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German Pages 192 Year 2015
Paratexte des Films
... Masse und Medium 5
Editorial Masse und Medium untersucht Techniken und Macht des Diskurses, seine Funktionseinheiten, Flüchtigkeiten und Möglichkeiten zu seiner Unterbrechung. Damit geht Masse und Medium von einer eigentümlichen Brisanz des Massenund Medienbegriffs aus. Denn keineswegs markieren die Massenmedien ein einheitlich integratives und symmetrisches Konzept, sie sind vielmehr auf eine Differenz verwiesen, mit der das eine im jeweils anderen auf z.T. unberechenbare Weise wiederkehrt: Weder ist die Masse in jeder Hinsicht auf Medien angewiesen noch gelingt es den Medien, die Masse allumfassend zu adressieren. Stattdessen zeigt eine Differenzierung zwischen Massen und Medien, dass es sich dabei um beidseitigfragwürdige Konzepte handelt, die gerade auch in ihrer gegenseitigen Zuwendung problematisch und daher zu problematisieren sind. in dieser Hinsicht wird die im Logo der Reihe vorgenommene Auftrennung des Kompositums zu ihrem Einsatz. Zugleich weist der hier und in Zukunft zur Diskussion gestellte Massen- und Medienbegriff auf die Unmöglichkeit eines (bestimmten) Empfängers, auf eine oszillierende Menge als immer auch konstitutive Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation. Für Masse und Medium steht damit weder ein Programm der Einheit noch eines der Differenz zur Debatte. Dagegen wäre ein Brennpunkt zu fokussieren, in dem beide Felder in merkwürdiger Solidarität längst schon und wiederholt auseinander driften und zusammenwachsen. Somit benennt Masse und Medium Medialität und >Massivität< als Grenzbegriffe des Sozialen und thematisiert darin ebenso jene Punkte, mit denen das Soziale in seiner Fragilität auf dem Spiel steht, indem es sich für politische Re-Artikulationen öffnet. Herausgegeben von Friedrich Balke, Jens Schröter, Gregor Schwering und Urs Stäheli
Autor dieses Bandes: Alexander Böhnke (Dr. phil.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medienwissenschaft an der Universität Konstanz.
ALEXANDER BÖHNKE
Paratexte des Films Über die Grenzen des filmischen Universums
[tranSCript] ...
MASSE UND MEDIUM
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Dissertation am Fachbereich 3 der Universität Siegen.
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INHALT
Einleitung: Überlegungen zum Paratext im Allgemeinen und zu filmischen Paratexten im Besonderen 7 Das Werk 10 Der Autor
14 Enunziation und Diegese
17 Vom Titel zu den Epitexten 23 Peritexte
28 Dekonstruktion 32 Lektüren 34
The End 37 The End und der klassische Hollywoodfilm 38 Enunziation -Paratext - Generique
46 Snake Eyes 54
Wasserzeichen
67 Medium und Paratext
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Vorspann - Prolog - Entlassung in die Narration
72 Das Logo und der filmische Raum
79 Drei Szenen der Projektion - Ankunft
84 Handarbeit
89 Vorspann
91 Typologie
105 Rechtecke zum Quadrat
115 Handreichungen
117 Format als Paratext
122 Widescreen versus TV
126 This is Hollywood 137 Exkurs: Karten im Film und andere Adressen
149 Die Figur in Bewegung
162 Epilog: DVD
170 Fazit
175 Literatur 177
EINLEITUNG
Überlegungen zum Paratext im Allgemeinen und zu filmischen Paratexten im Besonderen
»In language, therefore, writing or thinking about beginning is tied to writing or thinking a beginning« (Said 1997: XVI). »Das ist also die Einleitung« (Goffman 1977: 25). Jeder Anfang bildet auch einen Rahmen, eine Grenze. Aber wo und wann fangt etwas an? »Alles Beginnen beginnt mit Schonbegonnenhaben, also mit einer Paradoxie« (Luhmann 1996: I 09). Es gibt keinen voraussetzungslosen Beginn, keinen echten Anfang: »Discursive argument does not clear the ground to build from the ground up, on a foundation. Y ou start wherever you are, in medias res« (Culler 1982: 140). Aber was ist die Mitte und wo hört sie auf ( vgl. Miller 1998)? Für diese Fragen rekurriert man am besten auf den Paratext Fangen wir also mit dem Titel dieser Arbeit an: Paratexte des Films. Das Konzept >Paratext< ist von Gerard Genette in seinem Buch Paratexte (org. : Seuils) anhand von Literatur entwickelt worden. 1 Literarische Paratexte sind ihm zufolge z.B. in der Reihenfolge ihres Auftretens im Inhaltsverzeichnis: das Format, die Reihe, der Umschlag, die Titelseite, der Satz, die Auflage, der Automame, der Titel, der Waschzettel, die Widmung, das Motto, das Vorwort, der Zwischentitel und die Anmerkung. Diese Paratexte sind im unmittelbaren Umfeld des Textes situiert, sie sind materialiter mit dem Text verbunden und machen mit ihm das Buch aus. Genette gesellt diesen Paratexten noch eine andere, zweite Form der Paratexte hinzu: die >Epitexte< - erstere werden dementsprechend >Peritexte< genannt. Epitexte sind z.B. Interviews, Tagebücher und Briefwechsel. Sie sind räumlich nicht direkt mit dem Text verbunden,
Erwähnung findet das Konzept schon in Genette (1993: 1lf.). Vgl. zur Begriffsgeschichte Sehestag (2004).
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PARATEXTE DES FILMS
»zumindest ursprünglich außerhalb des Textes angesiedelt« (Genette 1989: 12) und zirkulieren im sozialen Umraum des Textes. Diese Kategorie gewinnt Genette durch Orientierung an Klassikerausgaben, 2 die solche Epitexte nachträglich versammeln und zu Peritexten werden lassen3 Oder anders: Epitexte sind virtuelle Peritexte. Die daraus folgende Gleichung heißt dann auch: »Paratext = Peritext + Epitext« (Genette 1989: 13). Diese Ansammlung von unscheinbaren »Anhängseln« leistet einiges. Die Paratexte vermitteln zwischen »eigentliche[m] Text« (Genette 1993 : 11) und Nicht-Text. Sie leiten den Blick auf das Wesentliche. Was gehört zum Text und was ist nur Rahmen, Dekoration, Medium, Form etc.? Je nach Konzeption kann die Antwort darauf sehr unterschiedlich ausfallen. Nur selten werden diese Rahmen des Buches bei der Analyse berücksichtigt oder in ihrem Eigenwert untersucht. Wenn man den Begriff nun auf den Film anwenden will, so sollte man berücksichtigen, dass es sich beim Film um ein zeitliches Medium handelt. Daraufhat Sau! Bass (1993 : 412) hingewiesen: »Der Film ist ein zeitliches Medium mit einer Abfolge von Ereignissen, die Graphik ist ein räumliches Medium ohne zeitliche Entwicklung. Deshalb ist das Verhältnis des Rezipienten zum Werk in beiden Medien grundverschieden. Bei einer Graphik kann er selbst bestimmen, ob und wie lange er sie betrachtet.[ ... ] Beim Film ist das genau umgekehrt, das Verhältnis des Kinos zum Zuschauer autoritär.«4 Im Gegensatz zum Buch muss der Film seine Struktur nicht räumlich, sondern zeitlich organisieren. Das ist nicht unbedingt ein Gewinn - wenn man das >autoritäre< Verhältnis überhaupt als Gewinn betrachten mag. Die zeitliche Organisation des Films muss keine Struktur in Form einer geordneten Abfolge ergeben, manchmal - oder besser: in der Regel - artikuliert der Film verschiedene Ebenen gleichzeitig und ist deshalb anfällig für Paradoxien. Leo Chamey hat das im Hinblick auf den Vorspann als Paratext beschrieben - man beachte die räumliche Metaphorik des Innen und Außen: 2
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>»Alles endet in der Pleiade< (es handelt sich oft um dasselbe): Text, Vortext und Paratexte aller Art. So schließt sich der Kreis: Unsere Untersuchung ging vom Verlagswesen aus und kehrt zu ihm zurück. Das letzte Schicksal des Paratextes besteht darin, früher oder später zu seinem Text aufzuschließen, um ein Buch zu ergeben« (Genette 1989: 384). Vgl. Genette ( 1989: 328), wo Genette von »einer nachträglichen Aufnahme in den Peritext, die immer möglich ist« spricht. Auch im Zeitalter der DVD, die dem Zuschauer (begrenzte) Möglichkeiten fur einen nahezu instantanen Zugriff bietet, ist das noch immer gültig.
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EINLEITUNG
»The paratextual credits thereby allow the narration to stand both outside and inside its own text. More specifically, the paratextual credits inscribe a tentative present tense in which the narration can remain outside. The paratext's Suspension - not just between text and extratext or between outside and inside but also between the film's past creation and future spectatorship - allows the narration to play this double-edged rote so vital to maintain its endeavor to control the text and our range of responses to it« (Chamey 1993: 118). Auch hier wird wieder die Frage der Kontrolle des Rezipienten aufgeworfen. Allerdings geht diese einher mit einer paradoxen Gleichzeitigkeit von Innen und Außen. Das Buch dagegen erscheint paradoxieresistenter. Da gibt es klare Grenzverhältnisse : Außen Titel, innen Roman. Wenn man jedoch näher hinsieht, so erweist sich diese Differenz zwischen Film und Buch eher als Effekt einer subtilen typographischen Inszenierung, die den Text im Raum des Buches strukturiert. 5 Typographie organisiert Texte, ist aber nicht auf den Paratext im engeren Sinne beschränkt: Sie ist koextensiv mit dem druckschriftliehen Code des Textes - und damit liegt auch hier die besagte Gleichzeitigkeit von Innen und Außen vor. Die hierarchische Organisation des Buches nehmen wir üblicherweise kaum bewusst wahr - und gerade deshalb orientiert uns typographische Gestaltung umso effektiver. Das gilt für nahezu alle Paratexte: In den meisten Fällen werden sie nicht gelesen, sondern stillschweigend überlesen, sind aber gerade dann möglicherweise am wirkungsvollsten. 6 Paratexte reproduzieren Rezeptionshaltungen in zweifacher Hinsicht: Sie schreiben die Lektüre, ob bewusst oder unbewusst, ihrer Produzenten die nicht die Autoren sein müssen - in den Text ein und steuern damit die individuelle Rezeption. In Paratexten materialisieren sich kognitive Rahmen im Sinne von Goffman (1977).
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Vgl. Groß (1994: I 0): »Die räumliche Enkodierung liefert nicht nur eine wesentliche Verständnishilfe. Gerade weil die räumliche Anordnung des Textes, die Aufeinanderfolge der Wörter und Sätze, fixiert ist, ermöglicht sie die Nichtlinearität und zeitliche Diskontinuität der Augenbewegungen, in denen derTexterfaßt wird.« »[U]nd eine der Garantien ftir die Wirksamkeit des Paratextes liegt vermutlich in seiner Transparenz: in seiner Transitivität. Der beste Zwischentitel, der beste Titel schlechthin, ist vielleicht derjenige, der auch weiß, wie man wieder aus dem Blickfeld tritt« (Genette 1989: 301). Dies korreliert mit Überlegungen von Derrida (1992). Vgl. das Unterkapitel >DekonstruktionObject< - whether the latter be construed as a meaningful work or a signifying text?« (Weber 1987: XVIf.) Wie immer dieses Lesen auch ausfallen mag bzw. wie immer auch dieses Lesen konzipiert wird, ein Objekt, ob nun Werk oder Text, ist Gegenstand der Lektüre. Auch wenn man Träume als Texte konzipieren und einer Lektüre unterziehen kann, geht es bei der Lektüre von Filmtexten und Literatur immer auch um den materialen Status des Objekts der Kommunikation. Dieser mag zwar bei der Rezeption häufig verdrängt werden, ist aber unhintergehbarer Ausgangspunkt für Sinnbildung. 7 Die Fokussierung auf den Paratext soll gerade diesen materialen, mithin medialen Aspekt des Textes in den Blick rücken. Damit setze ich einen anderen Schwerpunkt als Genette, der auch damit zusammenhängt, dass ich das Konzept Paratext auf den Film übertrage, und sich damit zwangsläufig Fragen nach der Medialität stellen. Das heißt also, dass es einen Unterschied macht, wie man die Gegenstände der Analyse angeht. Je nach theoretischer Ausrichtung fallt der Gegenstandsbereich und damit das, was beobachtet werden soll, anders aus, denn jede Theorie ist selbst ein Rahmen und entwirft die Grenzen ihres Gegenstands. Sie muss das eingrenzen, was beobachtet werden soll, sonst könnte sie ihr Objekt gar nicht beobachten. In diesem Sinne ist zu 7
Vgl. Francesco Casetti (1998: XVII) : »In so many reception studies the text simply disappears or becomes a completely indifferent object, whereas I insist that the text is crucial, if only because its presence is what turns a social situation into a communicative situation.«
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EINLEITUNG
beachten, dass nicht nur Rahmenphänomene das Material für Beobachtungen abgeben, sondern auch Theorien nach ihren Rahmen, d.h. Ausschlusspraktiken, befragt werden können. So konzeptualisiert eine prominente filmtheoretische Position den Film anhand seiner Erzählstrategien. 8 Film wird dabei einer (notwendigen) Reduktion unterworfen. Es geht dann darum, wie ein Zuschauer einen Film bzw. die Handlung desselben versteht. Die visuelle und auditive Organisation des Films wird damit zum bloßen Vehikel für die Konstruktion einer Kausalkette. Diese Fragestellung ist keineswegs simpel, und gerade deswegen sind Vorannahmen notwendig, die nicht unbedingt falsch oder irreführend sein müssen, die aber in Frage gestellt oder zumindest genauer analysiert werden können, und hierfur kann man auf das Konzept Paratext zurückgreifen. Das Konzept >Paratext< lässt sich deshalb so gut in die Filmwissenschaft übertragen, weil auch hier das Konzept der Werkeinheit schon lange Anwendung findet. 9 Peter Brunette und David Wills haben bei ihrem Versuch, Verfahren der Dekonstruktion für die Filmtheorie fruchtbar zu machen, darauf hingewiesen, dass die Einheit des Werks konstitutiv ist fur die Analyse von Film und dementsprechend nur selten in Zweifel gezogen wird: »film history and film interpretation, especially, rely on the assumption that both the body of films to be classified historically and the individual films to be interpreted are in some way comprehensible wholes, complete in themselves« (Brunette/Wills 1989: 33). Diese Einheit kann dann aufgelöst werden, wenn man annimmt, dass der Film als Teil einer wiederum zu konstruierenden Einheit fungiert. Für diese Zwecke bietet sich z.B. der Begriff des Programms an, der gerade die Integration, wenn nicht sogar die Aufhebung des Werks in einen größeren Kontext - oder eben Rahmen - bezeichnet. 10 So zeigt die Geschichte des Films - oder vielleicht besser die des Kinos, denn hier geht es um den Aufführungskontext von Filmen 11 - , dass das Programm dem Film als Werk vorausging. Das frühe Stummfilmkino war in diesem Sinne Programmkino, das eine Reihe von Filmen - und nicht nur Filmen - für das Publikum zusammenstellte. Das Programm - oder besser: des8
Vgl. das Konzept der wohl einflussreichsten filmwissenschaftliehen Studie der letzten 20 Jahre: Bordwell/Thompson/Staiger (1985). 9 Das Potential des Begriffs >Paratext< ftir den Film ist schon sehr früh erkannt worden. Schon 1985 - noch vor dem Erscheinen von Genettes Buch und damit noch auf Palimpseste (Genette 1993) rekurrierend - hat Robert Stam (1992: 23f.) den Begriff flir eine filmwissenschaftliche Diskussion vorgeschlagen. 10 Vgl. Paech (1999) zum Begriff >ProgrammOn-screen writingdiegetischen Erzähltheorien< betont hat, die im Besonderen auf die Kameraarbeit und den Schnitt als diskursive Markierungen abstellen: »We are back to a conception of narration which not only ignores certain film techniques (e.g., music, mise-en-scene) but also treats the diegetic world as a prior unity inflected from the outside by another intelligence: the one that frames the action and puts one image after another« (Bordwell 1985: 24). Es geht also darum, die verschiedenen Sphären nicht einfach zu trennen, sondern sie als Konstruktionen eines übergeordneten Erzählprozesses zu begreifen. Dieses Verdikt trifft aber wohl nicht alle »diegetischen Modelle«. Gerade Metz hat in seinem Buch zur filmischen Enunziation darauf hingewiesen, wie Merkmale innerhalb des diegetischen Raums zu metadiskursiven Figuren werden können. Oder eben andersherum: »Es kommt vor, daß Elemente oder Eigenschaften, die zum Kino und zu sei39 Der Begriff >on-screen writing< erinnert an eine frühe Form der Betitelung: an die Projektion der Titel auf den Film per Dias. Diese wurden entweder gekauft oder vom Kinobesitzer selbst hergestellt, vgl. Musser (1990: 349). Die Projektion von Titeln auf das Filmbild zitiert in gewisser Hinsicht diese Technik, wie z.B. FROM RUSSIA WITH LOVE (GB 1963, Terence Young, Titel: Robert Brownjohn). 40 Vgl. Paech (1994: 224): »Jede nicht-diegetische Schrift muß notwendig wie ein Schatten auf das Bild fallen.« 41 Vgl. Ropars-Wuilleumier (1982); Conley (1991).
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EINLEITUNG
nem Apparat gehören, mehr oder weniger getreu in der Geschichte, die der Film erzählt, reproduziert und auf diese Weise diegetisiert werden« (Metz 1997: 60). Der Begriff der >Diegetisierung< bezeichnet hier den Prozess, der den Rahmen des Films bzw. bestimmte Bedingungen seiner Möglichkeit in die Geschichte hineinholt und dadurch kenntlich macht. Es kann aber auch genau der entgegengesetzte Effekt eintreten: Die Grenzen können durch die Annäherung, wenn nicht sogar Inkorporation durch die Diegese unkenntlich werden. In beiden Fällen werden aber die Grenzen der Diegese ausgehöhlt, in Frage gestellt oder eben verhandelt. Paratexte spielen bei dieser Grenzziehung eine wichtige Rolle, weil sie, wie Roger Odin (1980; 2006) anhand des Vorspanns gezeigt hat, den Eintritt des Zuschauers in die Fiktion erleichtern. Die Gegenposition dazu nimmt Andre Gardies (1976; 2006) ein, der von einem unversöhnlichen Konflikt zwischen dem Vorspann und dem folgenden Film ausgeht, weil ersterer die Geschichte der Produktion von letzterem erzähle und deshalb zwangsläufig dem Fiktionseffekt zuwiderlaufe. Hier kann noch nicht entschieden werden, ob Odin oder Gardies Recht haben - wenn das überhaupt möglich ist. 42 Die Position von Odin ist dialektisch, weil sie annimmt, dass der Vorspann den Eintritt in die Fiktion erleichtere, gerade weil er noch nicht die Fiktion als solche ist, sondern diese vorbereitet. Insofern ist Odins Position für die Analyse fruchtbarer, weil sie erlaubt, dem Vorspann eine Funktion zuzuweisen, die er gerade wegen seines extradiegetischen Status erftillen kann. Das ist aber nicht die einzige Funktion, die der Vorspann übernehmen kann. Das kann man mit Rekurs auf Genettes Diskussion des Titels zeigen.
Vom Titel zu den Epitexten Was mich am Konzept des Paratextes immer interessiert hat, ist die ambivalente Geste der Limitierung, die die Analyse des Paratextes nachzeichnen muss. Wer Text vom Paratext zu trennen versucht, teilt das Feld auf in das primär signifikante Material des eigentlichen Textes und das nicht-signifikante - oder nicht so signifikante - Material des Paratextes. Diese Trennung erweist sich aber als äußerst verwickelt. Es zeigt sich nämlich, dass die Paratexte Hinweise enthalten, wie der Text zu lesen ist. Paratexte sind mithin immer auch Lektüren des Textes. Sie sind als reflexiver Kommentar zum Text zu verstehen. Doch diese Hinweise müssen selbst gelesen werden. Ein Beispiel von Genette ist der Titel Ulysses,
42 Siehe Kapitel 3 für die weitere Diskussion des Vorspanns.
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PARATEXTE DES FILMS
ohne den der intertextuelle Bezug zu Homers Epos wohl kaum so augenfällig, wenn überhaupt wahrnehmbar wäre. Der Titel ist ein besonderer Paratext, weil er einerseits zum Text gehört, andererseits aber auch im Jenseits des Textes kursiert. Mehr noch als der Autorname markiert der Titel die Grenze des Epitextes, da er im Diskurs über den Text diesen bezeichnet. Der Adressat des Titels ist deshalb nicht nur der tatsächliche Leser, sondern auch ein potentieller, zukünftiger Leser (vgl. Genette 1989: 76f.). Genette nennt dementsprechend drei Funktionen, die der Titel zu erfüllen hat: »I. das Werk zu identifizieren, 2. seinen Inhalt zu bezeichnen, 3. ihn in ein günstiges Licht zu rücken« (Genette 1989: 77). Man könnte auch sagen: I. Differenz - und damit Rechtsanspruch - zu anderen Werken zu signalisieren, 2. das Werk zu kommentieren, also eine Lektüreanweisung zu geben und 3. für das Produkt zu werben. Diese Funktionen gelten ebenso auch für den Filmtitel 43 - und damit auch fur den Vorspann als Teil des Films, der den Titel anführt. Der Filmtitel kursiert aber eben auch in einer Reihe von Epitexten. Deren prominentester ist der von der Filmwirtschaft als wichtigster Werbeträger eingestufte Trailer. Dem Film wird dabei ein einheitliches Aussehen gegeben. Yinzenz Hediger hat in verschiedenen Publikationen ( 1996; 1999; 200 I) diesen Epitext eingehend analysiert. Dabei hat er gezeigt, wie die verschiedenen Funktionen des Trailers zusammenwirken vielleicht könnte man auch sagen, dass sie nur analytisch zu trennen sind. Denn der Trailer geht nicht in seiner Funktion als Werbeträger auf. Was der Zuschauer im Trailer gesehen hat, wird seine Erwartung und damit die Rezeption des Films beeinflussen. Hediger spricht in diesem Sinne vom »vorauseilenden Gedächtnis des Films«, weil »Trailer das Film-Erinnern modellieren und ihre Adressaten dazu bringen, psychische Reaktionen zu entwickeln, als ob sie sich an den ganzen Film erinnern würden« (Hediger 2001: 250). Er macht dabei konkrete rhetorische Strategien aus, die dafür verantwortlich sind, wie die polyphone Montage, die Bild und Ton autonom mischt, oder auch die Trickblenden und Schwarzfilmstücke, die in Trailern das Bildmaterial segmentieren. Diese sollen Erinnerungsbrocken simulieren. Thomas Sutcliffe (2000: 5) stellt sich die Frage, wo der Film anfängt, und argumentiert dabei analog zu Hediger: »lt isn't uncommon now for viewers to have seen three or four minutes of a new film [... ] before entering the cinema, and those clipswill inevitably have taken precedence over the first frames you see, forcing them into some kind of subsidiary relation.« Damit ist eine Funktion - oder eher Dimension - der Paratexte angesprochen, die Genette den Titeln zuweist: Sie wenden sich an den zu43 Ygl. zu Filmtiteln Schreitmüller (1994); Shohat/Stam (1985).
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EINLEITUNG
künftigen Leser. Genette führt das anband der Kraft vor, die ein Titel eines verschollenen Werks entfalten kann: »Schon bei diesen Titel gerät man ins Träumen« (Genette 1989: 12). Vielleicht ist diese imaginäre Beziehung eine notwendige Bedingung, um einen Text als Werk zu rezipieren, da man im Vorfeld schon Ergänzungen vomimmt. 44 Dabei ist es für die Haltung, die der Zuschauer dem Trailer gegenüber einnimmt, nicht unerheblich, welche Beziehung zwischen Trailer und Film besteht. Der Text des Trailers besteht, wie Sutcliffe anmerkt, hauptsächlich aus Zitaten des Films. 45 Oder, wie Hediger mit Bezug auf Nelson Goodman herausgearbeitet hat: Der Trailer ist ein Muster des Films: »Ausschnitte exemplifizieren Qualitäten des Films, oder vielmehr exemplifizieren sie Qualitäten, die dem Film zugeschrieben werden, insofern ein Ausschnitt die fiktionale Welt denotiert, die er darstellt« (Hediger 200 I: 29). Im Sinne von Genettes dreigliedriger Funktion fUr den Titel wird hier Funktion 2: »die Bezeichnung des Inhalts« erfüllt. Es gibt aber keine Bezeichnung ohne Kommentar. Die Exemplifikation denotiert dementsprechend nicht nur den diegetischen Sachverhalt, die exemplifizierte Qualität bezieht sich auch auf den Status der gezeigten Bilder. Ein Bild »funktioniert mithin als Metapher, und in seiner metaphorischen Bedeutung denotiert es generische Qualitäten des Films« (Hediger 2002: 148). Als Muster steht ein Filmausschnitt in einem Trailer also immer auch für das Ganze des beworbenen Films - weshalb Hediger in diesem Zusammenhang auch von Synekdoche spricht. Die vom Trailer vorgenommene Auswahl des Materials - und hier sei darauf hingewiesen, dass für die Herstellung der Trailer ebenso wie fUr den Vorspann nur in ganz seltenen Ausnahmen die Regisseure selbst verantwortlich sind - ist somit eine Lektüre (»Zuschreibung«), die die Rezeption des Films maßgeblich prägt. Kann man aber tatsächlich sagen, dass »der Ausschnitt die fiktionale Welt denotiert«? Oder anders gesagt: Was ist diegetisch in einem Trailer? Wenn man von der Konzeption der Exemplifikation ausgeht, ist
44 Die Kommentarfunktion der Paratexte lässt sich demnach mit der Funktionsbeschreibung des Kommentars vergleichen, die Jürgen Fahrmann (1988: 248) vorgeschlagen hat: »Gilt diese Annahme [dass Kommentare selbstreferentiell vernetzt sind] nämlich, so stehen Kommentare nicht hinter, sondern vor den literarischen Texten; es gibt dann keinen schon feststehenden poetischen Gegenstandsbereich, den es ex post zu gliedern, zu erklären, zu vermitteln gilt, sondern in der Arbeit der Kommentare wird das zu bearbeitende Objekt zugleich erzeugt«. 45 Dabei wird nicht nur der Filmtext zitiert, sondern auch der Paratext »Trailer enthalten in aller Regel Teile des Peritextes des Films, meist das Studiolabel, den Filmtitel und Angaben zur Besetzung« (Hediger 2002: 148).
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PARATEXTE DES FILMS
der ganze Trailer extrafiktional 46 lers47
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und nicht nur die Schrift des Trai-
Hediger zeigt bei seinen historischen Untersuchungen auf, dass bis in die 60er Jahre ein Trailertyp mit »Rätselplot« dominierte, der im Grunde genommen nur sehr wenig von der Story des Films verrät. Dann kommt es zu einer »narrativen Wende« hin zum »Spannungsplot«, die sich im Kontext von Veränderungen in der Filmrezeption vollzieht, und an denen auch der umakzentuierte Trailer mitwirkt. »In der klassischen Ära verhalten sich die Produzenten - und auf ihre Anweisung die Filmwerber- so, als wäre die Story etwas, was von Film zu Film neu erfunden werden muss. [... ] Von der neueren Filmwerbung hingegen wird die Story in einer standardisierten Form vorausgesetzt [... ]. Stärker hervorgehoben wird dagegen vor diesem Hintergrund des Standardplots die Originalität der Umsetzung« (Hediger 2001: 58). Davon ausgehend ergibt sich ein merkwürdiges Verhältnis von Trailer und Diegese. Überspitzt könnte man sagen: Während der klassische Trailer die Geschichte des Films nicht erzählen darf, erzählt der ab den 80er Jahren dominante Modus die Geschichte eines Films, dessen Geschichte nicht mehr relevant ist. Die Analyse des Trailers kann die Verzahnung dieses Epitextes mit dem Film zum Ausdruck bringen. 48 Lutz Nitsche wählt in seinem Buch
Hitchcock - Greenaway - Tarantino. Paratextuelle Attraktionen des Autorenkinos eine andere Perspektive. Er untersucht, wie verschiedene Paratexte zusammenwirken, um filmische Autorschaft zu inszenieren. Dabei fokussiert er im Besonderen die Epitexte. Indem er verschiedene Epitexte, wie Interviews und Filmmarketing, in Beziehung setzt, kann er zeigen, wie das öffentliche Bild des »Autors« - sein Image im oben von Bordweil benutzten Sinn - sich über verschiedenen Diskurse ausbildet. Ihm geht es darum, »wie verschiedene Authentisierungspraktiken etabliert und rezipiert werden« (Nitsche 2002 : 208). Nitsche geht vom Regisseur als auteur aus, dessen Name wie ein Markenzeichen als Verkaufsargument funktioniert. Authentisierungspraktiken sind dann solche, 46 Vgl. die Diskussion der Exemplifikation bei Branigan (1986a: 48): »Note that exemplification is never fictive even when it is incorporated in a fiction because it derives from those qualities of which the work is a sample, such as rhyme, rhythm, and other patterns.« Wir können hier >Genre< hinzufugen. 47 »Eine große Mehrheit der Zwischentitel und Texteinblendungen in klassischen Trailern ist enunziativer und extrafiktionaler Natur« (Hediger 2002: 150). 48 Für DVDs ist es mittlerweile üblich, auch den Trailer mitzuliefern.
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EINLEITUNG
die den Rückbezug auf einen Autor erlauben oder motivieren. 49 Das ergibt sich aber nicht einfach zufallig, sondern wird durch epitextuelle Rahmungen nahe gelegt. »Das Autorenkino ist als duales System zu verstehen, in dem das filmische Werk stets flankiert ist von Diskursen, die auf die Originalität und Expressivität des Regisseurs abheben« (Nitsche 2002: 9) . Dieser Blick auf den Autor braucht einen Rahmen, und dieser Rahmen ist dem Film nicht notwendigerweise eingeschrieben: »Um also zu verstehen, wie wir Filme verstehen, ist es hilfreich, den Blick von der Leinwand oder dem Screen einmal abzuwenden« (Nitsche 2002 : 12). Damit ist ein wichtiger Punkt für die Konzeption des Paratextes gegeben. Für Genette »besteht der Epitext im Gegensatz zur ziemlich gleichbleibenden Funktionsweise des Peritextes, die konstitutiv und ausschließlich mit ihrer paratextuellen Funktion der Präsentation und Textkommentierung zusammenhängt, aus einer Menge von Diskursen, deren Funktion in ihrem Wesen nicht immer paratextuell ist« (Genette 1989: 329f.). Wenn der Blick sich vom Text entfernt, so muss »man oft mit der Lupe suchen« (Genette 1989: 330). Die »Lupe« bezeichnet einen kognitiven Rahmen im Sinne von Goffman (1977), der die Unterscheidung von Epitexten und Kontext erlaubt. Ohne diesen Rahmen droht sich die Analyse im uferlosen Kontext zu verlieren.50 Genettes Rahmen ist die Autorintention. Aber welche Aussagen des Autors sind in dieser Hinsicht relevant? Um die Autorintention als Rahmen zu aktivieren, muss man eine Vorstellung von dem haben, was man sucht. »Die Untersuchung der Anmerkung hat uns gezeigt, daß der Paratext keine inneren Grenzen besitzt, diejenige des Epitextes konfrontiert uns mit dem Fehlen äußerer Grenzen: als Anhängsel des Anhängsels verliert sich der Epitext immer mehr in der Gesamtheit des auktorialen Diskurses« (Genette 1989: 330). Gerade in dieser Hinsicht sind die Analysen von Nitsche zu den Marketingstrategien besonders interessant, da es sich hier um eine Form »hochgradig diffuser Autorschaft« (Nitsche 2002: 167) handelt. So zeigt er anhand von Filmplakaten, wie es zu einer »Fragmentisierung des Textes in distinkte Elemente [kommen kann], die als Ikonen, Leitbilder oder Embleme beworben werden können« (Nitsche 2002: 166). Bestimmte Elemente können auf diese Weise einer Autorfigur zugeschrieben werden. Weitergehend könnte man sich noch eine Menge interessanter Un49 Dabei geht manchmal ein wenig die kritische Distanz verloren: »Die einzelnen Filme [Greenaways] markieren Etappen in einem Prozess der Selbstexploration, an dem das Publikum in Form ästhetischer Artefakte teilhaben kann« (Nitsche 2002: 130). 50 Ygl. Culler (1982: 128): »meaning is context-bound, so intentions do not in fact suffice to determine meaning; context must be mobilized. But context is boundless, so accounts of context never provide full determinations of meaning.«
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PARATEXTE DES FILMS
tersuchungen vorstellen, die in Anlehnung an Justin Wyatts (1994) Studie zum High Concept-Marketing, auf die sich Nitsche bezieht, zeigen, wie das Marketing den Filmtext in seinem Stil prägt und zu einem dominanten Faktor der Filmproduktion wird. Nitsche legt außerdem eine »Topographie filmischer Paratexte« vor. Dabei unterscheidet er den filmischen Text, den filmischen Peritext, Epitexte des Films und Metatexte. Der filmische Text umfasst: »Casting, Schauspiel, >mise-en-sceneknowingnessflexibility< claimed for it becomes so
elastic that there can never be a post-classical that is not absorbable by the classical system.«
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PARATEXTE DES FILMS
Dieses Selbstbewusstsein auf Seiten der Filme schließt keineswegs ihre Vermarktungsfähigkeit und damit Popularität aus. 69 Die Regisseure genießen zwar allesamt eine Art Autorenstatus, wenn auch in unterschiedlichem Maße - Fincher, der seinen zweiten Film dreht, ist in dieser Hinsicht wohl kaum vergleichbar mit Scorsese. Dafür würde man die ausgewählten Filme von de Palma und Scorsese - einst zu Heroen des New Hollywood erkoren - eher der Kategorie der Mainstream-Filme zuordnen, die einem Regisseur seinen nächsten Kunstfilm garantieren sollen.70 Auch solche Kategorisierungen sollen durch die folgenden Analysen in Frage gestellt werden. Es geht darum, diesen Filmen eine ebenso komplexe Struktur wie einem Film von Godard zuzutrauen, wie das Brunette und Wills eingefordert haben: »For the heterogeneity of the film as a signifying system [... ] demands that its construction never successfully covers its differences, however much classical cinema might try to do that. [... ] To demonstrate this it would be necessary to apply a reading such as that Ropars undertakes on India Song or Breathless to films whose >fractured zones< arenot so explicit« (Brunette/Wills: 1989: 132). In den folgenden Kapiteln wird die Arbeit der Paratexte an der Einheitsbildung von Film im Blickpunkt stehen. Da diese Arbeit aber niemals völlig gelingen kann, bieten sie einen Einstieg in den pluralen Text des Films. Das heißt nicht, dass man am Anfang des Textes einsteigen muss. Wie das folgende Kapitel demonstrieren wird, kann man auch ganz am Ende beginnen.
69 »For it is this knowingness about itself as self-display, as weil as about its rote in the marketplace of popular culture and cultural politics, that gives the film its multiple entry points for diverse audiences« (EIsaesser/Buckland 2002: 78). 70 Vgl. Wyatt (1994: 192): »Cape Fear ($78.1 million) may allow Scorsese more freedom in his choice of projects, such as his $30 million historical romance, The Age of Innocence (1993).«
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THE END
»Genau das mit Sinn >vollstopfen< zu wollen, was unter >normalen< Bedingungen des Filmsehens nur eine Leere ist, ein einfacher Hintergrund, auf dem der Vorspann erscheint« (Kuntzel 1999: 44) Fangen wir also mit dem Ende an. Nehmen wir das Ende von Brian de Palmas SNAKE EYES (USA 1998). Leichter gesagt als getan. Wo fängt das Ende an?' Glücklicherweise gibt es zumindest Markierungen, die uns weiterhelfen. Die Schrift sagt uns, wann der Film zu Ende ist. Superimposed auf das letzte Bild, oder genauer auf die letzte Einstellung: »The End«. Der Film ist aber noch nicht zu Ende, da das Bild noch zu sehen ist; der Film läuft noch. Erst wenn das Touchstone-Logo erscheint, vielmehr nachdem es verschwunden ist, hat der Film aufgehört. Die Markierung »The End« nimmt dadurch eine paradoxe Stellung ein. Es handelt sich um einen Teil, der im Film platziert ist, aber auch auf ein Außen, ein Danach verweist. Diese Situation wird noch durch die Tatsache kompliziert, dass diese Markierung am Ende des Abspanns steht, der seit Mitte der siebziger Jahre das »The End« nahezu verdrängt hat. Fängt das Ende des Films also vielleicht schon früher an? Wäre der Abspann also der Anfang vom Ende, das sich dann noch einmal in dieser Markierung »The End« spiegelt? Das Bild, das mit »The End« überschrieben ist, wäre somit Teil eines Teils des Films. Wie kann man diese Beziehung beschreiben?2
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Ebenso könnte man mit Sutcliffe (2000: 32) fragen, wo der Anfang endet: »As a result you might say, paradoxically that a great beginning reveals itself not by the qualities of its own initiation but by the difficulty we have in saying precisely where it ends and the rest ofthe film takes over«. Janin-Foucher (1989: 221) erwähnt, dass die »The End«-Markierung bei Genette nicht auftaucht, obwohl es sie auch in der Literatur gibt.
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PARATEXTE DES FILMS
The End und der klassische Hollywoodfilm SNAKE EYES gönnt sich und uns den Luxus dieser verwickelten Struktur. Es gibt nicht mehr viele Filme, die so freigiebig sind 3 Doch es gab eine Zeit, da waren die »The End«-Titel kaum vom Ende des Films wegzudenken.4 Eine Sichtung von rund 150 Hollywood-Filmen der Jahre 19501958 - also einer Zeit, die noch dem klassischen Hollywoodkino zuzurechnen ist - ergab, dass nur sechs Filme dieser Zeit keine »The End«Markierung tragen. Wenn man genauer hinsieht, wie diese Filme das Ende inszenieren, stellt sich heraus, dass sie keinesfalls die Markierung einfach weglassen, sondern mit der - zu dieser Zeit noch gegebenen Konvention spielen. THE TROUBLE W!TH HARRY (USA 1955, Alfred Hitchcock) schreibt zwar, dass die Geschichte zu Ende ist, tut dies aber auf idiosynkratische Weise: »The trouble with Harry is over.« W!TNESS To MURDER (USA 1954, Roy Rowland) hat zwar kein »The End«, klingt aber mit einem Abspann auf einer Tafel, der die Cast-Credits nennt, aus. Dazu ist das Ende noch auf der musikalischen Ebene markiert, d.h. durch Anschwellen und Ausklingen des Leitthemas.5 I WANT To LIVE (USA 1958, Robert Wise) hat ebenfalls keine »The End«-Markierung, dafür aber superimposed auf die letzte Einstellung folgenden Text: »You have just seen a factual story. lt is based on articles I wrote, other newspaper and magazine articles, court records, legal and private correspondence, investigative records, personal interviews - and the letters of Barbara Graham.« Dies ist unterschrieben mit »Edward L. Montgomery. Pulitzer Prize Winner.« Vielleicht hat hier der Drang nach >Realitätsnähe< die Fiktions(?)-Markierung verdrängt. 6 Zusammen mit einer Schrifttafel, die
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David Bordweil verweist auf die narrativen Möglichkeiten, die mit dem Verschwinden des The End-Signets verloren gehen: »After about 1970, it seems, films seldom exploit these narrational possibilities and instead dropped the >The End< credit, shifted most of the opening credits to the final spot (as signal of the end), and expanded the credits sequence to a Talmudic intricacy« (Bordwell/Thompson/Staiger 1985: 35). Im Rückblick auf die Premiere von J AWS (USA 1975, Steven Spielberg) imaginiert Richard Dreyfuss einen »The End-Titel«, der faktisch gar nicht da ist: »The film ends. We are swimming away. lt says: >The Endrealen< Welt gegenübergestellt wird« (Metz 1972a: 37).
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Vgl. dazu Janin-Fouchers »ecrits d'intention« (1989: 140-154). HIGHSOCIETY (USA 1956, Charles Walters) endet damit, dass Louis Armstrong, der auch schon nach dem Vorspann die Geschichte mit den Worten »Schluss der Vorrede. Und nun beginnen wir mit der Handlung« einleitete, ans Publikum gerichtet »Ende der Handlung« sagt. Danach gibt es aber noch eine »The End«-Tafel. 39
PARATEXTE DES FILMS
sehe Figur einen extradiegetischen Akt vollzieht - und das Beenden der Erzählung ist immer extradiegetisch, da es ein Wissen über die Geschichte impliziert, das eine Figur nicht besitzen kann9 -, handelt es sich um eine Figuration, die den Konstruktionscharakter der filmischen Erzählung unterstreicht, also um eine Enunziationsmarkierung. Man könnte meinen, dass eine solche Einverleibung der extradiegetischen Markierung durch die Geschichte bzw. eine ihrer Figuren die Erzählung naturalisiert und Transparenz erzeugt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das klassische Hollywood-Erzählkino ordnet zwar David Bordweils Konzeption entsprechend die stilistischen und formalen Mittel der Konstruktion der Erzählung unter - in der Metz'schen Terminologie hieße das eine Deckungsgleichheit von Narration und Enunziation anzustreben 10 - , aber es gibt eine Grenze, die, wenn sie verletzt wird, einen gegenteiligen Effekt zeitigt. Wenn eine durch die Diegese gerahmte Figur einen Rahmen setzt, der ihr logisch - oder vielleicht besser konventionellerweise, denn die Logik der Diegese ist eine Konvention - unzugänglich ist, betont das die Arbeit des Rahmens 11 und wirkt illusionszerstörend oder unter Umständen auch spielerisch. In Edward Branigans Konzept der narrativen Ebenen wäre dies eine Verletzung der Ebenendifferenzierung. 12 In Anlehnung an Bertrand Russells logische Typentheorie darf eine untergeordnete narrative Ebene nicht eine übergeordnete Ebene ersetzen, sonst drohen Paradoxien, d.h. Selbstreferenz: »In order to avoid contradiction and paradox, then, statements about an embedded fiction cannot be made from within the fiction itself, but rather must emerge from a context more abstract than that to which they refer. Hence an extra-fictional Ievel in the text is required to talk about objects as fictional on a >lower< Ievel in the text« (Branigan 1992: 88). Branigan konzediert, dass die Differenzierung der Ebenen nicht immer eindeutig zu leisten ist, weil die verschiedenen Ebenen teilweise gleichzeitig wirken. 13 Und sie müs-
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Vgl. hierzu auch mit Blick auf den Vor- und Abspann Neupert (1995 : 25): »Primary narration is the narrative voice that opens and closes the film, reaching beyond the knowledge and capabilities of homodiegetic narrators. lt is this !arger heterodiegetic narrator that begins and ends the film with credit sequences, selects non-diegetic music, and does the job of narrator in films lacking a homodiegetic narrator.« »Und so ist der narrative Film nicht nur der Ort, wo die Enunziation zur Narration wird, sondern auch der, wo die Narration (tendenziell) die gesamte Enunziation umfaßt« (Metz 1997: 161). »Der Rahmen arbeitet in der Tat« (Derrida 1992: 97). Vgl. für eine schematische Darstellung der Ebenen Branigan (1992: 87). »In general, several Ievels of narration will be operating simultaneously with varying degrees of explicitness and compatibility; that is, the spectator may describe the text in several different ways, all of which may be accu-
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sen ja gleichzeitig wirken, nur dass im Normalfall die jeweils aktive Ebene ihren Rahmen nur implizit mitfuhrt und der Zuschauer sich deshalb an den »Inhalt« des Rahmens halten kann bzw. muss. Der Fall BEAT THE DEVIL verstößt aber eindeutig gegen die Hierarchie der Erzählordnung. Es ist aber gar nicht ungewöhnlich, dass ein Hollywoodfilm die Erzählung an eine Figur abtritt, die dann die Geschichte oder zumindest einen Teil davon aus ihrer Perspektive erzählt. 14 Christian Metz unterscheidet im Anschluss an Genette (1998) solche Erzählfiguren. Es gibt intrabzw. homodiegetische und extra- bzw. heterodiegetische Erzähler/Stimmen, je nachdem wie sie zur erzählten Geschichte in Beziehung stehen. 15 Dieses Delegieren der erzählerischen Instanz an eine Figur, mag sie nun zur Geschichte gehören oder nicht, verweist auf die primäre Instanz der Erzählung, die Metz für den Film als per se unpersönlich und nicht fassbar konzipiert. Metz spricht davon, dass sich ein kleiner Teil des Textes abschuppt und dadurch den Akt seiner Hervorbringung ausstellt (vgl. Metz 1997: II, 189). Dieser Stellvertreter - in unserem Fall die Figur Humphrey Bogarts - sollte aber keinesfalls mit der Erzählung als Textbewegung gleichgesetzt oder verwechselt werden. Auch die oberste narrative Stufe, die den Text rahmt, gehört zum Text: »there is always one Ievel of narration which itself cannot be framed and remains intemal to the text, bounded by the text itself. Thus a text inevitably structures >absencesklebten< Columbia, Paramount und Metro-Goldwyn-Mayer immer noch die Standard-Entwürfe ihrer mit dem jeweiligen Unternehmenslogo oder firmenspezifischen Erkennungszeichen versehenen Schlusstitel ans Ende der Filme. Erst danach legte man verstärkt auch auf das grafische Design der Schlusstitel Wert« (Schaudig 2001: l84f.). Ebenso gibt es genug Beispiele für individualisierte Schlusstitel aus den 30er und 40er Jahren. Ein interessantes Beispiel für einen »individualsierten Standardentwurf« ist das Ende von PHILADELPHIA STORY (USA 1940, George Cukor), die mit einem Foto, einem Schnappschuss von der Hochzeit, endet, d.h. das intradiegetische Hochzeitsbild hält die Bildbewegung an und wird zum Teil eines Buches, das, weitergeblättert, den MGM-Löwen mit »The End« zeigt. 19 Hier interessiert mich jedoch im Besonderen die » The End«-Markierung auf der letzten Einstellung des Films. Dabei ist es nicht unerheblich, welches Bild auf diese Weise überschrieben wird.Z 0 Auffallend ist, dass die Bilder selbst kaum Bewegung enthalten, die Kamera bleibt dabei fast immer unbewegt. Wenn es Bewegung gibt, so meistens in einer Totalen21 - ein Cowboy, der wieder in die Prärie hinausreitet, 22 ein Raumschiff, das sich in den Weiten des Alls verliert wie z.B. in THE DA Y THE EARTH STOOD STILL (USA 1951, Robert Wise), wo das Raumschiff des Außerirdischen nach seinem ernüchternden Besuch auf der Erde wieder im Weltraum verschwindet 23 Thomas Christen spricht in seinem Buch zum 19 Ein ganz ähnliches Verfahren wird weiter unten anhand von LETHAL WEAPON 4 analysiert. 20 In diesem Kontext wäre die These von Ganz-Blättler (1990: 18) neu zu diskutieren: »Eine Schlusstotale, in der sich die Protagonisten kaum mehr ausmachen lassen, weist nach wie vor untrüglich auf ein >glückliches< Ende hin. [... ] Verharrt die Kamera auf den Gesichtern oder auf Details, so ist der Ausgang der Geschichte entweder tragisch oder zumindest ungewiß.« 21 »The archetypal extreme long shot which closes most classical films announces that we cannot see more details because the causal chain has played itself out« (Branigan 1992: 25). 22 »Im Western wird am Ende weggeritten, normalerweise in die Bildtiefe« (Christen 2002: 102). 23 Das »The End« wird jedoch nicht einfach auf die Einstellung geblendet, sondern »zoomt« exakt von dem Punkt heran, wo das Raumschiff sich in den Weiten des Alls verloren hatte. Es gibt eine Reihe von Beispielen ftir
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Ende im Spielfilm von der »Reduktion der Diegese«, die »ein fundamentales Prinzip der Endsetzung« (Christen 2002: 80) ist. Er interessiert sich zwar mehr für die Formen der narrativen Schließung, geht aber auch auf formale Mittel ein, die das Ende des Films anzeigen: Blenden, Veränderungen der Schärfe, der Farbe oder der Bildgröße, Umkehrungen von Positiv- aufNegativfilm, Textsortenwechsel und Manipulationen der Geschwindigkeit der Filmbewegung (vgl. Christen 2002: 80-94). In extremer Form kann das darauf hinauslaufen, dass die dem Filmbild eigene Bewegung buchstäblich angehalten, eingefroren wird: ein jreeze jrame erscheint als die konsequente Fortfiihrung der Bewegungsentleerung, wie z.B. in LES QUATRE CENTS COUPS (F 1959, Fran9ois Truffaut) und in BUTCH CASS!DY AND THE SUND AN CE Km (USA 1972, George Roy Hili), wo das Bild noch zusätzlich, korrespondierend mit dem Anfang des Films in Sepia eingefärbt wird.24 Die Trennung von rein formalen erzählerischen Mitteln erweist sich als ziemlich schwierig. Man kann zwar das »The End«-Signet als formales Mittel charakterisieren, aber seine Funktion kann eben auch, wie oben gesehen, von innerdiegetischen Figuren übernommen werden. Selbst die Schrift »The End« kann dem diegetischen Universum entliehen sein, wie in LA FEMME EN BLEU (F/1 1972, Michel Deville), wo der Film durch einen Zoom auf ein Finland-Piakat das Wort »Fin« artikuliert.Z5 Oder die Figuren des Films interagieren mit der Schrift, wie Bob Hope in ROAD TOBALl (USA 1952, Hai Walker), der verzweifelt versucht, die in die Einstellung hineinhängende »The End«-Markierung abzuwehren, da er mal wieder in Liebesdingen gegen Bing Crosby unterlegen ist und sich damit nicht abfinden will. Dies sind zwar in gewissem Sinne Ausnahmen, aber auch die herkömmlichen Einstellungen, die ein »The End«-Signet fiihren , sind immer auch als Ganze >Formideological point< (not always a particular >messageDiskursCodeenunciation< is supposed to mediate between a Iangue and the concrete utterances of a language, and if on the other hand the cinema is indeed, as Metz has put it, a Iangage sans Iangue, the question immediately arises, what is it the concept has to mediate?« Ihre Antwort schließt an die semiologischen Überlegungen von Metz an, der zwar die Unterschiede von Iangue und Kino aufgezeigt hat, trotzdem aber Codierungen herausgearbeitet hat, die die Rede vom Kino als Sprache (Iangage) rechtfertigen. Eine besonderere Rolle bei der Ausformung der Differenzen spielt die Heterogenität des filmischen Materials, die eine fast fortwährende Verschiebung der Codes mit sich bringt: »Behaupten, daß ein Filmsystem eine Kombination mehrerer Codes ist, heißt zugleich einschließen, daß es seinem Wesen nach aus einer Verschiebung (deplacement) besteht. [...] Das, was das System eines Films im eigentlichen Sinne >machtmit< wird das Wichtigste ausgedrückt« (Metz 1973: 110).33 Die Codes verändern sich, wenn sie im filmischen System zusammenwirken. Nur wenn man die Codes bei der Analyse isoliert, Metz spricht hier von einer »nützlichen methodologischen Fiktion«, kann man so tun, als sei das Filmsystem statisch. Die Codes geraten im System des einzelnen Films in Bewegung. Wenn man diese Überlegungen nun mit der Theorie der Enunziation verknüpft, so geht es darum zu beobachten, wie im Film die Codes zur Anwendung kommen, also um die Arbeit des 32 Vgl. auch die Definition von Casetti (1995: 120): »By this term [enunciation] we mean the conversion of a language system (Iangue) into discourse; the passage from a set of simple virtual units to a concrete and localised object.« 33 Ygl. zur Heterogenität des Materials Metz (1973: 38): »[D]as cinema ist bereits auf der Ebene der Ausdrucksmaterie eine >zusammengesetzte< Sprache.« Heterogenität der Codes heißt aber nicht unbedingt Heterogenität des Materials.
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Films am Code. Diese Arbeit ist an manchen Stellen offensichtlicher als an anderen, obwohl die Enunziation theoretisch das gesamte Enunziat, d.h. den ganzen Film, ausmacht, sie ist »koextensiv« (Metz 1997: 26) mit dem Film. Deshalb sucht man nach Stellen, an denen sich die En unziation niederschlägt: »Die Enunziation ist der semiologische Akt, durch den bestimmte Teile eines Textes uns diesen als Akt erscheinen lassen« (Metz 1997: 11). Eine relativ stabile Form der Konvention im Kino ist die Vermeidung des Blicks in die Kamera. Francesco Casetti (1995 ; 1998) hat anhand dieser Form eine Enunziationstheorie vorgeschlagen, die das deiktische System der gesprochenen Sprache auf den Film überträgt. Obwohl der Blick in die Kamera nur selten in Filmen auftaucht - nahezu ein Tabu des narrativen Films darstelle 4 - , ist er eine von vier möglichen Konfigurationen des filmischen Systems, die drei verschiedenen logischen Positionen des Films 35 miteinander in Beziehung zu setzen: das Ich (= Enunziator oder die Quelle des Films), das Du (= Enunziatär oder Ziel des Films), das Es(= das Enunziat oder das Gezeigte). Casetti gruppiert seine Typologie der filmischen Deixis um den Adressaten: »a typology of a film's recurrent propositional structures, defined through the differe nt perspectives offered to the enunciatee« (Casetti 1998: 47). Der Blick in die Kamera, den Casetti wegen seiner besonderen Wirkung im Anschluss an Louis Althusser >Interpellation< nennt, betont aufbesondere Weise die supponierte Präsenz des Zuschauers, die bei den anderen drei Möglichkeiten, den objektiven, subjektiven und irrealen objektiven Ansichten, nur implizit bleibt. Die Interpellation ist Dreh- und Angelpunkt seiner deiktischen Enunziationstheorie, weil der Zuschauer hier »direkt« adressiert wird. Casetti fragt, wie der Film dem Zuschauer einen Platz zuweise6 und damit sich selbst eine Richtung gibt: »the you put into place by a Iook into the camera refers not to a particular person among all those who watch the film, but rather to the fact of the film ' s act of selfoffering« (Casetti 1998: 46). Casettis Vorschläge für eine Theorie der filmischen Deixis sind zwar inspirierend - im Besonderen, wenn es um die Adressierung des Zu34 Vgl. Casetti (1998: 29): »The taboo is thus not absolute but, on the contra-
ry, relative to the frame of reference. It concems not the Iook into the camera itselfbut rather this look' s capacity for insertion into a )arger frame.« 35 »[A]t issue arenot individual persons but >logical operators< that a film can represent only through personification, in the form of an/, a you, and a she, he, or it« (Casetti 1998: 46). 36 Casetti macht drei, miteinander verwobene Annahmen zum Verhältnis von Film und Zuschauer: »that a film somehow indicates the presence of its spectator, that it assigns this spectator a precise place, and finally, that the spectator must complete a genuine trajectory« (Casetti 1998: 124).
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schauers geht -, gerade aber das Modell der Deixis erweist sich als zu eingeschränkt, zu nah an dem, was die gesprochene Sprache vorgibt. 37 Mein Verständnis von Enunziation orientiert sich eher an der Konzeption von Metz, der weniger auf die deiktische als auf die reflexive bzw. metadiskursive Komponente der Enunziation abstellt und auf den Textcharakter des Films verweist, der von der kommunikativen Situation der gesprochenen Sprache abweicht: »Die Quelle und das Ziel sind in ihrer wörtlichen Bedeutung und in ihrer diskursiven Identität keine Rollen, sondern Textstücke oder Textaspekte, oder auch Textkonfigurationen« (Metz 1997: 22). 38 Sowohl Casetti als auch Metz sehen im Vor- bzw. Abspann eine besonders prominente Form der filmischen Enunziationsmarkierung: »Der Vorspann hat eine offensichtliche und, was im Kino selten vorkommt, sogar >Offizielle< Adressierungsfunktion« (Metz 1997: 51). 39 Der französischen Oberbegriff: generique, der die Idee der Entstehung impliziert, fasst Vor- und Abspann zusammen (vgl. Gardies 1976). Dabei ist der Ort des generique nicht unerheblich. Er ist zumeist am Anfang, am Ende oder an beiden Enden zu finden . Schon durch diese Position ist er eine Art Rahmung. 40 Hier kann man dann auch das Konzept des Paratextes einbringen, der ja die Peritexte als jene Texte definiert, die den Text umgeben - und das in durchaus topographischem Sinne. Zunächst von Genette anhand des Mediums Buch entwickelt, bezeichnet er alles, was den bloßen, »nackten« Text zu einer Einheit macht, durch die er erst lesbar wird. 41 Genette fokussiert dabei im Besonderen die funktionale Perspektive des Paratextes. Es geht ihm um die Leserlenkung im Sinne des Autors.42 Abgesehen davon, dass diese Zuspitzung auf eine auktoriale Intention auch im Bereich der Literatur problematisch ist, stellt sich bei der
37 Vgl. die Kritik an Casettis Modell in Metz (1995: 140-163; 1997: 1-27). 38 Casetti hingegen geht es immer auch um die Möglichkeit einer Interaktion: »Even if lacking precise contours, it remains always possible to presume the existence of a li ving being, a point of view, the sign of the enunciatee« (Casetti: 1998: 24). 39 Vgl. Casetti (1998: 20): »Though its capacity to refer to its enunciative situation is limited, a film exercises an effort in this regard, particularly during the opening and closing credit sequences.« Metz (1995: 148) betont aber, dass der Vorspann nicht deiktisch ist. 40 Vgl. de Mourgues (1994: 12): »Dans tout !es cas, le generique est place a Ia Iisiere, a l'oree du film, ill' enserre de sa griffe, ill'encadre.« 41 Vgl. Genette (1989: 10): »Der Paratext ist also jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird« . 42 »Das hauptsächliche Anliegen des Paratextes, welche ästhetische Absicht auch immer hinzutreten mag, besteht nicht darin, im Umfeld des Textes >hübsch zu wirkenParatext< legt nahe, dass es sich auch beim Paratext um Text im engeren Sinne, d.h. um Schrift, handelt. 44 Problematisch ist hier weniger, den Film als Text im Sinne eines komplexen Signifikationsgefüges zu behandeln. Schwierigkeiten ergeben sich vielmehr auf Seiten des Paratextes und zwar auf zwei Ebenen. Zunächst einmal läuft man Gefahr geschriebenen Text im Film immer als Paratext - imWortsinn von >neben< oder >bei< - zu verstehen. 45 Das liefe auf eine Verdrängung der Schrift aus dem Bereich des genuin Filmischen hinaus. Eine unreflektierte Übernahme des Begriffs verurteilte damit Schrift im Film immer zum Paratext. Ich würde dagegen Schrift als ein Ausdrucksmittel unter anderen
43 Damit sei nicht gesagt, dass die Situation bei literarischen Texten sich weniger komplex gestaltet. Beim Film ist das Konzept >Autor< trotz Regisseur jedoch auf Anhieb weniger einleuchtend. Für die literarische Analyse hieße das, gegen Genette »[d]ie Richtigkeit des auktorialen Standpunktes« als »implizite[s] Credo« und »spontane Ideologie des Paratextes« (Genette 1989: 389) aufzubrechen. 44 Bei der »Frage nach dem stojjlichen Status« (Genette 1989: 14) tendiert dann auch Genette, obwohl er die Problematik sieht, in diese Richtung. Man braucht sich nur die Bereiche vor Augen zu fuhren, die er behandelt: Titel, Autorname, Waschzettel, Widmungen, Motti, Vorworte etc. Im Bereich des verlegerischen Peritextes - also ein Stück entfernt vom Autor gibt es Fragen nach dem Material und der Typographie. Zudem räumt Genette ein, die Illustrationen vernachlässigt zu haben. 45 So einfach lässt sich das Wort allerdings nicht verorten: >»Para< is an >uncanny< double antithetical prefix signifying at once proximity and distance, similarity and difference, interiority and exteriority, something at once inside a domestic economy and outside it, something simultaneously this side of the boundary line, threshold, or margin, and at the same time beyond it, equivalent in status and at the same time secondary and subsidiary, submissive, as of guest to host, slave to master. A thing in >para< is, moreover, not only simultaneously on both sides of the boundary line between inside and outside. lt is also the boundary itself, the screen which is at once a permeable membrane connecting inside and outside, confusing them with one another, allowing the outside in, making the inside out, dividing them but also forming an ambiguous transition between one and the other« (Miller 1977: 441).
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definieren, die dem Film zur Verfügung stehen. 46 Die Relation TextParatext ist nicht so leicht fixierbar oder gar substantialisierbar. Wenn man diese Position einnimmt, muss man sich aber fragen - und das ist die zweite Ebene -, ob es nicht auch Paratexte nicht-schriftlicher Art im Film gibt. Die Antwort ist eindeutig. Es gibt auch nicht-schriftliche Paratexte. So können die titles bzw. credits des Vor- oder Abspanns zum Beispiel gesprochen werden. Am Anfang der Tonfilmzeit wurde mehrfach mit gesprochenen Credits experimentiert, so schon 1928 in THE TERROR (USA, Roy Dei Ruth). Dort wurden die Titel von Conrad Nagel, dem Star des Films, gesprochen. 47 Letztlich ist es aber bei der schon im frühen Film gebräuchlichen Informationsvergabe geblieben: Die Information werden per Schrift weitergegeben. Und das hat auch gute Gründe. Ein Grund liegt im extrem begrenzten Zeitbudget des Vorspanns. Titel können einfach schneller gelesen werden. Sie müssen aber eben auch nicht gelesen werden. Manchmal reicht es nur die Typographie auf sich wirken zu lassen. Ein weiterer Vorteil von Schrift ist, dass sie sich leicht taxieren lässt. Dies ist wichtig, da die Größenverhältnisse der Credits im Vorfeld vertraglich haarklein festgelegt werden (vgl. Harris 2000: 98-109; Harris 2006: 128-133). Das Billing Sheet ist die Bibel der Vorspannmacher und versammelt alle Festlegungen, die bei der Produktion eines Vorspanns berücksichtigt werden müssen. Die Hierarchie der Credits liefert allerdings auch narrative Anhaltspunkte. Von dieser Konvention ausgehend kann dann wieder Spannung erzeugt werden, wenn diese Hierarchie nicht geliefert wird, wie Kristin Thompson anband von ALlEN (USA 1979, Ridley Scott) zeigt: »The casting is quite ingenious, in that it avoids using any stars who would obviously be expected to survive to the end. All the actors had had some film experience, but none was noted for major leading roles. All are listed at the beginning of the credits in the same size letters, one by one, in an order that gives scant sense of their relative importance or how long they will survive. Moreover, as each name appears, a white horizontal, diagonal, or vertical bar fades
46 Vgl. Metz (1973: 17): »Denn Film >als Sprache< [oder eben als Text]- das ist der gesamte Film. [... ] [D]er kinematographische Diskurs erreicht seine Bedeutung tragenden Konfigurationen mit Hilfe von sensoriellen Mitteln fünferlei verschiedenen Typs: dem Bild, dem Ton, der Musik, dem Ton der >RedenDiscourse< bestimmen, die immer instabil bleibt und fließende Grenzen hat.«
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sich. Dies hört sich ganz nach einem typischen Ende für einen Hollywoodfilm an. Doch das ist noch nicht das Ende. Nachdem die Hauptdarstellerin aus der Kadrierung verschwindet, sagt der Held, der einen Gefangnisaufenthalt vor sich hat: »Na und wenn schon, wenigstens war ich mal im Fernsehen.« Dieser Verweis auf das Fernsehen ist interessant, weil danach der Abspann folgt. Die Praxis des Fernsehens, den Abspann wegzuschneiden, ist bekannt (vgl. Stanitzek 2003a). Dabei geht es nicht nur darum, den langweiligen und weitschweifigen Abspann abzukürzen, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Diese »Weitschweifigkeit« hat etwas mit der Frage zu tun, wie man die Arbeit der Beteiligten wertet. Große Namen und Stardom gehören zum Unterhaltungswert, aber was ist mit Jennifer Cossetto, Title Designer?55 Norbert Menge! hat diese Zensur des Fernsehens auch als Folge eines Bemühens um Programmidentität beschrieben. 56 Daraus folgt: »[D]as Fernsehen, und insbesondere das unter ökonomischem Erfolgszwang stehende kommerzielle Fernsehen, ist damit beschäftigt, die Vorstellung von einem expliziten Anfang oder Ende oder entsprechender Indizien abzuschaffen« (Menge! 1997: 245). Auf diese Praxis kann man reagieren. Es zeigt sich aber, dass das Fernsehen mehr Hemmungen entwickelt, wenn es gilt, einen Abspann zu beschneiden, wenn noch Filmbilder zu sehen sind.57 SNAKE EYES reagiert also auf eine Fernsehpraxis. Aber was wird gezeigt? Die Kamera fährt am Helden vorbei und zeigt eine Reihe von Bauarbeitern, die im Hintergrund der Szene die ganze Zeit zu sehen waren und eine Pause gemacht hatten. Jetzt werden sie vom Vorarbeiter aufgefordert, die Arbeit wieder aufzunehmen: »Na los, macht schon. Zurück an die Arbeit. Wir müssen das heute noch fertig kriegen. Na los,
55 Vgl. Firstenberg (1984: 80): »Title credits, because they precede the film's story and provide the audience with the >big names,< are appreciated by most ofthe audience. But I can't imagine leaving the theater before the last closing credit has rolled across the screen. [ ... ] Watehing the credits is a silent nod of appreciation to the ninety-five percent of a film's cast and crew whose names do not appear in the opening titles.« 56 Vgl. Menge! (1997: 243): »Die einzelnen Femsehprogramme, Vollprogramme wie Spartenprogramme, begreifen sich als geschlossene Einheiten, denen ein umfassendes einheitliches Erscheinungsbild zum Anliegen geworden ist, so daß [...] eine Parzeliierung in scheinbar >autonome< Programmpunkte unterschiedlicher Herkunft der Vorstellung von einer einheitlichen und zäsurfreien Programmgestaltung widerspricht.« 57 Die Gründe, in eine laufende Einstellung nicht hineinzuschneiden, sind vieWiltig. Seit Jackie Chans Blockbuster-Erfolgen werden die Abspanne, die die misslungenen Stunts zeigen und sehr zum Mythos Chans beigetragen haben, auch von den Privaten gezeigt. Der Abspann von SNAKE EYES wurde sowohl von PRO 7 als auch von VOX weggeschnitten.
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hoch mit Euch! Die Pause ist vorbei. Beeilung.« (Abb. 1.2) Diese Aufforderung kann man in mehrfacher Hinsicht lesen. Einerseits kann man sie auf das Fernsehen beziehen, das diesen Film ausstrahlen wird. Dann hieße es soviel wie: An die Arbeit. Geld verdienen. Werbung. Denn die Pause zwischen den gesendeten Programmen ist ja im Fernsehen paradoxerweise die Zeit, in der Geld verdient wird.
Abb. 1.1, 1.2 Ebenso stehen die Arbeiter im Film für die Arbeiter am Film, die im Abspann genannt werden. Die wichtigsten Darsteller werden zuweilen im Abspann gezeigt. Das kann in der Form einer Aufnahme von posierenden Schauspielern, die extra dafür im Kostüm - also in ihrer fiktiven Rolle gefilmt worden sind,58 geschehen, wie z.B. in MAGNIFICENT AMBERSONS (USA 1942, Orson Welles). Laurence Moinereau hat die Funktion dieser Posen, die u.a. durch die Belichtung dem Raum der Diegese enthoben sind, sehr schön beschrieben: »Diese Phantome demonstrieren den Verlust des diegetischen Universums, dem sie entrissen worden sind, aber sie enthüllen im Nachhinein auch dessen Unwirklichkeit. In diesem Schwinden äußert sich ein doppelter Schmerz: weil die Begegnung zu Ende geht und weil diese Begegnung von Anfang an nicht wirklich stattfinden konnte« (Moinereau 2003: 177). Die technischen Credits werden hier nicht mit den jeweiligen Technikern versehen, die Gerätschaften nehmen deren Posten ein. Das gilt auch für Orson Welles, dessen Abwesenheit aber durch seine Stimme, die den Abspann spricht, mehr als kompensiert wird. Die andere Möglichkeit der Präsentation von Schauspielern im Abspann ist, Ausschnitte zu zeigen, die die Darsteller in signifikanter Weise in Szene setzen wie z.B. in HARVEY (USA 1950, Henry Koster), RED BADGE OF COURAGE (USA 1951 , John Huston), THE BAD AND THE
58 Schon im Stummfilm gibt es solche Aufuahmen, die aber als Vorspann dienen, vgl. Schweinitz (2003). Ein besonders schönes Beispiel, das diese Posen karikiert, ist der Vorspann zu THE WOMEN (USA 1940, George Cukor), wo die typisierten Gesten der Schauspielerinnen jeweils einer Aufnahme eines charakteristischen Tieres - bei Joan Crawford ist es ein fauchender Leopard - zugeordnet werden.
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BEAUTIFUL (USA 1952, Vincente Minelli) oder TWELVE ANGRY MEN (USA 1957, Sidney Lumet) .59 Solche Szenen werden gerne für den Fernsehvorsrann genutzt, 60 sind aber für den Filmvorspann selten geworden.61 Die Arbeiter am Film werden aber nur ganz, ganz selten filmisch repräsentiert. Ich kenne nur zwei Filme, die sich im Abspann auch die Mühe machen, nicht schauspielemde Mitarbeiter fotografisch einzufangen. MÄNNER (BRD 1985, Doris Dörrie) zeigt in der letzten Einstellung, wie Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht, nachdem sie sich ihrer Kleider entledigt haben, im Paternoster verschwinden. Danach sind, immer den superimposed credits entsprechend, die jeweiligen Mitarbeiter am Film zu sehen - und das meist mit einem symbolischen Accessoire, das die in der Produktion eingenommene Funktion repräsentiert, wie die in Vorspannsequenzen beliebte Schere für den Schnitt. Der andere Film ist LETHAL WEAPON 4 (USA 1998, Richard Donner). Hier wird analog zu PHILADELPHIA STORY am Schluss ein Foto geschossen, auf dem sich das im Laufe der Serie etablierte Personal wiederfindet. Dieses Foto ist ein Gruppenbild der Familie im Krankenhaus, die gerade Zuwachs bekommen hat. Ein Klinikmitarbeiter wird gebeten, das Foto zu machen, damit alle gemeinsam abgelichtet werden können, der fragt: »You're all friends?« Im Chorus antwortet die Gruppe: »Friends? No, family!« Daraufhin schießt der Mann das Foto, das nach einem kurzen Wechsel auf Negativfilm (vgl. Christen 2002: 85f.) in ein Fotoalbum wandert, das dann auch Fotos der restlichen Mitarbeiter am Film zeigt (Abb. 1.3, 1.4).
Abb. 1.3, 1.4 Die Ideologie der Familie - über den Song »How can we be friends« in den Abspann mit hineingezogen - wird damit erweitert auf die extradie59 Ich nenne deshalb einige Beispiele, weil Moinereau meint, dass »Ürson Welles [diese Form der Vorstellung der Schauspieler] anscheinend als einziger dem Nachspann zugewiesen hat« (Moinereau 2003: 173). 60 Vgl. zum Fernsehvorspann Mengel (1995). Dabei geht es aber meist weniger um die Vorstellung der Schauspieler als um die Konturierung der Figuren: »Die Portraits der Serienfiguren beherrschen den Bildschirm völlig, so daß eingeblendete Credits nur störend wirken würden« (21 ). 61 MISSION IMPOSSIBLE (USA 1996, Brian de Palma, Titel: lmaginary Forces) tut dies, ist aber von der Fernsehserie inspiriert.
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getische »Familie« der Produktion, die ganz am Schluss vereint ist auf einem Großgruppenfoto - Hollywood kann nur in diesem »Schutzraum« seine Arbeiter ins Bild setzen. Der Film wird endgültig abgeschlossen durch das Zuklappen des Fotoalbums, auf dem LETHAL WEAPON 4 steht. Danach folgt das Wamer-Logo. Nicht zuletzt stehen die Arbeiter in der letzten Einstellung von SNAKE EYES aber auch für die Zuschauer. Der Satz »Na los. Hoch mit Euch!« ist eine Zuschaueradressierung. Die Arbeiter, die ebenso wie wir Zuschauer der Szene waren, werden an unserer Stelle aufgefordert, sich zu erheben. Die Aufforderung rechnet mit einem Zuschauer, der allzu eilfertig den Kinosaal verlässt, wenn sich offenbar nichts für die Diegese Signifikantes mehr erwarten lässt: Abspann eben. Die Aufforderung ist aber nicht ernst gemeint. Denn der Film will uns noch etwas zeigen, das er - etwas verkrampft - bis zum Ende verbergen will wie das klassische Hollywoodkino seine Gemachtheit (Abb. 1.5). Es ist fast so, als arbeitete der Abspann mit an dieser Verschleierung. Vor- und Abspann sind Signale, die uns sagen, dass es noch nicht richtig los geht bzw. dass es nicht mehr weiter geht. Wir können uns noch/wieder mit dem Nachbarn beschäftigen. Dementsprechend korrespondieren Szenen, die beschriftet sind, mit solchen, die noch ein Wort mit dem Nachbarn erlauben: »There is some connection between scenes we feel entitled to talk over in the movies and scenes that makers themselves feel entitled to write over« (Sutcliffe 2000: 18). Diese Szenen können aber auch einen Raum schaffen, den der sonstige Film nicht hat. Sutcliffe hat das anhand eines Beispiels vorgeführt: »lndeed, it is possible to wonder whether he [Kubrick in der Anfangssequenz von THE SH!NING (USA 1980)] would have been able to run the sequence at quite such length without the accompanying alibi of the credits themselves« (Sutcliffe 2000: 18).
Abb. 1.5, 1.6
Alibi ist die Bestätigung, dass man sich während der Tatzeit an einem anderen Ort befunden hat. Jemand hat dies bestätigt, es gibt Zeugen. Der Vor- bzw. Abspann bezeugt die Entstehung des Films, ist aber hier Ausflucht für eine lange Sequenz, die sonst nicht so hätte gefilmt werden können, weil die Ungeduld, die nach dem Erzählen der Geschichte ver-
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langt - durch Hollywood-Erzählformen konditioniert -, sonst solche Szenen nicht zulässt. 62 Damit entsteht eine Art utopischer Raum, der Zeit zum Abschweifen gibt, Zeit zum Träumen, da die Aufmerksamkeit noch nicht voll gefordert ist. Die Geschichte geht ja noch nicht los. Aber gerade deshalb eignet sich diese ungerichtete Aufmerksamkeit für den Übergang. Der Blick kann gebunden und ausgerichtet werden. Hier arbeitet der Film an unserer Bindung an die Fiktion 63 und ist gleichzeitig »der Ort [... ], an dem der gesamte Film sich anders zu lesen gibt« (Kuntzel 1999: 25). Anfang und Ende sind Orte der Kondensation, der Verdichtung. Das macht sie im Bezug zum restlichen Film zu bevorzugten Plätzen der Reflexion.64 Reflexion - Spiegel. Was spiegelt die Abspann-Einsteilung von SNAKE EYES? Die Bauarbeiter als Zuschauer spiegeln den Zuschauer, der den Film sieht, die Szene der Projektion. Die Arbeit am Bau spiegelt die Produktion des Films, die andere Szene, die niemals direkt angeschaut werden kann, den unmöglichen Ort einer Präsenz. Die lange Plansequenz des Abspanns spiegelt noch einmal den Anfang des Films, eine rasante Kamerafahrt, ebenfalls als Plansequenz inszeniert. Die rasante Kamerafahrt des Anfangs wurde in der Presse durchwegs gepriesen. Das hat Sutcliffe kritisch hinterfragt: »> The opening is worth the price of admission,< writes a critic about De Palma's Snake Eyes, andin doing so he acknowledges the real ambition of a contemporary beginning. Those dazzling displays of just what the film can do offer a conclusion to the publicity campaign rather than a preamble to what follows.« (Sutcliffe 2000: 6) Für SNAKE EYES kann das allerdings nicht gelten, da gerade diese Eingangssequenz das Rätsel vorgibt, das gelöst werden muss. Dass sie als Plansequenz gehalten ist, betont natürlich die Restriktion des Wissens, sonst gäbe es kein Rätsel. Dass diese Sequenz sich mit der Schluss62 Vgl. Thompson (1999: 53): »lt has become a convention of Hollywood films that the credits sequence can be filmed and cut more freely than an orthodox dramatic scene. Stylistic flourishes may call our attention to objects. The action may jump about without sticking as closely to the characters as in other scenes.« 63 Vgl. Metz (2000: 63): »Der kinematographische Signifikant, der auf seine Weise bereits imaginär ist, ist in seiner Materialität weniger spürbar. Er arbeitet verstärkt zugunsten der Diegese, er neigt verstärkt dazu, in ihr aufzugehen, und der Zuschauer neigt durch seinen Glauben an die Fiktion (Fürwahr-Halten der Fiktion) dazu, ihn der Diegese zuzuschreiben.« 64 Eine Analogie zum Traum? »Es kann aber auch umgekehrt vorkommen, daß der Träumer bis zu einem gewissen Punkt weiß, daß er träumt: in jenen Zwischenstadien zwischen Wachen und Schlafen, besonders am Beginn und am Ende der Nacht - oder wenn der Tiefschlaf nachlässt und nur dumpfe, unvollständige und fragmentierte Traum-Bruchstücke zurücklässt« (Metz 2000: S. 81 ).
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sequenz reimt,65 ist jedoch nicht kommentiert worden. Der Abspann ist eben nicht so eingängig wie der Vorspann. Diese stürmische Sequenz beginnt, wie gesagt, mit einer Außenansicht auf das Casino, die, wenn man auf denframe achtet, uns auf einem Monitor gezeigt wird (Abb. 1.6) - dies fallt übrigens eher auf, wenn man den Film auf einem Monitor sieht. Es stürmt und die Fernsehmoderatorin hat Mühe diesem Hurricane standzuhalten, den sie aber nur als Herbststurm bezeichnen darf. Als sie dennoch das verbotene Wort ausspricht, muss sie die Ansage wiederholen. Der Film erlaubt sich hier ebenfalls ein >verbotenes< Moment, den Blick in die Kamera. Hier ist die Regel außer Kraft gesetzt, denn: Es ist ja nur Fernsehen, was uns vorgeführt wird.66 Im Moment, als die Moderatorin das zu verheimlichende Wort »Hurricane« ausspricht, kommt der Credit für Gary Sinise, den Bösewicht, der die Intrige ausgeheckt hat. Kann man in der Mitte des Films noch überrascht sein, wenn er sich als solcher entpuppt? Die Kameralinse, durch die auch wir sehen, wird noch einmal getrocknet. Die Moderatorin fragt sich, wieso sie dies überhaupt draußen machen soll. Zweiter Versuch. Glücklicherweise war es noch nicht live. Nachdem sie bei der Anmoderation dann die Klippe des »Hurricanes« erfolgreich umschifft hat, wird plötzlich zurückgezoomt Wir haben alles auf einem Monitor im Gebäude gesehen. Wir waren schon drinnen, als wir uns noch draußen wähnten - genau das hat ein Vorspann zu leisten. Der Zuschauer imaginiert sich nicht mehr in die Position des fiktiven Kameramanns. Der Film verwehrt uns trotz durch die Kamera vermittelter subjektiver Einstellung die Identifikation, gerade weil er zu perfekt die Perspektive des Kameramanns nachahmt und seine Hand sichtbar macht. Die Kamera schwenkt dann zur Seite an einem Monitor vorbei zu einem nächsten, der einen Reporter zeigt, der sich für die Sendung bereitmacht. Auf diesem Monitor erscheint dann auch der Held und sagt mit gestellter Überraschung: »Ich bin im Fernsehen. Ich bin im Fernsehen.« (Abb. 1.7) Der erste und der letzte Satz des Helden beziehen sich also auf seine Präsenz im Fernsehen. Nachdem er »Ich bin Rickie.« gesagt hat, schwenkt die Kamera nochmals zur Seite und ein wenig nach oben und enthüllt, dass die Stimme nicht vom Monitor herrührte, sondern dass wir uns - natürlich nur diegetisch - im seihen Raum wie Rickie befinden (Abb. 1.8). Dieser Effekt wiederholt in gewisser Weise den ersten Effekt und das, obwohl bzw. gerade weil wir diesmal wissen, dass es sich um ein Monitorbild handelt. Diese beiden Szenen warnen den Zuschauer 65 Vgl. Bellour (2000 : 193): »Ciassical cinema (especially classical American cinema) depends heavily on such >rhyming< effects.« 66 Vgl. Casetti (1995: 120): »in terms ofthe medium itself, in cinema, looking at the camera is prohibited, in television this is not usually the case.« 61
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davor, eine Repräsentation einfach als gegeben hinzunehmen. Wir sollen immer bereit sein, der gegebenen Situation einen weiteren Rahmen hinzuzufügen, um die bis dahin angenommenen Gewissheiten oder geltenden Regeln außer Kraft zu setzen. Außerdem wird auf die enorm wichtige Rolle, die die Kamera in diesem Film spielen wird, verwiesen.
Abb. 1.7, 1.8 Im weiteren Verlauffolgt die Kamera in einer atemberaubenden Kamerafahrt dem Helden, wie er sich durch das Labyrinth des Gebäudes seinen Weg bahnt, bis an den Boxring. Nach 2.45 Minuten erscheint übrigens der Regie-Titel, der Held befindet sich dabei telefonierend auf seinem Weg und spricht in sein Handy: »Überraschung!« Der Vorspann ist damit beendet. Überraschend ist, dass das Spiel mit der Plansequenz aber weitergeht. Als Rick am Boxring, der ebenso wie die Leinwand ein Aufmerksamkeit fokussierendes Quadrat ist, ankommt, sagt er: »Da ist er.« Ein Reißschwenk offenbart Gary Sinise. Solche Kamerabewegungen, die einem Blick folgen, gibt es noch mehrere in dieser Plansequenz. Immer wieder kehrt die Kamera jedoch zu Rick zurück. Während der Unterhaltung von Rick und Gary Sinise kommt es zu einem Wortwechsel zwischen den beiden, der Ricks Untreue gegenüber seiner Frau betrifft: G.S.: »Wenn sie die Regeln kennen würde, könnte sie vielleicht auch das Spiel spielen.« Rick: »Nein, wenn Angela alle Regeln kennen würde, gäbe es kein Spiel mehr. Regel Nummer eins: Angela darf nicht alle Regeln kennen.« Dieser Satz kann leicht als ein metadiskursives Statement gelesen werden. Der Zuschauer darf nicht alles wissen, sonst gibt es keine Spannung. Oder eine Ebene weiter: Der Zuschauer darf nicht alles wissen, sonst gibt es keine Fiktion. 67
67 Vgl. Dayan (1976: 447): »The message must appear tobe complete in itself, coherent and readable entirely on its own terms. In order to do this, the filmic message must account within itself for those elements of the code which it seeks to hide - changes of shot and, above all, what lies behind these changes, the questions >Who is viewing this? < and >Who is ordering these images?< and >For what purpose are they doing so?< In this way, the viewer's attention will be restricted to the message itself and the codes will not be noticed.«
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Wichtig - für meine Analyse wie für den Verlauf des Films, da deshalb Gary Sinise seinen Platz vor dem Verteidigungsminister verlässt ist das Auftauchen einer rothaarigen Frau in einem roten Kleid. Die Kamera fokussiert sie - nachdem sie vorher schon einmal kurz durch das Bild gelaufen war -, indem sie dem Blick von Gary Sinise folgt. Er bringt uns auf ihre Fährte, die sich als falsche Fährte herausstellen wird. Sie ist eine Art Köder, ein »red herring«, den der Zuschauer mehrfach zu schlucken hat. Sie ist zunächst einmal das Alibi für den Bösewicht. Dieses Alibi wird uns als subjektiver Flashback des Bösewichts präsentiert. Als der Attentäter schießt, bricht sich das Licht im Ring der roten Frau (Abb. 1.9). Dieser Flashback wird sich ähnlich wie bei Hitchcocks STAGE FRIGHT (USA 1950) als getürkt herausstellen. Eigentlich ist es ganz leicht, eine Lüge im Flashback zu erzählen. Gerade deswegen ist es ein Tabu. »lt [the flashhack in Stage Fright] creates a situation in which, to restore the integrity ofthe film's storyline, we must discount the evidence of our own eyes, and in doing so it calls into question the supremacy of vision as the most reliable of our senses« (Sutcliffe 2000: XIII). Wir müssen das, was wir gesehen haben, als nicht »wirklich« abtun. Aber - und das geht noch tiefer - wir müssen uns eingestehen, dass wir an dieser Lüge mitgearbeitet haben. Wir stoßen damit auf unseren Willen zur Suspension unseres Unglaubens, die Voraussetzung für Suspense und Fiktion im Allgemeinen. 68 Der Yerleugnung entspricht auf der Ebene der Diegese die Leugnung, das Nicht-Wissen-Wollen des Helden, dass sein Schulfreund der Bösewicht ist. Die Leugnung auf der Ebene des Signifikats spiegelt die Leugnung des Signifikanten.69 Die Plansequenz endet nach 12.45 Minuten - wie soll es anders sein - mit einem Schnitt. Als intertextuelle Referenzen, die diese Sequenz spiegelt, wären die berühmte Plansequenze am Anfang von TOUCH OF EVIL (USA 1958, Orson Welles) und die in THE PLAYER (USA 1992, Robert Altman), die explizit auf jene verweist, zu nennen. Unterscheiden
68 Vgl. Metz (2000: 66): »Jeder Zuschauer wird lautstark protestieren, dass er >nicht daran glaubtdaran glaubtabwesende< Arbeit des Signifikanten aus, sondern durch seine Anwesenheit in der Form der Verneinung, und bekanntlich ist diese Art der Anwesenheit eine der stärksten überhaupt« (Metz 2000: 43).
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kann man beide in der Motivation der Blickführung. 70 Bei Welles ist diese gesichert durch die Frage, wann die Bombe explodiert. Das Ticken der Bombe auf der Tonspur gibt den Takt fUr den Blick vor. Bei Altman gibt es eine solche Motivation nicht, die Blickführung erscheint gewaltsam. Die Motivation der Sequenz ergibt sich vielmehr aus der Referenz von THE PLA YER auf TOUCH OF EVIL. Der Film stellt sein Wissen um die Codierung seiner Darstellungsmittel aus: 71 »Altman's scene creates a complicity between the audiences who recognize its origin and a director whose relationship with Hollywood might also be read as a reprise of Welles' s brilliant failure. So the scene offers a kind of self-contradicting statement- >They don ' t make them like this any more (but manifestly I can)< - which alerts you to the self-contradicting statement - >Hollywood is now incapable of making intelligent entertainments (and here' s one that proves it)motivieren< undjeweils eine so >ideale< Perspektive auf das Geschehen wählen, dass das Gezeigte keine Wünsche offenlässt.« 71 Und ist somit post-klassisch im Sinne von Elsaesser/Buckland (2002), deren Konzept ich in der Einleitung diskutiert habe.
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»King«, das der Held in der Anfangssequenz äußert: »Ich bin der King.« Ebenso wird das Wort »Licht« aufgenommen, das der Held in der letzten Einstellung äußert, als er die Geschichte der Stadt Atlantic City erzählt. Früher hätten Piraten falsche Lichtsignale an der Küste platziert, um die Schiffe auf Grund laufen zu lassen. Sein Kommentar: »Seit damals hat sich eigentlich nur eins geändert, das Licht ist etwas heller.« Es gehört nicht viel dazu, dieses »Licht« als das Projektionslicht des Kinos zu lesen. In der Verbindung von »King« und »Licht« kommentiert der Film sein Blickregime und das des Kinos im Allgemeinen. Dieser Kommentar begleitet eine Kamerafahrt. Immer dichter rücken wir an die Arbeiter heran. Schließlich sind wir ganz nah an der Hand eines Arbeiters, die einen Betonpfeiler zu stützen scheint. Tatsächlich verbirgt die Hand einen einbetonierten roten Edelstein. Dieser wird sichtbar, als die Hand sich zurückzieht. Der Stein gehört zu einem Ring an der Hand einer anderen Person, der rothaarigen Frau im roten Kleid. Er verweist metonymisch auf die Frau, die die Täuschung verkörpert. Sie ist vom Bösewicht, nachdem sie sich als Risiko entpuppt hatte und sein Plan aufgedeckt zu werden droht, ermordet und in diesem Pfeiler einbetoniert worden. Metafilmisch verweist dieses Bild auf die Intrige und unsere Komplizenschaft in der Leugnung des Signifikanten. Das Licht bricht sich im Edelstein und wird reflektiert. Der Stein ist eine Art Prisma, durch den das Licht des Films gebrochen und zurückgeworfen wird. Auf dieser Einstellung steht: The End (Abb. 1.1 0).
Abb. 1.9, 1.10 Der Film ist hiermit inhaltlich und formal geschlossen.72 Aber hat die Narration diesem Bild entgegengearbeitet, wie Neupert sich das vorstellt? »A weil constructed Closed Text builds toward an ending whose
72 Horrorfilme inszenieren ihr Ende häufig, indem sie den tatsächlichen Abschluss ihrer Geschichte in Zweifel ziehen, was sich auch grafisch durch ein Fragezeichen hinter der »The End«-Markierung manifestieren kann wie in VOODOO WOMAN (USA 1957, Edward L. Cahn) oder das »The End« verwandelt sich in ein Fragezeichen wie in THE BLOB (USA 1958, Irvin S. Yeaworth jr.). Das heißt die formale Schließung betont die Offenheit dieser Geschichten.
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resolution and closure covers the marks of production« (Neupert 1995 : 73). Meine These wäre, dass dieses Bild zur Relektüre aufruft. Moinereau diskutiert in ihrem Aufsatz zum Nachspann verschiedene Strategien des Abschiednehmens vom Film. Sie zitiert verschiedene Beispiele, die durch das Zeigen von Bildern - im Gegensatz zum schlichten Rolltitel 73 - während des Abspanns eine Art Trauerarbeit an der verlorenen imaginären Bindung leisten. In SNAKE EYES geht es im Gegensatz dazu nicht um das Hinauszögern des Bruchs mit der diegetischen Welt. Die Bauarbeiter führen die Arbeit an der Konstruktion und deren Verschleierung vor. Dem Zuschauer wird bis zum »The End«-Titel etwas vorenthalten. In dem Moment, wo der Stein enthüllt wird, ist der Film zu Ende. Es gibt keinen Anschluss an dieses Bild außer einer Relektüre, die sich der Struktur des Films widmet. Einer solchen Relektüre steht eigentlich nichts im Wege. 74 Außer vielleicht eine Konzeption von Film, die sich allzu sehr auf die Arbeit des Zuschauers bei der Bildung von Hypothesen über den Verlauf der Story beschränkt. 75 »Das Verlassen des Kinos ist ein wenig wie das Aufstehen : nicht immer leicht (außer der Film war wirklich belanglos)« (Metz 2000: 92). »Na los. Hoch mit Euch!«
73 Vgl. Moinereau (2003: 179): »Das Band wird also deutlicher durchschnitten, wenn die Bilder einem schlichten Defilee der Namen Platz machen, das zugleich das Ende der Erzählung signalisiert, die diegetische Illusion zerstört und das Ende des Films anzeigt.« 74 Ygl. Yinzenz Hediger, der im Kontext der Veränderung von Kinotrailem, die seit den 70er Jahren im Gegensatz zum vorher herrschenden »Rätselplot« Storyinformationen preisgeben, darauf hingewiesen hat, dass es nicht unüblich ist, einen Film mehrmals zu sehen: »Der Heimvideoboom der frühen Achtziger ließ schließlich keinen Zweifel mehr daran, dass Filme nicht mehr Produkte für den einmaligen Konsum waren. Findet ein Film sein Publikum, so wird dieses auch bereit sein, den gleichen Film mehrmals zu sehen.« (Hediger 2001: 208). 75 Auf die ideologische Komponente dieses Rezeptionsmodus hat Barthes (1976: 20) hingewiesen: »Eine wiederholte Lektüre - eine Operation, die den kommerziellen und ideologischen Gewohnheiten unserer Gesellschaft zuwiderläuft«. Ygl. auch Barthes (2006: 380): »Es gibt jedoch eine andere Weise, ins Kino zu gehen (anders als mit dem Diskurs der Gegenideologie gewappnet); indem man sich zweimal faszinieren läßt, vom Bild und von seinen Rändern«.
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»So ifyou can balance those ideas in a way that is pleasing to the eye, then you got a logo.«
Die Hälfte des Frames zeigt eine blaue Fläche, die sich im Vergleich mit der anderen Hälfte, die einen Sternenhimmel oder vielmehr einen Ausschnitt des Weltalls birgt, als Teil des blauen Planeten entpuppt. In der Mitte geht gerade die Sonne unter - die Verdunkelung des Kinosaals wiederholend und damit gleichzeitig darauf verweisend, dass hier ein anderes Licht an ihre Stelle gesetzt wird - bzw. sie verschwindet hinter der Erdkugel. An diesem Punkt kommt eine dreidimensionale Schrift auf uns zu - entgegen der Drehrichtung der Erde, aber auf einem Rundkurs um den Planeten. Wir sehen zunächst nur die Rückseite, die vom Sonnenlicht noch angestrahlt spiegelbildlich lesbar wird: »Universal«. Die Kamera fährt zurück, um die Schrift von der richtigen Seite aus abzulichten - eine virtuelle Kamerafahrt im Auge des Betrachters, da es sich natürlich um eine Trickaufnahme handelt. Die Vorderseite der Schrift ist goldfarben und wird von der Sonne angestrahlt, die vom Betrachter unbemerkt in dessen Rücken gewandert ist und so als Projektionslicht bzw. profilmisch als Scheinwerfer die Szene erhellt. 1 Die Kamera fährt so weit zurück, bis der Globus im Bild zentriert ist. Die Schrift bleibt - ebenfalls zentriert - stehen. Das ® taucht - gleichzeitig mit der Fußzeile »AN MCA COMPANY« - am Fuß des BuchstabensLaufund klärt uns darüber auf, dass wir es mit einem eingetragenen Warenzeichen zu tun haben. Auf der Tonspur sind währenddessen Regen und Donner zu hören. Man rätselt noch, welches Bild diesem Ton zugeordnet werden wird, da »[A] space is established with no >behind< (it is important that the Lumiere brothers should set the screen as they do in the Grand Cafe and not with the audience on either side of a translucent screen, that the cinema architecture should take its form in consequence, that there should be no feeling of machinery to the side of or beyond the screen, that the screen should be one of the most stable elements in cinema' s history), a pure expanse that can be invested with depth« (Heath 1981 : 37 f.).
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- Amerika ist jetzt in der Bildmitte zentriert- geschieht etwas Merkwürdiges. Die Erde erstarrt, d.h. sie hört auf sich zu drehen, dafür gerät alles andere in Fluss. Weltall und Schrift sind plötzlich wie eine Spiegelung auf bewegtem Wasser - nein, nicht ganz, denn die Schrift ist nicht spiegelverkehrt2 Mit dem Wellenschlag verformt sich das Bild (Abb. 2.1). Die Verwunderung, die sich beim Betrachter einstellt, rührt daher, dass er dieses Bild kennt. Während wir vorher das Logo als solches kaum wahmahmen,3 sind wir nun gezwungen, das Vorhergehende neu zu sehen. Das Logo ist markiert worden. Gleichzeitig ist der Standort des Betrachters unsicher geworden. Unter der Hand ist die Projektion des Logos um mindestens eine Stufe verrückt worden. Ein zweiter Apparat ist hinzugetreten, der nun das Logo auf einen Spiegel und von dort auf eine Wasseroberfläche projiziert, während die aufnehmende Kamera dieses Schauspiel aufzeichnet. Dadurch ist die vorgestellte Unmittelbarkeit unterbrochen. Doch illusionszerstörend wirkt diese Szene nicht wirklich, da sie dem Logo eine neue Dimension verleiht und uns wie durch einen Strudel in den Film hineinzieht. Der Ton hatte diese Metamorphose ja auf gewisse Weise motiviert. Es ist ein wenig so, als ob wir von dem Logo träumen, denntrotzder Verfremdung ist eine Kontinuität erhalten geblieben - wir haben keinen Schnitt wahrgenommen -, die an die Logik von Träumen erinnert. Nach 22 Sekunden ist der Spuk vorbei. Schnitt.
Abb.2.1
2 3
Vgl. Jordan (1966) zur Produktion solcher Bilder. »Auf den ersten Blick scheint es unfassbar, dass das Eröffnungsbild eines jeden amerikanischen Spielfilms, das doch gerade durch seine schiere Größe, seine Fanfare und die Anomalie seiner Figuren unsere Aufmerksamkeit wecken soll, so oft übersehen wird.« (Levaco/Glass 2006: 137).
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WASSERZEICHEN
Medium und Paratext Das Genette'sche Konzept des Paratextes hat einen durchaus medientheoretischen Aspekt: »Die allgemeine Geschichte des Paratextes folgt vermutlich den Etappen einer technologischen Entwicklung, die ihm ihre Möglichkeiten und Gelegenheiten liefert, jenen Phänomenen des Gleitens, der Substitution, der Kompensation und der Innovation, die im Laufe der Jahrhunderte den Fortbestand und in gewissem Maß den Fortschritt seiner Wirksamkeit ermöglicht haben« (Genette 1989: 20). Die »technologische Entwicklung« ermöglicht ein »Gleiten« des Paratextes, das eine Bedingung der Möglichkeit seiner »Wirksamkeit« ist. Der Paratext ändert sich, während der Text sich immer gleich bleibt.4 Wenn zu diesem Text der Paratext hinzutritt, wird er zum Buch. >Buch< bedeutet Kommunikation in Abwesenheit des Senders: also Massenkommunikation, des Weiteren konsumierbares Objekt, Ware. Wichtig ist für Genette, dass auf dem Weg vom nackten Text, der als reine Autorstimme gedacht ist, zum Buch diese Stimme nicht an Autorität verliert. Für Genette zählt der Paratext nur, wenn er sich unterordnet, wenn das Buch an die Stimme des Autors zurückgebunden bleibt. »Das hauptsächliche Anliegen des Paratextes, welche ästhetische Absicht auch immer hinzutreten mag, besteht nicht darin, im Umfeld des Textes >hübsch zu wirkenauf gleicher Höhe< bleiben können« (Genette 1989: 388f.). Der Paratext schleust den Leser in den Text, etabliert den Kanal zwischen Sender und Empfänger. Falls der Leser nicht auf der Höhe ist, hilft der Paratext »Der flexiblere, wendigere, immer überleitende, weil transitive Paratext ist gewissermaßen ein Instrument der Anpassung« (Genette 1989: 389). Genette versucht durchgängig, die verschiedenen Ver-
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Vgl. Genette (1989: 389): »Der Text ist unwandelbar und als solcher außerstande, sich an die Veränderungen seines Publikums in Raum und Zeit anzupassen.« Jacques Derrida (1992:69) formuliert das folgendermaßen: »Das Buch ist unterschieden von der sinnlichen Mannigfaltigkeit seiner Exemplare.« Die Idee des Buches sieht von der Materialität ab.
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fahren dieser Anpassung an eine Autorintention zurückzubinden. Die »Transitivität« des Paratextes ist eine solche, die ihr Objekt nicht verändert. Eine Rückwirkung auf den Text wird ausgeschlossen. Dabei ergibt sich immer wieder eine Schwierigkeit. Was tun, wenn der Paratext nicht dem Autor zuzurechnen ist? Eine Möglichkeit: Aussortieren. »Ich werde nicht auf den verlegerischen Epitext eingehen« (Genette 1989: 331). Dem verlegerischen Peritext ist dagegen ein eigenes Kapitel gewidmet. Kein Wunder, denn der verlegerische Peritext ist maßgeblich für die materielle Realisierung des Buches: »Der Satz, das heißt die Wahl der Schrift und des Satzspiegels, ist natürlich derjenige Vorgang, durch den ein Text die Gestalt eines Buches annimmt« (Genette 1989: 38). Typographie interessiert Genette nicht besonders, ihm genügt es, »bloß darauf [zu] verweisen, daß typographische Entscheidungen die Rolle eines indirekten Kommentars zum jeweiligen Text spielen können« (Genette 1989: 38). In diesem Sinne wäre der typographische Paratext vergleichbar mit bestimmten parasprachlichen Signalen wie der Intonation, die die mündliche Rede begleitend kommentieren. Der Grund für die marginale Behandlung der Typographie mag in der theoretischen Voreinstellung liegen, die das Ausufern des Paratextes einzudämmen sucht. »Der unbestimmte Charakter der Grenzen hindert den Paratext nicht daran, in seinem Zentrum ein eigenes und unanfechtbares Territorium zu besitzen [... ] Außerhalb davon wird man sich hüten, leichtfertig zu verkünden, daß >alles Paratext isterzählten Raummodalen< Raum sprechen, denn er wird durch die Art und Weise des (thematischen, perspektivischen etc.) Erzählens bestimmt. Im zweiten Fall ist ein bestimmter Raum vorgegeben, damit überhaupt das Erzählen stattfinden kann. Hier werde ich von einem >medialen< Raum sprechen, denn er bildet das Medium oder die materielle Bedingung des Erzählens in verschiedenen Modalitäten.« Der mediale Raum fur das Buch ist die weiße Seite Papier, für das Kino ist es die Leinwand. Der modale Raum ist zwar auf den medialen Raum angewiesen, nichtsdestotrotz herrscht ein Konfliktverhältnis. Der modale Raum, d.h. der erzählte Raum, das diegetische Universum des Films, neigt dazu, den medialen Raum hinter sich - bzw. vor sich - zu lassen.6 Der mediale Raum wird >»modalisiert< und tendentiell unsichtbar gemacht« (Paech 2000: 94). Wenn wir in die Diegese eintauchen, lassen wir die Leinwand hinter uns. Wenn wir die Leinwand als solche wahrnehmen, entfremden wir uns von der Diegese. »Es ist ein paradoxer Raum, der nie gleichzeitig als das eine und das andere wahrgenommen werden kann, sondern zwischen den beiden Ebenen oszilliert, es sei denn, er wird selbst zur >Szene< modaler Darstellung ihrer medialen Bedingungen« (Paech 2000: 95). Dann nämlich, wenn »der Film sich als Material und Produkt thematisiert« (Paech 2000: 95). Die Logo-Sequenz von CAPE FEAR (USA 1991, Martin Scorsese) tut genau das. Diesem »indirekten Kommentar« des verlegerischen Epitextes möchte ich in meiner Lektüre von CAPE FEAR folgen.
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Text in diesem Sinne schließt die Rückbindung an eine Autorfigur nicht aus, vgl. die filmischen Textanalysen in Bellour (2000), im Besonderen die Analysen der Hitchcockfilme und deren Inszenierung von Autorschaft. Darauf hat auch schon Etienne Souriau hingewiesen. Die Unterscheidung von Leinwand und erzähltem Raum ist Grundlage der Definition von >diegetische »Beide Räume sind streng voneinander geschieden. [... ] Der erstgenannte ist der >leinwandliche< [ecranique] Raum. Den anderen nennen wir >diegetisch< [diegetique]« (Souriau 1997: 144).
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Vorspann - Prolog- Entlassung in die Narration Ein Schwarzbild trennt den Vorspann vom Logo. Verbunden ist er durch die Tonspur, die weiterhin Wassergeräusche vorgibt. Mit einer Art Tusch der Filmmusik beginnt der Vorspann. Eine Wasseroberfläche wird sichtbar, gefilmt aus flachem Winkel. Die Oberfläche bewegt sich. Diffuses Dämmerlicht wird reflektiert. Kurz darauf, superimposed in weißer Schrift auf das Bild: AMBLIN ENTERTAINMENT in association with CAPRA FILMS and TRIBECA PRODUCTINS presents - Abblende des Titels, neuer Titel: A MARTIN SCORSESE PICTURE (Abb. 2.2). Die Großbuchstaben des Namens und der Firmennamen sind leicht nach rechts geneigt und ab der Mitte ein wenig nach rechts versetzt. 7 Dann wird der Credit ausgeblendet und eine Überblendung führt zu einem neuen Bild. Das Bild zeigt wiederum eine Wasseroberfläche, diesmal einen etwas kleineren Ausschnitt aus etwas steilerem Winkel. Ein großer Raubvogel nähert sich. Er scheint etwas greifen zu wollen, seine Flügel sind ausgebreitet. Doch es sieht nur so aus, als wenn er von der Wasseroberfläche reflektiert würde, denn seine Konturen bleiben durch die Bewegung des Wassers unberührt. Er befindet sich auf derselben Ebene wie die Schrift. Ist er deshalb weniger bedrohlich? Es handelt sich um eine Doppelbelichtung. Als er linksseitig aus dem Frame fast verschwunden ist, kommt der Titel für Robert de Niro. Kurz wischt noch einmal die Schwinge über den linken Bildrand, dann erscheint Nick Noltes Credit dieses kurze Wischen etabliert eine Verbindung zwischen den beiden. 8 Nach dem Titel für Jessica Lange verändert sich das reflektierte Licht, es wird dunkler; unmerklich ist zu einer neuen Einstellung geblendet worden. Darauf wird, vom Klang der Blechbläser begleitet, der Titel CAPE FEAR geblendet. Kurz darauf erscheint ein verzerrtes Auge in einer Doppelbelichtung. Schrift und Musik unterstützen die Angst bzw. die Bedrohung, die mit dem zitternden Auge konnotiert wird. 9 Im weiteren Verlauf des Vorspanns werden dann noch verzerrte Bilder eines Mundes, eines 7
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Sau! und Elaine Bass über ihre Arbeit: »The sequence was intended to give a very simple idea of dysfunction. We did this by cutting the letterforms in half horizontally and offsetting them. lt was a simple reinforeerneut of the implications of the live action« (Kirkham 1994: 18). Eine Verbindung, die Bowden (Nick Nolte) im Film mehrfach von sich weist, die Cady (Robert de Niro) aber immer wieder zu ziehen versucht. Das Auge ist ein beliebtes Motiv im Vorspann. Bass hat es u.a. in VERTIGO (USA 1958, Alfred Hitchcock) und SECONDS (USA 1966, John Frankenheimer), Maurice Binder für REPULSION (GB 1965, Roman Polanski) benutzt. »Wenn Sie eine Verletzung des Auges zeigen, erhalten Sie ein emotional stark aufgeladenes Bild, das den Zuschauer wie kaum ein anderes berührt und verstört« (Bass 1993: 417).
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Gesichts und der Silhouette eines Körpers in Doppelbelichtungen sichtbar. Der Vorspann endet, als sich ein Tropfen vom oberen Bildrand löst dabei aber nicht der Perspektive des Bildes gehorcht, eher wirkt er wie flach auf die Leinwand/das Wasser projiziert und dadurch auf einer Ebene mit der Schrift - und die Wasseroberfläche rot färbt. Darauf wird der Regie-Titel geblendet.
Abb. 2.2 Der Vorspann wiederholt die Figuren, die das Logo eingeführt hat. Man kann aber doch eine signifikante Verschiebung ausmachen. Das Wasser, das den Aufnahmen des Vorspanns unterlegt ist, hat sich von seiner Funktion als Leinwand gelöst bzw. die Leinwand hat sich in der Doppelbelichtung gespalten. 10 Wir können zwar ein abstraktes Lichtspiel auf dem Wasser beobachten, aber es gibt auch einen anderen Raum, der nicht direkt mit dem Wasser verbunden ist: Schrift, Adler, Auge und der Tropfen sind auf einer anderen Ebene angesiedelt. Das Wasser behält auf diese Weise die Konnotation als Leinwand - die Art der Inszenierung scheint wie ein Zurückgehen auf die Wortbedeutung von Film: eine ölige Schicht als Oberfläche auf einer Flüssigkeit - , löst sich aber schon davon in Richtung Diegese. In diesem Sinne kann das Wasser durchaus als Teil des CAPE FEAR-Gewässers gesehen werden, analog zu vielen anderen Titelsequenzen, die eine Art establishing shot vorgeben. Das Wasser wird so zum Symbol, das an verschiedenen Stellen des Textes auftauchen
10 »Wir können auch an die Doppelbelichtung denken, die im Prinzip zwei Leinwände miteinander verschmilzt. [...]So wird ein Gesicht zum Emblem einer gesamten Landschaft, die ihm ihrerseits etwas von ihrer unbelebten Erhabenheit verleiht. Die Doppelbelichtung ist demzufolge zugleich eine extreme Fortentwicklung von zweiten Leinwänden und deren Negation« (Metz 1997: 64).
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kann, scheinbar natürlich als Element der Diegese. 11 Aber es befördert gleichzeitig als Metapher einen metafilmischen Kommentar. Wenn Robert de Niro alias Max Cady am Schluss des Films im titelgebenden Fluss ertrinkt, so ist das sicher kein Zufall, sondern folgt einer vorgegebenen Struktur. Der Vorspann ist im Sinne Kuntzels ein Pool von Figuren, die im Verlauf des Films entstellt, verschoben werden. 12 Die Aufgabe der Diegese ist es, »das Tabularische des Anfangs als Vektor auszurichten« (Kuntzel 1999: 45). Das Tabularische sind natürlich auch die Namen der Beteiligten. Sie vernetzen den Film mit anderen Filmen, zeichnen intertextuelle Fluchtlinien. »Der bekannte Schauspieler (d.h., und dies betone ich, der von einem anderen Ort/Film her bekannte Schauspieler) wird in den Film das Echo der anderen Filme hineintragen, in denen er gespielt hat« (Metz 1997: 74). CAPE FEAR führt das auf besondere Weise noch einmal vor. Es geht mir hier nicht um das Casting der Stars de Niro oder Nolte, sondern um drei andere Schauspieler: Robert Mitchum, Gregory Peck und Martin Balsam. Diese Schauspieler sind auf besondere Weise gekennzeichnet, sie tragen ein ganz bestimmtes Echo in diesen Film herein. Das Auftauchen ihrer Namen im Vorspann und ihr Auftreten im weiteren Filmtext ist nicht zufällig. Es handelt sich um eine »gewollte Wiederkehr von Schauspielern« (Metz 1997: 82) 13 in einem ganz besonderen Sinn. CAPE FEAR ist nämlich das Remake des gleichnamigen Films von J. Lee Thompson aus dem Jahre 1962 und diese drei Darsteller haben auch im Original mitgespielt. Balsam spielt nun einen Richter, im Original war er der Polizist. Aufschlussreicher sind die Rollen von Peck und Mitchum. Peck war im Original Sam Bowden, jener Anwalt, der nun von Nolte dargestellt wird. Mitchum war Max Cady, der auf Rache an Bowden sinnt, weil dieser ihn durch eine Zeugenaussage für acht Jahre ins Gefängnis gebracht hat - in der neuen Fassung ist sein Groll durch die Tatsache motiviert, dass Bowden als sein Anwalt entlastendes Material zurückhielt. Im 9ler CAPE FEAR spielt Mitchum den Polizisten. Dieser steht II Restriktive Theorien der filmischen Metapher bestehen auf einer metonymischen Verbindung mit dem diegetischen Universum, vgl. Mitry (1997: 141): »But metaphor can be used only when it is part ofthe concrete reality which it is able to transcend through a special moment.« 12 Vgl. Kuntzel (1999: 40): »Der Vorspann, unbedeutend in der Reihenfolge des >pheno-texteFenstern< spart als die wirklichen Aquarien (gerade diese Zurückhaltung hat Anteil am skopischen Spiel). Auf der anderen Seite befinden sich übrigens ebenfalls Fische, deren Augen an der Glaswand kleben« (Metz 2000: 76f.). 15 Zu Spiegel und Leinwand bzw. Spiegelstadium und Kinodisposition vgl. Baudry (1994; 2003) und Metz (2000: 46): »Doch in einem wesentlichen Punkt unterscheidet er [der Film] sich vom ursprünglichen Spiegel. Obwohl sich wie in diesem alles spiegeln kann, gibt es etwas, das sich niemals darin spiegelt: der Körper des Zuschauers«. 16 Vgl. Baudry (1994: 1064): »Der Traum, sagt Freud, ist eine Projektion, und der Zusammenhang, in dem er den Terminus >Projektion< gebraucht, erinnert an den analytischen Gebrauch des Abwehrmechanismus - Vorstellungen und Affekte, die das Subjekt als seine eigenen anzuerkennen sich weigert, werden in die Außenwelt delegiert und ihr zugeordnet - und zugleich an einen offenkundig kinematographischen Gebrauch, da es sich ja um Bilder handelt, die als projizierte, wie etwas wahrgenommenes Reales von außen her auf das Subjekt zurückkommen.«
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und ein Stück der Nase sichtbar sind. Dieses Bild ist ein Negativbild, die Farbe hat es noch von dem Blutstropfen, der das Wasser rot färbte. 17 Kurz darauf wird die Farbe herausgenommen und das Bild wird lebendig, die Augen zwinkern und als die Figur zu sprechen beginnt, wird das Negativ- zum Positivbild 18 : »My reminiscence: I always thought that for such a lovely river the namewas mystifying, Cape Fear, and that the only thing to fear on those enchanted summer nights was that the magic would end and real life would come crashing in.« Während die Figur - man erkennt nun, dass es sich um einen Teenager handelt, später wird sich herausstellen, dass es Danielle Bowden, die Tochter des Anwalts, ist, an dem sich der Ex-Knackie Cady rächen will - spricht, fährt die Kamera zurück und ein Raum wird sichtbar, dessen hinteres Ende von einer Fensterfront abgeschlossen wird, an der prasselnder Regen herabläuft. Danielle blickt direkt in die Kamera, während sie uns anspricht. 19 Der Film delegiert seine Erzählung an eine Instanz in der Erzählung, die jedoch aus der Erzählhandlung herausgenommen ist. Der Prolog ist als Erinnerung (»My reminiscence«) gekennzeichnet, Danielle hat das Folgende zwar erlebt, ist aber nicht dieselbe wie die Danielle der Diegese. Außerdem ist die Szene stilistisch herausgehoben durch die Unbeweglichkeit der Darstellerin, ihren Blick in die Kamera und die Rauminszenierung. Das Wasser an den Fensterscheiben im Hintergrund nähert die Szene durch dieses metaphorische Moment dem Logo und dem Vorspann an. Der Film ordnet die paradigmatischen Elemente, die er in der
17 Elaine und Saul Bass: »Üur concept for the film was based on the notion of submerged emotions - the black potential of the psyche. The spine of the concept was water. The entire title consists of water and the water changes: it becomes more and more abstract until what you see are flickering reflections. The greens, golds and blues change and finally become red. The water becomes blood. lt is a powerful colour and we carried it over into Marty' s opening shot of Juliette Lewis' eyes. lt was a perfect piece of continuity flowing out of our use of distorted eyes under the reflections early in the title« (Kirkham 1994: 18). 18 Positiv - Negativ - Dispositiv: »So umfaßt der Basisapparat sowohl das Filmnegativ, die Kamera, die Entwicklung, die Montage in ihrem technischen Aspekt usw. als auch das Dispositiv der Projektion« (Baudry 1994: 1052).
19 Vgl. Casetti (1998: 23): »the gesture ofturning toward someone who then becomes a discernible target introduces a destination. Perhaps this applies only to the precise instant when the gaze into the camera is unleashed and not to any subsequent moment. Nevertheless, such an instant inevitably influences the parameters to the point of conditioning the development of the narration.«
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Logo-Sequenz vorgegeben hat, auf der syntagmatischen Ebene der Filmhandlung an.20 Danielles Rede verweist auf den Vorspann, genauer: den Titel. »I always thought that for such a lovely river the name was mystifying, Cape Fear.« Sie kommentiert den Namen eines Flusses und implizit den Titel des Films. Dabei gibt sie dem Titel eine Referenz, einen Ort im diegetischen Universum. Außerdem betont sie, dass die Gefahr besteht, dass das Reale eindringt in das Imaginäre (»those enchanted summer nights«) . Diesen Einbruch inszeniert der Film. Schnitt. Das nächste Bild zeigt Fotografien 21 , mit Tesafilm an einer Wand befestigt, auf denen man einen deutschen Soldaten mit Säbel und Schnurrbart erkennen kann, eine Heiligenfigur im Martyrium, von zwei Speeren durchbohrt, die sich im Oberkörper der Figur kreuzen, und einen hochdekorierten Offizier. Das main theme, das musikalische Thema, das der Vorspann vorgegeben hat, klingt düster, stark blechbläserlastig, bedrohlich. Die Kamera fahrt an der Wand weiter hinunter und andere Bilder werden sichtbar, verschiedene Fotografien, darunter Stalin, Comicfiguren, eine Zeichnung. Dann sieht man Buchrücken, unter anderem Nietzsches »Will to Power«. Bewegung kommt ins Bild. Ein weiterer Rücken taucht auf, trainierend sich auf und ab bewegend, muskulös und tätowiert: Man erkennt u.a. eine allegorische Darstellung: Eine Waagschale hängt an einem Kreuz, unter den Schalen steht links »truth« und rechts »justice«. Die Tätowierungen kennzeichnen ihn als Ort der Einschreibung,22 was im Kino soviel heißt wie Ort der Projektion. Die Kamera fährt zurück und gibt den Blick frei auf eine Gefängniszelle, die durch die Gitterstäbe hindurch gefilmt ist. Der Mann dreht sich und es ist Robert de Niro. Schlüsselklappem, die Tür geht auf. Eine Stimme aus dem Off: »O.k., Cady, this is the moment you've been waiting for.« Sich ein Hemd anziehend, verlässt Cady die Zelle, geht von einem Wärter begleitet eine Treppe im Gefangenentrakt hinunter, durchschreitet eine weitere Gittertür, die sofort wieder geschlossen wird. 20 Vgl. Kuntzel (1999: 39): »Es verbirgt sich kein latenter Text unter dem ma-
nifesten Text des Vorspanns; aber hinter ihm, in der globalen Syntagmatik, findet sich ein anderer manifester Text, in dem, in verschiedenen Formen in ausgedehnter Form - Elemente wiederaufgenommen werden, die zuvor auf lakonische Art, verkürzt (um mit Freud zu sprechen) - , verdichtet ins Spiel gebracht wurden.« Vgl. auch das analoge Konzept von Dayan (1983: 27-64). 21 »Die Präsenz des Photos - verschieden, diffus, zweideutig - hat damit den
Effekt, den Zuschauer (wenngleich auf minimale Weise) vom Bild abzulösen« (Bellour 1993 : 65). 22 In der Szene mit dem einseitigen Spiegel sagt Mitchum, der Polizist, als es zur Leibesvisitation kommt: »l don't know whether to Iook at him or read him.«
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Cadys Bewegung in der Zelle ist die erste Bewegung einer Figur im Film - Danielle hatte ihren Prolog nahezu unbewegt rezitiert. 23 Seine ersten Bewegungen sind noch Training, Vorbereitung auf das, was kommen wird. Dann wird er entlassen. Der erwartete, ersehnte Moment ist da. Match-Cut. Eine Tür wird aufgeschlossen. Die Kamera fahrt hoch: Cady in Freizeitkleidung, wie er die Haftanstalt verlässt. Schnitt. Totale der Gefangnisanlage: Cady entfernt sich vom Tor. Ein düsterer Himmel verheißt nichts Gutes. Cady geht auf die Kamera los. Er rennt sie um. Sein Gesicht füllt nahezu den ganzen Bildschirm. Dabei scheint sein Gesicht, flacher zu werden, umso näher er kommt. Es gehört nicht mehr zum Umfeld. Es sieht aus wie hineinmontiert oder auf die Fläche projiziert - es handelt sich um ein Matte Painting. Dieses filmtechnische Manöver nimmt dem Bild die Tiefe. Das Gesicht wird zur Fläche.Z 4 Schnitt. Totale einer großen Vorortvilla im SüdstaatenstiL Die vorherige Szene liegt noch wie ein Schatten auf dem Bild - eine spätere Szene wird die Frage aufwerfen, wie Cady in dieses Haus gekommen ist. Schnitt. Eine Frau steigt aus einem Wagen. Kleidung und Sprache zeichnen sie als mexikanisches Hausmädchen aus. Schnitt. Die Tochter des Hauses, die wir aus dem Prolog kennen, kommt ihr von der Haustür entgegen und wechselt ein paar Worte auf Spanisch mit ihr. Aus dem Off hören wir schon den Anfang der folgenden Unterhaltung der Tochter ihrer Mutter, die Grafikerin ist und ein Logo für ein Reiseunternehmen entwerfen soll: Mutter: »The idea is to resolve the tension. I need to find a motif that' s about [Schnitt. Eine zeichnende Frauenhand über einem Entwurf] movement. Not the most mindblowing concept for a travel agency. But, what the hack.« Danielle: »Like an arrow, may be.« Mutter: »Yeah, like an arrow. May be. You see, but then the other aspect is stability, a company that you can trust. So if you can balance those ideas in a way that is pleasing to the eye, then you got a logo.« Ein Motiv, das Bewegung und Stabilität ausbalanciert. Vielleicht ein sich drehender Globus? Mutter: »Not the most mindblowing concept for a travel agency.« Vielleicht aber für eine Filmgesellschaft?
23 »Die Bewegung gibt den Objekten eine >Körperlichkeit< und eine Autonomie, die ihrem unbeweglichen Bildnis versagt waren, sie ermöglicht es ihnen, sich als >Figuren< besser vor einem >Hintergrund< abzuheben; befreit von seinem Halt >substantialisiert< sich das Objekt« (Metz 1972c: 26). 24 »[A]nders als in der Malerei eben ist der filmische Raum gegen den Eingriff der Autoren weitgehend abgeschirmt; und zumindest dies läßt erahnen, daß der filmische Raum auch als ein Gefänguis sich entpuppen könnte« (Winkler 1992: 84). Die Manipulation des Raums fällt hier mit der Entlassung aus dem Gefängnis zusammen.
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Das Logo und der filmische Raum Nicole de Mourgues hat das Logo mit Bezug auf den Aufsatz von Ronald Levaco und Fred Glass »Quia ego nominor Leo« - folgendermaßen beschrieben: »[M]ais Je logo a aussi un autre statut. Il a avant tout une valeur demarcative. II fait fonction de tout premier sas dans !es sas plus vaste qu'est Je generique. II est Je premier maillon de Ia chaine qui lie Je film et Je spectateur« (de Mourgues 1994: 183)?5 Das Logo hat vor allem eine phatische Funktion. Wie der Paratext bei Genette schleust es den Zuschauer in den Film ein.26 Die Konditionierung hat begonnen. Dabei ist das Logo gerade durch seine Stabilität gekennzeichnet, die wiederum seine Wirkung verstärkt. Die Logos ändern sich über lange Zeit kaum. Ab und zu verpflichtet MGM einen neuen Löwen. Die Weltansicht der Universal wird den technischen Möglichkeiten angepasst - in den 90em verzichtet kaum ein Logo mehr auf aufwendige Kamerafahrten, die mit der Digitalisierung möglich werden. Die Funktion des Logos ist aber daran gekoppelt, dass man es wiedererkennt. Es bleibt über verschiedene Filme dasselbe Logo. Das gilt auch ftir seine Position. Das Logo hat einen stabilen Platz am Anfang - und teilweise auch noch am Ende des Films? 7 Das Logo hat als Trademark ursprünglich natürlich die Funktion Eigentum anzuzeigen. So fügt Thomas Edison 1897 mit Blick auf das amerikanische Eigentumsrecht seinen Filmen eine Tafel mit Titel, Firmennamen und Copyrighthinweis hinzu (vgl. Bordwell/Thompson/Staiger 1985 : 312). Durch das Auftauchen erster illegaler Raubkopien wird die Gestaltung der Firmentitel und Trademarks in den Folgejahren stark verfeinert. Die Firmen sollen wiedererkennbar sein. Ökonomie fördert, fordert, erzwingt geradezu Ästhetik. Es gibt eine, wenn auch kurzzeitige, Entwicklung, die die Trademarks in den Text des Films, ja sogar buchstäblich in die Szenerie, also in den diegetischen Raum, einbaut. Das begann um 1907, zunächst um Copyright-Gebühren zu sparen, denn schon die Verletzung von Trademarks war ein schwerwiegender Tatbestand und konnte so leicht nachgewiesen werden (vgl. Bowser 1990: 137ff.). 25 »Das Logo aber hat noch einen anderen Status. Es hat vor allem abgrenzenden Wert. Es fungiert als erste Schleuse in der großen Schleuse des generique. Es ist das erste Glied in der Kette, die den Film und den Zuschauer verbindet« (Übersetzung Patricia Kessler). 26 Für Genette fungiert, wie oben zitiert, der Paratext als eine »Art Schleuse«, »durch die sie [Zuschauer und Text] >auf gleicher Höhe< bleiben können« (Genette 1989: 388 f.). 27 Ich kenne nur einen Film, der sein Logo erst nach einer kurzen Pre-LogoSequenz, die einen Produzenten zeigt, der das Publikum adressiert, einsetzt, und das ist THE BELLBOY (USA 1960, Jerry Lewis) von Paramount
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Diese Logos wurden über das gesamte Set verteilt: »To prevent the piracy rampant in the early days of the industry, the production companies began to place their trademark on the sets of nearly every scene, on the walls of the set, or even on trees when the scene was shot outdoors« (Bowser 1990: 137). Wie andere Requisiten konnten sie aber von einer in die andere Produktion wandem.28 Dies war auch notwendig, da es nach Artikel 7 der Motion Pielure Patent Company ab 1909 notwendig wurde, jede neue Szene mit dem Logo zu versehen. Dieser Artikel wurde erst 1912 geändert, als festgelegt wurde, dass das Firmenlogo auf jedem Titel eines Positivs ausreicht. Aber auch danach wurde die Praxis nicht sofort aufgegeben, teilweise in die Zwischentitel verschoben: »The trademarks continued to be used to distinguish the film company even later than this, but producers began to place it on the intertitle instead of on the picture. Titles were not considered part of the illusion; therefore trademarks could be accepted on titles more easily than within images« (Bowser 1990: 139). Es gab diese kurze Episode, als die Logos den diegetischen Raum bevölkerten. Die Trennung ist seitdem, besonders seit dem Eliminieren der Zwischentitel mit dem aufkommenden Tonfilm, nur selten in Frage gestellt worden. Was aber passiert, wenn das Logo seine stabile Position aufgibt und die Schleusen sich wie in CAPE FEAR zum Film hin öffnen? Solche Logo-Spiele, die das Logo auf ähnliche Weise bearbeiten, gibt es schon lange.29 Gehäuft treten sie allerdings in den 1960er und dann in den 1990er Jahren auf. Paul Grainge (2004) hat diese Praktik als Reaktion auf veränderte Produktionsbedingungen gedeutet: »Iogos have become more pliable as studios have become more uncertain about their status in a consolidated media market that supports, yet threatens, their power. [...] Iogos can be read as an index of film ' s status within the changing dynamics of the entertainment economy, and as a significant dimension of Hollywood's enduring, if not interminable, brand history« (Grainge 2004: 362). Für die 60er Jahre heißt das, dass die Umstellung auf individualisierte Produkte sich auch im Logo-Design bzw. im Spiel von Logo und einzelnem Film niederschlägt. 3 Für die 90er ist das Event-
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28 »These trademarks were sometimes made of wood or meta) in order to be easily moved from scene to scene« (Bowser 1990: 13 7). 29 De Mourgues (1994: 188) nennt die Verfremdung des MGM-Logos in THE FEARLESS VAMPIREKILLERS (USA 1967, Roman Polanski). Typischerweise schreibt de Mourgues dieses Verfahren nicht dem Vorspanngestalter Andre Fran9ois, sondern dem Regisseur zu. 30 »Hollywood has long used the aesthetics of logo design for explicit cinematic ends. However, the graphic projection of studio Iogos really emerged when the studio system began to disintegrate and the notion of film style shifted from a studio-based to an individual context« (Grainge 2004: 355).
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WASSERZEICHEN Blockbuster-Kino kennzeichnend, das in einem unsicheren ökonomischen Umfeld diese Praktik wieder vermehrt aufnimmt: »By tailoring the form and appearance of Iogos for specific presentational ends, and by occasionally insinuating themselves into a film's (promotional) diegesis, Iogos have helped code the event status of the modern blockbuster while visibly asserting the industrial history and position of their corporate progenitors« (Grainge 2004: 360). 3 1 Einige Beispiele: 1995 wird das Universal-Logo auch in ein Wasserspiel verwandelt. Pittard Sullivan Fitzgerald lässt für den Kevin Reynolds-Film WATERWORLD die Polkappen des Universal-Globus abschmelzen und die Kontinente verschwinden und liefert damit schon die Vorgeschichte des Fantasy-Abenteuers (Abb. 2.3-2.5). Der ParamountBerg - in RAIDERS OFTHELOST ARK (USA 1981, Steven Spielberg) nach dem Logo als realer Filmberg auferstehend - ist in HARD RAIN (USA 1998, Mikael Salomon) einem Gewitter ausgesetzt, das ihn zu überfluten droht. 32 BATMAN RETURNS (USA 1992, Tim Burton, Vorspann: Robert Dawson) vesetzt das 20'h Century-Fox-Logo in ein Schneegestöber. Und CONSPIRACY THEOR Y (USA 1997, Richard Donner, Vorspann: Greenberg/Scbluter Inc.) zeigt ein Warner-Logo, das dann als Reklame auf einem Bus davonfahrt. Die Liste ließe sich verlängern.
Abb. 2.3, 2.4, 2.5 Aber noch einmal zurück zum Logo in seiner »Originalfassung« . Grainge liefert einen Überblick über die Entwicklung der Studio-Logos: »Across the majors, there are marked similarities in the evolutionary stages of logo branding. These include the successive development of classical design (experimenting with variations of image, colour, sound, perspective), the intro-
31 Nicht unerheblich ist auch der Einfluss digitaler Technologien: »Developments in computer-generated technology have provided a greater capacity for movement, zooming and narrative integration of Iogos« (Grainge 2004: 359). 32 Vgl. Grainge (2004: 354-360) zum Spiel mit dem Paramount-Logo in THE TEN COMMANDMENTS (USA 1956, Cecil B. DeMille), RAIDERS OF THE LOST ARK (USA 1981, Steven Spielberg) und STAR TREK: INSURRECTION (USA 1998, Jonathan Frakes).
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duction of Iogos that differentiate theatrical from television product, the move from pictorial to abstract symbols in the early period of media conglomeration, and the contemporary renaissance of classical design, enhanced by digital technologies« (Grainge 2004: 352) 3 3 Was ist nun aber die Funktion des Logos? Das Logo dient als Schleuse, als Schwelle, die uns den Eingang ins filmische Universum erleichtert. Ebenso erzählt es uns davon, wie die Studios gesehen werden wollen: »So werden wir über diese konventionelle Eingangsschwelle in die geschlossene Narration des Films getragen und akzeptieren ftir die Dauer dieser Erfahrung auch die mit dem Logo beginnende Weltsicht- wie sie den Filmen der großen Studios auferlegt wird - als unsere eigene. In diesem dualen narrativfunktionalen Prozess produziert das Logo unseren mentalen Übergang von der offenen Narration des alltäglichen bürgerlichen Lebens zur geschlossenen außergewöhnlichen Narration des Spielfilms« (Levaco/Glass 2006: 151). Welche Bilder werden daftir gewählt? Der Berg der Paramount steht für Stabilität, die darüber vorbeiziehenden Wolken geben dem Bild Bewegung. Das Wappen der Wamer Brothers ist ein Familienzeichen. Tradition wird dadurch aufgerufen, Familie als Stabilität, Kontinuität in der Zeit (= Bewegung) wahrend. Und Universal? Universal nimmt sich nichts weniger heraus, als die ganze Welt abzubilden. Die Universalsprache bildet das Universum ab bzw. in sich ein. 34 Universalsprache heißt Sprache ohne Code, mithin genau das, was das Hollywoodsystem produziert - oder zu produzieren vorgibt. Das klassische Hollywoodkino verleugnet seinen Code, seine Gemachtheit, indem es ganz auf die Geschichte setzt. 35 Der modale Raum verdeckt den medialen Raum. Die Perspektive - angefangen mit der des Logos - liefert eine Raumillusion, die uns von der Zweidimensionalität des Filmbildes ablenkt bzw. Tiefe auf die Leinwand projiziert. Hartmut Winkler weist auf die Funktion hin, die Logos bei der Artikulation des Raumes im Film besetzen:
33 Er konzediert allerdings, dass diese Entwicklung nicht unbedingt sequenziell ist und es je nach Kontext unterschiedliche Verwendungen gibt. 34 »As its source and authority (its very >authorGeschichte< leitet, die ihren diskursiven Träger pausenlos auslöscht und aus ihr (bestenfalls) ein schönes, abgeschlossenes Objekt macht, das man nur genießen kann, wenn man nichts davon weiß« (Metz 2000: 75f.).
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»Schon im Vorspann der verschiedenen Filmgesellschaften wird die Räumlichkeit des Filmbildes geradezu beschworen: Die im Leeren rotierende Weltkugel der >Universalreminiscence< im selben Stil verfassen. Ihr Thema: das Hausboot. 46 »The classical film from beginning to end is constantly repeating itself because it is resolving itself. This is why its beginning so often reflects its end in a final emphasis; in this, the film acknowledges that it is a result, inscribing the systematic condition of the course it follows by signing with a final tlourish the operation that constructs it throughout« (Bellour 2000: 193).
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our dreams. And me, I hardly dream about him anymore. Still, things won't ever be the way they were before he came. But that's alright. Because if you hang on to the past, you die a little every day. And for myself, I know I'd rather live. The End.« Während Danielle diese Worte spricht, fahrt die Kamera an sie heran, bis nur noch ein Ausschnitt ihres Gesichts, die Augen etwas über der Mittellinie des Bildes, zu sehen sind. Nach diesem gesprochenen »The End« wird der Film wieder zum Negativ. 47 Dazu setzen die schweren Blechbläser wieder ein. Das Bild wird eingefroren. 48 Als die Streicher einsetzen, wird es korrespondierend zum Prolog rot eingefarbt. Danach wird abgeblendet und es folgt der Abspann auf Schwarz, mit Musik, aber auch noch mit einem gurgelnden Wasserplätschern, das bis zum Schluss andauert, länger noch als die Musik. Die Effekte des Logos lassen sich bis hierhin verfolgen. Das Spiel mit dem Logo beruht auf einer genauen Lektüre seiner Funktion und des folgenden Films - CAPE FEAR bietet sich dafür an, da der Film als Remake selbst auf einer Lektüre beruht. Das Logo zeigt dabei nicht wirklich mehr als die Originalversion. Es wird markiert und dadurch einer Lektüre zugänglich. Der >indirekte Kommentar< ist kommentiert worden. Die Wirkung der Unbewusstheit wird lesbar. Dieses Nicht-Wissen war jedoch die Voraussetzung seiner Wirkung: »[D]as Parergon ist eine Form, deren traditionelle Bestimmung es ist, sich nicht abzuheben, sondern zu verschwinden, zu versinken, zu verblassen, in dem Augenblick zu zerfließen, wo es seine größte Energie entfaltet« (Derrida 1992: 82). Das Wasserspiel lässt das Logo im Wortsinne »zerfließen«, d.h. seine traditionelle Bestimmung wird negiert. Dadurch wird es frei für die Besetzung durch ein symbolisches Spiel, das sich im Film fortsetzen kann.
47 Ich erinnere an die im ersten Kapitel herausgearbeitete Paradoxie, die entsteht, wenn eine diegetische Figur sich diese Schlussgeste anmaßt. 48 V gl. Stewart (1999: 42): »Such a held frame does not really so much reduplicate the nature or effect of cinema as repudiate it, by stalling upon the cinema' s smallest unit.« Umschalten von Positiv- aufNegativfilm und der freeze frame sind nach Christen (2002: 85f.) formale Mittel flir den Abschluss der Erzählung.
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HANDARBEIT »Let' s call the type Iab.« David Mills zu William Sommerset in SE7EN »Ich habe jemanden gekannt der schrieb sich in 8 nehmen und Hoch8tung, einen ver8en, und er br8e anstatt er brachte. Ver9nen (falsch)« (Lichtenberg 1968 : 839).
Nachdem das New Line-Logo 1 verschwunden ist, bleibt das Bild für kurze Zeit schwarz und wir hören nur Geräusche: »You hear Seven before you see it. Briefly over the darkness there is a sound of traffic, of horns sounding at different registers, and of television talk programmes, probably news, the sound quality recognizable even while you cannot make out what is being said. Then the image fades up on Sommerset's kitchen. Similarly, the film ends with a fade to black with the sound of helicopter blades continuing over« (Dyer 1999: 50). Der Film rauscht los und hat sein Bild vergessen. Es wird ein bestimmter Sound präsentiert, der eher konnotiert als denotiert. Er schafft eine Atmosphäre, die die gehörten Stimmen nicht zu Wort kommen lässt, sie aber als Geräusch zulässt. Genauso funktioniert dann auch die Schrift im später folgenden Vorspann. Dieser noch nicht verortete Sound, 2 die Kakophonie der Großstadt, macht sich im dunklen Kinosaal breit. Für einen kurzen Augenblick ist die Großstadt ganz nah. Aber auch im weiteren Film bleibt die Grenze
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Dass New Line die Produktionsfirma dieses Films ist, ist in mehrfacher Hinsicht bedeutend. Nicht zuletzt für den Vorspann. So erinnert sich dessen Designer Kyle Cooper im Interview mit Rembert Hüser und Verena Mund (Videomitschnitt): »New Line would Iet us do things that wouldn' t have been allowed at another studio.« » [N]o definition of an >audio field< could be established to imitate the visual field, due to the difficulty in imagining what would have to be called an >out of field sound< (hors-champ sonore), which is an imperceptible sound and would seem to have tobe opposed to a perceptible sound - all ofwhich becomes quite meaningless« (Aumont/Bergala/Marie/Yernet 1992: 35).
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zwischen der Rezeptionssituation und dem fiktionalen Universum fließend, da der Film die Dunkelheit des Kinosaals in sich aufnimmt und somit die Grenzen der Leinwand unkenntlich macht: »The rigour and remorselessness of Seven's darkness serve not only to make it frightening, but are also redolent of the film's vision of the encroachment and profundity of sin. Seen in ideal conditions (a silver prine in a properly darkened auditorium), it should be impossible to discem the contours ofthe screen, the film's darkness reaching out to embrace us« (Dyer 1999: 64f.). Das folgende Bild von Sommersets Küche ist zwar klar und hell, aber es gibt keinen Aufschluss über die Herkunft der Geräusche. Sie scheinen irgendwie von draußen zu kommen. Wir sehen nur, wie Sommerset alias Morgan Freeman Ordnung macht. Er gießt Kaffee in die Spüle, bindet sich die Krawatte, zieht sein Sakko an - nicht ohne eine Fussel beseitigt zu haben - und steckt eine Reihe von Gegenständen ein, die fein säuberlich auf der Kommode aufgereiht sind: Polizeimarke, Stift, Messer und Brillenetui. Der Film inszeniert auf verschiedenen Ebenen den Einbruch von Rauschen in eine Struktur bzw. den Versuch diesem Rauschen mit einer Strukturierung zu begegnen. 4 Ich möchte im Folgenden einige Aspekte von »produktiven« Störungen rund um SE7EN (USA 1995, David Fincher) in den Blick nehmen. Ich nenne sie produktiv, weil sie erstens mit der Produktion zusammenhängen, und weil sie zweitens bestimmte Maßnahmen einleiten Rauschunterdrückungen quasi -, die die Struktur des Films betreffen. Um Störungen als solche zu erkennen, braucht man einen Rahmen. Auch die Geschichte liefert einen Rahmen, deshalb vorab eine kurze Inhaltsangabe: William Sommerset ist ein Großstadtcop und will in einer Woche in Pension gehen. David Mills (Brad Pitt) ist sein Nachfolger und neu in der Stadt. Gemeinsam untersuchen sie den Fall eines Serienmörders, der seine Opfer exemplarisch für jeweils eine der sieben Todsünden bestraft. Die Polizisten kommen dem Mörder aufgrund seiner Lesegewohnheiten
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»Um SE7EN seinen ganz spezifischen Look zu geben, wurde eine spezielle Entwicklung des Filmmaterials verwendet, bei der die Silberschicht nach der Entwicklung nicht abgewaschen wurde, sondern auf dem Filmmaterial verblieb« (Bender: 2000: 247). Vgl. auch Dyer (1999: 62) und Taubin (1996: 24): »Only a few hundred of the more than 2.500 prints in distribution are silver retention, which means that you may never see the film I am writing about.« Auch ein Paratext! »Der Lärmschauer, das kleine Zufallselement, transformiert ein System oder eine Ordnung in ein anderes System, eine andere Ordnung« (Serres 1981: 40). Taubin (1996: 23) über SE7EN: »Its director is an asthetician of rot and entropy.«
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auf die Spur, können ihn aber nicht fassen. Nach fünf Morden stellt sich der Killer. Er sagt, dass er nicht auf Unzurechnungsfahigkeit plädieren will, wenn ihn Sommerset und Mills zu den beiden letzten Opfern begleiten. Sie gehen auf den Handel ein und werden vom Killer in eine verlassene Gegend geführt. Ein Bote liefert ein Paket, das Sommerset öffnet und darin den Kopf von Mills Frau findet. Der Killer sagt Mills, dass er ihn um sein einfaches Leben beneide, sich deshalb der Todsünde schuldig gemacht habe. Mills tötet den Mörder im Zorn und besiegelt damit den Zyklus der sieben Todsünden.
Vorspann »Autorenschaft in Hollywood ist eine Funktion, die vom credit bestimmt wird und durch ihn gesichert wird und deren Krönung das silbrige Männchen Oscar ist. Sie ist mobil und divers. Die Kamera und ihr Blick sind nicht die einzige Möglichkeit, eine Autorenperspektive zu artikulieren. Erst die kalkulierte Vermengung von Gestaltungselementen aus unterschiedlicher medialer Herkunft, jedes mit einer relativen Autonomie, erzeugt die Spannung, aus der der Film lebt« (Grafe 2002: 146).
Der Film ist als Massenmedium nicht nur für viele Leute produziert, es müssen auch eine ganze Menge Leute zusammenarbeiten, um einen Film zu realisieren. 5 Eine Reihe von Zufallen haben das Zustandekommen des Films SE7EN begünstigt. So wird z.B. - rückblickend - die glückliche Fügung erzählt, wie das Ende des Films mit dem Kopf im Paket - und damit innerdiegetisch das Schema der Todsünden - trotz Widerständen erhalten geblieben ist: David Fineher wird zunächst einmal - angeblich falschlieherweise das Originaldrehbuch mit dem fatalen »head in the box«-Schluss zugeschickt. Die Beteiligten ziehen jedoch alle an einem Strang und eine »der irritierendsten niederschmetterndsten Schlussse-
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Vgl. Ruesch/Bateson (1987: 42): »A characteristic feature of these communications is the multiple and often indefinite character of the emitting agency. The comrnunications usually originate in an institution or administrative department, and by the time a speech or a play has been made public it has been worked upon by many persons. It is no Ionger a message from one individual to another, but is a message from many to many, and in the end so many people have participated that the process must be Iabeted a true >mass communication.«
Werk< eines anderen auszuzeichnen. Und der, der diese Sequenz entworfen hat, bleibt fast immer ungenannt. Gerade weil das so ist, lässt sich das Gesamtkunstwerk dann besser einer Person zuschreiben. 39 Wenn man sich den Vorspann genau ansieht, fallt etwas auf, was in dieser Hinsicht interessant ist. Nicht nur wird Kyle Cooper als Designer dieser Titelsequenz nicht genannt, es fehlt ebenso der Credit für Kevin Spacey alias John Doe, den Serienkiller. 40 Dazu passt, was Cooper über die Machart des Vorspanns sagt, im Besonderen über die verwackelten Einstellungen, die flimmernden Buchstaben, die Kratzer auf dem Filmmaterial (Abb. 3.53.7): »lt's like that because the guy was doing the opticals hirnself in his bathtub, John Doe. That' s the concept.« 41 Cooper und sein Team haben dafür am Set von Does Wohnung gedreht und sich enorme Mühe gemacht, alles handgemacht aussehen zu lassen. »Fincher then suggested that Findlay Bunting get an old camera and have to shoot all the credits so that they could waterfall and streak and be kind of handmade. We took a Codalith which is a film, a piece of film that's dark with the exception of where the credit is, that' s clear. You shine a light through the back ofthat and then while filming it: shake the Codalith, move the Codalith,
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taking the sung phrase from it; the significance is much more the recognizable sound of a group notoriously fascinated with Charles Manson and the controversial fact that the albumwas recorded in his house.« Die Platinum-Editionvon SE7EN (VCL 2001) ist wie ein Notizbuch John Does gestaltet. Dass Cooper flir Fineher so elegant unterschreiben kann, liegt u.a. daran, dass beide aus der Werbebranche kommen. Branchenüblich benutzen sie dort Typographie als Mittel der Strukturierung: »In seinen Spots setze Fineher oft das geschriebene Wort als ästhetisches Mittel ein. [.. .] Am Anfang war das Wort: Das gilt flir kaum einen anderen Film des letzten Jahrzehnts so sehr wie flir SE7EN« (Beier 2002: 102f.). Wieso? Spacey war zur Zeit der Produktion von SE7EN keinesfalls so prominent, dass man ihn bei einer Nennung im Vorspann im Film vermisst und somit als den nahezu unsichtbaren Killer identifiziert hätte. Spacey ist im Übrigen auch jemand, der enorm von SE7EN profitiert hat. Kyle Cooper im Interview mit Rembert Hüser und Verena Mund . Vgl. auch Coopers Aussagen auf der Platinum Edition von SE7EN. 107
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turn the camera off, take the film, open the gate, Iet light spill into the gate, through it out of focus, bang the camera. Any kind of experiment: move stuff, glass in front of the lens. Anything to distort the type. And then watch I 0000 feet oftype experiments identifying: Oh, that six frames Iook good.«42
Abb. 3.5, 3.6 Der Kunstgriff, den Vorspann auf diese Weise Doe zuzuschreiben, reduziert die Störung der Schrift und stellt die Unterscheidung von extradiegetischer und diegetischer Schrift in Frage. 43 Die Manipulation der Unterscheidung wird aber nicht - wie häufiger anzutreffen- auf der Darstellungsebene inszeniert. Dort sehen wir zwar die Hände von Doe mit verschiedenen Materialien hantieren, um seine Notizbücher herzustellen: Film, Fotos, Text, seine Handschrift etc. Doch das ist nur der übliche diegetische Hintergrund für die Credits. Hier wird jedoch das Filmmaterial selbst manipuliert und diese Manipulation dem Killer zugeschrieben. Diese Selbstreferenz verschiebt damit aber nicht nur die Grenze von Film und Vorspann. Der Killer ist nun »hinter« jedem Bild zu vermuten: »Doe in Seven seems invisible and potentially anywhere, he enters domestic spaces with ease, passes unnoticed through the city - a pervasive invisibility to which only these terrible cadavers are witness« (Dyer 1999: 59). Die Unsichtbarkeit des Killers im Film, das Fehlen des credits für Spacey, das Schälen der Finger, um Abdrücke zu vermeiden - alles um eine Spur zu verwischen, die Präsenz aber dafür allgegenwärtig zu machen. Auch sein Name steht für Anonymität. John Doe ist der amerikanische Manfred Mustermann. Er hat aber auch eine spezielle juristische Funktion, er steht für einen Kläger, der nicht genannt werden kann (vgl. Dyer 1999: 43). John Doe klagt die Dekadenz der Gesellschaft an, die Todsünden nicht einmal mehr wahrnimmt: »We see a deadly sin on every street comer, in every house, and we tolerate it« sagt John Doe auf der Fahrt im Polizeiwagen. Nicht zuletzt ist John Doe auch Filmge-
42 Cooper auf der eben genannten DVD. 43 Vgl. Cubitt (1999: 61): »But it is distinguishable from diegetic writing by the sense we have that on-screen writing is not just invisible to the characters in the story world: it occupies an entirely different universe.«
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schichte. MEET JOHN DOE (1941) von Frank Capra ist die Geschichte einer gefälschten Autorschaft.44
Abb. 3.7, 3.8 Ein Detail des Vorspanns möchte ich noch in den Blick nehmen: den Titel SE7EN (Abb. 3.8). Das typographische Spiel ist von wenigen Autoren kommentiert, geschweige denn analysiert worden. Ein Beispiel: »In der Ziffer 7 kann man allenfalls, wenn man sich sehr viel Mühe gibt, ein im Uhrzeigersinn um 160 Grad gedrehtes V erkennen, dessen rechter Schenkel außerdem verstümmelt ist« ( Sannwald 2002: 131 ). Ich würde die 7 aber gar nicht drehen, denn der diagonale Schenkel der 7 entspricht ziemlich genau dem rechten Schenkel des V. Insofern würde ich behaupten, dass die 7ERÄNDERUNG auch lesbar wäre, wenn das Wort nicht durch die Ziffer bezeichnet wäre. 45 Aber wenn dieses Prinzip angewendet wird, ist es einfach leichter: EINS, 2WEI, DR3I, VI4R, 5ÜN5, 6ECH6, 8CHT, etc. Designer können SE7EN deshalb auch mehr abgewinnen: »The replacement of the V with the numeral 7 creates an identity that exists seamlessly between word and image: Se7en« (Bellantoni/Woolman 1999: 38). Diese scheinbar bruchlose Einheit von Wort und Bild ist das Ziel. Die Ziffer 7 als Bild - oder genauer: Ideogramm - steht wie ein Vorspann als Teil für das Ganze, wobei die Zahl Sieben im Film auf mehreren Ebenen eine Rolle spielt: sieben Morde innerhalb von sieben Tagen. Der Rückgriff auf ein Ideogramm ist dabei keineswegs zufällig. Cooper nimmt damit auf ironische Weise den Rat seines Lehrers Paul Rand auf. Cooper: »But Paul Rand at Yale steered me away from writing my thesis on film titles, telling me instead to read Eisenstein« (Zappaterra 1997: 16). Cooper zitiert ein Stück Filmtheorie: Eisensteins ( 1979) Überlegungen zum Ideogramm und zur Montage. Der vergleicht dort die Verknüp44 Eine Joumalistin schreibt unter falschem Namen einen Leserbrief, der von einer gescheiterten Existenz handelt. Dieser sorgt fiir reichlich Publicity, so dass ein arbeitsloser Baseballprofi die Rolle übernehmen muss. 45 Hier ist die Frage, inwieweit das Zeichenexemplar dem Typus entsprechen muss. Vgl. Wehde (2000) zu dieser Terminologie und der Unentscheidbarkeit von fakultativen und essentiellen Merkmalen.
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fung japanischer Schriftzeichen mit der filmischen Montage. Coopers typographische Behandlung des Titels montiert Ideogramm und alphabetische Lettern zu einer komplexen Einheit. Die Montage des Titels zeitigt anagrammatische Effekte. Zunächst einmal verweigert sich der Titel einer phonologischen Lesart durch die Montage des Ideogramms und verweist somit auf die Ausdrucksmaterie. Wenn man das Ideogramm aus dem Titel löst, erhält man das Wort SEEN. Wenn man dann noch die Länge des Vokals kürzt, ergibt das SIN. Das Partizip Perfekt von SEE verweist dann auf die dem Medium inhärente Zeitlichkeit. Filme beruhen auf einer Trägheit des Auges, die uns die Bewegungsillusion gestattet, dies aber auf Kosten der Einzelbilder. 46 Auf ganz ähnliche Weise wird die Materialität des Mediums, d.h. die Buchstaben, auch beim Lesen unterdrückt: »Filmic frames flickeringly disappear into cinematic image rather as the fluctuations of alphabetic language congeal into units of meaning on the page, in each case awaiting normative reception at a Ievel other than the medium ' s material base« (Stewart: 1999: 2f.). In diesem Sinne lesen wir auch Film. Auf den Film angewendet bedeutet Anagrammatikalität, dem analogen Strom der Bilder etwas entgegenzusetzen, ihn zu stören: »The notion of anagrammaticality is perhaps most useful as a Counterpoint to analogicality. [...] To move from analogy to anagramm is to begin, at least, to move from logocentrism to writing« (Brunette/Wills 1989: 88). Der Vorspann von SE7EN reflektiert genau diese Tätigkeit. Die anagrammatische Lektüre des Titels führt aber noch weiter. 47 SEEN weist auf eine Stelle im Film. Sommerset und Mills sitzen nach dem Diner zusammen und sehen sich Fotos vom Tatort des Greed-Mords an, finden aber keinen Anhaltspunkt. Sommerset gibt eine Leseanweisung: »Let's take a fresh Iook at these. Even though the corpse is there, Iook through it. The trick is to find one item, one detail and focus on it until it has exhausted its possibility. We must have left another puzzle piece.« Da f»Type is like actors to me,< Cooper explains. >It takes on characteristics of its own. It becomes part of the whole living thing that the design wants to be. When I was younger, I used to pick a word from the dictionary and then try to design it so that I could make the word do what I meantkonkreten< Gegenstand besteht, der dem Eingriff des Forschers vorausgeht« (Metz 1973: 82). 13 Vgl. Genette (1989: 9): »Dieser Text [das literarische Werk] präsentiert sich jedoch selten nackt.« Fast wie eine Replik darauf lesen sich Derridas Äußerungen: »Man macht aus der Kunst im allgemeinen einen Gegenstand, an dem man angeblich einen inneren Sinn, das Invariante, und eine Vielzahl äußerer Variationen unterscheidet, durch die hindurch, gleichsam wie durch Schleier, man den wahren, vollen, ursprünglichen Sinn zu sehen oder wiederherzustellen versuchte: als einen einzigen, nackten« (Derrida 1992: 38). 14 Ygl. dazu die Diskussion von Derrida (1992: 80) und Brunette/Wills (1989: 103) in Kapitel I, S. 52f. 15 Das führt dann natürlich zu Problemen der Rekonstruktion dieser Filme. Vgl. Gamcarz (1992: 27).
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Diese Form der Variation lässt natürlich einige Fragen aufkommen. Handelt es sich noch um denselben Text? Welche Fassung ist das Original? Dieses Beispiel zeigt, dass es durchaus Filme gibt, deren Einheit sich als Konstruktion herausstellt. Wer nun meint, das wäre ein Einzelfall, der sei auf den folgenden Fall verwiesen: »lt is interesting to note that those first two Todd-AO productions were also photographed in 35mm anamorphic. Dual camera setups were used on both films [ÜKLAHOMA! (USA, Fred Zinnemann, 1955) und AROUND THE WORLD IN 80 DAYS (USA, Michael Anderson, 1956)]. This was done for two reasons. [... ] A 35mm print was necessary in order to show the film in those cities that had no Todd-AO house. Secondly, and most importantly, a suitable optical printer had not yet been constructed that could render a faultless 35mm anamorphic print from the original 65mm negative« (Carr/Hayes 1988: 168). Es handelt sich hier ebenso um zwei verschiedene Versionen. Die 70mmYersion dieser Filme wurde zunächst in den Kinos gezeigt, die aufToddAO umgerüstet hatten. Zu einem späteren Zeitpunkt (»second run«) wurden die 35mm-Versionen an die Kinos ohne Todd-AO-Apparatur geliefert. Hiermit sind wir wieder beim Breitwandfilm angekommen, dessen Geschichte und Verflechtung mit dem Fernsehen ich kurz darstellen möchte.
Widescreen vs. TV »By a strange coincidence, American currency is almost exactly the same shape as CinemaScope; both having an approximate ratio of width to height of2.35 to 1« (Belton 1992: 223). Die Geschichte des Breitwandfilms wird meistens damit begonnen, dass auf das Fernsehen hingewiesen wird. Das Kino, heißt es, musste sich gegen die Bedrohung zur Wehr setzen, die vom Fernsehen ausging. 16 Auch wenn andere Faktoren für die Krise Hollywoods Anfang der 50er Jahre angeführt werden - und es lassen sich eine Menge Faktoren aufzählen: Suburbanisierung, der einsetzende Baby-Boom, der das Geld für Küchengeräte, Automobile und Hausbau abzog, verändertes Freizeitverhal-
16 Vgl. flir einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Position Balio (1990a: 3): »Television is usually identified as the main culprit«.
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ten, das mit veränderten Arbeitsbedingungen wie kürzerer Arbeitszeit und bezahltem Urlaub zusammenhing und andere Formen der Entspannung zuließ. Der Hinweis auf das Fernsehen bleibt aber selten aus: »Economic factors can help explain the timing of the reintroduction of widescreen and Stereophonie systems. [... ] [B]etween 1950 and 1952, film production companies were feeling severe Iosses in earnings, partly due to the competition of television. Most producers believed that some novelty was needed to recapture the audience« (Bordwell/Staiger/ Thompson 1985: 359). 17 Den Anstoß für die Wiederbelebung des Breitwandfilms, der technisch schon seit geraumer Zeit machbar war, 18 gab u.a. der Erfolg eines unabhängigen Kino-Unternehmens mit Namen Cinerama. Cinerama erzählte allerdings nicht wie üblich Geschichten, sondern schlug allein durch das spektakuläre Format die Zuschauer in seinen Bann. 19 John Belton geht so weit zu sagen, dass der Erfolg von Cinerama für den Verfall des Academy-Formats verantwortlich ist: »lts [Cineramasafe action area.< Camera manufacturers began to produce viewfinders that indicated this area with a dotted line, and cinematographers began to protect their compositions for TV by keeping essential narrative and/or aesthetic elements within this frame-withina-frame« (Belton 1990: 206). Es ist vielleicht kein Zufall, dass Belton diese Entwicklung beklagt. Das Fernsehen wird ja gerne als das Andere des Kinos ist. Die Interferenz des Fernsehens korrumpiert die Ästhetik des Films. Der »frame-within-aframe« begrenzt die Ausdrucksmöglichkeiten. Ist aber Ästhetik oder Stil nicht immer ein Produkt der Einschränkung? »In the narrowest sens, I take style to be a film's systematic and significant use of techniques of the medium« (Bordwell 1997: 4). Das Medium bedingt die Möglichkeiten und ist damit eine Einschränkung. Was aber sind die »eigentlichen« Techniken? Wenn nun Kompositionen mit dem Fernsehen im Kopfkonzipiert werden, ist das eine Einschränkung, die dem Medium Film nicht angemessen ist? Oder ergibt sich dadurch ein subtilerer Begriff von Stil? Zunächst einmal sind diese Formen der Einschränkung schwer zu beobachten. Man muss zwei Versionen des Films miteinander vergleichen.30 Steve Neale (1998) hat dementsprechend verschiedene Filme im Hinblick auf ihre Widescreen-Komposition beobachtet. Kann man sehen, dass sie durch das andere Verwertungsfenster hindurch konzipiert sind? SPARTACUS scheint von dieser Einschränkung noch nicht betroffen zu sein. Das legen neben der oben beschriebenen Szene auch andere Einstellungen des Films nahe, so z.B. als der Ausbilder Martius Spartacus ein Schwert in die Hand gibt und ihn auffordert anzugreifen. Zunächst werden nur innerdiegetische Zuschauer der Szene abgeschnitten. Die beiden Protagonisten stehen noch nahe beieinander. Im weiteren Verlauf 30 Stilbeobachtungen sind immer auf Vergleiche angesiesen: »Questions of style arise when we consider films in relation to other films« (Salt 1992: 24).
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werden sie jedoch so weit an den Rändern des Filmbilds positioniert, dass es unmöglich wird, beide gleichzeitig mit dem jinder-frame einzufangen. Die Pan-and-Scan-Version muss schneiden. Neale datiert die Auswirkungen der »safe-action-area« recht vorsichtig und sieht eine neue Ästhetik erst im Laufe der 70er Jahre anbrechen.31 Er argumentiert im Besonderen im Rekurs auf zwei Filme: PA T ÜARRETT AND BILL Y THE KID (USA 1973, Sam Peckinpah) und CHINATOWN (USA 1974, Roman Polanski) . In beiden Filme identifiziert er Einstellungen, die die ganze Breite des Films ausnutzen. »Throughout Pat Garrett, the actions and behaviour of Pat (James Coburn) and Billy (Kris Kristofferson) are constantly witnessed by groups of people [... ]. These groups frequently gather, as it were, on the edges of the widescreen frame. In consequence their presence and their impact tend to be diminished when the film is panned and scanned« (Neale 1998: 134). Dies ist nicht wirklich überzeugend, da SPARTACUS ebensolche entbehrlichen Statisten verwendet. Auch in B!G COUNTRY (USA 1958, William Wyler) kann man immer wieder Szenen ausmachen, die ein solches innerdiegetisches Auditorium entwerfen. Das ist fur die Handlung des Films entscheidend, denn das Ethos des Helden legt ihm nahe, seinen Mut vor Publikum zu verbergen. Der Film kann schon wegen seines Entstehungsdatums nicht im Hinblick auf seine Fernsehauswertung konzipiert worden sein. Er wurde auch erst 1969 dem Pan-and-Scan-Verfahren unterworfen.32 Das legt nahe, dass Regisseure und Kameraleute erst dann wirklich aufmerksam wurden, als sie ihre eigenen Filme im Fernsehen sahen. Ob der vermehrte Einsatz eines innerdiegetischen Publikums in den 70ern eine Reaktion auf das Fernsehen ist oder ob das überhaupt der Fall ist, lässt sich daher nur schwer entscheiden. Eine andere Strategie, wie man mit dem »überflüssigen« Raum umgeht, hat Neale anhand von CH!NATOWN ausgemacht. Wenn der Raum nicht einfach ungenutzt brachliegen soll, so bietet es sich an, bestimmte Motive dort zu platzieren. CH!NATOWN baut immer wieder Wasser in verschiedensten Formen in die Bildkomposition ein, das in der Pan-andScan-Version verschwindet. Ähnlich verhält es sich auch bei BLADE RUNNER (USA 1982, Ridley Scott). »Here the edges of the widescreen film are frequently filled with images and objects relating to the film ' s concern with simulacra of one kind or another 31 »[M]y impression, based partly on the evidence of films like Patton, is that compositional practices began to change, not in the l960s, but during the course of the l970s - a period of initial recession, and of considerable aesthetic and industrial readjustment« (Neale 1998: 134). 32 Vgl. Belton (1992: 220) zum aufwändigen Verfahren, das flir den Film über ein halbes Jahr in Anspruch nahm.
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toys, models, mannequins, photographs and so on. Once again these images and objects often disappear when the film is panned and scanned; once again, though, the configurations in which the principal characters and their actions have been placed remain intact« (Neale 1998: 135). Der Bildraum außerhalb der safe-action-area wird auf diese Weise zu einer arabesken Randzone, die entbehrlich, aber nicht semantisch leer bleibt. Allerdings lässt sich ähnliches auch in Anthony Manns THE FALL OF THE ROMAN EMPIRE (USA 1963) nachweisen. Die Statue der Mutter von Lucilla verschwindet häufig in der Pan-and-Scan-Version. Obwohl die Mutter abgesehen von ihrer Darstellung als Statue im Film niemals auftritt, spielt sie doch eine strukturell entscheidende Rolle: Der Kaiser Mare Aurel ist nämlich nicht wirklich der Vater seines Nachfolgers Commodus. Die Statue ist insofern wichtig, um ihre Präsenz im Film zu etablieren. Neale weist aber noch auf weitere Formen der Bildkomposition hin. »lnstead of locating the characters at or near the centre of the widescreen frame, they are located at or near one of its edges. In addition, in crosscutting between set-ups of each of the characters in turn, one will usually be located on the extreme left-hand side ofthe frame and the other on the right« (Neale 1998: 135). Die dabei erreichte Asymmetrie, die beim Schuss/Gegenschuss einem Tennismatch ähnelt, geht in der Pan-andScan-Version verloren.33 Außerdem spricht er vom »the over-the-disposable-shoulder shot« (Neale 1998: 135). Ob diese Art des Kadrierens tatsächlich eine neue Bildstrategie ist, erscheint mir ebenfalls fraglich, da sie auch in zu vielen älteren Filmen schon Verwendung fand.34 Wie ist dieser Befund zu bewerten? Ein Beispiel: Martin Scorsese im Interview mit John Belton (1992 : 225): »I've been obsessed with 'Scope for years and would Iove to shoot everything in ' Scope, [...] but I realize that when it's shown on TV the power of the picture will be completely lost.« Belton argumentiert, dass Scorsese mit CAPE FEAR schließlich einen Film in Panavision gedreht hat, und dabei bei seiner Entscheidung wohl vom Erfolg von Letterbox-Versionenbeeinflusst worden ist. Allerdings gibt es auch eine Pan-and-Scan-Version dieses Films. Bei der Analyse des Films fand ich einige »the over-the-disposable-shoulder shots«. Haben nun Scorsese und sein Kameramann diese Einstellung genutzt, um das Bild zu schützen oder war es ganz unbewusst? Das ist extrem schwer zu beurteilen. Wie hängen die verschiedenen Techniken zu33 Vgl. im Gegensatz dazu die Version von SPARTACU S (Abb. 4.6 und 4.7 a und b), wo genau das Gegenteil eintritt. 34 Vgl. auch Bordweil (2006: 149): »The strictures of the safe area probably helped steer directors toward singles and over-the-shoulder framings«.
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sammen? Die Nutzung von Telephoto-Objektiven begünstigt z.B. einen schnelleren Schnittrhythmus, da nur ein Teil des Bilds tatsächlich scharf gestellt ist und das dem Zuschauer ein schnelles Scannen des Bildes im Hinblick auf relevante Informationen erlaubt. Das kann man wiederum beim Pannen und Scannen ausnutzen, ebenso die Schärfenverlagerung. 35 Verschiedene Techniken der Yisualisierung haben nach Bordell (2006: 151) auch an einem TV-Look von Filmen mitgewirkt: »In sum, videobased production tools may have reinforced filmmakers' inclination to emphasize single and closer views, which are more Iegihle in video displays all along the line.« Der Film wird auf verschiedene Weise schon während seiner Produktion gelesen. Unterschiedliche Techniken sind dabei behilflich, strukturieren aber auch das Ergebnis. Neale weist auf ein weiteres Verfahren hin, das für die Frage, was der Filmtext ist, besonders relevant erscheint. Einige Breitwandfilme wurden nicht durch eine anamorphotische Linse gefilmt. Zu Breitwandfilmen wurden sie, indem man bei der Projektion im Kino den oberen und unteren Rand des Bildes verdeckte. Gefilmt wurde also mehr, als dann im Kino gezeigt wurde. »Composing shots for VistaVision was thus in many ways comparable to composing shots for all subsequent nonanamorphic widescreen formats (all of which involve masking the top and the bottom of the frame ), and in some ways comparable to composing shots for anamorphic cinema projection and for subsequent television screenings« (Neale 1998: 139). Wenn diese Filme nun im Fernsehen gezeigt werden, ist mehr zu sehen als im Kino. Das kann überraschende Folgen haben: »The full-frame version of Bonnie and Clyde (1967) displays more of Faye Dunaway's nudity in the opening sequence than director Artbur Penn, who expected this nudity to be masked in projection, ever intended« (Belton 1992: 218). Wenn man die beiden Fassungen allerdings vergleicht, offenbart das »ganze« Bild, dass sie einen Schlüpfer trägt. Manchmal ist eben weniger mehr. Was heißt das für den filmischen Text? Man kann wohl kaum argumentieren, dass der Text nun vollständig ist, weil nun auch die abgedeckten Teile des Bildes sichtbar sind. Auf der anderen Seite lässt sich der Befund nicht einfach abtun mit dem Rekurs auf die Tatsache, dass es bei der Herstellung von Film durch den Schnitt immer zu einer Materialreduktion kommt. 36 35 Vgl. Bordweil (1997: 251, 257f. und 314): »Perhaps rapid panning movements of this sort adjust for the eventual >pan-and-scan< rereading of the widescreen image that will be executed when the film passes to the squarish video format.« 36 Auf DVDs kann man häufig Szenen anwählen, die in der ursprünglichen Kinoversion dem Schnitt zum Opfer gefallen sind. In diesem Sinne versammelt die DVD- hier einer Werkausgabe der Literatur vergleichbar- Mate-
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Viele Kameraleute sahen sich von Anfang an vor ein Problem gestellt, weil die Filmtheater teilweise stark hinsichtlich der Größe der Leinwand variierten. Belton überliefert dazu einen merkwürdigen Befund: »Harry Cohn initiated a policy of releasing Columbia' s 3-D films in both 3-D and 2-D versions and instructed his cinematographers, even when filming in CinemaScope, to compose widescreen shots so that theaters could project them in a variety of aspect ratios« (Belton 1992: 127). Die Kameraleute stellten sich beim Drehen im Breitwandformat also immer schon vor sollten, wie ihr Bild als Auschnitt aussähe. Dem entspricht, was Adam Duncan Harris zur Komposition von Vorspanntafeln schreibt: »Until the late 1960s, a title sequence was generally bright, lustrous, and screenfilling. The title also had to be centered and extended to the edges of the >safe lettering< zone« (Harris 2000: 87). Für die opulenten Breitwandfilme sollten auch opulente Titel hergestellt werden. Dabei sollte die Schrift, die entsprechend groß sein sollte, eine bestimmte Zone nicht überschreiten, die >»safe lettering< zone«. Diese Zone gab es, weil manche Kinos - so wie das Fernsehen auch - nicht das gesamte Bild präsentieren konnten. In dieser Hinsicht ist es also nicht nur die Pan-andScan-Version - und damit das Fernsehen -, die das Bild beschneidet, sondern es wird immer schon damit gerechnet. Die Pan-and-Scan-Versionen sind in gewisser Hinsicht Lektüren des Films, die dem Fernsehzuschauer angeboten werden.37 Dabei werden natürlich Entscheidungen getroffen, über das, was wesentlich bzw. entbehrlich ist: »And the original intentions of the director are, more often than not, reduced to the lowest common denominator of the pan-and-scan industry, whose codes and conventions tend to be fairly basic; scanners are primarily concerned with keeping whoever is speaking in frame and with trying to be as unobtrusive as possible« (Belton 1992: 220). Hier wird mit der Autorintention argumentiert, die de facto im Rahmen des Studiosystems leicht anderen, meist ökonomischen Interessen geopfert rial, das bei der Entstehung des Films eine Rolle spielte. Die angesprochenen »deleted scenes« beziehen sich aber fast durchgehend aufHandlungsaltemativen. Verschiedene Versionen derselben Szene werden so gut wie nie angeboten. 37 Vgl. dazu die kritische Haltung von Belton (1992 : 220): »In effect, pannedand-scanned versions of widescreen films constitute secondary rereadings of them, often by a sensibility that is completely different from that of the original filmmaker.« Weicht aber nichtjede Lektüre ab? Gerade die Abweichung kann dann wieder Originalität, d.h. Copyright bedeuten, so im Falle der Colorisierung von alten Schwarzweißfilmen: »[B]ecause the colors were so arbitrary and represent creative work on the part of the colorist, the U.S. Copyright Office is willing to issue a copyright for certain colorized films« (Lafferty 1990: 254). Das schürt enormen Appetit auf Colorisierung aufseiten der Networks.
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wurde. 38 Außerdem ist das Hollywoodsystem immer darauf aus gewesen, den Sprecher im Bild zu halten und gerade die Kontinuitätsmontage ist darauf angelegt, möglichst unauffallig zu funktionieren .39 Natürlich wird die Aktion fokussiert, denn Hollywood produziert eben Handlungsfilme.4o Und das ist in gewisser Hinsicht die Voraussetzung fur das Pan-andScan-Verfahren. Denn dieses Verfahren baut auf bestimmten Konventionen des Erzählkinos auf. So profitiert es von dem, was man o.ffscreen nennt. »Offscreen space, therefore, is fundamentally bound to onscreen space because it only exists in relation to onscreen space. The offscreen may be defined as the collection of elements (characters, settings, etc.) that, while not being included in the image itself, are nonetheless connected to that visible space in an imaginary fashion for the spectator« (Aumont/Bergala/Marie/Y emet 1992: 13). Die Rede vom o.ffscreen macht nur Sinn im Hinblick auf einen imaginären diegetischen Raum. 41 Dieser ungezeigte Raum kann jederzeit zum Bildraum werden - ob nun bestimmte Handreichungen die Bildgrenze überschreiten oder ob es Blicke sind, die einen Wechsel des Ausschnitts motivieren. Wenn ein Charakter ins Off blickt, öffnet er den Erzählraum. Das ist die Chance den Ausschnitt zu ändern. Eine Pan-and-Scan-Version von Cinerama-Spektakeln, die eben keine Handlungsfilme sind, kann man sich deshalb auch nur schwer vorstellen.
38 Einen Unterschied machen Filme, die von den Regisseuren auch produziert wurden, was in den 50er Jahren zunahm. Vgl. dazu Balio (1990b). 39 Vgl. Brinckmann (1997: 288): »Geschnitten wird nach der Logik des Geschehens, unaufdringlich funktional und daher transparent.« 40 Ein alternatives Modell ist das Starsystem, das sogar post mortem funktioniert, z.B. bei EAST OF EDEN: »The scanner's privileged selection of Dean here and in countless dialogue sequences which favor the actor elsewhere is, in part, a response to the subsequent importance that Dean and the cult that grew up around him after his death had in the rereading of his widescreen work for television audiences« (Belton 1992: 222). 41 Vgl. Belton (1992: 15): »[A]II this retlection upon film space (and the adjoining definitions of onscreen and offscreen) only make sense, after all, with regard to what we call the >narrative representational< cinema.«
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»Im heutigen Athen heißen die kommunalen Verkehrsmittel metaphorai. Um zur Arbeit zu fahren oder nach Hause zurückzukehren, nimmt man eine >Metaphermismatches< between shotswill be overlooked by a spectator« (Branigan 1992: 45)? Der Zuschauer konstruiert einen diegetischen Raum, 3 der möglichst homogen sein soll, d.h. aber auch, dass er mit einer bestimmten Erfahrung des gewöhnlichen Raums übereinstimmt. 4 Dieser - vorläufige und revidierbare - hypothetische Raum fußt auf bestimmten erkannten Merkmalen, lässt andere dabei aber unberücksichtigt. Der Zuschauer erkennt das gelernte Schema von Schuss/Gegenschuss und nimmt - obwohl logisch unmöglich wie bei den überkreuzten Beinen -, einen einheitlichen ZeitRaum wahr. Gestützt wird die Hypothese üblicherweise - und in diesem Fall ebenso - durch die Tonspur, die uns eine kontinuierliche Zeitfolge suggeriert. Der diegetische Raum ist also keinesfalls einfach nur »in den Bildern«, er ist im Kopf des Betrachters, der diesen Raum auch über den Rand der Filmbilder hinaus existieren lässt. 5
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Vgl. Branigan (1992: 34): »Causality on a screen will involve pattems of purely visual, phenomenal logic where, for example, one blob smashes into another but the resulting transformations in motion and color may not be analogous to the interaction of three-dimensional objects like billiard balls; the blobs may even >pass through< each other on the screen.« Vgl. Branigan (1992 : 83): »Comprehension proceeds by canceling and discarding data actually present, by revising and remaking what is given.« Vgl. Branigan (1992: 33): »Narrative in film rests on our ability to create a three-dimensional world out of a two-dimensional washoflight and dark.« Vgl. Bordweil (1989: 134): »In making referential meaning, the ordinary perceiver brings into play real-world assumptions about space, time, causality, identity, and so forth. [... ] The film's diegesis cannot be wholly other than the world we know.« »The diegetic world extends beyond what is seen in a given shot and beyond even what is seen in the entire film, for we do not imagine that a char-
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Die kognitivistische Filmtheorie bezeichnet den Raum, der vom Zuschauer auf diese Weise konstruiert wird, häufig als »cognitive map« . Der Begriff geht auf Arbeiten von Kevin Lynch (1965) sowie Roger Downs und David Stea (1982) zurück, die damit die kognitive Arbeit des Menschen bei der Raumorientierung beschreiben. Wichtig ist, dass dabei ein Handeln gemeint ist: »Vor allem aber bezieht sich kognitives Kartieren auf einen Handlungsprozess: Es ist eher eine Tätigkeit, die wir ausfuhren, als ein Objekt, das wir besitzen« (Downs/Steas 1982 : 23 ). Branigan benutzt den Begriff u.a., um die Arbeit des Zuschauers genau am Beispiel des Schuss/Gegenschuss-Schemas zu beschreiben: »Another way to think about the importance of a spatial reversal is to realize that it establishes an anchor line that allows us to move through nearby spaces by calculating new angles and distances and thereby build a cognitive map of the spaces« (Branigan 1992: 235) .6 Der Film gibt dem Zuschauer also nicht einfach Raum, sondern dieser muss ihn sich erarbeiten, indem er eine kognitive Karte konstruiert. Es gibt aber einen Unterschied zwischen der Bedeutung der kognitiven Karte im lebensweltlichen Kontext und im medialen Kontext. Denn die übliche kognitive Karte ist auf das Subjekt bezogen, das sie hergestellt hat. Rolf Nohr hat im Kontext seiner Arbeit zu Karten im Fernsehen darauf hingewiesen: »Die Funktionalität der kognitiven Karte besteht darin, eine strukturierte Gliederung der räumlichen Umwelt bereitzustellen und das beobachtende Subjekt darin zu verorten« (Nohr 2002: 213).7 Die kognitive Karte lässt sich nicht umstandslos verallgemeinern. Sie ist an das Subjekt gebunden, das sich orientiert und die Karte hergestellt hat. Es gibt jedoch bestimmte, kulturell geprägte Wertmuster, die die Arbeit an der kognitiven Karte bedingen und ihr einen intersubjektiven Index verleihen. Nicht zuletzt spielt die »reale« Kartographie hier auch eine determinierende Rolle. 8 Wie verortet sich der Zuschauer im fiktionalen Film, der ihn auf spezifische Weise ein- und ausschließt? Was mich im Folgenden interessiert, sind aber weniger kognitive Karten und ihre Rolle bei der Verortung des Zuschauers, sondern konkre-
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acter may only see and hear what we observe him or her seeing« (Branigan 1992: 35). Vgl. Bordweil (1985 : 117): »The spectator constructs intershot space on the basis of anticipation and memory, favoring cause-effect schemata and creating a >cognitive map< of the pertinent terrain.« Vgl. zu einer alternativen Konzeption des >cognitive mappingPlatzRealitätseindruck< zugrunde liegt: Der Zuschauer glaubt, daß die verschiedenen Bilder aus einem einzigen riesigen Realitätsblock stammen, der auf irgendeine Weise schon vorher existiert hat (als >Handlung< oder >Rahmen< etc.), doch rührt der Eindruck von nichts anderem als den Operationen des filmischen Signifikanten her, der die Bilder einander annähert.«
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raufhin fragt Melanie: »You wanna fuck?« Louis antwortet: »Yes.« Es folgt ein Zwischentitel auf schwarzem Hintergrund: »Three minutes later.«
Abb. 5.5-5.6 Abgesehen von der möglichen psychoanalytischen Lesart dieser Szene welches Begehren wird konstituiert? - handelt es sich hier um eine innerdiegetische Enunziationsfigur. Die Figuren der Erzählung tun genau das, was der - unpersönliche - Enunziator des Films macht, wenn er den Ort der Erzählung zu einem Raum macht. Christian Metz beschreibt den Einsatz einer Großaufnahme folgendermaßen : »Eine Großaufnahme eines Revolvers bedeutet nicht >Revolver< (rein potentielle, lexikalische Einheit), sondern zumindest - abgesehen von den Konnotationen - : >Dies ist ein Revolver< . Sie hat bei sich so etwas wie ein Dies ist« (Metz 1972b: 98). 14 Dieser »Aktualisierungsindex« ist aber nicht auf die Großaufnahme beschränkt. Es könnte auch die Aufnahme von einem Haus sein, das diesen Index trägt. 15 Dieser implizite Index kann je nach theoretischer Ausrichtung - und Übersetzung 16 - im Bild, vor dem Bild oder sogar dahinter imaginiert werden. 17 Je nachdem, wie der Zuschauer sich das vorstellt: »The difficulty of differentiating >here< and >there< in pictorial discourse can perhaps only be resolved by assuming that the spectator reconstructs a set of implicit narrations [ ... ]. In this way, >there< acquires the requisite distance and directionality from a point of observation m 14 Vgl. die Kritik von Branigan (1986). 15 »Das Bild eines Hauses bedeutet nicht >HausHier ist ein Hauspotentiellem linguistischen Brennpunkthere< of the image itself« (Branigan 1986: 15). Wie wir uns das Verhältnis von Film zu sich und zu uns vorstellen - und die räumlichen Metaphern sind dafUr entscheidend - , ist maßgebend fUr unser Verständnis des Films und von Film schlechthin. Das betrifft auch den Status des Gezeigten: »[W]here does the hereeffect, in a shot, come from? It is a look-effect, something which causes everything that appears in the shot to be doubled by a >Hey! Look at this!< or a >You are going to see what you are going to see.< It is less an >index of actualization< than an index of fiction« (Bonitzer 1979: 116). Es wird nicht ganz klar, ob Bonitzer hier tatsächlich von einem Fiktionsindex ausgeht und damit einen Unterschied macht zwischen einer bloß narrativen Instanz und einer Instanz, die die Fiktionalität des filmischen Diskurses anzeigt. Für welche Ebenen des Films kann man einen Enunziator konstruieren? Roger Odin hat bei seinem Versuch »dokumentarisierende« von »fiktivisierender Lektüre« zu unterscheiden darauf hingewiesen, dass es »zur Vermeidung des Rückfalls in frühere Aporien« bei der Unterscheidung Dokumentation/Fiktion »auf das Bild, das sich der Leser vom Enunziator macht« (Odin : 1990: 126), ankommt. Nur kommt er zu einem Bonitzer entgegengesetzten Schluss: »Es scheint uns in der Tat, daß das, was die fiktivisierende Lektüre ausmacht, nicht so sehr diese Konstruktion eines >fiktiven Ursprungs-Ich< ist, wie auf radikalere Weise die Weigerung des Lesers, ein >Ursprungs-Ich< zu konstruieren« (Odin: 1990: 127). Bei der fiktivisierenden Lektüre geht es paradoxerweise darum, nur die Diegese wahrzunehmen und den Film als nicht von einer Instanz hergestellt zu denken. Odin möchte das aber nicht im Sinne von Benvenistes (1974) Unterscheidung von histoire und discours verstanden wissen. Histoire, d.h. eine Geschichte, die sich wie von selbst erzählt, sei ein Textphänomen, wohingegen die fiktivisierende Lektüre einer Leserhaltung entspricht. Der »enunziative >Mangelartifice.< (These cues must be read nonfictionally! One must begin somewhere.)« Hier geht es nicht um eine rigorose Trennung von Spielfilmen, Dokumentarfilmen und möglichen anderen Gattungen von Filmen. Die Suche nach solchen Indices betrifft die Frage der Rahmung von Texten, die sehr eng mit der Frage der Paratextualität verbunden ist, wie ich sie in dieser Arbeit zu entfalten versucht habe. Das soll nicht heißen, dass man für eine Fiktion nicht auch eine dokumentarisierende Lektüre in Anschlag bringen könnte - Odin bringt dafür einige Beispiele. Es soll auch nicht heißen, dass man bestimmte Textsegmente ein für alle mal als Indikatoren mithin Paratexte - ftir Fiktionalität identifizieren kann. 19 Und doch scheint mir die Frage nach der Rahmung von Fiktion ein wichtiges Feld der Film- und Literaturtheorie. Wie könnte man Fiktion und Narration auseinanderhalten? Und ist Enunziaton der beide Instanzen bzw. Konzepte umfassende Begriff? Strukturalistisch könnte man unterscheiden zwischen einer Geschichte, die - unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt - erzählt werden kann durch Zeichen; Signifikanten bezeichnen ein Signifikat (= die Geschichte). Diese Geschichte kann dann in ihrem Weltbezug analysiert werden und je nachdem als fiktional und nicht fiktional eingestuft werden - hier geht es dann um Referenz. Der narrative Film nimmt - wenn man Animationsfilm und Filmtricks ausnimmt - reale Menschen als Figuren, um seine Geschichte zu erzählen. Genauso benutzt er reale Räume - auch Studioaufnahmen werden in Räumen gedreht -, die er dann zu diegetischen Räumen macht (vgl. Eue/Jatho 2005; Koch 2005). Räume und Figuren sind demnach filmische Signifikanten, die mit realen Räumen zusammenfallen können, aber nicht müssen. Expositorische Zwischentitel haben in dieser Hinsicht einen merkwürdigen Status, da sie eine raumverdoppelnde Scharnierfunktion einnehmen. Man denke nur an die bekannten Bilder Washingtons mit dem Weißen Haus und dem das Bild verdoppelnden Zwischentitel »Washington, D.C.« Metz und Branigan gehen in ihren Versuchen, bestimmte Modi der Fiktionalität zu beschreiben, von einer bestimmten Unbestimmtheit aus, die Fiktionalität kennzeichnet. »Fictive reference generally concems the
19 Branigan geht von einem Textbegriff aus, der deutlichen historischen Schwankungen unterliegen kann: »Thus a >text< is more than the material of an artifact and more than the symbols materialized; a text is always subject to change according to a social consensus about the nature of the symbols that have been materialized« (Branigan 1992: 87).
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systematic mapping and exploration of a discourse through indefinite articles (as weil as pronouns) which eventually may, or may not, point toward a unique referent« (Branigan 1992: 199). Die Unbestimmtheit der Referenz bezieht sich im Besonderen auf den Bezug der Signifikanten aufeinander, der erst im sukzessiven Ablauf des Films bzw. der Erzählung - wenn überhaupt - geklärt werden kann.20 Diese Unbestimmtheit führt Branigan u.a. anhand von expositorischen Zwischentiteln vor. So nimmt STAR WARS (USA 1977, George Lucas) die Märchentradition des »Es war einmal« mit seinem »A long time ago in a galaxy far, far away« auf: »[N]otice how the indefinite article >a< considered simply as a vowel sound spreads (poetically) through the entire phrase (>ago,< >a galaxy,< >awayA long timefar, far awaydas Buchder Vorhang< et cetera) würde wenig Sinn machen« (Hüser 2002: 214). Erst wenn man von bestimmten Figuren ausgeht, kann man Abweichungen wahrnehmen. 24 Es gibt eine Reihe von Filmen, die Ort und Zeit der Diegese qua Schrift, meist als Überblendung, adressieren. Notorisch sind daftir bestimmte Kriminalfilme oder Kriegsfilme, die dem Fitmaterial auf diese Weise einen Quasi-Archiv-Status verleihen. 148
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Exkurs: Karten im Film und andere Adressen Der Diskurs über Karten verläuft in gewisser Weise in Analogie zum Diskurs über Film. Wo der »Realitätseindruck« beim Film durch die Apparatur gesichert scheint, da sichert der wissenschaftliche Zugang der Karte diesen Bezug zum »Realen«: »The usual perception of the nature of maps is that they are a mirror, a graphic representation, of some aspect of the real world. [... ] In our own Western culture, at least since the Enlightenment, cartography has been defined as a factual science. The premise is that a map should offer a transparent window on the world« (Harley 2001: 35). Es werden dieselben Metaphern zur Beschreibung des »Realismus« der Karte gebraucht, die seit Andre Bazin auch den Film kennzeichnen. 25 Die Kartographie hat durch die Entwicklung von Satellitenaufnahmen enorm am fotorealistischen Realitätseffekt partizipiert, der eine neue Form der Vermessung ermöglicht, die mit einer Verfügbarkeit über den Raum durch den Blick einhergeht, die der Karte auch schon eingeschrieben war. Jacques Bertin (1974) hat im Zuge des in den sechziger Jahren startenden semiologischen Unternehmens die >Sprache< der Karte beschrieben und dabei die Konventionalität der Kartographie betont: »Das graphische Zeichensystem ist in sich geschlossen und unabhängig. Es bietet Mittel und Möglichkeiten und besitzt eigene Gesetze, die sich von denen des Films, der Mathematik und der Sprache unterscheiden« (Bertin 1974: 5). Bertin bestimmt das Verhältnis von Raum und Karte folgendermaßen : Räume sind ihrer Definition nach immer dreidimensional. Karten - im engeren Sinne - sind zweidimensional. Das führt zu Verzerrungen, denn für Karten gilt: »Theoretisch sind nur Flächen darstellbar« (Bertin 1974: 293). Das heißt, dass sich die Kartographen in mancher Hinsicht mit Konventionen helfen müssen, z.B. folgt daraus: »Die Darstellung von Linien und Punkten ohne Flächeninhalt durch Flächen beruht auf einer stillschweigenden Übereinkunft« (Bertin 1974: 293). Außerdem haben die Kartographen ein Problem mit der Tatsache, dass die Erde keine Scheibe ist: »Es ist unmöglich, eine Kugel mit einer ebenen Fläche zu überziehen, ohne daß Falten oder Klaffimgen entstehen. Die Darstellung der Kugeloberfläche in der Ebene führt immer zu Verzerrungen der Lage-Relationen von Punkten dieser Oberfläche« (Bertin 1974: 296). Jedem Kartenentwurf liegt eine Auswahl der Perspektive zugrunde. Die Karte nimmt aber noch auf eine andere Weise eine Auswahl vor:
25 Vgl. Stoichita (1998: 204f.): »Fenster, Gemälde und Karte sind drei Etappen, drei Stufen des Abstraktionsverfahrens, das zur Darstellung hinfuhrt. Das Fenster ist noch nicht Gemälde; die Karte ist es nicht mehr.«
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»Da der geographische Raum ein Kontinuum bildet, sind immer noch genauere Grundlagen und eine weitergehende Aufgliederung des Karteninhalts denkbar. Einer geographischen Information liegt stets eine durch den Menschen getroffene Auswahl zugrunde. Es gibt deshalb auch keine >exakten KartenSemiologie graphique< gezeigt, daß bestimmte, in Landkarten häufig auftretende konventionelle Symbole dem eigentlichen Code der Landkarten fremd sind: so z.B., wenn die schematisierte Silhouette eines Hauses das Gastgewerbe anzeigt[ .. .]; auf jeden Fall zeigt das Beispiel, daß der Code der Landkarten nicht die gesamte kartographische Nachricht erklärt« (Metz 1973: 34f.). 26 Solche Symbole spielen auch bei Karten im Film eine Rolle, da sie z.B. eine bestimmte Zeit konnotieren können. Diese Symbole sind keineswegs nebensächlich, sondern notwendig für das Verständnis einer Karte.27 Man könnte auch vom Paratext der Karte sprechen. Michel de Certeau wiederum hat darauf hingewiesen, dass Karten historisch auf Reisebeschreibungen beruhen, wovon eben einige der allegorischen Abbildungen zeugen. Diese werden aber im Zuge der immer weiter fortschreitenden wissenschaftlichen Vermessung des Erdballs verdrängt: »Aber die Karte siegt immer mehr über die Abbildungen; sie kolonisiert den Raum; und sie eliminiert nach und nach die bildliehen Darstellungen derjenigen
26 Vgl. auch Bertin (1974: 16). 27 Vgl. Stoichita (1998 : 208): »Die Karte ist also umgeben von einer Konstellation nicht-kartographischer, aber zur kartographischen Darstellung komplementärer Zeichen: Maßstab/Allegorie/Wappen/laudatio/Index. Dies ist das zum Verständnis der Karte notwendige Beiwerk«.
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Praktiken, die sie hervorgebracht haben« (de Certeau: 1988: 224).28 Analog zur Theorie der Enunziation geht es um die Tilgung des Aussageaktes : Karten sollen aussehen, als hätten sie sich selbst geschrieben. Die Karte wird als eine besondere Form der Abbildung konzipiert, die sich grundsätzlich von anderen Formen der Repräsentation von Raum unterscheidet. Dabei wird die Rolle der Perspektive, die durch die Karte dem Zuschauer zugewiesen wird, betont. So unterstreicht Stoichita den Unterschied zur perspektivischen Malerei : »Wie man sie [die Karte] auch gebraucht, sie liefert niemals eine >Durchsicht< wie das Gemälde, sondern eine >DraufsichtStand< des geographischen Wissens zu geben, verbirgt mit ihren Voraussetzungen und Folgen, wie hinter den Kulissen des Theaters, diejenigen Handlungen, deren Ergebnis oder deren künftige Möglichkeit sie ist.« Bruno (2002: 176) geht dagegen von einem weniger antagonistischen Verhältnis aus: »Rather than two different domains, the aesthetic and scientific realms were merged in the cartographic art.« 29 Vgl. Marin ( 1984: 218): »These specific elements of perspective visibility can be opposed to the structural visibility of the map and its geometric syntax and rational ideality.« Die »Utopie« der strukturellen Sichtbarkeit ist die oben genannte Satellitenaufnahme.
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nation war: »This imagined dislocated view, made possible much later by the spatiovisual techniques of cinema, attempted to free vision from a singular, fixed viewpoint, imaginatively mobilizing visual space. The scene of the bird's-eye view staged a fabricated spatial observation that opened the door to narrative space« (Bruno 2002: 177). Die imaginierte Befreiung des Blicks von der eigenen Perspektive ist technisch erst mit dem Film gegeben, der diese Imagination zur Etablierung von Erzählraum nutzt, und jeder Zuschauer muss sich bei der Identifikation mit dem Kamerablick von seiner eigenen Perspektive verabschieden.30 Die Vogelperspektive im Film ist in dieser Hinsicht aber nicht grundsätzlich verschieden von anderen Perspektiven, wenngleich sie diese Ablösung in stärkerem Maße thematisieren kann, wie z.B . in der ersten Szene nach dem Vorspann in PSYCHO (USA 1960, Alfred Hitchcock), die mit dem Zwischentitel »Phoenix«, der eine solche Wiedergeburt des Blicks anzeigt, überschrieben ist. 31 Was passiert, wenn die Karte in einem anderen Medium auftaucht? Die Karte kann dann, wie Louis Marin aufgezeigt hat, als Figur der Enunziation gelesen werden. Marin hat das anhand von EI Greco's Bild Ansicht von Toledo ausgeführt: »He [the figure holding the map] and his map do not belong to the landscape. He produces a new space in the painting: the place of enunciation. His space is the place of him who represents; it is neither inside nor outside the representation. Though it allows for the staging of representation; here the painter is shown in the form of his delegate« (Marin 1984: 229). Er betont hier die Rolle des abgebildeten Mannes, der die Karte hochhält, und sich weder im Raum der Repräsentation befindet noch außerhalb, da er als Enunziationsfigur einen innerbildliehen Rahmen für das Gesehene darstellt. Der Enunziator muss aber nicht anthropomorphisiert als Person im Bild auftreten, um eine Reflexion auf den Status der Äußerung zu inaugurieren. Die Reflexion kann auch durch die verschiedenen Codierungen angestoßen werden. So hat Stoichita anhand desselben Gemäldes von einem Zwang zur »>bifokalen< Betrachtung« gesprochen: »Die Ansicht ist dazu da, angesehen, betrachtet zu werden; die Karte ist dazu da, entziffert, gelesen zu werden. [..] Ihre wirkliche Rolle scheint darin zu bestehen, daß sie dem Betrachter eine Spaltung des Blicks, ein Hin und Her zwi30 Vgl. Metz (2000: 49): »[D]er Zuschauer identifiziert sich mit sich selbst,
mit sich als reinem Wahrnehmungsakt (wach und wachsam): als Bedingung der Möglichkeit des Wahrgenommenen und daher als eine Art transzendentales Subjekt, das jeglichem Es gibt vorausgeht.« 31 Vgl. Shohat/Stam (1985): »The first post-credit shots of Psycho, for example, subtly prefigure that film's obsession with avian imagery by literalising the notion ofa >bird's eye view< ofa city appropriately named Phoenix.«
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sehen einer Darstellung in der Tiefe und einer Darstellung in der Fläche, kurz, eine Art optische (und mentale) Reise zwischen zwei Darstellungssystemen aufzwingt« (Stoichita 1998: 200f.). Der Betrachter kann sich dann nicht einfach auf einer Ebene der Betrachtung einrichten. Er wird - ähnlich wie beim Filmvorspann und beim Zwischentitel - von heterogenen Mustern angesprochen. Es geht aber hier nicht nur um die Konkurrenz zweier Darstellungssysteme, sondern um eine spezifische Form der Verdoppelung, die Metz zufolge den filmischen Enunziationsfiguren eingeschrieben ist. Der Raum der Karte verdoppelt den Raum des Bildes: »This second space [the space of the map in EI Greco's Toledo] doubles the first. lt occupies a supptemental position and places the painting' s viewerreader in an ambivalent position; he must decode the picture and contemplate written signs. His functions form a sort of chiasmus of spectacle to be viewed and texttobe deciphered. [.. .] The geographic map goes back into the painting of which it is part and parcel. And yet it represents it, entirely« (Marin 1984: 227). Man ist versucht zu sagen, dass es sich um eine partikularisierende Synekdoche handelt, da hier ein Teil fürs Ganze steht. Fraglich ist jedoch, ob die Karte hier etwas substitutiert, da ja der Raum, den sie bezeichnet, ebenfalls zu sehen ist. 32 Und wenn nun ein heterogenes Medium wie der Film so ein heterogenes Medium wie die Karte inkorporiert? Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie Karten im Film vorkommen können. Eine prominente Stelle ist der Vorspann. Wie in Kapitel 3 ausgeführt erfüllt der Vorspann verschiedene, teilweise heterogene Funktionen: Er dokumentiert die Filmproduktion, führt den Zuschauer in die Diegese ein, steuert die Rezeption des Films. Die Titelsequenz liefert häufig eine Art establishing shot oder zeigt die Fahrt zum Ort des Geschehens.33 Gelegentlich wird
32 Zu rhetorischen Figuren und Tropen, im Besonderen zur Frage der visuellen Tropen, vgl. Metz (2000: 112-229). 33 Bruno hat auf dessen Verwandtschaft mit der Karte aufmerksam gemacht, ohne jedoch auf die Möglichkeit, dass sie ein funktionales Äquivalent zum es tabfishing shot sein kann, hinzuweisen: »A clear example of cartographic transference is the cinematic convention of the >establishing< shot. [... ] The establishing shot, a fundamental feature of the dominant film language, makes manifest a particular form of mapping: it exerts the pressure of a regulatory measure against the practice of border crossing« (Bruno 2002: 271).
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auch eme Karte als Hintergrund für die darauf geblendeten Titel benutzt.34 Beispiele hierfür sind THE SPOILERS (USA 1942, Ray Enright), ein in Alaska spielender Western, THE PIRATE (USA 1948, Vincente Minnelli), ein Musical, und THE BIG STEAL (USA 1949, Don Siegel) ein Krimi, der in Mexiko spielt. Es handelt sich also um ganz verschiedene Filme, die Karten im Vorspann einsetzen. Im Unterschied zum establishing shot wird hier nicht die perspektivische Wahrnehmung nachvollzogen - zumindest nicht in dem Maße, wie es ein fotografisches Filmbild täte.35 Wobei natürlich immer zu bedenken ist, dass es sich auch bei Karten im Film immer um Filmbilder handelt, denn sie sind ebenso von einer Kamera aufgenommen worden. Das wird immer dann besonders klar, wenn auf der Karte ein Gegenstand platziert wird, wie in der aufwendigen Animationssequenz in ATLANTIS. THE LOST CONTINENT (USA 1961, George Pa!), die zusammen mit der Off-Stimme die Exposition der Geschichte liefert. THE SPOILERS zeigt uns eine Karte von Alaska. Diese Karte ist dem Vorspann unterlegt. An den Vorspann anschließend folgt eine Texteinblendung, ein expository title: »During the Alaskan gold rush, claimjumping and mine stealing became an everyday occurrence - lawlessness was rampant.« Dann folgt - immer noch auf die Karte von Alaska - eine zweite Texteinblendung: »This is a story ofthe frozen North, when it not only wasn't frozen - but came gloriously close to being a hot spot.« Darunter steht: »Norne 1900.« Der Text tut das, was man von einem solchen expositorischen Titel erwarten kann. Die Zeit wird angegeben: Alaska zur Zeit des Goldrauschs, präzisiert durch das » 1900«. Ein Thema wird vorgegeben: Minenraub. Dabei dient typischerweise der erste Titel zur allgemeinen »historischen« Situierung, während der folgende spezifischer werden kann. Hier gönnt sich der Text den Witz über den »frozen North« als »hot spot« - das erinnert an Stummfilmtitel im Stile von Anita Loos. Der Handlungsraum wird aufverschiedene Weise eingegrenzt bzw. indiziert: Erstens natürlich durch die Karte. Dann implizit im einleitenden Text. Explizit durch die Unterschrift: »Norne 1900«, die nicht wirklich eine Unterschrift ist, da sie ja nur den Ort und Zeit angibt, nicht aber den Absender des Texts. Die erste diegetische Einstellung versichert dem Zuschauer dann durch intradiegetische Schrift auf verschiedenen Gegen-
34 Die Karten und der Vorspann werden von den gleichen Firmen hergestellt, vgl. Harris (2000: 190). 35 »Like a map, which is a surface that can hold the assemblage of a world, a
film is a two-dimensional text that can create the illusion of other spatial dimensions, including depth« (Bruno 2002: 275).
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ständen, dass er am »hot spot« angekommen ist. Im Folgenden wird sich die gesamte Filmhandlung an diesem Ort abspielen. Erst am Ende des Films wird die Landkarte wieder auftauchen - als Hintergrund fUr den »The End«-Titel und die abschließenden Cast-Credits. Die Landkarte fungiert somit als Rahmen, der dem Geschehen einen Ort zuweist. Das Holz des Hintergrunds, erkennbar an der Maserung, ist natürlich ein Hinweis auf das Western-Genre. In THE PIRA TE haben wir es mit einem ähnlichen Fall zu tun. Auch hier wird die Filmhandlung durch die Karte des Vor- und Abspanns gerahmt. Die EinfUhrung in die Geschichte erfolgt aber nicht durch Text auf einer Karte, sondern innerdiegetisch durch die Stimme der Hauptdarstellerin (Judy Garland), die in einem Buch über den Piraten Mack blättert. Die Karte gehört aber nicht zu diesem Buch, das erst in der auf den Vorspann folgenden Einstellung aufgeschlagen wird. Man könnte sie jedoch als Bestandteil des diegetischen Raums betrachten, denn es befinden sich einige Karten in den Innenräumen des Hauses, in dem Judy Garland wohnt. Es ist jedoch schwer auszumachen, ob es sich tatsächlich um dieselbe Karte handelt. Die Karte selbst ist reich ornamentiert und deutet dadurch auch auf den Zeit-Raum der Handlung. Der Vorspann von THE BIG STEAL zeigt uns eine Karte von Mexico. Eine ähnliche Karte hängt in einem Hotelzimmer, eine weitere Karte im Büro des mexikanischen Polizisten. Dies ist nicht unwesentlich fUr den Status der Karte. Wenn die Karte in einer späteren Einstellung zu sehen ist, gehört sie zum diegetischen Raum.36 Es gibt natürlich auch Karten, die erst nach dem Vorspann auftauchen, und - ähnlich wie bei THE SPOILERS - den Hintergrund für einen expositorischen Text bieten, wie LONE STAR (USA 1952, Vincent Sherman). Dieser Western, der den Anschluss von Texas an die Vereinigten Staaten behandelt, d.h. die Geschichte erzählt, wie der LONE STAR in das Sternenbanner aufgenommen wurde, liefert eine historische Karte des status quo ante und damit einen der seltenen Fälle, der die Vereinigten Staaten selbst auf einer Karte abbildet. Ein anderes Beispiel wäre THE VEILS OF BAGDAD (USA 1953, George Sherman). Hier kann man übrigens sehr schön einige Symbole ausmachen, die, wie Metz oben anmerkte, nicht zum kartographischen Code gehören : die Karawane und die Palme, die eine Oase anzeigen soll. Diese Karte soll gar nicht genau oder objektiv wirken, obwohl die Nutzung solcher Symbole das nicht
36 Bestimmte Konzeptionen der filmischen Metapher lehnen Bilder ab, die nicht dem diegetischen Universum entspringen. Vgl. z.B. Jean Mitry (1997: 141): »But metaphor can be used only when it is part ofthe concrete reality which it is able to transcend through a special moment.«
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notwendig ausschließt. 37 Wie der Titel der Karte in der rechten unteren Ecke anzeigt, handelt es sich um eine Karte des Osmanischen Reichs. Daraufwerden hintereinander zwei Texte geblendet, die in die Handlung einführen. Bei LONE STAR leistet das ein RolltiteL Als der Rolltitel am Ende des Textes angekommen ist, wird auf das im Text erwähnte Haus von General Jackson geblendet, das als establishing shot im engeren Sinne dient. Solche Karten mit Text sind doch sehr eng mit dem expository title verwandt, nicht zuletzt, weil sie funktional äquivalent sein können. Der expository title des Stummfilms konnte mit einer Zeichnung einhergehen - dann heißt er art title - , die den Raum des Films eben nicht nur beschrieb, sondern auch einen visuellen Eindruck in Form einer Skizze gab: »In a silent film, sometimes an expository >art< title will establish the space, not only by naming it but by including a drawing of the locale« (Bordwell/Thompson/Staiger 1985: 63). 38 Der Text des expositorischen Titels kann auf die Schrift der Karte reduziert sein. Ein Yoice-Over-Kommentar kann dann in die Geschichte einführen wie in THE SEVEN YEAR ITCH (USA 1955, Billy Wilder). Das kann natürlich auch schon vor dem Vorspann geschehen: z.B. in BEN HUR (USA 1959, William Wyler), wo der Text auf die Zeitangabe »Anno Domino« beschränkt ist. Auf jeden Fall kann man festhalten, dass es sich um hervorgehobene Textteile des Films handelt, die man als starke Enunziationen bezeichnen könnte. Sie zeichnen sich durch einen »erhöhten Grad an Reflexivität« aus, wie das Britta Hartmann für das Expositorische im Allgemeinen herausgearbeitet hat: »Das Expositorische zeichnet sich durch seinen erklärenden Charakter und damit durch einen erhöhten Grad an Reflexivität aus, verweist es doch zugleich auf eine diesen Informationen offerierende narrative Instanz und damit auf den Erzählprozeß und das kommu37 In ROAD TO BAU (USA 1952, Hai Walker) wird die Karte zum selbstreferentiellen Verweis: Im Anschluss an den Vorspann dieser Komödie mit Bing Crosby und Bob Hope wird eine Karte von Australien gezeigt. Die Kamera fahrt heran und herunter in Richtung Melbourne, das der Voiceover-Kommentar auch als erste Station der Handlung anpreist. Ein ftir diese Art Komödien typisches metadiskursives Element sind die Wegweiser, die auf dem Kontinent aufgestellt sind. Es gibt nicht nur einen Wegweiser, der sowohl nach Bali zeigt als auch den Titel wiederholt: ROAD TO BALl, sondern auch Wegweiser für verschiedene andere Filme aus der Road-Serie: ROAD TO SINGAPUR (1940), ROAD TO MOROCCO (1942), ROAD TO ZANZIBAR (1941), ROAD TO UTOPIA (1945) und ROAD TO RIO (1947). 38 Vgl. Bordweii/Thompson/Staiger (1985: 187): »Art titles added considerable flexibility to the written texts. With a painting of a building or locale as if in >long-shot< distance, the title could serve to establish the space of the scene to come.« Vgl. zum Zwischentitel allgemein S. 27f. und S. 183-189.
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nikative Gefüge zwischen Text und Rezipient« (Hartmann 1995 : 110). Expositorische Zwischentitel inszenieren das Informationsgefalle zwischen Erzählinstanz und Zuschauer: »[E]xpository inter-titles always acknowledge a certain omniscience on the narration 's part« (Bordwell/ Thompson/Staiger 1985: 79). Mir kommt es aber auch auf die Karte im engeren Sinne an, d.h. auf den Hintergrund fur die Titel. Die Karte selbst informiert. Sie gibt einen Raum vor und wie in LONE STAR und THE PIRA TE auch einen Zeitraum. Bis jetzt hatten wir es nur mit statischen Karten zu tun. Aber moving pictures wären nicht, was sie sind, wenn sie nicht versuchen würden, die Gegenstände in Bewegung zu setzen. Eine erste Möglichkeit, die Karte zu dynamisieren, ist Kamerabewegung bzw. -zoom. Beispiele sind: THE CONSPIRATORS (US 1944, Jean Negulesco), TO HAVE AND HAVE NOT (USA 1945, Howard Hawks) und LA SIRENE DU MISSISSIPPI (F/1 1969, FranGlobaltopographie< des Handlungsraums anzeigt, ist immer dann nötig, wenn der Handlungsraum neu aufgebaut oder in Erinnerung gerufen wird« (Wulff 1999: 108). Ihr Wert liegt dann weniger im Anzeigen eines Raums als im Anzeigen einer Szenenaufgliederung. »Man würde die Passagen-Einstellungen dann nicht nur als Ortsindikatoren, sondern auch als Indikatoren von (Handlungs-)Sequenzen auffassen und sie damit zu den Techniken der Sequenz-Eröffnung stellen können - und somit eher ein dramaturgisches und rhythmisches als ein topographisches Moment für die Begründung dafür annehmen, daß sie so häufig auftreten« (Wulff 1999: 108). Dasselbe leisten auch die Karten. Zwei Sequenzen können auf diese Art verbunden werden, deshalb werden solche Formen auch >bridging shots< genannt. Wenn diese besprochen werden, wird aber durchgängig das Gewicht auf die Repräsentation von Zeit gelegt (vgl. Wulff 1999: 118). Die beliebten fliegenden Kalenderblätter, die das Vergehen von Zeit bebildern, werden dann häufig genannt. Wenn dieser Übergang hinreichend viel Material verarbeitet, spricht man von einer Montage-Sequenz: »Here classical continuity uses another device for temporal ellipsis: the montage sequence. [... ] Briefportionsofa process, informative titles (for example, >1865< or >San Franciscosummary< und >ellipsisCut,< on the other hand, is the manifestation of ellipsis as a process in a specific medium, an actualiza-
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»informative titles« und in gewissem Maße stereotypisiert, d.h. man kann auf den ersten Blick eine Karte von Manhattan von anderen Karten unterscheiden. Die im engeren Sinne »stereotypen Bilder«, von denen Bordweil und Thompson sprechen, sind ein der Karte funktional äquivalentes Verfahren, um einen Ortswechsel anzuzeigen: der Schnitt auf ein Bild des Eiffelturms mit dem darauf geblendeten Schriftzug »Paris«. Ähnlich wie die Karte konnotiert die Montagesequenz einen bestimmten Stil oder ein Genre. 44 Die Montage-Sequenz ist ein Tonfilmphänomen, geht aber auf ähnliche Sequenzen im Stummfilm zurück 45 »Functionally, the montage sequence can be thought of as the rhetorical amplification of an implicit intertitle [... ]. In this respect the silent film has already mapped out a role for the montage sequence. By the end of the silent era, many American feature films were inserting footage depicting the sort of stereotyped symbols that might illustrate an >art titlec a tuming clock dial, wafting calendar pages, and so forth« (Bordwell 1985: 186) 46 Wenn die Montagesequenz nun als die amplificatio des Zwischentitels angesehen werden kann, ist sie von ähnlicher enunziativer Struktur. 47 Ein typisches Beispiel für eine Karte im Stil der Montagesequenz ist FROM RUSSIA WlTH LOVE (GB 1963, Terence Young). Im Gegensatz zu MOROCCO sehen wir hier eine Reihe von Bildfolgen, die die Fahrt mit der Eisenbahn begleiten bzw. suggerieren. Im Unterschied zu einer Karte, die am Anfang eines Films positioniert ist, ist eine solche Karte viel stärker fokalisiert, d.h. an eine Figur gebunden. Während eine Karte zu Beginn eines Films die Bewegung der gesamten Narration auf den Punkt hin, wo die Handlung einsetzt, bezeichnet, ist eine dynamische Karte in-
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tion parallel to a blank space or asterisks on the printed page« (Chatman 1978: 71). »The montage sequence is still utilized in Hollywood films, though it tends to be more restrained stylistically than in the l930s and 1940s« (Bordwell/Thompson 1997: 300). Vielleicht ist das der Grund, warum ich - bis jetzt - noch keine extradiegetische Karte im Stummfilm ausmachen konnte. Es gibt natürlich Karten im Stummfilm, so erwähnt z.B. Frank Kessler (2003 : 114) den Reisefilm RAPALLO (I 1912), der mit einer Karte Norditaliens beginnt. Kessler vergleicht die Einstellung mit einem emblematic shot, der auch nicht der Diegese angehört und doch auf sie verweist. Vgl. Bordwell/Thompson/Staiger (1985: 74): »In the montage sequence, the sound cinema had found its equivalent for the expository title, >Time passes and brings many changes ... «< »Always an overtly rhetorical moment, the montage sequence became codified as a likely site of spectacle and a self-conscious narrational gesture« (Bordwelll985: 188).
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nerhalb des Films fast immer an die Bewegung von Figuren gebunden. 48 In MOROCCO kann man genau diesen Unterschied beobachten. Die Bewegung auf dem Globus, die sich auf der Karte fortsetzt, ist im Gegensatz zu den folgenden Einstellungen nicht an eine Figur gebunden - wie sollte das auch am Anfang möglich sein? Die drei dynamischen Karten im Film sind an die Bewegung der Legionäre inklusive Tom Brown (Gary Cooper) respektive die Bewegung von Amy Jolly (Marlene Dietrich) und Adolphe Menjou gebunden. In FROM RUSSIA WITH LOVE wird die Zugreise von James Bond und seiner Gefahrten und Widersacher bebildert. Aber diese Bewegung auf der Karte behält immer etwas von der Bewegung der gesamten Narration, deren Teil sie ja ist. Die Narration bewegt sich mit jeder neuen Einstellung eines Films. Und die dynamischen Karten sind die Figuration einer solchen Bewegung: Eine dynamische Karte ist die Figur für die Bewegung der Narration, die zwei Orte verbindet. Viel stärker als bei einem einfachen Schnitt wird die verbindende Tätigkeit der Narration offen ausgestellt - auch wenn sie an Figurenbewegung gebunden ist, also gewissermaßen anthropomorphisiert ist. Insofern handelt es sich um eine Enunziationsmarkierung. Dies ist auch der Grund, wieso Bordweil im Hinblick auf die Montage-Sequenz von Diskontinuität spricht: »No matter how elaborate, montage introduced some discontinuity, but because it was confined to short bursts for narrow purposes, the disjunctiveness was not a drawback« (Bordwell/ Thompson/Staiger 1985: 74). CASABLANCA (USA 1942, Michael Curtiz) darf bei dieser Aufzählung nicht fehlen. Wann immer ich nach Karten im Film gefragt habe, immer ist auf Casablanca hingewiesen worden. 49 Was hier hinzutritt, ist die Markierung einer Spur, die den Weg nachzeichnet. Aber wessen Weg? Während die vorhergehende Einstellung einen Globus zeigte und noch die Bewegung der Narration auf der Suche nach dem Handlungsraum bezeichnet, beschreibt die folgende Einstellung auf einer Karte einen kontinuierlichen Pfad von Paris nach Casablanca, der gleichzeitig in einer Doppelbelichtung Bilder dieser Reise zeigt. Die Bilder der Montage sind auf den gerade beschriebenen Pfad abgestimmt: so gibt es Schiffsbilder, wenn es über das Mittelmeer geht. Auch wenn die Protagonisten des Films diesen Weg ebenfalls beschritten haben, wird mehr die 48 Vgl. zur Marin (1984: 42f.): »[The travel narrative] consists in providing a form of temporality that is simultaneously that of discourse, in its syntagmatic linearity, and of narrative proper, by adding an actor. This latter anthropomorphizes the syntagmatic wanderings ofthe text; in this case the toponyms would be the simple marks of passage, the topoi of the simple function oftravel.« 49 Aus kognitivistischer Sicht ist es nicht unerheblich, ob Karten im Film erinnert werden oder nicht.
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Voraussetzung für die Geschichte geliefert als die Vorgeschichte erzählt. Gleichzeitig orientiert uns eine Voice-Over-Stimme hinsichtlich der historischen Situation. Diese Sequenz ist funktional äquivalent zu einem expository title. Genauso wie Montagesequenzen eine bestimmte Art von Filmen konnotieren, so ist auch der Einsatz von Karten im Film kodifiziert. Wenn sie in neueren Filmen vorkommen, sind sie mit diesem Zitatindex versehen. Die Definition des post-klassischen Hollywoodfilms beruht ja gerade auf dem souveränen Umgang mit filmischen Codes. In RAIDERS OF THE LOST ARK kann man animierte Karten beobachten - Spielberg ist ja für seine Orientierung an B-Movies der 40er Jahre bekannt und nutzt solche Karten auch in den folgenden Filmen der Indiana Jones-Trilogie. Ein anderes Beispiel wäre BRAM STOKER'S DRACULA (USA 1992, Francis Ford Coppola), der die Karte in sein postklassisches Figurenarsenal einbaut. 50 Die Karte in JACKIE BROWN kann man in diesem Kontext verorten.
Die Figur in Bewegung »Es fallt nicht schwer, sich ein Brettspiel zu JACKIE BROWN vorzustellen, mit dem DeiArno-Einkaufszentrum als zentralem Motiv und den anderen Schauplätzen- dem Flughafen, Melanies Apartment in Hermosa Beach, Max' Büro in Carson, dem Cockatoo Jnn und so weiter - als Stationen auf dem Parcours« (Fischer 2000: 228). Gehen wir noch einmal an den Anfang von JACKIE BROWN zurück, vor den ersten Zwischentitel, zum Vorspann. 51 Der Vorspann zeigt uns Jackie in Bewegung. Zunächst bewegt sie sich aber nicht selbst, sondern sie wird bewegt. Sie steht auf einem Laufband, und die Kamera fangt sie im Profil ein (Abb. 5.7). Die Kamera fahrt neben ihr her. So wie das Filmband ein unbewegtes Objekt nur durch seine Bewegung durch die Kamera festhalten kann, so bewegt das Band die unbewegte Jackie. 50 Vgl. die Analyse von Eisaesser (1998: 200), der die Referenz des Films auf andere Filme als Palimpsest beschrieben hat: »In this sense, the film conducts a kind of deconstruction ofthe linear narrative/monocular perspective system of representation which film studies has identified with the classical«. Seiner Liste der Stilmittel, die das leisten, kann man die verschiedenen Formen der Karte im Film hinzufügen. 51 Vgl. Stanitzek (1999) ftir eine detaillierte Analyse des JACKIE BROWN-Vorspanns.
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Abb. 5.7, 5.8 »Wir sehen Pam Grier-Jackie Brown, im Flughafen auf dem Weg zu ihrer Arbeit als Stewardess, zunächst statuarisch, ruhig auf einem Laufband, dann >schreitet< sie, geht, kommt immer mehr in Eile, erhöht das Schritt-Tempo, schließlich läuft sie, rennt, in Zeitnot - womit eigentlich der ganze Film auf den Punkt gebracht wird« (Stanitzek 1999). Es ist fast so, als wenn der Film seinen eigenen raumgreifenden Prozess abbilden wollte. Dieser »Punkt« hat selbst wieder etwas Statuarisches, er ist eine Figuration. Der Vorspann führt das Spiel von Bewegung und Stillstand vor, ohne das keine Narration statthat. Es gibt keine Narration ohne Bewegung, wenn es auch nur die Bewegung der Narration selbst ist: »Die Erzählungen führen eine Arbeit aus, die unaufhörlich Orte in Räume und Räume in Orte verwandelt«, heißt es bei Michel de Certeau ( 1988: 220).52 Er bringt damit eine Unterscheidung ins Spiel, die nicht nur für den Zusammenhang von Karten und (kognitivem) Kartieren im Film, sondern auch für die allgemeine Narratologie interessant ist: Orte und Räume. Orte werden danach wie folgt definiert: »Ein Ort ist also eine momentane Konstellation von festen Punkten. Er enthält einen Hinweis auf eine mögliche Stabilität« (de Certeau 1988: 218). Diese Stabilität wird durch die Narration in ein Ungleichgewicht transformiert, das dann am Ende der Geschichte wieder ins Lot gebracht wird. Den Anfang einer Geschichte markiert nicht nur nach Vladimir Propp (1975) die Überschreitung einer Grenze. 53 Der Raumbegriff bezeichnet die Auflösung der Stabilität des Ortes durch Bewegung: »Ein Raum entsteht, wenn man Richtungsvektoren, Geschwindigkeitsgrößen und die Variabilität der Zeit in Verbindung bringt. Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Be52 Vgl. de Certeau (1988 : 216): »Jeder Bericht ist ein Reisebericht- ein Umgang mit dem Raum.« 53 Vgl. ftir einen Vergleich von Narrationstheorien unter diesem Gesichtspunkt Kapitel I von Branigan (1992).
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wegungen erftillt, die sich in ihm entfalten. Er ist also ein Resultat von Aktivitäten, die ihm eine Richtung geben, ihn verzeitlichen und ihn dazu bringen, als eine mehrdeutige Einheit von Konfliktprogrammen und vertraglichen Übereinkünften zu funktionieren« (de Certeau 1988: 218). Jackie ist so ein »bewegliches Element«. Sie wird von der Narration bewegt. Der Film inszeniert neben der eben skizzierten Profilansicht verschiedene Perspektiven auf Jackie »in Bewegung«. Sie wird von hinten gezeigt, als sie von den Polizisten auf dem Flughafenparkplatz gestellt wird. Von vorne wird sie abgebildet, als sie bei ihrer Entlassung aus dem Gefangnis auf Max zuläuft, der sofort hin und weg ist. Und von oben, als sie im Flugzeug die 500.000 Dollar auf dem Boden der Reisetasche versteckt (Abb. 5.8). Während die Perspektiven am Flughafen und bei der Entlassung aus dem Gefangnis innerdiegetische Blickpunkte nachstellen, die den Positionen der Polizisten bzw. von Max korrespondieren, sind die Profilaufnahme und die »Vogelperspektive« im Flugzeug extradiegetisch motiviert. Im Vorspann wird Jackie, aber eben auch Pam Grier, präsentiert. Es herrscht ein Präsentationsmodus. 54 Ebenso ist die Einstellung im Flugzeug durch die Art der Anhindung an die Karte wie durch die Perspektive, die ja durch diese Anhindung motiviert ist, besonders stark als Narration markiert. Das Flugzeug bewegt sich, aber gleichzeitig nähert sich der Kamerablick dem Flugzeug. Dass wir dabei Wolken durchfliegen, macht den Blick sicher nicht realistischer. Das indexikalische Moment des Erzählens, das »This is«, ist hier exponierter als anderswo im Text. Für Certeau ist Raum immer mit einer Öffnung verbunden, mit der Handlung, die einen Ort zum Raum macht, während der Ort das statische Substrat bildet. Dem entsprechen zwei Formen der Beschreibung: Die »>Karte< (map)« und der >»Weg< (tour)«. 55 Diesen Formen liegen verschiedenen Rezeptionsmodi zugrunde: »[ ... ] entweder sehen (das Erkennen einer Ordnung der Orte) oder gehen (raumbildende Handlungen). Entweder bietet sie [die Beschreibung] ein Bild an (>es gibt< ... )oder sie 54 Vgl. Mulvey (2006: 174), die an C.S. Peirces Unterscheidung von lkon, Index und Symbol anschließt: »Just as the time ofthe still frame coexists with that of movement, and the time ofthe camera' s registration ofthe image coexists with the time of fiction, so the symbolic iconography of star is indelibly stamped onto his or her presence both as >character< and as index. These different kinds of signification oscillate and change places with each other.« 55 »Der erste Typus [map] ist folgender Art: >Neben der Küche ist das Mädchenzimmere Der zweite [tour]: >Du wendest dich nach rechts und kommst ins Wohnzimmerdu triffst ein, du durchquerst, du wendest dich ... seeing< or >going.< [ ...] the motion picture does precisely what it announces: like Scudery's map, it is the very synthesis of seeing and going - a place where seeing is going« (Bruno 2002: 245). Karten haben im Film einen anderen Stellenwert. Der Film schreibt eine Bewegung vor, die in einem imaginären Raum vollzogen wird. Dementsprechend lässt sich die einfache Gegenüberstellung von Karte und Erzählung, die Certeau entwickelt, nicht durchhalten, wenn die Karte innerhalb der Erzähllogik von Filmen platziert wird, also selber erzählt. »Dort, wo die Karte Einschnitte macht, stellt die Erzählung Verbindungen her. Sie ist >diegetischflihrtüberschreitetintendierte< Herstellung von beispielsweise Ortsidentität und globalisierter Kompetenz wird durch eine Gegenlesweise des dekontextualisierenden Inbezugsetzens zu anderen Formen des Narrativen teilweise außer Kraft gesetzt« (Nohr 2002: 140). Mit den Begriffen von Certeau hieße das, die »strategische Narration« durch »narrative Taktik« zu subvertieren. Dabei spielt die Bewegung der Karte, wie ich sie oben entwickelt habe, eine wichtige Rolle, denn sie markiert den Diskurs. »These wäre hierbei zunächst, dass Bewegen, als Grundtopos von Dynamik, eine Markierung des Erzählens darstellt« (Nohr 2002: 132).57 Die narrative Taktik beschreibt Nohr am Beispiel einer animierten Karte nun als Tendenz zur Fiktionalisierung, die eine oppositionelle Form der Aneignung kennzeichnet.58 Der Weg der Signale für die Liveberichterstattung von der Sonnenfinsternis 1999, die von einem Flugzeug aus geliefert werden, wird bebildert: vom Flugzeug zur Bodenstation, dann zum BR nach München etc. bis nach Mainz, von dem es in alle Welt geht. Dies geschieht durch die Markierung einer Spur, die diesen Weg nachzeichnet, also die Gleichzeitigkeit der Liveschaltung in eine lineare Form bringt. Dieses Beispiel zeichnet sich durch eine besondere Selbstreferenz aus, die jedoch im Grunde alle Karten im Fernsehen prägt.59 Wie sieht nun die Bewegung des Rezipienten bei dieser Karte aus? »Bewegen im Raum heißt, Zeit zu brauchen, heißt aber auch, das Nacheinander von Eindrücken und differenten Bildern zu einem raumzeitlich (kognitiv) kartographierten Erzählzusammenhang zu verschmel zen. Somit ist das erzählerische Moment einer solchen kartographischen Form bestimmbar aus den Elementen der Sukzession, der Bewegung und der Entkoppelung von singulärem Ereignis und Ortspositionierung. Eine relationale Positionierung würde dann in diesem erweiterten Geftige auf Seiten der Rezipienten dergestalt benennbar sein, als sich hier nicht länger der Rezipient zu einem Ereignis im Raum positioniert, sondern sich in einer Erzählung die Position des Betrachters und Beob-
57 »[W]enngleich auch statische Karten durchaus solche [dynamischen] Momente enthalten können« (Nohr 2002: 131). 58 »Es geht mir zum momentanen Stand meiner Argumentation darum, das generelle Moment der Fiktionalität, des Erzählens und der Aktivierung solcher (im weitesten Sinne) oppositioneller Handlungen darzustellen« (Nohr 2002: 131). 59 Nohr nimmt an, »dass kartographische Elemente im Fernsehen an einem wichtigen Schnittpunkt des Verhandeins über Fernsehen positioniert sind. Im weitesten Sinne bestätigt sich die Vermutung, dass Karten maßgeblich im konstitutiven Prozess der Herstellung und Diskussion von - vermeintlichen Realitätsabdrücken, Objektivitätsbehauptungen und Wahrheitsdiskursen agieren« (Nohr 2002: 134).
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achtersjenseits eigentlich strikt-räumlicher Relationierung sucht« (Nohr 2002: 133f.). Strukturell ist dies genau die imaginäre Position, die der Zuschauer im Kino einnimmt. Der Zuschauer gibt seinen eigenen Standpunkt für die narrative Perspektive auf. Diese Fiktionalisierung der eigenen Position des Zuschauers ist aber nicht unbedingt ein oppositioneller Akt ist, sondern kommt gerade dem Konzept des Fernsehens entgegen. Der Unterschied zum fiktionalen Film besteht darin, dass das Ereignis, zu dem sich der Zuschauer zu positionieren hat, >real< ist - die Sonnenfinsternis hat stattgefunden -, während im Kino weitgehend nur reale Räume präsentiert werden. Beide Positionierungen sind jedoch vergleichbar, weil die Positionierung sich auf ein Ereignis, ob nun fiktional oder nicht, bezieht: »Die Produktion von Positionierung ist somit anhand von Medienkarten zumindest dahingehend als krisenhaft problematisierbar, als neben das Subjekt als zentraler Orientierungsposition konkurrierend das Ereignis tritt« (Nohr 2002: 248). 60 Diese Verschiebung unterdrückt die subjektive Positionierung, die die mentalen Karten im engeren Sinne kennzeichnen. Die mentale Karte beinhaltet immer eine subjektive Indizierung des Raums. Um eine oppositionelle Aneignung zu erlauben, müssen daher spezifische Bedingungen gegeben sein. 61 Welche Orte bzw. Räume werden in JACKIE BROWN präsentiert? Die Orte spielen bei Tarantino eine gewichtige Rolle: »Wo und wie die Rezeption von Tarantinos Filmen stattfindet, ist nicht zufallig. Es hängt zusammen mit der Topographie der Filme und mit den Besonderheiten ihrer Erzählweisen« (Körte 2000: 18f.). Aber was für eine Topographie ist das? Los Angeles bietet sich nicht unbedingt für das Filmen an: »Nie hat L.A. die einprägsame Ikonographie von New York oder San Francisco besessen, und alle Versuche, aus Mann 's Chinese Theatre am Hollywood Boulevard, den Türmen von Century City oder der bunten Pazifik-Idylle von Venice Beach ein haltbares Image zu kreieren, blieben stets ziemlich unverbindlich« (Körte 2000: 21 ). Obwohl L.A. dieses Postkartenflair abgeht - oder gerade deswegen - meint Körte, dass Tarantino eigentlich 60 Ygl. Nohr (2002 : 247): »Verkürzend dargestellt wird also das Ereignis in der Aneignung der Medienkarten zum Besonderen, während das ursprünglich Besondere, die Stadt, der Ort, die Landschaft zum Allgemeinen wird.« 61 Für einen oppositionellen Einsatz der Karte im Film vgl. die Lektüre, die T. Jefferson Kline ftir LES AMANTS (F 1958, Louis Malle) vorschlägt: »Thus, while the collage of La Carte de Tendre onto, or rather undemeath, the titles ofthisfilm appears to reassure the viewer that Malle 's film will enact a somewhat >old-fashioned< interpretation of human relationships, its presence anticipates the questions of feminine identity and voice so persistently alluded to in the mirrors and margins ofthis film« (Kiine 1992: 35).
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nur hier filmen bzw. seine Geschichten erzählen kann. »In der Unbestimmtheit des in die Horizontale gewürfelten Siedlungskonglomerats, im Sammelsurium aus lauter austauschbaren Straßenecken, Freeways, gleichförmigen Hinterhöfen und back alleys entdeckt er [Tarantino] den genius loci« (Körte 2000: 22). Wenn man sich seine Filme ansieht, so spielen sie tatsächlich alle in L.A. Und wenn die Figuren das heimatliche Gelände verlassen, gibt es eine Karte, um Orientierung zu liefern, so auch in KILL BILL (USA 2003) (Abb. 5.9).
'-) ~ ................... . OK! AW_/\.-----~--'
Abb. 5.9, 5.10
Welcher Art sind nun aber die Orte, die in JACKIE BROWN zu sehen sind? Zunächst einmal lässt sich festhalten , dass fast alle Szenen sich in Innenräumen abspielen: in der Wohnung von Melanie, Jackie und Simone, im Büro von Max und dem Polizisten. Wenn es Außenaufnahmen gibt, so sitzen die Figuren meist im Auto. Und dann gibt es da noch die Mall (Abb. 5.10). Max fahrt ins Einkaufszentrum, um ins Kino zu gehen.62 Das Einkaufszentrum ist ein Ort, der mit dem Besucher rechnet: »The smart store, then, is designed in accordance with how we walk and where we Iook« (Underhill 2000: 75f.). Dementsprechend beschreibt Margaret Morse - auf Certeau rekurrierend - das Einkaufszentrum als einen Ort, an dem die Inbesitznahme des Raums durch den Fußgänger so nicht mehr möglich ist. »De Certeau's vision of Iiberation via enunciative practices bears the marks of its conception in another time and place, that is in a pre-mall, pre-freeway and largely print-literate, pretelevisual world« (Morse 1998: I 0 I). Das heißt aber nicht, dass die Form der Aneignung, die Certeau vorschwebte, hier keine Relevanz hat. Im Gegenteil, alles ist so eingerichtet, dass die Gedanken des Besuchers abschweifen können - und sollen. Er soll sich wie in Trance bewegen, nicht merken, wie die Zeit vergeht: »[D]istraction is based upon the representation of space within place (in which, as we shall see, space becomes displaced, a nonspace) and the inclusion of (for de Certeau, liberating) else-
62 »By 1980, to most Americans going to the movies meant going to the mall« (Gomery 1992: 93). Vgl. flir eine Diskussion der Beziehung von Kino und Mall Hüser (2002b ).
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wheres and elsewhens in the here and now« (Morse 1998: 101). Das Einkaufszentrum rechnet mit der Zerstreuung, der fiktivisierenden Abwiechung.63 Morse weist drei Räumen eine analoge Struktur zu: dem Freeway, den Malls und dem Fernsehen: »Freeways, malls, and television are the locus of virtualization or an attenuatedfiction effect, that is, a partial loss of touch with the here-and-now, dubbed here distraction« (Morse 1998: 99) 64 Die Figuren in JACKIE BROWN bewegen sich also in Räumen, die schon selbst auf die fiktivisierende Wahrnehmung durch den Fahrer, Besucher oder Zuschauer abzielen. Nun macht es einen Unterschied, ob diese Räume im Kino gezeigt werden oder »real« erfahren werden. Im Kino kann die Zerstreuung durchaus zur Testhaltung werden. JACKIE BROWN versammelt diese Orte in einem Raum, der nicht nur als solcher Fiktion ist, sondern die Grenzen dieser Fiktionalisierung geschickt in sein Spiel einbezieht. Auf dem Klingelschild von Melanies Apartment und neben ihrem Namen kann man die Namen J. Hili und S. Haig lesen. Jack Hili ist der Regisseur von COFFY und Foxv BROWN, also der Pam GrierFilme, auf die JACKIE BROWN Bezug nimmt, und Sid Haig hat in diesen Filmen mitgespielt - außerdem spielt er den Richter in JACKIE BROWN (vgl. Fischer 2002 : 223f.). Solche intertextuellen Verweiselistetauch die DVD-Version in einem Menü auf. Das deutet auf die Form der Rezeption von Tarantino-Filmen. Die Narration der Geschichte kann u.U. durchaus vernachlässigt werden, um dem Autorenfilmer Tarantino Platz zu machen. Dann geht es auch plötzlich um die realen Orte in L.A., die Quentin Tarantino kennt und in seinen Filmen einsetzt. Und die liegen ganz nah bei Hollywood. Die Karte in JACKIE BROWN ist wie ein Bildschirm, der ein Außen anzeigt, das der Film vermeidet. 65 Von den Malls - und das gilt ebenfalls für L.A. - kann man sich kein Bild machen, außer aus der Vogelperspek-
63 »Eine Personendichte wird erstrebt, bei der weder der Eindruck von Enge noch Leere aufkommt. Für ideal gilt der Abstand, bei dem ein Besucher den nächsten vom Kopf bis etwas über die Knie ins Auge fassen kann, was in der Kinoterminologie >Amerikanische Einstellung< heißt« (Farocki 1999: 25). 64 Vgl. Morse (1998 : 100) ftir die Entfaltung der Differenz discourse/histoire auf diesem Feld: »distraction is related to the expression of two planes of language represented simultaneously or alternatively, the plane of the subject in a here-and-now, or discourse, and the plane of an absent or nonperson in another time, elsewhere, or story.« 65 Karten bilden das Außen im Innen ab: »From the sixteenth century on, maps were produced in great numbers as objects of display suitable for wall decoration and thus became a feature of domestic interiors, together with other cartographic objects« (Bruno 2002: 175).
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tive. 66 »Die größte Mall Nordamerikas, in Edmonton, ist von außen kaum abzubilden, nur eine Luftaufnahme kann sie gänzlich erfassen. (So erscheint sie auf Postkarten.) Es fehlt den Malls das repetetive Moment, das einzeln das Ganze repräsentieren könnte« (Farocki 1999: 25). In der Dei Amo Mall gibt es Karten, die den Besucher Orientierung geben sollen. Sie enthalten den Hinweis auf den Standpunkt des Betrachters, den ein fiktionaler Film nur implizieren kann (Abb. 5.11)
Abb. 5.11
Epilog: DVD Auf der ersten Appendix-DVD der LORD OF THE RINGS »Special Extended Edition« gibt es für die jeweiligen Folgen auch eine Karte von Mittelerde, mit der man durch die Story der Filme navigieren kann, und diese scheint mir als Feature und aus narratologischer Sicht interessant. 67 Diese Karte liefert den geographischen Hintergrund für die Geschichte. Wenn man die Karte aus dem Menue ansteuert, wird man durch eine Art Zwischentitel darüber informiert, dass man zwischen den Wegen der Protagonisten wählen kann. Diese Option ist je nach Teil der Trilogie unterschiedlich ausgestaltet, da im ersten Teil die Gefährten sich noch gemeinsam auf die Reise machen und nur Gandalf einen eigenen Weg einschlägt, während der zweite und dritte Teil dem User vier Optionen bietet - diese beiden Teile unterscheiden sich noch einmal, da jeweils andere Teams formiert werden. So kann man in THE RETURN OF THE KING zwischen den Routen von (I) Frodo & Sam, (2) Merry, (3) Aragom, Le66 Dank Google Maps ist das nun leicht machbar, ftir die Dei Amo-Mall siehe: http://maps.google.de/maps?f=q&hl=de&geocode=&ie=UTF8&11=33.8294 82,-118.353395&spn=0.010517,0.030384&t=k&z=16&om= l (5.9.2007). 67 Vgl. Barlow (2005) zu den Extras dieser und anderer DVDs. 170
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golas & Gimli und (4) Gandalf & Pippin wählen. Es gibt 15 verschiedene Schauplätze, die man besuchen kann, aber nur nachdem man sich für eine Route entschlossen hat. Ein entscheidender Unterschied zum Film ist, dass man, wenn man eine Route gewählt hat, den Abenteuern der Protagonisten folgen kann, ohne dass sie durch parallel montierte Passagen der anderen Mitstreiter unterbrochen werden. Man wechselt nicht einfach von einem Aragorn- zu einem Frodo-Schauplatz. Diese Ordnung erinnert übrigens an das Buch, das auch den Abenteuern der Protagonisten mehr Raum lässt, ohne oft von Ort zu Ort zu springen.
Abb. 5.12, 5.13 Dem Zwischentitel folgt eine Karte von Mitteleerde (Abb. 5.12). Die Karte, die man zu sehen bekommt, entspricht Karten, die auch im eigentlichen Film zu sehen sind. Dort gibt es diegetische Karten - so als Frodo und Sam im zweiten Teil von Faramir und seinen Truppen aufgegriffen werden - und nicht-diegetische Exemplare - so im Prolog oder als es nach der Krönung des Königs in Minas Tirith der Heimweg angetreten wird. Dieser Weg wird im Film durch eine Kamerafahrt auf einer Karte vermittelt. Ein voice-over-Kommentar Frodos begleitet diese Einstellung. Der Einsatz von Karten ist nicht wirklich neu. Schon die unterschiedlichen Buchausgaben enthielten Karten von Mittelerde. Die den Büchern hinzugefügten Karten sind hinsichtlich ihrer Verwendung praktischer als ihre digitalen Verwandten auf den DVDs - sie lassen paradoxerweise mehr Interaktivität zu: Man kann nicht ohne weiteres von der Karte zum Film wechseln, da sie sich auf verschiedenen DVDs befinden. Die Karte auf der DVD nutzt man also nicht während man den Film sieht, sondern nur im Anschluss als eine Art Gedächtnishilfe. Die Karte zum Buch kann man ausklappen und so einfach von der Erzählung zur Karte wechseln. Eine analoge Funktion bedienen Karten in Yideospielen, die dem Spieler durch Drücken einer Funktionstaste erlauben, seine Position zu bestimmen. Um dies zu kompensieren, wurden die wichtigen Orte der Handlung markiert. Wenn man sie anklickt, bekommt man Clips zu sehen, die kur-
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ze Sequenzen aus dem Film zeigen. Vorher sieht man noch eine Animation: Eine rote Spur, die sich dem gewählten Schauplatz nähert. Nach der angesprochenen Animation taucht ein weiterer Zwischentitel auf, der die Handlung, die sich an dem Ort abspielt, zusammenfasst. Danach folgt der Clip, der Szenen aus diesem Handlungszusammenhang zeigt. Die Ausschnitte variieren, je nachdem welchen Protagonisten man gewählt hat. Die verschiedenen Teile der Edition wählen unterschiedliche Arten von Szenen, um den Ort der Handlung zu bebildern. Der erste Teil präsentiert zwar Szenen, die sich am Ort des Geschehens vollziehen, es werden aber keine entscheidenden Szenen gezeigt, selbst dann nicht, wenn der vorausgehende Zwischentitel eine solche ankündigt. So erleben wir trotz Ankündigung im Zwischentitel nicht Bogomirs Tod und ebenso wenig, wie Frodo auf der Wetterspitze verletzt wird (Abb. 5.13). Erstaunlich ist, wie wenig hier vom Schnitt Gebrauch gemacht wird. Die Integrität der Szenen wird gewahrt und nur behutsam gekürzt. Das erinnert an klassische Trailer, deren Adressierungsmodus Vinzenz Hediger (2001: 37) als »showing as announcing« beschreibt. Aber, wie gesagt, man hat den Film sicher gesehen, bevor man zu den Appendices schreitet. Deshalb entschieden die Produzenten wohl, die Art der Clips in den folgenden Editionen zu ändern : Dort ist ein Ansteigen des Schnittrhythmus' zu erkennen. Und es werden auch die für die Erzählung entscheidenden Momente gezeigt: Gollums Fall in den Schicksalsberg ebenso wie das Zurückschlagen von Shelob. Dies ist natürlich nicht möglich in einem Trailer, selbst nicht in einem gegenwärtigen, der im Gegensatz zum klassischen Trailer sehr viel mehr von der Handlung preisgeben darf.68 Die Karte funktioniert also wie eine Zusammenfassung des Films vergleichbar mit der Art und Weise, wie wir Geschichten erinnern: »One of the most important yet least appreciated facts about narrative is that perceivers tend to remernher a story in terrns of categories of information stated as propositions, interpretations, and summaries rather than remembering the way the story is actually presented or its surface features« (Branigan 1992: 14f.). Was für einen Unterschied macht es aber, wenn ein vorfabriziertes Werkzeug (tool) diese Aufgabe für mich übernimmt? Zeigt die Karte nur, was offensichtlich gegeben ist? Die Karte mit ihren Routen könnte man mit der memoria-Tradition in der Rhetorik vergleichen, da auch sie ein topisches Modell für Erinnerung bietet. Man kann die eigenen Erinnerungen abgleichen, während die Karte ein Raummo68 Vgl. Hediger (2001: 58): »In der klassischen Ära verhalten sich die Produzenten - und auf ihre Anweisung die Filmwerber - so, als wäre die Story etwas, was von Film zu Film neu erfunden werden muss. [.. .]Von der neueren Filmwerbung hingegen wird die Story in einer standardisierten Form vorausgesetzt[ ... ]. Stärker hervorgehoben wird dagegen vor diesem Hintergrund des Standardplots die Originalität der Umsetzung.«
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dell offeriert, in dem man Informationen speichern kann. Der Unterschied ist, dass ich bei der DVD nicht entscheiden kann, welche Bilder mit den jeweiligen Räumen verknüpft sind. Hier zieht das Zusatzmaterial gerade nicht die Aufmerksamkeit vom Film als Narration ab. Die Extras der DVD müssen also nicht unbedingt eine Emanzipation des Zuschauers in dieser Hinsicht bewirken, wie dies z.B. Laura Mulvey meint: »These extra-diegetic elements have broken through the barrier that has traditionally protected the diegetic world of narrative film and its linear structure. Furthermore, as a DVD indexes a film into chapters, the heterogeneity of add-ons is taken a step further by non-linear access to its story« (Mulvey 2006: 27). Gerade die Kapiteleinteilungen geben ja eine Lektüre vor und beruhen auf einer Analyse der Narration. Man gelangt dementsprechend nicht zu Minute 67 oder Einstellung 203, sondern zu Kapiteln wie »Minas Morgul«, »Pippins Aufgabe« oder »Die schwarzen Schiffe«. Aber auch eine Ablösung von der diegetischen Welt muss nicht immer auf eine Befreiung des Zuschauers hinauslaufen. Die Rahmung des Films durch die Extras der DVD kann andere bestehende Rezeptionshaltungen fortschreiben. Barbara Klinger (200 I : 140) ist dementspechend deutlich kritischer: »Rather than inciting critical attitudes toward the industry, then, behind-the-scenes >exposes< vividly create its identity as a place of marvels brought to the public by talented film professionals.« Die Filmindustrie hat so die Möglichkeit, ein bestimmtes Image von sich entwerfen, kann zeigen, wie es denn in Hollywood so läuft. Der Zuschauer soll sich diesen Blick auf die Filmindustrie aneignen. »But this identification, like any identification the viewer may have had with the apparently seamless diegetic univese of the film itself, is based on an illusion« (Klinger 200 I : 140). Diese Rezeptionshaltungen sind dem Medium der DVD zwar eingeschrieben, schreiben aber die Form der Rezeption nicht unbedingt fest. Die paratextuelle Rahmung der DVD gibt der Industrie genausoviele Möglichkeiten der Kontrolle des Rezipienten, wie sie ihm abweichende Lesarten erlaubt. Wenn man ein anderes Menue der Appendices-DVDs ansteuert, findet man eine Karte, die Neuseeland als Mittelerde entwirft (Abb. 5.14). Diese Karte zeigt uns, wo die Handlungsräume des Films »wirklich« sind. Wenn man diese Karte anklickt, kann man sich Making-OfDokumentationen anschauen, die veranschaulichen, wie aus Neuseeland Mittelerde wurde. Diese Karte erlaubt aber auch eine touristische Interaktion.69 Man könnte nach Neuseeland reisen und das Auenland besuchen, eine Sightseeing-Tour im Sinne von Guiliana Bruno (2002) veran69 Vgl. Schoenholtz (2005) zur Inszenierung der neuseeländischen Landschaft
im Film.
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stalten: Man reist dann, um zu sehen, was man schon angesehen hat. Man kann dann reale und Filmwelt vergleichen und Erinnerungen, die man an einen der Filme hat, aufsuchen.
Abb. 5.14-5.15
Könnte das ein Modell für andere DVDs sein? Die Edition von SUNSET BOULEVARD (Paramount DVD Collection 2003) verfügt über eine Karte von Los Angeles (Abb. 5.15). Diese zeigt, wo sich die verschiedenen Schauplätze bzw. Drehorte des Films befinden. Das ergibt die ganz besondere Mischung aus fiktionalem Universum und Fiktionen produzierendem Kontext, die man »Hollywood« nennt.
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FAZIT »[D]er Text muß zugleich von seinem Äußeren und von seiner Totalität losgelöst werden« (Barthes 1976: I 0)
Die Arbeit am Paratext hat von den Rändern des Textes, dem Logo und dem »The End«-Titel immer weiter in den Text hineingeführt, über den Vorspann, dessen Position schon weniger festgelegt ist, zum Frame, der nach Brunette und Wills eben auch das ganze Bild bezeichnet, bis zur Karte und den Zwischentiteln, die an ganz verschiedenen Orten den Raum des Films beschreiben. Nicht jeder einzelne filmische Paratext ist ausgiebig behandelt worden, aber das war auch nicht das Ziel der Arbeit. Es ging mir darum, das Zusammenwirken von Text und Paratext an ausgewählten Beispielen darzustellen. Die Bewegung in den Text, die mit der Abfolge der Kapitel unternommen wurde, zeugt von der Schwierigkeit, Text und Paratext voneinander abzulösen. Der Paratext ist nicht einfach das »Äußere« des Textes, sondern - wenn man so will - das innere Äußere, eine »Schwelle« eben, wie der Originaltitel Genettes nahelegt Die Position der Paratexte ist dabei nicht entscheidend. Fokussiert man die Paratexte, so bricht die Einheit des Textes, seine »Totalität«, auf und die etablierten Innenund Außenbezüge des Filmtexts werden analysierbar. Genettes Überlegungen sind nicht zuletzt von der Erkenntnis geprägt, dass die mediale Disposition die Lektüre eines Textes steuert, mithin nicht ahistorisch konzipiert werden kann. Schon 1964 weist er darauf hin: »Perhaps we are quite simply living through the last days of the Book. [... ] we cannot go on speaking of Iiterature as if its existence were self-evident [... ]. We do not, for example, have a history of reading. Such a history would be an intellectual, social, and even physical history« (Genette 1988: 78). Gerade zu Zeiten des medialen Umbruchs zum Computerzeitalter sind diese Fragen aktuell - und das nicht nur aufgrund der paratextuellen Attraktivität der DVD. Der Computer hat eine »digitale Plattform« (vgl. Schanze 2004) geschaffen , auf der die >alten< Medien simuliert werden können. Die apparative Lesbarkeit dieser Medien wird
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dort über bestimmte Rahmen, Fenster etc. gewährleistet. Paratexte bezeugen bestimmte Einstellungen, die wir den jeweiligen >Inhalten< entgegenbringen. Und ist es nicht eine der wichtigsten Aufgaben der Medienwissenschaft, >Inhalte< von Medien nach ihrer jeweiligen Rahmung zu befragen? Mit dem Begriff des Paratextes hat Genette einen Beitrag dazu geleistet, wenn er auch den sozialen und physischen Aspekt einer solchen Geschichte meidet. Er geht zwar davon aus, dass der Paratext an allgemeine technische Entwicklungen rückgekoppelt ist, 1 sein Textbegriff erweist sich aber als zu restriktiv, um dieser Erkenntnis Rechnung zu tragen. Gerade deshalb erscheint es mir sinnvoll, den Textbegriff einer Relektüre zu unterziehen, die ihn in ein Wechselspiel mit dem Paratext versetzt. Der Text existiert nicht vor einer Lektüre, die Genette jedoch leugnet, wenn er den Text als »unwandelbar« konzipiert. 2 Das soll wiederum nicht heißen, dass Lektüre ein reines Konstrukt des Lesers ist. Sie entsteht in der Auseinandersetzung mit einem Medium. Bei der Rückübertragung des Paratextbegriffs auf das Feld der Literatur kann es dann nur darum gehen, das Buch als Medium ernst zu nehmen. Nachdem der Begriff auf diese Weise von der eingeschränkten Behandlung befreit worden ist, die er bei Genette erfahren hat, kann er auch auf dem Feld der Literatur erneut produktiv werden.3
2 3
»Die allgemeine Geschichte des Paratextes folgt vermutlich den Etappen einer technologischen Entwicklung« (Genette 1989: 20). Vgl. Genette (1989: 388): Der Paratext ist eine »Schleuse«, die »zwischen der idealen und relativ unwandelbaren Identität des Textes und der empirischen (soziohistorischen) Realität seines Publikums« vermittelt. Credit where credit is due: Dank geht an Georg Stanitzek, ohne den diese Seiten nie geschrieben worden wären. Weiterer Dank fur Diskussionen geht an die anderen Gutachter Klaus Kreimeier und Vinzenz Hediger, an Natalie Binczek, Helmut Schanze, Rembert Hüser, Britta Hartmann, Alexandra Schneider, Jörg Döring, Deborah Allison, Adam Duncan Harris, Joachim Paech, Andrea von Kameke, Doris Vogel, Andre Berger, Celine Kaiser, an das Kollquium Stanitzek und an alle Studenten, die sich wohl oder übel mit dem Thema auseinandersetzen mussten.
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