dem 2. Januar 1962 erstmals gemäß § 81 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer T e i l (Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 11), S. 440 f) i m Bundesgesetzblatt T e i l I (S. 1) bekanntgemacht, ebenso w i e die am 24. J u n i 1964 u n d am 27. Januar 1965 beschlossenen Änderungen unter dem 24. August 1964 (BGBl. I S. 713) u n d unter dem 16. Februar 1965 (BGBl. I S. 62). 40 Vgl. dazu A n m . 39. Auch der als Drs.Nr. 3000 des Deutschen Bundestages erschienene Abdruck der am 6. Dezember 1951 beschlossenen Geschäftsordnung ist offenbar erst nach i h r e m I n k r a f t t r e t e n erfolgt, denn der der Durchführung dieser Geschäftsordnung dienende Beschluß des Ausschusses für Geschäftsordnung u n d I m m u n i t ä t v o m 12. Januar 1952 ist unter Drs.Nr. 2987 erschienen. 41 So neuerdings auch Theodor Maunz, i n : Maunz'Dürig, aaO (Anm. 34). 42 Vgl. dazu auch A d o l f Kiess: Rechtsverordnung u n d Satzung, Diss. Tübingen 1960, S. 71 ff. 43 So die Formulierung i n BVerfGE Bd. 10 S. 50. I m Ergebnis so auch Adolf Kiess, aaO, S. 73: „Der Staat und seine unmittelbaren Organe können keine Satzungen erlassen." Hans Peters, aaO (Anm. 10), S. 264: „ S u b j e k t der Satzungsgewalt sind stets dem Staate eingegliederte nichtstaatliche Verbände." So auch Fritz Fleiner: Institutionen des Deutschen V e r w a l tungsrechts, 8. Aufl., 1928, S. 78; Walter Jellinek: Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Neudruck 1948, S. 131. Vgl. dazu jetzt Ernst-Wolfgang Böckenförde: Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, 1964, S. 117 m i t A n m . 11,
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Mitglieder selbständig zu regeln, so würde das Instrument dieser Regelung wohl eher als Rechtsverordnung denn als autonome Satzung qualifiziert werden, obwohl die Kriterien der Begrenzung der Rechtsetzungsbefugnis auf eigene Angelegenheiten und auf den Adressatenkreis der Mitglieder des Verfassungsorgans gleichfalls gegeben wären. Es bestehen ferner gegen eine Auffassung Bedenken, die das Parlament — bei aller Eigenständigkeit, die i h m als Verfassungsorgan zukommt — so weit vom Staat verselbständigt ansieht, daß sie eine bestimmte A r t seiner Rechtsetzungsakte, wie die der mittelbaren Staatsverwaltung, als autonome Satzung qualifiziert. I n dieser Beziehung verdankt die Satzungstheorie ihre Entstehung sicher Reminiszenzen aus der Zeit des Ständestaates, i n dem die Landstände eigene Rechtspersönlichkeit besaßen und die Ständeversammlung nicht als Staatsorgan begriffen wurde. Mag die damit verbundene Grundvorstellung — das Parlament als Gegenüber des den Staat verkörpernden Monarchen — auch noch zur Zeit des Konstitutionalismus durchaus Wirkkraft besessen und zur Qualifizierung der kodifizierten Geschäftsordnung als autonome Satzung beigetragen haben, so erscheint eine solche Auffassung heute durchaus unangemessen. I n dem Streit zwischen den beiden Theorien wäre deshalb der Qualifikation der kodifizierten Geschäftsordnung als Rechtsverordnung der Vorzug zu geben. Gegen diese Qualifikation könnten verfassungsrechtliche Bedenken wegen der i n Art. 80 des Grundgesetzes statuierten Begrenzung des Adressatenkreises und des Umfanges von Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen nicht geltend gemacht werden, da insoweit der Art. 40 des Grundgesetzes ohne Bedenken als lex specialis angesehen werden könnte. Das kann übrigens für die vom Präsidenten des Deutschen Bundestages i m Benehmen mit dem Ältestenrat erlassenen Ausführungsbestimmungen zu den verschiedenen Gesetzen über die Entschädigung der Mitglieder des Deutschen Bundestages 44 , die als S. 120 A n m . 24; Hans Schneider: Autonome Satzung u n d Rechtsverordnung, i n : Festschrift für P h i l i p p Möhring, 1965, S. 522 ff. 44 Vgl. die auf G r u n d des § 5 des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages v o m 15. J u n i 1950 (BGBl. S. 215) erlassenen Ausführungsbestimmungen v o m 20. J u n i 1950 (BAnz. Nr. 119 v o m 24. J u n i 1950), die später durch die Ausführungsbestimmungen v o m 28. November 1951 (BAnz. Nr. 3 v o m 5. Januar 1952), v o m 11. September 1952 (BAnz. Nr. 180 v o m 17. September 1952) u n d v o m 5. März 1953 (BAnz. Nr. 47 v o m 10. März 1953) ersetzt w u r d e n ; ferner die auf G r u n d des § 5 des Gesetzes v o m 24. J u n i 1954 (BGBl. I I S. 637) erlassenen Ausführungsbestimmungen v o m 23. J u l i 1954 (BAnz. Nr. 141 v o m 27. J u l i 1954) m i t Ergänzung v o m 10. Januar 1955 (BAnz. Nr. 13 v o m 20. Januar 1955). Die auf G r u n d der §§ 5, 11 des Gesetzes v o m 27. M a i 1958 (BGBl. I S. 379) u n d der §§ 6, 14 des Gesetzes v o m 25. März 1964 (BGBl. I S. 230) erlassenen Ausführungsbestimmungen sind nicht veröffentlicht worden. Die i m Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages der 3. Wahlperiode u n d i n dem der 4. Wahlperiode jeweils als „Anlage zu § 5 des Diätengesetzes" abgedruckte 1
3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
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Rechtsverordnungen qualifiziert werden müssen, weil sie die i n den Gesetzen nicht bezifferte Höhe der Reisekostenpauschale erst festsetzen, nicht gelten 4 5 . Denn diese Ausführungsbestimmungen haben keine Rechtsgrundlage unmittelbar i n der Verfassung, sondern sie werden lediglich auf die Ermächtigungsnormen der auf Grund des Art. 48 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes ergehenden Ausführungsgesetze gestützt. Einer Ermächtigung des Präsidenten des Deutschen Bundestages zum Erlaß von Rechtsverordnungen steht aber die Vorschrift des A r t . 80 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes entgegen, da i n ihr die Adressaten der Ermächtigung abschließend aufgeführt sind 4 6 . Dieser offenbare Mangel der Rechtsgrundlage soll anscheinend dadurch verschleiert werden, daß die i n den Entschädigungsgesetzen ausdrücklich angeordnete Veröffentlichung der Ausführungsbestimmungen seit Jahren unterbleibt 4 7 . Das kann nur als eine bedenkliche, i n den Bereich der Legislative und i n die Verantwortung des Präsidenten des Deutschen Bundestages fallende Mißachtung des i n Gesetzesform zum Ausdruck gebrachten Willens des Parlaments angesehen werden. Entscheidende Voraussetzung für die Richtigkeit einer der beiden Theorien ist es, daß die kodifizierte Geschäftsordnung entweder tatsächlich Rechtssätze i m historisch-konventionellen Sinne enthält oder ihren Vorschriften jedenfalls die Bindungswirkungen eigen sind, die als Voraussetzung angesehen werden müssen, u m sie überhaupt als Rechtsquelle zu kennzeichnen. Beides ist, wie bereits früher gezeigt, nicht der Fall 4 8 . Auch wer an der Auffassung festhält, die kodifizierte Geschäftsordnung besitze die Qualität einer Rechtsquelle, w i r d der Alternative Satzungs- oder Verordnungstheorie aber nicht allzuviel praktische Bedeutung beimessen dürfen 4 9 . 3. Vorwiegend i n der Weimarer Zeit wurde die Auffassung vertreten, die kodifizierte Geschäftsordnung sei eine gemischte Rechts- und Verwaltung
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Ordnung 50.
„Staffelung der Reisekostenpauschale" k a n n nicht als die von den Diätengesetzen vorgeschriebene Veröffentlichung der Ausführungsbestimmung angesehen werden. 45 Vgl. dazu Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 11), A n m . 2 zu § 5 EntschG, S.153. 46 Vgl. dazu Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig, aaO (Anm. 34), Rdnr. 6 zu A r t . 80 u n d die Nachweise dort A n m . 1. 47 Vgl. A n m . 44. 48 Vgl. oben §11. 49 Darauf haben Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig, aaO (Anm. 34) u n d vor i h m schon Otto Koellreutter, aaO (Anm. 11), S. 187 hingewiesen. 50 Vgl. Walter Jellinek: Verfassung u n d V e r w a l t u n g des Reichs u n d der Länder, i n : Teubners Handbuch der Staats- u n d Wirtschaftskunde, Staatskunde, Bd. 2/3 Heft 2, o. J., S. 66; FritzPoetzsch-Heff ter: Handkommentar der Reichsverfassung v o m 11. August 1919, 3. Aufl., 1928, A n m . 4 b zu A r t . 26, S. 170: „Sie ist ein Compositum m i x t u m aus Rechtsnormen (insoweit Rechts-
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Es darf als sicher gelten, daß diese Meinung auf Georg Jellinek zurückzuführen und durch seine Äußerung veranlaßt ist, die Geschäftsordnung sei Rechtsverordnung, i n der sich neben Rechtssätzen auch Verwaltungsvorschriften finden 51. I n neuerer Zeit hat, darauf wurde schon hingewiesen, lediglich Friedrich Giese den Charakter der Geschäftsordnung des Bundestages noch als den „einer grundgesetzlich ermächtigten gemischten Rechts- und VerwaltungsVerordnung" gekennzeichnet 52 . Diese Auffassung erscheint schon deshalb fragwürdig, weil sie mindestens den Anschein erweckt, als handele es sich bei der „gemischten Rechts- und VerwaltungsverOrdnung" um eine Rechtsquelle eigener A r t , die sich von der Rechtsverordnung dadurch unterscheidet, daß sie außer Rechtssätzen auch noch Verwaltungsvorschriften enthält. Es ist aber schon häufig darauf hingewiesen worden, daß i n jeder A r t von Rechtsquellen nicht nur Rechtssätze i m historisch-konventionellen Sinne sondern „auch nicht rechtssatzmäßige Vorschriften, Dienstanweisungen u. dgl. mit enthalten sein" können 5 3 . Diese Bestimmungen dann noch als Verwaltungsverordnungen 54 oder - V o r s c h r i f t e n zu bezeichnen, ist deshalb problematisch, weil sie mit ihrer Aufnahme i n eine Rechtsquelle grundsätzlich an deren zweiseitig bindender Wirkung sowie am Rang der i n ihr enthaltenen Rechtssätze teilnehmen und damit wesentliche Charakteristika von reinen Verwaltungsvorschriften verlieren. Zwar kann es unter bestimmten Voraussetzungen notwendig und sinnvoll sein, besonders hervorzuheben, i n einer Rechtsverordnung seien auch Vorschriften enthalten, die nicht Rechtssätze i m historischkonventionellen Sinne sind. Insoweit wäre gegen die Kennzeichnung „gemischte Rechts- und Verwaltungsverordnung" kaum etwas einzuwenden, wenngleich die eben erörterte Problematik gerade diese Bezeichnung als wenig empfehlenswert erscheinen läßt. I n die herkömmliche Dogmatik der Rechtsquellen sollte sie aber als neue Rechtsfigur nicht eingeführt werden. Denn das Nebeneinander von Rechtssätzen und anderen Vorschriften i n Gesetzen wie i n Rechtsverordnungen und autonomen Satzungen hat mit gutem Grund nicht zur Ausbildung der Rechtsfigur „gemischter" Rechtsquellen geführt, weil die die Unterscheiverordnung i n weiterem Sinne) u n d Geschäftsregeln"; Friedrich Giese:Deutsches Staatsrecht, 1930, S. 132; ders.: Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl., 1931, A n m . 1 zu A r t . 26, S. 96. 51 Vgl. dazu die oben unter Nr. 2 am Anfang zitierten Äußerungen von Georg Jellinek. 52 Friedrich Giese, aaO (Anm. 12). Seit der 5., von Egon Schunck bearbeiteten, Auflage des Kommentars ist diese Meinung zugunsten der herrschenden Satzungstheorie aufgegeben; vgl. 5. Aufl., 1960, A n m . 3 zu A r t . 40, S. 85 u n d 7. Aufl., 1965, A n m . 3 zu A r t . 40, S. 102. 53 Otto Mayer: Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bd. 1, 1924, S. 83, S. 86; Fritz Fleiner: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., 1928, S. 65; Ernst Forsthoff, aaO (Anm. 11), S. 129. 54 Z u r Terminologie vgl. Otto Mayer, aaO, S. 84 m i t A n m . 6.
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
dung der verschiedenen Rechtsquellen bestimmenden Qualifikationsmerkmale ohne Rücksicht auf diese Tatsache ausgebildet worden sind. So wäre eine Verordnung, die auch nur einen einzigen Rechtssatz enthält, als Rechtsverordnung zu qualifizieren und müßte den rechtlichen Erfordernissen, die an eine Rechtsverordnung gestellt werden, genügen 55 . Es ist zudem kein Grund ersichtlich, i m Falle der kodifizierten Geschäftsordnung von dem Prinzip abzugehen, Vorschriften, die durch einheitlichen Schöpfungsakt zustandegekommen sind, auch einheitlich zu qualifizieren 56 . 4. Julius Hatschek sah i n der kodifizierten Geschäftsordnung „eine Summe von Resolutionen des Hauses, die an und für sich nicht rechtsverbindlich sind und welche nur Konventionair eg ein .. . darstellen, d.h. i n hundert Fällen werden sie befolgt und i m hundertersten Fall wieder außer acht gelassen, je nachdem es das Haus zweckmäßig und angemessen findet... Eine solche Geschäftsordnung oder ein Teil derselben, eine Geschäftsordnungsresolution, stellt an sich noch keine Rechtsnorm dar, und man würde auch fehlgehen, wenn man glaubte, daß sie überhaupt i m Hause gilt. Hier gilt sie erst, wenn sie durch langen Brauch approbiert ist (per longum usum comprobata). Ohne Parlamentsbrauch und seine Anerkennung gilt keine Geschäftsordnung an und für sich." 57 Bei den Konventionalregeln handele es sich, so sagt Hatschek, „nicht um Rechtsnormen..., sondern um Normen, die kraft empirischer 55
So auch Ernst Forsthoff, aaO (Anm. 11), S. 129. I n diesem Sinne auch Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 68 f f u n d Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 42 f, beide offenbar i m A n schluß an K u r t Haagen, aaO (Anm. 2), S. 24 f. 57 Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 42 ff u n d Hatschek/Kurtzig, aaO (Anm. 2), S. 506; i m Anschluß an Hatschek: Bernhard Dondorf: Die rechtliche N a t u r der Geschäftsordnung u n d der Geschäftsgang i m Deutschen Reichstag, Diss. Greifswald 1919, S. 14 ff. Vgl. auch Julius Hatschek: K o n ventionalregeln oder über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Beg r i f f sbildung i m öffentlichen Recht, i n : JöR Bd. 3 (1909) S. 1 ff. Die von Hans Schäfer: Z u r Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs von Rheinland-Pfalz, i n : JZ 1951 S. 88 f, ausgesprochene Vermutung, der Staatsgerichtshof habe sich i n seiner Entscheidung v o m 5. 11. 1948 ( V G H 8/48) für die Auffassung Hatscheks aussprechen wollen, muß angesichts der F o r m u l i e r u n g des Gerichts, die Landtagsgeschäftsordnung sei „eine v o m L a n d tag beschlossene, aber nicht i n Gesetzesform gekleidete Zusammenstellung der v o m Landtag für seine Geschäftsführung gegebenen Vorschriften" als unbegründet angesehen werden, zumal das Gericht n u r die Frage geprüft hat, ob die Geschäftsordnung für die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes von Bedeutung sei, u n d zu dem Ergebnis gelangte: „ B e i der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes . . . ist also die Frage der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Gesetzesvorlage i m Landtag v o m Verfassungsgericht überhaupt nicht zu prüfen." (AS Bd. 3 S. 21 f = VerwRspr. Bd. 1 S. 245 f). Es ist deshalb auch unzutreffend, wenn Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 37 meint, der Verfassungsgerichtshof habe i n dieser Entscheidung die Konventionairegeltheorie vertreten. 56
5. Kap.: Die Rechtsnatur
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Faktizität g e l t e n , . . . die i m Prozesse der Rechtsbildung ein Vorstadium des Rechts darstellen" 5 8 . Diese These hat den Vorzug, der parlamentarischen Praxis 5 9 erheblich näher zu kommen als die bisher behandelten Theorien, die grundsätzlich von der Rechtssatzeigenschaft der Bestimmungen der kodifizierten Geschäftsordnung ausgehen und deshalb konsequent befolgt zu einer rigiden Handhabung der für die parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten bestehenden Vorschriften zwingen würden. Gegen die Ansicht Hatscheks ist eingewandt worden, Hatschek selbst müsse zugeben, daß die kodifizierte Geschäftsordnung auch Rechtsnormen enthalte; damit werde aber eine scharfe Scheidung von objektivem Recht und Konventionalregeln unmöglich und falle die Konventionalregel-Theorie als wissenschaftlich unfruchtbar i n sich selbst zusammen 6 0 . Nun ist aber einerseits die Existenz von Rechtssätzen i n der kodifizierten Geschäftsordnung mit der Konventionalregel-Theorie nicht unvereinbar; denn Hatschek selbst hat von Anfang an die Auffassung vertreten, die Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung könnten durch langen Brauch approbiert werden und dann als Rechtsnormen gelten. Anderseits sind Schwierigkeiten bei der Unterscheidung rechtlicher Erscheinungen kein durchschlagender Einwand gegen das Vorliegen unterschiedlicher Phänomene und gegen die Notwendigkeit, sie für wissenschaftliche wie für praktische Zwecke gesondert zu behandeln. Denn es gibt kaum Rechtsfiguren, bei denen eine wissenschaftlich scharfe Scheidung von anderen Rechtsfiguren i n einer Anzahl von Fällen keine Schwierigkeiten bereitet. So können auch die K r i t i k e r Hatscheks auf die Anerkennung parlamentarischer Bräuche nicht verzichten und treffen auf dieselben Schwierigkeiten, wenn sie Parlamentsbrauch und Observanz voneinander abzugrenzen suchen 61 . Zur Beurteilung der Konventionalregel-Theorie kann diese K r i t i k deshalb nichts Entscheidendes beitragen. 58
Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 14. Diese Praxis ist oben i n § 11 ausführlich geschildert worden; von i h r zeugen auch die auf S. 54 wiedergegebenen Äußerungen eines so v e r sierten parlamentarischen Praktikers wie Eduard Lasker. 60 I n diesem Sinne zuerst Hans Peters: Die Polizeiwidrigkeit u n d ihre Beziehungen zur Rechtswidrigkeit, i n : Verwaltungsarchiv, Bd. 29 (1922) S. 393; i h m folgend Fritz Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 20 A n m . 53 unter I I I 2 e; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 4; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 295. Fritz Stier-Somlo, aaO (Anm. 2), S. 368 bemerkte, es dürfte schwerfallen, die Rechtsnormen von den Konventionalregeln zu scheiden, während K u r t Pereis, aaO (Anm. 9), S. 449 die Auffassung v e r trat, der Konventionalregel-Theorie stehe „auch die spätere Erkenntnis ihres Hauptvertreters, daß die Geschäftsordnung zweifellos auch Rechtssätze enthalte, entgegen". 61 Vgl. dazu z. B. K u r t Pereis, aaO (Anm. 1), S. 7 ff. 59
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Beachtlich erscheint hingegen der Einwand, die Theorie Hatscheks vertrage sich nicht mit der Tatsache, daß der Parlamentspräsident die Geschäftsordnung auch gegen den Willen des Hauses durchzusetzen vermöge 62 ; sie widerspreche der parlamentarischen Wirklichkeit, in der gerade um die Unverletzlichkeit des Geschäftsordnungsrechts zahlreiche Kämpfe geführt würden 6 3 ; auch sei die Behauptung unbeweisbar, die Verfassung sähe i n der Geschäftsordnung nur eine faktische Übung und kein Recht 64 . Denn Julius Hatschek ging zwar von einer richtigen Beobachtung aus, zog daraus aber falsche Schlüsse. Zutreffend ist seine Beobachtung, daß die Bindungswirkung der kodifizierten Geschäftsordnung auffallende Schwächen zeigt. Diese Schwäche besteht aber nur nach einer Seite hin, nur demjenigen gegenüber, der die Vorschriften erlassen hat und i n dessen Händen auch die A r t und Weise ihrer Durchsetzung letztlich liegt. Zwar ist grundsätzlich auch derjenige, der Rechtsvorschriften erlassen hat, bis zur förmlichen Aufhebung an sie gebunden und dies selbst dann, wenn er die Befugnis zu ihrer Abänderung besitzt. Es gibt aber auch Rechtsvorschriften, und zu ihnen gehören, wie i m nächsten Paragraphen noch zu zeigen sein wird, auch die Regelungen i n Geschäftsordnungsangelegenheiten, deren Urheber es erlaubt ist, die selbst gesetzten Vorschriften zu durchbrechen, also von ihnen abweichende Regelungen bei gleichzeitiger Weitergeltung der generellen Vorschriften zu treffen. Für die Beurteilung der Konventionalregel-Theorie ist indes die Bindungswirkung gegenüber den Adressaten der Vorschrift entscheidend. Diesen gegenüber stehen dem Parlament, wenn es als Urheber der Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung auf deren Durchsetzung bestehen w i l l , die M i t t e l der parlamentarischen Disziplin zur Verfügung. I m äußersten Fall reichen sie bis zum zeitweisen Ausschluß von der Teilnahme an den Sitzungen und der Arbeit des Hauses überhaupt 6 5 . 62 F r i t z Morstein M a r x , aaO (Anm. 2), S. 20 A n m . 53 unter I I I 2 d; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 294. 63 F r i t z Stier-Somlo, aaO (Anm. 10), S. 595; ders., aaO (Anm. 2), S. 363; i h m folgend Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 4; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 294; K u r t Pereis, aaO (Anm. 9), S. 449. 64 Fritz Stier-Somlo, aaO (Anm. 10), S. 595; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 4; Hermann Breiholdt, aaO (Anm. 2), S. 294 f; Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 46. 65 M i t dem Ausschluß von der Teilnahme an den Sitzungen des Plenums ist auch der Ausschluß von den Ausschußsitzungen verbunden (vgl. § 42 Abs. 3 Buchstabe a GeschOBT; so auch schon § 91 Abs. 4 GeschOWRT). W ä h rend der Zeit des Ausschlusses können die betreffenden Abgeordneten auch keine rechtsgültigen Anträge stellen, die ihre Erledigung i m Plenum finden (vgl. Ritzel/Koch: Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, 1952, A n m . 7 zu § 42, S. 77; A n m . 2 zu § 97, S. 170 u n d A n m . 4 zu § 100, S. 175; Lechner/Hülshoff, aaO (Anm. 11), A n m . 5 zu § 42 GeschOBT, S. 180).
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Diese aus der Disziplinargewalt des Parlaments fließenden Befugnisse können nicht lediglich als Sanktionen konventioneller Natur, wie gesellschaftliche Mißachtung, politischer Boykott oder dergleichen verstanden werden, sondern sind als Zwangsmaßnahmen rechtlicher A r t anzusehen. I h r rechtlicher Charakter erweist sich dadurch, daß sie geeignet sind, die Ausübung des verfassungskräftigen Rechts auf Teilnahme an den Arbeiten des Parlaments zeitweise aufzuheben. Da die Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung demnach auf Grund rechtlicher Sanktionen durchgesetzt zu werden vermögen, können sie selbst nicht als Konventionalregeln qualifiziert werden. Denn Vorschriften, zu deren Durchsetzung die Rechtsordnung rechtliche Sanktionen bereithält, müssen selbst als Rechtsvorschriften verstanden werden. Den Adressaten gegenüber besteht demnach — was Hatschek wohl übersehen hat — eine durchsetzbare rechtliche Bindungswirkung der kodifizierten Geschäftsordnung. Nur wenn das nicht der Fall wäre und die Schwäche der Bindungswirkung den Adressaten gegenüber ebenso bestünde wie gegenüber dem Parlament als Normgeber, wären die Folgerungen Hatscheks unausweichlich. Vom Standpunkt Hatscheks aus könnte zwar eingewandt werden, bei den rechtlich durchsetzbaren Vorschriften handele es sich eben immer nur um solche, die durch langen Brauch als Rechtsvorschriften approbiert seien. Tatsächlich sind die Vorschriften der kodifizierten Geschäftsordnung aber immer auch bereits dann durchgesetzt worden, wenn sie vom Parlament eben erst beschlossen waren und deshalb durch langen Brauch noch nicht approbiert sein konnten. Vor der A n wendung und Durchsetzung neuer Vorschriften ist das Vorliegen einer „Approbation" auch noch nie geprüft worden 6 6 . 5. Das Recht des Parlaments, sich eine kodifizierte Geschäftsordnung zu geben, ist — allerdings wohl ohne den Anspruch, damit eine rechtliche Qualifikation zu liefern — auch als „Befugnis der gesetzgebenden Gewalt" bezeichnet worden 6 7 . Es liegt aber immerhin auf dieser Linie, wenn das Wesen der kodifizierten Geschäftsordnung darin erblickt wurde, daß sie ein „Gesetz ohne Publikationszwang" darstelle 68 . 66 So sind, u m n u r ein Beispiel zu nennen, die m i t der E i n f ü h r u n g der Geschäftsordnung des Bundestages neu ergangenen Bestimmungen des § 111 über die Fragestunde ebenso unmittelbar angewandt u n d durchgesetzt w o r den w i e die v o m Bundestag am 29. J u n i 1960 beschlossenen „Richtlinien für die Fragestunde", die nicht einmal Bestandteil der kodifizierten Geschäftsordnung sind. 67 Ferdinand von M a r t i t z : Betrachtungen über die Verfassung des N o r d deutschen Bundes, 1868, S. 83. 68 Jürgen von Heyden, Graf von Cartlow: Die parlamentarische Polizeigewalt i m Preußischen Landtag u n d i m Reichstag, Diss. Greifswald 1913, S. 31. Aus den Bemerkungen von Alois Vogels: Die Preußische Verfassung, 2. Aufl., 1927, A n m . V I zu A r t . 29, S. 79 u n d ders.: Die Verfassung für das
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
Diese Charakterisierung ist schon deshalb abzulehnen, weil die Bezeichnung als Gesetz denjenigen rechtsverbindlichen Anordnungen vorbehalten bleiben sollte, die „auf dem Wege der Gesetzgebung" zustande kommen und auch i m übrigen i n Übereinstimmung m i t den allgemein für Gesetze maßgeblichen Vorschriften ergehen, also z. B. auch ausgefertigt und verkündet werden. 6. Die kodifizierte Geschäftsordnung ist ferner als rechtsetzende Vereinbarung angesehen worden 6 9 . Hier kann auf diese Rechtsfigur nicht näher eingegangen werden 7 0 . Soviel kann aber gesagt werden, daß sie als eine besondere Kategorie in die herkömmliche Dogmatik der Rechtsquellen nur eingeführt werden sollte, wenn sie tatsächlich eine eigene Erscheinung darstellt. Das ist dann nicht der Fall, wenn sie als „Vergemeinschaftung inhaltlich gleicher, auf rechtlich Bedeutsames gerichteter Willen mehrerer Willensträger" verstanden w i r d 7 1 , wenn sie „bald innerhalb des Kreises einer (herkömmlichen) Rechtsquelle, bald außerhalb eines solchen Kreises geschlossen werden" kann 7 2 , wenn i n „jede(r) Beschlußfassung einer kollegial organisierten Personenmehrheit eine Vereinbarung" gesehen 73 oder behauptet wird, bei bestehendem Mehrheitsprinzip habe „das objektive Recht festgesetzt, daß die Vereinbarung der Mehrheit ebenso angesehen werden solle wie eine Vereinbarung der Gesamtheit" 74 . W i r d Vereinbarung auf diese Weise verstanden, so ist für sie beim Erzeugungsvorgang jeder A r t von L a n d Nordrhein-Westfalen, 1951, A n m . 7 zu A r t . 38, S. 87: „Die Geschäftsordnung bindet die Mitglieder des Landtags m i t rechtlicher W i r k u n g ähnlich w i e ein Gesetz . . k a n n die Zuerkennung der Gesetzesqualität an die Geschäftsordnung nicht gefolgert werden, wie das Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 43 m i t A n m . 3 neuerdings getan hat. 69 So Hermann F. Schmid, aaO (Anm. 1), S. 458 f; Heinrich von Brentano d i Tremezzo, aaO (Anm. 16), S. 11. Heinrich Triepel: Völkerrecht u n d L a n desrecht, 1899, S. 60 bemerkte, die Geschäftsordnung sei autonomer Rechtssatz, der durch Vereinbarung gebildet werde, sie ziele aber nicht auf Rechtsw i r k u n g e n nach außen ab. Dagegen spricht Louis B u r k i : Die rechtliche Natur der „autonomen" Geschäftsordnung der Gesetzgebenden Behörden u n d die leitenden Rechtsgrundsätze für das Geschäftsverfahren, Diss. Zürich 1920, S. 51 f f von der Vereinbarung „verbindlicher Konventionalregeln" ; das spricht dagegen, i h n m i t Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 39 u n d Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 54 zu den Vertretern dieser A u f fassung zu rechnen. 70 Vgl. hierzu K a r l B i n d i n g : Die Gründung des Norddeutschen Bundes, u n d ders.: Die „Vereinbarung", i n : K a r l B i n d i n g : Z u m Werden u n d Leben der Staaten, 1920, S. 95 ff besonders S. 163 ff u n d S. 189 ff; Heinrich Triepel, aaO, S. 49 ff; Georg Jellinek: System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 204 ff; Gustav A d o l f Walz: Die „Vereinbarung" als Rechtsfigur des öffentlichen Rechts, i n : AöR N.F. Bd. 14 (1928) S. 161—232. 71 So die Formulierung von K a r l B i n d i n g : Die „Vereinbarung", aaO, S. 217. 72 K a r l Binding, aaO, S. 225. 73 Heinrich Triepel, aaO (Anm. 69), S. 57. 74 Heinrich Triepel, aaO.
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Rechtsquellen Raum. Auch der Beschluß eines Regierungskollegiums auf Erlaß einer Rechtsverordnung wäre dann als rechtsetzende Vereinbarung anzusehen. Es wäre nur ein neuer Begriff geschaffen, der alle Rechtsquellen umfaßte, die aus einem einstimmigen oder Mehrheitsbeschluß der am Rechtsetzungsverfahren Beteiligten herrühren. Damit wäre es ausgeschlossen, aus der Einordnung i n die Kategorie „rechtsetzende Vereinbarung" i m Rahmen der Rechtsquellenlehre noch i r gendwelche Folgerungen herzuleiten. Die Bezeichnung als rechtsetzende Vereinbarung muß deshalb Erscheinungen vorbehalten bleiben, bei denen selbständige Beteiligte durch übereinstimmende Willensäußerungen Recht setzen, ohne daß sie i n Bezug auf den Rechtsetzungsvorgang i n irgendeiner Weise rechtlich organisiert oder koordiniert sind 7 5 . Das Parlament befindet aber als Kollegialorgan durch Beschluß über seine Geschäftsordnung. Damit entfällt jede Berechtigung, die kodifizierte Geschäftsordnung als rechtsetzende Vereinbarung zu qualifizieren 76 . 7. Die Schwierigkeiten, die Rechtsnatur der kodifizierten Geschäftsordnung zu bestimmen, haben auch dazu geführt, sie als Rechtsgebilde sui generis zu kennzeichnen 77 . Alle Vertreter dieser Auffassung meinen, die kodifizierte Geschäftsordnung enthalte Vorschriften mit Rechtssatzcharakter, die der Verfassung und den Gesetzen i m Range nachstünden. Einige erklären, es handele sich nicht um körperschaftliches, statutarisches, sondern um staatliches Recht 78 . Das Rechtsgebilde sui generis würde i n der herkömmlichen Dogmatik der Rechtsquellen eine weitere Kategorie darstellen, die einzuführen nur dann erlaubt wäre, wenn sich eine Qualifizierung der kodifizierten Geschäftsordnung i m herkömmlichen Rahmen als unmöglich erwiese. Das ist aber, wie zu zeigen sein wird, nicht der Fall. 8. Schließlich ist auch die Auffassung vertreten worden, die kodifizierte Geschäftsordnung enthalte nur interne Vor Schriften ohne Rechtssatzcharakter. Sie sei weder Rechtsverordnung noch beruhe sie auf einer dem Parlament etwa zukommenden Autonomie, sondern auf der jeder Versammlung zustehenden Macht, ihre eigene Tätigkeit, und damit das Verhalten ihrer Mitglieder zu regeln. Diese seien gebunden „sofern die Befolgung dieser Regeln die Bedingung der Anerkennung ihrer 75
So i m Ergebnis auch Hans J. Wolff, aaO (Anm. 11), § 25 X , S. 113. So auch Eduard Hubrich, aaO (Anm. 24), S. 65. 77 Gustav A d o l f Walz, aaO (Anm. 16), S. 332 f ; K u r t Haagen, aaO (Anm. 2), S. 36; M a x E. F. K ü h n e m a n n : Die Änderung der Geschäftsordnung des Reichstages v o m Rechtsstandpunkte, i n : Reich u n d Länder, Jg. 5 (1931) S. 90; Werner K l i n k h a m m e r : Die Änderungen der Geschäftsordnung für den Reichstag v o m 31. März 1931 i n ihrer rechtlichen Bedeutung, Diss. M a r b u r g 1936, S. 5; Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 96 f; erwägend auch schon v. Craushaar, aaO (Anm. 2), S. 385. 78 So z. B. K u r t Haagen, vgl. oben A n m . 17; M a x E. F. Kühnemann, aaO, S. 91; Werner K l i n k h a m m e r , aaO, S. 5. 76
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Tätigkeit ist und der Ausübung der Mitgliedschaft überhaupt". Die Versammlung selbst sei nur moralisch gebunden, indem sie ohne t r i f tigen Grund nicht von dem abgehen könne, was sie als richtig erklärt habe. Sie sei aber rechtlich nicht i n der Weise gebunden, wie wenn es sich um verordnungsmäßige oder autonomische Rechtssätze handele, könne vielmehr i m Einzelfall ihre Ordnung durch denselben Mehrheitsbeschluß, der sie geschaffen habe, auch wieder durchbrechen. Das sei auch dann der Fall, wenn die Geschäftsordnung selbst für gewisse Abweichungen Einstimmigkeit erfordere oder den Widerspruch einer gewissen Minderheit als ein unbedingtes Hindernis bezeichnet habe 79 . Gegen diese Auffassung wurde eingewandt, sie sei unzutreffend, „denn wo i n aller Welt bedürfe eine Verwaltungsverordnung noch ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung? Und als solche müsse man ja notwendig die Bezugnahme der Verfassung auf die Geschäftsordnung auffassen." 80 Dieser Einwand entbehrt der Berechtigung. Es ist nämlich, wie die historische Entwicklung der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie zeigt, durchaus nicht selbstverständlich, daß das Parlament seine Geschäftsordnung selbst erlassen kann. Deswegen ist die Verfassungsvorschrift über die Geschäftsordnungsautonomie als Garantie der Selbständigkeit des Parlaments auch dann noch sinnvoll, wenn sie wegen der Qualifizierung der kodifizierten Geschäftsordnung als Verwaltungsverordnung nicht als Ermächtigung zu deren Erlaß angesehen wird. Die Auffassung, die kodifizierte Geschäftsordnung enthalte nur interne Vorschriften ohne Rechtssatzcharakter, w i r d i m folgenden Paragraphen behandelt.
§ 17: Die Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts Für die Beantwortung der Frage nach der Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts kommt es zunächst darauf an, ob nicht wenigstens ein Teil der kraft der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen als Rechtssätze i m engeren Sinne, als materielle Gesetze, anzusehen sind. Denn nur i n diesem Falle müßte das autonome Parlamentsrecht seiner Rechtsnatur nach als Rechtsquelle, 79 Otto Mayer: Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, 1909, S. 141. Ebenso M a x Kulisch, aaO (Anm. 1), S. 358 f allerdings m i t der Begründung, daß die Rechtssphäre des durch seine parlamentarischen Organe handelnden Staates nicht v o n der Rechtssphäre anderer Rechtssubjekte abgegrenzt werde. 80 Julius Hatschek, aaO (Anm. 1), S. 40 u n d ders., aaO (Anm. 2), S. 503; so auch Fritz Stier-Somlo, aaO (Anm. 2), S. 368; Reinhart Vogler, aaO (Anm. 10), S. 4; H e i n r i c h von Brentano d i Tremezzo, aaO (Anm. 16), S. 10; Manfred R. Bernau, aaO (Anm. 3), S. 61; Gerhard Alois Reifenberg, aaO (Anm. 3), S. 40.
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sei es als Rechtsverordnung oder als autonome Satzung qualifiziert werden. Andernfalls käme dem autonomen Parlamentsrecht eine i n ihren Bindungswirkungen von materiellen Gesetzen durchaus verschiedene Wirksamkeit zu, deren besondere Eigenart dann noch zu bestimmen wäre. Die Ergebnisse der bisher angestellten Untersuchungen zwingen allerdings nicht dazu, i n den Regelungen des autonomen Parlamentsrechts materielle Gesetze zu sehen, ihnen also Rechtsatzcharakter i m herkömmlichen Sinne zuzuschreiben. Es ist gezeigt worden, daß das autonome Parlamentsrecht nur Abgeordnete zu binden und i n die Rechte anderer Personen oder anderer Verfassungsorgane nicht einzugreifen vermag, da die Regelungsbefugnis des Parlaments auf seine rein internen Geschäftsordnungsangelegenheiten beschränkt ist und die Rechtsbeziehungen der Verfassungsorgane zueinander auch deshalb nicht zu tangieren vermag, w e i l diese grundsätzlich durch die Verfassung geregelt sind 1 . Die Bindungen, die das autonome Parlamentsrecht den Abgeordneten auferlegt, stellen keinen Eingriff i n deren Rechtsposition dar. Denn sie haben i n einer mit dem Statusverhältnis der Abgeordneten verbundenen, i n ihm enthaltenen allgemeinen Unterwerfung unter die Regelungen des autonomen Parlamentsrechts ihre Grundlage. Verpflichtungen, die ihre Grundlage nicht i m verfassungsrechtlichen Status selber haben, könnten den Abgeordneten nämlich auch durch Rechtssätze, die jedenfalls geringeren Rang hätten als die Verfassung, nicht auferlegt werden, weil sie den auf der Ebene des Verfassungsrechts festgelegten Status beeinträchtigten und deshalb rechtswidrig wären 2 . Es besteht demnach kein Anlaß, den Regelungen des autonomen Parlamentsrechts Rechtssatzcharakter zuzuschreiben, u m ihre Bindungswirkung zu erklären. Selbst wenn aber davon ausgegangen wird, das autonome Parlamentsrecht enthalte auch Rechtssätze, könnte die Verbindlichkeit der kraft Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen nicht i n jedem Falle auf den Rechtssatzcharakter dieser Regelungen gestützt werden. Es besteht nämlich für das autonome Parlamentsrecht kein Vorbehalt und kein Vorrang der kodifizierten Geschäftsordnung, der etwa dem des Gesetzes vergleichbar wäre 3 , weshalb das Parlament seine Geschäftsordnungsangelegenheiten nicht nur durch oder auf Grund genereller Anordnungen sondern auch ohne solche Grundlage von Fall zu Fall zu regeln vermag und frei darüber befinden kann, welche seiner Geschäftsordnungsangelegenheiten es i n dieser oder jener Form ent1 Vgl. dazu die Ausführungen oben i n § 12, S. 110 ff. Vgl. dazu die Ausführungen oben i n § 9, S. 72 ff. 3 Vgl. dazu die Ausführungen oben i n § 11, S. 85 ff.
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scheiden w i l l . Jede Geschäftsordnungsangelegenheit kann demnach grundsätzlich ad hoc geregelt werden. Geschieht dies, und das kommt, wie gezeigt wurde, i n der Praxis nicht selten vor, dann kann die Rechtsgrundlage i n diesen Fällen nicht i n einem Rechtssatz gefunden werden. Denn diese ad hoc getroffenen Entscheidungen des Parlaments können weder selbst als Rechtssätze angesehen werden noch sich auf Rechtssätze stützen. Versagt demnach die Theorie von dem Rechtssatzcharakter des autonomen Parlamentsrechts, um dessen Verbindlichkeit zu erklären, und muß dafür jedenfalls auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden, so besteht insoweit kein Anlaß, an dieser Theorie festzuhalten. Den Regelungen des autonomen Parlamentsrechts, und auch das spricht gegen ihren Rechtssatzcharakter, kommt ferner nicht die zweiseitige Bindungswirkung zu, die das Wesensmerkmal von Rechtssätzen ausmacht 4 . Zwar vermag der Normgeber i m einzelnen Fall die Bindungswirkung von Rechtssätzen verschieden stark zu gestalten, indem er z. B. gesetzliche Verbote mit Erlaubnisvorbehalt statuiert oder für die Anwendung einen mehr oder weniger weiten Ermessensspielraum zuläßt. Der Normgeber vermag aber den Vorrang von Rechtssätzen vor Einzelanweisungen nicht für ein ganzes Sachgebiet zu beseitigen, indem er etwa die jederzeitige Durchbrechung aller von i h m gesetzten Rechtssätze zuläßt. Die Unverbrüchlichkeit von Rechtssätzen ist — freilich mit der Möglichkeit ihrer Abänderung i n dem dafür vorgesehenen Verfahren — ein Grundsatz, der mit den rechtsstaatlichen Prinzipien des Vorranges und des Vorbehaltes des Gesetzes aufs engste verknüpft ist und nicht preisgegeben v/erden kann, ohne alle Garantien aufzuheben, die m i t dem rechtsstaatlichen Gesetzes- und Rechtssatzbegriff verbunden sind 5 . Für die Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten durch autonomes Parlamentsrecht ist die Unverbrüchlichkeit der Vorschriften nicht gefordert 0 . Wenn diese Regelungen aber so entscheidende Merkmale des Rechtssatzbegriffes vermissen lassen, erscheint es nicht gerechtfertigt, sie als Rechtssätze zu qualifizieren. Wenn hier aus den angeführten Gründen davon ausgegangen wird, daß die Regelungen des autonomen Parlamentsrechts keinen Rechtssatzcharakter besitzen, so stellt sich die Frage nach der A r t der Rechts4
Vgl. dazu die Ausführungen oben i n § 11; Otto Mayer: Deutsches V e r waltungsrecht, 3. Aufl., Bd. 1, 1924, S. 102 f; E r w i n Jacobi: Die Verwaltungsverordnungen, i n : HdbDStR Bd. 2 (1932) S. 258. 5 Vgl. dazu auch B V e r f G E Bd. 8 S. 170 ff. 6 V g l .dazu die Ausführungen oben i n § 11.
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grundlage für die Verbindlichkeit der auf Grund der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen. I m allgemeinen Gewaltverhältnis kann sie nicht gefunden werden, da i n i h m des Vorbehalts des Gesetzes wegen Rechtspflichten nur auf Grund von Rechtssätzen geschaffen werden können. Die Rechtspflicht der Abgeordneten, die Regelungen des autonomen Parlamentsrechts zu befolgen, kann deshalb nur i n einem besonderen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis begründet sein. I m öffentlichen Recht ist ein solches besonderes Rechtsverhältnis, innerhalb dessen jemandem ohne weitere rechtliche Grundlage i m Rahmen eines bestimmten Zweckes nach freiem Ermessen Anordnungen gegeben werden können, denen er Gehorsam schuldet 7 , als das i m allgemeinen Verwaltungsrecht beheimatete besondere Gewaltverhältnis durchaus geläufig. Eine unmittelbare Anwendung der für das besondere Gewaltverhältnis bestehenden Rechtsregeln auf das verfassungsrechtliche Verhältnis, aus dem die Gehorsamspflicht der Abgeordneten gegenüber den Regelungen des autonomen Parlamentsrechts erwächst, kommt allerdings aus verschiedenen Gründen nicht i n Frage. Zunächst kann die A r t und Weise der Unterworfenheit der Abgeordneten unter die Regelungen des autonomen Parlamentsrechts mit derjenigen der Gewaltunterworfenheit, wie sie i m besonderen Gewaltverhältnis besteht, nicht auf eine Stufe gestellt werden. W i r d doch das besondere Gewaltverhältnis grundsätzlich vom hierarchischen bürokratischen Prinzip beherrscht und befinden sich die Betroffenen i n ihm i n weitgehender Abhängigkeit, während die Stellung der Abgeordneten durch die Garantie ihrer Unabhängigkeit gekennzeichnet ist, die jede Unterordnung i m Sinne des bürokratischen Prinzips ausschließt. Auch dem Parlament als einem auf der Grundlage der Kollegialität seiner Mitglieder agierenden Verfassungsorgan ist ein so entschieden auf das bürokratische, herrschaftliche Prinzip gestütztes Rechtsverhältnis fremd. Allerdings hat sich inzwischen allgemein die Überzeugung durchgesetzt, daß das besondere Gewaltverhältnis keine einheitliche Erscheinung ist und daß nach seinem jeweiligen Zweck differenziert werden muß, wobei sich dann sehr verschiedene Grade des Unterworfenseins zeigen. I m Falle der Abgeordneten, das Vorliegen eines besonderen Gewaltverhältnisses hier einmal unterstellt, wäre das Unterworfensein immerhin auf die Regelung der rein formellen Geschäftsordnungsangelegenheiten, also auf die Regelung der A r t und Weise der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Parlamentsgeschäfte, be7 I n diesem Sinne die Definition des besonderen Gewaltverhältnisses bei E r w i n Jacobi, aaO (Anm. 4), S. 256.
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schränkt. Eine verbindliche Weisung könnte sich deshalb i n keinem Fall auf den materiellen Inhalt der Abgeordnetentätigkeit beziehen. Die bis zum Ende der Weimarer Zeit verbreitete Auffassung über das Rechtsverhältnis der Minister zeigt i m übrigen, daß die Annahme, die Mitglieder eines kollegialen Verfassungsorgans stünden i n einem besonderen Gewaltverhältnis, nicht so fern liegt, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn damals wurde das Rechtsverhältnis der M i n i ster, wenn auch i n Fortführung konstitutioneller Auffassungen, rein beamtenrechtlich gesehen8. Die Vorstellung, der Abgeordnete stehe i n einem besonderen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis, ist nicht nur deshalb zunächst ungewohnt, weil seine Stellung durch die verfassungsrechtliche Garantie seiner Unabhängigkeit charakterisiert ist, die jedes Unterworfensein unter Weisungen auszuschließen scheint, sondern auch deshalb, weil sich erst i n neuerer Zeit die Überzeugung durchgesetzt hat, er stehe i n einer besonderen Rechtsstellung i m Sinne eines Status, während die Abgeordneteneigenschaft noch zur Weimarer Zeit als eine A r t gesellschaftliches Ehrenamt bezeichnet wurde 9 . Heute ist es allerdings durchaus geläufig, den Abgeordneten als Inhaber eines verfassungsrechtlichen Status anzusehen 10 . Dazu haben die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 11 und vor allem die Ausführungen Arnold Röttgens über den Abgeordneten als Statusinhaber 1 2 beigetragen. Allerdings stehen bisher die dem Abgeordneten verfassungsrechtlich gewährten Sonderrechte mehr i m Blickpunkt als seine Pflichten. Arnold Röttgen behauptet sogar, die Verfassungen wüßten von Pflichten des Abgeordneten nichts, höchstens die Diätengesetze ließen verklausulierte Tendenzen i n dieser Richtung erkennen. Die durch die Verfassung Bremens statuierte Treue- und Schweigepflicht der Bürgerschaftsmitglieder sowie die damit verbundene Möglichkeit ihres Ausschlusses sei nur ein Sonderfall und möglicherweise auf kommunale Vorbilder zurückzuführen 13 . Demgegenüber darf daran 8 Vgl. dazu A r n o l d Röttgen: Sonstige Sonderregelungen der Rechtsverhältnisse von Berufsbeamten, i n : HdbDStR Bd. 2 (1932) S. 92, u n d ders.: Abgeordnete u n d Minister als Statusinhaber, i n : Forschungen u n d Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 195 ff. 9 So z. B. Edgar Tatarin-Tarnheyden: Die Rechtsstellung der Abgeordneten; ihre Pflichten u n d Rechte, i n : HdbDStR Bd. 1 (1930) S. 415. 10 Vgl. Theodor Maunz: Deutsches Staatsrecht, 14. Aufl., 1965, S. 312 f; v. Mangoldt/Rlein: Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., 1964, A n m . I V 1 a zu A r t . 38, S. 887. 11 BVerfGE Bd. 2 S. 164; Bd. 4 S. 149; Bd. 6 S. 448 f. 12 A r n o l d Röttgen, aaO (Anm. 8). 13 A r n o l d Röttgen, aaO (Anm. 8), S. 206.
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erinnert werden, daß zur Weimarer Zeit 1 4 wie heute 1 5 die Verfassungen verschiedener Länder die Abgeordnetenanklage wegen Pflichtverletzung m i t der Möglichkeit der Aberkennung des Mandats vorsehen. Es ist i m übrigen auch unzutreffend, wenn Arnold Köttgen meint, die Geschäftsordnung des Bundestages sei die erste, die die Abgeordneten verpflichte, an den Arbeiten des Hauses teilzunehmen 16 . Eine solche Verpflichtung enthielt schon die Geschäftsordnung für den Reichstag der Weimarer Zeit 1 7 . Eine Anwesenheitspflicht der Abgeordneten kennen die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente übrigens seit der Zeit des Konstitutionalismus fast ausnahmslos 18 . Es kann angenommen werden, daß dabei davon ausgegangen wurde, diese Pflichten seien bereits mit der Abgeordnetenstellung verbunden und würden nicht erst durch die Geschäftsordnungsbestimmungen begründet. Es bestehen demnach alle Voraussetzungen, die Rechtsstellung des Abgeordneten als ein durch Sonderrechte und Sonderpflichten gekennzeichnetes Statusverhältnis anzusehen. Das Bestehen eines solchen besonderen Verhältnisses seit der Frühzeit des Konstitutionalismus läßt sich i m übrigen damit nachweisen, daß die Abgeordneten seit dieser Zeit der Disziplinargewalt des Parlaments bzw. seines Präsidenten unterlagen. Die Unterworfenheit der Abgeordneten unter die auf Grund der Geschäftsordnungsautonomie ergehenden Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten kann deshalb unschwer als Bestandteil der mit ihrem verfassungsrechtlichen Status verbundenen besonderen Pflichten angesehen werden. Die i m Falle der Redezeitbeschränkung aktuell gewordene Problematik der Abgrenzung der Befugnisse des Hauses bei der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten gegenüber dem verfassungsrechtlich gesicherten Status der Abgeordneten 19 kann juristisch-konstruktiv nur mit der Rechtsfigur eines besonderen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses gelöst werden. Nur innerhalb eines solchen Verhältnisses läßt sich rechtlich eine Regelungsbefugnis konstruieren, die keiner speziellen 14 Vgl. § 41 der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern; § 23 der Verfassung für Anhalt; § 39 der Verfassung des Freistaates MecklenburgSchwerin. 15 Vgl. die Verfassungen von Bremen A r t . 83 ff; Hamburg A r t . 13; BadenWürttemberg A r t . 42; Bayern A r t . 61; Niedersachsen A r t . 13; Saarland A r t . 87. 16 A r n o l d Köttgen, aaO (Anm. 8), S. 206. 17 Vgl. § 1 der Geschäftsordnung für den Reichstag v o m 12. Dezember 1922. 18 Sie sahen nämlich für eine kürzere Abwesenheit der Abgeordneten eine Urlaubsgewährung durch den Parlamentspräsidenten, f ü r eine längere sogar durch das Plenum v o r ; vgl. Meyer/Anschütz : Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 370. 19 Vgl. BVerfGE Bd. 10 S. 4 ff.
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Rechtsgrundlage bedarf, i n einem bestimmten Rahmen grundsätzlich frei ist und ihre Grenzen nur am Mißbrauchsverbot findet, bei der Überschreitung dieser Grenzen aber rechtswidrig ist, weil sie dann den durch Rechtsnormen gesicherten Status selber beeinträchtigt. Eine derartige allgemeine, i n dem verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten begründete Unterworfenheit unter das autonome Parlamentsrecht anzunehmen, bedeutet auch keine Gefahr für dessen Unabhängigkeit, weil jeder über die konkrete Zweckbestimmung der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten hinausgehende Versuch, den Abgeordneten etwa i n Bezug auf den materiellen Inhalt ihrer Tätigkeit Schranken aufzuerlegen, sich als Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung darstellen würde. Das Rechtsverhältnis, auf Grund dessen die Abgeordneten den Regelungen des autonomen Parlamentsrechts Gehorsam schulden, unterscheidet sich, das sei nochmals betont, i n einigen wesentlichen Punkten deutlich von einem besonderen Gewaltverhältnis. Der Abgeordnete ist Mitglied eines Kollegiums und steht deswegen nicht i n dem hierarchisch geordneten Über- und Unterordnungsverhältnis, das das besondere Gewaltverhältnis kennzeichnet. Der Abgeordnete ist ferner, wie grundsätzlich jedes Mitglied eines Kollegiums, i n Bezug auf den materiellen Inhalt seiner Tätigkeit keinen Weisungen unterworfen, während i m besonderen Gewaltverhältnis i n der Regel eine Weisungsbefugnis auch für Sachfragen besteht 20 . Der Abgeordnete ist schließlich Mitglied desjenigen Organs, das die Regelungen erläßt, denen er unterworfen ist. Er ist also i m Gegensatz zu denen, die dem besonderen Gewaltverhältnis unterliegen, an dem Erzeugungsvorgang der Regelungen beteiligt. Das läßt es gerechtfertigt erscheinen, das öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis, auf Grund dessen der Abgeordnete Gehorsam schuldet, als Mitgliedschaftsverhältnis zu kennzeichnen. Ein solches Mitgliedschaftsverhältnis besteht allerdings nicht nur innerhalb des Parlaments, sondern auch bei anderen Kollegialorganen des Verfassungsrechts sowie bei den kollegial organisierten Verwaltungs- und Gerichtsstellen. Unterscheiden sich besonderes Gewaltverhältnis und Mitgliedschaftsverhältnis deutlich voneinander, so sind doch die generellen Regelungen, die auf Grund dieser Verhältnisse ergehen, i n ihren Rechtswirkungen die gleichen. I n beiden Fällen mangelt ihnen die Unverbrüchlichkeit, weshalb sie jederzeit durchbrochen werden können. I n beiden Fällen bedürfen die Anordnungen keiner speziellen Rechtsgrundlage und gelten nur für den Kreis derjenigen, die ihnen auf Grund des 20 Die Sonderstellung, die z. B. Richter u n d Hochschullehrer einnehmen, k a n n als Ausnahme von dieser Regel angesehen werden. Das stellt zugleich die Rechtfertigung dafür dar, ihre Rechtsstellung nicht i m Rahmen des allgemeinen Beamtenrechts zu regeln.
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besonderen Rechtsverhältnisses unterworfen sind, weshalb sie i n die Rechte anderer nicht eingreifen und keine Außenwirkungen entfalten können. Damit erweist sich, daß die auf Grund des Mitgliedschaftsverhältnisses ergehenden Regelungen des autonomen Parlamentsrechts die gleichen Rechts- und Bindungswirkungen zeitigen wie Verwaltungsanweisungen. Dennoch w i r d man zögern, sie als solche zu bezeichnen. Da Rechtsvorschriften m i t der Rechtsnatur von Verwaltungsanweisungen nicht auf den Bereich der Verwaltung (und der Justizverwaltung) beschränkt sind, sondern auch i m Verfassungsrechtskreis und dort i m Bereich der Legislative vorkommen, empfiehlt sich die Einführung eines gemeinsamen Oberbegriffes, des „internen Rechts". Die Verwaltungsanweisungen, die bisher als ein singulärer Typ von Rechtsvorschriften angesehen wurden, erscheinen dann als eine Kategorie interner Rechtsvorschriften. I m Ergebnis ist die Auffassung, das autonome Parlamentsrecht sei internes Recht, bereits von Otto Mayer vertreten worden 2 1 , und Adolf A r n d t sen. sah die Regelungen von parlamentarischen Geschäftsordnungsangelegenheiten als „interna corporis" an 2 2 . E r w i n Jacobi hat i n seiner Abhandlung über die Verwaltungsverordnungen das Mitgliedschaftsverhältnis bei jeder dem öffentlichen Recht angehörigen Vereinigung, das „auch die Gehorsamspflicht des Mitglieds eines Kollegiums (z. B. kollegiales Staatsorgan) dem Kollegium gegenüber" umfasse, als ein Rechtsverhältnis angesehen, das durch Verwaltungsvorschriften geregelt werde 2 3 . Neuerdings hat Hans Schneider sich gegen die Qualifizierung der Geschäftsordnungen staatlicher Organe, wie z. B. des Bundestages, als autonome Satzung gewandt, weil es sich dabei um staatliches Organisations-Recht handele, das der Staat eben von seinen eigenen Organen setzen lasse. Er ziehe es deshalb vor, diese Erscheinung als Amtsrecht zu verstehen, das auf der Organisationsgewalt beruhe, d. h. auf der jedem Staatsorgan inhärenten Befugnis, sich zur Erfüllung seiner Amtsaufgaben zu organisieren und den Ablauf seiner Tätigkeit zu ordnen 24 . I n neuerer Zeit hat auch Klaus Obermayer, allerdings beiläufig, ausgeführt, daß ein Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft (Landtag, Bundestag) sich dieser gegenüber i n einem besonderen Gewaltverhältnis befinde 25 . Nun w i r d hier allerdings der Begriff 21 Siehe oben § 16 Nr. 8, S. 155 f. 22 A d o l f A r n d t : Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 184. 23 E r w i n Jacobi, aaO (Anm. 4), S. 256 f. 24 Hans Schneider: Autonome Satzung u n d Rechtsverordnung, i n : Festschrift für P h i l i p p Möhring, 1965, S. 225 f. 25 Klaus Obermayer: Verwaltungsakt u n d innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 87 A n m . 277. 11·
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3. Teil: Das autonome Parlamentsrecht
des besonderen Gewaltverhältnisses aus den bereits dargelegten Gründen zur Kennzeichnung des Mitgliedschaftsverhältnisses ebenso vermieden wie der der Verwaltungsvorschrift für die innerhalb dieses Rechtsverhältnisses ergehenden Regelungen. Den zitierten Stimmen und der hier vertretenen Auffassung ist aber gemeinsam, daß diese Regelungen als internes Recht aufgefaßt werden. Für die Kollegialorgane des Verwaltungsrechts 26 wie für die kollegialen Spruchkörper der Gerichte 27 ist der interne Rechtscharakter ihrer Geschäftsordnungen so gut wie unbestritten. Erst wenn i m autonomen Parlamentsrecht internes Recht gesehen wird, erklären sich auch die zahlreichen Erscheinungen zwanglos, die die herrschende Meinung nicht zu erklären vermag: Die Tatsache, daß das autonome Parlamentsrecht weder vom Vorrang noch vom Vorbehalt genereller Regelungen beherrscht ist, erklärt sich daraus, daß bei internem Recht die zweiseitige Bindung nicht besteht 28 , die zum Wesen des Rechtssatzes gehört und seine Unverbrüchlichkeit ausmacht 29 . A n das autonome Parlamentsrecht brauchen deshalb auch die Anforderungen nicht gestellt zu werden, auf die unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit für Vorschriften mit Rechtsnormcharakter grundsätzlich nicht verzichtet werden kann, wie Meßbarkeit, Vorausberechenbarkeit und Klarheit dessen, was eigentlich rechtens sein soll 3 0 . I m internen Rechtsbereich ist auch die Praxis, Geschäftsordnungsangelegenheiten i m Gegensatz zu bestehenden generellen Vorschriften, und wenn sich i m Parlament dagegen kein Widerspruch erhebt, selbst ohne ausdrücklichen Beschluß zu regeln, nicht anstößig, da nicht die strengen Maßstäbe angelegt zu werden brauchen, die zu gelten hätten, sähe man i m Erlaß dieser Regelungen einen Rechtsetzungsvorgang. Der interne Rechtscharakter des autonomen Parlamentsrechts läßt auch ohne weiteres verstehen, daß Regelungen von Geschäftsordnungsangelegenheiten gegenüber Außenstehenden weder berechtigend noch verpflichtend wirken und daß diese sich nicht auf sie berufen können, sondern sie als Faktum hinnehmen müssen 31 . Ferner w i r d deutlich, daß 20 Vgl. dazu neuerdings Prodromos Dagtoglou: Kollegialorgane u n d K o l l e gialakte der Verwaltung, 1960, vor allem S. 37 f. 27 Vgl. neuerdings A r t u r M e l l w i t z : Die Geschäftsordnungen des Bundesverfassungsgerichts u n d der oberen Bundesgerichte, i n : N J W 1962 S. 788 ff. 28 Vgl. dazu Otto Mayer, aaO (Anm. 4), S. 102 f ; E r w i n Jacobi, aaO (Anm. 4), S. 258. 29 Vgl. dazu Otto Mayer, aaO (Anm. 4), S. 74; Carl Schmitt: Verfassungslehre, 1928, S. 107. 30 Vgl. Theodor Maunz, i n : Maunz/Dürig: Grundgesetz, 1964, Rdnr. 86 u n d 89 zu A r t . 20. 31 E r w i n Jacobi, aaO (Anm. 4), S. 258; Otto Mayer, aaO (Anm. 4), S. 103; Hans Nawiasky: Allgemeine Rechtslehre, 1948, S. 74.
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selbst die Abgeordneten als Adressaten der Vorschriften zwar zu ihrer Befolgung verpflichtet sind, aber auf Grund des autonomen Parlamentsrechts keine Rechtspositionen erwerben, auf deren Beachtung oder Aufrechterhaltung sie bestehen können. Es ist allerdings die A n sicht vertreten worden, aus A r t i k e l 93 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes ließe sich entnehmen, das Grundgesetz gehe wie von etwas Selbstverständlichem davon aus, daß die Geschäftsordnung Rechte erzeuge, und daß die Befugnisse, die die Geschäftsordnung des Bundestages den ständigen Mitgliedergruppen des Bundestages zuweist, i m Wege des Organstreits geltend gemacht werden könnten 3 2 . Das ist aber deswegen unzutreffend, weil die durch die Geschäftsordnung eingerichteten ständigen Gliederungen des Bundestages ihre Parteifähigkeit i m Organstreit „nicht um ihrer selbst willen, sondern nur zur Vertretung der Rechte des Bundestages" besitzen 33 , was sich i m übrigen auch schon daraus herleiten läßt, daß das Bundesverfassungsgericht auf Grund des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes lediglich über die Auslegung des Grundgesetzes entscheidet. Schließlich rechtfertigt nur das Verständnis des autonomen Parlamentsrechts als internes Recht die absolut herrschende Auffassung, daß ein Verstoß gegen die Regelungen der kodifizierten Geschäftsordnung keinerlei Einfluß auf den Rechtsbestand der gefaßten Beschlüsse hat 3 4 , da ein Verstoß gegen interne Vorschriften ganz allgemein nicht als Rechtsverstoß gilt 3 5 . Die hier vertretene Auffassung von der Rechtsnatur des autonomen Parlamentsrechts als interner Vorschriften hätte zur Folge, daß es i m Wege der abstrakten Normenkontrolle nicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft werden kann, da es keine Rechtssatzqualität besitzt und deswegen kein Bundesrecht i m Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes darstellt. Das gibt aber keinen Anlaß zu ernsthaften Bedenken, da die Überprüfbarkeit von Maßnahmen, die zur Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten ergehen, auf dem Wege des Organstreites möglich bleibt.
32 So G. B. Schweitzer: A k t u e l l e Probleme des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts, i n : N J W 1956 S. 87. 33 So BVerfGE Bd. 2 S. 165. 34 Theodor Maunz, aaO (Anm. 30), Rdnr. 23 zu A r t . 40; v. Mangoldt/Klein, aaO (Anm. 10), A n m . I V 2 zu A r t . 40, S. 915; G. B. Schweitzer, aaO, S. 87. 35 E r w i n Jacobi, aaO (Anm. 4), S. 258.
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Personenregister Seitenzahlen i n Normaldruck verweisen auf den Text, Seitenzahlen i n Kursivdruck auf Fußnoten. Namen sind n u r angeführt, soweit es sich nicht lediglich u m bibliographische Angaben u n d Belegstellen handelt. Anschütz, Gerhard 47, 121, 140, 141 A r n d t , A d o l f sen. 163 Bachof, Otto 141 Bennigsen, Rudolf v o n 56 Bernau, Manfred R. 82, 128, 132 Braun, K a r l 56 Brentano, Heinrich v o n 145 B u r k i , Louis 154 Craushaar, v o n 82 Dehler, Thomas 63, 98 Delbrück, Clemens v o n 57, 123 Ehlers, Hermann 99 Ewers, Hans 97, 105, 129 Forckenbeck, M a x von 34, 35 Friedberg, Heinrich 52, 53 Friedrich W i l h e l m I V . 29 Geisler, Friedrich 145 Gerber, Carl Friedrich v o n 32 Gerstenmaier, Eugen 65, 97, 99 Gierke, Otto von 62 Giese, Friedrich 139, 149 Gröber, A d o l f 23 Haagen, K u r t 47, 132, 140 Hänel, A l b e r t 55 Hatschek, Julius 13, 15, 34, 89, 115, 123, 128, 142, 143, 150, 151, 152, 153 Heereman, Clemens F r h r . von 53 Hubrich, Eduard 141, 142 Jacobi, E r w i n 163 Jellinek, Georg 62, 76, 126, 141, 142, 149 Kiess, A d o l f 146 Klein, Friedrich 112, 116 Klüber, Johann L u d w i g 20 Köttgen, A r n o l d 62, 160, 161 Kulisch, M a x 126, 156 Laband, P a u l 47, 51, 65, 138 Lasker, Eduard 54 Leibholz, Gerhard 62 Liebknecht, W i l h e l m 56 Lüders, Marie-Elisabeth 98
Martitz, Ferdinand v o n 87 Maunz, Theodor 59, 68, 112, 116, 124, 125, 137 Maurenbrecher, Romeo 20 Mayer, Otto 163 Meyer, Georg 138 Mohl, Robert von 13, 88, 141 Morstein M a r x , Fritz 76, 141 Obermayer, Klaus 163 Partsch, K a r l Josef 62 Pereis, K u r t 16, 17, 51, 58, 65, 71, 74, 88, 104, 138, 143, 151 Peters, Hans 146, 151 Pferdmenges, Robert 98 Plate, August 89 Poetzsch-Heffter, F r i t z 148 Preuss, Hugo 46 Reifenberg, Gerhard Alois 128, 132, 150, 154 Ritzel, Heinrich Georg 98, 129 Rönne, L u d w i g von 51 Schäfer, Hans 150 Schmid, Carlo 91 Schmitt, Carl 77, 78 Schneider, Hans 126, 163 Schulze, H e r m a n n 51 Schunck, Egon 139 Schwalber, Josef 45 Seydel, M a x von 25, 51 Starosolskyj, W o l o d y m y r 77 Stengel, K a r l Frhr. von 51 Stier-Somlo, Fritz 140, 142, 151 Triepel, Heinrich 154 Vogels, Alois 153 Vogler, Reinhart 47 Walz, Ernst 141 Weiss, Bernhard 127 Windthorst, L u d w i g 56 Wuermeling, Franz-Josef 99 Zoepfl, Heinrich 32
Sachregister Abgeordnetenentschädigung 72 f. Abgeordnetenstellung (Status) 38, 72 ff., 157, 159 ff. Abstimmung, Freiheit der 19 Abweichungen von der kodifizierten Geschäftsordnung 97 ff., 103 ff. Ältestenrat 35 ff., 99 — Einfluß auf Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten 107 f. — Regierungs Vertreter im 111, 113, 114 s. auch Vereinbarungen i m Ä l testenrat Änderungen der kodifizierten Geschäftsordnung 99 ff. Aktuelle Stunde 93 Anfragen, parlamentarische s. Fragerecht Anlagen zur Geschäftsordnung 89 f., 93 Anmerkungen zur Geschäftsordnung 89, 93 Arbeitsplan des Parlaments 36 Ausschluß von Abgeordneten 52, 74 Ausführungsbestimmungen zum Entschädigungsgesetz 147 f. Ausschüsse, Bildung und Stellenbesetzung 36 f., 38, 42, 79, 99 f. Ausschußvorsitzende, Stellenbesetzung 36 f., 79 Auskunft über die Ausführung von Parlamentsbeschlüssen 112 f. Autonomes Parlamentsrecht s. P a r lamentsrecht, autonomes Autonomie s. Geschäftsordnungsautonomie, Parlamentsautonomie Behandlung v o n Rechtsverordnungen gemäß § 21 Abs. 6 u n d § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes sowie gemäß § 27 Abs. 2 des A u ß e n w i r t schaftsgesetzes 91, 100 Behandlung von Vorlagen gemäß A r t . 2 und 3 des Gesetzes zu den
Verträgen zur Gründung der E W G u n d E U R A T O M 90 f., 100 Bekanntmachung der kodifizierten Geschäftsordnung 144 f. Beschlußfähigkeit 41 — Verbindung von Feststellung durch Namensaufruf m i t W a h l des Präsidenten 98 Beschlußfassung über verfassungsändernde Gesetze 65 f. Bindungswirkung des autonomen Parlamentsrechts 111 ff., 158 ff. — der kodifizierten Geschäftsordnung 103 ff., 152 f. Disziplin, parlamentarische 52 f., 68, 74 — Gegenstand der Geschäftsordnungsautonomie 49 — gegenüber Nichtabgeordneten 114 ff. Durchbrechung der kodifizierten G e schäftsordnung 104 ff. Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung des Bundestages 92 Fragerecht, parlamentarisches 66 f., 91 f., 112 f. — Kleine Anfragen 100 f. s. auch Richtlinien für die Fragestunde Fragestunde s. Fragerecht, parlamentarisches Fraktionen 36 ff., 76 — Beteiligung an der Stellenbesetzung 36 f., 79 — Mindestmitgliederzahl 79 Freiheitlich-demokratische Grundordnung s. Grundordnung, freiheitlich-demokratische Geschäftsführer, parlamentarische, Einfluß auf Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten 108
Sachregister Geschäftsordnung, kodifizierte — Bedeutung innerhalb des autonomen Parlamentsrechts 86 ff. — Begriff 17 — Bekanntmachung 134, 144 ff. — Pflicht zum Erlaß 103 — Rechtsnatur 136 ff; autonome Satzung 138 ff.; gemischte Rechts- und Verwaltungsverordnung 139, 148 ff.; Gesetz ohne Publikationszwang 153 f.; interne Vorschriftein 155 f.; K o n ventionalregeln 150 ff.; rechtsetzende Vereinbarung 154 f.; Rechtsverordnung 141 ff.; sui generis 155 — Regelungen als Rechtsvorschriften 153 — Übernahme durch neugewähltes Parlament 95 f. — Verfassungs- und Gesetzesrecht i n der 81 ff. — Verkündung 144 ff. Geschäftsordnungsangelegenheiten 64 ff. — Einfluß des Ältestenrates 107 f.; des Geschäftsordnungsausschusses 1081; der parlamentarischen Geschäftsführer 108; des Präsidenten 107 — K o n t i n u i t ä t der Regelungen 133 — Regelung außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung 90 ff.; durch Gesetz 25, 27, 52, 54 f., 58, 121 ff.; durch Gesetze und Verfassung 69 f. ; formlos und stillschweigend 95 ff., 133 f.; von F a l l zu F a l l 94 f. — Zwang zur Regelung durch kodifizierte Geschäftsordnung 102 f. Geschäftsordnungsausschuß, Einfluß auf Geschäftsordnungsangelegenheiten 108 f. Geschäftsordnungsautonomie — Begriff 15 — Gestaltungsfreiheit 74 — Grenzen 71 ff.; i n der verfassungsmäßigen Ordnung 75 ff. — Mißbrauchsverbot 74 — Verfassungsgarantie 21 f., 43; Bedeutung 60 ff.; Entstehung
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des Wortlauts 43 ff.; Inhalt 50 ff.; Umfang 64 ff. — zur Zeit des Konstitutionalismus 19 ff. — zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung 39 ff. Geschäftsordnungsgesetz 25, 27 Gesetzentwürfe, Behandlung i m Parlament 41, 113 f. Gesetzesinitiative 32 f., 72 Gesetzespetition 32 Gewohnheitsrecht, parlamentarisches 131 Große Anfragen, s. Fragerecht Grundordnung, freiheitlich-demokratische als Grenze für Geschäftsordnungsautonomie 75 Hausrecht des Parlaments 40, 117, 119 Herbeirufung eines Mitgliedes der Regierung 112 Immunitätsaufhebung als autonomes Recht 34, 41 Immunität, Verfahren zur Aufhebung bei Verkehrsdelikten und Bagatellangelegenheiten 92, 100 Inneres Parlamentsrecht, s. Parlamentsrecht, inneres Interfraktionelle Vereinbarungen, s. Vereinbarungen, interfraktionelle Kleine Anfragen, s. Fragerecht Kodifizierte Geschäftsordnung, s. Geschäftsordnung, kodifizierte Kollegiale Autonomie, s. Parlamentsautonomie, kollegiale Kommissionen, s. Ausschüsse Leitungsgewalt, s. Disziplin Lesungen von Gesetzentwürfen
41
Maulkorbgesetz 52 ff. Mehrheitsprinzip 75 ff. Minderheitenschutz 35, 37 f., 42, 48, 76 ff. Observanz 131 Obstruktion 78 Opposition, Recht auf Bildung und Ausübung 48, 76, 78 f. Ordnung, verfassungsmäßige, als Grenze für Geschäftsordnungsautonomie 75 Ordnungsgewalt 114 ff.
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Sachregister
Parlamentarische Geschäftsführer, s. Geschäftsführer, parlamentarische Parlamentsautonomie 18 f., 31, 39 f., 60 ff. — kollegiale 20 Parlamentsbedienstete 34 Parlamentsorgane, Bestellung 28 ff. Parlamentspräsident — Einfluß auf Geschäftsordnungsangelegenheiten 107 — Vorsitz i m Ältestenrat 36 — und Präsidium, Stellenbesetzung 36 f., 68 — und Präsidium, W a h l 28 ff., 39, 97 ff. Parlamentsrecht, Begriff 15 f. Parlamentsrecht, autonomes — Adressaten 110 ff. — Begriff 16 f. — Bindungswirkung 67 — Formen 67 — Geltungsdauer 126 ff. — Geltungsrang 121 ff. — als internes Recht 163 ff. — Quellen 81 ff. — Rechtssatzcharakter 157 ff. — Verbindlichkeit 157 ff. Parlamentsrecht, inneres, Begriff 16 Parlamentsverwaltung 34 — Einfluß auf die Gestaltung der kodifizierten Geschäftsordnung 89 Polizeigewalt i m Parlament 34, 40, 117, 119 Redefreiheit 20 Redeordnung 37, 115 ff. Rednerliste 37 Regierungsmitglieder, nicht Adressaten des autonomen Parlamentsrechts 110 ff. — Teilnahme an Verhandlungen über Geschäftsordnungsangelegenheiten 57 Richtlinien für die Fragestunde 91, 98, 100 Sachruf 117 f. Schriftführer — A u s w a h l 29, 39 — Stellenbesetzung 36 f. — vorläufige, Ernennung 98
Selbstauflösungsrecht des Parlaments 39 Selbstorganisationsrecht des Parlaments 28 ff., 39, 67 f. Selbstversammlungsrecht des Parlaments 31, 34, 39 Selbstverwaltungsrecht des Parlaments 39 Seniorenkonvent, s. Ältestenrat Stellenbesetzung, s. Ausschüsse, Ausschußvorsitzende, Parlamentspräsident (und Präsidium), Schriftführer, Vorstand Stillschweigende Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten s. Geschäftsordnungsangelegenheiten, Regelung formlos und s t i l l schweigend Tagesordnung 37 Übernahme der kodifizierten Geschäftsordnung durch neugewähltes Parlament 95 f., 129 f., 133 f. Unverbrüchlichkeit, keine des autonomen Parlamentsrechts 158 Unverbrüchlichkeit, keine der kodifizierten Geschäftsordnung 102, 104 ff. Verbindlichkeit des autonomen Parlamentsrechts 159 ff. Vereinbarungen i m Ältestenrat 93, 98 f., 100 f., 107 f., 134 Vereinbarungen, interfraktionelle 96 ff. Verfassungsmäßige Ordnung, s. Ordnung, verfassungsmäßige Verkündung der kodifizierten Geschäftsordnung 144 ff. Vorläufige Geschäftsordnung für den Bundestag, Entstehungsgeschichte 145 Vorläufige Schriftführer, s. Schriftführer, vorläufige Vorstand, Stellenbesetzung 40, 42 Wahlprüfungsrecht 34, 79 Widerspruch gegen Abweichungen von der kodifizierten Geschäftsordnung 97 ff., 104 ff. Zwischenfragen 93, 100.