Paritätische Aufstellung von Kandidaten für Bundestagswahlen: Eine verfassungsrechtliche Untersuchung [1 ed.] 9783428587254, 9783428187256

Die Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit gesetzlicher Vorgaben, die auf eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses im Par

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German Pages 196 Year 2023

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Paritätische Aufstellung von Kandidaten für Bundestagswahlen: Eine verfassungsrechtliche Untersuchung [1 ed.]
 9783428587254, 9783428187256

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 109

Paritätische Aufstellung von Kandidaten für Bundestagswahlen Eine verfassungsrechtliche Untersuchung

Von Valentin Martin Heimerl

Duncker & Humblot · Berlin

VALENTIN MARTIN HEIMERL

Paritätische Aufstellung von Kandidaten für Bundestagswahlen

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Christia n Sei ler in Gemeinschaft mit J o c h e n v o n B e r n s t o r f f , M i c h a e l D r o e g e , M a r t i n He c k e l, K a r l -He r m a n n K ä s t n e r, F e r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t , M a r t i n Ne t t e s h e i m, G ü nt e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t , M i c h a e l R o n e l l e n f i t s c h, J o h a n n e s S a u r e r, Wo l f g a n g G r a f V i t z t hu m sämtlich in Tübingen

Band 109

Paritätische Aufstellung von Kandidaten für Bundestagswahlen Eine verfassungsrechtliche Untersuchung

Von Valentin Martin Heimerl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-18725-6 (Print) ISBN 978-3-428-58725-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Großeltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Sie berücksichtigt bis einschließlich November 2021 erschienene Literatur und Rechtsprechung. Die Arbeit wurde von Professor Dr. Christian Seiler betreut und während meiner Zeit als Akademischer Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verfasst. Ihm gilt mein besonderer Dank. Er hat mich als Mitarbeiter schon vorher gefördert und zum Gelingen der Arbeit in erheblichem Maße beigetragen. Seine Tür stand immer offen und er gab in vielen Diskussionen wertvolle Anregungen. Besonders freue ich mich über die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe „Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht“ durch ihn. Herrn Professor Dr. Jochen von Bernstorff, LL. M. danke ich für die zügige ­Erstellung des Zweitgutachtens. Sehr dankbar bin ich auch der Hanns-Seidel-Stiftung, die mich mit einem Promotionsstipendium nicht nur finanziell gefördert hat, sondern die mir im Rahmen ihres ideellen Förderprogramms auf vielfältige Weise interessante Einblicke in andere Disziplinen, Institutionen und Länder ermöglicht hat. Danken möchte ich auch all den Kollegen des Lehrstuhls, stellvertretend unserer „guten Seele“ Sigrun Heinze. Die besonders herzliche Kollegialität, das gute persönliche Verhältnis und die vielen anregenden Gespräche haben die Zeit am Lehrstuhl sehr bereichert und nicht unerheblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Schließlich gilt ein großer Dank all jenen, die als Gesprächspartner stets zur Verfügung standen und mich während der gesamten Zeit meines Dissertations­ projekts immer bestärkten. Zutiefst dankbar bin ich zum einen meiner Freundin. Zum anderen meiner Familie, die mich während der Zeit meiner gesamten Ausbildung vorbehaltlos im Vertrauen auf meine Fähigkeiten unterstützt hat. Leider haben nicht alle meine Großeltern den Abschluss der Arbeit erleben können. Ihnen sei dieses Buch daher in großer Dankbarkeit gewidmet.

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Einführung in die Thematik 15

Kapitel 2

Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten 19

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Politische Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Interpretationen des geringen Frauenanteils in staatlichen Vertretungen . . . . 21 2. Mit einem Paritätsgesetz verfolgte Ziele und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Verhältnis der Geschlechter bei Kandidatur, Mandat und in der Partei . . . . . . . . 27 1. Ausgangsbefund der Geschlechteranteile bei Kandidaten und Mandaten . . . 27 a) Geschlechterverhältnis bei den Kandidaturen und in den Vertretungen . . . 28 aa) Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 bb) Beispielhaft ausgewählte Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (1) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (2) Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (3) Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (4) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (5) Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 (6) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 (7) Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 cc) Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (1) Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (2) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (3) Länderübergreifender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Analyse und Deutungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 cc) Kommunale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

10

Inhaltsverzeichnis 2. Parteien und Frauenanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Bundestagswahl 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Bundestagswahl 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

B. Abgrenzung zu paritätischen bzw. quotalen parteiinternen Normierungen . . . . . . . . . 58 I. Bestehende parteiinterne Vorgaben für die Kandidatennominierung . . . . . . . . . . 59 1. CDU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. AfD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4. FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5. Die Linke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6. Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 7. CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Rechtliche Einordnung parteiinterner Normierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 C. Parallele Regelungen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Kapitel 3

Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes 76

A. Ausgangsbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Grundentscheidungen des deutschen Bundestagswahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Kombination zweier Wahlsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Verhältniswahlsystem mit starren Listen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Das Verfahren der Kandidatenaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Aufstellung der Kandidaten für die Direktmandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Aufstellung der Kandidaten für Listenmandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Inhaltsverzeichnis

11

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Die Aufstellung der Kandidaten als geeignetes Stadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Zwei Systembestandteile des Wahlrechts als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Die Aufstellung der Direktkandidaten als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . 85 2. Die Aufstellung der Listenkandidaten als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . 87 a) Streng alternierende Besetzung starrer Listen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Parität als inhaltliche Vorgabe für die Kandidatenlisten . . . . . . . . . . . 88 bb) Normtechnische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 cc) Bedürfnis nach Ausnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 dd) Sanktionierung von Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Einfluss der Elemente des Mehrheitswahlsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Kapitel 4

Verfassungsrechtliche Prüfung 95

A. Verfassungstheoretischer Hintergrund paritätischer Vorgaben für die Kandidatenaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 I. Paritätische Vorgaben im Lichte des Wahl- und Parteienrechts . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Verfassungsrechtliche Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Wahl als Kern der grundgesetzlichen Konzeption repräsentativer Demokratie 98 2. Funktion der Parteien im Rahmen der Parlamentswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Repräsentation als zentrales Funktionselement grundgesetzlicher Demokratie 102 a) Grundsätzliches Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Freiheit und Gleichheit als prägende Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Wahlrechtsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (a) Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (b) Erweiterter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Parteienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Freies Mandat als Ausdruck gleicher demokratischer Teilnahme . . 119 (2) Prinzip der Mehrheitsentscheidung und Gesamtrepräsentation . . . 122 (3) Allgemeine und gleiche Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (a) Allgemeinheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (b) Gleichheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (4) Chancengleichheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

12

Inhaltsverzeichnis

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung und die grundgesetzliche Konzeption repräsentativer Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Ein Paritätsgesetz als Beeinträchtigung von Freiheit und Gleichheit . . . . . . . . . . 129 1. Beeinträchtigung der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Parteienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Ein Paritätsgesetz als Konkretisierung des Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Beeinträchtigung der Parteienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Beeinträchtigung der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Gleiche Teilnahme durch parlamentarische Repräsentation: Freies Mandat und Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Gleichheit als Wahlrechtsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Herbeiführung von Chancenungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Staatsbürgerschaft als einzig relevantes Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . 144 cc) Kein chancen-, sondern ergebnisorientierter Ansatz . . . . . . . . . . . . . . 145 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Differenzierungsverbote zum Schutz der Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 d) Chancengleichheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Ein Paritätsgesetz als gerechtfertigte Beeinträchtigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Anwendbarkeit des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG dem Grunde nach . . . . . . . 152 2. Regelungsgehalt des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG: Keine schematische Ergebnisgleichheit . . 155 b) Unzulässige Kollektivierung zulasten eines individuellen Ansatzes . . . . . 160 c) Weibliche Parteimitglieder als Vergleichsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Angemessenheit der durch paritätische Regelungen hervorgerufenen Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Maß der Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Unverfügbare Grundentscheidungen der repräsentativen Demokratie 167 e) Relevanz des Artikel  3 Absatz  2 Satz  2  GG im Bereich politischer Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Exkurs: Erst Recht keine Pflicht zu paritätischen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Bundestagswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Abbildung 2:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Landtagswahlen in Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Abbildung 3:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Landtagswahlen in Niedersachsen (auszugsweise) . . . 44

Abbildung 4:

Anteil Frauen an den Gewählten im Rahmen der Landtagswahlen in Baden-Württemberg (auszugsweise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Abbildung 5:

Anteil Frauen an den Gewählten im Rahmen der Bürgerschaftswahlen in Hamburg (auszugsweise) . . . . 47

Abbildung 6:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Bürgerschaftswahlen in Bremen (auszugsweise) . . . . . 47

Abbildung 7:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Kreistagswahlen in Baden-Württemberg (auszugsweise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Abbildung 8:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg (auszugsweise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Abbildung 9:

Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Kommunalwahlen in Brandenburg (auszugsweise) . . . 50

Abbildung 10: Anteil Frauen an den Parteimitgliedern, an den Listenkandidaturen sowie an den über die Liste Gewählten im Rahmen der Bundestagswahl 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abbildung 11: Anteil Frauen an den Parteimitgliedern, an den Listenkandidaturen sowie an den über die Liste Gewählten im Rahmen der Bundestagswahl 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Kapitel 1

Einführung in die Thematik Am 12. 02. 2019 wurde das „Parité-Gesetz“ des Landes Brandenburg verkündet.1 Es sah eine Ergänzung der die Aufstellung von Kandidaten für die Parteilisten für die Parlamentswahl normierenden Vorschrift des (Landes-)Wahlgesetzes vor. Die Norm2 zur Regelung der Reihenfolge der Listenkandidaten lautete: „1  Landeslistenbewerber sowie ihre Reihenfolge auf der Landesliste sind in einer Landesversammlung zu bestimmen. 2 Frauen und Männer sollen gleichermaßen bei der Aufstellung der Landesliste berücksichtigt werden. 3 Hierzu bestimmt die Landesversammlung 1. die Liste der Bewerbenden und ihre Reihenfolge für die für Frauen reservierten Listenplätze der Landesliste, 2. die Liste der Bewerbenden und ihre Reihenfolge für die für Männer reservierten Listenplätze der Landesliste und 3. aus welcher der beiden Listen der erste Listenplatz der Landesliste besetzt wird. Die geschlechterparitätische Landesliste wird abwechselnd unter Berücksichtigung der Entscheidung für den ersten Listenplatz und der von der Landesversammlung bestimmten Reihenfolge aus den beiden Listen (Satz 3 Nummer 1 und 2) gebildet. 5 Ist bei der geschlechterparitätischen Bildung der Landesliste nur eine der beiden in Satz 3 Nummer 1 und 2 genannten Listen erschöpft, so kann auf der Landesliste nur noch eine weitere Person aus der anderen Liste benannt werden. 6Personen, die entsprechend § 22 Absatz 3 und § 45b Absatz 1 Personenstandsgesetz weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, können frei entscheiden, für welche der in Satz 3 Nummer 1 und 2 genannten Listen sie sich um einen Listenplatz bewerben wollen. 7 Die Sätze 3 bis 6 finden keine Anwendung auf Parteien, politischen Vereinigungen oder Listenvereinigungen, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen.“ 4 

Dabei ist durch innerparteiliche Regelung „Eine Abweichung von den Vorgaben [dieses Absatzes] […] unzulässig“.3 Die die Rechtsfolgen für den Fall eines Verstoßes gegen wahlrechtliche Bestimmungen regelnde Norm4 wurde darüber hinaus dergestalt geändert, dass

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GVBl Bbg. I/2019, Nr. 1, Inkrafttreten zum 30. 06. 2020. § 25 Abs. 3 BbgLWahlG. Wenn auf die wahlrechtlichen Regelungen des Landes Brandenburg verwiesen wird, ist damit die Fassung in Gestalt der Änderung durch das Paritätsgesetz gemeint. 3 § 25 Abs. 8 S. 2 BbgLWahlG. 4 § 30 Abs. 1 BbgLWahlG. 2

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Kap. 1: Einführung in die Thematik „2Der Wahlausschuss […] Wahlvorschläge zurückzuweisen [hat], wenn sie 1. […] 2. 1 den Anforderungen nicht entsprechen, die durch dieses Gesetz und die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften aufgestellt sind. 2Entspricht eine Landesliste nur hinsichtlich einzelner Bewerber nicht den Anforderungen, so werden ihre Namen aus der Liste gestrichen. 3Bei aus der Streichung einzelner Bewerber folgenden Verstößen gegen § 25 Absatz 3 Satz 4 und 5 wird die Landesliste mit der Maßgabe neugebildet, dass alle verbliebenen Bewerbenden auf dem nächsthöheren, ihrem Geschlecht zustehenden Listen­platz in der Landesliste aufzunehmen sind; dies gilt auch in den Fällen, in denen die Neubildung der Landesliste zur Folge hat, dass die letzten Listenplätze nicht geschlechterparitätisch besetzt sind.“5

Mit dieser Normierung verfolgte das Land Brandenburg das Ziel, bereits seit längerer Zeit von verschiedenen Akteuren erhobenen Forderungen nach einer Durchsetzung der geschlechterparitätischen Besetzung von Parlamenten im Hinblick auf den Landtag Rechnung zu tragen. Die bereits im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken führten in der Folge zu zwei Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Brandenburg. In seiner Entscheidung vom 23. 10. 2020 erklärte er das Paritätsgesetz aufgrund dessen Verfassungswidrigkeit für nichtig.6 Ein vergleichbares Gesetz wurde am 05. 07. 2019 in Thüringen verabschiedet,7 war aber sowohl im Hinblick auf die Vorgaben an die Aufstellung als auch auf die Folgen teilweise anders ausgestaltet. Die Norm8 zur Regelung der Reihenfolge der Listenkandidaten lautete: „1Die Landesliste ist abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei der erste Platz mit einer Frau oder einem Mann besetzt werden kann. 2Personen, die im Personenstandsregister als ‚divers‘ registriert sind, können unabhängig von der Reihenfolge der Listenplätze kandidieren. 3Nach der diversen Person soll eine Frau kandidieren, wenn auf dem Listenplatz vor der diversen Person ein Mann steht; es soll ein Mann kandidieren, wenn auf dem Listenplatz vor der diversen Person eine Frau steht.“ 5

Der letzte Satz ist hier in der Auslegung durch das Brandenburgische Verfassungsgericht (s. sogleich) wiedergegeben. In der ursprünglichen Version dieses letzten Satzes bestanden Unklarheiten und damit Auslegungsbedarf dahingehend, ob er für die Vorgabe der paritätischen Listenbesetzung eine generelle Ausnahme ohne weitere Voraussetzungen von der Zurückweisungspflicht in Satz 1 darstellt und es somit einer Partei offen gestanden hätte, bei Erschöpfen der Kandidaten des einen Geschlechts die des anderen direkt aufeinanderfolgend ans Ende zu setzen. Dies wurde aber sowohl im Gesetzgebungsverfahren als auch durch das Gericht eindeutig anders im Sinne des hier dargestellten Auslegungsergebnisses gesehen, vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 97 ff. sowie 55/19 Rn. 160 ff. 6 VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19 sowie VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19. 7 Thür GVBl 9/2019, S. 322, Inkrafttreten zum 01. 01. 2020. Vgl. auch Landtag Thüringen, Sitzungsprotokoll vom 05. 07. 2019, S. 118. 8 § 29 Abs. 5 ThürLWG. Dieser Paragraph entspricht im Übrigen weitgehend § 27 BWG. Wenn auf die wahlrechtlichen Regelungen des Landes Thüringen verwiesen wird, ist damit ebenfalls die Fassung in Gestalt der Änderung durch das Thüringer Paritätsgesetz gemeint.

Kap. 1: Einführung in die Thematik

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Geändert wurde gleichzeitig auch die Norm9, die die Rechtsfolgen für den Fall eines Verstoßes gegen wahlrechtliche Bestimmungen regelt, dahingehend, dass „2[Der Landeswahlausschuss] Landeslisten zurückzuweisen [hat], wenn sie 1. […] 2. den Anforderungen nicht entsprechen, die durch dieses Gesetz und die Landeswahlordnung aufgestellt sind. Sind die Anforderungen nur hinsichtlich einzelner Bewerber nicht erfüllt, so werden ihre Namen aus der Landesliste gestrichen. 4Wahlvorschläge, die nicht den Anforderungen des § 29 Abs. 5 entsprechen, werden zurückgewiesen; Wahlvorschläge, die zum Teil den Anforderungen des § 29 Abs. 5 nicht entsprechen, werden nur bis zu dem Listenplatz zugelassen, mit dessen Besetzung die Vorgaben des § 29 Abs. 5 noch erfüllt sind (Teilzurückweisung). 5 Dies gilt auch für die Streichung einzelner Bewerbungen, die gegen § 29 Abs. 5 verstoßen. 6 Die Entscheidung ist in der Sitzung des Landeswahlausschusses bekannt zu geben.“ 3

Dieses Gesetz wurde durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 15. 07. 2020 ebenfalls für verfassungswidrig und nichtig erklärt.10 Auch für einige andere Länder und den Bund, bei denen bislang keine vergleichbaren Normierungen bestehen, wurde und wird dieses Anliegen bereits seit Längerem gleichermaßen intensiv wie kontrovers diskutiert.11 Auf kommunaler Ebene findet sich in einigen Bundesländern, wie z. B. in Baden-Württemberg, eine Sollvorschrift für die paritätische Besetzung von Wahllisten.12 Insofern stehen die hier exemplarisch herangezogenen brandenburgischen und thüringischen Regelungen beispielhaft für eine bundesweit zu beobachtende Tendenz. Dabei beschränkt sich die Diskussion nicht auf das politische Für und Wider eines solchen Gesetzesvorhabens. Darüber hinaus wird besonders dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit nicht einheitlich beurteilt.13 Daran ändern auch die beiden Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte wenig und die Forderung nach paritätisch besetzten Parlamenten bleibt aktuell und relevant.14 9

§ 30 Abs. 1 ThürLWG. ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20. 11 Einen Überblick dazu bietet Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 5 ff. m. w. N. sowie die Nachweise bei Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 14. 12 § 9 Abs. 6 KomWG BW, der im Jahre 2013 eingefügt wurde und am 20. 04. 2013 in Kraft trat, vgl. GVBl BW 2013 Nr. 4, S. 55 f. In Hessen besteht mit § 12 Abs. 1 S. 2 Hess KWG und in Rheinland-Pfalz mit § 15 Abs. 4 RhPfKWG eine ähnliche Soll-Vorschrift. 13 Vgl. z. B. die Auflistung und Nachweise bei Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 6 ff. sowie die Nachweise im Folgenden. 14 Vgl. z. B. https://www.deutschlandfunkkultur.de/trotz-entscheidung-des-verfassungsgerichtsparitaet-der.1008.de.html?dram:article_id=491889, Beitrag vom 02. 02. 2021 (letzter Zugriff: 24. 07. 2021); https://www.frauenrat.de/paritaet-ist-moeglich/, Beitrag vom 11. 02. 2021 (letzter Zugriff: 24. 07. 2021). 10

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Kap. 1: Einführung in die Thematik

Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Untersuchung der Frage nachgegangen werden, inwiefern bundesgesetzliche Vorgaben mit dem Ziel einer paritätischen Besetzung des Bundestages (sog. Paritätsgesetz) verfassungsrechtlich Bestand haben könnten. Die insofern maßstäblichen Grundsätze des Grundgesetzes gelten nicht zuletzt über Artikel 28 Absatz 1 GG auch für die Länder, sodass sich die gewonnenen Erkenntnisse dem Grunde nach auf sie übertragen lassen und für etwaige landes(verfassungs)rechtliche Paritätsregelungen zu beachten wären. Einer gesonderten Betrachtung bedürfte jedoch die Frage, inwiefern sich die gewonnenen Erkenntnisse auch auf den kommunalen Bereich übertragen lassen. Im Folgenden wird daher zunächst der (politische) Hintergrund der um ein Paritätsgesetz geführten Debatte umrissen sowie die Entwicklung der Anteile der Geschlechter in den Parlamenten und kommunalen Vertretungen betrachtet, nicht ohne dabei einen Blick auf Vorbilder im Ausland zu werfen.15 Anschließend wird der normative Ansatz eines Paritätsgesetzes zu bestimmen sein,16 um es sodann am Grundgesetzes zu messen.17

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Kapitel 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten. Kapitel 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes. 17 Kapitel 4: Verfassungsrechtliche Prüfung. 16

Kapitel 2

Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund I. Historische Einordnung Ein Gesetz mit dem Ziel geschlechterbezogener Parität im Parlament stellt den konkreten Ausdruck der Forderung nach gleicher Mitbestimmung und Repräsentation der Geschlechter an zentraler politischer Stelle dar. Auch wenn es neutral formuliert ist, liegt sein Zweck in der Anhebung des Frauenanteils, der in den Parlamenten durchweg unter dem der Männer liegt. Damit lässt sich ein solches Gesetz in eine seit Langem anhaltende Entwicklung der Beseitigung von geschlechterabhängigen Unterschieden in Rechten und Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger im politischen bzw. staatlichen, aber auch im gesellschaftlichen und privaten Bereich einreihen. Ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern und den USA waren Frauen bis Anfang des 20. Jahrhunderts von der Politik in Deutschland weitgehend ausgeschlossen. Dies beschränkte sich nicht auf das Wahlrecht, sondern erstreckte sich darüber hinaus auf den Prozess staatlicher Entscheidungsfindung generell und den gesamten Themenbereich des Politischen. So sah das auf der Pauls­ kirchenverfassung basierende Wahlgesetz ein allgemeines Wahlrecht vor. Weil man es in der Nationalversammlung jedoch für so selbstverständlich hielt, dass dieses Recht wie alle politischen Rechte nur Männern zustehe, verzichtete man auf eine ausdrückliche Klarstellung.1 Bis zum Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes vom 19. 04. 1908 war Frauen die Mitgliedschaft in politischen Parteien sowie Vereinen und sogar die Teilnahme an Versammlungen in vielen deutschen Staaten untersagt.2 Bereits im Zuge der liberalen Revolution 1848/49 wurden jedoch die ersten Forderungen nach einer „Theilnahme [der Frauen] am Staate“3 erhoben. Obwohl die Beweggründe und Ausgestaltungsvorstellungen der Befürworter keineswegs einheitlich waren, gewann die Forderung nach politischer Teilnahme der Frauen im 1

§ 94 Abs. 2 Paulskirchenverfassung i. V. m. §§ 1, 5 Reichs-Gesetz über die Wahlen zum Volkshause. Vgl. Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998, S. 70 f.; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 185, 417. 2 Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 411. 3 Otto, Sächsische Vaterlandsblätter 142, 3. Jg. 1843, 633 f.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Allgemeinen und nach dem Wahlrecht für Frauen im Besonderen im Kaiser­reich trotz erheblicher Widerstände immer mehr an Zuspruch und Brisanz.4 Durch die Umwälzungen im Zuge der Revolution 1918 begünstigt, mündete dies schließlich in das allgemeine und damit auch für Frauen geltende Wahlrecht zur National­ versammlung 1919 sowie in eine entsprechende Garantie für künftige Parlamentswahlen in Artikel 22 WRV.5 In der Nationalversammlung waren gegen Ende ihrer Tagungszeit 9,7 % der Mitglieder Frauen.6 Die Beteiligung und die Beteiligungsmöglichkeiten von Frauen in der Politik während der Zeit der Weimarer Repu­ blik nahmen langsam zu, allerdings sahen sie sich erheblichen Widerständen verschiedenster Art ausgesetzt und wurden oftmals auf bestimmte Themenbereiche beschränkt.7 Die Zeit des Nationalsozialismus brachte im Hinblick auf die politische Beteiligung der Frauen einen großen Rückschritt, da eine solche der nationalsozialis­ tischen Idealvorstellung von der Rolle der Frau entgegenlief. Die NSDAP lehnte die Beteiligung von Frauen in der Politik ab und stellte deshalb selbst keine weiblichen Kandidaten auf, sodass in Kombination mit dem Verbot anderer Parteien 1933 das passive Wahlrecht für Frauen faktisch abgeschafft wurde.8 Seit Gründung der Bundesrepublik sind Frauen den Männern verfassungsrechtlich gleichgestellt. Dies stellt insbesondere Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG klar, der jedoch nicht ohne Widerstände und erst auf Druck der Öffentlichkeit sowie insbesondere der Abgeordneten Selbert in die Verfassung aufgenommen wurde.9 Diesem verfassungsrechtlichen Anspruch hinkte die gesellschaftliche Wirklichkeit jedoch hinterher. Die sich nur langsam wandelnde Vorstellung von der Rollenverteilung zwischen Frau und Mann zeigte sich auch in der Zusammensetzung der Parlamente: Obwohl Frauen von Beginn der Bundesrepublik an das aktive und passive Wahlrecht zustand, blieb der Anteil weiblicher Abgeordneten im Bundestag bis zur Wahl 1987 im einstelligen Prozentbereich.10 Um auf die in vielen Bereichen als zu langsam und ungenügend wahrgenommene tatsächliche Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu 4

Vgl. Abels / Cress, ZParl, 2019, 167, 171 ff. Dazu Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998, S. 73 ff. 5 Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998, S. 455 ff., 497 f.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 – Band V Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919, 1978, S. 733, 793, 1067. 6 Abels / Cress, ZParl, 2019, 167, 176; Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998, S. 478. 7 Vgl. dazu Heinsohn, Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 18–20, 2018, 39 ff. 8 Vgl. Arendt / Hering / Wagner, Nationalsozialistische Frauenpolitik vor 1933, 1995, S. 29 f.; Abels / Cress, ZParl, 2019, 167, 176. 9 Vgl. Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1996, S. 324 ff.; Reich-Hilweg, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, 1979, S. 17 ff.; Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 38 ff. 10 Zur Entwicklung des Frauenanteils in den Parlamenten vgl. ausführlich unten S. 27 ff.

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

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reagieren, wurde nach intensiver Diskussion im Rahmen der Verfassungsänderung 1994 Satz 2 in Artikel 3 Absatz 2 GG eingefügt.11 Im Zuge dieses allgemeinen Bestrebens, mehr Gleichberechtigung zu verwirklichen, traten die Geschlechterverhältnisse sowie auf eine Annäherung derselben abzielende Maßnahmen zunächst in den Parteien12, dann in den Parlamenten vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit.13 Die Debatte um Sinnhaftigkeit und Zulässigkeit insbesondere von staatlichen Vorgaben für die geschlechtsbezogene Zusammensetzung der Parlamente erhielt in Deutschland immer wieder – besonders durch die Einführung entsprechender gesetzlicher Vorgaben in anderen Staaten – Auftrieb. Nachdem Belgien14 bereits 1994 geschlechterbezogene Vorgaben für die Kandidaten eingeführt hatte und besonders durch das französische Vorgehen15 zu Beginn des neuen Jahrtausends bestärkt, wurde auch in Deutschland entsprechenden Forderungen große Beachtung geschenkt. Neben dem Bundestag zogen auch einige Bundesländer verpflichtende quotale bzw. paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung in Betracht. Diesbezügliche staatliche Vorgaben fanden jedoch vor allem wegen grundlegender verfassungsrechtlicher Bedenken keine Umsetzung durch die Gesetzgeber. Brandenburg beschritt mit seinem Paritätsgesetz daher 2019, gefolgt von Thüringen, gesetzgeberisches Neuland.

II. Politische Debatte 1. Interpretationen des geringen Frauenanteils in staatlichen Vertretungen Der Anteil der Frauen in den Parlamenten bzw. kommunalen Vertretungen bleibt nach wie vor hinter jenem der Männer zurück. Jedoch besteht weder über die Ur­ sachen noch über die Art gegensteuernder Maßnahmen Einigkeit. Weitgehender Konsens lässt sich bei der Einschätzung beobachten, dass die in den letzten Jahrzehnten unternommenen Maßnahmen, die zu einer Erhöhung des Frauenanteils auch in der Politik führen sollten, mit ihrer Konzentrierung auf die Förderung von Frauen durch Fortbildung, Netzwerke etc. (sog. „Empowerment“) anfangs spürbare Erfolge gebracht hätten.16 Auch die Selbstverpflichtung einiger

11 Dazu Langenfeld, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 2 m. w. N. sowie unten S. 154 ff. 12 Dazu unten S. 58 ff. 13 Vgl. allgemein dazu die Länderstudie von Geissel zu Deutschland in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 85 ff. 14 Siehe unten S. 68 ff. 15 Siehe unten S. 64 ff. 16 Friedrich-Ebert-Stiftung, Parität in der Politik  – Die Wege nach Rom. Vgl. auch die schriftliche Stellungnahme von Kletzing (S. 4) zur Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Parteien, wie Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linken, einen bestimmten Anteil an Frauen zu nominieren, hätten sich in der Zusammensetzung der Parlamente und Versammlungen niedergeschlagen.17 Schließlich sei der geringere Anteil und seine nur langsame Erhöhung auch nicht auf eine zu geringe Anzahl grundsätzlich geeigneter weiblicher Kandidaten oder deren Bereitschaft zum Engagement zurückzuführen. Dass Frauen sich grundsätzlich engagierten und Verantwortung übernähmen, zeige ihre Präsenz im Ehrenamt.18 Die aktuell weitgehende Stagnation dieser Entwicklung oder ihr manchmal sogar leichter Rückgang wird nun teilweise darauf zurückgeführt, dass weiterhin gesellschaftlich, vor allem aber innerhalb des Staates und von Parteien sowie Verbänden Strukturen, Verfahren und Mentalitäten bestünden, die es Frauen gegenüber Männern deutlich schwerer machten, effektiven Zugang zu Mandaten und Ämtern zu erhalten.19 Dies beruhe nicht zuletzt auf deren Herausbildung im 19. Jahrhundert im Zuge der Entwicklung der modernen Demokratie, bei der Frauen nicht mitgewirkt hätten.20 Beispielhaft genannt werden die schwierige Vereinbarkeit von Mandat und Familie aufgrund hohen Zeitaufwands und familienunfreundlicher Zeiten der Mandatswahrnehmung sowie die Entscheidungs- und Diskussions­ kultur, aber auch, insbesondere bei den Direktmandaten, die Schwierigkeit, parteiintern gegen erfolgreiche und in der Regel männliche Mandatsinhaber anzutreten („Amtsbonus“).21 Dies zeige sich auch darin, dass es Frauen über Listen eher ge-

und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, Anhang; Stellungnahme der EAF in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 106 f.; Deutscher Frauenrat, Mehr Frauen in die Parlamente!, 2019, S. 5 f. 17 Lembke, Neue Modelle: Die Idee eines Paritätsgesetzes in Deutschland, 2018. 18 So die Vertreterin des Frauenpolitischen Rats Land Brandenburg in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 26. Zum Vergleich: 41,5 % der Frauen engagieren sich ehrenamtlich (45,7 % der Männer) und auch hier stieg der Anteil in den letzten Jahren deutlich an (1999 waren 29,9 % der Frauen (38,4 % der Männer) in Deutschland ehrenamtlich engagiert), Simonson / Vogel / Tesch-Römer, Deutscher Freiwilligensurvey 2014, 2016, S. 92 f., 97, 619 f. 19 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 28; in diesem Sinne auch Landtag Thüringen, LT-Drs. 6/6964 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 f. Vgl. die Stellungnahme des Frauenpolitischen Rats Land Brandenburg in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 94 f. sowie die Stellungnahme der EAF ebend., S. 105 ff. und die schriftliche Stellungnahme (S. 3 ff.), Anhang. 20 Deutscher Frauenrat, Mehr Frauen in die Parlamente!, 2019, S. 19. 21 Vgl. bspw. die Stellungnahme der EAF im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 105, 109 sowie die schriftliche Stellungnahme (S. 4 f.), Anhang; für die kommunale Ebene Lukoschat / Belschner, Frauen führen Kommunen – Untersuchung, 2014, S. 68 ff. Ausführlich auch Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 11 f.

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

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linge, Mandate zu erringen als über Direktkandidaturen.22 Weniger der Einstieg in die Politik bzw. die grundsätzliche Bereitschaft und Eignung von Frauen zur Übernahme von Mandaten sei das Problem, sondern deren Chance, im Rahmen der internen Nominierungsprozesse und -strukturen im Vorfeld der Wahl zu einer tatsächlichen Übernahme in die Lage versetzt zu werden und so wirklichen Zugang zu den Mandaten zu erhalten.23 Zu den für jeden bestehenden Hürden eines Einstiegs bzw. Aufstiegs in der Politik kämen für Frauen diese strukturellen Hürden bzw. der historisch begründete „demokratische Vorsprung“24 der Männer hinzu. Diesen Einschätzungen liegt die Beobachtung zugrunde, dass die parteiinterne Nominierung der neuralgische Punkt für die reelle Chance auf ein Mandat ist.25 Denn der Bürger hat erst hiernach die Wahl zwischen den parteiintern nominierten Kandidaten, abhängig vom Wahlsystem als Direktkandidat oder in Form mehrerer Kandidaten auf einer (Landes-)Liste in fester Reihenfolge.26 Dies gilt jedenfalls insoweit, als parteilose Kandidaten faktisch chancenlos sind und im Rahmen der Verhältniswahl starre Listen27 zur Wahl stehen. Wenn sich der Anteil weiblicher Kandidaturen im freien Prozess (wie der parteiinternen Selbstverpflichtung28) trotz vom Staat unterstützter Förderung des politischen Engagements von Frauen nicht weiter erhöhe, sei es notwendig, verbindliche geschlechterbezogene quotale bzw. paritätische Vorgaben für die Aufstellung der Kandidaten zu machen.29 Weil die Parteien die (allein) maßgeblichen Institutionen

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Europäische Kommission – Generaldirektion für Justiz, Women and men in leadership positions in the European Union, 2013, S. 21. 23 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1, 28; Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 25; Laskowski, Cicero v. 18. 02. 2019, Auf dem Weg zur gleichberechtigten demokratischen Teilhabe; Lembke, Neue Modelle: Die Idee eines Paritätsgesetzes in Deutschland, 2018; Friedrich-Ebert-Stiftung, Parität in der Politik – Die Wege nach Rom. 24 Laskowski, Gutachten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Paritéregelungen in Thüringen, 2014, S. 16. 25 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1, 29; Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 25; in der Stellungnahme des Frauenpolitischen Rats Land Brandenburg in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innenund Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 94 wird vom „Nadelöhr der Nominierung“ gesprochen. Zur Rolle der Parteien bei der Kandidatenaufstellung siehe unten S. 79 ff. sowie S. 99 ff. 26 Dazu unten S. 76 f. 27 Dazu unten S. 77 f. 28 Dazu unten S. 58 ff. 29 Friedrich-Ebert-Stiftung, Parität in der Politik  – Die Wege nach Rom; Lembke, Neue Modelle: Die Idee eines Paritätsgesetzes in Deutschland, 2018. So auch die Stellungnahme des Frauenpolitischen Rats Land Brandenburg in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 25 f. und seine schrift-

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

bei dieser Aufstellung sind, verspreche in erster Linie die gesetzliche Neuregelung dieser Aufstellung Erfolg.30 Darüberhinausgehend folgerten aus der Beobachtung eines geringeren Anteils Frauen unter den Kandidaturen und in den Parlamenten einige sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, auf gleiche Anteile abzielend tätig zu werden.31 2. Mit einem Paritätsgesetz verfolgte Ziele und Kritik Ein Paritätsgesetz soll die Forderung nach einem ausgewogenen Verhältnis von männlichen und weiblichen Abgeordneten im Parlament rechtlich umsetzen. Der allen Regelungsmodellen gemeinsame verpflichtende Ansatz bereits auf der Stufe der Wahlvorschläge bzw. Kandidaturen ist Mittel zum Zweck, ein auf die Bevölkerungsanteile bezogenes geschlechtermäßig ausgewogenes Verhältnis im Parlament zu erreichen. Auch wenn dies vereinzelt bereits als eigener (Selbst-)Zweck angesehen wird,32 liegt für die meisten Befürworter in dieser möglichst paritätischen Besetzung des Parlaments die Voraussetzung für die gleichen Chancen der Teilnahme und Einflussnahme von Frauen und Männern auf die gesellschaftlichen Prozesse im allgemeinen und demokratischen Prozesse im Besonderen.33 Über einen erhöhten Anteil an Frauen in den Vertretungsorganen solle sich gesamtgesellschaftlich der Einfluss von Frauen dem der Männer angleichen.34 Die parlamentarischen Vertretungen als Normgeber und Ort gesellschaftlicher liche Stellungnahme (S. 2) im Anhang; ders. in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 93 ff.; Völzmann, DVBl, 2021, 496, 498. 30 Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 53 f. 31 Vgl. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 2: „Grundgesetz und Landesverfassung verpflichten den Gesetzgeber, den seit 28 Jahren anhaltenden Verfassungsverstoß […] zu beseitigen und die fehlende Chancengleichheit von Kandidatinnen und die gleichberechtigte demokratische Teilhabe und effektive Einflussnahme der Bürgerinnen Brandenburgs wirksam durchzusetzen.“ Diese Auffassung lag auch dem Begehren der Kläger im Rahmen einer Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof, BayVerfGH, E. v. 26. 03. 2018 – Vf. 15-VII-16, in: NVwZ-RR 2018, 457, sowie dem Begehren mehrerer Wahleinspruchsführer bezogen auf die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag, Az. WP 224/17, abgedruckt in BT-Drs. 19/9450, S. 71 ff., zugrunde. Zum letzteren BVerfG, Beschl. v. 20. 12. 2020, 2 BvC 46/19. 32 So ausdrücklich („Wert an sich“) die Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschuss­ protokoll), 2018, S. 38. 33 Vgl. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 f. 34 Vgl. Richter / Bernhard, Brauchen wir eine Geschlechter-Quote für Parlamente?, 2019; Landtag Thüringen, LT-Drs. 6/6964 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 4.

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

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(Richtungs-)Entscheidungen werden dafür als besonders wichtig und geeignet angesehen.35 Über einen höheren Frauenanteil dort würden die Chancen für Frauen auch in Wirtschaft und Gesellschaft grundsätzlich verbessert, da weibliche Abgeordnete diese Ziele selbst verstärkt beachten und vorantreiben würden. Langfristig solle ein paritätisch besetztes Parlament die notwendige Vorreiterrolle für einen Kultur- bzw. Mentalitätswandel übernehmen, der als Voraussetzung für das Ziel einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen wahrgenommen wird.36 Neben dieser als eigenständiger Zweck angesehenen grundsätzlichen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wird im Interesse der jeweils von den gewählten Vertretern in den Repräsentationsorganen verfolgten Sachanliegen ein ausgeglicheneres Verhältnis der Geschlechter im demokratischen Willensbildungsprozess befürwortet und gefordert. Im Rahmen einer verallgemeinernden Betrachtung lasse sich feststellen, dass Frauen im Gegensatz zu Männern in der politischen Arbeit oftmals andere Ziele und Interessen verfolgten, weil sie die gleiche Materie oder Sachfrage aus einem anderen Blickwinkel betrachteten und die Wichtigkeit der verfolgten Sachanliegen sowie -themen anders gewichteten.37 Hinzu komme bei einem höheren Frauenteil auch eine größere Vielfalt innerhalb der weiblichen Abgeordneten im Hinblick auf Herkunft, Beruf etc., die die Entscheidungsprozesse bereichere.38 Dabei beschränke sich dieser andere Blickwinkel von Frauen nicht auf Themen, die typischerweise für ein Geschlecht besonders relevant sind, sondern erstrecke sich auf alle Sachbereiche. Diese andere Sichtweise in den parlamentarischen Prozess mit dem nötigen, auch zahlenmäßigen Nachdruck einzubringen stärke einerseits den demokratischen Prozess.39 Andererseits komme dies im Ergebnis insbesondere, aber eben nicht nur den Bürgerinnen zugute, deren Perspektiven und Interessen bei einer von Männern dominierten

35

Vgl. Meyer, NVwZ, 2019, 1245, 1246. Lembke, Neue Modelle: Die Idee eines Paritätsgesetzes in Deutschland, 2018; Richter / Bernhard, Brauchen wir eine Geschlechter-Quote für Parlamente?, 2019. 37 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 26, wo von einer Dominanz des „männlichen Blicks“ die Rede ist. Vgl. auch die Äußerungen der Vertreterin des Frauenpolitischen Rats Land Brandenburg in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 25, auch S. 40, sowie die Vertreterin von „Leadership Brandenburg, S. 32; Landtag Thüringen, LT-Drs. 6/6964 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1; schriftliche Stellungnahme (S. 4) von Laskowski zur Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, Anhang. 38 Deutscher Frauenrat, Mehr Frauen in die Parlamente!, 2019, S. 25 f. 39 So die Landesbeauftragte für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Brandenburg in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 12. 36

26

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Vertretung unzureichend Berücksichtigung fänden.40 Beispielhaft genannt werden hier ungenügende Maßnahmen zur Verhinderung wirtschaftlicher Nachteile alleinerziehender Frauen oder Nachteile durch unzureichende Anrechnung von zum Großteil von Frauen wahrgenommer Elternzeit auf die Altersgrenze beim Einstieg in die Beamtenlaufbahn.41 Damit wird in der politischen Begründung für ein auf die Parität in Parlamenten abzielendes Gesetz auf den Prozess der demokratischen Willensbildung und ein derzeit wahrgenommenes „Demokratiedefizit“42 abgestellt: Zum einen bezogen auf die Wahl als für die Besetzung des Parlaments maßgeblich und als Ausdruck des in ihr gipfelnden Vorgangs formaler Legitimation staatlichen Handelns. Hierbei bestünde für Frauen im Hinblick auf ihre Kandidatur keine Chancengleichheit.43 Zum anderen im Hinblick auf den permanent ablaufenden Prozess des dialektischen Austauschs zwischen Volk und Parlament für die staatliche Willensbildung und damit Legitimation staatlicher Entscheidungen. Denn eine ungenügende Vertretung des einen Geschlechts führe zu einem geringeren inhaltlichen Legitimationsniveau.44 Die Forderung nach gesetzlichen Vorgaben für eine geschlechterparitätische Nominierung von Kandidaten durch Parteien bleibt indes nicht ohne Kritik. Dabei wird nicht das mit einem solchen Gesetz verfolgte Ziel eines grundsätzlich höheren Anteils von Frauen in Politik und besonders in den demokratischen Vertretungen, aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft in Frage gestellt. Hauptkritikpunkt ist vielmehr die Art und Weise des Vorgehens zur Erreichung dieses Ziels mittels eines Gesetzes, das den Parteien als zentralen Institutionen für die Kandidatennominierung verbindlich vorschreibt, wie sie ihre Vorschläge auszugestalten haben. Hierin wird auch ein fundamentaler Unterschied zu parteiinternen Quotenregelungen ge-

40 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 26. Dazu auch Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 27. 41 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 27. 42 Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 32. Ähnlich auch die Begründung des Gesetzentwurfs in Brandenburg, Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 f. 43 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1, 28 f.; Landtag Thüringen, LT-Drs. 6/6964 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 f. Diese Annahme wurde schon im Gesetzgebungsverfahren als zu wenig begründet kritisiert, vgl. Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 5. 44 Vgl. dazu die Stellungnahme der Vertreterin von „Leadership Brandenburg“, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 32, 43; schriftliche Stellungnahme (S. 6) von Laskowski, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, Anhang.

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

27

sehen.45 Vor allem trage die maßgebliche Grundannahme einer fehlenden Chancengleichheit von weiblichen Kandidaten und die daraus abgeleitete Annahme einer Unterrepräsentanz von Frauen nicht. Denn wenn die Parteien für die als problematisch wahrgenommene Kandidatenaufstellung eine Schlüsselrolle einnähmen, liege es nahe, auf die Parteien als Bezugsgröße abzustellen, anstatt den Anteil an der Gesamtbevölkerung für einen Vergleich heranzuziehen. In den Parteien liege der Anteil an weiblichen Mitgliedern jedoch oft sogar unter dem Anteil weiblicher Abgeordneten im Parlament.46

III. Verhältnis der Geschlechter bei Kandidatur, Mandat und in der Partei 1. Ausgangsbefund der Geschlechteranteile bei Kandidaten und Mandaten Anlass der Diskussion um eine gesetzliche Vorgabe für eine paritätische Kandidatenaufstellung ist der Umstand, dass der Frauenanteil in den Parlamenten bzw. kommunalen Vertretungen deutlich geringer ist als jener der Männer. Zugleich kandidieren Frauen auch entsprechend seltener als Männer für die genannten Vertretungen. Unterschiede im Hinblick auf die Anteile der Geschlechter scheinen auch zwischen dem Teilbereich der Direktwahl in den Wahlkreisen und dem Teilbereich der Verhältniswahl mittels Parteilisten zu bestehen. Ein Blick auf beispielhaft ausgewählte Vertretungen in Bund47, Ländern und Kommunen bestätigt diesen Befund.

45

Vgl. zur Kritik allgemein z. B. Pieroth, FAZ v. akt. 02. 03. 2019, Der Staat vor der Zukunftsaufgabe Gleichberechtigung; Richter / Bernhard, Brauchen wir eine Geschlechter-Quote für Parlamente?, 2019; Depenheuer, Cicero v. 18. 02. 2019, Guten Gewissens in die gelenkte Demokratie. 46 Vgl. nur die Stellungnahme von Morlok / Hobusch in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 51 sowie deren schriftliche Stellungnahme (S. 5 f., 15) zur Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, Anhang; Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 18 f. Dazu auch unten S. 52 ff. 47 Die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 konnten nicht mehr berücksichtigt werden.

28

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

a) Geschlechterverhältnis bei den Kandidaturen und in den Vertretungen aa) Bund

201750

2013

54

Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt48

Davon Frauen

Kandidaturen49 für Direkt­ mandate von Frauen

Kandidaturen für Listen­ mandate von Frauen

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Direkt gewählte Frauen

Über Listen gewählte Frauen

1.400 (30,0 %)

640 (24,9 %)52

1.249 (31,7 %)

709

218 (30,7 %)

64 (21,4 % )

154 (37,6 %)

4.451

1.149 (25,8 %)

607 (22,4 %)

631

229 (36,3 %)

62 (20,7 %)

4.82851

53

55

1.027 (23,1 %) 167 (50,3 %)

48 Zur Präzisierung sei darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um die Kandidaten selbst, nicht um Kandidaturen handelt. Die Zahl letzterer ist als Folge des gegenwärtigen Wahlrechts für den Deutschen Bundestag aufgrund der teilweisen Doppelnominierung einzelner Kandidaten für Direktmandat und Landesliste deutlich höher. 49 Zu beachten ist, dass bei den Kandidaturen für die Direkt- und Listenmandate Doppelkandidaturen jeweils mitgezählt sind. 50 Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2017, S. 10, 12, 14, 16; Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Endgültige Wahlergebnisse, 2017, S. 373; Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 51 Hierbei sind 7 länderübergreifende Doppelkandidaturen enthalten. 52 Dabei entfielen 2017 bei der CDU 22,1 % der Direktkandidaturen auf Frauen, von den 185 errungenen Direktmandaten entfielen 19,5 % auf Frauen; bei der CSU waren 17,4 % der Direktkandidaturen mit Frauen besetzt, genau wie nach der Wahl, in der alle 46 Direktkandidaten ihr Direktmandat errangen. Die SPD nominierte auf 37,8 % ihrer Direktkandidaturen Frauen und von den von ihr errungenen 59 Direktmandaten entfielen 27,1 % auf Frauen; Bündnis 90/ Die Grünen nominierten dort 41,9 % Frauen und das einzige von ihr errungene Direktmandat entfiel auf eine Frau. Die Linke stellte 32,6 % Frauen bei ihren Direktkandidaturen auf und von den errungenen 5 Direktmandaten entfielen 40 % auf Frauen. Die FDP stellte 19,4 % Frauen bei ihren Direktkandidaturen auf, errang jedoch kein Direktmandat. Die AfD stellte 10,5 % Frauen bei ihren Direktkandidaturen auf und von den 3 errungenen Direktmandaten entfiel eines auf eine Frau. Vgl. Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103; Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2017, S. 10. 53 Bezugsgröße ist die Gesamtzahl der direkt gewählten Abgeordneten. 54 Bundeswahlleiter, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2013, S. 10, 14, 23; Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 55 Bei der CDU waren 23,2 % der Direktkandidaturen weiblich besetzt, von den 191 errungenen Direktmandaten entfielen 19,4 % auf Frauen; bei der CSU entfielen 17,8 % der Direktkandidaturen auf Frauen, genau wie nach der erfolgreichen Direktwahl aller 45 Direktkandidaten. Die SPD nominierte 36,8 % Frauen für die Direktkandidaturen und von den von ihr errungenen 58 Direktmandaten entfielen 25,9 % auf Frauen; Bündnis 90/Die Grünen nominierten 40,5 % Frauen und das einzige von ihr errungene Direktmandat entfiel auf einen Mann. Die

29

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt48

Davon Frauen

Kandidaturen49 für Direkt­ mandate von Frauen

Kandidaturen für Listen­ mandate von Frauen

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Direkt gewählte Frauen

Über Listen gewählte Frauen

200956

3.556

970 (27,3 %)

522 (23,8 %)

845 (31,2 %)

622

204 (32,8 %)

65 (21,7 %)

139 (43 %)

200557

3.648

1.016 (27,9 %)

441 (21,4 %)

935 (32,2 %)

614

195 (31,8 %)

69 (23,1 %)

126 (40,0 %)

3.542

1.028 (29,0 %)

467 (24,0 %)

932 (32,7 %)

603

194 (32,2 %)

75 (25,1 %)

119 (39,1 %)

5.062

1.409 (27,8 %)

636 (23,5 %)

1.237 (30,9 %)

669

206 (30,8 %)

76 (23,2 %)

130 (38,1 %)

3.923

1.157 (29,5 %)

540 (23,4 %)

1.007 (32,8 %)

672

177 (26,3 %)

44 (13,4 %)

133 (38,7 %)

3.695

893 (24,2 %)

433 (18,5 %)

776 (27,6 %)

662

136 (20,5 %)

40 (12,2 %)

96 (28,7 %)

2.690

685 (25,5 %)

334 (20,4 %)

527 (25,9 %)

519

80 (15,4 %)

18 (7,3 %)

62 (22,9 %)

2.699

518 (19,2 %)

173 (12,2 %)

468 (21,3 %)

520

51 (9,8 %)

10 (4,0 %)

41 (15,1 %)

2002

1998

1994

1990

1987

1983

Linke stellte 31,9 % Frauen auf ihren Direktkandidaturen auf und von den errungenen 4 Direktmandaten entfiel die Hälfte auf Frauen. Die FDP nominierte für ihre Direktkandidaturen 17,1 % Frauen, errang jedoch kein Direktmandat und war auch nicht im Bundestag vertreten. Die AfD stellte 11,4 % Frauen für ihre Direktkandidaturen auf, war aber nach der Wahl noch nicht im Bundestag vertreten. Vgl. Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103; Bundeswahlleiter, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewer­ ber, 2013, S. 8 ff. 56 Bundeswahlleiter, Wahl zum 17. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2009, S. 10, 14, 20; Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 57 Für die folgenden Daten vgl. Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 102 f. sowie selbst ausgewertete Statistiken des Bundeswahlleiters zu den Wahl­ bewerbern, mitgeteilt am 14. 05. 2021 auf Anfrage. Einen Überblick über die Entwicklung des Frauenanteils in den Fraktionen bietet Dahlerup  / ​ Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 91.

30

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt48

Davon Frauen

Kandidaturen49 für Direkt­ mandate von Frauen

Kandidaturen für Listen­ mandate von Frauen

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Direkt gewählte Frauen

Über Listen gewählte Frauen

1980

2.954

592 (20,0 %)

233 (15,3 %)

515 (22,2 %)

519

44 (8,5 %)

11 (4,4 %)

33 (12,2 %)

1976

3.244

449 (13,8 %)

141 (9,2 %)

415 (15,4 %)

518

38 (7,3 %)

7 (2,8 %)

31 (11,5 %)

1972



58



518

5,8 % –

1965

59

518 1957





– 410

58

3,2 % –

9,2 % –

3,6 % –

7,1 %



1,6 % –

6,9 %

519 1949



5,0 %

9,6 % – 10,4 % – 14,3 % – 10,1 %

Sofern die Aufstellungen keine Werte enthalten, sind diese nicht erhoben bzw. ermittelbar. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden die Daten einiger früherer Bundestagswahlen ausgelassen. 59

31

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

bb) Beispielhaft ausgewählte Länder60 (1) Brandenburg

201962 2014

63

Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandi­ daturen für Direktmandate

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Listenmandate

Gewählte Abgeordnete insgesamt 61

Davon Frauen

Anteil Frauen an direkt gewählten Abgeordneten

Anteil Frauen an den über die Liste gewählten Abgeordneten

416

137 (32,9 %)

30,5 %

35,5 %

88

28 (31,8 %)

27,3 %

36,4 %

404

112 (27,7 %)

88

31 (35,2 %)

64

24,1 %

33,0 %

38,6 %

31,8 %

60 So nichts anderes angegeben ist, handelt es sich um die Zahlen zu Beginn der Wahlperiode. Da erst seit einiger Zeit geschlechtergetrennte Statistiken in den Ländern geführt werden, müssen leider Lücken in den Aufstellungen bleiben. 61 Soweit nicht anders angegeben, entstammen die Daten zu den gewählten Kandidaten insgesamt sowie den gewählten Frauen für alle dargestellten Legislaturperioden dem endgültigen Wahlergebnis aus Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Endgültiges Ergebnis der Wahl zum 7. Brandenburger Landtag, Statistischer Bericht B VII 2 – 3 – 5j/19, 2019, S. 61. 62 Nach Präsidentin des Landtags Brandenburg, Landtag Brandenburg, 7. Wahlperiode: Namen  – Daten  – Fakten, 2020, S. 164 sind es zum Februar 2020 30 und damit 34,01 % weibliche Abgeordnete; Pressemitteilung des Landeswahlleiters für das Land Brandenburg vom 24. 07. 2019, https://wahlen.brandenburg.de/wahlen/de/pressemitteilungen/detail/~2407-2019-stimmzettel-bewerber-briefwahl (letzter Zugriff: 30. 04. 2021); Pressemitteilung des Landeswahlleiters für das Land Brandenburg vom 19. 08. 2019, https://wahlen.brandenburg. de/wahlen/de/pressemitteilungen/detail/~19-08-2019-landtagswahl-in-zahlen (letzter Zugriff: 30. 04. 2021); Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Endgültiges Ergebnis der Wahl zum 7. Brandenburger Landtag, Statistischer Bericht B VII 2 – 3 – 5j/19, 2019, S. 61. 63 Nach Präsidentin des Landtags Brandenburg, Landtag Brandenburg, 6. Wahlperiode: Namen – Daten – Fakten, 2014, S. 45 sind 32 und damit 36,4 % der Abgeordneten weiblich; Pressemitteilung des Landeswahlleiters für das Land Brandenburg vom 25. 08. 2014, https:// wahlen.brandenburg.de/wahlen/de/pressemitteilungen/detail/~25-08-2014-wahlstatistik (letzter Zugriff: 30. 04. 2021); Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (GesetzentwurfParitätsgesetz), S. 26 geht von 32 weiblichen Abgeordneten und damit von einem Anteil von 36,4 % aus. 64 Hier widersprechen sich bzgl. der Gesamtzahl an Bewerbern Pressemitteilung (404 Bewerber) und Gesetzentwurf-Paritätsgesetz (401). Da sich dies jedoch auf eine Abweichung des Frauenanteils an den Bewerbern von 0,2 Prozentpunkten beschränkt, ist dies für die vorliegende Untersuchung vernachlässigbar.

32

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

200965 2004

66

1999

67

199468 1990

Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandi­ daturen für Direktmandate

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Listenmandate

Gewählte Abgeordnete insgesamt 61

Davon Frauen

Anteil Frauen an direkt gewählten Abgeordneten

Anteil Frauen an den über die Liste gewählten Abgeordneten

443

113 (25,5 %)

88

34 (38,6 %)

481

144 (29,9 %)

88

36 (40,9 %)





360

101 (28, 1 %)





89

26 (29, 2 %)













88

31 (35,2 %)













88

18 (20,5 %)





24,1 % – 25,0 %

27,7 % – 30,1 %

65 Nach Präsident des Landtags Brandenburg, Landtag Brandenburg, 5. Wahlperiode: Namen – Daten – Fakten, 2009, S. 49 sind 35 und damit 39,8 % der Abgeordneten weiblich; Pressemitteilung des Landeswahlleiters für das Land Brandenburg vom 18. 09. 2009, https:// wahlen.brandenburg.de/wahlen/de/pressemitteilungen/detail/~18-09-2009-wahlstatistik (letzter Zugriff: 30. 04. 2021); Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritäts­ gesetz), S. 25 geht von 35 weiblichen Abgeordneten und damit von einem Anteil von 39,8 % aus. 66 Nach Präsident des Landtags Brandenburg, Landtag Brandenburg, 4. Wahlperiode: Namen – Daten – Fakten, 2008, S. 146 sind zum Stand November 2008 39 und damit 44,3 % der Abgeordneten weiblich; Pressemitteilung des Landeswahlleiters für das Land Brandenburg vom 10. 09. 2004, https://wahlen.brandenburg.de/wahlen/de/pressemitteilungen/detail/~10-092004-statistik-landtagswahl (letzter Zugriff: 30. 04. 2021); Präsident des Landtags Brandenburg, Festgabe 20 Jahre Landtag Brandenburg, 2010, S. 75 f.; Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 25 geht von 39 weiblichen Abgeordneten und damit von einem Anteil von 44,3 % aus. 67 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 25. 68 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 25 geht von 30 weiblichen Abgeordneten und damit von einem Anteil von 34,1 % aus.

33

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

(2) Baden-Württemberg69 Wahl

Gesamtzahl Abgeordnete

Davon Frauen

70

2021

154

45 (29,2 %)

201671

143

35 (24,5 %)

72

2011

138

25 (18,1 %)

200673

139

33 (23,7 %)

1984

126

8 (6,3 %)

1968

127

1 (0,8 %)

1952 (verfgeb. Landesvers.75)

121

6 (5,0 %)

74

(3) Rheinland-Pfalz

201676

Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Direktmandate

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Listenmandate

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den direkt gewählten Ab­ geordneten

Anteil Frauen an den über die Liste gewählten Abgeordneten

719

214 (29,8 %)

26,4 %

31,4 %

101

36 (35,6 %)

25,5 %

46,0 %

69 Aufstellungen über das Verhältnis weiblicher und männlicher Kandidaten bzw. Kandidaturen sind nicht vorhanden. 70 Statistik des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg, https://www.statistik-bw.de/ Wahlen/Landtag/LR-fm.jsp (letzter Zugriff: 30. 04. 2021). 71 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Tabellarische Aufstellung der Sitzverteilung im Landtag von BW nach Geschlecht (auf Anfrage). Holzapfel, Landtag Baden-Württemberg, Volkshandbuch 16. Wahlperiode, 2017, S. 212. 72 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Tabellarische Aufstellung der Sitzverteilung im Landtag von BW nach Geschlecht (auf Anfrage). Holzapfel, Landtag Baden-Württemberg, Volkshandbuch 15. Wahlperiode, 2012, S. 201. 73 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Tabellarische Aufstellung der Sitzverteilung im Landtag von BW nach Geschlecht (auf Anfrage). 74 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Tabellarische Aufstellung der Sitzverteilung im Landtag von BW nach Geschlecht (auf Anfrage). 75 Diese wurde nach Gründung des Landes zum ersten Landtag von Baden-Württemberg. 76 https://www.landtag.rlp.de/Abgeordnete/Statistik/ (letzter Zugriff: 18. 07. 2019); Statistik des Landtags von Rheinland-Pfalz, mitgeteilt am 19. 08. 2019 auf Anfrage; Auswertung der Wahlvorschläge durch Landeswahlleiter (auf Anfrage).

34

201177 2006 1996 1987 1979

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Direktmandate

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Listenmandate

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den direkt gewählten Ab­ geordneten

Anteil Frauen an den über die Liste gewählten Abgeordneten

655

194 (29,6 %)

30,5 %

31,1 %

101

42 (41,6 %)





595

185 (31,1 %)

26,3 %

33,7 %

101

38 (37,6 %)













101

29 (28,7 %)













101

13 (13,0 %)













101

10 (10,0 %)





Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Direktmandate

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Listenmandate

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den direkt gewählten Abgeordneten

Anteil Frauen an den über die Liste gewählten Abgeordneten

210 (29,7 %)

26,1 %

33,7 %

(4) Niedersachsen

201778 201379

706 137

38 (27,7 %)





659

176 (26,7 %)

25,7 %

30,0 %

137

40 (29,2 %)





77 Statistik des Landtags von Rheinland-Pfalz, mitgeteilt am 19. 08. 2019 auf Anfrage; Auswertung der Wahlvorschläge durch Landeswahlleiter (auf Anfrage). 78 Landesamt für Statistik Niedersachsen, Endgültige Ergebnisse der Landtagswahl von Niedersachsen 2017, Statistischer Bericht B VII 2 – 5j / 2017, 2020, S. 13 ff. 79 Landesamt für Statistik Niedersachsen, Endgültige Ergebnisse der Landtagswahl von Niedersachsen 2013, Statistischer Bericht B VII 2 – j / 13, 2014, S. 7, 11.

35

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

200880 2003

81

1998

82

Nominierte und zugelassene Kandidaten insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Direktmandate

Anteil Frauen an den Kandidaturen für Listenmandate

Gewählte Abgeordnete insgesamt

Davon Frauen

Anteil Frauen an den direkt gewählten Abgeordneten

Anteil Frauen an den über die Liste gewählten Abgeordneten

746

198 (26,5 %)

24,5 %

30,0 %

152

47 (30,9 %)





600

152 (25,3 %)





183

63 (34,4 %)









– 157

1990

– 155

1982

– 171

1951

– 158

– 42 (26,8 %)











33 (21,3 %)











11 (6,4 %)















7 (4,4 %)

80 Landesamt für Statistik Niedersachsen, Endgültige Ergebnisse der Landtagswahl von Niedersachsen 2008, Statistischer Bericht B VII 2.2, B VII 2.3 – j / 2008, B VII 2.4, 2008, S. 7, 12. 81 Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Landtagswahlen, 2019, S. 104 f.; Landesamt für Statistik Niedersachsen, Endgültige Ergebnisse der Landtagswahl von Niedersachsen 2008, Statistischer Bericht B VII 2.2, B VII 2.3 – j / 2008, B VII 2.4, 2008, S. 7. 82 Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Landtagswahlen, 2019, S. 104 f.

36

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

(5) Hamburg83 Wahl

Gesamtzahl Abgeordnete

Davon Frauen

2020

123

57 (46,3 %)

2015

121

47 (38,8 %)

2011

121

47 (38,8 %)

1986

120

40 (33,3 %)

1961

120

21 (17,5 %)

(6) Berlin Wahl

Gesamtzahl Abgeordnete

Davon Frauen

2016

160

53 (33,1 %)

2011

149

52 (34,9 %)

85

149

59 (39,6 %)

200186

141

47 (33,3 %)

1999

87

169

58 (34,3 %)

199588

206

80 (38,8 %)

1990

241

72 (29,9 %)

84

2006

83

Antwort des Wahlamts der Freien und Hansestadt Hamburg vom 05. 08. 2019 auf Anfrage; Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Landtagswahlen, 2019, S. 103; https://www.hamburg. de/gleichstellungsmonitor/hamburgische-buergerschaft/ (letzter Zugriff: 27. 01. 2021); Hamburgische Bürgerschaft, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Handbuch 21. Wahlperiode, 2019, S. 113 ff. 84 Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Bericht der Landeswahlleiterin Berlin über die Wahlen, 2011, S. 106; Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin / Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Gender Datenreport Berlin, 2017, S. VI_4. 85 Landeswahlleiter Berlin, Endgültiges Ergebnis der Wahlen in Berlin, 2006, S. 106; Senats­verwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin / A mt für Statistik BerlinBrandenburg, Gender Datenreport Berlin, 2017, S. VI_4. 86 Landeswahlleiter Berlin, Endgültiges Ergebnis der Wahlen in Berlin, 2001, S. 21. 87 Landeswahlleiter Berlin, Endgültiges Ergebnis der Wahlen in Berlin, 1999, S. 21. 88 Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Landtagswahlen, 2019, S. 102.

37

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

(7) Bremen89 Wahl

Gesamtzahl Abgeordnete

Davon Frauen

2019

84

34 (40,5 %)

Anteil Frauen an den Kandidaten 31,2 %

2015

83

28 (33,7 %)

32,4 %

2011

83

36 (43,4 %)

32,7 %

2007

83

32 (36,1 %)

33,3 %

2003

83

34 (41,0 %)

33,8 %

1999

100

38 (41,0 %)

33,1 %

1995

100

32 (38,0 %)

34,0 %

1987

100

25 (25,0 %)



11–17 %



1955–1983



cc) Kommunen90 (1) Baden-Württemberg91 Kreistagswahlen92 Kreistagswahl

Gesamtzahl Kreisräte

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen93

2019

2.253

510 (22,6 %)

30,7 %

201494

2.228

425 (19,1 %)

30,3 %

2009

2.273

364 (16,0 %)

26,8 %

89

Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Landtagswahlen, 2019, S. 102 f.; Antwort der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters der Freien Hansestadt Bremen vom 31. 07. 2019 auf Anfrage. 90 Unterschiede in Wahlrecht, Bevölkerungs- und Stadtstruktur, den in den Räten jeweils dominierenden Parteien (solche mit und ohne parteiinterne Frauen-/Geschlechterquoten) etc. bleiben im Folgenden unberücksichtigt. Weitergehende Analyse z. B. bei Holtkamp / Eimer / ​ Wiechmann, Lokale Disparitäten: Ursachen der Frauen(unter-)repräsentanz in deutschen Stadträten, 2013, S. 11 ff. 91 Glück, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10, 2020, 5, 5 f. 92 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Statistik Kandidaturen und gewählte Mitglieder bei den Kreistagswahlen 2014–1994 (auf Anfrage). 93 Hier entspricht der Anteil an den Kandidaturen dem an den Kandidaten, da für die Kreistagswahlen nach § 22 Abs. 2 S. 1 LKrO BW nur das Verhältniswahlrecht gilt und somit eine Doppelkandidatur nicht in Betracht kommt. 94 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Endgültige Ergebnisse der Kommunalwahl, Statistischer Bericht B VII 3  – 2/14, 2014; Statistik des Baden-Württembergischen Landkreistages, mitgeteilt am 08. 08. 2019 auf Anfrage.

38

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Kreistagswahl

Gesamtzahl Kreisräte

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen93

200495

2.283

352 (15,4 %)

27,1 %

199996

2.241

313 (14,0 %)

27,3 %

1994

2.350

308 (13,1 %)

25,4 %

1989



− (9,0 %)



Gemeinderatswahl97 Gesamtzahl Gemeinderäte

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen99

2019

18.675

5.006 (26,8 %)

31,9 %

2014100

18.753

4.490 (23,9 %)

30,5 %

2009

19.025

4.179 (22,0 %)

28,7 %

2004

19.353

4.067 (21,0 %)

28,2 %

1999

19.739

3.672 (18,6 %)

27,3 %

1994

19.972

3.503 (17,5 %)

25,1 %

Gemeinderatswahl 98

Unterscheidet man nach den 11 Gemeindegrößeklassen (§ 25 Absatz 2 GemO BW), so lässt sich (beispielhaft für die Kommunalwahl 2014 und 2019) eine durchschnittliche Zunahme des Frauenanteils beobachten, je größer die Gemeinde wird: Nach der Gemeinderatswahl 2014 betrug in Gemeinden bis 1.000 Einwohnern (davon gab es zu diesem Zeitpunkt in Baden-Württemberg 72) der Anteil weib­ licher Gemeinderäte 17,4 %, in denen mit 2.001–3.000 Einwohnern (164) waren es 21,1 %, in solchen mit 5.001–10.000 (264) waren es 23,4 % Frauen im Gemeinderat, in den Gemeinden mit 20.001–30.000 Einwohnern (46) betrug der Anteil 26 %, in

95

Statistik des Baden-Württembergischen Landkreistages, mitgeteilt am 08. 08. 2019 auf Anfrage (wobei dieser von 351 Frauen ausgeht). 96 Wahlanalyse zur Kommunalwahl 1999 des Baden-Württembergischen Landkreistages, mitgeteilt am 08. 08. 2019 auf Anfrage. 97 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Statistik Kandidaturen und gewählte Mitglieder bei den Gemeinderatswahlen 2014–1994 (auf Anfrage); Brenner, Rückblick auf die Kommunalwahl 2014 in Baden-Württemberg, in: Frech / Weber / Wehling / Witt (Hrsg.), Handbuch Kommunalpolitik 2019, 183, 194 ff. 98 Dies umfasst die kreisangehörigen Gemeinden und Stadtkreise. 99 Auch hier entspricht der Anteil an den Kandidaturen dem an den Kandidaten, da für die Gemeinderatswahlen nach § 26 Abs. 2 GemO BW grundsätzlich nur das Verhältniswahlrecht gilt. 100 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Endgültige Ergebnisse der Kommunalwahl, Statistischer Bericht B VII 3 – 2/14, 2014, S. 7.

39

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

denen mit 50.001–150.000 Einwohnern (18) lag er bei 34,1 % und in der größten Stadt mit 400.001 und mehr Einwohnern (Stuttgart) lag er bei 35 %.101 Nach der Gemeinderatswahl 2019 betrug in Gemeinden bis 1.000 Einwohnern (72) der Anteil weiblicher Gemeinderäte 19,4 %, in denen mit 2.001–3.000 Einwohnern (165) waren es 23,5 %, in solchen mit 5.001–10.000 (267) waren es 26,5 % Frauen im Gemeinderat, in den Gemeinden mit 20.001–30.000 Einwohnern (47) betrug der Anteil 28,2 %, in denen mit 50.001–150.000 Einwohnern (19) lag er bei 35,0 % und in der größten Stadt mit 400.001 und mehr Einwohnern (Stuttgart) lag er bei 38,3 %.102 (2) Brandenburg Wahl zu den Kreistagen und Vertretungen kreisfreier Städte103 Kommunalwahl

Gesamtzahl Vertreter

Davon Frauen

Anteil Frauen an den Kandidaturen

2019

938

266 (28,4 %)

27,8 %

2014104

934

238 (25,5 %)

26,9 %

2008

942

245 (26,0 %)

28,7 %

2003

936

209 (22,3 %)



1998

942

246 (26,1 %)



(3) Länderübergreifender Vergleich Im länderübergreifenden Vergleich105 betrachtet, lag zum Stichtag Ende November 2008 der Frauenanteil in den Vertretungen der Landkreise und in den Ge 101

Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Endgültige Ergebnisse der Kommunalwahl, Statistischer Bericht B VII 3 – 2/14, 2014, S. 24 f. 102 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Endgültige Ergebnisse der Kommunalwahl, Statistischer Bericht B VII 3 – 2/19, 2020, S. 24 f. 103 Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Endgültiges Ergebnis der Kommunalwahl im Land Brandenburg, B VII 3 – 3 – 5j/19, 2019, S. 26; Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Endgültiges Ergebnis der Kommunalwahl im Land Brandenburg, B VII 3  – 3  – 5j/14, 2014, S. 22; https://wahlen.brandenburg.de/wahlen/de/presse/~10-04-2019-bewerberstatistikkommunalwahlen (letzter Zugriff: 25. 07. 2019); Statistik des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg (auf ­Anfrage). 104 Statistik des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg (auf Anfrage); https://wahlen. brandenburg.de/wahlen/de/presse/~10-04-2019-bewerberstatistik-kommunalwahlen (letzter Zugriff: 25. 07. 2019). 105 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 3. Gleichstellungsatlas Deutschland, 2016, S. 10; Statistik, mitgeteilt vom Landesamt für Statistik Niedersachsen am 06. 08. 2019 auf Anfrage.

40

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

meinderäten der Stadtkreise bzw. kreisfreien Städte106 in einer Spanne von 18,2 % (Baden-Württemberg), 19,0 % (Sachsen), 19,6 % (Sachsen-Anhalt) über 26,0 % (Brandenburg) und 27,1 % (Rheinland-Pfalz) bis zu 32,3 % (Hessen), 35,3 % (Bremen) und 38,9 % (Berlin). Zum Stichtag 01. 12. 2011 erreichte der Frauenanteil in diesen Vertretungen eine Spannweite von 18,7 % (Baden-Württemberg), 19,2 % (Sachsen), 19,3 % (SachsenAnhalt), über 26,0 % (Brandenburg) und 26,5 % (Rheinland-Pfalz), bis zu 33,0 % (Hessen), 38,8 % (Bremen) und 41,9 % (Berlin). Zum Stichtag 01. 12. 2015 wurde in diesen Vertretungen ein Anteil an Frauen von 20,4 % (Sachsen-Anhalt), 20,8 % (Sachsen) und 21,3 % (Baden-Württemberg), über 25,5 % (Brandenburg), bis zu 28,1 % (Rheinland-Pfalz), 33 % (Hessen), 38,4 % (Hamburg) und 41,9 % (Berlin) erreicht. b) Analyse und Deutungsversuche aa) Bundesebene Auf Bundesebene blieb der Anteil weiblicher Abgeordneten lange sehr gering. Die gewandelte gesellschaftliche Rolle der Frau schlug sich nur langsam in einem steigenden Anteil weiblicher Abgeordneten nieder. Dies könnte zum einen damit zusammenhängen, dass das politische Engagement von Frauen zunächst wenig ausgeprägt war und sich erst langsam entwickelte. Diese Entwicklung schlug sich dann erst mit einer gewissen Verzögerung im Ergebnis in Form erlangter Mandate nieder. Zum anderen dürfte die Mentalität der Verantwortungsträger in den Parteien großen Einfluss gehabt haben, die in einem anderen Verständnis der Rollen­ verteilung zwischen den Geschlechtern aufgewachsen waren. Dadurch könnte es für Frauen schwieriger gewesen sein, in und für eine Partei zu kandidieren, als für Männer. Von Mitte der 80er-Jahre bis Anfang des neuen Jahrtausends stieg der Anteil weiblicher Abgeordneten deutlich schneller als in den Jahren zuvor (erstmals erreichte dieser Anteil einen zweistelligen Wert im Jahr 1987 mit 15,4 %; 1998 waren es bereits 30,8 %107). Dies beruht vermutlich zum einen auf einem deutlicher ausgeprägten Verständnis von Gleichberechtigung, der hierdurch steigenden Präsenz und des Engagements von Frauen (auch) im politischen Bereich sowie möglicherweise einem anderen Wahlverhalten der Bürger. Zum anderen dürfte dies vor allem mit dem steigenden Anteil von Abgeordneten der Parteien Bündnis 90/Die Grünen und PDS / Linke zusammenhängen, die nicht zuletzt aufgrund parteiinterner 106

Für die Stadtstaaten ist der Frauenanteil an allen Mandaten der Bezirksparlamente bzw. der Stadtbürgerschaft Bremen / SVV Bremerhaven erfasst; Kommunale Vertretungen der kreisangehörigen Gemeinden sind nicht erfasst. 107 Siehe oben S. 28 ff.

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

41

Selbstverpflichtung einen deutlich höheren Anteil an Frauen in ihren Fraktionen aufwiesen als die anderen im Bundestag vertretenen Parteien.108 In den darauffolgenden Jahren stieg der Anteil weiblicher Abgeordneten deutlich langsamer und pendelte sich bei einem Wert um 32 % ein. Zumindest auf einen ersten Blick verwundert es etwas, dass trotz eines langen Prozesses und vieler Maßnahmen zur Angleichung der rechtlichen und faktischen Gleichberechtigung von Frauen sowie trotz eines für dieses Thema gewachsenen Bewusstseins keine stärkere Annäherung der Geschlechteranteile bei den Bundestagsabgeordneten erreicht wurde. Ursache hierfür könnte zum einen sein, dass von den im Bundestag vertretenen Parteien nur SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke interne Vorgaben109 für Frauenanteile an den Kandidaten haben, deren Umsetzung bei der Nominierung sich nach der Wahl in den Anteilen der Geschlechter an den Mandaten niederschlagen kann, während CDU / CSU nur niederschwellige und AfD sowie FDP gar keine haben. Zum anderen dürfte der Effekt der bisher eingeführten parteiinternen Listenquoten dadurch weitgehend ausgeschöpft sein, dass diese Quoten nicht für Direktmandate greifen. Dort ist der Frauenanteil sowohl bei den Nominierungen als auch bei den errungenen Mandaten grundsätzlich deutlich niedriger als bei den Landeslisten. Darüber hinaus wurde ein Großteil der Direktmandate von der CDU / CSU (ein kleinerer Teil von der SPD) errungen, deren Frauenanteil an Nominierungen tendenziell geringer als der anderer Parteien war.110 Vergleicht man die Wahlergebnisse mit den Zahlen für die Nominierungen, zeigt sich, dass der Anteil gewählter Frauen seit der Wahl 1998 immer über dem Anteil weiblicher Kandidaten lag (vgl. Abbildung 1). Dies deutet darauf hin, dass die Kandidatur eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf den (geringeren) Anteil weiblicher Abgeordneten im Bundestag darstellt und weniger die Wahl selbst dafür ursächlich ist. Allerdings ist dem aus dem Vergleich dieser Anteile ebenfalls möglichen Schluss einer bewussten Wahl von Frauen zumindest im Hinblick auf die Listenwahl mit Vorsicht zu begegnen. Denn dort wird mittels starrer Listen gewählt111, 108

So waren von den nach der Wahl 1987 erst zum zweiten Mal im Bundestag vertretenen Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 24 von 42 Abgeordneten weiblich (57,1 %); bei der Wahl 1994 wurden 29 weibliche von 49 Abgeordneten (59,2 %) der Grünen gewählt. Für die Fraktion PDS / Linke wurden bei ihrer erstmaligen Wählbarkeit für den Bundestag 1990 8 weibliche von 17 Abgeordneten gewählt (47,1 %), 1994 waren es 13 von 30 (43,3 %). Zum Vergleich: Bei der Wahl 1987 wurden bei der CDU 16 von 185 Frauen gewählt (8,7 %), bei der CSU 2 von 49 (4,1 %), bei der SPD 31 von 193 (16,1 %) und bei der FDP 6 von 48 (12,5 %). Bei der Wahl 1994 wurden bei der CDU 36 von 244 Frauen in den Bundestag gewählt (14,75 %), bei der CSU 6 von 50 (12 %), bei der SPD 85 von 252 (33,7 %) und bei der FDP waren es 8 von 47 (17 %). Vgl. dazu Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 102 f. 109 Dazu unten S. 59 ff. 110 So errangen Kandidaten der CDU / CSU bei den letzten Wahlen fast immer die Hälfte bzw. zwei Drittel der Direktmandate, die SPD etwa ein Fünftel; dazu oben S. 28 Fn. 52 und 55. 111 Siehe unten S. 77 f.

42

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1987

1990

1994

1998

2002

nominiert

2005

2009

2013

2017

gewählt

Abbildung 1: Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Bundestagswahlen

sodass Kandidaten nicht gezielt und abhängig von bestimmten Kriterien gewählt werden können. Vielmehr hängt der Erfolg eines Kandidaten maßgeblich von seinem Platz auf der Liste ab, über den die Partei im Rahmen des Nominierungsverfahrens entscheidet.112 Dies unterstreicht wiederum die grundsätzliche Bedeutung der Kandidatur. Gleichzeitig spricht der Vergleich zwischen den Anteilen weiblicher Kandidaten und Gewählten im Ausgangspunkt gegen die Annahme einer Benachteiligung von Frauen bei der Nominierung insofern, als dass sie allgemein nicht nur wenig aussichtsreiche Kandidaturen erhalten haben können.113 Dieser Vergleich lässt sich nicht nur für die Kandidatur und Wahl insgesamt ziehen. Angesichts eines kombinierten Bundestagswahlrechts114 lohnt ein detaillierterer Blick auf die weiblichen Anteile jeweils bei Direkt- und Listenkandidaturen verglichen mit den weiblichen Anteilen der im jeweiligen System tatsächlich Gewählten. Ein solcher Vergleich offenbart nicht zu vernachlässigende Unterschiede: Seit der Wahl 1998 ähnelte der Anteil weiblicher Direktkandidaturen weitgehend dem Anteil direkt gewählter weiblicher Abgeordneten. Tendenziell war der Anteil direkt gewählter weiblicher Abgeordneten etwas geringer.115 Dies dürfte – 112

Siehe unten S. 81 ff. Zu diesem wichtigen Schluss auch unten S. 51 f. 114 Siehe unten S. 76 f. 115 Bei den Wahlen vor 1998 war dies deutlicher der Fall. 113

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

43

genauso wie der deutlich geringere Frauenanteil an den direkt gewählten gegenüber den über die Liste gewählten Abgeordneten – in den letzten Legislaturperioden primär auf dem geringeren Anteil nominierter weiblicher Direktkandidaten bei CDU / CSU (2017: 22,1 % bzw. 17,4 %) und SPD (37,8 %) beruht haben, die anschließend einen Großteil der Direktmandate in der Wahl errangen. Insgesamt veränderten sich die Anteile bei Direktkandidaturen und direkt Gewählten bei den vergangenen Wahlen wenig. Demgegenüber zeigt sich bei den Listen eine viel größere Abweichung zwischen dem Anteil Frauen an den Kandidaturen und dem Anteil Frauen an den gewählten Kandidaten. Gewählt wurden seit der Wahl 1994 anteilig deutlich mehr Frauen über die Liste als auf den Listenkandidaturen nominiert waren. Dies dürfte insbesondere zum einen angesichts starrer Listen auf die erfolgversprechende Platzierung weiblicher Listenkandidaten zurückzuführen sein. Zum anderen wirkt sich vermutlich innerhalb der Gruppe der Listenabgeordneten der – im Vergleich zur Gruppe der direkt gewählten Abgeordneten – höhere Anteil an Abgeordneten von Parteien mit internen Vorgaben zum Anteil der Geschlechter bei Kandidatenaufstellungen116 aus.117 Folglich zeigt sich ein deutlich unterschiedlicher Einfluss der beiden Teilsysteme des Bundestagswahlrechts auf das Geschlechterverhältnis unter den Abgeordneten. bb) Landesebene Ähnlich wie auf Bundesebene war in den Landesparlamenten der Anteil weib­ licher Abgeordneten lange Zeit sehr gering. Er stieg zwar im Laufe der vergangenen Jahrzehnte an, bleibt bis heute aber hinter dem Anteil männlicher Abgeordneten zurück. Auch hier ist hervorzuheben, dass der Anteil gewählter Frauen den Anteil weiblicher Kandidaten fast durchgehend überstieg, teilweise sogar deutlich (vgl. Abbildung 2 und Abbildung 3). Dabei lag in der Regel der Anteil Frauen an den Direktkandidaturen (leicht) unter dem an den Listenkandidaturen. Der deutliche Anstieg des Anteils weiblicher Abgeordneten ab etwa der Mitte der 1980er-Jahre bis Anfang der 2000er-Jahre zeigt sich auch in den Länderparlamenten, während er in der Zeit seit der Jahrtausendwende geringer ausfällt oder sich stabilisiert hat.

116

Siehe dazu ausführlich unten S. 59 ff. So dürfte andersherum eine Ursache des nach der Wahl 2017 im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode gesunkenen Frauenanteils unter den (Listen-)Abgeordneten bei der wieder im Bundestag vertretenen FDP sowie der erstmals in den Bundestag gewählten AfD liegen, deren Fraktionen mit 22,5 % bzw. 11,7 % (vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Endgültige Wahlergebnisse, 2017, S. 373) einen geringen Anteil weiblicher Abgeordneten aufweisen. 117

44

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1990

1994

1999

2004

2009

2014

2019

nominiert gewählt und Gewählten Abbildung 2: Anteil Frauen an den Kandidaten im Rahmen der Landtagswahlen in Brandenburg 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1951

1982

1990

1998

2003

2008

2013

Abbildung 3: Anteil Frauen an den Kandidaten nominiert gewählt und Gewählten im Rahmen der Landtagswahlen in Niedersachsen (auszugsweise)

2017

45

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1987

1995

1999

2003 nominiert

2006

2011

2015

2019

gewählt

Abbildung 4: Anteil Frauen an den Gewählten im Rahmen der Landtagswahlen in Baden-Württemberg (auszugsweise)

Auffallend ist, dass Baden-Württemberg lange Zeit im Ländervergleich einen sehr geringen bzw. den geringsten Anteil Frauen unter den Abgeordneten aufwies und als einziges Bundesland nie einen Anteil von 30 % überschritt118. Zwar war auch hier eine Zunahme des Frauenanteils zu beobachten, sie begann aber bereits auf einem viel geringerem Niveau (bei der Wahl 1984 wurden 6,3 % Frauen gewählt) und fiel deutlich weniger stark aus (vgl.  Abbildung 4). 2020 war dieses Bundesland mit 26,6 %119 weiblichen Abgeordneten das mit dem zweitgeringsten120 Anteil.121 Hierfür könnte die Besonderheit des Landeswahlrechts ursächlich sein und damit einen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Ausgestaltung des Wahlrechts und dem Anteil weiblicher Abgeordneten geben. Dieses kennt, anders als in fast122 allen anderen Bundesländern, bei der Landtagswahl nur eine Stimme (§ 1 Absatz 3 Satz 1 LWahlG BW123), die einerseits für die Wahl von 70 Direkt 118 Davon geht die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg aus, vgl. https://www.lpb-bw.de/frauenanteil-laenderparlamenten (letzter Zugriff: 10. 09. 2021). 119 Landtag von Baden-Württemberg, Geschlecht der Abgeordneten, Stand: 11. 07. 2019. 120 Nur Sachsen-Anhalt hat mit Stand 24. 01. 2019 mit 19 Frauen von 87 Abgeordneten (21,8 %) einen geringeren Anteil (zu Beginn der Wahlperiode 2016 waren es 23 von 87 (26,4 %)), vgl. LT-Drs. 7/3895 dieses Bundeslandes. 121 Allerdings stieg der Anteil weiblicher Abgeordneten nach der Wahl 2021 auf 29,2 %, vgl. oben S. 33. 122 Ähnlich im Saarland, vgl. § 10 Abs. 1 Landtagswahlgesetz Saarland i. d. F. vom. 09. 08. 2016. 123 Landeswahlgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. April 2005.

46

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

kandidaten124 maßgeblich ist (§ 2 Absatz 3 Satz 1 LWahlG BW), anderseits für die auf die Parteien entfallenden Anteile an den 120 Gesamtmandaten (§ 2 Absatz 1 und 2 LWahlG). Diese Anteile der Parteien sind maßgeblich für die Zuteilung der neben den Direktmandaten nominell 50 weiteren Mandate auf unterlegene Wahlkreiskandidaten bzw. für die Berechnung der Überhang- und Ausgleichsmandate (§ 2 Absatz 3 und 4 LWahlG). Darüber hinaus werden die Kandidaten ausschließlich auf Ebene der Wahlkreise aufgestellt und nicht einheitlich auf Landesebene. Quotale parteiinterne Vorgaben können also nicht bzw. nicht so wie bei Listen wirken.125 126 In den Stadtstaaten begann im Vergleich zu den Flächenländern der Anteil weiblicher Abgeordneten bereits früher anzusteigen und ist seit längerem tendenziell größer (vgl. Abbildung 6 und Abbildung 5). Eine Ursache für diese abweichende Entwicklung in den Stadtstaaten könnte der große Anteil der Bevölkerung mit urbaner Prägung sein, die sich oftmals tendenziell aufgeschlossener gegenüber dem Wandel gesellschaftlicher Rollenbilder zeigt und somit das politische Engagement von Frauen schon aufgrund der Mentalität strukturell begünstigt. Auch könnte mit der hohen Urbanität ein gesteigerter Grad an Anonymität einhergehen, der zu einer höheren Fluktuation und somit auch gesteigerten Möglichkeit für Frauen bei den Kandidaturen führen könnte.

124

Zwar ist es üblich, hier von Erstmandat zu sprechen, allerdings wird für die vorliegende Arbeit für die Vergleichbarkeit der weitere Begriff Direktmandat verwendet. 125 Möglicherweise könnte sich auch stärker auswirken, dass eine Gegenkandidatur im parteiinternen Nominierungsverfahren aufgrund der engeren Beziehung zwischen Amtsinhaber und Parteimitgliedern des für die Direktkandidatur maßgeblichen Wahlkreises deutlich schwieriger sein dürfte als auf einer Wahlversammlung auf Landesebene. Bei dieser können zusätzlich auch Vorstand und andere Gremien stärker auf die Berücksichtigung bestimmter Kriterien (wie z. B. Geschlecht) hinwirken. Diese auf die Direktkandidaturen zurückzuführenden Effekte dürften umso deutlicher sein, wenn man mit einbezieht, dass von den Parteien mit größeren Anteilen der Direkt- und Zusatzmandate nur eine Partei (in Baden-Württemberg die Partei Bündnis 90/Die Grünen, die dort 2016 über die Hälfte der Direktmandate erhielt) einen hohen Frauenanteil an Abgeordneten (und damit offenbar auch weiblicher Kandidaten mit hohen Erfolgschancen) hat und die andere (CDU), ähnlich wie die Parteien mit (fast) nur Zusatzmandaten (SPD, FDP, AfD), einen sehr geringen Anteil weiblicher Abgeordneten aufweisen: Beispielsweise entfielen von den nach der Wahl 2016 in den Landtag gewählten 143 Abgeordneten 47 auf Bündnis 90/Die Grünen und 42 auf die CDU. Die Frauenanteile betrugen 46,8 % bzw. 16,7 %. Die SPD stellte 19 Abgeordnete (10,5 % Frauen), FDP 12 (8,3 % Frauen) und die AfD 23 (13,0 % Frauen), vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Tabellarische Aufstellung der Sitzverteilung im Landtag von BW nach Geschlecht (auf Anfrage). 126 Die an dieser Regelung des baden-württembergischen Wahlrechts aus verschiedenen Gründen geübte Kritik hat trotz mehrerer Anläufe bisher nicht zu einer Änderung geführt, obwohl dies im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung der 16. Wahlperiode so vereinbart wurde, vgl. den Koalitionsvertrag vom 09. 05. 2016, S. 68. Auch im Koalitionsvertrag der gleichen Regierungskoaltition für die 17. Wahlperiode ist eine Änderung des Wahlrechts angestrebt, vgl. den Koalitionsvertrag vom 11. 05. 2021, S. 94.

47

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1961

1986

2011

2015

2020

gewählt

Abbildung 5: Anteil Frauen an den Gewählten im Rahmen der Bürgerschaftswahlen in Hamburg (auszugsweise) 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1987

1995

1999

2003 nominiert

2006

2011

2015

gewählt

Abbildung 6: Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Bürgerschaftswahlen in Bremen (auszugsweise)

2019

48

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

cc) Kommunale Ebene In der Zusammensetzung kommunaler Vertretungen127 zeigt sich am Beispiel Baden-Württembergs ein ähnliches Bild wie auf Ebene des Landtags. In den Kreistagen und Gemeinderäten stieg der Anteil gewählter Frauen und hat etwa ein Viertel erreicht (vgl. Abbildung 7 und Abbildung 8). In den Gemeinderäten liegt er etwas höher als auf Kreisebene. Ins Auge fällt, dass anders als auf Bundes- und Landesebene der Anteil auf Frauen entfallender Kandidaturen schon länger gleichbleibend deutlich höher ist als ihr Anteil an den Gewählten. Frauen haben somit in der Wahl weniger oft Erfolg. Auf Kreisebene fällt diese Abweichung leicht stärker aus. Diese erhebliche Abweichung zwischen dem Anteil weiblicher Kandidaturen und jenem errungener Mandate nimmt erst langsam ab. 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1989

1994

1999

2004 nominiert

2009

2014

2019

gewählt

Abbildung 7: Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Kreistagswahlen in Baden-Württemberg (auszugsweise)

127

Zu beachten ist, dass auf kommunaler Ebene die Bezugsgrößen der erfassten Daten nicht immer kongruent sind. So stehen für Baden-Württemberg Landkreise den Gemeinden, die auch Stadtkreise umfassen, gegenüber. Der länderübergreifende Vergleich erfasst die Vertretungsorgane der Landkreise und Stadtkreise bzw. kreisfreien Städte, nicht jedoch diejenigen der (kreisangehörigen) Gemeinden. Da der Schwerpunkt der Arbeit jedoch auf den Parlamenten im eigentlichen Sinn liegt und die kommunalen Vertretungen nur als Vergleich herangezogen werden, hat diese unterschiedliche Erfassung für die vorliegende Untersuchung keine Folgen.

49

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1994

1999

2004 nominiert

2009

2014

2019

gewählt

Abbildung 8: Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Gemeinderatswahlen in Baden-Württemberg (auszugsweise)

Aufgrund des für die Kommunalwahlen in der Regel geltenden Verhältniswahlrechts liegt auch hier der Schluss nahe, dass die Platzierung ein Grund sowohl für den bisher deutlich geringeren Frauenanteil in kommunalen Räten gegenüber den Kandidaturen als auch für die langsam abnehmende Differenz dieser Anteile durch bessere Platzierung sein könnte. Ob sich die seit der Kommunalwahl 2014 geltende Sollvorschrift zur paritätischen Listenbesetzung (§ 9 Absatz 6 KomWG) tatsächlich und signifikant auswirkt, bleibt abzuwarten.128 Anders als auf Bundesund überwiegend Länderebene ist ein Rückschluss von der Platzierung der Listenkandidaten auf das Wahlergebnis und damit von der Ausgestaltung des Wahlrechts auf den Frauenanteil in der Vertretung jedoch nur sehr eingeschränkt möglich, da in Baden-Württemberg bei den Kommunalwahlen Kumulieren und Panaschieren möglich ist.129 Dies wird von einem Großteil der Wähler auch genutzt.130 Auf wel 128

Erstmals für die Wahl 2019 wurde die Anwendung dieser Norm untersucht, vgl. Glück, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10, 2020, 5, 13 ff. Dabei wird insbesondere neben der Anwendung des „Reißverschlussverfahrens“ (dazu generell unten) auch die Anzahl Frauen auf den ersten sechs und damit aussichtsreichen Listenplätzen untersucht. Danach bestünden zwischen den Parteien große Unterschiede und ein positiver Effekt des Anteils Frauen unter den aussichtsreichen Plätzen auf den Anteil an den Gewählten sei festzustellen. 129 Vgl. § 22 Abs. 2 S. 4 und 5 LKrO BW sowie § 26 Abs. 2 S. 4 GemO BW. 130 Nach Freiherr von Rotberg, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, in: Lorenz von Stein-Gesellschaft zu Kiel (Hrsg.), Neues kommunales Wahlrecht in Schleswig-Holstein? 1992, 27, 31 ff. verändern etwa 90 % der Wähler den Stimmzettel und der Anteil an veränderten Stimmzetteln nimmt mit zunehmender Gemeindegröße ab.

50

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

che Gründe der im Vergleich zu den Männern geringere Anteil an Kandidaturen von Frauen und der noch geringere Anteil an Gewählten zurückzuführen ist,131 bleibt deshalb ohne weitere empirische Untersuchungen spekulativ. Festzuhalten ist jedoch die auch hier maßgebliche Bedeutung der Ausgestaltung des Wahlrechts. Differenziert man nach der Größe der Gemeinde, zeigt sich mit zunehmender Größe ein durchschnittlich steigender Frauenanteil in den Gemeinderäten.132 So wurden in den Gemeinderat der Stadt Stuttgart als größter Stadt bei den Wahlen 2014 und 2019 anteilig fast doppelt so viele Frauen gewählt, wie in die Räte der Gemeinden mit bis zu 1.000 Einwohnern. Ähnlich wie bei der Situation der Länder könnte ein Grund im Mentalitätsunterschied zwischen traditionell geprägtem ländlicherem und urbanerem Raum liegen, sodass in größeren Städten mehr weibliche Kandidaten zur Verfügung stehen und diese auf Wählerseite verstärkt nachgefragt werden.133 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

1998

2003

2008 nominiert

2014

2019

gewählt

Abbildung 9: Anteil Frauen an den Kandidaten und Gewählten im Rahmen der Kommunalwahlen in Brandenburg (auszugsweise) 131

Ob z. B. die Strukturen des lokalpolitischen Engagements oder insbesondere gezieltes Wählerverhalten eine Rolle spielen. Denn Kumulieren und Panaschieren sind in vielen Bundesländern auf kommunaler Ebene möglich. Diese Möglichkeit wird auch zu großen Teilen von den Wählern genutzt, vgl. dazu z. B. Tiefenbach, ZParl, 2006, 115, 116 f. m. w. N. 132 Dies bestätigt die Untersuchung von Holtkamp / Eimer / Wiechmann, Lokale Dispari­täten: Ursachen der Frauen(unter-)repräsentanz in deutschen Stadträten, 2013, S. 18 f. Vgl. auch Glück, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2, 2019, 17, 19. 133 Ähnlich Holtkamp / Eimer / Wiechmann, Lokale Disparitäten: Ursachen der Frauen(unter-) repräsentanz in deutschen Stadträten, 2013, S. 9, 18 f.

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

51

Etwas anders als in Baden-Württemberg stellt sich das Bild in Brandenburg dar (vgl. Abbildung 9). Dort saßen bereits Ende der 1990er-Jahre ein Viertel Frauen in den Kreistagen bzw. Stadtverordnetenversammlungen der kreisfreien Städte. Dieser Wert erhöhte sich bei den folgenden Wahlen beständig um wenige Prozent, überschritt aber die 30 % Marke bisher ebenfalls nicht. Dass hier bereits viel früher ein höherer Anteil weiblicher Mitglieder dieser kommunalen Vertretungen zu verzeichnen ist, könnte auf eine andere Mentalität der Bürger und andere Ausgangsbedingungen nach der Wiedervereinigung zurückgehen. Auffallend ist hier, dass die in Baden-Württemberg zu beobachtende markante Abweichung zwischen den Anteilen von Frauen an den Kandidaturen und an den Gewählten nicht besteht, obwohl auch Brandenburg im Kommunalwahlrecht die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens kennt.134 Auch bei den anderen Bundesländern lässt sich seit über 10 Jahren kaum eine Veränderung erkennen, vielmehr bleiben die Anteile weiblicher Vertreter in den Landkreisen und den Gemeinderäten der Stadtkreise bzw. kreisfreien Städte auf dem etwa gleichen Niveau bestehen (z. B. bleibt Hessen bei etwa 33 %, RheinlandPfalz bei etwa 27 % und Sachsen bei etwa 20 %). dd) Zusammenfassung Die Anteile von Frauen an den Abgeordneten stiegen auf Bundes- und Länderebene in den letzten Jahrzehnten stetig an, stagnierten aber zuletzt bei durchschnittlich etwa 30–40 %. Die Entwicklung auf kommunaler Ebene verlief ähnlich, allerdings lagen die Anteile durchschnittlich unter denen in den Parlamenten. Dabei lassen sich Unterschiede im Hinblick auf Direkt- und Listenmandate, den Einfluss der Anteile der Parteien an den Mandatstypen sowie eine Tendenz zu einem höheren Frauenanteil der jeweiligen Vertretung bei stärkerer städtischer Prägung (z. B. in Stadtstaaten oder größeren Gemeinden) erkennen. Parallel hierzu kandidierten weniger Frauen als Männer für den Bundestag bzw. die Landesparlamente, allerdings nahm der Anteil weiblicher Kandidaturen in den letzten Jahrzehnten ebenfalls zu. Hervorzuheben ist, dass dabei Frauen in der Regel (teils mehr als nur geringfügig) zu einem größeren Anteil gewählt wurden als sie kandidierten. Dies gilt vor allem für die Listen. Bei den Direktmandaten liegt der Anteil der gewählten Frauen öfters leicht unter dem Anteil an den Kandidaturen. Aus diesen Beobachtungen lassen sich zwei zentrale Erkenntnisse gewinnen: Zum einen deuten sie auf die zentrale Funktion der Kandidatur hin, die einen „Flaschenhals“ im Hinblick auf die Anteile der Geschlechter im Parlament bildet. Schließt man vom Wahlerfolg auf eine tendenziell aussichtsreiche Kandidatur, 134

§ 1, 43 Abs. 3 BbgKomWahlG.

52

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

spricht die beobachtete Tendenz eines größeren Anteils weiblicher Abgeordneten als weiblicher Kandidaturen zum anderen eher gegen als für eine deutliche strukturelle Benachteiligung von Frauen135 bei der Vergabe aussichtsreicher Kandidaturen, insbesondere in Bezug auf die Listen. Anders als auf kommunaler Ebene136 ist ein solcher Schluss angesichts starrer Listen auch und gerade für den Teilbereich des Verhältniswahlrechts in den bestehenden kombinierten Wahlsystemen auf Bundes- und Länderebene möglich. 2. Parteien und Frauenanteil Aus den bisherigen Feststellungen lassen sich jedoch noch keine Aussagen über die Ursachen des geringeren Anteils an Frauen unter den Kandidaturen137 treffen. Insbesondere belegen sie keine fehlende oder vorhandene Gleichheit im Hinblick auf die grundsätzlichen Chancen von Frauen auf eine Kandidatur im Vergleich zu der von Männern. Die Differenzierung zwischen der Chance, überhaupt eine Kandidatur zu erhalten, und der Chance, eine Kandidatur mit Aussicht auf Erfolg zu erhalten, ist jedoch zentral für die Suche nach den Ursachen des geringeren Frauenanteils. Grundlegend für die Beurteilung von Maßnahmen, die auf eine Erhöhung des Frauenanteils zielen, dürfte sein, ob eine Chancenungleichheit bei der Nominierung selbst, d. h. der Vergabe von Kandidaturen, besteht oder ob die Ursachen des geringeren Frauenanteils außerhalb der Kandidatenaufstellung und damit einen Schritt früher zu finden sind. Für die Frage nach (strukturellen) Hindernissen der Chancengleichheit von Frauen im Vergleich zu Männern bei der Kandidatennominierung liegt es nahe, anstatt ihres Anteils an der Bevölkerung ihren Anteil an den Parteimitgliedern als Vergleichsgruppe heranzuziehen. Denn in der politischen Praxis entstammen die für die Partei aufgestellten Bewerber fast ausschließlich dem Kreis der Parteimitglieder. Ein deutlich kleinerer Anteil weiblicher Kandidaturen und weiblicher Abgeordneten als der Anteil weiblicher Parteimitglieder könnte daher auf eine

135 Dabei bezieht sich die Frage nach der Chancengleichheit auf Frauen abstrakt, nicht auf den individuellen weiblichen Kandidaten oder Abgeordneten. Denn die Begründung der Forderung nach paritätischen Vorgaben stellt auf eine „strukturelle Benachteiligung“ von Frauen generell ab. Zudem lässt sich aus den Zahlen nur auf Personen mit dem abstrakten Merkmal des Geschlechtes schließen und nicht auf den oder die einzelnen Kandidaten bzw. Abgeordneten individuell. 136 Sofern und soweit dort im Wahlrecht statt starrer Listen Möglichkeiten des Kumulierens und / oder Panaschierens bestehen, siehe oben S. 48 ff. 137 Und in der Folge auch unter den Abgeordneten, auch wenn die Abweichung zwischen den Anteilen der Geschlechter dort weniger stark ausfällt als bei den Kandidaturen.

53

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

fehlende Chancengleichheit der Frauen bei der Aufstellung deuten, während ein größerer Anteil dagegen spräche.138 Zum Zeitpunkt der Bundestagswahlen 2017 und 2013 ergaben sich folgende Zahlenverhältnisse: a) Bundestagswahl 2017 Anteil weiblicher Parteimitglieder139

Anteil weiblicher Direktkandidaturen140

Anteil weiblicher Listenkandidaturen141

Anteil weiblicher Abgeordneten142

Anteil direkt gewählter weiblicher Abgeord­ neten143

Anteil über Listen gewählter weiblicher Abgeordneten

CDU

26,2 %

22,1 %

39,8 %

20,5 %

19,5 %

33,3 %

CSU

20,5 %

17,4 %

27,0 %

17,4 %

17,4 %

0 %

SPD

32,5 %

37,8 %

40,8 %

41,8 %

27,1 %

51,1 %

Bündnis 90/​ Die Grünen

39,8 %

41,9 %

51,5 %

58,2 %

100 %

57,6 %

FDP

21,9 %

19,4 %

22,6 %

22,5 %

0 %

22,5 %

Die Linke

36,5 %

32,6 %

51,0 %

53,6 %

40 %

54,7 %

AfD

17,0 %

10,5 %

12,8 %

11,7 %

33,3 %

11,0 %

Der Frauenanteil an der deutschen Gesamtbevölkerung betrug zum 31. 12. 2017 rund 51,2 %.144

138

Siehe dazu auch unten S. 162 ff. Stand 31. 12. 2017, vgl. Niedermayer, ZParl, 2019, 385, 394. 140 Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2017, S. 10. 141 Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2017, S. 12. 142 Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag  – Endgültige Wahlergebnisse, 2017, S. 373. 143 Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 144 Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/ Bevoelkerungsstand/Tabellen/liste-zensus-geschlecht-staatsangehoerigkeit.html (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 139

54

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

b) Bundestagswahl 2013 Anteil weiblicher Parteimitglieder145

Anteil weiblicher Direktkandidaturen146

Anteil weiblicher Listenkandidaturen147

Anteil weiblicher Abgeordneten148

CDU

25,7 %

23,2 %

35,8 %

24,7 %

19,4 %

40,6 %

CSU

19,9 %

17,8 %

30,0 %

25,0 %

17,8 %

54,5 %

SPD

31,6 %

36,8 %

40,5 %

42,0 %

25,9 %

48,9 %

Bündnis 90/ Die Grünen

38,2 %

40,5 %

50,9 %

55,6 %

0,0 %

56,5 %

FDP

23,0 %

17,1 %

20,1 %

Die Linke

37,3 %

31,9 %

50,3 %

AfD

15,4 %

11,4 %

15,6 %

Anteil direkt gewählter weiblicher Abgeord­ neten

Anteil über Listen gewählter weiblicher Abgeordneten

(nicht vertreten) 56,3 %

50,0 %

56,7 %

(nicht vertreten)

Der Frauenanteil an der deutschen Gesamtbevölkerung betrug zum 31. 12. 2013 rund 51,2 %.149 c) Analyse Zunächst lässt sich feststellen, dass im untersuchten Zeitraum in allen betrachteten Parteien der Anteil weiblicher Mitglieder unter dem der männlichen Parteimitglieder liegt und die Abweichung dabei teilweise sehr deutlich zulasten der weiblichen Parteimitglieder ausfällt. Damit verhalten sich die Geschlechteranteile in den Parteien auch nicht proportional zum etwa hälftigen Anteil der Geschlechter in der deutschen Gesamtbevölkerung. Im Vergleich der Anteile weiblicher Parteimitglieder mit den Anteilen der Frauen an den dieser Partei angehörenden Abgeordneten lag bei der Wahl 2017 der Anteil weiblicher Abgeordneten der Unionsparteien sowie der AfD etwas unter dem Anteil weiblicher Parteimitglieder. 2013 unterschritt nur die CDU diesen Anteil knapp. Demgegenüber übertraf 2017 die FDP mit dem Anteil ihrer weiblichen 145

Stand 31. 12. 2013, vgl. Niedermayer, ZParl, 2019, 385, 394. Bundeswahlleiter, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2013, S. 8. 147 Bundeswahlleiter, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2013, S. 12. 148 Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 149 Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/ Bevoelkerungsstand/Tabellen/liste-zensus-geschlecht-staatsangehoerigkeit.html (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 146

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

55

Abgeordneten den Anteil ihrer weiblichen Parteimitglieder leicht, SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Linke mit fast zehn bis zwanzig Prozentpunkten deutlich. Sehr ähnlich stellte sich die Situation nach der Wahl 2013 dar150. Bündnis90/Die Grünen sowie Die Linke überschritten bei den betrachteten zwei Wahlen beide mit ihrem Anteil weiblicher Abgeordneten nicht nur den Anteil weiblicher Parteimitglieder, sondern sogar jeweils den der Frauen an der deutschen Gesamtbevölkerung. Bezieht man auf einen zweiten Blick die Unterscheidung zwischen Direkt- und Listenkandidaturen mit ein, dann zeigt sich, dass bei fast allen Parteien151 der Anteil der Frauen an den Listenkandidaturen zum einen den Anteil weiblicher Parteimitglieder – teils deutlich – überschreitet; oftmals übersteigt er ihn sogar um über zehn Prozentpunkte (vgl. Abbildung 10 und Abbildung 11). Zum anderen liegt der Anteil weiblicher Listenkandidaturen ohne Ausnahme bei allen Parteien ebenfalls über dem Frauenanteil an den Direktkandidaturen. Letzterer weicht bei fast allen Parteien152 um einige Prozentpunkte nach unten vom Anteil weiblicher Parteimitglieder ab. Allerdings fällt die Abweichung viel geringer aus als der Anteil an den Listenkandidaturen den Anteil an den Parteimitgliedern überschreitet. Dass sich der bei fast allen Parteien große Abstand zwischen dem Anteil weiblicher Parteimitglieder und dem Anteil weiblicher Listenkandidaturen so unterschiedlich in der jeweiligen Gruppe der Abgeordneten auswirkt, dürfte, neben der Platzierung und damit Erfolgsaussicht auf der Liste, auch auf das Wahlsystem zurückzuführen sein. Das personalisierte Verhältniswahlsystem auf Bundesebene153 führt dazu, dass die Art der Mandatserlangung zwischen den Parteien stark schwankt. Die CDU erringt typischerweise bisher einen Großteil ihrer Mandate in Form von Direktmandaten,154 weshalb sich die Anteile weiblicher Listenkandidaturen weniger stark in den Anteilen weiblicher Abgeordneten niederschlagen dürften. Noch stärker ist dieses Phänomen bei der CSU erkennbar, bei der bei einigen Wahlen155 sogar alle Mandate im Wege der Direktwahl errungen wurden. Andersherum dürften156 sich bei FDP, die keine, und Die Linke und Bündnis 90/ 150 AfD und FDP wurden bei der Wahl 2013 nicht in den Bundestag gewählt, vgl. Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 151 Ausnahme war die AfD bei der Wahl 2017 sowie die FDP im Jahr 2013 mit leichten Abweichungen. 152 Ausnahmen waren bei den betrachteten beiden Wahlen jeweils SPD und Bündnis 90/Die Grünen. 153 Siehe unten S. 76 f. 154 Siehe oben S. 28 Fn. 52 und 55. 155 Dies war der Fall bei den Wahlen in den Jahren 1949, 2009 und 2017, Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 102 f. 156 Eine eindeutige Relation kann allein aufgrund der dargestellten Anteile nicht hergestellt werden. Denn die Anteile beziehen sich bei den Listenkandidaten auf die Gesamtkandidatenzahl, allerdings ist nur ein gewisser Teil davon auf aussichtsreichen Plätzen nominiert. Dies bedeutet, eine eindeutige Aussage über die Auswirkung des Anteils Frauen bei den Kandidaturen auf die Anteile an den Abgeordneten kann erst dann getroffen werden, wenn die weib-

56

Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%

CDU

CSU

Parteimitglieder

SPD

Bündnis 90/ Die Grünen

FDP

Die Linke

AfD

Listenabgeordnete

Listenkandidaturen

Abbildung 10: Anteil Frauen an den Parteimitgliedern, an den Listenkandidaturen sowie an den über die Liste Gewählten im Rahmen der Bundestagswahl 2017 60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%

CDU

CSU

Parteimitglieder

SPD

Bündnis 90/ Die Grünen Listenkandidaturen

FDP

Die Linke

AfD

Listenabgeordnete

Abbildung 11: Anteil Frauen an den Parteimitgliedern, an den Listenkandidaturen sowie an den über die Liste Gewählten im Rahmen der Bundestagswahl 2013

A. Politischer und geschichtlicher Hintergrund

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Die Grünen, die fast keine bzw. wenige157 Direktmandate erringen, die hohen Anteile von Frauen an den Listenkandidaturen deutlich stärker auf die Anteile weiblicher Abgeordneten auswirken. Auch bei der AfD mit wenigen Direktmandaten scheint sich ihr geringer Anteil weiblicher Listenkandidaturen auf den geringen Anteil weiblicher Abgeordneten auszuwirken. Die SPD nimmt eine Stellung zwischen diesen Positionen ein. Die Anteile der Geschlechter an den Listenkandidaturen an sich sagen noch nichts über die Platzierung auf der Liste und damit die Erfolgsaussichten einer einzelnen Listenkandidatur aus. Deshalb bietet sich darüber hinaus ein Vergleich zwischen dem Anteil weiblicher Parteimitglieder und dem Frauenanteil an den über die Liste gewählten Abgeordneten an. Denn diesem Vergleich kommt insofern eine gewisse Indizwirkung zu, als die über die Liste gewählten Abgeordneten erfolgreiche Listenkandidaten sind. Die voraussichtlichen Erfolgschancen ihrer Listenplätze dürften bei der Aufstellung zu einem großen Teil vorhersehbar gewesen sein.158 Bei einem solchen Vergleich fällt auf, dass der Anteil der über die Liste gewählten weiblichen Abgeordneten den Anteil an den Parteimitgliedern durchweg159 und deutlich (mehr als 15 Prozentpunkte sind keine Seltenheit) übersteigt, teils noch deutlicher, als dies beim Anteil an den Listenkandidaturen der Fall ist. Ein solcher Vergleich fällt bei den Direktmandaten weniger eindeutig aus. Hier sind Abweichungen in beide Richtungen mit einer Tendenz nach unten festzustellen. Allerdings ist seine Aussagekraft im Hinblick auf die sehr unterschiedliche Verteilung der Direktmandate zwischen den Parteien und damit auch die zwischen den Parteien kaum vergleichbare Erfolgschance einer Direktkandidatur im einzelnen Wahlkreis zurückhaltender zu beurteilen. Diese Vergleiche sprechen gegen eine Benachteiligung von weiblichen Parteimitgliedern bei der Kandidatenaufstellung für die Listen. Im Gegenteil deuten diese empirischen Befunde darauf hin, dass Frauen in den Parteien grundsätzlich und damit unabhängig vom Einzelfall deutlich höhere Chancen auf eine Listenkandidatur als männliche Parteimitglieder haben. Dies gilt teilweise noch stärker im Hinblick auf erfolgversprechende Listenkandidaturen. Feststellen lässt sich allenfalls und mit deutlich weniger Aussagekraft eine leicht geringere Chance von Frauen für ein Direktmandat. lichen Anteile an den Listenkandidaturen feststehen, die nach der Wahl ein Mandat über die Liste erhielten, oder die Liste im „Reißverschlussprinzip“ (dazu unten) aufgestellt ist und damit die Platzierung auf der Liste für das abstrakte Verhältnis der Geschlechter der so gewählten Abgeordneten unerheblich ist. 157 In den letzten drei Jahrzehnten bis einschließlich der Wahl 2017 lag die Anzahl der Direktmandate dieser beiden Parteien im einstelligen Bereich; eine Ausnahme stellte die Wahl 2009 dar, in der die Linke 16 Direktmandate errang, vgl. Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 103. 158 Zu den „sicheren“ Listenplätzen S. 101 Fn. 30. 159 Einzige Ausnahme hierbei war die AfD bei der Wahl 2017. Dies CSU errang bei dieser Wahl kein Listenmandat.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Somit lässt sich festhalten, dass bei den letzten Bundestagswahlen160 der Anteil Frauen an den jeweiligen Kandidaturen im Verhältnis zu weiblichen Parteimitgliedern in der Regel nur wenig nach unten, aber öfters und deutlicher nach oben voneinander abweicht. Auch der Anteil weiblicher Abgeordneten einer Partei unterschreitet den Anteil weiblicher Parteimitglieder nur vereinzelt leicht, während er ihn größtenteils überschreitet, bei einigen Parteien sogar sehr deutlich. Insbesondere bei über die Listen gewählten Abgeordneten – dem Anwendungsbereich eines Paritätsgesetzes – liegt der Anteil der Frauen überwiegend deutlich über dem an den Parteimitgliedern. Folglich widerlegen die Ergebnisse dieses Vergleichs die Annahme grundsätzlich schlechterer Chancen von Frauen bei der Kandidatenaufstellung generell sowie auf erfolgversprechende Kandidaturen. Vielmehr stellen sie ein Indiz dafür dar, dass in einigen Parteien Frauen tendenziell deutlich bessere Chancen auf ein Mandat haben als Männer. Dies gilt insbesondere für die über die Liste erworbenen Mandate. Die gewonnenen Erkenntnisse deuten somit darauf hin, dass die Ursachen des geringeren Frauenanteils unter den Kandidaturen, jedenfalls im Hinblick auf die Listenkandidaturen, nicht bei der Vergabe der Kandidaturen innerhalb der Parteien liegen. Die Gründe dürften im Prozess des politischen Engagements mit dem Ziel eines Mandatserwerbs vielmehr bereits eine Stufe vorher zu finden sein. Dafür kann nicht zuletzt der im Vergleich zum Männeranteil deutlich geringere Frauenanteil unter den Parteimitgliedern einen Hinweis geben.

B. Abgrenzung zu paritätischen bzw. quotalen parteiinternen Normierungen Bereits vor Einführung landesgesetzlicher Paritätsgesetze wurden parteiinterne Vorgaben für die Anteile der Geschlechter bzw. dezidiert von Frauen gefordert und eingeführt.161 Diese sollten nicht nur für die Besetzung parteiinterner Gremien gelten, sondern insbesondere auch für die Aufstellung von Kandidatenlisten für Parlamentswahlen. Derartige parteiinterne geschlechterbezogene Vorgaben für die Parteilisten bestehen jedoch nicht bei allen Parteien, treten in unterschiedlichen Ausgestaltungen auf und sind rechtsdogmatisch grundlegend von den hier untersuchten gesetzlichen Vorgaben zu unterscheiden.

160

Die Zahlen der Bundestagswahl 2021 konnten nicht mehr berücksichtigt werden, s. o. Dazu und die Zulässigkeit bejahend Lange, NJW, 1988, 1174; Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988; Oebbecke, JZ, 1988, 176, 179 ff. Ablehnend Heyen, DÖV, 1989, 649. 161

B. Abgrenzung zu paritätischen bzw. quotalen parteiinternen Normierungen

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I. Bestehende parteiinterne Vorgaben für die Kandidatennominierung 1. CDU Bei der CDU als bei der Bundestagswahl 2017 erfolgreichsten Partei „sollen“ nach § 15 Absatz 2 ihres Parteistatuts162 Frauen sowohl an Parteiämtern als auch an öffentlichen Mandaten zumindest mit einem Drittel beteiligt sein. Daher ist die Gültigkeit von Wahlen für Parteiämter an dieses Quorum geknüpft (Absatz 3). Da sich diese Vorschrift nur auf den jeweils ersten Wahlgang bezieht und in den folgenden Wahlgängen explizit nicht mehr gilt, erweist sie sich jedoch als keine große Hürde. Für die Nominierung der Direktkandidaten für Parlamentswahlen fehlt ein Durchsetzungsmechanismus (Absatz 4). Bei der Aufstellung der Listen soll unter drei aufeinander folgenden Listenplätzen mindestens eine Frau stehen, anderenfalls ist eine besondere Begründung erforderlich (Absatz 5). 2. SPD Das Organisationsstatut163 der SPD sieht in § 11 Absatz 2 sowohl für parteiinterne Funktionen als auch für öffentliche Mandate Quoten von mindestens 40 % vor. Diese gelten sowohl für Frauen als auch für Männer. Hierin unterscheidet sich das Organisationsstatut der SPD von allen anderen betrachteten Satzungen der Parteien. Die ebenfalls für die Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Mandate geltende Wahlordnung der SPD (vgl. § 1 Absatz 1 Satz 2) flankiert die obigen Vorgaben. Nach § 3 Absatz 5 müssen Wahlvorschläge der Vorstände je 40 % und sollen je 50 % Frauen und Männer beinhalten. § 4 Absatz 2 sieht in der Aufstellung der Landeslisten für die Bundestagswahlen das Mittel, eine angemessene Vertretung von Frauen und Männern zu erreichen. Dazu erfolgt die Aufstellung der Kandidaten alternierend. Eine feste Vorgabe, welchem Geschlecht welche Plätze zugewiesen sind, besteht nicht. Diese Regelung gilt auch für die anderen Organisationsebenen für die Aufstellung von Kandidaten für Parlamente und kommunale Vertretungen, sofern keine anderen satzungsmäßigen Regelungen für die Erreichung einer Mindestquote von je 40 % (s. o.) bestehen (§ 4 Absatz 1). Für die Aufstellung der Direktkandidaten sind keine expliziten Vorgaben enthalten.

162 163

Statut der CDU vom 27. 04. 1960, zuletzt geändert durch den Parteitag am 07. 12. 2018. Organisationsstatut der SPD, Stand 09. 12. 2017.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

3. AfD In der Bundessatzung164 der AfD finden sich keine Regelungen zur paritätischen Nominierung bzw. Besetzung von Ämtern oder Quoten hinsichtlich des jeweiligen Anteils an Frauen. Für Vereinigungen der Partei ist es nach der Bundessatzung unzulässig, sich als gemeinsames Merkmal auf das Geschlecht zu beziehen (§ 17 Absatz 2). 4. FDP Die Satzung165 der FDP macht keine geschlechterbezogenen Vorgaben für die Nominierung von Kandidaten für öffentliche Mandate. Allerdings wurde auf einem Bundesparteitag 2019 beschlossen166, sich für einen höheren Anteil von Frauen in Ämtern und Mandaten und der Partei generell einzusetzen. Der Umsetzung sollen u. a. regional differenzierende Zielvereinbarungen zwischen Bundes- und Landesvorstand hinsichtlich der Repräsentanz von Frauen dienen. Eine gesetzliche Vorgabe und das Geschlecht als „limitierende[r] Faktor bei der Bewerbung um politische Ämter und Mandate“ wird jedoch ausdrücklich abgelehnt. Vielmehr wird auf parteiinternen Wettbewerb sowie eine verbesserte Parteikultur, u. a. hinsichtlich Vereinfachung der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Partei sowie attraktiveren Veranstaltungsformaten, gesetzt. 5. Die Linke Die Partei Die Linke verfolgt nach ihrer Bundessatzung167 (§ 9) nicht nur auf die Geschlechter bezogen, sondern umfassend das Ziel der Gleichstellung. Damit soll auch Menschen mit Kindern, zu pflegenden Angehörigen, geringem Einkommen oder Behinderung gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht werden (§ 9 Absatz 3). Dies versucht die Partei institutionell zu verwirklichen und bietet z. B. für Veranstaltungen auf Bundesebene eine Kinderbetreuung an (Absatz 4). Eine eigene Norm (§ 10) führt verschiedene Maßnahmen bzw. Verfahren auf, die unter dem Aspekt der „Geschlechterdemokratie“ eine politische Willensbildung von Frauen fördern und ihre Diskriminierung verhindern sollen (§ 10 Absatz 1). So sind abwechselnde Redebeiträge (Absatz 2) sowie die Möglichkeit versammlungsunterbrechender Frauenplenen vorgesehen, mit denen Beschlüsse abgelehnt 164

Bundessatzung vom 29. 11. 2015, zuletzt geändert am 01. 07. 2018. Bundessatzung der FDP vom 10. 05. 2002, zuletzt geändert am 26. 04. 2019. 166 Beschluss des 70. Ordentlichen Bundesparteitags der FDP, Berlin, 26. bis 28. April 2019 – Eine Partei für die offene Gesellschaft: vielfältig, innovativ und engagiert. 167 Bundessatzung der Partei Die Linke vom 24./25. 03. 2007, zuletzt geändert am 22./23. 02. 2019. 165

B. Abgrenzung zu paritätischen bzw. quotalen parteiinternen Normierungen

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werden können, was zu einer erneuten Beratung und Entscheidung des Gesamtgremiums führt (Absatz  3). Für parteiinterne Gremien oder Delegierte ist eine Mindestquote von 50 % für Frauen vorgesehen, deren Nichterreichen ein Freibleiben der den Frauen vorbehaltenen Mandate mit der Möglichkeit einer Nachwahl zur Folge hat (Absatz 4). Bei der Aufstellung von Bewerbern für öffentliche Mandate ist auf mindestens die Hälfte weiblicher Abgeordneten bzw. Vertreter in der Fraktion / Gruppe hinzuwirken (Absatz 5). Für Wahllisten wird dies dergestalt präzisiert, dass Frauen einen der ersten beiden Plätze sowie im Folgenden die ungeraden Plätze erhalten. Dies steht aber ausdrücklich unter dem Vorbehalt ausreichender weiblicher Bewerber für diese Kandidaturen, allerdings sind auch rein weibliche Listen zulässig. Männern stehen umgekehrt diese Möglichkeiten nicht offen, insofern ist die alternierende Reihenfolge einseitig begrenzend für die nicht weiblichen Bewerber um Listenplätze ausgestaltet. Für Direktmandate bestehen keine expliziten Vorgaben. 6. Bündnis 90/Die Grünen Das Frauenstatut168 von Bündnis 90/Die Grünen sichert Frauen über verschiedene Mechanismen, wie einen Frauenrat (§ 8), die Möglichkeit einer Vorabstimmung unter Frauen (§ 4 Absatz 1), ein Veto-Recht für Frauen (§ 4 Absatz 2) und über ein mit Männern abwechselnd zustehendes Rederecht in Versammlungen (§ 2 Absatz 1), einen verhältnismäßig großen Einfluss. Darüber hinaus versucht es, bereits institutionell einigen faktischen Benachteiligungen entgegenzuwirken, indem für Veranstaltungen Kinderbetreuung angeboten und Verantwortungsträgern finanzielle Unterstützung für eine solche oder die Pflege von Angehörigen zugesprochen wird (vgl. die Präambel des Frauenstatuts). Für die Nominierung von Kandidaten für öffentliche Mandate bestehen Vorgaben zur „Mindestquotierung“ (§ 1). Diese beziehen sich auf Wahllisten und schreiben eine alternierende169 Reihenfolge vor. Dabei steht den Frauen über die Zuweisung der ungeraden Plätze auch der erste Platz auf der Liste zu, was als „Min 168 Frauenstatut von Bündnis 90/Die Grünen, beruhend auf § 3 Abs. 1, 28 der Satzung des Bundesverbandes, diese zuletzt geändert am 13. 06. 2021. Dabei gilt nach § 3 Abs. 1 S. 3 der Bundessatzung sowie nach der Präambel des Frauenstatuts: „Von dem Begriff ‚Frauen‘ werden alle erfasst, die sich selbst so definieren.“ Dies machte sich ein sonst als Mann auftretendes Mitglied im Kreisverband Reutlingen bei einer Wahl für den Kreisvorstand zunutze und berichtete darüber in einem Artikel in der Oktober / November Ausgabe der EMMA, was zu einem größeren Presseecho führte, vgl. z. B. Stuttgarter Zeitung vom 01. 09. 2021 „Grünen-Mann kandidierte auf Frauenquotenplatz“. Seine Aktion sei reiner Protest gegen die von ihm als undurchdacht und irrational wahrgenommene Haltung der Partei zur geschlechtlichen Selbstbestimmung gewesen. 169 Soweit nicht anders angegeben wird „alternierend“ hier als eine Vorgabe für eine Reihenfolge dergestalt verstanden, dass auf den Angehörigen eines Geschlechts ein solcher des anderen folgt usw.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

destparität“ verstanden wird (§ 1 Satz 1). Zugleich können Frauen auf geraden, also den ihnen nicht von vorneherein vorbehaltenen Plätzen kandidieren (Satz 2) oder gar reine Frauenlisten bilden (Satz 3). Insofern erweist sich die strenge Reihenfolge nur in Richtung der Männer als begrenzend, während die Chancen der Frauen deutlich vergrößert werden. Für den Fall eines Mangels an weiblichen Kandidaten wird das weitere Vorgehen der jeweiligen Wahlversammlung überlassen, bei der auch wieder das Vetorecht von Frauen greifen kann (Satz 4 f.). Für die Wahl der Direktkandidaten bestehen keine eigenen Vorgaben. 7. CSU Die Satzung170 der CSU bekennt sich zu einer „gleiche[n] Teilhabe von Frauen und Männern“ bei der Aufgabenerfüllung der Partei (§ 1). Die Organe haben in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich gleiche Teilhabe von Frauen und Männern zu verwirklichen (§ 8 Absatz  1). Parteiämter sollen mit mindestens 40 % Frauen besetzt werden (Absatz 2). Eine Durchsetzungsregelung, beschränkt auf Partei- und Bezirksvorstand, besteht dergestalt, dass die Gültigkeit von Wahlen der „weiteren Mitglieder“ dieser Gremien an das Erreichen eines Frauenanteils von 40 % geknüpft wird. Weitere Sanktionen oder anderweitige Vorgaben, insbesondere für die Nominierung von Kandidaten für öffentliche Mandate sind nicht vorgesehen. 8. Zusammenfassung Die im Bundestag vertretenen Parteien kennen unterschiedliche parteiinterne Vorgaben im Hinblick auf die Gleichberechtigung im Allgemeinen und die von Frauen im Besonderen in ihren Satzungen bzw. Regelwerken mit Satzungsrang171. Bei der Nominierung von Kandidaten für staatliche Wahlen reichen sie von keinen (AfD) oder nur einem allgemeinen Bekenntnis zu gleicher Teilhabe (CSU) über niederschwellige Soll-Vorgaben mit entsprechenden Hinwirkungspflichten (CDU) oder einer für beide Geschlechter gleichermaßen geltenden Mindestquote sowie alternierenden Reihenfolge für die Listenkandidaten (SPD) bis hin zu nur für Frauen geltenden Mindestquoten und streng, einseitig für Männer begrenzten alternierenden Reihenfolgen der Listenkandidaten (Die Linke sowie Bündnis 90/ Die Grünen).

170

Satzung der CSU vom 15. 12. 2017. Eine Ausnahme stellt die FDP dar, deren Satzung keine Regelungen zur Gleichberechtigung enthält, die allerdings einen diesbezüglichen Parteitagsbeschluss getroffen hat. 171

C. Parallele Regelungen im Ausland

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II. Rechtliche Einordnung parteiinterner Normierungen Diese bereits vor der Verabschiedung des Brandenburger und Thüringer Paritätsgesetzes bestehenden Regelungen sind ausschließlich parteiinterner Natur und haben überwiegend Satzungsrang. Die Satzungen politischer Parteien sind Ausfluss der von Artikel  21 Absatz  1  GG garantierten, einfachrechtlich ausgeformten Organisationsfreiheit politischer Parteien.172 Dies gilt auch für die in ihnen geregelte Aufstellung der Kandidaten für staatliche Wahlen.173 Zugleich wird die parteieigenene Festlegung auf bestimmte Geschlechteranteile bei der Aufstellung von der Programm-, vor allem aber von der Tendenzfreiheit174 der Parteien flankiert.175 Ob und inwieweit eine Partei sich selbst Vorgaben hinsichtlich der Eigenschaften und Merkmale der von ihr nominierten Kandidaten macht, hängt aufs engste mit ihrem programmatischen Selbstverständnis zusammen,176 zumal die Aufstellung von Kandidaten für staatliche Mandate eine der Kernaufgaben von Parteien darstellt. Mit ihren internen Vorgaben zu Geschlechteranteilen bei der Kandidatenaufstellung üben die Parteien mithin ihre Parteienfreiheit aus.

C. Parallele Regelungen im Ausland Die Forderung nach einem Paritätsgesetz auf Bundes- und Länderebene wird häufig auch auf einen Vergleich177 mit ähnlichen Regelungen im Ausland, insbesondere in Frankreich, gestützt. 172

Towfigh / Ulrich, in: BK GG, 213. EL, 2020, Art. 21, Rn. 381; Kluth, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 21, Rn. 120; Klafki, in: v. Münch / Kunig GG, 7. Auflage, 2021, Art. 21, Rn. 44. 173 Vgl. Ebsen, JZ, 1989, 553, 555; Schmitt Gläser, Abbau des tatsächlichen Gleichberechtigungsdefizits der Frauen durch gesetzliche Quotenregelungen, 1982, S. 39 f. 174 Siehe unten S. 114 ff. 175 Vgl. Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 17 ff.; Achterberg / Schulte, in: vM / K /S GG, 6. Auflage, 2010, Art. 38, Rn. 145; Rüfner, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 815 ff. 176 Dazu auch unten S. 132 ff. 177 Vgl. Europäische Kommission – Generaldirektion für Justiz, Women and men in leadership positions in the European Union, 2013, S. 22; https://www.unwomen.org/-/media/ headquarters/attachments/sections/library/publications/2019/women-in-politics-2019-map-en. pdf?la=en&vs=3303 (letzter Zugriff: 27. 01. 2021); Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Geschlechterparität bei Wahlen nach französischem Vorbild, 2014; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Geschlechterparität bei Wahlen nach französischem und tunesischem Vorbild, 2017; schriftliche Stellungnahme (S. 6) der Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, Anhang; Stellungnahme von Laskowski in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 33 ff. sowie die EAF in ihrer schriftlichen Stellungnahme (S. 6.), ebd., Anhang.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

I. Frankreich 1. Gesetzeslage Im Jahr 2000 wurde in Frankreich ein Parité-Gesetz178 verabschiedet, das u. a. die Wahlgesetze mit Wirkung für die Europa-, die Senats- sowie die Regional- und Kommunalwahlen änderte. Für die Wahlen zur Nationalversammlung, bei der ein Mehrheitswahlrecht gilt,179 sieht das Gesetz keine direkten Vorgaben für die Aufstellung, sondern negative Folgen im Falle einer Abweichung von der Parität vor. Für die Europawahl sind die Kandidatenlisten seitdem streng paritätisch zu besetzen.180 Auf nationaler Ebene erfolgt ein Teil der (indirekten181) Wahlen der Senatoren im Wege des Mehrheits-, ein anderer im Wege des Verhältniswahl­ systems. Für die im ersteren Modus gewählten Senatoren müssen (seit 2013182) die für einen Kandidaten vorgesehenen Vertreter dem jeweils anderen Geschlecht angehören183, bei der Wahl der im letzteren Modus Gewählten sind streng paritätische Listen vorgegeben184. Für die Regional- und Kommunalebene185 gilt ebenfalls eine paritätische Listenbesetzung.186 Die auf dieser Gebietsstufe anfangs nur auf Gruppenblöcke von sechs Kandidaten bezogene Parität auf den Kandidatenlisten wurde weitestgehend187 inzwischen188 in eine strenge Listenparität geändert. Für die Wahlen zu den conseils départementaux189 gilt die Mehrheitswahl. Um das Anliegen gleicher Anteile der Geschlechter auch dort zu verwirklichen, wurde das Wahlrecht deshalb dahingehend geändert190, dass in den Departements die Anzahl 178

Loi n° 2000-493 du 6 juin 2000 tendant à favoriser l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives. Das Wort Parität („parité“) wurde im Gesetz selbst aus politischen Gründen vermieden. 179 Artikel L123 Code électoral. 180 Artikel 9 Absatz 1 Loi relative à l’élection des représentants au Parlement européen. 181 Die Senatoren werden über ein mit Vertretern der verschiedenen Gebietsgliederungen Frankreichs besetztes Wahlkollegium auf sechs Jahre hälftig alle drei Jahre gewählt. 182 Art. 10 Loi n° 2013-702 du 2 août 2013 relative à l’élection des sénateurs. 183 Artikel L299 Absatz 1 Code électoral. 184 Artikel L300 Absatz 1 Code électoral. 185 Eine Ausnahme bilden Gemeinden unter 1.000 Einwohnern, in denen Kandidaten im Wege des Mehrheitswahlsystems gewählt werden und in denen keine paritätischen Vorgaben gelten, vgl. Art. L252 Code électoral. 186 Artikel L264 Absatz 1, L346 Absatz 1, L370 Absatz 1 Code électoral. 187 Bestehen blieb dies für einige Überseegebiete, vgl. Art. L331-2 Abs. 2 Code électoral. 188 Im Jahr 2003 für die Regionalversammlungen, in den Jahren 2007 (Gemeinden ab 3.500 Einwohnern) bzw. 2013 (Gemeinden ab 1.000 Einwohnern) für die Gemeinde- bzw. Stadträte. 189 Bis zur Änderung 2015 als „conseils généraux“ bezeichnet. 190 2007 wurden Stellvertreter eingeführt, die dem anderen Geschlecht wie der Kandidat selbst angehören mussten, vgl. Art. 4 Loi n° 2007-128 du 31 janvier 2007 tendant à promouvoir l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives. Eine weitere Änderung erfolgte 2013, vgl. Loi n° 2013-403 du 17 mai 2013 relative à l’élection des conseillers départementaux, des conseillers municipaux et des conseillers communautaires, et modifiant le calendrier électoral.

C. Parallele Regelungen im Ausland

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der Wahlkreise halbiert wurde und fortan in jedem ein gemischtgeschlechtliches Kandidatenpaar antritt.191 Das Parité-Gesetz sichert das Regelungsziel einer annähernd gleichen Repräsentanz der Geschlechter durch begleitende Sanktionen ab. Zum einen wird den Parteien abhängig vom jeweiligen Grad des Auseinanderfallens der Anteile weiblicher und männlicher Abgeordneten in der Nationalversammlung die staatliche Finanzierung gekürzt.192 Zum anderen ist auf kommunaler Ebene sowie auf der des Departements und der Region eine Zurückweisung der Listen bzw. Verweigerung ihrer Annahme vorgesehen, wenn sie nicht den Anforderungen genügen.193 Darüber hinaus sieht das Gesetz regelmäßige Evaluations- und Berichtspflichten über den Fortschritt der Anwendung des Gesetzes sowie den Stand der Entwicklung der „féminisation“ der nicht von den paritätischen Listen betroffenen Wahlen sowie lokalen Verwaltungsstrukturen vor.194 Begleitet wurde die Einführung dieser gesetzlichen Vorgaben von Verfassungsänderungen. 1999195 wurde an Artikel 3 der Verfassung von 1958 folgender fünfter Absatz angefügt: „Das Gesetz fördert den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und -ämtern.“196 2008 wurde die Vorschrift nach Artikel 1 Absatz 2 verschoben und erweitert.197 Sie lautet mittlerweile: „Das Gesetz fördert den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und -ämtern sowie zu den Führungspositionen im beruflichen und sozialen Bereich.“198 Hinzu tritt eine Regelung für die politischen Parteien in Artikel 4 Absatz 2: „Sie [die Parteien] tragen unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen zur Verwirklichung des in Artikel 1 Absatz 2 enthaltenen Grundsatzes bei.“199 Hintergrund dessen waren frühere Anläufe, Quoten in Wahlgesetze einzufügen,200 die jedoch vom conseil constitutionnel für verfassungswidrig erklärt wurden. Dieser sah den in der Verfassung sowie der Erklärung der Menschen- und

191

Artikel L191 f. Code électoral. Siehe dazu Art. 9-1 loi n° 88-227 du 11 mars 1988 relative à la transparence financière de la vie politique, in dem die fragliche Summe der Kürzung mittlerweile verdreifacht wurde. 193 Artikel L265 Absatz 7; Artikel L210-1 Absatz 5; Artikel L350 Absatz 2 Code électoral. 194 Artikel 16 Parité-Gesetz. 195 Vgl. Artikel 1 Loi constitutionnelle n° 99-569 du 8 juillet 1999 relative à l’égalité entre les femmes et les hommes. 196 Im Originaltext: „La loi favorise l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives.“ 197 Vgl. Artikel 1 Loi constitutionnelle n° 2008-724 du 23 juillet 2008 de modernisation des institutions de la Ve République. 198 Im Originaltext: „La loi favorise l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives, ainsi qu’aux responsabilités professionnelles et sociales.“ 199 Im Originaltext: „Ils contribuent à la mise en œuvre du principe énoncé au second alinéa de l’article 1er dans les conditions déterminées par la loi.“ 200 So sollte 1982 durch ein Gesetz für die Kommunalwahl die Präsenz von mehr als drei Vierteln Kandidaten eines Geschlechts auf der Wahlliste unterbunden werden. 192

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Bürgerrechte verankerten Grundsatz der Gleichheit der Wahl als verletzt an, der nur an die Bürgereigenschaft anknüpfe und der eine Unterscheidung bzw. Einteilung der Wähler in Gruppen untersage.201 Auf das Urteil folgte eine intensive gesellschaftliche Debatte zur Frage nach der Notwendigkeit von Maßnahmen zur Gleichberechtigung von Frauen und vor allem zur Zulässigkeit gesetzlicher Quoten. Letztere wurden auch von vielen Frauenrechtlern quer über das politische Spektrum hinweg als mit den Grundsätzen des Republikanismus und der Vertretung der unteilbaren Nation unvereinbar betrachtet.202 2. Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen Das Gesetz brachte bei den folgenden Wahlen erst nach und nach die gewünschten Ergebnisse, was auch Anlass seiner mehrmaligen Änderung war. Der Anteil der Frauen an den französischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments stieg von 40,2 % bei der Wahl 1999 auf 41,9 % 2014 sowie 50 % 2019.203 Der Anstieg fiel hier weniger stark aus, was jedoch auf den bereits vor Einführung des Gesetzes hohen Frauenanteil zurückzuführen sein dürfte. In der 2017 gewählten Nationalversammlung sind 39,5 % der Abgeordneten Frauen.204 Nach der Wahl 2002, auf die die finanziellen Sanktionen erstmals Anwendung fanden205, lag der Frauenanteil bei 12,3 %, nach der Wahl 2007 bei 18,5 % und nach der Wahl 2012206 bei 26,9 % während es vor in Kraft treten des Parité-

201

Décision n° 82-146 DC du 18 novembre 1982, Ziff. 7 f.: „la qualité de citoyen ouvre le droit de vote et l’éligibilité dans des conditions identiques à tous ceux qui n’en sont pas exclus pour une raison d’âge, d’incapacité ou de nationalité, ou pour une raison tendant à préserver la liberté de l’électeur ou l’indépendance de l’élu; que ces principes de valeur constitutionnelle s’opposent à toute division par catégories des électeurs ou des éligibles; … qu’il résulte de ce qui précède que la règle qui, pour l’établissement des listes soumises aux électeurs, comporte une distinction entre candidats en raison de leur sexe, est contraire aux principes constitutionnels ci-dessus rappelés …“ [Hervorh. nur hier]. 202 Vgl. dazu Sineau in ihrer Fallstudie zu Frankreich in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 73 f. 203 Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Parité en politique: entre progrès et stagnations, 2015, S. 57, 64 ; https://www.europarl.europa.eu/election-results-2019/de/ nationale-ergebnisse/frankreich/2019-2024/ (letzter Zugriff: 11. 01. 2021). 204 http://www2.assemblee-nationale.fr/decouvrir-l-assemblee/folder/les-deputes/vosdeputes/les-deputes-sont-ils-a-l-image-de-la-societe#node_60689 (letzter Zugriff: 10. 08. 2021). 205 Vgl. Art. 17 Abs. 2 Loi n° 2000-493 du 6 juin 2000 tendant à favoriser l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives (Parité-Gesetz). 206 Auf diese fand die erste Erhöhung des Betrags Anwendung, um den die staatliche Parteienfinanzierung gekürzt wurde, und somit ein Abweichen der Anteile weiblicher und männlicher Abgeordneten noch stärker sanktioniert werden sollte, vgl. Art. 5 Abs. 2 des Loi n° 2007-128 du 31 janvier 2007 tendant à promouvoir l’égal accès des femmes et des hommes aux mandats électoraux et fonctions électives.

C. Parallele Regelungen im Ausland

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Gesetzes bei der Wahl 1997 lediglich 10,9 % waren.207 Bei den Kandidaturen von Frauen lag der Anteil 1997 bei 23,0 %, bei der Wahl 2002 bei 38,9 % und bei der Wahl 2007 bei 41,6 %.208 Hier überrascht angesichts der drohenden finanziellen Sanktionen der vergleichsweise langsame Anstieg des Anteils weiblicher Abgeordneten. Auch blieb dieser Anteil deutlich hinter jenem der Kandidatinnen zurück. Dies ist wohl zumindest teilweise auf das Verhalten der Parteien zurückzuführen, die Frauen anfangs nachweislich häufig in wenig aussichtsreichen Wahlkreisen aufstellten und Kürzungen der staatlichen Zuschüsse in Kauf nahmen.209 Bei den Wahlen zum Senat waren 2008 27,5 %, 2011 34,8 % und 2014 29,4 % der über Listen (s. o.) gewählten Senatoren weiblich, während im Vergleich der Anteil bei den im Wege der Mehrheitswahl gewählten Senatorinnen 2008 bei 9,5 %, 2011 bei 17,2 % und 2014 bei 8,3 % lag.210 Insgesamt stieg der Anteil der Senatorinnen von 5,9 % im Jahre 1998 über 21,9 % 2008 bis zu 35,1 % im August 2021.211 Bei den Kandidaten für die Wahl in den Senat betrug der Frauenanteil für die im Wege der Verhältniswahl gewählten Senatoren 2011 47,9 % (16,1 % Frauen auf Listenplatz eins) und 2014 46,3 % (21,8 % auf Listenplatz eins), bei den in Mehrheitswahl gewählten Senatoren 2011 18,5 % und 2014 21,5 %.212 Auch hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied im Hinblick auf den Frauenanteil an den Kandidaten, die ohne oder mit paritätischen Vorgaben aufgestellt wurden. Dieser Unterschied spiegelte sich auch nach der Wahl wider. Im Ergebnis dürfte die gesetzliche Regelung die Chance von Frauen auf ein Mandat vor allem im Verhältniswahlsystem, auf das die Vorgaben anwendbar sind, deutlich verbessert haben. Auch auf den unteren Ebenen der staatlichen Gliederung Frankreichs machten sich die Wahlrechtsänderungen bemerkbar: So waren nach 11,9 % nach der Wahl 1992 und 27,5 % 1998 nach den Wahlen im Jahr 2004 47,6 %, 2010 48,0 % sowie 2015 47,9 % der Vertreter in den Regionalversammlungen weiblich.213 Hier wirkte sich die bereits für die Wahl 2004 geltende Vorgabe streng paritätischer Kandidatenlisten unmittelbar aus.

207 http://www.assemblee-nationale.fr/elections/femmes-deputees.asp (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 208 Vgl. dazu Sineau in ihrer Fallstudie zu Frankreich in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 78. 209 Vgl. dazu Sineau in ihrer Fallstudie zu Frankreich in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 79 f. m. w. N. 210 Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Parité en politique: entre progrès et stagnations, 2015, S. 88 f. 211 Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Parité en politique: entre ­progrès et stagnations, 2015, S. 83; https://www.senat.fr/senateurs/femsen.html (letzter Zugriff: 10. 08. 2021). 212 Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Parité en politique: entre progrès et stagnations, 2015, S. 85, 136. 213 Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Quel partage du pouvoir entre les femmes et les hommes élu.e.s au niveau local?, 2017, S. 36.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

In die Departementversammlungen wurde 2004 ein Anteil von 10,9 % Frauen und 2011 ein solcher von 13,8 % gewählt. Nach der Wahl 2015, auf die erstmals das Erfordernis gemischtgeschlechtlicher Kandidatenpaare Anwendung fand, betrug dieser Anteil 50,1 %.214 Auf kommunaler Ebene wurden 2008 43,9 % und 2014 40,3 % Frauen in die Gemeinde-/Stadträte gewählt, während es 1995 21,7 % waren. Dabei lag der Frauenanteil in den Gemeinden, auf die das Paritätsgesetz Anwendung findet (s. o.), bei den Wahlen 2014 mit 48,2 % deutlich über dem von 34,9 % der Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnern, in denen das Gesetz nicht anzuwenden ist.215 Bei dieser Wahl entsprachen sich die Anteile der Frauen an den Kandidaten und den Gewählten in beiden Gemeindekategorien jeweils relativ genau.216 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Zahl der gewählten Frauen besonders auf kommunaler und regionaler Ebene zügig auf ein hohes Niveau anstieg. Dies beruht vermutlich vor allem auf der effektiven Durchsetzung der Vorgaben zur Parität durch die Möglichkeit, Kandidatenvorschläge bei fehlender Einhaltung der Vorgaben zurückzuweisen. Hinzukommen dürfte, dass dort das Verhältniswahlrecht gilt, auf das alternierende Vorgaben leichter anzuwenden sind bzw. dass auf der Departementebene die Direktwahl auf gemischtgeschlechtliche Kandidatenpaare umgestellt wurde.217 Demgegenüber erwiesen sich die an die Geschlechteranteile in der Nationalversammlung anknüpfenden finanziellen Sanktionen offensichtlich als nicht ausreichend. Erst durch deren betragsmäßige Erhöhung nahm der Anteil weiblicher Abgeordneten deutlicher zu. Am Beispiel der französischen Regelungen und deren Auswirkungen zeigen sich folglich einerseits die Abhängigkeit geschlechtsbezogener Regelungen vom jeweiligen Wahlsystem und andererseits die Bedeutung effektiver Mechanismen zur Durchsetzung der verfolgten Ziele.

II. Belgien 1. Gesetzeslage In Belgien gilt für die Wahlen zum Repräsentantenhaus sowie zu den Vertretungen anderer Ebenen grundsätzlich das Verhältniswahlsystem.218 Zusätzlich besteht 214

Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Quel partage du pouvoir entre les femmes et les hommes élu.e.s au niveau local?, 2017, S. 25. 215 Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Parité en politique: entre progrès et stagnations, 2015, S. 23, 25. 216 Die Abweichung der Anteile betrug jeweils unter einem Prozentpunkt, vgl. Haut Conseil à l’Egalité entre les femmes et les hommes, Parité en politique: entre progrès et stagnations, 2015, S. 26. 217 So auch Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2013, S. 18. 218 Artikel 62 Absatz 2 Constitution, Artikel 144 Code électoral.

C. Parallele Regelungen im Ausland

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die Möglichkeit, Vorzugsstimmen zu vergeben, die sich jedoch nur auf eine Hälfte der zu verteilenden Mandate auswirken („halboffene Listen“).219 Um den Frauenanteil in den Parlamenten bzw. Vertretungen der jeweiligen Gebietsstufe zu erhöhen, entschied sich Belgien für einen stufenweisen Weg. Zunächst wurde 1994 ein ab 1999 anwendbares Gesetz220 verabschiedet, das am geltenden Verhältniswahlsystem ansetzte und auf den Listen der Parteien nicht mehr als zwei Drittel Kandidaten des gleichen Geschlechts zuließ. Die Änderungen erstreckten sich auf Wahlen der nationalen, regionalen, kommunalen und europäischen Ebene. Seit 2002221 gibt es für die Wahlen zum Repräsentantenhaus verschärfte Vorgaben für die Zusammensetzung der Kandidatenlisten sowie derjenigen der Ersatzkandidaten. So darf die Abweichung der Summe der Kandidaten des jeweiligen Geschlechts voneinander nicht mehr als eins betragen und die Kandidaten auf den ersten Plätzen müssen unterschiedlichen Geschlechts sein.222 Allerdings galt für die unmittelbar nachfolgenden Wahlen (2003) eine Übergangsregelung, nach der nur die ersten drei Kandidaten der jeweiligen Liste nicht einem Geschlecht angehören durften.223 Erstmals uneingeschränkt Anwendung fanden diese Regelungen bei den Wahlen 2007. Parallel hierzu und letztlich inhaltsgleich wurden 2002 auch die Regelungen für die Wahlen zu den Regionalparlamenten224 sowie zum Europaparlament225 geändert. Auf kommunaler Ebene bestehen inzwischen durchgängig ähnliche, teils

219

Vgl. die Fallstudie zu Belgien von Meier, in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 59 f. Für die Kommunal- und Provinzebene weicht die Auswirkung der Vorzugsstimme abhängig von der Region teilweise ab. 220 Loi du 24 mai 1994 – Loi visant à promouvoir une répartition équilibrée des hommes et des femmes sur les listes de candidatures aux élections. Nach Art. 16 fand es für die nationale Ebene auf die ersten Wahlen nach dem 01. 01. 1996 Anwendung, somit auf die Wahl im Jahr 1999; für die anderen Ebenen galt es erst ab 1999. Dabei lag bei der ersten Anwendung die Obergrenze für ein Geschlecht jeweils bei drei Vierteln. 221 Art. 2 Loi du 18 juillet 2002 assurant une présence égale des hommes et des femmes sur les listes de candidatures aux élections des Chambres législatives fédérales et du Conseil de la Communauté germanophone. 222 Artikel 117bis Code électoral. 223 Art. 5 des Gesetzes. 224 Loi spéciale 18 juillet 2002, assurant une présence égale des hommes et des femmes sur les listes de candidats aux élections du Conseil régional wallon, du Conseil flamand et du Conseil de la Région de Bruxelles-Capitale mit parallelen Übergangsvorschriften für die erste Wahl (2004) nach Inkrafttreten dieses Gesetzes. Für die Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde dies bereits in dem Gesetz mitgeregelt, das das Repräsentantenhaus betraf (s. o.). 225 Art. 2 Loi du 17 juin 2002 assurant une présence égale des hommes et des femmes sur les listes de candidats aux élections du Parlement européen. Für die nächste Wahl galt wiederum eine Übergangsregelung, Art. 3. Das Gesetz fand erstmals uneingeschränkt Anwendung auf die Wahlen 2009.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

verschärfte Regelungen: Für die Region Brüssel226 wurde 2012 genauso wie in Wallonien227 2013 eine alternierende Listenreihenfolge und damit strengere Parität bei den Kommunalwahlen eingeführt. In Flandern blieb es bei den Regelungen wie auf den höheren Gebietsstufen. Festhalten lässt sich also, dass in Belgien auf allen staatlichen Ebenen für die Wahlen zu den Parlamenten bzw. Vertretungen Anforderungen an die Kandidatenlisten mit dem Ziel eines größeren Anteils von Mandatsträgerinnen aufgestellt wurden. Entsprechen die Listen nicht diesen Vorgaben, haben die Wahlbehörden die Annahme zu verweigern.228 Auch in Belgien wurde 2002 zunächst die Verfassung geändert, bevor die Verschärfung der Vorgaben für die Kandidatenlisten beschlossen wurde. Einerseits wurde an Artikel 10, der die Gleichheit der Bürger regelt, ein dritter Absatz angefügt, der lautet: „Die Gleichheit von Frauen und Männern ist gewährleistet“.229 Andererseits wurde ein Artikel 11 bis eingefügt, nachdem gilt: „Das Gesetz […] gewährleistet Frauen und Männern die gleiche Ausübung ihrer Rechte und Freiheiten und fördert insbesondere ihren gleichen Zugang zu durch Wahl vergebenen Mandaten und öffentlichen Mandaten.“230 Darauf folgen in weiteren Absätzen Vorgaben für die Präsenz von Personen beiderlei Geschlechts in verschiedenen der Exekutive zuzurechnenden Organen. Zwar wurde die Verfassung erst nach Einführung der ersten einfachgesetzlichen Vorgaben für die Kandidatenaufstellung geändert. Letztere waren jedoch deutlich weniger streng bzw. einschränkend als ihre Nachfolger ausgestaltet. Vor allem aber ist Belgien von der Tradition geprägt, soziale Gruppen (wie z. B. die Sprachgruppen) anzuerkennen, sie als solche im gesellschaftlichen sowie politischen Prozess sichtbar werden zu lassen und sie in diesen zu integrieren. Dies dürfte auch die Beurteilung der Vorgaben für die Geschlechteranteile auf den Parteilisten für Wahlen beeinflusst haben.231 Die spätere Verfassungsänderung und insbesondere der Artikel 11bis deuten darauf hin, dass 226 In Brüssel galten nach dem 2005 in Kraft getretenen Art. 23 § 3 Code électoral communal bruxellois für die Kandidatenlisten die gleichen strengeren Vorgaben wie auf den anderen Gebietsstufen. 2012 wurden diese hin zu einer strengeren Parität geändert, sodass sich dort in Art. 23 § 9 Code électoral communal bruxellois (nF) mittlerweile die Vorgabe für die paritätisch zu besetzende Kandidatenliste findet. Diese Regelung fand erstmals auf die Kommunalwahlen 2018 Anwendung. 227 2013 wurde Art. L4142-7 Code de la démocratie locale et de la décentralisation (de la Wallonie) dahingehend geändert, dass erstmals für die Wahlen 2018 ebenfalls strenge Parität im Sinne einer alternierenden Reihenfolge gilt. 228 Artikel 119 quinquies Code électoral bzw. die parallelen Vorgaben der entsprechenden Gesetze für die Wahlen der anderen Gebietsstufen. 229 Modification à la Constitution 21 février 2002, im Original „L’égalité des femmes et des hommes est garantie.“ 230 Modification à la Constitution 21 février 2002, im Original „La loi, le décret ou la règle visée à l’article 134 garantissent aux femmes et aux hommes l’égal exercice de leurs droits et libertés, et favorisent notamment leur égal accès aux mandats électifs et publics.“ 231 Vgl. dazu Meier, in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 69 f.

C. Parallele Regelungen im Ausland

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man jedoch auch in diesem Land die Notwendigkeit sah, den verfassungsrechtlichen Boden für strengere einfachrechtliche Anforderungen für den Bereich der Kandidatenaufstellung zu bereiten. 2. Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen Diese Regelungen schlugen sich schnell in der Zusammensetzung der Parlamente und Vertretungen nieder: Im Repräsentantenhaus waren – noch ohne Paritätsregeln – nach der Wahl 1995 12 %232 weibliche Abgeordnete vertreten, während es – bei Anwendung der Neuregelungen – 23,3 % nach der Wahl 1999, 35,3 % nach der Wahl 2003 (Anwendung der verschärften Vorgaben) und 39,3 % nach der Wahl 2014 waren.233 In Folge der Wahl 2019 waren 42,0 % Frauen vertreten.234 In den Regionalparlamenten betrug der Anteil weiblicher Abgeordneten nach der Wahl 1995 durchschnittlich 17,8 %.235 Nachdem die Vorgaben für die Kandidatenlisten griffen, waren es nach der Wahl 1999 21,1 %, nach der im Jahr 2004 29,8 %, nach der 2014 42,0 % und nach der Wahl 2019 42,3 % Frauen unter den Abgeordneten.236 In den Kommunalvertretungen waren im Durchschnitt nach den Wahlen 2000, bei denen erstmals Vorgaben für die Kandidatenlisten galten (s. o.), in Flandern 27,4 %, in Wallonien 26,2 % und in Brüssel 36,9 % Frauen in den Stadträten vertreten. Nach der Wahl 2006 betrug der Frauenanteil in Flandern 34,4 %, in Wallonien 24,0 % und in Brüssel 40,4 %. 2018 erreichte der Anteil Frauen nach der Wahl in den Stadträten in Flandern 38,4 %, in Wallonien 38,4 % und in Brüssel 47,3 %.237 Unter den belgischen Abgeordneten für das Europaparlament waren ohne die Vorgaben für die Kandidatenlisten nach der Wahl 1994 32 %, nach der erstmals mit diesen Regelungen durchgeführten Wahl 1999 ebenfalls 32 %, nach der 2004 33,3 %, nach der im Jahr 2014 23,8 % und nach der Wahl 2019 38,1 % Frauen.238

232 Die folgenden Angaben entstammen Statistiken des belgischen Instituts für die Gleichstellung von Frauen und Männern, einer föderalen öffentlichen Einrichtung. Sie beziehen sich auf die tatsächlich ihr Mandat nach der Wahl antretenden Frauen. Diese Anteile können geringfügig von denen der gewählten weiblichen Kandidaten abweichen, da die Möglichkeit besteht, dass gewählte Kandidaten ihr Mandat nicht antreten oder in die Regierung wechseln und dann ein Nachfolger ihr Mandat einnimmt, der dann ggf. dem anderen Geschlecht zugehörig ist. 233 https://igvm-iefh.belgium.be/fr/activites/politique/chiffres (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 234 https://igvm-iefh.belgium.be/fr/activites/politique/chiffres (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 235 https://igvm-iefh.belgium.be/fr/activites/politique/chiffres (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 236 https://igvm-iefh.belgium.be/fr/activites/politique/chiffres (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 237 https://igvm-iefh.belgium.be/fr/activites/politique/chiffres (letzter Zugriff: 04. 05. 2021). 238 https://igvm-iefh.belgium.be/fr/activites/politique/chiffres (letzter Zugriff: 04. 05. 2021).

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Im Ergebnis zeigt sich eine deutliche Zunahme des Anteils weiblicher Abgeordneten bzw. Vertreter parallel zur Einführung und Verschärfung der Bestimmungen über die Besetzung der Kandidatenlisten. Es liegt nahe, die starken Zuwachsraten zumindest auch (neben weiteren Faktoren239) auf die gesetzlichen Regelungen zurückzuführen. Wichtig dürfte hierbei die Kombination aus Vorgaben für die Quote und für die ersten Plätze sowie ein zwingender Durchsetzungsmechanismus sein. Denn die Zunahme fiel vergleichbar deutlich wie in Frankreich aus, obwohl in Belgien keine strenge Parität für die Listen vorgegeben war. Dass die Zuwachsraten so kontinuierlich hoch waren, könnte damit zusammenhängen, dass die Regelungen stufenweise verschärft wurden und somit einerseits Zeit für die Gewinnung weiblicher Bewerber zur Verfügung stand und andererseits in den nominierenden Parteien240 sowie bei den Wählern langsam das Bewusstsein für das Ziel eines höheren Frauenanteils in diesen Organen wachsen konnte.

III. Irland Auch in Irland versuchte man mit einem Gesetz von 2012241, den Anteil weiblicher und männlicher Abgeordneten anzunähern. Gewählt wurde hierfür der Weg über die staatliche Parteienfinanzierung, die an die Ergebnisse der letzten Parlamentswahl anknüpft und die um 50 % gekürzt wird, sofern unter den Kandidaten einer Partei der Frauen- und Männeranteil nicht mindestens jeweils bei 30 % (in Zukunft sogar 40 %) liegt.242 Das Anliegen der Stärkung des Engaments und der Präsenz von Frauen in der Politik war immer wieder Thema der öffentlichen Diskussion sowie institutioneller Gremien, nicht zuletzt im Hinblick auf die Frage nach Gesetzes- oder Verfassungsänderungen. Während der 2012 eingesetzte Verfassungskonvent einen Verfassungszusatz zur Gleichheit der Geschlechter befürwortete, lehnte er eine durch die Verfassung statuierte Pflicht des Staates zur Förderung der Beteiligung von 239

Dazu Meier in ihrer Fallstudie zu Belgien in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 65 ff. 240 Meier weist in ihrer Fallstudie zu Belgien in: Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 68, darauf hin, dass mit den sich allmählich verschärfenden gesetzlichen Vorgaben auch die parteiinternen Maßnahmen vieler Parteien zur Förderung des politischen Engagements von Frauen intensiviert wurden und gar diesbezüglich ein Wettbewerb zwischen den Parteien stattgefunden habe. Dies habe sich fördernd auf die Bereitschaft zur Verschärfung der Wahlgesetze ausgewirkt. 241 Änderungsgesetz, Electoral (Amendment) (Political Funding) Act 2012, Nr. 36 of 2012, zum Wahlgesetz, Electoral Act, 1997, Nr. 25 of 1997. Es entfaltete erstmals bei der Wahl 2016 Wirkung. 242 Artikel 42 des Änderungsgesetzes, Electoral (Amendment) (Political Funding) Act 2012, Nr. 36 of 2012, zum Wahlgesetz. Dieser trat am 27. 09. 2012 in Kraft, vgl. S. I. No. 368/2012 – Electoral (Amendment) (Political Funding) Act 2012 (Commencement) Order 2012.

D. Zwischenfazit

73

Frauen in der Politik und im öffentlichen Leben knapp ab.243 Der Abschlussbericht der 2019 eingesetzten Bürgerversammlung zum Themenbereich der Gleichheit der Geschlechter sprach sich u. a. für eine Ausweitung der Geschlechterquoten für Kandidaten auf Wahlen anderer staatlicher Ebenen sowie eine Anhebung der Quote auf 40 % aus.244 Diesbezügliche Verfassungsänderungen gab es bisher nicht; der politische Prozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Der Anteil ins irische Unterhaus gewählter Frauen stieg kontinuierlich an: Bei der Wahl im Jahre 1981 waren es 7 %, bei der Wahl 1992 wurden 12 % Frauen in das Unterhaus gewählt.245 Bei der Wahl 2011 betrug der Anteil weiblicher Kandidaten 15,2 % und der Anteil später gewählter Frauen betrug ebenfalls 15,2 %.246 Für die Wahl des Unterhauses 2016, auf die die Regelung erstmals Anwendung fand, kandidierten 30 % Frauen (alle Parteien hielten den Mindestanteil ein) und wurden 22 % Frauen gewählt.247 Bei der Wahl 2020 kandidierten 31 % Frauen und 23 % wurden gewählt.248 Für Feststellungen zu langfristigen Effekten ist es noch zu früh. Allerdings sind die beschlossenen Änderungen umso bemerkenswerter, als Irland ein im europäischen Vergleich eher konservativ geprägtes Land ist, insbesondere auch in Bezug auf das Rollenverständnis zwischen den Geschlechtern. Der dort eingeschlagene, zurückhaltendere Weg einer schrittweisen Erhöhung der Vorgaben ähnlich wie in Belgien sowie der Ansatz an der Finanzierung könnte sich daher als zielführend sowohl für die Erhöhung des Anteils weiblicher Abgeordneten selbst als auch für einen begleitenden Mentalitätswandel erweisen.

D. Zwischenfazit Die Betrachtung der bisherigen Entwicklung der Anteile weiblicher Abgeordneten in den Parlamenten von Bund und Ländern sowie den kommunalen Vertretungen, der Vergleich verschiedener parteiinterner Vorgaben sowie ein Blick auf die Situationen in anderen europäischen Ländern hat Folgendes gezeigt:

243 Vgl. Second Report of the Convention of the Constitution, May 2013, Nr. 2.2; https:// www.citizensinformation.ie/en/government_in_ireland/irish_constitution_1/constitutional_ convention.html (letzter Zugriff: 10. 08. 2021). 244 Vgl. Report of the Citizens’ Assembly on Gender Equality, June 2021, Recommendation 20. 245 Houses of the Oireachtas, Women in Parliament, 2017. 246 Houses of the Oireachtas, 31st Dáil General Election February, 2011 – Election Results and Transfer of Votes, 2011, S. 84. 247 Houses of the Oireachtas, 32nd Dáil General Election 26 February 2016 – Election Results, 2016, S. 81. 248 Houses of the Oireachtas, 33rd Dáil General Election 8 February 2020 – Election Results, 2020, S. 83.

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Kap. 2: Hintergründe einer paritätischen Besetzung von Parlamenten

Obwohl in Deutschland keine quotalen oder paritätischen gesetzlichen Vorgaben bestehen, ist der Anteil weiblicher Kandidaten und Mandatsträger seit den 1980erJahren gestiegen. Seit etwa der Jahrtausendwende verringerte sich die Zuwachsrate jedoch bzw. stagnierte ganz. Aktuell liegt der Anteil zwischen 30 und 40 %, auf kommunaler Ebene und in einigen Landesparlamenten darunter. Dabei lassen sich Unterschiede abhängig von der Zugehörigkeit zur Bundes-, Landes- (hier auch zwischen Stadt- und Flächenstaaten) und Kommunalebene erkennen; letztere nimmt teilweise eine Sonderrolle ein. Auch die Differenzierung nach der Art des Wahlsystems offenbart größere Unterschiede im Hinblick auf den Frauenanteil an Kandidaten und Gewählten. Angesichts geringerer Frauenanteile an den Kandidaten, die zudem seit längerem unter den Anteilen weiblicher Abgeordneten liegen, zeigt sich generell die zentrale Bedeutung der Kandidatenaufstellung im Hinblick auf die Anteile der Geschlechter im Parlament bzw. der kommunalen Vertretung. Die Parteien verfolgen das Ziel einer höheren Beteiligung von Frauen mit unterschiedlichem Nachdruck. Während einige Parteien feste Geschlechter- bzw. reine Frauenquoten für die Kandidatenaufstellung vorsehen, gibt es bei anderen Parteien nur offenere oder überhaupt keine Vorgaben. Damit einher gehen unterschiedlich hohe Erfolgsquoten von Frauen. Allerdings dürften parteiinterne feste Vorgaben nicht an sich und nicht allein der Grund für einen hohen Frauenanteil sein. Dieser hängt vermutlich auch mit dem programmatischen Verständnis der Partei und ihrer Mitglieder zusammen, dessen Ausdruck nicht zuletzt die Quotenvorgaben sind und das sich im Auswahlprozess der Kandidaten widerspiegelt. Die als Begründung der Forderung nach einer zwingend quotalen bzw. paritätischen Kandidatenaufstellung angeführten schlechteren Chancen von Frauen gegenüber Männern lassen sich jedenfalls in Bezug auf die Listenmandate – dem Anwendungsbereich eines Paritätsgesetzes – mit den untersuchten Zahlen nicht belegen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Chance, überhaupt nominiert zu werden, als auch in Bezug auf die Chance einer aussichtsreichen Kandidatur. Darauf deutet zunächst allgemein und parteiübergreifend der auf Bundes- und Länderebene seit vielen Wahlen im Vergleich zum Anteil nominierter Frauen höhere Anteil gewählter Frauen hin. Darüber hinaus zeigt dies auch der Blick auf die jeweils parteibezogenen Zahlen. Auch wenn zwischen den Parteien Unterschiede bestehen, spricht der Vergleich der Anteile von Frauen an den Parteimitgliedern mit denen an den Kandidaturen sowie den Abgeordneten tendenziell sogar für eher bessere Chancen der Frauen. Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Frauen in den Parlamenten müssten folglich einen Schritt früher ansetzen.249 Für die Direktmandate fallen diese Erkenntnisse teilweise anders aus, allerdings ist die Aussagekraft der gezogenen Vergleiche hierfür deutlich geringer. Der Blick auf die gesetzlichen Regelungen im Ausland zeigt, dass das gleiche Ziel mit unterschiedlichen Regelungsmodellen verschiedener Intensität erreicht 249

Siehe unten S. 169 f.

D. Zwischenfazit

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werden kann. Trotz vieler Einflussfaktoren und der daher gebotenen Zurückhaltung im Hinblick auf allgemeingültige Kausalitäten lässt sich feststellen, dass in erster Linie die Rahmenbedingungen des konkreten Wahlsystems für einen erfolgreichen Ansatz gesetzlicher Vorgaben maßgeblich sind.250 So sind beispielsweise in einem Verhältniswahlsystem die unterschiedlichen Erfolgsaussichten von Listenplätzen zu beachten und deshalb quotale Vorgaben mit solchen zur Reihenfolge zu kombinieren. Von besonderer Bedeutung ist auch ein wirksamer Durchsetzungsmechanismus. Das Beispiel der Wahlen zur französischen Nationalversammlung deutet darauf hin, dass finanzielle Sanktionen erst ab einer erheblichen Größenordnung Wirkung zeigen. Als effektiver erweist sich dagegen eine Befugnis der Wahlbehörde, unzureichende Kandidatenlisten zurückzuweisen und somit bei der Aufstellung Vorwirkung zu erzeugen. Hervorzuheben ist, dass sowohl in Frankreich als auch in Belgien die gesetzlichen Vorgaben für die Parteien bei der Kandidatenaufstellung von Verfassungsänderungen begleitet wurden bzw. die Verfassungsänderungen Voraussetzung für die verfassungskonforme Einführung der Regelungen waren. Im Mittelpunkt der Änderungen stand insbesondere die ausdrückliche Ergänzung des Anwendungsbereichs der besonderen, auf die Gleichheit zwischen den Geschlechtern bezogenen Gewährleistungen auf die Wahl für öffentliche Mandate. Die bisherigen Gleichheitsgewährleistungen allein wurden nicht als ausreichend erachtet, die Einschränkung des Grundsatzes demokratischer Gleichheit im Rahmen der Wahl zu rechtfertigen. Auch wenn dies für eine Untersuchung im Lichte des Grundgesetzes nicht direkt maßgeblich ist, kommt diesen aus dem Rechtsvergleich gewonnenen Erkenntnissen eine gewisse Indizfunktion auch für die nationale Beurteilung zu. Denn der zugrunde liegende Grundsatz von der demokratischen Gleichheit der Bürger251 hat seine Wurzeln in einer gemeinsamen europäischen Verfassungstradition, auf der auch das Grundgesetz aufbaut.

250

So auch Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 45 ff. 251 Dazu unten S. 116 ff.

Kapitel 3

Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes A. Ausgangsbefund Ein Paritätsgesetz des Bundes könnte seine Wirkungen nur im normativen Umfeld des Wahlsystems entfalten, in das es einzufügen wäre. Eine verfassungsrechtliche Beurteilung eines Paritätsgesetzes sowie seiner Wirkungen erfordert daher zunächst einen Blick auf die maßgeblichen Elemente des geltenden Wahlrechts und insbesondere seine Regelungen zur Kandidatenaufstellung.

I. Grundentscheidungen des deutschen Bundestagswahlrechts 1. Kombination zweier Wahlsysteme Das geltende Bundestagswahlsystem1 verbindet die Vorzüge von Mehrheitsund Verhältniswahlsystem (§ 1 Absatz  1 Satz  2  aE, §§ 5 und 6 BWahlG).2 Das Element der (relativen3) Mehrheitswahl lässt die in jedem Wahlkreis mit der Erststimme gewählten Kandidaten als Persönlichkeit in den Vordergrund treten und soll so eine engere Verbindung zwischen den Wählern dieses Wahlkreises und dem gewählten Abgeordneten ermöglichen. Das Element der Verhältniswahl soll den in der Bevölkerung vertretenen (partei-)politischen Richtungen angemessen Ausdruck verleihen, indem sich ihr Verhältnis über die Stimmen­anteile der Parteien an den Zweitstimmen im Parlament abbildet.4 Auf diese Weise sollen die relativen Mehrheitsverhältnisse im gesamten Wahlgebiet genauer erfasst, aber auch Minderheiten effektiver beteiligt werden, als dies im Mehrheitswahlsystem möglich wäre. Bei dieser Kombination werden indes nicht zwei Hälften des Bundestages separat5 gewählt. Um zu einer spiegelbildlichen Abbildung im gesamten Parlament zu gelangen, entscheiden die im Wege der Verhältniswahl gewonnenen Ergebnisse auch über dessen Gesamtzusammensetzung6 1

In vielen Bundesländern besteht eine ähnliche Kombination, z. B. für Brandenburg geregelt in § 1 Abs. 1 S. 2, §§ 2 und 3 BbgLWahlG, für Thüringen in § 1 Abs. 2, §§ 4 und 5 ThürLWG. 2 Vgl. dazu auch BVerfGE 95, 335 (352 f.); Strelen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 1, Rn. 113 ff. 3 § 5 S. 2 BWahlG. 4 Zur Spiegelbildlichkeit BVerfGE 1, 208 (244); 95, 335 (352); Strelen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 1, Rn. 115. 5 Sog. „Grabensystem“, vgl. BVerfGE 95, 335 (354); 121, 266 (296 f.). 6 Technisch geschieht dies im Wege einer Anrechnung der Direktmandate auf das Zweitstimmenergebnis bei Fortbestehen sog. Überhangmandate (§ 6 Abs. 4 S. 2 BWahlG) und ergänzender Zuweisung sog. Ausgleichsmandate (§ 6 Abs. 5 BWahlG).

A. Ausgangsbefund

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(§ 6 Absatz 2 bis 7 BWahlG).7 Insgesamt handelt es sich um eine mit Elementen der Mehrheitswahl „angereicherte“8 Verhältniswahl (§ 1 Absatz 1 Satz 2 BWahlG aE).9 2. Verhältniswahlsystem mit starren Listen Die nach den Regeln der Verhältniswahl zu beurteilende Zweitstimme gilt vor diesem Hintergrund Wahllisten der Parteien (§ 4 Halbsatz 2 BWahlG) und nicht Einzelkandidaten. Der Wähler kann dabei weder die für eine Partei als Kandidaten antretenden Personen noch ihre Reihenfolge verändern (vgl. § 34 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2  BWahlG).10 Die dem Wähler von den Parteien vorgebenen Listen werden deshalb auch als „gebundene“ bzw. „starre“ Listen11 bezeichnet. Ihre feste Reihenfolge dient einerseits der Bestimmung der konkret gewählten Abgeordneten (§ 6 Absatz 6 Satz 6 BWahlG), andererseits der Ermittlung etwaiger Nachrücker im Falle des Ausscheidens gewählter Abgeordneten (§ 48 Absatz 1 BWahlG). Anders als im Wahlrecht einiger Bundesländer12 sind damit auf Bundesebene die alternativ möglichen und immer wieder geforderten13 „lose gebundenen“ bzw. 7

Deshalb sieht Meyer, § 45 Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005 Rn. 31, 36 es wohl kritisch, überhaupt noch von (Elementen der) Mehrheitswahl zu sprechen, weil deren Charakteristikum einer stabilen Mehrheitsbildung durch die Anrechnung auf die mittels Verhältniswahlsystem ermittelten Anteile der Parteien an den Gesamtstimmen verloren ginge und lediglich die Persönlichkeitswahl bleibe. Dies habe der Gesetzgeber auch gesehen und deshalb bewusst den Begriff der „personalisierten“ Verhältniswahl in § 1 Abs. 2 BWahlG verwendet, vgl. Fn. 76 ebd. 8 Strelen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 1, Rn. 114. 9 Vgl. BVerfGE 3, 383 (395); 6, 84 (90, 95 f.); 13, 127 (129); 95, 335 (358); Jesse, Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 70; Strelen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 1, Rn. 113; Meyer, § 46 Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 75, 79. 10 Dies gilt gleichermaßen für das Landtagswahlrecht der Länder mit der Ausnahme von Baden-Württemberg, das nur eine, den Wahlkreiskandidaten geltende Stimme kennt (siehe oben S. 45 f.), sowie den Bundesländern Bayern, Bremen und Hamburg, die begrenzt offene Listen haben, s. sogleich. Vgl. z. B. § 1 Abs. 2 HS 2, § 36 Abs. 2 Nr. 2 BbgLWahlG, § 3 HS 2, § 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ThürLWG. Das Saarland kennt ebenfalls nur eine Stimme, diese gilt jedoch starren Listen, vgl. § 10 Abs. 1 LWG Saarland. 11 Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 12. 12 In Bayern kann mit der Zweitstimme nicht nur die Liste einer Partei, sondern auch der einzelne Listenkandidat (Einzelbewerbungen sind nicht möglich) präferiert gewählt werden (Art. 36, 38, 40 Abs. 2 BayLWG). In Bremen sind fünf Stimmen zu vergeben, die im gesamten (kumuliert) oder aufgeteilt (panaschiert) einem einzelnen Listenkandidaten (Einzelbewerbungen sind nicht möglich) oder einer Wahlvorschlagsliste gegeben werden können (§ 6 BremWahlG). In Hamburg sind zehn Stimmen zu vergeben, davon fünf in Mehrmandatswahlkreisen und fünf auf Landeslisten. Jeweils können die Stimmen im gesamten (kumuliert) oder aufgeteilt (panaschiert) einzelnen Kandidaten (Einzelbewerbungen sind auf Wahlkreisebene möglich) oder (bei den Landeslisten) einer oder mehreren Wahlvorschlagsliste(n) gegeben werden (§ 3 HmbgBüWG). 13 Diese wurden bereits 1976 im Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Einführung empfohlen, BT-Drs. 7/5924, S. 11, 18 ff. und teilweise als vorzugswürdig

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

„begrenzt offenen Listen“, bei denen der Wähler die Reihenfolge der Kandidaten ändern kann (etwa durch die Veränderung der Reihenfolge14 oder die Vergabe von Präferenzstimmen), nicht vorgesehen.15 Auch eine Wählbarkeit von Kandidaten verschiedener Listen (Panaschieren)16 oder ein Kumulieren von Stimmen17 wären denkbar. Dass das Wahlrecht starre Listen vorsieht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,18 da der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlsystems einen weiten Spielraum hat19, der sich sowohl auf grundlegende Systementscheidungen als auch auf technische Details erstreckt. Solange die Reihenfolge der Kandidaten ab dem Zeitpunkt der Wahl nicht mehr geändert werden kann und somit die erfolgreichen Plätze ausschließlich vom Willen der Wähler abhängen, ist der Unmittelbarkeitsgrundsatz aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG gewahrt.20 Auch Freiheit und Gleichheit der Wahl sind nicht verletzt.21 Insbesondere benachteiligt ein weniger aussichtsreicher Listenplatz den betroffenen Kandidaten nicht ohne rechtfertigenden Grund. Denn eine Kandidatur ist stets nur unter den Bedingungen des Wahlrechts möglich, dessen abstrakt freiheits- und gleichheitsgerechte Modalitäten das passive Wahlrecht erst ausgestalten. Jeder Bewerber stellt sich folglich in Kenntnis der im Wahlrecht vorgesehenen starren Listen sowie des parteiinternen

befürwortet, vgl. Schmitt Gläser, DÖV, 1977, 544, 546; von Arnim, JZ 12, 2002, 578, 587 f. Closa Montero, Rapport sur le Mandat impératif et les pratiques similaires, 2009, Rn. 19, sieht das Listenwahlsystem mit starren Listen auch als überprüfungsbedürftig an. Dagegen für die Beibehaltung starrer Listen Henkel, Die Auswahl der Parlamentsbewerber, 1976, S. 41 ff., 64. 14 So z. B. in Irland, wo nach dem System der übertragbaren Einzelstimmgebung (single transferable vote)  dergestalt gewählt wird, dass die in alphabetischer Reihenfolge auf dem Stimmzettel aufgeführten Kandidaten in die präferierte Reihenfolge durch Vergabe von Nummern gebracht werden können, vgl. Art. 37, Electoral Act 1992, Nr. 23 of 1992. 15 Dazu Schlussbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform des BT, BT-Drs. 7/5924, S. 17 ff.; Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 13 m. w. N. Argumente zusammengefasst bei Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 2002, S.§ 27 Rn. 13. 16 So etwa in der Schweiz für den Nationalrat, Art. 35 Bundesgesetz über die politischen Rechte, oder in einigen deutschen Bundesländern für die Kommunalebene, vgl. z. B. § 26 Abs. 2 GemO i. V. m. § 19 Abs. 2 KomWG Baden-Württemberg. 17 Vgl. beispielhaft § 26 Abs. 2 S. 4 GemO BW, § 18 Abs. 1 Nr. 3 HessKWG oder § 43 Abs. 3 S. 1 BbgKWahlG. 18 BVerfGE 7, 63 (67 ff.); 21, 355 (355 f.); 47, 253 (283). Gleichwohl werden begrenzte Öffnungen der Listen und erweiterte Partizipationsmöglichkeiten bei der Kandidatenaufstellung befürwortet, vgl. statt vieler Pünder, VVDStRL 72 (2003), 191, 226 ff. Deutlich kritischer zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit starrer Listen von Arnim, JZ 12, 2002, 578, 582 ff. 19 BVerfGE 3, 19 (24 f.); 59, 119 (124 f.); 95, 335 (349 ff.). 20 Vgl. auch BVerfGE 3, 45 (49 ff.); 7, 63 (69); 21, 355 (355 f.). 21 BVerfGE 7, 63 (69 ff.); 47, 253 (283); BVerfG B. v. 31. 01. 2012 – 2 BvC 11/11 Rn. 12; WahlPrE v. 09. 09. 1999 in Bt-Drs. 14/1560, Anl. 61 und 71. Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 4, 12.

A. Ausgangsbefund

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Verfahrens der Kandidatenauswahl zur Wahl, die ihm eine rechtlich gleiche Erfolgschance auf einen günstigen Listenplatz vermitteln.22

II. Das Verfahren der Kandidatenaufstellung 1. Aufstellung der Kandidaten für die Direktmandate Ein Kandidat für ein Direktmandat kann als Wahlvorschlag sowohl durch wahlberechtigte Bürger als auch durch Parteien aufgestellt werden. Ein Vorschlag aus den Reihen der Wahlbürger ist nach § 20 Absatz 3 BWahlG von mindestens 200 Wahlberechtigten zu unterzeichnen, die nicht jeder für sich, sondern in ihrer Gesamtheit Wahlvorschlagsträger sind.23 Für Wahlkreisvorschläge von Parteien enthält das BWahlG lediglich Rahmenvoraussetzungen, die nicht über Beschluss oder Satzung abdingbar sind24: § 21 Absatz  1 Satz  1 fordert eine Wahl des Kandidaten auf einer Mitglieder-25 oder besonderen26 bzw. allgemeinen27 Vertreterversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers. Nach Absatz 3 findet die Wahl eines Wahlkreisbewerbers geheim nach einer Selbstvorstellung der Kandidaten statt, wobei jeder stimmberechtigte Versammlungsteilnehmer vorschlagsberechtigt ist. Es bedarf also einer Wahl im eigentlichen Wortsinne28 durch das gesetzlich vorgesehene Kreationsorgan. Die Beachtung dieser Anforderungen ist durch eine beim Kreiswahlleiter einzu 22

Vgl. auch BVerfGE 7, 63 (70 f.). Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 45. Diese Mindestanzahl an Unterstützern soll die Ernsthaftigkeit des Wahlvorschlages gewährleisten. Sie begründet eine Vermutung, dass eine Gruppe Wahlberechtigter den Kandidaten unterstützt und seine Erfolgsaussichten folglich nicht offensichtlich gering sind. Die Regelung soll zugleich eine Stimmenzersplitterung vermeiden helfen und damit bereits im Vorfeld der Wahl deren Funktion als Integrationsvorgang absichern, vgl. BVerfGE 4, 375 (381 f.); 12, 135 (137); 41, 399 (421); 82, 353 (364); Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 20, Rn. 11. 24 Boehl, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 21, Rn. 10, 27; Morlok, NomosK Parteiengesetz, 2013, § 17, Rn. 1. 25 Nach S. 2 besteht diese aus allen wahlberechtigten Parteimitgliedern des entsprechenden Wahlkreises. 26 Nach S. 3 besteht diese aus Vertretern, die von einer Mitgliederversammlung aus sich heraus gewählt wurden. 27 Nach S. 4 ist diese ebenfalls eine aus von der Mitgliederversammlung gewählten Mitgliedern bestehende Versammlung, die jedoch anders als die besondere satzungsgemäß allgemein für bevorstehende Wahlen gewählt wurde. Wie die besondere stellt die allgemeine Vertreterversammlung eine Zwischenwahlinstanz dar, während bei der Wahl durch die Mitgliederversammlung der Kandidat direkt von allen Parteimitgliedern gewählt werden kann. Dazu ausführlich Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 40 ff. 28 Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 194. 23

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

reichende Niederschrift zu dokumentieren und durch eine ihm gegenüber abzugebende Versicherung an Eides statt zu bestätigen. Alles Weitere bleibt den Parteien zur Regelung in ihrer Satzung anheimgestellt (§ 21 Absatz 5 BWahlG, § 17 Satz 2 PartG). Im Übrigen bestehen weder inhaltliche noch sonstige formelle gesetzlichen Vorgaben für das Zustandekommen der Wahlkreisvorschläge einer Partei. Insbesondere ist nicht geregelt, welche Stellen bzw. Organe der Parteien im Vorfeld der Versammlung für diese Vorschläge zuständig sind. Gerade diese Vorauswahl beeinflusst jedoch die Kandidatenaufstellung und damit mittelbar die Mandats­ erlangung maßgeblich. Denn auch wenn alle stimmberechtigten Teilnehmer einer Wahlversammlung ein eigenes Vorschlagsrecht haben, ist dessen Ausübung praktisch deutlich schwieriger und hat i. d. R. reagierenden Charakter. Demgegenüber kommt die primär agierende Rolle derjenigen Stelle zu, die initiativ einen Vorschlag einbringen kann, der dann Grundlage des Diskussions- bzw. Abstimmungsprozesses in der Versammlung ist.29 Diese Stelle hat folglich auch großen Einfluss auf die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von bestimmten Eigenschaften oder Merkmalen der vorgeschlagenen Bewerber.30 Der für die Kandidatur im Wahlkreis vorgeschlagene Kandidat muss die Wählbarkeitsvoraussetzungen nach § 15 BWahlG erfüllen (Deutscher i. S. d. Artikel 116 Absatz 1 GG, mindestens 18 Jahre alt, kein Wählbarkeitshindernis), aber keinen besonderen Bezug zum Wahlgebiet oder -kreis haben, also insbesondere dort nicht seinen Wohnsitz haben.31 Lediglich eine zeitgleiche Kandidatur in verschiedenen Wahlkreisen sowie eine Kandidatur in mehreren Wahlvorschlägen desselben Wahlkreises wird über § 20 Absatz 1 Satz 2 BWahlG untersagt. Anders liegt dies bei den Wahlvorschlagsträgern: Nach § 20 Absatz 3 BWahlG müssen die die Kandidatur stützenden Bürger im betreffenden Wahlkreis wahlberechtigt sein. Sind die Parteien Wahlvorschlagsträger, knüpfen die mit der Aufstellung von Kandidaten zusammenhängenden Rechte und Pflichten an die Parteieigenschaft an. Deshalb ist diese vor der Wahl festzustellen (vgl. § 18 Absätze 2 bis 4a BWahlG).

29

Dazu Boehl, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 21, Rn. 3. Deshalb sehen Befürworter eines Paritätsgesetzes im Aufstellungsprozess die größte (strukturelle) Gefahr für die Chancengleichheit von Frauen und deshalb die Notwendigkeit, den Parteien inhaltliche Vorgaben zu machen. Siehe oben S. 21 ff. 31 Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 20, Rn. 1. 30

A. Ausgangsbefund

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2. Aufstellung der Kandidaten für Listenmandate Das Vorschlagsrecht für die mittels Zweitstimme im Verhältniswahlsystem gewählten Landeslisten steht gemäß § 27 Absatz 1 Satz 1 BWahlG ausschließlich Parteien zu (sog. Listenprivileg32), nicht auch einzelnen Bürgern.33 Dies soll gewährleisten, dass die auf der Liste platzierten und nur in ihrer Gesamtheit wählbaren Kandidaten ein inhaltlich übereinstimmendes politisches Programm vertreten, was sie für den Wähler hinter die Partei und ihr Programm zurücktreten lässt.34 An den Aufstellungsprozess für die Landesliste werden über den Verweis in § 27 Absatz 5 auf § 21 Absatz 1 und 3 BWahlG die gleichen Mindestvoraussetzungen wie an die Aufstellung der Wahlkreiskandidaten gestellt, d. h. insbesondere eine Wahl auf einer Mitglieder- oder Vertreterversammlung,35 wobei sich die Wahlberechtigung ihrer Mitglieder auf das Land bezieht, für das die Liste aufgestellt wird. Besonderes Augenmerk muss bei diesem Aufstellungsverfahren auf der von der Partei beschlossenen Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste liegen. Die Landesliste muss die Reihenfolge bei ihrer Einreichung nach § 27 Absatz 3 BWahlG klar erkennen lassen und kann nach der Zulassung durch den Landeswahlausschuss nicht mehr geändert werden (§ 27 Absatz 5, § 24 Satz 3 BWahlG). Ohne eine solche Bindung der Partei an die Reihenfolge der Liste wäre der in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG niedergelegte Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verletzt, da sich die Entscheidung der Wähler nicht ohne eine Zwischeninstanz, die den 32

Morlok / Merten, DÖV, 2011, 125, 127. Dieser Ausschluss einzelner Bürger vom Listenvorschlagsrecht wird aus verfassungsrechtlicher Sicht insofern als gerechtfertigt angesehen, als einer Gruppe von Bürgern, die eine ausreichende Größe sowie Organisationsgrad zur Aufstellung einer solchen Landesliste aufweist, dieses Recht durch Gründung einer Partei offensteht. Das Anknüpfen an die Parteieigenschaft hat darüber hinaus den Vorteil, dass damit neben erhöhter Klarheit für den Bürger bzw. Wähler auch einer Umgehung der mit der Parteieigenschaft zusammenhängenden weiteren Pflichten (wie z. B. Rechenschaftspflichten nach § 23 PartG) vorgebeugt wird. Insofern wird über die Reservierung des Listenvorschlagsrechts für Parteien diesen als Gruppe gleichgerichteter Interessensvertreter einerseits im formalisierten Teil des demokratischen Willensbildungsprozesses eine exklusive Stellung eingeräumt, andererseits über diese rechtliche Solitärstellung in der praktischen Umsetzung zu gewährleisten versucht, dass die an den Parteistatus geknüpften Pflichten oder rechtlichen Folgen eingehalten werden. Vgl. dazu Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 2; Henkel, Die Auswahl der Parlamentsbewerber, 1976, S. 39; gegen die Zulässigkeit des Listenprivilegs Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 96, 362. Allgemein BVerfGE 5, 77 (82 f.); 46, 196 (199). 34 Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 34; Hahlen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 27, Rn. 1 f.; ähnlich Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 1 f. Vgl. auch Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Anh. z. Art. 38, Rn. 71, 46. 35 Wobei angesichts der Größe der Landesverbände aus praktischen Gründen – anders als bei der Aufstellung der Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen – eine Vertreterversammlung viel eher zum Zuge kommen dürfte als eine Mitgliederversammlung. Vgl. dazu auch Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 374. 33

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

Wählerwillen nachträglich ändern könnte, in der Zusammensetzung des Parlaments widerspiegelte.36 Die Bürger wählen nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG die (konkreten) Abgeordneten und gerade nicht die Parteien bzw. beliebige, von der konkreten Persönlichkeit unabhängige Parteivertreter. Der Einfluss der Partei auf die Kandidatenauswahl muss daher vor der Wahl enden. Gleichzeitig steht dann mit der Wahl fest, welche Persönlichkeit nach Ermittlung der auf die Partei entfallenden Sitzanzahl gewählt ist.37 Nur dann ist die Wahl auf den Willen der Bürger zurückzuführen, genügt dem Unmittelbarkeitsgrundsatz und erfüllt auf diese Weise ihre legitimationsvermittelnde Funktion, die innerer Grund38 ihrer Existenz ist. Aufgrund dieser hervorgehobenen Bedeutung der Listenreihenfolge erstreckt sich das verbindliche Erfordernis der geheimen Wahl aus § 27 Absatz 5, § 21 Absatz 3 Satz 1 BWahlG auch auf sie.39 Dies folgt nicht zuletzt aus § 27 Absatz 5 aE BWahlG, der den Bezugspunkt der nach § 21 Absatz 6 Satz 2 BWahlG abzugebenden eidesstattlichen Erklärung auf die geheime Festlegung der Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste erweitert. Darüber hinaus sind dem Gesetz keine Anforderungen an das Aufstellungsverfahren zu entnehmen. Es überlässt alle weiteren Details (wie z. B. die erforderliche Mehrheit40) der Regelung durch die Parteien mittels Satzung (§ 27 Absatz 5, § 21 Absatz 5 BWahlG). Wie bei der Aufstellung der Wahlkreiskandidaten haben die zuständigen Parteigremien auch hier über das initiative Vorschlagsrecht größere Einflussmöglichkeiten auf das Nominierungsverfahren und damit auch auf die Auswahlkriterien als einzelne Mitglieder der Wahlversammlung. Dieser Einfluss erstreckt sich sowohl auf die Auswahl der Kandidaten als auch auf deren so entscheidende Reihenfolge. Er ist vermutlich zudem größer als bei der Aufstellung der Wahlkreiskandidaten, weil die Landeslisten auf einer höheren Gebietsstufe der Partei zustande kommen. Dabei sind deutlich mehr Mitglieder sowie sachlich und personell professioneller organisierte Parteigremien beteiligt, sodass der Einfluss des formal vorschlagsberechtigten einzelnen Mitglieds faktisch sinken und der der Parteiführung steigen dürfte. Hinzukommen dürfte, dass die vorderen Listenplätze oftmals als „Absicherung“ für aus Parteisicht wichtige Kandidaten dienen, was im Umkehrschluss die Chancen anderer Bewerber mindert. Die Kandidaten für eine Liste müssen außer den Wählbarkeitsvoraussetzungen (§ 15 BWahlG) und der Beschränkung auf ein Land und eine Liste (§ 27 Absatz 4 36

Vgl. dazu BVerfGE 3, 45 (49 ff.); 7, 63 (68); 47, 253 (279 ff.); Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 366 f.; weitestgehend zustimmend, teilweise aber anders Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 212 f. 37 Vgl. BVerfGE 3, 45 (49 f.); 7, 63 (68). 38 Siehe unten S. 98 f. 39 Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 28; Hahlen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 27, Rn. 22a. So auch Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 195 f. 40 Darauf weist Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 24 ausdrücklich hin.

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes

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Satz 1 BWahlG) keinen weiteren Anforderungen genügen. Insbesondere müssen sie nicht Mitglied der Partei sein, für deren Liste sie aufgestellt werden, auch wenn dies in der Praxis der Fall sein wird.41 3. Zusammenfassende Würdigung Das Wahlrecht versucht mit seinen Vorgaben für die Kandidatenaufstellung einen Balanceakt. Einerseits soll größtmögliche Freiheit für die Bewerber und die sie unterstützenden Gruppierungen im Interesse einer durch eine authentische Wahl erreichten größtmöglichen Legitimation staatlichen Handelns gewährleistet werden. Andererseits sind Einschränkungen geboten, die den Notwendigkeiten des demokratischen Systems geschuldet sind. Im Sinne der Freiheit muss es auch nicht parteimäßig organisierten Bürgern offenstehen, Kandidaten zu benennen (wie bei den Wahlkreisvorschlägen), darf die Kandidatur nicht durch formelle Anforde­ rungen unverhältnismäßig erschwert werden (z. B. muss der Kandidat nicht aus dem Wahlkreis stammen oder ist die Mindestzahl der Wahlvorschlagsträger auf ein Minimum beschränkt) und ist der Auswahlprozess im Wesentlichen den Parteien bzw. Bürgern überantwortet, ohne durch detaillierte gesetzliche Vorgaben zu stark eingehegt zu sein. Gleichzeitig fordert die mit der Wahl bezweckte demokratische Legitimation, auf die der Aufstellungsprozess der Kandidaten funktional ausgerichtet ist, dass die Wahlvorschläge nicht einer gewissen Ernsthaftigkeit und zur Verhinderung einer Stimmzersplitterung Erfolgsaussicht entbehren (weshalb eine Mindestunterstützung des Wahlvorschlags normiert ist), dass aufstellende Parteien auch tatsächlich Parteien sind (dem dient die Feststellung der Parteieigenschaft) und dass der Aufstellungsprozess indisponiblen demokratischen Standards folgt (z. B. Versammlungen als Kreationsorgan, geheime Wahl etc.).

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes I. Die Aufstellung der Kandidaten als geeignetes Stadium Leitend für die normative Umsetzung und Ausgestaltung jedes Regelungsvorhabens ist sein verfolgtes (rechts-)politisches Anliegen. Dieses liegt bei einem Paritätsgesetz in erster Linie in einer im Hinblick auf die Geschlechteranteile ausgewogenen, d. h. im Idealfall paritätischen Besetzung des Parlamentes. Daran sind zwar weitere Fernziele und Erwartungen geknüpft, konkretes Ziel ist jedoch ein weitgehend gleiches Verhältnis weiblicher und männlicher Abgeordneten im Parlament.42 41 Vgl. Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 43. 42 Siehe oben S. 24 ff.

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

Um dieses Ziel zu erreichen, könnten gesetzliche Vorgaben zunächst direkt an der Wahl ansetzen. Dem Wähler inhaltliche Vorgaben für die Wahl selbst zu machen, wäre jedoch – abgesehen von der Frage der praktischen Umsetzbarkeit – nicht möglich, ohne die Freiheit und damit legitimationsvermittelnde Funktion der demokratischen Wahl grundlegend zu beeinträchtigen. Soll darüber hinaus ein einheitlich gewähltes Parlament nicht zugunsten zweier – theoretisch denkbarer – nach Geschlechtern getrennter Kammern bzw. Teile (z. B. über nach Geschlechtern reservierte Mandate) aufgegeben werden, muss der Wahlakt selbst von gesetzgeberischen Vorgaben unberührt bleiben. Folglich rückt das Vorfeld der eigentlichen Wahl ins Zentrum der Betrachtung. Hierbei lassen sich mehrere Schritte im Prozess der Kandidatenfindung unterscheiden, an den sich der Wahlakt und die Mandatsverteilung anschließen. Für zwingende gesetzliche Vorgaben weniger geeignet erscheint das früheste Stadium, in das die persönliche Entscheidung über die Bereitschaft zu kandidieren sowie informelle Sondierungen und das Werben um Unterstützung fallen. Erfolgversprechend scheint vielmehr der Verfahrensschritt der Kandidatenaufstellung zu sein, der mit der Einreichung der formalen Wahlvorschläge beendet wird.43 Seinen Grund findet dies darin, dass die Bürger beim eigentlichen Wahlakt nur zwischen den aufgestellten Kandidaten auswählen können, sodass dem Nominierungsprozess ein vor-auswählender Charakter zukommt. Folglich wirken sich die Entscheidungen im Rahmen der Kandidatenaufstellung und die zugrunde gelegten Kriterien auf die Wahl selbst aus. Der Bereich der Kandidatenaufstellung bietet für ein Paritätsgesetz nicht nur den Vorteil, an bereits bestehenden Regelungen ansetzen zu können, sondern verspricht vor allem, dass sich die in diesem Stadium gesetzlich geforderten Eigenschaften bzw. Merkmale der Kandidaten auch im Wahlergebnis niederschlagen. Gelingt es also, dem Geschlecht im Stadium der Kandidatenaufstellung Bedeutung beizumessen und dadurch auf das Geschlechterverhältnis der Kandidaten Einfluss zu nehmen, besteht die Möglichkeit, das Geschlechterverhältnis der Abgeordneten zu lenken. Genau darin liegt das Ziel eines Paritätsgesetzes.

II. Zwei Systembestandteile des Wahlrechts als Ausgangspunkt Ein Paritätsgesetz müsste sich in das jeweils geltende Wahlrecht einfügen.44 Auf Bundesebene könnte eine auf Parität im Parlament abzielende Regelung an die Aufstellung sowohl der Direkt- als auch der Listenkandidaten anknüpfen. 43

Eine ähnliche Einstufung der Stadien des Prozesses der Kandidatenauswahl für die Ermittlung des Ansatzpunktes einer Vorgabe für eine Geschlechterquote nimmt Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 21 f. vor. 44 Wenn dieses nicht bereits selbst grundlegend geändert werden soll, z. B., indem einer der beiden grundlegenden Systembestandteile ganz abgeschafft wird. Dies schlägt u. a. der Deut-

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes

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1. Die Aufstellung der Direktkandidaten als Anknüpfungspunkt Das Anliegen, Parität unter den in den Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten herzustellen, sieht sich vor die Herausforderung gestellt, dass in jedem Wahlkreis nur ein Mandat vergeben und damit ein Kandidat gewählt werden kann. Gleichzeitig zielt Parität jedoch auf das Geschlechterverhältnis und damit auf zwei Gruppen, denen die Kandidaten und später die Abgeordneten angehören. Im bestehenden System der Direktwahl in den Wahlkreisen ließe sich Parität folglich nur erreichen, wenn die Kandidaten und Abgeordneten in irgendeiner Weise in zwei, nach dem Geschlecht geteilte Gruppen aufgeteilt würden. Denkbar wäre z. B., dass die Hälfte der Wahlkreise weibliche und die andere männliche Abgeordnete stellten oder jeder Wahlkreis versetzt bei aufeinanderfolgenden Wahlen abwechselnd einen Abgeordneten des einen oder anderen Geschlechts wählen müsste. Dies wirft viele Fragen im Hinblick auf die Art und Weise sowie die Maßstäbe der konkreten Umsetzung dieser abstrakten Parität auf. Auch dürfte sich eine solche Lösung kaum freiheits- und gleichheitsgerecht ausgestalten lassen. Eine nur insgesamt, d. h. auf das Wahlgebiet oder Teile davon bezogene Parität unter den Kandidaten, wie sie in Frankreich für die Wahl der Nationalversammlung gilt,45 wäre angesichts der sich zwischen den einzelnen Wahlkreisen unterscheidenden Erfolgsaussichten einer Kandidatur und der damit einhergehenden Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien im Hinblick auf die bezweckte Parität im Parlament wenig erfolgversprechend.46 Damit müsste mit den auf Parität abzielenden Vorgaben eine deutlich weitergehende Veränderung des durch Mehrheitswahl bestimmten Systembestandteils des geltenden Wahlrechts einhergehen.47 In Betracht zu ziehen wäre, für jeden Wahlscher Frauenrat, Mehr Frauen in die Parlamente!, 2019, S. 17 für den durch die Mehrheitswahl geprägten Teil vor. 45 Siehe oben S. 64 ff. In Frankreich mussten die an das Verfehlen von (näherungsweiser) Parität in der Nationalversammlung geknüpften Sanktionen mehrmals verschärft werden, da der Frauenanteil zunächst nur gering stieg und dies zumindest teilweise darauf beruhte, dass Frauen in weniger aussichtsreichen Wahlkreisen aufgestellt wurden. 46 Ähnlich von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 526. 47 Auch in Brandenburg enthielt der Gesetzentwurf ursprünglich Vorgaben für die Direktkandidaten, vgl. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 3 ff. Grund des Absehens von diesem Vorschlag in Brandenburg war, dass sowohl im Anhörungsverfahren zum Gesetzentwurf in seiner ursprünglichen Fassung (Landtag Brandenburg, LTDrs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz)) als auch durch einen Bericht der Landesregierung zur Frage nach geschlechterparitätischen Regelungen im Landtags- und Kommunalwahlrecht (Landesregierung Brandenburg, LT-Drs. 6/9699 (Bericht Landesregierung), S. 24 ff.) erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Paritätsgesetz allgemein und die Regelungen zu den Kreiswahlvorschlägen im Besonderen geäußert wurden und man durch die Beschränkung auf die Vorgaben für die Landeslisten eine verhältnismäßige Regelung zu schaffen hoffte, vgl. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/10466 (Beschlussempfehlung des AIK), S. 3 und Anlage 3. In Thüringen waren solche Vorgaben ebenfalls Gegenstand der Diskussion im Gesetzgebungsprozess, vgl. Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, inkl. Stellungnahmen im Anhang.

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

kreis geschlechtlich gemischte Kandidatenpaare aufzustellen. Um eine Verdoppelung der Anzahl an Direktkandidaten zu vermeiden, müsste parallel die Anzahl der Wahlkreise halbiert werden. Für die Wahl eines gemischten Kandidatenpaares im Wahlkreis wären im Ausgangspunkt verschiedene Optionen denkbar48. Zunächst könnte – wie in Frankreich für die conseils départementaux49 – eine Stimme einem geschlechtlich gemischten Tandem50 (einer Partei) gelten, ohne dass vom Wähler auf dessen konkrete Zusammensetzung Einfluss genommen werden könnte. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, den Wählern zwei Stimmen zu geben, je eine für einen männlichen und einen weiblichen Kandidaten. Auf diese Weise wäre es möglich, die Stimmen auf Kandidaten unterschiedlicher Parteien zu verteilen und so im Ergebnis Duos mit Abgeordneten unterschiedlicher Parteien zu wählen.51 Deutlich weniger weitgehend, gleichzeitig aber auch weniger erfolgversprechend wäre es, die Parteien pro Wahlkreis zwar zur Aufstellung von gemischten Kandidatenpaaren zu verpflichten, dem Wähler aber die Wahl eines der beiden Direktkandidaten ohne Vorgabe der Geschlechtszugehörigkeit zu überlassen.52 Dann wäre auch eine Wahlkreisreduzierung entbehrlich. Bei diesem Ansatz wäre es freilich auch denkbar, bei halbierter Anzahl an Wahlkreisen zwei Kandidaten zu wählen, ohne jedoch dem Wähler gleichzeitig deren Geschlechtszugehörigkeit vorzugeben. Auf diese Weise überließe man es dem Wähler, dem Geschlecht der Kandidaten überhaupt Bedeutung beizumessen bzw. sich bewusst für Parität zu entscheiden oder nicht. Regelungen für die Wahl der Direktkandidaten, die Gewähr für eine annähernde Parität unter den so gewählten Abgeordneten bieten, wären somit durch die Notwendigkeit einer Erhöhung der im Wahlkreis zur Wahl stehenden Kandidatenanzahl auf eine gerade Zahl, mindestens also zwei Kandidaten gekennzeichnet. Dies hätte grundsätzlich eine Vergrößerung des Parlaments zur Folge. Die Tendenz zu immer größeren Vertretungen wird aber schon im bestehenden System kritisch gesehen.53 Um eine solche Vergrößerung zu vermeiden, müsste mit der Erhöhung 48

Vgl. dazu auch Deutscher Frauenrat, Mehr Frauen in die Parlamente!, 2019, S. 17 f. Siehe oben S. 64 ff. 50 Die Bezeichnung „Tandem“ und „Duo“ wird nicht einheitlich gleichbedeutend verwendet. 51 So Art. 1 insb. Nr. 3, 23 und 37 im ursprünglichen Gesetzentwurf in Brandenburg, vgl. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 3 ff. 52 Dies schlug die Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, in einer Rede in Kiel am 23. 01. 2019 vor, https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/II/Ministerin/ Reden/_documents/190123_Frauenwahlrecht.html (abgerufen am: 03. 09. 2019); mittlerweile nur noch in Form einer Pressemitteilung verfügbar, https://www.schleswig-holstein.de/DE/ Landesregierung/II/Presse/PI/2019/Gleichstellung/190123_Frauenwahlrecht.html (letzter Zugriff: 12. 05. 2021). 53 Vgl. nur den Appell von über 100 Staatsrechtlern an den Bundestag, der am 20. 09. 2019 in der WELT erschien, abrufbar unter https://www.welt.de/debatte/kommentare/article200600266/ Staatsrechtler-schreiben-offenen-Brief-Verkleinert-den-Bundestag.html (letzter Zugriff: 19. 11. 2021) sowie von Arnim, XXL-Parlamente: Gut für Abgeordnete und Parteien – schlecht für die Demokratie?, in: Heußner / Pautsch / Wittreck (Hrsg.), FS Jung 2021, 289 ff. 49

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes

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der Kandidatenanzahl in den Wahlkreisen eine Reduzierung der Anzahl an Wahlkreisen im Wahlgebiet einhergehen. Bei einer Verdopplung der Anzahl an Wahlkreiskandidaten pro Wahlkreis läge eine Halbierung der Anzahl an Wahlkreisen nahe, um im Ergebnis die Summe der Abgeordneten gleich zu halten. Die Verringerung der Anzahl an Wahlkreisen würde jedoch wiederum zur einer Vergrößerung der einzelnen Wahlkreise mit vielfältigen Folgen für die Wähler, Kandidaten und dort gewählten Abgeordneten führen. Insbesondere würde es die Rückkopplung zwischen Wählern und Abgeordneten erschweren und Einzel- sowie Minderheitsanliegen hätten geringere Chancen, Gehör zu finden. Dies würde sich im Ergebnis negativ auf die Legitimations- und Integrationsfunktion der Wahl sowie auf den permanenten Prozess materieller Legitimation54 auswirken. Nicht zuletzt könnte sich eine solch grundlegende Änderung der Akzeptanz des zugrundeliegenden Anliegens abträglich erweisen. Damit lässt sich festhalten, dass für den Bereich der Direktkandidaten in den Wahlkreisen auf Parität abzielende Vorgaben nicht geschaffen werden könnten, ohne das bestehende System in grundlegender Weise zu verändern. Eine solche Lösung hätte nicht zu vernachlässigende negative Folgen für verschiedene Schutzgüter (s. o.) und dürfte sich in der Praxis starken Bedenken ausgesetzt sehen. Dies rechtfertigt, die folgende Untersuchung auf jenen Teil der Abgeordneten zu beschränken, die über die von den Parteien aufgestellten Listen gewählt werden. 2. Die Aufstellung der Listenkandidaten als Anknüpfungspunkt a) Streng alternierende Besetzung starrer Listen Wesentliches Element des nach dem Verhältniswahlrecht ausgestalteten System­ bestandteils des geltenden Bundestagswahlrechts sind starre Kandidatenlisten, die vom Wähler weder im Hinblick auf die Kandidaten noch auf die Reihenfolge geändert werden können.55 Als Folge dessen schlagen gesetzliche Vorgaben zur Besetzung der Listen zwangsläufig auf die Zusammensetzung des so gewählten Parlaments durch.56 In einem System starrer Listen erscheint eine Pflicht zur paritätischen Listenbesetzung deshalb als effektives Mittel zur Verwirklichung von Parität im Parlament.

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Dazu unten S. 98 f. und 99 ff. Siehe oben S. 77 ff. Dies gilt auch für die meisten Bundesländer, siehe S. 77 Fn. 10. 56 Diesen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Liste und der Zusammensetzung der darüber gewählten Abgeordneten machen sich auch die Parteien bzw. die vorschlagsberechtigten Parteigremien zunutze, um insb. im Wege parteiinterner Vorgaben an die Aufstellung oder über die Ausübung des Vorschlagsrechts (s. o.) bestimmte Kriterien an die Gesamtzusammensetzung der Abgeordnetengruppe der Partei umzusetzen. 55

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

Allerdings würde eine auf die gesamte Liste bezogene Verpflichtung, je die Hälfte der Listenplätze an Frauen und Männer zu vergeben, wie sie in Belgien zunächst galt und teilweise immer noch gilt,57 noch keine hinreichende Gewähr für ein paritätisches Verhältnis der auf diese Weise gewählten Abgeordneten bieten. Da selten alle Kandidaten einer Liste ein Mandat erhalten und die auf eine Partei entfallenden Mandate mit den Kandidaten der Liste von Platz eins an in absteigender Reihenfolge besetzt werden (vgl. § 6 Absatz 6 Satz 4 BWahlG58), würde z. B. eine paritätische Besetzung der Landesliste mit zwei großen Blöcken das gewünschte Ergebnis in der Regel nicht erreichen, sofern nicht die Liste vollständig ausgeschöpft würde. Bezöge sich die Parität auf kleinere Blöcke, wie dies zunächst in Frankreich auf Regional- und Kommunalebene der Fall war,59 näherte sich das Verhältnis der Abgeordneten umso eher der Parität an, je kleiner die Blöcke wären. Am weitesten würde sich eine in Bezug auf das Geschlecht der Kandidaten streng alternierende Besetzung der Landesliste dem Ideal exakter Parität annähern. Kleinere Abweichungen bei ungerader Anzahl der über eine Liste gewählten Abgeordneten oder im Fall andersgeschlechtlicher Nachrücker wären zwar weiterhin möglich,60 würden sich aber zum Teil zwischen den Listen ausgleichen und blieben im Übrigen von untergeordneter Bedeutung. Demgemäß sahen oder sehen auch die Paritätsgesetze in Brandenburg und Thüringen61 sowie in Frankreich auf verschiedenen staatlichen Ebenen und in Belgien auf kommunaler Ebene eine streng alternierende Reihenfolge vor. Insgesamt erweist sich eine gesetzliche Verpflichtung auf eine alternierende Besetzung der Landeslisten im geltenden Wahlrechtssystem als effektivstes Mittel zur Herstellung einer möglichst weitgehenden Parität im Parlament. Es darf daher angenommen werden, dass sich ein etwaiges Paritätsgesetz des Bundes für eine derartige Lösung entscheiden würde. aa) Parität als inhaltliche Vorgabe für die Kandidatenlisten An dieser Stelle wird bereits die qualitative Neuerung eines solchen Gesetzes deutlich. Es trüge nicht einer wahlsystemimmanenten Notwendigkeit in organisationsrechtlicher Hinsicht Rechnung und sicherte anders als die bisherigen wahlrechtlichen Regelungen nicht nur das Verfahren der Kandidatenaufstellung und damit einen neutralen Entscheidungsmodus ab. Vielmehr stellte es ein Mittel zum Zweck eines geschlechtermäßig ausgewogen besetzten Parlaments und einer Annäherung der Mitwirkungschancen an gesellschaftlichen und demokratischen Pro-

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Siehe oben S. 68 ff. Bzw. vergleichbar in vielen Bundesländern, z. B. § 3 Abs. 5 S. 2 BbgLWahlG, § 5 Abs. 5 S. 2 ThürLWG. 59 Siehe oben S. 64 ff. 60 Vgl. auch von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 526. 61 Vgl. § 25 Abs. 3 S. 3 bis 5 BbgLWahlG sowie § 29 Abs. 5 S. 1 ThürLWG. 58

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes

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zessen zwischen den Geschlechtern dar.62 Mit der Anknüpfung an das Geschlecht würde ein Paritätsgesetz den Parteien daher eine inhaltliche Vorgabe für das Ergebnis der Kandidatenaufstellung machen.63 Bevor also die Partei prinzipiell frei über die Person und den Listenplatz eines Kandidaten entscheiden könnte, wäre zunächst dessen Zugehörigkeit zur jeweiligen Gruppe seiner Geschlechtsgenossen maßgeblich. Nur innerhalb der Geschlechtergruppen bliebe der Partei noch die Auswahl. bb) Normtechnische Umsetzung Normtechnisch umgesetzt werden könnte die streng alternierende Besetzung der Listenplätze im Wege eines sog. „Reißverschlussverfahrens“, d. h. einer zwingend abwechselnden Besetzung der Liste mit Frauen und Männern.64 Abzuwägen wäre, ob nach dem Vorbild der insofern zurückhaltenden Regelungstechnik des BWahlG65 die nähere Umsetzung den Parteien überlassen werden sollte66 oder ob dafür weitere Regelungen geschaffen werden sollten67. In Betracht käme etwa, in einem ersten, vorbereitenden Schritt getrennte Kandidatenlisten für Frauen und Männer zu fordern, die jeweils die Reihenfolge der Kandidaten eines Geschlechts festlegen, um hiernach aus ihnen im Wege streng alternierender Besetzung die Gesamtliste der Partei zu bilden. Die Wahlversammlung müsste dann zusätzlich noch über das Geschlecht des ersten Kandidaten der Gesamtliste entscheiden, deren weitere Reihung sich in der Folge von selbst ergäbe.68 Zwar käme den Einzellisten grundsätzlich keine Bedeutung nach außen zu, da sie nicht als Wahlvorschläge nach § 19 BWahlG beim Landeswahlleiter eingereicht würden und nur notwendige Vorstufen bei der Ermittlung des förmlich einzureichenden gesamten Wahlvorschlags der Partei wären. Da sie jedoch nach ihrer Aufstellung zusammen mit der Entscheidung über das Geschlecht des erstplatzierten Kandidaten automatisch die exakte Platzierung der einzelnen Kandidaten auf der gesamten Liste vorgeben, würde sich die auf den Nominierungsprozess bezogene Dokumentationspflicht69 auf diese Einzellisten erstrecken. Dies böte 62

Vgl. auch Schmitt Gläser, Abbau des tatsächlichen Gleichberechtigungsdefizits der Frauen durch gesetzliche Quotenregelungen, 1982, S. 40. 63 Siehe auch unten S. 136 f. 64 Auch im Brandenburgischen und Thüringischen Paritätsgesetz wurde dieser Weg gewählt, vgl. § 25 Absatz 3 Satz 4 BbgLWahlG; § 29 Abs. 5 S. 1 ThürLWG. 65 Siehe dazu oben S. 81 ff. 66 Dies war nach dem Thüringischen Paritätsgesetz der Fall. 67 Das brandenburgische Paritätsgesetz gab das Verfahren der Bildung der paritätischen Liste genauer vor, siehe oben S. 15 ff. 68 Diesen Weg wählte das Brandenburgische Paritätsgesetz, vgl. § 25 Absatz  3 Satz  3 und 4 BbgLWahlG. 69 Vgl. § 27 Abs. 5 i. V. m § 21 Abs. 6 BWahlG. Diese Dokumentation ist mit dem Wahlvorschlag einzureichen.

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

den Vorteil, im Fall von Unregelmäßigkeiten oder Fehlen von Voraussetzungen bei einzelnen Kandidaten einfacher und transparenter eine den Vorgaben entsprechende korrigierte Liste zu bilden, ohne dass die gesamte Liste zurückgewiesen werden müsste. Daher erscheint es erwägenswert, das Verfahren der Bildung einer paritätischen Liste zumindest insoweit zu regeln. Eine Verpflichtung auf eine strenge Alternativität im Hinblick auf die Geschlechter bedingt sinnvollerweise auch eine Begrenzung der Gesamtliste. Sobald eine der beiden Einzellisten erschöpft ist, sollten auch Kandidaten des anderen Geschlechts nicht mehr auf weitere Plätze der Liste gelangen. Denn anderenfalls würde, falls die jeweilige Partei entsprechend viele Stimmen erhält, das Ziel einer paritätischen Mandatsvergabe verfehlt. Anders als bei den Direktkandidaten müsste der bestehende Normenbestand für die Wahl der Landeslisten nicht verändert werden, sondern auf Parität abzielende Vorgaben würden ihn lediglich ergänzen. Zudem bliebe den Parteien mit Blick auf die Gesamtzusammensetzung der Liste trotz der durch ein Paritätsgesetz normierten Vorgaben ein gesteigertes Maß an Variationsmöglichkeiten, wie sie den verschiedenen, bei einer Kandidatennominierung für die Liste zu berücksichtigenden Aspekten insgesamt Rechnung tragen könnten. Ein solcher schonender Eingriff in den bisherigen Rechtsrahmen hätte daher im Zweifel größere Chancen auf Akzeptanz und wäre somit der Bereitschaft der Normadressaten zur Verwirklichung eines ausgewogenen Geschlechterverhältnisses auch über den engeren Regelungsgehalt hinaus zuträglicher als ein grundlegender Systemwechsel. cc) Bedürfnis nach Ausnahmeregelungen Allerdings blieben noch weitere Fragen zu bedenken. Insbesondere müsste das passive Wahlrecht auch jener Personen gewahrt werden, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen (wollen) und deren Personenstandseintrag deshalb keine Angabe zum Geschlecht oder „divers“ enthält.70 Da eine streng alternierende Reihenfolge von Frauen und Männern ihrer geschlechtlichen Identität und damit ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht71 nicht Rechnung trüge, wäre für sie eine Ausnahmeregelung erforderlich. Eine solche Ausnahme dürfte diese Personen weder gegenüber anderen Kandidaten benachteiligen oder bevorzugen noch sollte sie zu ihrer Überrepräsentanz im Parlament führen. Denkbar wäre zum Beispiel, bestimme Plätze für die Angehörigen dieser Personengruppe zu reservieren. Dies dürfte aber kaum praktikabel sein, da 70 Morlok / Hobusch verglichen dies in ihrer Stellungnahme in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Landtags von Thüringen mit der „Quadratur des Kreises“, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 59. 71 Vgl. BVerfGE 147, 1 (18 ff.).

B. Gesetzestechnischer Ansatz eines Paritätsgesetzes

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die Anzahl (erfolgreicher) Listenplätze der meisten Parteien zu gering sein dürfte, um den Bevölkerungsanteil72 dieser Personengruppe realitätsgerecht abzubilden, zumal schon ihre genaue Größe unbekannt ist, da sich nur ein Teil personenstandsrechtlich erfassen lassen hat bzw. erfassen lassen will.73 Am sinnvollsten wäre es daher – wie es das Brandenburger Paritätsgesetz vorsah74 – Angehörigen dieser Personengruppe freizustellen, ob sie auf dem Platz eines weiblichen oder männlichen Kandidaten stehen wollen, oder ihnen – wie im Thüringer Paritätsgesetz75 – eine Kandidatur unabhängig von der Reihenfolge zu eröffnen. Auch der regulatorische Umgang mit Parteien, deren Programm sich (primär) nur an ein Geschlecht richtet und / oder die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen, erwiese sich als Herausforderung. In Betracht käme etwa, diese Par-

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Bzw. den Anteil an den Parteimitgliedern, siehe dazu unten S. 162 ff. Während das BVerfG seiner Entscheidung 147, 1 (8) eine Zahl von ca. 160.000 intergeschlechtlichen Menschen zugrunde legte, geht das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von 8.000 bis 120.000 (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, „Situation von trans- und intersexuellen Menschen im Fokus“, 2016, S. 8) bzw. einem Anteil von 0,02 bis 1,7 % intersexueller Menschen an der Gesamtbevölkerung aus (vgl. das Regenbogenportal des BMFSFJ https://www.regenbogenportal.de/ informationen/inter-was (letzter Zugriff: 26. 10. 2021) m. w. N.). Auch andere gehen von einem Anteil von bis zu 1,7 % der Gesamtbevölkerung (d. h. in Deutschland rund 1,4 Mio Personen) aus, vgl. z. B. Carpenter / Hough, Employers’ Guide to Intersex Inclusion, 2014, S. 9. Betont wird immer wieder die Abhängigkeit der Zahlen von der Definition dieser Personengruppe. Nach einem Rundschreiben des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat haben zwischen dem 01. 01. 2019 und dem 30. 09. 2020 von der Möglichkeit nach § 45b PStG (nachträgliche Erklärung zur Geschlechtsangabe) 394 Personen Gebrauch gemacht und den Eintrag „divers“ bzw. „ohne Angabe“ vornehmen lassen sowie 1191 Personen das Geschlecht weiblich und männlich gewechselt. Auch in diesem Schreiben wird darauf hingewiesen, dass diese Zahlen nicht die tatsächliche Zahl Intersexueller in Deutschland abbilden, vgl. RdSchr. d. BMI v. 29. 1. 2021 – V II 1 – 20103/27#17. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstrich auf Anfrage ebenfalls, dass es nicht möglich sei, aus der Anzahl der Eintragungen „divers“ und „keine Angaben“ im Personenstandsregister auf die Anzahl intergeschlechtlicher Personen in Deutschland zu schließen. Eine statistische Erfassung von Personen, die ihren Geschlechtseintrag nach § 45b PStG nachträglich ändern, liegt nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes mangels gesetzlicher Grundlage derzeit nicht vor. Die Zahl der Lebendgeborenen mit Personenstandseintrag „divers“ oder „ohne Angabe“ betrug im Zeitraum 2016–2020 jährlich zwischen 10 und 17 Personen, vgl. die Statistik des Statistischen Bundesamtes hierzu (mitgeteilt auf Anfrage). 74 § 25 Absatz 3 Satz 6 BbgLWahlG. 75 § 29 Abs. 5 S. 2 ThürLWG. Allerdings wurde dort nur auf „im Personenstandsregister als ‚divers‘ registriert[e]“ Personen abgestellt. Bereits in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss wurde von Morlok / Hobusch kritisiert, dass damit ein „grober handwerklicher Fehler“ vorliege, weil damit Personen ausgeschlossen würden, die von der Möglichkeit des PStG Gebrauch gemacht haben, gar keine Angabe zum Geschlecht zu machen, vgl. die mündliche Stellungnahme, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 49. Von Gothe wurde diese Kritik insbesondere angesichts der hohen Hürden einer solchen Personenstandsregistereintragung ähnlich wiederholt, vgl. ebd. S. 120 f. 73

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

teien – ähnlich wie dies in Brandenburg der Fall war76 – von den gesetzlichen Anforderungen auszunehmen. dd) Sanktionierung von Verstößen Das Beispiel der Paritätsregelungen in Frankreich hat gezeigt, dass der Erfolg des gewählten Regelungsmodells neben einem zwingenden Charakter77 in besonderer Weise davon abhängt, dass die gesetzlichen Vorgaben effektiv durchgesetzt und daher Verstöße sanktioniert werden.78 Beschreitet ein Paritätsgesetz den Weg, eine zwingend gleiche Berücksichtigung der Geschlechter auf der Liste im Wege eines Reißverschlusssystems vorzugeben, müsste es jedoch nicht zwangsläufig einen eigenen Durchsetzungsmechanismus schaffen. Denn mit § 28 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 BWahlG79 besteht bereits eine Norm, die einen Verstoß gegen Vorgaben des Wahlgesetzes mit der zwingenden Zurückweisung der Liste durch die Wahlbehörde sanktioniert. Dies würde auch für die Neuerungen eines Paritätsgesetzes gelten. Zu erwägen wären allerdings ergänzende, weniger einschneidende Detailregelungen für den Fall nur einzelner falscher Kandidatenplatzierungen.80 76 § 25 Abs. 3 S. 7 BbgLWahlG. Dieser Satz wurde in das brandenburgische Vorbild nach entsprechenden Diskussionen in den Ausschüssen aufgenommen und reagierte auf die dort vorgetragene Kritik, dass ohne eine solche Ausnahme die von der Tendenzfreiheit der Parteien umfasste Vertretung von Partikularinteressen unmöglich gemacht würde. Vgl. die Stellungnahme von Morlok / Hobusch in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 52 sowie in der schriftlichen Stellungnahme (S. 6), Anhang. 77 Im Brandenburgischen Paritätsgesetz wurde dies eigens normiert, vgl. § 25 Abs. 8 S. 2 BbgLWahlG. 78 Siehe oben S. 73 ff. sowie die Studie von Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 45 ff., 54 f. 79 Ähnlich die Wahlgesetze der Länder, z. B. für Brandenburg § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BbgLWahlG, für Thüringen § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ThürLWG. 80 Wie § 28 Abs. 1 S. 3 BWahlG sehen auch die Landeswahlgesetze bereits jetzt teilweise die Möglichkeit vor, einzelne Bewerber unter Beibehaltung der restlichen Liste zu streichen, wenn die Anforderungen nur hinsichtlich dieser einzelnen nicht erfüllt sind. Dies betrifft i. d. R. Fälle, in denen nach der Aufstellung der Liste auf die Person eines Kandidaten bezogene gesetzliche Anforderungen wegfallen, vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 100 ff. Allerdings bedürften die bestehenden Normen im Hinblick auf die Regelungen zur Parität zumindest aus Klarstellungsgründen noch Ergänzungen. Die Anwendung der Möglichkeit der Streichung auf das Brandenburgische Paritätsgesetz sollte ausweislich dessen Entwurfsbegründung zu einer korrekten Listenbildung ohne Ermessens- und Gestaltungsspielraum des Landeswahlausschuss führen, vgl. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/10466 (Beschlussempfehlung des AIK), Anlage 3, S. 6. In Thüringen sah § 30 Abs. 1 S. 4 und 5 ThürLWahlG eine Teilzurückweisung des Listenvorschlags ab denjenigen Kandidaten vor, deren Platzierung nicht den Vorgaben zur Besetzung entsprach. Ausdrücklich galt dies auch dann, wenn nur einzelne Kandidaten falsch platziert worden waren.

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Nicht außer Acht gelassen werden darf der Fall, dass es eines Nachfolgers für einen Kandidaten bzw. Listenabgeordneten bedarf, sowie die Gefahr, dass Parteien Bewerber nominieren und diese Kandidaten ihr durch die Wahl errungenes Mandat von vorneherein nicht antreten und so der von der Partei eigentlich gewollte, nachrückende Kandidat (des anderen Geschlechts) ein Mandat erhält. Für diese Fälle könnte Vorsorge dergestalt getroffen werden, dass Nachrücker diejenigen Listenkandidaten sind, die auf dem nächsten für dasselbe Geschlecht reservierten Platz stehen. Sie würden dann grundsätzlich unter Beibehaltung der alternierenden Reihenfolge zwei Plätze auf den übernächsthöheren Listenplatz aufrücken. b) Einfluss der Elemente des Mehrheitswahlsystems Im geltenden, Elemente des Verhältnis- mit solchen des Mehrheitswahlsystems verbindenden Wahlsystem könnte sich eine paritätische Listenbesetzung nur auf einen Teil der Mandate auswirken und deswegen für sich betrachtet noch keine paritätische Zusammensetzung des Parlaments garantieren. Gleichwohl würde sie einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des verfolgten Ziels leisten. Zusätzlich würde die Kombination der Wahlsysteme ein etwaiges geschlechtliches Ungleichgewicht der erfolgreichen Direktkandidaten teilweise ausgleichen, da diese häufig gleichzeitig auch aussichtsreiche Listenplätzen bekleiden, nun aber nach § 6 Absatz  6 Satz  5  BWahlG81 bei der Zuteilung der Listenmandate unberücksichtigt bleiben und so dem nächsten Kandidaten des jeweils anderen Geschlechts Platz machen würden. Dieser Effekt ist allerdings umso schwächer, je größer der Anteil der Direktmandate einer Partei ist, und würde daher im Vergleich der Parteien82 stark schwanken.

III. Zwischenfazit Während auf Parität abzielende Regelungen bei der Auswahl der Direktkandidaten nicht ohne grundlegende Veränderungen dieses Systembestandteils mit nicht unerheblichen Folgen für verschiedene Schutzgüter auskämen, ließen sich solche Regelungen im Bereich der Kandidatenlisten unkompliziert verwirklichen.83 Dem 81

Bzw. vergleichbar in vielen Bundesländern, z. B. § 3 Abs. 5 S. 3 BbgLWahlG, § 5 Abs. 5 S. 3 ThürLWG. 82 Denn die Anteile der Direkt- und Listenmandate unter den insgesamt errungenen Manda­ ten einer Partei unterscheiden sich zwischen den Parteien stark (siehe oben S. 28 Fn. 52 und 55). Aus dem gleichen Grund fiele z. B. auch das Fehlen von Vorgaben für die Direktkandidaten insoweit nicht ins Gewicht, als eine Partei bisher üblicherweise eine wenig paritätisch besetzte Landesliste aufgestellt und einen Großteil ihrer Mandate über diese und nicht über Direktkandidaturen erlangt hat (z. B. AfD, FDP), da in diesem Fall die eingeführten paritätsbezogenen Vorgaben für die Listenaufstellung mit nahezu uneingeschränkter Wirkung greifen könnten. 83 In diese Richtung auch Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 23 f., 40 f.

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Kap. 3: Inhalt und Regelungstechnik eines Paritätsgesetzes

verfolgten Ziel zuträglich ist besonders das System starrer Listen, in das sich die durch ein Paritätsgesetz vorzunehmenden Ergänzungen bruchlos einfügen ließen. Im Einzelnen wären Vorgaben für die Reihenfolge auf der Kandidatenliste erforderlich. Erfolgversprechend wäre ein System strenger Alternativität, das die Angehörigen der verschiedenen Geschlechter reißverschlussartig den Listenplätzen zuweist. Hierfür könnte ergänzend die vorherige Bildung geschlechtergetrennter Teillisten mit fester Reihenfolge sowie die Abstimmung über das Geschlecht des ersten Listenplatzes vorgegeben werden, um daraus die Gesamtliste der Partei zu bilden. Personen, deren Personenstandseintrag divers lautet oder offen ist, könnte die Wahl gelassen werden, ob sie auf einem für Frauen oder Männer vorgesehenen Listenplatz kandidieren wollen. Bei etwaigen Verstößen gegen das Paritätsgesetz wären die eingereichten Listen vom Wahlausschuss zurückzuweisen. Da sich das Regelungsziel paritätischer Mandatsvergabe am sinnvollsten mit einer derartigen Regelung erzielen ließe, ist zu erwarten, dass sich auch ein mögliches Paritätsgesetz im Wesentlichen hieran ausrichten würde. Daher soll im Folgenden ein Gesetz entsprechenden Inhalts am Maßstab des Grundgesetzes gemessen werden.

Kapitel 4

Verfassungsrechtliche Prüfung A. Verfassungstheoretischer Hintergrund paritätischer Vorgaben für die Kandidatenaufstellung I. Paritätische Vorgaben im Lichte des Wahl- und Parteienrechts Die Kandidatenaufstellung im Allgemeinen1 und diesbezügliche paritätische Vorgaben im Besonderen lassen sich sowohl dem Wahl- als auch dem Parteienrecht zuordnen. Einerseits weisen paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung einen wahlrechtlichen Charakter auf. Sie verpflichten die Parteien zur Berücksichtigung eines abstrakten Kriteriums bei der parteiinternen Aufstellung von Kandidaten für die Landeslisten. Damit setzen sie im Vorfeld bzw. dem Vorbereitungsstadium der eigentlichen Parlamentswahl an. Mit ihnen wird darüber hinaus das Ziel verfolgt, das Wahlergebnis im Hinblick auf die geschlechtliche Zusammensetzung der Gewählten über die Art und Weise der Aufstellung der Liste mittelbar vorzubestimmen. Dabei handelt es sich nicht um eine originär verfahrensrechtliche, sondern um eine insoweit inhaltliche Vorgabe.2 Daneben greift für den Fall eines Verstoßes gegen die streng paritätische Aufstellung der Kandidaten die Sanktion des § 28 Absatz 1 BWahlG. All dies macht den in erster Linie wahlrechtlichen Charakter eines Paritätsgesetzes deutlich. Andererseits ist zu beachten, dass die Aufstellung der Landeslisten zwar primär nach Vorgaben des Wahlrechts erfolgt, seine Adressaten dabei aber nicht staatliche Stellen, sondern die Parteien sind. Während ansonsten die Wahl sowie die dazu nötigen Vorbereitungshandlungen durch staatliche Organisation (vgl. nur die Institutionen der Bundes-, Landes- und Kreiswahlleiter sowie -ausschüsse, §§ 8 ff. 1 BVerfGE 89, 243 (252). Vgl. auch Henke, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 205; Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens  – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 171; Trute, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 38, Rn. 40 sieht die Kandidatenaufstellung als „Nahtstelle“ zwischen innerparteilicher Autonomie und Wahlrecht; Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 38; Nass, Die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze bei der Aufstellung von Parteikandidaten für Bundestagswahlen, in: Schneider / Götz (Hrsg.), FS Weber 1974, 311, 315 f. Anders Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 193 f., der zwar auch die Bezüge zu beiden Bereichen sieht, die Kandidatenaufstellung aber nur dem Parteienrecht zuordnen will. 2 Siehe oben S. 88 f. sowie unten S. 136 f.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

BWahlG) und unter amtlicher Aufsicht durchgeführt werden, ist die Aufgabe der Kandidatenaufstellung gerade den Parteien als im gesellschaftlichen Bereich verorteten Organisationen zugewiesen. Die ihnen verfassungsrechtlich überantwortete allgemeine Funktion liegt in der Mitwirkung an der politischen Willensbildung der Bürger (Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 GG), damit in der eines Bindegliedes bzw. „Transmissionsriemens“3 zwischen Bürgern und organisierter Staatlichkeit.4 Dabei bilden sie die Schnittstelle zwischen auf der einen Seite dem Prozess der rechtlich kaum greifbaren inhaltlichen politischen Richtungsbildung und der Personalfindung sowie auf der anderen Seite dem amtlichen und formalisierten Vorgang der Mandatierung durch die Parlamentswahl.5 Die staatlicherseits unbeeinflusste, aber verfassungsrechtlich gebundene Auswahl und Präsentation von Personal für staatliche Mandate und Ämter gehört deshalb für die Parteien zum Kern der Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich vorgesehenen Funktion.6 Dann sind die für diesen Prozess maßgeblichen Normen und somit auch paritätische Vorgaben insoweit ebenfalls dem Parteienrecht zuzuordnen. Folglich weisen Kandidatenaufstellung und dafür geltende paritätische Vorgaben einen Doppelcharakter als Bestandteile des Wahl- wie des Parteienrechts auf.7 Er bedingt grundsätzlich, dass die verfassungsrechtlichen Maßstäbe sowohl der Bundestagswahl als auch des Parteienrechts zur Anwendung gelangen. Für Teilfragen kann eine schwerpunktmäßige Zuordnung aufgrund des Kriteriums der Sachnähe getroffen werden. Diese Zuordnung wäre für den hier unter 3

Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 16; Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, 2021, S. Rn. 249. Der Sache nach BVerfGE 85, 264 (284 f.). 4 Dazu ausführlich unten S. 99 ff. 5 Ähnlich Henke, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 205; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 350. 6 Kluth, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 21, Rn. 69 f.; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 158 f.; Ipsen, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 12, 24; Tsatsos /  Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 117; Wißmann, in: Kersten / Rixen PartG, 2009, § 17, Rn. 1; Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11, 24 f. 7 Dieser verschränkte Charakter des Verfahrens der Kandidatenaufstellung zeigt sich auch in der Gesetzgebungsgeschichte. Ursprünglich war im ersten Gesetzentwurf zum Parteiengesetz deutlich mehr über die Kandidatenaufstellung geregelt, vgl. § 20 f. GE-PartG, BT-Drs. III, 1509; heute befinden sich Regelungen dazu überwiegend im BWahlG. Von einer Zuordnung zum Parteienrecht ging man ausdrücklich aus und sah die Kandidatenaufstellung als „wichtiges Teilgebiet aus dem Bereich der inneren demokratischen Ordnung der Parteien“ an, vgl. ebd. S. 26, auch S. 43. Auch der Entwurf der Fraktionen von CDU / CSU und FDP in der folgenden Legislaturperiode, vgl. BT-Drs. IV/2853, §§ 17 f., enthielt umfangreiche Normierungen zur Kandidatenaufstellung. Der Entwurf der SPD-Fraktion war diesbezüglich weniger umfangreich und verwies bereits für weiteres auf die Wahlgesetze, vgl. BT-Drs. IV/3112, § 15. Die finale, bis heute gültige und hinsichtlich der Vorgaben für diesen Prozess recht dürftige Fassung des § 17 PartG geht auf den mit dem Parteiengesetz befassten Innenausschuss des 5. Deutschen Bundestags zurück. Bis auf die Feststellung, dass die Kandidatenaufstellung schon Gegenstand der Bundes- und Landeswahlgesetze sei, begründete er dies jedoch nicht weiter, vgl. BT-Drs. V/1918zu, S. 2.

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suchten Fall paritätischer Vorgaben für die Kandidatenaufstellung zum Wahlrecht vorzunehmen.8 Denn auch wenn die Aufstellung parteiintern stattfindet, ist dieses Verfahren durch die Parlamentswahl veranlasst, stellt eine elementare Vorbedingung für diese dar und ist in deren Organisation eingebettet. Eine solche Zuordnung ist in erster Linie für die Bestimmung der Gesetzgebungskompetenz relevant. Die Gesetzgebungskompetenz für die Kandidatenaufstellung und damit auch für diesbezügliche paritätische Regelungen steht folglich jeweils dem Bund und den Ländern aufgrund ihrer Kompetenz zur Regelung des Wahlrechts zu.9 Wären diese Normen parteienrechtlicher Natur, wären die Länder aufgrund der ausschließlichen Kompetenz des Bundes für das Parteienrecht nicht zur Schaffung paritätischer Vorgaben für die Kandidatenaufstellung berechtigt.10 Entsprechend dieser charakteristischen Verschränkung des Wahl- und Parteienrechts im Bereich der Kandidatenaufstellung sind als Rahmen dieses Vorgangs die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu bestimmen, an denen ein Paritätsgesetz zu messen ist. 8

Ähnlich Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 140 f. Tendenziell anders Morlok, NomosK Parteiengesetz, 2013, § 17, Rn. 3; für eine schwerpunktmäßige bzw. „rechtssystematische“ Zuordnung zum Parteienrecht Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 60; wohl auch Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 180 ff. Etwas anders Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 193 f., 199; ders., in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 207, 288, der wohl eine grundsätzliche Zuordnung zum Parteienrecht annimmt, aber wegen des sachlichen Bezugs zur Wahl in Einzelfragen dem (auch) wahlrechtlichen Charakter den Vorzug gibt. 9 Davon scheinen auch die Verfassungsgerichtshöfe für Brandenburg, vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 118 ff. sowie 55/19 Rn. 174 ff., und Thüringen, vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, auszugehen. 10 Auf die grundsätzliche Möglichkeit eines Kompetenzkonflikts weist auch Wißmann, in: Kersten / R ixen PartG, 2009, § 17, Rn. 1; Schönberger, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, S. § 17 Rn. 1 f.; sowie weitergehend der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren, vgl. GE-PartG, BT-Drs. III, 1509, S. 41, hin. Auch der Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 121 sowie 171 sah diese thematische Überschneidung und empfahl deshalb eine Rahmenregelung im zu schaffenden Parteiengesetz, damit insofern auch die Länder gebunden werden könnten, denen unzweifelhaft für den Bereich der Landtagswahlen eine eigene Gesetzgebungskompetenz zusteht. Dem entspricht die heutige Rechtslage: Der Bundesgesetzgeber verzichtete auf eine über § 17 PartG hinausgehende, detailliertere Regelung der Kandidatenaufstellung im PartG und überantwortete diese den Wahlgesetzen. Jedenfalls deshalb sind insoweit die Länder zu entsprechenden Regelung in ihren Wahlgesetzen berechtigt. Dementsprechend kann es dahinstehen, ob für die Gesetzgebungskompetenz anhand des Schwerpunkts inhaltlicher Zuordnung, vgl. Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 164 f., unterschieden wird, oder ob die Länder nur durch das Untätigbleiben des Bundes im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung tätig werden durften, vgl. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 197 ff.; Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 181 f.; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 59 f., der zwar von einer Annexkompetenz der Länder zum Wahlrecht spricht, aber wohl eine konkurrierende Gesetz­gebungszuständigkeit meint. Dabei müssen die Länder aber jedenfalls die aus dem GG ableitbaren Anforderungen an die Kandidatenaufstellung wahren.

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II. Verfassungsrechtliche Maßstäbe 1. Wahl als Kern der grundgesetzlichen Konzeption repräsentativer Demokratie Die nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 GG beim Volk liegende Souveränität wird nach Satz 2 insbesondere durch Wahlen ausgeübt. Sie ist die einzige11 vom Grundgesetz vorgesehene Weise der unmittelbaren Ausübung der Staatsgewalt prinzipiell durch das gesamte Staatsvolk und damit der zentrale Akt, in dem der Staatlichkeit formale Legitimation vermittelt wird.12 Alle anderen Entscheidungen im Staat werden durch das im Wahlakt konstituierte Parlament oder durch auf dieses zurückführbare Stellen und Amtswalter („ununterbrochene Legitimationskette“) getroffen, wodurch ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Staatsvolk und den Staatsorganen hergestellt wird.13 Das Grundgesetz folgt insoweit dem Konzept der Repräsentation bzw. repräsentativen Demokratie.14 In der Wahl übt das Volk seine Staatsgewalt periodisch aus und legitimiert und kontrolliert damit nicht nur das staatliche Handeln in formaler Weise während des permanent andauernden (materiellen) demokratischen Willensbildungs­prozesses,15 sondern aktualisiert und integriert in institutionalisierter Weise die im Volk zusammengefassten Bürger in ihrer realen Vielheit zu einer politischen Einheit.16 Vor diesem Hintergrund kommt der Wahl die zentrale Rolle in der grundgesetzlichen Demokratie zu, sie ist „Fundamentalausdruck der Volkssouveränität“17. Dieser be 11 Die ebenfalls in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genannte, auf die Entscheidung von Sachfragen direkt durch das Volk bezogene Möglichkeit der Abstimmung ist im Grundgesetz lediglich in Art. 29, 118 und 118a für die Neugliederung des Bundesgebietes, dann jedoch nur teilweise auf die betroffenen Bevölkerungsteile bezogen, verwirklicht, vgl. auch Sachs, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 20, Rn. 32. 12 Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 68. 13 BVerfGE 47, 253 (275); 52, 95 (130); 77, 1 (40); 83, 60 (72  f.); 93, 37 (66 f.); Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 11 ff.; Starck, § 33 Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 33. 14 Zum Prinzip der Repräsentation und seinem Verhältnis zu Demokratie und Volkssouveränität siehe umfassender unten S. 102 ff. 15 BVerfGE 20, 56 (98 f., 113); Magiera, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 38, Rn. 75; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 51 spricht mit Blick auf die gesellschaft­ liche Beeinflussung des staatlichen Bereichs vom Bundestag als „Input-Struktur des politischen Systems und [der] Bundestagswahl als Aktivierung dieser Struktur“. Damit einher geht dann auch die (Möglichkeit einer) Veränderung bzw. Deaktivierung der konkreten Ausformung der bisherigen „Input-Struktur“, d. h. der konkreten Zusammensetzung des bisherigen Parlaments, durch die Wahl. 16 BVerfGE 6, 84 (92 f.); 51, 222 (236); 95, 408 (418 f.); Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 2, 8, 11. Zu den Wahlfunktionen generell Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 68 ff. 17 Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 1.

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sonderen Bedeutung entsprechend normiert das Grundgesetz Anforderungen an die Wahl und ihren Schutz ausdrücklich (vgl. insbesondere Artikel 38, 41, 48 GG). 2. Funktion der Parteien im Rahmen der Parlamentswahl Die Mitwirkungsaufgabe und -funktion der politischen Parteien nach Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 GG wird besonders bei den Parlamentswahlen deutlich. Politischen Parteien sehen sich in der Regel nicht nur einer Bevölkerungsgruppe, einem Wirtschaftszweig oder einem bestimmten Thema verpflichtet. Vielmehr treten sie mit dem Anspruch auf, zu prinzipiell jedem politischen Thema aktuell und in der Zukunft eine Position entsprechend ihrer Grundausrichtung zu entwickeln und zu vertreten. Dafür sammeln, bündeln, selektieren und verarbeiten die Parteien Meinungen, Interessen und Standpunkte der Bürger zu den verschiedensten Themen und Fragen und führen sie zu konkreten Positionen zusammen. Sie entwickeln diese fort und bringen sie und somit letztlich die Meinungen sowie Interessen der Bürger mit den gleichen Grundüberzeugungen in den politischen Prozess ein.18 Dieser Vorgang geschieht bei jeder Partei in Orientierung an und geprägt durch ihre programmatische Ausrichtung, woraus sodann der Wettbewerb zwischen den Parteien folgt. Dies ist kein einseitig linearer, sondern vielmehr permanent im Wechselspiel begriffener Prozess zwischen der jeweiligen Partei und den Bürgern, für die die Arbeit der Parteien wiederum Grundlage ihrer Willensbildung ist. Insofern tragen die Parteien maßgeblich zur Findung von Kompromissen, Ausgleich und abstimmungsfähigen Optionen bei und erbringen auf diese Weise eine Integrationsleistung einerseits in ihnen selbst, andererseits in der Gesellschaft.19 All dies findet in zeitlicher Hinsicht nicht nur im Vorfeld der Wahl („Wahlkampfphase“) statt, sondern stellt einen permanenten Prozess dar.20 Die Parteien üben damit eine Schnittstellenfunktion bzw. die eines Bindeglieds21 zwischen einerseits dem staat 18

Ausführlich BVerfGE 85, 264 (284 f.); 91, 262 (268 f.); Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 159 ff.; Kunig, § 40 Parteien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage  2005, Rn. 76; Schröder, § 119 Stellung der Parteien, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 20 ff. Vgl. auch BVerfGE 60, 53 (66 f.). 19 Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 164. 20 BVerfGE 20, 56 (98 f.); Kunig, § 40 Parteien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 76; Klafki, in: v. Münch / Kunig GG, 7. Auflage, 2021, Art. 21, Rn. 33 ff. 21 Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11, 21. Die Umschreibung ihrer Funktion ist vielfältig, hingewiesen sei hier auf die bildhaften, aber gleichzeitig treffenden Beschreibungen als „Transmissionsriemen“ (s. o.) oder „Zwischenglieder zwischen den Einzelnen und dem Staat“, ders., VVDStRL 17 (1959), 11, 19; „Scharnier“ Hillgruber, § 118 Parteienfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 8; ähnlich BVerfGE 20, 56 (101); 44, 125 (149); 52, 63 (82 f.); 60, 53 (66). Die Metapher von den Parteien als „Sprachrohr“ (vgl. Leibholz, Verfassungsrechtliche Stellung und innere Ordnung der Parteien. Ausführung und Anwendung der Art. 21 und 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), 38. DJT 1951, C2-C28, C7 sowie BVerfGE 1, 208 (224)) wird dagegen kritisch gesehen, weil

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licherseits nicht organisierten, informellen Bereich des Meinungsaustauschs sowie der Willensbildung in der Gesellschaft und andererseits dem Bereich organisierter Staatlichkeit aus, bleiben aber selbst im gesellschaftlichen Bereich22 verortet. Damit nehmen sie neben anderen Akteuren23 eine tragende Rolle im Prozess der Vermittlung materieller Legitimation24 des Staates, seiner Entscheidungen und seiner Organe im Allgemeinen ein. Eine solche Schlüsselfunktion25 kommt ihnen gleichzeitig auch bei der Wahl zu. Bei diesem für die repräsentative Demokratie des Grundgesetzes so zentralen Vorgang sind die Parteien die entscheidenden26 oder sogar ausschließlichen27 Ordie Parteien an der Bildung des Willens des Volkes beteiligt seien und nicht lediglich die Funktion botenmäßiger Weitergabe des schon gebildeten Willens erfüllten, vgl. nur Schröder, § 119 Stellung der Parteien, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 11; Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S. 122 f. 22 Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 57. 23 Wie z. B. Medien, Verbänden, Kirchen. Die Parteien unterscheidet jedoch von diesen anderen Akteuren der Meinungsbildung, dass sie auf das Ganze des Staates und nicht nur Sonderinteressen hin orientiert sind. Ihr Beitrag bzw. ihre Haltung im konkreten Fall stellt aus ihrer programmatischen Perspektive das Beste für das Ganze und somit die „einseitige Ausprägung des immer nur gesuchten gemeinsamen Staatswillens“ dar, Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 73 sowie ähnlich 71. Vgl. auch Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 55. 24 Dies wird hier verstanden als die Rückführbarkeit des staatlichen Handelns auf den Willen des Volkes in inhaltlicher Hinsicht, d. h. auf seine Ansichten, Einstellungen und Positionen zu Themen durch Kenntnisnahme und Auseinandersetzung damit. Für demokratische Legitimation ist also lediglich die Billigung staatlicher Entscheidungen (des „outputs“) nicht ausreichend. Das grundgesetzliche Demokratiemodell ist vielmehr grundsätzlich „input-orientiert“, Dreier, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 20, Rn. 83 (m. w. N.). 25 Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 158 f. 26 Auch wenn immer wieder parteilose Einzelbewerber für ein Mandat antreten, haben sie in der Rechtswirklichkeit praktisch keine Chance, gewählt zu werden, wie die bisherigen Bundestags- und Landtagswahlen gezeigt haben. So waren z. B. bei der Bundestagswahl 2017 111 Einzelbewerber bzw. Wählergruppen zur Wahl zugelassen, vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2017, S. 11; bei der Wahl 2013 waren dies 81, vgl. Bundeswahlleiter, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag – Sonderheft Wahlbewerber, 2013, S. 10. Abgesehen von der ersten Bundestagswahl 1949 mit drei erfolgreichen parteilosen Wahlkreiskandidaten gab es auf Bundesebene keine nicht über eine Partei nominierten und dann auch gewählten Abgeordneten mehr und auch in den Ländern hatten Einzelbewerber fast nie (Ausnahme Bremen 1946 und 1951) Erfolg, vgl. Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Bundestagswahlen, 2018, S. 94; Bundeswahlleiter, Ergebnisse früherer Landtagswahlen, 2019, S. 23 ff. insb. 47. Dieses Faktum erwähnt auch bereits BVerfGE 13, 127 (128) sowie Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, S. 97. Vgl. dazu generell Böth, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 18, Rn. 1, 3; auch Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 44; Schröder, Die Kandidatenaufstellung und das Verhältnis des Kandidaten zu seiner Partei in Deutschland und Frankreich, 1971, S. 35 ff. 27 Nur Parteien können Listen für die Parlamentswahl aufstellen (Listenprivileg), siehe oben S. 81.

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ganisationen, die die Kandidaten finden, bereit- und aufstellen, die dann wiederum in der Wahl vom Volk mit der Wahrnehmung staatlicher Gewalt betraut werden können. Sie sind insoweit „Wahlvorbereitungsorganisationen“28. Die Parteien nehmen also auch bei der Vermittlung formaler Legitimation durch die Wahl eine herausragende Rolle29 ein.30 Parteien können und sollen mithin insbesondere im Wege der Kandidatenaufstellung auch Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen. Die Kandidatenaufstellung stellt gleichzeitig eine Vorauswahl31 für den Bürger dar, da dieser angesichts des Systems starrer Listen nur zwischen den bereitgestellten Kandidaten „die Wahl hat“. Folglich schlagen sich Handlungen der Partei bei der Kandidatenaufstellung in der Wahl selbst nieder. Aus diesem Grund gelten die Wahlrechtsgrundsätze nicht nur beim Wahlakt selbst, sondern grundsätzlich auch im Vorfeld der Wahl und insbesondere bei der Kandidatenaufstellung innerhalb der Partei.32 Nur so kann sich ihre Wirkung auch tatsächlich entfalten. 28 BVerfGE 8, 51 (63); Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 4. Diese Bezeichnung trifft solange zu, als ihre Rolle nicht darauf reduziert wird. 29 Das BVerfG sieht sie als notwendige „politische Handlungseinheiten“ an, BVerfGE 11, 266 (273); 73, 40 (85). 30 So auch Nass, Die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze bei der Aufstellung von Parteikandidaten für Bundestagswahlen, in: Schneider / Götz (Hrsg.), FS Weber 1974, 311, 313. Auch Schmitt Gläser, § 38 Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 26 f. differenziert diese zwei Hauptfunktionen als Wirkung auf der gesellschaftlich-politischen und der Ebene institutionalisierter Staatlichkeit. Dabei zeigt sich diese besondere Rolle der Parteien nicht nur im Hinblick auf den staatsrechtlichen Prozess der Legitimation, sondern gerade auch für den Bewerber um eine Kandidatur. Denn abgesehen davon, dass für diesen nur eine Parteiunterstützung eine generelle Chance auf ein Mandat eröffnet, ist es die Partei, die über die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste abschließend entscheidet. Angesichts des Systems starrer Listen ist aber die Platzierung darin maßgeblich für die Chance, gewählt zu werden. Grund hierfür ist, dass sich aus den Erfahrungen vergangener Wahlen häufig abschätzen lässt, welcher Anteil an Listenplätzen als verhältnismäßig „sicher“ anzusehen ist. In Kombination mit jenen Direktmandaten, die aufgrund des Wahlverhaltens der örtlichen Bevölkerung ebenfalls vorhersehbar einer bestimmten Partei zufallen, verfügen die Parteien somit im Ergebnis über einen Pool an Mandaten, der faktisch unabhängig vom konkreten Ausgang der Wahl ist. Die Partei ist damit „Herrin über die Liste“ (in Anlehnung an Schröder, Die Kandidatenaufstellung und das Verhältnis des Kandidaten zu seiner Partei in Deutschland und Frankreich, 1971, S. 20, der die Parteien als „Herren der Wahl“ bezeichnet). Vgl. dazu auch Schreiber, § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht  1989, Rn. 38; Henkel, Die Auswahl der Parlamentsbewerber, 1976, S. 27; Schröder, Die Kandidatenaufstellung und das Verhältnis des Kandidaten zu seiner Partei in Deutschland und Frankreich, 1971, S. 77 f.; Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, 1971, S. 566 f., 574 ff.; Tsatsos / Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 116 f.; Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 11; von Arnim, JZ 12, 2002, 578, 579 ff. (Fn 4 m. w. N.), insb. 584 ff.; Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, S. 137 f.; Schmitt Gläser, DÖV, 1977, 544, 547; Scheuner, DÖV, 1958, 641, 644 f. 31 Insofern hat sie im Ergebnis zu einem gewissen Teil den Charakter einer Voraus-Wahl. 32 Siehe unten S. 113 f. sowie S. 127 und 129.

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3. Repräsentation als zentrales Funktionselement grundgesetzlicher Demokratie Die Wahl stellt das formale Bindeglied zum Souverän her und vermittelt staatlichem Handeln Legitimation. Dabei ist sie in den Gesamtprozess der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes eingebettet und dessen konstitutives Element. Daraus folgt, dass die grundgesetzliche Idee und Konzeption der demokratischen Repräsentation verfassungstheoretischer Hintergrund und damit Schlüssel für die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einzelner die Wahl und die Kandidatenaufstellung betreffender Normen, also auch eines Paritäts­ gesetzes, ist. a) Grundsätzliches Verständnis Die Grundentscheidung des Grundgesetzes für die Staatsform der Demokratie in Artikel 20 Absatz 1 bedarf als abstraktes staatstheoretisches Strukturprinzip der weiteren Ausgestaltung und Konkretisierung auf verfassungs- und einfachrechtlicher Ebene. Von zentraler Bedeutung ist die Entscheidung für eine nach dem Prinzip der Repräsentation33 ausgestaltete Form der Demokratie. Sie wird zwar in keiner Verfassungsnorm ausdrücklich getroffen, ergibt sich jedoch aus den Artikeln 20 Absatz 2, 38 Absatz 1 Satz 2 sowie 21 GG.34 Der (demokratie-)theoretische Begriff der Repräsentation bezeichnet zunächst abstrakt die „Vergegenwärtigung“ einer Gruppe bzw. eines Personenverbandes, um diese(n) willens- und handlungsfähig zu machen. Seinen spezifisch verfassungsrechtlichen Aussagegehalt erhält er erst in Verbindung mit der in Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 GG vorausgesetzten und bestätigten Volkssouveränität, nach der alle staatliche Gewalt auf das Volk zurückzuführen ist. Das Volk gibt sich aus seiner Souveränität heraus eine Verfassung (als pouvoir constituant) und ist dauerhaft Träger der mit der Verfassung errichteten Staatsgewalt (als pouvoir constitué).35 Zu einem konkret handlungsfähigen Verband der Staatsbürger wird das Staats 33

Dazu Rausch, Heinz (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, 1968. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 38 zählt die Repräsentation „zu den schwer erklärbaren, aber eigentümlichen Techniken der Struktur des demokratischen Verfassungsstaates“, wobei dessen Organisation „ohne diese Idee nicht mehr aus[kommt]“. 34 So auch Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 4. 35 Vgl. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 240 f.; Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 1, 27 ff., 34. Zum Umfang und Reichweite der Legitimation vgl. Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975, S. 148 ff., 157.

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volk indes erst im Wege der Repräsentation, die im folgenden Satz dieses Absatzes angesprochen wird: „Sie [die Staatsgewalt] wird vom Volke … durch besondere Organe der Gesetzgebung, … ausgeübt.“.36 Im demokratischen Staat trägt das Prinzip der Repräsentation der Erkenntnis Rechnung, dass das Staatsvolk als Personenverband organisiert werden muss, um einen Willen bilden zu können und handlungs- und entscheidungsfähig zu sein.37 Dies gilt umso mehr im modernen Flächen- und Wohlfahrtsstaat mit in der Zahl immer größer und in der Sache immer komplizierter werdenden Entscheidungen. Die von Rousseau beschriebene38 Form der Demokratie, in der alle von ihr Betroffenen selbst alle Entscheidungen treffen, somit Herrschaft über andere entbehrlich wird und vielmehr eine Identität von Regierenden und Regierten39 besteht, bleibt ein in der Wirklichkeit nicht zu erreichendes Ideal. Alle Versuche seiner Umsetzung, sei es in Form von Rätedemokratien, sei es als unmittelbare Form der Abstimmung, müssen an praktischen Schwierigkeiten und nicht zuletzt der Erkenntnis scheitern, dass sich Herrschaft an sich nicht aufheben lässt, sondern viel eher die Gefahr besteht, dass diese vermeintliche Identität die Ausübung der Herrschaft Einzelner oder von Gruppen verdeckt.40 Deshalb soll mit dem Funktionsprinzip der Repräsentation eine Herrschaft des Volkes über sich selbst ermöglicht und deren Missbrauch durch Einzelne vorgebeugt werden, indem diese Herrschaft auf eine gewisse (verfassungs-)rechtlich geordnete Weise ausgeübt, kontrolliert, begrenzt

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Isensee, § 15 Staat und Verfassung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 120; Brenner, § 44 Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 2 spricht vom Prinzip der Repräsentation als „Bindeglied zwischen dem Willen des Volkes und der Ausübung staatlicher Gewalt“. 37 Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 22, wonach die Repräsentation das Volk überhaupt erst rechtlich existent und als Subjekt handlungsfähig macht; Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S. 69 f. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 29 ff., sieht in der „Fiktion der Repräsentation“ eine Verhüllung des dem Parlamentarismus innewohnenden Kompromisses zwischen demokratischer Freiheit und notwendiger Arbeitsteilung, um die vollständige Verwirklichung demokratischer Freiheit im Parlamentarismus zu begründen. 38 Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Grundlagen des Staatsrechts, 1953, S. 1. Buch, 6. Kapitel, 2. Buch, 1. und 3. Kapitel sowie 3. Buch, 4. und 15. Kapitel. 39 Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1961, S. 20, 35; Ders., Verfassungslehre, 1954, S. 234 ff., der hier jedoch darauf abstellte, dass in der Demokratie die Regierenden sich nicht qualitativ von den Regierten unterscheiden dürften, sondern nur sachlich. 40 Dazu Böckenförde, Demokratie und Repräsentation – Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, 1983, S. 12; Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 6 ff.; Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der Demokratie, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung 1968, 386, 407; Ders., Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 44; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 131; Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 257 ff.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

und legitimiert wird.41 Dies ist nicht etwa eine defizitäre Form der Demokratie, sondern ihre „notwendige Grundform“42. Das Grundgesetz weist dem Parlament die zentrale Rolle im Prozess der Repräsentation zu. Es wird als einziges Staatsorgan unmittelbar vom Volk gewählt, das auf diese Weise gemäß Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 GG ausnahmsweise selbst Staatsgewalt ausübt, und seine Mitglieder entscheiden als „Vertreter des ganzen Volkes“ frei und ungebunden. Dem Parlament kommt insbesondere die Rolle der Ausübung der Staatsgewalt in Form der Gesetzgebung zu. Darin wird die Volkssouveränität als Legitimationsgrund der Rechtsordnung und die Garantiefunktion der Gesetze sichtbar.43 Vor allem aber macht dies die Eigenschaft des Parlaments als zentrales Repräsentationsorgan deutlich.44 Sein Handeln vertritt das des Volkes, wird diesem also zugerechnet. Bezugspunkt der Staatsgewalt ist das Volk als Souverän, nicht das Parlament selbst. Das Volk ist das Subjekt und damit der Ursprung der Legitimation allen staatlichen Handelns, die über das Parlament als Repräsentationsorgan vermittelt45 wird. Der Begriff der Repräsentation wurde im Laufe der Zeit abhängig von den konkreten politischen Strukturbedingungen, den mit seiner Verwendung verfolgten Zielen und den Begründungskonzepten unterschiedlich verstanden.46 Gelegent 41

Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht  1989, Rn. 24; Badura, in: BK GG, 213.  EL, 2021, Art. 38, Rn. 29; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 9. Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, 1954, S. 25 sieht Repräsentation als Mittel zur Umsetzung der Volkssouveränität, indem die Repräsentation „äußerlichen Herrschaftsbestand bei tatsächlicher Nichtherrschaft“ darstellt. 42 Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 3. Ähnlich Böckenförde, Mittelbare / repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Müller / R hinow / Schmid / Wildhaber (Hrsg.), FS Eichenberger 1982, 301, 312; Badura, Staatsrecht, 2018, D 10; Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 22. 43 Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 34. 44 So auch Dreier, JZ, 1990, 310, 311 m. w. N. 45 Jeder Amtsträger im Staat muss seine Ernennung auf das Parlament bzw. ein von ihm erlassenes Gesetz zurückführen (personelle Legitimation) und seine Handlungen müssen sich auf Gesetze zurückführen lassen (sachlich-inhaltliche Legitimation), was durch die parlamentarische Verantwortlichkeit und Weisungsgewalt sowie Ämterhierarchie ergänzt wird. Es muss also eine ununterbrochene „Legitimationskette“ von der staatlichen Handlung zum Parlament und damit zum Volk bestehen. Dazu BVerfGE 83, 60, (71 ff.); 93, 37 (66 f.); 107, 59 (86 ff.) sowie Robbers, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 20, Rn. 577; Starck, § 33 Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 33. Auch Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, 1954, S. 24 sieht die Herstellung von Legitimation staatlicher Herrschaft als zentrale Funktion des Repräsentationsprozesses an. 46 Ähnlich Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S. 63, 67. Ausführlich Hofmann, Repräsentation – Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 1974.

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lich wurde er auch dergestalt überhöht, dass nur etwas Überindividuelles, etwas in einer höheren „spezifisch ideellen Wertsphäre“47 Verhaftetes, eine „gesteigerte Art Sein“48 bzw. etwas Würdevolles und Erhabenes49 der Repräsentation fähig sei – dies freilich zum Teil nur, um ein Abweichen vom so beschriebenen Idealzustand zum Anlass grundsätzlicher Kritik an der Demokratie zu nehmen.50 Eine wirklichkeitsnähere Betrachtung wird hingegen am Sinn und Zweck des Repräsentationsprinzips ansetzen, den Gedanken der Volkssouveränität über das Parlament als Repräsentationsorgan mit Leben zu erfüllen. Dabei wird weder ein empirisch ermittelter Wille des Volkes im Sinne der Summe der Einzelwillen („volonté des tous“) tatsächlich umgesetzt noch ein hypothetischer einheitlicher Wille („volonté générale“51) bzw. eine ideelle Einheit des Volkes52 oder das Gemeinwohl53 lediglich erkannt und zum Ausdruck gebracht bzw. konkretisiert.54 Vielmehr wird über das im Grundgesetz ergänzend und konkretisierend vorgesehene Verfahren politischer Willensbildung, das wiederum eine Rückbindung an die im Volk tatsächlich vorhandenen Meinungen und Interessen gewährleisten soll, eine Entscheidung „gefunden“, die dann als die des Volkes gilt, d. h. ihm zugerechnet wird. Es wird also nicht an etwas schon Vorhandenes angeknüpft, das mittels der Repräsentation nur vergegenwärtigt wird.55 Der in der staatlichen Entscheidung liegende „Wille des 47

Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 1966, S. 37, 32. 48 Schmitt, Verfassungslehre, 1954, S. 210. 49 Vgl. ders., Verfassungslehre, 1954, S. 206. 50 Vgl. ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1961, S. 5 ff., 62 f.; Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 1966, S. 103 ff., 118 f. Insgesamt dazu Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 38, Rn. 24 ff. 51 Zu dieser Unterscheidung Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Grundlagen des Staatsrechts, 1953, z. B. 2. Buch, 3. Kapitel sowie 4. Buch, 2. Kapitel. 52 Schmitt, Verfassungslehre, 1954, S. 206 f., 210 ff., der aber gleichzeitig festhält, dass Repräsentation erst die Einheit bewirkt (S. 214); Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 1966, S. 46 ff., 57 f. 53 Mit der Notwendigkeit und Gefahr der Findung dessen durch eine irgendwie zu bestimmende Elite. 54 Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 267. 55 So auch Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 29; Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 34; ähnlich Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S. 80 f. Damit unterscheidet sich dieses Verständnis vom liberalen Verständnis der Repräsentation der Nation, deren „Wille“ durch die dafür besonders Befähigten, mithin die durch „Bildung und Besitz“ qualifizierten Personen, gefunden wurde. Diese Prämisse im liberalen Verständnis von Repräsentation führte zum Bild des „Honoratiorenparlaments“, das durch Diskussionen Gegensätze in Form bloßer Meinungsverschiedenheiten in Ausgleich brachte und ein so verstanden eigentlich schon vorhandenes Gemeinwohlinteresse fand. Dies gelang jedoch nur, weil der Kreis der Parlamentarier derselben Schicht entstammte und damit auch die Interessensgegensätze gering waren. Vgl. Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 29 ff.

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Volkes“ wird in dem Prozess der Entscheidungsfindung überhaupt erst gebildet.56 Dadurch gewinnt neben der hergestellten staatlichen Entscheidung vor allem der Prozess an Bedeutung, der ihr vorausgeht und dessen Produkt sie ist. Durch viele Einzelkomponenten, wie die Sicherung eines offenen Diskussionsraumes in der Gesellschaft und im Parlament, die Freiheit der Parteien, die Öffentlichkeit des parlamentarischen Prozesses, die personale Rückbindung staatlicher Funktionsträger etc., werden die Rahmenbedingungen eines dialektischen Prozesses57 zwischen dem Volk und dem die formale Entscheidung hervorbringenden Repräsentationsorgan gewährleistet. Repräsentation in der Demokratie meint also weniger etwas Statisches, sondern vielmehr einen Organisationsprozess, ein „Instrument der Volkssouveränität“58.59 Dabei erschöpft sich Repräsentation nicht in einem formalen Charakter, d. h. in der praktischen Herstellung von Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Volkes. Im Vorgang der Repräsentation wird das Volk in der Erkenntnis seiner pluralen Größe mit Interessengegensätzen und Vielschichtigkeit erst zu einer Einheit integriert.60 Dafür muss die Repräsentation eine inhaltliche Komponente aufweisen, d. h. in einer Art und Weise erfolgen, die bei allen sachlichen Meinungsverschiedenheiten eine grundsätzliche Identifikation der Bürger mit dem staatlichen Handeln und damit eine prinzipielle Zustimmung und Folgebereitschaft durch die Bürger ermöglicht.61 Dies geschieht nicht zuletzt im Interesse der Akzeptanz 56

Denn nach Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 133 f. knüpft die Konzeption der grundgesetzlichen Demokratie und die Volkssouveränität an die „heutige[] geschichtliche[] Wirklichkeit“ an, indem sie die im Volk vorhandene „Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Meinungen, Interessen, Willensrichtungen und Bestrebungen und damit Existenz von Konflikten“ realisiert und „politische[] Einheit als Bedingung der Entstehung und des Wirkens staatlicher Gewalt“ immer wieder mittels Repräsentation herstellt. Ähnlich Kotzur, in: BK GG, 213. EL, 2021, Vorbem. z. Art. 38–49, Rn. 43; Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, 16 ff. 57 Ähnlich Sobolewski, Politische Repräsentation im modernen Staat der bürgerlichen Demokratie, in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung 1968, 419, 428 ff.: „Prozeß der Angleichung von Politik und Meinungen, in der Absicht, sie einander nahe zu bringen“. Vgl. auch BVerfGE 5, 85 (134 f.); Dreier, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 20, Rn. 76 f. 58 Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, 1954, S. 27. 59 Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 33; Kotzur, in: BK GG, 213. EL, 2021, Vorbem. z. Art. 38–49, Rn. 46; Böckenförde, Demokratie und Repräsentation – Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, 1983, S. 25 f., der darin einen „Vorgang der Vermittlung auf das von den Bürgern getragene Allgemeine“, verstanden als volonté générale, sieht. 60 Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 257; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 133 und speziell auf die Wahl als formale Voraussetzung dieser Repräsentation bezogen Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 2, 8 f. 61 Böckenförde, Mittelbare / repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie, in: Müller / R hinow / Schmid / Wildhaber (Hrsg.), FS Eichenberger 1982, 301, 318 f.; Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 28 ff., 46; Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheits-

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und damit Stabilität der Rechts- und Verfassungsordnung.62 Gleichzeitig ist damit aber ein notwendiges, nicht rational fassbares Element angesprochen, das in dem Zutrauen der Bürger in die Repräsentationsfähigkeit des Parlaments und damit in einer Art „Legitimitätsglauben“63 liegt.64 Entscheidend hierfür ist in erster Linie eine Offenheit der Repräsentanten sowie des Repräsentationsprozesses hin zum Volk. Denn sie ermöglicht einen dialektischen Prozess im Vorfeld der staatlichen Willensbildung und somit eine Orientierung an den zum Ausdruck gebrachten Bedürfnissen und Vorstellungen der Bürger und letztlich deren Integrierung in die staatliche Willensbildung. Diese Bedürfnisse und Vorstellungen werden durch die im staatlichen Entscheidungsprozess i. e. S. Beteiligten, insbesondere durch die Repräsentanten, in verschiedener Hinsicht ergänzt. Diese Ergänzungen umfassen z. B. Interessen, deren Träger sich nicht (ausreichend) im vorausgehenden dialektischen Prozess äußern konnten, oder weniger an Einzelnen, sondern an der Gesamtheit ausgerichtete und erst durch die Repräsentanten aktualisierte übergreifende Bedürfnisse. Schließlich werden all diese, oft gegensätzlichen Interessen in der Entscheidung selbst zum Ausgleich gebracht, die damit oft kompromisshaften Charakter hat. Auf diese Weise wird die freiwillige Anerkennung staatlicher Handlungen und Entscheidungen durch die Mitglieder des Volkes und damit die Identifikation der Bürger mit diesen Entscheidungen auf Dauer gesichert. Gleichzeitig kommt so dem Vorgang der Repräsentation die Aufgabe der Einheitsstiftung und Gewährleistung demokratischer Legitimität zu.65 Damit lässt sich festhalten: (Parlamentarische) Repräsentation nach dem Grundgesetz meint einen Modus zur Verwirklichung der Volkssouveränität und damit Legitimierung staatlichen Handelns im demokratischen Staat, indem in einem grundgesetzlich vorgegebenen Verfahren ein Wille und eine Entscheidung gebildet und dem Volk zugerechnet werden. Auf diese Weise wird das Volk zum Handeln befähigt. Zugleich wird seine Identifikation mit den staatlichen Entscheidungen und damit die Herstellung von Einheit zu gewährleisten versucht. b) Freiheit und Gleichheit als prägende Merkmale Bei der historischen Entwicklung der Staatlichkeit hin zum Verfassungsstaat stand zunächst die Sicherung der Freiheit durch verfassungsrechtliche Begrenzung der Willkür der Staatsgewalt und durch in ihr gewährleistete Mitwirkungsrechte prinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht  1989, Rn. 22; Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation, 1954, S. 25 ff.; ähnlich Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung – Anmerkungen zur Problematik, 1979, S. 251 f. 62 Dazu Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, S. 49 f., 116 f. 63 Zurückgehend auf Leibholz, VVDStRL 7 (1932), 159, 160; vgl. auch Kotzur, in: BK GG, 213. EL, 2021, Vorbem. z. Art. 38–49, Rn. 75. 64 Pünder, VVDStRL 72 (2003), 191, 195 ff.; in diese Richtung auch Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 1979, S. 149 ff. 65 Vgl. Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S. 79 f., 205.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

der Bürger im Zentrum.66 In diesem Zuge gewannen auch Parlamente immer mehr an Bedeutung.67 Mit dem Gedanken der Demokratisierung von Staaten verschob sich der Schwerpunkt der politischen Forderungen und Entwicklung hin zum Prinzip der Gleichheit, sichtbar vor allem in der Ausweitung des Wahlrechts.68 Es ging darum, die im parlamentarischen Verfassungsstaat gesicherte Freiheit durch das Prinzip der Gleichheit aller als Bürger dieses Staates zu ergänzen.69 Dieser egalitäre Anspruch prägt zusammen mit der Idee der Freiheit den demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes und sein Organisationsprinzip der Repräsentation und beide sind deren Grundvoraussetzung.70 aa) Freiheit Das Grundgesetz geht von der Würde des Menschen als dem Staat voraus­liegendes, grundlegendes Prinzip aus (Artikel 1 Absatz 1 und 2 GG).71 Damit einher geht das Bekenntnis zum Menschen als eigenständigem und selbstbestimmten Individuum. Die Verwirklichung und Entfaltung dieser Individualität gelingt nur in Freiheit. Folglich ist bereits in der Menschenwürde die grundsätzliche Freiheit des Menschen angelegt, in der er im Verhältnis zu seinen Mitmenschen gleich ist. Wurzeln Freiheit und Gleichheit72 des Menschen folglich in seiner vorstaatlichen Würde,73 66

Vgl. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 2, 76 ff.; Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 5 ff., 14. 67 Dazu auch Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 1966, S. 66 ff. 68 Einen Überblick über die historische Entwicklung des Prinzips der Freiheit sowie des Prinzips der Gleichheit und ihr Verhältnis, auch mit Blick auf einen teilweise gewandelten Bedeutungsgehalt, gibt Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 2 ff. 69 Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 177 ff., 200, 207 f., 243 f. Ähnlich Brenner, § 44 Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 12. 70 So auch Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 22, wonach die parlamentarische Repräsentation ihre spezifische Gestalt aus der Idee der Souveränität eines egalitären Staatsvolks erhält; Kotzur, in: BK GG, 213. EL, 2021, Vorbem. z. Art. 38–49, Rn. 41 f.; Kirchhof, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 187; Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 1. Vgl. dazu unter dem Aspekt der Nationalstaatsbildung Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 – Band I Reform und Restauration 1789 bis 1830, 1967, S. 4 f. 71 Dazu BVerfGE 45, 187 (227 f.); 96, 375 (399); 109, 279 (311); Häberle, § 22 Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage  2004, insb. Rn. 56 ff.; Stern, § 184 Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR IX, 3. Auflage 2011 Rn. 5; Herdegen, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1 ff. 72 Zur Gleichheit siehe unten S. 116 ff. 73 Dürig / Scholz, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 3 f.; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 2 Abs. 1, Rn. 1; Kriele, Freiheit und Gleichheit, in: Benda / ​

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ist der Staat zu ihrem Schutz und ihrer Entfaltung verpflichtet.74 Der Staat selbst hat seinen Existenzgrund in den Menschen und ihrer Würde. Insofern erklärt es sich, dass historisch betrachtet erster konkret sichtbarer Ausdruck dieser sich entwickelnden Idee der Menschenwürde und Staatlichkeit der Ruf nach und der Kampf um persönliche Freiheiten war, die vor den Inhabern staatlicher Gewalt geschützt waren.75 Als Mittel zur dauerhaften Sicherung dienten insbesondere die Verfassung und allgemeine Gesetze. Diese Dimension der Freiheit als einer Freiheit vom Staat76 liegt im Kern den modernen Grundrechten zugrunde. Wenn der Staat „um der Menschen willen“77 da ist, liegt es in der Logik dieses Gedankens begründet, Freiheit nicht nur auf einen staatsfreien Raum persönlicher Entfaltung zu beschränken. Vielmehr muss es jedem Mitglied des Staatsverbandes möglich sein, seine Selbstbestimmung auch diesbezüglich auszuüben und an der Ausübung der Staatsgewalt teilzunehmen, anderenfalls wäre die Unterworfenheit unter die Staatsgewalt nicht mit der prinzipiellen bzw. individuellen Freiheit vereinbar.78 Die Teilnahme79 meint dabei nicht eine Beteiligung an jeder einzelnen staatlichen Entscheidung, es geht vielmehr um eine grundsätzliche Möglichkeit, Hesse / Maihofer / Vogel / Grimm (Hrsg.), HdbVerfR, 1. Auflage 1983, 129, 129 ff., der darüber hinaus weitere Gründe für den Anspruch des Menschen auf Freiheit anführt; ähnlich auch ders., Einführung in die Staatslehre, 2015, S. 181 ff.; Merten, § 27 Das Prinzip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 11. Vgl. auch BVerfGE 123, 267 (341 f.); 144, 20 (208). 74 Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 17 f. 75 Die Sicherung persönlicher Freiheit konnte allerdings auch über Beteiligungsrechte in organisatorischer Hinsicht zu erreichen versucht werden (vgl. nur den Grundsatz „no taxation without representation“), die in erster Linie Ausdruck der Freiheit zum und im Staat sind (dazu sogleich). Dies macht die innere Verbindung der Freiheitsdimensionen deutlich, dazu Starck, § 33 Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 12 f.; Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 14. 76 Vgl. zu dieser Differenzierung Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V  2013, Rn. 17 f. Ähnlich auch Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 5 ff. Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 12 ff. sieht eine grundsätzliche Inhaltsleere des Begriffs der Freiheit und erachtet neben dem Subjekt der Freiheit vor allem seine negative (Freiheit von etwas) und positive Seite (Freiheit in Bezug auf eine Handlung, Nichthandlung, Option) als notwendig für eine vollständige Beschreibung. Dies dürfte sich aber weitgehend mit der hier verwendeten Unterscheidung decken (die positive Seite umfasst dann wohl die Freiheit im und zum Staat). 77 So die Formulierung von Art. 1 Abs. 1 HerrenCHE. 78 Vgl. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 5 ff.; Hillgruber, AöR 127 (2002), 460, 461 f. 79 Dieser Begriff wird teilweise auch gleichbedeutend als „Teilhabe“ verwendet. Teilhabe wird jedoch auch im Sinne eines durch den Staat vermittelten Habens bzw. von Teilhabeansprüchen (als Ansprüchen auf staatliche Leistungen) abweichend verstanden. Deshalb wird hier für die auf die Mitwirkung am Staat abzielende Dimension der Freiheit der Begriff „Teilnahme“ verwendet, der zurückgeht auf Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1905, S. 86 ff., 136 ff. Dazu Starck, § 41 Teilnahmerechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 1.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

sich  – gemeinsam mit anderen  – in das Gemeinwesen Staat einzubringen und dessen grundlegende Richtungen mitzubestimmen.80 Sichtbar ist dies vor allem in der Parlamentswahl, die mit all ihren Funktionen somit als Ausdruck und „Funktionsbedingung[] verfaßter Freiheit“81 angesehen werden kann. In dieser Dimension ist Freiheit als die Freiheit zum Staat, als Teilnahmefreiheit angesprochen. Diese politische bzw. demokratische Dimension der Freiheit und ihr Ursprung in der Menschenwürde finden konkreten Ausdruck im Konzept der Volkssou­ veränität.82 Die grundrechtliche und politische Komponente der Freiheit stehen nicht beziehungslos zueinander. Auch wenn jeder ein eigener Wert zukommt und ihre Art und Zielrichtung dem Grunde nach verschieden sind, sind sie im freiheitlichen Verfassungsstaat gegenseitig bedingt und Ausprägungen eines einheitlichen Freiheitsgedankens, der seine Wurzel in der Menschenwürde hat.83 So wie die Freiheit zur politischen Mitbestimmung den persönlichen Freiheitsgebrauch ein Stück weit84 absichert, kommt den grundrechtlichen Freiheiten über die Sicherung der Möglichkeit der Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess auch eine politisch-demokratische Funktion zu.85 Das auf der Volkssouveränität basierende Prinzip der Repräsentation86 ist der Organisationsmodus zur Umsetzung dieser Freiheit zum Staat in der Rechtswirklichkeit. Verbindendes Element zwischen den freien Bürgern und dem Prinzip der demokratischen Repräsentation ist der Gedanke einer Legitimationsbeziehung

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Vgl. auch Benda, Die Menschenwürde, in: Benda / Hesse / Maihofer / Vogel / Grimm (Hrsg.), HdbVerfR, 1. Auflage 1983, 107–128, 113; zum positiven Anspruchscharakter dieser Freiheitsdimension Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 31. 81 Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 12. 82 Auf diesen engen Bezug zwischen Menschenwürde und Volkssouveränität stellt ausführlich Häberle, § 22 Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 61 ff. ab. 83 Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 15; Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 14. 84 Weil demokratische Teilnahmerechte nur eine Dimension der umfassend verstandenen Selbstbestimmung sind und aufgrund des Mehrheitsprinzips nur partielle Selbstbestimmung bedeuten, genügen sie, ungeachtet ihres Eigenwertes, allein nicht zur umfänglichen Freiheitssicherung. Es bedarf dafür weiterer rechtlicher und institutioneller Schutzvorkehrungen, wie Grundrechten, Gewaltenteilung, Rechtsschutz etc., die sie ergänzen, vgl. Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 16. 85 Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 38 ff.; Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 31; Starck, § 33 Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 4; dies betont auch Schmitt Gläser, § 38 Die grundrechtliche Freiheit des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 3, 11 ff. 86 Dazu ausführlich oben S. 102 ff.

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zwischen Bürgern und Staatsgewalt.87 Die Freiheit der Bürger zum Staat, in der Praxis ausgeformt als konkrete Teilnahmerechte, ist folglich denknotwendig Voraussetzung für ein nach dem Prinzip der Demokratie88 gestaltetes Staatswesen.89 Demokratie kann deshalb als „organisatorische Konsequenz“90 der Menschenwürde begriffen werden. Im Gedanken der politisch-demokratischen Freiheit ist auf einer höheren Abs­ traktionsebene der freiheitliche, inhaltlich offene Diskurs als grundsätzliche Art und Weise der Entscheidungsfindung im demokratischen Staat angelegt:91 Mit der Freiheit zum Staat ist der Mensch in seiner Eigenschaft als Bürger zur Mitwirkung am Gemeinwesen angesprochen.92 Dann ist aber jeder Bürger in gleicher Weise93 aufgerufen und berechtigt, und es geht darum, anstelle von vorgegebenen „umfassende[n] Lehren der Wahrheit oder des Rechten [] eine Idee des politisch Vernünftigen“94 treten zu lassen. Diese „politische Vernunft“ ist aber gerade nichts Statisches und Vorgegebenes mit einem absoluten Wahrheitsanspruch.95 Sie stellt das Ergebnis eines für verschiedene Ansichten offenen und auf Ausgleich angewiesenen Entscheidungsprozesses in der Gemeinschaft der gleichen Bürger dar. Auf diese Weise wird nicht nur die Freiheit des einzelnen, sondern der Frieden

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Siehe dazu auch oben S. 98 f. Ähnlich Starck, § 41 Teilnahmerechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 7; ders., § 33 Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 9. 88 Freilich setzt dies bereits ein bestimmtes freiheitliches Verständnis von Demokratie voraus, da durchaus Staatswesen denkbar und existent sind, die sich zwar als Demokratie bezeichnen, in denen die Bürger aber nicht frei sind. Vgl. dazu auch Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 83 f. 89 So auch BVerfGE 47, 253 (283), wonach die Wahlrechtsfreiheit ein „dem demokratischen Prinzip immanente[r] Grundsatz“ sei; Kirchhof, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 187; Dreier, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 20, Rn. 61, 65; Kriele, Freiheit und Gleichheit, in: Benda / Hesse / Maihofer / Vogel / Grimm (Hrsg.), HdbVerfR, 1.  Auflage 1983, 129, 143 f.; Sachs, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 20, Rn. 16 f. 90 Häberle, § 22 Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 67; Häberle / Kotzur, Europäische Verfassungslehre, 2016, Rn. 839, 860. Dazu auch Dreier, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 20, Rn. 76 f. 91 Vgl. BVerfGE 20, 56 (98); 44, 125 (139); 73, 40 (85); 91, 276 (284 f.); 111, 382 (404); Böcken­ förde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage  2004, Rn. 40; Schröder, § 119 Stellung der Parteien, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 14. 92 Ohne dass damit eine Idealvorstellung eines aktiv politisch mitwirkenden, rational und gemeinwohlorientiert handelnden Bürgers zwingend einhergeht, vgl. Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 14. 93 Zu diesem Aspekt unten S. 116 ff. 94 Rawls, Das Recht der Völker, 2002, S. 165. Wobei dieser die „öffentliche Vernunft“ als ein engeres, spezifisches Konzept versteht, vgl. S. 168 ff. Kennzeichnend ist aber auch das Kriterium der Reziprozität, vgl. S. 171 ff. 95 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 159 ff., der darin auch eine Reaktion auf die Möglichkeit menschlicher Fehlbarkeit sieht.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

in der Gemeinschaft gesichert.96 Das Prinzip der Repräsentation bezogen auf die staatlichen Entscheidungsprozesse ist die konkrete Ausformung und Formalisierung dieses freien Diskurses. (1) Wahlrechtsfreiheit Freiheit in ihrer politisch-demokratischen Dimension, d. h. Teilnahmefreiheit, eröffnet dem Einzelnen die grundsätzliche Möglichkeit zur Mitbestimmung des staatlichen Gemeinwesens, dem er angehört.97 Für die konkrete Ausübung ist diese Freiheit auf normative Ausgestaltung auf Ebene der Verfassung sowie des einfachen Rechts angewiesen.98 Ihren sichtbarsten Ausdruck in Verfassung und Wirklichkeit und gleichzeitig „konkrete Ausformung der aktivbürgerlichen „Schicht“ der Menschenwürdeklausel“99 ist die Wahlfreiheit. Das Grundgesetz schützt sie in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 3. (a) Gewährleistungsgehalt Die Wahl ist zentrales Element der staatlichen Willensbildung, die nach dem Prinzip demokratischer Repräsentation funktioniert. Somit ist auch die Wahl funktional auf die Repräsentation ausgerichtet. Soll mittels Repräsentation nicht nur ein Wille gebildet, sondern auch das Volk in seiner Vielfalt zur Einheit inte­ griert werden,100 muss mit der Wahl die Integration der verschiedenen Meinungen in ausreichendem Maße erreicht werden, damit die Wahl ihre Legitimationskraft entfalten kann.101 Dies kann nur gelingen, wenn sich die in der Wahl enthaltene Willensäußerung der Bürger unverfälscht in der tatsächlichen Zusammensetzung des Repräsentationsorgans niederschlägt.102 Deshalb muss gewährleistet sein, dass jeder Bürger seine Wahlentscheidung als sichtbaren Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts frei treffen und äußern kann. Diese Wahlfreiheit meint nicht nur die Abwesenheit von Zwang, unzulässigem sozialem Druck oder negativen Folgen bei der Stimmabgabe selbst. Die Freiheit insofern zu schützen, ist Funktion des Grundsatzes der geheimen Wahl in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 5 GG. 96

Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 210 f., 216 ff., 226 ff., auch 186 ff.; Depenheuer, Cicero v. 18. 02. 2019, Guten Gewissens in die gelenkte Demokratie. 97 Siehe soeben S. 109 f. 98 Zur Ausgestaltungsnotwendigkeit der demokratischen Teilnahmerechte in organisatorischer und verfahrensrechtlicher Weise Starck, § 41 Teilnahmerechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 17 ff. 99 Häberle, § 22 Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 69. 100 Siehe oben S. 102 ff. 101 Starck, § 41 Teilnahmerechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 42 f. 102 BVerfGE 44, 125 (139); 99, 1 (13).

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Daneben und in besonderem Maße bezieht sich die Wahlrechtsfreiheit auch auf das Vorfeld des Wahlakts. In ihm bildet sich die Wahlentscheidung des Bürgers und es ist deshalb Gegenstand eines Wettbewerbs der Parteien sowie anderer gesellschaftlicher Gruppen, der zum Schutze dieser Freiheit nicht in eine unzulässige Beeinflussung ausarten darf.103 (b) Erweiterter Anwendungsbereich Die Wahlrechtsfreiheit setzt das Vorhandensein von Wahlalternativen voraus und bezieht sich deshalb auch bereits auf die Kandidatenaufstellung.104 Dies bedeutet zum einen, dass es grundsätzlich jedem Wahlberechtigen offen stehen muss, einen Kandidatenvorschlag abzugeben.105 Zum anderen folgt daraus, dass bereits im Verfahren der Kandidatenaufstellung als notwendiger Vorstufe der Wahl eine unverfälschte Kandidatenauswahl stattfinden muss und insofern der Grundsatz der Wahlrechtsfreiheit genau wie auch grundsätzlich die anderen Wahlrechtsgrundsätze bereits dort gelten.106 Die Kandidatenaufstellung ist funktional auf die Wahl und das System grundgesetzlicher demokratischer Repräsentation bezogen. Deshalb beanspruchen die dort geltenden Maßstäbe bereits im Stadium der Kandidatenaufstellung Geltung. Nur wenn der gesamte Vorgang der Wahl, inklusive der Vorbereitung, an den die Repräsentation prägenden Grundsätzen ausgerichtet ist, kann die Wahl tatsächlich ihre Legitimationswirkung entfalten. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Kandidatenaufstellung innerhalb der Partei stattfindet. Denn auch wenn die Parteien als grundsätzlich gesellschaftlich verortete Vereinigungen nicht den gleichen Bindungen wie staatliche Stellen unterworfen sind, müssen aufgrund des engen Bezugs der parteiinternen Kandidatenaufstellung zur staatlichen Wahl und ihrer vorbestimmenden Wirkung 103 Die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Beeinflussung der Wähler ist im Einzelfall schwierig und anhand verschiedener Kriterien zu treffen. Vgl. dazu BVerfGE 66, 369 (380); Meyer, § 46 Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 23 ff.; Kotzur, § 120 Freiheit und Gleichheit der Wahl, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 24 f. 104 Deshalb muss auch die Wahl der Kandidaten in einer auf die Partei bezogenen demokratischen Weise, d. h. z. B. in einer Mitglieder- oder Delegiertenversammlung, erfolgen, siehe dazu oben S. 79 ff. 105 BVerfGE 41, 399 (417); 89, 243 (251). 106 BVerfGE 47, 253 (282 f.); 89, 243 (251); ähnlich 8, 51 (68); ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 27; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 93 und 55/19 Rn. 152 (bezogen auf die Wahlrechtsgleichheit); SächsVerfGH, Urt. v. 25. 11. 2005, Vf. 67-V-05, Rn. 83 ff. juris; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 52, 64, 89, 100; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 83; Trute, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 38, Rn. 56; Nass, Die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze bei der Aufstellung von Parteikandidaten für Bundestagswahlen, in: Schneider / Götz (Hrsg.), FS Weber 1974, 311, 313 ff.; Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1735; für eine Anwendung in geringerem Grade Lange, NJW, 1988, 1174, 1181.

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für jene die Wahlrechtsgrundsätze prinzipiell auch hier Anwendung finden. Allerdings kann im Einzelfall die Parteienfreiheit eine Modifizierung abseits des „Kernbestands an demokratischen Verfahrensgrundsätzen“107 notwendig machen. Die Wahlrechtsfreiheit richtet sich bei der Kandidatenaufstellung innerhalb der Partei insbesondere gegen eine inhaltliche Beeinflussung durch den Staat, dessen zentrale Organe über die Wahl personell neu bestimmt werden. Staatliche Vorgaben müssen sich darauf beschränken, die Wahlrechtsgrundsätze auszugestalten. Die Wahlrechtsfreiheit schützt in diesem Bereich aber auch vor einem allein bestimmenden Einfluss einzelner Teile der Partei oder anderer gesellschaftlicher Akteure auf die Kandidatenauswahl. Mit der Wahlfreiheit geschützt wird damit zunächst der Bürger, der an der Mitbestimmung des Gemeinwesens teilnehmen und sein Wahlrecht ausüben will (aktive Wahlrechtsfreiheit). Gleichzeitig ist aber auch derjenige geschützt, der über ein Mandat in der organisierten Staatlichkeit mitwirken und deshalb bei der Wahl kandidiert bzw. kandidieren will (passive Wahlrechtsfreiheit).108 (2) Parteienfreiheit Die den Parteien in Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 GG zugewiesene Aufgabe, an der politischen Willensbildung des Volkes und damit letztlich an der Herstellung staatlicher Legitimation mitzuwirken, sowie ihre daraus resultierende Funktion eines Bindeglieds zwischen Bürger und Staat verdeutlichen den engen Bezug der Parteien zur repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes.109 Gleichzeitig bringt diese Aufgabe die innere Verbindung der Parteien mit der politisch-demokratischen Freiheit der Bürger insoweit zum Ausdruck, als die Bürger zu deren Ausübung auf die Parteien angewiesen sind.110 107 VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 93 unter Verweis auf BVerfGE 89, 243 (252 f.) sowie SächsVerfGH, Urt. v. 25. 11. 2005, Vf. 67-V-05, Rn. 83 ff. juris. 108 Strelen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 1, Rn. 19; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 85. 109 Dazu bereits oben S. 99 ff. sowie BVerfGE 91, 262 (267 f.). Vgl. auch Hillgruber, § 118 Parteienfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 7. 110 Vgl. Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 52; Volkmann, in: Friauf / Höfling GG, 2000, Art. 21, Rn. 13 f. („Instrument bürgerschaftlicher Partizipation“), 65; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 161; Schröder, § 119 Stellung der Parteien, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 7, 47; Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat, 1991, S. 120 ff. Vgl. auch Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 63 f. Die Gründung von Parteien im staatsrechtlichen Sinne bleibt deshalb Deutschen vorbehalten, Ausländer können aber Mitglieder sein, solange ihr Einfluss kein bestimmender ist, was auf einfachrechtlicher Ebene § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG normiert. Vgl. dazu Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49, 98; Hillgruber, § 118 Parteienfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 27 ff.; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 244; Kluth, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 21, Rn. 39 ff. Zur Verknüpfung von Wahlrecht und Staatsbürgerschaft auch BVerfGE 83, 37 sowie 60.

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Um diese Aufgabe erfüllen zu können, kommt den Parteien ein Status der Freiheit zu.111 Diese Parteienfreiheit hat einen aufgabenbezogenen bzw. funktionalen Charakter, gebührt der Partei also nicht aufgrund ihres Eigenwerts, sondern steht letztlich im Dienste der politisch-demokratischen Freiheit der Bürger.112 Insofern weist die Parteienfreiheit selbst den Charakter eines Teilnahmerechts auf.113 Dieser 111

Grundlegend dazu Hesse, VVDStRL  17 (1959), 11, 27 ff., der daneben noch den der Partei zustehenden Status der Gleichheit und den der Öffentlichkeit unterscheidet. Vgl. auch BVerfGE 20, 56 (105, 111); 104, 14 (19 f.); Volkmann, in: Friauf / Höfling GG, 2000, Art. 21, Rn. 42 ff.; Kersten, in: Kersten / R ixen PartG, 2009, § 1, Rn. 23 ff.; Einigkeit besteht darüber, dass den Parteien ein solcher Status der Freiheit zukommt. Allerdings wird deren Charakter sowie dogmatische Verortung sehr unterschiedlich beurteilt. Dies hängt wiederum mit der Diskussion um die Rechtsnatur von Art. 21 Abs. 1 GG zusammen; vgl. dazu ausführlich Mauersberger, Die Freiheit der Parteien, 1994, S. 19 ff. sowie Volkmann, in: Friauf / Höfling GG, 2000, Art. 21, Rn. 45, der die Abhängigkeit vom exakten Verständnis eines Grundrechts betont. Diese Diskussion ist gekennzeichnet von der Frage, ob dieser Artikel zur Verwirklichung der Teilnahme der Bürger am Willensbildungsprozess im demokratischen Staat selbst ein Grundrecht beinhaltet bzw. darstellt mit entsprechender Folge für die (i. d. R. aus Satz 2 abgeleitete) Parteienfreiheit (so Ipsen, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 21, 29; Henke, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, 216 f.; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 111 ff., der aber gleichzeitig den Charakter der „objektiven Rechtseinrichtung“ (S. 113) betont). Oder ob Art. 21 Abs. 1 GG, ergänzt durch eine institutionelle Garantie, lediglich indirekt einen grundrechtlichen Gehalt dadurch aufweist, dass er auf den die Freiheitsgewährleistungen beinhaltenden Art. 9 Abs. 1 GG sowie andere Grundrechte modifizierend einwirkt, ohne selbst Grundrecht zu sein, (so Kluth, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 21, 92, 96 ff.; Streinz, in: vM / K/S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, 99; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, 255 ff., 146; Starck, § 41 Teilnahmerechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 9, 61 f., wohl auch Kersten, in: Kersten / Rixen PartG, 2009, § 1, Rn. 25 und Schröder, § 119 Stellung der Parteien, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 7, 45), womit die Parteienfreiheit lediglich die Sammelbezeichnung für die eigentlich in den Grundrechten wurzelnden und durch Art. 21 Abs. 1 GG modifizierten Einzelrechte ist. Oder schließlich, ob Art. 21 Abs. 1 GG eher ein Charakter als Einrichtungsgarantie zukommt, die modifizierend die Inanspruchnahme von Grundrechten beeinflusst (und sich diesbezüglich von der vorgenannten Auffassung im Ergebnis wenig unterscheidet) und die subjektiv-rechtliche Elemente zu einer effektiven Durchsetzung aufweist (so Towfigh / Ulrich, in: BK GG, 213. EL, 2020, Art. 21, Rn. 260 ff.; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 49 f.; wohl auch in diese Richtung Huber, Parteien in der Demokratie, in: Badura / Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre BVerfG Bd. II 2001, 609, 623 f.), sodass die Parteienfreiheit als von Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG mitgarantiert wird (so auch Hillgruber, § 118 Parteienfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 1, der einen grundrechtlichen Charakter ebenfalls ablehnt). 112 Towfigh / Ulrich, in: BK GG, 213. EL, 2020, Art. 21, Rn. 367 f.; Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 30; Gusy, in: AK-GG, 3. Auflage, 2001, Art. 21, Rn. 80; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 49; Tsatsos / Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 77 f.; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 255. Kritisch Hillgruber, § 118 Parteienfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 3, sofern damit das Verständnis einer von vorneherein inhaltlich gebundenen Freiheit einher geht. 113 Starck, § 41 Teilnahmerechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 9, 62; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 96. Vgl. auch BVerfGE 5, 85 (134 f.).

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doppelte Bezugspunkt hat zur Folge, dass sich nicht nur die Partei selbst, sondern auch die einzelnen Bürger auf sie berufen können.114 Die Parteienfreiheit ist umfassend gewährt. Sie reicht über die in Artikel  21 Absatz  1 Satz  2  GG ausdrücklich benannte Gründungsfreiheit hinaus und hat eine generelle Rechtfertigungslast bei staatlichen Beschränkungen zur Folge.115 Der Freiheitsstatus zielt zum einen nach außen, insbesondere auf den Schutz vor staatlicher Einflussnahme, die die unverfälschte Wahrnehmung ihrer Funktion im Wettbewerb mit anderen Parteien beeinträchtigen könnte. Deshalb sind die Parteien grundsätzlich frei, sich inhaltlich zu positionieren, also ihre politischen Ziele und die zu ihrer Umsetzung gewählten Mittel zu definieren und dies in formale Programme zu gießen (Tendenz- bzw. Programmfreiheit) sowie in einem weiten Sinne in selbst gewählter Art und Weise politisch tätig zu werden (Betätigungsfreiheit).116 Zum anderen sind sie berechtigt, ihre inneren Angelegenheiten und ihre Organisation grundsätzlich frei zu regeln (Organisationsfreiheit) und sich auch bei Struktur- und Verfahrensentscheidungen an ihrer programmatischen Ausrichtung zu orientieren.117 Darüber hinaus schützt dieser Status der Freiheit auch die Parteimitglieder untereinander und gegenüber der Partei. bb) Gleichheit Der demokratische Verfassungsstaat wird  – neben der Freiheit118  – grundlegend durch das Prinzip der Gleichheit der Bürger geprägt. Die Bürger sind aufgrund ihrer in der Menschenwürde wurzelnden Personalität nicht nur frei, durch Teilnahme am demokratischen Staatswesen mitzuwirken, sie sind dabei auch in gleicher Weise frei. Zwischen dem Prinzip der Freiheit und dem der Gleichheit besteht ein enger, wechselbezüglicher Zusammenhang;119 sie verbinden sich zur 114

Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 51; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 263. 115 So wohl auch Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 33, der auf den Charakter einer Handlungsfreiheit in Abgrenzung zur Kompetenz hinweist. 116 BVerfGE 111, 382 (409); Klein, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 21, Rn. 272 ff.; Gusy, in: AK-GG, 3. Auflage, 2001, Art. 21, Rn. 80 ff.; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 55 ff., 61; Grimm, Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, § 14, Rn. 32 f. 117 BVerfGE 104, 14 (19); Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 114 ff.; Kluth, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 21, Rn. 118 ff.; Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 278; Hillgruber, § 118 Parteienfreiheit, in: Merten / ​ Papier (Hrsg.), HdBGR V 2013, Rn. 33 f. 118 Dazu oben S. 108 ff. 119 Kriele, Freiheit und Gleichheit, in: Benda / Hesse / Maihofer / Vogel / G rimm (Hrsg.), HdbVerfR, 1. Auflage  1983, 129, 133 ff., 151 f.; ders., Einführung in die Staatslehre, 2015, S. 177 ff.; Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II  2006, Rn. 22, 24, der dabei besonders auf die jeweils politisch-demokratischen Dimensionen abstellt.

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gleichen Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess.120 Die Gleichheit ist dabei auf die Freiheit bezogen und übt insoweit eine dienende Funktion aus, sie sichert insbesondere in Form der Chancengleichheit das Fundament des Freiheitsgebrauchs.121 Dabei negiert die Gleichheit122 aller Menschen natürliche oder gesellschaftlich bedingte Unterschiede zwischen den Menschen nicht, sondern abstrahiert von ihnen. Mit Blick auf die Demokratie geht es um eine rechtliche Gleichheit des freien Bürgers als Mitglied des Staatsvolkes, um eine politische Gleichberechtigung im und gegenüber dem Staat und damit um gleiche Teilnahmemöglichkeiten unabhängig von tatsächlicher und sozialer Verschiedenheit – also um die „Gleichheit in der Freiheit“123.124 Genau wie die Freiheit ist die Gleichheit logische Voraussetzung des demokratischen Gedankens: Souverän ist das Volk, genauer das den Staat konstituierende Staatsvolk. Dieses besteht aus den einzelnen Bürgern, folglich den über das Band der Staatsbürgerschaft untereinander und mit dem Staat verbundenen einzelnen Menschen.125 Geht man von der prinzipiellen Gleichheit der Menschen als mit Würde ausgestatteten Geschöpfen aus, dann sind auch alle Bürger im Verhältnis zueinander rechtlich gleich (frei).126 Die Staatsbürgereigenschaft ist das einzige Kriterium, das über die Mitgliedschaft im Staatsvolk und die zugehörigen politischen (Teilnahme-)Rechte entscheidet, weshalb die demokratische Gleichheit an ihr und nur an ihr anknüpft.127 Aus diesem Grund kommt dieser Gleichheit ein spezifischer und streng formaler Charakter zu.128 Der Wille des Volkes ist „Quelle der Legitimierung politischer Entschei­ dung[en]“129. Folglich ist die staatsbürgerliche Gleichheit im Volk grundlegende 120 Zur Ergänzung der Freiheit durch die Gleichheit im Hinblick auf das Wahlrecht Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 200 ff. 121 Dürig / Scholz, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 6, 135 („Präponderanz der Freiheit“), 140; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 2 Abs. 1, Rn. 2; Kirchhof, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 183 ff. 122 Die historischen Begründungsansätze sind verschieden und finden sich z. B. im Natur­ recht, der Menschenwürde oder der Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit, vgl. dazu Kirchhof, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 45 ff. 123 Kirchhof, § 181 Allgemeiner Gleichheitssatz, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 63; ders., in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 186 f. 124 BVerfGE 8, 51 (69); 69, 92 (106); Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 254; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 41; Robbers, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 20, Rn. 559. Zur grundlegenden demokratischen Bedeutung Sachs, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 20, Rn. 19. 125 Vgl. Brenner, § 44 Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 25. 126 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 20, Rn. 35. 127 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 42, 46. 128 St. Rspr. Vgl. bzgl. der Wahlrechtsgleichheit nur BVerfGE 6, 84 (91); 58, 177 (190); 95, 335 (353). 129 Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, in: Ritterspach / Müller (Hrsg.), FS Gebhard Müller 1970, 379, 380.

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Bedingung der demokratischen Legitimation, d. h. der durch das Grundgesetz vorgesehenen und institutionalisierten Rückbindung und Anerkennung der staatlichen Handlungen durch eben dieses Volk.130 Nur wenn alle Bürger gleichen Anteil an der Legitimation haben, rechtfertigt dies, dass staatliche Handlungen auch gegen den Willen einzelner Geltung beanspruchen können und in Sachfragen ungleich behandeln.131 Folglich prägt die Gleichheit die demokratische Repräsentation als das vom Grundgesetz vorgesehene Organisationsprinzip zur Schaffung eben jener Legitimation als grundlegendes Leitprinzip neben der Freiheit. Nach dem Modus der Repräsentation ausgestaltete Demokratie kann also in ihrem Kern als die „Organisation politischer Herrschaft unter den und für die Freien und Gleichen“132 verstanden werden. Demgemäß sichert Artikel 38 GG jedem Bürger bei der regelmäßigen institutionellen Neukonstituierung dieser Repräsentation, den Parlamentswahlen, in Absatz 1 Satz 1 ein allgemeines und gleiches Wahlrecht und in Absatz 2 eine grundsätzlich gleiche Wählbarkeit.133 Ähnliches zeigt sich in anderen Zusammenhängen staatsbezogener Willensbildung und -äußerung, etwa bei den allen Bürgern gleich (Artikel 3 Absatz 1 GG) zustehenden Artikulations- und Teilnahmerechten (Artikel 5 Absatz 1, Artikel 8 sowie 17 und 21 GG). Der Gleichheitsgedanke erfasst aber nicht nur die unmittelbare Mitwirkung der Bürger an der staatlichen Willensbildung. Gerade weil Repräsentation zwar dem Grunde nach von den Bürgern ausgeht, aber in ein Handeln für die vertretenen, selbst nicht unmittelbar beteiligten Bürger mündet, muss die staatsbürgerliche Gleichheit bei diesem repräsentativen Handeln weiter prägend bleiben. Dieser Anspruch richtet sich in erster Linie an das Parlament als den zentralen Ort der Repräsentation und damit staatlicher Willensbildung des Volkes. Dort wirkt sich die Gleichheit insbesondere auf den Status der Abgeordneten und auf den Entscheidungsmodus aus.

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Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 30. 131 Vgl. Meyer, § 46 Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 30; Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 204 ff., 207 f. stellt den Bezug von politischer Gleichberechtigung und rechtspolitischer Funktion des Parlaments her: Nur die prinzipielle politische Beteiligung eines jeden Bürgers bringe die vergleichsweise höchste Wahrscheinlichkeit dafür hervor, dass die staatliche Handlung Ausdruck einer gerechten Entscheidung durch unparteiliche Abwägung der betroffenen Interessen sei. 132 Hillgruber, AöR 127 (2002), 460, 461. 133 Siehe ausführlich unten S. 125 ff.

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(1) Freies Mandat als Ausdruck gleicher demokratischer Teilnahme Das in Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG normierte freie Mandat ist Ausdruck einer von Gleichheit geprägten repräsentativen Demokratie. Repräsentiert wird das Volk als Einheit und gerade nicht (mehr) einzelne Teile desselben, wie dies in Zeiten der Geltung ständischer Verfassungen der Fall war.134 Diese waren gekennzeichnet von der Vorstellung, dass die durch grundsätzlich angeborene, durch Herkommen bestimmte bzw. kraft Amts erworbene, nicht beliebig wählbare oder änderbare Eigenschaften gekennzeichneten Angehörigen desselben gesellschaftlichen Standes gleiche Interessen aufwiesen und dass sie dessen Interessen am besten verträten.135 Aus dem Zusammenwirken und der Auseinandersetzung der Vertreter der verschiedenen Stände sollte eine für den gesamten Staat geltende Entscheidung136 getroffen bzw. gegenüber dem Monarchen artikuliert werden137. Dabei war ihr Mandat kein freies, sondern ein über die Interessen und Instruktionen des jeweiligen Standes gebundenes.138 Nach Artikel 38 Absatz 1 GG sind „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages […] Vertreter des ganzen Volkes […]“. In der Zusammenschau mit Artikel 20 Absatz 2 GG geht daraus hervor, dass unter der heutigen Verfassung das ganze139 Volk, dies bedeutet die Bürger in ihrer Gesamtheit und damit mittelbar auch jeder einzelne Bürger, durch alle Abgeordneten, d. h. die Abgeordneten als Kollegium, vertreten werden.140 Eine Repräsentationsbeziehung besteht also zwischen beiden Verbänden, nicht aber zwischen ihren jeweiligen Mitgliedern.141 Der einzelne Abgeordnete handelt in Wahrnehmung seines Mandats als Mitglied des Gesamtorgans zwar als Vertreter des gesamten Volkes, aber erst die Gesamtheit aller Abgeordne 134

Brenner, § 44 Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 25. 135 Vgl. dazu z. B. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte Neuzeit bis 1806, 1966, S. 242 ff.; Krüger, Die landständische Verfassung, 2003; Stollberg-Rillinger, ZNR 28 (2006), 279, 283 ff., 290 ff. Auch wenn sich die Bedeutung der Stände und ihr Verhältnis zum Staat im Laufe der Zeit wandelte, vgl. z. B. Oestreich, Der Staat 6, (1967), 61, 64 ff. 136 Diese Entscheidungen wurden aber zwischen den Gruppierungen typischerweise einheitlich oder nach Wägung der Gewichte der jeweiligen Gruppe, nicht im Wege des Mehrheitsentscheides getroffen, der nur innerhalb der Gruppe galt, Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 9, 27. 137 Vgl. Badura, Staatsrecht, 2018, E 10. Stollberg-Rillinger, ZNR 28 (2006), 279, 281 betont, dass die Landstände ursprünglich nicht von der Beziehung zu den Bürgern, sondern von der zum Landesherrn her definiert wurden. 138 Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 38, Rn. 6, 8; Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457–1957, 1957, S. 400. 139 Die Verwendung dieses Begriffs war in den Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht unumstritten. Er wurde aber am Ende zur Betonung des Bezugs zum ganzen Volk und nicht zu Teilen dessen in den Verfassungstext aufgenommen, vgl. von Doemming / Füsslein / Matz, JöR 1 (1951), 1, 353 f. 140 Vgl. BVerfGE 44, 308 (315 f.); 131, 316 (342); Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 16. 141 So auch ähnlich VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 131 ff. und 55/19, Rn. 184 ff.

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ten selbst übt die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus, ist die Volksvertretung und repräsentiert das Volk.142 Dabei bedingen sich die rechtliche Einheit und die Gleichheit der Bürger im Volk gegenseitig. Innerhalb des Staatsbürgerverbandes sind alle lediglich Bürger, statusrechtlich homogen143 und damit nicht nach anderen Kriterien zu unterscheiden.144 Daran ändert auch die Zuordnung der Wahlberechtigten zu einzelnen Wahlkreisen nichts. Diese Einteilung hat lediglich eine technische Funktion; der in einem Wahlkreis gewählte Abgeordnete vertritt als Mitglied der Gesamtheit der Abgeordneten das gesamte Volk und nicht nur die Bürger seines Wahlkreises.145 Ist das gesamte, einheitliche Volk gleicher Bürger der Souverän, kann es kein von bestimmten Teilen des Volkes abhängiges Mandat geben.146 Ein gebundenes Mandat würde einzelnen Gruppen oder Bürgern politische Privilegien einräumen und widerspräche deshalb der staatsbürgerlichen Gleichheit. Lediglich das ganze Volk könnte Ausgangspunkt eines solchen abhängigen Mandats sein. Weil das Volk aber erst im Wege der Repräsentation durch die Abgeordneten handlungsfähig gemacht und zur Einheit integriert wird,147 kann keine Abhängigkeit von konkreten, vorher 142 BVerfGE 70, 324 (381); 44, 308 (316); 56, 396 (405); 80, 188 (218); 84, 304 (321); 104, 310 (329); Badura, § 15 Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen in Bund und Ländern, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 16; ders., in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 38, Rn. 50. An dieser Repräsentation des gesamten, d. h. einheitlichen Bundesvolks ändert auch die (Listen-)Mandatsverteilung über Ländersitzkontingente nichts, vgl. BVerfGE 131, 316 (341 ff.). 143 Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht  1989, Rn. 25. Sie sprechen von der „Überwindung aller Partikularitäten der Repräsentation“. 144 Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 38, Rn. 49, der parlamentarische Repräsentation „mit einer Partikularität irgendwelcher Art als Legitimitätsgrund oder Kontrollinstanz der Abgeordnetenposition“ für unvereinbar hält. 145 Dies brachte bereits Edmund Burke 1774 in seiner bekannten Rede an die Bürger von Bristol auf den Punkt: „Parliament is not a congress of ambassadors from different and hostile interests, which interests each must maintain, as an agent and advocate, against other agents and advocates; but Parliament is a deliberative assembly of one nation, with one interest, that of the whole – where not local purposes, not local prejudices, ought to guide, but the general good, resulting from the general reason of the whole. You chose a member, indeed; but when you have chosen him, he is not a member of Bristol, but he is a member of Parliament“ (Hervorh. i. Org.), vgl. Burke, The works of the right honourable Edmund Burke – Volume 2, 1887, S. 96. Ähnlich William Blackstone „… every member [of Parliament], though chosen by one particular district, when elected and returned serves for the whole realm“, (Hervorh. nur hier), vgl. Blackstone, Commentaries on the laws of England, 1765, S. 155 (Book 1, Chapter 2, II). Dazu Birch, Representation, 1971, S. 37 ff., 47 ff. Zum Verhältnis der föderalen Aspekte im Bundeswahlrecht auch BVerfGE 121, 266 (304 ff.). 146 So auch Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 38, Rn. 6, 54; Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 18 „notwendige […] Bedingung […] demokratischer Repräsentation“; vgl. auch BVerfGE 107, 59 (86 ff.) sowie Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 59. 147 Vgl. oben S. 102 ff.

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zu erteilenden Weisungen bestehen. Deshalb ist die Legitimation der Abgeordneten gerade nicht eine abgeleitete, sondern eine durch die Wahl erworbene eigene.148 Die Abgeordneten sind folglich in der inhaltlichen Wahrnehmung ihres Mandats nicht gebunden, sondern frei.149 Das freie Mandat schlägt sich in der Folge auch im Parlament in seiner Gesamtheit nieder. Gerade weil die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit repräsentieren und nicht einzelnen Gruppen oder Partikularinteressen verpflichtet sind, sind alle in gleicher Weise frei in der Wahrnehmung ihres Mandats. Dies hat eine strikte statusmäßige Gleichheit150 und damit absolute rechtliche Homogenität des Parlaments zur Folge, ermöglicht die Anwendung des Mehrheitsprinzips151 und spiegelt somit die Gleichheit im Staatsvolk auch im Repräsentationsorgan wider.152 Denn so wie die Bürger in gleicher Weise frei sind und ihnen deshalb ein gleiches Teilnahmerecht zusteht, sind die Abgeordneten in der Wahrnehmung ihres Mandats gleich frei. Während dort die Menschenwürde in Verbindung mit dem Band der Staatsbürgerschaft Wurzel ihrer politisch-demokratischen Freiheit ist, ist es hier die aus dem durch Wahl erlangten Mandat folgende Freiheit. Die Freiheit des Abgeordneten ist insofern eine vermittels des Wahlaktes von der Freiheit jedes Bürgers abgeleitete Freiheit, stellt also gewissermaßen das Kondensat der Freiheit der Wahlbürger dar. Die strikte Gleichheit der Abgeordneten hat zur Folge, dass die Art der Mandatserlangung, ihr Geschlecht, Alter oder Beruf oder ein sie in sonstiger Weise tatsächlich unterscheidendes Kriterium rechtlich irrelevant sind. Dies bedeutet so wenig ein Abbild einer – realitätsfremden – gesellschaftlichen Homogenität, wie die Bürger tatsächlich gesellschaftlich gleich sind. Hier wie dort geht es um die 148

Klein, § 51 Status des Abgeordneten, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 3; Badura, § 15 Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen in Bund und Ländern, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 3. 149 Auch Blackstone hob auf das ungebundene Mandat des Abgeordneten ab: „For the end of his coming thither is not particular, but general; not barely to advantage his constituents, but the common wealth; … And therefore he is not bound, like a deputy in the united provinces, to consult with, or take the advice, of his constituents upon any particular point, unless he himself thinks it proper or prudent so to do.“ (Hervorh. im Original), vgl. Blackstone, Commentaries on the laws of England, 1765, S. 155 (Book 1, Chapter 2, II). Ausgeschlossen ist eine Bindung im engeren, konkreten Sinne. Zugleich besteht als Kehrseite des freien Mandats eine Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk, die eine Ausrichtung am Gemeinwohl und den Bedürfnissen der Allgemeinheit fordert und den Abgeordneten damit in einem weiteren Sinne doch verpflichtet. Vgl. dazu Birch, Representation, 1971, S. 37 ff., 60 ff.; Böckenförde, § 34 Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 30. 150 BVerfGE 80, 188, (217 f.);84, 304 (321 ff.); 96, 264 (278); 130, 318 (342); Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 134. 151 Dazu sogleich unten S. 122 ff. 152 Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 26; nach Dreier, JZ, 1990, 310, 317 ist dies die erste und wichtigste Funktion des freien Mandats. Vgl. auch BVerfGE 123, 267 (342).

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aus der Staatsbürgereigenschaft erwachsende strenge und spezifische rechtliche Gleichheit im politischen Bereich, um die Gleichheit in der demokratisch-politischen Teilnahmefreiheit.153 (2) Prinzip der Mehrheitsentscheidung und Gesamtrepräsentation In der Demokratie sind die Antworten auf politische Fragen nicht vorgegeben, sondern einem freien und offenen Entscheidungsprozess überantwortet.154 Einzig die Verfassung dient als formale und inhaltliche Grundlage und Rahmen. Demokratische Repräsentation zielt demgemäß darauf ab, konkreter Entscheidungen des „demos“ hervorzubringen, die vom Parlament formuliert und formalisiert werden. Wird eine Entscheidung im Wege der Einigung getroffen, sichert dies eine freiwillige Anerkennung durch alle und realisiert so in bestmöglicher Weise das Prinzip politischer Freiheit, weil niemandem etwas gegen seinen Willen aufgezwungen wird.155 Da sich das Parlament aus vielen Mitgliedern mit oft abweichenden Meinungen und Interessen zusammensetzt, bedarf es aber auch eines Modus für Fälle fehlender Verständigung. Denn die Gewährleistung der Entscheidung notwendiger Fragen ist Bedingung der Legitimität eines demokratischen Systems.156 Dieser Modus ist das Mehrheitsprinzip. Der allgemeine Gedanke der Maßgeblichkeit der Mehrheit in der Demokratie ist (zunächst) „unmittelbarste Konsequenz der Gleichheit aller“157 Bürger. Ein Personenverband, der im Wege des Mehrheitsbeschlusses158 entscheidet, geht notwendigerweise von der Gleichheit der Entscheidenden und der Gleichwertigkeit ihrer Meinungen aus.159 Die Angehörigen der Mehrheit und die der Minderheit sind als Teile der Gesamtheit gleich.160 Dass nun der Wille des einen, größeren Teils als jener der Gesamtheit gilt, trägt dem Prinzip der Freiheit Rechnung. Denn nur auf diese Weise schlägt sich die Ausübung des Mitbestimmungsrechts im Ergebnis nieder, bleibt für möglichst viele die Freiheit erhalten und möglichst wenige müs 153

Dazu Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 41. 154 Siehe oben S. 111 f. Vgl. auch Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 70 f.; Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 38, Rn. 16; Scheuner, DÖV, 1958, 641, 643; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 38, 40. 155 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 141 ff. 156 Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie – Grundlagen, Struktur, Begrenzungen, 1983, S. 101 f. 157 Badura, § 25 Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 31. 158 Und dabei die Stimmen zählt und nicht wägt, wie dies in ständischen Gremien teilweise der Fall war. 159 Vgl. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 9. 160 Vgl. BVerfGE 70, 324 (381).

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sen einen von ihnen nicht geteilten Gesamtwillen gegen sich gelten lassen.161 Das Mehrheitsprinzip ist somit „notwendige Konsequenz der demokratischen Freiheit und Gleichheit“162. Die durch die Notwendigkeit zur Entscheidungsfindung bedingte und im Mehrheitsprinzip an sich liegende Einschränkung der Freiheit des geringeren, überstimmten Teils ist zunächst dadurch gerechtfertigt, dass die Freiheit auf diese Weise so weit als möglich verwirklicht wird und diesem Prinzip insofern eine konsensfördernde (Vor-)Wirkung zukommt. Denn damit eine Mehrheitsentscheidung, d. h. eine auf freier Entscheidung Gleicher basierende Anerkennung des Ergebnisses zustande kommt, bedarf es vorher der Integration der Einzelinteressen zu einer mehrheitsfähigen Position.163 Im Übrigen164 ist die Entscheidung der Mehrheit stets 161 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 9 f., der aber das Prinzip der Freiheit als zentralen Grund des Mehrheitsprinzips erachtet und das der Gleichheit nur als Voraussetzung seiner Geltung; Hillgruber, AöR 127 (2002), 460, 462; Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 23; ders., Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie – Grundlagen, Struktur, Begrenzungen, 1983, S. 93 ff., der instruktiv zwischen der Herleitung eines für jeden Bürger geltenden Mitbestimmungsrechts sowie der Folgefrage nach der Rechtfertigung der dabei geltenden Mehrheitsregel differenziert; Dreier, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 20, Rn. 69; Zippelius, Zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie, 1987, S. 15 ff., der in der moralphilosophischen Erkenntnis des eigenen Gewissens als letzter moralischer Instanz mit der Konsequenz der wechselseitigen Anerkennung der gleichberechtigten Mitwirkung aller an der Gemeinschaftsordnung lediglich die Kehrseite der politischen Vorstellung von Freiheit und Gleichheit aller sieht. Erfordernisse von mehr als der einfachen Mehrheit oder gar der Einstimmigkeit liefen der demokratischen Gleichheit und Freiheit zuwider, könnten dann doch wenige den Vielen ihren Willen aufzwängen, hätten mehr Einfluss als die Mitglieder der Vielen und könnten diese somit in ihrer politischen Freiheit beschränken. Vgl. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 20, Rn. 42 f. Dagegen sieht Scheuner, Der Mehrheitsentscheid im Rahmen der demokratischen Grundordnung, in: Häfelin / Haller / Schindler (Hrsg.), FS Kägi 1979, 301, 311 f. keinerlei innere materielle Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips, sondern seine Anerkennung nur auf dem vorausgehenden Konsens in der Verfassung ruhen. 162 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 53. 163 Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie – Grundlagen, Struktur, Begrenzungen, 1983, S. 100 ff., 262 ff.; Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 233 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 142; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 56 ff.; Morlok / Michael, Staatsorganisationsrecht, 2021, Rn. 163 f.; Dreier, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 20, Rn. 70 sieht in diesem Verfahren den tragenden Rechtfertigungsgrund. 164 Die Rechtfertigungsgründe für das Mehrheitsprinzip sind zahlreich und werden nicht einheitlich beurteilt. Angeführt wird z. B., dass dieses Prinzip eine Anerkennung entgegen der eigenen Meinung zumindest nur vom kleineren Teil verlangt oder dass die Mehrheit eine Entscheidung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit sachlicher Richtigkeit / Vernunft / A ngemessenheit trifft, dazu ausführlich und kritisch Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 49 ff. Vgl. auch Dreier, ZParl, 1986, 94, 104; Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie – Grundlagen, Struktur, Begrenzungen, 1983, S. 79 ff.

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nur temporär verbindlich, sodass der Minderheit jederzeit die Möglichkeit bleibt, selbst zur Mehrheit zu werden und anders zu entscheiden.165 Voraussetzung einer Gleichsetzung der Mehrheit mit dem Ganzen ist die in der Verfassung begründete Einheit der (Staatsbürger-)Gemeinschaft bei gleichzeitiger Einigkeit über die Rahmenbedingungen aller Entscheidungen. Diese indisponiblen Rahmenbedingungen schließen – neben anderen Grundwerten der Verfassung – nicht zuletzt die Geltung des Mehrheitsprinzips selbst ein.166 Die Verknüpfung des Mehrheitsprinzips mit der demokratischen Gleichheit und Freiheit erstreckt sich auch auf das Parlament und dort auf das freie Mandat.167 Einem parlamentarischen Mehrheitsbeschluss geht ein anspruchsvoller Willens­ bildungsprozess voraus, in dem Haltungen angeglichen und Kompromisse ein­ gegangen werden müssen. Das freie Mandat ermöglicht dabei die Kompromiss­ bildung, indem es von äußeren Bindungen freistellt.168 Für die Mehrheitsbildung setzt es die Bedingung, indem es die strenge statusmäßige Gleichheit der Abgeordneten, auch in ihrer Stimme, bewirkt.169 Vor allem lässt erst die Kombination von freiem Mandat und Mehrheitsprinzip Repräsentation durch das Parlament dergestalt gelingen, dass jeder Bürger repräsentiert wird und damit eine Gesamtrepräsentation stattfinden kann:170 Das freie Mandat löst den Abgeordneten von seinen Wählern oder sonstigen Gruppen; es macht ihn zum Vertreter des ganzen Volkes.171 Der Bezug des Mandats auf das gesamte Volk gestattet es bei jeder parlamentarischen (Mehrheits-)Entscheidung, die Entscheidung allen Bürgern, auch den im konkreten Fall Andersdenkenden, zuzurechnen. Dieser Bezug ist also die Bedingung dafür, dass das Parlament, un-

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Dreier, ZParl, 1986, 94, 99; Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 58 f. 166 Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 9 f., 14, 42 ff., 54, der gerade wegen der auf der Erkenntnis der Vielheit der Meinungen beruhenden Offenheit des Willensbildungsprozess in der repräsentativen Demokratie eine „innerlich begründet[e]“ Verbindung zwischen dieser und dem Mehrheitsprinzip sieht, S. 42 f. Siehe auch Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie – Grundlagen, Struktur, Begrenzungen, 1983, S. 108 f., 176 ff.; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 20, Rn. 46 ff.; Hillgruber, AöR 127 (2002), 460, 465 ff.; Badura, Staatsrecht, 2018, D 8. Dazu auch BVerfGE 44, 125 (141 f.). 167 Vgl. dazu Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie – Grundlagen, Struktur, Begrenzungen, 1983, S. 62 ff., 103; Klein / Schwarz, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 42, Rn. 76. 168 Vgl. Müller, Das imperative und freie Mandat, 1966, S. 212 f., der im freien Mandat „ein Regulativ [sieht], um Barrieren gegen eine konkrete Lösung, die unmöglich allen gefallen kann, mit Hilfe der Rechtsordnung beiseite zu räumen […]“. 169 Siehe oben S. 119 ff. 170 Dazu BVerfGE 44, 308 (315 ff.); 70, 324 (381), wobei die aus dem freien Mandat folgende Gleichheit und insbesondere das gleiche Recht jedes Abgeordneten auf Mitwirkung als zentrale Bedingung betont wird. BayVerfGH, E. v. 26. 03. 2018 – Vf. 15-VII-16, in: NVwZ-RR 2018, 457 Rn. 112 ff., 123. 171 Siehe oben S. 119 ff.

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abhängig von der konkreten Zusammensetzung der Mehrheit, eine Entscheidung mit Wirkung für alle Bürger und nicht nur für die Mehrheit oder gar diejenigen Gruppen, denen die Abgeordneten der konkreten parlamentarischen Mehrheit besonders verbunden sind, trifft.172 Dieses Zusammenwirken von freiem Mandat und Mehrheitsprinzip im Rahmen der Gesamtrepräsentation setzt voraus, dass sich die Gleichheit der Bürger in den Mandaten der Abgeordneten abbildet. Nur dann ist die wechselseitige Anerkennung der Bürger als gleiche Teile der Gesamtheit umgesetzt und kann die Folgebereitschaft parlamentarischer (Mehrheits-)Entscheidungen von jedem Bürger erwartet werden, auch wenn sie im Einzelfall seiner Meinung widersprechen.173 Die Abgeordneten erlangen im Rahmen der Wahl ihr Mandat und die Wahl ist Kreationsakt des Parlaments als Gesamtrepräsentationsorgan. Daher muss bei der Wahl Gleichheit sowohl im Hinblick auf die Stimmen der Wähler untereinander als auch auf die zum Gewählt-werden notwendigen Stimmen für die Kandidaten herrschen.174 Gleichzeitig ist die Geltung der Gleichheit bei der Wahl Voraussetzung dafür, dass in der Folge auch bei der Wahl selbst (abhängig vom Wahlmodus) das Mehrheitsprinzip Anwendung finden kann.175 Die Normierung des Mehrheitsprinzips in Artikel 42 Absatz 2 Satz 1 GG bezogen auf das Parlament und mitgedacht in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG (dort in der Aussage der „gleichen … Wahl“) bezogen auf die Parlamentswahl entfaltet somit die grundgesetzliche Ausgangsannahme strenger politischer Gleichheit der freien Bürger. All dies verdeutlicht einmal mehr den die gesamte Staatskonzeption des Grundgesetzes durchziehenden und sich in der Gesamtrepräsentation durch das Parlament wiederspiegelnden Leitgedanken von der nur an der Staatsbürgerschaft anknüpfenden Gleichheit der Bürger in der Wahrnehmung ihrer politischen Teilnahmerechte. (3) Allgemeine und gleiche Wahl (a) Allgemeinheit der Wahl Wenn die Demokratie auf dem Fundament staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit ruht und Wahlen das zentrale Instrument zur Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk sind, dann ist ein allgemeines Wahlrecht notwendige Bedingung

172

Vgl. Hofmann / Dreier, § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht 1989, Rn. 41. Spiegelbildlich vertritt auch die parlamentarische Minderheit das gesamte Volk. 173 Vgl. dazu auch BVerfGE 70, 324 (381). 174 Dazu sogleich. 175 So auch Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 30, 35 ff., 42, 46, 50. Vgl. auch Sachs, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 20, Rn. 22.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

der Realisierung von Demokratie.176 Das Volk in seiner Gesamtheit ist Souverän und jeder Bürger als Teil und Mitglied dieser Gesamtheit muss deshalb auch das für ihn handelnde Repräsentationsorgan im Akt der Wahl als wichtigster Ausprägung politisch-demokratischer Freiheit legitimieren (können) sowie die Möglichkeit des Gewählt-werdens haben.177 Dieser allgemeine Zugang zum Wahlrecht des „merkmalsindifferente[n] staatsangehörige[n] Individuum[s] als Träger von politischer Selbstbestimmung“178 ist die „gleichheitsrechtliche Umsetzung des freien Selbstbestimmungsrechts“179 schlechthin. Artikel  38 Absatz  1 Satz  1 Variante  1  GG verbürgt deshalb ein allgemeines, d. h. ein prinzipiell180 jedem Staatsbürger unabhängig von besonderen, in seiner Person liegenden Eigenschaften aktiv und passiv zustehendes Wahlrecht.181 Über den Zugang zu diesem Wahlrecht entscheidet als Ausfluss der demokratischen Gleichheit allein die Zugehörigkeit zum Staatsvolk, mithin die Staatsbürgereigenschaft, „ungeachtet der sozialen Schichtung, der Gruppenzugehörigkeit oder sonstiger möglicher Differenzierungsmerkmale“182.183

176

Historisch fand das Bestreben nach politischer Mitbestimmung der Bürger und Demokratisierung des Staates seinen sichtbarsten Ausdruck im Kampf für ein allgemeines Wahlrecht, vgl. auch Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 200 ff. Vgl. auch die aktuelle Debatte um die Erstreckung des Wahlrechts auf umfassend Betreute im Anschluss an BVerfGE 151, 1. Allerdings trägt heute der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, Art. 38 Abs. 1 S. 1 Var. 4 GG, die Hauptlast der Verwirklichung staatsbürgerlicher Gleichheit, vgl. Meyer, § 46 Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 29 f.; Trute, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 38, Rn. 50. 177 BVerfGE 132, 39 (47); 151, 1 (18 f.); umfassend Meyer, § 46 Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 1 ff. 178 Rixen, Demokratie und Gleichberechtigungsgebot: Verfassungsrechtliche Relationen, in: Eckertz-Höfer / Schuler-Harms (Hrsg.), Gleichberechtigung und Demokratie, 1. Auflage 2019, 43, 66 f. 179 Heun, § 34 Freiheit und Gleichheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR II 2006, Rn. 47. 180 Ausnahmen davon sind nur in sehr engen Grenzen möglich, denn durch jede Ausnahme wird einem Teil des Volkes verwehrt, die ihm als Teil des Staatsvolkes zustehende Souveränität auszuüben, gleichzeitig bleibt er ihr jedoch unterworfen. Von den durch das Grundgesetz selbst vorgesehenen Ausnahmen abgesehen, müssen weitere Ausnahmen daher zwingend notwendig zugunsten anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang sein und sich auf Erfordernisse stützen, die sich aus der ratio der Wahl ergeben und dem der Allgemeinheit der Wahl zumindest die Waage halten können, vgl. BVerfGE 42, 312 (340 f.); 95, 408 (418); 132, 39 (47 f.) sowie ­Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Anh. z. Art. 38, Rn. 9 f. Entsprechend der ratio der Wahl als formaler Ausdruck politischer Selbstbestimmung ist das Wahlrecht daher einzuschränken, wenn diese Selbstbestimmungsfähigkeit ausnahmsweise oder regelmäßig, wie dies bis zum Erreichen des Wahlalters (Art. 38 Abs. 2 GG, § 12 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2 BWahlG) angenommen wird, nicht gegeben ist. Einen Sonderfall stellt das fehlende Wahlrecht aufgrund richterlicher Aberkennung (§§ 13, 15 Abs. 2 BWahlG i. V. m. § 45 StGB) dar. 181 Vgl. Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 88 f. 182 WD 3-3000-132/15 S. 4; ähnlich BVerfGE 15, 165 (166 f.); 36, 139 (141). 183 Zum Anknüpfungspunkt der demokratischen Gleichheit unten ausführlich S. 144 f.

A. Verfassungstheoretischer Hintergrund paritätischer Vorgaben 

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(b) Gleichheit der Wahl So wie jeder Bürger in grundsätzlich gleicher Weise Zugang zum Wahlrecht haben muss, muss im demokratischen System auch bei der Ausübung des Wahlrechts Gleichheit herrschen, was Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG garantiert.184 Auch die Wahlrechtsgleichheit beansprucht, genau wie der Grundsatz der Allgemeinheit,185 aufgrund ihres formalen Charakters strenge Geltung.186 In ihrem Anwendungsbereich kann – ebenfalls wie in dem des Grundsatzes der Allgemeinheit187 – aufgrund des Spezialitätsverhältnisses auf den allgemeinen Gleichheitssatz nicht zurückgegriffen werden.188 Weniger eindeutig ist das Verhältnis zu anderen besonderen Gleichheitssätzen.189 Bei der Wahl muss zum einen jede Wahlstimme gleichbehandelt werden, d. h. den gleichen Einfluss auf die Verteilung der Mandate haben. Was dies konkret bedeutet, hängt vom Wahlmodus ab: Folgt dieser dem Mehrheitswahlrecht, müssen Zählwert- und Erfolgschancengleichheit bei annähernd gleich großen Wahlkreisen herrschen. Folgt er dem Verhältniswahlrecht, muss darüber hinaus auch Erfolgswertgleichheit sichergestellt sein.190 Zum anderen gilt das Gleichheitsgebot auch für das passive Wahlrecht. Dies bedeutet zunächst, dass ein gleicher Zugang zur Wählbarkeit bestehen muss.191 Aus den gleichen Erwägungen, wie sie für die Wahlrechtsfreiheit gelten, folgt parallel, dass die Wahlrechtsgleichheit aber auch im Vorfeld der eigentlichen Wahl und damit insbesondere bei der Kandidatenaufstellung mit ihrem vor-auswählenden Charakter Anwendung findet.192 Deshalb muss Chancengleichheit zwischen den Bewerbern und den Kandidaten193 herrschen.194 184

BVerfGE 6, 84 (91), wonach die „Gleichbehandlung aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts […] eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung“ darstelle; 79, 169 (170); 120, 82 (102). 185 BVerfGE 151, 1 (18). 186 BVerfGE 85, 264 (315); 121, 266 (295) m. w. N. 187 BVerfGE 99, 1 (8 ff.); 151, 1 (18 f.). 188 BVerfGE 99, 1 (10 ff.); vgl. auch 9, 237 (248 f.); Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 90; Wollenschläger, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 3 Abs. 1, Rn. 310. 189 Dazu unten S. 147 f. 190 Vgl. nur BVerfGE 95, 335 (353 f.); ausführlich Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 115 ff. 191 Vgl. BVerfGE 40, 296 (318). 192 Siehe zur Anwendung im Vorfeld der eigentlichen Wahl ausführlich oben im Rahmen der Ausführungen zur Wahlrechtsfreiheit S. 113 f. 193 Insofern handelt es sich um die gleiche Situation auf zwei verschiedenen Stufen: Zunächst müssen die Bewerber für einen Listenplatz um die Stimmen in der parteiinternen Aufstellungsversammlung werben, später die (Listen-)Kandidaten um die Stimmen der Bürger bei der Wahl. 194 BVerfGE 41, 399 (413); 71, 81 (94); VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 152 f.; Butzer, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 38, Rn. 80 f.; Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Anh. z. Art. 38, Rn. 14; Müller, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 38, Rn. 144.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

(4) Chancengleichheit der Parteien Die demokratische Gleichheit vermittelt auch den Parteien einen Status politischer Gleichheit. Der „Wille des Volkes“ stellt sich als das ideale Produkt eines Prozesses kollektiver Willensbildung dar, der seine letzte Phase im Parlament findet und durch dessen Entscheidung formal abgeschlossen wird.195 Als Vermittler zwischen dem Volk und seinem Repräsentationsorgan bringen die Parteien196 zum einen aus vielen Einzelmeinungen vorintegrierte inhaltliche Positionen in diesen Willensbildungsprozess ein. In der Auseinandersetzung mit den anderen Akteuren dieses Prozesses entsteht so ein für alle Bürger geltender Wille.197 Zum anderen stellen die Parteien regelmäßig das Personal für staatliche Ämter, insbesondere die parlamentarischen Mandate.198 In beiden Funktionen dienen Parteien der Einbringung und Vertretung der verschiedenen politischen Haltungen der Bürger. Die Parteien sind folglich „Mittler des Bürgerwillens auf den Staat hin“199. Bedingung dieser Mittlerfunktion ist, dass die Parteien sich frei200 um die Unterstützung der Bürger bemühen, also um die Wähler konkurrieren können.201 Der politische Wettbewerb zwischen den Parteien muss deshalb auf gleichen Ausgangsbedingungen beruhen und frei von staatlicher Beeinflussung sein (die faktisch einer Beeinflussung in eigener Sache durch als Amtsträger handelnde Parteivertreter gleichkäme).202 Insbesondere muss der Zugang zum politischen Wettbewerb offen sein und die politischen Differenzierungen zwischen den Parteien müssen vom Staat geachtet, d. h. weder direkt beeinflusst noch mittelbar verfälscht werden.203 Den gleichen staatsbürgerlichen Teilnahmerechten der Bürger müssen demgemäß auch gleiche Bedingungen parteilicher Mitwirkung an der politischen Willensbildung entsprechen.204 Der hierin enthaltene Gleichheitsanspruch kann 195

Siehe oben S. 102 ff. Näher zu ihrer Funktion im staatlichen Willensbildungsprozess oben S. 99 ff. 197 Auf diese Weise kommt den Parteien nicht nur innerparteilich, sondern auch zwischenparteilich eine für die materielle Legitimation staatlicher Handlungen wichtige Integrationsfunktion zu; Scheuner, DÖV, 1958, 641, 643. Ähnlich Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 53 ff., 56 m. w. N. 198 Zur zentralen Funktion der Parteien bei der Auswahl der Kandidaten für die Bundestagswahl siehe oben S. 99 ff. 199 Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 44. 200 Zur Parteienfreiheit oben S. 114 ff. 201 Nach BVerfGE 20, 56 (118); 41, 399 (414); 42, 53 (59); darf die vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälscht werden. Vgl. auch Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Anh. z. Art. 38, Rn. 15 f.; Kunig, § 40 Parteien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005, Rn. 93 f. 202 Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 30. 203 BVerfGE 111, 382 (398, 404); 140, 1 (23 f.); VerfGH RP, Urt. v. 15. 12. 2014, VGH O 22/14, Rn. 97 juris; ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 32. 204 Vgl. Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 44. 196

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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indes, weil er sich auf einen offenen politischen Wettbewerb bezieht, nicht auf schematische Ergebnisgleichheit abzielen, sondern nur eine Chancengleichheit meinen, also eine Gleichheit in den Wettbewerbsbedingungen.205 Diesem Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Artikel 21 Absatz 1 i. V. m. Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG206) kommt als Ausfluss der demokratischen Gleichheit der Bürger ebenfalls ein grundsätzlich formaler, schematisch zu handhabender Charakter zu.207 Aufgrund der zentralen Bedeutung der Wahl und der wichtigen Funktion, die die Parteien hierbei einnehmen, kommt dem Gebot der Chancengleichheit beim gesamten Vorgang der Wahl besondere Bedeutung zu.208 Insbesondere im Vorfeld der eigentlichen Wahl, d. h. im Wahlkampf und bei der Aufstellung der Kandidaten, zeigt sich aufgrund des determinierenden Charakters der dabei getroffenen Entscheidungen für die spätere Wahl – genau wie bei den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit der Wahl209 – die grundlegende Bedeutung dieses Grundsatzes.

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung und die grundgesetzliche Konzeption repräsentativer Demokratie I. Ein Paritätsgesetz als Beeinträchtigung von Freiheit und Gleichheit 1. Beeinträchtigung der Freiheit a) Freiheit der Wahl Eine Pflicht zur paritätischen Listenbesetzung greift in die vorgefundenen Strukturen des Wahlsystems ein. Dabei handelt es sich nicht um eine unvermeidbare Folge des Verhältniswahlsystems. Auch werden nicht lediglich anderweitige Grundentscheidungen des Wahlrechts verfahrensrechtlich abgesichert. Der Staat 205

BVerfGE 1, 208 (255); 3, 19 (26 f.); 44, 125 (145 f.); 85, 264 (297); 120, 82 (104 f.); Forsthoff, AöR 76 (1950/1951), 369, 374; Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 44; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 83, 80; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 132 f. 206 Deren genaue dogmatische Verortung ist umstritten, vgl. dazu ausführlich Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 78; Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 119 ff. 207 BVerfGE 8, 51 (64 f.); 44, 125 (146); 85, 264 (297); 135, 259 (285); Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 123; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 100; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 137 ff. 208 Vgl. BVerfGE 8, 51 (64); 41, 399 (413 f.); 44, 125 (146); 47, 198 (225); 85, 264 (297); Badura, in: BK GG, 213. EL, 2021, Anh. z. Art. 38, Rn. 16. 209 Die Erwägungen hierzu lassen sich übertragen, siehe oben S. 113 f.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

wirkt vielmehr in inhaltlicher Weise auf die Wahlalternativen ein und bindet insoweit die Wahlentscheidung.210 Angesichts starrer Listen betrifft die inhaltliche Beeinflussung der Kandidatenaufstellung mittelbar den Wahlakt und schlägt sich in der Folge in der Zusammensetzung des Parlaments nieder. Daher beeinträchtigen paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung die Wahlrechtsfreiheit der Wähler, vor allem aber der Parteien und der Bewerber um ein Mandat. Dem Wähler wird die Möglichkeit genommen, bei seiner Wahlentscheidung für die Liste einer Partei der Geschlechtszugehörigkeit der Kandidaten Bedeutung beizumessen oder nicht. Damit kann er im Rahmen der Verhältniswahl auch nicht mehr auf die geschlechtsspezifische Zusammensetzung des Parlaments hinwirken.211 Allerdings dürfte der Grad dieser Beeinträchtigung nicht zu hoch einzustufen sein, da für die meisten Wähler die Person der Kandidaten, anders als bei der Direktwahl in den Wahlkreisen, hinter die aufstellende Partei und deren Programm zurücktritt. Dies gilt dann grundsätzlich auch für personenbezogene Merkmale wie das Geschlecht. Schwerer wiegt die Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl der Kandidaten innerhalb der Partei, bei der die Wahlrechtsgrundsätze ebenfalls gelten. Die vorgegebene streng alternierende Reihenfolge für die Liste schränkt die Parteimitglieder bzw. Delegierten in der Wahlversammlung hierbei in mehrfacher Hinsicht ein. In erster Linie ist die Auswahl nun nicht mehr uneingeschränkt daran ausgerichtet, von wem die Partei sich vertreten lassen will. Maßgeblich sind also nicht mehr allein ihre autonom gesetzten Prioritäten, was namentlich die eigene Einschätzung zur Eignung der Person sowie die von ihr vertretenen Inhalte als Auswahlkriterien relativiert. Stattdessen müssen die Mitglieder der Wahlversammlung dem Merkmal des Geschlechts bei der Wahl entscheidendes Gewicht beimessen, ohne dass es von Bedeutung ist, ob sie dies bzw. ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aktiv wollen oder nicht.212 Dies kann die Präferenz für einen Kandidaten allein aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit verhindern und lässt folglich nicht mehr die Möglichkeit, andere Kriterien stärker zu gewichten. Diese Beeinträchtigung ist deshalb intensiver als für den Wähler, weil dieser nach wie vor nur eine Liste und damit eine gesamte Kandidatengruppe wählt, während bei der Kandidatenaufstellung einzelne Bewerber gewählt werden und somit personenbezogene Merkmale wie das Geschlecht größere Bedeutung haben. Darüber hinaus kann die Anzahl der insgesamt für die Liste zu wählenden Bewerber durch die Vorgabe strenger Alternativität beschränkt sein, da, sobald die Bewerbergruppe des einen Geschlechts erschöpft ist, die übrigen Bewerber des anderen Geschlechts nicht mehr auf die Liste gewählt werden können. In einem solchen Fall besteht die Gefahr, allein deshalb um Mandate gebracht zu werden, 210

Siehe oben S. 88 sowie unten S. 136 f. So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 27 f. 212 Vgl. auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 28; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 110 ff. 211

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

131

weil die Liste aufgrund der Vorgaben des Paritätsgesetzes nicht mit mehr Kandidaten gebildet werden konnte, obwohl Bewerber des einen Geschlechtes noch zur Verfügung gestanden hätten. Dies dürfte insbesondere kleinere Parteien mit einer insgesamt kleineren Bewerberanzahl treffen. Denn bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine Gruppe an Bewerbern des einen Geschlechts so klein ist, dass die soeben beschriebene Wirkung für die Gesamtliste eintritt. Freilich ließe sich diese besonders gravierende Auswirkung vermeiden und damit insoweit die Beeinträchtigung der Wahlrechtsfreiheit durch ein Paritätsgesetz abmildern, wenn dieses eine strenge Alternativität nur soweit vorgeben würde, wie Bewerber beider Geschlechter zur Verfügung stehen. Dann wäre es möglich, die letzten Plätze der Liste direkt aufeinanderfolgend mit Kandidaten des einen Geschlechts zu besetzen, wenn Bewerber des anderen Geschlechts fehlten.213 Allerdings wäre bei einer solchen Ausgestaltung die Möglichkeit einer gezielten Umgehung des Anliegens paritätischer Regelungen zu bedenken. Am schwersten fällt die Beeinträchtigung der passiven Wahlrechtsfreiheit durch ein Paritätsgesetz aus. Dem einzelnen Bürger bzw. Parteimitglied, der bzw. das sich für einen Platz auf einer Liste bewirbt, ist allein aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit die Hälfte der (aussichtsreichen) Plätze versagt.214 Somit besteht die Gefahr, dass er einen rangniedrigeren Platz allein aufgrund eines von ihm nicht beeinflussbaren Merkmals erhält. Sie ist umso größer und kann bis zur praktischen Unmöglichkeit, einen (erfolgreichen) Platz zu erhalten, führen, je mehr Mitbewerber des gleichen Geschlechts vorhanden sind. Und sobald keine weiteren Bewerber des anderen Geschlechts mehr zur Verfügung stehen, ist dem Bewerber eine Kandidatur für einen Listenplatz generell verwehrt, es sei denn, ein Paritätsgesetz wäre in der Vorgabe strenger Alternativität abgemildert (s. o.). Für das Ausmaß der Beeinträchtigung der Wahlrechtsfreiheit ist jeweils erschwerend zu berücksichtigen, dass eine Abweichung von der strengen Parität nicht zulässig ist und mit der Zurückweisung der Landesliste sanktioniert wird. Die Liste ist dabei insgesamt und nicht lediglich ab dem falsch besetzten Listenplatz zurückzuweisen.215 Auch dies ließe sich jedoch anders, z. B. über die Möglichkeit einer Teilzurückweisung216 oder über eine mit Hilfe der – nur vorstufenhaften –

213

Vgl. von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 532; Burmeister / Greve, ZG, 2019, 154, 159 (die jedoch beide die Ausnahmereglung im Brandenburger Paritätsgesetz missinterpretieren). 214 So auch Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 15; ähnlich ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 28 f. 215 So ist das Brandenburgische Paritätsgesetz ausgestaltet. Die Streichung eines Bewerbers nach § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 S. 2 BbgLWahlG bezieht sich nur auf den Fall, dass ein Bewerber nach der paritätischen Aufstellung der Liste wegen in seiner Person wurzelnder Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben (z. B. Verlust der Staatsbürgerschaft oder sonstige Gründe, die die Wählbarkeit nach § 15 BWahlG entfallen lassen) gestrichen wird, aber gerade nicht auf einen originären Verstoß gegen die streng alternierende Reihenfolge. Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 100 ff. 216 Dies sah die Regelung in Thüringen vor, vgl. § 30 Abs. 1 S. 4 und 5 ThürLWahlG.

132

Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Einzellisten korrigierte Bildung direkt bei den Wahlbehören217, normieren und würde damit auch den Grad der Beeinträchtigung relativieren. Festzuhalten ist damit, dass ein Paritätsgesetz die Wahlrechtsfreiheit für den Wähler, die nominierende Partei bzw. Parteimitglieder sowie den Wahlbewerber beeinträchtigt.218 Das Maß der Beeinträchtigung steigt und ist für den Wahlbewerber am größten. b) Parteienfreiheit Um ihrem Auftrag zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung gerecht werden zu können, kommt den Parteien ein Status der Freiheit zu.219 Bei dieser Parteienfreiheit steht, anders als bei den grundrechtlichen Freiheiten, der funktionale Charakter im Vordergrund. Es geht also nicht um Persönlichkeitsentfaltung im gesellschaftlichen Bereich, die es abzuschirmen gilt. Vielmehr soll mit der Freiheit der Partei gewährleistet werden, dass die Partei die ihr zugedachte Rolle im grundgesetzlichen System demokratischer Willensbildung wahrnehmen kann. Eine von staatlicher Beeinflussung freie Aufgabenerfüllung der Parteien trägt wesentlich dazu bei, den Bürgern die Ausübung ihrer demokratischen Teilnahmerechte zu ermöglichen. Als in nicht unerheblichen Maße normgeprägtes Recht verdankt die Parteifreiheit ihren konkreten Gewährleistungsgehalt auch der Ausformung durch den seinerseits an die Gewährleistungsgarantien der Verfassung gebundenen Gesetzgeber. Darauf weist nicht zuletzt der Ausgestaltungsauftrag in Artikel 21 Absatz 5 hin.220 Angesichts ihres funktionalen Charakters hat sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Parteienfreiheit insbesondere von der Aufgabenbezogenheit der Parteienfreiheit leiten zu lassen.221 Vor diesem Hintergrund könnten sich die untersuchten Normen mit dem zugrunde liegenden Bestreben, bei der innerparteilichen Kandidatenaufstellung und später im Parlament gleiche demokratische Teilnahmerechte zwischen den Ge 217

Siehe oben S. 89 ff. und S. 92 f. Insoweit ist die Auffassung von Laskowski in ihrer schriftlichen Stellungnahme (S. 8 f.), Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, Anhang; sowie in Laskowski, Cicero v. 18. 02. 2019, Auf dem Weg zur gleichberechtigten demokratischen Teilhabe, bei einem Paritätsgesetz handele es sich um eine Erweiterung der Wahlfreiheit, zurückzuweisen. 219 Siehe oben S. 114 ff. 220 Dabei ist der Gesetzgeber zur Wahrnehmung grundsätzlich nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, vgl. Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 113; Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 253; Gusy, in: AK-GG, 3. Auflage, 2001, Art. 21, Rn. 143; Kunig, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 21, Rn. 90. 221 Vgl. Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 123, 133; ähnlich Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 30. 218

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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schlechtern zu schaffen,222 entweder als verfassungskonforme Ausgestaltung der Parteienfreiheit oder als rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in diese erweisen.223 aa) Ein Paritätsgesetz als Konkretisierung des Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG? Bei der Ausgestaltung der Parteienfreiheit sieht sich der Gesetzgeber einer Vielzahl von Anforderungen ausgesetzt, die für ein Mehr oder Weniger an Freiheit streiten. Neben der allgemein zu beachtenden Funktion der Partei (s. o.) sind es vor allem die vom Verfassungsgeber in Satz 2 und 3224 des Artikel 21 Absatz 1 GG vorgegebenen, selbst funktionsorientierten Grundsatznormen, die in jedem Fall bei der Wahrnehmung des Regelungsauftrags aus Artikel 21 Absatz 5 umzusetzen sind.225 Dies folgt nicht zuletzt aus ihrer systematischen Stellung nach dem die Aufgabe der Parteien normierenden Satz 1, aber vor Absatz 5. Das Paritätsgesetz und seine Anforderungen an die innerparteiliche Kandidatenaufstellung könnten in diesem Lichte als Konkretisierung von Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG226 angesehen werden, nach dem die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Die politischen Parteien übernehmen eine wichtige Funktion im staatlichen, repräsentativ ausgestalteten Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess.227 222

Dazu oben S. 24 ff. Zur Abgrenzung von Ausgestaltung eines Rechts und Eingriff in dieses allgemein Degenhart, § 61 Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtsbeschränkung, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdBGR III 2009, Rn. 14 ff.; 49 ff. 224 Diese Einordnung von Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG sowie sein Verhältnis zur Parteienfreiheit als ausgestaltungsbedürftiges Recht wird deshalb unterschiedlich beurteilt, weil die Interpretation der Parteienfreiheit selbst und entsprechende Folgen für das Verhältnis anderer Normen zu ihr umstritten sind, vgl. oben S. 114 ff. Dazu Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 21, Rn. 317 dort Fn 161. 225 Vgl. Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 36. Insofern geht es um den objektiv-rechtlichen Gehalt der Norm, vgl. Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 152; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 128. Dass diese Norm auch subjektiv-rechtlichen Gehalt hat, ist für die vorliegende Untersuchung nicht entscheidend. 226 Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG als Vorgabe für die Ausgestaltung der Parteienfreiheit sehen auch BVerfGE 121, 30 (47); Jarass, in: Jarass / Pieroth GG, 16. Auflage, 2020, Art. 21, Rn. 8; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 128; Gusy, in: AK-GG, 3. Auflage, 2001, Art. 21, Rn. 65, 67 „auf Optimierung angelegt“; der Sache nach Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 148 f.; Tsatsos / Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 35, 43 ff., 75 f. Ähnlich wohl Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 191, der der Norm weder Maximalforderungen entnehmen, noch sie nur als ein „weitgehend komprimierbares Minimalprogramm“ sehen will. Volkmann, in: Friauf / Höfling GG, 2000, Art. 21, Rn. 64 betont die Maßstäblichkeit der Norm, die auch bei einer erfolgten einfachgesetzlichen Ausgestaltung fortbestehe und nicht etwa darin aufgegangen sei. 227 Siehe oben S. 99 ff. 223

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Hierzu muss sich auch in ihnen nach bestimmten Strukturen ein Wille bilden, und Entscheidungen müssen getroffen werden. Insofern besteht für die Aufgabenerfüllung der Partei die Notwendigkeit einer strukturellen Gleichgerichtetheit228 von Partei und Staat, die abzusichern ratio von Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG229 ist.230 Denn wenn die Parteien die zentralen Akteure bei der Willensbildung des Volkes im Staat sind, sie als „Vorkammern der politischen Willensbildung“231 die Willensbildung innerhalb der organisierten Staatlichkeit vorprägen und sie Bindeglieder zwischen dem Subjekt und Objekt der Willensbildung im Staat darstellen, muss in ihnen ein dem Grunde nach gleich zugeschnittener Rahmen der Inhaltsfindung gewährleistet sein. Es geht darum, durch strukturelle Vorgaben die innere232 Freiheit der Partei, den „freien politischen Willensbildungsprozess an seiner Quelle“233 und damit in einem umfassenden Sinne die Freiheitlichkeit der Parteien zu sichern.234 Dies schützt nicht zuletzt über die Parteien den Einfluss

228 Von „struktureller Homogenität“ sprechen der Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 157; Towfigh / Ulrich, in: BK GG, 213. EL, 2020, Art. 21, Rn. 440 f.; Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 36; Kersten, in: Kersten / ​ Rixen PartG, 2009, § 1, Rn. 67. 229 Man könnte die Notwendigkeit struktureller Gleichgerichtetheit bereits unmittelbar aus der Funktion der Parteien folgern, so wohl auch Kunig, § 40 Parteien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR III, 3. Auflage 2005 Rn. 32. Einer solchen Herleitung ließe sich jedoch entgegenhalten, dass allein mit der Funktion auch ein nicht demokratischer Aufbau wegen seiner größeren Effizienz begründet werden könnte und allein der Funktion somit kein ausreichender Gewährleistungsgehalt im Hinblick auf einen demokratischen Parteiaufbau zu entnehmen ist, vgl. Ipsen, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 53. Angesichts der eindeutigen Normierung in Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG kommt es darauf aber nicht an. 230 So bereits Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 154, auch 167. Des Weiteren auch Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 36; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 123 ff.; Henke, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 255, 262; Ipsen, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 53; Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 149; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 189 f.; Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 26, 63 f., 80 f., der die Funktionsbezogenheit von Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG betont. 231 Darauf weist zutreffend Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 189 hin. 232 Damit sind die Rechte und parteiunabhängig gleiche Partizipationsmöglichkeiten der (auch zukünftigen) Mitglieder, die Beachtlichkeit ihrer Meinungen sowie die Willensbildungsund Entscheidungsprozesse innerhalb der Partei gemeint. 233 Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11, 30. 234 Ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Rn. 173 ff.; Grimm, § 14 Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 36; Volkmann, in: Friauf / Höfling GG, 2000, Art. 21, Rn. 42. Ähnlich Tsatsos / ​ Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 48 f.; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 123, 126; Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975, S. 165, 171 ff., der zusätzlich die Bedeutung der Vorgaben für die innerparteilichen Demokratie für die Chancengleichheit der Parteien betont; Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 50.

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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des Einzelnen auf den politischen Prozess.235 Dieser Rahmen für Entscheidungen besteht vor allem in der Struktur und dem Aufbau der Parteien sowie der Organisation von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen innerhalb derselben. Er ist das, was Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG mit „innerer Ordnung“ meint, somit sein Regelungsgegenstand. Adressat der Norm ist neben den Parteien selbst in erster Linie der Gesetzgeber. Der Wortlaut der Norm und die Funktion der Parteien setzen zugleich die Grenzen des Regelungsgegenstandes „innere Ordnung“, auf den sich die EntsprechungsNotwendigkeit bezieht.236 Nicht erfasst sind vor allem inhaltliche Aspekte, wie das Programm einer Partei oder die Determinierung programmatischer parteiinterner Vorgaben, die aus dem Selbstverständnis einer Partei folgen.237 Diese Grenzen hat der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung seines Ausgestaltungsauftrags zu wahren und sich entsprechender Vorgaben zu enthalten. Diese Ausklammerung inhaltlicher Aspekte von staatlichen Vorgaben ist entscheidend, damit die Parteien ihre Funktion adäquat wahrnehmen können. Nur dann, wenn in inhaltlicher Hinsicht eine unverfälschte Kommunikationsbeziehung zwischen der Partei und den Bürgern möglich ist und die Parteien ihre Sammlungsund Bündelungsfunktion im politischen Meinungsbildungs- und Meinungskundgabeprozess entsprechend ihrer selbst bestimmten politischen Tendenz ausüben können, ist eine Herstellung von Legitimation staatlichen Handelns möglich. Jegliche inhaltliche Einflussnahme staatlicherseits stünde im direkten Widerspruch zu Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG. 235

Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 156; Trautmann, Innerparteiliche Demokratie im Parteienstaat, 1975, S. 165. 236 Handelt es sich um eine Struktur- und Organisationsvorgabe, dann muss sie zum einen Vorgaben machen zu innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen (z. B. Mehrheitsprinzip, Chancengleichheit und effektive Einwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder, prinzipielle Abhängigkeit und Verantwortlichkeit der Leitungsgremien von allen Mitgliedern, in einem gewissen Grad Minderheitenschutz, usw.), vgl. Henke, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 264; Kunig, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 21, Rn. 53; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 21, Rn. 127; Kersten, in: Kersten / R ixen PartG, 2009, § 1, Rn. 73; Tsatsos / Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 46; Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 151. Zum anderen umfasst dies auch Vorgaben zu innerparteilichen Verfahren (z. B. Abstimmungsweise, Vorschlags-, Initiativ- und Äußerungsrechte), vgl. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 192; sowie zum organisatorischem Aufbau (z. B. Wahl und zeitlich begrenzte Amtsdauer von Führungsgremien, territoriale Untergliederung der Parteiorganisation zur Ermöglichung unmittelbarer Mitwirkung der Mitglieder), vgl. Ipsen, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 56, 60; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 191 f.; Henke, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 264. Darauf muss die Norm umgekehrt aber auch beschränkt bleiben. 237 Vgl. Ipsen, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 54; Oebbecke, JZ, 1988, 176, 179, wonach Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG eine „Freiheitsgrenze, nicht Eingriffsermächtigung [sei]. Ein Einfallstor für die unmittelbare Parlamentsgestaltung und die mittelbare Gesellschaftsgestaltung durch Gesetz wird damit nicht eröffnet.“

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Die Regelungen eines Paritätsgesetzes scheinen auf den ersten Blick das innerparteiliche Verfahren und damit die „innere Ordnung“ als Regelungsgegenstand des Artikel  21 Absatz  1 Satz  3  GG zu betreffen. Sie setzen am parteiinternen Verfahren der Kandidatenaufstellung für die Landeslisten an, indem sie in das bestehende Verfahren zusätzlich ein Gebot der jeweils geschlechtergetrennten Aufstellung der Kandidaten sowie anschließend eines der Zusammenführung der so gewonnenen Teillisten einfügen. Auf diese Weise entsteht ein Regelungszusammenhang mit den verfahrensrechtlichen Vorgaben zur Kandidatenaufstellung. Grundsätzlich gehören verfahrensrechtliche, die Vorgänge und die Organisation innerhalb der Partei betreffende Regelungen zur „inneren Ordnung“ im Sinne des Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG. Dies gilt dem Grunde nach auch für solche zur Kandidatenaufstellung, als eines den Parteien bewusst zur selbstständigen und internen Ausführung überantworteten Vorganges.238 Allerdings ändern die Vorgaben zur Parität das Verfahren der Kandidatenaufstellung als solches nicht. Sie teilen lediglich die bisher einheitliche Bewerbergruppe in zwei nach Geschlechtern getrennte Gruppen, aus denen die Kandidaten abwechselnd auszuwählen sind. Damit ändert sich zwar die personelle Besetzung einzelner Listenplätze, nicht aber das hierbei anzuwendende Verfahren, insbesondere nicht der Modus der Abstimmung über die einzelnen Listenplätze. Auf diese Weise wird jedoch in inhaltlich-programmatischer Art auf die Parteien eingewirkt.239 Denn die Auswahl von Kandidaten steht für die Partei in engstem Zusammenhang mit ihrem programmatischen Selbstverständnis: Kandidaten sind die personifizierten „Aushängeschilder“ der jeweiligen Partei und damit die personelle Kehrseite ihrer sachlichen politischen Positionen. Insofern haben Parteien großes Interesse daran, Personen als Kandidaten aufzustellen, die aufgrund ihrer Person, ihres bisherigen Tuns und ihren Einstellungen das Parteiprogramm möglichst authentisch repräsentieren.240 Dazu kann auch das untrennbar mit einer Person verknüpfte Geschlecht gehören. Entsprechend der Grenzen des Regelungsgegenstandes von Artikel  21 Absatz  1 Satz  3  GG muss es in inhaltlicher Hinsicht jedoch der Partei überlassen sein, auf das Geschlecht keinen Wert zu legen oder dieses zu einem wichtigen Kriterium ihrer Kandidatenauswahl zu machen, weil sie geschlechterbezogene Positionen zu ihrem politischen Programm

238 So auch Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1972, S. 193 f.; ders., in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 21, Rn. 205; Streinz, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 21, Rn. 156; Wolfrum, Die innerparteiliche demokratische Ordnung nach dem Parteiengesetz, 1974, S. 180; ähnlich Bericht der Parteienrechtskommission, Rechtliche Ordnung des Parteiwesens – Probleme eines Parteiengesetzes, 1957, S. 167, der die Kandidatenaufstellung als Bereich bezeichnet, in dem die Vorgabe des Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG „am sichtbarsten mit der Funktion der Partei im Verfassungsleben im Zusammenhang erscheint“. 239 Siehe schon oben S. 88 f. 240 Ähnlich Oebbecke, JZ, 1988, 176, 180 f.; Achterberg / Schulte, in: vM / K /S GG, 6. Auflage, 2010, Art. 38, Rn. 145.

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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zählt.241 Schreibt nun ein Gesetz zwingend eine hinsichtlich des Geschlechts alternierende Reihenfolge der Kandidaten auf der Kandidatenliste vor, kann die Partei über dieses personenbezogene und unabänderliche Kriterium bei ihrer Kandidatenaufstellung nicht mehr frei entscheiden.242 Unter Umständen kann sich eine Partei sogar gezwungen sehen, Kandidaten zu nominieren, die sie bei einer freien Entscheidung nicht oder jedenfalls auf einem deutlich schlechteren Listenplatz nominiert hätte.243 Gleichzeitig kann die Kandidatenliste nicht mehr in gleicher Weise genutzt werden, um sich über inhaltliche Positionierungen der benannten Personen oder die generelle Zusammensetzung der Liste von konkurrierenden Parteien mit anderen programmatischen Schwerpunkten abzugrenzen. Die Auswahl der Mittel, mit denen die Partei ihr Programm den Bürgern darstellt, ist jedoch Teil ihrer programmatischen Freiheit und muss damit den Parteien selbst überlassen sein. Gerade die Bereitstellung künftigen politischen Spitzenpersonals kann sich für den Wähler als Prüfstein dafür erweisen, ob und inwieweit die Äußerungen einer Partei in dieser Hinsicht auch tatsächlich gelebt werden und der Wille zur Umsetzung bei ihren potentiellen künftigen Mandatsträgern besteht. Damit können die paritätischen Vorgaben dazu führen, dass das über die Kandidaten vermittelte Bild einer Partei von ihrer tatsächlichen programmatischen Ausrichtung abweicht und so möglicherweise ihre Glaubwürdigkeit schwächt. Folglich haben die Regelungen des Paritätsgesetzes in erster Linie einen inhaltlich-programmatischen Gehalt. Sie zählen damit, anders als Fragen der Organisation und des innerparteilichen Verfahrens, nicht zur „inneren Ordnung“ im Sinne von Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG und können diesen somit auch nicht konkretisieren. bb) Beeinträchtigung der Parteienfreiheit Ein Paritätsgesetz konkretisiert nicht lediglich die innere Ordnung der Parteien im Sinne von Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG und gestaltet also nicht nur ihre Parteienfreiheit aus.244

241

So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 31; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 91. Ähnlich Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 18 f.; Roth, in: Umbach / Clemens GG Band II, 2002, Art. 38, Rn. 78. Dies gilt parallel für alle personenbezogenen Merkmale und Eigenschaften. 242 So auch schriftliche Stellungnahme (S. 11) von Morlok / Hobusch, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, Anhang; Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 15 f. 243 Ähnlich VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 113; ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 31; Oebbecke, JZ, 1988, 176, 179. 244 So im Ergebnis auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 142 ff. Anders Laskowski, Gutachten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Paritéregelungen in Thüringen, 2014, S. 36 ff.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Vielmehr beeinträchtigen diese Regelungen die Handlungsfreiheit der Parteien im Hinblick auf die Kandidatenaufstellung und damit zugleich ihre Programmfreiheit, weil sie geeignet sind, zu einer Verfälschung des programmatischen Erscheinungsbildes der Parteien zu führen.245 Hierin liegt auch der wesentliche Unterschied zu parallelen Vorgaben, die sich die Parteien selbst geben246: Während dort die Parteienfreiheit für eine autonom gewählte quotale bzw. paritätische Vorgabe bei der Kandidatenaufstellung streitet und gegen die beeinträchtigten Wahlrechtsgrundsätze in die Abwägung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung eingestellt werden muss, ist die Parteienfreiheit hier durch die von außen an die Partei gestellten Normen beeinträchtigt und damit gemeinsam mit den Wahlrechtsgrundsätzen gegen die (gesetzliche) Regelung ins Feld zu führen; dort ermöglicht die Parteienfreiheit eine paritätische Vorgabe, hier wirkt sie abwehrend gegen diese.247 Dabei ist zu beachten, dass diese Beeinträchtigung der Parteienfreiheit nicht nur im Hinblick auf die Partei als Gesamtorganisation wirkt, sondern auch auf die einzelnen Parteimitglieder. Denn gerade aufgrund ihres Ursprungs in der politisch-demokratischen Freiheit der Bürger kann sich auch der Einzelne auf die Parteifreiheit berufen.248 Auch hier ist die Beeinträchtigung gravierend, da die Vorgaben eines Paritätsgesetzes im Hinblick auf die Liste zwingend sind und über die Zurückweisung der Liste im Falle eines Verstoßes wirksam durchgesetzt werden.249 Eine solche Zurückweisung wäre für die Partei insofern besonders schwerwiegend, als sie dann keine Chance hätte, die über die Listenwahl vergebenen Mandate zu erlangen, obwohl diese Chance die Bereitstellung politischen Personals und damit eine Kernfunktion der Parteien berührt. Jedoch wäre auch die Beeinträchtigung der Parteienfreiheit geringer einzustufen, wenn weniger gravierende Sanktionen vorgesehen wären oder die strenge Alternativität der Reihenfolge nicht mehr gelten würde, sobald keine Bewerber eines Geschlechts mehr zu Verfügung stehen.

245

So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 31 f.; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 94 ff.; Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 16; Rüfner, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 819. Anders wohl Meyer, NVwZ, 2019, 1245, 1249. 246 Siehe dazu oben S. 63. 247 So auch auf die parteiinternen Vorgaben bezogen und damit aus der spiegelbildlichen Perspektive beurteilt Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 17. Vgl. auch Roth, in: Umbach / Clemens GG Band II, 2002, Art. 38, Rn. 78 f.; Achterberg / Schulte, in: vM / K /S GG, 6. Auflage, 2010, Art. 38, Rn. 145 f. 248 Siehe S. 114 ff. 249 Vgl. dazu bereits oben S. 89 ff. und 92 f.

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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2. Beeinträchtigung der Gleichheit a) Gleiche Teilnahme durch parlamentarische Repräsentation: Freies Mandat und Mehrheitsprinzip Die strenge demokratische Gleichheit der Bürger steht in untrennbarer Beziehung zum freien Mandat der Abgeordneten.250 Die Gleichheit der Bürger spiegelt sich in der Gleichheit der Abgeordneten und damit im Parlament als Ganzem wider. Alle Abgeordneten repräsentieren gemeinsam die gesamten Bürger und den einzelnen Bürger als Teil dieser Gesamtheit. Die grundgesetzliche Gesamtrepräsentation erweist sich damit als Gegenmodell zum Ständestaat, in dem sowohl die Vertreter als auch die Vertretenen anhand vordefinierter Eigenschaften in verschiedene Gruppen unterteilt waren. Indem ein Paritätsgesetz eine paritätische Besetzung des Parlaments erreichen möchte, verfällt es jedoch genau in dieses Denken. Für das Ziel gleicher demokratischer Teilnahmerechte der Frauen wie der Männer bedient es sich eines normativen Instrumentariums, das der grundgesetzlichen Konzeption repräsentativer Demokratie fundamental widerspricht.251 Die strenge demokratische Gleichheit aller Staatsbürger versperrt sich einer Ausdifferenzierung nach Gruppen und damit auch nach dem Geschlecht. Einem Paritätsgesetz liegt jedoch ein solcher Differenzierungsgedanke zugrunde, da es nicht eine gleichberechtige politische Teilnahme der Bürger allgemein, sondern dezidiert eine Gruppengleichheit zwischen Männern und Frauen anstrebt. Die einheitliche Gesamtheit gleicher Staatsbürger wird damit zugunsten einer Aufteilung in zwei Geschlechtergruppen aufgegeben. Zudem missachtet eine zwingende, wenn auch selbst zu wählende Zuordnung von Personen des dritten Geschlechts zu einer der beiden Gruppen deren persönliche Identität und gesellschaftliche Situation (sofern eine solche Ausnahmeregelung vorgesehen ist). Entsprechendes gilt mit Blick auf die Abgeordneten. Denn die paritätischen Regelungen greifen in die Zusammensetzung des Gesetzgebungsorgans ein und machen ein natürlich vorhandenes, aber für seine Funktionen unbeachtliches Merkmal seiner Mitglieder zu einem rechtlich beachtlichen Kriterium. Damit wird ein die Abgeordneten als Menschen erfassendes Differenzierungskriterium in die Sphäre der Wahrnehmung ihrer Funktion als Mandatsträger transportiert. Dieser Über 250

Siehe oben S. 119 ff. So ähnlich auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 35 f.; Parlamentarischer Beratungsdienst des Landtags Brandenburg, Geschlechterparität bei Landtagswahlen, 2018, S. 54 f.; von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 530 ff.; Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 16; Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1736; Wieland, Bindungen und Spielräume des Parteienverfassungsrechts für die Herstellung von Parität, in: Eckertz-Höfer / Schuler-Harms (Hrsg.), Gleichberechtigung und Demokratie, 1. Auflage 2019, 147, 154 ff.; ähnlich Kingreen, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3, Rn. 459.

251

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

griff stellt jedoch die rechtliche Homogenität der Abgeordneten in Frage und gerät dadurch in Konflikt mit dem Grundgesetz. Denn das Grundgesetz kennt nicht den männlichen oder weiblichen Abgeordneten, sondern unterscheidet Abgeordnete überhaupt nicht nach personalen Merkmalen. Zwischen ihnen herrscht eine durch das freie Mandat bewirkte strenge Gleichheit und damit rechtliche Einheitlichkeit. Ein Paritätsgesetz führt die geschlechtliche Unterscheidung aber gerade deshalb ein, weil es die weibliche Perspektive verstärkt einbringen will252 und somit nicht mehr von der Gleichartigkeit der Abgeordneten und ihrer Meinungen ausgeht.253 Wenn anteilig mehr Frauen im Parlament speziell die Interessen der Bürgerinnen wahrnehmen sollen, ist in einem Paritätsgesetz konzeptionell eine Bindung an eine Teilgruppe des Wahlvolks und ihre politischen Interessen angelegt. Das freie Mandat löst die Abgeordneten jedoch von Bindungen an Einzelne sowie Gruppen und macht sie zu Vertretern des gesamten Volkes. Die Abgeordneten vertreten deshalb nicht (nur) diejenigen Bürger, die derselben Gruppe bzw. demselben Geschlecht angehören wie sie. Abgesehen davon, dass weder Frauen noch Männer permanent als einheitliche politische Gruppe mit gleichgerichteten Interessen angesehen werden können,254 wird auf diese Weise eine Sonderverbindung zwischen einzelnen Gruppen von Abgeordneten und Bürgern hergestellt, die das freie Mandat im Sinne des Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG gerade ausschließt255. Zu Ende gedacht läge es sogar nahe, hierin den ersten Schritt hin zu einer weiteren Differenzierung der Abgeordneten und folglich auch der Regeln für ihre Kandidatur nach personalen Kriterien zu erkennen.256 Eine solche Ausdifferenzierung nach spezifischen Inte-

252

Zu den Motiven hinter dem Paritätsgesetz siehe oben S. 24 ff. Vor diesem Hintergrund ließe sich dem Paritätsgesetz jedoch eine gewisse Inkonsequenz vorhalten, da es keine entsprechenden Vorgaben für die Besetzung parlamentarischer Ausschüsse enthält, die eine wesentliche Funktion im parlamentarischen Prozess wahrnehmen. 254 So auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 140; von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 530. In eine ähnliche Richtung geht die Argumentation von Huster, AöR 118 (1993), 109, 127 ff., der hinterfragt, inwiefern tatsächlich eine eng abgrenzbare, homogene Gruppe der Frauen mit gleichgerichteten Interessen besteht und nicht vielmehr dieser kollektive, auf Parität zwischen gesellschaftlichen Gruppen bezogene Ansatz zugunsten einer individuellen Betrachtung des freien Bürgers aufgegeben ist bzw. sein sollte. 255 Vgl. Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 25 f., der in einer solchen Verbindung zwischen einer Gruppe und einer anderen keine demokratische Legitimation, sondern „einen Fall ‚ständischer‘, nämlich allein durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe begründeter, Repräsentation“ sieht (Fn 87 ebd.). 256 So z. B. Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 16; Burmeister / Greve, ZG, 2019, 154, 163; Depenheuer, Cicero v. 18. 02. 2019, Guten Gewissens in die gelenkte Demokratie; in diese Richtung auch bzgl. Menschen mit Behinderung der Vertreter des Landesbehindertenbeirats Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 8; ähnlich Rixen, Demokratie und Gleichberechtigungsgebot: Verfassungsrechtliche Relationen, in: Eckertz-Höfer / Schuler-Harms (Hrsg.), Gleichberechtigung und Demokratie, 1. Auflage 2019, 43, 77 f. Nach Heyen, DÖV, 1989, 649, 653 meint die „Idee der Geschlechterquotierung eine Form garantierter Gruppenrepräsentanz“, die nicht „mit dem institutionellen Gehalt des allgemeinen und gleichen Wahlrechts“ vereinbar sein könne. 253

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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ressen (im Interesse einer „Spiegelbildlichkeit der Gesellschaft im Parlament“257) würde – ungeachtet der Schwierigkeiten einer praktischen Umsetzung – einer weiteren Auflösung des freien Mandats und der Grundbedingungen der grundgesetzlichen demokratischen Repräsentation Vorschub leisten. Die Loslösung des gewählten Abgeordneten von seinen tatsächlichen Wählern und seine Aufwertung zum Vertreter des gesamten Verbandes der Bürger ist Drehund Angelpunkt des freien Mandats. Zugleich liegt darin eine Funktionsbedingung des Mehrheitsprinzips im demokratischen Willensbildungsprozess und damit letztlich auch der Legitimationskraft parlamentarischer Mehrheitsentscheidungen im Hinblick auf jeden Bürger.258 Denn nur dann, wenn jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes ist, kann die Gesamtheit der Abgeordneten mittels Mehrheitsentscheid das Volk in seiner Gesamtheit repräsentieren und mit dem Anspruch der Allgemeinverbindlichkeit für alle Bürger entscheiden. Durch die paritätischen Vorgaben wird nun in die Grundbedingungen dieses Entscheidungsmodus systemgefährdend eingegriffen: Einerseits wird die einheitliche Gesamtheit sowohl der Bürger als auch der Abgeordneten in Geschlechtergruppen aufgespalten und damit die Anerkennung des jeweils anderen und seiner politischen Ansicht als gleich (-wertig), unabhängig von weiteren Kriterien, wie dem des Geschlechts, in Frage gestellt. Diese Anerkennung ist aber grundlegende Voraussetzung des Mehrheitsprinzips. Andererseits erschwert die durch das Gesetz intendierte Sonderverbindung zwischen den jeweiligen Geschlechtergruppen der Abgeordneten und der Bürger durch die unterstellte innere Verpflichtung der Abgeordneten nicht nur die Kompromissfindung als notwendige Voraussetzung einer Mehrheitsentscheidung. Vor allem untergräbt sie die theoretische wie faktische Verpflichtungswirkung einer jeden parlamentarischen Mehrheitsentscheidung für die Gesamtheit, also auch für die Anhänger der jeweils anderen Ansicht. Insbesondere sofern sich die Mehrheitsverhältnisse in beiden Geschlechtergruppen entscheidungserheblich unterscheiden, könnten die Angehörigen des unterliegenden Geschlechts die legitimierende Kraft der Mehrheitsentscheidung in Frage stellen. Generell würde die Anerkennung parlamentarischer Entscheidungen und damit auch die Folgebereitschaft der Bürger leiden, je weiter die geschlechtsspezifischen Mehrheiten auseinanderfallen. Damit wird aber an der allgemeinen Verpflichtungswirkung von Gesetzen als einer Grundbedingung des demokratischen Rechtsstaats gerüttelt. Gleichzeitig wird die durch das freie Mandat und Mehrheitsprinzip erst ermöglichte Gesamtrepräsentation des Volkes ausgehebelt.259 Diese Differenzierungsfeindlichkeit der Gesamtheit der Bürger und der Abgeordneten im Hinblick auf ihr Mandat ist keine Nebenfolge der grundgesetzlichen 257 Dies wird grundsätzlich als „deskriptive Repräsentation“ verstanden. Dazu grundlegend Pitkin, The concept of representation, 1967, S. 60 ff. 258 Siehe oben S. 119 ff. und 122 ff. 259 Im Hinblick auf das Prinzip der Gesamtrepräsentation ähnlich VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 130 ff., 166 und 55/19, Rn. 182 ff., 210.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Normen, die zu ändern verfassungsrechtlich unbedenklich wäre. Vielmehr ist sie Kernbestandteil der grundgesetzlichen Demokratiekonzeption. Wird nun mit dem Paritätsgesetz die der Gesamtheit vorausliegende Einheitlichkeit der Bürger und der Abgeordneten durch die rechtliche Anknüpfung an das Kriterium des Geschlechts in Gruppen von weiblichen und männlichen Bürgern und Abgeordneten aufgelöst, bedeutet dies nicht nur ein Anknüpfen an zugunsten der demokratischen Gleichheit überwundene ständische Strukturen und Denken.260 Vor allem verstößt dieses Gesetz damit grundlegend gegen geltendes Verfassungsrecht. All dies leugnet nicht die tatsächliche Verschiedenheit der Abgeordneten als Menschen aufgrund ihrer sozialen Stellung und Prägung, ihres Berufs und auch ihres Geschlechts. Sie dürfen und sollen in ihrer Funktion als Abgeordnete, nicht zuletzt im Gesetzgebungsverfahren, entsprechend handeln und sich aus dieser vielfach vorgeprägten Perspektive einbringen. Eine möglichst breite Streuung dieser Verschiedenheiten zu erzielen, um die im Staatsvolk herrschende Vielfalt widerzuspiegeln, ist vor allem im Hinblick auf die inhaltliche Legitimität staatlicher Entscheidungen sinnvoll und wünschenswert.261 Der normative Status der Abgeordneten muss jedoch hiervon unberührt bleiben, darf also nicht je nach ihren Teilmerkmalen, Lebensumständen und sozialen Zugehörigkeit ausdifferenziert werden. Bei der parteiinternen Nominierung von Kandidaten geht es gerade um die Erlangung dieses Status, weshalb die Regeln der Kandidatenaufstellung insofern neutral gehalten sein müssen. Da sich paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung in einem Wahlrecht mit starren Listen zwangsläufig und gewollt in den Wahlergebnissen niederschlagen, zielen sie auf den Status der gewählten Abgeordneten ab. Differenzierungen wie denen eines Paritätsgesetzes widerspricht das Grundgesetz folglich.

260

Siehe oben S. 116 ff. Ähnlich Ebsen, JZ, 1989, 553, 557; Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 29: „Wo in einer Rechtsordnung Vertretungskörper ständisch aufgebaut werden, so ist schon in dieser Gliederung an sich eine demokratische Grundlage nicht gegeben, und die Anwendung des Mehrheitsprinzips innerhalb derart konstituierter Körper kann nicht den Anspruch erheben, eine Realisierung demokratischer Prinzipien zu sein.“ 261 Diese Integration politischer Meinungen und Interessen, insbesondere bei den Wahlen, wird aber gerade und besonders durch die Parteien im politischen Willensbildungsprozess vorgenommen, bei dem sich der Staat jeglicher inhaltlicher Einflussnahme zu enthalten und lediglich die Offenheit durch gesetzliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten hat. Er kann gerade nicht zugunsten der Vielfalt für die verstärkte Einbindung bestimmter Meinungen und Interessen in diesen Prozess eingreifen und sich insoweit auf ein Optimierungsgebot hinsichtlich der Integration einzelner Meinungen und Interessen in diesen Prozess stützen, vgl. dazu VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 138 ff. und 55/19, Rn. 191 ff. Bezugspunkt dieser Integration sind politische Meinungen und Interessen, nicht dagegen verschiedene Bevölkerungsgruppen als solche und damit auch nicht Frauen und Männer, vgl. auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 35 f.

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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b) Gleichheit als Wahlrechtsgleichheit Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Artikel  38 Absatz  1 Satz  1 Vari­ ante 4 GG) fordert für das passive Wahlrecht insbesondere eine Chancengleichheit der Kandidaten.262 Jegliche Bevorzugung oder Benachteiligung eines Bewerbers oder Kandidaten ist zu unterlassen. Die Wahlrechtsgleichheit zielt dabei primär auf das Handeln staatlicher Funktionsträger. Sie ist aber auch, genau wie die anderen Wahlrechtsgrundsätze, bei der Ausgestaltung des Wahlrechts nach Artikel 38 Absatz 3 GG zu beachten und im Rahmen dessen notwendigerweise zu konkretisieren. Es ließe sich folglich erwägen, das Paritätsgesetz aufgrund der bislang – gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil – unterproportionalen Zahl nominierter Frauen als Beitrag zur Herstellung von Chancengleichheit und gleichberechtigter demokratischer Teilhabe zu würdigen263. Diese Schlussfolgerung verkennt jedoch mehrere Aspekte: aa) Herbeiführung von Chancenungleichheit Zum einen ist Bezugspunkt der Wahlrechtsgleichheit in diesem Kontext die Chance eines (Listen-)Kandidaten, gewählt zu werden. Unter den Bedingungen eines Verhältniswahlrechts mit starren Listen meint dies vor allem eine Chancengleichheit zwischen den Bewerbern bei der Aufstellung der Liste.264 Die streng formal zu verstehende Chancengleichheit verlagert sich insofern in zeitlicher Hinsicht auf den der eigentlichen Wahl vorausgehenden Akt der Kandidatenaufstellung innerhalb der Partei. Paritätische Vorgaben stehen den formal gleichen Chancen aller Bewerber durch den Modus einer geschlechtlich streng alternierenden Listenreihenfolge im Wege. Dadurch versagt es den Bewerbern des einen Geschlechts die für die Bewerber des anderen Geschlechts reservierte Hälfte der Listenplätze und versperrt ihnen so deren womöglich bessere Erfolgsaussichten.265 Insoweit könnte man bereits den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante  1  GG berührt sehen.266 Zudem hängen die Chancen der Nominierung auf denselben Platz nicht mehr nur von der Anzahl der Konkurrenten ab, sondern von der Anzahl der Konkurrenten desselben Geschlechts.267 Dies kann zu einer 262

Siehe oben S. 127. Vgl. nur Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1; Landtag Thüringen, LT-Drs. 6/6964 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 f.; generell bezogen auf die Quotierung der Kandidatenlisten Lange, NJW, 1988, 1174, 1181. 264 Vgl. BVerfGE 41, 399 (413); VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 153. 265 So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 30; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 157. 266 Vgl. von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 528. 267 Ähnlich VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 158 f. 263

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Besser- oder Schlechterstellung in den Chancen auf einen Platz überhaupt sowie auf einen bestimmten Listenplatz allein aufgrund eines für den Bewerber indisponiblen Merkmals führen. Denn die Wahrscheinlichkeit, einen Platz zu erhalten, kann zwischen den Geschlechtergruppen der Bewerber einerseits deshalb variieren, weil sie vom Verhältnis der jeweiligen Anzahl der Bewerber zu den verfügbaren Listenplätzen abhängt. Andererseits ist die Anzahl der Listenplätze beider Geschlechter jeweils begrenzt durch die Bewerberzahl der im konkreten Fall kleineren Bewerbergruppe des anderen Geschlechts. Bewerber des einen Geschlechts können folglich allein deshalb unberücksichtigt bleiben, weil keine Angehörigen des anderen Geschlechts mehr kandidieren und die paritätische Gesamtliste deshalb enden muss. Diese Wirkung entfiele, wenn die strenge Alternativität in einem solchen Fall nicht mehr gelten würde (s. o.). Eine Chancengleichheit besteht ferner insofern nicht, als weibliche und männliche Bewerber an die Chancen ihrer Geschlechterbewerbergruppe gebunden sind, während sich Personen, die sich nicht einem der beiden Geschlechter zuordnen, – je nach Ausgestaltung der Ausnahmeregelung für diese Personengruppe268 – selbst für eine der beiden Gruppen entscheiden oder unabhängig von der alternierenden Reihenfolge kandidieren können. Dies eröffnet ihnen im ersten Fall die Möglichkeit, sich für diejenige Geschlechtergruppe zu entscheiden, die eine geringere Anzahl an Bewerbern und damit eine relativ höhere Chance auf einen Listenplatz generell sowie auf eine bessere Platzierung aufweist. Können sie sich unabhängig von einem für ein bestimmtes Geschlecht reservierten Platz bewerben, stehen ihre Chancen dem Grunde nach noch besser. Damit sind die Angehörigen dieser Personengruppe generell gegenüber weiblichen und männlichen Bewerbern sowie im konkreten Fall gegenüber den Bewerbern des Geschlechts, dessen Gruppenangehörige aufgrund der höheren Bewerberanzahl geringere Chancen auf einen Listenplatz haben, bessergestellt.269 bb) Staatsbürgerschaft als einzig relevantes Kriterium Zum anderen ist für die streng formale Wahlrechtsgleichheit der Anknüpfungspunkt des Vergleichs, d. h. relevantes Kriterium im Hinblick auf die verglichenen Personen, grundsätzlich ausschließlich die Staatsbürgereigenschaft.270 Dies gilt auch für die Kandidatenaufstellung im Vorfeld der Wahl. Ein Paritätsgesetz misst jedoch dem Kriterium des Geschlechtes entscheidende Bedeutung zu und macht

268

Siehe oben S. 90 ff. So auch im Ergebnis VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 172. 270 Weshalb ihr der Charakter einer spezifischen (und strengen) Gleichheit zukommt, vgl. Böcken­förde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage  2004, Rn. 42 ff.; Allgemein Trute, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 38, Rn. 50. 269

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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es damit zum Anknüpfungspunkt des Vergleichs.271 Damit verfolgen diese Rege­ lungen weder einen wahlrechtsimmanenten Zweck (sondern einen wahlrechtsfremden inhaltlichen Zweck272).273 Noch lässt sich diese Tatsache dadurch entkräften, dass für männliche und weibliche Bewerber nach Maßgabe der paritätischen Regelungen in gleicher Weise jeweils nur noch die Hälfte der Listenplätze zur Verfügung stehen274, die dann gruppenintern gleichheitsneutral vergeben werden.275 Die Wahlrechtsgleichheit kennt keine solche Unterteilung der Bürger in Teilgruppen und knüpft am Individuum an. Auch die Differenzierungsverbote aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 Variante 1 GG276 zeigen, dass Differenzierungen nach dem Geschlecht grundsätzlich unzulässig sind.277 Weil einzig zulässiger Anknüpfungspunkt der Wahlrechtsgleichheit die Eigenschaft als (Staats-)Bürger ist, wird folglich mit einem Paritätsgesetz und seiner Anknüpfung am Geschlecht eine Ungleichheit erst herbeigeführt, statt wie argumentiert, diese zu beheben.278 cc) Kein chancen-, sondern ergebnisorientierter Ansatz Schließlich und vor allem stellt ein Paritätsgesetz in Bezug auf die Geschlechtszugehörigkeit nicht Chancen-, sondern vielmehr Ergebnisgleichheit her, obwohl es bei der Wahlrechtsgleichheit um die Chancen der Kandidaten, hier genauer der Bewerber, geht (s. o.). Die Gleichheit der Wahl als Ergebnisgleichheit zu verstehen, hieße jedoch, dem Wesen der Wahl in der Demokratie in grundlegender Weise zu widersprechen. In der Demokratie vollzieht sich die Willensbildung vom Volk 271 Auch wenn ein Vergleich mit einer ausländischen Rechtsordnung nur mit großer Vorsicht zu ziehen ist, so liegt er doch zwischen demokratischen Staaten für den Bereich einer Wahl nahe: In Frankreich wurden wahlbezogene Regelungen zur Parität aufgrund der Anknüpfung des Wahlrechts nur an die Bürgereigenschaft als Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit angesehen und deshalb vom Verfassungsgericht verworfen, siehe oben S. 64 ff. Sie zogen deshalb eine ausdrückliche Verfassungsänderung nach sich. Auch in Belgien wurde die Verfassung diesbezüglich ergänzt, siehe oben S. 68 ff. 272 Siehe oben S. 88 f. und 136 f. 273 So auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 128 und 55/19, Rn. 180 f.; Oebbecke, JZ, 1988, 176, 178. 274 So aber Fisahn / Maruschke, Gutachten zur Verfassungskonformität Geschlechterquotierung bei der Aufstellung von Wahllisten (Thüringen), 2018, S. 22 f. sowie der äußerungsberechtigte Landtag Brandenburg in VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 83. 275 So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 30; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 124; schriftliche Stellungnahme (S. 8) von Morlok / Hobusch, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, Anhang; Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1735. 276 Zur Anwendbarkeit siehe unten S. 147 f. 277 Vgl. für die Beurteilung parallel ausgestalteter parteiinterner Quotierungen als Benachteiligung aufgrund des Geschlechts Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 12. 278 Dies gilt parallel für die Auffassung, paritätische Vorgaben stärkten den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, wie dies Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Möglichkeiten einer paritätischen Besetzung des Bundestages, 2008, S. 11 f. anführt.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

zu den Staatsorgangen, nicht umgekehrt.279 Deshalb verlangt die Wahl als deren zentrales Element eine nur auf dem authentischen Willen der Wähler basierende Auswahl der Abgeordneten. Aufgrund der Beschränkung der Wähler auf die zur Wahl stehenden Kandidaten muss dann die gleiche Chance eines jeden Bürgers bestehen, ein solcher Kandidat zu werden. Diese Chance ist jedoch nicht vorhanden, wenn Kandidaturen an unveränderbare Merkmale von Bürgern geknüpft sind, wie es mit dem Kriterium des Geschlechts durch ein Paritätsgesetz geschieht. In diesem Fall wird das Wahlergebnis unter den Bedingungen starrer Listen in Bezug auf die Geschlechtszugehörigkeit der Abgeordneten staatlicherseits vorgezeichnet. Dieser Aspekt wird folglich der Entscheidung der Wähler bei der Wahl entzogen und damit insoweit die Richtung der demokratischen Willensbildung sowie des Legitimationszusammenhangs in ihr Gegenteil verkehrt.280 Von einer höheren Abstraktionsebene her betrachtet, wird in Bezug auf das Geschlechterverhältnis im Parlament der die demokratische Entscheidungsfindung allgemein kennzeichnende offene und von inhaltlichen Festlegungen freie, damit auch grundsätzlich „staatsfreie“281, Willensbildungsprozess282 eingeschränkt.283 Insoweit ist durch paritätische Vorgaben das Ergebnis zugunsten des politisch als „richtig“ Angesehenen durch Gesetz bereits vorgegeben.284 Dieser Schritt kann in seiner Bedeutung deshalb nicht unterschätzt werden, weil es nicht um eine einzelne Sachentscheidung, sondern um künftige Parlamentswahlen geht. Sie stellen das verbindende Element zwischen der Willensbildung im Volk und der im Staat dar und bilden damit erst das in der folgenden Zeit für alle grundlegenden staatlichen Entscheidungen in der Sache berufene zentrale demokratische Repräsentationsorgan. dd) Zwischenergebnis Die paritätischen Vorgaben für die Kandidatenaufstellung beeinträchtigen in mehrfacher Hinsicht den Grundsatz der (passiven) Wahlrechtsgleichheit aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG.

279

BVerfGE 20, 56 (99); 44, 125 (140); 144, 20 (209). Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 137. 281 Vgl. BVerfGE 20, 56 (99); 69, 315 (346). 282 Siehe oben S. 111 f. 283 Vgl. Depenheuer, Cicero v. 18. 02. 2019, Guten Gewissens in die gelenkte Demokratie; ähnlich Heyen, DÖV, 1989, 649, 653, wonach das allgemeine und gleiche Wahlrecht nur dem Wähler die Entscheidung über die soziale Zusammensetzung überantwortet und er „völlige Freiheit zur sozialen Diskriminierung von Wahlkandidaten“ habe. 284 So auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 137. 280

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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c) Differenzierungsverbote zum Schutz der Gleichheit Auch die besonderen Gleichheitssätze in Artikel 3 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz  1 Variante  1  GG schützen die Gleichheit, in diesem Fall bezogen auf das Kriterium des Geschlechts. Parallel zur Wahlrechtsgleichheit könnte ein Paritätsgesetz auch im Hinblick auf diese besonderen Gleichheitssätze eine Ungleich­ behandlung begründen. Allerdings könnte man ein Vorrangverhältnis aufgrund von Spezialität für die hier relevante Beschränkung der Wahlchancen abhängig vom Geschlecht zwischen der Wahlrechtsgleichheit und den besonderen Gleichheitssätzen des Artikel 3 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 Variante 1 GG in ihrer Form als Differenzierungsverbote285 annehmen.286 Dieser Konkurrenzerwägung liegt der Gedanke zugrunde, dass diese besonderen Gleichheitssätze genau wie der allgemeine Gleichheitssatz lediglich an die Eigenschaft als Mensch anknüpfen287, während Bezugspunkt der Wahlrechtsgleichheit die Eigenschaft als Staatsbürger ist und sie insofern spezifische Gleichheit ist.288 Die Staatsbürgerschaft ist folglich im Hinblick auf die verglichenen Personen ein hinzutretendes Kriterium. Gleichzeitig verfolgen Wahlrechtsgleichheit und die Differenzierungsverbote im hier maßgeblichen Bereich gleichgerichtete Schutzwecke. Daraus ließe sich folgern, dass im Sachbereich der Wahl zwischen ihnen zwar grundsätzlich eine Deckungsgleichheit ihres Anwendungsbereichs bestünde, für die Wahlrechtsgleichheit jedoch mit der Staatsbürgerschaft ein zusätzliches Merkmal erforderlich ist. Um der dadurch begründeten spezifischen Verwurzelung Rechnung zu tragen, könnte deshalb im hier fraglichen Fall der Rückgriff auf die Differenzierungsverbote aus Gründen der Spezialität verwehrt sein. Spezielle Gleichheitssätze stehen grundsätzlich jedoch im Verhältnis der Idealkonkurrenz zueinander und finden damit parallel Anwendung.289 Eine staatliche Handlung, die im Hinblick auf mehrere grundsätzlich unzulässige Kriterien unterschiedlich behandelt, muss gleichzeitig den jeweiligen verfassungsrechtlichen

285

Das genaue dogmatische Verhältnis der Vorschriften zueinander ist noch nicht abschließend geklärt. Dass bezogen auf das Geschlecht ein sich inhaltlich deckendes Differenzierungsverbot in Art. 3 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG enthalten ist, ist jedoch weitgehend unstreitig, so auch BVerfGE 74, 163 (179); Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage  2010, Rn. 82. Vgl.  dazu umfassend ­Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 179 ff. 286 Vgl. von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 528; Jutzi, Stellungnahme „Gendergerechte Demokratie“, 2012, S. 5; wohl auch Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 17 f. der eine „Vorgängigkeit“ i. S. e. Spezialität der Wahlrechtsgleichheit sieht (aber die Differenzierungsgebote wegen des eigenständigen Schutzzwecks trotzdem grundsätzlich anwendet, vgl. S. 16). 287 Kirchhof, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 48 ff., 76, 78, 108 ff. 288 Siehe oben S. 144 f. sowie Böckenförde, § 24 Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR II, 3. Auflage 2004, Rn. 46 f. 289 Vgl. BVerfGE 151, 1 (22 f.).

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Gleichheitsanforderungen entsprechen.290 Dies müsste dann auch hier gelten. Für eine parallele Anwendbarkeit spricht zudem, dass sich die Anwendungsbereiche des sachbereichsbezogenen Differenzierungsverbots aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG und des bereichsunabhängigen, merkmalbezogenen Differenzierungsverbots291 aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 Variante 1 GG nur teilweise decken und jedem eigenständige Anwendungsbereiche verbleiben.292 Aufgrund der jeweils streng formalen Geltung deckt sich das hohe Schutzniveau der Differenzierungsverbote im hier maßgeblichen Anwendungsfall mit dem der Wahlrechtsgleichheit. Auch sind für die Wahlrechtsgleichheit über die Staatsbürgereigenschaft hinaus persönliche Merkmale, wie etwa das Geschlecht, genauso unerheblich, wie dies nach den Differenzierungsverboten aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 Variante 1 GG der Fall ist. Selbst wenn die Wahlrechtsgleichheit und die Differenzierungsverbote also parallel auf paritätische Rege­ lungen für die Kandidatenaufstellung anwendbar wären, bestünde kein zusätzliches, nicht bereits durch die Wahlrechtsgleichheit erreichtes Schutzniveau. Ein durch ein Paritätsgesetz bewirkter Verstoß auch gegen die Differenzierungsverbote würde zu den anderen Beeinträchtigungen hinzutreten und die Gesamtwirkung der Beeinträchtigung vergrößern.293 Damit kommt es für die vorliegende Untersuchung auf die Differenzierungsverbote aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 Variante 1 GG sowie ihre Anwendbarkeit nicht entscheidend an.

290

Boysen, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 3, Rn. 202. Zur Unterscheidung der besonderen Gleichheitsgarantien vgl. Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 8 ff. 292 Für diese parallele Anwendbarkeit auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 130 ff.,  220; BayVerfGH, E. v. 26. 03. 2018  – Vf. 15-VII-16, in: NVwZ-RR 2018, 457 Rn. 87; Parlamentarischer Beratungsdienst des Landtags Brandenburg, Geschlechterparität bei Landtagswahlen, 2018, S. 8 ff.; Ebsen, JZ, 1989, 553, 556; Ebsen, § 8 Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 18. Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 86 plädiert für einen gegenständlich unbegrenzten Anwendungsbereich. Vgl. auch parallel BVerfGE 151, 1 (23). 293 Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 229. Er sieht durch die mit dem Paritätsgesetz hervorgerufene Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts den besonders geschützten Teilbereich der Wahlrechtsgleichheit betroffen und gelangt aus der nicht gerecht­ fertigten Beeinträchtigung dieses Wahlrechtsgrundsatzes auch zu einer Verletzung der speziellen Diskriminierungsverbote. Auf den Verstoß gegen die besonderen Differenzierungsverbote greift er lediglich ergänzend zurück, indem er die Überschreitung des „Maß hinnehmbare[r] Eingriffsintensität“ (mit der Folge fehlender Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen) auch mit der Schwere der Gesamtwirkung der kumulierten Beeinträchtigungen begründet. 291

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

149

d) Chancengleichheit der Parteien Die demokratische Gleichheit der Bürger bedingt zugleich eine Chancengleichheit der Parteien.294 Dem Staat ist neben einer direkten Bevorzugung oder Benachteiligung auch jede Einflussnahme auf den Parteienwettbewerb verboten, die geeignet ist, diesen Wettbewerb zu verfälschen, indem einzelne Parteien (mittelbar) bevorzugt oder benachteiligt werden. Ein Paritätsgesetz stellt eine solche Einflussnahme dar. Durch die Vorgabe strenger Alternativität hängen die möglichen Nominierungen und deren Zahl nicht wie bisher davon ab, welche und wie viele Bürger bzw. Mitglieder insgesamt, sondern wie viele Frauen und wie viele Männer als Bewerber zur Verfügung stehen. Dies kann die Parteien zum einen dazu zwingen, aus ihrer Sicht weniger geeignete Kandidaten aus der Geschlechtergruppe mit dem geringeren Bewerberanteil (auf Plätzen weiter vorne) aufzustellen.295 Es kann zum anderen aber auch dazu führen, dass – sofern nicht die strenge Alternativität am Ende der Liste aufgehoben ist (s. o.) – eine kürzere Liste entsteht, weil es der Partei nicht gelingt, eine hinreichend große Kandidatenzahl aus beiden Geschlechtern zu gewinnen.296 Diese Folgen können bereits die Wahlchancen der Partei verringern, weil zum einen die personelle Zusammensetzung der Liste aufgrund der Vorgaben nicht das Programm der Partei widerspiegelt und somit die Glaubwürdigkeit leidet (s. o.). Zum anderen kann eine kürzere Liste Zweifel der Wähler an den Aussichten und der Ernsthaftigkeit der Partei wecken und sie deshalb zu einer Nichtwahl veranlassen.297 Für eine Liste abgegebene Wählerstimmen können durch die Vorgaben eines Paritätsgesetzes entwertet werden, weil die Partei aufgrund der kurzen Liste die ihr nach der Stimmenanzahl zustehenden Mandate nicht vollständig wahrnehmen kann. Zwar richtet sich diese Regelung formal an alle Parteien gleichermaßen. Allerdings begünstigt oder benachteiligt der Gesetzgeber damit mittelbar Parteien abhängig von der Ausgewogenheit des Geschlechterverhältnisses ihrer Bewerber und wirkt damit verfälschend auf den Parteienwettbewerb ein.298 Dieses Verhältnis schwankt aufgrund vielfältiger Umstände sehr stark.299 Der Gesetzgeber kann dies angesichts der Anteile weiblicher und männlicher Parteimitglieder (aus denen typischerweise die Bewerber entstammen) und der Bewerber- und Kandidatenzahlen bei vergangenen Wahlen auch weitgehend voraussehen. Dabei wirkt sich ein ungleiches Geschlechterverhältnis umso gravierender aus, je kleiner die Partei und

294

Siehe oben S. 128 f. Vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 33. 296 Siehe dazu schon oben S. 129 ff. 297 Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 181. 298 Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 181 f.; BayVerfGH, E. v. 26. 03. 2018 – Vf. 15-VII-16, in: NVwZ-RR 2018, 457, Rn. 143. 299 Siehe oben S. 52 ff. 295

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

damit die Anzahl zu einer Kandidatur bereiter Mitglieder ist.300 Der Gesetzgeber muss jedoch das zugrundeliegende unterschiedliche parteipolitische Engagement der Bürgerinnen und Bürger als ihrer demokratischen Freiheit geschuldete Ausgangsbedingung des politischen Wettbewerbs hinnehmen. Eine Verfälschung des Parteienwettbewerbs liegt darüber hinaus – sofern ein Paritätsgesetz dies vorsieht – in der Ausnahme für solche Parteien, die satzungsgemäß nur Personen eines Geschlechts aufnehmen301.302 Dies schützt sie zwar vor einer Benachteiligung, benachteiligt aber im Vergleich dazu einerseits andere Parteien, die zwar satzungsgemäß für alle offen stehen, aber aufgrund ihrer thematischen Ausrichtung tatsächlich überwiegend Mitglieder eines Geschlechts aufweisen.303 Andererseits sind generell Parteien mit unausgewogenem Geschlechterverhältnis gegenüber den ausgenommenen Parteien benachteiligt und zwar umso mehr, je unausgeglichener ihr Geschlechterverhältnis ist und je stärker es sich somit der Situation jener von der Ausnahmeregelung erfassten Parteien annähert. Darüber hinaus soll ein solches Gesetz Parteien dazu veranlassen, ihr Programm oder ihre politische Haltung, ggf. auch Struktur und Arbeitsweise in eine bestimmte Richtung zu ändern, um die Anzahl der Bewerber für Kandidaturen des bislang unterrepräsentierten Geschlechts zu erhöhen.304 Dies trifft Parteien unterschiedlich intensiv, je nachdem, ob und inwieweit die Förderung von Gleichberechtigung zu ihrem Selbstverständnis gehört.305 Eine solche inhaltliche Einflussnahme seitens des Staates beeinträchtigt nicht nur die Tendenz- und Programmfreiheit der Parteien, sondern zumindest als Reflex auch die durch die Chancengleichheit gebotene Neutralität des Staates gegenüber den Parteien. Denn über die politische Richtigkeit der von der Partei verfolgten Ziele muss allein der Bürger entscheiden können. Programmatische Einflüsse seitens des Staates verfälschen den Wettbewerb zwischen den Parteien und wirken sich damit auch auf die Chancengleichheit zwischen den Parteien sowie die Legitimation des Parlaments aus. Erschwerend wirkt schließlich der Umstand, dass ein Paritätsgesetz nur an den Listen ansetzt, das Bundestagswahlsystem jedoch eine Kombination mit dem 300

Siehe dazu schon oben S. 129 ff. Bereits in den Gesetzgebungsverfahren in Brandenburg und Thüringen sowie im Verfahren vor dem ThürVerfGH wurde die Verfassungsgemäßheit einer satzungsgemäß nur ein Geschlecht vertretenden Partei mit Hinweis auf Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG angezweifelt. Dem tritt ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 32 mit dem Argument entgegen, dass die „demokratischen Grundsätze“ i. S. d. Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG nicht die speziell grundrechtlich geschützte Gleichberechtigung der Geschlechter umfassten. 302 Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 184 f. 303 So auch Morlok / Hobusch in der Anhörung im Innen- und Kommunalausschuss des Landtags von Thüringen, Landtag Thüringen, Innen- und Kommunalausschuss, LT-Drs. InnKA 6/73 (Ausschussprotokoll), 2019, S. 62. 304 Vgl. dazu auch oben S. 132 ff. 305 So auch Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 16, 19; ähnlich ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 33. 301

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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Mehrheitswahlsystem darstellt. Auf diese Weise können Parteien, deren Kandidaten überwiegend über Listen gewählt werden, deutlich stärker betroffen sein als Parteien, die viele Direktmandate erwerben. Denn letztere könnten die als Folge paritätischer Vorgaben auf weniger aussichtsreiche Plätze verwiesenen Kandidaten für Direktmandate nominieren306 und so die Auswirkungen des Gesetzes partiell ausgleichen. Gerade weil ein Paritätsgesetz nur an einem Teil des kombinierten Wahlsystems ansetzt, muss es jedoch die sich aus dessen Zusammenwirken mit dem unberührten Teil, d. h. dem Systembestandteil der Mehrheitswahl, ergebenden Folgen beachten. Damit ist festzuhalten, dass paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung auch die Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 i. V. m. Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigt.307 3. Ergebnis Paritätische Regelungen für die Kandidatenaufstellung stehen im Konflikt mit mehreren grundgesetzlichen Bestimmungen. So beeinträchtigen sie einerseits die Freiheit der Wahl (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 3 GG) und die Parteienfreiheit (Artikel 21 Absatz 1 GG). Andererseits werden der durch das freie Mandat (Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG) und das Mehrheitsprinzip (vgl. Artikel 42 Absatz 2 Satz 1 GG) gewährleistete Grundsatz der Gesamtrepräsentation, die Wahl­ rechtsgleichheit (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG) sowie das Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Artikel 21 Absatz 1 i. V. m. Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG) beeinträchtigt. Diese Bestimmungen sind jeweils Ausdruck der für die Demokratie des Grundgesetzes grundlegenden Prinzipien demokratischer Freiheit und Gleichheit der Bürger und damit der grundgesetzlichen Konzeption repräsentativer Demokratie. Insgesamt beeinträchtigt ein Paritätsgesetz daher das Prinzip demokratischer Repräsentation in mehrfacher und grundlegender Hinsicht.308

306 Dabei wäre jedoch die Praxistauglichkeit dieser Überlegung empirisch zu untersuchen, da die Aufstellungsgremien jeweils unterschiedlich zusammengesetzt sind und insbesondere der Amtsbonus eines bereits bei vorherigen Wahlen erfolgreichen Direktkandidaten ein nicht zu unterschätzender Faktor sein dürfte, der es für andere, nicht bei der Liste zum Zuge gekommene Bewerber schwerer machen dürfte, im Wahlkreis nominiert zu werden. 307 So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 32 f.; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 177 ff.; Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 20. 308 So auch Butzer, in: BeckOK GG, 49. Ed., 2021, Art. 38, Rn. 81.1.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

II. Ein Paritätsgesetz als gerechtfertigte Beeinträchtigung? Die Anforderungen an eine Rechtfertigung der geschilderten Beeinträchtigungen des Prinzips demokratischer Repräsentation sind hoch. Gelingen kann sie nur um kollidierender Verfassungsgüter willen, die besonders sachlich legitimiert sind und den beschränkten Rechten zumindest die Waage halten können.309 Dabei hat der Gesetzgeber aufgrund der Bedeutung der Wahl für die Demokratie nur einen eng begrenzten Gestaltungsspielraum.310 Für eine spiegelbildlich hohe verfassungsgerichtliche Kontrolldichte spricht nicht zuletzt die Gefahr, dass der Gesetzgeber, genauer die hinter ihm stehende parlamentarische Mehrheit, mit „Regelungen, die die Bedingungen politischer Konkurrenz berühren, […] gewissermaßen in eigener Sache tätig“311 wird und somit dem eigenen Machterhalt über das Vehikel des Wahlrechts in die nächsten Legislaturperioden hinaus Vorschub leisten könnte.312 Hinter der Forderung nach parlamentarischer Parität steht der Wunsch nach einer gleichberechtigten Teilnahme der Geschlechter am demokratischen Willensbildungsprozess. Eine Rechtfertigung der paritätischen Vorgaben für die Kandidatenaufstellung könnte sich deshalb aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG ergeben, nach dem der Staat „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern [fördert] und […] auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin[wirkt]“. Hierzu müsste die Norm dem Grunde nach Anwendung finden und zu einer Maßnahme wie den untersuchten paritätischen Regelungen ermächtigen. 1. Anwendbarkeit des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG dem Grunde nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG verpflichtet den Staat allgemein auf ein Hineinwirken in die Gesellschaft. Deshalb können auch die von einem Paritätsgesetz geregelten innerparteilichen Vorgänge grundsätzlich Gegenstand dieses Verfassungsauftrages sein. Normadressat ist insofern der Gesetzgeber, nicht die Partei.313 309

Dies bezieht sich vor allem auf die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl, vgl. BVerfGE 36, 139 (141 f.); 130, 212 (227 f.); 132, 39, (47 f.), gilt aber auch für den damit in engem Zusammenhang stehenden Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, vgl. BVerfGE 135, 259 (285 f.); 146, 327 (350 f.). Der enge Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erstreckt sich aufgrund des engen wechselbezüglichen Zusammenhangs zwischen Gleichheit und Freiheit in der Demokratiekonzeption des Grundgesetzes grundsätzlich auch auf die Wahlrechts- und Parteienfreiheit, so auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 149 f., 175, 187; Morlok, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 38, Rn. 65; Müller, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 38, Rn. 129. 310 BVerfGE 6, 84 (94); 34, 81 (98 f.); 121, 266 (297); 151, 1 (19) für die Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl und BVerfGE 85, 264 (297); 111, 382 (398); 120, 82 (105); 135, 259 (286); 140, 1 (23); 146, 327 (350 f.) für die Chancengleichheit der Parteien. 311 BVerfGE 120, 82 (105); 135, 259 (289); 146, 327 (352). 312 Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 122. 313 Insofern unterscheidet sich diese Konstellation von einer parteiautonom beschlossenen Quotenvorgabe (dazu oben  S.  58 ff.), für deren Zulässigkeit dieser Artikel nur mittelbar

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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Als Staatsziel314 kann Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG auch zur Rechtfertigung der Beschränkung anderer Verfassungsgüter herangezogen werden.315 Allerdings könnte man aufgrund der unmittelbaren systematischen und inhaltlichen Nähe zu Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG erwägen, die Anwendbarkeit von Satz 2 im Bereich des besonderen Gleichheitssatzes aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG (Wahlrechtsgleichheit) aus Gründen der Spezialität zu verneinen, sofern und soweit man ein Spezialitätsverhältnis zwischen der Wahlrechtsgleichheit und Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG annimmt316.317 Anders als bei Satz 1 wäre der Regelungsgehalt von Satz 2 jedoch nicht bereits durch die Wahlrechtsgleichheit abgedeckt. So untersagen sowohl Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG als auch Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG als subjektive Gleichbehandlungsansprüche Differenzierungen nach dem Geschlecht. Ein dem objektiv-rechtlichen Förderauftrag des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG in seiner Reichweite entsprechender positiver Handlungsauftrag lässt sich der Wahlrechtsgleichheit hingegen nicht entnehmen.318 Das Spezialitätsverhältnis zwischen Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG und Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG lässt sich also nicht auf dessen Satz 2 übertragen.319 Damit ist Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG dem Grunde nach anwendbar.

durch seine objektiv-rechtliche Wirkung von Einfluss wäre, vgl. Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 11. 314 Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestags und Bundesrats (GVK), BT-Drs. 12/600, S. 50; Boysen, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 3, 162; Baer / Markand, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 3 Abs. 2, 3, Rn. 355, 364 sprechen von einer „Staatsaufgabe“. Zur parallelen thüringischen Regelung ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 37; zur parallelen brandenburgischen Regelung VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 155 ff. und 55/19, Rn. 201 ff. Zum Charakter eines Staatsziels ausführlich Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 91 ff., insbesondere zur Unterscheidung zu objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, die in ihrer Schutzwirkung weniger weit gingen, S. 105 f. 315 So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 40; VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 159 und 55/19, Rn. 205; Isensee, § 73 Staatsaufgaben, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR IV, 3. Auflage  2006, Rn. 9; Langenfeld, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 63; Klein, DVBl, 1991, 729, 733 f.; ähnlich Kingreen, in: BK GG, 213.  EL, 2021, Art. 3, Rn. 457. Anders wohl Dürig / Scholz, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 62 (einschränkend aber zuvor Rn. 61). 316 Siehe oben S. 147 f. 317 So Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1736; ähnlich wohl Roth, in: Umbach / Clemens GG Band II, 2002, Art. 38, Rn. 79; kritisch auch (mit anderer Begründung) Jutzi, Stellungnahme „Gendergerechte Demokratie“, 2012, S. 5. Gegen eine Anwendbarkeit könnte man auch vorsichtig einen Erst-Recht-Schluss aus dem Verhältnis des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zu Art. 33 Abs. 2 GG anführen, vgl. dazu von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 533; Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1737; Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 40. 318 Selbst wenn man der Wahlrechtsgleichheit auch den Charakter eines Optimierungsgebots zuspricht, vgl. Klein, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2010, Art. 38, Rn. 129. 319 So auch ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 40.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

2. Regelungsgehalt des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG Das in Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG zum Ausdruck gebrachte Staatsziel beauftragt alle staatlichen Stellen und damit insbesondere den Gesetzgeber, die in Satz 1 verbürgte Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu stärken sowie auf ihre tatsächliche Verwirklichung hinzuarbeiten. Die Vorschrift gestattet damit, faktische Nachteile eines Geschlechts durch begünstigende Regelungen auszugleichen.320 Satz 2 reicht so über das Differenzierungsverbot in Satz 1 und eine rechtliche Gleichstellung hinaus und in die gesellschaftliche Wirklichkeit hinein.321 Die Norm trägt auf diese Weise der Erkenntnis Rechnung, dass in bestimmten Lebensbereichen trotz rechtlicher Gleichstellung der Geschlechter tatsächlich nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten bestehen. Deshalb verfolgt die Vorschrift das Anliegen, den hindernden sozialen Strukturen und Hierarchien entgegenzuwirken, auf diese Weise tatsächliche Chancengleichheit in allen Lebensbereichen zu verwirklichen und letztlich die gleiche Möglichkeit eines jeden zu schützen und zu fördern, seine Freiheiten („Gleichheit in der Freiheit“322) unabhängig von seinem Geschlecht wahrzunehmen.323 Insofern kommt dieser Norm auch der Charakter einer objektivrechtlichen Schutzpflicht zu.324 Mit diesem, auf ein förderndes und schützendes Tätigwerden abzielenden Charakter der Norm ist in ihr gleichzeitig das Potential einer Kollision mit der recht­ lichen Gleichheit325, insbesondere dem Differenzierungsverbot nach Satz 1, angelegt. Diese Spannungslage lässt sich auflösen, weil und soweit sich im Einzelfall die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Sinne des Satz 1 auf Satz 2 stützen lässt.326 Dabei sind die unterschiedlichen Regelungszwecke in einen schonenden

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BVerfGE 74, 163 (180); 85, 191 (207); 92, 91 (109); Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 196; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu / K lein / Hofmann GG, 14. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 66. 321 BVerfGE 85, 191 (206 f.); 104, 373 (393); 109, 64 (89); 113, 1 (15); Langenfeld, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 58; auch wenn seine genaue Wirkung „ziemlich ungeklärt“ ist, vgl. Heun, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 3, Rn. 104; ähnlich Boysen, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 3, Rn. 167 f. 322 Baer / Markand, in: vM / K /S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 3 Abs. 2, 3, Rn. 355. 323 Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 261 f., 282; Huster, AöR 118 (1993), 109, 118 ff. 324 Vgl. BVerfGE 89, 276 (286); Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 262, 281 ff.; Jarass, in: Jarass / Pieroth GG, 16. Auflage, 2020, Art. 3, Rn. 112; Heun, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 3, Rn. 114. Ablehnend Langenfeld, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 124. 325 Zu diesem „Paradox der Gleichheit“ Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 378 ff.; sowie Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz  – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 191 f.; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 154. Ähnlich Kingreen, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3, Rn. 442; Ebsen, § 8 Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 12 ff. 326 Vgl. BVerfGE 92, 91 (109.) sowie (zur vergleichbaren Situation bei Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) 114, 357 (364); Boysen, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 3, Rn. 166 ff.; Ebsen,

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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Ausgleich zu bringen.327 Maßgeblich ist also insbesondere, dass die Grenze der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Durch die Regelungen zur Parität wird ein solches Spannungsverhältnis hervorgerufen. Neben anderen Verfassungsrechtspositionen ist es insbesondere die Wahlrechtsgleichheit328, mit deren Gehalt ein Paritätsgesetz in Konflikt gerät. Eine auf Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG gestützte Rechtfertigung dieser Beeinträchtigungen setzt zunächst voraus, dass dessen Regelungsgehalt das mit den paritätischen Vorgaben für die Kandidatenaufstellung verfolgte Ziel umfasst.329 Darüber hinaus dürften diese Regelungen das erforderliche Maß330 nicht überschreiten und müssten in einem angemessenen Verhältnis zu den Beeinträchtigungen331 stehen. a) Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG: Keine schematische Ergebnisgleichheit Der Wortlaut des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG benennt als Ziel die Förderung der „Gleichberechtigung“ von Frauen und Männern. Die genaue Bedeutung des Begriffs der „Gleichberechtigung“ im Sinne dieser Vorschrift ist nicht ganz eindeutig. Sowohl bei Einführung der Norm332 als auch in der seither geführten Diskus-

Jura, 1990, 515, 520; sowie ausführlich Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 264 ff., die den Sinn einer einzelfallbezogenen Abwägung betont, die dogmatisch in der Verhältnismäßigkeitsprüfung einer als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme zu wertenden Ungleichbehandlung verortetet sei. Anders dagegen Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 150 f., der die Möglichkeit eines Konflikts zwischen dem Ziel tatsächlicher Gleichberechtigung und dem Differenzierungsverbot deshalb verneint, weil die durch das Differenzierungsverbot bewirkte rechtliche Chancengleichheit notwendige Voraussetzung der faktischen Chancengleichheit sei; ders., NJW, 1989, 553, 558. 327 Gubelt, in: v. Münch / Kunig GG, 5. Auflage, 2000, Art. 3, Rn. 93 d f.; Heun, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 3, Rn. 113; Ebsen, § 8 Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 42 ff.; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 185 ff. Etwas anders Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 104 ff., die von einer „Vermutung zugunsten“ des Fördergebots aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG im Rahmen einer Abwägung ausgeht. Kritisch Ipsen, in: Ipsen, PartG, 2. Auflage, 2018, § 17, Rn. 23. 328 Dies gilt parallel für die in ihrer hier maßgeblichen Wirkung deckungsgleichen Differenzierungsverbote aus Art. 3 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG, sofern man diese parallel anwendet, siehe oben S. 147 f. 329 Dazu sogleich unten S. 155 ff. und S. 160 ff. 330 Dazu unten S. 162 ff. 331 Dazu unten S. 166 ff. 332 Siehe die eindeutig im Abschlussbericht der GVK zum Ausdruck gebrachten unterschiedlichen Auffassungen, BT-Drs. 12/600, S. 50; sowie in der vorangehenden Anhörung z. B. Schmidt-Jortzig, 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung der GVK am 05. 11. 1992, in: Limbach / Eckertz-Höfer (Hrsg.), Frauenrechte im GG, 1. Auflage 1993, 81, 131 f.; Schmitt Gläser, 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung der GVK am 05. 11. 1992, in: Limbach / EckertzHöfer (Hrsg.), Frauenrechte im GG, 1. Auflage 1993, 81, 130.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

sion333 wurde er häufig von jenem der „Gleichstellung“ unterschieden, ohne dass Einigkeit über die genaue Bedeutung und Abgrenzung beider Begriffe herrschte. Angesichts der mit der Einfügung des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG angestrebten Erweiterung des staatlichen Förderauftrags auf die Lebenswirklichkeit, die der Zusatz „tatsächlich“ noch verdeutlichen sollte334, besteht zumindest dahingehend Klarheit, dass der Begriff der „Gleichberechtigung“ sich nicht auf eine rechtliche im strikten Gegenüber zu einer tatsächlichen Betrachtung beschränkt, sondern beide Dimensionen einschließt. Zu klären bleibt jedoch, ob Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG mit „Gleichberechtigung“ eine Gleichheit in den Chancen oder auch im Ergebnis335 meint. Der gerade nicht von „Gleichstellung“ sprechende Wortlaut deutet immerhin auf die erste Sichtweise.336 Daneben spricht vor allem die ratio der Norm dafür, die angestrebte Gleichheit nicht erfolgsbezogen zu verstehen: Die Norm reagiert auf die Defizite, die in vielen Bereichen der Lebenswirklichkeit bei der Wahrnehmung grundgesetzlich geschützter Freiheiten im Hinblick auf die Gleichheit zwischen den Geschlechtern identifiziert wurden, und stellt somit ein Instrument zur Kompensation dieser Defizite dar.337 Damit ergänzt die Norm die Gewährleistung rechtlicher Freiheit Ausführliche Darstellungen dessen bei Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 74 ff., 85; und Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 77 ff., 133 ff. 333 Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 179 ff.; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 118 ff.; Schweizer, Der Gleichberech­ tigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 141 spricht davon, dass es „keine sachliche Diskussion darüber [gebe], was unter ‚Gleichberechtigung‘ und ‚Chancengleichheit‘ zu verstehen“ sei. 334 Auch wenn dieser Zusatz am falschen Bezugswort („Durchsetzung“) steht und sich eigentlich vor „Gleichberechtigung“ befinden müsste, vgl. Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 112 ff.; Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1996, S. 399. Auch der Abschlussbericht der GVK betont mehrmals die „tatsächliche Gleichberechtigung“. Diese Wortkombination wurde jedoch bewusst vermieden, damit in derselben Norm ein Begriff nicht mit verschiedener Bedeutung verwendet und „gleichberechtigt“ in S. 1 nicht möglicherweise nur noch in rechtlicher Hinsicht verstanden würde. Darüber hinaus bezog man sich auf die Rspr., die in BVerfGE 74, 163 (179 f.); 85, 191 (207) die Wirkung von „gleichberechtigt“ in S. 1 (nF) bereits auf den faktischen Bereich ausgedehnt habe, vgl. insgesamt dazu BT-Drs. 12/600, S. 50. Insofern dürfte die Einschätzung, dass es sich bei der Norm auch gerade wegen dieser gewählten Formulierung um einen „Formelkompromiß“ (Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 111 f. Diese Bezeichnung („dilatorische[r] Formelkompromiss[]“) benutzte bereits Isensee, NJW, 1993, 2583, 2585 zur Charakterisierung u. a. der dann in die Verfassung als Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG aufgenommenen Bestimmung) handele, nicht von der Hand zu weisen sein. 335 Deutlicher wird diese Unterscheidung anhand der auf Aristoteles zurückgehenden „iustitia distributiva“ und „iustitia commutativa“, wie dies Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 128 f. vornimmt. 336 So im Ergebnis auch Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 114 ff. 337 Die GVK spricht insofern davon, dass es darum gehe, „… die Lebensverhältnisse von Männern und Frauen auch real anzugleichen. Es handelt sich insoweit weniger um den Versuch der Lösung eines rechtlichen als eines gesellschaftlichen Problems.“, BT-Drs. 12/600, S. 50.

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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und setzt bei den Bedingungen des Freiheitsgebrauchs an. Allerdings erkennt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes die Menschen als Persönlichkeiten in ihrer Individualität mit all deren Folgen an. Er schafft ihnen mit den Freiheitsrechten einen Rahmen persönlicher Entfaltung, gibt ihnen jedoch grundsätzlich nicht die Art und Weise und erst recht nicht das Ergebnis ihres Freiheitsgebrauchs vor.338 Dass die Inanspruchnahme der grundgesetzlichen Freiheiten, d. h. von Möglichkeiten zur Erreichung selbst gesetzter Ziele, zu Ungleichheiten im Ergebnis führen kann, ist in dieser Konzeption angelegt. Dies ist in gewisser Hinsicht Preis der Freiheit. Ein rein ergebnisbezogenes, ausgleichendes Eingreifen des Staates zur Herstellung von Gleichheit, das in einen „Zwang zur Egalität“339 umschlägt, würde zu ungleichen Bedingungen der Inanspruchnahme von Freiheit führen, zudem den Gebrauch der Freiheit beeinträchtigen und letztlich dem Charakter eines freiheitlichen Staats widersprechen.340 Bei der „Gleichberechtigung“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG kann es daher nur darum gehen, jedem die gleichen freiheitlichen Bedingungen und damit (Start-)Möglichkeiten seines Freiheitsgebrauchs unabhängig vom Geschlecht zu verschaffen.341 Dies bringt das Spannungsverhältnis zwischen faktischer Gleichheit und Freiheit342 zu einem schonenden Ausgleich. Ein solches liegt darin, dass Freiheitsverwirklichung auf Gleichheit angewiesen ist, während gleichzeitig die Herbeiführung faktischer Gleichheit die Freiheit gefährden kann. Ein aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG folgender Auftrag an den Staat zur Herstellung von „Gleichberechtigung“ meint folglich, dass der Staat auf das Ergebnis faktischer Gleichberechtigung hinwirken muss, indem er die Chancen bzw. „realen

338

Vgl. nur Kirchhof, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 1, Rn. 108 ff., 184 ff.; ders., § 181 Allgemeiner Gleichheitssatz, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 74 ff., 19 f., 57 ff. Zu diesem Aspekt des Zusammenhangs der Gleichheit mit der Freiheit vgl. auch Kriele, Einführung in die Staatslehre, 2003, S. 193 ff.; 249 ff.; 254. 339 Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 147. 340 Di Fabio, AöR 122 (1997), 404, 441 ff. Ähnlich Ebsen, § 8 Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage 1994, Rn. 46 f.; Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1996, S. 400; Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 1966, S. 400. Darauf, dass es für den Staat unmöglich sei, das Ziel der Gleichberechtigung i. S. v. Ergebnisgleichheit zu erreichen (anders als darauf hinzuwirken), wiesen die Sachverständigen in der Anhörung durch die GVK hin, vgl. Simon, 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung der GVK am 05. 11. 1992, in: Limbach / Eckertz-Höfer (Hrsg.), Frauenrechte im GG, 1. Auflage 1993, 81, 126 f. sowie Schmitt Gläser, 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung der GVK am 05. 11. 1992, in: Limbach / Eckertz-Höfer (Hrsg.), Frauenrechte im GG, 1. Auflage  1993, 81, 128. 341 Vgl. ähnlich Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 140 sowie 147. 342 Dazu Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 193 f.; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 154 f.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Möglichkeiten“343 zur Erreichung dieses Ziels sicherstellt und schafft. Es geht um „tatsächliche Chancengleichheit“344. Dabei liegt es in der Logik dieses Auftrags begründet, dass durch die Herstellung von Chancengleichheit in einem gewissen Maße Umstände gleicher Lebensverhältnisse direkt geschaffen werden und damit das anzustrebende Ziel „Teil der Chance selbst“345 ist.346 Insofern können die Grenzen zwischen den Begriffen „Chancen-“ und „Ergebnisgleichheit“ verschwimmen. Die Norm gestattet aber jedenfalls nicht, über die Verbesserung von Chancen hinaus direkt das Ziel faktischer Gleichstellung anzustreben, um eine schematische Ergebnisgleichheit zu verwirklichen.347 Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung verfolgen jedoch genau dieses Ziel schematischer Ergebnisgleichheit. Darauf weist schon ihre programmatische Bezeichnung hin, da Parität auf ein gleich großes Vorhandensein, hier der Geschlechter im Parlament, abstellt. Es stellt in seinem Wirkungsbereich, den Listenmandaten, unabhängig von Entscheidungen der Parteien oder der Wähler eine geschlechterbezogene Parität im Parlament her und bildet damit das Paradebeispiel einer Ergebnisgleichheit.348 Dies ist ausweislicher Zweck eines solchen 343

Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 147. Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 282. 345 Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 121. 346 Diesen Umstand trifft die Beschreibung als „ergebnisorientierte Chancengleichheit“ von Schmitt Gläser, 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung der GVK am 05. 11. 1992, in: Limbach / Eckertz-Höfer (Hrsg.), Frauenrechte im GG, 1. Auflage 1993, 81, 128 (der insofern auf die vorangegangene Äußerung des Sachverständigen Simon Bezug nahm); zustimmend Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 148. 347 So ausdrücklich hinsichtlich starrer Quoten die GVK in ihrem Abschlussbericht und der Begründung des Entwurfs zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drs. 12/600, S. 50: „Es bestand Übereinstimmung darüber, daß diese Bestimmung eine Frauenförderung in Gestalt sog. starrer Quoten nicht gestattet.“ Nur soweit Ergebnisgleichheit in diesem Sinne verstanden wird, besteht weitestgehend ­Einigkeit und hat Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1996, S. 400 dahingehend Recht, dass der „Streit um Chancen- oder Ergebnisgleichheit […] ein Scheingefecht“ sei. Wie hier der ganz überwiegende Teil in Rspr. und Lit., vgl. nur VerfG M-V, Urt. v. 10. 10. 2017, 7/16, juris Rn. 60; Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 283; Rüfner, in: BK GG, 213.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 701 ff., 696 f., 765; ähnlich Baer / Markand, in: vM / K/S GG, 7. Auflage, 2018, Art. 3 Abs. 2, 3, Rn. 361, 355, es gehe um „Gleichheit in der Freiheit“, aber unter Ablehnung der begrifflichen Differenzierung zwischen Ergebnis- und Chancengleichheit, Rn. 267; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 121; Langenfeld, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 100 f.; Dürig / Scholz, in: Maunz / Dürig, 94.  EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 61; Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 132, 148, 191; Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 46; vgl. zum grundsätzlich schematische Gleichheit ausschließenden Gleichheitsverständnis des Grundgesetzes BVerfGE 3, 225 (240 ff.). Anders, d. h. für schematische Ergebnisgleichheit in Form von Parität soweit ersichtlich nur Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1988, S. 81, 85, 134 ff. Wohl auch Raasch, Frauenquoten und Männerrechte, 1991, S. 151 ff., insb. 158 f., wobei sie Quoten noch als ein Instrument zur Herstellung von Chancengleichheit ansieht. 348 Vgl. auch BayVerfGH, E. v. 26. 03. 2018  – Vf. 15-VII-16, in: NVwZ-RR 2018, 457 Rn. 133, 143. Anders Klafki, DÖV, 2020, 856, 861. 344

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

159

Gesetzes und nicht etwa nur eine Nebenfolge des Bemühens um Chancengleichheit.349 Über den Ansatz an den Listenkandidaturen ist angesichts starrer Listen auch sichergestellt, dass dieser Zweck insoweit zuverlässig erreicht wird.350 Damit übersteigen Zweck und Wirkung eines Paritätsgesetzes den Regelungsgehalt des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG. Weil mit den paritätischen Vorgaben direkt eine reine Ergebnisgleichheit verfolgt wird, Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG aber nur auf Chancengleichheit abzielt, lassen sie sich nicht unter Rückgriff auf diese Verfassungsnorm legitimieren. Diese Einschätzung lässt sich durch einen Vergleich mit auf Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG gestützten gesetzlichen Geschlechterquoten insbesondere für Einstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst bestätigen.351 Ungeachtet noch bestehender dogmatischer Unsicherheiten bei deren rechtlicher Beurteilung lässt sich eine Übereinstimmung dahingehend feststellen, dass starre Quoten unzulässig sind. Dies bedeutet, dass zulässige Quoten bei tatsächlich bestehender Unterrepräsentanz352 zum einen leistungsbezogen (d. h. nur gleich qualifizierte Personen vergleichend) ausgestaltet sein müssen und zum anderen nicht absolut (d. h. nicht die Durchbrechung durch besondere Gründe im Einzelfall verhindernd)  gelten dürfen, um wirklich Chancengleichheit zu fördern.353 Ein Paritätsgesetz ist insofern in mehrerer Hinsicht vergleichbar „starr“, als es zum einen die Parteien in ihrer Kandidatenauswahl auf eine streng paritätische Listenreihenfolge ohne jede Abweichungsmöglichkeit354 auch im Fall des Vorliegens besonderer Gründe im Einzelfall verpflichtet. Zum anderen setzt es durch das strenge Abzielen auf genau hälftige Präsenz der Geschlechter im Parlament an Stelle der „Förderung der Chancengleichheit das Ergebnis, zu dem allein die Verwirklichung einer solchen

349 Vgl. für die Paritätsgesetze in Brandenburg und Thüringen Landtag Brandenburg, LTDrs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 ff. sowie S. 38, wonach mit den Regelungen „die paritätische Besetzung des Landtags in effektiver Weise gesichert“ werden soll; auch in Landtag Thüringen, LT-Drs. 6/6964 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1 f. offenbart sich ein solches Verständnis, wenn beklagt wird, dass die „tatsächlich gleichberechtigte, das heißt paritätische Vertretung von Frauen in den Parlamenten immer noch nicht erreicht“ sei. Erhellend dazu die auf Quoten im Beruf bezogenen differenzierenden Ausführungen von Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 286 ff. 350 Siehe oben S. 87 ff. 351 Ähnlicher Gedanke bei von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 532 f. sowie Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 47. 352 Inwieweit ein Paritätsgesetz für die Feststellung der Unterrepräsentanz in seiner Begründung von der richtigen Vergleichsgruppe ausgeht, vgl. unten S. 162 ff. 353 Ausführlich Boysen, in: v. Münch / Kunig GG, 6. Auflage, 2012, Art. 3, Rn. 169 ff.; Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 286 ff. jeweils m. w. N.; EuGH, Urt. v. 17. 10. 1995 – Rs. C-450/93 (Kalanke), in: NJW 1995, 3109, Rn. 16, 22. 354 Dies bezieht sich auf den Regelanwendungsfall, d. h. auf weibliche und männliche Bewerber, und meint daher nicht Ausnahmeregelungen für Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen.

160

Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Chancengleichheit führen könnte“355. Diese vorsichtige Parallele spricht ebenfalls für einen Widerspruch der paritätischen Regelungen zur ratio des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG und damit gegen ihre Rechtfertigung durch diese Norm. b) Unzulässige Kollektivierung zulasten eines individuellen Ansatzes Die mit Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG bezweckte Chancengleichheit auch in der Lebenswirklichkeit findet ihren tragenden Grund in der Freiheit eines jeden. Angesichts noch bestehender Defizite bei der Schaffung und Wahrnehmung geschlechtsunabhängig gleicher Möglichkeiten des Freiheitsgebrauchs erweist sich die Norm als wichtiges Instrument zum Schutz und zur Gewährleistung der Freiheiten als Mensch und Bürger. Diese in der Menschenwürde und zum Teil auch im Staatsbürgerstatus wurzelnden Freiheiten356 stehen in untrennbarem Zusammenhang mit der Individualität des Menschen. Sie berechtigen den Einzelnen nicht als Teil einer Gruppe, sondern individuell aufgrund seines Eigenwerts als Mensch, seiner im Menschsein angelegten Würde.357 Vor diesem Hintergrund muss auch Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG gesehen werden. Die Vorschrift folgt nicht einem kollektiv-rechtlichen Ansatz und schützt nicht eine durch das Merkmal des Geschlechts bestimmte Gruppe als solche bzw. sogar nur die Gruppe der Frauen358.359 Ein solches Denken sähe sich auch Fragen im 355

EuGH, Urt. v. 17. 10. 1995 – Rs. C-450/93 (Kalanke), in: NJW 1995, 3109, Rn. 16, 23. Vgl. auch Langenfeld, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 100. 356 Siehe oben S. 108 ff. 357 Vgl. BVerfGE 21, 362 (372); zum individualitätsbezogenen Fundament der Grundrechte Stern, § 185 Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR IX, 3. Auflage 2011, insb. Rn. 48. 358 So aber Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1988, S. 80 ff., 136 f., die zwar auch das Argument der (lediglich) Gruppenbezogenheit des Merkmals Geschlecht anführt (S. 80 f.), aber sonst eindeutig kollektiv-rechtlich („weibliches Sozialschicksal“ S. 81; „Gleichgewicht[] im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern“ S. 85; „kollektive Problematik der Verteilungsgerechtigkeit“ S. 87; „zugunsten von Frauen als diskriminierte Gruppe“ S. 90; „faktische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau [ist] selbständiges Gerechtigkeitserfordernis […], das sich aus dem gemeinsamen Sozialschicksal der Gruppe der Frauen herleitet.“ S. 95) und gleichzeitig gegen eine symmetrische, d. h. auch Männer erfassende Zielrichtung der Norm (siehe die Beispiele soeben sowie „Anhebungstendenz […] ausschließlich zugunsten des weiblichen Geschlechts“ S. 41; „Verfassungsauftrag zur Gleichstellung des weiblichen Geschlechts“ S. 136; auch S. 109) argumentiert. Ähnlich Raasch, Frauenquoten und Männerrechte, 1991, S. 148 ff.; Völzmann, DVBl, 2021, 496, 499, die deshalb paritätische Regelungen insoweit für verfassungsrechtlich unzulässig hält, als sie gleichzeitig Mindestquoten für Männer darstellen. Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1996, S. 312 ff. gelangt aufgrund ihrer Deutung des Art. 3 Abs. 2 (S. 1) als Dominierungsverbot (Die sich grundsätzlich an der Macht befindende Gruppe in einer Gemeinschaft darf die unterprivilegierte Gruppe nicht dominieren i. S. v. benachteiligen; in der Anwendung dieses Verbots stehen die Auswirkungen auf die unterprivilegierte Gruppe im Vordergrund, da der einzelne nicht aus individuellen Gründen, sondern aufgrund seiner Gruppe entgegengebrachten Vorurteilen ungleich behandelt werde.) ebenfalls

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

161

Hinblick auf die Integration von Menschen ausgesetzt, die sich als Ausdruck ihrer Individualität einem Geschlecht nicht eindeutig zuordnen lassen (wollen) und deren verfassungsrechtliche Anerkennung360 gerade ein Beleg für die individualistische Konzeption der Verfassung ist. Vielmehr geht es bei diesem Förderauftrag um das Hinwirken auf tatsächlich gleiche Chancen des individuellen Freiheitsgebrauchs zur Persönlichkeitsentfaltung. Zwar ist für die Umsetzung des Förderauftrags bei der Analyse der unterschiedlichen Chancen von Menschen beider Geschlechter ein Bezug zur durch das Geschlecht gekennzeichneten Gruppe notwendig.361 Dies geschieht aber gerade im Dienste der unter diesem gemeinsamen Merkmal zusammengefassten Individuen und nicht der Gruppe als solcher. 359

Eine Pflicht zur paritätischen Listenbesetzung ist jedoch Ausdruck kollektiven Denkens und offenbart auf diese Weise Widersprüche zum individualistischen Konzept des Grundgesetzes.362 Dies belegt etwa das Beispiel der Begründung zum brandenburgischen Paritätsgesetz. Mit ihm sollte „der Unterrepräsentanz von Frauen“363 im Parlament entgegengewirkt und die Gruppe der weiblichen Bürger „angemessen ‚gespiegelt‘ werden“364, sollten die „spezifischen Perspektiven und Interessen“365 der Bürgerinnen mehr als bisher Eingang in den parlamentarischen Prozess finden und sollten schließlich gleich viele weibliche wie männliche Abgeordnete im Parlament vertreten sein, weil so auch das Verhältnis der Gruppen der Frauen und Männer innerhalb der Bürgerschaft sei366. Damit unterteilt eine solche Regelung die Bürger, Kandidaten und Abgeordneten aufgrund ihres Geschlechts jeweils in zwei als homogen gedeutete Gruppen und schreibt ihnen – mit Blick vor allem auf die Frauen – kollektive oder jedenfalls einheitliche Interessen zu.367 zu einer asymmetrischen Schutzrichtung nur zugunsten der Frauen, S. 314, 403. Allerdings sei mit dem Bezug auf die Gruppe explizit kein Verständnis als Gruppenrecht gemeint und es gehe um die „gruppenbestimmte Seite der Persönlichkeit“: „Geschützt bleibt das Individuum, allein der Begriff der Diskriminierung wird aus der Perspektive der Gruppe analysiert“, S. 335, 362. 359 Sachs, § 182 Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), HdBStR VIII, 3. Auflage 2010, Rn. 147; Rüfner, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 694 ff.; Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 190; Jutzi, Stellungnahme „Gendergerechte Demokratie“, 2012, S. 6; ähnlich Ebsen, § 8 Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, 2. Auflage  1994, Rn. 32 f.; Ebsen, Jura, 1990, 515, 520. 360 Vgl. dazu umfassend BVerfGE 147, 1. 361 Ebsen, Jura, 1990, 515, 519; Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 285; ähnlich Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz – neue Form, alter Inhalt?, 1998, S. 143 f.; Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1996, S. 334 f.; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 158, 163. 362 Ähnlich Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1736; Jutzi, Stellungnahme „Gender­ gerechte Demokratie“, 2012, S. 6. Vgl. genereller Huster, AöR 118 (1993), 109, 119, 123 ff. 363 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 2. 364 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1. 365 Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1. 366 Vgl. z. B. Landtag Brandenburg, LT-Drs. 6/8210 (Gesetzentwurf-Paritätsgesetz), S. 1. 367 Siehe auch oben  S.  139 ff. sowie Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 158 f.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Sie entfernt sich auf diese Weise von einer Anerkennung der (weiblichen) Bürger als Individuen mit verschiedenen Überzeugungen und Meinungen, Lebenslagen und -entwürfen. Auch die je individuellen Chancen (verschiedener Frauen) zur Kandidatur und Wahl, die sich durch mannigfaltige Faktoren auf allen Stufen zur Mandatserlangung unterscheiden, bleiben unberücksichtigt. Insgesamt bringt das am Bevölkerungsanteil orientierte Größenverhältnis je hälftiger Zuordnung von Kandidaturen und Mandaten einen kollektiv-rechtlichen Ansatz gleichberechtigter Gruppenrepräsentanz zum Ausdruck. Ein solcher gruppenbezogener Ansatz lässt sich auch nicht als bloße Typisierung gleichgelagerter individueller Gemeinsamkeiten deuten. Zwar lässt sich der Auftrag aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG kaum ohne gewisse Typisierungen hinsichtlich sowohl der Gründe für die fehlende Chancengleichheit als auch der Eignung sachgerechter Gegenmittel erfüllen.368 Eine starre Parität setzt indes nicht an den Bedingungen einer Kandidatur an und beseitigt auch keine Hindernisse, die Frauen bislang von einer Bewerbung abgehalten haben, begegnet also nicht in verallgemeinernder Form erkannten Ungleichheiten in der tatsächlichen Ausgangslage. Ein Paritätsgesetz beansprucht damit nicht, ungleichen Chancen in typisierender Weise abzuhelfen, sondern löst sich gerade von jedem Blick auf vorgefundene Erschwernisse, an deren Stelle eine rein quantitative Betrachtung des Gruppenerfolges tritt. Es wählt damit schon dem Grunde nach nicht den Weg einer Typisierung, der im Bereich des auf strikt formale Gleichheit angelegten Wahlrechts ohnehin besonders sensibel wäre. c) Weibliche Parteimitglieder als Vergleichsgruppe Vor dem Hintergrund des Sinn und Zwecks des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG, auf tatsächliche, vom Geschlecht unabhängige Chancengleichheit in der Lebenswirklichkeit hinzuwirken,369 setzt eine mit dieser Norm begründete Maßnahme voraus, dass eine geschlechtsabhängige Chancenungleichheit besteht. Soll die fragliche Maßnahme diese ausgleichen, muss sie nicht nur unmittelbar an die Ungleichheit anknüpfen370, sondern darf aufgrund der damit einhergehenden Ungleichbehandlung im Sinne des Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG das erforderliche Maß nicht überschreiten. Ein Paritätsgesetz beruht auf der Annahme generell schlechterer Chancen von Frauen, auf einem (aussichtsreichen) Listenplatz einer Partei kandidieren zu können.371 Das tragende Argument hierfür liefert ein Vergleich der Anteile der Ge 368

Vgl. Ebsen, Jura, 1990, 515, 520 f. Siehe oben S. 154 ff. 370 Dazu bereits die GVK, BT-Drs. 12/600, S. 50; vgl. auch Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 197. 371 Siehe oben S. 21 ff. 369

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

163

schlechtergruppen an der Gesamtbevölkerung bzw. -bürgerschaft mit den Anteilen innerhalb der Kandidatenschaft sowie innerhalb des Parlaments. Dass letztere von ersteren zulasten der Frauen abweichen, belege eine Unterrepräsentanz von Frauen und daher deren geringere Chancen. Zu hinterfragen ist jedoch, ob die Bevölkerungsanteile wirklich die richtigen Vergleichsgruppen372 für die Beurteilung tatsächlicher Chancengleichheit bei der Kandidatenaufstellung sind. Zwar kann die Aufstellungsversammlung einer Partei normativ betrachtet jeden wählbaren Bürger als Kandidaten wählen. In der politischen Wirklichkeit werden jedoch schon wegen des hohen programmatischen Charakters der Kandidatenlisten373 ausschließlich Parteimitglieder aufgestellt.374 Faktisch kommen aus diesem Grund von vorneherein nur Parteimitglieder für eine Kandidatur auf der Landesliste einer Partei infrage. Wenn aber die Kandidaten nur aus dem Kreis der Parteimitglieder bestimmt werden, dann können auch nur die Geschlechtergruppen innerhalb der Mitgliedschaft der jeweiligen Partei aussagekräftige Vergleichsgrößen für die Anteile von Frauen und Männern an den Kandidaturen liefern.375 Gegen die Aussagekraft eines auf dieser Gruppe basierenden Vergleichs ließe sich einwenden, dass auch er übergeht, dass sich üblicherweise nur ein Bruchteil der Parteimitglieder über die formale Parteimitgliedschaft hinaus aktiv engagiert. Dieser engere Kreis politisch aktiver Mitglieder dürfte aber für den Kreis der Bewerber um eine Kandidatur und damit auch für einen Vergleich der geschlechtsmäßigen Zusammensetzung der Bewerber mit den letztlich ausgewählten Kandidaten praktisch maßgebend sein. Nicht sicher ist jedoch, ob sich die Gesamtmitgliedschaft und der Kreis aktiver Mitglieder geschlechtsmäßig proportional zueinander verhalten. Dies müsste empirisch eingehender untersucht werden. 372

Vgl. dazu Nußberger, in: Sachs GG, 8. Auflage, 2018, Art. 3, Rn. 283, 288; Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 201 f.; Rüfner, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 767, 777; Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten, 1988, S. 36 f., 22 ff. 373 Siehe oben S. 132 ff. 374 Siehe auch oben S. 80 ff. 375 So auch Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 18 f.; Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1737 f.; Kingreen, in: BK GG, 213. EL, 2021, Art. 3, Rn. 459; Ebsen, Verbindliche Quotenregelungen für Frauen und Männer in Parteistatuten 1988, S. 25 f.; Burmeister / Greve, ZG, 2019, 154, 161; Oebbecke, JZ, 1988, 176, 177; Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 49 f.; ähnlich Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 208a; Lange, NJW, 1988, 1174, 1179. Vergleichbar mit dem Beispiel der Quoten für die Einstellung und Beförderung im öffentlichen Dienst, die „nicht an Gruppenparität orientiert[…], sondern an der Bewerberlage“ (Ebsen, Jura, 1990, 515, 521 f.) ausgerichtet sein müssen und bei denen auch nicht mit der Gesamt­ bevölkerung verglichen wird, sondern „vielmehr der Geschlechteranteil der Führungsebene und des Eingangsamtes in Relation gesetzt“ wird (Morlok / Hobusch, NVwZ, 2019, 1734, 1737 f.). Anders dagegen Laskowski, Gutachten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Paritéregelungen in Thüringen, 2014, S. 60 f.

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Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Allerdings darf bei all dem der Charakter des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG als Staatsziel376 nicht verkannt werden, als das der verfassungsändernde Gesetzgeber diese Norm bewusst ausgestaltet hat377. Damit einher geht nicht nur, „daß [mit dieser Norm] kein Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln eingeräumt werden soll“378, sondern sie weist als Kehrseite insbesondere dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum sowohl in der Identifizierung und Einschätzung einer in der Lebenswirklichkeit bestehenden Chancenungleichheit als auch in der Wahl der nachteilsausgleichenden Maßnahmen bei der Wahrnehmung seines Regelungsauftrags zu.379 Dementsprechend dürfen die Anforderungen an die Feststellung einer Chancenungleichheit nicht überspannt werden. Solange also eingehendere Untersuchungen zur tatsächlichen Bereitschaft von Parteimitgliedern, für eine Partei zu kandidieren, sowie zum Verhältnis der Frauen und Männern in diesem Personenkreis (noch) nicht vorliegen, ist es sachgerecht, auf die Geschlechtergruppen innerhalb der Parteimitgliedschaft abzustellen. Aus einem Vergleich dieser Anteile mit den Anteilen unter den Listenkandidaturen lässt sich dann die grundsätzliche Chancengleichheit bei der Kandidatenaufstellung beurteilen. Für die Frage nach der tatsächlichen Chancengleichheit bei der Kandidatenaufstellung muss berücksichtigt werden, dass die Aufstellung kein Selbstzweck, sondern eine notwendige Vorstufe im Hinblick auf den Mandatserwerb ist. Dann darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass die Listenplätze zum für die Beurteilung der Chancengleichheit maßgeblichen Zeitpunkt der Aufstellung faktisch nicht als gleichwertig gelten können. Vielmehr wird nur ein bestimmter Anteil als erfolgversprechend bzw. „sicher“ angesehen.380 Die unterschiedlich eingeschätzte Erfolgswahrscheinlichkeit der Listenplätze dürfte bei der Wahl der Kandidaten sowie deren Platzierung eine wichtige Rolle spielen. Folglich darf sie auch für die Beurteilung der tatsächlichen Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern bei der Aufstellung nicht außer Acht gelassen werden. Da es jedoch praktisch sehr schwierig sein dürfte, die Anzahl an Listenplätzen zu ermitteln, die bei der Aufstellung als erfolgversprechend gelten, könnte man näherungsweise auf die über die Liste gewählten parteizugehörigen Abgeordneten als Vergleichsgruppe abstellen.381 Diese sind erfolgreich gewählte Kandidaten, standen also im Vorfeld der Wahl zum Großteil auf erfolgversprechenden Listenplätzen. Folglich kann ein Vergleich der Anteile der Geschlechter unter den Parteimitgliedern mit jenen unter den Listenabgeordneten der Parteien Aufschluss über die tatsächliche Chancen-

376

Dazu oben S. 152 f. So ausdrücklich der Bericht der GVK, BT-Drs. 12/600, S. 50. 378 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/600, S. 50. 379 Vgl. Dürig / Scholz, in: Maunz / Dürig, 94. EL, 2021, Art. 3 Abs. 2, Rn. 61; Heun, in: Dreier GG, 3. Auflage, 2015, Art. 3, Rn. 105; Rademacher, Diskriminierungsverbot und „Gleichstellungsauftrag“, 2004, S. 185. 380 Siehe oben S. 101 Fn. 30. 381 Vgl. dazu schon oben S. 51 f. und 57. 377

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

165

gleichheit bei der Kandidatenaufstellung im Hinblick auf erfolgversprechende Kandidaturen und damit letztlich im Hinblick auf einen Mandatserwerb geben. Zusammenfassend: Um eine realitätsgerechte Beurteilung der tatsächlichen Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern bei der Kandidatenaufstellung zu ermöglichen, ist nicht nur auf die grundsätzliche Chance auf eine Kandidatur abzustellen. Auf diese grundsätzliche Chance wird mittels eines Vergleichs der Geschlechteranteile unter den Parteimitgliedern mit den Anteilen unter den Listenkandidaten der Parteien geschlossen. Daneben ist die Chance auf eine erfolg­ versprechende Kandidatur und damit letztlich auf ein Mandat durch einen Vergleich der Geschlechteranteile unter den Parteimitgliedern mit den Anteilen unter den über die Liste gewählten Abgeordneten der Parteien zu untersuchen. Ein Blick auf die hierzu verfügbaren Daten für die letzten Bundestagswahlen bestätigt die paritätischen Regelungen zugrunde gelegte Annahme fehlender Chancengleichheit der Frauen im Rahmen der Kandidatenaufstellung nicht.382 So lag der Anteil weiblicher Listenkandidaturen fast durchgehend und deutlich über dem weiblicher Parteimitglieder. Noch deutlicher stellt sich dies im Hinblick auf die erfolgversprechenden Kandidaturen dar, wenn man dafür den Anteil über die Liste gewählter weiblicher Abgeordneten der jeweiligen Partei heranzieht (s. o.): Dieser Anteil lag fast immer und oft mit großem Abstand über dem Anteil weiblicher Parteimitglieder. In der Regel übertraf er dabei den Anteil an den Listenkandidaturen. Die aus diesem Vergleich gewonnenen Ergebnisse deuten folglich auf eine deutlich bessere Chance von Frauen als von Männern im Hinblick auf Listenkandidaturen hin. Dies gilt insbesondere für die Chance im Hinblick auf erfolgversprechende Listenkandidaturen und damit letztlich im Hinblick auf ein Listenmandat. Die Verknüpfung der Listenwahl als Anwendungsbereich paritätischer Vorgaben mit der Wahl von Direktmandaten als zweitem Systembestandteil des geltenden Bundestagswahlrechts ändert hieran nichts. Zwar sind in der Regel einige Direktkandidaten – bei denen das Geschlechterverhältnis bisher deutlicher zulasten der Frauen ausfällt383 – zur Absicherung gleichzeitig auch über die Liste nominiert und beanspruchen daher im Falle ihres Erfolgs im Wahlkreis kein Listenmandat, sodass das Geschlechterverhältnis in der Gruppe der Listenabgeordneten auch von einem teilsystemfremden Aspekt beeinflusst wird. Allerdings beruht die Beurteilung der Chancengleichheit im Hinblick auf erfolgversprechende Listenkandidaturen auf einem Vergleich mit Listenabgeordneten und wird daher von im Wahlkreis gewählten und über die Liste abgesicherten Kandidaten nicht beeinflusst. Die grundsätzliche Chance auf eine Listenkandidatur wäre nur dann beeinflusst, wenn die Absicherung eines Direktkandidaten mit einem Platz auf der Liste eine Listennominierung eines anderen überhaupt verhinderte. 382 383

Siehe oben die Analyse unter S. 54 ff. Siehe oben S. 40 ff. und 54 ff.

166

Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Damit lässt sich festhalten: Relevante Vergleichsgruppe für die Beurteilung der tatsächlichen Chancengleichheit von Frauen bei der Listenwahl ist nicht der Frauenanteil an der Bevölkerung, sondern der an der Parteimitgliedschaft. Dieser wird dann dem Frauenanteil an den Listenkandidaten sowie dem Frauenanteil an den Listenabgeordneten einer Partei gegenübergestellt. Auf dieser Grundlage lässt sich die unterstellte Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern zulasten der Frauen im Rahmen der Kandidatenaufstellung zumindest für den Bereich der Listenmandate nicht belegen. Zwar kommt dem Gesetzgeber bei der Beurteilung dieser Verhältnisse ein Einschätzungsspielraum zu (s. o.), der gerade auch wegen bei jeder Wahl schwankender (Geschlechter-)Verhältnisse nicht zu eng gezogen werden darf. Allerdings lagen bei den letzten Wahlen die Anteile der Frauen an den Listenkandidaten wie an den Listenabgeordneten einer Partei nicht nur überhaupt über den Anteilen an den Parteimitgliedern, sondern überstiegen sie auch mit großem Abstand, der oftmals über zehn Prozentpunkte betrug. Damit fällt die Abweichung so deutlich aus, dass sie auch unter Berücksichtigung eines Beurteilungsspielraums nicht als Beleg für fehlende Chancengleichheit angeführt werden kann. Vielmehr legen die gezogenenen Vergleiche deutlich bessere Chancen der Frauen im Rahmen der Kandidatenaufstellung für Listenmandate nahe. Der Förderauftrag des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG greift jedoch nur, wenn und soweit Chancenungleichheit im fraglichen Bereich besteht. Da eine solche, jedenfalls zulasten der Frauen, nicht festgestellt werden kann, vermag Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG eine Ungleichbehandlung durch die paritätischen Regelungen mangels Erforderlichkeit nicht zu tragen.

d) Angemessenheit der durch paritätische Regelungen hervorgerufenen Beeinträchtigungen Ergänzend bleibt zu fragen, ob die paritätischen Vorgaben unter der Prämisse einer grundsätzlich kompensationsbedürftigen Chancenungleichheit auch in einem angemessenen Verhältnis zu den konkret beeinträchtigten demokratischen Schutzgütern stünden.

aa) Maß der Beeinträchtigungen Abstrakt kommt sowohl den beeinträchtigten Rechten der Freiheit der Wahl (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 3 GG), der Parteienfreiheit (Artikel 21 Absatz 1 GG), dem durch das freie Mandat (Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG) und das Mehrheitsprinzip (vgl. Artikel 42 Absatz 2 Satz 1 GG) gewährleisteten Grundsatz der Gesamtrepräsentation, der Wahlrechtsgleichheit (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG) sowie dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Artikel 21 Absatz 1 iVm Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG) auf der einen Seite als auch

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

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dem Anliegen gleicher Chancen in der Lebenswirklichkeit unabhängig vom Geschlecht (Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG) auf der anderen Seite großes Gewicht zu. Paritätische Regelungen für die Kandidatenaufstellung beeinträchtigen die genannten Rechtsgüter, insbesondere die Wahlrechtsfreiheit und -gleichheit, schwer; der Grundsatz der Gesamtrepräsentation wird durch sie erheblich relativiert.384 Ausschlaggebend für das hohe Maß der Beeinträchtigung ist insbesondere die Verknüpfung einer strengen Parität mit der wahlrechtlichen Sanktion einer Zurückweisung der eingereichten Liste. Aber auch soweit eine behutsamere Ausgestaltung gewählt werden sollte, die z. B. Abweichungsmöglichkeiten am Ende der Liste oder die schonendere Alternative einer teilweisen Zurückweisung oder Korrektur der Liste bei Verstößen vorsähe,385 behielten die Beeinträchtigungen immer noch ein erhebliches Gewicht. Gleichzeitig könnte eine strenge Parität das Ziel eines annähernd gleichen Verhältnisses von Frauen und Männern bei den Listenkandidaturen und -mandaten zuverlässig erreichen. Allerdings würden abgeschwächte Ausgestaltungen parallel zur Schwere der Beeinträchtigung auch das Maß der Zielerreichung senken. Deutlich relativiert werden die positiven Effekte eines Paritätsgesetzes auch durch die Einwirkungen des Mehrheitswahlbestandteils des Bundestagswahlsystems. Hinzu treten notwendige Ausnahmen für Personen, die sich nicht dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuordnen, sowie ggf. für Parteien, die sich nur an ein Geschlecht richten.386 All dies führt dazu, dass der verfolgte Zweck nicht uneingeschränkt erreicht werden kann. bb) Unverfügbare Grundentscheidungen der repräsentativen Demokratie Während das von Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG verfolgte Anliegen im Hinblick auf das Ergebnis mit einem Paritätsgesetz zwar graduell stärker und vor allem etwas sicherer als ohne diese Regelungen erreicht wird, werden die entgegenstehenden Rechtsgüter erheblich beeinträchtigt (s. o.). Das Verhältnis der Folgen der paritätischen Vorgaben – die Beeinträchtigungen der oben genannten Rechtsgüter – zum damit verfolgten und erreichten Zweck weicht also deutlich zulasten der ersteren ab. Daraus ergibt sich die Frage, ob damit noch ein schonender Ausgleich zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Anliegen gelingen kann. Ihr Verhältnis zueinander wäre jedenfalls dann nicht mehr angemessen, wenn die paritätischen Vorgaben den Kerngehalt der widerstreitenden Rechts­ güter beeinträchtigten. Der den beeinträchtigten Rechtsgütern gemeinsame zentrale Zweck liegt im Gelingen demokratischer Legitimation und als wichtiger Teil dessen im Schutz 384

Zur Schwere der Beeinträchtigung jeweils siehe oben S. 129 ff. Siehe oben S. 89 ff. und 129 ff. 386 Siehe oben S. 90 ff. 385

168

Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

des Vorgangs der Wahl sowie in der Gewährleistung des Prinzips der Gesamt­ repräsentation. Darauf und damit letztlich auf das Funktionieren der grundgesetzlichen Demokratie sind sie – bei allen Unterschieden im Detail – im Kern bezogen und ausgerichtet. Die Wahl dient der Legitimation der Staatsgewalt. Diese erwächst aus der Rückbindung an den Willen des Volkes, der sich im grundgesetzlichen System demokratischer Repräsentation insbesondere und in formalisierter Weise in den periodisch stattfindenden Wahlen äußert.387 Für die legitimationsvermittelnde Wirkung der Wahl muss sich der Wille des Volkes unverfälscht im Wahlergebnis niederschlagen. Aus diesem Grunde ergeben sich aus dem Grundgesetz für die Wahl eine Reihe von Vorgaben388 mit vergleichsweise hoher Regelungsdichte, die einen freien und offenen Prozess demokratischer Willensbildung gewährleisten und jegliche inhaltliche Einflussnahme des Staates auf den Willen des Wählers verhindern sollen. Sie erstrecken sich insbesondere auf die Ausgestaltung des Wahlverfahrens, das in seiner legitimierenden Funktion freiheits- und gleichheitsgerecht zu entfalten und deshalb zugleich gegen inhaltliche staatliche Einflussnahmen abzuschirmen ist. Eine solche Einflussnahme liegt jedoch in den paritätischen Vorgaben für die Kandidatenaufstellung. Anders als bei sonstigen Wahlvorschriften sind die auf Artikel  3 Absatz  2 Satz  2  GG basierenden Regelungen weder rein verfahrensrechtliche Direktiven zur Ausgestaltung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsätze noch folgt ihre Auswirkung auf das Wahlergebnis unmittelbar aus dem Wahlsystem selbst. Sie nehmen vielmehr sachlich-inhaltlich Einfluss auf das Wahlergebnis.389 Denn sie formen sowohl die Entscheidung über die Maßgeblichkeit des Geschlechts eines (einzelnen) Kandidaten als auch jene über das Geschlechterverhältnis unter allen Gewählten außerhalb des demokratischen Willensbildungsprozesses vor und entziehen so einen Teil der Wahlentscheidung erst den Parteien, dann dem Volk.390 Zudem und vor allem verhindern oder erschweren sie auch Priorisierungen einzelner Kandidaten aus anderen Gründen, sofern diese zu einer nicht mehr paritätischen Listenreihenfolge führen würden. Eine solche Einflussnahme des einfachen Gesetzgebers birgt die Gefahr, dass der authentische Niederschlag des Willens des Volkes bei künftigen Wahlen verfälscht wird. Gleichzeitig verkehrt sie die grundsätzliche Richtung der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen als eine Grundaussage des demokratischen Prinzips in ihr Gegenteil.391

387

Siehe dazu oben S. 98 f. Wie insbesondere die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit und Chancengleichheit, s. o. 389 Siehe oben S. 88 f. sowie S. 136 f. 390 Siehe oben S. 129 ff. 391 Vgl. auch VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 55/19, Rn. 189, 211 f. und 9/19, Rn. 137, 167 f. 388

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

169

Darüber hinaus teilt eine solche Vorgabe die statusrechtlich homogene Gruppe der Bürger und der Abgeordneten in zwei Gruppen. Ein solches Gruppendenken widerspricht jedoch grundlegend dem durch freies Mandat und demokratisches Mehrheitsprinzip bewirkten Prinzip der Gesamtrepräsentation. Dieses ist für die Demokratie des Grundgesetzes deshalb so zentral, weil dadurch erst die demokratische Legitimation und Verpflichtungswirkung parlamentarischer (Mehrheits-) Entscheidungen im Hinblick auf jeden Bürger ermöglicht wird.392 Wenn und soweit ein Paritätsgesetz derart die Schwelle zur inhaltlichen Einflussnahme auf die Wahl überschreitet, greift es den Kerngehalt demokratischer Legitimation an. Es kann dann nicht mehr als eine angemessene und damit verhältnismäßige Ausgestaltung des Wahlrechts zugunsten anderer Verfassungsrechtsgüter, hier des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG, angesehen werden. Denn ein schonender Ausgleich des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG mit den im konkreten Fall widerstreitenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen findet seine äußerste Grenze in unverfügbaren Grundentscheidungen des Demokratieprinzips. Zu diesen zählt eine inhaltlich freie, vom Staat unbeeinflusste Wahlentscheidung der Bürger sowie der Grundsatz der Gesamtrepräsentation. Da ein Paritätsgesetz solche Wirkungen kaum vermeiden könnte, begegnet es durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. e) Relevanz des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG im Bereich politischer Teilnahme Ungeachtet dessen bleiben Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG und der in ihm ent­ haltene Förderauftrag auch und gerade im Bereich politischer Teilnahme von Bedeutung. Für den Bereich politischer Teilnahme über die Parlamente393 bestehen unbestritten sowohl Handlungsbedarf als auch Handlungsinstrumente. Insbesondere die untersuchten Geschlechterverhältnisse in den Parteien394 dürften ver­ allgemeinernd betrachtet eine grundsätzlich geringere politische Partizipation von Frauen im Vergleich zu Männern belegen.395 Diese könnte und – dem Auftrag aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG folgend – müsste verstärkt in den Blick genommen und zum Gegenstand politischen sowie gesetzgeberischen Handelns gemacht werden.

392

Siehe oben S. 122 ff. Deutlich anders und deshalb hier nicht weiter betrachtet, kann der Befund für die politische Partizipation auf kommunaler Ebene oder in anderen Bereichen und Formen (z. B. im Bereich punktuell begrenzten Engagements wie bei Demonstrationen, Bürgerbewegungen und -initiativen) ausfallen. 394 Siehe oben S. 52 ff. 395 Dass in allen untersuchten Parteien Frauen im Verhältnis zum weiblichen Teil der jeweils beitrittsberechtigten Bevölkerung unterrepräsentiert sind, zeigt anschaulich Niedermayer, ZParl, 2019, 385, 395. 393

170

Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Auf die Steigerung des Engagements von Frauen gerichtete Schritte sollten jedoch zielgerichteter an den möglicherweise bestehenden individuellen Hindernissen und Ursachen ansetzen, anstatt kollektiv-rechtlich und rein auf das Ergebnis bezogen vorzugehen. Dem widerspricht eine gewisse Typisierung sowohl im Hinblick auf die Gründe der geringeren politischen Partizipation(schancen) als auch im Hinblick auf die Eignung sachgerechter Gegenmaßnahmen nicht.396 Allerdings sollten die zu ergreifenden Maßnahmen die Schutzgüter des Wahlrechts nicht in gleichem Maße beeinträchtigen.397 Vor allem sollten die Rahmenbedingungen der Bereitschaft zur Übernahme politischer Aufgaben in den Blick genommen werden, insbesondere im Hinblick auf den im Verhältnis zum männlichen geringeren Anteil weiblicher Parteimitglieder. Hierbei sind viele Maßnahmen398, wie z. B. eine bessere organisatorische Rahmengestaltung staatlicher und parteilicher Aufgabenwahrnehmung mit familienfreundlichen Sitzungszeiten, Kinderbetreuung usw., zu erwägen, aber auch bereits früh ansetzende Förderformate und zielgerichtete Informationen an weibliche Heranwachsende zum Engagement in Parteien.399 Dabei sollten solche Maßnahmen sich nicht auf Frauen allein konzentrieren bzw. nicht nur Frauen zugutekommen. Beispielsweise sind sie zwar in der Regel immer noch mehr als Männer mit Familienaufgaben betraut. Allerdings nimmt in Folge der Verringerung der Rollenunterschiede in Familie und Beruf auch der Anteil von Männern mit zeitintensiven Familienaufgaben zu. Folglich können auch sie in der Übernahme politischer Aufgaben gehemmt sein, weil ihr familiärer Lebensentwurf nicht mit den herkömmlichen Anforderungen einer aktiven Partei- und Mandatsarbeit vereinbar ist. Es wäre somit dem Grunde nach ein Ansatz zu wählen, der weniger an Geschlechterunterschieden orientiert als vielmehr auf in der Sache für politisches Engagement bestehende Hindernisse fokussiert ist. 396

Vgl. oben S. 160 ff. Dazu Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Thüringen, Gutachterliche Stellungnahme zur paritätischen Listenvorgabe in Thüringen, 2019, S. 54 ff.; Ebsen, JZ, 1989, 553, 558 ff.; von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 527 f. Dafür, diese das Engagement von Frauen fördernden Maßnahmen (unabhängig von der Frage der Einführung von Quoten) nicht zu unterschätzen, plädiert auch Dahlerup / Freidenvall, Electoral Gender Quota Systems and their Implementation in Europe, 2011, S. 10, 54. 398 Ob auch die Änderung des Wahlrechts hin zu offenen Listen, bei der die durch die Partei festgelegte Reihenfolge der Kandidaten durch den Wähler geändert werden kann und somit im Aufstellungsprozess keine so große Bedeutung mehr hat, zu einer gesteigerten Partizipation von Frauen beitragen würde, bliebe noch zu untersuchen. In diese Richtung Morlok / Hobusch, DÖV, 2019, 14, 19. Ob der Vorschlag von Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Möglichkeiten einer paritätischen Besetzung des Bundestages, 2008, S. 8, 14 dahingehend, als weniger beeinträchtigende Alternative getrennte Geschlechterlisten einzuführen, bei denen pro Partei mehrere nach dem Geschlecht getrennte Listen dem Wähler in der Wahl vorgelegt werden, nicht zuletzt im Hinblick auf das dritte Geschlecht und nicht eindeutig einem Geschlecht zuordenbaren Bürgern tragfähig ist, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. 399 Dazu auch Rixen, Demokratie und Gleichberechtigungsgebot: Verfassungsrechtliche Relationen, in: Eckertz-Höfer / Schuler-Harms (Hrsg.), Gleichberechtigung und Demokratie, 1. Auflage 2019, 43, 82 ff. 397

B. Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung 

171

3. Ergebnis Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG vermag die Rechtfertigung paritätischer Vorgaben für die Kandiatenaufstellung nicht zu stützen, weil die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten ist. Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG gestattet keine schematische Ergebnisgleichheit, wie sie von einem Paritätsgesetz angestrebt wird. Darüber hinaus sind derartige Vorgaben mangels belegter und einzelfallunabhängiger fehlender Chancengleichheit der Frauen bei der Kandidatenaufstellung – auch unter Berücksichtigung eines gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums – nicht erforderlich, um geschlechtsunabhängige Chancengleichheit zu erreichen. Schließlich sind sie nicht angemessen, um das Regelungsziel des Artikel  3 Absatz  2 Satz  2  GG zu erreichen, weil sie die demokratische Legitimation in Form der inhaltlich unverfälschten Wahl und des Grundsatzes der Gesamtrepräsentation als unverfügbare Grundentscheidungen der grundgesetzlichen Demokratie antasten.400 Eine solch grundlegende Veränderung des grundgesetzlichen Modells demokratischer Repräsentation – auch zugunsten anderer grundgesetzlicher Anliegen – müsste der ausdrücklichen Entscheidung und Normierung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber überlassen bleiben, während der einfache Gesetzgeber das vorgefundene demokratische Modell zu beachten hat.401

400

So im Ergebnis auch Hahlen, in: Schreiber BWahlG, 10. Auflage, 2017, § 27, Rn. 14; Wolf, in: Schreiber BWahlG, 11. Auflage, 2021, § 27, Rn. 14; Ipsen, in: Ipsen, PartG, 2. Auflage, 2018, § 17, Rn. 21, 24. 401 Vgl. VerfGBbg, Urt. v. 23. 10. 2020, VfGBbg 9/19, Rn. 165 ff., der eine „Befugnis zur einfachgesetzlichen Änderung verfassungskonstituierender demokratischer Strukturprinzipien“ aus der dem Fördergebot des Art. 3 Abs. 2 S. 2  GG vergleichbaren Vorschrift der Landes­ verfassung und damit eine Rechtfertigung des Paritätsgesetz verneint. So auch VerfGBbg. in 55/19, Rn. 206 ff. Ähnlich ThürVerfGH, Urt. v. 15. 07. 2020, VerfGH 2/20, S. 41 ff., nach dem (neben der ausdrücklich gegen paritätische Vorgaben für Parlamentswahlen sprechenden Entstehungsgeschichte) der Wortlaut der entsprechenden (in ihrer Wirkung weiter als die grundgesetzliche Normierung reichenden) Norm der Landesverfassung angesichts der Vielzahl und Bedeutung der beeinträchtigten Rechte sowie der Intensität der Beeinträchtigungen zu wenig aussagekräftig sei und diese Norm deshalb die Einführung paritätischer Listen „nicht zu legitimieren“ (S. 41) vermöge. Er gelangt deshalb nicht zu einer Abwägung der gegenläufigen Verfassungsbestimmungen im Rahmen der Rechtfertigung. Auch der Blick nach Frankreich weist bei aller einem länderübergreifendem Verfassungsrechtsvergleich notwendigerweise innewohnenden Vorsicht auf die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung hin, vgl. oben S. 64 ff. und S. 145 Fn. 271. Gegen eine Rechtfertigungsmöglichkeit durch Art. 3 Abs. 2 S. 2  GG und Notwendigkeit einer Verfassungsänderung ähnlich wie hier auch Kischel, in: BeckOK GG, 48. Ed., 2021, Art. 3, Rn. 208a (der bereits die Anwendung verneint); von Ungern-Sternberg, JZ, 2019, 525, 533; Ebsen, JZ, 1989, 553, 561; Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 20; ähnlich Rixen, Demokratie und Gleichberechtigungsgebot: Verfassungsrechtliche Relationen, in: Eckertz-Höfer / Schuler-Harms (Hrsg.), Gleichberechtigung und Demokratie, 1. Auflage 2019, 43, 75 ff. Anders im Ergebnis Fisahn / Maruschke, Gutachten zur Verfassungskonformität Geschlechterquotierung bei der Aufstellung von Wahllisten (Thüringen), 2018, S. 25 ff.; Laskowski, Gutach-

172

Kap. 4: Verfassungsrechtliche Prüfung

Mangels anderer Verfassungsrechtspositionen, auf die sich die Rechtfertigung eines Paritätsgesetzes stützen könnte, sind die durch seine Regelungen bedingten Beeinträchtigungen der Wahlrechtsgrundsätze sowie der Parteienfreiheit und Chancengleichheit der Parteien und des grundgesetzlichen Konzepts demokratischer Repräsentation insgesamt nicht gerechtfertigt.

III. Exkurs: Erst Recht keine Pflicht zu paritätischen Vorgaben Angesichts dieses Befundes kann erst recht keine aus der Verfassung folgende Pflicht des Gesetzgebers bestehen, eine streng paritätische Besetzung von Kandidatenlisten verbindlich vorzugeben, wie vereinzelt angenommen wurde402.403 Selbst wenn man eine solche Regelung für verfassungsrechtlich zulässig hielte, müsste eine gesetzgeberische Pflicht gesondert aus der Verfassung begründet werden. Sie müsste nach Inhalt und Umfang hinreichend konkret dergestalt sein, dass das Grundgesetz gerade eine hälftige Präsenz beider Geschlechter unter den gewählten Abgeordneten oder auf den „sicheren“ Kandidatenplätzen forderte und dem Gesetzgeber nicht lediglich ein Hinwirken auf eine geringere Differenz zwischen den Anteilen der dem jeweiligen Geschlecht zuzuordnenden Kandidaten bzw. Abgeordneten abverlangt wäre. Für die Einengung des dem Gesetzgeber bei seinen Entscheidungen nicht zuletzt im Hinblick auf den dabei vorzunehmenden schonenden Ausgleich mit gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in aller Regel zustehenden Gestaltungsspielraum hin zu einer solch konkreten Pflicht404 ist jedoch nichts ersichtlich.

ten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Paritéregelungen in Thüringen, 2014, S. 52 ff.; wohl auch Klafki, in: v. Münch / Kunig GG, 7. Auflage, 2021, Art. 21, Rn. 45; dies., DÖV, 2020, 856, 860 ff. 402 Siehe oben S. 24. 403 So auch Butzer, NdsVBl., 2019, 10, 14 ff. Gegen eine verfassungsrechtliche Pflicht auch WahlPrA des Deutschen Bundestages, BTDrs. 19/9450, S. 71,  76 ff., während die dagegen gerichtete Beschwerde, BVerfG, Beschl. v. 20. 12. 2020, 2 BvC 46/19, insb. ab Rn. 53, vom BVerfG aufgrund unzureichender Begründung als unzulässig abgewiesen wurde. Für die vergleichbare Rechtslage in Bayern BayVerfGH, E. v. 26. 03. 2018 – Vf. 15-VII-16, in: NVwZ-RR 2018, 457, insb. ab Rn. 121. Vgl. auch die Stellungnahme von Will in der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags von Brandenburg, Landtag Brandenburg, Ausschuss für Inneres und Kommunales, LT-Drs. P-AIK 6/45 (Ausschussprotokoll), 2018, S. 44 f. 404 Eine davon zu trennende Frage wäre die nach der verfassungsgerichtlichen Einklagbarkeit einer solchen Pflicht.

C. Gesamtergebnis

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C. Gesamtergebnis Paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung verletzen die Freiheit der Wahl (Artikel  38 Absatz  1 Satz  1 Variante  3  GG) und die Parteienfreiheit (Artikel  21 Absatz  1  GG) sowie den durch das freie Mandat (Artikel  38 Absatz 1 Satz 2 GG) und das Mehrheitsprinzip (vgl. Artikel 42 Absatz 2 Satz 1 GG) gewährleisteten Grundsatz der Gesamtrepräsentation, die Wahlrechtsgleichheit (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG) sowie das Recht der Parteien auf Chancengleichheit (Artikel 21 Absatz 1 iVm Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG). Gleichzeitig missachtet die Verletzung dieser Ausprägungen demokratischer Freiheit und Gleichheit das grundgesetzliche Konzept repräsentativer Demokratie.

Zusammenfassung 1. Das Anliegen, den Frauenanteil in den Parlamenten zu erhöhen oder sogar Parität zu erreichen, wird in Deutschland für die Bundes- und Länderebene bereits seit längerem gleichermaßen intensiv wie kontrovers diskutiert. Normative Umsetzung fand es bislang nur in Brandenburg und Thüringen, die mit der Verabschiedung ihrer Landesparitätsgesetze im Jahr 2019 gesetzgeberisches Neuland betraten. 2. Hinter diesem Anliegen steht der Wunsch, ein auf die Bevölkerungsanteile bezogenes ausgewogenes Geschlechterverhältnis an zentraler politischer Stelle zu erreichen. Damit sollen gleiche Chancen der Teilnahme und Einflussnahme von Frauen und Männern auf die gesellschaftlichen Prozesse im allgemeinen und demokratischen Prozesse im Besonderen erreicht werden. Ein geringerer Frauenanteil im Parlament begründe unter anderem die Gefahr, dass die Perspektive der Frauen und deren Anliegen nicht ausreichend Berücksichtigung fänden. 3. Paritätische Regelungen für die Zusammensetzung der Parlamente werden jedoch nicht nur positiv gesehen. Im Zentrum der Kritik steht nicht das Ziel eines ausgewogeneren Geschlechterverhältnisses, das zu erreichen vielmehr weitgehend als erstrebenswert erachtet wird, sondern die Umsetzung mittels verbindlicher Vorgaben. Diese seien verfassungsrechtlich nicht unbedenklich und grundlegend von parteiinternen geschlechterbezogenen Vorgaben zu unterscheiden. 4. Eine Untersuchung der Geschlechteranteile an den Kandidaturen und Mandaten auf Bundes- und Länderebene anhand der Daten der vergangenen Wahlen bestätigt den Befund eines geringeren Frauenanteils in den Parlamenten. Dabei liegt der Anteil der Frauen unter den Abgeordneten seit längerem höher als der unter den Kandidaten. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Listenwahl, während bei der Direktwahl in den Wahlkreisen teilweise weniger Frauen Erfolg hatten als kandidierten. 5. Diese Erkenntnisse deuten zum einen auf die zentrale Funktion der Kandidatur im Hinblick auf den Mandatserwerb hin. Zum anderen sprechen sie jedenfalls im Bereich der Listenmandate tendenziell gegen eine strukturelle Benachteiligung von Frauen im Hinblick auf aussichtsreiche Kandidaturen. 6. Stellt die parteiinterne Nominierung von Kandidaten die Schlüsselstelle im Hinblick auf die Chance auf ein Mandat dar, dann erscheint insbesondere eine gesetzliche Vorgabe für die Kandidatenaufstellung im Vorfeld der eigentlichen Parlamentswahl als geeignet zur Umsetzung des Anliegens eines höheren Frauen­ anteils im Parlament.

Zusammenfassung

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7. Nicht zuletzt der Blick auf ausländische Beispiele zeigt, dass in erster Linie die Rahmenbedingungen des konkreten Wahlsystems für einen erfolgreichen Ansatz gesetzlicher Paritätsregelungen maßgeblich sind. In einem Verhältniswahlsystem mit starren Listen sind insbesondere die unterschiedlichen Erfolgsaussichten von Listenplätzen zu beachten und deshalb quotale Vorgaben mit solchen zur Reihenfolge zu kombinieren. Von besonderer Bedeutung ist auch ein wirksamer Durchsetzungsmechanismus. 8. Im deutschen Bundestagswahlsystem eignet sich der Systembestandteil der Direktwahl kaum zur Implementierung paritätischer Vorgaben, da dies grundlegende Änderungen mit vielfältigen und nicht unerheblichen Auswirkungen für verschiedene Schutzgüter nach sich zöge. 9. Deutlich einfacher und bruchlos ließen sich paritätische Regelungen in den Bereich der Listenwahl einfügen. Dem verfolgten Ziel zuträglich ist besonders das bestehende System starrer Listen. Erfolgversprechend wären Regelungen strenger Alternativität, die die Angehörigen der verschiedenen Geschlechter reißverschlussartig den Listenplätzen zuweisen. 10. Dabei wären Ausnahmeregelungen zu schaffen, um jene Personen zu berücksichtigen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen (wollen) und deren Personenstandseintrag deshalb keine Angabe zum Geschlecht oder „divers“ enthält. Zu erwägen wären Ausnahmen auch im Hinblick auf Parteien, deren Programm sich (primär) nur an ein Geschlecht richtet und / oder die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen. 11. Für die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Maßstab, an dem die paritätischen Regelungen zu messen sind, ist der Doppelcharakter der Kandidatenaufstellung und der dafür geltenden paritätischen Vorgaben als Bestandteile des Wahl- wie des Parteienrechts zu beachten. Er bedingt grundsätzlich, dass die verfassungsrechtlichen Maßstäbe sowohl der Bundestagswahl als auch des Parteienrechts zur Anwendung gelangen. 12. Den verfassungstheoretischen Hintergrund bilden die grundgesetzliche Idee und Konzeption der demokratischen Repräsentation mit dem Ziel der Schaffung demokratischer Legitimation. 13. (Parlamentarische) Repräsentation nach dem Grundgesetz meint einen Modus zur Verwirklichung der Volkssouveränität und damit Legitimierung staatlichen Handelns im demokratischen Staat, indem in einem grundgesetzlich vorgegebenen Verfahren ein Wille und eine Entscheidung gebildet und dem Volk zugerechnet werden. Auf diese Weise wird das Volk zum Handeln befähigt. Zugleich wird seine Identifikation mit den staatlichen Entscheidungen und damit die Herstellung von Einheit zu gewährleisten versucht. Geprägt werden das Organisationsprinzip der Repräsentation und der gesamte demokratische Verfassungsstaat durch das Prinzip der Freiheit zusammen mit dem der Gleichheit.

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Zusammenfassung

14. Ein Paritätsgesetz steht zunächst im Widerspruch zur Wahlrechtsfreiheit (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 3 GG), weil es in inhaltlicher Weise auf die Wahlalternativen einwirkt und insoweit die Wahlentscheidung der Wähler, vor allem aber der Parteien und der Bewerber um ein Mandat bindet. 15. Darüber hinaus beeinträchtigt es die Handlungsfreiheit der Parteien im Hinblick auf die Kandidatenaufstellung und damit zugleich ihre Programmfreiheit (Artikel 21 Absatz 1 GG), weil es geeignet ist, zu einer Verfälschung des programmatischen Erscheinungsbildes der Parteien zu führen. 16. Paritätische Regelungen sind auch problematisch im Hinblick auf die demokratische Gleichheit. Die strenge demokratische Gleichheit aller Staatsbürger und in der Folge auch der Abgeordneten versperrt sich einer Ausdifferenzierung nach Gruppen und damit auch nach dem Geschlecht. Die paritätischen Regelungen beruhen jedoch auf einem solchen Differenzierungsgedanken, weil sie nicht eine gleichberechtige politische Teilnahme der Bürger allgemein, sondern dezidiert eine Gruppengleichheit zwischen Männern und Frauen anstreben. Damit wird die einheitliche Gesamtheit gleicher Staatsbürger sowie gleicher Abgeordneten zugunsten einer Aufteilung in jeweils zwei Geschlechtergruppen aufgegeben. Vor allem wird damit der Auflösung des durch freies Mandat und demokratisches Mehrheitsprinzip bewirkten Prinzips der Gesamtrepräsentation Vorschub geleistet. Dieses ist für die grundgesetzliche Demokratie zentral, weil es erst die demokratische Legitimation und Verpflichtungswirkung parlamentarischer (Mehrheits-)Entscheidungen im Hinblick auf jeden Bürger ermöglicht. 17. Die Wahlrechtsgleichheit (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG) wird durch ein Paritätsgesetz beeinträchtigt. Anstatt  – wie angestrebt  – Chancen­ gleichheit der Kandidaten bzw. der Bewerber um eine Kandidatur herbeizuführen, hängen fortan die Chancen auf eine Kandidatur überhaupt sowie auf einen bestimmten Listenplatz vom Kriterium des Geschlechts ab, das die Bewerber somit in Gruppen einteilt und davon abhängig deren Chancen beeinflusst. Für die Wahlrechtsgleichheit ist jedoch einzig relevanter Anknüpfungspunkt die Staatsbürgerschaft. 18. Auch die Chancengleichheit der Parteien wird durch ein Paritätsgesetz beeinträchtigt (Artikel 21 Absatz 1 i. V. m. Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Variante 4 GG). 19. Eine Rechtfertigung dieser Beeinträchtigungen unterliegt hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Gesetzgeber hat aufgrund der Bedeutung der Wahl für die Demokratie nur einen eng begrenzten Gestaltungsspielraum. Dem korrespondiert eine hohe verfassungsgerichtliche Kontrolldichte, nicht zuletzt aufgrund der Gefahr, dass der Gesetzgeber mit „Regelungen, die die Bedingungen politischer Konkurrenz berühren, […] gewissermaßen in eigener Sache tätig“ (BVerfG) wird. 20. Eine Rechtfertigung paritätischer Vorgaben für die Kandidatenaufstellung könnte sich grundsätzlich auf Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG stützen, der auch im Bereich der Kandidatenaufstellung anwendbar ist.

Zusammenfassung

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21. Das in Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG zum Ausdruck gebrachte Staatsziel beauftragt alle staatlichen Stellen und damit insbesondere den Gesetzgeber, die in Satz  1 verbürgte Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu stärken sowie auf ihre tatsächliche Verwirklichung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit hinzuarbeiten. 22. Die Norm zielt auf Gleichberechtigung im Sinne von tatsächlicher Chancen­ gleichheit ab. Jedenfalls nicht gemeint ist damit, über die Verbesserung von Chancen hinaus direkt das Ziel faktischer Gleichstellung anzustreben, um eine schematische Ergebnisgleichheit zu verwirklichen. Da paritätische Vorgaben für die Kandidatenaufstellung jedoch genau diese schematische Ergebnisgleichheit erreichen wollen, übersteigen sie in Zweck und Wirkung den Regelungsgehalt des Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG. 23. Darüber hinaus übersteigen sie auch das erforderliche Maß, weil sie von einer Chancenungleichheit ausgehen, die tatsächlich auch bei Berücksichtigung eines gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums so nicht festzustellen ist. Stellt man die Geschlechtergruppen innerhalb der Mitgliedschaft der Parteien den Anteilen von Frauen und Männern an den Kandidaturen sowie an den Listenmandaten gegenüber, so deutet dieser Vergleich auf deutlich bessere Chancen von Frauen als von Männern im Hinblick auf Listenkandidaturen allgemein hin. Noch ausgeprägter gilt dies für die Chance mit Blick auf erfolgversprechende Listenkandidaturen und damit letztlich im Hinblick auf ein Listenmandat. 24. Schließlich stehen die mit einem Paritätsgesetz erzielten Wirkungen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den konkret beeinträchtigten demokratischen Schutzgütern. Es beeinträchtigt die Wahl in inhaltlicher Weise und löst das Prinzip der Gesamtrepräsentation auf. Damit greift es den Kerngehalt demokratischer Legitimation an. 25. Gleichwohl bleiben Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG und der in ihm enthaltene Förderauftrag auch und gerade im Bereich politischer Teilnahme von Bedeutung. Dabei ist insbesondere das Engagement von Frauen in den politischen Parteien in den Blick zu nehmen. Zudem wäre weniger verallgemeinernd, sondern an den (typischen) individuellen Hindernissen und Ursachen ansetzend vorzugehen. Im Ergebnis wäre ein Ansatz zu wählen, der weniger an Geschlechterunterschieden orientiert als auf tatsächliche Hindernisse für politisches Engagement fokussiert ist.

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Sachverzeichnis Chancengleichheit – der Parteien  siehe unter Parteien – Gleichberechtigungsgebot  siehe ebd. – Wahlrechtsgleichheit  siehe ebd.

– und Repräsentation  119 ff. Mehrheitsprinzip – und paritätische Regelungen  139 ff. – und Repräsentation  122 ff.

Differenzierungsverbote, spezielle  147 f.

Paritätsgesetz/paritätische Regelungen – Ausnahmeregelungen  90 ff. – Belgien  68 ff. – Brandenburg  15 f. – Frankreich  64 ff. – gesetzestechnischer Ansatz  83 ff. – inhaltliche Vorgabe  88 f., 136 f. – Kritik  26 f. – Rechtfertigung  152 ff. – Sanktionen  92 f. – Thüringen  16 f. – Ziele  24 ff. Parteien – Chancengleichheit  128 ff. – Chancengleichheit und paritätische Regelungen  149 ff. – Geschlechterverhältnis  52 ff. – Listenprivileg 81 – Parteienfreiheit  114 ff. – Parteienfreiheit und paritätische Vorgaben  132 ff. – parteiinterne Vorgaben/Quoten  58 ff. – Rolle bei der Kandidatenaufstellung  79 ff., 99 ff. – und Wahl  99 ff.

Ergebnisgleichheit – Gleichberechtigungsgebot  siehe ebd. Geschlechterverhältnis – Baden-Württemberg, Kommunale Ebene  37 ff. – Baden-Württemberg, Landtag  33 – Berlin, Abgeordnetenhaus  36 – Brandenburg, Kommunale Ebene  39 – Brandenburg, Landtag  31 f. – Bremen, Bürgerschaft  37 – Bundestag  28 ff., 40 ff. – Hamburg, Bürgerschaft  36 – Kandidaten/Kandidaturen  27 ff. – Niedersachsen, Landtag  34 f. – Parteien  52 ff. – Rheinland-Pfalz, Landtag  33 f. Gleichberechtigungsgebot (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) – allgemein  152 ff. – Chancengleichheit  155 ff. – Ergebnisgleichheit  155 ff. – Vergleichsgruppe  162 ff. Kandidatenaufstellung – inhaltliche Vorgaben  88 f., 136 f. – Verfahren  79 ff. Listen – Listenplätze, sichere  101 – starre  77 ff.

Repräsentation – Gesamtrepräsentation  121, 122 ff., 139 ff., 167 ff. – Grundsätzliches Verständnis  102 ff. – Freier Diskurs  111 f., 146 – und freies Mandat  119 ff., 139 ff. – und Mehrheitsprinzip  122 ff., 139 ff.

Mandat, freies – und paritätische Regelungen  139 ff.

Wahl – und Repräsentation  98 f.

Sachverzeichnis Wahlrecht (Bundestags-) – allgemeines  125 f. – Grundentscheidungen  76 ff. – kombiniertes  76 f. Wahlrechtsfreiheit – Erweiterter Anwendungsbereich  113 f. – Gewährleistungsgehalt  112 f.

– und paritätische Regelungen  129 ff. Wahlrechtsgleichheit – Anknüpfungspunkt  144 f. – Chancengleichheit  127, 143 f., 145 f. – Gewährleistungsgehalt 127 – und paritätische Regelungen  143 ff.

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