Palliativmedizin - 1000 Fragen: Redaktion: Sabatowski, Rainer; Rolke, Roman; Ostgathe, Christoph; Maier, Bernd Oliver 9783132451315

Kompaktes Wissen für Prüfung und Praxis Kompakte Vorbereitung: Aktuelle und praxisrelevante Fragen aus dem gesamten Fac

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Table of contents :
Rainer Sabatowski, Bernd Oliver Maier, Christoph Ostgathe et al.: Palliativmedizin – 1000 Fragen
Innentitel
Impressum
Geleitwort zur 3. Auflage
Vorwort zur 3. Auflage
Vorwort zur 1. Auflage
Abkürzungen
Inhaltsverzeichnis
Anschriften
Allgemeiner Teil
1 Grundlagen
Ziele und Bedeutung des Faches
Definition und historische Entwicklung
Organisationsformen
Gesetzliche Grundlagen
Dokumentation und Assessment
2 Grundlagen der Schmerztherapie und Symptomlinderung
Epidemiologie und Messinstrumente
Epidemiologie von Schmerzen in der Palliativsituation
Messinstrumente
Schmerztherapie
Klassifikation von Schmerzen in der Palliativsituation
Definition und Prävalenz von Durchbruchschmerzen
Opioide und Cannabinoide
Nichtopioidanalgetika
Koanalgetika
Medikamenteninteraktionen
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung
Interventionelle „Schmerztherapie
Physiotherapie
Nicht medikamentöse Schmerztherapie
Strahlentherapie zur Schmerztherapie
Symptomkontrolle
Gastrointestinale Symptome
Dermatologische Symptome
Neurologische Symptome
Psychiatrische und „psychologische Symptome
Respiratorische Symptome
Hämatologische Symptome
Infektionen und Fieber
Anorexie-Kachexie-Syndrom
Palliativmedizinische Notfälle
Sterbephase
3 Ethik und rechtliche Grundlagen
Medizinethische Prinzipien und Grundlagen
Entscheidungen am Lebensende
Advance Care Planning (ACP) für die letzte Lebensphase
4 Kommunikation
Kommunikation in der Palliativmedizin
Breaking Bad News
5 Psychologische, soziale und spirituelle Aspekte in der Palliativsituation
Psychotherapeutische Verfahren
Psychoonkologie
Spiritualität
Trauer
Soziale Arbeit
Belastung des Teams/Burn-out
Spezieller Teil
6 Onkologische Erkrankungen
Therapieverfahren
Grundlagen der palliativen medikamentösen Tumortherapie
Grundlagen der „Strahlentherapie
Grundlagen nuklear„medizinischer Behandlungen
Komplementärmedizin
Tumoren und Erkrankungen
Abdominale Tumoren
Urologische Tumoren
Dermatologische Tumoren
Tumoren des „Zentralnervensystems
Sarkome/Knochentumoren
Tumoren im Kopf-Hals-Bereich
Thorakale Tumoren
Hämatologische „Erkrankungen
Gynäkologische Tumoren
Paraneoplastische „Syndrome
7 Neurologische Erkrankungen
Neurodegenerative Erkrankungen
Neurovaskuläre Erkrankungen
Entzündliche ZNS-Erkrankungen
8 Weitere internistische Erkrankungen
Erkrankungen des Herzens
Erkrankungen der Lunge
Erkrankungen der Leber
Erkrankungen der Nieren
9 Palliativmedizin in der Geriatrie
10 Palliativmedizin im Kindesalter
Tumorerkrankungen im Kindesalter
Genetische Erkrankungen im Kindesalter (Nichttumorerkrankungen)
Palliativmedizin in der Neonatologie
Begleitung sterbender Kinder und ihrer Familien
11 Palliativmedizin und Forschung
Anhang
12 Literatur
Zitierte Literatur
Weiterführende Literatur
Access Code: Zusätzliche Online Information
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Palliativmedizin - 1000 Fragen: Redaktion: Sabatowski, Rainer; Rolke, Roman; Ostgathe, Christoph; Maier, Bernd Oliver
 9783132451315

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Palliativmedizin – 1000 Fragen Herausgegeben von Rainer Sabatowski Bernd Oliver Maier Christoph Ostgathe Roman Rolke Mit Beiträgen von Bernd Alt-Epping Iris Appelmann Gerhild Becker Justus Benrath Johannes Bükki Linda Fendel Jan Gärtner Heidrun Golla Jan Gramm Ruth Heineck Lucie Heinzerling Susanne Heller Marie Hentrich Franziska Hessel Christine Hofbauer Sonja Hofmann Beate Hornemann Dominik Irnich Bastian Jaeschke Maria Janisch

Karin Jaroslawski Peer Wolfgang Kämmerer Susanne Kiepke-Ziemes Carsten Klein Martin Liebetrau Stefan Lorenzl Bernd Oliver Maier Heiner Melching Christian Menzel Marcus Meusel Martin Mücke Karsten Münstedt Kristina Muscheid Friedemann Nauck Peter Nieland Silke Nolte-Buchholtz Christoph Ostgathe Piret Paal Mathias Pfisterer Matthias Richter

Roman Rolke Traugott Roser Rainer Sabatowski Rüdiger Scharnagel Eva Schildmann Jan Schildmann Mathias Schmidt Matthias Helmut Schmidt Barbara Schubert Ulrich Schuler Katharina Schütte Katrin Singler Martin Smitka Jürgen Spicher Tobias Steigleder Stephanie Stiel Ralf Thiel Sascha Weber

Frühere Bearbeitung Walter Bruchhausen Monika Daubländer Helmut Hoffmann-Menzel Ingmar Hornke

Karin Kast Rita Laufenberg-Feldmann Frauke Musial Stephanie Neuberger

Klaus Maria Perrar Markus Schuler Rainer Schwab Eva-Maria Sprengrad

3., aktualisierte Auflage Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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© 2024. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14, 70 469 Stuttgart, Germany www.thieme.com Printed in Germany 1. Auflage 2013 2. Auflage 2018 Zeichnungen: Andrea Schnitzler, Innsbruck; Angelika Brauner, Hohenpeißenberg Covergestaltung: © Thieme Bildnachweis Cover: © Monkey Business/stock.adobe.com – Stock photo. Posed by models Redaktion: Stephanie Kaiser-Dauer, Heidelberg Satz: Ziegler und Müller, Kirchentellinsfurt Druck: Westermann Druck, Zwickau

DOI 10.1055/b000 000 789 ISBN 978-3-13-245130-8 Auch erhältlich als E-Book: eISBN (PDF) 978-3-13-245131-5 eISBN (epub) 978-3-13-245132-2

Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, dürfen die Lesenden zwar darauf vertrauen, dass Autor*innen, Herausgeber*innen und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede*r Benutzende ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines/r Spezialist*in festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzenden. Autor*innen und Verlag appellieren an alle Benutzenden, ihnen etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.

1 2 3 4 5 6

Wo datenschutzrechtlich erforderlich, wurden die Namen und weitere Daten von Personen redaktionell verändert (Tarnnamen). Dies ist grundsätzlich der Fall bei Patienten, ihren Angehörigen und Freunden, z. T. auch bei weiteren Personen, die z. B. in die Behandlung von Patienten eingebunden sind. Thieme Publikationen streben nach einer fachlich korrekten und unmissverständlichen Sprache. Dabei lehnt Thieme jeden Sprachgebrauch ab, der Menschen beleidigt oder diskriminiert, beispielsweise aufgrund einer Herkunft, Behinderung oder eines Geschlechts. Thieme wendet sich zudem gleichermaßen an Menschen jeder Geschlechtsidentität. Die Thieme Rechtschreibkonvention nennt Autor*innen mittlerweile konkrete Beispiele, wie sie alle Lesenden gleichberechtigt ansprechen können. Die Ansprache aller Menschen ist ausdrücklich auch dort intendiert, wo im Text (etwa aus Gründen der Leseleichtigkeit, des Text-Umfangs oder des situativen Stil-Empfindens) z. B. nur ein generisches Maskulinum verwendet wird.

Geleitwort zur 3. Auflage Die Palliativ- und Hospizversorgung ist schon seit einigen Jahren fest in das deutsche Gesundheitssystem integriert und Teil der Regelversorgung geworden. Mit ca. 400 Teams der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gibt es in Deutschland fast ein flächendeckendes ambulantes Versorgungsangebot. Über 350 Krankenhäuser halten Palliativstationen vor und immer mehr Krankenhäuser haben auch multiprofessionelle Palliativdienste etabliert. Ergänzt werden diese Angebote durch ca. 250 stationäre Hospize und viele ambulante Hospizdienste. Zudem werden neue Versorgungsangebote wie Tageshospize und palliativmedizinische Tageskliniken in Pilotprojekten getestet. Über 120 000 Haupt- und Ehrenamtliche sind in Deutschland in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig. Auch die Notwendigkeit der Stärkung der Allgemeinen Palliativversorgung sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich wird immer mehr erkannt, da besonders die Primärversorgenden viele Menschen mit fortgeschrittenen Erkrankungen und ihre Angehörige mit schwerer Erkrankung und am Lebensende begleiten. Auch hier ist eine palliativmedizinische Basisqualifizierung notwendig. Palliativmedizinische Inhalte sind in der Zwischenzeit auch in vielen Bereichen der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu finden. Medizinstudierende müssen innerhalb des Studiums verpflichtend einen Schein in Palliativmedizin machen. In den Ausbildungsberufen der Gesundheits- und Krankenpflege, der Physiotherapie, Ergotherapie u. a. sind palliativmedizinische Inhalte zum Teil schon sehr lange verankert. Es gibt vielfältige, oft auch multiprofessionelle Fortbildungen zu palliativmedizinischen Themen für verschiedene Berufsgruppen und schließlich Weiterbildungen in Palliative Care für Pflegende, Psycholog*innen und weitere psychosoziale

und therapeutische Berufsgruppen. Die Zusatzweiterbildung Palliativmedizin haben in Deutschland mittlerweile über 14 000 Ärzt*innen erworben. Ergänzt wird das Angebot durch verschiedene Masterstudiengänge. Daher freue ich mich, dass jetzt die 3. Auflage des Werks „Palliativmedizin – 1000 Fragen“ vorliegt, in der die Autor*innen eine Vielzahl von Fragen zu verschiedenen Aspekten der Palliativversorgung evidenzbasiert und aktualisiert beantworten. Neue Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien und neueren Entwicklungen sind in die Überarbeitung mit eingeflossen und untermauern damit auch die Dynamik dieses Fachs. Neben verschiedenen Lehrbüchern zur Palliativmedizin und Palliativversorgung bietet diese Fragensammlung die Möglichkeit, sich kurz und knapp, aber trotzdem fundiert auf Prüfungen, wie z. B. Staatsexamen oder für die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin vorzubereiten. Genauso kann das Buch als Einstieg dienen, um einen Überblick über die Palliativversorgung und palliativmedizinische Fragestellungen zu bekommen und damit hoffentlich so viel Interesse zu wecken, sich weiter in das Fach zu vertiefen. Der Dank geht an die Autor*innen, das breite palliativmedizinische Wissen so kompakt in 1000 Fragen „herunterzubrechen“ und damit in einem spannenden Format zur Verbreitung der Palliativversorgung beizutragen, damit möglichst viele Menschen mit schwerer Krankheit und am Lebensende kompetent begleitet werden. Im Frühjahr 2023 Claudia Bausewein Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

5

Vorwort zur 3. Auflage Im Jahr 2012 trafen sich die Herausgeber dieses Buches erstmalig mit Vertretern des Thieme-Verlags, um darüber zu diskutieren, das bereits in anderen Fachrichtungen bewährte Buchkonzept „ … – 1000 Fragen“ auch für die Palliativmedizin zu übernehmen. Wir waren schon damals davon überzeugt, dass dieses Konzept als praxisnahes Lehr- und Prüfungsvorbereitungsbuch durchaus in der „Palliativ- und Hospizszene“ bedeutsam sein könnte. 2013 erschien dann mit Unterstützung vieler Autorinnen und Autoren die 1. Auflage. Und jetzt im Jahr 2023 – nur 10 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage – ist das Interesse und die Nachfrage ungebrochen hoch und wir freuen uns, Ihnen die nunmehr 3. aktualisierte Auflage präsentieren zu dürfen. Die Gründe für diese ungebrochen hohe Nachfrage sind sicherlich vielfältig. Zuallererst zu nennen sind die qualitativ hochwertigen Beiträge unserer Autorinnen und Autoren, für die wir uns sehr bedanken möchten. Auch spiegelt das Buch die notwendige multiprofessionelle Perspektive wider, die im Rahmen einer ganzheitlichen palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten und von deren An- und Zugehörigen so wichtig ist. Gerade durch diese unterschiedlichen Perspektiven gelingen Problemlösungen im beruflichen Alltag besser; relevante Themen aus der Praxis werden für die Praxis aufbereitet. Und nicht zuletzt: Die Bedeutung und auch die öffentliche Wahrnehmung der Palliativversorgung hat in

6

den letzten Jahren stetig zugenommen. Palliativmedizinische Aspekte in der Versorgung von Personen mit lebenslimitierenden Erkrankungen finden nicht mehr nur in hochspezialisierten Einrichtungen, wie Palliativstationen und Hospizen statt, sondern haben längst Einzug gehalten in die unterschiedlichsten medizinischen Fachabteilungen unserer Krankenhäuser, in Einrichtungen der Alten- und Eingliederungshilfe und auch in die ambulante Betreuung von pflegebedürftigen Menschen. Es freut uns sehr, dass das Werk „Palliativmedizin – 1000 Fragen“ nicht nur von Ärztinnen und Ärzten, die sich auf die Prüfung zur Zusatzbezeichnung Palliativmedizin vorbereiten, in die Hand genommen wird. Auch andere Berufsgruppen greifen zu diesem Buch, um ihr Wissen zu vertiefen oder um schlicht etwas nachzuschlagen. Auch kann dieses Buch Studierenden der Medizin wertvolle Hilfe und Unterstützung bei den täglichen Herausforderungen geben und zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Palliativmedizin führen. Dresden, Wiesbaden, Erlangen, Aachen im Frühjahr 2023 Rainer Sabatowski Bernd Oliver Maier Christoph Ostgathe Roman Rolke

Vorwort zur 1. Auflage Mit dem Buch „Palliativmedizin – 1000 Fragen“ setzt der Thieme Verlag ein bereits etabliertes und erfolgreiches Format fort. Wir freuen uns, Ihnen nun auch die Palliativmedizin auf diese Art näherbringen zu können. Eine Besonderheit dieser Buchreihe ist die klare Gliederung in Frage – Antwort – vertiefender Kommentar. Hier wird kompakt und übersichtlich Wissen vermittelt, ohne sich dabei des klassischen Lehrbuchformats zu bedienen. Unter anderem soll mit dieser Gliederung eine Situation gespiegelt werden, wie sie in Prüfungen auftritt, um den Leser in seiner Prüfungsvorbereitung zu unterstützen. Andererseits finden sich in den Fragen und den überwiegend praxisnahen Antworten „Probleme“ des täglichen Alltags in der Betreuung von Palliativpatienten wieder. Auch hier soll das vorliegende Buch Hilfestellung bieten, um bei der klinischen oder ethischen Entscheidungsfindung zu unterstützen und Teamprozesse verschiedener Berufsgruppen zu begleiten. Der Anspruch der Palliativmedizin als breit aufgestelltes Fach mit in hohem Maße interdisziplinären Strukturen spiegelt sich auch in der Multiprofessionalität der Autorengruppen wider. Es ist uns gelungen, zahlreiche renommierte Fachkollegen aus den unterschiedlichsten medizinischen Bereichen für dieses interessante Buchprojekt zu begeistern und als Autoren zu gewinnen. Gemeinsam ist allen, dass sie neben dem originären Fachbezug auch große Erfahrung im Bereich der Palliativmedizin vorweisen können. Wir haben aber auch großen Wert darauf gelegt, dass nicht nur ärztliche Kollegen in die Gruppe der Autoren aufgenommen wurden, sondern ebenfalls Autoren aus nicht ärztlichen

Bereichen integriert sind. Nur so können die vielen verschiedenen Aspekte der Palliativmedizin wirklich umfassend und kompetent abgebildet werden. Die Palliativmedizin ist ein Fach, das sich durch eine große Vielfalt an unterschiedlichsten ärztlichen und nicht ärztlichen Bereichen auszeichnet – eine Eigenschaft, die sich auch in der Zusammensetzung der Mitglieder der DGP (der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.) wiederfindet. Unser neues Lehrbuch soll nicht nur dem Facharzt als Wegweiser und Unterstützung im Rahmen der Prüfungsvorbereitung für die Zusatzweiterbildung „Palliativmedizin“ dienen. Das Buch wendet sich als kompakte Orientierung auch an alle anderen Berufsgruppen in der Palliativmedizin – vom Lehrbeauftragten des Querschnittsbereichs 13 „Palliativmedizin“ an den Universitäten, den Studierenden, die ihre dort erlernten Kenntnisse und Kompetenzen vertiefen wollen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pflege, Psychotherapie, Physiotherapie, Seelsorge bis hin zu den Ehrenamtlichen. Wir wünschen Ihnen, dass Sie die Anregungen dieses Buches als Inspiration für Ihre Arbeit empfinden werden – in der Ausbildung, auf der Station, im Hospiz oder im Rahmen ambulanter Versorgungsangebote. Dresden, Wiesbaden, Erlangen, Bonn im Frühjahr 2013 Rainer Sabatowski Bernd Oliver Maier Christoph Ostgathe Roman Rolke

7

Abkürzungen AAPV ABCDE

ACE ACP ACT

ADH AIDS ALL ALS AML AMPA AWMF BESD BfArM BFI BGB BGH BISAD

BQKPMV BRAF BRCA BtMVV BVP CB1/2 CBD CLL CML CO2 COPD COX CT CTA CTC

8

allgemeine ambulante Palliativversorgung Leitfaden zur Übermittlung schlechter Nachrichten, bestehend aus den Gesprächsanteilen „advance preparation“, „build a therapeutic environment/ relationship“, „communicate well“, „deal with patient and family reactions“, „encourage and validate emotions“ Angiotensin Converting Enzyme Advance Care Planning Association for Children with LifeThreatening or Terminal Conditions and their Families antidiuretisches Hormon erworbenes Immundefektsyndrom akute lymphatische (lymphoblastische) Leukämie amyotrophe Lateralsklerose akute myeloische Leukämie α-Amino-3-hydroxy-5-methylisoxazol-4propionsäure Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften Beurteilungsinstrument zur Beurteilung von Schmerzen bei Demenz Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Brief Fatigue Inventory Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Beobachtungsinstrument für das Schmerz-Assessment bei alten Menschen mit Demenz besonders qualifizierte und koordinierte palliativmedizinische Versorgung B-Raf-Protein Breast-Cancer-Tumorsuppressorgen Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung Behandlung im Voraus Planen Cannabinoid 1/2 Cannabidiol chronische lymphatische Leukämie chronische myeloische Leukämie Kohlendioxid chronisch-obstruktive Lungenerkrankung Cyclooxygenase Computertomografie computertomografische Angiografie Common Toxicity Criteria

DCB/DNCB Dinitrochlorobenzen DFNS Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz DGP Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. DiV-BVP Deutschsprachige interprofessionelle Vereinigung Behandlung im Voraus planen DKG Deutsche Krebsgesellschaft e. V. DN4 Douleur Neuropathique en 4 Questions DNA Desoxyribonukleinsäure DRG diagnosebezogene Fallgruppen EAPC European Association for Palliative Care EBM einheitlicher Bewertungsmaßstab ECOG Eastern Cooperative of Oncology Group EEG Elektroenzephalografie EGFR Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor EMA Europäische Arzneimittelagentur EORTC-QLQ-C 15-Pal European Organization for Research and Treatment Quality of Life Questionnaire (Palliativpatienten) EORTC-QLQ-C 30 European Organization for Research and Treatment Quality of Life Questionnaire EVN Empfehlungen zum Vorgehen in Notfallsituationen GABA γ-Aminobuttersäure GBA gemeinsamer Bundesausschuss G-CSF Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor GG Grundgesetz GOLD Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease HIV humanes Immunschwächevirus HKP-RL Häusliche Krankenpflege-Richtlinie HPG Hospiz- und Palliativgesetz ICD implantierbarer Kardioverter-Defibrillator ICD-10 Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, aktuell gültige 10. Ausgabe IDO Indoleamin-2,3-dioxygenase INR International normalized Ratio IPOS Integrated Palliative Care Outcome Scale LAG Lymphocyte-Activation-Gen LANSS Leeds Assessment of Neuropathic Symptoms LDH Laktatdehydrogenase LSD Lysergid

Abkürzungen MALT-Lymphom Mucosa-associated-lymphoid-Tissue Lymphoma MD Medizinischer Dienst MEK Mitogenaktivierte Proteinkinase-Kinase MIBG Metajodbenzylguanidin MIDOS minimales Dokumentationssystem MRT Magnetresonanztomografie mTOR Mechanistic Target of Rapamycin NBIA Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation NMDA N-Methyl-D-Aspartat N-PASS Neonatal Pain, Agitation and Sedation Scale NPSI-G Neuropathic Pain Symptom Inventory – German NRS numerische Rating-Skala NSAID nicht steroidale Antiphlogistika, Non-steroidal anti-inflammatory Drugs NSCLC nicht kleinzelliges Bronchialkarzinom NURSE Leitfaden zum Umgang mit Emotionsäußerungen, bestehend aus „naming“, „understanding“, „respecting“, „supporting“ und „exploring“ NYHA New York Heart Association OPS Operationen- und Prozedurenschlüssel OTFC Oral transmucosal Fentanyl Citrate paCO2 arterieller Kohlendioxidpartialdruck PAMORA Peripheral acting µ-OpioidrezeptorAntagonisten PARPi Poly-Adenosindiphosphat-Ribosepolymerase-Inhibitor PCA Patient-controlled Analgesia pCO2 Kohlendioxidpartialdruck PEG perkutane endoskopische Gastrostomie PEJ perkutane endoskopische Jejunostomie PET-CT PositronenemissionstomografieComputertomografie PROM Patients reported Outcome Measures PSA prostataspezifisches Antigen PSG Pflegestärkungsgesetz PUVA UVA-Bestrahlung nach Fotosensibilisierung

quantitative sensorische Testung Rezeptor-Aktivator des NF-κB-Liganden spezialisierte ambulante pädiatrische Palliativversorgung SAPV spezialisierte allgemeine Palliativversorgung SAPV-KJ spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene SEIQoL-DW Schedule for the Evaluation of individual Quality of Life – direct Weighting SEMS selbstexpandierender Metall-Stent SGB Sozialgesetzbuch SIADH Syndrom der inadäquaten Sekretion von antidiuretischem Hormon SPIKES Leitfaden zur Übermittlung schlechter Nachrichten mit den Gesprächsanteilen „setting“, „perception“, „invitation“, „knowledge“, „empathy“, „strategy“ und „summary“ SSNRI selektive Serotonin-NoradrenalinWiederaufnahmehemmer SSRI selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer StGB Strafgesetzbuch TENS transkutane elektrische Nervenstimulation THC δ-9-Tetrahydrocannabinol TNM-Einteilung Klassifikation zum Staging von Tumorerkrankungen TRPV1 Transient Receptor Potential Vanilloid 1 TSH Thyreoidea-stimulierendes Hormon T-VEC Talimogen-Laherparepvec UV ultraviolettes Licht VEGF Vascular endothelial Growth Factor VGKC spannungsabhängige Kaliumkanäle WAT 1 Withdrawal Assessment Tool 1 WHO Weltgesundheitsorganisation ZE Zusatzentgelt ZVK zentraler Venenkatheter QST RANKL SAPPV

9

Inhaltsverzeichnis Allgemeiner Teil 1

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1

Ziele und Bedeutung des Faches Friedemann Nauck

1.2

Definition und historische Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Friedemann Nauck

1.4

Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . Heiner Melching

19

1.5

Dokumentation und Assessment Stephanie Stiel

23

1.3

Organisationsformen . . . . . . . . . . Friedemann Nauck

2

Grundlagen der Schmerztherapie und Symptomlinderung. . . . . . . . . . . .

26

2.1

Epidemiologie und Messinstrumente . . . . . . . . . . . . . .

62

2.1.1

2.1.2

Epidemiologie von Schmerzen in der Palliativsituation . . . . . . . . . . . . Sascha Weber; frühere Bearbeitung: Rita Laufenberg-Feldmann

16

17

18

2.2.7 26 26

Messinstrumente. . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Schütte; frühere Bearbeitung: Rainer Sabatowski

28

2.2

Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . .

31

2.2.1

Klassifikation von Schmerzen in der Palliativsituation . . . . . . . . . . . . Sascha Weber; frühere Bearbeitung: Rita Laufenberg-Feldmann

2.2.2

10

16

Definition und Prävalenz von Durchbruchschmerzen . . . . . . . . . . . . Kristina Muscheid; frühere Bearbeitung: Helmut Hoffmann-Menzel

2.2.8

Interventionelle Schmerztherapie. . . . Justus Benrath

66

2.2.9

Physiotherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Nieland

69

2.2.10

Nicht medikamentöse Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . Dominik Irnich; frühere Bearbeitung: Dominik Irnich, Frauke Musial

2.2.3

Opioide und Cannabinoide . . . . . . . . . Rüdiger Scharnagel, Rainer Sabatowski*

38

2.2.4

Nichtopioidanalgetika . . . . . . . . . . . . . Susanne Heller, Ruth Heineck

46

2.2.5

Koanalgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iris Appelmann; frühere Bearbeitung: Rainer Schwab

52

2.2.6

Medikamenteninteraktionen . . . . . . . Jan Gärtner

59

70

2.2.11

Strahlentherapie zur Schmerztherapie Franziska Hessel

75

2.3

Symptomkontrolle. . . . . . . . . . . . .

78

2.3.1

Gastrointestinale Symptome . . . . . . . . Karin Jaroslawski, Gerhild Becker

78

2.3.2

Dermatologische Symptome . . . . . . . . Matthias Helmut Schmidt

87

2.3.3

Neurologische Symptome . . . . . . . . . . Heidrun Golla, Tobias Steigleder

93

2.3.4

Psychiatrische und psychologische Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sascha Weber; frühere Bearbeitung: Klaus Maria Perrar

31

34

Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Sabatowski

103

2.3.5

Respiratorische Symptome . . . . . . . . . Johannes Bükki

111

2.3.6

Hämatologische Symptome . . . . . . . . . Bernd Alt-Epping

119

Inhaltsverzeichnis 2.3.9

Palliativmedizinische Notfälle . . . . . . . Marie Hentrich; frühere Bearbeitung: Ingmar Hornke

130

2.3.10

Sterbephase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Klein

136

3

Ethik und rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

3.1

Medizinethische Prinzipien und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . Mathias Schmidt; frühere Bearbeitung: Walter Bruchhausen

2.3.7

Infektionen und Fieber . . . . . . . . . . . . . Bastian Jaeschke

123

2.3.8

Anorexie-Kachexie-Syndrom . . . . . . . . Martin Mücke

126

3.3 142

Advance Care Planning (ACP) für die letzte Lebensphase . . . . . . Susanne Kiepke-Ziemes, Jürgen Spicher; frühere Bearbeitung: Eva-Maria Sprengrad

150

3.2

Entscheidungen am Lebensende Jan Schildmann, Eva Schildmann

4

Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

4.1

Kommunikation in der Palliativmedizin . . . . . . . . . . . . Sonja Hofmann

158

5

146

4.2 155

Breaking Bad News . . . . . . . . . . . . Sonja Hofmann

Psychologische, soziale und spirituelle Aspekte in der Palliativsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

5.1

Psychotherapeutische Verfahren Beate Hornemann

161

5.4

Trauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traugott Roser, Piret Paal

171

5.2

Psychoonkologie. . . . . . . . . . . . . . . Beate Hornemann

163

5.5

Soziale Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heiner Melching

175

5.3

Spiritualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traugott Roser, Piret Paal

167

5.6

Belastung des Teams/Burn-out. . Jan Gramm

180

6

Onkologische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

6.1

Therapieverfahren . . . . . . . . . . . . .

186

6.1.1

Grundlagen der palliativen medikamentösen Tumortherapie. . . . . Ulrich Schuler, Barbara Schubert

186

Spezieller Teil

6.1.2

Grundlagen der Strahlentherapie . . . . Franziska Hessel

6.1.3

Grundlagen nuklearmedizinischer Behandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Menzel

6.1.4

Komplementärmedizin . . . . . . . . . . . . Karsten Münstedt

6.2

Tumoren und Erkrankungen . . . .

205

6.2.1

Abdominale Tumoren. . . . . . . . . . . . . . Karin Jaroslawski, Gerhild Becker

205

6.2.2

Urologische Tumoren . . . . . . . . . . . . . . Ralf Thiel; frühere Bearbeitung: Stephanie Neuberger

210

6.2.3

Dermatologische Tumoren . . . . . . . . . . Lucie Heinzerling

214

6.2.4

Tumoren des Zentralnervensystems . . Stefan Lorenzl

217

6.2.5

Sarkome/Knochentumoren . . . . . . . . . Christine Hofbauer; frühere Bearbeitung: Markus Schuler

221

194

198 201

11

Inhaltsverzeichnis 6.2.6

Tumoren im Kopf-Hals-Bereich . . . . . . 225 Peer Wolfgang Kämmerer; frühere Bearbeitung: Monika Daubländer, Peer Wolfgang Kämmerer

6.2.9

Gynäkologische Tumoren . . . . . . . . . . Marcus Meusel; frühere Bearbeitung: Karin Kast

236

6.2.7

Thorakale Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . Bastian Jaeschke

229

6.2.10

Paraneoplastische Syndrome. . . . . . . . Martin Liebetrau

239

6.2.8

Hämatologische Erkrankungen . . . . . . Bernd Alt-Epping

232

7

Neurologische Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

7.1

Neurodegenerative Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Lorenzl

Entzündliche ZNS-Erkrankungen Roman Rolke

251

7.2

Neurovaskuläre Erkrankungen. . Martin Liebetrau

8

Weitere internistische Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

8.1

Erkrankungen des Herzens . . . . . Linda Fendel

255

8.3

Erkrankungen der Leber. . . . . . . . Linda Fendel

262

8.2

Erkrankungen der Lunge . . . . . . . Johannes Bükki

260

8.4

Erkrankungen der Nieren . . . . . . Linda Fendel

264

9

Palliativmedizin in der Geriatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

7.3 244

249

Katrin Singler, Mathias Pfisterer

10

Palliativmedizin im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272

10.1

Tumorerkrankungen im Kindesalter. . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Nolte-Buchholtz

283

10.2

11

Genetische Erkrankungen im Kindesalter (Nichttumorerkrankungen) . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Smitka, Silke Nolte-Buchholtz

10.3 272

10.4

Palliativmedizin in der Neonatologie . . . . . . . . . . . . . . Matthias Richter, Silke NolteBuchholtz Begleitung sterbender Kinder und ihrer Familien . . . . . . . . . . . . . Maria Janisch, Silke Nolte-Buchholtz

286

Palliativmedizin und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289

277

Christoph Ostgathe, Bernd Oliver Maier

Anhang

12

12

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294

12.1

Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . .

296

294

12.2

Weiterführende Literatur . . . . . .

Anschriften Herausgeber

Dr. med. Bastian Jaeschke

Prof. Dr. med. Rainer Sabatowski https://orcid.org/0000-0003-2228-3147

Dr. rer. medic. Maria Janisch https://orcid.org/0000-0003-3501-9329

Dr. med. Bernd Oliver Maier

Dr. med. Karin Jaroslawski

Prof. Dr. med. Christoph Ostgathe https://orcid.org/0000-0003-4449-5036

Prof. Dr. Dr. Peer Wolfgang Kämmerer https://orcid.org/0000-0002-1671-3764

Prof. Dr. med. Roman Rolke https://orcid.org/0000-0002-7370-8574

Susanne Kiepke-Ziemes https://orcid.org/0009-0008-4288-9430

Mitarbeitende

PD Dr. med. Carsten Klein https://orcid.org/0000-0001-8583-065X

Prof. Dr. Bernd Alt-Epping https://orcid.org/0000-0002-5496-9920 Dr. med. Iris Appelmann Prof. Dr. med. Gerhild Becker https://orcid.org/0000-0001-9060-0285

Prof. Dr. med. Martin Liebetrau Prof. Dr. med. Stefan Lorenzl https://orcid.org/0000-0002-1165-0821 Heiner Melching Prof. Dr. Dr. Christian Menzel

Prof. Dr. med. Justus Benrath https://orcid.org/0000-0002-8168-6889

Dr. med. Marcus Meusel

PD Dr. med. Johannes Bükki https://orcid.org/0000-0003-1232-1103

Prof. Dr. med. Martin Mücke https://orcid.org/0000-0002-9275-9035

Dr. med. Linda Fendel https://orcid.org/0009-0002-3267-781X

Prof. Dr. med. Karsten Münstedt https://orcid.org/0000-0003-4273-5964

Prof. Dr. med. Jan Gärtner https://orcid.org/0000-0002-1176-3164

Dr. med. Kristina Muscheid https://orcid.org/0009-0009-9489-2006

Prof. Dr. med. Heidrun Golla https://orcid.org/0000-0002-4403-630X

Prof. Dr. med. Friedemann Nauck https://orcid.org/0000-0001-7592-1654

Dipl.-Psych. Jan Gramm

Peter Nieland

Dr. med. Ruth Heineck

Dr. med. Silke Nolte-Buchholtz

Prof. Dr. med. Lucie Heinzerling, MPH https://orcid.org/0000-0001-5718-3643

Prof. Dr. Piret Paal https://orcid.org/0000-0002-1341-3248

Dr. med. Susanne Heller

PD Dr. med. Mathias Pfisterer

Dr. med. Marie Hentrich

Dr. med. Matthias Richter

Dr. med. Franziska Hessel

Prof. Dr. Traugott Roser https://orcid.org/0000-0002-2591-4429

PD Dr. med. Christine Hofbauer https://orcid.org/0000-0003-0154-0511

Dr. med. Rüdiger Scharnagel

Dipl.-Psych. Dr. rer. biol. hum. Sonja Hofmann

Prof. Dr. med. Eva Schildmann https://orcid.org/0000-0001-9756-9954

Dipl.-Psych. Beate Hornemann Prof. Dr. med. Dominik Irnich

Prof. Dr. med. Jan Schildmann https://orcid.org/0000-0002-5755-7630

13

Anschriften PD Dr. rer. medic. Mathias Schmidt https://orcid.org/0000-0003-0266-3994

Mitarbeitende der Vorauflage Walter Bruchhausen

Matthias Helmut Schmidt Monika Daubländer Dr. med. Barbara Schubert Helmut Hoffmann-Menzel PD Dr. med. Ulrich Schuler https://orcid.org/0000-0003-1337-7045

Ingmar Hornke

Dr. med. Katharina Schütte

Karin Kast

Prof. Dr. med. Katrin Singler https://orcid.org/0000-0001-5542-9582

Rita Laufenberg-Feldmann

Dr. med. Martin Smitka

Stephanie Neuberger

Dipl.-Soz. Jürgen Spicher

Klaus Maria Perrar

Dr. med. Tobias Steigleder https://orcid.org/0000-0003-0429-7051

Markus Schuler

Frauke Musial

Rainer Schwab Prof. Dr. rer. medic. Stephanie Stiel https://orcid.org/0000-0002-5963-2526 Dr. med. Ralf Thiel Dr. med. Sascha Weber https://orcid.org/0000-0002-5324-889X

14

Eva-Maria Sprengrad

Allgemeiner Teil

I

Grundlagen

1 Grundlagen

1

1.1 Ziele und Bedeutung des Faches Friedemann Nauck

Frage 3 Welche Aufgaben umfasst die spezialisierte palliativmedizinische Versorgung im Rahmen des neuen multiprofessionellen Palliativdienstes im Krankenhaus?

Frage 1 Was ist das wesentliche Ziel der Palliativmedizin? Das Hauptziel der Palliativmedizin ist die Verbesserung und Erhaltung der subjektiv empfundenen Lebensqualität der Patienten durch eine umfassende Symptomlinderung, sodass die verbleibende Zeit des Lebens in größtmöglicher Autonomie und Würde erlebt werden kann. Dieses Ziel wird in einem multiprofessionellen Team durch aktive Symptomlinderung inklusive angepasster Schmerztherapie sowie durch psychosoziale und spirituelle Betreuung des Patienten und seiner Anund Zugehörigen erreicht. Auch Hilfestellungen bei der Rehabilitation sowie im Umgang mit Krankheit, Abschied und Trauer sind Bestandteile des Therapiekonzepts.

Frage 2 Konkurrieren palliativmedizinische Therapieangebote mit onkologischen, geriatrischen, kardiologischen, intensivmedizinischen usw. Behandlungen? Nein. Palliativmedizin und Behandlungen anderer Fachrichtungen sind sich ergänzende Therapieangebote, und dies durchaus nicht erst am Lebensende. Palliativmedizin ist – je nach Bedarf – bereits in früheren Stadien einer unheilbaren Erkrankung wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Versorgung. Systematische Übersichtarbeiten zeigen bei frühem Einbezug von Palliativversorgung positive Effekte auf die Lebensqualität der Patienten [26]. Eine frühzeitige, bedarfsgerechte Integration auch bei nicht onkologischen Erkrankungen wird angestrebt.

16

Wesentliche Aufgaben eines Palliativdienstes sind u. a. ● Unterstützung bei der Symptomlinderung (z. B. bei Dyspnoe, Schwäche, Übelkeit bzw. Erbrechen, refraktären Schmerzsyndromen, speziellen parenteralen oder rückenmarksnahen Applikationstechniken), ● Unterstützung bei der pflegerischen Versorgung (z. B. bei Wundbehandlungen, ressourcenorientierte Pflege), ● psychosoziale Unterstützung (z. B. der An- und Zugehörigen inklusive Kinder, bei sozialrechtlichen Angelegenheiten, bei spirituellen Problemen), ● 24-Stunden-Erreichbarkeit in besonders krisenträchtigen Situationen sowie ● Vorbereitung der Entlassung der Patienten (Entlassmanagement) in die ambulante Versorgung (z. B. in die häusliche Umgebung, in stationäre Pflegeeinrichtungen, in Hospize) sowie die enge Kooperation mit den behandelnden Hausärzten. Einem im Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) beschriebenen multiprofessionellen Palliativdienst wird neben Ärzten und Pflegefachkräften erstmals mindestens ein Vertreter aus der Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik, aus der Psychologie bzw. Psychotherapie oder aus der Physiotherapie bzw. Ergotherapie zugeordnet. Durch die multiprofessionelle Zusammenarbeit im Team ist auch auf den Allgemeinstationen eines Krankenhauses eine umfassende Versorgung schwerkranker und sterbender Menschen gewährleistet. Krankenhäuser, die keinen eigenen Palliativdienst anbieten, können dazu die Leistungen eines externen Palliativdienstes in Anspruch nehmen.

Definition und Geschichte Frage 4

Frage 6

1 Welche Patienten bedürfen einer palliativmedizinischen Behandlung? Die überwiegende Anzahl der palliativmedizinisch behandelten Patienten in Deutschland leidet an einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung. Ausdrücklich steht diese Behandlung aber auch Patienten mit anderen Grunderkrankungen wie fortschreitenden unheilbaren Nerven-, Herz-, Lungen-, Nieren- oder Infektionserkrankungen sowohl in der ambulanten als auch stationären Versorgung offen. Palliativmedizin versteht sich als frühzeitige Ergänzung von Behandlungskonzepten lebenslimitierender Erkrankungen. Bei Patienten mit Krebserkrankungen stehen eine hohe Symptombelastung sowie die Vielschichtigkeit tumorassoziierter Notfälle und Krisen im Vordergrund.

1.2 Definition und historische Entwicklung Friedemann Nauck

Frage 5 Wie wird Palliativmedizin definiert? Palliativmedizin ist die Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten, fortgeschrittenen Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung, für die das Hauptziel der Begleitung die Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität ist. Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation 2002 ist „Palliativmedizin ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch das Vorbeugen und Lindern von Leiden, die frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art“ [62]. Diese und andere Definitionen betonen eine bedarfsabhängige frühe Integration.

Welche Schwerpunkte enthält das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung, das HPG? Dieses Gesetz enthält vielfältige Maßnahmen, die die medizinische, pflegerische, psychologische und seelsorgerische Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase verbessern und einen flächendeckenden Ausbau der Palliativund Hospizversorgung fördern sollen. Palliativversorgung soll die Folgen einer Erkrankung lindern (Palliation), wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Sie kann zu Hause, im Krankenhaus, in einer stationären Pflegeeinrichtung oder im Hospiz erbracht werden. Das HPG gilt seit dem 8. Dezember 2015. Wesentliche Schwerpunkte: ● im vertragsärztlichen Bereich zusätzlich vergütete Leistungen – zur Steigerung der Qualität der Palliativversorgung, zur Zusatzqualifikation der Haus- und Fachärzte sowie zur Förderung der Netzwerkarbeit ● Stärkung der häuslichen Krankenpflege im Rahmen der AAPV (Allgemeine Ambulante Palliativversorgung) ● Sterbebegleitung wurde ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrages der sozialen Pflegeversicherung. ● bessere Vernetzung unterschiedlicher Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung ● weiterer Ausbau der SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) ● Verbesserung der finanziellen Ausstattung stationärer Hospize und ambulanter Hospizdienste ● Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die gesetzlichen Krankenkassen ● Verbesserung der Hospizkultur und Palliativversorgung sowie der ärztlichen Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen ● Gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase (§ 132 SGB V) ● Abrechnungsmöglichkeit für Palliativdienste ● Abrechnung von stationären Palliativeinrichtungen als besondere Einrichtung Das Gesetz enthält vielfältige Maßnahmen zur Förderung eines flächendeckenden Ausbaus der Hospizund Palliativversorgung in allen Teilen Deutschlands, insbesondere auch in strukturschwachen und ländlichen Regionen.

17

Grundlagen Frage 7

1 Wie lässt sich die Entwicklung der Palliativmedizin weltweit erklären?

1.3 Organisationsformen Friedemann Nauck

Frage 9 Die angemessene Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden war im Zuge der Technisierung der Medizin und mit dem Aufkommen der Intensivmedizin vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg in den Hintergrund gerückt. Dies wurde zunehmend auch von Behandelnden und Pflegenden als Defizit empfunden. Die Überbetonung des technisch Machbaren führte letztlich zu einer Ausgrenzung sterbender Patienten von der gesamtgesellschaftlichen und ärztlichen Wertschätzung. Cicely Saunders beklagte 1958: „It appears to me that many patients feel deserted by their doctors in the end. Ideally the doctor should remain the centre of a team who work together to relieve where they cannot heal, to keep the patient’s own struggle within his compass and to bring hope and consolation to the end“ [54].

Frage 8 Wie erklärt sich die anfänglich zögerliche Entwicklung der Hospizbewegung und Palliativmedizin in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern? Aufgrund eingeschränkter Informationen über Inhalte und Ziele der Hospizbewegung und Palliativmedizin bestand zunächst Sorge vor einer Gettoisierung Sterbender. Die anfängliche große Zurückhaltung und Ablehnung der Hospizbewegung in der Öffentlichkeit, aber auch bei Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Krankenhausgesellschaften ist in dem 1971 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlten und schlecht kommentierten Film „Noch 16 Tage – eine Sterbeklinik in London“ und in der mangelhaften Sachinformation über die Ziele und Inhalte der britischen Hospizbewegung begründet. Die Übersetzung des Begriffs „Hospiz“ mit „Sterbeklinik“ hat dabei sicherlich zusätzlich zum Widerstand beigetragen.

18

Wie ist die Palliativmedizin stationär organisiert? Stationär stehen Palliativstationen und Hospize zur Verfügung, die von Ehrenamtlichen unterstützt werden. Zur Beratung aller Fachbereiche sowie zur palliativmedizinischen Mitbehandlung in Krankenhäusern werden zunehmend Palliativdienste etabliert. Palliativstationen sind eigenständige, an Krankenhäuser angeschlossene Einrichtungen mit ärztlicher Leitung; es bedarf einer Einweisung zur Krankenhausbehandlung. Hospize sind freistehende Einrichtungen ohne ärztliche Leitung mit Schwerpunkt auf der pflegerisch-psychosozialen Betreuung. Sie bieten weniger Interventionen an und werden über § 39a SGB V (Sozialgesetzbuch, V. Buch) finanziert. Palliativdienste in Krankenhäusern arbeiten multiprofessionell und sollen mindestens aus in Palliativmedizin bzw. Palliative Care qualifizierten Ärzten, Pflegenden sowie mindestens einem Vertreter aus der Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik, aus der Psychologie bzw. Psychotherapie oder aus der Physiobzw. Ergotherapie bestehen.

Frage 10 Was ist eine spezialisierte stationäre palliativmedizinische Komplexbehandlung (OPS [Operationenund Prozedurenschlüssel] 8–98e)? Eine besonders aufwendige palliativmedizinische Behandlung im stationären Bereich mit bestimmten Mindestmerkmalen (Leistungen, Zeitvorgaben). Ziel ist es, dieser definierten Leistung eine Vergütung über die DRG (diagnosebezogenen Fallgruppen) hinaus zu hinterlegen (ZE [Zusatzentgelt]). Zu den Mindestmerkmalen gehören u. a. ● standardisiertes palliativmedizinisches BasisAssessment

Gesetzliche Grundlagen ●

● ● ●





● ●





Maßnahmen zur Symptomkontrolle und psychosozialen Stabilisierung unter Leitung eines Facharztes mit der Zusatzweiterbildung „Palliativmedizin“ und mit Einbeziehung der An- und Zugehörigen Palliativpflege tägliche multidisziplinäre Teambesprechungen Begleitung des Patienten durch einen fallbezogenen Koordinator individueller Behandlungsplan (bei Aufnahme und im Verlauf) Inklusion von mindestens zwei weiteren Therapiebereichen wie z. B. Physiotherapie und Musiktherapie sowie Patienten- und/oder An-/Zugehörigengespräche insgesamt nachweislich mindestens 6 Stunden Einsatz pro Patient und Woche in unterschiedlichen Kombinationen ggf. Vermittlung zu qualifizierten und kontinuierlichen Unterstützungsangeboten für Angehörige (auch über den Tod des Patienten hinaus) Vermittlung und Überleitung zu nachfolgenden Betreuungsformen der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung unter besonderer Berücksichtigung von Notfallvorausplanung, strukturierter Anleitung von An- und Zugehörigen, sozialrechtlicher Beratung und Zuweisung, sofern erforderlich

Frage 11 Wie sind Hospizarbeit und Palliativmedizin ambulant organisiert? Im ambulanten Bereich stehen Hospizdienste mit Ehrenamtlichen und Palliative Care Teams zur Verfügung. Hospizdienste werden von einem Koordinator geleitet und supervidiert; die Ehrenamtlichen werden auf ihre Aufgaben durch Befähigungskurse vorbereitet. Zu ihren Aufgaben gehört z. B. die Unterstützung von Patienten und deren An-/Zugehörigen vor Ort (Gespräche, Sitzwache, Fahrten, Haushaltsunterstützung). Palliative Care Teams sind multiprofessionell zusammengesetzt. Sie beraten Patienten, deren Angehörige oder involvierte Dienste der Primärversorgung in palliativmedizinischen bzw. -pflegerischen oder psychosozialen Belangen. Gegebenenfalls übernehmen sie zeitbegrenzt das Management von Krisensituationen vor Ort.

Frage 12

1 Was ist ein SAPV-Team? „SAPV“ bedeutet „Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung“. Ambulante Palliative Care Teams unterstützen die hausärztliche Primärversorgung und die ortsgebundene Pflege und arbeiten mit diesen in enger Kooperation zusammen. SAPV nach § 37b SGB V soll die Lebensqualität schwerstkranker Menschen und die Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in der ambulanten Versorgung verbessern. SAPV-Dienste müssen mit den Kostenträgern Verträge geschlossen haben, eine 24-stündige Verfügbarkeit sicherstellen und bestimmte fachliche Qualifikationen vorweisen. Verordnet werden sie von einem Arzt über das Formular “Muster 63”. Leistungen werden für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche erbracht, die Krisenintervention bei Kindern wird auch bei einer länger prognostizierten Lebenserwartung geleistet.

1.4 Gesetzliche Grundlagen Heiner Melching

Frage 13 Welche Kriterien muss ein Patient nach § 37b SGB V erfüllen, um die SAPV in Anspruch nehmen zu können? ●

● ●

Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung begrenzte Lebenserwartung Notwendigkeit einer besonders aufwendigen Versorgung

Seit 2007 besteht ein gesetzlicher Anspruch auf SAPV. Eine wesentliche Rolle spielt bei der Darstellung des Anspruchs nach § 4 der Richtlinie des GBA (des gemeinsamen Bundesausschusses) zur SAPV (vom 25.06.2010) die „besonders aufwendige Versorgung“. In der Richtlinie heißt es: „Bedarf nach einer besonders aufwendigen Versorgung besteht, soweit die anderweitigen ambulanten Versorgungsformen sowie gegebenenfalls die Leistungen des ambulanten Hospizdienstes nicht oder nur unter besonderer Koordination ausreichen würden […]“ [53].

19

Grundlagen Frage 14

1 Was ist unter einem „komplexen Symptomgeschehen“ zu verstehen? Laut GBA-Richtlinie ist ein Symptomgeschehen in der Regel dann komplex, wenn mindestens eines der nachstehenden Kriterien erfüllt ist: ● jeweils ausgeprägte Schmerzsymptomatik ● neurologische, psychiatrische bzw. psychische Symptomatik ● respiratorische bzw. kardiale Symptomatik ● gastrointestinale Symptomatik ● urogenitale Symptomatik ● ulzerierende bzw. exulzerierende Wunden oder Tumoren Laut GBA-Richtlinie sind diese komplexen Symptomgeschehen auch dadurch im Besonderen gekennzeichnet, dass ihre Behandlung spezifische palliativmedizinische und/oder palliativpflegerische Kenntnisse und Erfahrungen sowie ein interdisziplinär, insbesondere zwischen Ärzten und Pflegekräften in besonderem Maße abgestimmtes Konzept voraussetzt.

Frage 15 SAPV kann, dem jeweiligen Versorgungsbedarf entsprechend, in 4 unterschiedlichen Abstufungen erbracht werden. Nennen Sie diese 4 Stufen der SAPV. ● ● ● ●

Beratungsleistung Koordination der Versorgung additiv unterstützende Teilversorgung vollständige Versorgung

Die SAPV hat sich in Deutschland extrem heterogen entwickelt. Eine Unterscheidung dieser 4 Stufen ist in einigen Bundesländern oder regionalen Verträgen nicht erforderlich und mitunter auch nicht erlösrelevant. Im Formular 63, das für die Verordnung von SAPV erforderlich ist, muss allerdings eine dieser Versorgungsstufen angegeben werden. Es empfiehlt sich daher, vor dem ersten Ausstellen einer SAPVVerordnung mit dem zuständigen SAPV-Dienst Kontakt aufzunehmen, um zu klären, welche Art der Versorgung dort jede einzelne Stufe beinhaltet. Gelegentlich wird auch davon ausgegangen, dass im Falle einer Vollversorgung mit SAPV andere Leistungs-

20

erbringer (z. B. Hausärzte und allgemeine Pflegedienste) abgelöst oder ausgeschlossen werden. Diese Annahme ist falsch. Die vollständige Versorgung mit SAPV beschränkt sich ausschließlich auf SAPV-Leistungen, die zusätzlich zur allgemeinen Versorgung erbracht werden. Auch andere Sozialleistungsansprüche bleiben durch die Versorgung mit SAPV unberührt (GBA-Richtlinie § 1 Abs. 6).

Frage 16 Kann SAPV auch in einem Pflegeheim und in einem stationären Hospiz erbracht werden? Ja. In Pflegeheimen kann SAPV ebenso erbracht werden wie z. B. auch in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. In stationären Hospizen beschränkt sich die SAPV-Leistungserbringung auf den ärztlichen Anteil der Versorgung. In der GBA-Richtlinie heißt es dazu in § 1, Abs. 3: „In stationären Hospizen besteht ein Anspruch auf die Teilleistung der erforderlichen ärztlichen Versorgung im Rahmen der SAPV, wenn die ärztliche Versorgung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund des besonders aufwendigen Versorgungsbedarfs nicht ausreicht“ [53].

Frage 17 Durch das HPG wurde die neue Leistung „BQKPMV“ (besonders qualifizierte und koordinierte palliativmedizinische Versorgung) eingeführt. Damit niedergelassene Haus- und Fachärzte diese Leistung (mittels einer EBM-Ziffer [Ziffer des einheitlichen Bewertungsmaßstabs]) abrechnen können, müssen u. a. praktische Erfahrungen und theoretische Kenntnisse nachgewiesen werden. Nennen Sie diese Voraussetzungen. ●



Praktische Erfahrungen: mindestens 2-wöchige Hospitation in einer Einrichtung der Palliativversorgung oder einem SAPV-Team oder Betreuung von mindestens 15 Palliativpatienten innerhalb der vergangenen 3 Jahre Theoretische Kenntnisse: ○ 40-stündige Kursweiterbildung „Palliativmedizin“ nach dem (Muster-)Kursbuch „Palliativmedizin“ der Bundesärztekammer oder

Gesetzliche Grundlagen ○

20 Stunden dieser Kursweiterbildung für Vertragsärzte, die bereits die strukturierte curriculare Fortbildung „Geriatrische Grundversorgung“ der Bundesärztekammer (60 Stunden) und die Fortbildung „Curriculum Psychosomatische Grundversorgung“ (80 Stunden) absolviert haben, bzw. 18 Stunden der o. g. Kursweiterbildung für Vertragsärzte, die bereits die Zusatzqualifikation „Spezielle Schmerztherapie“ (80 Stunden) absolviert haben

Zur Teilnahme an dieser Vereinbarung sind alle an der hausärztlichen Versorgung nach § 73 Abs. 1a SGB V teilnehmenden Ärzte sowie Fachärzte der unmittelbaren Patientenversorgung berechtigt. Mit der BQKMPV soll die bestehende ambulante Palliativversorgung durch eine besondere Qualifikation und verbesserte Koordination gestärkt werden, um Betroffenen ein Sterben zu Hause bzw. in selbst gewählter Umgebung bei bestmöglicher individueller Lebensqualität zu ermöglichen.

Frage 18 Nennen Sie 3 Voraussetzungen, die bei Patienten zum Zeitpunkt der Indikationsstellung erfüllt sein müssen, damit die BQKPMV erbracht werden kann. ●









Sie müssen an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch nach fachlicher Einschätzung des behandelnden Arztes die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate gesunken ist. Kurative Behandlungen der Grunderkrankungen sind nicht mehr indiziert oder vom Patienten nicht mehr erwünscht. Eine angemessene Versorgung in der Häuslichkeit bzw. in selbst gewählter Umgebung ist möglich. Eine stationäre Behandlung nach § 39 SGB V führt erwartungsgemäß nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung des Gesundheitszustands des Patienten. Der Allgemeinzustand des Patienten ist stark reduziert, er benötigt regelmäßig eine ärztliche Behandlung und im Regelfall die Versorgung in der Häuslichkeit.





Eine Verordnung der SAPV ist nicht indiziert mit Ausnahme der Beratungsleistung der SAPV. Es liegt ein besonderer Versorgungsaufwand vor, der eine entsprechend qualifizierte palliativmedizinische Betreuung nach der Vereinbarung zur BQKPMV durch mehrere Leistungserbringer erfordert.

1

Viele Leistungserbringer der SAPV befürchten erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zur SAPV, da die vorausgesetzte Patientensituation sehr ähnlich beschrieben ist und das Leistungsspektrum der BQKPMV dem der SAPV sehr ähnelt. Ziel der BQKPMV soll allerdings eine Verbesserung der AAPV sein.

Frage 19 Zur Verbesserung der Palliativpflege wurde durch das HPG in der HKP-RL (Häusliche KrankenpflegeRichtlinie) die neue Ziffer 24a „Symptomkontrolle bei Palliativpatientinnen oder Palliativpatienten“ eingeführt. Nennen Sie 2 der 3 Situationen, in denen diese Pflegeleistung von einem Arzt verordnet werden kann. ●





insbesondere bei Schmerzsymptomatik, Übelkeit, Erbrechen, pulmonalen oder kardialen Symptomen, Obstipation zur Wundkontrolle und -behandlung bei exulzerierenden Wunden zur Krisenintervention, z. B. bei Krampfanfällen, Blutungen, akuten Angstzuständen

Die Leistung Nr. 24a umfasst neben der Symptomkontrolle alle notwendigen behandlungspflegerischen Leistungen entsprechend den Vorgaben der HKP-RL. Sie erfolgt in enger Abstimmung mit dem verordnenden Arzt.

21

Grundlagen Frage 20

Frage 22

1 Welche Voraussetzungen müssen bei Patienten erfüllt sein, damit die „Symptomkontrolle bei Palliativpatientinnen oder Palliativpatienten“ als Pflegeleistung verordnet werden kann? Sie müssen an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch nach fachlicher Einschätzung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes die Lebenserwartung auf Tage oder wenige Wochen limitiert ist und u. a. die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität im Vordergrund steht. Auch bei dieser Leistung werden seitens einiger Fachleute erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zur SAPV befürchtet, zumal eine Limitierung der Lebenserwartung auf wenige Wochen dem Gedanken der AAPV und einer frühen Integration der Palliativversorgung entgegensteht.

Im Jahr 2022 wurde im SGB V der § 39d „Förderung der Koordination in Hospiz- und Palliativnetzwerken durch einen Netzwerkkoordinator” eingeführt. Nennen Sie die 6 im Gesetz genannten Aufgaben, die durch diese Koordination geleistet werden sollen. ●





Frage 21 Der durch das HPG neu eingeführte § 132 g SGB V ermöglicht es Pflegeeinrichtungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Leistung „Gesundheitliche Versorgungsplanung zum Lebensende“ anzubieten. Welcher international geläufige Begriff gilt als Vorbild für diese neue Leistung?





Advance Care Planning, kurz “ACP”. Der internationale Begriff ACP wird im § 132 g SGB V als Gesundheitliche Versorgungsplanung bezeichnet. Hierunter finden sich in Deutschland unterschiedliche Ansätze, wie beispielsweise „Behandlung im Voraus Planen“, kurz „BVP“. Im Jahr 2017 hat sich dazu auch die DiV-BVP (Deutschsprachige interprofessionelle Vereinigung Behandlung im Voraus planen) gegründet. Im Jahr 2022 hat sich die DiV-BVP umbenannt in „Advance Care Planning Deutschland“ (ACP).

22



die Unterstützung der Kooperation der Mitglieder des regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerkes und die Abstimmung und Koordination ihrer Aktivitäten im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung die Information der Öffentlichkeit über die Tätigkeiten und Versorgungsangebote der Mitglieder des regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerkes in enger Abstimmung mit weiteren informierenden Stellen auf Kommunalund Landesebene die Initiierung, Koordinierung und Vermittlung von interdisziplinären Fort- und Weiterbildungsangeboten zur Hospiz- und Palliativversorgung sowie die Organisation und Durchführung von Schulungen zur Netzwerktätigkeit die Organisation regelmäßiger Treffen der Mitglieder des regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerkes zur stetigen bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Netzwerkstrukturen und zur gezielten Weiterentwicklung der Versorgungsangebote entsprechend dem regionalen Bedarf die Unterstützung von Kooperationen der Mitglieder des regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerkes mit anderen Beratungs- und Betreuungsangeboten wie Pflegestützpunkten, lokalen Demenznetzwerken, Einrichtungen der Altenhilfe sowie kommunalen Behörden und kirchlichen Einrichtungen die Ermöglichung eines regelmäßigen Erfahrungsaustausches mit anderen koordinierenden Personen und Einrichtungen auf Kommunal- und Landesebene

Die Förderung durch die gesetzlichen Krankenkassen ist auf 15 000 Euro pro Jahr begrenzt und setzt voraus, dass eine Förderung in gleicher Höhe durch den Kreis oder die kreisfreie Stadt erfolgt.

Dokumentation und Tests

1.5 Dokumentation und Assessment

normgemäße, aber einschränkende (Alters-)Erscheinungen (z. B. durch Schwerhörigkeit, Visusverlust) zu beachten.

1

Stephanie Stiel

Frage 25 Frage 23 Wozu ist eine wiederholte Symptomerfassung in der klinischen Versorgung von schwerkranken und sterbenden Patienten notwendig und sinnvoll? Zur direkten Steuerung der Symptomlinderung, zur Reflexion des eigenen (ärztlichen) Handelns sowie zur Qualitätssicherung. Während der Behandlung ist die wiederholte Symptomerfassung bei Patienten wesentliche Voraussetzung für eine effektive Symptomlinderung. Bei regelmäßiger Dokumentation von Symptomen und Problemen können die Veränderung von Symptomund Problemintensitäten bemerkt, Behandlungen darauf abgestimmt und Patientenbedürfnisse angemessen berücksichtigt werden. Somit ist die Symptomerfassung auch essenzieller Bestandteil der Dokumentation von Qualitätsindikatoren für die geforderte Qualitätssicherung palliativmedizinischer Behandlungen. Indikationen für Maßnahmen und Therapien sollten schlüssig aus der klinischen Routinedokumentation hervorgehen.

Frage 24 Welche Einschränkungen schwerkranker und sterbender Patienten sollten bei der Wahl von Erfassungsinstrumenten beachtet werden?

Welche grundsätzlichen Bedingungen sollten Messinstrumente zur Selbsteinschätzung von schwerkranken und sterbenden Patienten erfüllen? Sie sollten kurz, leicht verständlich, wenig belastend und validiert sein. Messinstrumente zur Selbsteinschätzung von Patienten sollten in ihrem Umfang und in der Anzahl der Items kurz und in der Art der Item-Formulierung leicht verständlich sein. Die Handhabung des Messinstruments sollte übersichtlich sowie intuitiv verständlich sein und die oftmals eingeschränkte Belastungsfähigkeit von Patienten berücksichtigen. Um die Gültigkeit (sog. Validität) und Zuverlässigkeit (sog. Reliabilität) von Messinstrumenten sicherzustellen, bietet sich die Verwendung von validierten Messinstrumenten an.

Frage 26 Nennen Sie 2 Beispiele für ein validiertes deutschsprachiges Selbsterfassungsinstrument, das zur Symptomerfassung für schwerkranke und sterbende Patienten eingesetzt werden kann. ●

Allgemeine körperlich-funktionelle Einschränkungen, psychische Belastbarkeit und Allgemeinzustand. Schwerkranke und sterbende Patienten können durch ganz unterschiedliche alters-, krankheitsoder therapieassoziierte Faktoren eingeschränkt sein, die die Beantwortung von Fragen erschweren oder verhindern. Neben der möglicherweise eingeschränkten körperlichen (z. B. durch Schmerzen) und psychischen Belastbarkeit (z. B. durch Angst) und verminderten kognitiven Fähigkeiten (z. B. durch Desorientiertheit) sind auch der reduzierte Allgemeinzustand (z. B. durch Schwäche) sowie ganz



MIDOS_2 (minimales Dokumentationssystem): MIDOS_2 ist ein validiertes deutschsprachiges Selbsterfassungsinstrument, das sowohl in der klinischen Praxis als auch zu Forschungszwecken genutzt wird. Es werden vorrangig Symptome wie z. B. Schmerzen, Übelkeit, Luftnot und Müdigkeit sowie das Befinden der betroffenen Patienten erfragt und mittels verbaler bzw. numerischer Rangskalen eingestuft. IPOS (Integrated Palliative Care Outcome Scale): IPOS ist ein ins Deutsche übersetztes und validiertes Instrument, das wichtige Probleme der Betroffenen erfasst. Die IPOS-Fragen beziehen sich auf körperliche Symptome, Sorgen und die Stimmung sowie auf den Informationsbedarf des Patienten, praktische Fragestellungen, Sorgen der Angehörigen und das Gefühl, im Frieden mit sich selbst zu sein.

23

Grundlagen Frage 27

Frage 29

1 Wie äußert sich die S 3-Leitlinie für zur Einschätzung von Schmerzintensitäten? ●



Die Einschätzung sollte nach Möglichkeit durch den Patienten selbst erfolgen. Die Einschätzung soll bei eingeschränkter Selbstauskunft durch Fremdeinschätzung von Angehörigen oder Personal erfolgen.

Die Einschätzung der Schmerzintensität soll nach Möglichkeit durch den Patienten selbst erfolgen, z. B. durch einfache eindimensionale Schmerzintensitätsskalen im Rahmen einer mehrere Symptome einschließenden Erfassung. Die Schmerzintensität kann z. B. mittels einer 4‑stufigen verbalen Rating-Skala (VRS) erfasst werden: keine, leichte, mittlere und starke Schmerzen, oder einer 11-stufigen numerischen Rating-Skala (NRS, 0–10). Bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung und Schmerzen sowie einer deutlichen kognitiven oder körperlichen Einschränkung soll die Erfassung der Schmerzintensität durch Fremdeinschätzung von Angehörigen oder Personal erfolgen.

Frage 28 Was genau besagt eine Validierung eines Fragebogens? Eine Validierung ist eine inhaltliche und methodische Testung eines Fragebogens, die Aussagen darüber treffen kann, ● inwiefern ein Instrument inhaltlich wirklich das misst, was es zu messen vorgibt und messen soll (z. B. Kriteriumsvalidität, Konstruktvalidität, Vorhersagevalidität), und ● inwiefern ein Instrument das, was es misst, auch genau und zuverlässig misst (z. B. Test-Retest-Reliabilität, Interrater-Reliabilität, interne Konsistenz).

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Dokumentation dient auch der Qualitätssicherung. Welche Bereiche der Qualität sollten sich in der Dokumentation wiederfinden? Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Für die Medizin ist das Qualitätsmodell „Donabedian“ anwendbar, wonach 3 Qualitätsbereiche differenziert werden: ● Struktur- bzw. Potenzialqualität ● Prozess- bzw. Durchführungsqualität ● Ergebnis- bzw. Produktqualität Für die Dokumentation gilt es also abzubilden, welche sachlichen (z. B. Medikamentenpumpen als technisches Gerät), organisatorischen (z. B. Team-Visiten als Arbeitskonzept) und personellen Ressourcen (z. B. Zusatzweiterbildung „Palliativmedizin“ als Aus- und Weiterbildungsstand des Personals) in der Versorgung genutzt werden. Weiter sollte die Dokumentation erkennen lassen, welche Prozesse in welcher Art und Weise als Leistungen erbracht wurden (z. B. Familiengespräch mit Patient und Angehörigen). Zuletzt sollte die Qualität des Ergebnisses anhand von Veränderungen bei Patienten gemessen und dokumentiert werden. Dazu können klassische Lebensqualitäts- oder Symptomerfassungsinstrumente eingesetzt werden, um die Veränderungen sichtbar zu machen. Das Modell geht davon aus, dass alle Bereiche kausal miteinander zusammenhängen, sodass die Verbesserung eines Bereichs zwangsläufig eine Veränderung der anderen Bereiche mit sich bringen müsste. Formulierte Qualitätsindikatoren und damit einhergehende Dokumentationserfordernisse aus der S 3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung“[35] können hier weitere Orientierung geben.

Dokumentation und Tests Frage 30

Frage 32

1 Inwiefern ist die Befragung von Angehörigen oder Behandelnden über Belange von Patienten zum Assessment sinnvoll?

In welchem Zusammenhang steht die Symptomeinschätzung mit der subjektiv empfundenen Lebensqualität bei schwerkranken und sterbenden Patienten?

Als Ersatz für Selbsterfassungen von Patienten. Das Ausfüllen von Messinstrumenten durch Patienten selbst im Sinne von PROMs (Patient Reported Outcome Measures) gilt als Goldstandard der Dokumentation und des Assessments in der klinischen Versorgung und Forschung. Dem liegt das Argument zugrunde, dass Menschen über sich selbst die zuverlässigste Auskunft geben können. Da eine Selbsteinschätzung durch Patienten in der Palliativversorgung aber oftmals nicht möglich ist, kann eine Fremderfassung ihrer Angehörigen oder von Behandelnden stellvertretend dienen. Dabei muss allerdings auch immer mit einer Abweichung der Fremdeinschätzung von der tatsächlich erlebten Realität gerechnet werden. Wissenschaftlich ist z. B. nachgewiesen, dass behandelnde Ärzt*innen Intensitäten körperlicher Symptome ihrer Patient*innen unterschätzen und Intensitäten psychischer Symptome tendenziell überschätzen – im Vergleich zu Selbsteinschätzungen von Patient*innen.

Körperlich-funktionale Subskalen aus Lebensqualitätsinstrumenten korrelieren am besten mit der globalen, subjektiv empfundenen Lebensqualität. Dieser Zusammenhang entsteht vermutlich infolge des Abfragens von Symptomen durch medizinisches Fachpersonal und durch das Setting der Gesundheitsversorgung. Aufgrund dieser situationalen Bedingungen schlussfolgern Patienten vermutlich, dass sie auch bei der Frage nach ihrem allgemeinen Befinden und ihrer Lebensqualität implizit nach Symptomen und Problemen gefragt werden. Dennoch spielen auch psychische, emotionale, kognitive oder Rollenprobleme für die übergeordnete Lebensqualität schwerkranker und sterbender Patienten eine Rolle.

Frage 31 Welches System für die überregionale, sektorenübergreifende Dokumentation, die Qualitätssicherung und das Benchmarking von Palliativpatienten gibt es in Deutschland? Das Nationale Hospiz- und Palliativregister der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Mit dem Nationalen Hospiz- und Palliativregister werden über Jahre hinweg vergleichbare Daten zur Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland erfasst. Sie dienen u. a. der Diskussion mit Politik und Kostenträgern und können auch für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden.

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Schmerztherapiegrundlagen

2 Grundlagen der Schmerztherapie und Symptomlinderung 2

2.1 Epidemiologie und Messinstrumente 2.1.1 Epidemiologie von Schmerzen in der Palliativsituation Sascha Weber; frühere Bearbeitung: Rita Laufenberg-Feldmann

Frage 33 Wie häufig treten in Deutschland Krebsneuerkrankungen jährlich auf? Die Zahl der Krebsneuerkrankungen lag 2019 bei 502 655 und im Vergleich zu den Vorjahren steigt die Zahl der Neuerkrankungen weiter an. Gleichzeitig ist die Sterberate zwischen 2009 und 2019 bei Männern um 12 % und bei Frauen um 5 % zurückgegangen. Die absolute Zahl der Neuerkrankungen an Krebs hat sich seit Anfang der 1970er-Jahre in Deutschland fast verdoppelt. Eine wesentliche Ursache ist in der demografischen Alterung der Bevölkerung in diesem Zeitraum zu sehen. Rund 1,6 Mio. Menschen leben in Deutschland mit einer Krebserkrankung, die in den letzten 5 Jahren diagnostiziert wurde.

Frage 34 Von welchen Faktoren hängt die Schmerzprävalenz ab? Einerseits ist die Schmerzprävalenz abhängig vom Krankheitsstadium, andererseits auch von der Art und Lokalisation des Primärtumors sowie dem Ausmaß der Metastasierung und der Art und Intensität der krankheitsmodifizierenden Therapie. Neben krebsbedingten Schmerzen spielen auch Schmerzen, die durch andere chronische oder akute Erkrankungen bedingt sind, eine Rolle in der Palliativsituation. Hierzu zählen beispielsweise Nervenerkrankungen, Spastiken, arthrosebedingte Schmerzen oder Kopf- und Rückenschmerzen.

26

Frage 35 Wie häufig treten Schmerzen im Rahmen einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung auf? Das Auftreten von Dauerschmerzen wird im Rahmen einer fortschreitenden Tumorerkrankung mit 20–40 % als häufigstes Erstsymptom berichtet. Im weiteren Verlauf leiden 70–80 % der Patienten an mittleren bis starken Tumorschmerzen. Es fehlen weiterhin epidemiologische Daten aus großen Kollektiven, die Aussagen zu Häufigkeit, Intensität und zeitlichem Auftreten von Schmerzen bei unterschiedlichen Krebserkrankungen liefern. In einer Metaanalyse, in der 28 epidemiologische Untersuchungen geprüft wurden, lagen die Patientenzahlen lediglich in 2 Erhebungen bei über 10 000 Patienten. Die meisten Daten stammen aus einzelnen schmerztherapeutischen und onkologischen Zentren, die jeweils nur ein eng umschriebenes Patientenkollektiv beschreiben.

Frage 36 Sind Schmerzen auf das Endstadium einer Tumorerkrankung beschränkt? Schmerzen können, abhängig von der zugrunde liegenden Tumorerkrankung und dem Tumorstadium, ein Frühsymptom sein. Bis zu 49 % der Patienten mit Malignomen der Mamma oder der Prostata sowie Patienten mit kolorektalen Tumoren leiden bereits bei Diagnosestellung unter Schmerzen. Im Verlauf der Tumorerkrankung nimmt die Häufigkeit von Schmerzen zu. Die Schmerzprävalenz ist auch von der Art und Lokalisation des Primärtumors sowie vom Ausmaß der Metastasierung und Behandlung abhängig. So treten bei Leukämien und Lymphomen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium Schmerzen im Vergleich zum Pankreaskarzinom weniger häufig auf.

Schmerzprävalenz/-messung Frage 37 Wie viel Prozent der Tumorschmerzpatienten erhalten eine zufriedenstellende Schmerztherapie? Trotz der Verfügbarkeit von Opioiden und Leitlinien zur Behandlung von Tumorschmerzen erfolgt bei rund 40 % der Patienten keine adäquate schmerzlindernde Therapie. In einer aktuellen systematischen Literaturübersicht von Roberto et al. [50] aus dem Jahr 2022 konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der nicht adäquat behandelten Tumorpatienten im Vergleich zu Vorjahren in jüngster Zeit zunimmt. Für Deutschland liegen keine aktuellen Untersuchungen hierzu vor. Gründe für die weiterhin nicht ausreichende Schmerzbehandlung sind beispielsweise mangelnde Kenntnisse der Behandler von der Ätiologie des Tumorschmerzes und die fehlende Anwendung von Therapiestandards, aber auch die latente Unterversorgung durch eine zu niedrige Anzahl erfahrener Therapeuten. Hierzu zählen vor allem auch die Anpassung der Opioiddosen im Krankheitsverlauf. Darüber hinaus spielen Vorurteile von Behandler, Patient und Angehörigen gegenüber der Schmerztherapie (gerade mit Opioiden) eine Rolle. Bei einzelnen Tumorentitäten zeigt sich zudem, dass selbst unter hochdosierter Gabe von Analgetika und Koanalgetika die Schmerzen nicht auf ein erträgliches Niveau gesenkt werden können. In Ländern mit niedrigem bis mittlerem sozioökonomischem Status ist zudem der Zugang zu Analgetika und Koanalgetika beschränkt.

Frage 38 Welche Ursachen für eine unzureichende Schmerztherapie spielen ebenfalls eine Rolle? Die Schmerzintensität wird unterschätzt, das Dosisintervall wird zu lang, die Dosierung zu niedrig gewählt, Koanalgetika werden nicht genutzt und auch der Einsatz von speziellen Verfahren wird nicht bedacht. Mithilfe eines Behandlungsplans, der dem Patienten ausgehändigt wird, lassen sich Fehler im Dosierungsintervall minimieren und durch Einsatz eines Schmerztagebuchs die Einnahmeintervalle sowie das Auftreten von Schmerzen dokumentieren. Da-

durch können die Patienten geschult werden und der Behandler erhält wichtige Hinweise, z. B. über das Auftreten von Durchbruchschmerzen. Mit der Anwendung geeigneter Messinstrumente, einer guten klinischen Untersuchung mit ggf. zusätzlichen bildgebenden Verfahren und elektrophysiologischen Untersuchungen können die Ätiologie der Schmerzen eingegrenzt und eine individuelle Therapie angepasst werden. Im Einzelfall kann die Anwendung eines invasiven Verfahrens hilfreich sein.

2

Frage 39 Wie häufig wird das Symptom „Schmerz“ von Patienten bei der Aufnahme auf eine Palliativstation angegeben? Etwa 32 % der Patienten geben starke Schmerzen bei der Aufnahme auf eine Palliativstation an, 25 % beschreiben zu diesem Zeitpunkt moderate Schmerzen. Neben körperlichen Symptomen wurden in einer repräsentativen Erhebung [47] auch weitere Symptome von den Patienten selbst bewertet. Dabei spielen psychologische (beispielsweise Angst, Panik und Hilflosigkeit) und soziale Probleme eine Rolle, ebenso die häusliche Versorgung.

Frage 40 Welche körperlichen Symptome neben Schmerz werden von den Patienten bei der Aufnahme angegeben? Dyspnoe, Übelkeit, Erbrechen und Obstipation werden mit einer Häufigkeit zwischen 14 und 23 % bei der Aufnahme vom Patienten angegeben.

Frage 41 Wie häufig treten Durchbruchschmerzen (Breakthrough Cancer Pain) bei Krebspatienten auf? Die Prävalenz von Durchbruchschmerzen wird mit 19–95 % für verschiedene Patientengruppen angegeben. Diese große Spannweite gibt Hinweise auf unterschiedliche Definitionen und weitere Einflussfaktoren.

27

Schmerztherapiegrundlagen Auch in diesem Zusammenhang fehlen Untersuchungen an großen Populationen. Durchbruchschmerzen treten häufiger bei Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium auf, aber auch bei Patienten mit niedrigem Karnofsky Performance Status, bei Patienten mit Wirbelsäulenschmerzen und schließlich bei Schmerzen, die durch eine Schädigung des Nervenplexus hervorgerufen werden.

2

2.1.2 Messinstrumente Katharina Schütte; frühere Bearbeitung: Rainer Sabatowski

Frage 42 Wozu werden Messinstrumente in der Palliativmedizin verwendet? Messinstrumente werden zur Erfassung von Symptomen und Belastungen sowohl von Patienten als auch von deren Angehörigen verwendet. Sie dienen zum einen dem palliativmedizinischen Screening und Assessment als auch der Qualitätssicherung. Beim Screening geht es darum, die Palliativpatienten zu identifizieren, die aufgrund ihrer Symptomschwere und Belastetheit von einer Palliativversorgung profitieren. Es sollten Messinstrumente verwendet werden, die einfach anwendbar sind und die Belastung von Patienten unter palliativmedizinischen Gesichtspunkten (in verschiedenen Dimensionen) bevorzugt durch Selbstauskunft des Patienten erfassen. Das Assessment ist wesentlich ausführlicher und aufwendiger. Es wird bei der Aufnahme in die Palliativversorgung durchgeführt. Hier werden verschiedene Messinstrumente zur Symptomintensität, psychosozialen Belastetheit, Selbsthilfefähigkeit und zur sozialen Situation/Einbindung angewendet. Aus den Ergebnissen leitet sich die Erstellung eines Behandlungsplanes ab. Mit dem Assessment wird auch der Behandlungsaufwand dargestellt. In der Qualitätssicherung wird die Wirksamkeit einer Intervention in der Palliativversorgung untersucht. Die Outcome-Kategorien umfassen alle 4 Dimensionen der Palliativmedizin. Es handelt sich meistens um patientenbezogene Endpunkte wie Lebensqualität sowie um Veränderungen von Symptomen zwischen Aufnahme und Entlassung/Versterben.

28

Frage 43 Welche Messinstrumente sind zur Erfassung von Symptomen und Belastungen der Patienten in der Palliativmedizin etabliert? Es gibt Einzelskalen, z. B. die Numerische Rating Skala (NRS), die die Ausprägung eines Symptoms darstellen können. Zu bevorzugen sind allerdings multidimensionale Messinstrumente, die dem ganzheitlichen Charakter der Palliativmedizin gerecht werden. Es gibt semistrukturierte Fragebögen wie den SEIQol-DW, mit dem individuelle und vor allem dynamische Aspekte der Lebensqualität eruiert werden. Der Aufwand, Daten zu erheben, ist im klinischen Alltag allerdings nicht realisierbar, sodass strukturierte Fragebögen mit einer Auflistung von Belastungen und Angabe der Intensität bevorzugt werden. Patient Reported Outcomes (PROMs) bilden den Goldstandard. Eine Fremderfassung sollte nur für objektivierbare Kriterien wie die Funktionsfähigkeit erfolgen oder wenn der Patient zu einer Selbstauskunft nicht in der Lage ist. Zu bevorzugen sind Palliative-Care-spezifische Messinstrumente wie z. B. das Edmonton Symptom Assessment System (ESAS) und die (Integrated) Palliative Care Outcome Scale (IPOS). Das ESAS enthält 10 Fragen zu 9 häufigen Symptomen, ist kurz und einfach anwendbar und wird im deutschsprachigen Raum gut durch das Minimale Dokumentationssystem (MIDOS) abgebildet. Die IPOS erfasst Symptome, psychische, emotionale, spirituelle Bedürfnisse, Informationsaustausch und ist ein kurzes, leicht zu bedienendes Messwerkzeug (als Selbst- und Fremderfassungsversion, auch als deutschsprachige Version validiert), siehe ▶ Tab. 2.1. Symptomspezifische Messinstrumente fokussieren auf ein bestimmtes Symptom, das entweder über unidimensionale Skalen z. B. Numerische Rating Skala (NRS) oder Visuelle Analogskala (VAS) oder als multidimensionale Skalen (z. B. der Brief Pain Inventory (BPI) für Schmerzpatienten).

Schmerzprävalenz/-messung Tab. 2.1 IPOS Patientenversion (www.pos-pal.org). IPOS Patienten Version Name:

Datum:

2

F1. Welche Hauptprobleme oder Sorgen hatten Sie in den letzten 3 Tagen? 1. 2. 3. F2. Unten finden Sie eine Liste mit Symptomen, die Sie unter Umständen haben. Bitte kreuzen Sie an, wie sehr diese Symptome Sie in den letzten 3 Tagen beeinträchtigt haben. gar nicht

ein wenig

mäßig

stark

extrem stark

Schmerzen Atemnot Schwäche oder fehlende Energie Übelkeit (das Gefühl erbrechen zu müssen) Erbrechen Appetitlosigkeit Verstopfung Mundtrockenheit oder schmerzhafter Mund Schläfrigkeit Eingeschränkte Mobilität Bitte nennen Sie weitere Symptome, die Sie in den letzten 3 Tagen beeinträchtigt haben. 1. 2. 3. In den letzten 3 Tagen: gar nicht

selten

manchmal

meistens

immer

immer

meistens

manchmal

selten

gar nicht

F3. Waren Sie wegen Ihrer Erkrankung oder Behandlung besorgt oder beunruhigt? F4. Waren Ihre Familie oder Freunde Ihretwegen besorgt oder beunruhigt? F5. Waren Sie traurig oder bedrückt? F6. Waren Sie im Frieden mit sich selbst? F7. Konnten Sie Ihre Gefühle mit Ihrer Familie oder Ihren Freunden teilen, so viel wie Sie wollten? F8. Haben Sie so viele Informationen erhalten, wie Sie wollten?

29

Schmerztherapiegrundlagen Tab. 2.1 Fortsetzung IPOS Patienten Version

2

Probleme angegangen/keine Probleme

Probleme größtenteils angegangen

Probleme teilweise angegangen

Ich alleine

Mit der Hilfe eines Angehörigen oder Freundes

Mit Hilfe eines Mitarbeiters







Probleme kaum angegangen

Probleme nicht angegangen

F9. Wurden praktische Probleme angegangen, die Folge Ihrer Erkrankung sind (z. B. finanzieller oder persönlicher Art)?

F10. Wie haben Sie den Fragebogen ausgefüllt?

Frage 44 Mit welchen Messinstrumenten lassen sich Leistungsfähigkeit und Funktionsstatus von Palliativpatienten erfassen? Der Funktionsstatus umfasst die Bereiche Aktivität, Selbstversorgung und Selbstbestimmung. Überwiegend werden 4 Fremdbeurteilungsinstrumente verwendet: die Karnofsky Performance Scale (KPS), die Palliative Performance Scale (PPS), die ECOG-Status-Skala (ECOG: Eastern Cooperative Oncology Group) sowie der Barthel-Index. Mit der KPS und PPS können Einschränkungen der Funktionsfähigkeit (Aktivität, Selbstversorgung, Selbstbestimmung) auf einer Skala zwischen 0 % (Tod) und 100 % (keine Einschränkungen) durch Fremdeinstufung erfasst werden. Einen vergleichbaren Fokus (allgemeine Funktionsfähigkeit) hat der ECOG Score, er ist aber nur für Krebspatienten validiert. Hier reicht das Spektrum von 0 (keine Einschränkung) bis 5 (Tod), siehe ▶ Tab. 2.2. Der Barthel-Index erfasst die Selbstständigkeit im täglichen Leben (Fähigkeit zur selbstständigen Nahrungsaufnahme, Fortbewegung und Körperpflege), erfasst allerdings lediglich fortgeschrittene Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens.

30

Tab. 2.2 ECOG Score. Grad

Beschreibung

0

Volle Aktivität, keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit

1

Einschränkungen bei anstrengenden Arbeiten, leichtere und mittlere Arbeiten (z. B. Hausarbeit, Bürotätigkeit) durchführbar, ambulanter Patient

2

Selbstversorgung möglich, aber nicht in der Lage zu arbeiten, ambulant, mehr als 50 % der Wachstunden aktiv

3

Nur eingeschränkte Selbstversorgung, mehr als 50 % der Wachstunden an Bett oder Stuhl gebunden

4

Vollständig eingeschränkt, Selbstversorgung nicht möglich, komplett an Stuhl oder Bett gebunden

5

Tod

Frage 45 Welche Messinstrumente erfassen die Lebensqualität in der Palliativmedizin? Die Lebensqualität wird mittels strukturierter multidimensionaler Fragebögen erfasst. Der EORTC-QLQ-C 30 (European Organization for Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire-C 30) wurde für Krebspatienten validiert. Für Palliativpatienten wird die verkürzte Version EORTC-C 15-PAL bevorzugt. Diagnoseunabhängig kann der MQOL (McGill Quality of Life Questionnaire) für alle Palliativpatienten verwendet werden.

Schmerztherapie Die Lebensqualität (QOL) umfasst im Allgemeinen die Dimensionen Symptome, Funktionsfähigkeit, psychologisches und soziales Wohlbefinden. Der EORTCQLQ-C 30 bildet 30 Items aus 5 Kategorien (körperliche Funktion, Rollenfunktion, Kognition, Emotion, Soziales) sowie Symptome ab. Der umfangreiche Fragebogen überfordert Patienten in der palliativen Situation oftmals, sodass ein verkürzter EORTC-QLQC 15-PAL-Fragebogen entwickelt wurde. Die existenzielle Dimension (Lebenssinn, Lebensauffassung) wird hier jedoch nicht ausreichend einbezogen. Diese wurde im McGill Quality of Life Questionnaire (MQOL) berücksichtigt, der wiederum für alle Phasen einer lebensbedrohlichen Erkrankung validiert ist. Hier werden 17 Items aus 5 Kategorien (körperliches Wohlbefinden, körperliche und psychische Symptome, existenzielle Fragen und Unterstützung) erfasst.

Frage 46 Welche Kategorien der Palliativversorgung sollten im palliativmedizinischen Basis-Assessment (PBA) enthalten sein? Das PBA soll Informationen zu allen Dimensionen, die für die palliativmedizinische Behandlungsplanung relevant sind, erfassen. Dazu werden gemäß dem „Kerndatensatz“ der DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin) und des DHPV (Deutscher Hospiz- und Palliativverband) die Items palliativmedizinisch relevante Diagnose, Symptome mit Intensität, Stimmung und psychosoziale Belastetheit, soziale Versorgungsstruktur, Alltagskompetenz und Funktionsstatus, bisherige Palliativmaßnahmen sowie Vorausverfügungen gezählt. Zur Erfassung aller Items werden verschiedene validierte Messinstrumente kombiniert. Es finden sowohl Verfahren zur Fremderfassung (für objektivierbare Items wie Funktionsfähigkeit und Alltagskompetenz) als auch PROMs (Symptome, Stimmung, Belastetheit) Anwendung. Die erhobenen Informationen zu Belastungen und Bedürfnissen der Patienten und ihrer Angehörigen sollen für eine Reevaluation im Verlauf vergleichbar sein, sodass ein Behandlungsplan entsprechend angepasst werden kann. Das PBA dient außerdem dazu, die Komplexität der Gesamtsituation zu bewerten. Die Komplexität bezieht die erfassten Bedürfnisse, Probleme und Belastungen von Patienten und Angehörigen ein,

wird aber auch anhand des Funktionsstatus des Patienten in Verbindung mit der Krankheitsphase (stabil, instabil, verschlechternd und sterbend) beschrieben. Neben der Erstellung eines Behandlungsplanes dienen die erfassten Daten auch der Darstellung und Überprüfung von Versorgungsqualität und -aufwand der behandelnden Einrichtung.

2

2.2 Schmerztherapie 2.2.1 Klassifikation von Schmerzen in der Palliativsituation Sascha Weber; frühere Bearbeitung: Rita Laufenberg-Feldmann

Frage 47 Wie können Schmerzen in der Palliativsituation klassifiziert werden? Die Ätiologie und Pathophysiologie von Schmerzen sind unterschiedlich, daher lassen sie sich nicht einheitlich klassifizieren. Neben Tumorschmerzen können Rücken- oder Nervenschmerzen bestehen. Die Klassifikation erfolgt nach ihrem zugrunde liegenden Entstehungsmechanismus. Eine detaillierte Schmerzanamnese ist zum Verständnis der geschilderten Beschwerden unabdingbar. Ein hilfreiches Akronym kann hierbei „PQRSTUV“ sein: ● Position: Physischer Ort der Schmerzen oder Bewegungsabhängigkeit ● Quality: Schmerzbeschreibungen des Patienten in seinen eigenen Worten könnten Rückschlüsse auf die Schmerzart geben (nozizeptiver, neuropathischer oder mixed Pain). ● Radiation: Ausstrahlung der Schmerzen (Zuordnung zu Versorgungsgebieten sensibler Nerven, übertragener Schmerz) ● Severity: Viele verschiedene klinische Tools wie die NRS (Numerical Rating Scale) ermöglichen eine überzeitliche und vom Untersucher unabhängige Vergleichbarkeit. ● Timing: Reize, die Schmerzen verbessern oder verschlimmern, sowie das Auftreten von Durchbruchschmerzen beeinflussen die Basis- und Bedarfsmedikation.

31

Schmerztherapiegrundlagen ●

2 ●

Understanding: Das Schmerzverständnis des Patienten ist eng verknüpft mit seinen bisherigen Erfahrungen, seiner subjektiven Krankheitstheorie, Kultur und persönlichen Werten und beeinflusst die Adhärenz zu Interventionen und Diagnostik. Values: Persönliche Werte, kulturelle und/oder spirituelle Überzeugungen des Patienten können die Akzeptanz medizinischer Maßnahmen, die Wahrnehmung und Mitteilung von Schmerzen beeinflussen

Knochenschmerzen aufgrund eines primären Knochentumors auf. Zu tumorbedingten Schmerzen kommt es auch durch Infiltration oder Kompression von peripheren Nerven, Plexus und Rückenmark. Weitere Ursachen sind Tumorbefall einzelner Organe, Weichteilinfiltration, peritumorale Entzündung, Nekrosen und Ulzerationen. Aber auch die Infiltration und Kompression von Blutgefäßen kann zu tumorbedingten Schmerzen führen.

Frage 48 Frage 50 Nennen Sie die ätiologisch orientierte Klassifikation von Tumorschmerzen. Neben dem tumorbedingten Schmerz können im Lauf der Erkrankung tumorassoziierte Schmerzen und im Rahmen der Therapie therapiebedingte Schmerzen auftreten. Ebenso sind tumorunabhängige Schmerzen möglich. Tumorassoziiert sind Schmerzen, die weder mit dem Tumorwachstum erklärbar noch auf eine onkologische Therapie zurückzuführen sind. Dazu zählen beispielsweise Schmerzen, die durch eine Pilzinfektion hervorgerufen werden, oder Schmerzen durch Dekubitalulzera durch Immobilität. Therapiebedingte Schmerzen sind Folge einer tumorspezifischen Therapie. So können Schmerzen nach chirurgischer Intervention (Nervenläsion, Vernarbung usw.) und durch Radiatio (Fibrose, Strahlendermatitis usw.) sowie schmerzhafte Nebenwirkungen bei Chemotherapie (Mukositis, Neuropathie usw.) auftreten. Tumorunabhängige Schmerzen stehen in keinem ursächlichen Zusammenhang zur Grunderkrankung. Beispiele dafür sind Migräne, unspezifischer Rückenschmerz oder rheumatoide Arthritis.

Schmerzen können auch nach dem zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismus klassifiziert und eingeteilt. Welche Formen werden dabei unterschieden? Nozizeptorschmerzen und neuropathische Schmerzen sowie „Mixed Pain“. Beim Nozizeptorschmerz kommt es durch die Aktivierung nozizeptiver Nervenendigungen (Nozizeptoren) zur Wahrnehmung von Schmerzen. Zugrunde liegt dabei eine Ansäuerung im Gewebe oder es werden Botenstoffe freigesetzt wie beispielsweise Bradykinin, Prostaglandine und Nerve Growth Factor. Die Nervenstrukturen sind dabei nicht geschädigt. Neuropathische Schmerzen entstehen, wenn Anteile des peripheren oder zentralen Nervensystems direkt geschädigt werden, beispielsweise durch Tumorkompression oder -infiltration. Häufig gehen neuropathische Schmerzen mit sensiblen Funktionsausfällen einher. Ein „Mixed Pain“ ist ein gemischt nozizeptiver und neuropathischer Schmerz.

Frage 51 Frage 49 Was ist unter dem Begriff „tumorbedingter Schmerz“ zu verstehen? Dabei handelt es sich um Schmerzen, die durch das Tumorwachstum oder durch die Metastasierung verursacht werden. Patienten geben häufig Schmerzen im Bereich des Skelettsystems an, die zum größeren Teil infolge einer ossären Metastasierung entstehen, vor allem bei Mamma-, Bronchial- und Prostatakarzinomen. Ebenso treten

32

Nozizeptorschmerzen werden aus strukturellen und funktionellen Gründen in somatische und viszerale Schmerzen unterteilt. Wie können Sie klinisch die beiden Formen unterscheiden? Somatische Schmerzen sind gut zu lokalisieren und werden mit Begriffen wie „dumpf“, „bohrend“, „stechend“ oder „spitz“ beschrieben. Viszerale Schmerzen hingegen sind unscharf begrenzt und werden in der Tiefe des Körpers lokalisiert, allerdings können sie auch in be-

Schmerztherapie stimmte Areale des Körpers projizieren. Sie werden meist als „kolikartig“ oder „drückend“ wahrgenommen. Klinische Beispiele für somatische Schmerzen sind Knochenmetastasen, für viszerale Schmerzen Lebermetastasen.

Frage 54 Welche mechanischen Reize werden mithilfe der sog. QST (quantitative sensorische Testung) geprüft?

2

Druck, Berührung, Vibration und Temperatur (warm bzw. kalt).

Frage 52 Wie stellt sich neuropathischer Schmerz klinisch dar? Neuropathische Schmerzen werden vom Patienten meist als „brennend“, „elektrisierend“ oder „einschießend“ beschrieben. Im Versorgungsgebiet der betroffenen Nervenstruktur können sensorische Plus- und/oder Minussymptome auftreten. Plussymptome sind spontane Schmerzsensationen wie beispielsweise die Allodynie. Die Schmerzauslösung erfolgt durch einen Reiz, der normalerweise keinen Schmerz verursacht (z. B. Berührung). Weitere Plussymptome sind Hyperästhesie und Hyperalgesie. Minussymptome sind Hypästhesie, Hypalgesie, Pallhypästhesie und Thermhypästhesie.

Frage 53 Welche klinischen Tests können zur Diagnose neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden? Es stehen einfache und differenzierte Testverfahren zur Verfügung, mit deren Hilfe die Wahrnehmung des Patienten (vermindert, normal, verstärkt) geprüft wird. Die Komponenten, die getestet werden sollten, sind das Berührungs-, das Pin-Prick-, das Druck-, das Kälte-, das Hitzeund das Vibrationsempfinden. Berührungsempfindlichkeit kann mittels eines Wattestäbchens geprüft werden, die Ausdehnung des betroffenen Areals erlaubt Rückschlüsse auf das Versorgungsgebiet. Stumpfe Nadeln, Druckalgometer, Thermotester und Stimmgabel sind weitere Hilfsmittel zur differenzierten Testung der Sensorik.

Die QST ist eine etablierte und durch den DFNS (Deutscher Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz) vereinheitlichte Messmethode zur Bestimmung der Schmerzempfindlichkeit eines Patienten. Die Testbatterie besteht aus 7 verschiedenen Tests, insgesamt werden 13 QST-Werte bestimmt. Neben leichten Berührungsreizen werden stumpfe Nadeloder Druckreize eingesetzt. Mit dieser Methodik können die Funktion dicker und dünner Nervenfasern in der Haut sowie die Weiterverarbeitung der Schmerzempfindung im schmerzleitenden System untersucht werden.

Frage 55 Welche Konsequenzen ergeben sich durch die ätiologische Klassifizierung? Die ätiologische Klassifizierung ist für die weitere Therapie von entscheidender Bedeutung. Beispielsweise sind bei tumorbedingten Schmerzen Verfahren indiziert, die den Tumor beseitigen oder verkleinern. In der palliativen Situation müssen dabei Nutzen, Risiko und Nebenwirkung der Intervention kritisch abgewogen werden; vor einer unkritischen onkologischen Übertherapie ist zu warnen.

Frage 56 Welche Konsequenzen ergeben sich durch die pathophysiologische Klassifizierung? Die pathophysiologische Klassifizierung der Tumorschmerzen hat einen entscheidenden Einfluss auf die analgetische Therapie. So lässt sich eine gezielte mechanismenbasierte Auswahl der Analgetika begründen.

33

Schmerztherapiegrundlagen Beispielsweise orientiert sich der Einsatz von Koanalgetika am pathophysiologischen Schmerztyp. Koanalgetika sind ursprünglich nicht zur Schmerztherapie entwickelt worden, haben jedoch in der Behandlung des neuropathischen Schmerzes einen hohen Stellenwert und mittlerweile oftmals auch eine Zulassung zur Behandlung neuropathischer Schmerzen.

2

Frage 57 Was beschreibt der Begriff „Total Pain“? Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Palliativmedizin, prägte diesen Begriff. Mit „Total Pain“ wird die Multidimensionalität des Schmerzerlebens beschrieben. Die Fokussierung auf die somatische Dimension greift zu kurz, da auch psychische, soziale sowie spirituelle Aspekte mitberücksichtigt werden sollten. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Behandlungsteam und Patient, eine verständnis- und respektvolle Begleitung, aufmerksame Beachtung der geschilderten Beschwerden und Einbeziehung des sozialen Umfelds sind Grundpfeiler der palliativen Haltung. Das Total-Pain-Konzept rückt neben der körperlichen Betrachtungsweise die Bedürfnisse des ganzen Menschen in den Fokus der Behandler*innen und hilft so bei einer ganzheitlichen Unterstützung.

Frage 58 Welche neurobiologischen Mechanismen können sowohl beim nozizeptiven als auch beim neuropathischen Schmerz auftreten? Im Rahmen der fortschreitenden Tumorerkrankung kann es zu einer peripheren und zentralen Sensibilisierung kommen. Beispielsweise steht im Rahmen eines inflammatorischen Tumorgeschehens eine periphere Sensibilisierung von Nozizeptoren im Vordergrund. Klinisch ist dies durch sensorische Pluszeichen wie eine Hitzeüberempfindlichkeit und Druckempfindlichkeit tieferer Gewebe gekennzeichnet.

34

Im Fall einer Schädigung dünner Schmerzfasern (C-Fasern) kann es sekundär zu einer zentralen Sensibilisierung von Hinterhornneuronen im Rückenmark kommen. Klinisch kann sich dies in einer Überempfindlichkeit gegenüber spitzen mechanischen Reizen oder auch durch Schmerz nach leichter Berührung (Allodynie) zeigen.

2.2.2 Definition und Prävalenz von Durchbruchschmerzen Kristina Muscheid; frühere Bearbeitung: Helmut Hoffmann-Menzel

Frage 59 Wie werden Durchbruchschmerzen definiert? Bislang gibt es keine allgemein anerkannte Definition von Durchbruchschmerzen. Nach Davies et al. sind Durchbruchschmerzen „eine vorübergehende Schmerzexazerbation, die spontan oder im Zusammenhang mit einem bestimmten oder nicht vorhersehbaren Auslöser trotz relativ konstanter oder angemessen kontrollierter Dauerschmerzen auftritt“ [20]. Bereits im Jahr 1990 definierten Portenoy und Hagen Durchbruchschmerzen als „vorübergehende Schmerzexazerbation, die bei eigentlich konstanten Schmerzen bei Patienten auftritt, die eine Opioid-Basismedikation erhalten“ [45]. Dementsprechend definiert die S 3-Leitlinie „Palliativmedizin“ Durchbruchschmerzen als „[...] transitorische Schmerzverstärkung, die vor dem Hintergrund gleichbleibender Schmerzen auftreten, die ansonsten durch eine Opioidtherapie rund um die Uhr angemessen beherrscht werden“ [35]. Die S 3-Leitlinie betont insbesondere die notwendige Symptomkontrolle durch eine Opioidbasismedikation. Dabei müssen die folgenden Schmerztypen von Durchbruchschmerzen unterschieden werden: ● Schmerzen während der Opioiddosisfindung (sog. Titrationsphase) ● wiederkehrende Schmerzen am Ende des Dosisintervalls (End-of-Dose-Failure) ● Schmerzen mit stark undulierender Intensität ● Schmerzattacken ohne Dauerschmerz (und ohne Opioidbasismedikation)

Schmerztherapie Frage 60 Gibt es unterschiedliche Formen von Durchbruchschmerzen? Eine verbreitete Klassifikation unterscheidet verschiedene Untertypen von Durchbruchschmerzen: ● unerwartet auftretender Spontanschmerz (Idiopathic Pain) ● durch bestimmte Faktoren ausgelöster Schmerz (Incident Pain): ○ durch bewusste Handlungen ausgelöster Schmerz (Belastung wie Gehen oder Sitzen, Gang zu Toilette oder Dusche usw.) ○ unwillentlich, teils unbewusst ausgelöste Schmerzen (Husten, Schlucken, unbewusste Bewegung usw.) ○ durch Maßnahmen oder Interventionen bedingte Schmerzen (Pflege, Lagerung, medizinische Interventionen, Wundversorgung usw.) Durch bekannte Faktoren ausgelöste Durchbruchschmerzen (Incident Pain) können, wenn vorausplanbar, von Patienten, Angehörigen oder medizinischem Personal durch vorbeugende Gabe einer Bedarfsmedikation behandelt werden. Hingegen ist der ohne Vorwarnung und überfallartig auftretende Spontanschmerz (Idiopathic Pain, je nach Literaturstelle auch Spontaneous Pain genannt) für Patienten äußerst belastend. Patienten fühlen sich ihm, da nicht vorhersehbar, ausgeliefert und entwickeln daher häufig große Angst vor der nächsten Schmerzepisode.

Frage 61 Wie erkennt bzw. diagnostiziert man Durchbruchschmerzen? Alle Tumorschmerzpatienten sollten regelmäßig und gezielt auf das Vorhandensein von Durchbruchschmerzen untersucht und befragt werden. Hierbei sollte ein besonderes Augenmerk auf folgende Merkmale des Durchbruchschmerzes gerichtet werden: Zeitpunkt des Auftretens, zeitliche Entwicklung, Lokalisation, Schmerzcharakter, Schmerzintensität, Auslöser bzw. Exazerbati-

ons- und Linderungsfaktoren, bisherige Behandlungsversuche, somatische Begleiterscheinungen und Einfluss der Schmerzen auf den Alltag bzw. das Aktivitätsniveau.

2 Obwohl Durchbruchschmerzen bei Tumorschmerzpatienten sehr häufig sind (je nach Literaturangabe leiden 40–80 % aller Tumorschmerzpatienten unter Durchbruchschmerzen), werden sie häufig unzureichend diagnostiziert, da Patienten nicht immer von sich aus über das Ausmaß der Beschwerden berichten. Standardisierte Fragebögen oder Selbstauskunftsbögen können bei der Diagnostik hilfreich sein bzw. Untersucher können sich an ihnen orientieren. Beispiele für solche Fragebögen sind der Brief Pain Inventory, das Alberta Breakthrough Pain Assessment Tool oder der Breakthrough Pain Questionnaire.

Frage 62 Von welcher Dauer und Intensität sind Durchbruchschmerzen? Durchbruchschmerzen sind meist von starker Intensität (Wert auf der numerischen Rating-Skala: 7–10) und erreichen ihr Intensitätsmaximum zumeist nach wenigen Minuten. Die Dauer einer Durchbruchschmerzepisode ist individuell und je nach Anhalten der auslösenden Ursache sehr unterschiedlich. Je nach auslösender Ursache können sie von wenigen Minuten bis zu Stunden anhalten. Bei zwei Dritteln aller Durchbruchschmerzen ist die Episode nach weniger als 30 Minuten beendet, gelegentlich bereits nach wenigen Minuten. Ein nicht geringer Anteil von Patienten klagt aber über Durchbruchschmerzen, die deutlich länger als 30 Minuten anhalten. Auch nur kurzzeitige Schmerzattacken können aufgrund ihrer Intensität und der Rasanz ihres Auftretens für den Patienten äußerst belastend sein. Ihre Behandlung sollte daher individuell erfolgen.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 63 Welchen Einfluss haben Durchbruchschmerzen auf die Lebensqualität von Patienten mit Tumorschmerz?

2

Durchbruchschmerzen haben eine starke Beeinträchtigung der Lebensqualität von Tumorpatienten zur Folge. Die Angst vor der nächsten Schmerzeskalation kann zum bestimmenden, alles dominierenden Faktor des Alltags werden. Dies gilt insbesondere für Durchbruchschmerzen, die den Patienten unerwartet und ohne erkennbaren Auslöser treffen. Ihnen fühlen sich Patienten zumeist hilflos ausgeliefert. Aber auch der durch bekannte Faktoren ausgelöste Durchbruchschmerz führt zu Vermeidungshaltung, Bewegungseinschränkung oder sozialem Rückzug. Der immer wiederkehrende Schmerz erinnert viele Patienten zudem allzu deutlich an die Bedrohlichkeit ihrer Erkrankung.

Frage 64 Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Durchbruchschmerzen? Es gibt medikamentöse und nicht medikamentöse Optionen zur Behandlung von Durchbruchschmerzen. Die Patienten selbst können durch bestimmtes Verhalten oder erlernte Techniken positiv auf Durchbruchschmerzen Einfluss nehmen. Grundsätzlich sollte die auslösende Ursache behoben werden, falls erkennbar und beeinflussbar. Da Durchbruchschmerzen individuell sehr unterschiedlich sind, muss die Behandlung angepasst an die aktuell vorliegende Situation erfolgen. Patienten können je nach Situation durch Bewegung, Ruhephasen, Positions- oder Lageveränderung oder auch mit Ablenkungs- oder Entspannungstechniken Schmerzen beeinflussen. In der Regel reicht dies jedoch nicht aus, sodass medikamentös interveniert werden muss. Invasive oder interventionelle Verfahren wie z. B. Nervenblockaden oder Neurolysen bleiben Ausnahmesituationen vorbehalten.

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Frage 65 Worin besteht die medikamentöse Therapie von Durchbruchschmerzen? Eine Expertengruppe der EAPC (European Association for Palliative Care) empfiehlt die zeitgerechte Gabe eines nicht retardierten, schnellund kurzwirksamen Opioids als Bedarfsmedikation zusätzlich zur Opioidbasismedikation. Diese Bedarfsmedikation darf ggf. mehrmals pro Tag in Anspruch genommen werden. Dann sollte jedoch eine Anpassung der Basismedikation erwogen werden. Die Behandlung von Tumorschmerzen mit Opioiden impliziert nach Expertenmeinung eine Strategie zur Behandlung von Durchbruchschmerzen. Traditionell wurde dazu die orale Gabe von 1/6–1/10 der Tagesdosis des Basisopioids in nicht retardierter Galenik desselben Wirkstoffs (nach Möglichkeit) empfohlen. Morphin, Hydromorphon und Oxycodon stehen seit Jahren in nicht retardierten Applikationsformen zur Verfügung. Ihre Wirkung setzt nach ca. 20–30 Minuten ein und hält etwa 4 Stunden an. Zusätzlich steht Fentanyl als schnell freisetzende Bedarfsmedikation in mehreren transmukösen Applikationsformen zur Verfügung. Beim Einsatz dieser Präparate muss beachtet werden, dass sie laut Zulassung erst dann verordnet werden dürfen, wenn eine Opioidbasistherapie aufgrund von chronischen Tumorschmerzen mit einer oralen Morphinäquivalenzdosis von mindestens 60 mg pro Tag seit mindestens einer Woche besteht. Anders als bei den nicht retardierten Formen von Morphin, Hydromorphon und Oxycodon kann die erforderliche Dosis zur Behandlung einer Tumordurchbruchschmerzepisode nicht aus der Dosis der täglichen Opioidbasistherapie vorhergesagt werden. Aus diesem Grund sollte die Titration immer mit der niedrigst möglichen Dosierung des jeweiligen Fentanylpräparates begonnen werden.

Schmerztherapie Frage 66 Sollen bestimmte Präparate in der medikamentösen Behandlung von Durchbruchschmerzen bevorzugt werden? Nicht prinzipiell. Durchbruchschmerzen sollen anhand ihres Charakters, ihrer Eskalation und ihrer Dauer sowie orientiert an Allgemeinzustand, Wünschen und kognitiven Fähigkeiten des Patienten behandelt werden. Da es nach Expertenmeinung kein allein optimales Präparat zur Behandlung von Durchbruchschmerzen gibt, haben sowohl die konventionellen nicht retardierten Opioide wie auch die schnell freisetzenden Fentanylpräparate je nach Indikationsstellung ihre Therapierelevanz. Die Applikationsweise sollte je nach Situation individuell gewählt werden. Die S 3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung“ empfiehlt: „Bei Patienten mit einer Krebserkrankung sollen Durchbruchschmerzen (z. B. bewegungsabhängige Schmerzen) mit oralen, schnell freisetzenden Opioiden oder mit transmukosalen Fentanyldarreichungsformen behandelt werden“ [35]. Letztere sollten in bestimmten Fällen von Durchbruchschmerzen aber aufgrund des schnelleren Wirkeintritts und der kürzeren Wirkdauer bevorzugt werden, so z. B. bei rasant an Intensität zunehmenden und den Patienten äußerst belastenden Durchbruchschmerzen. Zur präventiven Behandlung von Incident Pain oder bei Schmerzattacken, deren Dauer zumeist 1–2 Stunden überschreitet, sollten konventionelle orale Applikationsformen präferiert werden.

Frage 67 Warum kann eine transmuköse (sublinguale, bukkale oder nasale) Bedarfsmedikation bei Durchbruchschmerzen sinnvoll sein? Geeignete Wirkstoffe (z. B. Fentanyl) werden über die Schleimhaut von Mund und Nase gut und schnell wirksam resorbiert. Die Handhabung ist einfach und die Anwendung ist auch bei Passagebehinderung, Obstruktion oder Übelkeit und Erbrechen möglich. Die Wirkung setzt bei richtiger Anwendung schneller ein als bei traditioneller Bedarfsmedikation sonstiger schnell wirksamer oraler Applikationsformen.

Der Wirkstoff Fentanyl steht in mehreren schnell wirksamen Fertigarzneimitteln zur Verfügung, z. B. als Nasenspray, Sublingual- oder Bukkaltablette und als transmukosale Lutschtablette (OTFC [Oral transmucosal Fentanyl Citrate]). Der Wirkeintritt ist je nach Präparat unterschiedlich und beträgt zwischen 7 und 15–20 Minuten. Die Wirkdauer liegt wirkstofftypisch (vor allem aufgrund der Umverteilung) bei 60–90 Minuten. Die Bioverfügbarkeit liegt je nach Präparat bei 50–98 %. Die Wirkung dieser Arzneimittel tritt demnach bei einer Durchbruchschmerzepisode früher ein als bei Gabe von kurz wirksamen traditionellen Applikationsformen von Morphin, Hydromorphon oder Oxycodon und endet deutlich schneller.

2

Frage 68 Schneller Wirkeintritt und kürzere Wirkdauer können als Vorteile der schnell wirksamen Fentanylpräparate bei der Behandlung von Tumordurchbruchschmerzen gewertet werden. Gibt es auch Nachteile? Ja, es gibt auch Nachteile: Zum einen kann die kurze Wirkdauer bei länger anhaltenden Durchbruchschmerzepisoden unzureichend sein und eine erneute Einnahme nach kurzer Zeit notwendig machen. Zum anderen muss die Dosierung der Bedarfsmedikation individuell titriert werden, da kein Zusammenhang zwischen den Dosierungen der Bedarfsund der Dauermedikation besteht. Außerdem kann die schnelle Anflutung im ZNS bei den derzeit verfügbaren schnell wirksamen Fentanylpräparaten mit stärkeren psychomimetischen Nebenwirkungen (z. B. Euphorie) verbunden sein, was von einigen Patienten als unangenehm empfunden wird. Mit diesen besonderen pharmakologischen Eigenschaften besteht auch ein erhöhtes Missbrauchspotenzial. Die oben genannten Faktoren sollten bei der Auswahl des geeigneten Opioids individuell mitberücksichtigt werden.

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Schmerztherapiegrundlagen

2.2.3 Opioide und Cannabinoide Rüdiger Scharnagel, Rainer Sabatowski*

2

Frage 69 An welche Rezeptoren binden therapeutisch verwendete Opioide und wo sind diese lokalisiert? Die in der klinischen Anwendung befindlichen Opioide binden an µ- und ĸ-Rezeptoren. Diese befinden sich entlang schmerzleitender Bahnen im peripheren und zentralen Nervensystem. Die meisten therapeutisch eingesetzten Opioide binden überwiegend an den μ-Rezeptor (Fentanyl wirkt als Agonist am μ-Rezeptor, wohingegen Morphin und Oxycodon noch eine zusätzliche agonistische Wirkung am ĸ-Rezeptor entfalten). Gemischte Agonisten/Antagonisten (z. B. Pentazocin) binden an den μ- und ĸ-Rezeptoren, haben aber eine nur gering ausgeprägte intrinsische Aktivität am μ-Rezeptor, sodass hier eine antagonistische Wirkung resultiert. Daneben unterscheidet man noch δ-Rezeptoren, an die allerdings nur körpereigene Opioide (sog. Endorphine) binden. Zentrale Opioidrezeptoren sind sowohl ubiquitär im Gehirn als auch im Hinterhorn des Rückenmarks lokalisiert. Periphere Rezeptoren befinden sich an Spinalganglien sowie peripheren Endigungen sensorischer Neurone.

Frage 70 Durch welche Mechanismen wird die Opioidwirkung zur Schmerzdämpfung vermittelt? Opioidrezeptoren gehören zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, die nach Bindung des Liganden über die intrazelluläre Aktivierung von Second-Messenger-Systemen die neuronale Erregbarkeit hemmen und somit die Schmerzleitung und -verarbeitung modulieren. Die Wirkstärke ist dabei abhängig von Rezeptoraffinität, intrinsischer Aktivität und Lipophilie der jeweiligen Substanz. Die Rezeptoraffinität beschreibt die Bindungsstärke eines Liganden und gilt als wesentliche Determinante für die Wirkstärke und Wirkdauer eines Opioids. Darüber hinaus wird aber erst durch eine ausreichende intrinsische Aktivität eine Konformations-

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änderung des Rezeptors zur Vermittlung der pharmakologischen Wirkung erzielt. Der μ-RezeptorAntagonist Naloxon ist z. B. durch eine hohe Rezeptoraffinität gekennzeichnet, die eine kompetitive Verdrängung anderer Liganden bewirkt. Aufgrund der fehlenden intrinsischen Aktivität kommt es aber ansonsten zu keinen opioidtypischen Effekten. Lipophile Opioide penetrieren gut die Blut-Hirn-Schranke, was zu einer schnellen Anflutung und daraus resultierend zu einem schnellen Wirkungseintritt führt.

Frage 71 Beschreiben Sie den Wirkmechanismus bei der neuraxialen Applikation von Opioiden! Die peridurale oder intrathekale Applikation von Opioiden führt infolge der Besetzung lokaler Bindungsstellen im Hinterhorn des Rückenmarks zur Modulation von Schmerzafferenzen. Dabei sind in der Regel vergleichsweise geringere Opioiddosen als zur systemischen Anwendung erforderlich. Zur rückenmarksnahen Anwendung sind ausschließlich Morphin und Sufentanil zugelassen. Eine neuraxiale Applikation von Opioiden kann erwogen werden, wenn ein opioidsensibler Schmerz vorliegt und die systemische Zufuhr aufgrund von therapieresistenten Nebenwirkungen oder einer massiven Dosiseskalation limitiert ist. Im Gegensatz zur systemischen Anwendung besitzen hydrophile Opioide eine höhere analgetische Potenz und führen aufgrund der verzögerten Resorption zu einer länger anhaltenden Analgesie. Lipophile Opioide werden zwar schneller in das Rückenmark und das epidurale Fettgewebe aufgenommen, gelangen dadurch allerdings auch schneller in den Blutkreislauf. Potenziell besteht die Gefahr einer rostralen Ausbreitung mit konsekutiver Atemdepression, insbesondere bei der Anwendung hydrophiler Opioide, was ein entsprechendes Monitoring des Patienten für 12–24 Stunden erforderlich macht. Die Angabe von Dosisäquivalenten ist schwierig, entsprechend der klinischen Erfahrung wird ein Näherungswert von Morphin oral zu Morphin intrathekal von 100 : 1 angenommen. Die Dosisäquivalente für Morphin in Abhängigkeit der unterschiedlichen Applikationswege sind in ▶ Tab. 2.3 dargestellt.

Schmerztherapie Tab. 2.3 Morphindosisäquivalente in Abhängigkeit des Applikationsweges. Morphin (mg) Oral

30

Subkutan

15

Intravenös

10–15

Epidural

 3

Intrathekal

 0,3

Frage 72 Warum können Opioide eine Atemdepression hervorrufen? Die Atemdepression wird zentral durch die Hemmung des Atemzentrums in der Medulla oblongata ausgelöst. Die Atmung wird über den Schwellenwert des Kohlendioxid-Partialdrucks (pCO2) reguliert. Das Atemzentrum weist eine hohe Dichte von Opioidrezeptoren auf. Die opioidbedingte Atemdepression wird durch eine verminderte Ansprechbarkeit auf den pCO2 hervorgerufen. Opioide bewirken eine Reduktion der Atemfrequenz bis hin zum Atemstillstand. Dabei empfinden die Patienten allerdings nicht das subjektive Gefühl der Atemnot! Das Ausmaß der Atemdepression ist abhängig von der analgetischen Potenz und der Dosis des jeweiligen Opioids. Die atemdepressive Wirkung kann direkt und unmittelbar durch den Antagonisten Naloxon aufgehoben werden. Hierbei ist zu beachten, dass der Antagonist meist eine kürzere Halbwertszeit als der Agonist hat. Das heißt, aufgrund der Gefahr einer wiederkehrenden atemdepressorischen Wirkung muss der Patient unter Überwachung bleiben.

Frage 73 Was versteht man unter Toleranzentwicklung und opioidinduzierter Hyperalgesie? Im Rahmen einer Opioidtherapie versteht man unter Toleranz einen Wirkungsverlust bei wiederholter Einnahme. Hyperalgesie dagegen beschreibt das Auftreten pronozizeptiver Effekte. Bei der individuell sehr unterschiedlichen Ausbildung einer Toleranz kommt es zu einer Rechtsverschiebung der Dosis-Wirkungs-Kurve mit der Konsequenz einer notwendigen Dosiserhöhung des

Opioids, um den gleichen analgetischen Effekt zu erzielen. Differentialdiagnostisch sollte eine Schmerzverstärkung infolge einer Progression der Grunderkrankung abgegrenzt werden. Die Ursache einer generalisierten Schmerzverstärkung im Rahmen einer opioidbedingten Hyperalgesie beruht vermutlich vorwiegend auf einer zentralen Sensibilisierung durch Aktivierung von NMDA-Rezeptoren mit konsekutiv pronozizeptiven Effekten. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens steigt mit zunehmender Opioiddosis. Therapeutisch ist hier eine Umstellung auf L-Polamidon oder eine zusätzliche Therapie mit Ketamin zu erwägen. Beide Substanzen wirken u. a. als NMDA-Rezeptor-Antagonisten.

2

Frage 74 Warum können Opioide suchterzeugend sein? Die suchterzeugende Wirkung beruht auf einer Interaktion der µ-Agonisten mit GABAergen Interneuronen im limbischen System. Neurobiologisch führt dies neben einer euphorisierenden Wirkung auch zu einem Belohnungseffekt („reward related learning“) als einem zentralen Mechanismus der Suchterkrankung. Die Begriffe „Sucht“ und „Abhängigkeitssyndrom“ (ICD-10 F11.2) werden häufig synonym verwendet. Davon zu unterscheiden ist der schädliche Gebrauch (Synonym: Missbrauch ober Fehlgebrauch, ICD-10 F11.1), wobei die diagnostische Abgrenzung bei der iatrogenen Abhängigkeit bisweilen schwierig ist und die Übergänge fließend sein können. Anzeichen für ein Missbrauchsverhalten können z. B. mangelnde Therapieadhärenz mit unautorisierter Dosissteigerung sowie die Inanspruchnahme multipler Verschreiber sein. Zur Diagnosestellung sind die Symptome Toleranz sowie körperliche Entzugserscheinungen, die regelhaft nach Unterbrechung oder Beendigung der Opioidzufuhr zu beobachten sind, nicht zu verwenden, da diese auch bei einer lege artis durchgeführten Opioidtherapie auftreten. Man unterscheidet daher eine physische von einer psychischen Abhängigkeit, wobei Letztere die manifeste Suchterkrankung mit einem Kontrollverlust über den Substanzgebrauch beschreibt. Das Suchtpotenzial eines Opioids ist wahrscheinlich abhängig von der Potenz sowie den pharmakokinetischen Eigenschaften, Letztere insbesondere im Hinblick auf schnell freisetzende und kurzwirksame Darreichungsfor-

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Schmerztherapiegrundlagen men. Insofern sollte auch beim indikationsgerechten Einsatz dieser Substanzen, z. B. zur Behandlung des tumorbedingten Durchbruchsschmerzes, eine engmaschige Überprüfung der Dosis, des Einnahmeverhaltens sowie der Therapieziele erfolgen.

2

Frage 75 Wie erfolgt die initiale Dosistitration mit Medikamenten der WHO-Stufe 3 beim opioidnaiven Patienten? Die initiale Dosistitration erfolgt oral mit einem Dosisäquivalent von 30 mg Morphin. Dabei können retardierte oder nichtretardierte Applikationsformen zum Einsatz kommen. Bei Notwendigkeit einer schnellen Schmerzkontrolle ist die intravenöse Titration effektiver. Nach den Empfehlungen der EAPC erfolgt die initiale Dosisfindung durch die 4-stündliche Gabe von schnell freisetzendem Morphin in niedriger Dosierung. Zur Behandlung von Durchbruchschmerzen sollte die gleiche Dosis zur Verfügung stehen. Die Bedarfsmedikation kann stündlich eingenommen werden. Die Dosistitration kann auch primär mit niedrig dosierten retardierten oder langwirksamen Applikationsformen erfolgen. Dadurch können möglicherweise die Behandlung vereinfacht und die Compliance und Effektivität verbessert werden.

Frage 76 Welche Faktoren bestimmen die Auswahl eines Opioids? Die Auswahl des Opioids sollte sich in an Begleiterkrankungen wie Leber- und Nierenfunktionsstörungen bzw. Passage- und Resorptionsstörungen orientieren. Auch persönliche Erfahrungen im Umgang mit den einzelnen Substanzen spielen eine Rolle.

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Bei Nierenfunktionsstörungen sollten bevorzugt Opioide eingesetzt werden, die keine aktiven Metaboliten bilden, die über die Niere ausgeschieden werden (z. B. Fentanyl, Hydromorphon, Buprenorphin). Dabei muss neben einem engmaschigen Monitoring von Wirkung und Nebenwirkungen eine sorgfältige Dosistitration und evtl. eine Anpassung des Dosierungsintervalls erfolgen. Im Hinblick auf schwere Leberfunktionsstörungen kann aufgrund der dadurch erhöhten Bioverfügbarkeit von Morphin und Hydromorphon das Dosisintervall verlängert werden. Levomethadon oder Oxycodon sollten nicht angewendet werden. Bei vorhandenen bzw. drohenden Passage- oder Resorptionsstörungen kann primär eine transdermale oder parenterale Applikationsform indiziert sein.

Frage 77 Beschreiben Sie das etablierte Vorgehen bei der Opioidrotation. Ein Opioidwechsel erfolgt bei unzureichender Symptomkontrolle trotz adäquater Dosierung oder nicht tolerablen Nebenwirkungen. Bei der Opioidrotation wird die äquianalgetische Morphindosis (orales Morphinäquivalent) bestimmt. Zu Therapiebeginn werden 50–75 % der errechneten Dosis des neuen Medikamentes verabreicht. Dabei ist auf die Bereitstellung einer Bedarfsmedikation zur Dosistitration zu achten. Die Wirkstärke der Opioide wird im äquianalgetischen Verhältnis zu Morphin ausgedrückt. Es handelt sich hierbei um Näherungswerte, die individuell deutlich abweichen können (▶ Tab. 2.4).

Schmerztherapie Tab. 2.4 Dosisintervalle und Äquivalenzdosierungen. Opioid

Kinetik

Dosierungsintervall (h)

Analgetisches Morphinäquivalent

Morphin

retardiert

8–12–(24)

1

nicht retardiert

4

sublingual

6–8

transdermal

72–96

Buprenorphin Hydromorphon Oxycodon Tapentadol Fentanyl L-Polamidon

retardiert

12–24

nicht retardiert

4

retardiert

12

nicht retardiert

4

2 50–60 5–7,5 2

retardiert

12

nicht retardiert

4–6

transdermal

(48)–72

100

6–8

individuelle Dosistitration erforderlich

Frage 78 Welche Besonderheiten kennzeichnen die Kinetik von transdermalem Fentanyl? Die Aufnahme von transdermal appliziertem Fentanyl wird ermöglicht durch die hohe Lipophilie der Substanz und erfolgt unabhängig von der gastrointestinalen Resorption sowie unter Umgehung des First-Pass-Effektes der Leber. Nach Aufkleben des Pflasters bildet sich zunächst ein subkutanes Hautdepot, danach werden aufgrund der systemischen Resorption messbare Plasmaspiegel erreicht. Eine Steady-State-Konzentration wird nach 12–24 Stunden erreicht. Auch bei der Beendigung einer transdermalen Therapie mit Fentanyl (d. h. nach dem Entfernen des Pflasters) ist mit einer weiter bestehenden Medikamentenwirkung für ca. 12 Stunden zu rechnen.

Frage 79 Was ist beim Einsatz der schnell freisetzenden Fentanylformulierungen zu beachten? Die Indikation zur Anwendung der transmukosalen oder nasalen Applikationsformen von Fentanyl beschränkt sich auf die Behandlung des Durchbruchsschmerzes bei chronischen Tumorschmerzen, die mit Opioiden behandelt werden. Die Substanzen sollen beim opioidnaiven Patienten nicht angewendet werden. Die Opioidbasistherapie sollte mindestens 60 mg orales Morphin täglich oder 25 μg/h transdermalem Fentanyl entsprechen. Eine

2–3

Dosistitration zur erfolgreichen Behandlung einer Durchbruchsschmerzepisode erfolgt individuell. Es sollte immer mit der niedrigsten Dosierung des gewählten Präparates begonnen werden. Darüber hinaus sollte das hohe Suchtpotenzial aufgrund der besonders schnellen Freisetzungskinetik dieser Substanzen berücksichtigt werden.

Frage 80 Wodurch sind die pharmakologischen Besonderheiten von Buprenorphin gekennzeichnet? Bei der Substanz Buprenorphin handelt es sich um einen gemischten Agonisten/Antagonisten mit partiell agonistischer Wirkung am µ-Rezeptor und agonistisch/antagonistischer Wirkung am ĸ-Rezeptor. Aufgrund einer langsamen Bindung und Dissoziation kommt es zu einem verzögerten Wirkungseintritt mit prolongierter Wirkdauer. Buprenorphin besitzt als Partialagonist eine geringere intrinsische Aktivität, weist aber aufgrund seiner hohen Rezeptoraffinität und Lipophilie eine ca. 100-fach höhere analgetische Potenz als Morphin auf. Zudem besteht aufgrund der besonderen Rezeptorkinetik eine Wirkdauer von bis zu 10 Stunden. Im klinisch-therapeutischen Dosisbereich entspricht die Pharmakodynamik dieser Substanz der eines reinen μ-Rezeptor-Agonisten. Daher erscheint, nicht zuletzt auch wegen der geringen Rezeptorbelegung von Buprenorphin, die Kombination mit reinen μ-Agonisten (z. B. Morphin) zur Behandlung des tumorbedingten Durchbruchschmerzes gerechtfertigt.

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Schmerztherapiegrundlagen Tab. 2.5 Dosierungsschema für L-Polamidon [43].

2

Levomethadon basal

Levomethadon Bedarf

Tag 1

2,5–5 mg 4-stündlich

2,5–5 mg max. stündlich

Tag 2–3

weiter wie Tag 1 oder Schmerzreduktion unzureichend → Dosissteigerung bis 30 % 4-stündlich

max. stündlich anlog der Basaldosis

Tag 4

Dosisintervall auf 8-stündlich verlängern

max. 3-stündlich analog der Basaldosis

ab Tag 5

weiter wie Tag 4 oder Schmerzreduktion unzureichend → Dosissteigerung bis 30 % der Tagesdosis

max. 3-stündlich analog der Basaldosis

Frage 81 Worin bestehen die pharmakologischen Besonderheiten von Levomethadon und welche praktischen Konsequenzen leiten sich daraus ab? Levomethadon ist ein µ-Rezeptor-Agonist und wirkt als NMDA-Rezeptor-Antagonist sowie als präsynaptischer Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Bei unzureichendem Ansprechen oder nicht zu tolerierenden Nebenwirkungen unter Morphin bzw. bei Vorliegen neuropathischer Schmerzen kann ein Therapieversuch mit Levomethadon erfolgreich sein. Aufgrund seiner hohen Plasmaeiweißbindung und des großen Verteilungsvolumens hat die Substanz bei wiederholter Gabe eine lange Wirkdauer und neigt zu Kumulationseffekten. Während initial eine 4-stündliche Applikation erforderlich ist, verlängert sich das Dosisintervall nach 72 Stunden auf 8‑stündlich. Ein mögliches Dosierungsschema findet sich in ▶ Tab. 2.5.

Frage 82 Wann ist eine parenterale Schmerztherapie mit Morphin indiziert und wie erfolgt die initiale Dosisfindung? Eine parenterale Therapie wird erforderlich, wenn die orale oder transdermale Applikation nicht möglich bzw. die Symptomkontrolle darunter unzureichend ist. Initial werden 30 % der oralen Morphintagesdosis verabreicht. Neben einer unzureichenden Symptomkontrolle kann der Wechsel des Applikationsweges bei ausgeprägter Mukositis, unstillbarem Erbrechen, Passage- oder Resorptionsbehinderungen sowie in der Finalphase erforderlich werden. Es kann ein subkutaner oder intravenöser Zugangsweg gewählt

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werden. Bei Verwendung von Infusionspumpen sollte neben einer Basalrate immer eine Bolusfunktion programmiert werden. Aufgrund der höheren Bioverfügbarkeit sollten primär 30 % der oralen Tagesdosis von Morphin oder Hydromorphon über 24 Stunden verabreicht werden.

Frage 83 Im Konsildienst wird Ihnen ein Patient mit Tumorschmerzen vorgestellt, der mit einer Kombination aus 3 × 60 mg Morphin retard, Fentanyl transdermal 100 µg/h, Wechsel 3-tägig, sowie Tramadol 100 mg unretardiert bzw. Morphin 10 mg unretardiert jeweils als Bedarfsmedikation eingestellt ist. Darunter ist die Symptomkontrolle der Schmerzen unzureichend. Wo liegt das Problem und wie gehen Sie vor? Eine Kombination unterschiedlicher Opioide ist nicht empfehlenswert. Zudem ist die Dosis der Bedarfsmedikation (Morphin, Tramadol) im Verhältnis zur Basismedikation (Morphin, Fentanyl) zu niedrig gewählt. Im hier dargestellten Fall sollten alle Opioide abgesetzt werden und unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen sollte eine Neueinstellung auf ein (!) hochpotentes Opioid erfolgen. Hierbei sollte die Neueinstellung vorzugsweise mit retardierten Opioiden (z. B. Morphin) und einer adäquaten Bedarfsmedikation durchgeführt werden. Eine Neueinstellung mit Fentanyl als primäre Maßnahme empfiehlt sich nicht, da das transdermale System zu träge ist. Die Einnahmefrequenz der Bedarfsmedikation sollte zeitnah (!) kontrolliert und die Basismedikation entsprechend angepasst werden. Darüber hinaus sollte der Einsatz von Analgetika nach WHO-Stufe 1 sowie Koanalgetika erwogen werden.

Schmerztherapie Frage 84

Frage 86

Wodurch entsteht eine opioidbedingte Obstipation?

Warum führt eine Therapie mit Opioiden zu Übelkeit und Erbrechen?

Die obstipierende Wirkung von Opioiden wird durch eine Magenentleerungsstörung sowie eine intestinale Motilitätshemmung vermittelt.

Übelkeit und Erbrechen sind Nebenwirkungen einer Opioidtherapie und werden durch eine Reizung der Chemorezeptor-Triggerzone (CTZ) ausgelöst.

Die Obstipation entsteht durch die Opioidaktivität an peripheren Bindungsstellen vorrangig im oberen Gastrointestinaltrakt und im Dünndarm. Infolge der dadurch verminderten Freisetzung von Acetylcholin mit konsekutiver Abschwächung der parasympathischen Aktivität kommt es zu einer Pyloruskonstriktion sowie zur Hemmung der propulsiven Dünndarmmotorik.

Frage 85 Welche therapeutischen Strategien zur Prophylaxe oder Therapie einer opioidinduzierten Obstipation gibt es? Zur Prophylaxe einer opioidinduzierten Obstipation sollten immer Laxanzien gegeben werden. Daneben sind Basismaßnahmen im Sinne einer adäquaten Flüssigkeitszufuhr und möglichst ausreichender Bewegung erforderlich. Die medikamentöse Behandlung der Obstipation folgt einem Stufenschema. Primär werden osmotisch wirksame Substanzen eingesetzt. Aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsprofils sollte Macrogol bevorzugt werden. In den nächsten Stufen kommen jeweils stimulierende Substanzen, Lubrikanzien sowie Suppositorien oder Klistiere zum Einsatz. Liegt eine schwerwiegende überwiegend opioidbedingte Obstipation vor, kann ein Therapieversuch mit den peripheren Opioidrezeptor-Antagonisten Methylnaltrexon (subkutane Applikation) oder Naloxegol bzw. Naldemedin (orale Applikation) erfolgen.

2

Die CTZ ist am Boden des IV. Ventrikels lokalisiert und steht mit dem Brechzentrum in enger Verbindung, welches über komplexe Reflexkreisläufe Übelkeit und Erbrechen induziert. Die hohe Dichte serotinerger, histaminerger und dopaminerger Rezeptoren im Bereich der CTZ erklärt die Wirksamkeit entsprechender Antagonisten zur Prophylaxe und Therapie von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Opioidtherapie. In der Regel kommt es nach wenigen Tagen bis Wochen zu einer Toleranzentwicklung für diese Nebenwirkungen.

Frage 87 Wie behandelt man opioidinduzierte Übelkeit und Erbrechen? Bei opioidnaiven Patienten sollten primär immer Antiemetika verordnet werden. Bei anhaltender Symptomatik erfolgt die Kombination verschiedener antiemetischer Substanzen oder der Wechsel des Opioids bzw. des Applikationsweges. Antiemetika sollten antizipativ und in ausreichender Dosis verabreicht werden. Medikament der ersten Wahl ist Metoclopramid. Bei unzureichender Wirkung können Neuroleptika (z. B. Haloperidol), Antihistaminika (z. B. Dimenhydrinat; Cave: ausgeprägte Sedierung), Serotonin-Antagonisten oder Kortikosteroide eingesetzt werden. Insbesondere in der Palliativsituation hat sich Levomepromazin als „Breitspektrum-Antiemetikum“ bzw. alternativ Olanzapin bewährt. Anticholinerge Substanzen sollten nicht mit Prokinetika kombiniert werden, da sie deren Wirkung aufheben.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 88 Wie hoch ist die Gefahr, dass durch die Anwendung von Opioiden in den letzten Lebenswochen die Dauer des Überlebens verkürzt wird?

2

Bei Steuerung der Therapie durch erfahrene Personen ist die Gefahr einer Lebensverkürzung nicht gegeben. In der öffentlichen Diskussion ethischer Probleme am Lebensende spielt eine angenommene Lebensverkürzung durch die Gabe starker Schmerzmittel (z. B. infolge einer resultierenden Atemdepression) eine gewisse Rolle (Begriffe: indirekte Sterbehilfe, ethischer Doppeleffekt). Klinische Studien hierzu sind schwierig. Eine Reihe von retrospektiven Auswertungen zu dieser Frage zeigt keinen Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit der Dosiseskalation und der verbleibenden Überlebensdauer. Die Studien deuten eher darauf hin, dass eine adäquate Schmerztherapie die Prognose verbessert.

Frage 89 Welche Rolle spielen Opioide in der palliativen Sedierung? Ein Einsatz von Morphin in der alleinigen Indikation der Sedierung ist nicht begründet. Zur alleinigen Sedierung sind Benzodiazepine Mittel der Wahl. Palliative Sedierung kann definiert werden als medikamentöse Bewusstseinsdämpfung mit dem Ziel, dass die Zeit bis zum Tode annehmbarer und erträglicher wird, wenn eine Symptomkontrolle auf andere Art nicht möglich ist. Die einzige zugelassene Indikation der Opioide ist die Schmerzbehandlung. Außerhalb der Zulassung wird im palliativen Setting auch Atemnot mit niedrig dosierten Opioiden therapiert. Die Behandlung ist durch langjährige Erfahrung und positive Studienergebnisse abgesichert. Daraus folgt, dass auch terminal ein Einsatz und eine Dosiseskalation von Opioiden in sedierende Bereiche nur erfolgen dürfen, wenn dies durch Schmerzen (oder Luftnot) gerechtfertigt ist. Bei anderen Symptomen wird in Regel wegen der guten Steuerbarkeit Midazolam eingesetzt.

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Frage 90 Wie wirken Cannabinoide? Cannabinoide (CB) binden an G-Protein-gekoppelte Cannabinoid-Rezeptoren, sie sowohl im ZNS (CB1) als auch im peripheren Nervensystem (CB2) lokalisiert sind. Unter dem Begriff „Cannabinoide“ werden chemisch verwandte Substanzen zusammengefasst, die endogen vorkommen (Endocannabinoide) oder in der Hanfpflanze enthalten sind. Die bekanntesten Pflanzenbestandteile sind das δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und das Cannabidiol (CBD). Dem THC wird vor allem eine berauschende, bewusstseinserweiternde sowie analgetische Wirkung zugeschrieben, CBD wirkt sedierend und spasmolytisch.

Frage 91 Welche Cannabisarzneimittel dürfen verordnet werden und was ist bei der Verordnung zu beachten? Verordnet werden dürfen zugelassene Fertigarzneimittel, nicht als Fertigarzneimittel zugelassene Cannabisextrakte und Dronabinol sowie Cannabisblüten. Alle Cannabisarzneimittel unterliegen der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung und müssen auf einem Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabisarzneimitteln wurden mit den im März 2017 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen erweitert. Vor der ersten Verordnung sollte eine Genehmigung der gesetzlichen Krankenversicherung eingeholt werden. Für die zugelassenen Fertigarzneimittel (Sativex, Canemes) ist diese Genehmigung nur erforderlich, wenn sie außerhalb der in der Fachinformation hinterlegten Indikationen verordnet werden. Verschiedene Sorten von Cannabisblüten und -extrakten werden über den THC- und CBD-Gehalt definiert und sind anhand ihrer Namen, die auf den Betäubungsmittelverordnungen vermerkt sein müssen, eindeutig identifizierbar. Die Anwendung der Cannabisextrakte erfolgt oral, die Inhaltsstoffe der Cannabisblüten sollten über Vaporisatoren inhaliert werden.

Schmerztherapie Detaillierte Angaben zur Verordnungspraxis und zu Höchstverordnungsmengen sind in den Veröffentlichungen der Bundesopiumstelle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu finden (Bundesopiumstelle).

Frage 92 Welche Indikationen zur medizinischen Anwendung von Cannabinoiden gibt es und mit welchen Nebenwirkungen ist zu rechnen? Für die zugelassenen Fertigarzneimittel sind die Indikationen in den Fachinformationen definiert. Eindeutige Indikationen für den Einsatz von Cannabisblüten existieren gegenwärtig nicht. Vor allem zentralnervöse Nebenwirkungen wie Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit sind häufig. Der Gesetzgeber stellt lediglich darauf ab, dass ein Behandlungsanspruch mit Cannabisarzneimitteln besteht, wenn andere anerkannte Leistungen nicht zur Verfügung stehen oder im individuellen Fall nicht angewendet werden können und es Hinweise darauf gibt, dass Cannabinoide im konkreten Einzelfall wirksam sein könnten. In einer initialen Begleiterhebung des BfArM zur Therapie mit Cannabinoiden wurden > 16 000 Datensätze ausgewertet. Dabei zeigten sich vor allem zentralnervöse Nebenwirkungen mit einer Häufigkeit von 14,9 %. Aber auch Halluzinationen mit einer Häufigkeit von 0,7 % zählen zu gelegentlich auftretenden Nebenwirkungen, die bei einer Verordnung bedacht werden sollten [1].

erhöhtes Risiko für das Auftreten zentralnervöser Nebenwirkungen mit Therapieabbrüchen unter Cannabinoidtherapie. Auch zeigte sich hinsichtlich der Wirkung kein Unterschied bei Patienten mit oder ohne neuropathische Schmerzen [12].

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Frage 94 Was ist das Besondere an den Opioiden Tramadol und Tapentadol?* Beide Substanzen entfalten ihre Wirkung nicht nur über die Opioidrezeptoren. Sie werden auch als Opioide mit „dualem Wirkmechanismus“ bezeichnet. Tramadol ist ein synthetisches Opioid mit Wirkung am μ-Rezeptor sowie einer Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin. In Kombination mit Psychopharmaka (z. B. selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern) kann ein Serotoninsyndrom ausgelöst werden. Darüber hinaus ist in der Kombination mit Medikamenten, die die Krampfschwelle senken, ein erhöhtes Krampfrisiko zu beachten. Tramadol hat aufgrund seines Wirkmechanismus und der Biotransformation über CYP 3A4 und CYP 2D6 ein hohes Potential für Arzneimittelwechselwirkungen. Tapentadol wirkt ebenfalls am μ-Rezeptor. Gleichzeitig führt es zu einer Hemmung des Noradrenalin-Reuptakes. Tapentadol hat eine dem Tramadol vergleichbare Struktur sowie ein vergleichbares pharmakologisches Profil, bei insgesamt geringerem Interaktionspotential und geringerer serotonerger Wirkung.

Frage 95 Frage 93 Haben Cannabinoide einen besonderen Stellenwert bei der Behandlung von Tumorschmerzen oder neuropathischen Schmerzen? Eine Überlegenheit von Cannabinoiden in der Behandlung von Tumorschmerzen bzw. neuropathischen Schmerzen gegenüber Placebo zeigte sich in einer aktuellen Metanalyse nicht. In einer Metanalyse zeigte sich zwar eine leichte Überlegenheit von Cannabinoiden im Vergleich zu Placebo hinsichtlich der Schmerzreduktion; dieser Vorteil relativierte sich allerdings durch ein deutlich

Bei welchen Opioiden ist besonders auf die Auslösung eines Serotonin-Syndroms zu achten?* Insbesondere bei Fentanyl, Pentazocin, Pethidin, Tramadol und Tapentadol kann unter Umständen mit einem Serotoninsyndrom gerechnet werden. Die Ursache eines Serotoninsyndroms liegt in einer verstärkten zentralen und peripheren synaptischen Serotoninwirkung, die von Medikamenten, Rauschmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln ausgelöst werden kann. Leichte Formen des Serotoninsyndroms werden aufgrund von unspezifischen Symptomen wahrscheinlich häufig übersehen.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 96 Was sind typische Symptome eines Serotoninsyndroms?*

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Diarrhoe, Fieber, Tachycardie, verstärktes Schwitzen, Verwirrung, Zittern und Muskelzuckungen Die Ausprägung des Serotoninsyndroms kann unterschiedlich, von leichter bis hin zu schwerer und lebensbedrohlicher Symptomatik, verlaufen. Bei sehr schwerem Verlauf kann es zu einer Hyperthermie, Delirium, Koma, Azidose, disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC), Rhabdomyolyse und akuten Nierenschädigung kommen. Die Behandlung liegt in dem sofortigen Absetzen der auslösenden Medikamente und einer symptomorientierenden medikamentösen Therapie. Bei schweren Verläufen ist eine intensivmedizinsche Behandlung unumgänglich.

2.2.4 Nichtopioidanalgetika Susanne Heller, Ruth Heineck

Frage 97 Wie kann man die Gruppe der Nichtopioidanalgetika unterteilen? Die Einteilung dieser heterogenen Medikamentengruppe ist nicht einheitlich. Die größte Gruppe wirkt im Eicosanoidsystem. Diese Substanzen werden auch als „NSAID“ (nicht steroidale Antiphlogistika, non-steroidal anti-inflammatory Drugs) bezeichnet. Paracetamol und Metamizol werden meist als eigene Substanzklassen dargestellt. Die Gruppe der NSAID vereinigt Substanzen, meist organische Säuren, die die Fähigkeit haben, durch Angriff im Arachidonsäurestoffwechsel die Entstehung von Eicosanoiden zu beeinträchtigen. Innerhalb der Gruppe der NSAID unterscheidet man die Präparate bezüglich ihrer Selektivität in Inhibitoren der 2 Isoformen der Cyclooxygenase (COX), der COX1 und der COX-2. Paracetamol (Acetaminophen im angloamerikanischen Sprachraum) ist ein nicht saures Anilinderivat mit mäßig guter analgetischer und guter antipyretischer Wirkung. Metamizol (Dipyrone im angloamerikanischen Sprachraum), ein nicht saures Pyrazolonderivat, gehört zu den ältesten synthetisch hergestellten Arzneimitteln und wirkt gut analgetisch und auch antipyretisch.

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Frage 98 Erläutern Sie die zentrale Rolle des Enzyms Cyclooxygenase (COX) in der Gruppe der NSAID. Welche Einteilung wird bezüglich der Selektivität der Substanzen verwendet? Die COX ist ein zentrales Enzym der Prostaglandinbiosynthese aus Arachidonsäure. Man unterscheidet 2 Isoformen: die COX-1 und die COX-2. Bei den Substanzen differenziert man zwischen selektiven und nicht selektiven COX-Hemmern. Die COX-1 wird als „konstitutiv“ bezeichnet und kommt in fast allen Geweben mit relativ konstanten Spiegeln vor. Sie reduziert die Säureproduktion und fördert die Magenschleimproduktion, die Nierendurchblutung, die Thrombozytenaggregation und die Vasokonstriktion am Endothel. Demgegenüber ist die COX-2 nur in geringer Menge vorhanden, jedoch induzierbar, und wird z. B. im Fall von Entzündungen innerhalb weniger Stunden massiv produziert. Sie bildet proinflammatorisch wirksame Prostaglandine, die zur Ausprägung der typischen Entzündungssymptome und zur Sensibilisierung nozizeptiver Afferenzen führen. Über die erhöhte Prostaglandinproduktion im Rahmen der Entzündungen kommt es zu permeabilitätserhöhenden und vasodilatatorischen Effekten an den Gefäßen. Die COX-2 wird aber auch für den Heilungsprozess bei peptischen Ulzera sowie bei Knochenbrüchen benötigt. Nicht selektive COX-Hemmer sind z. B. Acetylsalicylsäure, Naproxen und Ibuprofen. Vorrangige COX1-Hemmer sind Indometacin und Ketoprofen. Zu den vorrangigen COX-2-Hemmern zählt man Diclofenac und Meloxicam. Selektive COX-2-Hemmer werden auch als „Coxibe“ bezeichnet. Dazu gehören Celecoxib, Etoricoxib und Parecoxib (Prodrug von Valdecoxib).

Frage 99 Was sind allgemein typische Nebenwirkungen der NSAID? Das Spektrum an potenziellen Nebenwirkungen umfasst gastrointestinale Komplikationen wie Blutungen, Oberbauchbeschwerden und Ulzera, Nierenfunktionsstörungen (Wasser- und Natriumchloridretention, interstitielle Nephritis und Papillennekrose) sowie kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Komplikationen.

Schmerztherapie NSAID wirken über eine Hemmung der COX analgetisch, antipyretisch und antiphlogistisch. Jedoch kommt es über den Eingriff in die Prostanoidsynthese auch zu den verschiedenen, zum Teil gravierenden Nebenwirkungen.

Frage 100 Gibt es spezielle Risikofaktoren für das Auftreten von schweren gastrointestinalen Ereignissen unter NSAID-Einnahme? Ja, einige Vorerkrankungen den Gastrointestinaltrakt betreffend, aber auch andere Faktoren gehen mit einem deutlich erhöhten Risiko für Perforationen, Ulzera und Blutungen einher. Wichtigste bekannte Risikofaktoren: ● anamnestisch peptische Ulzera mit oder ohne gastrointestinale Blutung ● Langzeitgabe der maximal empfohlenen Dosis eines NSAID ● Komorbiditäten wie Tumorerkrankung, Leber-, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Erkrankungen ● höheres Lebensalter von über 65 Jahren ● gleichzeitige Gabe eines Kortikosteroids, eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers, von Acetylsalicylsäure oder eines Antikoagulans (Phenprocoumon oder Heparin) ● Helicobacter-pylori-Infektion

Frage 101 Kennt man Faktoren, die Komplikationen hinsichtlich der Nierenfunktion unter der Einnahme von verschiedenen Substanzklassen der NSAID begünstigen? Ja. Begünstigende Faktoren für das Auftreten von Komplikationen seitens der Nieren sind Volumenmangel, gleichzeitig bestehende Herzinsuffizienz und eine vorbestehende Nierenfunktionsstörung. Zudem haben Patienten mit Leberfunktionsstörungen ein höheres Risiko, ein NSAID-induziertes Nierenversagen zu erleiden. Bezüglich der renalen Komplikationen gibt es keine Unterschiede zwischen selektiven und nicht selektiven NSAID.

Die Verschlechterung der Nierenfunktion wird durch die Beeinflussung der renalen COX-Aktivitäten vermittelt. Es kommt zur Störung der renalen Durchblutung und zu erhöhter Natrium- und Wasserretention. Gerade bei Palliativpatienten ist aufgrund der häufig über einen längeren Zeitraum bestehenden Hypovolämie mit einer höheren Prävalenz einer NSAID-induzierten Nierenschädigung zu rechnen.

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Frage 102 Was ist bezüglich des kardio- und zerebrovaskulären Risikos bei selektiven und nicht selektiven NSAID zu beachten? Längere Zeit ging man davon aus, dass vor allem bei COX-2-Inhibitoren ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht. Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass diese Risikoerhöhung nicht nur für selektive, sondern generell für alle NSAID zu bedenken ist. Durch Einflussnahme auf das komplexe System des Stoffwechsels der Prostaglandinsynthese scheint es zu Störungen der lokalen Balance zwischen pro- und antikoagulatorischen Effekten am Endothel zu kommen. Typische Folgen sind ein vermehrtes Auftreten von Myokardinfarkten und Schlaganfällen sowie die Verschlechterung einer bereits bestehenden Herzinsuffizienz. Zudem erhöhen alle NSAID mit Ausnahme von ASS den Blutdruck und wirken einer antihypertensiven Therapie entgegen. Das erhöhte kardiovaskuläre Risiko unter Einnahme von COX-Inhibitoren zeigt sich deutlich für Diclofenac, Ibuprofen und etwas weniger für Naproxen. Entgegen früheren Annahmen scheint der selektive COX-2Hemmer Celecoxib dagegen nicht mit einem höheren kardiovaskulären Risiko assoziiert zu sein als nicht selektive NSAID [5].

Frage 103 Welche Vorteile könnte der Einsatz von selektiven COX-2-Inhibitoren gegenüber nicht selektiven Substanzen haben? Ein geringeres gastrointestinales Risiko gegenüber der Einnahme von nicht selektiven COXHemmern.

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Schmerztherapiegrundlagen Die Einnahme aller NSAID geht mit einer Erhöhung des gastrointestinalen Risikos (z. B. einer schweren Ulkusblutung) einher. Während jedoch das Risiko durch die Einnahme von Ibuprofen und Naproxen vervierfacht ist, scheint es bei Gabe von Coxiben und Diclofenac „lediglich“ verdoppelt. Allerdings weiß man, dass COX-2-abhängige Prostaglandine in Heilungsprozessen (z. B. bei der Ulkusheilung) eine Rolle spielen. Eventuell könnte dies das scheinbar geringere intestinale Risiko bei Gabe von COX-2-Inhibitoren relativieren. Als weiterer Aspekt kann eine unter Gabe von COX-2-Inhibitoren geringere Thrombozytenaggregationshemmung bei Patienten mit Blutungsgefahr oder perioperativ von Vorteil sein.

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Frage 104 Für welche Art von Schmerzen kommt der Einsatz eines NSAID in Frage? Vor allem für Schmerzen mit inflammatorischer Genese. NSAID haben aufgrund ihrer antiinflammatorischen Eigenschaften einen hohen Stellenwert bei der Behandlung von Schmerzen mit entzündlicher Genese. Im Rahmen der Tumorschmerztherapie werden sie als wichtiger Baustein für eine gute schmerztherapeutische Abdeckung gesehen. Wahrscheinlich ist die Tatsache, dass die mit einer Tumorerkrankung einhergehenden Schmerzen auch eine entzündliche Komponente haben, ursächlich. Ebenso kann die antipyretische Komponente der NSAID in der Palliativversorgung eine Rolle spielen, die auch bei paraneoplastischem Fieber wirksam ist. Dagegen werden NSAID für die Therapie des neuropathischen Schmerzes nicht empfohlen.

Frage 105

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Dabei hat sich die Einschätzung der Nebenwirkungen von selektiven und nicht selektiven NSAID in den vergangenen Jahren immer wieder relativiert. Nach derzeitigem Stand scheinen für Patienten ohne gastrointestinales und ohne kardiales Risiko nicht selektive NSAID wie Ibuprofen oder Naproxen Mittel der Wahl zu sein. Bei erhöhtem gastrointestinalem Risiko ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen wäre der selektive COX-Inhibitor Celcoxib zu bevorzugen. Für einen Patienten in einer palliativen Gesamtsituation könnten die selektiven COX-Inhibitoren den nicht selektiven Substanzen überlegen sein. Ausschlaggebend hierfür ist das geringere Risiko für gastrointestinale Komplikationen und ein lediglich gleich hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und renale Komplikationen. Daten hierfür gibt es vor allem für Celecoxib [11], [21], [49].

Frage 106 Was sollte man bei der Auswahl des Analgetikums bei Patienten beachten, die Methotrexat erhalten? Unter gleichzeitiger Einnahme mit einem NSAID kann sich die Toxizität drastisch erhöhen. Methotrexat ist ein Zytostatikum, das als Antimetabolit bei verschiedenen Tumorerkrankungen sowie – in geringerer Dosierung – bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises eingesetzt wird. Methotrexat wird zu 60–80 % unverändert über die Niere ausgeschieden. Unter gleichzeitiger Einnahme von NSAID verringert sich die Methotrexatausscheidung. Damit erhöht sich das Toxizitätsrisiko. Die Toxizität betrifft vor allem die Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes sowie das hämatopoetische System. Wichtige Faktoren sind die Höhe der Methotrexatdosis sowie die vorbestehende Nierenfunktion.

Frage 107

Gibt es bezüglich der analgetischen Wirksamkeit der einzelnen NSAID klare Vorteile der einen oder anderen Substanz?

Gibt es Möglichkeiten, die gastrointestinalen Nebenwirkungen bei der Gabe eines NSAID zu verringern?

Nein, die Auswahl der NSAID in der Tumorschmerztherapie wird hauptsächlich von Überlegungen bezüglich potenzieller Nebenwirkungen infolge der vorbestehenden Grunderkrankungen geleitet.

Wichtig zur Reduktion der Nebenwirkungen der NSAID ist es, diese in der niedrigstmöglichen wirksamen Dosis für einen möglichst kurzen Zeitraum einzusetzen. Insbesondere beim Vorliegen von Risikofaktoren für gastrointestinale Ereignisse wird darüber hinaus die Gabe eines Protonenpumpeninhibitors empfohlen.

Schmerztherapie Liegen Risikofaktoren vor, kann die Einnahme eines Protonenpumpeninhibitors (z. B. Pantoprazol) die Komplikationen einer NSAID-Therapie bezüglich der gastralen Komplikationen deutlich reduzieren. Allerdings führen NSAID auch im Dünndarm zu Ulzerationen, Blutungen und Perforationen. Im Gegensatz zu den Nebenwirkungen im Magen sind jene im Dünndarmbereich nicht mittels Gabe eines Protonenpumpen-inhibitors reduzierbar. Im Gegenteil scheint dort eine Säuresuppression eher nachteilig zu sein. Sinnvoll kann in jedem Fall, wenn möglich, das Weglassen von weiteren magenschädigenden Substanzen wie Kortikosteroiden sein. Da ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Einnahmemenge bzw. -dauer und dem Auftreten von Nebenwirkungen besteht, sollte grundsätzlich auf eine möglichst geringe Dosierung sowie auf eine zeitliche Begrenzung der Einnahme geachtet werden. Dagegen bewirkt die Änderung der Applikationsart (z. B. von Tablette auf Suppositorium) keine Reduktion des Komplikationsrisikos.

Frage 108 Ist die Thrombozytenaggregationshemmung unter NSAID bei vorbestehender prophylaktischer Einnahme von Acetylsalicylsäure verstärkt? Im Gegenteil! Die thromboprotektive Wirkung von Acetylsalicylsäure gegen Schlaganfälle wird bei gleichzeitiger Therapie mit unselektiven NSAID beeinträchtigt.

Frage 109 Wie wirkt Paracetamol und wie wird es dosiert?

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Paracetamol ist ein Analgetikum und Antipyretikum mit schwacher peripherer antiinflammatorischer Wirkung; der genaue Wirkmechanismus ist unklar. In der Palliativmedizin liegt die übliche Einzeldosis für Erwachsene bei 500–1000 mg bis zu 4 × pro Tag. Die maximale Tagesdosis beträgt 4 g für den normalgewichtigen Erwachsenen. Bei Nierenfunktionsstörung, älteren Patienten oder Hinweisen auf eine Leberfunktionsstörung oder Alkoholismus sollte eine Beschränkung der maximalen Tagesdosis auf 3 g erfolgen. Eine Hypothese für die therapeutische Wirkung von Paracetamol ist die Hemmung der zentralnervösen COX-2 und der membrangebundenen ProstaglandinH-Synthase 1 und 2 in Endothelzellen und Neuronen. Eine Besonderheit von Paracetamol ist die geringe therapeutische Breite. Deshalb wird eine gewichtsadaptierte Dosierung (60 mg/kg Körpergewicht) unter Einhaltung der o. g. Tagesmaximaldosen empfohlen. Unbedingt beachtet werden müssen individuelle Risikofaktoren mit entsprechender Dosisanpassung. Weiterhin sollte mit dem Patienten besprochen werden, dass in zahlreichen freiverkäuflichen Erkältungsmitteln Paracetamol enthalten ist. Bei gleichzeitiger Verordnung von Paracetamol kann es zur Kumulation kommen.

Frage 110 Bei einer Komedikation mit einem unselektiven NSAID kommt es zu einer kompetitiven Situation an der COX-1 des Thrombozyten. Dies kann zur Folge haben, dass die durch Acetylsalicylsäure hervorgerufene Hemmung der Thromboxan-A2-Sekretion des aktivierten Thrombozyten sistiert, sodass der kardioprotektive Effekt vermindert ist. Allerdings erhöht sich das Risiko für das Auftreten einer gastrointestinalen Komplikation. Zu beachten ist, dass auch die Gabe von Metamizol und niedrigdosiertem ASS dessen kardioprotektive Wirkung vermindert. Selektive COX-2-Hemmer haben dagegen keinen Einfluss auf die Thrombozytenfunktion und sind daher bei Einnahme von ASS unter kardioprotektiven Gesichtspunkten und bei Patienten mit niedrigen Thrombozytenzahlen zu bevorzugen. Empfohlen wird hier die um ca. 30–60 Minuten zeitlich versetzte Einnahme der entsprechenden Substanzen.

Was sind die Risikofaktoren für eine Paracetamolhepatotoxizität? ● ● ●





schlechter Ernährungszustand bzw. Kachexie Fasten bzw. Anorexie geringer Glutathionspeicher (z. B. nach langdauernden Operationen) gleichzeitige Einnahme von Enzyminduktoren (z. B. Phenobarbital, Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin, Johanniskraut) chronischer Alkoholmissbrauch

Nur 2–5 % einer therapeutischen Paracetamoldosis werden unverändert im Urin ausgeschieden, der Rest wird hauptsächlich in der Leber metabolisiert. Mehr als 80 % des Paracetamols werden über Glukuronidierung oder Sulfatierung verstoffwechselt,

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Schmerztherapiegrundlagen etwa 10 % von Cytochrom-P450-abhängigen hepatischen Mischoxidasen (CYP2E1) werden in den hochreaktiven und hepatotoxischen Metaboliten NAcetyl-p-benzochinonimin umgewandelt. Dieser Metabolit wird durch Konjugation mit endogenem Glutathion rasch inaktiviert und nach weiterer Verstoffwechselung überwiegend renal ausgeschieden. Ein verminderter Glutathionspeicher führt daher zu einer Zunahme des hepatotoxischen Metaboliten.

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Frage 111 Beschreiben Sie die Klinik, Diagnostik und Therapie der Paracetamolintoxikation. ●





Klinik: ○ initial unspezifisch, mit allgemeinem Krankheitsgefühl und evtl. gastrointestinalen Symptomen ○ nach ungefähr 20 Stunden Anstieg der Spiegel von Transaminasen und Bilirubin ○ nach 3–4 Tagen Manifestation des Leberversagens mit Anstieg der INR (International normalized Ratio), Ausfall der Syntheseleistung, metabolischer Azidose, Ikterus, hämorrhagischer Diathese und disseminierter intravasaler Gerinnung, hepatischer Enzephalopathie und evtl. hepatorenalem Syndrom Diagnostik: ○ Bestimmung des Paracetamolspiegels ○ Bestimmung der Transaminaseaktivitäten (typischerweise sehr hohe Transaminaseaktivitäten [über 3 500 U/l] mit einem Peak am 3. Tag) ○ Gerinnungsdiagnostik Therapie: Gabe des Antidots Acetylcystein

In der Anfangsphase lässt nur der Paracetamolspiegel eine therapeutische Entscheidung zu. Die Abnahme erfolgt frühestens 4 Stunden nach einmaliger Überdosierung, um zu gewährleisten, dass die intestinale Resorption abgeschlossen ist. Interpretiert wird das Ergebnis mithilfe des Rumack-MatthewNormogramms. Cave: Zum akuten Leberversagen kann es sowohl nach einmaliger Überdosierung als auch bei wiederholter Einnahme supratherapeutischer Dosen kommen. Patienten mit einer Paracetamoltherapie sollten daraufhin befragt werden, ob sie in der Apotheke frei verkäufliche Erkältungspräparate (hier sind oft höhere Konzentrationen von Paracetamol enthalten) einnehmen. Auf die hierdurch mögliche Problematik der Überdosierung ist zu achten!

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Frage 112 Auf welchem Wirkmechanismus beruht die Wirkung von Metamizol? Metamizol zählt zu den nicht sauren Nichtopioidanalgetika. Es ist ein verschreibungspflichtiges Analgetikum und Antipyretikum aus der Gruppe der Pyrazolone. Der analgetische Effekt des Metamizols beruht vermutlich auf der Inhibition der zentralen Cyclooxygenase (COX)-3. Der genaue Mechanismus ist bislang nicht ausreichend geklärt. Studienergebnisse deuten zudem darauf hin, dass Metamizolmetaboliten an Cannabinoidrezeptoren binden und hierdurch eine analgetische Wirkung entfalten können [23], [36]. Die Ursache des antipyretischen Effektes ist ebenfalls nicht ausreichend erforscht. Studienergebnisse zeigen, dass Metamizol Fieber sowohl prostaglandinabhängig als auch prostaglandinunabhängig senken kann. Es wird vermutet, dass hierauf die antipyretische Wirkung von Metamizol beruht, wenn andere Antipyretika nicht mehr greifen. Daneben besteht ein spasmolytischer Effekt des Metamizols, der vermutlich auf eine gehemmte intrazelluläre Phospholipase C zurückzuführen ist. Daraus resultierend sinkt die Inositolphosphatsynthese, es wird deutlich weniger Calcium aus den glatten Muskelzellen freigesetzt und als Folge lassen die Muskelkontraktionen nach.

Frage 113 Welche Pharmakokinetik liegt Metamizol zugrunde? Metamizol gehört zu den sogenannten Prodrugs. Bei oraler Gabe wird es im Verdauungstrakt nichtenzymatisch zu 4-Methylaminophenazon hydrolisiert. Die Bioverfügbarkeit von 4-Methylaminophenazon liegt zwischen 83 und 90 %. Der aktive Metabolit wird vollständig im Verdauungstrakt resorbiert und u. a. zum ebenfalls aktiven 4-Aminophenazon weiter metabolisiert. Die Elimination erfolgt renal. Bei oraler Gabe beträgt die Plasmahalbwertszeit ca. 3–4 Stunden, bei intravenöser Gabe nur 14 Minuten.

Schmerztherapie Metamizol ist plasmagängig, seine Metaboliten konnten in der Muttermilch nachgewiesen werden.

Frage 114 Für welche Indikationen besteht eine Zulassung für die Verordnung von Metamizol?

Frage 116 Was sind die wichtigsten möglichen Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Metamizol? ● ● ●



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akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen Koliken Tumorschmerzen sonstige akute oder chronische Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht

Metamizol stellt nur im Zusammenhang mit Verletzungen, Operationen, Koliken oder Tumorerkrankungen eine Erstlinientherapie dar.



● ●

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allergische Reaktionen Bronchospasmus arterielle Hypotonie Agranulozytose (Häufigkeit entsprechend der deutschen Fachinformation unter 0,01 %) Verschlechterung der Nierenfunktion interstitielle Nephritis

Das Hypotonierisiko steigt bei schneller intravenöser Gabe oder bei hohem Fieber. Bei rascher intravenöser Gabe kommt es außerdem vermehrt zu allergischen Reaktionen bis hin zum allergischen Schock. Die Bolusgabe ist deshalb kontraindiziert, empfohlen wird eine Injektion von 1 ml (= 500 mg) Metamizol über mindestens 1 Minute.

Frage 117 Frage 115 In welcher Dosierung wird Metamizol gegeben und mit welcher Wirkdauer kann gerechnet werden? Die übliche Einzeldosis liegt bei 500–1000 mg für normgewichtige Erwachsene, die Wirkdauer der Einzelgabe liegt zwischen 4 und 6 Stunden. Die vom Hersteller angegebene Tagesmaximaldosis beträgt 4 g pro Tag. Um dem Risiko ernster Nebenwirkungen vorzubeugen, sollte Metamizol stets nur für den kürzest möglichen Zeitraum mit der geringstmöglichen Dosierung verordnet werden. Die im palliativmedizinischen Setting gelegentlich angewandten Dosierungen bis zu 6 g/d liegen damit über der vom Hersteller angegeben Höchstdosis.

Erläutern Sie die Definition und Pathogenese der Agranulozytose. Von einer Agranulozytose spricht man bei einer neutrophilen Granulozytenzahl von weniger als 500/µl. Metamizol führt zu einer immunologisch bedingten Agranulozytose. Dabei spielen vermutlich medikamentenabhängige Antikörper gegen Glykoproteinstrukturen der Granulozytenmembran eine Rolle, die eine immunvermittelte Lyse der Neutrophilen induzieren. Man unterscheidet eine Neutropenie mit einer neutrophilen Granulozytenzahl von weniger als 1500/μl von einer Agranulozytose mit einer neutrophilen Granulozytenzahl von weniger als 500/μl. Ein stark erhöhtes Risiko für Infektionen besteht ab einer Anzahl von neutrophilen Granulozyten von weniger als 100/μl. Agranulozytosen können im Zusammenhang mit zahlreichen Arzneimitteln auftreten. Am häufigsten beteiligt waren in der Berliner Fallkontrollstudie Metamizol, Clozapin, Sulfasalazin, Thiamazol und Carbamazepin. Weder Dosis noch Applikationsweg von Metamizol scheinen das Risiko zu beeinflussen [3], [30].

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 118

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Frage 120

Nennen Sie die typischen klinischen Symptome der Agranulozytose.

Wie häufig sollten Blutbildkontrollen unter Metamizoltherapie stattfinden?

Als initiale Symptome bestehen häufig Abgeschlagenheit, Verschlechterung des Allgemeinbefindens und Fieber. Es folgen weitere unspezifische Symptome wie Halsschmerzen, Odynophagie, Fieber, Schüttelfrost und Myalgien, die zunächst an einen grippalen Infekt denken lassen. Typischerweise kommen lokale Infektionen der Schleimhäute hinzu wie ulzeröse Stomatitis, Pharyngitis, Tonsillitis und Proktitis. Auch Infektionen der Haut und der tiefen Gewebe, nekrotisierende Lymphome und Pneumonien sind beschrieben. Schließlich kommt es zur systemischen Inflammation mit Sepsis, septischem Schock und Organversagen.

Die Fachinformation weist zwar auf erforderliche Kontrollen des Differenzialblutbilds bei längerfristiger Metamizoltherapie hin, konkrete Zeitintervalle werden jedoch nicht angegeben.











Die typische Symptomtrias besteht aus Fieber, Halsschmerzen und entzündlichen Schleimhautläsionen unter Metamizolmedikation, aber bei 40 % der Patienten ist auch lediglich Fieber vorhanden. Wichtig ist es daher, bei typischen Symptomen unter laufender Behandlung mit Metamizol an eine Agranulozytose zu denken und umgehend ein Differenzialblutbild anzufertigen.

Es dauert 1–2 Wochen, um bei einer immunologisch bedingten Agranulozytose eine Immunreaktion zu triggern und bis sich eine Agranulozytose klinisch manifestiert. In einem systematischen Review von publizierten Fallberichten zur nicht chemotherapiebedingten Agranulozytose wird eine Therapiedauer von 2–60 Tagen bis zum Auftreten einer Agranulozytose beschrieben. Blutbildkontrollen 7–14 Tage nach Einnahmebeginn wären zunächst plausibel, liegt aber eine Reexposition vor, kann eine Agranulozytose auch früher auftreten. Die Leitlinie zur Palliativmedizin [35] schlägt dazu einen 3-monatigen Turnus vor, weist aber ebenfalls darauf hin, dass es dazu keine Daten gibt. Im Vordergrund steht deshalb die schnelle Reaktion auf verdächtige Symptome.

2.2.5 Koanalgetika Iris Appelmann; frühere Bearbeitung: Rainer Schwab

Frage 121 Frage 119 Was versteht man unter „Koanalgetika“? Wie wird die durch Metamizol ausgelöste Agranulozytose therapiert? ●



Absetzen von Metamizol und aller potenziell auslösenden Medikamente Maßnahmen zur Prophylaxe oder Behandlung infektiöser Komplikationen

Nicht jede durch Metamizol ausgelöste Reduktion der Granulozyten muss zu einer lebensgefährlichen klinischen Symptomatik führen. Wird das Medikament rechtzeitig abgesetzt, kann sich das Blutbild erholen, ohne dass weitere Symptome auftreten. Es empfiehlt sich bei solchen Patienten, eine Reexposition mit Metamizol zu vermeiden. Wahrscheinlich besteht eine einmal erfolgte Sensibilisierung lebenslang.

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Mit dem Begriff „Koanalgetika“ umschreibt man eine heterogene Gruppe von Medikamenten, die keine Analgetika im klassischen Sinne sind, sondern diese ergänzen oder gelegentlich ersetzen können und somit auch einen analgetischen Effekt haben. Diese Substanzen hatten ursprünglich ein eigenes Anwendungsgebiet und keine schmerztherapeutische Indikation (teils Off-Label-Verwendung). Sie werden zum Teil im Vergleich zur ursprünglichen Indikation deutlich niedriger dosiert. Insbesondere bei Palliativpatienten (reduzierter Allgemeinzustand, höheres Lebensalter, nieren- und/oder Leberinsuffizienz) sollten z. B. Antikonvulsiva und trizyklische Antidepressiva anfangs in niedriger Dosis gegeben und „titrierend“ gesteigert werden. Zusätzlich sollte

Schmerztherapie insbesondere bei den letztgenannten Substanzklassen auf Interaktionen mit anderen Medikamenten geachtet werden.

Frage 122 Welche Medikamentengruppen zählen zu den Koanalgetika? ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●

(einzelne) Antikonvulsiva (einzelne) Antidepressiva Neuroleptika Bisphosphonate Kortikosteroide Spasmolytika Muskelrelaxanzien, Baclofen NMDA-Antagonisten Clonidin (Cannabinoide)

Im palliativen Kontext werden, vergleichbar mit der Anwendung in der allgemeinen Schmerzmedizin, je nach der Ätiologie des Schmerzes differenziert („mechanismenorientiert“) Koanalgetika eingesetzt. Neben den geltenden Kontraindikationen sind beim älteren und schwerkranken Patienten diverse Organinsuffizienzen sowie Wechselwirkungen mit den sonst eingenommenen Medikamenten und eine vorsichtige Dosierung („Start low, go slow“) zu beachten.

Frage 123 Welche Substanzen aus der Gruppe der Antidepressiva können bei Schmerzsyndromen des Palliativpatienten eingesetzt werden? ●





trizyklische Antidepressiva wie Doxepin, Amitriptylin und Clomipramin kombinierte Noradrenalin- und SerotoninWiederaufnahmehemmer (Venlafaxin, Duloxetin) Mirtazapin

In zahlreichen Studien wurde die von der antidepressiven Wirkung unabhängig analgetische Wirkung gezeigt. Bei neuropathischen Schmerzen ist der Effekt oft dem der Opioide überlegen. Beim Einsatz einzelner der o. g. Substanzen ist zu beachten, dass es sich bei Verwendung in der Palliativmedizin in der Regel um einen Off-Label-Gebrauch handelt.

Frage 124 Welche Antidepressiva eignen sich nicht nur als Koanalgetika, sondern auch zur Behandlung von Schlafstörungen?

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Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin und Mirtazapin. Die genannten Medikamente haben – deutlich unterhalb ihrer antidepressiven Wirkdosis – eine sedierende Wirkung. Sie wirken schlafanstoßend und sollten daher bevorzugt abends eingenommen werden.

Frage 125 Beim tumorbedingten oder tumortherapieinduzierten Schmerz ist oft eine neuropathische Komponente mitursächlich. Welche Antikonvulsiva können eingesetzt werden? Gabapentin, Pregabalin und Lamotrigin. Gabapentin und Pregabalin haben inzwischen einen festen Stellenwert in der Behandlung neuropathischer Schmerzen. Eine besonders vorsichtige, schrittweise Aufdosierung beim Palliativpatienten ist unabdingbar, und die Patienten sollten über die initial sedierende Wirkung aufgeklärt werden. Lamotrigin ist besonders langsam aufzudosieren (Beachte: OffLabel-Use; Hautreaktionen; individuelle Dosierung nach Wirkung und Verträglichkeit). Spiegelbestimmungen sind im palliativmedizinischen Kontext nur ausnahmsweise erforderlich. Alternativ sollte an niedrig dosierte trizyklische Antidepressiva gedacht werden.

Frage 126 Was kennzeichnet den neuropathischen Schmerz? ●

● ● ●

Untersuchungsbefund (ggf. auch Bildgebung, elektrophysiologische Untersuchungen und/ oder quantitativ sensorische Testung) Schmerzbeschreibung zeitliche Charakteristika des Auftretens Ätiologie

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Schmerztherapiegrundlagen Hinweise ergeben sich aus der Beschreibung des Schmerzes als „kribbelnd“, „einschießend“, „stechend“, „brennend“, „elektrisierend“, meist plötzlich auftretend, oft mit einem umschriebenen Taubheitsgefühl, mit motorischer Schwäche, häufig kurz anhaltend und attackenartig. Als „neuropathisch“ wird ein Schmerz beschrieben, dem eine neuroanatomisch plausible Lokalisation und eine relevante Läsion oder Erkrankung zugrunde liegen. Es liegen entweder sensible Defizite (z. B. Hypästhesie) oder eine verstärkte Reizreaktion (Hyperalgesie bzw. Allodynie) im betroffenen Versorgungsareal des Nervs vor. Die Verdachtsdiagnose kann mittels apparativer Methoden verifiziert werden (PinPrick, Watteträger, ggf. QST-Messung, bei Verdacht auf zentrale Läsion Bildgebung bzw. MRT [Magnetresonanztomografie] und neurophysiologische Messmethoden). Vergleichbare Kriterien müssen auch bei einer zentralen Läsion bzw. Erkrankung des somatosensorischen Systems erfüllt sein. Im palliativmedizinischen Kontext sollte eine besonders sorgfältige Abwägung der Zumutbarkeit und Relevanz diagnostischer Maßnahmen hinsichtlich therapeutischer Konsequenzen erfolgen.

2

Frage 127 Welche Rolle kommt Bisphosphonaten und dem anti-RANKL-Antikörper Denosumab bei Patienten mit Knochenschmerzen in der Palliativmedizin zu? Die Rolle der beiden Substanzgruppe ist nicht endgültig geklärt. Nach aktueller Datenlage ist ein Einfluss auf die Ereigniswahrscheinlichkeit bzgl. pathologischer Frakturen bei metastasierter oder disseminierter Krebserkrankung gesichert. Der Einfluss auf Schmerzen bei bereits vorhandenen Frakturen ist nicht nachgewiesen. Bei ossären Destruktionen (Osteolysen) sind Bisphosphonate und Denosumab oft indiziert. Erreicht werden können damit eine Hemmung der Osteoklastenaktivität, die Therapie einer Hyperkalzämie und eventuell auch die Besserung des ossär bedingten Schmerzes wie auch eine Stabilitätsverbesserung. Dabei sollten eine langsame Infusionsgeschwindigkeit und ausreichende Hydrierung beachtet werden, ferner auch mögliche Knochennekrosen des Kiefers, die bei beiden Substanzklassen auftreten können.

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Frage 128 Welche Rolle spielen Neuroleptika als Koanalgetika? Sie wirken (oft) sedierend und schmerzdistanzierend. Frühe Erfahrungen beim Einsatz von Neuroleptika bei der Narkose führten zu der Annahme eines opioidsparenden und verbesserten narkotischen Effekts. Eine eigene analgetische Potenz ist nicht nachgewiesen. Der wenig evidenzbasierte Einsatz in der Behandlung von Schmerzen wird von der klinischen Erfahrung einer subjektiven Distanziertheit geleitet, ggf. auch über den Umweg einer Sedierung, eines verbesserten Schlafverhaltens und einer spannungslösenden Komponente.

Frage 129 Welche Neuroleptika werden in der Palliativmedizin häufiger verwendet? Haloperidol, Levomepromazin und Promethazin. Die Substanzen haben selbst kein analgetisches Potenzial, können aber auf dem Umweg über eine sedierende, schlaffördernde, anxiolytische oder schmerzdistanzierende Wirkung einen günstigen Effekt auf die Schmerzverarbeitung des Patienten ausüben. Darüber hinaus haben die Substanzen positive Wirkungen als Antiemetika und helfen gegen Pruritus.

Frage 130 Bei welchen Indikationen kann Haloperidol eingesetzt werden? Haloperidol wirkt antipsychotisch, anxiolytisch und antiemetisch, sodass es bei ausgeprägten deliranten Symptome wie Halluzinationen, Verwirrtheit oder auch Aggressivität indiziert sein kann. Auch Übelkeit und Erbrechen können bei Versagen der sonstigen Antiemetika eine wichtige Indikation darstellen. Bei quälendem, schmerzhaftem Singultus werden ebenfalls positive Erfahrungen berichtet.

Schmerztherapie Beachte Nebenwirkungen wie Harnverhalt, extrapyramidale Symptome (Tremor, Rigidität, Hypersalivation, Bradykinesie, Akathisie, akute Dystonie), Tachykardien und eine QT-Zeit-Verlängerung. Zu beachten sind auch zahlreiche Interaktionen aufgrund der Verstoffwechselung über CYP3A4 und CYP2D6. Haloperidol kann subkutan verabreicht werden.

Frage 133 Welche Tumorformen erfordern häufig eine zusätzliche Spasmolyse?

2

Vor allem intestinale Tumoren, die Kompression bzw. maligne Obstruktion von Hohlorganen oder deren direkte Infiltration.

Frage 131 Wann ist ein Kortikosteroid zur Behandlung von Schmerzen indiziert? Bei Nervenkompression (peripher, Rückenmark, Plexus) und generell mit antiödematöser Zielsetzung, beispielsweise bei Hirndruck, oberer Einflussstauung, Leberkapselschmerz. Weitere Indikationen sind Dyspnoe, Organbefall mit Volumenzunahme und spannungs- oder kompressionsbedingten Schmerzen, Lymphödem, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Stimmungsaufhellung.

Frage 132 Welches Kortikosteroid ist zur Behandlung von Schmerzen geeignet? Ein geeignetes Kortikosteroid ist z. B. Dexamethason in Dosierungen von 8–24 mg/Tag, ggf. mit einer Dosisreduktion nach wenigen Tagen, gefolgt von einer niedrigen Erhaltungsdosis (4 mg/Tag). Bei ausgeprägter Symptomatik (z. B. Hirndruck, spinaler Kompression, ggf. mittels Bildgebung verifiziert) können auch deutlich höhere Dosen eingesetzt werden, z. B. 50–100 mg Dexamethason für 2–4 Tage, danach schrittweise Reduktion. Beachte Nebenwirkungen wie beispielsweise Hypertonie, Hyperglykämie, Delir, Folgen einer zeitweiligen Immunsuppression (Candidiasis usw.).

Zunächst ist der Einsatz von Analgetika mit spasmolytischem Profil sinnvoll (z. B. Metamizol), ergänzend ist Butylscopolamin indiziert. Neben dessen direkter Wirkung auf krampfartige Schmerzen kann auch die intestinale Sekretionshemmung durch Butylscopolamin bedeutsam sein. Bei Tumoren der Mund-Kiefer-Region bzw. des oberen Verdauungstrakts mindert Butylscopolamin die Hypersekretion bzw. Hypersalivation; diese Wirkung ist auch in der Sterbephase bei Rasselatmung hilfreich.

Frage 134 Mit welchen Nebenwirkungen ist beim Einsatz von Butylscopolamin zu rechnen? Mit anticholinergen Nebenwirkungen, u. a. Mundtrockenheit (teils gewünschter Effekt, s. o.), Harnverhalt, Obstipation, Rhythmusstörungen und Glaukomverschlechterung. Die Substanz kann subkutan verabreicht werden. Sinnvoll ist oft auch eine kontinuierliche Gabe über Spritzenpumpe. Die gleichzeitige Gabe von Metoclopramid (wirkt cholinerg) ist nicht sinnvoll.

Frage 135 Welches Einsatzgebiet haben Benzodiazepine? ● ● ●

Minderung von Verspannungen (Muskeltonus) Anxiolyse Verbesserung der myalgiformen (myofaszialen) Schmerzen

Benzodiazepine haben kein eigenes analgetisches Potenzial. Eine indirekte Wirkung auf Schmerzen ist durch Relaxation der Muskulatur und Anxiolyse anzunehmen. Tetrazepam, ein Arzneistoff aus der Gruppe der Benzodiazepine, darf in Deutschland nicht mehr verordnet werden. Eine Alternative stellt Methocarbamol dar, ein zentral wirkendes Muskel-

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Schmerztherapiegrundlagen relaxans. Es entfaltet seine muskelrelaxierende Wirkung über eine Hemmung der polysynaptischen Reflexleitung im Rückenmark und subkortikalen Zentren

2 Frage 136 Unter den Benzodiazepinen sind welche Substanzen geeignet? Midazolam, Lorazepam, Clonazepam (bei Krampfleiden, lange Halbwertszeit) und Diazepam (lange Halbwertszeit). Im palliativen Kontext ist eine lange Halbwertszeit oft mit Kumulation (und konsekutiv Entwicklung deliranter Symptome!) verbunden und aufgrund schlechter Steuerbarkeit unerwünscht. Neben der Sedierung ist vor allem die gute Anxiolyse bei Midazolam und Lorazepam hervorzuheben.

Frage 137 Mundtrockenheit ist für den Palliativpatienten ein häufiges und sehr unangenehmes, belastendes Symptom; bei welchen Koanalgetika ist damit zu rechnen?

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Frage 138 Wann ist der Einsatz von Ketamin indiziert? Bei neuropathischen Schmerzsyndromen, die auf den Einsatz von Analgetika, Antikonvulsiva und Antidepressiva nicht ausreichend ansprechen. Ketamin ist ein NMDA-Antagonist. Die Substanz wird in der Anästhesie im Rahmen der Narkose und in der Notfallmedizin eingesetzt. Sedierung und Analgesie sind dosisabhängig. Beim Palliativpatienten wird eine Startdosis von 10–25 mg alle 6– 8 Stunden empfohlen. Vorzugsweise sollte eine kontinuierliche Infusion durchgeführt werden mit einer Anfangsdosis von 50–150 mg/Tag. Eine schrittweise Dosissteigerung um 50–100 mg täglich oder jeden 2. Tag kann bis zu einer Dosis von 400 mg erfolgen. Eine Verstärkung der Opioidwirkung kann eintreten. Regelmäßige Puls-, Blutdruck- und Atemfrequenzkontrollen sind erforderlich. Bei Halluzinationen ist bedarfsweise die Gabe von Midazolam in kleinen Dosierungen (2,5 mg subkutan) möglich.

Frage 139 Sind Lokalanästhetika bei Mukositis als Koanalgetikum hilfreich?

Bei trizyklischen Antidepressiva und Neuroleptika.

Ja, aber oft alleine nicht ausreichend.

Anticholinerge Nebenwirkungen sind häufiges Begleitphänomen verschiedener Analgetika und Koanalgetika. Ausreichende Aufklärung, Überlegungen zu alternativen Medikamenten, kritische Beurteilung der sonstigen Medikamente und Maßnahmen zur Befeuchtung (Sprays, Eiswürfel, saure Fruchtbonbons, gefrorene Fruchtstücke wie Ananas u. a.) können hilfreich sein.

Bei ausgeprägter Mukositis kann oft nicht auf starke Opioide verzichtet werden. Im Sinne einer Koanalgesie kann aber die intraorale Anwendung von Lidocaingel oder -gurgellösung oder auch von Suspensionen mit Lokalanästhetikazusatz zum Einsatz kommen. Diese sind nicht mehr als Fertigarzneimittel erhältlich, jedoch als Rezeptursubstanz zum Schlucken als Oxetacain-Lösung mit 2 mg/ml z. B. bei Ösophagitis.

Schmerztherapie Frage 140 Wirkt Mirtazapin analgetisch? Vermutlich ja. Vereinzelte Studien geben Hinweise auf eine analgetische Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen. Auch indirekte Einflüsse durch z. B. verbesserten Nachtschlaf oder Stimmungsaufhellung können die Schmerzverarbeitung positiv beeinflussen. Mirtazapin ist zunächst als Antidepressivum mit noradrenergem und serotonergem Wirkmechanismus bekannt. Ein Therapieversuch mit dieser Indikation ist sinnvoll, insbesondere wenn zusätzlich neuropathische Schmerzen und Schlafstörungen vorhanden sind. Die schlaffördernde und schmerzdämpfende Wirkung ist meist sofort bzw. nach wenigen Tagen erkennbar, die antidepressive Wirkung erst nach 1–2 Wochen. In der Palliativmedizin werden auch positive Wirkungen auf Juckreiz (Opioidtherapie) und Übelkeit berichtet.

Frage 141

Bei tumorassoziierten Schmerzen wie (Post-)ZosterNeuralgie kann ein Behandlungsversuch mit topisch anwendbarem Lidocainpflaster erfolgreich sein. Die zuschneidbaren Pflasterstücke werden zeitlich definiert in einem 12-Stunden-Rhythmus aufgebracht. Weitere Optionen sind Capsaicinsalben (Auszug aus Cayenne-Pfeffer) oder höher konzentriertes Capsaicinpflaster (8 %ig). Letzteres ist einmalig (nur auf intakter Haut!) anzuwenden. Capsaicin aktiviert Hitze- und Schmerzrezeptoren der Haut. Es bindet als hochselektiver Agonist an den TRPV1-Rezeptoren. Nachteile des Capsaicinpflasters sind das zeitaufwendige Aufbringen und lokale Hautirritationen. Der positive Effekt kann Wochen oder Monate anhalten.

Frage 143 Anhaltender Juckreiz (Pruritus) ist bei Palliativpatienten im Rahmen z. B. einer terminalen Niereninsuffizienz ein äußerst quälendes Symptom. Welche Koanalgetika können zum Einsatz kommen? ● ●

Welche Rolle spielt Carbamazepin in der Behandlung neuropathisch bedingter Tumorschmerzen?

● ● ●

Der Stellenwert von Carbamazepin ist rückläufig, es wird heute als Reservesubstanz gesehen. Infolge der Entwicklung besser verträglicher Alternativen (Gabapentinoide; Kalziumkanalblocker) ist die Bedeutung von Carbamazepin (Natriumkanalblocker) als Koanalgetikum rückläufig. Es wird aufgrund seiner Wechselwirkungen mit zahlreichen anderen Substanzen vorwiegend nurmehr als Reservemedikament bei einschießenden Schmerzen eingesetzt. Als standardmäßige Erstlinientherapie hat Carbamazepin bei der Behandlung der Trigeminusneuralgie nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert.

Frage 142

2

Pregabalin Doxepin Levomepromazin (Ondansetron) (Naltrexon)

Die 3 erstgenannten Substanzen (in niedriger Dosis) haben sich in Studien bei urämischen Patienten als wirksam erwiesen. Bei der Vielfalt auslösender Ursachen (dermatologisch, Systemerkrankungen, Histaminliberation, Medikamente usw.) ist deren Identifizierung sinnvoll und hilfreich für eine gezielte rationale Therapie. Bei generalisiertem Juckreiz bei Organversagen ist oft eine medikamentöse Unterstützung unabdingbar. In diversen Empfehlungen finden sich auch Antihistaminika, Kortikosteroide, Neuroleptika und SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer), deren Einsatz vertretbar ist, aber meist nicht auf gesicherter Evidenz beruht. Nicht zu den Koanalgetika gehörend konnte eine Wirksamkeit von Ondansetron und Naltrexon für urämisch bedingten Pruritus nachgewiesen werden.

Welche topisch anwendbaren Koanalgetika stehen zur Verfügung? Lokalanästhetika und Capsaicin.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 144 Welche Nebenwirkungen beim Einsatz von Trizyklika sind für den Palliativpatienten besonders unangenehm?

2

Es sind dies die anticholinergen Effekte wie Mundtrockenheit, Schwitzen, Schwindel, Tagesmüdigkeit und Obstipation.

Im Einzelfall müssen Alternativen mit vergleichbarem Wirkprofil erwogen werden. So können Amitriptylin und Doxepin parenteral verabreicht werden. Sofern lediglich die orale Gabe nicht möglich ist, stehen Fertiglösungen für eine Sondenzufuhr (z. B. PEG [perkutane endoskopische Gastrostomie]) für Pregabalin, Mirtazapin und Amitriptylin zur Verfügung.

Frage 147 Ähnliche Effekte und damit eine Verstärkung der Symptome werden auch durch zahlreiche andere Medikamente hervorgerufen, die der Palliativpatient möglicherweise benötigt. Daher gilt es, eine besonders sorgfältige Auswahl, eine vorsichtige Dosissteigerung und ein gutes Monitoring vorzunehmen.

Ist bei der Gabe von Koanalgetika mit einem Placeboeffekt zu rechnen? Ja, wenn eine positive ärztliche oder pflegerische verbale Intervention bzw. Haltung damit verbunden ist.

Frage 145 Welche Relevanz hat die Gefahr der Abhängigkeit beim Einsatz von Benzodiazepinen beim Palliativpatienten? Sie ist in der Regel zu vernachlässigen. Eine Substanzabhängigkeit, die sich bei Benzodiazepinen meist nach wenigen Wochen regelmäßiger Einnahme einstellt, ist bei einer begrenzten Lebensdauer von Wochen oder wenigen Monaten irrelevant. Erfolgt die Behandlung in einem frühen Stadium der palliativen Betreuung mit längerer Lebenserwartung, ist diese Behandlungsoption mit dem Patienten sorgfältig zu besprechen. Es ist ggf. auf Alternativen auszuweichen (z. B. bei Angst- bzw. Panikstörung: SSRI, Trizyklika, Neuroleptika).

Frage 146 Bei manchen Palliativpatienten kann vorübergehend oder dauerhaft keine orale Medikamentengabe mehr erfolgen (orale oder gastrointestinale Passagestörung). Welche Koanalgetika stehen nicht parenteral zur Verfügung? Pregabalin, Gabapentin und Mirtazapin.

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Sofern ein Patient kognitiv erreichbar ist, kann auch bei Koanalgetika ein Placeboeffekt erwartet werden. Wie schon bei Analgetika seit Langem bekannt, löst die Wirkerwartung zahlreiche zentrale Prozesse in Hirnregionen aus, die die affektive Verarbeitung von Schmerzen steuern. So werden u. a. das endogene Opioidsystem wie auch diverse Transmitter-Substanzen aktiviert, die an der Impulsübertragung der Schmerzinformation beteiligt sind, vermutlich auch gekoppelt mit der Aktivierung schmerzhemmender absteigender Systeme.

Frage 148 Können Cannabinoide als Komedikation Schmerztherapie hilfreich sein?

zur

Ja, wenn sie gezielt und nach Versagen oder als Ergänzung anderer, klar validierter Optionen eingesetzt werden. Als Drittlinientherapie befürwortet die European Pain Federation (EFIC) zwar prinzipiell auch den Einsatz von Cannabinoiden bei chronischen neuropathischen Schmerzen, in verschiedenen Metaanalysen wurde jedoch kein Vorteil von Cannabinoiden beim neuropathischen Schmerz nachgewiesen. Laut der Deutschen Schmerzgesellschaft können Cannabis-basierte Medikamente für die Behandlung von Begleitsymptomen in der palliativen Situation im Rahmen von individuellen Heilversuchen eingesetzt werden.

Schmerztherapie

2.2.6 Medikamenteninteraktionen Jan Gärtner

Frage 149 Was ist sowohl für Palliativpatienten wie auch für Patienten anderer Patientenkollektive der größte Risikofaktor für das Auftreten von Medikamenteninteraktionen? Die Polypharmazie. Die Anzahl der gleichzeitig verordneten Medikamente ist in allen bisher untersuchten Patientenkollektiven der einzige signifikante Prädiktor für das Auftreten von Medikamenteninteraktionen. 65-Jährige erhalten mittlerweile aufgrund der zunehmenden Multimorbidität im Schnitt täglich 5 verschiedene regelmäßig verordnete Medikamente. 80-Jährige nehmen mehrheitlich mehr als 6 verschiedene Wirkstoffe zu sich. Durch die zusätzliche Gabe jedes weiteren Medikaments steigt das Risiko von relevanten Arzneimittelwechselwirkungen exponentiell an. In aktuellen Untersuchungen bei geriatrischen Patienten war von den 7 eingenommenen Medikamenten mehr als jedes 3. verzichtbar. Ein weiteres Drittel der verordneten Wirkstoffe war für diese Patienten sogar überhaupt nicht geeignet.

Frage 150 Erläutern Sie die basale Systematik der Medikamenteninteraktionen. Man unterscheidet pharmakodynamische von pharmakokinetischen Wechselwirkungen. Als „pharmakodynamische Wechselwirkung“ bezeichnet man Effekte, bei denen sich Medikamente in ihrer Wirkung am Zielorgan unmittelbar beeinflussen. So kann sich z. B. die Wirkung sedierender Arzneimittel addieren. Insbesondere in der Palliativversorgung ist eine pharmakodynamische Wechselwirkung allerdings häufig therapeutisch intendiert. Ein Beispiel dafür ist die sedierende Wirkung von Neuroleptika und Anxiolytika bei der Behandlung des deliranten Syndroms.

Im Gegensatz zu den pharmakodynamischen Interaktionen kann für die pharmakokinetischen Wechselwirkungen eine einfache Systematik dargestellt werden (ADME-Prinzip): ● Absorption (Resorption im Intestinum) ● Distribution (Verteilung bzw. Austausch, z. B. Blut-Hirn-Schranke, Transporteiweißbindung) ● Metabolisierung (Leber und Intestinum) ● Elimination (Niere)

2

Die wechselseitige Beeinflussung von Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung kann die Konzentrationen der Wirkstoffe am Wirkort relevant beeinflussen. Mögliche Ursachen sind z. B. Komplexbildung und die gegenseitige Verdrängung am Aufnahmetransporter, aber auch Enzyminduktion. Eine genaue Berechnung des Ausmaßes der Wechselwirkungen ist bisher jedoch nur in den seltensten Fällen möglich.

Frage 151 Ihr Kollege vertritt die Ansicht, dass in der Palliativversorgung und erst recht bei der Betreuung von Hospizpatienten Medikamenteninteraktionen vernachlässigbar seien, da in solchen Fällen das Therapieziel der Lebensqualität gegenüber der Lebensverlängerung deutlichen Vorrang habe. Nennen Sie mögliche Gegenargumente. Viele Wechselwirkungen haben einen relevanten Einfluss auf die Lebensqualität und können daher auch unheilbar Kranke und Sterbende belasten. In der Tat fokussieren bisherige Metaanalysen und Originalarbeiten vor allem auf Mortalität, Morbidität und sozioökonomische Aspekte von Medikamenteninteraktionen. Häufig sind es aber in der Palliativversorgung gastrointestinale und neuropsychiatrische Wechselwirkungen, die relevante Belastungen für die Patienten darstellen. Außerdem wird von vielen Patienten auch eine Verlängerung ihres Lebens explizit gewünscht, soweit die dafür notwendigen Maßnahmen sie nicht zu stark in ihrer Lebensqualität beeinträchtigen.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 152 Nennen Sie bei den pharmakokinetischen Wechselwirkungen (ADME-Prinzip) eine potenziell relevante Interaktion der Absorption.

2

zu, die diese Effekte noch potenziert. In der Palliativversorgung liegen jedoch für die klinische Relevanz dieser Interaktionen bisher keine Hinweise vor. Auch in anderen Patientenkollektiven wird die praktische Bedeutung dieser häufig genannten theoretischen Wechselwirkungen zunehmend hinterfragt.

Die Chelatbildung durch divalente Kationen. Divalente Kationen wie z. B. Ca2 + , Fe2 + und mg2 + sind potente Chelatbildner. Sie können die Resorption verschiedener Medikamente fast vollständig verhindern. Daher ist eine Einnahme mit der Latenz von 2 Stunden nach der letzten (und vor der nächsten) Medikamenteneinnahme indiziert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Patienten entsprechende (Brause-)Tabletten zur Selbstmedikation häufig im Lebensmitteleinzelhandel erwerben und regelmäßig zu sich nehmen, ohne davon zu berichten. Neben den vor allem internistisch relevanten Interaktionen (Captopril, Folsäure, Thyroxin, Salizylate, [Levo-, Carbi-, Methyl-]Dopa) wird u. a. auch die Aufnahme von Schmerzmitteln (Paracetamol) und Antibiotika massiv beeinträchtigt. Insbesondere bei der Therapie mit Penizillinen, Gyrasehemmern und Tetrazyklinen kommt es häufig zum kompletten Therapieversagen. Dies hat z. B. eine hohe Relevanz für die Therapie der Luftnot im Rahmen einer Pneumonie.

Frage 153 Nennen Sie von den pharmakokinetischen Wechselwirkungen (ADME-Prinzip) ein theoretisch relevantes Interaktionsprinzip bei der Distribution. Kompetition um die Plasmaeiweißbindung. Viele Opioide haben eine hohe Plasmaeiweißbindung. Sie binden meist an Albumin (Ausnahme Buprenorphin: α- bzw. β-Globuline). Insbesondere Fentanyl wird sogar fast ausschließlich über Albumin transportiert (mehr als 90 % Plasmaeiweißbindung). Gängige Lehrbücher der Pharmakologie postulieren daher eine mögliche Verdrängung der Opioide z. B. durch Vitamin K (99 % Plasmaeiweißbindung), Diclofenac (98 % Plasmaeiweißbindung) oder Omeprazol (98 % Plasmaeiweißbindung). Erschwerend kommt dabei die bei fast allen Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung vorliegende Hypalbuminämie (äußerliches klinisches Korrelat: Kachexie) hin-

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Frage 154 Nennen Sie potenziell relevante pharmakokinetische Interaktionen (ADME-Prinzip) der Metabolisierung. Enzyminduktion bzw. -hemmung des Cytochromsystems. Interaktionen dieser Art wurden extensiv an verschiedenen Tier- und In-vitro-Modellen getestet. Ein Großteil der Literatur zu Interaktionen bezieht sich auf dieses Prinzip. In der klinischen Realität der Palliativversorgung ist es fast immer ausreichend, die potentesten Enzyminduktoren (Carbamazepin, Phenytoin, Verapamil und Steroide) und Enzyminhibitoren (Methadon, SSRI, Coxibe und Aprepitant) zu kennen und die Auswirkungen auf den Abbau der entsprechenden Substrate (in der Regel Opioide) klinisch zu beobachten. Insbesondere im Bereich der frühen Palliativversorgung von onkologischen Patienten sind insbesondere die cytochromabhängigen Medikamenteninteraktionen mit Tyrosinkinaseinhibitoren, aber auch mit klassischen Medikamenten wie Ifosfamid und Cyclophosphamid zu beachten.

Frage 155 Nennen Sie Nahrungsmittel und Phytotherapeutika, die einen relevanten Einfluss auf das Cytochromsystem haben. Grapefruitsaft und Johanniskraut. Grapefruitsaft ist aufgrund des in ihm enthaltenen Flavonoids ein naringineinpotenter Inhibitor des Cytochrom-P450–3A4 (Substrate: Buprenorphin, Fentanyl und Methadon). Johanniskraut induziert dieses Enzym.

Schmerztherapie Frage 156 Nennen Sie ein Opioid, bei dem typischerweise insbesondere bei Slow-Metabolizers klinisch relevante Interaktionen auftreten können. Tramadol. Etwa 5 % der kaukasischen Bevölkerung sind SlowMetabolizer für Cytochrom-P450–2D6. Tramadol hat die Besonderheit, ein Prodrug zu sein. Erst sein Metabolit (M1) ist analgetisch wirksam, während Tramadol selbst den Monamin-Reuptake im Zentralnervensystem hemmt. So kommt es bei diesen Patienten durch die notwendig werdenden höheren Dosierungen zu einer verstärkten Aktivität des Prodrugs. In Verbindung mit der Gabe anderer Monamin-Reuptake-Inhibitoren (z. B. SSRI, Methadon) nimmt das Risiko zentralnervöser Wechselwirkungen zu (z. B. serotonerges Syndrom).

Frage 157 Im Tumorzentrum erhalten Ihre Patienten regelhaft 5-HT3-Antagonisten zur Therapie und Prophylaxe der Übelkeit. Was könnte, bezogen auf Medikamentenwechselwirkungen, ein Nachteil sein? Die zunehmende Obstipationsneigung bei Komedikation mit Opioiden. 5-HT3-Antagonisten sind regelhaft indiziert zur Therapie und Prophylaxe der durch die Chemotherapie induzierten Übelkeit. In der Palliativsituation verstärken sie jedoch häufig die ohnehin (z. B. opioidinduziert) bestehende Obstipation.

Frage 158 Einer Ihrer Hospizpatienten erhält zur Schmerztherapie seit einigen Wochen die Kombination aus 120 mg/Tag Morphin per os, 5 g Metamizol, 25 mg Amitriptylin zur Nacht (neuropathische Schmerzen), Buscopan (Bauchkrämpfe) und Macrogol 1 × täglich. Der Patient führt gut ab. Wegen einer latent bestehenden leichten Übelkeit (Wert auf der verbalen Rating-Skala: 1) nach der Nahrungsaufnahme verschreibt ein Kollege während Ihres Urlaubs dem Patienten ein Mittel gegen Übelkeit. Seither beklagt der Patient starke Mundtrockenheit und verstärkte Obstipation. Haben Sie eine

Idee, welcher Wirkstoffgruppe das neue Medikament unter Umständen zuzuordnen sein könnte? Neuroleptika.

2 Anticholinerge Interaktionen gehören zu den häufigsten und relevantesten Wechselwirkungen in der Palliativsituation. Viele Wirkstoffe (insbesondere Opioide, trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika und Spasmolytika) wirken ausgeprägt anticholinerg. So addieren sich die unerwünschten Wirkungen z. B. in Bezug auf Mundtrockenheit, Obstipation, möglichen Harnverhalt und insbesondere bei älteren oder kognitiv eingeschränkten Patienten auch hinsichtlich neuropsychiatrischer Nebenwirkungen.

Frage 159 Nennen Sie aus der Gruppe der Antiepileptika einen klassischen Wirkstoff, der das Risiko für das Auftreten relevanter pharmakokinetischer Wechselwirkungen deutlich erhöht. (Tipp: Der Wirkstoff kann auch als Koanalgetikum eingesetzt werden.) Carbamazepin. Carbamazepin ist einer der potentesten CytochromP450–3A4-Induktoren. Weniger ausgeprägt ist dieser Effekt bei den Glukokortikoiden. Pregabalin stellt eine deutlich sicherere Alternative dar.

Frage 160 Wo informieren Sie sich über „extrakorporale“ Interaktionen, sprich bezüglich Inkompatibilitäten bei der Herstellung von Mischinfusionen? Über Datenbanken der kooperierenden Apotheken, durch Aufbau eines Liaisondienstes, über Internetdienste und deren Apps (wie z. B. palliativedrugs.com) sowie in der einschlägigen Palliativliteratur. Häufig werden Inkompatibilitäten nicht durch die Wirkstoffe selbst, sondern durch deren Stabilisatoren hervorgerufen. Letztere können sich von Hersteller zu Hersteller unterscheiden und häufiger angepasst werden. Daher bieten in Bezug auf die Aktualität ständig aktualisierte Datenbanken Vorteile gegenüber den klassischen Nachschlagewerken.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 161 Gibt es auch im Palliativbereich Wirkstoffe, die durch das Auftreten von Wechselwirkungen auch eine negative Auswirkung auf die Lebenszeit der Patienten haben können?

2

Zum Beispiel NSAID (z. B. Ibuprofen und Diclofenac). NSAID sind in der Gesamtbevölkerung als eine der problematischsten Wirkstoffgruppen hinsichtlich der Mortalität und der relevanten Interaktionen identifiziert. Bei Palliativpatienten kommt es häufig zu Einschränkungen u. a. der Nierenfunktion. Diese und andere pathophysiologische Veränderungen im Rahmen fortschreitender Erkrankungen erhöhen die Toxizität der NSAID deutlich. Gleichzeitig potenziert sich auch das Risiko für die diesbezügliche unerwünschte Wechselwirkung mit anderen Substanzen. Ein Beispiel dafür ist die Verstärkung der NSAID-bedingten Nephrotoxizität bei der gleichzeitigen Gabe von Chemotherapeutika, Antibiotika oder anderen klassischerweise nephrotoxischen Substanzen. Auch das Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen durch die Komedikation mit Steroiden und die damit verbundene erhöhte Letalität nimmt deutlich zu. Darüber hinaus ist auch ein erhöhtes Risiko für relevante kardiovaskuläre Wechselwirkungen zu erwarten.

Frage 162 Gibt es Substanzen, insbesondere aus dem Bereich der Symptomkontrolle, die bezüglich des Risikos für Medikamenteninteraktionen relativ unproblematisch sind? Zum Beispiel starke Opioide (mit Ausnahme von [Levo-]Methadon), Metamizol, Pregabalin und Zopiclon. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass darunter keine generelle Bewertung der Arzneimittelsicherheit dieser Medikamente bzw. Medikamentengruppen zu verstehen ist. Im Kontext dieses Kapitels wird lediglich die durch potenzielle Wechselwirkungen bedingte Patientengefährdung erörtert. Die mit den einzelnen Medikamenten darüber hinaus verbundenen Nebenwirkungen (z. B. Organtoxizität und geringe therapeutische Breite bei Einschränkungen der Nie-

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renfunktion) sind weitere, eigenständig zu betrachtende Aspekte der Arzneimittelsicherheit.

Frage 163 Kennen Sie ein Opioid, bei dem kardial relevante Wechselwirkungen insbesondere mit Chemotherapeutika, Antibiotika, Neuroleptika und Koanalgetika zu beachten sind? (Levo-)Methadon. Die QT-Zeit-Verlängerung und das erhöhte Risiko des Auftretens tödlicher Torsade de Pointes werden besonders begünstigt durch die Komedikation mit bestimmten Tyrosinkinaseinhibitoren (vor allem Lapatinib, Nilotinib, Sunitinib und Vandetanib). Dies ist insbesondere in der frühen Palliativversorgung (Early Palliative Care) von besonderer Bedeutung. Seit Langem bekannt sind hochproblematische Komedikationen wie z. B. mit Makroliden (vor allem Clarithromycin und Roxithromycin), höheren Dosen von Neuroleptika (z. B. Haloperidol und Risperidon) oder Antidepressiva (z. B. trizyklische Antidepressiva, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Methylphenidat). Bitte beachten Sie: Deutlich umfassendere Auflistungen von Risikosubstanzen finden sich in der entsprechenden Fachliteratur oder bei diversen OnlineAngeboten (z. B. CredibleMeds).

2.2.7 BetäubungsmittelVerschreibungsverordnung Rainer Sabatowski

Frage 164 Was ist bei der Aufbewahrung von Betäubungsmitteln auf Krankenhausstationen, in Arztpraxen oder in Pflegeeinrichtungen zu beachten? Betäubungsmittel sind grundsätzlich gesondert aufzubewahren und gegen unbefugte Entnahme zu sichern.

Schmerztherapie In § 15 des Betäubungsmittelgesetzes werden die zu treffenden Sicherungsmaßnahmen geregelt. In o. g. Einrichtungen sind die Betäubungsmittel in einem zertifizierten Wertschutzschrank (Tresor) mit einem Widerstandsgrad 0 oder höher zu lagern. Wiegt der Wertschutzschrank weniger als 200 kg, ist er zusätzlich im Boden zu verankern. Eine Ausnahme stellt lediglich die Aufbewahrung von Betäubungsmittelmengen dar, die den durchschnittlichen Tagesbedarf einer Teileinheit darstellen und ständig griffbereit sein müssen. In diesem Fall reicht ein normales Verschließen, um eine schnelle Entwendung zu erschweren. Schlüssel für den Wertschutzschrank sind von den Berechtigten in persönlichen Gewahrsam zu nehmen.

Frage 165 Was sind Betäubungsmittel und in welche 3 Gruppen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes werden sie aufgeteilt? Nennen Sie Beispiele.





die Anwendung der Substanzen zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken dient (z. B. Abgabe von Heroin im Rahmen spezieller Suchtbehandlungen an dafür zugelassenen Einrichtungen). Die 2. Klasse umfasst die sog. verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähigen Substanzen. Zu dieser Gruppe gehören gemäß Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes u. a. Rohstoffe und Grundstoffe, die in der pharmazeutischen Industrie zur Anwendung kommen. Beispiele dafür sind die Pflanzenbestandteile der Cocapflanze (Erythroxylum coca) und Thebain. Die 3. Klasse (Anlage III) beinhaltet alle verkehrsund verschreibungspflichtigen Substanzen. Sie können ärztlich auf einem entsprechenden Betäubungsmittelrezept verordnet und von der Apotheke an den Patienten ausgehändigt werden. Beispiele dafür sind u. a. Dronabinol, Morphin und Fentanyl.

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Frage 166 Unter dem Oberbegriff „Betäubungsmittel“ werden neben Opioiden noch eine Vielzahl anderer Substanzen zusammengefasst. Die Aufteilung erfolgt in folgende Betäubungsmittel: ● nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel (z. B. Heroin) ● verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel (z. B. Thebain) ● verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel (z. B. Morphin) Historisch versteht man unter dem Begriff „Betäubungsmittel“ Opium, Morphin und alle daraus hergestellten halbsynthetischen Stoffe sowie Kokain. Heutzutage sind jedoch noch andere Substanzklassen wie Halluzinogene, Weckamine, Schlafmittel usw. hinzugekommen. Betäubungsmittel werden in 3 Klassen aufgeteilt: ● Zur 1. Klasse zählen sog. nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel. Diese sind durch ein hohes Missbrauchspotenzial gekennzeichnet und dürfen in Deutschland nicht zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden. Sie dürfen weder verschrieben noch verabreicht oder Personen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden. Beispiele dafür sind u. a. laut Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes LSD (Lysergid), Mescalin und Diacetylmorphin (Heroin). Ausnahmen von dieser Regelung kann das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) erteilen, wenn

Müssen die für einen Bewohner eines Hospizes oder einen von einem SAPV-Arzt betreuten Patienten ausgefertigten Betäubungsmittelrezepte diesem ausgehändigt werden? Nein. Der Arzt kann bestimmen, dass das Betäubungsmittelrezept nicht unmittelbar dem Patienten ausgehändigt wird. Das Rezept kann vom Arzt selbst oder von einer von ihm beauftragten Person in der Apotheke vorgelegt werden (§ 5b Satz 1 BtMVV [Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung]).

Frage 167 Was geschieht in dem in der vorhergehenden Frage geschilderten Fall weiter mit den Betäubungsmitteln? Die Betäubungsmittel dürfen nur für den Patienten, für den das Rezept ausgefüllt wurde, verwendet werden. Das Betäubungsmittel ist durch das beauftragte, eingewiesene und kontrollierte Personal des Hospizes oder des SAPV-Teams dem Patienten zum unmittelbaren Verbrauch zu überlassen (§ 5b Satz 2 BtMVV).

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 168 Darf in Hospizen oder in Einrichtungen der SAPV ein Notfallvorrat an Betäubungsmitteln vorgehalten werden?

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Ja. In § 5c BtMVV wird die Bevorratung von Betäubungsmitteln für den unvorhersehbaren, dringenden und kurzfristigen Bedarf von Patienten zur Sicherstellung der Notfallbehandlung ausdrücklich erlaubt. Dabei ist zu beachten, dass Hospize oder SAPV-Einrichtungen einen oder mehrere Ärzte beauftragen, die für den Notfallvorrat erforderlichen Betäubungsmittel zu verschreiben. Eine lückenlose Nachweisführung über die Aufnahme und Entnahme der Notfallbetäubungsmittel ist sicherzustellen. Auch ist eine schriftliche Vereinbarung mit einer Apotheke über die Belieferung für den Notfallvorrat sowie eine mindestens halbjährliche Überprüfung hinsichtlich der Beschaffenheit der Betäubungsmittel und deren sicherer Aufbewahrung zu treffen. Zu beachten ist auch, dass der Vorrat den durchschnittlichen 2-Wochen-Bedarf nicht überschreiten darf und die mindestens kleinste Packungseinheit vorrätig gehalten wird (§ 5c Satz 2 BtMVV).

Frage 169 Was ist bei einer sog. Notfallverordnung zu beachten? Eine Notfallverordnung kann auf jedem Rezept vorgenommen werden. Es ist eine spezielle Kennzeichnung erforderlich und das korrespondierende Betäubungsmittelrezept ist nachzuliefern. Im Notfall können Betäubungsmittel auch auf anderen Rezepten verschrieben werden (§ 8 BtMVV). Dazu ist das entsprechende Rezept mit dem Wort „Notfall-Verschreibung“ bzw. einem „N“ zu kennzeichnen. Die Apotheke hat den verschreibenden Arzt unverzüglich nach Vorlage der Notfallverschreibung und möglichst noch vor der Abgabe des Betäubungsmittels über die Belieferung zu informieren. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Rezept nur beliefert werden darf, wenn es nicht älter als 1 Tag ist. Der Arzt wiederum ist verpflichtet, unverzüglich, d. h. in der Regel innerhalb von 3 Werktagen, die

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Verschreibung auf einem ordnungsgemäßen Betäubungsmittelrezept der Apotheke nachzureichen, die die Notfallverschreibung beliefert hat. Dieses Rezept ist mit dem Buchstaben „N“ zu kennzeichnen und darf nicht mehr beliefert werden.

Frage 170 Wie sind die zu beachtenden Höchstmengen für die Verschreibung von Morphin, Fentanyl, Oxycodon, Hydromorphon, Buprenorphin, Tapentadol, Cannabisblüten sowie Cannabisextrakt? Höchstmengen: ● Morphin: 20 000 mg ● Fentanyl: 340 mg ● Oxycodon: 15 000 mg ● Hydromorphon: 5 000 mg ● Tapentadol: 18 000 mg ● Buprenorphin: 800 mg ● Cannabis in Form von getrockneten Blüten: 100 000 mg ● Cannabisextrakt (bezogen auf den Δ9-Tetrahydrocannbinol-Gehalt): 1000 mg Die Kennzeichnungspflicht für das Überschreiten der Höchstmengen innerhalb von 30 Tagen wurde im Jahr 2023 zurückgenommen. D. h., die bisher übliche Kennzeichnung mit dem Buchstaben „A“ kann entfallen.

Frage 171 Was ist bei der Verordnung von Tilidin/Naloxon zu beachten? Tilidin/Naloxon in nicht retardierter Form unterliegt der BtMVV, wohingegen die retardierten Zubereitungsformen auf normalen Kassenrezepten verordnet werden können. Tilidin/Naloxon in seiner schnell freisetzenden Form ist seit dem 01.01.2013 den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften unterstellt. Hintergrund dazu sind die häufige missbräuchliche Anwendung und Abgabe von Tilidin/Naloxon in Tropfenform und die hohe Anzahl von Rezeptfälschungen im Kontext mit dieser Substanz.

Schmerztherapie Frage 172 Was ist bei einer Reise ins Ausland bezüglich der Mitnahme von Betäubungsmitteln zu beachten? Patienten dürfen die aufgrund ärztlicher Verschreibung erworbenen Betäubungsmittel in der für die Dauer der Reise angemessenen Menge als Reisebedarf aus- oder einführen. Vom Patienten beauftragten Personen ist dies nicht erlaubt, da Betäubungsmittel nur für den eigenen Bedarf mitgeführt werden dürfen. Bei der grenzüberschreitenden Mitnahme von Betäubungsmitteln für den eigenen Bedarf sind spezifische Regelungen zu beachten: Bei Auslandsreisen bis zu 30 Tagen im Bereich der Länder des Schengener Abkommens kann die Mitnahme von ärztlich verschriebenen BTM erfolgen, sofern vom behandelnden Arzt eine Bescheinigung ausgefüllt und vor Antritt der Reise durch die oberste Landesgesundheitsbehörde (hier reicht in der Regel auch das örtlich zuständige Gesundheitsamt) beglaubigt wurde. Für jedes verschriebene Betäubungsmittel ist dabei eine gesonderte Bescheinigung auszustellen. Die Vorlage kann beim BfArM abgerufen werden https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Betaeubungsmittel/Reisen-mit-Betaeubungsmitteln/_node.html. Führt die Reise in andere Staaten, so gilt die o. g. Bescheinigung nicht! In diesem Fall wird empfohlen, sich eine mehrsprachige Bescheinigung vom Arzt ausstellen zu lassen. Dieser sollte die Einzel- und Tagesdosierung, die Wirkstoffbezeichnung und die Reisedauer zu entnehmen sein. Auch in diesem Fall sollte eine offizielle Beglaubigung (s. o.) eingeholt werden. Es müssen auf jeden Fall die aktuellen rechtlichen Bestimmungen des Ziel- und ggf. auch Transitlandes berücksichtigt werden. Diese können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich ausfallen. Daher wird empfohlen, dass die Patienten sich im Vorfeld ausreichend informieren (z. B. bei den entsprechenden Konsulaten). Die mehrsprachige Bescheinigung findet sich auf der Internetseite des BfArM unter Reisen. Eine „Umgehung“ dieser Formalitäten, indem man ein Betäubungsmittelrezept ausstellt und dieses im Ausland einlösen lässt, ist nicht möglich, da die BTM-Rezeptvordrucke ausschließlich für die Verschreibung und Auslieferung der Medikamente in deutschen Apotheken vorgesehen sind. Umgekehrt gilt auch, dass Betäubungsmittelverordnungen auf Rezepten aus dem Ausland von Apotheken in Deutschland nicht beliefert werden dürfen.

Frage 173 Wie kommt man an ein Betäubungsmittelrezept?

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Betäubungsmittelrezepte werden über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ausgegeben. Jeder approbierte Arzt kann ein BtM-Rezept bei o. g. Behörde beantragen. Hierzu findet sich auf deren Homepage ein entsprechender Vordruck. Beizufügen ist eine amtlich beglaubigte Kopie der Approbationsurkunde. Die Ausgabe (auch von Folgerezepten) kann durch das Bundesinstitut bei begründetem Verdacht auf Verletzung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften versagt werden.

Frage 174 Kann ein Betäubungsmittel weiterverwendet oder wiederverschrieben werden? Prinzipiell dürfen alle Betäubungsmittel, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für Patienten verordnet und diesen zur Verwendung überlassen wurden, nicht wiederverwendet und an Dritte abgegeben werden. Nicht mehr benötigte Betäubungsmittel müssen ordnungsgemäß vernichtet werden. Eine Wiederverwendung ist nur unter besonderen Umständen möglich: Das für den Patienten ausgestellte Betäubungsmittelrezept darf nicht vom Patienten (oder von einem Angehörigen) selbst in der Apotheke eingelöst worden sein, sondern wurde vom ausstellenden Arzt oder von einer von ihm im Hospiz oder in einer SAPV-Einrichtung beauftragten Person eingelöst und unter deren Verantwortung gelagert. Diese Betäubungsmittel dürfen nun in derselben (!) Einrichtung einem anderen Patienten erneut verschrieben werden. Dazu muss ein neues Betäubungsmittelrezept ausgefüllt werden. Ein Teil des Rezepts verbleibt in der Akte des „abgebenden“ Patienten, ein Teil bei dem „empfangenden“ Patienten und der 3. Teil beim verordnenden Arzt. Auch können die Betäubungsmittel in den Notfallvorrat von Hospizen oder SAPV-Einrichtungen überführt werden (Cave: lückenlose Dokumentation!), jedoch nicht an Altenoder Pflegeheime. Letztere dürfen keine Notfallvorräte vorhalten.

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Schmerztherapiegrundlagen

2.2.8 Interventionelle Schmerztherapie Justus Benrath

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Frage 175 Wann sind Verfahren der parenteralen Medikamentengabe über Pumpenverfahren sinnvoll? Die parenterale Medikamentengabe ist bei einer Reihe von Situationen in der Palliativmedizin indiziert, immer dann, wenn eine enterale Medikamentenzufuhr nicht (mehr) möglich und eine transdermale Medikamentenapplikation nicht (mehr) sinnvoll ist. Dies kann der Fall sein bei ● Übelkeit ● gastrointestinaler Obstruktion oder Ileus ● Unmöglichkeit der oralen Applikation infolge von Schluckschwierigkeiten im Sinne der Dysphagie oder Odynophagie, z. B. bei Tumorwachstum, Mundtrockenheit, oraler Mukositis nach Radiatio oder Soor Die transdermale Applikation gerät dann an ihre Grenzen, wenn durch Tumorkachexie oder bei Zentralisierung die Aufnahme des Fentanyls oder Buprenorphins über das subkutane Fettgewebe bezüglich Menge und Vorhersehbarkeit unsicher wird. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der parenteralen Medikamentengabe besteht darin, bei exazerbierten Tumorschmerzen eine Dosisfindung durchzuführen. Dazu werden Opioide mithilfe der Bolusoption einer PCA (Patient-controlled Analgesia) bis zur Schmerzfreiheit fraktioniert appliziert. Der so über 24 Stunden ermittelte Opioidbedarf lässt sich dann als orale Tagesdosierung umsetzen. Weiterhin ist es sinnvoll, bei exazerbierten Tumorschmerzen zur Dosisfindung ein Opioid intravenös fraktioniert, z. B. Morphin in 5 mg-Portionen, bis zur Schmerzfreiheit zu applizieren. Die intravenös gegebene Menge als Gesamtdosis dient zur Orientierung des Tagesbedarfs. Zur Erinnerung: Es existieren in der Tumorschmerztherapie keine Höchstdosierungen von Opioiden!

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Frage 176 Welche Verfahren der parenteralen Medikamentengabe stehen zur Verfügung? Die Applikation erfolgt von der Steuerbarkeit her idealerweise intravenös, von der Praktikabilität her subkutan. Weitere Möglichkeiten bestehen in der epiduralen und intrathekalen Gabe. Über alle genannten Wege kann mithilfe einer Pumpe ein Opioid als Basisrate kontinuierlich und zusätzlich bei Bedarf als Bolus appliziert werden. Es stehen elektronische und mechanische Pumpensysteme zur Verfügung. Die intravenöse Gabe ermöglicht eine rasche Wirkung des Opioids, der maximale Plasmaspiegel ist nach etwa 2–3 Minuten erreicht. Bei der subkutanen Gabe muss das Medikament erst resorbiert werden; mit einem Wirkbeginn ist nach ca. 10–15 Minuten zu rechnen. Die intravenöse Applikation ist nicht immer erwünscht oder steht nicht immer zur Verfügung, die subkutane Gabe ist daher von der Praktikabilität her zu bevorzugen.

Frage 177 Worin liegen die Vor- und Nachteile einer parenteralen Medikamentengabe über Pumpenverfahren? Die Vorteile sind in der sicheren und zuverlässigen Applikation von Opioiden zu sehen. Es lässt sich mit dem Pumpenverfahren ein gleichmäßiger Plasmaspiegel erreichen, der zudem gut steuerbar ist. Beides ist bei der enteralen und transdermalen Applikation häufig aufgrund der verzögerten oder unsicheren Resorption nicht möglich. Die Nachteile liegen im höheren personellen, apparativen und organisatorischen Aufwand. Patienten können mit einer PCA-Pumpe sehr gut zu Hause versorgt werden. Speziell geschultes Pflegepersonal übernimmt die Überwachung der Pumpenfunktion und den Kassettenwechsel. Eine Subkutannadel muss nach ca. 5–7 Tagen gewechselt werden, eine Portnadel nach etwa 10–14 Tagen.

Schmerztherapie Frage 178 Wie wird eine parenterale Medikamentengabe über Pumpenverfahren sinnvollerweise durchgeführt? Zuerst wird die Tagesdosis eines Opioids festgelegt. Dies erfolgt entweder durch Umrechnen der aktuellen enteralen oder transdermalen Dosis mithilfe einer Umrechnungstabelle oder durch individuelle Dosisfindung bereits mithilfe des Pumpenverfahrens selbst. Die Menge der Basislaufrate pro Stunde wird dann in zwei Bolusoptionen pro Stunde zur Verfügung gestellt. Pumpensysteme werden dann bevorzugt eingesetzt, wenn es zu einer Eskalation der Opioidtherapie gekommen ist oder zu kommen droht. Es gelten dieselben Regeln wie bei der oralen Applikation von Opioiden: Zusätzlich zur Basisdosis des Opioids pro Stunde können sich die Patienten dieselbe Menge Opioid als Bedarf abrufen. Beispiel: Morphin 5 mg/ Stunde als Basis, 2,5 mg als Bolusoption bis zu 2 × pro Stunde, Sperrzeit zwischen den Boli erfahrungsgemäß 20 Minuten.

Frage 179 Wann ist eine epidurale Medikamentenapplikation sinnvoll? Über einen Epiduralkatheter lässt sich nahezu jeder Tumorschmerz am Rumpf und den unteren Extremitäten innerhalb kurzer Zeit nach Anlage des Katheters deutlich reduzieren. Dieses Verfahren ist daher als Sofortmaßnahme bei exazerbierten Schmerzen einsetzbar. Häufig wird eine Kombination aus Lokalanästhetikum und Opioid angewandt. Die epidurale Medikamentenapplikation eignet sich für die vorübergehende Therapie, da der Katheter wegen der Gefahr einer epiduralen Infektion nur einige Tage bis wenige Wochen belassen werden kann.

aufgrund der Notwendigkeit der täglichen Visite aufwendig und geschultes Personal muss zur Verfügung stehen. Abdominale Tumorschmerzen lassen sich lediglich mit einem thorakalen Katheter und Tumorschmerzen des Beckens und der unteren Extremitäten mit einem lumbal gelegten Katheter gut behandeln. Ein zervikal applizierter Epiduralkatheter ist eine Rarität, wird in Einzelfällen jedoch angelegt.

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Frage 180 Wann wird ein intrathekales Katheterverfahren eingesetzt? Die intrathekale Medikamentengabe ist bei nozizeptivem oder neuropathischem Tumorschmerz sinnvoll, der mit anderen invasiven oder nicht invasiven Maßnahmen nicht ausreichend behandelbar ist. Des Weiteren ist sie zu erwägen, wenn eine notwendige hochdosierte Opioidtherapie wegen systemischer Nebenwirkungen eingeschränkt ist. Die Medikamentenapplikation erfolgt über einen Spinalkatheter, dessen Spitze im Intrathekalraum auf Höhe Th 8 zu liegen kommt. Als Nachteile dieses Verfahrens sind die mögliche Infektionsgefahr des Rückenmarks sowie die Notwendigkeit einer spezialisierten (neurochirurgischen) Abteilung für die Anlage und Überwachung der Therapie zu nennen. Die Medikamente werden kontinuierlich über einen subkutan getunnelten und aus der Haut ausgeleiteten Katheter appliziert, der an eine externe Pumpe angeschlossen wird. Wegen der Infektionsgefahr kann er aber nur wenige Tage genutzt werden. Alternativ kann der Katheter mit einem subkutan implantierten Port-a-Cath konnektiert und mit einer Gripper-Nadel transkutan an eine externe Pumpe angeschlossen werden. In diesem Fall gelingt eine wochen- bis monatelange Nutzung. Schließlich ist auch der Anschluss des Katheters an eine abdominal-subkutan implantierte Medikamentenpumpe möglich, die in regelmäßigen Abständen von 3– 4‑Wochen transkutan aufgefüllt wird.

Ein Epiduralkatheter bietet den Vorteil einer sicheren und zuverlässigen Applikation von Medikamenten, meist von Lokalanästhetika in Kombination mit Opioiden. Bei einer niedrigdosierten Gabe von Lokalanästhetika ist keine Beeinträchtigung der Motorik zu erwarten. Allerdings ist die Versorgung eines liegenden Epiduralkatheters personell und apparativ

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 181 Welche Medikamente sind für die intrathekale Applikation zugelassen?

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Zur intrathekalen Schmerztherapie sind Morphin, Clonidin, Bupivacain, Baclofen und Ziconotid zugelassen. Die intrathekale Applikation von Medikamenten ist sinnvoll, da sich so die BlutHirn-Schranke elegant umgehen lässt. ●









Morphin ist das Standardmedikament zur intrathekalen Schmerztherapie; es wirkt über die Verteilung im Liquorraum an den Opioidrezeptoren im gesamten Zentralnervensystem. Clonidin dient als spinaler α2-Adrenozeptor-Agonist in Kombination mit Morphin zur analgetischen Wirkungsverstärkung. Hauptnebenwirkung ist die zentral bedingte Hypotension. Baclofen wird über die Wirkung an GABAB-Rezeptoren erfolgreich zur Behandlung der (schmerzhaften) Spastik bei multipler Sklerose und nach Rückenmarkstrauma sowie bei zerebraler Spastik eingesetzt. Bupivacain als Lokalanästhetikum wirkt über die Hemmung spinaler Natriumkanäle analgetisch. Wegen einer möglichen motorischen Blockade ist es nur in niedriger Dosierung für den Dauereinsatz intrathekal anwendbar. Ziconotid ist das Gift der marinen Kegelschnecke Conus magus. Das zyklische Peptid blockiert selektiv präsynaptische Kalziumkanäle im Hinterhorn des Rückenmarks.

Sympathikusblockade kann die sympathischsensorische Kopplung für die Wirkungsdauer des Lokalanästhetikums unterbrechen. Die Sympathikusblockade kann diagnostisch und therapeutisch eingesetzt werden. Diagnostische Sympathikusblockaden differenzieren zwischen sympathisch unterhaltenem Schmerz (sympathetically maintained Pain, SMP) und sympathisch unabhängigem Schmerz (sympathetically independent Pain, SIP). Zur Diagnostik wird allein das sympathische Nervensystem – immer häufiger mithilfe von Ultraschall – mit einem Lokalanästhetikum blockiert. Bessern sich die vom Patienten berichteten Schmerzen um mindestens 30–50 %, so ist von einem sympathisch unterhaltenen Schmerz, SMP, auszugehen. Die therapeutische Anwendung erfolgt als Blockadeserie von mindestens 5, höchstens 10 Blockaden innerhalb einiger Wochen. Zur Tumorschmerztherapie wird am häufigsten eine Neurolyse am Plexus coeliacus durchgeführt.

Frage 183 Wann ist eine Neurolyse am Plexus coeliacus sinnvoll? Bei sämtlichen Tumorschmerzen im Oberbauch ist eine Zöliakusblockade indiziert, vor allem bei Pankreas- oder Magenkarzinom und bei Lebermetastasierung, aber auch bei retroperitonealen Lymphomen oder Tumoren, z. B. Sarkom. Ferner besteht eine Indikation bei Pankreaskopfzysten und chronischer Pankreatitis.

Frage 182 Wie kann ein neuropathischer Schmerz durch eine Blockade des sympathischen Nervensystems therapiert werden? Das sympathische Nervensystem ist an der Entstehung und Aufrechterhaltung vieler neuropathischer Schmerzen beteiligt, man spricht von „sympathisch unterhaltenem Schmerz“. Dabei kommt es zu einer Kopplung zwischen efferenten postganglionären sympathischen Neuronen und afferenten nozizeptiven Neuronen. Nozizeptive Fasern exprimieren α-adrenerge Rezeptoren, die durch Noradrenalinfreisetzung bei der tonischen Aktivität des sympathischen Nervensystems zur Schmerzverstärkung führen. Eine

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Eine Neurolyse am Plexus coeliacus dient dem Ausschalten sympathischer Efferenzen und nozizeptiver viszeraler Afferenzen. Damit ist die Blockade am Plexus coeliacus streng genommen eine Kombination aus Sympathikusblockade und sensorischer Blockade. Die Blockade erfolgt vorzugsweise CT-gezielt.

Frage 184 Welche Kontraindikationen für eine Neurolyse am Plexus coeliacus bestehen und mit welchen Nebenwirkungen ist bei einer Neurolyse am Plexus coeliacus zu rechnen?

Schmerztherapie Als Kontraindikationen sind zu nennen: fehlende Einwilligung, Unmöglichkeit der Bauchlagerung, Gerinnungsstörungen, weit fortgeschrittenes Tumorwachstum, sodass der Plexus mechanisch nicht (mehr) erreichbar ist. Die erwartbaren passageren Nebenwirkungen ergeben sich aus der viszeralen Sympathikusblockade: Diarrhö und Hypotonie durch Vasodilatation. Komplikationen wie Blutungen, Organoder Nervenverletzung sind selten.

2.2.9 Physiotherapie Peter Nieland

Frage 185 Eine Palliativpatientin mit ALS (amyotropher Lateralsklerose) leidet aufgrund des Kräfteverfalls und der Atrophie der Atemhilfsmuskulatur unter Atemnot und Angst. Welche physiotherapeutischen Maßnahmen würden Sie zur Linderung verordnen? Atemtherapie mit den Komponenten Atemlenkung, Atemwahrnehmung, Lippenbremse, Hustentechnik, Sekretolyse, Entspannungstechnik und unterstützende Lagewechsel sowie eine angepasste passive, assistive oder aktive krankengymnastische Mobilisation mit Orientierungsübungen im Raum zur Linderung der Angst in der anfallsfreien Phase. Neben dem Kräfteverfall und der daraus folgenden Immobilität führen vor allem die Atrophie der quergestreiften Atemhilfsmuskulatur zur Atemnot und die Immobilität des Zwerchfells zur Verschleimung. Zusätzlich können durch physische und psychische Belastungen Stressreaktionen ausgelöst werden. Ein erhöhter pCO2-Wert kann das Gefühl verstärken, nicht ausreichend Luft zu bekommen. Der Teufelskreis aus Angst und Atemnot z. B. bei einem Dyspnoeanfall kann man lindern, indem man – beginnend mit einer klaren körperlichen Präsenz – dem aufzurichtenden Patienten in seinem Sichtfeld die Information vermittelt: „Sie atmen fast nur noch ein, sie müssen auch ausatmen“ und ihn gegen einen Widerstand z. B. der Lippenbremse ausatmen lässt. Dies ist so lange durchzuführen, bis der Patient wieder ruhig ein- und ausatmet. In anfallsfreien Phasen erfolgt die angepasste Atemtherapie z. B. mit unterstützenden, taktil gelenkten Atemzügen, die die gleichmäßige Durchlüftung der Lunge trainieren.

Manuelle Vibrationen unterstützen die Sekretolyse und den Auswurf. Atemlenkung und Atemwahrnehmungsübungen helfen, zukünftige Dyspnoeanfälle zu vermindern und zu lindern.

2 Frage 186 Ein Palliativpatient leidet aufgrund der Immobilität und des Kräfteverfalls sowie hoher Morphingaben unter quälender Obstipation. Welche physiotherapeutische Maßnahme würden Sie verordnen? Eine manuelle Kolonmassage, wenn das Kolon in seinem gesamten Verlauf frei behandelbar ist. Wenn der Dickdarm z. B. aufgrund von Stoma, Schmerz oder Narben nicht direkt behandelbar ist, kann alternativ eine Reflexzonentherapie über den Rücken (Bindegewebsmassage) oder die Füße (Fußreflexzonentherapie) durchgeführt werden. Eine der häufigsten Ursachen für Obstipation bei Palliativpatienten ist neben der zunehmenden Immobilität aufgrund des Kräfteverfalls auch die Medikamentengabe z. B. von Opioiden. Aufgrund der Bindung an μ-Rezeptoren im Darm kommt es zu komplexen Veränderungen mit der Folge des Anstiegs des Ruhetonus, der Steigerung der nicht propulsiven Motilität sowie einer Inhibierung der Peristaltik. Der vom Physiotherapeuten schmerzfrei durchzuführende manuelle Druck durch die Haut in Verlaufsrichtung des Kolons erhöht den Druck auf die Darmwand und löst reflektorische muskuläre Wellenbewegungen der Dickdarmwand aus. Ist die Kolonmassage z. B. aufgrund von Narbenschmerzen nicht direkt möglich, können mittels einer Reflexzonentherapie im Rückenbereich über den kutiviszeralen Reflexbogen (Bindegewebsmassage nach Dicke und TeirichLeube) eine starke Reizsetzung in der Dickdarmmuskulatur und eine Hyperämisierung der Dickdarmwand für eine Stuhlentleerung ausgenutzt werden.

Frage 187 Ein Palliativpatient liegt aufgrund der Schwere seiner Erkrankung und körperlicher Schwäche sehr viel im Bett und klagt über unklare Druckschmerzen am rechten Unterschenkel und Missempfindungen im linken Arm („Fühlt sich wie ein Stück Holz an“). Welche physiotherapeutische Maßnahme würden Sie zur Linderung der Beschwerden verordnen?

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Schmerztherapiegrundlagen Aufgrund der ausgedehnten Bettlägerigkeit und der fehlenden Kraft für Lagewechsel ist von reduzierten taktilen Reizen der Haut sowie von reduzierten propriozeptiven Reizen in den Gelenken auszugehen. Die angegebenen Schmerzen können durch konturgebende massierende Körperausstreichungen sowie durch Lagewechsel im Liegen, im Sitzen und im Stand gelindert werden. Durch langsam sich aufbauende assistive physiotherapeutische Übungen, z. B. propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation, erhöht sich die koordinative Körperwahrnehmung, die den unklaren Lage- und Druckschmerz in Ruhe reduziert.

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Taktile Reize gibt sich der Mensch ununterbrochen, um sich in allen Lebenssituationen kontrollieren zu können. Ohne von außen erfahrbare oder selbst getätigte taktile und propriozeptive Reize verliert er die Körperkontrolle und das Zeitgefühl. Es können sich psychisch Aggressionen durch spürbaren Kontrollverlust und physisch Schmerzen als noch wahrnehmbare Triggerreaktionen darstellen.

Frage 188 Ein Palliativpatient mit Knochenmetastasen in der Wirbelsäule und Frakturgefahr soll von der Palliativstation kurzfristig nach Hause entlassen werden. Er wurde dazu noch schnell mit Hilfsmitteln versorgt (Stützkorsett, Rollstuhl, Rutschbrett und Unterarmgehstützen). Was müssen Sie diesem Patienten verordnen? Ein physiotherapeutisches Hilfsmitteltraining im Hausbesuch, damit der Patient mit diesen Hilfsmitteln im häuslichen Umfeld umzugehen lernt und sie auch erfolgreich nutzen kann. Ein Hilfsmittel wie z. B. ein Rollstuhl, Rutschbrett oder Rollator kann nur dann eine wirkliche Hilfe für einen Palliativpatienten darstellen, wenn es dem Patienten angepasst wird und in seine häusliche Situation passt. Außerdem muss der Gebrauch des Hilfsmittels trainiert werden. Geschieht das nicht, zeigt das unangepasste Hilfsmittel dem Patienten oft sehr deutlich, wie hilflos und hinfällig er ist, und verstärkt so die Hilfs- bzw. Hoffnungslosigkeit.

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Frage 189 Was verstehen Sie in der nach Nah- und Fernzielen ausgerichteten palliativen Physiotherapie unter Qualitätskontrolle? Ambulante und stationäre Palliativpatienten leiden unter einer infausten progredienten Erkrankung. Physische und psychische Belastungen sind zeitlich und symptomatisch Veränderungen unterworfen. Der palliativ tätige Physiotherapeut muss somit tagtäglich zu einem flexiblen Behandlungsmanagement und zu Bedürfnis- und symptomorientiert wechselnden Therapieoptionen in der Lage sein, um belastende körperliche und/oder psychische Veränderungen lindern zu können. Zwingend erforderlich ist dabei die Qualitätskontrolle der Nah- und Fernziele durch Maßnahmenanpassungen in den multiprofessionellen Teambesprechungen. Nahziele sind kurzfristige bedürfnisorientierte Ziele des Palliativpatienten, z. B. heute das Wasserglas selbstständig greifen zu können. Fernziele sind längerfristig angelegt wie z. B. der Wunsch nach einem Waldspaziergang mit angepassten Hilfsmitteln zu einer laufenden Schmerztherapie mit Bedarfsmedikamentierung. Ambulant erfolgt der schriftliche Therapiebericht am Ende eines ärztlichen Rezepts als Qualitätskontrolle.

2.2.10 Nicht medikamentöse Schmerztherapie Dominik Irnich; frühere Bearbeitung: Dominik Irnich, Frauke Musial

Frage 190 Eine Polyneuropathie nach Chemotherapie kann deutlich die Lebensqualität einschränken. Welche nicht medikamentösen Verfahren stehen zur Verfügung? Neben lokaler Behandlung mit Capsaicin oder Lokalanästhetika gibt es ganze Reihe von Maßnahmen, die Schmerzen lindern und sogar die Funktion verbessern können: sensorisch-perzeptives Training, Güsse oder wechselwarme Fuß-

Schmerztherapie bäder, CO2-Bäder, Stangerl-Bad, Einreibungen mit Ölen sowie transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und Akupunktur. Konkret können Linsen oder Reisbäder (am besten etwas erwärmen) zum täglichen perzeptiven Training genutzt werden. Dazu gehören auch Barfußgehen, Igelball, Fußsohlen- bzw. Reflexzonenmassage mit leicht reizenden, durchblutungsfördernden Ölen (z. B. Johanniskraut, japanisches Heilöl). Eine weitere physikalische Behandlungsoption sind wechselwarme Fußbäder, welche stark durchblutungsfördernd wirken. Akupunktur mit Elektrostimulation der Nadeln ist weitgehend in seiner Wirksamkeit nachgewiesen. Es bedarf jedoch Erfahrung und Ausdauer in der Behandlung.

Frage 191 Durch Bettlägerigkeit verursachte Muskelschmerzen können häufig sehr stark sein. Gibt es neben den Analgetika und der Physiotherapie weitere Behandlungsmethoden? Derartige Schmerzen werden oft durch myofasziale Triggerpunkte unterhalten. Diese sollten mittels einer sorgfältigen Untersuchung identifiziert werden. Die aktiven Triggerpunkte können effektiv mittels Triggerpunkt-Akupunktur deaktiviert werden. Dabei muss die Reizstärke der Kondition und Konstitution des Patienten angepasst werden. Die Kenntnisse der myofaszialen Triggerpunkte bzw. des myofaszialen Schmerzes sind vielfach unzureichend. Myofasziale Triggerpunkte können z. B. bei Fehlbelastung oder Überlastung der Muskulatur entstehen, was häufig bei bettlägerigen Patienten vorkommt. Essenziell ist die Kenntnis der Ausstrahlungsmuster (referred Pain Pattern) einzelner Muskeln. Sind die Triggerpunkte diagnostiziert, bietet die Triggerpunkt-Akupunktur, unterstützt von Fernpunkten z. B. am Ohr, eine sehr gute therapeutische Option. Akupunkturkenntnisse sind bei der Behandlung sehr hilfreich.

Frage 192 Gibt es Möglichkeiten, Angstsymptome (Angst, Ängstlichkeit) komplementärmedizinisch zu lindern?

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Die S 3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“ (Langversion 1.0 – Juli 2021, AWMF-Registernummer: 032/055OL) gibt als Behandlungsmöglichkeiten (Kann-Empfehlung) Akupunktur, Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR), Meditation und Yoga an. Angstsymptome sind hier nicht im Sinne einer diagnostizierten Angststörung (ICD-10 F40) zu verstehen. Für die Akupunktur oder die Akupressur bei Angstsymptomen werden allgemein beruhigende Punkte wie LG 20, Herz 7, Herz 5 und Punkte auf der Nierenleitbahn (z. B. Niere 3 oder bei Einschlafstörungen Niere 7) gewählt. Selbstbehandlung mit Akupressur kann die Selbstwirksamkeit erhöhen. Die anxiolytische Wirkung der Ohrakupunktur ist perioperativ nachgewiesen, erfahrungsgemäß kann sie in der palliativen Situation supportiv wirken. Gewählt werden Punkte wie Shen Men (55), Herz (100), psychotrope Punkte am Lobulus, Entspannungspunkt (Jerome, 29b) und weitere Punkte nach Sensibilität. MBSR, Meditation und Yoga sind regelmäßig in kurzen Abständen mit individuell ausgeführter Intensität auszuprobieren und einzuüben. Mit den eingelernten Übungen können akut Symptome gelindert werden, es kann aber auch oft nach 2–3 Wochen regelmäßiger Übung eine allgemeine Senkung des Angstniveaus erreicht werden. Vorteile bieten Übungen in der Gruppe, auch Einzelbehandlungen sind möglich (z. B. assistierte Yoga-Übungen am bettlägerigen Patienten), notwendig sind gut aus gebildete Übungsleiter mit palliativmedizinischer Kompetenz.

Frage 193 Ein bettlägeriger Palliativpatient in sehr geschwächtem Zustand klagt über Schmerzen und macht darüber hinaus einen ängstlichen, depressiven und angespannten Eindruck. Eine Fußmassage ist aufgrund von lokalen Gegenanzeigen (z. B. diabetischer Fuß oder Hyperreflexie bei neurologischen Erkrankungen) nicht möglich. Welche komplementärmedizinischen Verfahren, die ebenfalls die körperliche Berührung als Teil des therapeutischen Effekts nutzen, kommen noch infrage?

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Schmerztherapiegrundlagen Sie können ein Verfahren aus dem Bereich des sog. Energy Healing anwenden wie z. B. Therapeutic Touch oder Reiki. Für diese Verfahren gibt es keine Kontraindikationen.

2 In dieser extrem eingeschränkten Situation bieten sich Verfahren aus dem Bereich des Energy Healing an wie z. B. Therapeutic Touch oder Reiki. Die dabei stattfindenden Berührungen sind äußerst sanft und bei manchen Verfahren wie z. B. beim Reiki kann es auch ausschließlich zu Beinahe-Berührungen kommen. Der theoretische Hintergrund dieser Verfahren geht von der Annahme der positiven Kraft eines durch den Therapeuten beeinflussten Energieflusses aus. Die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit dieser Verfahren ist gering bis nicht vorhanden. Dennoch werden beide Verfahren gerade im angloamerikanischen Bereich häufig im Rahmen der integrativen Krebstherapie angeboten. Zu bedenken ist auch, dass der Begriff des „Reiki-Therapeuten“ oder „Healing-Touch-Therapeuten“ nicht geschützt ist. Es gibt eine schwache wissenschaftliche Evidenz dafür, dass sich diese Verfahren günstig auf die Symptome „Schmerz“ und „Fatigue“ auswirken und die subjektiv empfundene Lebensqualität steigern können. Beide Verfahren gelten als sicher und als gute Methode, um eine tiefe Entspannung zu induzieren. Sie sind auch bei bettlägerigen, schwer in ihrer Bewegung eingeschränkten Patienten anwendbar.

Frage 194 Ein Patient leidet unter starken Beschwerden der Halswirbelsäule. Metastasen als Schmerzursache sind ausgeschlossen, der radiologische Halswirbelsäulenbefund zeigt darüber hinaus nur unspezifische degenerative Veränderungen. Bei der Untersuchung sind Seitneigung und Rotation der Halswirbelsäule endgradig schmerzhaft eingeschränkt. Es zeigen sich myofasziale Triggerpunkte im M. trapezius und im M. levator scapulae, die auf Druck den Schmerz triggern. Triggerpunkte in diesen beiden Muskeln sind sehr häufig Ursache für Beschwerden der Halswirbelsäule und für okzipitale, aber auch für parietale Kopfschmerzen. Dabei verursachen Triggerpunkte im M. levator scapulae vor allem Schmerzmuster im Bereich der unteren Halswirbelsäule ipsilateral. Der M. trapezius strahlt häufig in die Schläfe und die seitliche Kopfregion ipsilateral aus. In diesen Fällen bietet sich als

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häufig schnell wirksame Therapie die Triggerpunktakupunktur an. Aktive Triggerpunkte im M. trapezius finden sich häufig in der Pars transversalis lateral des Schulterdreiecks der Halswirbelsäule. Diese Triggerpunkte sind gut palpabel, häufig als Knoten lokalisiert in einem Muskelhartspannstrang (taut Band). Im Zangengriff können sie fixiert und anschließend mit der Nadel sondiert werden. Häufig tritt dann eine sog. Muskelzuckungsreaktion auf, die nach der Lehre als therapeutische Reaktion angesehen wird. Sie hinterlässt gelegentlich ein lokales Schweregefühl, das durch sanftes Ausstreichen und Muskeldehnung abgeschwächt werden kann. Relevante aktive myofasziale Triggerpunkte im M. levator scapulae liegen zumeist am Ansatz an der Margo medialis superior der Skapula und am Halsdreieck unter dem M. trapezius. Insbesondere bei Triggerpunkten am Skapulaansatz besteht die Gefahr eines Pneumothorax bei ungeübter Nadelung. Die Nadelung ist in diesem Fall tangential durchzuführen. Diese Triggerpunkte treten häufig bei bettlägerigen Patienten auf und stellen gelegentlich das körperliche Korrelat der „Angst, die im Nacken sitzt“ dar.

Frage 195 Ein Palliativpatient in sehr schlechtem Allgemeinzustand leidet nicht nur an Schmerzen, sondern auch an nervöser Unruhe, Angespanntheit, Schlaflosigkeit und Erschöpfung. Welche Intervention, die auch als Selbsthilfestrategie angewendet werden kann, ist in der Lage, diesen Zustand günstig zu beeinflussen? Aromatherapie in unterschiedlichen Variationen, z. B. in Verbindung mit unterschiedlichen Formen der Massage, in Form von Bädern oder auch als Selbsthilfestrategie, kann Angstzustände, emotionalen Stress, Schmerzen, Verspannungen und Müdigkeit reduzieren. Die Aromatherapie beinhaltet die Verwendung von ätherischen Ölen aus verschiedenen pflanzlichen Quellen. Die Applikation erfolgt in der Regel durch Massage, Inhalation oder Bäder. In der Regel wird die Aromatherapie von Massage- bzw. Physiotherapeuten oder als Selbsthilfestrategie durchgeführt.

Schmerztherapie Bei der Krebstherapie wird Aromatherapie zur Reduktion von Stress und Angstzuständen, Schmerzen, Verspannungen und Müdigkeit angewendet. Auch Stimmung und Allgemeinzustand sollen sich verbessern. Ansprüche für die Wirkung von bestimmten Ölen reichen von der Wiederherstellung der Harmonie der Energie bis dahin, dass einige Öle antikonvulsive und spasmolytische Eigenschaften haben sollen. Insgesamt ist die wissenschaftliche Evidenz unklar, es wurden aber eine kurzfristige Verbesserung des Wohlbefindens sowie die Reduktion von Angst, Depression, Schlafstörungen und Schmerzen nach der Behandlung beschrieben. Obwohl ätherische Öle in der Regel minimale Nebenwirkungen haben, können allergische Reaktionen auftreten. Vorsicht ist ebenfalls bei der Anwendung von Lavendel und Teebaumöl bei Krebspatienten mit östrogenabhängigen Tumoren geboten.

Frage 196 Können Symptome einer Xerostomie (Mundtrockenheit) mit naturheilkundlichen Methoden behandelt werden? Neben allgemeinen Maßnahmen (z. B. Mundpflege, Gabe von säurehaltigen oder gefrorenen Substanzen) und speziellen Maßnahmen (z. B. künstlicher Speichel) kann bei betroffenen Patienten die Akupunktur wertvolle Dienste leisten. In einer systematischen Übersichtsarbeit identifizieren Zhuang et al. [63] 3 randomisiert-kontrollierte Studien zur Therapie der Xerostomie mit Akupunktur. In 2 Studien konnte die Speichelflussrate verbessert werden, allerdings waren die Unterschiede gegenüber der Kontrollgruppe nicht signifikant. Subjektive Verbesserungen nach Akupunktur wurden in allen 3 Studien beschrieben. Auch wenn dieses Review keine eindeutig positiven Schlussfolgerungen erlaubt, geben aktuelle Arbeiten sehr gute Hinweise auf klinisch relevante Effekte. Die Behandlung erfolgt über lokale Punkte und Fernpunkte und sollte mindestens 3 × pro Woche durchgeführt werden. Möglicherweise lassen sich auch positive Wirkungen mittels Anlage eines TENS-Geräts (Gerät zur transkutanen elektrischen Nervenstimulation) über Akupunkturpunkten erreichen.

Frage 197 Lässt sich die Dyspnoe in der Finalphase unterstützend behandeln?

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Eine Behandlung am sternalen Akupunkturpunkt KG 17 kann in einigen Fällen die Symptome lindern. Es gibt Hinweise, dass die aus Erfahrung immer wieder beschriebene angst- und krampflösende Wirkung des Akupunkturpunkts KG 17 reproduzierbar ist. Dieser ist in der Mitte des Sternums in Höhe des 4. Interkostalraums lokalisiert. In manchen Fällen kann auch die Akupressur Linderung schaffen.

Frage 198 Wie lassen sich Fatigue-Symptome nichtmedikamentös lindern? Körperliche Aktivität und im speziellen Yoga und Tai-Chi/Qigong stehen im Mittelpunkt der nichtmedikamentösen Fatigue-Behandlung. Gelingt es, die Patientin oder den Patienten zum regelmäßigen Üben anzuregen und zu begleiten, so können gute multidimensionale Effekte erwartet werden. Übungen im Sitzen oder im Krankenbett sind gut möglich. Multimodale komplementärmedizinische Therapieprogramme, Mindfulnessbased Stress Reduction (MBSR) und anthroposophische Komplexbehandlung können sowohl intensiviert (teil-)stationär als auch bei mobilen Patient*innen ambulant durchgeführt werden. Akupunktur und Akupressur zeigen in Studien gute Wirkungen. Als Punkte werden u. a. Magen 36, Konzeptionsgefäß 17, Milz 6, Niere 3 empfohlen, ggf. unterstützt durch Wärmelampe oder Moxibustion. Die meisten der Untersuchungen wurden bei Brustkrebspatientinnen durchgeführt, aber auch bei anderen gynäkologischen oder viszeralen Krebserkrankungen zeigen Studien eine spezifische Wirksamkeit der Akupunktur auf verschiedene Parameter bei Patient*innen mit Fatigue-Symptomen.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 199 Welche Form der P 6-Stimulation soll bei Übelkeit und Erbrechen gewählt werden?

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Der Akupunkturpunkt 6 liegt am Unterarm 2 Cun (2 Daumenbreiten des Patienten) proximal der distalen Handgelenksbeugefalte zwischen den Sehnen des M. palmaris longus und des M. flexor carpi radialis. Die Stimulation sollte einen deutlich spürbaren Reiz ausmachen, in der Regel ist die Nadelakupunktur am wirksamsten. Die Akupressur bietet den Vorteil der Selbst- und Angehörigenmassage und ist leicht erlernbar. Studien belegen die jedem Antemetikum vergleichbaren Wirkungen der Akupunktur. Die intermittierende Nadelakupunktur 1–2 × täglich bis 1–2 × wöchentlich an P 6, unterstützt mit weiteren Punkten wie Magen 36, Konzeptionsgefäß 12, Blase 18, ist die effektivste Form. Intermittierende TENS-Anlage kann in manchen Fällen sehr gut helfen, Magnetbänder bieten keine Vorteile und sind zweifelhaft wirksam.

Frage 200 Gibt es Indikationen für die Neuraltherapie in der Schmerztherapie von Palliativpatienten? Bei tumorbedingten Schmerzen stehen verschiedene Ansätze der Neuraltherapie zur Verfügung. Dabei kann durch paravertebrale Quaddelungen die segmentale Schmerzhemmung aktiviert werden oder es wird direkt an die schmerzhaften Punkte gespritzt, mit dem Ziel der Desensibilisierung. Die Neuraltherapie stellt ein invasives Verfahren dar, das nur unter den entsprechenden Voraussetzungen und nur mit Einverständnis des Patienten durchgeführt werden sollte. Demgegenüber kann aus Erfahrung manchmal ein regulativer Effekt erreicht werden, der über die Wirkung des Lokalanästhetikums hinaus Schmerzlinderung bietet. Einige Verfahren wie die Triggerpunktinfiltration oder die Injektion an nervale Strukturen haben Eingang in die konventionelle Schmerztherapie gefunden.

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Frage 201 Ein Patient leidet unter einem schmerzhaften Ulkus, das nicht ausreichend mit systemischer Schmerztherapie kontrolliert werden kann. Gibt es zusätzliche Möglichkeiten aus der Komplementärmedizin? Es besteht u. a. die Möglichkeit, mit einer Kombination aus Neuraltherapie (Infiltration der Wundumgebung mit Lokalanästhetika, z. B. Procain 1 %) und Lavendelölauflagen die Schmerzen zu lindern und ggf. die Wundregeneration anzuregen. Eine regelmäßige Infiltration der Wundumgebung mit Unterspritzung des Ulkusgrunds 2 × pro Woche mit Procain 1 % über mindestens 4 Wochen kann zunächst zu einer Erhöhung der Durchblutung der Ulkusumgebung und zur Desensibilisierung exzitierter Nervenendigungen führen. Procain 1 % ist in diesem Zusammenhang von Vorteil aufgrund der starken Effekte auf die lokale Durchblutung und der geringen Myotoxizität. Eine Unverträglichkeit ist vorab zu testen. Im Anschluss kann dann mittels Lavendelölauflagen die Wundgranulation und Regeneration unterstützt werden. Verwendet wird reines Lavendelöl, abgedeckt mit klassischen sterilen Wundkompressen und Tüllverband. Intermittierend können auch mit Procain 1 % getränkte Wundauflagen benutzt werden. In Grundlagenuntersuchungen konnten die positiven Wirkungen von Lavendelöl auf die Kollagensynthese und den epidermalen Wachstumsfaktor beobachtet wurden.

Frage 202 Welche Möglichkeiten gibt es, die Sturzgefahr bei degenerativen Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium zu verringern? Regelmäßige Tai-Chi-Übungen unter medizinischer Anleitung führen zu einer deutlichen Reduktion der Sturzgefahr. Dies gilt für neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson und für Osteoporose. Klinische Untersuchungen zeigen auch im Vergleich mit Physiotherapie oder Gymnastik eine signifikante und deutliche Reduktion von Stürzen sowie von Stürzen mit Verletzungsfolgen. Voraussetzung ist

Schmerztherapie das kontinuierliche Üben 1–3 Stunden pro Woche über mindestens 12 Wochen. Ebenso sind in qualitativ hochwertigen kontrollierten Studien Wirkungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit beschrieben sowie auf Schlafstörungen bei Brustkrebspatientinnen.

Frage 203 Wie können Spannungskopfschmerzen nichtmedikamentös bei Palliativpatient*innen behandelt werden? Zum Einsatz können klassische Naturheilverfahren, psychologische Entspannungsverfahren, Bewegungstherapien sowie Stimulationsverfahren wie transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und Akupunktur kommen. Eine Möglichkeit ist die Anwendung von Wickeln ätherischer Öle, welche lokal als auch aromatherapeutisch wirken können. Zunächst ist zu differenzieren, ob dem /der Patientin Kühle oder Wärme gut tut. Dementsprechend werden kühlende oder wärmende Öle verwendet. Als kühlende Öle bieten sich an Eukalyptus glob. 5 Tropfen (Tr), Pfefferminze 5 Tr, Cajeput 10 Tr., Rosmarin 5 Tr, Melisse 1 Tr, Weihrauch 3 Tr, Arnikamazerat 45 g oder Kokosöl 5 g. Bringt Wärme Linderung bieten sich Ingwer 5 Tr, Lemongras 3 Tr, Nelke 2 Tr. Pfeffer 2 Tr, Majoran 5 Tr oder 20 ml Johanniskrautöl an. Grundsätzlich gibt es 2 Möglichkeiten, ätherische Öl-Wickel anzuwenden: 1. Als getränkte Kompresse: Das Öl kann, wenn Wärme als angenehm empfunden wird, vor der Anwendung in der Flasche im Wasserbad erwärmt werden. Die Öltropfen werden auf eine Kompresse geträufelt, die auf das zu behandelnde Areal aufgelegt wird, mit einem Baumwolltuch abgedeckt und mit einem Wolltuch umwickelt. Apotheken können in äther. Öle getränkte Kompressen fertig herstellen und verpacken. 2. Anwendung als Creme: Ätherische Ölmischungen können von Apotheken in eine Salbe eingearbeitet werden, sodass diese auf das zu behandelnde Areal aufgetragen werden kann. Diese Salbe fettet und transportiert die ätherischen Öle in die Haut, zudem ist sie abwaschbar. Neben der lokalen Wirkung werden auch aromatherapeutische Effekte wirksam. Die Öle eignen sich auch zur Akupressur z. B. an den lokalen Punkten Gallenblase 20 (subokzipital), Tai Yang (Schläfe),

Gallenblase 14 (supraorbital) oder Yin Tang (oberhalb Nasenwurzel). Unterstützend kann Weidenrindentee wirken: 2–3 g fein geschnittene oder grob pulverisierte Weidenrinde in 150 ml kaltem Wasser versetzen, Ansatz zum Kochen bringen, vom Herd genommen und nach 10 Minuten abgeseiht, 3–5 mal eine Tasse. Eine großen Bedeutung haben bei Spannungskopfschmerzen Entspannungsverfahren und psychotherapeutische Ansätze. Zur peripheren Stimulation kann TENS an beiden Händen (Kaada Stimulation angewendet werden. Die Elektroden jeweils an der ulnaren Handkante (Akupunkturpunkt Dünndarm 3) sowie zwischen Daumen und Zeigefinger über dem Adductor pollicis (Akupunkturpunkt Di 4) anlegen. Die Stimulationsfrequenz muss individuell ausgetestet werden, entweder niedrigfrequent mit 2–10 Hz, hochfrequent mit 80–120 Hz oder im Wechsel (sogenannte HAN Frequenz). Akupunktur und Akupressur sollten ebenso eingesetzt werden z. B. (Leber 3, Tai Yang, Yin Tang, Drei Erwämer 5, Lenkergefäß 20, lokale Spannungspunkte, Triggerpunkte im M. levator, M. trapezius, M. splenius capitis und andere. Die SchröpfkopfMassage der HWS- und Schultermuskulatur kann Spannung aus der Muskulatur holen, zumal der muskuläre Hypertonus der perikranialen und der HWS-Muskulatur einen Trigger für Spannungskopfschmerzen darstellt. Darüber hinaus ist das Motivation zur Bewegung (z. B. Yoga, Qigong) und zum Erlernen von Entspannungsmethoden essentiell.

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2.2.11 Strahlentherapie zur Schmerztherapie Franziska Hessel

Frage 204 Welche Rolle spielt die Strahlentherapie in der Schmerztherapie? Die Bestrahlung ist ein einfach durchzuführendes Verfahren mit guter Ansprechrate. Sie hat ein breites Spektrum möglicher Indikationen und ist kostengünstig. Die Strahlentherapie kann bei einer Vielzahl von tumorbedingten Schmerzen eingesetzt werden. Hauptsächlich kommt sie bei schmerzhaften Knochenmetastasen zum Einsatz. Weitere Indikationen sind Schmerzen durch Infiltration bzw. Druck auf Ner-

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Schmerztherapiegrundlagen vengewebe wie z. B. bei Pancoast-Tumoren oder Weichteilmetastasen. Seltenere Indikationen sind Kapselspannungsschmerzen infolge von Lebermetastasen oder bei ausgeprägter Splenomegalie bei chronischen Leukämien. Die Bestrahlungen können meist in einfacher Technik in einer bis einigen wenigen Fraktionen durchgeführt werden. Dabei lassen sich Ansprechraten von bis zu 90 % erreichen.

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Frage 205 Welche Problematik kann sich bei der Planung und Durchführung einer palliativen Strahlentherapie bei Schmerzen ergeben? Die Positionierung bzw. Lagerung des Patienten zur Bestrahlung kann aufgrund der bestehenden Schmerzen schwierig bis unmöglich sein. Ausreichende Analgesie im Vorfeld und zur Bestrahlung und eine sorgfältige Auswahl der Lagerungshilfen sind notwendig. Zur Durchführung der Bestrahlung sind eine stabile und reproduzierbare Lagerung und eine Immobilisierung des Patienten auf dem Behandlungstisch für ca. 10 Minuten erforderlich. Dadurch können Schmerzen akut verstärkt werden, oder eine adäquate Lagerung des Patienten ist schmerzbedingt gar nicht möglich. Eine ausreichende medikamentöse Schmerzeinstellung, insbesondere auch eine geeignete Anpassung der Bedarfsmedikation vor Beginn einer Strahlentherapie, ist deshalb unbedingt notwendig. Eine sorgfältige Auswahl geeigneter Lagerungshilfen zur Durchführung der Bestrahlung erhöht zusätzlich die Toleranz der Behandlung durch den Patienten. Nur in Ausnahmefällen, z. B. bei medikamentös nicht beherrschbaren stärksten Schmerzen, kann eine Bestrahlung in Sedierung oder gar Narkose erwogen werden.

Drohende oder bereits eingetretene pathologische Frakturen oder metastasenbedingte Kompressionen von Rückenmark oder Cauda equina bezeichnen „komplizierte“ Metastasen, „unkomplizierte“ Metastasen sind entsprechend ohne diese Komplikationen. Die meisten Daten zur palliativen Strahlentherapie beziehen sich auf „unkomplizierte“ schmerzhafte Knochenmetastasen. Bei Vorliegen einer „komplizierten“ Knochenmetastase sollte zunächst die Möglichkeit einer operativen Dekompression und/oder Stabilisierung geprüft werden mit anschließender konsolidierender Bestrahlung.

Frage 207 Wie schnell ist mit einem Wirkeintritt der Strahlentherapie bezüglich der Schmerzlinderung zu rechnen und was ist entsprechend bei der begleitenden medikamentösen Schmerzbehandlung zu beachten? Die Schmerzlinderung tritt oft verzögert 1–4 Wochen nach Therapiebeginn ein. Entsprechend muss die Schmerzmedikation im weiteren Verlauf angepasst werden. Die Schmerzlinderung setzt meist 1–4 Wochen nach Therapiebeginn ein und stabilisiert sich nach 1– 2 Monaten. Zu Beginn der Behandlung ist eine temporäre Verstärkung der Schmerzen möglich. Patienten mit zusätzlicher medikamentöser Schmerzbehandlung sollten mindestens bis zum Erreichen eines stabilen Therapieeffekts engmaschig evaluiert werden, um die Schmerzmedikation entsprechend anzupassen. Dies gilt insbesondere bei Behandlung mit Opioiden, da sonst im weiteren Verlauf eine Überdosierung mit den entsprechenden Folgen entstehen kann.

Frage 206 Frage 208 Schmerzhafte Knochenmetastasen stellen eine der häufigsten Indikationen zur palliativen Strahlentherapie dar. Hierbei wird zwischen „unkomplizierten“ und „komplizierten“ Metastasen unterschieden. Was versteht man darunter?

Mit welcher Ansprechrate und Wirkdauer bezüglich der Schmerzlinderung kann bei palliativer Bestrahlung schmerzhafter Knochenmetastasen gerechnet werden? Mit einer Ansprechrate von 60–90 %. Die mittlere Wirkdauer wird mit 11–24 Wochen angegeben.

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Schmerztherapie In den Studien zur palliativen Strahlentherapie von schmerzhaften Knochenmetastasen wurde das Therapieansprechen mit verschiedenen Methoden bewertet, daher ergeben sich in der Literatur unterschiedliche Angaben zur Wirksamkeit. Eine Schmerzreduktion kann bei 60–90 % der behandelten Metastasen erreicht werden, in 15–40 % der Fälle sogar Schmerzfreiheit. Die Wirkdauer wurde in vielen Studien nicht untersucht bzw. berichtet. Verfügbare Angaben dazu schwanken zwischen 11 und 24 Wochen.

Frage 209 Weltweit kommen bei der palliativen Bestrahlung schmerzhafter Knochenmetastasen viele unterschiedliche Bestrahlungsschemata zur Anwendung. Die Bestrahlung kann mit einer einzigen Fraktion, z. B. 1 × 8 Gy, oder unterschiedlich stark fraktioniert erfolgen, z. B. mit 10 × 3 Gy oder 25 × 2 Gy. Worin liegen die Vorteile bzw. Nachteile der verschiedenen Bestrahlungsschemata? Gleiche Wirkung bezüglich der Schmerzreduktion, unterschiedliche Belastung durch die Behandlungszeit, möglicherweise Auswirkungen auf die Wiedererlangung der Knochenstabilität. Mehrere randomisierte Studien haben gezeigt, dass eine einmalige Bestrahlung mit höherer Dosis die gleiche Wirkung auf die Schmerzen hat wie die Bestrahlung mit mehreren kleineren Fraktionen. Eine kurze Behandlungsdauer ist besonders für Patienten in reduziertem Allgemeinzustand, kurzer noch zu erwartender Lebenszeit oder auch Patienten mit langem Anfahrtsweg zur Strahlentherapie von Vorteil. Bei Patienten mit besserer Prognose sollten im Hinblick auf die möglicherweise bessere Wiedererlangung der Stabilität (Rekalzifizierung) des behandelten Knochens stärker fraktionierte Bestrahlungsschemata bevorzugt werden. Bei insgesamt höherdosierter oder stereotaktischer Bestrahlung kann unter Umständen eine langfristige Kontrolle der behandelten Metastase erreicht werden. Dieses Vorgehen ist jedoch nur bei einem selektionierten Patientengut und in Strahlentherapieenrichtungen mit entsprechender Erfahrung in diesem Gebiet sinnvoll.

Frage 210 Mit welchen akuten Nebenwirkungen ist bei einer Bestrahlung von Knochenmetastasen im Bereich der Extremitäten bzw. des Körperstamms zu rechnen?

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In Abhängigkeit von Lokalisation, Dosis und Ausdehnung des bestrahlten Gebiets treten meist nur geringe akute Nebenwirkungen auf. Bei Bestrahlung im Bereich der Extremitäten treten meist keine relevanten Nebenwirkungen auf. Im Bereich der Hals- bis zur unteren Brustwirbelsäule kann es zu Schluckbeschwerden im Sinne einer radiogenen Mukositis bzw. Ösophagitis kommen. Im Bereich der mittleren Brust- bis zur oberen Lendenwirbelsäule sind Übelkeit und Erbrechen möglich. Seltener ist Durchfall bei Bestrahlung im Bereich der Lendenwirbelsäule bzw. des Beckens. Liegen größere blutbildende Knochenmarkanteile im Bestrahlungsfeld bzw. ist die Hämatopoese insgesamt bereits eingeschränkt, muss das Blutbild engmaschig kontrolliert werden. Durch den üblichen Einsatz eher niedriger Gesamtdosen ist das Risiko für schwere Nebenwirkungen meist gering. Bei Kombination mit anderen Therapien, z. B. Chemo- und/ oder Immuntherapie, können trotzdem unerwartet starke Reaktionen auftreten.

Frage 211 Wie ist der schmerzlindernde Effekt der palliativen Strahlentherapie zu erklären? Multifaktoriell. Durch Tumorschrumpfung und Auswirkungen auf die Freisetzung von Mediatorsubstanzen. Die Ursachen der durch Knochenmetastasen hervorgerufenen Schmerzen sind multifaktoriell. Knochen, Knochenmark und Periost sind gut sensorisch innerviert und die Imbalance zwischen Osteoklasten und Osteoblasten spielt offenbar eine große Rolle. Viele Zytokine, Wachstumsfaktoren, Prostaglandine usw. werden bei der tumorbedingten Aktivierung der Osteoklasten freigesetzt. Ein gesteigerter intraossärer Druck durch die Tumorzellen oder ein Begleitödem wird angenommen. Die Wirkung der Strahlentherapie beruht nicht allein auf den Auswirkungen einer Schrumpfung der Metastase. Vielmehr ist ein bisher

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Schmerztherapiegrundlagen unzureichend geklärter Effekt auf die Ausschüttung der schmerzstimulierenden Mediatorsubstanzen wahrscheinlich.

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Frage 212 Ist die Durchführung einer 2. Bestrahlungsserie an derselben Lokalisation bei rezidivierenden Schmerzen möglich und sinnvoll?

pathologischen Frakturen im Bereich der Wirbelkörper können Knochenfragmente in den Spinalkanal dislozieren und zu einer Myelonkompression führen. Außerdem können sich Knochenfragmente bei mechanischer Belastung gegeneinander verschieben oder Pseudarthrosen bilden und so die Schmerzsymptomatik trotz Strahlenbehandlung aufrechterhalten.

2.3 Symptomkontrolle Die Ansprechrate bezüglich Schmerzreduktion ist ähnlich der Rate der primären Bestrahlung. Die Durchführbarkeit hängt ab von Dosis, Zeitintervall und Lokalisation der Vorbestrahlung. Reevaluierungen älterer Studien hinsichtlich dieser Problematik und neuere Studien zeigen, dass eine Wiederbestrahlung vergleichbar hohe Ansprechraten bezüglich der Schmerzlinderung wie die primäre Bestrahlung erreichen kann. Dabei hat eine einmalige Bestrahlung mit höherer Dosis die gleiche Wirkung auf die Schmerzen wie die Bestrahlung mit mehreren kleineren Fraktionen. Bei der Bestrahlungsplanung müssen die Toleranzen wichtiger benachbarter Organe, besonders die des Rückenmarks, berücksichtigt werden. Eine teilweise Erholung der gesunden Gewebe kann bei entsprechend langem Zeitintervall zur Vorbestrahlung berücksichtigt werden. Das individuelle Risiko für Schäden muss genau gegenüber dem möglichen Nutzen abgewogen und mit dem Patienten besprochen werden.

Frage 213 Warum sollte bei drohender oder bestehender Instabilität bzw. pathologischer Fraktur des betroffenen Knochens zunächst die Möglichkeit der operativen Stabilisierung geprüft werden? Eine Zunahme der Instabilität unmittelbar nach Strahlentherapie ist zu erwarten. Dislozierte Knochenfragmente sind strahlentherapeutisch nicht beeinflussbar.

2.3.1 Gastrointestinale Symptome Karin Jaroslawski, Gerhild Becker

Frage 214 Was sind die wahrscheinlichsten Ursachen für zunehmende Schluckschwierigkeiten bei Patienten mit Ösophaguskarzinom nach bereits länger zurückliegender Strahlentherapie? ● ● ●

Die häufigsten Ursachen für ösophageale Schluckstörungen sind Tumorstenosen, bedingt durch intraluminales Wachstum oder Kompression von außen, Stenosen durch Narbenbildung nach Operationen und Strahlentherapien sowie Entzündungen wie die durch Chemo- und Strahlentherapie induzierte Mukositis und Soorösophagitis.

Frage 215 Welche interventionellen Therapiemöglichkeiten können Sie einem Patienten mit Lokalrezidiv eines Ösophaguskarzinoms bei zunehmender Stenosierung zur Wiederherstellung der Passage anbieten? ●



Unmittelbar nach Strahlentherapie muss mit einer Zunahme der Instabilität des Knochens im bestrahlten Bereich gerechnet werden. Dies ist unter anderem durch eine Schrumpfung der Metastase bedingt. Ein Wiederaufbau des Knochens findet nur langsam statt, mit einer relevanten Rekalzifizierung ist frühestens 3 Monate nach Bestrahlung zu rechnen. Bei

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lokales Rezidiv postradiogene Veränderungen Ösophagitis



Tumorabtragung durch Laser oder ArgonPlasma-Koagulation Bougierung ohne oder mit Stent-Implantation Strahlentherapie (Brachytherapie)

Die Indikation zur interventionellen Therapie besteht bei Inoperabilität von malignen Ösophagusstenosen sowie bei Fistelbildung bei Patienten mit einer geschätzten Lebenserwartung von zumindest mehreren Wochen. Als weitere Therapieoptionen

Symptomkontrolle sind die fotodynamische Therapie, die nicht überall zur Verfügung steht, und die Möglichkeit der Kryoabtragung zu nennen. Beide Verfahren finden jedoch selten Einsatz. Schließlich ist noch die intratumorale Injektion wachstumshemmender Substanzen wie Zytostatika oder Alkohol zu erwähnen, die vor allem dann eingesetzt wird, wenn der Tumor aufgrund seiner Lokalisation für die anderen Verfahren nicht zugänglich ist.

Frage 216 Welche Medikamente, die häufig auch bei Palliativpatienten eingesetzt werden, können eine Schluckstörung begünstigen?

vor. Medikamentös steht neben pflegerischen Maßnahmen der Versuch der Reduktion der Speichelproduktion im Vordergrund. Als Möglichkeit kann bei frustranem anderweitigem Therapieversuch Botulinumtoxin A direkt in die Speicheldrüsen injiziert werden.

Frage 218 Mit welchen gezielten Fragen können Sie bei einem Patienten mit Erbrechen Hinweise darauf erhalten, ob möglicherweise eine zerebrale Ursache vorliegt? ● ●

● ● ● ● ●

Anticholinergika Neuroleptika Metoclopramid Kortikosteroide Sedativa

Anticholinergika bzw. Medikamente mit anticholinergen Nebenwirkungen (z. B. trizyklische Antidepressiva) können eine Schluckstörung durch die von ihnen verursachten trockenen Schleimhäute begünstigen. Neuroleptika und Metoclopramid können als zentral wirksame Dopaminantagonisten zu Ösophagusspasmen führen. Kortikosteroide verursachen unter Langzeittherapie eine Myopathie, die auch den Schluckakt mitbeeinträchtigen kann. Außerdem führen alle Medikamente mit Sedierung als Hauptoder Nebenwirkung bedingt durch die Vigilanzminderung zu einer Beeinträchtigung des bewussten Schluckakts.

Frage 217 Patienten mit ALS beklagen häufig eine Sialorrhö mit oder ohne Hypersalivation. Welche medikamentöse Behandlung können Sie anbieten?





systemisch eingesetzte, anticholinerg wirksame Medikamente wie Amitriptylin, Scopolamin, Atropin und Glycopyrrolat Lokaltherapie mit Botulinumtoxin

Zu unterscheiden sind die Sialorrhö mit vermehrter Speichelproduktion einerseits und eine Verminderung der Fähigkeit, den Speichel durch Schlucken abzutransportieren, auf der anderen Seite. Nicht selten liegt auch eine Kombination beider Störungen

„Besteht gleichzeitig auch Übelkeit?“ „Wann im Tagesverlauf tritt das Erbrechen auf?“ „Bestehen Begleitsymptome wie z. B. Kopfschmerzen, Schwindel oder Sehstörungen?“

Gefragt wird nach Hinweisen für eine Hirndrucksymptomatik wie Kopfschmerzen usw. Nicht selten tritt in Zusammenhang mit zerebralen Metastasen Erbrechen morgendlich ohne Ankündigung durch Übelkeit auf, sodass diese Information auch diagnoseweisend sein könnte. Bei fortgeschrittener Hirndrucksteigerung zeigen sich außerdem eine zunehmende Bewusstseinstrübung sowie Hypertonie und Bradykardie und eine Veränderung der Atmung, sodass der Gesamtzustand des Patienten auf die mögliche Ursache schließen lässt.

Frage 219 Ein Patient mit generalisierter arterieller Verschlusskrankheit (aVK) und schwerer koronarer Kardiopathie mit stark eingeschränkter Ventrikelfunktion klagt über anhaltende Übelkeit. Nennen Sie für diesen Patienten wahrscheinliche Ursachen der Nausea. ●



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● ● ● ●

Perfusionsstörung des Gastrointestinaltraktes venöser Rückstau mit Motilitätsstörung medikamentöse Therapie Elektrolytentgleisung Verschlechterung der Nierenfunktion

Die Ursachen, die in Zusammenhang mit der Grunderkrankung stehen, sind zunächst am naheliegendsten. Die arterielle Durchblutungsstörung und der venöse Rückstau tragen beide zur Störung der Motilität bei, außerdem ist die medikamentöse Dauer-

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Schmerztherapiegrundlagen therapie vor allem mit Acetylsalicylsäure ein möglicher Faktor, der berücksichtigt werden sollte. Aber auch die andere Medikation sollte kritisch evaluiert werden. Diuretika-Dauertherapie kann in einer Hyponatriämie resultieren, die wiederum ein emetogener Faktor sein kann, genauso wie die Urämie im Rahmen einer akuten Verschlechterung der Nierenfunktion bedingt durch die aVK und die Herzinsuffizienz. Im zweiten Schritt sind schließlich auch Ursachen unabhängig von der Grunderkrankung zu berücksichtigen.

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Frage 220

Frage 222 Frau Meier ist an einem Mammakarzinom erkrankt. Sie hat ausgedehnte ossäre Metastasen sowie eine Peritonealkarzinose entwickelt. Insgesamt zeigt die Erkrankung einen raschen Progress. Aktuell hat sie erneut eine Chemotherapie begonnen. Sie leidet nun unter einer stark ausgeprägten Übelkeit (ohne Erbrechen). Was könnten die wahrscheinlichsten Ursachen mit Blick auf die Erkrankungsgeschichte sein? ● ●

Antiemetika haben unterschiedliche Wirkmechanismen. Nennen Sie die Antiemetika, die (u. a.) über Dopaminrezeptoren wirken.

● ●

● ● ● ● ● ●

Metoclopramid Domperidon Alizaprid Haloperidol Levomepromazin Olanzapin

Domperidon wirkt nur an peripheren Dopaminrezeptoren und hat demnach auch keine zentralen Nebenwirkungen. Metoclopramid zeigt eine zentrale und periphere Wirkung. Neuroleptika wirken über die zentralen Dopaminrezeptoren im Bereich der Chemorezeptortriggerzone. Sie werden in sehr viel niedrigeren Dosen zur antiemetischen Therapie eingesetzt als zur antipsychotischen Behandlung.

Hyperkalziämie Motilitätsstörung, ggf. auch gastrointestinale Obstruktionen (maligne intestinale Obstruktion) Chemotherapie ggf. neu aufgetretene zerebrale Metastasen

Die Auswahl der Medikation zur Behandlung der Übelkeit ist idealerweise auf die mögliche Ursache abgestimmt. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass mehrere Ursachen gleichzeitig zugrunde liegen könnten. Die Übelkeit verursacht durch Hyperkalziämie würde eher mit einem zentral wirksamen Antiemetikum, z. B. Neuroleptikum (mit Wirkung über die Chemorezeptortriggerzone), behandelt werden, die Motilitätsstörung eher mit einem Prokinetikum (z. B. Metoclopramid), die Chemotherapie-induzierte Übelkeit mit 5-HT3-Antagonisten, die durch Hirndruck bedingte Übelkeit mit Dimenhydrinat und Dexamethason.

Frage 223 Frage 221 Übelkeit und Erbrechen treten als häufige Nebenwirkungen zu Beginn einer Opioidtherapie auf. Welche Antiemetika sind erste Wahl für die Prophylaxe bzw. Therapie? Haloperidol oder Metoclopramid. ●

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Die Wahl ist abhängig von der Gesamterkrankungssituation. Falls die Monotherapie nicht ausreichen sollte, kann in einem nächsten Schritt eine Kombination beispielsweise aus prokinetisch wirksamen Medikamenten mit breit wirksamen Neuroleptika (Levomepromazin oder Olanzapin) erfolgen. Schließlich kann auch ein 5-HT3-Antagonist zugegeben werden.

Im hausärztlichen Notdienst werden Sie zu einem Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung gerufen, der unter anhaltender Übelkeit mit Erbrechen leidet und der auf keinen Fall mehr stationär eingewiesen werden möchte. Eine orale Medikamenteneinnahme ist nicht möglich. Welche medikamentöse Behandlung zur Besserung der Übelkeit und des Erbrechens leiten Sie ein? Metoclopramid oder Dimenhydrinat rektal als Suppositorien oder Olanzapin als Schmelztablette unter die Zunge oder ein Neuroleptikum (Haloperidol oder Levomepromazin) subkutan.

Symptomkontrolle Bei anhaltender Übelkeit mit Erbrechen ist in der Regel eine orale Medikamentenapplikation nicht mehr möglich. Deshalb wird eine Umstellung der Medikation auf andere Applikationsformen notwendig. Im vorliegenden Fall könnte ein Versuch mit sublingualer Medikationsgabe unternommen werden. Dies wäre mit Olanzapin oder auch mit einem 5-HT3-Antagonisten (z. B. Ondansetron), jeweils als Schmelztablette, möglich, aber auch mit unverdünnten Levomepromazintropfen, sublingual appliziert. Eine Alternative könnte die rektale Gabe darstellen, die jedoch für viele Patienten eher unangenehm ist. Metoclopramid oder Dimenhydrinat sind als Suppositorien verfügbar. Sollte auch diese Möglichkeit nicht infrage kommen, können Neuroleptika (Haloperidol oder Levomepromazin) subkutan gespritzt werden. Für beide wäre dies ein Off-Label-Use. Das ist entsprechend bei der Aufklärung des Patienten und für die Dokumentation zu berücksichtigen.

Frage 224

Schluckauf entsteht durch Affektion des N. vagus, des N. phrenicus oder sympathischer Fasern (Th 6– Th 12). Häufigste Ursache bei Palliativpatienten ist die Magenüberdehnung, z. B. durch ein Abflusshindernis bei hohem Ileus oder Pylorusstenose, aber auch durch Stase bei paralytischem Ileus. Andere „Raumforderungen“ wie Hepatomegalie, ausgedehnte Lymphknotenmetastasen im Bereich des Truncus coeliacus oder eine großknotige Peritonealkarzinose können ebenfalls Schluckauf verursachen. Singultus kann aber auch infolge von Entzündungen wie Gastritis, Pneumonie, subphrenischem Abszess, Enzephalitis oder Pankreatitis auftreten, genauso wie durch Raumforderungen im Bereich des Mediastinums. Erkrankungen des Zentralnervensystems oder auch Intoxikationen (z. B. Alkohol) und metabolische Veränderungen (Urämie, Diabetes mellitus) können ebenfalls über eine Störung der zentralen Steuerung des Reflexes zu Schluckauf führen.

Frage 225

Ein Patient mit fortgeschrittenem metastasiertem Kolonkarzinom stellt sich bei Ihnen mit seit 48 Stunden anhaltendem Schluckauf vor. Welche wichtigsten Ursachen ziehen Sie bei diesem Tumorpatienten in Betracht?

Welche medikamentösen Therapiemöglichkeiten können Sie einem Palliativpatienten mit anhaltendem Singultus anbieten? ● ●

● ● ● ● ● ●

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Magenüberdehnung (Entleerungsstörung) Hepatomegalie Tumorinfiltration des Zwerchfells mediastinale Tumormasse Hirnödem durch Metastasen Infektionen (Peritonitis, Pneumonie)

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Prokinetika Neuroleptika (Haloperidol, Levomepromazin) Baclofen Antiepileptika Benzodiazepine

Die Wirkmechanismen der am häufigsten eingesetzten Medikamente bei Schluckauf sind in ▶ Tab. 2.6 aufgelistet. Bei Therapieresistenz kann in Einzelfällen eine Blockade des N. phrenicus durchgeführt werden.

Tab. 2.6 Therapie des anhaltenden Schluckaufs. Wirkung

Substanzen

Reduktion der Magenüberblähung

Metoclopramid, Domperidon, Dimeticon

Muskelrelaxation

Baclofen

zentrale Reflexunterdrückung

Haloperidol, Levomepromazin, Midazolam, Gabapentin, Ketamin, Chloralhydrat

Membranstabilisierung

Nifedipin (Ca), Carbamazepin (Na), Lidocain (Na), Gabapentin (Ca), Valproinsäure (Na, Ca), Phenytoin (Na)

Tumorödemreduktion

Dexamethason, Prednisolon, Prednison

Sonstige

Methylphenidat, Carvedilol

Ca = Kalzium Na = Natrium

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 226

Stufe 4 (Off-Label-Use) Röntgenkontrastmittel oder Neostigmin erwägen

Welche körperlichen Symptome erwarten Sie bei einem Patienten mit ausgeprägter Obstipation?

2

● ● ● ● ● ● ● ●

kolikartige Schmerzen Tenesmen Übelkeit und Erbrechen Meteorismus Aufstoßen Völlegefühl Appetitverlust paradoxe Diarrhö

Eine hartnäckige Obstipation ähnelt symptomatisch einem zunehmenden Ileus. Dieser sollte daher differenzialdiagnostisch vor Einleitung einer die Peristaltik stimulierenden Therapie ausgeschlossen werden.

Stufe 3 hohe Einläufe und manuelle Ausräumung, bei opioidbedingter Obstipation Methylnaltrexon erwägen

Stufe 2 Gleitmittel, Suppositorien oder Klysmen, bei opioidbedingter Obstipation Methylnaltrexon erwägen

Stufe 1 osmotisch wirksames Laxans und stimulierendes Laxans

Stufe 0 Prophylaxe

Frage 227 Beschreiben Sie ein gestuftes Vorgehen zur Behandlung einer hartnäckigen Obstipation bei Palliativpatienten. ●





Zunächst erfolgt die Gabe von osmotisch wirksamen Laxanzien (z. B. Macrogol) in Kombination mit einem Stimulans (z. B. Natriumpicosulfat). Falls dies nicht ausreicht, werden rektale Abführmaßnahmen (Klysmen, Einläufe) durchgeführt, ggf. auch mit Gabe von Methylnaltrexon. Falls diese Maßnahmen nicht ausreichen, wird Röntgenkontrastmittel oder Neostigmin (OffLabel-Use) eingesetzt.

Ein Stufenplan zur Behandlung der Obstipation bei Palliativpatienten könnte wie in ▶ Abb. 2.1 dargestellt aussehen. Dabei sind jedoch immer die individuellen Begleitumstände eines Patienten zu berücksichtigen. Der Einsatz von Methylnaltrexon sollte bei Verdacht auf opioidinduzierte Obstipation frühzeitig erwogen werden. Gleitmittel wie Glyzerin werden unterstützend eingesetzt.

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Abb. 2.1 Stufenplan zur Therapie der Obstipation. (Quelle: Nach [9].)

Frage 228 Was ist differenzialdiagnostisch vor dem Einsatz von die Peristaltik stimulierenden Laxanzien zu klären? Eine intestinale Obstruktion muss ausgeschlossen sein. Durch Stimulation der Peristaltik besteht bei einer inkompletten oder kompletten intestinalen Obstruktion die Gefahr, dass der Patient abdominale Krämpfe erleidet und es zu einer Perforation kommt.

Symptomkontrolle Frage 229 Welcher Wirkmechanismus liegt Methylnaltrexon bei der Behandlung der Obstipation zugrunde, wie wird es angewendet und was ist bei der Anwendung zu berücksichtigen? ●

● ●

Antagonisierung der Opioidwirkung an den μ-Rezeptoren des Darmes Die Applikation erfolgt subkutan. Eine intestinale Obstruktion muss zuvor ausgeschlossen werden.

Methylnaltrexon wirkt als selektiver Opioidantagonist am peripheren μ-Rezeptor und antagonisiert die opioidbedingte Peristaltikhemmung. Die zentrale analgetische Wirkung der Opioide wird nicht beeinflusst, da Methylnaltrexon als quartäres Amin aufgrund seiner Lipophobie die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert. Methylnaltrexon kann bei anderweitig nicht kontrollierbarer opioidinduzierter Obstipation jeden 2. Tag oder in längeren Intervallen appliziert werden. Bei Patienten mit struktureller Schädigung des Darmes, z. B. bei Peritonealkarzinose mit obstruktiven Veränderungen, kann es nach der Anwendung zu Perforationen kommen, weshalb diesbezüglich eine Kontraindikation besteht. Die Dosierung erfolgt adaptiert an das Körpergewicht. Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Dosisreduktion erforderlich.

Frage 230 Ein Patient mit langjährigem Morbus Parkinson kann kaum noch schlucken. Er hatte sich bereits im Vorfeld gegen die Anlage einer PEG zur enteralen Ernährung entschieden. Er leidet jetzt zunehmend an einer hartnäckigen Obstipation, wobei er teilweise auch dünnflüssigen Stuhlgang absetzt. Früher hatte er ohne wesentlichen Erfolg bereits Natriumpicosulfat eingenommen. Überlegen Sie die wahrscheinlichste Ursache und beschreiben Sie einen nächsten therapeutischen Schritt. ●



Ursache könnte eine durch den Parkinson bedingte Motilitätsstörung sein. Bei den dünnflüssigen Stühlen könnte es sich um eine paradoxe Diarrhö handeln, die durch verhärteten Stuhlgang (Kotsteine) verursacht sein könnte.



Im ersten Schritt könnten rektale Abführmaßnahmen mit manueller Stuhlausräumung und mit hohen Einläufen durchgeführt werden.

2

Ursachen der Obstipation bei Patienten mit Morbus Parkinson sind in der Regel multifaktoriell. Durch die unter anderem durch neurogene Veränderungen und die L-Dopa-Therapie bedingte Motilitätsstörung sowie durch die gestörte neurogene Sphinkterkoordination kommt es zu Stuhlimpaktion, die wie ein stenosierender Darmprozess wirkt und damit zu paradoxen Diarrhöen führen kann. Im ersten Schritt werden rektale Abführmaßnahmen durchgeführt, die in der Regel zunächst an mehreren Tagen hintereinander notwendig sind. Da der beschriebene Patient auch unter einer Schluckstörung leidet, scheiden Weichmacher als Erhaltungsprophylaxe aus. Ggf. könnten die Peristaltik fördernde Medikamente wie Prucaloprid eingesetzt werden.

Frage 231 Ein Patient mit einer äthyltoxischen Leberzirrhose (Child-Pugh-Score C) mit progredientem Ikterus klagt über ausgeprägten Juckreiz. Was würden Sie ihm zur Linderung anbieten? ● ●

Hautpflege, Kühlung medikamentöser Therapieversuch mit Cholestyramin, SSRI oder Naltrexon

Der Pruritus kann in diesem Fall nicht durch eine Wiederherstellung des Galleabflusses behandelt werden. Zur Linderung stehen verschiedene topische Maßnahmen, beginnend mit guter Hautpflege, sowie kühlende, z. B. mentholhaltige Externa zur Verfügung. Häufig wird das Austauscherharz Cholestyramin eingesetzt, doch sind dabei die Einnahmefrequenz und der Abstand zur Nahrungsaufnahme nicht selten ein Hinderungsgrund für die zuverlässige Einnahme. Medikamentös wäre auch der Opioidantagonist Naltrexon eine Therapieoption, allerdings nur für Patienten, die nicht aus anderen Gründen mit einem Opioid behandelt werden. Als Alternativen kämen Rifampicin, welches allerdings auch hepatotoxisch wirkt, oder SSRI wie z. B. Sertralin oder Paroxetin in Betracht. Außer bei Cholestyramin handelt es sich dabei um Off-Label-Use.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 232 Herr Müller ist an einem ossär metastasierten Prostatakarzinom erkrankt. Wegen zunehmender Schmerzen wurde vor 8 Wochen eine Therapie mit retardiertem Hydromorphon eingeleitet, worunter eine deutliche Besserung eintrat. Allerdings leidet er seither trotz regelmäßiger Einnahme von Macrogol und Natriumpicosulfat unter einer hartnäckigen Obstipation. Welche Therapiemöglichkeiten würden Sie mit Herrn Müller besprechen?

2







Umstellung der Opioidtherapie auf ein Kombinationspräparat mit Oxycodon bzw. Naloxon oder regelmäßige Gabe eines selektiven Opioidantagonisten und/oder Intensivierung der Abführmaßnahmen durch regelmäßige rektale Maßnahmen wie Klysmen oder Einläufe

Die Kombination von Opioiden mit μ-Rezeptor-Antagonisten ist eine mögliche Therapieoption bei opioidinduzierter Obstipation immer dann, wenn die übliche Standardtherapie (z. B. mit Weichmacher + stimulierendem Laxans) trotz Dosissteigerung nicht ausreicht. Zur Gruppe der PAMORA (Peripheral acting μ-Opioidrezeptor-Antagonisten) zählen Methylnaltrexon, das zusätzlich zu den bisherigen Laxanzien alle 2 Tage subkutan appliziert wird, sowie Naloxegol oder Naldemedin zur täglichen oralen Einnahme. Bei allen μ-Rezeptor-Antagonisten sind Organfunktionseinschränkungen und Wechselwirkungen bei der Dosierung zu berücksichtigen.

Frage 233 Eine Patientin mit maligner intestinaler Obstruktion bei Ovarialkarzinom lehnt eine interventionelle Therapie einschließlich transnasaler Magensonde und Anlage einer Ablauf-PEG ab. Sie klagt über ausgeprägtes Durstgefühl bei gleichzeitig zunehmenden Ödemen der unteren Körperhälfte. Welche Maßnahmen könnten der Patientin Erleichterung verschaffen? ● ● ● ● ●

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sorgfältige Mundpflege regelmäßige Benetzung der Mundschleimhaut Lutschen von Eiswürfeln gefrorene Obststücke zum Lutschen Raumluftbefeuchtung

Durstgefühl wird häufig über trockene Mundschleimhaut vermittelt, sodass die sorgfältige Mundpflege die Basis der Behandlung darstellt. Eine regelmäßige Benetzung der Mundschleimhaut beispielsweise mit verschiedenen Flüssigkeiten (z. B. Lieblingsgetränken) über Sprühfläschchen und das Lutschen von Eiswürfeln oder gefrorenen Obststückchen können Erleichterung bringen, ebenso wie eine konsequente Raumluftbefeuchtung, z. B. nasse Handtücher auf die Heizung. Früher eingesetzte Ultraschallvernebler finden aus hygienischen Gründen keine Anwendung mehr. Eine Infusionstherapie führt in dieser Situation in der Regel nicht zum Ziel der Durstlinderung und würde im Falle der Patientin eher eine Zunahme der Ödeme bewirken.

Frage 234 Welches therapeutische Angebot können Sie einem bettlägerigen Patienten mit kleinzelligem Lungenkarzinom machen, der unter anhaltenden Diarrhöen verbunden mit Stuhlinkontinenz leidet, für die bislang keine behandelbare Ursache gefunden werden konnte? ● ●





Maßnahmen zur Anal- und Hautpflege Pausieren der Medikation, die Diarrhöen fördern könnte regelmäßige Gabe von Loperamid; falls nicht ausreichend, Opiumtinktur (oder Opioide) Erwägen eines Fäkalkollektors oder eines Stuhldrainagesystems

Pflegerische Maßnahmen zur Vermeidung von Hautarrosionen im perianalen Bereich haben einen hohen Stellenwert. Bei von Patienten oft sehr belastend empfundener Stuhlinkontinenz können Stuhlauffangsysteme wie Fäkalkollektoren oder Stuhldrainagesysteme hilfreich sein. Die Peristaltik hemmende Medikamente wie Loperamid und Opiumtinktur werden nach Effekt dosiert, d. h., die Dosis wird so lange langsam gesteigert, bis die gewünschte Wirkung einsetzt. Dabei wird durch eine engmaschige Therapieevaluation gewährleistet, dass in der Folge nicht eine anhaltende Obstipation entsteht. Vor dem Hintergrund des Verdachts auf eine Paraneoplasie könnte auch ein Therapieversuch mit Octreotid unternommen werden (Off-Label-Use).

Symptomkontrolle Frage 235 Nennen Sie die klassische Symptomtrias bei Patienten mit maligner intestinaler Obstruktion. ● ● ●

Schmerzen Übelkeit bzw. Erbrechen Obstipation bzw. Stuhlverhalt

Die Patienten zeigen klinische Anzeichen eines Ileus. Dabei können der malignen intestinalen Obstruktion unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Die Symptome können abhängig von der Lokalisation der Obstruktion unterschiedlich ausgeprägt sein.

intestinale Obstruktion inkomplett Versuch der Verbesserung der Passage:

Versuch der Wiederherstellung der Passage:

• endoskopischinterventionell • medikamentös • Einläufe • ggf. parenterale Zusatzernährung und Flüssigkeitssubstitution

• Operation • endoskopischinterventionell

Frage 236

Zur medikamentösen Therapie werden bei der inkompletten Obstruktion Prokinetika und Stimulanzien sowie zur Abschwellung Steroide eingesetzt. Falls die Passage nicht wiederhergestellt werden kann, wird die Therapie auf nicht prokinetisch wirksame Antiemetika (z. B. Neuroleptika) und Sekrethemmung (beispielsweise durch Octreotid) umgestellt. Die Schmerztherapie kann neben Opioiden auch krampflösende Medikamente wie z. B. N-Butylscopolamin umfassen.

2

nicht möglich

konservativ:

keine Besserung

Wie kann sich das therapeutische Vorgehen bei inkompletter intestinaler Obstruktion von demjenigen bei kompletter Obstruktion unterscheiden? Bei inkompletter Obstruktion erfolgt ein konservativer Therapieversuch zur Passageerhaltung (Steroide, Prokinetika, protrahierte Abführmaßnahmen), ggf. eine operative oder andere interventionelle Maßnahme. Bei kompletter Obstruktion wird, falls keine operative Therapie infrage kommt, konservativ mittels Ablaufsonde (nasogastral oder mit PEG bzw. PEJ [perkutane endoskopische Jejunostomie]) und medikamentös symptomlindernd behandelt (siehe ▶ Abb. 2.2).

komplett

• Ablauf: Magensonde oder PEG • medikamentös • parenterale Ernährung und Flüssigkeitssubstitution

Abb. 2.2 Therapie der malignen intestinalen Obstruktion. (Quelle: Nach [9].)

Frage 237 Was sind die häufigsten Ursachen für Entzündungen der Mundschleimhaut bei Palliativpatienten? ● ●

● ●

Chemo- und/oder Strahlentherapie Infektionen (Pilze, Viren, Bakterien), bedingt durch Immunsuppression, Antibiotika und Steroide Mundtrockenheit Malnutrition (Vitamin-, Eiweiß- oder Eisenmangel)

Grundsätzlich können auch mechanische Reize, Allergien und Hitzeeinwirkungen eine Mukositis verursachen, außerdem begünstigen Faktoren wie eine schlechte Mundhygiene, Nikotin- und Alkoholkonsum deren Entstehung.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 238 Ein Patient mit inoperablem Magenkarzinom, der mit einer Witzel-Fistel zum Ablauf versorgt ist, blutet wiederholt aus dem Tumor. Endoskopisch gibt es keine Möglichkeit der Blutstillung mehr. Wie gehen Sie bei der nächsten Blutung vor?

2





● ● ●



Vorausschauende Planung mit Patient und Angehörigen in Abhängigkeit des Therapiewunsches Besprechen eines begrenzten Transfusionsversuchs, ggf. Gerinnungsstabilisierung im Vorfeld und Sicherstellen des Ablaufs über die Witzel-Fistel Eiswasserspülungen Tranexamsäure systemisch oder als Spülung adstringierende oder vasokonstriktorische Wirkstoffe als Spülung über die Witzel-Fistel bei persistierender Blutung und Angst Besprechung einer Sedierung als mögliche Option

parate, als Speichelersatz angeboten, werden häufig von Patienten nicht gut toleriert. Deshalb ist ein fantasievoller und kreativer Umgang mit der Mundpflege gefordert. Benutzt werden kann alles, was dem Patienten angenehm ist und schmeckt, angefangen von Champagnerspray über Kinderbrausepulver bis hin zu gefrorenen Ananasstückchen. Alles, was die Speichelsekretion anregt, wie das Kauen von Kaugummi (oder anderem), saure Getränke und Speisen oder die Massage der Speicheldrüsen, kann die Mundtrockenheit ebenfalls verbessern.

Frage 240 Worauf liegt das Hauptaugenmerk bei der Behandlung enterokutaner Fisteln bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung? ● ● ●

In der vorliegenden Situation hat die vorausschauende Planung gemeinsam mit dem Patienten und dessen Angehörigen einen wichtigen Stellenwert. Bei fehlender Option zur Blutstillung ist eine Massentransfusion nicht indiziert, jedoch könnte im Hinblick auf ein spontanes Sistieren der Blutung oder nach Wirkung der Tranexamsäure als Antifibrinolytikum ein begrenzter Transfusionsversuch mit dem Ziel der Symptomlinderung durchaus eine Möglichkeit darstellen. Für den Fall einer akuten Blutung mit ausgeprägter Begleitsymptomatik wird die Möglichkeit einer gezielten Sedierung bereits im Vorfeld mit dem Patienten besprochen.

Auffangen des Sekrets Vermeiden von Hautirritationen Vermeiden bzw. Reduktion von unangenehmen Gerüchen

Bei Palliativpatienten ist in aller Regel nicht der Fistelverschluss das Hauptziel der Intervention, sondern es steht die Optimierung der Versorgung im Vordergrund. Unter Umständen kann eine medikamentöse Sekretreduktion durch N-Butylscopolamin oder Octreotid sinnvoll sein. Bei starker Geruchsbildung können ein Therapieversuch mit Metronidazol (Anaerobierbesiedelung) und die Verwendung von Auffangbeuteln mit Kohlefiltern Besserung bringen. Ansonsten hilft es, für eine gute Raumbelüftung zu sorgen und je nach Vorlieben (maßvoll) eine Raumbeduftung mit ätherischen Ölen zu verwenden.

Frage 239 Frage 241 Mundtrockenheit wird häufig von Patienten nach Chemo- oder Immuntherapien und Bestrahlungen (vor allem im Oropharynxbereich) beklagt. Welche Maßnahmen zur Symptomkontrolle können Sie anbieten?

Welche Wirkungen von Octreotid macht man sich für die Symptomkontrolle in der Palliativmedizin zunutze? ●

● ● ● ●

gute Mund-, Zahn- und Lippenpflege regelmäßige Benetzung der Schleimhaut Überprüfung der Medikamente Raumluftbefeuchtung

Die Benetzung der Mundschleimhaut kann sich in Abhängigkeit von den Vorlieben und Abneigungen des Patienten unterschiedlich gestalten. Fertigprä-

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● ●

Minderung des Blutflusses im Splanchnikusgebiet direkte Reduktion der intestinalen Sekretion Hemmung der gastrointestinalen Motilität

Octreotid hemmt als Somatostatinanalogon sowohl die exokrine als auch die endokrine gastrointestinale Sekretion, vermindert den Blutfluss und hemmt

Symptomkontrolle die gastrointestinale Peristaltik sowie die Kontraktion der Gallenblase. In der Palliativmedizin wird der Einsatz über die Zulassung hinaus im Off-Label-Gebrauch erweitert ● auf anderweitig nicht kontrollierbare Diarrhöen (Graft-versus-Host-Erkrankung, nach Strahlenund Chemotherapien, HIV-assoziiert [assoziiert mit einer Infektion durch das humane Immunschwächevirus]), ● wegen der Minderung des Blutflusses auf Ösophagusvarizenblutungen und ● mit dem Ziel der Sekretreduktion auf enterokutane Fisteln und inoperable maligne intestinale Obstruktionen.

Frage 243 Nennen Sie Situationen, bei denen die Anlage einer PEG zum Ablauf bei maligner intestinaler Obstruktion relativ oder absolut kontraindiziert ist. ●



● ● ● ● ●

2

ausgeprägte Peritonealkarzinose im Oberbauch rasch nachlaufender Aszites auch in den oberen Quadranten Erbrechen trotz liegender Magensonde Gerinnungsstörung ausgedehnte Voroperationen stark reduzierter Allgemeinzustand fehlende Patienteneinwilligung

Frage 242 Ein Patient mit einem progredienten weit fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Lungenkarzinom leidet an ausgeprägter Appetitlosigkeit. Die Frage nach Übelkeit und Erbrechen wird verneint. Eine enterale oder parenterale Ernährung kommt nicht in Betracht. Es liegt keine anderweitig zu behandelnde Ursache zugrunde. Welches therapeutische Angebot würden Sie dem Patienten machen?

Die Indikation zur Anlage einer Ablauf-PEG bei Ileussymptomatik ist sorgfältig abzuwägen, da diese mit einer nicht unerheblichen Komplikationsrate verbunden sein kann.

2.3.2 Dermatologische Symptome Matthias Helmut Schmidt

Frage 244 ●







Gespräch gemeinsam mit dem Patienten und den Angehörigen, um den Druck, Essen zu müssen, zu reduzieren Information der Angehörigen über andere Möglichkeiten der Zuwendung Ernährungsberatung: öfter kleine Snacks mit Lieblingsessen, gemeinsame Mahlzeiten medikamentöser Versuch der Appetitsteigerung: Steroid, Megesterol oder Dronabinol

Sie betreuen einen Palliativpatienten, der aufgrund eines Mundbodenkarzinoms eine Radiotherapie erhielt. Der Patient klagt seither über Mundtrockenheit. Welche Möglichkeiten zur Behandlung der Xerostomie schlagen Sie vor? ● ● ●

Nicht selten stellt der durch Angehörige auf den Patienten ausgeübte Druck zu essen das größte Problem dar, sodass hier ein wesentlicher Ansatzpunkt für eine therapeutische Intervention liegt. Eine gezielte Ernährungsberatung, die alles erlaubt, was gerne gegessen wird, kann eventuell wieder mehr Freude am Genuss vermitteln. Die medikamentöse Appetitstimulierung kann bei ausgeprägtem Leidensdruck als begrenzter Behandlungsversuch unternommen werden. Dabei sind entsprechende Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Das ohnehin erhöhte Thromboserisiko bei Tumorpatienten wird durch Megestrol zusätzlich erhöht, Dronabinol kann Müdigkeit verstärken und Dexamethason oder Prednisolon erhöhen das Risiko für Soor und Schädigung der Magenschleimhaut.



regelmäßige Mundbefeuchtung Anregung des Speichelflusses medikamentöse Behandlung (z. B. Pilocarpin) Speichelersatzpräparate

Durch das regelmäßige und schluckweise Trinken werden Mund und Lippen feucht gehalten. Bevorzugt sollten zu diesem Zweck Hagebuttentee oder (Mineral-)Wasser getrunken werden. Falls den Patienten Trinken nicht mehr möglich ist, kann die Mundschleimhaut mit einem Sprühfläschchen oder Schwämmchen befeuchtet werden. Durch Lutschen saurer Bonbons oder von gefrorener Ananas und durch Massage der Speicheldrüsen wird die Speichelproduktion angeregt. Unterstützend können Mundspüllösung aus verdünntem Pilocarpin AT 2 % (Off-Label-Use) oder Speichelersatzpräparate angewendet werden.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 245 Sie betreuen eine Palliativpatientin, die aufgrund eines Tumors eine Radiotherapie erhielt. Was sollte bezüglich der Hautbereiche, die im Strahlungsfeld lagen, vermieden werden?

2

Soweit möglich, sollten mechanische, chemische und/oder thermische Reize vermieden werden. Die Patientin sollte im Bereich des Strahlungsfeldes lockere, nicht scheuernde Kleidung tragen. Durch den Verzicht auf Schmuck werden mechanische Reize minimiert. Bei der Körperpflege sollten Seife und Parfüm vermieden werden. Des Weiteren sollten direktes Sonnenlicht vermieden und an der betroffenen Körperregion keine kühlenden Maßnahmen angewandt werden.

Frage 246 Sie haben bei Ihrer Patientin mit Ovarialkarzinom eine Aszitesdrainage entfernt. Durch die Einstichstelle tritt weiterhin Aszites aus. Wie versorgen Sie die Einstichstelle? Sie versorgen die Einstichstelle am besten mit einem aufklebbaren Drainagebeutel. Der Beutel kann meist so lange belassen werden, bis kein weiterer Aszites mehr abläuft. Ein trockener Verband würde durchnässen und müsste oft gewechselt werden. Der Einsatz eines Drainagebeutels verbessert den Patientenkomfort und verringert zudem die Behandlungskosten.

Frage 247 Sie betreuen einen Palliativpatienten, der unter starker Dyspnoe leidet und Tag wie Nacht in sitzender Position im Bett verbringt. Die Pflegekräfte berichten Ihnen, dass der Patient stark dekubitusgefährdet sei, er aber keine regelmäßige Neupositionierung zur Dekubitusprophylaxe toleriere. Sie erachten jedoch den mehrmals täglichen Positionswechsel als notwendig. Wie verhalten Sie sich? ●



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Sie vermitteln zwischen Pflegepersonal und Patient. Sie zeigen alternative Prophylaxemöglichkeiten auf und verordnen die geeigneten Maßnahmen.

Das Auftreten eines Druckgeschwürs wird häufig mit fachlicher Inkompetenz und unterlassener Hilfestellung assoziiert. In Konflikt dazu steht das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten. In diesem Spannungsfeld müssen Sie vermitteln. Dekubitusprophylaxe ist nicht nur mittels regelmäßigen Positionswechsels möglich, sondern auch durch weitere Maßnahmen wie z. B. die Weichlagerung auf einer speziellen Matratze und die Vermeidung von Reibungs- und Scherkräften. Entscheidenden Einfluss hat die Förderung der Mobilität. Physiotherapie fördert die Mobilität und kann verbunden mit Atemgymnastik auch die Dyspnoe lindern.

Frage 248 Ihre Palliativpatientin leidet an einem Dekubitus Grad III im Sakralbereich. Welche Anforderungen stellen Sie an die verwendeten Wundauflagen? ●

● ●

ausreichende Absorption von Wundsekret, Bakterien und Geweberesten Schutz vor Sekundärinfektionen kein Verkleben mit der Wunde

Verbandswechsel stellen für die meisten Betroffenen eine große Belastung dar. Je größer die Absorptionsfähigkeit der Wundauflage, desto länger kann der Verband belassen werden. Die Wundauflage darf für Mikroorganismen nicht durchlässig sein, um Sekundärinfektionen zu vermeiden. Besonders groß ist dieses Risiko bei inkontinenten Patienten. Um zusätzliche Traumata zu vermeiden, darf die Wundauflage nicht mit der Wundoberfläche verkleben.

Frage 249 Sie betreuen einen Palliativpatienten mit einem exulzerierenden Tumor am Hals. Sie vermuten, dass der Tumor in die A. carotis interna einbrechen und eine starke Blutung auslösen könnte. Welche Vorsorgemaßnahmen treffen Sie für diesen Fall? Erstellen eines Notfallplans. Die Möglichkeit einer starken Blutung muss mit dem Patienten und seinen Zugehörigen im Behandlungsteam angemessen und frühzeitig besprochen werden. Dabei werden alle Behandlungsziele und Maßnahmen festgelegt. Mögliches Behandlungsziel ist die Blutstillung oder, falls dies nicht möglich ist, die

Symptomkontrolle Schmerzlinderung und Sedierung. Eine Notfallbox mit allen notwendigen Medikamenten, Verbandmaterial sowie dunklen Tüchern im Zimmer des Patienten ermöglicht es den Pflegekräften oder den Ärzt*innen, beim Patienten zu bleiben und zügig die besprochenen Maßnahmen einzuleiten. Mögliche Maßnahmen sind die gezielte Sedierung z. B. mit Midazolam subkutan oder nasal sowie die Gabe von Opioiden zur Linderung von Schmerzen und Dyspnoe.

Frage 252 Ihr Patient leidet unter einem exulzerierenden Tumor. Nennen Sie die Hauptziele Ihrer Behandlung. ● ● ●

● ●

2

Schmerzlinderung Exsudatmanagement Vermeidung von Sekundärinfektionen und Blutungen Geruchsreduktion akzeptables optisches Erscheinungsbild

Frage 250 Wie lautet die Grundregel bei der Wundversorgung von Palliativpatientinnen und -patienten? Heilung ist nicht das oberste Ziel! Ziel ist es vielmehr, die belastenden Symptome zu lindern und Lebensqualität zu verbessern. An erster Stelle steht dabei, den Wundschmerz an sich sowie auch Schmerzen bei der Wundversorgung zu vermeiden. Aber auch Gerüche und Belastung durch Exsudat bedürfen der Linderung. Besonders bei exulzerierenden Tumorwunden gilt ein besonderes Augenmerk der psychosozialen Betreuung der Betroffenen und Zugehörigen.

Frage 251 Definieren Sie den Begriff „maligne Wunde“. Maligne Wunden entstehen durch eine Infiltration primärer Hautmalignome oder von Hautmetastasen in die Kutis. Es können flächenhafte Ulzerationen der Haut mit knotigen, hypertrophen Neubildungen ohne vollständige Epithelisierung entstehen. Zwischen 5 und 10 % aller Menschen mit einer Krebserkrankung leiden in den letzten 6–12 Monaten ihres Lebens unter einer malignen Wunde. Bei über 60 % der Betroffenen liegt als Grunderkrankung ein metastasiertes Mammakarzinom zugrunde.

Die Behandlung der Schmerzen erfolgt anhand des WHO-Stufenschemas. Die Gabe einer Bedarfsmedikation 30–45 min vor dem Verbandswechsel erleichtert in der Regel eine schmerzarme Wundversorgung. Der Einsatz von Lokalantiseptika verringert das Risiko von Sekundärinfektionen und trägt gleichzeitig zur Geruchsreduktion bei. Das verwendete Verbandsmaterial sollte möglichst hautfarben sein, um die soziale Isolation des Patienten zu verhindern.

Frage 253 Ihr Patient hat einen exulzerierenden Oropharynxtumor. Bei jedem Verbandwechsel treten kleine, oberflächliche Blutungen auf. Welche Maßnahmen führen Sie zur Blutstillung durch? ● ● ●

lokale Kompression vasokonstriktive Maßnahmen gerinnungsfördernde Maßnahmen

Die lokale Kompression wird häufig wegen der Schmerzen nur schlecht toleriert. Mit Adrenalin getränkte Kompressen führen durch Vasokonstriktion zur Blutstillung. Alternativ können abschwellende Nasentropfen oder eine Sucralfatsuspension eingesetzt werden (Off-Label-Use). Zusätzlich hilft die Kühlung der Wunde mit Cool Packs. Alternativ oder in Kombination damit fördern gerinnungsaktivierende Verbandmaterialien wie Kalziumalginate die Blutstillung. Ergänzend kann auch das Antifibrinolytikum Tranexamsäure systemisch (oral/i. v.) oder lokal angewandt werden (Off-Label-Use).

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 254

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Ihre Patientin leidet an einem exulzerierenden Tumor. Es kommt vermehrt zu einer unangenehmen Geruchsentwicklung. Welche lokal wirksamen Möglichkeiten gibt es zur Geruchskontrolle?

2

● ● ● ●

saugfähige Kohlekompressen Verwendung von Chlorophyll Einsatz von Lokalantiseptika Spülungen mit Antibiotika (z. B. Metronidazol)

Saugfähige Kohlekompressen wirken geruchsbindend. Chlorophyll wirkt desodorierend, überdeckt also den Wundgeruch. Es steht als Lösung oder als Dragees, die zermörsert werden müssen, zur Verfügung. Beim Einsatz von Chlorophyll ist darauf zu achten, dass dieses nicht direkt mit der Wunde in Kontakt kommt, sondern lediglich ein Bestandteil der Wundabdeckung ist. Die Spülung der Wunde mit Lokalantiseptika wie auch die lokale Anwendung von Antibiotika führen zu einer Reduktion der Keimzahl. Das wirkt sich positiv auf den Wundgeruch aus.

Frage 255 Ihr Patient leidet an einem exulzerierenden Tumor. Es kommt vermehrt zu einer unangenehmen Geruchsentwicklung. Welche Medikamente können systemisch zur Geruchskontrolle eingesetzt werden?



Das ablaufende Sekret wird in einem Fistelbeutel aufgefangen. Die Sekretmenge kann durch die Verwendung antisekretorischer Medikamente wie Butylscopolamin oder Octreotrid verringert werden. Die Umgebungshaut muss durch regelmäßige Wechsel der Fistelversorgung und Verwendung spezieller Hautpflegeprodukte vor dem aggressiven Sekret geschützt werden. Zur Geruchskontrolle können Produkte aus der Aromatherapie und Kohlefilter eingesetzt werden.

Frage 257 Definieren Sie den Begriff „Lymphödem“. Ein Lymphödem ist eine Ansammlung von eiweißreicher Flüssigkeit im Subkutangewebe. Bei Palliativpatienten handelt es sich meist um ein sekundäres Lymphödem, das durch die Erkrankung selbst oder durch deren Behandlung wie z. B. Bestrahlung verursacht wird.

Frage 258 Welche Hautpflegetipps können Sie Patientinnen und Patienten mit einem Lymphödem geben? ●

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Antibiotika (z. B. Metronidazol) Chlorophyll





Wundgeruch entsteht meist bei Besiedlung mit anaeroben Bakterien. Die 2 × tägliche Gabe von 400 mg Metronidazol (oral oder intravenös) reduziert die Keimzahl und damit auch den Geruch. Durch die Einnahme von 1–2 Dragees 3 × täglich wirkt Chlorophyll desodorierend.

Frage 256 Sie betreuen eine Palliativpatientin mit einer enterokutanen Fistel bei einer Anastomoseninsuffizienz infolge einer Ileusoperation. Die Patientin wünscht keine weiteren operativen Maßnahmen. Welche Aspekte beachten Sie bei der Versorgung der Fistel?

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Sekretmanagement Hautschutz Geruchsreduktion

Haut mit Öl oder Creme regelmäßig pflegen Sonnenschutz bei Sonneneinstrahlung verwenden nach dem Waschen insbesondere die Zehenbzw. Fingerzwischenräume gut abtrocknen

So weit wie möglich sollten Schäden an der betroffenen Haut vermieden werden, da die lokale Immunabwehr und die Fähigkeit zur Wundheilung durch das Lymphödem beeinträchtigt sein können. Daher sollten z. B. Finger- und Zehennägel sehr vorsichtig geschnitten werden. Auch kleine Verletzungen oder Insektenstiche sollten gereinigt und antiseptisch behandelt werden. Auf Injektionen, Blutabnahmen oder die Messung des Blutdrucks an den betroffenen Gliedmaßen sollte unbedingt verzichtet werden.

Symptomkontrolle Frage 259 Sie betreuen einen Patienten mit einem Prostatakarzinom. Er leidet unter einem starken Lymphödem beider Beine. Ist der Einsatz von Diuretika als Dauertherapie bei diesem Patienten sinnvoll? Nein. Diuretika können in der initialen Therapie sinnvoll angewendet werden. In der Dauertherapie ist jedoch von keiner positiven Wirkung auszugehen. Die Diuretika können sogar die Eiweißkonzentration im Gewebe erhöhen und die Ödembildung fördern. Zudem sind Elektrolytentgleisungen möglich.

Frage 260 Ihr Palliativpatient leidet unter Lymphödemen an beiden unteren Extremitäten. Welche Kontraindikationen gibt es in diesem Fall für die manuelle Lymphdrainage? ●

● ●

Herzinsuffizienz (NYHA [New York Heart Association] III und IV) Erysipel frische Phlebothrombose

Die manuelle Lymphdrainage birgt das Risiko, durch Steigerung der Vorlast die Symptome einer Herzinsuffizienz zu verstärken. Bei lokalen Entzündungen wie einem Erysipel können die Krankheitskeime über die Lymphe systemisch eingeschwemmt werden. Sobald das Erysipel aber rückläufig und kein Fieber mehr vorhanden ist, kann wieder mit der Lymphdrainage begonnen werden. Bei einer tiefen Beinvenenthrombose sollte keine Lymphdrainage angewandt werden, solange eine Lösung des Thrombus möglich ist und somit das Risiko einer Lungenembolie besteht. Letztendlich ist die Risiko-NutzenAbwägung im Einzelfall entscheidend.

Frage 261 Sie betreuen eine Patientin mit einem Vulvakarzinom mit inguinalen Lymphknotenmetastasen. Sie leidet unter einem starken Lymphödem des rechten Beines. Welche Medikamentengruppe könnte eine Linderung des Lymphödems bewirken?

Kortikosteroide können über das lokale Abschwellen des Tumors bzw. seiner Metastasen zu einer Verbesserung des Lymphabflusses und damit zur Linderung des Lymphödems führen.

2 Frage 262 Welche unterschiedlichen Ursachen kann Pruritus haben? ● ● ● ● ●

neurogene Ursachen psychogene Ursachen neuropathische Ursachen medikamentöse Ursachen pruritozeptive Ursachen

Bei Palliativpatientinnen und -patienten stehen neurogene Ursachen für den Juckreiz meist im Vordergrund. Neurogener Juckreiz entsteht im zentralen Nervensystem ohne primäre zentralnervöse Ursache. Beispielhaft ist dafür ein Jucken aufgrund einer cholestatischen Lebererkrankung. Psychogene Ursachen sind psychiatrisch bedingte Ursachen wie z. B. Depressionen. In den afferenten Nervenbahnen hat der neuropathische Pruritus seinen Ursprung. Er entsteht z. B. infolge einer Post-Herpes-zoster-Neuropathie. Pruritozeptiver Juckreiz entsteht durch Histamin- und Tryptasefreisetzung in der Haut wie mitunter bei Xerosis.

Frage 263 Sie betreuen eine Palliativpatientin mit Juckreiz. Nennen Sie die 3 Säulen der Pruritustherapie. ● ●



kausale Behandlung symptomatische systemische und/oder topische Therapie Ausschalten von Provokationsfaktoren und Einleitung allgemeiner prurituslindernder Maßnahmen

Welche der 3 Säulen im Vordergrund steht, hängt von der Prognose der Erkrankung ab. Bei Patienten in der Finalphase stehen die allgemein prurituslindernden Maßnahmen und symptomatisch-topische Therapien an erster Stelle.

Kortikosteroide.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 264 Sie betreuen einen Patienten mit Pruritus am gesamten Oberkörper. Bei der Inspektion der Haut fällt Ihnen die trockene Haut auf. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

2



● ● ●

Einsatz von fett- und harnstoffhaltigen Cremes und Salben Verzicht auf austrocknende Therapeutika Meiden von hohen Raumtemperaturen Meiden von synthetischen Waschzusätzen

Fetthaltige Salben und Cremes geben Lipide an die Haut ab und normalisieren den Fettgehalt der Haut. Harnstoff bindet Wasser in der Epidermis und reguliert die Bildung der Hornhautzellen. Hohe Raumtemperaturen lassen die Haut zusätzlich austrocknen. Der Einsatz von Luftbefeuchtern wirkt dem entgegen. Austrocknende Therapeutika und synthetische Waschzusätze zerstören das normale Hautmilieu und müssen deshalb gemieden werden.

Frage 265 Ihr Palliativpatient leidet trotz ausreichend gefetteter Haut unter Pruritus. Er wird zu Hause von seiner Familie betreut. Welche lokale Therapie empfehlen Sie der Familie? Waschung mit Obstessig oder Apfelessig im Waschwasser. Die Waschung mit einer Mischung aus 3 EL Essig und 5 l Wasser lindert den Juckreiz durch die kühlende Wirkung des Essigs. Zusätzlich vermindert die antibakterielle Wirkung Infektionen.

Frage 267 Sie betreuen eine Tumorpatientin mit starkem Juckreiz. Dieser trat erst auf, nachdem Sie ein Opioid zur Schmerztherapie verabreicht hatten. Welche Art von Pruritus vermuten Sie und welche Maßnahmen ergreifen Sie? Es handelt sich um einen opioidinduzierten Pruritus. Zur Behandlung können Antihistaminika eingesetzt und/oder es kann auf ein anderes Opioid gewechselt werden. Opioide können Histamin aus den Mastzellen freisetzen. Zusätzlich stimuliert Histamin nervale Rezeptoren der Haut, die Neuropeptide freisetzen und ebenfalls Juckreiz auslösen. Als Therapieversuch kann ein Antihistaminikum verabreicht werden. Falls dies zu keiner ausreichenden Linderung führt, sollte eine Opioidrotation erwogen werden.

Frage 268 Sie betreuen einen Tumorpatienten mit vor allem nächtlicher Hyperhidrose. Welche medikamentösen Maßnahmen schlagen Sie vor? ● ●

Anticholinergika Antipyretika bzw. NSAID

Anticholinergika unterbinden Nervenreize, die zu einer Sekretionssteigerung der Schweißdrüsen führen, und können so die Schweißsekretion verringern. Steht die Hyperhidrose mit Fieber in Zusammenhang, führt die Behandlung des Fiebers mit Antipyretika bzw. NSAID zu einer geringeren Schweißsekretion. Liegt ein Infekt vor, so ist kausal die Gabe eines Antibiotikums zu erwägen.

Frage 266 Frage 269 Welche psychischen Faktoren können den Juckreiz verstärken? Angst, Depression, Langeweile und Unruhe. Psychische Belastungen verstärken häufig das Empfinden von Juckreiz. Beschäftigungs- und Entspannungsangebote vermeiden Langeweile und Unruhe. Bei der Behandlung von Angst und Depression ist neben der medikamentösen Therapie auch eine psychotherapeutische Intervention sinnvoll.

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Sie betreuen einen Tumorpatienten mit starker Hyperhidrose. Welche Heilpflanze kann bei ihm sinnvoll innerlich und äußerlich angewendet werden? Salbei. Die ätherischen Öle des Salbeis können die Aktivität der Schweißdrüsen vermindern. Zur äußerlichen Anwendung werden 2–3 EL getrockneter Salbeiblätter mit 1 l kochendem Wasser aufgegossen. Nach ca.

Symptomkontrolle 4 Minuten wird die Lösung mit etwa 5 l Wasser bis auf knapp unter die Körpertemperatur verdünnt. Nach der Waschung darf die Haut nicht abgetrocknet, sondern nur abgetupft werden. Zur innerlichen Anwendung eignen sich Salbeitee oder Salbeiextrakt in Kapselform.

Frage 272 Sie betreuen einen Palliativpatienten mit einer Herpes-simplex-Virusinfektion. Welches ätherische Öl setzen Sie ein?

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Teebaumöl.

Frage 270 Sie betreuen eine Tumorpatientin mit starken Schmerzen. Zusätzlich leidet sie unter einer starken Hyperhidrose. Welche Applikationsform für Opioide kommt für diesen Patientin nur eingeschränkt infrage? Die transdermale Applikation. Infolge der Hyperhidrose kann sich das Pflaster selbstständig wieder ablösen. Somit kann die kontinuierliche und sichere Opioidapplikation infrage gestellt sein.

Teebaumöl wirkt antiviral gegen Herpes-simplex-Viren. Es trocknet die Bläschen schnell aus und fördert dadurch die Heilung. Zusätzlich wirkt es gegen den Juckreiz.

Frage 273 Welche Nebenwirkungen sind bei einer Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren denkbar? ● ● ● ●

Frage 271 Sie betreuen einen Palliativpatienten mit einer Gürtelrose. Er leidet unter Schmerzen. An welche Schmerzform denken Sie? Welche Medikamentengruppen setzen Sie als Analgetika ein? Der Schmerz wird neuropathisch sein. Die Schmerztherapie kann mit Opioiden und/oder Koanalgetika wie Antidepressiva oder Antikonvulsiva erfolgen. Die Gürtelrose kann zu starken Schmerzen, in aller Regel zu neuropathischen Schmerzen führen. Neben der virostatischen Therapie in der Akutphase ist oft zusätzlich eine medikamentöse Schmerztherapie indiziert. Opioide sind bei neuropathischen Schmerzen wirksam. Koanalgetika greifen in die Schmerzweiterleitung ein und unterstützen somit die Schmerzreduktion.



Pruritus makulopapulöse Exantheme lichenoide Dermatosen Vitiligo Mukositis

Bis zu 50 % der mit Immuntherapie Behandelten leiden unter kutanen Nebenwirkungen. Die meisten kutanen Nebenwirkungen verlaufen milde bis moderat. Das mediane Auftreten kutaner Nebenwirkungen liegt zwischen 4–7 Wochen nach Therapiestart.

2.3.3 Neurologische Symptome Heidrun Golla, Tobias Steigleder

Frage 274 Welche Formen der Epilepsien und epileptischen Anfälle werden unterschieden? Es werden 3 Hauptgruppen von Epilepsien unterschieden: ● genetisch bedingte Epilepsien ● strukturell, infektiös, metabolisch oder immunologisch bedingte Epilepsien ● Epilepsien mit unbekannter Ursache Es werden 3 Arten von epileptischen Anfällen unterschieden: ● generalisierte epileptische Anfälle ● fokale epileptische Anfälle ● unbekannte epileptische Anfälle

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Schmerztherapiegrundlagen In der Palliativmedizin leiden Patienten überwiegend unter epileptischen Anfällen, die auf dem Boden von strukturellen Veränderungen des Gehirns auftreten. Diese wirken als Anfallsherd und leiten fokale Anfälle ein, die sekundär generalisieren können.

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Frage 275 Wie häufig treten epileptische Anfälle bei Patienten mit hirneigenen Tumoren bzw. Hirnmetastasen in etwa auf? Epileptische Anfälle treten bei Patienten mit hirneigenen Tumoren (je nach Malignitätsgrad) bei ca. 45–80 % auf, bei Patienten mit Hirnmetastasen bei ca. 20–35 %. Epilepsien und epileptische Anfälle sind häufig auftretende Krankheitsbilder. Mehr als 5 % aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Epilepsie, mehr als 10 % erleiden einmal im Leben einen epileptischen Anfall. Patienten, die an einem niedriggradigen Gliom (kortikal oder insulär gelegen) erkrankt sind, haben ein Risiko von etwa 60–75 % für das Auftreten epileptischer Anfälle. Dieses Risiko ist geringer bei höhergradigen Gliomen (45 %) und Hirnmetastasen (20–35 %). Knapp 50 % der epileptischen Anfälle von Palliativpatienten ereignen sich in den letzten 4 Lebenswochen.

Frage 276 Was ist unter einer Anfallsprophylaxe zu verstehen?

Substanzen mit günstigem Nebenwirkungsprofil, die sich im palliativmedizinischen Setting besonders gut eignen, sind beispielsweise Levetiracetam oder Valproinsäure.

Frage 277 Was meint der Begriff „Akutbehandlung“ eines epileptischen Anfalls? Wann führen Sie diese durch und wie? Die Akutbehandlung eines epileptischen Anfalls oder einer Anfallsserie erfolgt, um dieses Geschehen zu durchbrechen, insbesondere dann, wenn der Anfall/die Anfallsserie nicht spontan endet und somit ein Status epilepticus vorliegt. Eine Akutbehandlung kann auch in präventiver Form nach einem gerade sistierten epileptischen Anfall verabreicht werden, um bei entsprechender Risikokonstellation das Auftreten eines weiteren Anfalls in den nächsten Stunden möglichst zu verhindern. Zu Risikofaktoren zählen: ● ein Status epilepticus in der Vorgeschichte oder ● das Vorliegen eines Hirntumors oder ● eine andere strukturelle Vorschädigung des Gehirns oder ● eine schwere akute Erkrankung Die Akutbehandlung erfolgt in erster Linie mit Benzodiazepinen. Erste Wahl ist hierbei die intravenöse Gabe von Lorazepam. Alternativen sind beispielsweise Midazolam bukkal, nasal oder subkutan bzw. Diazepam rektal.

Frage 278 Durch anfallsprophylaktisch wirkende Medikamente (Antikonvulsiva) soll das Auftreten weiterer epileptischer Anfälle verhindert werden. Sie sollen in ausreichend hoher Dosierung (d. h. kein Auftreten von weiteren epileptischen Anfällen mehr) bei möglichst keinen oder einem verträglichen Grad an Nebenwirkungen verabreicht werden. Eine Monotherapie ist gegenüber einer Kombinationstherapie zu bevorzugen. Antikonvulsiva sollen erst nach dem Auftreten eines ersten epileptischen Anfalls eindosiert werden. Allein das Vorhandensein eines hirneigenen Tumors oder von Hirnmetastasen rechtfertigt nicht den Einsatz von Antikonvulsiva.

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Was sind neuropsychologische Defizite? Nennen Sie 3 Beispiele und erklären Sie, was diese für den Patienten bedeuten. Bei einem neuropsychologischen Defizit handelt es sich um die Einschränkung oder den Ausfall sog. Werkzeugfähigkeiten. Das sind Fähigkeiten, die uns helfen, unseren Alltag zu gestalten und mit unserer Umgebung adäquat in Kontakt treten sowie in unserer Umwelt angemessen handeln zu können. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Fähigkeit, Sprache adäquat einsetzen zu können, rechnen oder schreiben zu können, oder um Alltagsfähigkeiten wie Zähne-

Symptomkontrolle putzen oder Ankleiden. Beispiele typischer neuropsychologischer Defizite sind: ● Aphasie (die Sprache nicht adäquat einsetzen können) ● Apraxie (Alltagsfertigkeiten nicht adäquat durchführen können) ● Akalkulie (nicht rechnen können) ● Anosognosie (die eigene Erkrankung nicht wahrnehmen können) ● Neglect (Aufmerksamkeitsstörung mit Vernachlässigung einer Raum- bzw. Körperhälfte)

Frage 279 Beschreiben Sie die Unterschiede zwischen einem akuten Verwirrtheitszustand (Delir) und einem nonkonvulsiven Status epilepticus! Warum ist die Unterscheidung wichtig? Eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen des Delirs ist der sog. nonkonvulsive Status epilepticus. Hierbei handelt es sich um einen Status epilepticus, der aus ineinander übergehenden epileptischen Anfällen besteht, die nicht mit motorischen Entäußerungen einhergehen. Dadurch ist das Erkennen des epileptischen Geschehens erschwert. Die Verhaltensänderungen, die auftreten können, sind z. B. Orientierungsstörungen, Ratlosigkeit, eingeschränkt zielgerichtetes Nachkommen von Aufforderungen, psychomotorische Unruhe einschließlich Nestelbewegungen. Ähnliche Verhaltensänderungen treten z. T. auch bei einem Delir auf. Im Gegensatz zu einem Delir, das sich über Stunden bis Tage entwickelt, treten Verhaltensauffälligkeiten im Zusammenhang mit einem epileptischen Anfall jedoch abrupt auf. Die Differenzierung, ob ein Delir oder ein epileptischer Anfall zugrunde liegt, ist deshalb wichtig, da im Falle einer medikamentösen Delirbehandlung Medikamente zum Einsatz kommen, die die Schwelle zur Entwicklung eines epileptischen Anfalls senken (z. B. Antipsychotika wie Haloperidol). Da im palliativmedizinischen Rahmen nur selten eine Diagnosesicherung mittels EEG (Elektroenzephalografie) möglich ist, sind die Anamnese und die klinische Beobachtung und von besonderer Bedeutung.

Frage 280 Welche Beschwerden erwarten Sie bei einer Meningeosis carcinomatosa?

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Zu erwarten sind Beschwerden, die infolge von Hirnnervenausfällen entstehen, sowie radikuläre Symptome und Probleme in Zusammenhang mit einem erhöhten Hirndruck. Bei der Meningeosis carcinomatosa handelt es sich um die Aussaat von Karzinomzellen im Liquor cerebrospinalis. Aufgrund der Tumorzellaussaat kann es zu Liquorzirkulationsstörungen kommen. Dies kann zu einer Hirndruckerhöhung führen, die mit Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schluckauf oder auch epileptischen Anfällen einhergehen kann. Ferner können von der Meningeosis carcinomatosa die Hirnnerven besonders im Bereich der Schädelbasis betroffen sein. Dehnt die Meningeosis carcinomatosa sich bis nach kaudal in den Liquorraum aus, können zusätzlich beispielsweise schlaffe Paresen, neuropathische Schmerzen und Blasen- bzw. Mastdarmstörungen auftreten.

Frage 281 Welche Maßnahmen treffen Sie bei einer Meningeosis carcinomatosa? Je nach Patientenpräferenz und zugrunde liegender Erkrankung und deren Verlauf können ggf. tumorspezifische Maßnahmen sinnvoll sein. Darüber hinaus stehen entsprechend den auftretenden Symptomen (Hirnnervenausfälle, erhöhter Hirndruck) symptomlindernde Maßnahmen im Vordergrund. Die Prognose bei Auftreten einer Meningeosis carcinomatosa ist schlecht. Mit den tumorspezifisch behandelnden Fachdisziplinen sollte besprochen werden, inwiefern bei dem individuellen Patienten ggf. eine tumormodifizierende Maßnahme sinnvoll sein kann (z. B. Radiatio oder intrathekale Chemotherapie), und mit dem Patienten, wie er einer solchen Maßnahme gegenübersteht. Unter palliativmedizinischen Gesichtspunkten kann zur Symptomlinderung ein Behandlungsversuch mit Dexamethason erwogen werden, insbesondere bei Auftreten einer Hirndrucksymptomatik.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 282 Was ist ein Myoklonus?

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Bei Myokloni handelt es sich um unwillkürliche, sich wiederholende, sehr kurz andauernde (kürzer als 300 ms), unregelmäßige, teils rhythmischstereotyp auftretende Muskelzuckungen in einzelnen oder mehreren Muskelgruppen. Myokloni können beispielsweise als Nebenwirkung im Rahmen einer Opioidbehandlung auftreten. Falls diese für den Betroffenen belastend sind, sollte ein Opioidwechsel erfolgen. Vorübergehend kann symptomatisch Clonazepam verabreicht werden.

Frage 283 Was ist Singultus? Singultus (Schluckauf) ist ein physiologischer Myoklonus des Zwerchfells. Beim Singultus kommt es 4–60 × pro Minute zu Zwerchfellkontraktionen. Er kann rezidivierend und langanhaltend auftreten – und dann außerordentlich belastend sein–, wenn es krankheitsbedingt zu einer Reizung des N. phrenicus (z. B. durch Pancoast-Tumor) oder des N. vagus (z. B. durch Magenblähung oder Aszites) kommt. Die medikamentöse Behandlung der ersten Wahl zur Behandlung des Singultus ist die Kombination aus Baclofen, Domperidon und einem Protonenpumpenhemmer. Falls dies wegen fehlender Möglichkeit der oralen Medikamenteneinnahme nicht (mehr) möglich sein sollte, können jeweils subkutan niedrigdosiert Haloperidol, Levomepromazin oder Midazolam erwogen werden.

Frage 284 Eine Patientin mit einem Bronchialkarzinom hat Metastasen im Gehirn und im Rückenmark. Bei der Patientin besteht dabei eine hochgradige Lähmung beider Beine. Bei jedem Patientenkontakt versichert sie Ihnen, dass sie ihre Beine schon viel besser bewegen könne. Sie hingegen stellen keinerlei Verbesserung der klinischen Symptomatik fest. Welche neuropsychologische Erklärung haben Sie für die scheinbar „unzureichende Krankheitsverarbeitung“?

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Die Patientin in dem Fallbeispiel leidet im Rahmen ihrer Hirnmetastasen am ehesten unter einer Anosognosie, einem neuropsychologischen Defizit, das für eine unzureichende Wahrnehmung der eigenen Erkrankung(-sdefizite) verantwortlich ist. Dieses Phänomen kann bei Patienten mit unterschiedlichen Hirnschädigungen beobachtet werden. Eine Halbseitenlähmung wird dann beispielsweise nicht wahrgenommen, sodass das bestehende Defizit als solches vom Patienten nicht erkannt werden kann.

Frage 285 Was ist ein paraneoplastisches neurologisches Syndrom? Als „paraneoplastische neurologische Syndrome“ werden alle diejenigen Komplikationen von Tumorerkrankungen am Nervensystem bezeichnet, die nicht durch den Tumor selbst, seine Metastasen oder durch vaskuläre, infektiöse, metabolische und therapiebedingte Ursachen ausgelöst werden. Oft handelt es sich um eine durch Autoantikörper vermittelte Reaktion, die weit vom Tumorgeschehen entfernt stattfinden kann. Paraneoplastische neurologische Syndrome sind selten und machen etwa 10 % aller nicht metastatischen neurologischen Komplikationen bei Tumorpatienten aus. Sie gehen einem nachweisbaren Tumorgeschehen gelegentlich Jahre voraus. Beispiele sind das Lambert-Eaton-Syndrom (antikörpervermittelte Störung der Nerv-Muskel-Übertragung) oder eine limbische Enzephalitis (Gehirnentzündung infolge von Autoantikörpern).

Frage 286 Wie behandeln Sie ein paraneoplastisches Syndrom? Die Behandlung von paraneoplastischen Syndromen ist schwierig, insbesondere bei Beteiligung des Nervensystems. Sie sollte dennoch so rasch wie möglich erfolgen, da die Aussicht auf Erfolg umso größer ist, je früher behandelt wird. Die Hauptsäule der Behandlung ist die suffiziente Tumortherapie. Zeitgleich kommen darüber hinaus

Symptomkontrolle immunmodifizierende Behandlungen zum Tragen (insbesondere Methylprednisolon, Immunglobuline, Plasmapherese); diese Behandlungsformen basieren allerdings bislang auf Expertenmeinungen. Während die tumorspezifischen und immunmodifizierenden Behandlungen in den entsprechenden Fachabteilungen (Onkologie, Neurologie) erfolgen, sind symptomatische Behandlungen auch im palliativmedizinischen Rahmen möglich. Beispiele sind 3,4-Diaminopyridin oder Pyridostigmin gegen die myasthene Symptomatik bei Lambert-Eaton-Syndrom oder Clonazepam beim Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom.

Frage 287 Nennen Sie Beispiele für belastende Symptome, die bei Palliativpatienten mit neurologischen Erkrankungen auftreten können, die nicht standardmäßig in den palliativmedizinischen Symptomerfassungssystemen abgefragt werden. ● ●

● ● ● ● ● ● ● ● ●



Persönlichkeitsänderungen neuropsychologische Defizite (wie Aphasie, Apraxie, kognitive Defizite, Neglect) epileptische Anfälle Kommunikationsstörungen Lähmungserscheinungen Sensibilitätsstörungen Spastik Blasen-, Mastdarm-, Sexualstörungen Anhidrose Sprechstörungen bulbäre Symptome wie beispielsweise Schluckstörungen einschließlich Sialorrhö (sog. vermehrter Speichelfluss) pathologisches Lachen und Weinen

Frage 288 Nennen Sie Beispiele von Schmerzarten, denen Sie begegnen, wenn Sie Patienten behandeln, die an multipler Sklerose erkrankt sind. Schmerzen bei multipler Sklerose sind vielseitig. Sie können zum einen im Rahmen der neurologischen Grunderkrankung durch entsprechend lokalisierte entzündliche Herde hervorgerufen werden (Dys- und Parästhesien, zentrale Schmerzsyndrome oder symptomatische Trigeminusneuralgien). Zum anderen können Schmerzen indirekt durch Krankheitsfolgen bedingt sein, beispielsweise in Form von schmerzhafter Muskelspastik oder viszeralen Schmerzen bei Meteorismus, Obstipation, Blasenentleerungsstörungen oder rezidivierenden Blasenentzündungen. Bei chronischen Krankheitsverläufen können schmerzhafte Kontrakturen, Fehlhaltungen, Osteoporose oder Druckläsionen auftreten. Ein weiteres neuropathisches Phänomen bei multipler Sklerose ist das Lhermitte-Zeichen als ziehender Schmerz vom Nacken in den Rücken ausstrahlend bei Kopfbeugung. Selbstverständlich können Multiple-Sklerose-Patienten auch unter von der multiplen Sklerose unabhängigen Schmerzen leiden, z. B. bei Migräne oder Bandscheibenvorfall.

Frage 289 Welche Symptome kennen Sie, die im Rahmen eines ischämischen Schlaganfalls auftreten können? ● ● ● ●

In den gängigen palliativmedizinischen Basissymptomerfassungssystemen werden neurologische Symptome unzureichend erfasst, sodass die Symptomlast neurologischer Patienten, die palliativmedizinisch betreut werden, oftmals unterschätzt wird. Mittlerweile gibt es das um neurologische Symptome ergänzte und im deutschsprachigen Raum validierte Messinstrument HOPE + .

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● ● ●

Lähmungen (Paresen) Gefühlsstörungen (Sensibilitätsstörungen) Sprachstörung (Aphasie) Sehstörungen (Amaurosis, kortikale Blindheit) Stand- und Gangunsicherheit (Ataxie) veränderte Wahrnehmung (Neglect) Unfähigkeit zur Handlungsplanung und -ausführung (Apraxie)

Die auftretenden Beschwerden sind abhängig vom Ort der Schädigung im Gehirn. Manche Regionen des Gehirns sind exklusiv bestimmten Funktionen vorbehalten und eine Schädigung dort führt zu einem umschriebenen Beschwerdebild. Es handelt sich dabei um ein fokal-neurologisches Defizit: Ist z. B. die

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Schmerztherapiegrundlagen Hirnrinde der präzentralen Region (Motorkortex) betroffen, kommt es zu einer Lähmung der gegenüberliegenden Körperseite (kontralaterale Parese). In der orientierenden klinischen Untersuchung kann der Arm- bzw. Beinvorhalteversuch hilfreich sein, bei dem z. B. die Arme vorgehalten werden sollen, „als ob man ein Tablett trage“, und die Augen dann geschlossen werden. Die Parese zeigt sich am Arm, indem sich die Hand dreht, sodass die Handinnenfläche nach innen oder sogar nach unten gewendet ist (Supination) und ggf. auch der Arm im Seitenvergleich absinkt. Bei einer Schädigung der postzentralen Region kommt es zu einer kontralateralen Sensibilitätsstörung, bei der Schädigung im Bereich des kortikalen Schläfenlappens (Temporalregion) der dominanten Hemisphäre hingegen zu einer Sprachstörung.

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Frage 290 Wie unterscheiden sich Sprach- und Sprechstörungen? Eine Sprachstörung ist eine kortikale Funktionsstörung mit umschriebenem Schädigungsort (Temporallappen der dominanten Hemisphäre) und wird als „Aphasie“ bezeichnet. Eine Sprechstörung ist hingegen eine Störung der Funktion und des Zusammenspiels der Mund-, Rachen-, Stimmlippen- und Atemmuskeln und wird als „Dysarthrie“ bezeichnet. Diese kann ebenfalls durch eine Hirnschädigung verursacht sein oder auch durch andere Störungen der Muskelfunktion im Mund-Rachen-Bereich. Aphasien zeichnen sich durch eine Störung der expressiven Sprache (Broca-Aphasie) oder der rezeptiven Sprache (Sprachverständnis, Wernicke-Aphasie) oder des Wortabrufs (amnestische Aphasie) oder einer Kombination der genannten Störungen (globale Aphasie) aus. Typisch für die Broca-Aphasie ist das meist gute Sprachverständnis bei erhöhter Sprachanstrengung mit teils kurzem Satzbau (Telegrammstil). Die Wernicke Aphasie zeichnet sich durch gestörte Wortbildung (phonematische Paraphasien, z. B. „Tebitter“ statt „Bettgitter“ oder „Schalnug“ statt „Schlafanzug“) und meist gleichzeitig gestörtes Sprachverständnis aus.

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Dysarthrien sind aufgrund der Komplexität der Stimmbildung (bis zu 15 000 neuromuskuläre Prozesse pro Sekunde) ein sensibler Indikator für Störungen der neuromuskulären Integration. Einigen Schädigungsorten lassen sich bestimmte Dysarthrieformen zuordnen, z. B. peripher-paretische Dysarthrie u. a. bei ALS (leises, verwaschenes, unmoduliertes Sprechen) oder ataktische Dysarthrie bei Kleinhirn- oder Thalamusläsionen (Tonhöhe, Lautstärke und Geschwindigkeit wechseln abrupt).

Frage 291 Wie nehmen Sie Kontakt mit einem Patienten auf, bei dem der Verdacht besteht, er habe eine eingeschränkte Kontaktfähigkeit? Zunächst treten Sie in sein Blickfeld und fördern die Aufmerksamkeit mit Ansprache in Zimmerlautstärke. Zu Beginn des Gesprächs mit Vorstellung und Hinweisen zur Raum-Zeit-Orientierung (Wochentag, Tageszeit, Gegenstand des Besuchs, z. B. Visite) und ggf. einer Initialberührung sollte die Sprachfähigkeit geprüft werden. Zuerst wird die expressive Sprachfähigkeit geprüft, indem man den Patienten von Dingen berichten lässt, die ihm inhaltlich und emotional vertraut sind. Bei Einschränkungen der expressiven (ausdrückenden) Sprachfunktion sollte dann eine Prüfung des Sprachverständnisses erfolgen. Eine gestörte Kontaktfähigkeit kann viele Ursachen haben. Wichtig ist es, dem Patienten die bestmöglichen Voraussetzungen zur Kontaktaufnahme zu bieten. Dazu gehören eine einfache und deutliche Sprache und der Ausgleich möglicher kommunikativer Einschränkungen (Schwerhörigkeit, Sehschwäche u. a.). Sollte das expressive Sprachvermögen gestört sein, kann zu Beginn des Gesprächs mithilfe einfacher Aufforderungen das Sprachverständnis getestet werden, beispielsweise durch Formulierungen wie „Heben Sie bitte die Hand“ oder „Strecken Sie bitte die Zunge heraus“. Erst bei regelrechter Befolgung von Aufforderungen sind Antworten des Patienten auf geschlossene Fragen wie „Haben Sie Schmerzen?“ zu verwerten.

Symptomkontrolle Frage 292 Welche Formen der unwillkürlichen Muskeltonuserhöhung kennen Sie und weshalb ist es wichtig, diese zu unterscheiden? Der Muskeltonus kann aufgrund einer Spastik (Schädigung der Pyramidenbahn, des ersten motorischen Neurons) oder aufgrund eines Rigors (extrapyramidal-motorische Störung, z. B. bei hypokinetisch-rigidem Parkinson-Syndrom) erhöht sein. Letzteres kann auch Folge einer medikamentösen Behandlung sein, z. B. nach Gabe von Antipsychotika, die als zentral wirksame Dopaminantagonisten wirken. Unter einer Clozapintherapie (Cave: regelmäßige Blutbildkontrollen) und Quetiapin tritt Rigor am seltensten auf. Spastik und Rigor lassen sich leicht unterscheiden. Bei der Spastik ist die Muskeltonuserhöhung abhängig von der Winkelgeschwindigkeit der passiven Bewegung: Wird der gebeugte Arm rasch in Streckung gebracht, so kommt es zu einem initialen Widerstand, der sich dann löst (sog. Klappmesserphänomen) und der sich bei einer langsamen Streckung nicht oder kaum auslösen lässt. Die Tonuserhöhung beim Rigor ist unabhängig von der Winkelgeschwindigkeit und stellt sich als „wächserner“ oder „bleierner“ Widerstand im gesamten Bewegungsumfang des Gelenks dar. Er ist oft verknüpft mit dem sog. Zahnradphänomen, einer kontinuierlich ruckenden Bewegung beim passiven Bewegen von Armen oder Beinen. Außerdem geht eine Spastik regelhaft mit gesteigerten Reflexen und einer Lähmung einher, was im Rahmen eines Rigors nicht zu beobachten ist.

Frage 293 Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Patienten mit einer belastenden (also schmerzhaften oder Aktivitäten des täglichen Lebens einschränkenden) Spastik? Die Behandlung erfolgt mit Physiotherapie zur Vermeidung von schmerzhaften Kontrakturen und Mazerationen der Haut, medikamentös systemisch mit Antispastika und Myotonolytika und lokal mit Botulinumtoxin.

Spastik führt zu teilweise erheblichen myofaszialen Schmerzen bei Muskeltonussteigerung. Baclofen ist ein geeigneter Wirkstoff zur Behandlung spastikassoziierter Beschwerden – insbesondere zur Kontrakturprophylaxe – und ist zur oralen und intrathekalen Gabe zugelassen. Alle systemischen Behandlungsansätze können allerdings zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Beispielsweise können eine Sedierung, Konzentrationsstörungen, Halluzinationen, generalisierte muskuläre und kardiovaskuläre Hypotonie auftreten. Die lokale Therapie mit Botulinumtoxin hat den Vorteil, dass sie i. d. R. nebenwirkungsfrei ist und ihre Wirkung 3– 6‑Monate anhält.

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Frage 294 Welche Differenzialdiagnosen haben Sie bei einer meist nächtlichen Bewegungsunruhe der Beine und wie behandeln Sie die häufigste Ursache? Am wahrscheinlichsten ist das Restless-LegsSyndrom (RLS). Leitsymptome sind Bewegungsdrang und Missempfindungen (Schmerzen, Spannungsgefühl, Kribbeln oder Ziehen) der Beine, die vor allem nachts auftreten und sich bei Bewegung bessern. Differenzialdiagnosen sind Polyneuropathien, Radikulopathien, venöse Stauung, Painful-Legs-and-moving-Toes-Syndrom, Muskelkrämpfe und innere Unruhe bei psychiatrischer Diagnose oder hoher psychosozialer Belastung. Zur Behandlung des RestlessLegs-Syndroms werden Dopaminpräparate eingesetzt. Diese enthalten Dopaminagonisten oder L-Dopa, das im Gehirn zu Dopamin umgewandelt wird. Auch Opioide wirken gegen das RestlessLegs-Syndrom und können sinnvoll bei begleitender Schmerzsymptomatik eingesetzt werden. Die idiopathische Form des Restless-Legs-Syndroms mit einer Lebenszeitprävalenz von 5–10 % in der Allgemeinbevölkerung wird von einer sekundären Form unterschieden, die gerade im palliativmedizinischen Kontext wichtig ist. Letztere tritt infolge von Niereninsuffizienz (bei 30 % dialysepflichtiger Patienten), medikamentös bedingt (z. B. unter Therapie mit trizyklischen Antidepressiva, SSRI, Metoclopramid oder Antipsychotika) und bei fortgeschrittenen Polyneuropathien auf. Auch ein Eisenmangel ist ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Restless-LegsSyndroms. Das Restless-Legs-Syndrom sollte man differenzialdiagnostisch immer erwägen, wenn Ex-

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Schmerztherapiegrundlagen tremitäten (auch die Arme!) durch ein oftmals unspezifisches Unwohlsein auffallen (Kribbeln, Schmerz, Druckgefühl, Ziehen), das sich durch Bewegung, aber vor allem durch L-Dopa-Gabe rasch und deutlich bessert. In der Dauertherapie sollten Dopaminagonisten dem L-Dopa vorgezogen werden, da sonst der Effekt der „Augmentation“, also der Verstärkung der Symptome im mittel- und langfristigen Verlauf auftreten kann.

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Frage 295 Was versteht man unter „Rigor“ und wie kann man ihn behandeln? Rigor ist der „bleierne“, „wächserne“ Bewegungswiderstand bei einer extrapyramidal bedingten Muskeltonuserhöhung. Insbesondere bei der häufigsten Ursache, dem idiopathischen Parkinson-Syndrom, erfolgt die Behandlung mit Dopamin oder Dopaminagonisten. Akinese und Rigor sind die am meisten belastenden Symptome, über die Patienten mit einer fortgeschrittenen Parkinson-Erkrankung klagen. Auch bei einer fortgeschrittenen Schluckstörung, die bei Rigor im Rahmen einer Parkinson-Erkrankung oftmals ein Zeichen der letzten Krankheitsphase ist, kann eine geeignete Behandlung z. B. mit transdermal angewendetem Rotigotinpflaster oder subkutan appliziertem Apomorphin als Dopaminagonisten erfolgen.

Frage 296 Welche Ursachen können Schwindelbeschwerden haben und wie lassen sich diese differenzieren? Schwindelbeschwerden können aufgrund einer zentral-vestibulären Schädigung (Kleinhirn, Vestibulariskerne im Hirnstamm) oder einer peripher-vestibulären Schädigung entstehen. Periphere Schädigungen können den Gleichgewichtsnerv betreffen (Neuritis vestibularis, Akustikusneurinom) oder das Innenohr (Morbus Menière) sowie die Bogengänge im Innenohr (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel). Zentraler Schwindel wird häufiger als Schwankschwindel, periphere Syndrome werden in der Regel als ein Drehschwindel beschrieben.

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Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel zeigt sich bei spontaner oder provozierter Kopfbewegung für Sekunden. Im Unterschied findet sich ein Attackenschwindel für Minuten bis Stunden bei Morbus Menière, Dauerschwindel mit abruptem Beginn und Abnahme im Verlauf bei Neuritis vestibularis und Hirnstammschädigung (Wallenberg-Syndrom) sowie ein fluktuierender Dauerschwindel bei tumorösen oder entzündlichen Hirnstammprozessen. Häufig sind Schwindelbeschwerden unspezifisch und multifaktoriell. In fortgeschrittenem Alter und bei schweren Erkrankungen tritt häufig ein unsystematischer Schwindel auf, also ein Schwankschwindel, der ursächlich z. B. auf einer Polyneuropathie mit reduzierter Wahrnehmung der Körperhaltung, Sehstörungen, Hypotonie und Blutdruckregulationsstörung, muskulärer Schwäche und generalisierten Hirnabbauprozessen mit unterschiedlicher Effektstärke beruht.

Frage 297 Welche Differenzialdiagnosen haben Sie bei einem somnolenten Patienten mit zerebralen und zerebellären Metastasen eines Bronchialkarzinoms? Für die beschriebene Vigilanzminderung gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten: Möglich ist ein hypoaktives Delir, z. B. aufgrund einer strukturellen Hirnläsion oder einer medikamentösen Therapie. Es kann auch ein erhöhter intrakranieller Druck bestehen (sog. „Hirndruck“), z. B. als Folge einer Liquorzirkulationsstörung bei infratentoriellen Metastasen. Auch kann Minuten, Stunden oder Tage nach einem epileptischen Anfall eine postiktale Vigilanz- und Orientierungsstörung bestehen. Ebenfalls ist ein nonkonvulsiver epileptischer Anfallsstatus ohne motorische Entäußerungen möglich. Weiterhin kann eine intrakranielle Blutung z. B. als Metastasenblutung aufgetreten sein oder ein ischämischer Schlaganfall, z. B. bei paraneoplastischer Gerinnungsstörung. Auch Infektionen des Zentralnervensystems sind möglich oder eine autoimmun vermittelte paraneoplastische Entzündung, z. B. als limbische Enzephalitis.

Symptomkontrolle Etwa 90 % der Patienten im Terminalstadium leiden an einem Delir und etwa 60 % der Patienten im Verlauf der stationären palliativmedizinischen Behandlung. Während das hyperaktive Delir wegen der augenscheinlichen Verhaltensauffälligkeiten gut zu erkennen ist, wird das häufigere hypoaktive Delir meist übersehen oder als Depressivität, Sedierung oder Schwäche fehlinterpretiert.

Frage 298 Welche Erkrankungen verursachen einen übermäßigen Speichelfluss (Sialorrhö) und wie lässt dieser sich behandeln? Sialorrhö entsteht entweder wegen übermäßiger Speichelproduktion (Hypersalivation) oder wegen eingeschränkter Schluckfähigkeit. In der Palliativmedizin überwiegt die letztgenannte Ursache, während erstere eine oftmals unerwünschte Medikamentennebenwirkung ist. Patienten mit Hals-Nasen-Ohren-Tumoren und neurodegenerativen Erkrankungen (z. B. ALS) oder Basalganglienerkrankungen (z. B. Morbus Parkinson) leiden häufiger unter einer Pseudohypersalivation. Der nach außen vermehrte Speichelfluss entsteht hier nur dem Anschein nach aufgrund einer Schluckstörung. Die Behandlung kann medikamentös systemisch (Anticholinergika), gezielt lokal medikamentös (Botulinumtoxin) oder strahlentherapeutisch (Bestrahlung der Speicheldrüsen) erfolgen. Sialorrhö kann bei den Betroffenen sowohl zu sozialer Isolation, psychischem und spirituellem Leid führen als auch zu somatischen Beschwerden wie z. B. Schlafstörungen oder Aspiration mit Pneumonie.

Frage 299 Welche Formen und Ursachen der schweren Bewusstseinsstörung (Koma) kennen Sie? Ursachen für ein Koma sind Störungen der Hirnrinde, des Hirnstamms oder des gesamten Gehirns. Liegt eine Hirnrindenstörung vor, kann die Ursache z. B. medikamentös (z. B. Hypnotika, seltener Opiate oder Benzodiazepine) oder hypoxisch sein (z. B. Herzinsuffizienz, insuffiziente Reanimation). Hirnstamm- und generalisierte Hirnstörungen können z. B. aufgrund von Ischä-

mien (z. B. Hirnstamminsult, bilaterale Infarkte), Blutungen, Stoffwechselstörungen (systemisch: urämische oder hepatische Enzephalopathie oder des Gehirns, z. B. Wernicke-Enzephalopathie) oder toxisch, entzündlich oder traumatisch bedingt auftreten. Die Bewusstseinsstörungen werden in verschiedene Grade eingeteilt: ● Benommenheit (wach, verlangsamt) ● Somnolenz (schläfrig, jederzeit erweckbar, Reaktion auf Ansprache verlangsamt und auf Schmerzreiz prompt und gerichtet) ● Sopor (schwer oder kaum erweckbar, Reaktion auf Schmerzreize verzögert, allerdings gerichtet) ● Koma (nicht erweckbar, eher ungerichtete oder keine Reaktion auf Schmerzreize)

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Frage 300 Ein Patient mit Pharynxkarzinom ist sehr wackelig auf den Beinen, sieht „nicht richtig“, weil er nach Auskunft der Angehörigen immer danebengreife, und wirkt müde und teilnahmslos. Welche Diagnose ist wahrscheinlich und was unternehmen Sie? Die Trias aus Ataxie (vor allem als Unsicherheit der Rumpfbewegung), Sehstörungen (Doppelbilder bei Augenmuskel- und Blickparesen, Oszillopsien [„bewegte Bilder vor den Augen“] bei Nystagmus) und Bewusstseinstrübung bzw. Verwirrtheit ist typisch für die Wernicke-Enzephalopathie. Indiziert ist ein Therapieversuch mit Thiamin (Vitamin B1). Während Ataxie, Okulomotorikstörung und veränderte Kontaktfähigkeit bzw. -möglichkeit und Desorientiertheit viele mögliche Ursachen haben, ist die Kombination hinweisend für eine Wernicke-Enzephalopathie. Sie ist Folge eines ernährungsbedingten oder resorptiven Thiaminmangels. Die Körpervorräte an Thiamin betragen 20–30 mg. Dies reicht bei mangelnder Aufnahme für 2–3 Wochen aus, ehe sich Beschwerden einstellen können. Risikofaktoren sind Alkoholismus in der Anamnese, längere künstliche Ernährung (insbesondere parenteral), Sepsis, Krebserkrankungen, Chemotherapie oder häufiges Erbrechen. Die Behandlung erfolgt mit Thiamin parenteral oder enteral in 3 Tagesdosen mit jeweils 100 mg als Einzeldosis.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 301 Eine Patientin mit Nierenzellkarzinom leidet unter einer stark wechselnden Bewusstseinsstörung. Ihnen fällt ebenfalls ein unregelmäßiges Zucken der Arme und des Rumpfes auf. Was ist Ihr Verdacht und was kann getan werden?

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Eine stark wechselnde Bewusstseinsstörung, die binnen Stunden zu- und wieder abnimmt, und eine veränderte Kontaktfähigkeit bzw. -möglichkeit, ggf. einhergehend mit einem Delir einschließlich visueller Halluzinationen und unregelmäßiger Muskelzuckungen (Myoklonien), sind zusammen hinweisend auf eine urämische Enzephalopathie. Als Ursache für diese Hirnfunktionsstörung im Rahmen einer eingeschränkten Nierenfunktion sollten renal zu eliminierende Medikamente abgesetzt oder ersetzt werden und Thiamin (Vitamin B1) bei Patienten mit länger andauernder Nierenfunktionseinschränkung substituiert werden. Eine wichtige Differenzialdiagnose sind epileptische Anfälle. Die urämische Enzephalopathie ist eine gemeinsame Endstrecke verschiedener Schädigungsmechanismen, die Folgen der Nierenfunktionseinschränkung sind. Dazu zählen Elektrolytentgleisungen, Thiaminmangel und vor allem ein direkter toxischer Effekt von Abbauprodukten, die normalerweise über die Niere ausgeschieden werden. Typisch ist das sog. Twitch-convulsive-Syndrom mit irregulären, unioder bilateralen Myoklonien mit oft erheblichem Bewegungseffekt.

Frage 302 Was sind mögliche Faktoren, die zu schmerzhaften Muskelkrämpfen führen, und wie lassen sich diese behandeln? Ursächlich können Polyneuropathien, aber auch Motoneuronerkrankungen (z. B. ALS), Myopathien, Leber- und Nierenstoffwechselerkrankungen und die arterielle Verschlusskrankheit sein. Begünstigende Faktoren, die auch beeinflussbar sind, umfassen Schlafentzug, körperliche Anstrengung und Dehydratation, endokrine Erkrankungen, Elektrolytstörungen und Medikamente (Betablocker, Statine, Bronchospasmolytika und Antipsychotika). Zur Behandlung eignen sich

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Magnesiumpräparate, ggf. Chininsulfat und vor allem physikalische Maßnahmen wie Physiotherapie und passive Dehnung (auch zur Prophylaxe vor dem Zubettgehen). Differenzialdiagnose ist das Myalgie-FaszikulationKrampus-Syndrom, das als paraneoplastisches Syndrom in Zusammenhang mit bestimmten Autoantikörpern auftreten kann.

Frage 303 Ein Patient mit der Diagnose einer idiopathischen Parkinson-Erkrankung berichtet, dass die Parkinson-Medikation bereits 2 Jahre nach Diagnosestellung nicht mehr helfe und die Erkrankung rasch voranschreite. Was sind Hinweise darauf, dass es sich um ein atypisches Parkinson-Syndrom handeln könnte, und welche Bedeutung hat das für die Therapie? Diagnostisch hinweisend auf eine idiopathische Parkinson-Erkrankung (iPD) sind die drei Kardinalsymptome Bradykinese, Rigor und Tremor. Typisch sind der einseitige Beginn, der asymmetrische Verlauf und das gute Ansprechen auf Dopamin. Hinweise auf ein atypisches Parkinsonoid im Rahmen einer Multisystematrophie: ● Rigor, vor allem die Rumpfmuskulatur betreffend (axialer Rigor) ● symmetrischer Beginn oder persistierende Einseitigkeit nach einem Jahr Krankheitsdauer ● frühe und ausgeprägte autonome Störungen (Harn- und Mastdarminkontinenz, orthostatische Beschwerden) ● frühe posturale Instabilität (mangelnde Stabilität der aufrechten Körperhaltung, früher als Kardinalsymptom der iPD gewertet) Bei Beteiligung anderer Systeme (z. B. Pyramidenbahnzeichen, Blickzentrum mit vor allem vertikaler Blicklähmung) sowie früher und ausgeprägter demenzieller Entwicklung kann eine supranukleäre Blickparese vorliegen (”progressive supranuclear Palsy”, PSP). Besteht der Verdacht auf ein atypisches Parkinson-Syndrom, ist die Fortsetzung der dopaminergen Therapie zu überdenken. Diese ist dann nämlich möglicherweise unzureichend wirksam und kann bei hohen Dosierungen zu unerwünschten Nebenwirkungen (v. a. hypotone Krisen) führen.

Symptomkontrolle Bei atypischen Parkinson-Symptomen sollte eine erneute Diagnostik stattfinden, die auch eine MRT einschließen kann. Patient und Zugehörige müssen das Angebot einer Aufklärung über die Diagnose erhalten, da Menschen mit atypischen Parkinson-Syndromen wie beispielsweise einer supranukleären Blickparese in der Regel eine deutlich kürzere Lebenserwartung und einen anderen Krankheitsverlauf als Menschen mit iPD haben.

2.3.4 Psychiatrische und psychologische Symptome Sascha Weber; frühere Bearbeitung: Klaus Maria Perrar

Frage 304 Wie wird ein psychopathologischer Befund erhoben? Durch die Erfassung der vom Patienten spontan oder auf Befragung (offen oder standardisiert) vorgebrachten Beschwerden im Rahmen eines klinischen Gesprächs oder Interviews. Hinzu kommt die Beobachtung seines Verhaltens durch den Untersucher selbst, das Pflegepersonal oder die Angehörigen. Der Befund berücksichtigt die Störungen der folgenden Bereiche: ● Bewusstsein ● Orientierung ● Aufmerksamkeit und Gedächtnis ● Formales Denken (Störungen des Gedankenablaufs) ● Befürchtungen und Zwänge ● Inhaltliches Denken (Wahn, Sinnestäuschungen wie Halluzinationen, Ich-Störungen wie „Entfremdungserleben“ oder Gedankeneingebung) ● Affektivität und Stimmung ● Antrieb und Psychomotorik ● Circadiane Besonderheiten und Schlaf (tageszeitliche Veränderungen der Beschwerden) ● Andere Bereiche wie Appetenz, Sexualität, sozialer Rückzug ● Suizidalität Als Einstieg sind offene Fragen günstig wie: „Wie fühlen Sie sich? Wie geht es Ihnen?“ Psychische Symptome für sich alleine genommen sind nie schlechthin krankhaft und kommen auch bei Gesunden vor. Ein hilfreiches Mittel zur standardisierten

Befunderhebung ist das AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie).

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Frage 305 Welche Symptome kennzeichnen ein Delir? Ein Delir ist nach ICD-10 gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften: ● Bewusstseinsstörung (verminderte Klarheit der Umgebungswahrnehmung) ● Kognitionsstörungen (Wahrnehmungsstörungen, Beeinträchtigung des Denkens und der Auffassung, Inkohärenz, Beeinträchtigung des Gedächtnisses, Desorientierung) ● psychomotorische Störungen (rascher, nicht vorhersagbarer Wechsel zwischen Hypo- oder Hyperaktivität, verlängerte Reaktionszeit) ● gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus (nächtliche Verschlechterung der Symptome) ● affektive Störungen (Depression, Angst, Reizbarkeit, Euphorie, Apathie) ● rasche Entwicklung (über Stunden bis Tage) und fluktuierender Verlauf Delirien und die damit verbundenen Symptome sind typische Phänomene der Sterbephase und treten bei ca. 8 von 10 Patient*innen auf einer Palliativstation auf. Bei einem Drittel der Patienten besteht das Delir bereits bei Aufnahme, bei zwei Dritteln entwickelt sich ein Delir im Laufe der Behandlung auf einer Palliativstation. Es können Vorläufersymptome wie Unruhe, Angst, Rast- und Schlaflosigkeit oder Albträume auftreten. Die Leitsymptome sind Bewusstseinsstörung und kognitive Störungen.

Frage 306 Nennen Sie die motorischen Subtypen des Delirs. Bezüglich der veränderten Psychomotorik lässt sich ein hypo- von einem hyperaktiven Delir unterscheiden. Beide Typen können nebeneinander auftreten und können im Tagesverlauf fluktuieren. Patienten mit hypoaktiver, gehemmter Symptomatik erscheinen apathisch, bewegungsarm und lethargisch, sodass die delirante Symptomatik weniger offensichtlich wird. Patienten mit einem hypoaktiven

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Schmerztherapiegrundlagen Delir sollen aktiv nach Symptomen wie Halluzinationen oder Ängsten befragt werden. Hyperaktiv Delirante sind dagegen psychomotorisch unruhig, leicht irritierbar, ängstlich und halluzinierend. Der hypoaktive Subtypus tritt häufiger auf, besitzt eine schlechtere Prognose und wird nicht selten mit einer depressiven Störung verwechselt.

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Die SQiD besteht aus einer einzigen Frage und bezieht die An- und Zugehörigen ein, die den Betroffenen am besten kennen. Wird die SQiD „Haben Sie das Gefühl, dass ihr Angehöriger in letzter Zeit verwirrt ist?“ mit „Nein“ beantwortet, kann ein Delir mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Die SQiD kann als Screening-Tool bereits bei Aufnahme eines Patienten dienen.

Frage 307 Frage 309 Welche Maßnahmen dienen der Prävention bzw. dem nicht-pharmakologischen Management eines Delirs? Schulungen des Personals und milieutherapeutische Maßnahmen. Durch umfassende Schulung des Personals reduzieren sich die Dauer und die Schwere eines Delirs. Ob diese Strategien auch die Inzidenz des Delirs verringern, ist unklar. Ein Effekt der pharmakologischen Prävention mit Antipsychotika oder Acetylcholinesterasehemmern ist nicht belegt. Zu den milieutherapeutischen Maßnahmen zählen eine ruhige Umgebung, die Reduktion der Umgebungsreize, die Nutzung von Seh- und Hörhilfen, die Konstanz des Personals, die Anwesenheit vertrauter Personen, eine gute und blendfreie Beleuchtung, orientierungsgebende Kalender oder Uhren, die Förderung der Mobilität sowie die sog. Bodenpflege bei Sturzgefahr.

Welche Laboruntersuchungen können bei einem Delir angezeigt sein? Laboruntersuchungen des Blutbilds, der Elektrolyte, der Leber- und Nierenwerte, des TSH (Thyreotropin), des C-reaktiven Proteins, der Blutglukose und des Urins. Wenn es das Krankheitsstadium und Befinden des Patienten erlaubt, kann nach der zugrundeliegenden Ursache eines Delirs gesucht werden. Laboruntersuchungen zielen dabei auf das Erkennen behandelbarer Ursachen ab.

Frage 310 Nennen Sie mindestens 5 mögliche Ursachen eines Delirs. ●

Frage 308 ●

Welche Diagnoseinstrumente unterstützen die Diagnostik des Delirs?

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Die Confusion Assessment Method (CAM) in der deutschen Fassung von Bickel aus dem Jahr 2007, sowie die „Single Question in Delirium“ (SQiD) von Sands aus dem Jahr 2021.



Als standardisiertes, validiertes und weit verbreitetes Diagnoseinstrument steht die CAM in einer deutschsprachigen Version zur Verfügung. Bei der Einschätzung mittels CAM werden Fragen zu den obengenannten Diagnosekriterien nach ICD-10 gestellt.



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Metabolische Störungen (z. B. Hypo- bzw. Hyperglykämie, Hyperthyreose, Nebennieren-, Nieren-, Leberfunktionsstörungen) Medikamentennebenwirkungen und -interaktionen Elektrolytstörungen (v. a. Natrium, Kalzium) Dehydratation unzureichend behandelte Symptome (z. B. Schmerzen, Dyspnoe, Obstipation, Harndrang) Infektionen raumfordernde Prozesse im Schädel (z. B. Tumor, Metastasen, Blutungen) Entzugssyndrome (Alkohol, Benzodiazepine, Opioide) paraneoplastische Syndrome therapiebedingte Nebenwirkungen (z. B. Chemotherapie, Radiatio) Anämie Herzinsuffizienz Sauerstoffmangel terminale Situationen

Symptomkontrolle Meist handelt es sich um eine multifaktorielle Genese mit bis zu 6 Ursachen gleichzeitig. Nur in der Hälfte der Fälle lässt sich eine einzelne spezifische Ursache finden.

Frage 311 Welche Pharmaka können ein Delir verursachen? Beispiele von Medikamentengruppen, die ein Delir verursachen können: ● Anticholinergika ● Analgetika (Opiate und deren Metabolite bei Leber- und Niereninsuffizienz) ● Kortikosteroide ● Antidepressiva (vor allem trizyklische, aber auch SSRI) ● Antihistaminika und H2-Blocker ● Antikonvulsiva ● Antibiotika (insbesondere Fluorchinolone wie Levo- oder Ciprofloxacin) ● Benzodiazepine (und Z-Substanzen) ● Parkinson-Medikamente ● Antipsychotika ● Kardiaka (z. B. Antiarrhythmika, Betablocker, Kalziumantagonisten, Glykoside) ● Diuretika ● Theophyllin ● Lithium

zodiazepine können bei Ängsten oder Unruhe eingesetzt werden. Vorrangig können Benzodiazepine bei Entzugsdelirien eingesetzt werden, die durch abhängigmachende Substanzen aufgetreten sind (wie Alkohol, Opioide, Benzodiazepine).

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Medikamente sind in der Behandlung eines Delirs symptomatisch wirksam und können zur Linderung von Schlaflosigkeit, Unruhe oder starker Anspannung beitragen. Sie verhindern jedoch nicht das Auftreten und Verkürzen nicht die Dauer eines Delirs. In der Behandlung von Delirien sind Antipsychotika Mittel der ersten Wahl. Die Dosierung von bspw. Haloperidol orientiert sich an der Schwere der Symptomatik. Die initiale Dosis beträgt bei einer leichten Symptomatik 1 mg/ Tag, bei einer mittleren bis zu 5 mg/Tag und bei einer schweren bis zu 10 mg/Tag. Beim alten Patienten sollte mit 0,5 mg begonnen werden. Etwa 80 % der Patienten benötigen weniger als 2 mg/Tag. Im Off-Label-Use kann Haloperidol subkutan gegeben werden (1 mg subkutan entspricht 2 mg oral). Antipsychotika der 2. Generation (Risperidon, Quetiapin, Aripiprazol, Olanzapin) können als orale Alternativen erwogen werden. Die alleinige Gabe von Lorazepam kann die delirante Symptomatik verschlechtern (gilt nicht für das Entzugsdelir).

Frage 313 Vor allem beim Auftreten einer deliranten Symptomatik nach neu angesetzten Medikamenten oder Änderungen der Medikation sollte zunächst ein Auslass- bzw. Reduktionsversuch der neuen Medikamente unternommen werden. Es sollte bei jedem Patientenkontakt die Indikation der bestehenden Medikation kritisch hinterfragt werden und auf das Nötigste reduziert werden.

Frage 312 Wie behandeln Sie ein Delir medikamentös? Es gibt kein Medikament, das explizit zur Delirbehandlung zugelassen ist. Zu unterscheiden in der Behandlung ist außerdem zwischen einem Entzugsdelir und einem Delir anderer Genese. Als Mittel der Wahl eines Delirs mit Plussymptomatik (z. B. Halluzinationen, Wahnvorstellungen) gilt die Gabe eines Antipsychotikums (wie bspw. Haloperidol, Olanzapin oder Quetiapin). Ben-

Welche Erfolgsrate hat die Behandlung eines Delirs? Tritt das Delir unabhängig vom Sterbeprozess auf, so kann es auch in der Palliativversorgung reversibel sein. Für Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung wird in der palliativen Versorgung insgesamt eine Reversibilitätsrate von 49 % angegeben. Wiederholen sich delirante Episoden, sinkt die Ansprechrate auf 6 %. Die Umkehrbarkeit ist assoziiert mit der Verursachung des Delirs durch Opioide oder andere psychoaktive Medikamente sowie durch eine Dehydratation. Die Unumkehrbarkeit steht dagegen in Zusammenhang mit Indikatoren wie Hypoxie, metabolischen Veränderungen im Rahmen eines Organversagens (Leber oder Niere) sowie der therapierefraktären Hyperkalzämie. Ein (hyper- oder hypoaktives) Delir kann ein Symptom der Sterbephase sein.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 314 Welches sind die Symptome einer depressiven Episode?

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Gedrückte Stimmung Interessenverlust Freudlosigkeit sozialer Rückzug Antriebsminderung, erhöhte Ermüdbarkeit Hoffnungslosigkeit Schlafstörungen Hilflosigkeit Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Schuldgefühle Insuffizienzgefühle lebensmüde Gedanken Suizidpläne

Eine Depression ist gekennzeichnet durch affektive, kognitive und somatische Symptome. Hinzu kommen Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Schlafstörungen, erhöhte Ermüdbarkeit, psychomotorische Verlangsamung, Konzentrations- und Gedächtnisdefizite, Libidoverlust oder Symptome ohne medizinische Erklärung. Zur Diagnosestellung müssen die Symptome länger als 2 Wochen bestehen. Es können zusätzlich Angstsymptome auftreten. Abzugrenzen ist eine depressive Episode von Anpassungsstörungen, Dysthymie, Trauer sowie der Demoralisation. Diagnostisch hilfreich sind Fragen wie „Fühlen Sie sich niedergeschlagen? Gibt es noch etwas in Ihrem Leben, das Ihnen Freude bereitet? Haben Sie sich im letzten Monat niedergeschlagen, depressiv oder hoffnungslos gefühlt? Haben Sie in der letzten Zeit das Interesse oder die Freude an Aktivitäten verloren (Beruf, Hobby, Familie)?“

Wegen der depressiven Denk- und Antriebshemmung berichten Betroffene oft nur unzureichend oder zögerlich über ihr Empfinden. Hinzutreten können Selbstvorwürfe oder nihilistische Gedanken („Das hat doch alles keinen Sinn“). Depressive Symptome müssen deshalb aktiv erfragt werden. Behandler reagieren auf wiederholt vorgetragene, depressiv-negativistische Äußerungen innerlich oft abwehrend und erfragen vorrangig körperliche Symptome. Nicht zuletzt lassen sich depressive Zustandsbilder nicht immer klar oder erst im Verlauf von anderen Phänomenen bzw. Syndromen wie Trauer, Fatigue, Demoralisation, Hoffnungslosigkeit oder Anpassungsstörungen abgrenzen.

Frage 316 Welche Maßnahmen gehören zu den Basismaßnahmen in der psychotherapeutischen Behandlung einer Depression? ●

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Frage 315 Welche Aspekte erschweren die Diagnostik einer depressiven Episode? Die depressive Denk- und Antriebshemmung, die Gegenübertragung, das gewohnte Fokussieren auf körperliche Symptome sowie die unscharfe Abgrenzung zu anderen Syndromen.

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Empathisches, stützendes Vorgehen, unkonditionales Akzeptieren Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung Vermittlung von (realistischer) Hoffnung Klärung der Therapieerwartungen und des Krankheitsverständnisses des Patienten Psychoedukation der depressiven Beschwerden (biopsychosoziales Modell), ihrer Behandelbarkeit und Prognose Klärung aktueller Problemsituationen Entlastung von überfordernden Verpflichtungen Formulieren konkreter, erreichbarer Ziele Partizipative Entscheidungsfindung hinsichtlich Therapien (z. B. Antidepressiva) Einbezug von Angehörigen Ressourcenaktivierung Ansprechen von Suizidgedanken Erarbeitung eines Krisenmanagements/ Notfallplans

Basismaßnahmen unterstützen die antidepressive Therapie wesentlich.

Symptomkontrolle ●

Frage 317 Wie wird eine Depression behandelt? In der Behandlung empfiehlt sich ein Stufenplan, der sich an der Schwere der Depression und der Persistenz der Symptomatik orientiert. Die Behandlung sollte immer auf der Grundlage eines multiprofessionellen Behandlungsplans erfolgen. ●



bei schwerer Depression Vorgehen wie bei mittelgradiger Depression, jedoch Kombinationsbehandlung mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie, bei starker Angst bzw. Unruhe in Einzelfällen Einsatz von Benzodiazepinen, Hinzuziehung eines psychiatrischen Facharztes

2

Frage 318 Welche psychopharmakologischen Wirkstoffgruppen stehen zur medikamentösen Behandlung einer Depression zur Verfügung?

Bei leichter Depression stützende Gesprächsführung unter Einbindung der Angehörigen, Optimierung der palliativen Versorgung, psychologische Kurzinterventionen bei mittelgradiger Depression Vorgehen wie bei leichter Depression, es soll gleichwertig eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie angeboten werden





● ●

SSRI (selektive Serotonin-RückaufnahmeInhibitoren) SSNRI (selektive Serotonin-/NoradrenalinRückaufnahme-Inhibitoren) TZA (trizyklische Antidepressiva) Weitere Substanzklassen in Sonderfällen

Tab. 2.7 Beispiele für Medikamente, die zur Behandlung einer Depression eingesetzt werden können. Arzneimittel

Wirkstoffgruppen

Sedierende Wirkung

Halbwertszeit (Stunden)

Darreichungsform

Mirtazapin

NaSSA

sedierend

20–40

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Venlafaxin

Sertralin

Citalopram

SSNRI

SSRI

SSRI

Escitalopram (10 mg entsprechen ca. Citalopram 40 mg)

SSRI

Amitriptylin

TZA

nicht sedierend

5 retardiert: 14–18



nicht sedierend

22–36



nicht sedierend

26–40

nicht sedierend

27–32

sedierend

10–28





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● ●

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Duloxetin

SSNRI

nicht sedierend

9–19 (bei Frauen > 65 J. und Leberzirrhose verlängert)



Übliche Dosis

Tabletten (15/30/45 mg) Schmelztabletten (15/30/45 mg) Lösung zum Einnehmen (15 mg/ml)

15–45 mg/Tag (max. 45 mg/Tag) vorzugsweise (spät-)abendliche Einmalgabe

Tabletten (37,5 mg) Kapseln retardiert (37,5/75/150/225 mg)

75–150 mg/Tag 2–3 Einzeldosen, retardiert: Einmalgabe

Tabletten (50/100 mg) Lösung (20 mg/ml)

50 mg/Tag (max. 200 mg/Tag) morgendliche Einzeldosis

Tabletten (10/20/40 mg) Infusionslösung (20 mg)

20–40 mg/Tag (max. 40 mg/Tag) morgendliche Einzeldosis

Tabletten (5/10/20 mg) Lösung (20 mg/ml)

10–20 mg/Tag (max. 20 mg/Tag) morgendliche Einzeldosis

Tabletten (10/25/50 mg) Lösung (40 mg/ml) Tabletten retardiert (25/50/75 mg)

75–150 mg/Tag (max. 150 mg/Tag) 2–3 Einzeldosen, Schwerpunkt abendliche Gabe

Kapseln (30/60 mg)

60–120 mg/Tag (max. 120 mg/Tag) morgendliche Einzeldosis

NaSSA = noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva; SSNRI = Serotonin-/Noradrenalin- RückaufnahmeInhibitoren; SSRI = Serotonin- Rückaufnahme-Inhibitoren; TZA = trizyklische Antidepressiva

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Schmerztherapiegrundlagen Die Medikation sollte einschleichend begonnen werden. Nach Erreichen der empfohlenen Standarddosis besteht eine Wirklatenz von 3 bis 4 Wochen (bei älteren Patienten bis 6 Wochen). Soll ein Antidepressivum abgesetzt werden, sollte dies aufgrund von Absetzphänomenen und Rebound-Depression (Rezidiv einer depressiven Episode) schrittweise erfolgen.

2

Frage 319 Mit welchen unerwünschten Wirkungen ist bei der Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva zu rechnen? Häufige unerwünschte Wirkungen der trizyklischen Antidepressiva sind u. a. Mundtrockenheit, Sedierung, orthostatische Dysregulation, Sehstörungen, Harnverhalt, Obstipation, Ileus, Sehstörungen, Störungen des kardialen Reizleitungssystems, epileptische Anfälle und anticholinerges Delir. Die meisten der aufgeführten unerwünschten Nebenwirkungen sind Folge der anticholinergen Wirkungen der trizyklischen Antidepressiva. Trizyklische Antidepressiva sollten langsam eingeschlichen und beim Absetzen ebenso langsam ausgeschlichen werden.

Frage 320 Welche Besonderheiten kennzeichnen das Antidepressivum Mirtazapin? Mirtazapin wirkt schlafanstoßend, appetitanregend, antiemetisch und kann auch Juckreiz lindern. Je geringer Mirtazapin dosiert wird, desto stärker ist seine schlafanstoßende Wirkung durch antihistaminerge Eigenschaften (Dosisbereich off-label 3,75– 7,5 mg). Diese potente antihistaminerge Komponente kann auch bei Juckreiz therapeutisch genutzt werden. Bei Vorliegen einer agitiert-depressiven Symptomatik empfiehlt sich eine Gabe auch tagsüber. Mirtazapin führt häufig zu einer Appetitsteigerung. Bei Nichtansprechen anderer antidepressiver Wirksubstanzen (z. B. SSRI) kann es gut in Kombination eingesetzt werden. In höherer Dosierung kann es zu einem Restless-Legs-Syndrom kommen.

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Frage 321 Wie ist das Vorgehen bei Verdacht auf Vorliegen von Suizidgedanken? Der Patient wird offen nach Suizidgedanken oder -absichten gefragt. Ziel ist die Klärung konkreter Suizidpläne, Risikofaktoren (Suizidversuche in Vorgeschichte) und schützender Faktoren (Ressourcen). Bei der Verschreibung von Antidepressiva sollen Wirkstoffe mit geringer Toxizität gewählt und sedierende Medikamente bevorzugt werden. Für eine adäquate soziale Unterstützung soll gesorgt werden. Die Symptomkontrolle ist zu optimieren, einschließlich der Behandlung von Schlafstörungen. Es sollen Vereinbarungen darüber getroffen werden, was zu tun ist, wenn sich dem Patienten Suizidabsichten oder -gedanken aufdrängen. Bei akuter Suizidalität wird eine Sitzwache vorgesehen und es wird ein psychiatrischer Facharzt hinzugezogen, ggf. kann eine Einweisung in eine psychiatrische Einheit notwendig werden. Ein offenes Ansprechen von Suizidgedanken erhöht nicht die Suizidalität! Die Einschätzung der Suizidalität sollte immer dokumentiert werden und im Zweifelsfall ein Facharzt für Psychiatrie hinzugezogen werden.

Frage 322 Welche Pharmaka stehen zur medikamentösen Behandlung von Ängsten zur Verfügung? Vor allem Benzodiazepine wie Oxazepam, Lorazepam oder Alprazolam. Neben den Benzodiazepinen besitzen auch Opipramol und Pregabalin eine anxiolytische Wirkung. Bei der Gabe von Benzodiazepinen sind Substanzen mit kurzer bzw. mittellanger Halbwertszeit und fehlenden aktiven Metaboliten zu bevorzugen. SSRI (z. B. Escitalopram, Sertralin) oder SSNRI (z. B. Venlafaxin, Duloxetin) haben sich vor allem in der Langzeitbehandlung von Angststörungen bewährt.

Symptomkontrolle Frage 323 Mit welchen Wirkstoffen dürfen bzw. sollen SSRI/ SSNRI nicht kombiniert werden? Mit Monoaminooxidasehemmern, Tapentadol, Tramadol, Pethidin oder Fentanyl.

Frage 326 Welche Verhaltenssymptome und psychischen Symptome können im Verlauf einer Demenz auftreten? ● ●

Die Kombination von SSRI mit Monoaminooxidasehemmern ist kontraindiziert. Die Kombination mit Tramadol, Tapentadol, Pethidin oder Fentanyl kann in seltenen Fällen zu einem zentralen serotonergen Syndrom führen. Wegen der Erhöhung des Risikos einer gastrointestinalen Blutung sollte die Kombination von SSRI mit Thrombozytenaggregationshemmern, oralen Antikoagulanzien oder NSAID vermieden werden. Sowohl Methadon als auch Citalopram bzw. Escitalopram können die frequenzkorrigierte QT-Zeit verlängern. Paroxetin oder Fluoxetin können die Wirkung von Tamoxifen herabsetzen.

Frage 324 Welche Symptome kennzeichnen eine Demenz? ●

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Störungen des Gedächtnisses mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen Störungen des Denk- und Urteilsvermögens Störungen der Sprache, des Handelns und des Erkennens Störung der Affektkontrolle Veränderung von Antrieb und Sozialverhalten

Die Demenz ist weit mehr als eine Gedächtnisstörung! Die Symptome müssen zur Diagnosestellung mindestens 6 Monate bestehen und lassen sich so gegenüber einem Delir (rasche Entwicklung) abgrenzen.

Frage 325 Was unterscheidet eine Demenz von einem Delir? Die Bewusstseinsklarheit und die Krankheitsentwicklung, sowie die tageszeitliche Fluktuation. Der Patient mit leichter oder mittelschwerer Demenz ist in der Untersuchung bewusstseinsklar und die Symptomatik entwickelt sich meist langsam progredient über Monate bis Jahre. Eine delirante Symptomatik kann jedoch zusätzlich zu einer Demenz auftreten.

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2

Depressive Stimmung Angst Wahn Halluzinationen Veränderungen der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme Fehlidentifikationen und illusionäre Verkennungen Persönlichkeitsveränderung Agitiertheit und Rastlosigkeit aggressive Impulsdurchbrüche Hyperaktivität beständiges Rufen Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus

Zu Beginn der Erkrankung treten häufig ängstlichdepressive Symptome auf. Die Wahnideen sind geprägt von Themen des Diebstahls, der Vergiftung oder der Eifersucht. Eine bizarr ausgestaltete Wahnsystematik findet sich selten. Die Aufhebung des Schlaf-Wach-Rhythmus stellt eine besondere Belastung für pflegende Angehörige dar. In der Therapie sollten pharmakologische Interventionen mit milieutherapeutischen Konzepten kombiniert werden.

Frage 327 Worin bestehen die Herausforderungen in der palliativen Behandlung von Menschen mit Demenz? Die erlöschende verbale Ausdrucksfähigkeit und die veränderte Selbstwahrnehmung erschweren die Erfassung insbesondere von subjektiven Symptomen wie Schmerzen, Übelkeit oder Dyspnoe. Dadurch können demenzkranke Patienten in fortgeschrittenen Stadien auch nicht über Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie Auskunft geben. Der zunehmende Verlust der Denk- und Urteilsfähigkeit macht eine stellvertretende Entscheidung durch den rechtlichen Vertreter notwendig. Darüber hinaus lässt sich bei demenziellen Verläufen eine Sterbephase selten klar abgrenzen.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 328 Welche Regeln sind in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz zu beachten?

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Sprechen Sie mit demenzkranken Menschen nicht lauter, sondern deutlicher, und wenden Sie ihnen beim Reden das Gesicht zu. Nähern Sie sich ihnen von vorne und möglichst auf gleicher Augenhöhe. Flüstern beruhigt aufgeregte und ängstliche Personen. Wenn Sie zügig vorankommen wollen, müssen Sie im Umgang mit Demenzkranken effektiv langsamer werden und „gefühlt“ in Zeitlupe arbeiten. Bereiten Sie die Betroffenen sowohl verbal als auch pantomimisch darauf vor, wenn Sie Tätigkeiten an ihnen vornehmen wollen. Gehen Sie grundsätzlich davon aus, dass den Äußerungen demenzkranker Menschen eine subjektiv sinnvolle Botschaft zugrunde liegt, die Sie mit etwas Übung und Fantasie ergründen können.

Frage 330 Was kennzeichnet Unruhe? Unruhe ist eine sehr unspezifische Bezeichnung für innere oder äußere Agitiertheit, meist mit motorischer Bewegungssteigerung. Ohne eine Einordnung wird sie häufig falsch behandelt, da sie für völlig unterschiedliche Syndrome stehen kann. Falls Unruhe medikamentös zu behandeln ist: ● bei deliranter Unruhe Antipsychotika ● bei psychotischer Unruhe Antipsychotika ● bei ängstlicher Unruhe Anxiolytika ● bei depressiver Unruhe sedierende Antidepressiva ● bei rein psychomotorischer Unruhe ohne Störung der Vigilanz (niederpotente) Antipsychotika ● bei terminaler Unruhe unter Umständen eine Kombination der zuvor genannten Wirkstoffe, je nachdem, welche Symptomatik im Vordergrund steht

Frage 329 Frage 331 Wie wird eine Schlafstörung medikamentös behandelt? Medikamente der ersten Wahl sind sedierende Antidepressiva (off-label: Mirtazapin, Trazodon, Trimipramin), Z-Substanzen (z. B. Zolpidem, Zopiclon) oder Benzodiazepine (z. B. Oxazepam, Temazepam). Als schlafanstoßende Medikamente stehen darüber hinaus niederpotente Antipsychotika (z. B. Prothipendyl, Pipamperon, Quetiapin in niedriger Dosierung) zur Verfügung. Benzodiazepine sollten nach Möglichkeit nicht länger als 2 Wochen eingesetzt werden (Risiko der Abhängigkeit). Regeln der Schlafhygiene sind die nicht-medikamentöse Basis der Behandlung und haben sich als wirksam erwiesen.

Welche Gründe bzw. Ursachen können zu einem Todeswunsch führen? Die Gründe für die Äußerung eines Todeswunsches sind meist vielfältig. Ihm können körperliche, psychosoziale und/oder spirituelle Ursachen zugrunde liegen. Häufig genannt werden ausgeprägte körperliche Symptome (Schmerzen, Dyspnoe usw.) und die Angst davor. Weitere Gründe sind ● die Abnahme körperlicher und geistiger Fähigkeiten, ● Erschöpfung, ● antizipierter oder realer Kontrollverlust (über eigene Körperfunktionen sowie über den Verlauf des Sterbens), ● Angst vor der Zukunft, ● das Zur-Last-Fallen gegenüber anderen (Familie bzw. Freunden), ● eine fehlende Teilnahme an Alltagsaktivitäten, ● eine soziale Isolation, ● der Verlust von Würde oder ● ein Lebenssinnverlust. Im psychologischen Bereich können das Vorliegen einer Depression oder das Empfinden von Hoffnungslosigkeit verursachend sein.

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Symptomkontrolle Frage 332 Welche Form kann ein Todeswunsch annehmen? Die Äußerung eines impliziten Lebenswillens, die Akzeptanz des Sterbens oder den hypothetischen bzw. konkreten Wunsch zu sterben. Hinter der Äußerung eines Todeswunsches kann sich paradoxerweise ein Ausdruck eines Lebenswillens verbergen („Ich möchte weiterleben, jedoch nicht so.“). Es kann sich aber auch um ein sich Fügen in sein Schicksal handeln, ohne den Todeseintritt beschleunigen zu wollen. Schließlich kann der Wunsch nach einem beschleunigten Versterben hypothetisch als Option („Wenn es mir ganz schlecht gehen sollte, dann möchte ich …“) oder als konkretes Anliegen (z. B. Wunsch nach assistiertem Suizid) geäußert werden. Ein Todeswunsch kann gelegentlich (bei fast der Hälfte der Patienten) oder auch anhaltend (bei bis zu 10 % der Patienten) auftreten.

Frage 333 Wie gehen Sie mit einem geäußerten Todeswunsch um? Ein Todeswunsch sollte empathisch und offen angesprochen werden. Die Erfahrung zeigt, dass Patienten und ihre Angehörigen es meist als hilfreich und entlastend empfinden, wenn sie über einen Todeswunsch sprechen können. Solche Wünsche zu haben, sie aber nicht aussprechen zu können, ist im Gegenteil deutlich belastender. Oft haben die professionell Begleitenden jedoch eine (meist unbegründete!) Scheu davor. Die in Studien berichtete Häufigkeit des Auftretens von Todeswünschen bei Palliativpatienten legt die Annahme nahe, dass solche Gedanken zum Krankheitsprozess dazugehören. Auch dabei gilt: Das Sprechen über Todeswünsche generiert keine Suizidgedanken und löst auch keinen Suizid aus.

2.3.5 Respiratorische Symptome Johannes Bükki

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Frage 334 Was ist Dyspnoe? Dyspnoe ist eine subjektive Empfindung von Atemnot, die häufig akut bedrohlich erlebt wird, multifaktoriell bedingt sein kann und mit objektiven Parametern wie Sauerstoffsättigung, arteriellem Sauerstoffgehalt oder Lungenfunktion nur gering korreliert. Entscheidend ist, was der Patient sagt. Diagnostische Maßnahmen können zwar meist die Ursache klären, helfen aber zur Erfassung der Dyspnoe wenig. Schwere obstruktive oder restriktive Zustände können mit erhöhter Atemarbeit kompensiert werden. Das hält die Blutgase für eine Weile noch im Normbereich, geht aber mit beträchtlicher Dyspnoe einher. Eine rasche Therapie der Dyspnoe ist im Akutfall wegen der bedrohlichen und belastenden Situation in der Regel schon vor weiterer Diagnostik notwendig. Patienten mit chronischer Dyspnoe haben oft individuelle Kompensationsstrategien entwickelt.

Frage 335 Was sind die initialen Schritte bei der Betreuung von Patienten mit Dyspnoe? ●



● ●

Klärung, ob ein akutes Ereignis oder ein chronischer Verlauf vorliegt erste Evaluation möglicher (insbesondere iatrogener) Ursachen Erfassung des Schweregrads ruhige Atmosphäre; nicht automatisch O2 geben

Im Notfall ist es für den Patienten lebenswichtig, dass potenziell reversible Ursachen wie akute Herzinsuffizienz, Lungenembolie, Asthmaanfall oder Pneumonie erkannt und rasch einer spezifischen Therapie zugeführt werden. Iatrogene Auslöser (z. B. Überwässerung) müssen berücksichtigt werden. Eine langsam progrediente Dyspnoe kann genauso quälend erscheinen, hat meist jedoch andere therapeutische Konsequenzen. Der Schweregrad der Dyspnoe (Belastungs-, Sprech- oder Ruhedyspnoe?) soll-

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Schmerztherapiegrundlagen te erfragt und mittels numerischer Rating-Skala von 0 (keine Luftnot) bis 10 (schwerste vorstellbare Luftnot) initial und im Verlauf dokumentiert werden. Eine Sauerstoffgabe ist bei hypoxischen Patienten indiziert, ansonsten nicht routinemäßig! Am wichtigsten sind die Schaffung einer beruhigenden Umgebung und die kontinuierliche Anwesenheit einer Fachperson, da bedrohliche Dyspnoe häufig mit Todesangst einhergeht.

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Frage 336 Was sind die häufigsten Ursachen von Dyspnoe bei Patienten mit weit fortgeschrittener Krebserkrankung? ● ● ● ● ● ● ● ●

Lungenembolie Pneumonie Pleuraerguss bzw. Aszites Lungenmetastasen Lymphangiosis carcinomatosa Anämie zunehmende Dekonditionierung Kachexie

Meist ist ein Tumorwachstum mittelbare oder unmittelbare Ursache (maligne Ergüsse, intrapulmonaler Befall, Schwäche der Atemmuskulatur bei Kachexie); entsprechend der zunehmenden Ventilationseinschränkung kommt es zu einer allmählich progredienten Dyspnoe. Größere Mengen Aszites können die Zwerchfellbeweglichkeit behindern und so Dyspnoe auslösen. Ausgeprägte Tumoranämie wird oft erstaunlich lange kompensiert, bis Luftnot auftritt. Meist ist diese dann mit weiteren Anämiesymptomen (Fatigue, Schwindel) assoziiert. Weitere Ursachen sind möglich (z. B. Stimmbandparese, Angststörung). Zentrale Lungenembolien können eine akut bedrohliche Symptomatik auslösen. Auch eine Pneumonie kann, insbesondere bei immunsupprimierten Patienten, ohne weitere typische Symptomatik fulminant verlaufen und sich allein mit massiver Luftnot präsentieren.

Frage 337 Was sind die häufigsten Ursachen von Dyspnoe bei Patienten mit weit fortgeschrittenen nicht malignen Erkrankungen (z. B. neuromuskuläre Erkrankungen, Herzinsuffizienz, COPD)?

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Schwäche der Atemmuskulatur Pneumonie Lungenödem obstruktive Ventilationsstörung Emphysem Pneumothorax

Bei neurogener Muskelschwäche kann der Patient die zur Oxygenierung notwendige Atemarbeit nicht mehr aufbringen und erfährt eine zunehmende, schließlich belastungsunabhängige Dyspnoe, häufig bei erhaltenem Bewusstsein. Das kann zu existenziellen Angstzuständen führen. Gestörte Schluckkoordination und verminderter Hustenstoß prädisponieren zu Aspirationspneumonien, die zusätzlich Luftnot auslösen können. Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz weisen rezidivierende kardiopulmonale Dekompensationen auf, die Dyspnoe auslösen können, auch bevor das Vollbild eines Lungenödems eintritt. Ein Status asthmaticus und schwerste Restriktionen durch Emphysembullae oder einen Pneumothorax kennzeichnen das Bild einer COPD im Endstadium. Dabei korreliert das Ausmaß der Hypoxie – an die sich die Patienten manchmal erstaunlich gut adaptiert haben – kaum mit subjektiver Luftnot.

Frage 338 Welche diagnostischen Maßnahmen sind bei den Patienten aus der vorigen Frage sinnvoll? Anamnese, körperliche Untersuchung und ggf. bildgebende Diagnostik wie Röntgenthorax, Sonografie und CT. Eher nicht sinnvoll sind die Spirometrie und eine Blutgasuntersuchung. Wichtig sind der Beginn der Luftnot, der zeitliche Verlauf und individuelle Faktoren, die das Symptom verbessern oder aggravieren. Bei Sprechdyspnoe ist auf das Kommunikationsvermögen des Patienten unbedingt Rücksicht zu nehmen, ggf. ist eine Fremdanamnese nötig. Soziale, psychische und existenzielle Belastungen wie Ressourcen sollten erfasst und auf Relevanz für die Dyspnoe geprüft werden. Eine unauffällige Beobachtung in verschiedenen Situationen durch verschiedene Berufsgruppen hilft z. B. bei der Differenzierung, ob eher Angst oder körperliche Belastung die Luftnot auslöst. Grundsatz jeglicher Diagnostik ist: Nur wenn das Ergebnis unmittelbare therapeutische Konsequenzen hat, sollte die Maßnahme eingesetzt werden. Die

Symptomkontrolle körperliche Untersuchung kann eine tracheale Einengung (Stridor), eine relevante Obstruktion (pulmonale Spastik) oder eine Restriktion (z. B. bei großen Ergussmengen) und ein Lungenödem sowie extrathorakale Ursachen (z. B. Kachexie, muskuläre Schwäche) ausschließen. Für viele intraparenchymale Prozesse wie pneumonische Infiltrate und Metastasen sowie für vaskuläre Ereignisse (Lungenembolie) ist sie jedoch vergleichsweise wenig sensitiv. Bei diesen Patienten können ein konventionelles Röntgen (Infiltrat, Metastasen?), eine Sonografie (Erguss?) oder eine CT (Lungenembolie?) zielführend sein. Die meisten Patienten werden eine Spirometrie nicht tolerieren. Eine Blutgasanalyse ist bezüglich der Fragestellungen im palliativmedizinischen Bereich zu wenig spezifisch.

Frage 339 Was mache ich, wenn der Patient Dyspnoe angibt, dabei aber entspannt und belastbar erscheint? Mögliche Ursachen klären: Konditionierung, sekundärer Krankheitsgewinn, Opioidwunsch. Dyspnoe ist grundsätzlich durch den Patienten definiert, subjektiv und daher objektiv nicht zuverlässig zu messen. Die Beschwerden sind daher ernst zu nehmen, auch wenn weitere Befunde – etwa ein entspanntes Verhalten, eine tiefe, ruhige Atmung oder körperliche Belastbarkeit – Gegenteiliges suggerieren. Mögliche Erklärungen für diese Diskrepanz sind: ● Konditionierung (z. B. Arztkontakt löst reflexhaft die Empfindung “Dyspnoe” aus) ● sekundärer Krankheitsgewinn ● Wunsch nach Opioiden Wichtig sind Fremdanamnese, Beobachtung und Assessment durch verschiedene Professionen und ggf. die Ablenkung im Gespräch auf andere Themen.

Häufiger verneinen Patienten Dyspnoe trotz sichtbarer Zeichen wie Tachypnoe, Sättigungsabfall und Einsatz der Atemhilfsmuskulatur. Meist sind dies Personen mit chronischer Dyspnoe, lange bestehender Adaptation und gut eingespielten Coping-Strategien. Eine Therapie der Luftnot ist von den Betroffenen manchmal gar nicht gewünscht, etwa weil sie eine Einschränkung ihrer bisherigen Aktivität durch Opioide befürchten. Vorrangig ist hier ein Vertrauensaufbau als therapeutische Grundlage weiterer Maßnahmen.

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Frage 341 Kann Dyspnoe auch bei “guter” O2-Sättigung/BGA auftreten? Ja – subjektives Empfinden kann sensitiver als objektive Befunde sein! Ja. Objektive Parameter der Oxygenierung korrelieren nur bedingt mit subjektiv empfundener Dyspnoe, welche manchmal schwer fassbar und multifaktoriell bedingt ist. Oben genannte psychische und soziale Hintergründe dürfen bei “guten Werten” nicht vorschnell als Ursache der Dyspnoe angenommen werden, eine kausale Klärung (Anamnese, klinische Untersuchung und ggf. bildgebende Verfahren) ist hier vorrangig.

Frage 342 Welche nicht-pharmakologischen therapeutischen Optionen gibt es für die Patienten aus Frage 332 und 333? ● ● ● ● ●

beruhigende Atmosphäre Anwesenheit von Personen bequeme Kleidung und Lagerung offenes Fenster oder Ventilator Mundpflege

Frage 340 Wie gehe ich vor, wenn trotz klinischer Zeichen (z. B. Tachypnoe) Dyspnoe verneint wird? Insbesondere bei chronisch Erkrankten Vertrauen aufbauen, bestehende Coping-Strategien würdigen und über Nutzen der Symptombehandlung informieren.

Die genannten Maßnahmen werden vor allem von der Pflege durchgeführt, eine Information und Schulung der Angehörigen ist jedoch wichtig – vor allem für den häuslichen Bereich. Zunächst muss vermieden werden, dass sich Aufgeregtheit und Unsicherheit in der Familie und im Team im Sinn einer positiven Rückkopplung auf den Patienten übertragen und so seine Angst und Luftnot verstärken. Oft wirkt schon die bloße Anwesenheit einer Person beruhi-

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Schmerztherapiegrundlagen gend. Des Weiteren kann sich eine spezifische Lagerung (z. B. bei Herzinsuffizienz) günstig auswirken. Ein kühlender Luftstrom (offenes Fenster, Ventilator) wirkt über trigeminale Sensoren lindernd. Konsequente Mundpflege und Befeuchtung der Schleimhäute verhindern Austrocknung, Verborkung und Superinfektion.

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Frage 343 Welche weiteren Maßnahmen können den Patienten aus Frage 332 und 333 von anderen Berufsgruppen angeboten werden? Atem- und Physiotherapie sowie psychologische und existenzielle Unterstützung. Viele Patienten profitieren subjektiv von einer Atemtherapie, die durch einen ganzheitlichen Ansatz (physikalisch-manuell, imaginative Elemente) entspannend wirkt. Mittels Physiotherapie wird darüber hinaus – eher in der subakut-chronischen Phase von Dyspnoeepisoden – eine Ökonomisierung der muskulären Ressourcen trainiert. Insbesondere für Patienten mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit und führender Angstkomponente bietet sich damit ein guter nonverbaler Zugang. Psychotherapeutisch-unterstützende Verfahren finden eher in der Rezidivprophylaxe Anwendung, während seelsorgerlicher Support insbesondere dann indiziert ist, wenn Dyspnoe existenzielle Ängste beim Betroffenen und dessen Familie auslöst.

Frage 344 Ist bei den Patienten aus Frage 332 und 333 eine Sauerstoffgabe indiziert? Nicht generell – Nutzen und Risiko sind wie bei allen Therapien abzuwägen. Zur symptomatischen Linderung von Dyspnoe ist bei nicht hypoxischen Patienten die Sauerstoffgabe über eine Nasensonde nicht effizienter als Raumluft. Entscheidend ist die trigeminale Stimulation durch strömendes kühles Gas. Indiziert ist die Sauerstoffgabe allein bei symptomatischer Hypoxie. In der Sterbephase ist ein Benefit kaum nachweisbar. Nachteilig sind

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die hohe Entflammbarkeit (Cave: Raucher!) die Induktion einer CO2-Narkose nach Wegfall der atemstimulierenden Hypoxie bei COPD-Patienten die Austrocknung von Nasen- und Mundschleimhaut eine alveoläre Epithelschädigung bei hohen Sauerstoffkonzentrationen die Sturzgefahr und Einschränkung der Mobilität durch den zuführenden Schlauch Kosten und Logistik der Heimsauerstoffversorgung

Wichtig ist die rechtzeitige Kommunikation über Nutzen und Risiken, um eine Fixierung der Patienten und Angehörigen auf eine fragwürdig indizierte Sauerstoffgabe zu vermeiden. Alternativ sollte Frischluftzufuhr (offenes Fenster, Handventilator) in Kombination mit pharmakologischen und nichtpharmakologischen Maßnahmen angeboten werden.

Frage 345 Welche pharmakologischen Optionen gibt es zur symptomatischen Behandlung der Dyspnoe? ● ●

Opioide Benzodiazepine

Die beste Evidenzlage bezüglich der Symptomkontrolle besteht für die Opioide; Referenzsubstanz ist Morphin. Der Pathomechanismus besteht vermutlich in einer zentralen Dämpfung des Atemantriebs, was zu einer Reduktion von Tachypnoe, unnötiger Totraumventilation und Atemarbeit führt. Angesichts der begrenzten Energieressourcen der häufig kachektischen Patienten bewirkt Morphin so eine Ökonomisierung der Sauerstoffaufnahme (gleiche Oxygenierung bei geringerer Atemarbeit). Bei einer Dosistitration nach Atemfrequenz besteht keine Gefahr einer Überdosierung, die Nebenwirkungen sind dieselben wie bei der analgetischen Morphingabe. Absolute Kontraindikationen gibt es nicht, obwohl insbesondere bei Patienten mit kardiopulmonalen Grunderkrankungen aus Sorge um die Atemdepression oft kein Opioid verordnet wird. Adjuvant können insbesondere bei ausgeprägter Angstkomponente kurzwirksame Benzodiazepine (Midazolam, Lorazepam) gegeben werden, sie können das Opioid in der Regel aber nicht ersetzen.

Symptomkontrolle Frage 346 Wie wird Morphin bei akuter Dyspnoe bei einem opioidnaiven Patienten dosiert? Faustregel: initial 2,5–5,0 mg oral oder 1,0– 2,5 mg parenteral, bei Bedarf stündlich wiederholen, bei Nichtansprechen die folgende Dosis um 30–50 % erhöhen. Bei sehr alten Patienten oder bei nicht malignen Erkrankungen kann eine noch niedrigere Dosis ausreichend sein (z. B. 1 mg alle 6–8 Stunden). Wenn der Patient schlucken und enteral resorbieren kann, ist die orale Route zu bevorzugen, der Wirkeintritt ist allerdings mit ca. 20 Minuten etwas länger als bei parenteraler Gabe (ca. 10 Minuten). Die Anfangsdosis beträgt bei Bedarf 2,5–5,0 mg oral oder 1,0–2,5 mg parenteral. Für ältere oder sehr kachektische Patienten sollte die niedrigere Dosis verwendet werden. Morphin darf in dieser Dosierung höchstens in stündlichen Abständen verabreicht werden; falls keine befriedigende Wirkung beobachtet wird, soll die folgende Dosis um 30–50 % erhöht werden. Die über 24 Stunden verabreichten Bedarfsdosen werden addiert und nach einem Dauerschema – möglichst in retardierter Form oder kontinuierlich – verabreicht. Zusätzlich muss eine Bedarfsdosis (ca. 1/6 der Tagesgesamtdosis) angeboten werden, auch dabei wieder mit Begrenzung auf eine maximal stündliche Gabe. Rechenbeispiel: ● Morphin 2 % Lösung 5 mg po 4 × /24 h gegeben → Morphin ret. 10 mg po alle 12 h, Bedarfsdosis 3–4 mg ● Morphin 2,5 mg sc 6 × /24 h gegeben → Morphin 15 mg sc kontinuierlich über 24 h, Bedarfsdosis 2,5 mg

Frage 347

Benzodiazepine selbst haben keine intrinsische Wirkung gegen Luftnot, jedoch haben Studien gezeigt, dass die Opioidwirkung durch eine adjuvante Benzodiazepingabe verbessert wird. Als maßgeblich wird die anxiolytische Komponente angenommen, da Dyspnoe oft mit starker Angst einhergeht. Als Nebenwirkungen sind Fatigue und – vor allem bei älteren Menschen – Delir (= „paradoxe Reaktion“) beschrieben. Adäquat sind in dieser Indikation vor allem die kurzwirksamen Präparate: Lorazepam kann oral (als konventionelle oder schneller lösliche, aber nicht schneller wirksame Schmelztablette) 0,5– 2,5 mg in der Einzeldosis gegeben werden. Achtung: Auch die Schmelztablette wird mit dem Speichel geschluckt und enteral, nicht transmukosal resorbiert. PEG-gängig ist nur die konventionelle Galenik. Midazolam ist das Mittel der Wahl bei parenteraler Verabreichung (0,5–2,0 mg als Einzeldosis oder 5– 10 mg in 24 Stunden als Dauerinfusion), etwa bei sterbenden Patienten in Kombination mit parenteralem Morphin.

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Frage 348 Und wenn Dyspnoe schlecht auf Opioide anspricht? Dann besteht der Verdacht auf verstärkende, die Dyspnoe unterhaltende Interaktionen. Eine nicht auf adäquate Opioiddosen ansprechende Dyspnoe stellt eine besondere Herausforderung dar. Analog zum “Total-Pain”-Konzept nach Cicely Saunders wird das Symptom unterhalten durch emotionale, wirtschaftliche, existenzielle und körperliche Faktoren, die wie in einem Teufelskreis die Dyspnoe verstärken. Da der Pathomechanismus einer unökonomischen Atmung (s. o.) hierbei weniger eine Rolle spielt, sind auch Opioide meist ineffektiv. Die kausalen Faktoren müssen identifiziert und – meist multiprofessionell – bearbeitet werden.

Wie kann man Benzodiazepine zur Linderung der Dyspnoe verabreichen? ● ●

Lorazepam: 0,5–2,5 mg per os Midazolam: 5,0–10,0 mg pro 24 Stunden kontinuierlich parenteral

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 349 Welche Optionen bestehen bei therapierefraktärer Dyspnoe?

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Palliative Sedation mit Midazolam oder mit einer Kombination aus Midazolam und Levomepromazin. In seltenen, therapierefraktären Fällen wird mit Opioiden allein bzw. mit der Opioid-BenzodiazepinKombination keine befriedigende Symptomkontrolle erreicht. In diesem Fall kann eine palliative Sedation angeboten werden: Nach Aufklärung von Patient und Angehörigen, Festlegung des Therapieziels und Dokumentation wird eine Sedation eingeleitet, deren Tiefe laufend anhand der Symptomfreiheit überprüft wird. Bei adäquater Durchführung ist diese Therapieform nicht lebensverkürzend und stellt keine Form der Sterbehilfe dar, die Indikation wird aber wegen mancherorts zunehmend häufiger Anwendung kontrovers diskutiert (was heißt „therapierefraktär“?). Zum Einsatz kommen Sedativa wie Midazolam in entsprechender Dosierung oder in Kombination mit Levomepromazin. Eine unbegrenzte Steigerung der Opioiddosis ist im Rahmen einer palliativen Sedation hingegen nicht indiziert.

Frage 350 Welche krankheitsspezifischen Maßnahmen sind bei Patienten mit Dyspnoe in der Palliativmedizin zusätzlich sinnvoll? Pleurapunktion, Pleurodese und Gabe von Antiobstruktiva, Diuretika, Steroiden, Antibiotika und Antikoagulanzien. Primäres Ziel ist immer die Symptomkontrolle. Bei Patienten, die sich nicht unmittelbar im Sterbeprozess befinden, muss auch in der palliativen Situation eine krankheitsspezifische Therapie der Luftnot miterwogen werden – immer mit dem vorrangigen Ziel der Symptomkontrolle, nicht dem der Lebensverlängerung. Lindernd können möglicherweise folgende Maßnahmen wirken ● therapeutische Pleurapunktion, ggf. mit Einlage einer temporären oder permanenten Drainage („PleurX“), ● Pleurodese

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Optimierung der antiobstruktiven Therapie (Inhalativa) Senkung der kardialen Vorlast (Diuretika) abschwellende Maßnahmen bei Tumorkompression und Senkung der Kapillarpermeabilität bei Lymphangiosis carcinomatosa (Steroide) Eindämmen rezidivierender Infekte (Antibiotika) Unterstützung des endogenen Fibrinolysesystems (Antikoagulanzien)

Keinesfalls darf reflexhaft reagiert werden, vielmehr muss bei diesen spezifischen Optionen das NutzenRisiko-Verhältnis jeweils sehr kurzfristig reevaluiert werden. Insbesondere gilt dies für akute Ereignisse mit bronchoskopischem Interventionsbedarf. In diesem Fall sollte eine prospektive Entscheidung vorliegen, was im Notfall zu tun sei.

Frage 351 Was ist der wahrscheinlichste natürliche Verlauf bei Patienten mit schwerer Dyspnoe? Zunächst allmählich zunehmende Fatigue, dann Somnolenz bei sog. CO2-Narkose und schließlich Koma zum Zeitpunkt des Todes. Viele Betroffene äußern nicht nur im akuten Dyspnoeanfall schwere Angstzustände, sondern befürchten auch ein qualvolles Ersticken bei vollem Bewusstsein am Lebensende. Wichtig und häufig sehr erleichternd ist die Aufklärung, dass der klinische Verlauf meist anders ist: Eine zunehmende Hyperkapnie führt in der Regel zu Schläfrigkeit und reduziertem Bewusstseinszustand bis hin zum Koma, bevor der Tod in der Hypoxie eintritt. Zusätzlich sollte auch über die Therapiemöglichkeiten aufgeklärt werden – manche Patienten fühlen sich durch die Option einer palliativen Sedation entlastet.

Frage 352 Welche lebensbedrohlichen Notfälle sind mit schwerer Dyspnoe assoziiert und was ist zu tun? Akutes, terminales Ereignis mit schwerster Dyspnoe, z. B. bei fulminanter Lungenembolie, Blutung aus Hals-Nasen-Ohren-Tumor oder Verlegung der oberen Atemwege.

Symptomkontrolle Wenn ein akutes Ereignis mit schwerster Dyspnoe zu erwarten ist, z. B. eine Arrosionsblutung oder Trachealverlegung bei Hals-Nasen-Ohren-Tumoren, müssen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Zunächst sollte die Entscheidung über das geplante Vorgehen schriftlich dokumentiert werden. Insbesondere muss geklärt sein, ob eine Krankenhauseinweisung bzw. intensivmedizinische und apparative Maßnahmen gewünscht sind. Für den Notfall müssen rasch wirksame, parenteral applizierbare Medikamente beim Patienten bereitstehen, insbesondere wenn er zu Hause versorgt wird: Morphin 10 mg und Midazolam 10 mg, jeweils mit subkutaner Kanüle oder bei Vorliegen eines intravenösen Zugangs mit passender Verbindung gebrauchsfertig aufgezogen. Die Angehörigen müssen Bescheid wissen, was in dieser Situation zu tun bzw. wer zu alarmieren ist. Es kann so notfallmäßig eine Sedierung begonnen werden, selbst wenn weitere Interventionen geplant sind (Bronchoskopie, Angiografie). Häufig lässt sich so am Lebensende eine bedrohliche Lage in eine ruhige Situation mit guter Symptomkontrolle überführen.

Frage 353 Was ist eine obere Einflussstauung und was kann man tun?

Frage 354 Was sind die häufigsten Ursachen für Husten bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Erkrankungen? ● ● ● ● ●

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Verschlucken Tumorinfiltration Pneumonie kardiale Stauung Rauchen

Pathophysiologisch liegt eine Reizung der tracheobronchialen Mukosa vor, die unspezifisch den Hustenreflex mit stoßweiser, beschleunigter Ausatmung auslöst. Bei neurogenen oder funktionellen Schluckstörungen können Aspirationen zu Husten führen und in der Folge – bei häufigem Verschlucken oder abgeschwächtem Hustenstoß – zu Aspirationspneumonien. Eine direkte Invasion der Schleimhäute durch Tumorzellen kann quälenden, therapieresistenten Husten verursachen. Hingegen klingt Husten bei Pneumonie oder Lungenödem mit Behandlung der auslösenden Ursache in der Regel rasch ab. Zusätzliche chronisch-entzündliche Stimuli wie z. B. Zigarettenrauch können einen Dauerhusten begünstigen.

Frage 355 Es handelt sich um eine subakute Verlegung des venösen Rückflusses vom Kopf und von den Armen mit Stauungsödemen und Luftnot. Therapiert wird symptomatisch mit Steroiden und ggf. Heparin, ggf. auch mit einer spezifischen Therapie.

Was ist beim Husten für die Patienten am belastendsten? ● ● ●

Meist ist ein rasch proliferierender, mediastinaler Tumor (Lymphom, kleinzelliges Bronchialkarzinom) oder ein Thrombus die Ursache. Die Patienten geben Kopfschmerzen, Dyspnoe, Orthopnoe oder Schwindelgefühl an. Klinisch fallen Stauungsödeme, eine Zyanose der betroffenen Region oder eine Halsvenenstauung auf. Bevor eine bildgebende Diagnostik und ggf. eine spezifische Therapie (Chemotherapie, Bestrahlung, interventionelle Verfahren) durchgeführt werden können, muss rasch symptomatisch behandelt werden: Oberkörperhochlagerung, Dexamethason bis 16 mg/Tag, ggf. Heparingabe und Analgesie nach Bedarf.

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Reizhusten starke Verschleimung Dyspnoe Erstickungsangst Erbrechen

Besonders quälend sind ein trockener Reizhusten ohne Schleimproduktion (z. B. bei Tumorinfiltration eines Bronchus), da es keine spontane Besserung gibt, und starke Verschleimung (z. B. bei ausgedehnter Pneumonie) bei Patienten, die zu schwach zum Abhusten sind. Sie leiden in der Folge unter Dyspnoe und Erstickungsangst. Unstillbarer Husten kann zudem Würgereiz und Erbrechen auslösen, den Schlaf behindern und die Angehörigen beunruhigen.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 356 Welche Therapieoptionen bestehen bei einer erhöhten Schleimproduktion?

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ansprechen sollte Morphin auftitriert werden; eine Kombination von Codein mit Morphin ist nicht sinnvoll.

Frage 358 ● ● ● ● ●

Inhalation ggf. Mukolytika und Antiobstruktiva physikalische Maßnahmen Anticholinergika ggf. Antibiotika

Was kann man bei Hämoptysen (Bluthusten) in einer palliativen Situation tun? ● ●

Die Verabreichung von 0,9 %iger Kochsalzlösung über Vernebler, ggf. mit Ambroxol oder Salbutamol, wird häufig als lindernd empfunden. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Ambroxol können den Schleim verflüssigen, sind aber bei Patienten mit zu schwachem Hustenstoß kontraindiziert. Dasselbe gilt für das Abhusten unterstützende physiotherapeutische Maßnahmen. Durch anticholinerg wirkende Pharmaka wie Scopolamin (transdermale Applikation), Glycopyrroniumbromid (0,2 mg subkutan alle 6 Stunden), N-Butylscopolamin (40 mg subkutan kontinuierlich über 24 Stunden) oder Amitriptylin (25 mg per os abends) kann die Schleimproduktion reduziert werden. Wird ein bakterieller Infekt angenommen, kann ein Versuch mit Antibiotika gestartet und nach wenigen Tagen reevaluiert werden.

Frage 357 Wie wird trockener Reizhusten therapiert? Mit kausalen Therapien, Natriumcromoglicat inhalativ und Unterdrückung des Hustenreflexes mittels Opioiden (Dextromethorphan, Codein, Morphin). Reversible Ursachen wie gastroösophagealer Reflux und ACE-Hemmer (Inhibitoren des Angiotensin converting Enzyme) sollten behoben werden. Sind tumoröse Läsionen die Auslöser, müssen spezifische und invasive Maßnahmen (z. B. Bestrahlung, Tracheal-Stent) erwogen werden, wenn der Zustand des Patienten dies zulässt. Ein Versuch mit inhalativem Natriumcromoglicat ist wenig toxisch. Ziel einer systemischen medikamentösen Therapie ist die zentrale Suppression des physiologischen Hustenreflexes. Dextromethorphan oder Codeinphosphat (30 mg alle 6 Stunden per os) sind gut verträglich und nicht als Betäubungsmittel verschreibungspflichtig. Bei Nicht-

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Klärung des Therapiewunsches Absetzen von Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern Gabe von Hämostatika palliative Sedierung

Hämoptysen können von geringer Blutbeimengung im Sputum (entzündlich veränderte Bronchialschleimhaut) bis hin zu terminalen Blutungsereignissen (z. B. bei Tumorarrosion) reichen. Falls die Einstellung des Patienten zu invasiven Maßnahmen unbekannt ist, muss sie rasch erfragt werden. Invasive Maßnahmen wie hämostyptische Bestrahlung oder bronchoskopische Interventionen kommen nur in wenigen Fällen infrage. Da diese Patienten häufig gerinnungshemmende Substanzen einnehmen, müssen diese zunächst abgesetzt werden. Hustenreiz und Dyspnoe werden symptomatisch behandelt. Tranexamsäure (Cyklokapron; 3 × 1 g per os) kann zur Blutstillung versucht werden, falls der Patient schlucken kann. Jedoch gibt es keine Studiendaten für diese Situation und mögliche prothrombotische Nebenwirkungen müssen berücksichtigt werden. Bei quälenden, rezidivierenden Episoden kann eine palliative Sedierung angeboten werden.

Frage 359 Was ist Rasselatmung? Durch Sekretion in der Trachea hervorgerufenes Atemgeräusch während der Sterbephase. In den letzten Tagen und Stunden des Lebens sind die Patienten häufig zu schwach, um die physiologische Sekretion in den oberen Luftwegen abzuhusten. Das Sekret sammelt sich im Liegen in der Trachea, wird mit dem in- und exspiratorischen Luftstrom bewegt und verursacht ein charakteristisches, lautes, grobblasiges Rasselgeräusch. Meist nehmen dies die Patienten selbst wegen Vigilanzminderung nicht mehr wahr, Angehörige und Personal sind jedoch

Symptomkontrolle sehr beunruhigt und befürchten ein qualvolles Ertrinken oder Ersticken des Patienten. Trachealrasseln muss von pulmonalen Rasselgeräuschen, z. B. beim Lungenödem, differenziert werden, da dies andere therapeutische Konsequenzen hat.

sprungs (z. B. bei Pneumonie oder Lungenödem) sprechen nicht auf Anticholinergika an; eine ursächliche Behandlung dieser Komplikationen muss im Einzelfall abgewogen werden.

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2.3.6 Hämatologische Symptome Frage 360 Ist bei Rasselatmung eine medikamentöse Therapie indiziert? Nicht notwendigerweise; eine Indikation ist die Belastung der Angehörigen. Da der Patient in der Regel nicht mehr bei Bewusstsein ist, besteht keine absolute Therapieindikation bei Trachealrasseln. Wegen der Belastung der Angehörigen sollte aber grundsätzlich sehr frühzeitig eine Therapie begonnen werden. Infusionen sollten abgesetzt werden, obwohl die Korrelation des Infusionsvolumens mit dem Trachealrasseln und generell mukosaler Hydratation nur gering ist. Hoch- oder Halbseitenlagerung kann lindernd wirken, ist aber oft nicht möglich. Ein tracheales Absaugen belastet den Patienten in der Regel (da oft noch erhaltener Hustenreflex) und ist meist wenig effektiv, da die Schleimhaut durch den Katheter zusätzlich gereizt wird und mit weiterer Sekretbildung reagiert. Immer jedoch sollten die Angehörigen aufgeklärt werden, dass es sich um ein physiologisches Symptom in der Sterbephase handelt.

Frage 361 Worin besteht die medikamentöse Therapie bei Rasselatmung?

Bernd Alt-Epping

Frage 362 Nennen Sie den wichtigsten Pathomechanismus, der zur Symptombildung bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien führt. Verdrängung der normalen Hämatopoese mit entsprechenden Anämie-, Leukozytopenie(bzw. Infekt-) und Thrombozytopenie- (bzw. Blutungs-)symptomen. Hinzu können eine ausgeprägte B-Symptomatik oder bei Lymphomerkrankungen auch lokale Kompressionssyndrome infolge von Lymphknotenschwellungen oder Splenomegalie sowie viele andere Komplikationen und Störungen kommen (s. u.).

Frage 363 Welche Symptome können sich aus einer leukämie- oder lymphombedingten Verdrängung der Erythropoese ergeben? Insbesondere Anämiesymptome wie Schwäche, Palpitationen bei Tachykardie und Dyspnoe, aber auch Symptome der extramedullären Blutbildung wie z. B. eine schmerzhafte Hepatosplenomegalie.

Parenteral applizierte Anticholinergika. Wenn sich abzeichnet, dass die Angehörigen durch das Trachealrasseln zusätzlich belastet sind, muss frühzeitig mit einer sekretionshemmenden Therapie begonnen werden, da bereits vorhandenes Sekret nicht reduziert wird. Evidenz einer Wirksamkeit über Placebo hinaus besteht jedoch nicht. Ziel ist u. a., prolongierten und pathologischen Trauerreaktionen vorzubeugen. Mittel der Wahl sind N-Butylscopolamin (20 mg alle 4–6 Stunden subkutan) oder Glycopyrronium (0,6 mg über 24 Stunden subkutan). Als Nebenwirkung kann verstärkte Mundtrockenheit auftreten. Rasselgeräusche anderen Ur-

Die Verdrängung der normalen Hämatopoese durch einen Klon maligner hämatopoetischer Zellen und die daraus resultierenden Konsequenzen und Komplikationen stellen den wesentlichen Pathomechanismus hämatologischer Erkrankungen dar. Die verdrängungsbedingte Anämie ist dabei häufig einer der ersten (diagnoseweisenden) Befunde im Erkrankungsverlauf. Daher ist die Gabe von Blutkomponenten ein essenzieller, „normaler“ Bestandteil der hämatologischen Supportivtherapie. Diese grundsätzlich andere Bewertung von Bluttransfusionen (im Vergleich z. B. zu Patienten mit soliden Tumoren) sollte auch in der Palliativsituation berücksichtigt werden.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 364 Welche Symptome können sich aus einer leukämie- oder lymphombedingten Verdrängung der Myelopoese bzw. Lymphopoese ergeben?

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Infektneigung und rezidivierende, teils schwerste Infektionen (der Haut, der Lunge usw.).

Im Gegensatz zu plasmatischen Gerinnungsstörungen mit ihren großflächigen (oder großvolumigen) Einblutungen imponieren thrombozytopene Blutungen meist in Form von Petechien oder Schleimhautblutungen (nasal, oral, rektal usw.) oder (selten) in Form intraparenchymatöser bzw. intrazerebraler Einblutungen.

Frage 367 Je nachdem, welche Zellpopulation besonders betroffen ist und wie lange die Aplasie dauert, resultieren bakterielle, virale oder pilzbedingte Infektionen. Neben der interventionellen Infekttherapie kommen auch präemptiv oder prophylaktisch intendierte antimikrobielle Behandlungen zum Einsatz. Ähnlich wie bei der Gabe von Blutprodukten ist in einer inkurablen und fortgeschrittenen („palliativen“) Erkrankungssituation nur schwer einzuschätzen, wann diese Formen der Komplikationsbehandlung nicht mehr indiziert sind. Sie prägen für Patienten mit hämatologischen Grunderkrankungen mehr als bei Patienten mit soliden Tumoren den gesamten Therapieverlauf.

Sie entlassen einen älteren, geschwächten Patienten mit kürzlich diagnostizierter AML (akuter myeloischer Leukämie) und „palliativer“ oraler Therapie mit Venetoclax und Azacitidin in die häusliche Versorgung. Mit welchem palliativmedizinisch relevanten Ziel wird diese Chemotherapie eingesetzt? Zur Zytoreduktion und „Deckelung“ der Leukozytenzahlen, um leukostasebedingte Symptome wie Dyspnoe, Kopfschmerzen, Benommenheit, zentrale neurologische Symptome oder Knochenmarkexpansionsschmerzen z. B. der Extremitäten zu lindern.

Frage 365 Wann spricht man von einer „Neutropenie“, wann von einer „Agranulozytose“? ●



Neutropenie: Die Zahl der neutrophilen Granulozyten im peripheren Blut liegt beim Erwachsenen unter 1500/μl. Agranulozytose: Die Zahl der neutrophilen Granulozyten im peripheren Blut liegt unter 500/μl.

Pneumonische Leukämieinfiltrate, intrazerebrale Ischämien bzw. Einblutungen oder arterielle Verschlüsse können für diese Symptombildung pathophysiologisch verantwortlich sein. Daher kann eine zytoreduktive Therapie auch als Maßnahme zur prophylaktischen oder interventionellen Symptomkontrolle verstanden werden, neben potenziell remissionsinduzierenden und krankheitsverlangsamenden Wirkungen.

Frage 368 Während eine Neutropenie eine häufige Nebenwirkung antineoplastischer Radio- oder Chemotherapie ist, stellt die Agranulozytose eine eher seltene Störung mit sehr unterschiedlichen zugrunde liegenden Ursachen (einschließlich ausgeprägter Knochenmarkstoxizität) dar.

Frage 366 Welche Symptome können sich aus einer leukämie- oder lymphombedingten Verdrängung der Thrombopoese ergeben? Haut- und Schleimhautblutungen, insbesondere vom petechialen Blutungstyp.

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Sie entlassen einen älteren, geschwächten Patienten mit kürzlich diagnostizierter AML und rein zytoreduktiver Therapie (in palliativer Intention) in die häusliche Versorgung. Mit welchen klinischen Problemen müssen Sie rechnen? Gegen welche Symptome stellen Sie eine Bedarfsmedikation bereit? ●



Dyspnoe: Opioid (+ Erythrozytentransfusion, sofern indiziert und angemessen) Fieber: Paracetamol bzw. Metamizol bzw. physikalische Maßnahmen (+ antimikrobielle Infekttherapie, sofern indiziert)

Symptomkontrolle ●



Schmerz: Paracetamol, Metamizol; wegen renaler und thrombozytopathischer Nebenwirkungen eher keine NSAID Unruhe bzw. Agitiertheit: Haloperidol oder andere Antipsychotika, Lorazepam oder eine andere sedierende Medikation

Zu ergänzen wären ggf. angepasste bzw. prophylaktische hämostyptische Lokalmaßnahmen, falls eine Blutungsneigung bekannt ist.

Bei einer chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung mit Lungenbeteiligung ist es möglich, dass der Patient trotz „überstanden“ erscheinender hämatologischer Grunderkrankung an der Bronchiolitis-obliterans-artigen Lungengerüsterkrankung verstirbt. Palliativmedizinische Prinzipien der medikamentösen und nicht medikamentösen Symptomkontrolle können in diesem Fall sehr hilfreich sein, selbst wenn die Prognose quoad vitam unklar ist.

2

Frage 371 Frage 369 Sie betreuen einen Patienten mit AML mit zytoreduktiver Therapie in palliativer Intention. Der Patient beschreibt zunehmende Schmerzen in den Oberschenkeln, den Beckenknochen und der Wirbelsäule. An welche Ursache der Schmerzen denken Sie zuerst? Knochenmarkexpansionsschmerzen. Bei zunehmend ungehemmter Proliferationsaktivität treten nicht nur die typischen Symptome der Verdrängung der normalen Hämatopoese auf, sondern möglicherweise auch Schmerzen infolge der deutlichen Vermehrung der Gesamtzellzahl im Knochenmark. Klinisch imponieren diese als ossäre, somatisch-nozizeptive Schmerzen.

Frage 370 Sie betreuen als palliativmedizinischer Konsilarzt in der hämatologischen Abteilung einen 45-jährigen Patienten 120 Tage nach allogener peripherer Blutstammzelltransplantation. Der Patient leidet unter schwerster Luftnot, die Grunderkrankung selbst (AML) ist jedoch in allen Untersuchungsverfahren nicht mehr nachweisbar. Worauf könnte die Luftnot zurückzuführen sein? Was kann bei diesem Patienten der palliativmedizinische Auftrag sein?

Sie betreuen einen 81-jährigen Patienten mit konventionell (nicht transplantierend) behandeltem multiplem Myelom. Worauf müssen Sie bei der Schmerztherapie achten? Nephrotoxische Substanzen, z. B. NSAID, sowie Substanzen mit Akkumulationstendenz bei Niereninsuffizienz (z. B. Morphin bzw. dessen Metabolite) sind zu vermeiden. Aufgrund der paraproteinbedingten Vorschäden insbesondere an den Nieren ist in diesem Fall bei allen potenziell nephrotoxischen oder renal zu eliminierenden Medikamenten höchste Vorsicht geboten.

Frage 372 Ein Patient mit multiplem Myelom wird mit Bortezomib behandelt. Auf welche symptomatische, möglicherweise dosislimitierende Nebenwirkung müssen Sie achten? Periphere Neuropathie und Thrombozytopenie. Einige wirksame Substanzen in der Myelomtherapie (Bortezomib, Thalidomid, Lenalidomid) verursachen teils schwere, schmerzhafte oder hypästhetische Neuropathien, die sich mit den durch Paraproteine ausgelösten Nervenschäden überlagern können.

Ursache kann eine chronische Graft-versus-HostErkrankung sein. Intensivierte Maßnahmen der Symptomkontrolle und Absprachen über das Vorgehen in Krisen und Notfällen (im Sinne des ACP) sind hilfreich.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 373 Ein Patient mit multiplem Myelom wird mit Bisphosphonaten behandelt. Was sind die palliativmedizinisch relevanten Aspekte dieser Medikation?

2





● ●

Reduktion der Rate ossärer Komplikationen (z. B. Frakturen) Senkung des Kalziumspiegels bei tumorinduzierter Hyperkalzämie Verringerung der Schmerzen evtl. neu auftretende Kieferschmerzen als Korrelat einer Kieferosteonekrose als schwere Nebenwirkung















Antiresorptive Substanzen gehören daher zum Standard bei der Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom, auch in der (nicht versterbenahen) Palliativsituation.

Frage 374 Ein Patient mit mediastinalem Burkitt-Lymphom klagt über zunehmende Luftnot, Schluckbeschwerden und Kopfschmerzen. Woran denken Sie?

Rücksprache mit dem primär behandelnden Hämatologen bezüglich des weiteren leukämiespezifischen, aber auch des supportivmedizinischen Vorgehens Allgemeinmaßnahmen (keine sauren und scharfen Speisen, kein Alkohol oder Nikotin usw.) Mundpflegemaßnahmen (Adstringenzien wie Salbei, diverse Mundpflegetees usw.) systemische Schmerztherapie (in der Regel opioidhaltig) lokale Schmerztherapie (lokalanästhetisch wirkende Spüllösungen) lokale Infekttherapie (Amphotericin B, Nystatin, Antiseptika) systemische Infekttherapie (Antimykotika, Antibiotika, bei Nachweis des Herpes-simplexVirus antivirale Medikation usw.)

Darüber hinaus wird eine Vielzahl weiterer Maßnahmen mit zumeist anekdotischem Stellenwert beschrieben, so z. B. Glutaminmundspülungen, Kalziumphosphat, Ketaminspülungen (anschließend ausspucken!), Immunglobuline, Thalidomid und vieles mehr.

Frage 376

Obere Einflussstauung. Die durch die mediastinale Kompression bedingte Symptomatik gilt als hämatologischer Notfall und sollte umgehend behandelt werden, z. B. medikamentös bzw. chemotherapeutisch oder strahlentherapeutisch. Auch in der Palliativsituation sollte die ärztliche Indikation zu tumorspezifischen Maßnahmen umgehend überprüft und durch primär symptomorientierte Maßnahmen (Dexamethason, Opioide usw.) ergänzt werden.

Frage 375 Im Sinne einer frühzeitigen palliativmedizinischen Mitversorgung (Early Integration) betreuen Sie als Palliativarzt einen Erwachsenen mit akuter Leukämie unter intensiver Chemotherapie. Er schildert schlimmste enorale Schmerzen bei Mukositis CTC (Common Toxicity Criteria) Grad III. Nennen Sie 7 Maßnahmen, die indiziert sein können.

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Sie werden um die häusliche palliative Mitbetreuung eines therapierefraktär erkrankten jungen Erwachsenen mit ALL (akute lymphatische [lymphoblastische] Leukämie) gebeten, bei dem auch eine meningeale Beteiligung bekannt ist. Mit welchen Symptomen und Komplikationen müssen Sie in der ambulanten Palliativversorgung im Hinblick auf die Meningeosis rechnen? Mit fokalneurologischen Defiziten einschließlich multipler Hirnnervenausfälle (mit Visus-, Sprech- oder Schluckproblemen), außerdem mit qualitativen und quantitativen Bewusstseinsstörungen (Desorientiertheit und Vigilanzminderung) sowie mit Symptomen des Liquoraufstaus und der konsekutiven intrazerebralen Druckerhöhung. Trotz systemischer Therapierefraktärität wird man hämatologischerseits daher – auch aus Gründen der Symptomkontrolle – eine intrathekale Chemotherapie in Erwägung ziehen.

Symptomkontrolle

2.3.7 Infektionen und Fieber Bastian Jaeschke

Frage 377 Bei einer Patientin mit einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom kommt es jeden Abend zu Fieberepisoden bis über 39 °C ohne Schüttelfrost. Sie ist dann stark beeinträchtigt, nach Fiebersenkung wieder gebessert. In der durchgeführten Diagnostik (Untersuchung, Labor mit Blutkulturen, Bildgebung mit aktuellen CT) lässt sich kein Infektfokus finden. Mehrere antibiotische Therapien brachten keine Besserung. An was denken Sie? An Tumorfieber. Hier kann in der palliativen Behandlungssituation mit z. B. kontinuierlicher Gabe von Naproxen eine Symptomkontrolle erreicht werden.

Frage 378 Die Diagnosekriterien der Sepsis haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Eine Abschätzung von Ausmaß und Dynamik eines Infektionsgeschehens beruht in der Klink auf komplexen Scorings. Nennen Sie einen in der Praxis leicht anwendbaren Score zur Abschätzung eines sich entwickelnden Infektionsgeschehens. quickSOFA-Score (QSOFA), bestehend aus den Parametern: ● Atemfrequenz (> 22/min) ● Blutdruck (sys. < 100 mmHg) und ● Glasgow-Coma-Scale (< 15) Bei > 2 Punkten besteht ein hohes Risiko für die Entwicklung eines septischen Geschehens. Gerade in der Palliativsituation ist es wichtig, eine korrekte Einordnung des Krankheitsbildes vorzunehmen, da unmittelbar Konsequenzen für die Kommunikation und Entscheidungsfindung mit Betroffenen bei hohem zeitlichem Druck entstehen können.

Frage 379 Welche initiale Diagnostik würden Sie bei einem Patienten mit Fieber in der Neutropenie (z. B. nach palliativer Chemotherapie) durchführen? ● ● ● ●

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Anamnese gründliche körperliche Untersuchung Laboruntersuchungen apparative Diagnostik

Im Detail wäre in diesem Fall die Bestimmung von Leberwerten und Retentionsparametern, von Entzündungsparametern sowie des Differenzialblutbilds nötig, außerdem Blutkulturen, Urinstatus und Urinkulturen sowie ein Röntgenbild des Thorax. Bei entsprechender Klinik muss eine weiterführende Diagnostik erfolgen (z. B. Sonografie des Abdomens bei Verdacht auf einen abdominalen Fokus).

Frage 380 Länger andauernde Neutropenien als Folge der Therapie und/oder der Grunderkrankung sind ein häufiger Befund bei hämatoonkologischen Patienten. Lassen sich in diesem Zusammenhang Risikogruppen bezüglich des Auftretens von Infektionen einteilen? Es wird unterteilt in folgende Risikogruppen: ● niedriges Risiko: absolute Neutrophilenzahlen unter 500/μl für weniger als 7 Tage, keine Komorbidität wie z. B. eine Niereninsuffizienz ● hohes Risiko: absolute Neutrophilenzahlen unter 500/μl für mehr als 7 Tage oder bei parallelem Vorliegen von Risikofaktoren wie z. B. einer Niereninsuffizienz Wichtig sind die Einschätzung der Dauer einer Neutropenie im Hinblick auf eine eventuelle Isolation und antibiotische oder antimykotische Prophylaxemaßnahmen.

Frage 381 Einer Ihrer über ZVK (zentralen Venenkatheter) parenteral ernährten Palliativpatienten entwickelt Fieber und Schüttelfrost. Kurz zuvor war der ZVK gespült worden. Wie gehen Sie vor, um Ihre Vermutung einer ZVK-Infektion zu sichern?

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Schmerztherapiegrundlagen Bei vermuteter ZVK-Infektion sollte mindestens je ein Paar Blutkulturen aus dem ZVK und der peripheren Vene entnommen werden. Außerdem ist die zeitnahe Einleitung einer empirischen antibiotischen Therapie wichtig.

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Bei positivem Keimnachweis in der Blutkultur sollte die sog. Differential Time to Positivity bestimmt werden. Wird aus der zentralen Kultur deutlich vor der peripheren Kultur ein Keimnachweis gemeldet, ist die ZVK-Infektion gesichert. Bei bewiesener oder klinisch hoch wahrscheinlicher ZVK-Infektion sollte der ZVK entfernt werden. Dies ist dringend zu empfehlen bei Infektionen durch Staphylococcus aureus, Candida spp., bei Tunnel- oder Tascheninfektionen bzw. bei komplizierten ZVK-Infektionen. Ein Versuch der Beibehaltung des ZVK ist vertretbar bei einem klinisch stabilen Patienten und dem Nachweis von koagulasenegativen Staphylokokken oder Erregern wie Corynebacterium oder Acinetobacter baumannii.

Frage 382 Einer Ihrer Patienten wird wegen eines fortgeschrittenen Lungenkarzinoms mit dem Chemotherapeutikum Gemcitabin behandelt. Am Abend nach der ambulanten Infusion entwickelt der Patient Fieber bis 39 °C. Weitere Symptome bestehen nicht. Woran – außer an eine infektiöse Genese – denken Sie? An ein arzneimittelinduziertes Fieber. Ein arzneimittelinduziertes Fieber kann durch viele Medikamente wie z. B. Neuroleptika und eben auch durch Chemotherapeutika wie z. B. Gemcitabin und Cytarabinosid (AraC) ausgelöst werden.

Frage 383 Einer Ihrer Patienten wurde bis vor 12 Wochen mit einer Immuntherapie (Checkpoint-Inhibitor) aufgrund eines fortgeschrittenen Lungenkarzinoms behandelt. Bei ansonsten stabilem Befund beklagt er zunehmende Diarrhöen, die gegenüber Loperamid refraktär sind. An was sollte neben einer infektiösen Genese auch gedacht werden?

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An eine immuntherapievermittelte Nebenwirkung in Sinne einer Kolitis. Die in der Onkologie mittlerweile sich breit im Einsatz befindlichen Immuntherapie induzieren Nebenwirkungen wie Kolitis, Dermatitis, Pneumonitiden und viele weitere. Zeitlich können diese lange nach der letzten Infusion auftreten und bei ansonsten stabiler Tumorerkrankung lebensbedrohliche Ausmaße annehmen, es sollte hier unbedingt mit der betreuenden onkologischen Einheit Rücksprache gehalten werden. Die Therapie besteht in der Regel aus Steroidgaben, welche bei nicht ausreichender Wirksamkeit um weitere Immunsuppressiva ergänzt werden.

Frage 384 Einer Ihrer Patienten leidet an einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom. Aufgrund eines pulmonalen Infekts wurde er zuletzt mit einem Gyrasehemmer behandelt. Jetzt beklagt der Patient anhaltende Durchfälle. Woran denken Sie? Welche diagnostischen Möglichkeiten stehen Ihnen zur Verfügung? Differenzialdiagnostisch sollte an eine Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö gedacht werden. Diese Diarrhöen werden begünstigt durch antibiotische Therapien, z. B. mit Cephalosporinen der 3. Generation, Gyrasehemmern oder Clindamycin. Die Diagnose erfolgt über den Nachweis von Clostridium-difficile-Toxin im durchfälligen (!) Stuhl und/oder mittels Endoskopie (pseudomembranöse Enterokolitis).

Frage 385 Wie würden Sie Ihren Patienten bei Nachweis einer Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö behandeln? Mit Metronidazol, Vanocomycin oral oder Fidaxomicin, Hier ist mit Fidaxomicin eine weitere Therapieoption zugelassen. Zur Verhinderung von Clostridium-difficile-Infektionen sollten antibiotischen Behandlungen rational eingesetzt werden.

Symptomkontrolle Frage 386 Eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie ist eine gefürchtete Erkrankung, die sich vermehrt bei Patienten der Hämatoonkologie findet. Welche Risikofaktoren sind Ihnen bekannt? Welche Symptome und Befunde zeigen sich? Hauptrisikofaktor für eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie ist die Immunsuppression. Es kommt zu zunehmender Dyspnoe, trockenem Husten und einer erniedrigten Sauerstoffsättigung. Klinisch imponiert gelegentlich ein graues Hautkolorit. Der Auskultationsbefund ist meist unauffällig. Die für eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie begünstigende Immunsuppression ist meist Folge einer HIV-Infektion, einer Steroidmedikation (vor allem in Kombination mit weiteren Immunsuppressiva wie z. B. Cyclophosphamid oder Ciclosporin) oder von Antikörpertherapien (z. B. mit Rituximab). Außerdem prädisponieren Mangelernährung, Tumorerkrankungen, der Zustand nach Organtransplantation sowie eine angeborene Immundefizienz für eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie.

Frage 387 Was ist bei der Verdachtsdiagnose „Pneumocystisjirovecii-Pneumonie“ entscheidend? Wie würden Sie therapieren?

Frage 388 Ein wegen eines Glioblastoms palliativ betreuter Patient entwickelt anhaltendes Fieber, Verwirrtheit und Husten mit geringem, teilweise blutigem Auswurf. Eine ambulante Therapie mit einem Cephalosporin war ohne Erfolg geblieben. An welche Erkrankung sollten Sie differenzialdiagnostisch denken? Welche Untersuchung ordnen Sie an, um Ihre Vermutung zu sichern? Wie würden Sie behandeln? Es sollte an eine Legionellenpneumonie gedacht werden. Zur Sicherung empfiehlt sich die Bestimmung des Legionellenantigens aus dem Urin. Zur Therapie sollte ein Makrolidantibiotikum eingesetzt werden. Alternativ käme ein Gyrasehemmer wie Moxifloxacin oder Levofloxacin infrage. Die leichtere Form einer Infektion mit Legionellen ohne eine Beteiligung der Lunge nennt sich „Pontiac-Fieber“.

Frage 389 Invasive Pilzinfektionen können den Verlauf der Therapie bei hämatoonkologischen Patienten komplizieren. Welche Substanzklassen zur Behandlung von invasiven Mykosen kennen Sie? ● ●

Entscheidend ist die rasche Therapieeinleitung mit hochdosiertem Cotrimoxazol intravenös. Der Nutzen von Steroiden ist bei HIV-negativen Patienten nicht belegt. Parallel erfolgt eine Sauerstoffgabe und ggf. werden intensivmedizinische Maßnahmen eingeleitet. Die Diagnosesicherung sollte die Therapieeinleitung auf keinen Fall verzögern. Der Erregernachweis kann aus der Bronchiallavage erfolgen – darin ist der Erreger auch noch Tage nach Therapieeinleitung nachweisbar.

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Azole (z. B. Voriconazol) Echinocandine (z. B. Caspofungin) Polyene (z. B. Amphotericin B)

Vor allem bei der Stoffgruppe der Azole sollte die Begleitmedikation (z. B. Protonenpumpeninhibitoren) besonders kritisch im Hinblick auf mögliche Arzneimittelinteraktionen überprüft werden.

Frage 390 Was sind mögliche Zeichen einer pulmonalen Aspergillose? Es kann zu Dyspnoe, Hämoptysen und atemabhängigen Thoraxschmerzen (Pleurareiz) sowie zu anhaltendem Fieber kommen.

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Schmerztherapiegrundlagen Die Zeichen einer invasiven Pilzinfektion sind insgesamt wenig spezifisch. Sie sollten in Zusammenschau mit der Krankheits- und Medikamentenanamnese (lange Neutropenie, Steroidmedikation) sowie den laborchemischen und bildgebenden Befunden bewertet werden.

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Frage 391 Zur Reduktion von Episoden mit febrilen Neutropenien unter Chemotherapie werden Wachstumsfaktoren zur Stimulation der Granulopoese (G-CSF [granulozytenkoloniestimulierender Faktor]) eingesetzt. Wonach kann man sich bei der Indikationsstellung richten? Der Einsatz von Wachstumsfaktoren orientiert sich am Risiko für die Entwicklung einer Neutropenie in Abhängigkeit vom angewendeten Chemotherapieprotokoll. Außerdem fließen patienten-, krankheits- und behandlungsspezifische Risikofaktoren ein. Beträgt das Risiko für die Entwicklung einer febrilen Neutropenie mehr als 20 % (bzw. 10–20 % mit patientenspezifischen Risikofaktoren), so wird der Einsatz von G-CSF empfohlen.

Frage 392 Einer Ihrer Patienten wird wegen eines metastasierten Sarkoms palliativ chemotherapiert. Nach der Chemotherapie wurde G-CSF rezeptiert. An Tag 10 nach der Chemotherapie stellt sich der Patient mit seit der Nacht anhaltenden starken, teilweise pulsierenden Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Beckens vor. Die klinische Untersuchung ist unauffällig. Laborchemisch zeigt sich eine Erhöhung der LDH-Konzentration (Konzentration der Laktatdehydrogenase) bei negativen Infektparametern. Das kleine Blutbild zeigt eine Leukozytose, das Hämoglobin ist normwertig und die Thrombozyten sind erniedrigt (50/nl). Was ist die wahrscheinlichste Erklärung für das geschilderte Bild? Bei den Schmerzen handelt es sich am wahrscheinlichsten um ein Begleitphänomen der Leukozytenregeneration unter G-CSF-Stimulation.

In diesem Fall kann es infolge der rasch expandierenden Granulopoese im Knochenmark zu teilweise starken Schmerzen kommen. Parallel wird ein passagerer Anstieg der LDH-Konzentration beobachtet.

2.3.8 Anorexie-Kachexie-Syndrom Martin Mücke

Frage 393 Wie lautet die Definition von Kachexie? Der Begriff „Kachexie“ beschreibt ein komplexes und multifaktoriell bedingtes Syndrom. Kachexie führt zu einem fortschreitenden Muskelschwund und zu einem fortschreitenden Verlust an körperlicher Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Der Begriff beschreibt nicht den Verlust von Körperfett. Die Prävalenz der Tumorkachexie liegt zwischen 50 % und 80 %. Es wird vermutet, dass bei ca. 10 % der Tumorpatienten die Kachexie auch die Todesursache darstellt.

Frage 394 Was sind die klassischen Kennzeichen einer Kachexie? ●







Frage 395 Nennen Sie die typischen Symptome der Kachexie. ● ● ● ● ●

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ungewollter Gewichtsverlust von mehr als 5 % des Körpergewichts in einem Zeitraum von 6 Monaten Body-Mass-Index von unter 20,5 kg/m2 und Gewichtsverlust von mehr als 2 % Vorliegen einer Sarkopenie (Muskelschwund) mit einem Gewichtsverlust von über 2 % ohne Vorliegen einer refraktären Kachexie fakultatives Vorliegen einer systemischen Inflammation

Muskelatrophie bzw. Sarkopenie Müdigkeit Schwäche Appetitlosigkeit Verlust an körperlicher Leistungsfähigkeit und Lebensqualität

Symptomkontrolle Frage 396

Frage 399

Zu welchen metabolischen Veränderungen führt die Kachexie der Theorie nach?

Was ist der Unterschied zwischen Anorexie und Kachexie?

Der Theorie nach führt die Kachexie nicht nur zu einer systemischen Inflammation, sondern auch zu metabolischen Veränderungen wie einer reduzierten Proteinsynthese, einem erhöhten Proteinabbau, einer verminderten Insulinsensitivität und einem Hypermetabolismus.

„Anorexie“ ist die Bezeichnung für Appetitlosigkeit mit der Folge einer Mangelernährung. Der Begriff „Kachexie“ beschreibt ein komplexes und multifaktoriell bedingtes Syndrom.

Frage 397 Wie definiert sich der Begriff der Anorexie? „Anorexie“ ist die Bezeichnung für Appetitlosigkeit mit der Folge einer Mangelernährung.

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Anorexie ist ein Symptomkomplex aus Inappetenz, frühem Sättigungsgefühl, Aversion gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln, Geschmacks- und Geruchsstörungen. Kachexie führt zu einem fortschreitenden Muskelschwund und zu einem fortschreitenden Verlust an körperlicher Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.

Frage 400 Anorexie ist ein Symptomkomplex aus Inappetenz, frühem Sättigungsgefühl, Aversion gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln, Geschmacks- und Geruchsstörungen. Bei Erstdiagnose einer Tumorerkrankung leiden bereits ca. 40 % der Patienten unter einer Anorexie.

Frage 398 Gibt es therapiebedingte Ursachen, die eine Kachexie auslösen oder verstärken? Zu den therapiebedingten Ursachen der Kachexie gehören beispielsweise Nebenwirkungen der Chemo- oder Strahlentherapie. Generell kann aber auch die medikamentöse Therapie Einfluss auf die Kachexie ausüben. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang NSAID, Opioide, Antidiabetika, Diuretika oder Antibiotika zu nennen. Folgezustände nach operativen Interventionen, die zu einer reduzierten Nährstoffaufnahme führen, können eine Kachexie hervorrufen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie zählen Übelkeit, Erbrechen und Anorexie mit dem Ergebnis der verminderten Nährstoffaufnahme. Auch Mukositis, Diarrhö, Geschmacksstörungen und Schmerzen tragen zu einer Abnahme des Körpergewichts bei.

Bei welchen lebenslimitierenden Erkrankungen kommt es gehäuft zu einer Kachexie? Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen leiden in bis zu 80 % der Fälle unter Kachexie. Die Kachexie ist oft eines der führenden und diagnostisch wegweisenden Symptome (in 15–40 % der Fälle). Aber auch Patienten im Endstadium anderer Erkrankungen wie beispielsweise von chronischen Infektionen, AIDS (des erworbenen Immundefektsyndroms), chronischen Herz-, Nieren-, Leber- und Lungenerkrankungen oder entzündlich-rheumatischen Erkrankungen leiden unter Kachexie. Eine besondere klinische und prognostische Rolle spielt die Kachexie bei multimorbiden und geriatrischen Patienten.

Frage 401 Können auch übergewichtige Patienten eine Kachexie entwickeln? Ja, auch wenn diese auf den ersten Blick kaum zu erkennen ist. Auch adipöse Patienten können eine Kachexie oder Präkachexie entwickeln. Häufig kommt es bei onkologischen und auch bei geriatrischen Patienten zu einer Abnahme der Muskelmasse und damit der

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Schmerztherapiegrundlagen Muskelkraft bei – trotz Gewichtsabnahme – (noch) hohem Body-Mass-Index von über 30 kg/m². Man bezeichnet diesen Zustand als „sarkopenische Adipositas“. Eine alleinige Bewertung der Ernährungssituation anhand des Body-Mass-Index reicht daher nicht aus.

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Frage 402 Wie kann man eine Anorexie von einer Anorexia nervosa abgrenzen? Eine Anorexia nervosa ist eine Form der Essstörung. Wer Appetitlosigkeit verspürt, ist nicht automatisch magersüchtig. Essstörungen wie die Anorexia nervosa haben eine psychische Ursache, das Hungern ist eine Form der dysfunktionalen Bewältigung. Anorexie hingegen ist eine oftmals krankheitsbedingte oder auch medikamentös ausgelöste Appetitlosigkeit, die eine Mangelernährung zur Folge hat.

Frage 403 Welche Ursachen beeinflussen das Risiko für die Entwicklung einer Kachexie im Rahmen einer Tumorerkrankung? Das Kachexierisiko hängt von mehreren Faktoren ab, beispielsweise ● von Tumorart und -stadium ● vom Vorhandensein und von der Schwere einer systemischen Entzündungsreaktion ● vom Vorhandensein einer eingeschränkten Nahrungsaufnahme (Verlegung der Nahrungswege) und damit der zuführbaren Energie ● von der Wirksamkeit der tumorspezifischen Therapie Bei einem eingetretenen Gewichtsverlust von etwa 5 % des Körpergewichts in 3 Monaten oder von 10 % in 6 Monaten besteht die Indikation zu einer Ernährungsintervention. Eine Kachexie lässt sich bei einer Reduktion des Körpergewichts um mehr als 10 % und therapierefraktärer Grunderkrankung meist nicht mehr positiv beeinflussen.

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Frage 404 Welche Auswirkungen hat die Kachexie bei Tumorpatienten? Kachexie führt zu einer Abnahme der Lebensqualität, steigert die Rate an Therapiekomplikationen und vermindert die Überlebenszeit. Der Schweregrad der Tumorkachexie korreliert umgekehrt proportional mit der mittleren Überlebenszeit bei Tumorpatienten. Bei gleichem Tumorstadium zeigen Patienten bei Vorhandensein einer Tumorkachexie eine schlechtere Prognose als solche ohne Gewichtsverlust. Studiendaten zeigen für kachektische Patienten eine höhere Rate an postoperativen und chemotherapieassoziierten Komplikationen und ein schlechteres Ansprechen auf die tumorspezifische Therapie.

Frage 405 Mit welchen Maßnahmen kann die Ernährungssituation von Patienten mit Tumorkachexie verbessert werden? Zur Verbesserung der oralen Nahrungsaufnahme sollte möglichst immer eine qualifizierte Ernährungsberatung angeboten werden. Folgende allgemeine Empfehlungen haben sich bewährt: ● Anpassung der Nahrungszusammensetzung und -menge an den Appetit und Verteilung auf viele kleine Mahlzeiten ● Anreicherung der Speisen mit Kalorien und Angebot hochkalorischer oraler Trinknahrungen ● bevorzugte Zufuhr von Eiweiß und Fett ● Wunschkost ● häufige und kleine Mahlzeiten ● körperliche Bewegung (auch vor den Mahlzeiten) ● Einnahme der Mahlzeit in Gesellschaft und in angenehmer Atmosphäre ● Vermeidung von Darmträgheit ● optimale Temperatur, optimale Konsistenz, optimaler Säuregehalt der Mahlzeit ● Linderung von belastenden Symptomen (z. B. Schmerzen) vor dem Essen

Symptomkontrolle Frage 406 Bei welcher fortschreitenden chronischen Atemwegserkrankung müssen Sie in der Folge mit einer Kachexie rechnen?

Gesamtenergiezufuhr betragen. Bei Insulinresistenz oder zur Erhöhung der Energiedichte kann der Fettanteil auf 50 % der Nichteiweißenergiezufuhr erhöht werden.

2 Frage 409

Bei COPD. Durch die Obstruktion wird das Atmen zur Schwerstarbeit und bedarf des Einsatzes der Atemhilfsmuskulatur. Dadurch steigt der Kalorienbedarf der Betroffenen auf ein Vielfaches. Des Weiteren erschwert die Luftnot die Nahrungsaufnahme.

Frage 407 Was führt bei Demenzerkrankten zu einer Kachexie? ● ● ● ●



Vergessen der Mahlzeiten erhöhter Kalorienbedarf durch Unruhe Schluckstörungen Verkennen von Essbarem (Bsp.: Mandelstücke werden als Glas identifiziert) Geschmacksveränderung

Bei fortschreitender Demenz ist eine Kachexie unausweichlich. Eine Sondenernährung stellt keine Verbesserung dar. Nach Sanders et al. [52] erhöht eine PEG das Sterberisiko, das Aspirationsrisiko sowie die Besiedelung mit Clostridium difficile. Der Kachexie kann nur mit dem ständigen Angebot kleiner, appetitlicher, bevorzugt meist süßer Speisen entgegengewirkt werden.

Frage 408 Wie sollte eine bedarfsgerechte Ernährung bei kachektischen Patienten aussehen? Folgende bedarfsgerechte Ernährung hat sich in der Praxis etabliert: eine Kalorienzufuhr von 30 kcal/kg täglich bei mobilen Patienten und von 25 kcal/kg Körpergewicht täglich bei bettlägerigen Patienten. Tumorpatienten sollten möglichst eine tägliche Eiweiß- bzw. Aminosäurenzufuhr von 1,2–1,5 g/kg Körpergewicht erhalten. Bei starker Inflammation kann der Bedarf auch höher liegen (bei bis zu 2 g/kg Körpergewicht). Entsprechend der allgemeinen Ernährungsempfehlung sollte der Fettanteil mindestens 35 % der

Welchen Stellenwert und welche Funktion haben Kortikosteroide in der medikamentösen Therapie der Kachexie? Kortikosteroide können bei kachektischen oder anorektischen Patienten zur kurzzeitigen Appetitsteigerung eingesetzt werden. Eine Zunahme des Körpergewichts oder der Muskelmasse ist unter Therapie nicht zu erwarten. Es empfiehlt sich folgendes Behandlungsschema zur Appetitsteigerung: 20–50 mg Prednisolon oder 4– 12 mg Dexamethason täglich über 1–2 Wochen für maximal 4 Wochen. Nebenwirkungen wie Wasserretention, Schlaflosigkeit oder psychische Störungen, proximale Myopathie, eine diabetische Stoffwechsellage oder eine erhöhte Infektanfälligkeit können bei der Behandlung auftreten.

Frage 410 Was sollte im Umgang mit Angehörigen von Patienten mit Anorexie und Kachexie beachtet werden? Angehörige von Patienten mit Anorexie bzw. Kachexie setzen sich oft intensiv mit diesem Syndrom auseinander. Häufig besteht das Gefühl der „Mitverantwortung für die Situation“. Das Anbieten von Nahrung stellt für Angehörige eine Form der fürsorglichen Zuwendung dar. Kachexie wird bei schwerer und insbesondere unheilbarer Erkrankung zur existenziellen Bedrohung. Kann der Kranke Ernährungsmangelzustände nicht mehr durch eine vermehrte Zufuhr von Nährstoffen kompensieren oder ist eine künstliche Zufuhr von Nährstoffen angesichts der Prognose der Erkrankung nicht indiziert, so resultieren nicht selten Konflikte zwischen dem Patienten, seinen Angehörigen und dem Behandlungsteam.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 411 Wie lauten die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung hinsichtlich Fragen der Ernährung?

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Bei Sterbenden gilt: „Die Hilfe besteht in palliativmedizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge für die Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden“ [14]. In ethischen Konfliktsituationen am Lebensende spielen Fragen zur Ernährung und Flüssigkeitsgabe häufig eine Rolle. Diese sind oft sehr emotional belastet, da mit fehlender Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit ein Sterben durch Verhungern oder Verdursten assoziiert wird. Die palliativmedizinische Erfahrung zeigt jedoch, dass mit dem nahenden Lebensende in der Regel das Interesse an Essen und Trinken verloren geht. Der Palliativpatient stirbt nicht, weil er nicht isst, sondern er isst nicht, weil er stirbt.

Frage 412 Welche Rolle spielt die Bewegungstherapie (körperliches Training) bei der Behandlung der Kachexie? Körperliches Training kann als geplante, strukturierte und wiederholte körperliche Bewegung bezeichnet werden, die das Ziel hat, eine oder mehrere Komponenten der körperlichen Leistungsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern (Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit). Körperliches Training kann auf die Kachexie über verschiedene Mechanismen wirken, u. a. durch die Anregung des Muskelstoffwechsels und der Insulinsensitivität und durch die Hemmung einer Inflammation. Der antiinflammatorische Effekt von körperlichem Training konnte bei Gesunden wie auch bei Patienten in einem frühen Stadium einer Krebserkrankung gezeigt werden.

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2.3.9 Palliativmedizinische Notfälle Marie Hentrich; frühere Bearbeitung: Ingmar Hornke

Frage 413 Wie können Angehörige auf Luftnotattacken des Patienten reagieren? Durch nicht medikamentöse Maßnahmen (Fenster öffnen, Handventilator, geeignete Sitzposition) und Hilfe bei der Anwendung vorhandener Medikamente. Bei der Behandlung von Atemnot sind nicht medikamentöse Interventionen von großer Bedeutung. Sind Angehörige in diese Maßnahmen eingewiesen und über die vorhandenen Medikamente aufgeklärt, kann die Belastung des Patienten schneller gelindert werden. Angst und Unruhe spielen eine große Rolle bei der Entstehung und dem Empfinden von Luftnot. Fühlen Angehörige sich sicher, reduziert dies Panik und Hektik, was sich beruhigend auf den Patienten auswirkt.

Frage 414 Wie sieht vorausschauendes Krisenmanagement für die Gefahr einer akuten fulminanten Blutung aus? Dunkle Frotteehandtücher, um große Blutmengen unauffällig aufnehmen zu können, sollten bereit liegen. Eine medikamentöse Abschirmung des Patienten sollte vorbereitet sein. Die 24Stunden-Verfügbarkeit eines spezialisierten Palliativteams wirkt für Patienten und Angehörige beruhigend. Fulminante Blutungsereignisse sind im Palliativkontext meist vorhersehbare Ereignisse. Um Angst und Panik zu verhindern, gilt es, die optischen, traumatisierenden Eindrücke durch die Blutmengen zu reduzieren. Hierzu dienen dunkle, saugfähige Textilien, die kontinuierliche Erreichbarkeit der bekannten (Palliativ-)Behandler und falls nötig auch die medikamentöse Abschirmung des Patienten, um diesen vor Panik zu schützen (z. B. durch Lorazepam oder Midazolam).

Symptomkontrolle Frage 415

Frage 417

Wie kann die Akutintervention bei einem GrandMal-Anfall aussehen?

Was sind häufige Ursachen eines akuten Delirs in der Palliativsituation?

Der Patient muss vor Verletzungen geschützt werden und der Anfall kann mit einem schnell wirksamen Benzodiazepin über einen parenteralen Zugangsweg kupiert werden.

Neben dem sehr häufigen terminalen Delir muss an folgende Differenzialdiagnosen gedacht werden: ● akuter Harnverhalt (z. B. als Nebenwirkung von Opioiden) ● Entzugssyndrome (z. B. Medikamente, Alkohol) ● Medikamentennebenwirkungen (z. B. Opioide, Antibiotika, Anticholinergika) ● paradoxe Wirkung von Benzodiazepinen (v. a. bei älteren Patienten) ● Elektrolytstörungen (z. B. Hyperkalziämie, Hyponatriämie) ● Infektionen ● Urämie ● Leberversagen ● zerebrale Tumore ● psychiatrische Komorbiditäten

Bei Patienten mit Metastasen oder Primärtumoren im Gehirn zählen Grand-Mal-Anfälle zu häufigen Notfällen. Durch Aufklärung und Befähigung der Angehörigen können bei einem Krampfanfall eine notfallmedizinische Behandlung und eine Krankenhauseinweisung verhindert werden. In der Praxis bewährt hat sich die Anwendung von Midazolam nasal, was durch Angehörige zu applizieren ist. Die Verfügbarkeit eines Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gibt die Sicherheit, in einer solchen Situation Rat einholen zu können und die Entscheidung, ob z. B. ein medikamentöses Eingreifen notwendig ist, nicht allein treffen zu müssen.

Frage 416 Welche Rolle spielt der Applikationsweg für Medikamente bei Notfällen in der Palliativmedizin? Der orale Applikationsweg ist oft nicht möglich oder nicht schnell genug. Der Zustand des Patienten, seine Erkrankung, sein Umfeld und die vorhandenen Applikationsmöglichkeiten (z. B. liegende Portkatheter) sind bei der Wahl der Notfall- und Bedarfsmedikamente zu berücksichtigen. Bei der Mehrheit der Patienten ist die orale Medikamentenaufnahme nicht bis zum Tod möglich oder die orale Bedarfsmedikation für palliativmedizinische Notfälle nicht sinnvoll. In der Palliativmedizin gängige Applikationswege sind: transmukosal (bukkal, sublingual, nasal), rektal, subkutan oder intravenös. Hierbei sind die Versorgungssituation, die Fähigkeiten des Agierenden (Patient selbst, Angehörige, geschultes Personal) und die Geschwindigkeit des Wirkeintritts zu bedenken. Viele Medikamente sind in o. g. Applikationswegen nicht zugelassen (Off-Label-Use).

2

Das terminale Delir in den letzten Lebenstagen ist ein sehr häufiges Phänomen. Bei einem akut aufgetretenen deliranten Syndrom ist es dennoch wichtig, Differenzialdiagnosen zu kennen, da es möglicherweise schnelle kausale Therapiemöglichkeiten gibt. Die Korrektur von Elektrolytstörungen oder die Gabe von Antibiotika kann zu einer schnellen Verbesserung der Symptomlast führen, muss allerdings aufgrund des lebensverlängernden Aspektes mit dem Therapieziel des Patienten übereinstimmen.

Frage 418 Wie sieht die Therapie eines deliranten Syndroms aus? In der rein symptomatischen Therapie eines akuten Delirs sind Allgemeinmaßnahmen (ruhige Umgebung, Sturzprophylaxe, engmaschige Betreuung) wichtig. Medikamentös ist Haloperidol das Mittel der ersten Wahl. Das terminale Delir tritt bei bis zu 90 % aller Sterbenden auf und kann das häusliche System an seine Grenzen bringen. Wichtig sind deshalb die vorausschauende Aufklärung über dieses Phänomen und die entsprechende Information über Allgemeinmaß-

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Schmerztherapiegrundlagen nahmen, die der Orientierung des Patienten dienen. Haloperidol wird zur Therapie des Delirs eingesetzt und kann auch subkutan verabreicht werden. Benzodiazepine sind beim Delir allein nicht indiziert.

2 Frage 419 Was unterscheidet den ambulanten palliativmedizinischen Notfall von der „klassischen“ Rettungsmedizin? Der Unterschied ist das Therapieziel. Beim palliativmedizinischen Notfall ist dies die Symptomkontrolle, die Beherrschung der akuten Krise und die Sicherstellung des häuslichen Verbleibs. Anders als in der Rettungsmedizin treten Diagnostik und Erhalt des Lebens in der palliativmedizinischen Notfallsituation in den Hintergrund. Die Agierenden sind Angehörige bzw. das behandelnde SAPV-Team. Hintergrundinformationen zum Patienten und seiner Krankheit sowie zum Therapieziel und zum Willen des Patienten liegen vor. Notfälle in der Palliativmedizin sind oft vorhersehbar und sollten im Vorfeld mit dem Patienten und seinen Angehörigen besprochen werden.

Frage 420 Wie ist der Rasselatmung zu begegnen? Durch frühzeitige Aufklärung der Angehörigen und entsprechende Lagerungsmaßnahmen. Das tracheale Sekret sollte nicht abgesaugt werden. Die Rasselatmung stellt für den Patienten keine Belastung dar, kann aber für die Angehörigen zu einer traumatisierenden Erfahrung werden. Daher ist es wichtig, Angehörige aufzuklären, dass Rasselatmung nicht mit Atemnot gleichzusetzen und ein natürliches Phänomen der Sterbephase ist. Parenterale Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr kann das Phänomen verstärken und sollte abgesetzt werden. Seitenoder Oberkörperhochlagerung kann die Rasselatmung mildern. Absaugen führt durch die tracheale Reizung zu einer stärkeren Sekretbildung und sollte unterlassen werden.

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Frage 421 In welchen Notfallsituationen kann eine palliative Sedierung als Notfallmaßnahme sinnvoll sein? Die palliative Sedierung ist indiziert, wenn keine ausreichende Linderung des Leidens erreicht werden kann, z. B. bei akuten Vernichtungsschmerzen, massiver Dyspnoe, Asphyxie, fulminanten Blutungen, epileptischen Anfällen, sehr aktiven deliranten Zuständen oder anderen für den Patienten unaushaltbaren und therapierefraktären Symptomen. Bei vielen palliativmedizinischen Notfällen können die Aufklärung und Vorbereitung des Patienten und seines Umfelds die Angst vor der befürchteten Situation reduzieren. Auch die Aufklärung des Patienten über eine palliative Sedierung als Ultima Ratio kann Angst z. B. vor einem qualvollen Erstickungstod bereits im Vorfeld lindern. Das Ziel der Sedierung ist dabei die Linderung der Symptomlast, nicht die Verkürzung des Lebens. Die in der Notfallsituation eingeleitete palliative Sedierung muss nicht zwingend kontinuierlich bis zum Tod aufrechterhalten werden, wenn sich die akute Symptomlast im Verlauf als beherrschbar darstellt. Da die palliative Sedierung große Sorgfalt und klinische Erfahrung erfordert, sollte diese nur von erfahrenen Palliativmedizinern und Pflegepersonal durchgeführt werden. Das Mittel der ersten Wahl ist Midazolam.

Frage 422 Ein Palliativpatient erleidet eine akute Fraktur. Was gilt es für die adäquate weitere Versorgung zu bedenken? Die Therapiestrategie ist abhängig vom Zustand und vom Therapieziel des Patienten. Der Stellenwert der Mobilität, die Auswirkungen auf die häusliche Versorgung, die Transport- und Operationsfähigkeit und die Möglichkeiten der konservativen Schmerzkontrolle sind abzuwägen. Eine akute Fraktur ist keine zwingende Indikation für eine Krankenhauseinweisung. Der Patient kann auch für diesen Fall die Einweisung und Operation ablehnen. Auch kann die weit fortgeschrittene Erkrankung bzw. der reduzierte Zustand des Patienten einen Transport und eine Operation verbieten. Sind

Symptomkontrolle diese Voraussetzungen nicht eindeutig, so ist zu bedenken: Ist konservative Schmerzstillung mit akzeptablen Nebenwirkungen erreichbar? Wäre durch eine operative Versorgung die Mobilität oder die selbstständige Lebensweise des Patienten auf längere Zeit sicherzustellen? Ist eine operative Versorgung der Fraktur sinnvoll möglich? Klärt man diese Faktoren im Vorfeld mit dem Patienten, seinen Angehörigen und der nahegelegenen Klinik (z. B. den Unfallchirurgen) ab, kann eine bestmögliche Entscheidungsfindung gelingen.

Frage 423 Wird eine Hyperkalzämie beim Palliativpatienten behandelt? Wenn der Patient durch die Symptome der Hyperkalzämie belastet und mit der potenziellen Lebensverlängerung durch die Therapie einverstanden ist, sollte der Kalziumspiegel gesenkt werden. Eine Hyperkalzämie kann zu vielen belastenden und unspezifischen Symptomen führen wie zu rasch progredienter Schwäche, Konzentrationsstörungen bis zum deliranten Syndrom oder Übelkeit und Erbrechen. Mit der medikamentösen Senkung des Kalziumspiegels (forcierte Diurese, Bisphosphonate, Calcitonin) kann diese Symptomatik schnell kausal bekämpft werden. Dies erspart dem Patienten ggf. eine Polypharmazie aufgrund der Vielzahl der Symptome. Da das Absenken des Kalziumspiegels potenziell eine lebensverlängernde Therapie ist, sollte es im Einklang mit dem Therapieziel stehen. Die maligne Hyperkalzämie ist zudem ein prognostisch ungünstiger Marker bei Karzinompatienten.

Frage 424 Warum ist die Dekompensation des häuslichen Systems ein palliativer Notfall und wie kann dieser verhindert werden? Das Therapieziel der meisten ambulanten Palliativpatienten ist der häusliche Verbleib bis zum Tod. Wenn die Angehörigen dies nicht mehr gewährleisten können und der Patient eingewiesen werden muss, wird dieses Therapieziel verfehlt. Durch vorausschauende Krisenplanung, Aufsto-

ckung des häuslichen Hilfsnetzes, 24-StundenErreichbarkeit eines SAPV-Teams und ausreichende Informationen und Anleitungen der Angehörigen kann dies verhindert werden.

2 Die meisten Patienten sind am Ende ihres Lebens auf die Hilfe ihrer Angehörigen angewiesen, wenn sie nicht in einer stationären Einrichtung versterben wollen. Ihre Begleitung verlangt den Angehörigen einiges ab. Diese müssen mit der zunehmenden Pflegebedürftigkeit des Patienten umgehen können und bereit sein, die Verantwortung für die Versorgung zu übernehmen. Um die Angehörigen zu entlasten, damit sie die Fürsorge für den Patienten bis zu dessen Tod gewährleisten können, müssen diese frühzeitig über alle Veränderungen aufgeklärt und in medikamentöse Bedarfsmedikation eingewiesen werden. Es sollten ihnen alle Unterstützungsangebote, die das Gesundheitssystem bietet, vorgestellt werden. Dabei können Pflegedienste, ehrenamtliche Hospizhelfer, SAPV-Teams, Haushaltshilfen, aber auch Kurzzeit- oder Verhinderungspflege Entlastung bieten.

Frage 425 Welche physiologischen Veränderungen in der Sterbephase können zu einem Notfalleinsatz führen? Respiratorische Veränderungen und das terminale Delir machen den Angehörigen häufig Angst. Ca. 90 % aller Patienten entwickeln in der Sterbephase ein terminales Delir. Die terminale Rasselatmung wird bei über 50 % der Patienten beobachtet. Zusätzlich kann ein veränderter Atemrhythmus, z. B. eine Cheyne-Stokes-Atmung, bei den Angehörigen starke Verunsicherung auslösen. Beim Übergang eines Patienten in die Sterbephase sollten diese Veränderungen und ihr physiologischer und nicht behandlungsbedürftiger Charakter erläutert werden.

Frage 426 Ist Sauerstoff bei einem Patienten mit Luftnot als Notfallmedikament immer sinnvoll? Nein. Opioide sind zur symptomatischen Therapie der Luftnot in der Palliativsituation das Mittel der ersten Wahl.

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Schmerztherapiegrundlagen Sauerstofftherapie ist mit Nebenwirkungen, z. B. Austrocknen der Schleimhäute und Immobilität, verbunden. Bei nicht hypoxämischen Patienten mit einer Krebserkrankung bringt Sauerstoff keinen Benefit. Die Luftbewegung an den Schleimhäuten, welche einen positiven subjektiven Effekt für die Patienten ausmacht, kann durch Ventilatoren oder Öffnen der Fenster ebenfalls erreicht werden. Zur Therapie der Luftnot sind diese Allgemeinmaßnahmen und Opioide sowie ggf. Benzodiazepine zur Bekämpfung der Angst die wichtigsten Therapiemaßnahmen.

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Frage 427 An welche Maßnahmen muss im akuten Ileus gedacht werden? Je nach Zustand und Therapieziel des Patienten kann eine interventionelle oder chirurgische Therapie, ein medikamentöser Versuch der Darmstimulation oder eine rein symptomatische Versorgung gewünscht und indiziert sein. Der Ileus ist ein sehr häufiges Krankheitsbild in der Palliativmedizin. Das Therapieziel und der Zustand des Patienten entscheiden über weitere Maßnahmen wie Bildgebung und ggf. interventionelle oder operative Therapie. Ist eine Operation nicht gewünscht oder indiziert, kann der Versuch einer medikamentösen Therapie mit Kortison und Metoclopramid unternommen werden. Ist dies nicht möglich oder nicht gewünscht, sollte zur Entlastung des Patienten vor allem bei Miserere das Legen einer Ablaufsonde (nasogastral oder PEG) angeboten werden. Zur Symptomkontrolle müssen alle Medikamente parenteral verabreicht werden. Eine medikamentöse Hemmung der Magen-Darm-Sekretion kann sinnvoll sein (z. B. Octreotid). Beim Legen einer Ablauf-PEG sollten je nach Therapieziel und Wünschen des Patienten vorher die Maßnahmen der Flüssigkeits-, Elektrolytund Nahrungssubstitution erläutert und organisiert werden (Portanlage, Home Care Partner etc.). Beim paralytischen Ileus sollte kausal therapiert werden (z. B. Aszitespunktion, Antagonisierung der Opioidwirkung an der Darmmuskulatur) und ergänzend prokinetische Medikation erfolgen.

Frage 428 Welche Therapieoptionen haben Sie bei einem Patienten mit Hirndrucksymptomatik? Je nach Zustand und Therapieziel des Patienten ist eine weiterführende Diagnostik mit ggf. neurochirurgischen oder strahlentherapeutischen Interventionen sinnvoll. Medikamentös kann der Hirndruck mit Steroiden behandelt werden. Die rein symptomatische Therapie der meist im Vordergrund stehenden Übelkeit sollte mit Dimenhydrinat erfolgen, die Schmerztherapie idealerweise parenteral weitergeführt werden. Eine Notfallmedikation bei Krampfanfällen sollte bereitstehen und die Angehörigen sollten darauf vorbereitet sein. Hirndrucksymptomatik mit Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel bis hin zu Vigilanzminderung kommt oft bei Patienten mit Hirnmetastasen oder hirneigenen Tumoren vor. Ist eine kausale Therapie (z. B. Operation, Bestrahlung) möglich, kann sie zu deutlicher Verlängerung des symptomfreien/-armen Überlebens führen. Andernfalls führt der erhöhte intrazerebrale Druck schnell zum Tod. Steroide können die Symptomatik kurzfristig verbessern und die Lebenszeit verlängern. Verlieren diese ihre Wirksamkeit oder ist eine lebensverlängernde Wirkung nicht erwünscht, dann sollte zur Symptomkontrolle der Übelkeit Dimenhydrinat als zentral wirksames Antiemetikum bevorzugt werden. Die Verfügbarkeit der Analgetika sollte durch parenterale Applikationsformen sichergestellt werden. Zur Abschirmung der Patienten werden bevorzugt Benzodiazepine eingesetzt, welche zusätzlich die Krampfschwelle erhöhen. Eine Notfallmedikation für einen epileptischen Anfall sollte bevorratet werden. Die Angehörigen sollen über den schnell zu erwartenden Todeseintritt und die Möglichkeit von Krampfanfällen aufgeklärt werden.

Frage 429 Wie ist mit akut aufgetretenem Fieber beim Palliativpatienten umzugehen? Je nach Zustand und Therapieziel des Patienten unterscheidet sich das Management von neu aufgetretenem Fieber.

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Symptomkontrolle Bei Fieber ist es wichtig, die Ursache einzugrenzen, da durch intravenöse Antibiotikagabe oder eine interventionelle Therapie eine schnelle Verbesserung des Allgemeinzustands erreicht werden und der Verzicht auf eine antibiotische Therapie schnell zu einem letalen Verlauf führen kann. Wird eine Einweisung vom Patienten abgelehnt, kann eine orale Antibiotikagabe hilfreich sein, sofern eine suffiziente orale Einnahme und Resorption des Medikaments gewährleistet ist und indizierte Mittel mit passendem Wirkspektrum zur Verfügung stehen. Bei rein symptomatischem Therapieziel wird Fieber durch Antipyretika gesenkt und belastende Symptome wie Husten oder Schmerzen werden durch Opioide gelindert.

Frage 430 Wie geht man mit einem Patienten um, der akute Suizidalität äußert? Wichtig ist das proaktive Ansprechen der Suizidalität und das Abklären, ob es einer stationären psychiatrischen Unterbringung bedarf. Der Patient soll die Möglichkeit haben, seinen Gefühlen und seiner Not Ausdruck zu verleihen. Ziel des Gesprächs ist nicht das Ausreden des Suizids, sondern herauszufinden, wie das Leben für den Betroffenen wieder lebenswert gemacht werden kann. Oft sind nicht ausreichend behandelte Symptome Grund für den Todeswunsch. Der Patient kann sich ggf. auf einen Therapieversuch einlassen und sich dazu von der Suizidalität glaubhaft distanzieren. Die Option einer palliativen Sedierung als Ultima Ratio bei nicht beherrschbaren Symptomen sollte Erwähnung finden. Über die Möglichkeiten, lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen zu unterlassen, oder über den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit sollte der Patient aufgeklärt werden. Liegt eine akute Suizidalität vor und erscheint der Patient nicht absprachefähig, so muss auch in der Palliativsituation eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik eingeleitet werden. Die Fortführung einer palliativmedizinischen Behandlung in der Psychiatrie ist wünschenswert.

Frage 431 Wie wird eine obere Einflussstauung als onkologischer Notfall beim Palliativpatienten behandelt?

2

Je nach Zustand und Therapieziel des Patienten kann die Therapie von onkologischer Kausaltherapie über die medikamentöse Gabe von Steroiden bis hin zur Akzeptanz des letalen Verlaufs und reiner Symptomlinderung reichen. Die obere Einflussstauung ist Folge der Obstruktion der V. cava superior und stellt einen lebensbedrohlichen Zustand für den Patienten dar. Sie geht mit Atemnot und Schwellung des Gesichts einher. In die Entscheidung über das Vorgehen sollten sowohl der Patientenwunsch wie auch sein Allgemeinzustand einbezogen werden. Die kausale Therapie bei onkologischer Ursache besteht in Strahlentherapie oder ggf. Chemotherapie. Ein Stent im komprimierten Gefäß kann helfen. Begleitend oder bei Verzicht auf kausale Therapie sollte Kortison zur Abschwellung verabreicht werden. Die kausale Therapie bringt schnell und langfristig Linderung. Symptomatisch muss die Atemnot durch schnell wirksame Opioide behandelt werden. Bei Therapieverzicht kann die Symptomlast so schwerwiegend sein, dass die Indikation zur palliativen Sedierung besteht.

Frage 432 Muss bei Patienten in palliativer Situation mit Herz-Kreislauf-Stillstand ohne schriftliche Verfügung zum Therapieverzicht zwingend eine Reanimation begonnen werden? Nein, eine Reanimation ist eine medizinische Maßnahme, die neben dem Einverständnis auch eine Indikation erfordert. Da man in der Palliativsituation nicht zwingend vom Einverständnis des Patienten zu lebensverlängernden bzw. -erhaltenden Therapien ausgehen kann und auch die Indikation zu invasiven Maßnahmen und insbesondere zur Reanimation fraglich ist, gilt es, durch vorausschauendes Krisenmanagement und Kommunikation rettungsmedizinische Einsätze zu vermeiden. Wichtig ist neben verständlicher und schnell verfügbarer Dokumentation der Therapieziele die Erreichbarkeit eines palliativmedizinischen Teams, sodass die Alarmierung des Rettungsdienstes vermieden werden kann und der Patient seinem Wunsch und Zustand gemäß behandelt wird.

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Schmerztherapiegrundlagen

2.3.10 Sterbephase Carsten Klein

2

Frage 435 Für welche Symptome ist in der Sterbephase eine Bedarfsmedikation vorzusehen?

Frage 433 ●

Definieren Sie den Begriff „Sterbephase“.

● ●

Als „Sterbephase“ werden die letzten 3–7 Tage im Leben eines Menschen bezeichnet.



In der Vergangenheit gab es durchaus unterschiedliche Definitionen. Die hier genannte orientiert sich an der S 3-Leitlinie zur Palliativmedizin. Die Schwierigkeit an dieser Definition (und auch an anderen) ist der retrospektive Blick. Es braucht Indizien, um mit einer hinreichenden Sicherheit den Beginn der Sterbephase zu diagnostizieren. Besonderes Kennzeichen der Sterbephase ist die Einschränkung der körperlichen Fähigkeiten. Das Erkennen der Sterbephase soll helfen, die medizinischen Maßnahmen der Situation und Prognose des Einzelnen anzupassen.

Oft sind es die im Vorfeld bekannten Beschwerden, die sich womöglich in der Ausprägung verändern. Aber auch neue Symptome können auftreten. Durch vorausschauendes Planen, eine geeignete Absprache mit allen an der Versorgung Beteiligten und einer Bedarfsanordnung für die (in aller Regel wenigen) zu erwartenden Beschwerden ist oftmals eine gute Symptomlinderung auch in der Sterbephase zu erreichen.

Frage 434 Welche Veränderungen können im Rahmen einer fortschreitenden Erkrankung und bei Fehlen einer behebbaren Ursache den Beginn der Sterbephase eines Patienten anzeigen?



Frage 436 Sie betreuen einen Patienten mit muslimischem Glaubenshintergrund in der Sterbephase. Welche Besonderheiten und Rituale sind ggf. zu respektieren? ●

● ●



● ● ●

reduzierte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme kein Schlucken oraler Medikation mehr möglich weniger Kommunikation Abnahme von Mobilität und Aktivität intermittierende Verwirrtheit

Mit fortschreitender Erkrankung kommt es bei vielen Patienten zu einer charakteristischen Abnahme der körperlichen Möglichkeiten, einhergehend mit vollständiger Bettlägerigkeit und zunehmendem sozialem Rückzug. Das Interesse an Essen und Trinken sowie die Möglichkeit, Medikamente einzunehmen, nehmen ab. Oft können in den letzten Lebenstagen auch Phasen deliranter Symptomatik mit Verwirrtheit und Unruhe auftreten. Weitere mögliche Anzeichen sind eine Veränderung der Atmung und ein livides oder marmoriertes Hautkolorit.

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Unruhe Delir Schmerzen Luftnot Rasseln















Pflege durch Person des gleichen Geschlechts, wenn möglich Gebetszeiten respektieren – auch für Angehörige den Sterbenden, wenn möglich, auf die rechte Seite legen, mit dem Gesicht nach Mekka den Sterbenden nicht allein lassen (Familienmitglieder werden ggf. aus dem Koran vorlesen, das Glaubensbekenntnis vorsprechen) vor und nach dem Versterben: besondere Bedeutung von Reinheit und Sauberkeit Obduktion (zu wissenschaftlichen Zwecken) nicht erlaubt, gesetzliche Vorschriften oder der Schutz der Gesellschaft gehen jedoch vor Kommunikation – auch über das baldige Versterben – orientiert an den Wünschen und Bedürfnissen des Patienten und der Familie nach dem Versterben: Leichnam wird entkleidet und in ein Leintuch eingeschlagen, die großen Zehen werden zusammengebunden, damit die Beine eng aneinander bleiben rituelle Waschungen nach Versterben durch Familienmitglieder

Symptomkontrolle Es gibt eine große Bandbreite in der konkreten Ausgestaltung der religiösen Rituale um das Versterben im Islam, daher ist die Darstellung oben nicht in allen Fällen so festgelegt. Hilfreich ist der gute Kontakt zu den Angehörigen, oft zu einem männlichen Familienmitglied, das die Führung übernimmt. Das Wichtigste ist, sich auf das gemeinsame respektvolle Begleiten in der Sterbesituation einzulassen. Wenig wird das Behandlungsteam übernehmen können und müssen, wichtiger ist das grundsätzliche Wissen um Rituale und Bräuche, um einer Versorgung entsprechend dem kulturellen Hintergrund des Patienten Raum zu geben. An vielen Orten existieren Bestatter, die sich um die Belange von Verstorbenen mit islamischem Glauben und evtl. um eine Überführung kümmern. Auch diese Kontaktaufnahme geschieht in der Regel durch die Familie.

Frage 437 Welche Maßnahmen sind sinnvoll, wenn ein Patient in die Sterbephase kommt? ●





Klären von Informations- und Wissensstand bei allen Beteiligten Absetzen von Medikation, die nicht der Symptomlinderung in der Sterbephase dient Überprüfen, ob für alle relevanten Symptome eine Bedarfsmedikation zur Verfügung steht

Die Feststellung „Beginn der Sterbephase“ triggert Handlungen, die helfen sollen, die patientenzentrierte und bedarfsangepasste Versorgung sicher zu stellen. Mit Behandlungsteam, Patienten und Angehörigen ist eine gemeinsame Sicht auf die Situation anzustreben, sodass alle gedanklich auf dem Weg mitgenommen werden und die Betroffenen gut begleitet werden können. Die laufende Medikation ist zu überprüfen. Nicht mehr benötigte Medikation kann abgesetzt werden, je nach Versorgungsumfeld ist die Bedarfsmedikation zu planen. Innerklinisch ist dies einfacher, im ambulanten Bereich sind ggf. Medikamente antizipierend zu verordnen und die Anwendung zu klären, um Krisensituationen zu vermeiden.

Frage 438 Welche Maßnahmen sind sinnvoll zur Behandlung der Rasselatmung? ● ● ●



2

Überdenken einer Flüssigkeitsgabe Lagerungsmaßnahmen Anticholinergikagabe subkutan, z. B. Butylscopolamin Opioidgabe bei Verdacht auf Luftnot

Rasselatmung in der Sterbephase ist ein charakteristisches Symptom, das jedoch häufiger und verstärkt bei Patienten mit ausgedehnten Ödemen auftritt. Aus diesem Grund empfiehlt sich eine streng an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Flüssigkeitszufuhr. Der Patient selbst ist in der Regel durch das Rasseln nicht stark belastet. Wenn Rasseln auftritt, ist die Gabe von Anticholinergika (Butylscopolamin, Glycopyrrolat oder Scopolamin) geeignet, die weitere Zunahme der Symptomatik zu verringern. Schon in den Atemwegen vorhandenes Sekret lässt sich damit jedoch meist nicht vermindern. Eine weitere gängige Behandlung stellt eine vorsichtige Lagerung des Patienten auf eine Seite dar. Absaugen bringt erfahrungsgemäß keine länger anhaltende Linderung; evtl. kann die Irritation der Schleimhaut sogar zu einer verstärkten Sekretion führen. Sollte der Verdacht bestehen, dass Luftnot vorliegt, ist eine Behandlung mit einem starken Opioid indiziert.

Frage 439 Sie kommen als Palliativmediziner zu einer Patientin in der Frauenheilkunde. Bei einem metastasierten Mammakarzinom sind ausgedehnte Lungenfiliae bekannt. In der letzten Bildgebung wurde der Verdacht auf eine Lymphangiosis carcinomatosa geäußert. Die Patientin beklagt seit Tagen zunehmende Luftnot und zeigt eine deutliche Reduktion des Allgemeinzustands. Laut Information der behandelnden Kollegen gibt es bei deutlichem Tumorprogress keine weiteren antitumoralen Optionen. Aktuelle Vitalwerte: Sauerstoffsättigung von 72 % unter 6 l Sauerstoff über Maske, Atemfrequenz 30/min. Die Patientin ist sehr angespannt und unruhig und wirkt ängstlich. Welche Medikation ist empfehlenswert? Was ist zu bedenken und zu kommunizieren?

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Schmerztherapiegrundlagen ●



2







Falls keine behebbaren Ursachen vorliegen, ist von einer möglicherweise lebensbegrenzenden Situation auszugehen. Es wird ein nicht retardiertes starkes Opioid nach Bedarf gegeben, z. B. 5 mg Morphin subkutan oder 1 mg bolusweise intravenös, alternativ 50–100 μg Fentanyl bukkal bzw. nasal bis zur Symptomlinderung. Ggf. ist die Gabe eines Benzodiazepins bei Angst und Atemnot zu erwägen (Midazolam 1 mg subkutan oder intravenös). Die Angehörigen sollten verständigt werden, falls das gewünscht und möglich ist. Ggf. ist eine vorübergehende oder kontinuierliche gezielte Sedierung zu erwägen, wenn eine Symptomlinderung nicht anders zu erreichen ist.

Wichtig ist bei Luftnot grundsätzlich die Abklärung behebbarer Ursachen. Im beschriebenen Fall ist ein rein symptomorientiertes Vorgehen angezeigt. In diesem Sinne sind rasch wirksame starke Opioide (z. B. Morphin, Hydromorphon) Mittel der Wahl. Gerade bei instabiler Situation ist es empfehlenswert, zunächst ein titrierendes Vorgehen zu wählen (intravenöse Boli alle 5–10 Minuten). Danach kann dann abhängig von der benötigten Dosis eine Dauermedikation angeordnet werden. Wenn keine kausale Behandlung der ausgeprägten Gasaustauschstörung erfolgen kann, ist das Versterben in naher Zukunft zu erwarten. Dies sollte mit allen Beteiligten entsprechend ihrem Informationsbedürfnis und -wunsch besprochen werden. Gegebenenfalls sind gezielte sedierende Maßnahmen zu erwägen und anzubieten, wenn anders Angst und Luftnot nicht ausreichend zu lindern sind.

Frage 440 Skizzieren Sie die medikamentöse Behandlung ausgeprägter terminaler Unruhe. ● ● ●

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Behebbare Ursachen sind auszuschließen. Bei Unruhe sind Benzodiazepine indiziert. Wenn ein Delir im Vordergrund steht, empfiehlt sich ein Neuroleptikum, ggf. in Kombination mit einem Benzodiazepin.

Terminale Unruhe ist mit individuell titrierten Benzodiazepingaben zu lindern, als Anfangsdosis sind z. B. Lorazepam 1–2,5 mg s. l. oder Midazolam 1– 2,5 mg s. c. möglich. Die Abgrenzung von einem Delir ist nicht immer einfach. Wenn der Verdacht auf Delir im Raum steht, sollte zunächst die Behandlung mit einem Neuroleptikum erfolgen, z. B. Haloperidol 1– 2 mg p. o. oder s. c. Bei unzureichender Linderung der Unruhe kann mit dem Ziel der Sedierung auch Levomepromazin ggf. in Kombination mit einem Benzodiazepin verwendet werden. Auch in der Sterbephase sind behebbare Ursachen von Unruhe zu beachten (z. B. Harnverhalt), wenn auch natürlich die Interventionsmöglichkeiten sehr begrenzt sind.

Frage 441 Sie werden zu einem Patienten gerufen, der sich in der Sterbephase befindet. Der Patient wirkt angespannt und liegt mit angezogenen Beinen im Bett. Er stöhnt leise. Woran denken Sie? Anhalt für eine Symptomlast mit möglicherweise abdominaler Symptomatik. Je nach Gesamtsituation ist ein Harnverhalt abzuklären und ggf. zu beheben. Denkbar sind die Gabe eines starken Opioids ohne oder mit Metamizol und die Gabe von Butylscopolamin. Gerade in der Sterbephase gibt es nur wenige diagnostische Notwendigkeiten. Ziel ist immer die rasche und möglichst nachhaltige Symptomlinderung. Auch wenn die Anamnese und die Kenntnis der zugrunde liegenden Erkrankung helfen, die richtigen Schritte zu unternehmen, sind oft der klinische Eindruck und eine symptomorientierte körperliche Untersuchung ausschlaggebend. Wenn sich der Eindruck einer abdominalen Problematik bestätigt, ist es empfehlenswert, einen Harnverhalt auszuschließen und dann eine auf viszerale Schmerzen ausgerichtete Analgesie zu beginnen. Gelegentlich wird ein titrierendes Vorgehen notwendig sein. Ziel ist im Weiteren, eine ausreichende Analgesie mit einer festen Dauermedikation herzustellen.

Symptomkontrolle Frage 442 Gelegentlich treten im Sterben sehr starke Unruhe und Angst auf. Wie können Sie medikamentös und nicht medikamentös reagieren? ● ●



Da sein und Halt geben Angehörige soweit möglich einbeziehen und aufklären medikamentöse Optionen: ○ bei Verdacht auf ein Delir Gabe von Neuroleptika, ggf. ergänzt durch Benzodiazepine subkutan bzw. sublingual ○ bei Angst Gabe von Benzodiazepinen

Menschliche Zuwendung, insbesondere durch vertraute Personen, ist gerade in den letzten Lebensstunden hilfreich. Für Angehörige können diese Phasen von Verwirrtheit eine starke Belastung darstellen. Dann ist es notwendig aufzuklären, dass solche Veränderungen häufig in der Sterbephase auftreten. Wichtig ist die Abklärung, ob evtl. eine delirante Symptomatik vorliegt und damit Neuroleptika (z. B. Haloperidol) angezeigt sind. Wenn eine medikamentöse Anxiolyse angezeigt ist, sind Benzodiazepine Mittel der ersten Wahl.

Frage 444 Wann ist der gezielte Einsatz sedierender Medikamente in der Sterbephase indiziert?

In der Sterbephase ist mit Vigilanzänderungen zu rechnen, die durch die Medikation noch verstärkt werden. Daher ist dies frühzeitig und offen mit Patienten und Angehörigen zu besprechen. In der Sterbephase verschiebt sich die Abwägung von Nutzen und Risiken der sedierenden Medikation so, dass häufiger ein Einsatz gerechtfertigt erscheint. Die häufigsten Symptome, die zu einer gezielten Sedierung führen, sind Delir, Luftnot und existenzielles Leid.

Frage 445 Welche Fragen sind vor Einleitung einer gezielten Sedierung in der Palliativmedizin zu beantworten? ● ● ●

Frage 443 ●

Welche Aspekte sind bei künstlicher Flüssigkeitszufuhr in Bezug auf die Sterbephase zu beachten? Eine übermäßige Flüssigkeitsgabe kann in der Sterbephase zu verstärkten Beschwerden führen (Ödeme, Luftnot, Übelkeit, Rasseln). In der unmittelbaren Sterbephase ist eine künstliche Flüssigkeitszufuhr in den seltensten Fällen indiziert. Weder Durst noch Mundtrockenheit lassen sich mittels parenteraler Flüssigkeitszufuhr suffizient lindern. Oftmals kommt es zu Flüssigkeitsverschiebungen mit Ödemneigung, sodass zusätzliche Flüssigkeit durch z. B. zunehmende Pleuraergüsse die belastenden Beschwerden verstärken kann. Auch Übelkeit und Erbrechen können in der Sterbephase durch eine positive Flüssigkeitsbilanz über eine Förderung der gastrointestinalen Sekretion verstärkt werden. Liebevolle Mundpflege, in die auch die Angehörigen eingebunden werden können, ist eine sinnvolle und fürsorgliche alternative Maßnahme.

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Eine gezielte Sedierung ist indiziert bei anders nicht behandelbarem Leid.



Indikation Ziel der Sedierung Einwilligung des Patienten oder des Patientenvertreters Dauer der Sedierung Umgang mit Flüssigkeit und Ernährung

Zunächst sind die Indikation sowie Nutzen und Risiko kritisch zu prüfen: Welche Symptome sind nicht ausreichend gelindert und welche Versuche gab es schon? Ist noch weitere Expertise hinzuzuziehen? Das Angebot einer Sedierung muss dann mit dem Patienten oder, wenn dieser nicht einwilligungsfähig ist, mit seinem gesetzlichen Vertreter besprochen werden. Die Dauer und die Zielkriterien (in der Regel die Symptomlinderung) werden festgelegt. Ein wichtiger Aspekt ist der Umgang mit Flüssigkeit bzw. Ernährung, der unabhängig von der Indikation zur Sedierung festgelegt werden sollte. In der Sterbephase wird in aller Regel keine Flüssigkeitsgabe indiziert sein.

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Schmerztherapiegrundlagen Frage 446 Diskutieren Sie die sinnvolle Überwachung einer gezielten Sedierung in der Palliativmedizin. Welche Parameter sollten immer erfasst werden?

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● ● ●

Sedierungstiefe Anzeichen für Symptomlast in Abhängigkeit von der Prognose auch die Atemfrequenz

Diese Parameter stellen eine Empfehlung zur minimalen Überwachung einer gezielten Sedierung in der Palliativmedizin dar. Sie sichern zum einen die adäquate Steuerung der Behandlung und zum anderen die notwendige Dokumentation, um das ärztliche Handeln belegen zu können. Ist ein Patient in der Sterbephase, kann auf die Erhebung der Atemfrequenz verzichtet werden, da sich daraus keine therapeutische Konsequenz ergibt. Außerhalb der Sterbephase kann es sinnvoll sein, weitere Parameter zu überwachen.

Frage 447 Was gehört zur Basisbetreuung in der Sterbephase?

Frage 448 Nennen Sie die Probleme einer transdermalen Schmerztherapie in der Sterbephase und beschreiben Sie eine mögliche Vorgehensweise. Zentralisierung sowie die verminderte Durchblutung der Haut und des Unterhautgewebes können die Resorption negativ beeinflussen. Ein Umstellen auf eine subkutane Medikation kann angezeigt sein. Die Resorption starker Opioide aus transdermalen therapeutischen Systemen ist von verschiedenen Variablen abhängig. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang neben der regionalen Durchblutung auch die Temperatur. Auch bei Kachexie kann die Resorption deutlich reduziert sein.

Frage 449 Ein sterbender Patient möchte unbedingt nach Hause entlassen werden, um dann zu Hause zu sterben. Was ist zu bedenken? ●

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menschliche Zuwendung menschenwürdige Unterbringung Linderung belastender Beschwerden (z. B. Schmerzen, Luftnot, Übelkeit) Körperpflege Stillen von Hunger und Durst

Ausführungen zur Basisbetreuung in der Sterbephase finden sich sowohl in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 2011 [14] als auch in der S 3-Leitlinie zur Palliativmedizin [35]. Wichtig ist in jedem Fall der Respekt vor dem Menschen. Dies beinhaltet auch das Respektieren einer eventuellen Ablehnung von Angeboten der Behandelnden. Zum letzten Punkt der obigen Aufzählung ist anzumerken, dass im Einzelfall zu klären ist, ob eine künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr geeignet sind, Hunger und Durst zu stillen. Oft sind gerade in Bezug auf Durst eine gute Mundpflege und ein regelmäßiges Befeuchten der Schleimhaut viel erfolgreicher als die parenterale Flüssigkeitsgabe.

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klären, ob eine Pflegeunterstützung zu Hause notwendig ist klären, ob Hilfsmittel benötigt werden Medikamentenversorgung sicherstellen mit dem Patienten, den Angehörigen und dem Rettungsdienstpersonal besprechen, wie auf ein mögliches Versterben während des Transports reagiert werden soll hausärztliche und ggf. ambulante palliativmedizinische Versorgung klären

Ein kontinuierliches Weiterführen der Therapie ist gut zu planen und vorzubereiten. Wenn der Patient in Kenntnis der Einschränkungen und Probleme auf eine sofortige Entlassung drängt, ist diese selbstverständlich durchzuführen. Es ist sowohl auf die Hilfsmittelversorgung als auch auf die Bereitstellung der notwendigen Medikation zu achten. Die mitgegebene Medikation muss sicher den Zeitraum bis zur ambulanten Beschaffung überbrücken. Das den Transport begleitende Rettungsdienstpersonal braucht klare schriftliche Anordnungen, wie bei Problemen auf dem Transport verfahren werden soll. Das direkte Einbeziehen der ambulanten Leistungserbringer (Hausarzt, Pflegedienst, SAPV-Team usw.) ist unabdingbar für die Sicherstellung einer kontinuierlichen Behandlung in der Sterbephase.

Symptomkontrolle Frage 450 Ein Patient im Beginn der Sterbephase teilt Ihnen bei einem Hausbesuch mit, dass er zu Hause sterben möchte. Wie können Sie dazu beitragen, dies zu ermöglichen? ●





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mit den Angehörigen absprechen, ob das Sterben zu Hause aushaltbar ist und akzeptiert werden kann Notfallkarte mit Diagnose, aktueller Situation, Medikation und Vorausverfügung des Patienten gut sichtbar bereitlegen Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige klären klären, was im Falle des Versterbens zu tun ist sicherstellen, dass alle notwendigen (Bedarfs-) Medikamente zur Verfügung stehen, ggf. auch parenteral; Angehörige in deren Verabreichung einweisen

Essenziell ist eine gute Absprache aller an der Versorgung Beteiligten, um unerwünschte Wechsel der Versorgungssituation in der Sterbephase zu vermeiden. Für evtl. hinzugezogene Ärzte (Notarzt, Bereitschaftsdienst der kassenärztlichen Vereinigung) ist die Situation kurz und klar fassbar schriftlich zu fixieren, ggf. mit Benennung möglicher Maßnahmen bei Problemen. Hilfreich kann auch eine Kurzfassung der Patientenverfügung sein (z. B. die „PatientenAnweisungen für lebenserhaltende Maßnahmen [PALMA])“. Die größte Angst der Patienten ist oft die Sorge vor einer unzureichenden Symptomlinderung. Da sich die Beschwerden in der Sterbephase verändern können, ist eine vorausschauende Planung der Bedarfsmedikation notwendig.

Frage 451

In Anbetracht der verbleibenden Lebenszeit werden die Nahrungszufuhr und auch eine Flüssigkeitsgabe keine Auswirkung auf die Lebenszeit haben. Da oft auch der Schluckakt in der fortschreitenden Sterbephase nicht mehr funktioniert, ist mit relevanten Risiken durch eine erzwungene Nahrungseingabe zu rechnen (Aspiration mit Hustenreiz, Luftnot). Gut ist es, im Gespräch mit den Angehörigen Aspekte des Wohlbefindens in den Vordergrund zu stellen, z. B. die Mundpflege mit Getränken nach Wunsch des Patienten. Hier können die Angehörigen wertvolle Informationen zu den Vorlieben geben. Ein Einbeziehen in die „Mundsorge“ kann auch helfen, dem Wunsch der Angehörigen entgegenzukommen, dem Patienten etwas Gutes zu tun, sich zu kümmern.

2

Frage 452 In welchen Fällen sind in der Sterbephase rasche sedierende Medikamentengaben denkbar? ● ●

stärkste Luftnot bei akuter Ateminsuffizienz akute nicht stillbare lebensbegrenzende Blutung

Es gibt wenige Situationen, die eine sofortige (tiefe) gezielte Sedierung notwendig erscheinen lassen. Immer wird auch die Abwägung zu treffen sein, ob wirklich die rasche Medikation Stress, Leid und Angst wird lindern können oder ob doch die Zuwendung für den Patienten viel hilfreicher ist. Gerade bei akut lebensbegrenzenden Komplikationen verbleibt selten so viel Zeit, dass eine Medikation ihre Wirkung entfalten kann. Diese Überlegungen zeigen einmal mehr, dass das Antizipieren in der Palliativmedizin essenziell für eine erfolgreiche Behandlung ist. Absehbare Krisensituationen können so vorher besprochen und dann geordnet behandelt werden.

Angehörige bestehen auf dem Eingeben von Essen bei einem sterbenden Patienten. Skizzieren Sie einen möglichen Umgang damit. Unter symptomorientierten Gesichtspunkten ist eine forcierte orale Nahrungszufuhr oft nicht hilfreich und sollte zugunsten anderer Maßnahmen der Zuwendung unterlassen werden.

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Ethik und Recht

3 Ethik und rechtliche Grundlagen 3.1 Medizinethische Prinzipien und Grundlagen Mathias Schmidt; frühere Bearbeitung: Walter Bruchhausen

3

Frage 453 Welche Prinzipien gelten in der Medizinethik? Die allgemein anerkannten moralischen Grundsätze gelten selbstverständlich auch in der Medizin. Mit „Prinzipien“ sind zumeist die aus dem US-amerikanischen Lehrbuch „Principles of Biomedical Ethics“ von Tom L. Beauchamp und James F. Childress [8] stammenden 4 abwägbaren Prinzipien gemeint: „respect for autonomy“, „nonmaleficence“, „beneficence“ und „justice“. Die 4 Prinzipien bilden unterschiedliche Aspekte bei der Entscheidungsfindung und Abwägung ab: die Entscheidungsfreiheit des Patienten („respect for autonomy“), die Zielorientierung der Medizin auf die Gesundheit und das Wohlergehen („beneficence“), die Vermeidung von Schaden („nonmaleficence“) aus der hippokratischen Tradition sowie gesellschaftliche Gerechtigkeit („justice“). So kann in Dilemmasituationen individuell abgewogen werden und die Grundsatzdebatten zwischen prinzipiell unvereinbaren Ethikansätzen wie z. B. Utilitarismus und Pflichtenethik werden pragmatisch vermieden.

des Behandlers. So stellt sich z. B. in der Palliativmedizin die Frage, ob auf Wunsch des Patienten (Wahrung der Autonomie) eine Schmerzlinderung (Wahrung der Benefizienz) bei Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung (Bruch mit der Nonmalefizienz) ethisch vertretbar ist.

Frage 455 Sind die „Principles of Biomedical Ethics“ die einzige akzeptable Grundlage für die klinisch-ethische Entscheidungsfindung? Nein, diese Prinzipien sind nur ein Weg unter vielen, um ethische Konflikte in klinischen Situationen zu klären und so gutes Handeln zu fördern. Der Prinzipienansatz ist in der Praxis sowie im Unterricht und der Ethikberatung weit verbreitet, ist aber nicht unumstritten. Die Medizinethik schafft keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse oder evidenzbasiertes klinisches Wissen. Weitere Grundsätze wie Menschenwürde, ärztliche Gewissensfreiheit, Vertrauen oder beispielsweise „Care“ im Sinne empathischer „(Für-)Sorge“ anstatt des paternalistischen „Wohltuns“ (Benefizienz) sind als Ergänzung, Alternative und Kritik zu den 4 bioethischen Prinzipien herausgearbeitet worden.

Frage 456 Frage 454

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Wie kann ich die 4 Prinzipien nach Beauchamp und Childress in der Praxis anwenden?

Haben medizinethische Prinzipien die ärztliche Standesethik (z. B. den Hippokratischen Eid bzw. das Genfer Gelöbnis), staatliche Gesetzgebung und moralische Überzeugungen abgelöst?

Die 4 Prinzipien können auf den jeweiligen Einzelfall im Sinne einer ethischen Bewertung bzw. Abwägung angewendet werden. Sie sind grundsätzlich gleichberechtigt und müssen gegeneinander abgewogen werden, um (bestenfalls) zu einer argumentativ begründeten und ethisch vertretbaren Lösung zu gelangen.

Nein, der Prinzipienansatz ist aus zeitgenössischen moralischen Werten abgeleitet und versucht, ethische Konfliktlagen im Rahmen der gegebenen juristischen wie gesellschaftlichen Ordnung und unter Berücksichtigung moralischer Überzeugungen der Beteiligten zu lösen.

Respekt vor der Autonomie, Benefizienz, Nonmalefizienz und Gerechtigkeit werden gegeneinander abgewogen und bieten ggf. auch Spielraum für gesellschaftlich relevante wie individuelle Wertmaßstäbe

Der Ansatz will klinische Situationen als Konflikt zwischen ethischen Prinzipien formulieren und damit einer Klärung und bzw. bestenfalls einer Entscheidung näherbringen. Ausgangspunkt sind des-

Medizinethik halb nicht bestimmte Normensysteme, sondern die Erfordernisse der medizinischen Praxis. Rechtsnormen können dadurch nicht eingeschränkt und ebenso wenig die moralischen Grundsätze der Beteiligten ersetzt werden.

Frage 457 Wie lassen sich Patientenautonomie und ärztliche Pflichten im Entscheidungsprozess vereinbaren? Das Modell der partizipativen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) erlaubt es, die individuellen und subjektiven Wünsche und Vorstellungen des Patienten und des Arztes miteinander ins Gespräch zu bringen und so der Verantwortung beider gerecht zu werden. Die ärztliche Verpflichtung, zum Wohle des Patienten beizutragen, wird so nicht durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unterwandert. Vielmehr ermöglicht Shared Decision Making, den Patienten in seiner Entscheidung zu begleiten und zu unterstützen und die medizinischen Argumente für oder gegen eine medizinisch indizierte Behandlung einzubringen.

Frage 458

Frage 459 Sind alle geschäftsfähigen Personen immer autonom? Autonomie und Selbstbestimmungsfähigkeit sind abstrakte und juristische Konstrukte, die im Klinikalltag häufig schwierig anzuwenden sind. Die Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit des Patienten sowie Unterschiede im Grad der Selbstbestimmungsfähigkeit müssen zunächst ermittelt werden. Ggf. gilt es, die Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten wiederherzustellen bzw. zu fördern. Abgesehen von konkreten Symptomen, die die Patientenautonomie beeinträchtigen können, ist Ihr Patient häufig ein auf Hilfe angewiesenen Kranker, dessen Entscheidungsfähigkeit in seiner – auch emotionalen – Not eingeschränkt ist. Die Wiederherstellung und Förderung seiner Autonomie, z. B. durch medizinische Behandlung (Schmerztherapie, Diagnosesicherung) und psychosoziale Unterstützung, muss oberstes Ziel sein. Autonomie und Entscheidungsfähigkeit können nicht immer in vollem Umfang vorausgesetzt werden.

Frage 460

Verlangt die Patientenautonomie immer eine uneingeschränkte Aufklärung des Patienten?

Wie verhalten sich Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde zueinander?

Die Autonomie des Patienten umfasst das Recht auf alles relevante Wissen. Dabei kann er von diesem Recht in selbstbestimmter Weise unterschiedlich Gebrauch machen.

Die Menschenwürde wird durch das Selbstbestimmungsrecht gesichert, geht aber weit darüber hinaus.

Das früher übliche Verschweigen infauster Prognosen zum Schutz vor psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen – also zum vermeintlichen Wohl des Patienten – ist mit heutigen Maßstäben nicht vereinbar. Selbst nach einer anfänglichen Ablehnung oder Verdrängung schlechter Nachrichten müssen sie ihm wiederholt in geeigneter Weise dargeboten werden, d. h. zurückhaltend und der individuellen Aufnahmebereitschaft angepasst. Der Patient kann jedoch ausdrücklich auf eine vollständige Aufklärung verzichten oder dies auf einen bestimmten (späteren) Zeitpunkt verschieben.

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Menschenwürde und ihr Schutz kommen jedem Menschen zu, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sozialem Status oder seiner körperlichen und intellektuellen Leistungsfähigkeit. Beim entscheidungsfähigen Patienten sichert die Respektierung der Selbstbestimmung die Menschenwürde und die Menschenwürde verlangt, Selbstbestimmung zu respektieren. Je stärker die Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist, umso mehr werden andere Aspekte der Menschenwürde bestimmend, z. B. der Schutz vor Schmerzen oder der Schutz der Privatsphäre.

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Ethik und Recht Frage 461

3

Muss der Arzt zur Respektierung der Patientenautonomie alles tun, was der Patient verlangt?

Was besagt das Prinzip der Benefizienz bzw. des Patientenwohls?

Der Arzt muss und darf nicht ungeprüft alle Patientenwünsche erfüllen, weil der Gedanke der Autonomie auch die ärztliche Gewissensfreiheit umfasst und die Prinzipien der Nonmalefizienz und der Benefizienz zu berücksichtigen sind.

„Benefizienz“ meint die primäre Verpflichtung, bei ärztlichem Handeln auf das Wohl des Patienten abzuzielen und nicht z. B. auf die Interessen der Angehörigen, der Gesellschaft oder des Arztes (selbst wenn diese „gut“ oder berechtigt erscheinen).

Der einwilligungsfähige Patient kann vom Arzt verlangen, Maßnahmen zu unterlassen. Er kann aber keine Handlung verlangen, die der Arzt ablehnt, weil sie juristisch verboten, medizinisch nicht indiziert oder mit dem ärztlichen Gewissen nicht vereinbar ist. Diese Wahrung der ärztlichen Gewissensfreiheit stellt das notwendige Gegenstück zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten und zu den Interessen der Gesellschaft dar. Denn die Freiheit des einen findet ihre Grenze in der Freiheit des anderen.

Frage 462 Was geschieht, wenn der Patient (oder sein Betreuer) nichtstrafbare Maßnahmen verlangt, die der behandelnde Arzt ablehnt? Die letzte Möglichkeit zur Lösung unüberbrückbarer Differenzen und Konflikte ist – wenn irgend möglich – die Abgabe der ärztlichen Behandlung in andere Hände. Wenn auch mittels klinischer Ethikberatung keine Einigung der Beteiligten erzielt werden kann, besteht die letzte Möglichkeit – oft nach Entscheidungen des Betreuungsgerichts – in der Abgabe der Behandlung, z. B. durch die Vermittlung eines anderen Behandlers oder Verlegung in eine andere Einrichtung. Sofern dies nicht ermöglicht wird, toleriert es die deutsche Rechtsprechung inzwischen sogar, dass Angehörige im Sinne des Patientenwillens selbst Maßnahmen zur Beendigung nicht autorisierter Behandlung, z. B. künstlicher Ernährung, ergreifen.

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Frage 463

Diese Kernverpflichtung der hippokratischen Tradition stellt einen Schutz der Patienteninteressen dar. Muss der Arzt zum Wohle des Patienten andere Überlegungen wie etwa sozialrechtliche Vorgaben oder seine eigene fachliche Kompetenz in seine Entscheidung einfließen lassen, so hat er dies dem Patienten mitzuteilen, z. B. bei der Möglichkeit entsprechender Kostenübernahme oder wenn durch einen anderen Behandler eine bessere Behandlung möglich wäre. Diese Verpflichtung auf das Patientenwohl kann in der Praxis durchaus auch in Konflikt mit einem anderslautenden Patientenwillen geraten.

Frage 464 Verbietet das Prinzip der Nonmalefizienz jedwede Art von Schädigung? Da medizinisches Handeln trotz guter Absichten auch immer schädigende Folgen haben kann, ist keine absolute, sondern nur eine relative Schadensvermeidung bzw. ggf. -minderung verlangt. Schaden und Risiko müssen in einem vertretbaren Verhältnis zum therapeutischen Nutzen stehen. Sie dürfen nie direkt gewollt und bei tödlichem Schaden nie Mittel zum Zweck sein, etwa bei Tötung zur Beseitigung schwerer Schmerzen oder anderer Beeinträchtigungen. Dieser „Lehrsatz der doppelten Wirkung“ rechtfertigte früher „indirekte Sterbehilfe“ bei vermeintlich letaler Atemdepression durch Morphingabe. Die Palliativmedizin betont hingegen heute die lebensverlängernde Wirkung adäquater Analgesie und Sedierung.

Medizinethik Frage 465 Nimmt die klinische Ethikberatung dem behandelnden Arzt die Verantwortung ab? Die Verantwortung für ärztliches Handeln verbleibt immer beim behandelnden Arzt. Die Ethikberatung stellt eine beratende Instanz dar, nimmt dem Behandler aber nicht die Verantwortung und die Entscheidung ab. Im Gegensatz zu Gremienentscheidungen mit Sanktionscharakter (z. B. Berufsgerichte) oder juristischer Grundlage (Ethikkommission) gibt die klinische Ethikberatung nur ihre Beurteilung des zu beratenden Falles ab, aber keine rechtlich bindende Anordnung. Sie ist nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben eingerichtet und besitzt keine Sanktionsmöglichkeiten. Ihre freiwillige Inanspruchnahme kann hilfreich sein bei der Entscheidungsfindung bzw. der Lösung eines Konflikts und auch in eventuellen späteren Gerichtsverfahren entlastend wirken.

Frage 467 Ist Forschung ohne Risiko und Schaden für den Patienten erlaubt, z. B. eine bloße Befragung in der Palliativmedizin? Die Prinzipien der Forschungsethik verlangen auch am Lebensende den vollen Informed Consent und ein angemessenes Verhältnis zwischen Nutzen und Belastung.

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Nach diesen Grundsätzen, vor allem in der Deklaration von Helsinki formuliert, sind eine Aufklärung über alle Bestandteile eines Forschungsvorhabens (z. B. auch Art und Umfang von Fragebögen) und eine wirksame Einwilligung erforderlich. Ebenso ist die Beratung durch die Ethikkommission einschließlich der Bewertung der Relation von Belastung und Risiko zu Eigen-, Gruppen- und Fremdnutzen für diese Studie erforderlich. Wegen der starken Begrenzung von Kräften und Lebenszeit der Palliativpatienten sind dabei besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen.

Frage 466 Frage 468 Besteht ein ethischer Unterschied zwischen dem Verzicht auf eine Maßnahme von Beginn an und ihrem Abbruch zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. Beatmung oder künstliche Ernährung?

Müssen religiöse und kulturelle Vorstellungen der Patienten und Angehörigen vom „richtigen“ Sterben und dem Umgang mit der Leiche berücksichtigt werden?

Nein, wenn Absicht und Gründe dieselben sind. Wenn eine Maßnahme nicht (mehr) ärztlich indiziert ist oder wenn sie durch den (mutmaßlichen) Willen des Patienten ausgeschlossen wird, macht es für ihre Unterlassung ethisch und rechtlich keinen Unterschied, ob die Maßnahme schon begonnen wurde oder nicht. Sie darf schlichtweg nicht erfolgen. Die rein faktische, aber ethisch nicht relevante Unterscheidung zwischen Nichtbeginnen und Abbrechen ist keineswegs mit dem Unterschied von aktiv und passiv gleichzusetzen. In beidem geht es nämlich um den Verzicht auf Maßnahmen, also eine passive Haltung. Insbesondere streng religiöse Gruppen sehen das zum Teil anders, wenn sie auch das Abstellen als aktiv ansehen. Für Patienten, Angehörige und das Behandlungsteam kann das Einstellen von Maßnahmen sehr viel belastender sein als der Verzicht von Anfang an. Auch deshalb sollte ein unberechtigter Beginn von Maßnahmen nach Möglichkeit vermieden werden.

Zur umfassenden Versorgung gehören auch die Anerkennung spiritueller Bedürfnisse und die Befolgung religiöser Normen, sofern dem keine gewichtigen Gründe, z. B. hygienischer, qualitätssichernder oder forensischer Art, entgegenstehen. Unabhängig von eigener Religiosität haben die Gesundheitsberufe Raum für religiöse und spirituelle Rituale zu lassen. Bei vielen Muslimen ist z. B. die Ausrichtung des Sterbenden nach Mekka, die Leichenwaschung, die rasche Beerdigung und die Überführung in die Heimat von Relevanz. Bei der inneren Pluralität großer Religionen sollte sich dies auf die tatsächlich jeweils akzeptierten Gebote und gelebte religiöse Praxis beziehen. Dies gilt es jeweils für den Einzelfall abzuklären und ist nicht pauschalisierbar, denn Gläubige können sehr unterschiedlichen Richtungen angehören und deren Vorgaben unterschiedlich streng befolgen.

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Ethik und Recht Frage 469 Kann nach einem Prinzip des Family Consent die Entscheidung der Familie die des Patienten ersetzen oder muss sie zusätzlich vorliegen? In der deutschen Rechts- und Berufsordnung ist allein die Entscheidung eines einwilligungsfähigen Patienten maßgeblich. Familien haben kein Recht, sie zu überstimmen oder die zusätzliche Einholung ihrer Zustimmung zu verlangen.

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Bei Patienten aus Kulturen, in denen der Einzelne sehr stark als Teil seiner Familie gesehen wird, besteht gelegentlich die Erwartung vonseiten der Familie, in Informationen zur Erkrankung und Behandlung sowie in Entscheidungen eingebunden zu werden (Family Consent). Dies darf jedoch nur in dem Maße geschehen, wie der Betroffene dies selbst erkennbar wünscht. Beim nicht einwilligungsfähigen Patienten dürfen Familienangehörige nur als eingesetzte oder ernannte Bevollmächtigte oder Betreuer entscheiden.

3.2 Entscheidungen am Lebensende Jan Schildmann, Eva Schildmann

Frage 471 Bei der sog. Sterbehilfe werden häufig die Formen „aktiv“ und „passiv“ unterschieden. Auf welche Handlungen am Lebensende beziehen sich diese Begriffe? ●



aktive Sterbehilfe: Tötung eines Patienten (auf dessen Verlangen) passive Sterbehilfe: Begrenzung medizinischer Maßnahmen mit der möglichen Folge der Lebensverkürzung

Die Tötung von Patienten auf Verlangen ist nach § 216 StGB (Strafgesetzbuch) strafbar. Die Begrenzung medizinischer Maßnahmen (Verzicht oder Abbruch) mit der möglichen Lebenszeitverkürzung ist unter Berücksichtigung des Patientenwillens sowie der Indikation rechtlich möglich bzw. geboten.

Frage 470 Was besagt das Prinzip der „Care“ oder „Fürsorge“ im Unterschied zu den 4 Prinzipien der „Biomedical Ethics“? Care Ethics oder Fürsorgeethik legt besonderen Wert auf die Dimension der Beziehung, die dem Patienten häufig erst die Grundlage für faktische Selbstbestimmung gibt und die Entscheidungen durch Empathie unterstützt. In empirischen Untersuchungen zu moralischen Entscheidungen wurden Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder ärztlichem und Pflegepersonal sichtbar, die insbesondere den Rigorismus abstrakter Prinzipienanwendung infrage stellen ließen. Daraus entwickelte sich der Ansatz einer Fürsorge, die zugleich dem Patienten das Gefühl von Vertrauen in sich selbst und in die Fürsorgenden vermittelt, mit dem Ziel, die Entscheidungsfähigkeit zu unterstützen und den Fürsorgenden zusätzliche emotionale Quellen zur Einschätzung des Patienten und seiner Situation zu ermöglichen.

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Frage 472 Was bedeutet „indirekte Sterbehilfe“? Indirekte Sterbehilfe beinhaltet die Anwendung von Maßnahmen zur Verminderung von Leiden mit der möglichen Folge der Lebenszeitverkürzung. Die sog. indirekte Sterbehilfe ist unter Berücksichtigung der Indikationsstellung sowie im Einklang mit dem Patientenwillen rechtlich erlaubt. Die ethische Rechtfertigung bezieht sich auf die sog. Doktrin der Doppelwirkung nach Thomas von Aquin. Nach dieser können, vereinfacht ausgedrückt, Handlungen mit negativen Konsequenzen (in diesem Fall: mögliche Lebensverkürzung) unter Verweis auf intendierte positive Effekte dieser Handlung (in diesem Fall: Leidenslinderung) gerechtfertigt werden.

Sterbehilfe Frage 473 Was bedeutet der Begriff „Euthanasie“? Der Begriff „Euthanasie“ kann mit „schöner Tod“ übersetzt werden (griech.: „eu“ gut, „thanatos“ Tod). Während der englische Begriff „euthanasia“ in der internationalen Diskussion häufig für die Tötung auf Verlangen verwendet wird, wird er in Deutschland seit Ende des nationalsozialistischen Regimes in der Regel nicht mehr benutzt. Grund dafür ist die missbräuchliche Verwendung des Begriffs für die Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen während des Nationalsozialismus.

Frage 474 Ein Patient wünscht den Abbruch der invasiven Beatmung. Ist der Abbruch dieser Maßnahme rechtlich erlaubt? Unter der Voraussetzung, dass der Patient selbstbestimmungsfähig ist, ist der Abbruch nicht nur erlaubt, sondern rechtlich geboten. Aufgrund des Selbstbestimmungsrechts des Patienten kann dieser jederzeit eine Behandlung untersagen, die er nicht möchte, auch wenn diese Ablehnung einen tödlichen Verlauf bedeutet. Kann sich der Patient nicht mehr selbst äußern, gilt entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH (Bundesgerichtshof): „Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen“ [15].

Frage 475 Eine von Ihnen seit mehreren Jahren hausärztlich betreute Patientin mit einer fortschreitenden Tumorerkrankung bittet Sie um Bereitstellung von Medikamenten, die sie zu einem selbst gewählten Zeitpunkt einnehmen möchte, um ihr Leben zu beenden. Um welche Handlung bittet die Patientin Sie?

Die Patientin bittet Sie um Beihilfe zum Suizid (ärztlich assistierte Selbsttötung). Die Beihilfe zum Suizid wird anhand der sog. Tatherrschaft von der Tötung auf Verlangen abgegrenzt. Bei der Selbsttötung liegt die Tatherrschaft bei dem Suizidenten, während bei der Tötung auf Verlangen die zum Tode führende Handlung von einer anderen Person (z. B. dem Arzt oder dem Angehörigen des Patienten) ausgeführt wird.

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Frage 476 Ist die ärztliche Beihilfe zum Suizid (ärztlich assistierte Selbsttötung) in Deutschland juristisch erlaubt? Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.2.2020 das 2015 eingeführte strafrechtliche Verbot der „geschäftsmäßigen“, d. h. einer auf Wiederholung angelegten, Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig erklärt. Zum Zeitpunkt der Drucklegung liegen mehrere Gesetzesentwürfe zur gesetzlichen Neuregelung der assistierten Selbsttötung vor. Entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben sowie die freiwillige Hilfe Dritter. Der Deutsche Ärztetag hat im Juni 2021 und im Nachgang zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts das 2011 eingeführte Verbot der Hilfe zur Selbsttötung in § 16 der Musterberufsordnung gestrichen.

Frage 477 Ein Patient mit einer belastenden und lebensbegrenzenden Erkrankung bittet Sie „um eine Spritze“, damit seinem Leben und dem unerträglichen Leiden ein Ende gesetzt werde. Was ist in dieser Situation zu beachten? Die Bitte des Patienten ist nicht immer gleichzusetzen mit dem Wunsch nach Tod. Es sollten im Gespräch mit dem Patienten mögliche Hintergründe für seine Bitte exploriert werden. Rechtlich ist die Tötung auf Verlangen in Deutschland, anders als beispielsweise in den Niederlanden, auch dann nicht erlaubt, wenn es sich um ein

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Ethik und Recht selbstbestimmtes, wiederholtes und ernsthaftes Verlangen des Patienten handelt. Todeswünsche von Patienten können viele Ursachen haben. Sie können nicht nur dem Wunsch nach besserer Kontrolle des Leidens entsprechen, sondern auch Ausdruck einer depressiven Erkrankung sein. Empirische Untersuchungen belegen darüber hinaus, dass Todeswünsche von Patienten sich im Verlauf ändern können.

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Frage 478 Wie lässt sich eine tiefe Sedierung, die bis zum Eintritt des Todes eines Patienten durchgeführt wird, von der Tötung eines Patienten auf sein Verlangen abgrenzen? Bei der gezielten tiefen Sedierung wird das Bewusstsein so weit reduziert, wie es notwendig ist, um unerträgliches und therapierefraktäres Leiden des Patienten zu lindern. Durch eine adäquat durchgeführte gezielte Sedierung wird nach aktuellem Kenntnisstand die verbleibende Lebenszeit nicht verkürzt. Bei der Tötung auf Verlangen erfolgt die Beendigung des Lebens, um das Leiden des Patienten zu beenden. Bei der gezielten Sedierung im palliativmedizinischen Kontext erfolgen entsprechend der Zielsetzung ein Monitoring von Anzeichen für Leiden und Sedierungstiefe sowie eine Titration der Medikamente bis zur Sedierungstiefe, die notwendig ist, um das Leiden zu lindern. Dagegen wird bei der Tötung auf Verlangen eine letale Dosis von Medikamenten appliziert.

Frage 479 Eine Patientin wünscht den Abbruch der künstlichen Ernährung und/oder Flüssigkeitsgabe. Können Sie diesem Wunsch als behandelnder Arzt Folge leisten? Patienten, die selbstbestimmungsfähig sind, können jegliche medizinische Maßnahmen ablehnen. Entsprechend den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung gilt: „Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll nicht durch le-

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benserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Darüber hinaus darf das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Dies gilt auch für die künstliche Nahrungsund Flüssigkeitszufuhr“ [14].

Frage 480 Eine Patientin mit unerträglichem Leiden bittet um die Durchführung einer kontinuierlichen, tiefen Sedierung. Das Behandlungsteam stimmt zu und die Sedierung wird begonnen. Im Zuge der palliativen Sedierungstherapie werden sämtliche medizinischen Maßnahmen einschließlich der Gabe von Flüssigkeit und Ernährung begrenzt. Nennen Sie ethisch relevante Aspekte dieses Vorgehens. ●



Dem Wunsch der Patientin hinsichtlich Durchführung bzw. Begrenzung medizinischer Maßnahmen ist zu folgen. Die Begrenzung von Flüssigkeit und Ernährung kann in Abhängigkeit von der Dauer dieser Maßnahmen in Kombination mit tiefer Sedierung zum Tod der Patientin führen.

Entscheidungen zugunsten einer kontinuierlichen tiefen Sedierung sollen entsprechend den von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin mit dem Forschungsverbund „SedPall“ veröffentlichten Handlungsempfehlungen zur Sedierung in der Palliativversorgung nach Durchführung und Evaluation einer vorübergehenden Sedierung getroffen werden. Entscheidungen über die mögliche Begrenzung von Flüssigkeit und Ernährung im Kontext einer palliativen Sedierungstherapie sollen entsprechend diesen Empfehlungen, unabhängig von der Entscheidung über Sedierung, gemeinsam mit dem Patienten bzw. dessen Stellvertreter getroffen werden.

Frage 481 Ein junger Patient mit deutlich fortgeschrittener Tumorerkrankung ist in sehr schlechtem Allgemeinzustand. Der Patient wünscht ausdrücklich eine Fortsetzung der Chemotherapie. Welche medizinischen und ethischen Aspekte sind zu berücksichtigen?

Sterbehilfe Ist der Wunsch des Patienten selbstbestimmt, basierend auf ausreichender Information? Welche Wirksamkeit hat eine weitere Gabe von Chemotherapie? Welche Risiken sind mit einer Fortsetzung der Behandlung verbunden? Der ausgeprägte Wunsch von Patienten nach Therapie ist in der klinischen Praxis häufig Grundlage für die Chemotherapiebehandlung von an Krebs erkrankten Patienten bis kurze Zeit vor dem Eintritt des Todes. Voraussetzung für eine selbstbestimmte Entscheidung ist die Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten. Des Weiteren müssen die Wirksamkeit sowie der mögliche Schaden geprüft werden. Entsprechend dem ethischen Prinzip der Nonmalefizienz (ethisches Prinzip des Nichtschadens) gilt, dass Ärzte in Situationen, in denen nach ihrer Einschätzung eine Therapie dem Patienten einen angesichts des möglichen Nutzens nicht zu vertretenden Schaden zufügen würde, eine solche Therapie nicht anbieten sollten.

Frage 482 Eine Patientin mit weit fortgeschrittener Demenzerkrankung wird aufgrund einer Lungenentzündung aus dem Pflegeheim in die Notaufnahme eingewiesen. Die Tochter als zuständige Betreuerin und der Arzt beraten über das weitere Vorgehen. Welche Kriterien müssen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden? Es muss von ärztlicher Seite geprüft werden, ob eine Behandlung indiziert ist. Die Betreuerin muss prüfen, ob eine Therapie oder der Verzicht auf die Behandlung mit dem vorausverfügten bzw. mutmaßlichen Willen der Patientin übereinstimmt. Die sog. Indikationsstellung umfasst in der Praxis neben der Bewertung der Wirksamkeit einer möglichen Behandlung immer auch die Bewertung des Nutzens und des möglichen Schadens einer solchen Behandlung. In diesem Zusammenhang muss allerdings bedacht werden, dass Bewertungen des Nutzens (z. B. Verbesserung der Lebensqualität) bzw. Schadens (z. B. unerwünschte Arzneimittelwirkungen) Werturteile darstellen, die nicht allein auf einer medizinisch-fachlichen Expertise beruhen.

Frage 483 Eine Patientin mit einer lebensbegrenzenden Erkrankung hat das Bewusstsein verloren und ist seit mehreren Tagen beatmungspflichtig. Des Weiteren sind kreislaufunterstützende Maßnahmen notwendig. Die Angehörigen wünschen übereinstimmend, dass die Therapie in dieser Situation beendet wird. Welche Bedeutung hat der Wunsch der Angehörigen für die Entscheidungsfindung?

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In der klinischen Praxis werden Angehörige oft in die Entscheidungsfindung am Lebensende bei nicht einwilligungsfähigen Patienten einbezogen. Da Angehörige oft wichtige Hinweise zum vorausverfügten oder mutmaßlichen Willen von Patienten geben können, sieht § 1901b Abs. 2 BGB vor, dass ihnen zur Ermittlung des Patientenwillens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden soll. Prinzipiell gilt aber, dass eine Vorsorgevollmacht vorliegen oder ein Betreuer bestellt werden muss. Angehörige sind also nicht per se Stellvertreter der Patienten bei fehlender Selbstbestimmungsfähigkeit. Allerdings erfolgte zum 1.1.2023 eine Änderung des Betreuungsrechts. Entsprechend dieser Änderung gilt unter bestimmten Bedingungen für Ehegatten ein “automatisches” Vertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten für einen begrenzten Zeitraum.

Frage 484 Nennen Sie Kriterien, anhand derer Sie die Einwilligungsfähigkeit eines Patienten überprüfen können. ● ●

Verständnis der übermittelten Informationen Abwägung von Information und Entscheidung im Lichte von persönlichen Werthaltungen und Präferenzen des Patienten

Die Einwilligungsfähigkeit ist neben der Information und der Freiwilligkeit eine zentrale Voraussetzung für eine gültige informierte Einwilligung (Informed Consent) von Patienten. Die Einwilligungsfähigkeit bezieht sich auf den zu entscheidenden Sachverhalt. Patienten könnten in Bezug auf einen vergleichsweise einfach zu entscheidenden Sachverhalt einwilligungsfähig und gleichzeitig nicht dazu fähig sein, selbstbestimmt über einen komplexen Sachverhalt zu entscheiden. Psychische Erkrankungen sind nicht per se mit dem Fehlen von Einwilligungsfähigkeit gleichzusetzen.

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Ethik und Recht Frage 485 Erläutern Sie die mögliche Funktion der klinischen Ethikberatung im Kontext von Entscheidungen am Lebensende. Im Rahmen einer klinischen Ethikberatung werden bei wertebezogenen Konflikten am Lebensende die für die Entscheidung relevanten Fakten, die moralischen Bewertungen der Beteiligten sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen zusammengetragen. Ziel ist die Formulierung ethisch fundierter Handlungsoptionen. Dabei bleibt die Verantwortung für die Entscheidung beim Behandlungsteam und bei den weiteren Verantwortlichen (Patient bzw. Stellvertreter).

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Entsprechend der Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zur „Ethikberatung in der klinischen Medizin“ aus dem Jahr 2006 ist die ethische Einzelfallberatung eine der 3 Hauptaufgaben der klinischen Ethikberatung. Weitere zentrale Aufgaben sind die Leitlinienentwicklung sowie die Fort- und Weiterbildung in klinischer Ethik.

3.3 Advance Care Planning (ACP) für die letzte Lebensphase Susanne Kiepke-Ziemes, Jürgen Spicher; frühere Bearbeitung: Eva-Maria Sprengrad

Frage 486 Wofür stehen die Abkürzungen ACP und GVP? ACP steht für Advance Care Planning und ist die internationale Bezeichnung für vorausschauende gesundheitliche Versorgungsplanung. Die Abkürzung GVP steht für die Gesundheitliche Versorgungsplanung in der letzten Lebensphase nach § 132 g SGB V. Auf der Grundlage des § 132 g Abs.3 SGB V wurde am 13.12.2017 eine Rahmenvereinbarung zur Finanzierung, zu den Inhalten und Zielen der GVP zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zu den Trägern der Leistungserbringer für vollstationäre Einrichtungen der Altenhilfe und der Eingliederungshilfe geeint.

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Frage 487 Welche Ziele werden mit der Gesundheitlichen Versorgungsplanung verfolgt? Bei der Gesundheitlichen Versorungsplanung nach § 132 g SGB V geht es in erster Linie um eine Autonomieentscheidung für Bewohner*innen in der vollstationären Altenhilfe und Eingliederungshilfe. Es soll gewährleistet werden, dass eine vom Betroffenen unerwünschte Über- oder Unterversorgung unterbleibt. Bewohner*innen sollen nach ihren Wertvorstellungen und Wünschen behandelt werden, auch wenn sie diese nicht mehr selbst äußern können. Dies soll erfolgen, indem künftige Entscheidungen in Absprache mit den Bewohner*innen vorausgeplant werden. Weitere wesentliche Bestandteile sind zudem die Dokumentation und passgenaue Verfügbarmachung des ermittelten Bewohnerwillens durch entsprechende Archivierung, Zugriff und Transfer des schriftlich verfügten Willens in Einrichtungen der Altenhilfe und Eingliederungshilfe, was mit einer entsprechenden Organisationsentwicklung der beteiligten Einrichtungen einhergeht. Die enge Zusammenarbeit mit den extern an der Versorgung Beteiligten ist dabei Grundvoraussetzung.

Frage 488 Welches Gesetz liegt dem Beratungsangebot zugrunde? Der § 132 g SGB V ist der gesetzliche Hintergrund. Nähere Inhalte und Anforderungen wurden zwischen dem GKV-Spitzenverband Bund und den Vereinigungen von Trägern der vollstationären Altenhilfeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen auf Bundesebene getroffen [27]. Die Einrichtungen, die auf Grundlage dieser Vereinbarung einen Vertrag mit den Krankenkassen abschließen, verpflichten sich, gesetzlich Versicherte über das freiwillige Beratungsangebot der Einrichtung zu informieren. Wesentliche Regelungsinhalte des Gesetzes sind die Beratung zu medizinisch-pflegerischer Versorgung und psychosozialer sowie seelsorgerischer/spiritueller Betreuung in der letzten Lebens- und Sterbephase sowie Fallbesprechungen, um in Notfallsituationen geeignete Maßnahmen abzustimmen.

Advance Care Planning Frage 489 Wie kann das Beratungsangebot in den Einrichtungen umgesetzt werden? Die Beratung ist ein auf die Situation der Bewohner*innen zugeschnittenes Angebot zur medizinisch-pflegerischen, psychosozialen und/oder seelsorgerlichen Versorgung. Gesprächsangebote, interne und externe Vernetzung bilden dazu einen Dreiklang. Das Beratungsangebot ist ein qualifizierter Gesprächsprozess zwischen Bewohner*innen und zertifizierten Berater*innen. Durch interne und externe Vernetzung der Einrichtungen können die Ergebnisse der Gespräche aktuell bleiben und für externe Fachkräfte umsetzbar werden. Die Gespräche basieren grundsätzlich auf Freiwilligkeit. Im ersten Kontakt erfolgt eine Verständigung zur Zielsetzung und zum Beratungsprozess. Das Fachgespräch unterteilt sich in Fachberatung (Welche Inhalte und Ziele verfolgt GVP?) und Prozessberatung (Welche Wünsche, Vorstellungen, Entscheidungen und Ziele bezüglich der Planung für das Lebensende können oder möchten Bewohner*innen entwickeln, äußern oder festschreiben? Wer, also welche Vertrauenspersonen, könnten stellvertretend eingesetzt werden?). Beratungsgespräche werden bei Bedarf durch Fallbesprechungen ergänzt und die Inhalte des Beratungsprozesses und entsprechender Willensäußerungen werden unter Zustimmung der Bewohnerin/des Bewohners dokumentiert. Sofern gesetzliche Vertreter*innen oder rechtliche Betreuer*innen für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge vom Amtsgericht bestellt sind, werden diese in den Gesprächsprozess einbezogen. Auf Wunsch oder mit Zustimmung können auch An- und Zugehörige und andere relevante Personen an den Gesprächen beteiligt werden. Die Einrichtung informiert einrichtungsintern die Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen über Sinn und Zweck der GVP und stellt sicher, dass die Ergebnisse der gesundheitlichen Versorgungsplanung beachtet und eingehalten werden. Äußern die Bewohner*innen gegenüber den Mitarbeitenden der Einrichtung Änderungswünsche, sind die Berater*innen umgehend einzubinden. Die an der Versorgung Beteiligten, z. B. Ärzte, Rettungsdienste, SAPV-Teams und Kliniken, werden über das Angebot der Gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase nach

§ 132 g SGB V sowie den Einsatz von verwendeten Notfalldokumenten informiert. Die Einrichtungen haben den Berater*innen die Möglichkeit zu bieten, an externen Netzwerken teilzunehmen.

Frage 490

3

Was ist eine Patientenverfügung? Eine Patientenverfügung ist ein schriftliches Dokument. Die volljährigen Verfasser*innen legen darin fest, in welcher Lebens- und Behandlungssituation welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt und/oder unterlassen werden sollen, für den Fall, dass sie unfähig sind, in Untersuchungs- und Behandlungswünsche einzuwilligen. Die gesetzliche Grundlage für eine Patientenverfügung ist im § 1827 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Wichtig ist, dass in der Patientenverfügung die jeweilige Lebens- und Behandlungssituation und die Festlegung der medizinischen Maßnahmen konkret beschrieben sind. Eine Vorgabe für eine schriftliche Patientenverfügung gibt es nicht, vielmehr gibt es viele Vorlagen bzw. Broschüren. Ferner ist die Unterschrift der Verfasser*innen mit Datum notwendig. Die Verfasser*innen sollten in angemessenen Zeiträumen die Patientenverfügungen bestätigen und/oder bei Bedarf anpassen sowie mit erneuter Unterschrift und erneutem Datum aktualisieren.

Frage 491 In welchem Verhältnis steht die Patientenverfügung zum Beratungsangebot GVP? Das Beratungsangebot ist eine finanzierte Krankenkassenleistung für gesetzlich Versicherte in vollstationären Altenhilfeeinrichtungen und in Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Die Bewohner*innen können im Rahmen der GVP zur Patientenverfügung beraten werden. Vor dem Hintergrund, dass die Bewohner*innen einen hohen Unterstützungsbedarf und kognitive Einschränkungen aufweisen, wird ihnen darüber hinaus die Option eröffnet, ihren natürlichen bzw. mutmaßlichen Willen für die Versorgung und Behandlung am Lebensende geltend zu machen. Dabei sieht das Beratungsangebot beispielswiese

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Ethik und Recht vor, dass im Sinne einer „assistierten Autonomie“ durch eine oder mehrere Vertrauenspersonen mit Sorgfalt durch Beobachtungen und Erfahrungen der Wille identifiziert werden kann, wenn Bewohnern*innen sich nicht mehr verbal äußern können ([27], vgl. § 5 Abs. 6). Damit ist die GVP auch ein spezifisches Beratungsangebot für diese bestimmte Zielgruppe. Für alle anderen Versicherten, die nicht in diesen Einrichtungen leben, ergibt sich – derzeit – kein Beratungsanspruch gegenüber der Krankenversicherung zur Patientenverfügung.

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Frage 492 Welche Bedeutung hat die Einwilligungsfähigkeit? Die Einwilligungsfähigkeit ist für volljährige Personen die Voraussetzung, um eine Patientenverfügung zu verfassen. Eine Einwilligungsfähigkeit liegt dann vor, wenn die Person den Sachverhalt versteht, bestimmte Folgen und Risiken in angemessener Weise verarbeiten, die Informationen im Hinblick auf Alternativen angemessen bewerten und auf dieser Grundlage ihren Willen bestimmen kann.

Frage 493 Für wen müssen welche Inhalte in der Patientenverfügung bestimmt werden? Die Inhalte sind vorrangig für die behandelnden Ärzt*innen, Pflegenden, Bevollmächtigten und gesetzliche Betreuer*innen mit dem Wirkungskreis Gesundheitsfürsorge bestimmt. Die Inhalte unterteilen sich in den zu beschreibenden Situationen, z. B. wenn ein unabwendbarer und unmittelbarer Sterbeprozess vorliegt und/oder wenn man sich im Endstadium einer unheilbaren tödlich verlaufenden Krankheit befindet, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. Nachfolgend können Verfasser*innen die medizinischen Maßnahmen wie z. B. eine Schmerz- und Symptombehandlung, künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bejahen oder ablehnen.

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Der oben genannte Personenkreis hat die Verantwortung, dem festgelegten Willen der Verfasser*innen Geltung zu verschaffen. Je konkreter die Inhalte sind, desto besser können sich die Verantwortlichen daran orientieren. Allgemeine Situationsbeschreibungen wie beispielsweise “Demenz”, “ans Bett gefesselt sein” oder Beschreibungen wie “Wohlbefinden herstellen”, “menschenwürdiges Leben” können je nach Betrachter unterschiedlich ausgelegt werden und sind weniger hilfreich.

Frage 494 Haben Ehegatten im Rahmen der Gesundheitsfürsorge ein gegenseitiges Vertretungsrecht, wenn sich ein Ehegatte wegen Bewusstlosigkeit und/ oder Krankheit nicht vertreten kann? Nach § 1358 BGB besteht für Ehegatten ein gegenseitiges Notvertretungsrecht für die Gesundheitsfürsorge für 6 Monate, wenn einer der Ehegatten sich nicht vertreten kann. Der Arzt hat die in § 1358 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen sowie den Zeitpunkt des Vorliegens schriftlich zu bestätigen. Eine Voraussetzung ist, dass für den Krankheitsfall keine Vertretungsregelung getroffen wurde. Mit dem Notvertretungsrecht für Ehegatten werden behandelnde Ärzte gegenüber den Notvertretungsberechtigten von der Schweigepflicht entbunden.

Frage 495 Darf das Vorliegen einer Patientenverfügung zur Bedingung für eine Aufnahme in einem Krankenhaus oder Altenheim gemacht werden? Nein! Im § 1827 Abs. 5 BGB ist geregelt, dass eine Patientenverfügung nicht für einen Vertragsabschluss (Krankenhausbehandlung und/oder Heimvertrag) vorausgesetzt werden darf.

Advance Care Planning Frage 496 Wieso wird Patienten empfohlen, bei der Abfassung der Patientenverfügung einen Arzt hinzuziehen? Mit Unterstützung des Arztes kann der Verfügende seinen Willen wesentlich konkreter fassen, da er mithilfe der Informationen des Arztes mögliche eintretende Situationen und Behandlungsszenarien viel besser und realistischer einschätzen kann. Liegt bereits eine schwere Erkrankung vor, empfiehlt das Bundesministerium für Justiz [16], die Patientenverfügung vor allem auf die konkrete Krankheitssituation zu beziehen. Zudem kann es sinnvoll sein, auch detailliertere Angaben zur Krankheitsgeschichte, Diagnose und der aktuellen Medikation sowie zu den Behandlungswünschen zu machen.

es Aufgabe der Betreuer*innen, den mutmaßlichen Willen der Verfasser*innen zu ermitteln. Auch in diesem Fall muss der Betreuer unter Einbeziehung des behandelnden Arztes An- und Zugehörige hinzuziehen, wenn damit keine erhebliche Verzögerung verbunden ist. Grundsätzlich benötigen die Betreuer*innen die Genehmigung des Betreuungsgerichtes nach § 1829 BGB, wenn mit ihrer Einwilligung die begründete Gefahr einhergeht, dass der zu Betreuende durch diese Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden behält, oder mit ihrer Nichteinwilligung oder ihrem Widerruf einer Einwilligung in eine medizinische Maßnahme die begründete Gefahr einhergeht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.

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Frage 499 Frage 497 Wie kann die Patientenverfügung vom Verfügenden widerrufen werden? Eine Patientenverfügung kann gemäß § 1827a Abs. 1 BGB durch den Verfügenden jederzeit formlos widerrufen werden. Dabei sind alle Willensäußerungen zu beachten, auch diejenigen, die durch Gesten bekundet werden können. Eine Schriftform ist für den Widerruf nicht nötig.

Frage 498 Was sind die Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und gesetzlichen Betreuer*innen bzw. Bevollmächtigten? Die Grundlagen der Zusammenarbeit sind in den § 1828 BGB geregelt. Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Die gesetzlichen Betreuer*innen/Bevollmächtigten haben bei Vorliegen einer Patientenverfügung zu prüfen, ob die Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des zu Betreuenden zutreffen. Wenn dies zutrifft, müssen diese unter Beachtung der Festlegungen des zu Betreuenden gemeinsam die Maßnahmen entscheiden. Sofern das nicht der Fall ist, ist

Ist es sinnvoll, Patientenverfügungen mit weiteren Vollmachten zu kombinieren? Eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung zu kombinieren ist für den Notfall sinnvoll. Vor allem, wenn man eine gerichtliche Verfügung/Betreuung vermeiden möchte, können vertrauensfähige Personen frühzeitig über eigene Vorstellungen informiert und eingesetzt werden. Dazu können Vordrucke vom Bundesgesundheitsministerium, Ärztekammern oder ähnlichen Anbietern genutzt werden. Die bevollmächtigte Person kann im Notfall, wenn die Patient*in nicht entscheidungsfähig ist, gesundheitliche Entscheidungen sowie auch Entscheidungen über Ortswechsel wie etwa Heimunterbringungen umsetzen. Weiterhin ist es auch möglich, die vertrauenswürdige Person gerichtlich als Betreuer*in einsetzen zu lassen. Für Bankangelegenheiten sollen in Verbindung mit der Bank gesonderte Vollmachten ausgestellt werden.

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Ethik und Recht Frage 500 Wie unterscheiden sich Patientenverfügung, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht? Bei der Patientenverfügung bestimmt die verfügende Person über medizinische Maßnahmen im Notfall. Sie bestimmt beispielsweise, welche Maßnahmen ergriffen oder welche unterlassen werden sollen. In der Betreuungsverfügung bestimmt die verfügende Person, wer im Notfall ihren Willen vertreten soll. Die Vorsorgevollmacht ist in der Regel umfassender und bestimmt auch über die akute Situation hinaus, wer für den/die Patient*in wie tätig werden kann. Um dies zu gewährleisten, ist die Vorsorgevollmacht in der Regel mit weiteren Verfügungen wie Bankvollmacht und Depotvollmachten gekoppelt. Wichtig ist die genaue Absprache, wann der/die Betreuende für den/die Bevollmächtige tätig werden soll. Da diese Verfügung in der Regel eine weitgreifende Wirkung hat, sollten Patienten*innen bei Geldgeschäften über die Alltagsversorgung hinaus und bei Immobilienverkäufen eine/n Anwält*in oder Notar*in hinzuziehen.

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Frage 501 Was ist ein Notfallplan? In Notfällen ist schnelles Handeln erforderlich. Dabei unterstützt der Notfallplan, weil er kurz und übersichtlich Behandlungswünsche aufzeigt. Ein Notfallplan ist in gewisser Weise ein Extrakt der Patientenverfügung. Der Notfallplan wird mit Bewohner*innen erstellt und in der Regel von diesen und dem behandelnden Hausarzt unterschrieben. Um in Notfällen einen schnellen Überblick über die ungewünschten und gewünschten Behandlungsoptionen zu erhalten, muss der Notfallplan möglichst direkt zugänglich sein. So werden Notfallpläne häufig in dem Wohnraum der Bewohner*innen aufbewahrt.

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Optimal ist, wenn die Notfallpläne von den regionalen Akteuren des Gesundheitswesens konsentiert erstellt werden und in den kommunalen Gesundheitsund Pflegekonferenzen vorgestellt. Durch eine regionale Einheitlichkeit entsteht für die Rettungsdienste und Notärzte in Notfällen eine leichtere Handhabung.

Frage 502 Was sind ethische und palliative Fallbesprechungen? Die klinische Ethikberatung ist eine besondere Form der Beratung bei konflikthaften bzw. ethisch relevanten Fragen der Patientenbehandlung – sie erfolgt oft dann, wenn Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht fehlen und der mutmaßliche Patientenwille unklar ist. Sie kann durch Einzelpersonen oder beispielsweise durch ein klinisches Ethikkomitee erfolgen. Das palliative Fallgespräch ist als Sonderfall eines solchen und am besten multiprofessionellen Teamgesprächs aufzufassen. Neben den qualifizierten Berater*innen nach § 132 SGB V sollten zuständige Pflegekräfte vorausschauend über die Situation der Betroffenen beraten. Die Hinzuziehung von behandelnden Mediziner*innen ist dabei sehr wünschenswert, um auf eventuelle aktuelle Verschlechterungen des Gesundheitszustands reagieren und einen Plan für die weitere Versorgung erarbeiten zu können. Die palliative Fallbesprechung sollte sich neben der Krankheitsphase vor allem an den Wünschen und Wertvorstellungen für das Leben der Betroffenen orientieren. Ergebnisse sollen dokumentiert werden, um die Umsetzung sicherzustellen [55].

Kommunikationsregeln

4 Kommunikation 4.1 Kommunikation in der Palliativmedizin Sonja Hofmann

Frage 503 Beim Angebot eines Familiengesprächs: Wie viele Teammitglieder eines Behandlerteams sollten das Gespräch führen? Es sollten mindestens 2 Teammitglieder aus unterschiedlichen Berufsgruppen im Gespräch vertreten sein. In einem Familiengespräch ist es sinnvoll, dass eine Person durch das Gespräch führt. Indem das Gespräch mindestens zu zweit geführt wird, hat immer eine Person die Möglichkeit, die Familie z. B. in ihren Reaktionen zu beobachten, Fragen zu notieren, um später darauf zurückzukommen oder um auf die Zeit zu achten.

Frage 504 Welche Voraussetzungen sollte eine Person mitbringen, die durch ein Gespräch mit ethisch sensiblen Themen bei hoher Familiendynamik oder bei Konflikten führt? Die Person sollte sehr erfahren in der Moderation von Gesprächen sein und möglichst über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Neben einschlägiger Erfahrung sollte die gesprächsführende Person möglichst über eine Ausbildung in den Bereichen Psychologie, Soziale Arbeit, Sozialpädagogik oder Ethikberatung verfügen und sich in den Bereichen Mediation, systemische Beratung/ Therapie oder anderen Beratungs- und Therapieformen weitergebildet haben.

Frage 505

Zirkuläre oder triadische Fragen. Zirkuläre oder triadische Fragen erfordern einen Fragenden, einen Antwortenden und jemanden, über den gefragt wird. Beispiel 1: Frage an eine weinende Ehefrau eines Patienten: „Was denken Sie (‚liebe Ehefrau‘), was Ihr Weinen für Ihren Mann bedeutet?“ Beispiel 2: Frage an den Sohn der beiden: „Was denken Sie (‚lieber Sohn‘), was das Weinen Ihrer Mutter für Ihren Vater bedeutet?“

4

Frage 506 Welche Teammitglieder eines multiprofessionellen Behandlerteams eignen sich, um an einem Familiengespräch teilzunehmen? Grundsätzlich eignen sich alle vertretenen Berufsgruppen je nach Bedarf der Familie dazu, sich in ein Familiengespräch einzubringen. Die teilnehmenden Berufsgruppen sollten anhand der Bedürfnisse und Fragen einer Familie ausgewählt werden. Es wird empfohlen, Familiengespräche mit unterschiedlichen Berufsgruppen zu führen, um möglichst umfangreich die Anliegen der Familie auf unterschiedlichen Ebenen zu erfassen, Fragen beantworten zu können oder zu intervenieren.

Frage 507 Ein Kollege bittet Sie um einen Leitfaden zum Umgang mit Emotionsäußerungen von Patienten und Angehörigen. Nennen und beschreiben Sie einen solchen Leitfaden! Mit dem Akronym „NURSE“ wird ein Leitfaden bestehend aus den nachfolgenden Teilen beschrieben: ● Naming ● Understanding ● Respecting ● Supporting ● Exploring

Welche Fragetechnik kann genutzt werden, um Beziehungen der Familienmitglieder untereinander zu explorieren und andere Perspektiven zu eröffnen?

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Kommunikation Es geht in dem Konzept darum, die Gefühle des Gesprächspartners zu explorieren bzw. Wahrgenommenes zu beschreiben und Verständnis zu zeigen. Den Betroffenen sind Respekt und Wertschätzung für Gefühle und den Umgang mit der Situation entgegenzubringen. Viele Patienten fühlen sich allein und profitieren davon, wenn ihnen weitere Unterstützung angeboten wird.

Frage 508

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Ihr Kollege fragt nach, wie man einem Patienten gegenüber Verständnis zeigen kann, ohne selbst je in einer solchen Situation gewesen zu sein. Es ist wichtig, eher das zu beschreiben, was wahrnehmbar ist, und Interesse an den Gefühlen des Patienten zu zeigen, statt aus dem beobachteten Verhalten auf mögliche Emotionen zu schließen. Die einfühlsame Annäherung an die Gefühlsbeschreibungen des Patienten kann dazu dienen, die Beziehung zwischen Behandler und Patient zu stärken. Es ist wichtig, den Patienten nicht durch frühzeitige Verständnisäußerungen in seinen Beschreibungen einzugrenzen. Stattdessen sollte gezielt und detailliert nachgefragt und aktiv zugehört werden. Die Beschreibungen des Patienten sollten wertschätzend aufgenommen werden. Pausen und – paradoxerweise – Reaktionen wie „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt“, können als ein hohes Maß an Verständnis gedeutet werden. Die Übung von Achtsamkeit kann die Kommunikation positiv beeinflussen.

Frage 509 Wann sollte ein Familiengespräch angeboten werden?

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unter der Annahme umfassend vorbereitet, dass es einen präventiven Charakter erfüllen soll, kann es dazu dienen, eine Vielzahl von Themen in Ruhe anund durchsprechen zu können. So kann einer Krisensituation sowohl auf Patienten- und Angehörigenseite als auch im Behandlerteam vorgebeugt werden. Falls der Patient bei einem Familiengespräch nicht dabei sein möchte, sollte das Angebot seinen Angehörigen unterbreitet werden, sofern der Patient damit einverstanden ist.

Frage 510 Wozu kann ein multiprofessionell geführtes Familiengespräch dienen? ● ● ● ●

Informationsaustausch gegenseitiges Kennenlernen Beziehungs- und Vertrauensaufbau Ermitteln von Unterstützungsbedarf

In einem multiprofessionell geführten Familiengespräch können der Familie Informationen (z. B. zur Diagnose und zu Behandlungsmöglichkeiten) verständlich vermittelt werden, während die Familienmitglieder andererseits ihre Sorgen miteinander und mit dem Behandlerteam teilen können. In diesem Zusammenhang kann gemeinsam das Therapieziel besprochen werden. Gleichzeitig erhält das Behandlerteam Hinweise zur Familienstruktur und zum Unterstützungsbedarf. Darüber hinaus dient ein Familiengespräch dazu, mit der Ressourcenbeschreibung und -aktivierung der Familie zu beginnen und einen Behandlungs- bzw. Versorgungsplan zu entwickeln.

Frage 511 Woran kann es u. a. liegen, wenn auffällt, dass die Gesprächsleitenden keine Anteilnahme oder Mitgefühl mit den Betroffenen zeigen können?

Ein Familiengespräch ist möglichst früh in der Behandlung eines Patienten mit einer voraussichtlich lebensbegrenzenden Erkrankung anzubieten.

Ein Mangel an Anteilnahme oder Mitgefühl kann darauf hinweisen, dass das eigene Bedürfnis danach gerade nicht gestillt ist.

Eine der Kernverantwortungen im Team der Behandelnden in Palliative Care ist die Unterstützung der Familie. Folglich ist zu empfehlen, die Betroffenen entsprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen in die Behandlung einzubeziehen. Wird ein Gespräch

In Berufen, in denen es gefordert ist, mitfühlend bzw. empathisch zu kommunizieren, ist es notwendig, sich selbst und den eigenen Bedürfnissen gegenüber aufmerksam zu sein. Das bedeutet, wahrzunehmen, was ist, und ggf. zuerst für sich selbst zu sorgen.

Kommunikationsregeln Langfristig ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse und wie diese gestillt werden können zu erforschen und dem zu entsprechen, um eine Haltung der professionellen Nähe anbieten zu können.

Frage 512 Angehörige einer Patientin bitten um ein Gespräch zum Stand der Erkrankung. Mit der Absicht, die Patientin zu schonen, wünschen sie, mit Ihnen allein zu sprechen. Wie reagieren Sie?

Frage 514 Welche Interventionen – auf kommunikativer Ebene – können dazu dienen, vor, während und/oder nach einer Schmerzmittelgabe das Schmerzerleben des Patienten positiv zu beeinflussen? ●

● ● ●

Grundsätzlich ist eher zu empfehlen, ein gemeinsames Gespräch in Anwesenheit der Patientin zu führen. Für ein Gespräch ohne die Patientin muss ihr Einverständnis vorliegen. Das Bemühen der Angehörigen und dass sie die Patientin vor Sorgen bewahren möchten, sollte wertgeschätzt werden. Des Weiteren sollten die Angehörigen darüber informiert werden, welche Vorteile gemeinsame Gespräche haben und dass die Patientin nicht zu dem Eindruck gelangen soll, dass hinter ihrem Rücken über sie gesprochen wird. Aus diesem Grund ist der Patientin ein Familiengespräch mit den Personen, die sie gern dabeihaben möchte, vorzuschlagen. Es ist zu klären, ob und, wenn ja, mit wem Informationen zu ihrer Person und ihrer Erkrankung besprochen werden dürfen.

Frage 513 Ein Patient ist soeben verstorben. Wie können Sie seine Ehefrau in dieser Situation unterstützen? Für die meisten Betroffenen ist in dieser Situation wichtig, dass ihnen jemand beisteht, der in erster Linie zuhört. Verbale Reaktionen sollten kurz, sensibel, ressourcenorientiert und sehr wertschätzend formuliert werden. Für Hinterbliebene ist diese Situation in aller Regel ein Ereignis von höchster Bedeutung, das insbesondere in den ersten Minuten, Stunden und Tagen von großer Trauer und Belastung begleitet ist. Betroffene beschreiben oft verschiedenste Gefühle, z. B. sich schwer, klein oder hilflos zu fühlen. Die kognitive Aufnahmekapazität kann eingeschränkt sein. Es ist mit großer Sensibilität auf die Bedürfnisse der Hinterbliebenen zu achten. Wichtige Informationen sollten kurz benannt und in schriftlicher Form weitergegeben werden.

realistische Erläuterung des möglichen Schmerzverlaufs Placeboeffekt gezielte Aufmerksamkeitsübungen Ablenkung

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Möglichkeiten und Grenzen von Analgetikawirkungen sollten dem Patienten so erläutert werden, dass unrealistischen Erwartungen und gleichzeitig Ängsten entgegengewirkt wird. Bei der Schmerzmittelgabe kann es nützlich sein, das Medikament zuerst als Schmerzmittel zu bezeichnen, um zusätzliche Placeboeffekte zu fördern, und anschließend die erwartete Wirkung positiv zu formulieren (statt: „… wirkt gegen Schmerzen“ eher: „Das Medikament soll dazu dienen, Ihr Befinden zu verbessern“ oder „… bewirkt, dass Sie sich leichter bewegen können“). Auch Ablenkung durch z. B. interessante Gespräche oder Aufmerksamkeitsübungen können das Schmerzerleben beeinflussen. Imaginations- und Entspannungsübungen sowie hypnotherapeutische, achtsamkeitsbasierte oder verhaltenstherapeutische Interventionen können nützlich sein.

Frage 515 Welche 4 Komponenten beinhaltet die Gewaltfreie Kommunikation (GFK)? 1. 2. 3. 4.

Beobachtungen Gefühle Bedürfnisse Bitten

In der GFK geht es darum, konkrete, beobachtbare Handlungen zu benennen und wie die kommunizierende Person sich in Verbindung mit dem Beobachtbaren fühlt. Im weiteren Verlauf können Informationen über eigene Bedürfnisse, Werte, Wünsche etc. beschrieben werden. Im letzten Schritt werden Wünsche zum weiteren Vorgehen geäußert. Es gilt einerseits, die 4 genannten Informationsteile klar auszudrücken und diese andererseits auch bei unseren Mitmenschen wahrzunehmen [51].

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Kommunikation Frage 516 In der morgendlichen multiprofessionellen Übergabe wird berichtet, dass die Ehefrau eines Patienten immer so aggressiv sei. Welche Schwierigkeiten sehen Sie in dieser Formulierung? Es ist zu vermeiden, Verhaltensbeschreibungen zu generalisieren und beobachter- sowie kontextunabhängig darzustellen, um voreingenommene oder nicht neutrale Reaktionen (z. B. seitens des Behandlerteams) zu vermeiden.

4

Nur das beobachtbare Verhalten einer Person kann beschrieben werden. Was die Person tatsächlich fühlt, kann von anderen nur vermutet werden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass eine Person sich nicht unabhängig von einem Kontext verhält. Es ist nützlich, Aktion und Reaktion nicht als UrsacheWirkungs-Ketten, sondern als zirkuläre Prozesse anzusehen. Dazu kommt, dass Beobachtungen und demnach auch ihre Beschreibungen subjektiv sind. In einer multiprofessionellen Übergabe gilt es deshalb als zweckdienlicher, das beobachtete Verhalten der Person im entsprechenden Kontext zu beschreiben.

4.2 Breaking Bad News Sonja Hofmann

Frage 518 Nennen Sie 2 Konzepte zur Übermittlung schlechter Nachrichten. ● ●

SPIKES ABCDE

Das Akronym „SPIKES“ gilt als Abkürzung für die empfohlenen Gesprächsanteile ● Setting ● Perception ● Invitation ● Knowledge ● Empathy und Emotion ● Strategy & Summary Die Abkürzung „ABCDE“ steht in diesem Zusammenhang für ● “advance preparation” ● “build a therapeutic environment/relationship” ● “communicate well” ● “deal with patient and family reactions” ● “encourage and validate emotions”

Frage 517 Frage 519 Angehörige berichten wütend, wie schlecht sie sich auf der vorbehandelnden Station begleitet gefühlt haben. Welche Reaktion ist sinnvoll? Es ist sinnvoll, den Angehörigen zu vermitteln, dass sie ernst genommen werden. Zur weiteren Vorgehensweise sollte das Beschwerdemanagement des Krankenhauses erläutert werden. Es sollten weitere Angebote zur Vertrauensbildung gemacht werden. Emotionen, die die Angehörigen zusätzlich belasten, sollten grundsätzlich ernst genommen werden. Verständnis zu zeigen bedeutet in diesem Fall, einen angemessenen zeitlichen Raum für das Anliegen zu eröffnen und Verständnisfragen zu stellen. Anschließend sollte den Angehörigen vermittelt werden, wie entlastend und gleichzeitig sinnvoll es sein kann, das Thema der verantwortlichen Stelle zu übermitteln. Gleichzeitig sollte die Situation genutzt werden, um den Angehörigen für ihre Offenheit zu danken und sie einzuladen, sich bei schwierigen Themen in der Behandlung sofort zu melden, damit eine Lösung gefunden werden kann.

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Was ist im Rahmen des Überbringens einer schlechten Nachricht mit „Warnschuss“ gemeint und wozu dient er? Ein Warnschuss, bestehend aus ein oder mehreren Sätzen, soll die Betroffenen darauf vorbereiten, dass es im Folgenden um eine schlechte Nachricht gehen wird. Ein Warnschuss kann im Rahmen des SPIKES-Modells genutzt werden, bevor die vermutlich belastende Mitteilung ausgesprochen wird. Der Warnschuss sollte kurz und klar und in Prosodie, Mimik und Gestik einfühlsam kommuniziert werden. Er dient dazu, die Betroffenen kognitiv und emotional darauf vorzubereiten, dass es im Folgenden um eine schlechte Nachricht geht. Auf den Warnschuss sollte eine kurze Pause – ca. einen Atemzug lang – folgen.

Breaking Bad News Frage 520 Was sollte für das „Setting“ eines Gesprächs beachtet werden, das schlechte Nachrichten beinhaltet? ●







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ausreichende Vorbereitung (Ziel des Gesprächs für sich klären, Informationen sammeln) Wünsche der Betroffenen möglichst in die Vorbereitung einbeziehen geeignete Zeit wählen und Termin vereinbaren, ggf. Angehörige einladen ruhige Umgebung/Privatsphäre schaffen und Störungen vermeiden bzw. ankündigen genug Raum und Zeit anbieten das Gespräch möglichst zu zweit und mit verschiedenen Berufsgruppen führen sich ohne Barrieren zwischen sich und die Betroffenen hinsetzen Augenkontakt herstellen

Frage 521 In einem Gespräch zur Übermittlung einer schlechten Prognose wird ein Paar darüber informiert, dass der Patient bei aller Unsicherheit in Wochen bis wenigen Monaten an der Erkrankung versterben wird. Die beiden erkundigen sich, wie sie mit ihren Kindern im Grundschulalter diesbezüglich umgehen sollten.

Frage 522 Angenommen, ein Patient äußert weiteren Gesprächsbedarf, um mit der Information, dass er bald versterben wird, besser umgehen zu können. Welche Ansprechpartner nennen Sie dem Patienten? Es ist nützlich, das Anliegen des Patienten genauer zu erfassen, um ihm anschließend einen geeigneten Ansprechpartner nennen zu können. Verschiedene Berufsgruppen können empfohlen werden, insbesondere Psychologie, Seelsorge oder Sozialarbeit.

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Es ist darauf zu achten, welche Bedürfnisse der Patient an Sie heranträgt. Geht es z. B. um die Auseinandersetzung mit psychologischen Aspekten oder um familientherapeutische Themen, sollte der Kontakt zu einem Psychologen empfohlen werden. Möchte der Patient sich eher auf spiritueller Ebene mit der Thematik beschäftigen oder wünscht er die Durchführung spiritueller Rituale, so ist ein Seelsorger bzw. ein entsprechender Glaubensvertreter der geeignete Ansprechpartner. Grundsätzlich ist dem Patienten zu signalisieren, dass er mit seinen Anliegen auf alle Mitarbeitenden des Behandlerteams zukommen kann.

Frage 523 Kinder sollten altersgemäß über die Situation aufgeklärt und miteinbezogen werden, wenn sie dies selbst wünschen. Kindern und Jugendlichen sollte die Möglichkeit gegeben werden, die Dinge zu verstehen, die um sie herum passieren (z. B. Trauer der Familienmitglieder, Veränderung in den Ritualen der Familie). Durch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, können sie selbst die individuell angemessene Informationsmenge steuern. Informationen über den zu erwartenden Verlauf geben Kindern die Möglichkeit, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, Wichtiges mit den Eltern zu besprechen, sich zu verabschieden usw. Außerdem kann möglichen Schuldgefühlen vorgebeugt werden.

Wie verhalten Sie sich, wenn ein Patient nichts über seine Erkrankung oder seine Prognose wissen möchte? Es sollte den Betroffenen freigestellt sein, ob und wann diese Themen besprochen werden, insbesondere dann, wenn die Informationen nicht zwingend für eine dringende Entscheidung benötigt werden. Ggf. kann eine Person (z. B. ein nahestehender Angehöriger) als Ansprechpartner benannt werden. Auf die unterschiedlichen Wünsche von Patienten bezüglich der Detailgenauigkeit von Informationen sollte eingegangen werden. Es gilt als vertrauensförderlich, Bedenken anzuerkennen und Gründe dafür zu erfragen. Ein empathischer Umgang mit emotionalen Reaktionen kann die Betroffenen in der Erforschung von Bedenken und Gefühlen unterstützen.

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Kommunikation Frage 524 Eine Patientin erläutert, dass sie noch einige Dinge zu erledigen habe, und fragt, wie lange sie noch leben wird. Wie reagieren Sie? Die Frage der Patientin sollte damit beantwortet werden, dass dies nicht genau vorherzusagen ist. Es gilt als schwierig, die verbleibende Lebenszeit eines Patienten korrekt einzuschätzen. Außerdem kann es im Rahmen einer schweren Erkrankung zu unerwarteten Komplikationen kommen. Es sollte deshalb kein exakter Zeitpunkt benannt werden, auf den sich der Patient und seine Angehörigen evtl. einstellen würden. Ggf. können richtungsgebende Formulierungen gewählt werden, die umfassendere Zeiträume beschreiben, z. B. „Wir rechnen eher mit … (z. B. Tagen, Wochen, Monaten)“.

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Frage 525 Eine Patientin auf der Palliativstation leidet an einer weit fortgeschrittenen Tumorerkrankung und weist ein mittelgradiges demenzielles Syndrom auf. Auf Informationen über ihre Erkrankung reagiert sie ängstlich und traurig, erinnert sich an die Gespräche aber nach kurzer Zeit nicht mehr. Als Vorsorgebevollmächtigten hat die Patientin ihren Sohn eingesetzt. Wie gehen Sie weiter vor? Manche Patienten sind kognitiv nicht in der Lage, Gesprächsinhalte dauerhaft zu erinnern, und haben nicht die Möglichkeit, einen nützlichen Umgang mit der Situation zu erlernen. Es sollte vermieden werden, solche Patienten durch wiederholtes Aufklären immer wieder zu belasten. Dies ist mit dem gesetzlichen Vertreter zu besprechen. Vorab sollte die Patientin darüber informiert werden, dass ihre Situation mit ihrem Sohn besprochen wird. Dieser ist über die kognitive Einschränkung der Erkrankten zu informieren und nach seiner Einschätzung der Situation zu befragen. Es sollte ihm vorgeschlagen werden, davon abzusehen, seine Mut-

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ter immer wieder genau über ihre Erkrankung aufzuklären. Auf Nachfragen der Patientin sollte wahrheitsgemäß in einer ihrer kognitiven Situation angepassten Sprache geantwortet werden, z. B. dass sie sich zur Behandlung ihrer Symptome im Krankenhaus befindet.

Frage 526 Wie können Sie klären, welche Gesprächsinhalte Ihr Gegenüber verstanden hat und was sie für ihn bedeuten? Um dies zu eruieren, sind offene Fragen empfohlen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass Patienten auf Fragen wie z. B. „Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?“ häufig mit „Ja“ antworten, auch wenn dies vielleicht nicht zutreffend ist. Lineare, offene Fragen hingegen laden Betroffene ein, Antworten zu geben, die eher verdeutlichen, welche Informationen aufgenommen wurden. Beispiele: ● „Was geht Ihnen im Moment durch den Kopf?“ ● „Was bewegt Sie im Moment am meisten?“ ● „Welche Fragen sind noch offen?“ ● „Was werden Sie Ihrer Frau erzählen?“

Frage 527 Welche Tageszeit eignet sich für ein Gespräch zur Begrenzung einer kurativen Therapie? Gespräche zu schwierigen Themen sollten möglichst in der ersten Tageshälfte oder bis zum frühen Nachmittag geführt werden. Ein schwieriges Gespräch möglichst früh am Tag zu führen gibt den Betroffenen die Möglichkeit, sich mit den besprochenen Themen vor Einbrechen der Dunkelheit auseinanderzusetzen. Im Verlauf des Tages können weitere Gespräche geführt werden, z. B. mit Familie, Freunden, dem Behandlerteam im professionellen Setting.

Psychotherapie

5 Psychologische, soziale und spirituelle Aspekte in der Palliativsituation 5.1 Psychotherapeutische Verfahren Beate Hornemann

Frage 528 Worin besteht die Arbeit eines Psychologen bzw. Psychotherapeuten in der Palliative Care? ● ● ● ●

Arbeit mit Patienten Arbeit mit deren Angehörigen Arbeit im Palliative-Care-Team Die psychotherapeutische Arbeit reicht von der frühen palliativen Unterstützung von Betroffenen im Übergang von der kurativen zur palliativen Behandlungsintention bis hin zu Patienten in weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien und in der Sterbephase.

In der Regel sind Psychologen auf Palliativstationen fest im Behandlerteam eingebunden. In der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV, sog. Brückenteams) oder in der stationären Palliativversorgung für Normalstationen (Palliativkonsildienst) ist dies jedoch noch die Ausnahme! Ein Psychologe sollte als direktes Teammitglied zusätzlich intervisorische Tätigkeiten z. B. bei Fallkonferenzen übernehmen.

Frage 530 Wodurch lässt sich der Bedarf an Psychotherapie feststellen? Laut S 3-Leitlinie für Palliativmedizin (AWMF 2019) gehört die regelmäßige Erfassung psychischer Belastung zu den Standards der Versorgung. Es sollte dabei immer auf die Verhältnismäßigkeit der Diagnostik geachtet werden.

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Bewährte Screening-Verfahren zur Beurteilung der psychischen Belastung in der Palliativsituation sind: ● 2-Fragen-Screening Depressivität: 1. Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos? 2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun? ● GAD 2: ○ Wie oft fühlten Sie sich im Verlauf der letzten 2 Wochen durch folgende Beschwerden beeinträchtigt: 1. Nervosität, Angst oder Anspannung 2. nicht in der Lage sein, Sorgen zu stoppen oder zu kontrollieren Darauf kann dann eine vertiefende klinische Exploration aufbauen.

Frage 531 Frage 529 Was sind besondere Herausforderungen für den psychotherapeutisch Tätigen im Umgang mit körperlich Schwerstkranken? ●





Flexibilität für schnelle Veränderungen im Erkrankungsverlauf kommunikative Kompetenzen (z. B. Kenntnisse über nonverbale Kommunikationsweisen oder über interkulturelle Spezifitäten) Akzeptanz der Unabwendbarkeit des Todes (Umgang mit behandlerseitigen intensiven Gefühlen und Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit)

Welche Fragen empfehlen sich für eine klinische Exploration? ●





zur Exploration von Ängsten: Gibt es etwas rund um Ihren Gesundheitszustand, Ihre Erkrankung oder Ihre Angehörigen, das Ihnen aktuell Sorge oder Angst bereitet? zur Exploration von Depressivität/Depression: Fühlen Sie sich depressiv? Oder: Können Sie sich zurzeit freuen, wenn Ihnen etwas Schönes passiert? zur Exploration von Spiritualität: Sind Sie mit sich im Frieden? Oder: Sind Sie mit sich und Ihrer Umgebung im Reinen?

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Psychisch/sozial/spirituell Nicht nur für eine klinische Exploration ist es wichtig, autonomiewahrend und würdestärkend zu kommunizieren, indem man sich die Erlaubnis für die Befragung einholt.

Die Herausforderung an den Therapeuten besteht darin, Schlüsselprobleme des Patienten schnell zu erkennen, dabei persönliche Coping-Muster zu respektieren und mit ihm Therapieziele im Rahmen der aktuellen Problematik herauszuarbeiten.

Frage 532 Frage 535 Wodurch wird die Einschätzung psychischer Belastungen Schwerstkranker erschwert?

5

Was kann eine kognitive Verhaltenstherapie im palliativen Kontext leisten?

Typische somatische/vegetative Symptome einer Depression wie innere Unruhe, Schlafstörungen, Antriebsmangel, Appetitlosigkeit können teilweise nicht eindeutig von Folgen der fortschreitenden Grunderkrankung und/oder deren Therapie abgegrenzt werden.

Sie versucht, dysfunktionale Gedanken und Überzeugungen zu identifizieren und per kognitiver Umstrukturierung oder Reframing u. a. zu modifizieren.

Im klinischen Alltag ist es bei der Psychodiagnostik daher hilfreich, körperlichen Symptomen verhältnismäßige Bedeutung zu geben.

Die Verhaltenstherapie kann genutzt werden, um Coping-Skills zu verstärken und Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeitserwartung sowie Kontrollüberzeugung zu fördern und Angst, Depressivität, Fatigue und Schmerzen signifikant zu reduzieren.

Frage 533 Frage 536 Wie findet die psychische Anpassung an eine lebensbedrohliche Erkrankung statt? 1. schmerzhafte Gefühle teilen und Trauer zulassen 2. Vorbereitungen für das Lebensende treffen und planen 3. Ablenkung und das Aufrechterhalten von Normalität 4. Sinnfindung und Generieren persönlich bedeutsamer positiver innerer Zustände Das Wechseln zwischen Verlust- und Sinnorientierung bedarf einer tragfähigen Beziehung zwischen Behandler/Team und Patienten.

Was können Entspannungs- und Imaginationsverfahren im palliativen Kontext leisten? Es gibt ein vielfältiges Spektrum von Verfahren, die darauf abzielen, Zuständen vermehrter Anspannung und Angst entgegenzuwirken und Wohlbefinden zu verbessern. Progressive Muskelrelaxation oder auch geleitete Phantasiereisen sind leicht zu erlernen und helfen Patienten, die Kontrolle wiederzuerlangen. Bei Patienten mit schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen ist zu beachten, dass Visualisierungsübungen des Körpers auch Ängste verstärken oder Panik hervorrufen können.

Frage 534 Frage 537 Lohnt sich psychotherapeutisches Arbeiten im palliativen Kontext noch? Psychotherapeutische Interventionen sind sinnvoll, wenn das Ausmaß der Belastungen die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigt und dadurch das Befinden und die Lebensqualität vor dem Hintergrund ohnehin eingeschränkter Lebensqualität massiv einschränkt.

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Was kann eine tiefenpsychologische Verhaltenstherapie im palliativen Kontext leisten? Man versucht, die Verwendung von psychischen Abwehrmechanismen und deren Nutzen für die emotionale Entwicklung des Patienten angesichts des Sterbeprozesses zu verstehen.

Psychoonkologie Eine tiefenpsychologische Therapie ist günstig, wenn frühe psychische Konflikte oder traumatische Erlebnisse durch die infauste Prognose reaktiviert wurden.

Frage 538 Was können achtsamkeitsbasierte Interventionen im palliativen Kontext leisten? Diese Ansätze sind wirksam bei der Reduktion von Ängsten und depressiven Verstimmungen, Fatigue oder Schlafproblemen und zielen auf zwei Bereiche: 1. die Selbstregulation der Aufmerksamkeit auf die unmittelbare Erfahrung und den gegenwärtigen Moment 2. die Aneignung von Offenheit und Akzeptanz gegenüber der erlebten Erfahrung in der Gegenwart Besonders bekannt ist die Methode nach KabatZinn: Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR)

Frage 540 Was können würdezentrierte Interventionen im palliativen Kontext leisten? Das Konzept von Chochinov (2011) [19] zielt darauf ab, emotionales und spirituelles Wohlbefinden zu verbessern, indem Patienten anhand eines strukturierten Interviews angeleitet werden, denkwürdige Lebensereignisse zu reflektieren. Die Interviewsitzungen werden transkribiert, editiert und dem Patienten nochmals vorgelesen. Der Interviewte kann den entstandenen Text mit Angehörigen, Freunden usw. teilen.

Frage 541 Welche psychologische Intervention kann für Patienten und Angehörige hilfreich sein?

Was können sinnzentrierte Interventionen im palliativen Kontext leisten?

Die Familienzentrierte Trauertherapie (Family Focused Grief Therapy [FFGT]) nach Kissane 2006, Dt. Version Weißpflog/Mehnert 2015 [57] ist eine Kurzzeitintervention für Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung und deren Angehörige.

Sinnzentrierte Interventionen umfassen therapeutische Konzepte, die differenziert auf die Förderung der Wahrnehmung sinnstiftender Ressourcen ausgerichtet sind.

Ziele sind die Reduktion psychischer Belastungen und die Verbesserung der Familienfunktion sowie die Prävention komplizierter Trauer bei den Hinterbliebenen.

Frage 539

Die Wirksamkeit der Managing Cancer and Living Meaningfully (CALM)-Therapie wurde von MehnertTheuerkauf für den deutschsprachigen Raum 2020 positiv evaluiert [38]. Ebenso erwies sich Individual Meaning-Centered Psychotherapy (IMCP) nach Breitbart 2018 (deusche Version von MehnertTheuerkauf/Lehmann-Laue 2023 ( [39]) als effektive Therapie, um das Sinnempfinden und die Lebensqualität der Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden zu steigern.

5

5.2 Psychoonkologie Beate Hornemann

Frage 542 Was meint der Begriff „Psychoonkologie“? Unter dem Begriff „Psychoonkologie“ wird ein interdisziplinär orientierter Ansatz zusammengefasst, dessen Ziel es ist, die verschiedenen psychosozialen Aspekte in Entstehung, Behandlung und Verlauf einer Krebserkrankung wissenschaftlich zu untersuchen und die entsprechenden Erkenntnisse in der Versorgung der Patienten umzusetzen.

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Psychisch/sozial/spirituell Die Psychoonkologie ist innerhalb der Krebsmedizin zunehmend etabliert. Das Vorhalten einer psychoonkologischen Versorgung ist Bestandteil von Zertifizierungsrichtlinien onkologischer Fachgesellschaften für Krebszentren. Psychoonkologen arbeiten in der stationären oder ambulanten Krankenversorgung oder in der eigenen Psychotherapiepraxis, aber auch in ambulanten Krebsberatungsstellen. Inzwischen sind neue Qualifikationen auch für andere Krankheitsentitäten entstanden, beispielsweise die Psychokardiologie.

5

Frage 543 Welche Anforderungen an die Psychoonkologen gibt es im palliativen Behandlungskontext? Kenntnisse über: ● Grundlagen der Psychologie und Psychotherapie ● medizinische Grundlagen der Onkologie und Palliativmedizin ● psychosoziale Grundlagen und Strukturen psychoonkologischer Versorgung ● Diagnostik psychischer Störungen ● psychotherapeutische Interventionen ● berufsbezogene Selbsterfahrung ● Belastungen des Teams und Burn-out-Prophylaxe Nicht nur für psychoonkologisch Tätige sind Informationen und Wissen über kulturelle Einflüsse in der Arbeit mit schwer Erkrankten hilfreich.

akkreditierter Weiterbildungscurricula. Sie richten sich an Ärzte, Psychotherapeuten, Psychologen und Sozialpädagogen.

Frage 545 Gibt es einen richtigen Zeitpunkt für die psychoonkologische Versorgung in Palliative Care? Sie sollte im Sinne einer „Early Integration“ frühzeitig erfolgen, z. B. schon nach der ärztlichen Aufklärung über die palliative Situation angeboten werden und sich am individuellen Bedarf (Belastungserleben und/oder Wunsch nach Unterstützung) der Patienten und deren Angehörigen orientieren. Die Wahrnehmung der Krebserkrankung ist im Alltagsverständnis häufig mit dem Tod assoziiert, unabhängig von der Schwere der Krankheitssituation. Insofern werden bei einem vom Arzt kommunizierten Wechsel der Therapieintention von kurativ auf palliativ oftmals Assoziationen eines schnellen Versterbens ausgelöst. Das Hinzuziehen eines psychoonkologisch geschulten Fachkollegen zum Nachbereiten dieser „Bad News“ kann auch präventiv zur Verhinderung einer starken emotionalen Labilisierung beitragen.

Frage 546 Ist das Vorliegen einer psychischen Störung Grundbedingung für die Inanspruchnahme einer psychoonkologischen Versorgung?

Frage 544 Wie kann man die Zusatzqualifikation „Psychoonkologie“ erwerben? Zur Qualitätssicherung und Etablierung psychoonkologischer Dienste ist eine systematische Weiterbildung notwendig. In der Bundesrepublik Deutschland werden Curricula in psychosozialer Onkologie angeboten. Über die beiden Fachgesellschaften AG Psychosoziale Onkologie der DKG (Deutsche Krebsgesellschaft) und dapo e. V. wurde eine „Weiterbildung Psychosoziale Onkologie (WPO)“ entwickelt und evaluiert. Darüber hinaus führt die DKG eine aktuelle Liste weiterer

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Favorisiert wird innerhalb von Palliative Care eine psychologische Begleitung nach dem sog. Liaison-Modell. Das entspricht einem niedrigschwelligen und aufsuchenden Kontaktangebot unabhängig vom Vorliegen einer psychischen Störung. Es erscheint sinnvoll, wenn sich der Psychoonkologe selbst bei den Patienten als Teil des multiprofessionellen Teams vorstellt. So können nicht nur behandlerseitige Fragestellungen wie z. B. eine vermutete Suizidalität abgeklärt werden, sondern der Patient und/oder seine Angehörigen können auf diese Weise auch den Wunsch nach psychologischer Unterstützung unkompliziert äußern.

Psychoonkologie Frage 547 Wer ist für die psychische Stabilität des Palliativpatienten zuständig? Die Verbesserung der psychischen Stabilität des Patienten ist Grundanliegen des gesamten multiprofessionellen Teams und nicht ausschließlich Aufgabe des Psychologen. Psychosoziale Ziele: ● verlässliche Strukturierung schaffen ● sozialer Isolation vorbeugen ● Hilflosigkeit bzw. Kontrollverlust reduzieren, Autonomie fördern ● Selbstwert und Selbstschutz erhalten oder verstärken ● Bedürfnis- und Emotionsausdruck fördern ● Trauerprozesse auslösen und begleiten

Frage 548 Was leistet die Psychoonkologie bei Palliativpatienten? ● ● ● ●

Angst- und Depressionssymptome lindern Coping-Skills verbessern Familiendynamiken reflektieren Leiden erleichtern

Supportive Ansätze fokussieren in Abhängigkeit vom Fortschreiten der Erkrankung eine verbesserte Eigenregulation und Selbstkontrolle des Patienten.

Frage 549 Wie findet die psychische Anpassung an eine lebensbedrohliche Erkrankung statt? 1. schmerzhafte Gefühle teilen und Trauer zulassen 2. Vorbereitungen für das Lebensende treffen und planen 3. Ablenkung und Aufrechterhalten von Normalität 4. Sinnfindung und Generieren persönlich bedeutsamer positiver innerer Zustände

Es ist anzunehmen, dass nur sehr schwere und länger andauernde psychosoziale Beeinträchtigungen ausreichend pathologische Auswirkungen auf das Immunsystem bzw. das Tumorwachstum haben. Der Effekt psychotherapeutischer Interventionen auf eine verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit ist ebenso nicht belegt. Im Vordergrund der Begleitung stehen daher Kriterien wie Lebensqualität, Eigenregulation, Symptomkontrolle und Krankheitsverarbeitung.

Frage 550

5 Was meint der Begriff Progredienzangst? Merkmale sind: ● hohes Level an Beschäftigung (i. S. v. beherrschenden Gedanken, Vertieftsein, Hauptbeschäftigung mit Angstinhalten, Sorgen [machen], Grübeln oder aufdrängenden Gedanken) ● unangepasstes (maladaptives) Coping ● funktionelle Beeinträchtigungen ● übermäßige Belastetheit (Distress) ● Schwierigkeiten, die Zukunft zu planen Krebspatienten müssen ein hohes Maß an Unsicherheitstoleranz im Rahmen der Prognoseabschätzung aufbringen. Typischerweise entwickeln Betroffene dabei (Real-)Ängste vor einem Voranschreiten der Erkrankung, die in Abhängigkeit vom subjektiven Leidensdruck behandlungsbedürftig sind.

Frage 551 Was sind Grundstrategien der Angstbewältigung? Angst gilt als zentrale Emotion im Rahmen einer unheilbaren Erkrankung. Neben einer eventuellen medikamentösen Therapie ist die Thematisierung des Umgangs mit der Angst im Patientenkontakt unumgänglich. Allgemein gilt: ● Angst annehmen (über Angst kann gesprochen werden, Angst sollte nicht „ausgeredet“ werden) ● Angst konkretisieren ● körperliche Begleiterscheinungen ausagieren ● Gegengewichte schaffen

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Psychisch/sozial/spirituell Frage 552 Wie gestaltet sich die Wechselwirkung zwischen Angst und Schmerz?

Gibt es spezielle Belastungsfaktoren von Angehörigen?

Beide binden Kraft und Aufmerksamkeit. Sie erhöhen den inneren Spannungszustand, Unruhe und Verzweiflung. Innere Verkrampfung verstärkt das Schmerzempfinden. Unzureichende Schmerztherapie kann Angst massiv verstärken.

Angehörige gehören in der Palliativbegleitung mit zur Behandlungseinheit. Sie sind Care-Recipients und Care-Givers zugleich und tragen damit ein eigenes Risikopotenzial. 30–50 % der Partner Betroffener haben klinisch relevante Angst- und Depressionswerte.

● ●





5

Frage 555





Beide Phänomene brauchen Ausdrucksmöglichkeiten. Schmerz kann den Charakter einer Mitteilung haben.

Frage 553 Gibt es eine ungünstige Krankheitsbewältigung bei körperlich schwer Erkrankten?

Belastungsfaktoren Angehöriger: ● äußere Belastungsfaktoren (z. B. Rollenveränderungen, Einschränkung positiver Aktionen, berufliche und finanzielle Belastungen) ● emotionales Erleben (z. B. Verlustängste, Schuldgefühle, Klärungsbedürfnisse) Daraus können sich für Angehörige deutliche Unsicherheiten und Kommunikationsprobleme im Umgang mit den Patienten ergeben.

Frage 556 Starre bzw. manifeste Coping-Mechanismen können langfristig eher dysfunktional sein. Mögliche Ursachen einer ungünstigen Krankheitsbewältigung: ● situationsunabhängige, manifeste Angst ● hauptsächlich negative emotionale Befindlichkeit ● Pessimismus/Verbitterung ● massive Verdrängung der Bedrohung ● Depressionen/Demoralisierung ● negative Informationsselektion

Frage 554 Sind Intimität und Sexualität beim Palliativpatienten noch ein Thema? Sexualität ist privat, aber ansprechbar. Belastungen in Bezug auf sexuelle Bedürfnisse sollten aktiv erfragt werden, da Patienten diese selten von sich aus berichten. Bis ins hohe Lebensalter stellt die Sexualität als Genussverhalten einen potenziell bedeutsamen Aspekt der Lebensqualität dar. Dem Bedürfnis nach Intimität und Zweisamkeit sollte sensibel Rechnung getragen werden.

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Sollten Kinder in die Sterbebegleitung einbezogen werden? Prinzipiell sollte Kindern und Jugendlichen die Teilhabe und Mitgestaltung am Abschiedsprozess ermöglicht werden, aber nie verpflichtend. Kinder brauchen nicht erst in der palliativen Versorgung ihrer Eltern altersentsprechende und ehrliche Informationen, Normalität sowie Raum für Entlastung und für Gespräche über negative Gefühle und eigene Vorstellungen. Distanzierungswünsche sind zu respektieren.

Spiritualität

5.3 Spiritualität Traugott Roser, Piret Paal

Frage 557 Was ist die "spirituelle Dimension" von Gesundheit? Die WHO (2006) [61] (vgl. Winiger et al. [58]) stellt fest, dass Spiritualität eine universelle Dimension des Menschen ist, die nicht nur mit Krankheit oder Tod, sondern auch mit der Lebensqualität zusammenhängt. Diese Feststellung steht im Gegensatz zu der weit verbreiteten Auffassung, dass "Spiritualität" in erster Linie mit Palliativmedizin zu tun hat und erst vor relativ kurzer Zeit innerhalb der Organisation entstanden ist. In 1983–1984 kam es bei der 36. bzw. 37. Weltgesundheitsversammlung zu regen Diskussionen um die Definition von Gesundheit und die Bedeutung der spirituellen Dimension für die Gesundheit. Dabei wurde mit der Einführung des Begriffs der „Spiritualität“ ein Begriff gewählt, der von diplomatischer Bedeutung im internationalen Gesundheitsverständnis bzw. in der Gesundheitspolitik war. Die spirituelle Dimension wurde hierbei von den Mitgliedstaaten der WHO in deren Gesundheitsstrategie aufgenommen.

Frage 558 Wie wirken sich Spiritualität und Religiosität auf die Gesundheit aus? Spiritualität und Religiosität können indirekt über soziale und Lebensstilfaktoren folgende Effekte haben: ● erhöhte Lebenserwartung ● niedrigerer Blutdruck ● weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen ● verbesserte Erfolgsquote bei Herztransplantation ● niedrigeres Schmerzempfinden bei onkologischen Patienten ● längere Lebenserwartung bei älteren Patienten

Zahlreiche Untersuchungen weisen eine Korrelation zwischen Spiritualität und Religiosität und unterschiedlichen Aspekten von Gesundheit, Krankheit und Wohlbefinden nach. Zu beachten ist bei all diesen Studien: Der Zusammenhang zwischen Spiritualität und Religiosität und gesundheitlichem Wohlbefinden ist nicht unbedingt kausal, sondern verbindet sich mit einer Reihe von mit Spiritualität und Religiosität zusammenhängenden sozialen und Lebensstilfaktoren. Solche Faktoren sind z. B. gesunde Ernährung, Natur, Integration in Gruppen usw., die sich auf Gesundheit, Heilung usw. auswirken.

5

Frage 559 Was ist Spiritualität in der Palliative Care? Spiritualität ist ein dynamischer und intrinsischer Aspekt des Menschlichen, durch den Personen letzten Sinn, Bedeutung und Transzendenz suchen und Verbindung zum Selbst, zur Familie, zu anderen, zur Gemeinschaft, zur Gesellschaft, zur Natur und zum Signifikanten oder Heiligen erfahren. Spiritualität findet Ausdruck in Glaubensvorstellungen, Wertvorstellungen, Traditionen und Praktiken. Spiritualität ist ein vieldeutiger Begriff. Eindeutig ist nur, dass es keine allgemein gültige Definition dessen gibt, was mit „Spiritualität“ gemeint ist. In der Palliativmedizin wurde in mehreren Stufen eine interprofessionell und interreligiös vermittelbare Konsensusdefinition als Grundlage für Versorgung und Begleitung erarbeitet, der sich alle großen Weltreligionen angeschlossen haben. Es handelt sich um ein multidimensionales Phänomen, das folgende Inhalte umfasst: ● existenzielle Herausforderungen (z. B. Fragen betreffend Identität, Sinn, Leiden und Tod, Schuld und Scham, Versöhnung und Vergebung, Freiheit und Verantwortung, Hoffnung und Verzweiflung, Liebe und Freude) ● Werteaspekte (z. B. was einer Person besonders wichtig und wertvoll ist; Beziehung zu sich selbst, Familie und Freunden, Arbeit, Natur, Kultur, Ethik, Leben) ● religiöse Grundlagen (z. B. Glaube, Glaubensvorstellungen und -praktiken, Beziehung zu Gott oder der Transzendenz)

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Psychisch/sozial/spirituell Frage 560 Welche Bedeutung hat das Thema „Würde“ beim Erleben von Krankheit? Krankheit ist für viele Patienten verbunden mit einem Verlust von Unabhängigkeit aufgrund von kognitiven Einschränkungen bzw. Funktionsverlust auf körperlicher, emotionaler oder beispielsweise sozialer Ebene. Die physische und psychische Symptomlast, die Unsicherheit bezüglich Diagnose und Prognose sowie die Angst vor Sterben und Tod beeinträchtigen die Erfahrung von Selbstwert.

5

Das Ausmaß der Erfahrung von Unabhängigkeit hängt von den Faktoren “kognitive Wachheit” und “funktionelle Kapazität” des Patienten ab. Eine die Würde des Patienten achtende Betreuung thematisiert in Bezug auf Spiritualität Aspekte von Hoffnung, Bewahrung des Selbst, Resilienz, Akzeptanz, Aufrechterhalten des Alltags und das Angebot spiritueller Unterstützung.

Frage 561 Was ist für Patienten und deren Familien am Ende des Lebens am wichtigsten? Der länderübergreifende Vergleich von Expertenbewertungen des Index für die Qualität von Tod und Sterben 2021 [56] hat gezeigt, dass die Bewältigung von Schmerzen und Beschwerden am Ende des Lebens oberste Priorität hat. Andere Faktoren wie z. B. die Versorgung in sauberen und sicheren Räumen und eine freundliche Behandlung rangieren nur etwas weiter unten auf der Liste und ähneln der Einschätzung des Werts der lebensverlängernden Behandlungen. Die Faktoren, die auf der Liste am niedrigsten rangieren, sind die Sicherstellung des Kontakts mit Familie/Freunden und die Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse und anderer nicht medizinischer Anliegen. Diese Ergebnisse könnten mit dem Argument widerlegt werden, dass eine freundliche Behandlung in einer sicheren Umgebung in der Tat ein spirituelles Bedürfnis ist. Diese Einschätzung weist darauf hin, dass das von Experten am niedrigsten eingestufte spirituelle Bedürfnis eigentlich ganz oben liegt.

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Frage 562 Was ist eine spirituelle Anamnese? Die Literatur kennt 3 unterschiedliche Instrumente einer spirituellen Anamnese: Spiritual Screening, Spiritual Assessment und Spiritual Intervention. ●





Ein spirituelles Screening (z. B. 2Q-SAM) erfasst in wenigen Fragen, ob bei einem Patienten eine akute spirituelle Krise oder erhöhtes spirituelles Leiden vorliegt und eine Überweisung an professionelle Spiritual Care (z. B. Seelsorge) erforderlich ist. Ein Screening ist jeder Berufsgruppe möglich. Ein spirituelles Assessment (z. B. SPIR, HOPE oder FACIT-Sp) erfasst vor allem spirituelle Ressourcen und Bedürfnisse im Zusammenhang mit individueller Praxis, Biografie und kulturell-sozialen Prägungen. Es empfiehlt sich ein Training zur Förderung von Wahrnehmungskompetenz in Bezug auf spirituelle Bedürfnisse und Ressourcen. Eine vertiefte und einen längeren Zeitraum umfassende Intervention erfolgt durch achtsame und offene Wahrnehmung und Präsenz, die sowohl aktiv als auch passiv begleitet. Dabei kommen alle potenziellen Aspekte einer offenen Spiritualitätsdefinition in Betracht.

Frage 563 Was ist zu beachten, wenn ein Patient ein Gesprächsangebot für spirituelle Begleitung und Seelsorge ablehnt? Der Wunsch eines Patienten ist unbedingt zu respektieren. Die Ablehnung seelsorglicher Begleitung kann viele Gründe haben und kann sich im Krankheitsverlauf ändern. Sensible Begleitung und Respektierung von Wünschen durch einen Arzt bzw. eine Ärztin fördern Vertrauen und erlauben es, ein explizites Angebot spiritueller Begleitung wiederholt auszusprechen. Laut Art. 4 Abs. 1 GG sind die Freiheit des Glaubens und des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Verbunden mit der Autonomie von Patienten im Hinblick auf Therapie und Betreuung ergibt sich, dass der Wunsch von Patienten bezüglich spiritueller und religiöser Begleitung und Betreuung unbe-

Spiritualität dingt zu respektieren ist. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Angebot zu emotionaler und spiritueller Unterstützung nicht erneut ausgesprochen werden kann. Art. 4 Abs. 2 GG („Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“ [28]) verweist auf das Grundrecht auf freie Religionsausübung. Die S 3Leitlinie Palliativmedizin sieht als konsensbasierte Schlüsselempfehlung vor, dass emotionales Erleben und spirituelle Bedürfnisse „gezielt angesprochen werden, auch wenn der Patient es nicht zum Ausdruck bringt“ [35]. Ein sensibles Angebot kann also wiederholt gemacht werden, insbesondere wenn sich die gesundheitliche Situation verändert.

Frage 564 Sind Ärzte für Spiritual Care zuständig? Die spirituelle Begleitung wird als eine allgemeine Funktion der Gesundheitsversorgung definiert, die der emotionalen oder körperlichen Pflege entspricht und somit nicht disziplinspezifisch ist. Dies bedeutet, dass alle Angehörigen der Gesundheitsberufe die Verantwortung für die spirituelle Begleitung und die Aufrechterhaltung der Verbundenheit tragen. Dies meint, dass alle Gesundheitsberufe spirituelle Bedürfnisse und Nöte wahrnehmen, dokumentieren und Spiritual-Care-Interventionen initiieren und ausführen sollen. Der Arzt ist Begleiter des Patienten und von dessen Angehörigen in einer Zeit hoher Belastungen und angesichts schwieriger medizinischer und ethischer Entscheidungen. Dies umfasst auch die Adressierung spiritueller Bedürfnisse. Patienten geben an, dass sie außer von der Familie und von Freunden vor allem von den Gesundheitsberufen (Arzt, Pflege) Spiritual Care erhalten. Wenn Spiritualität proaktiv angesprochen wird, wirkt sich dies positiv auf die ArztPatienten-Kommunikation aus. Eine Anamnese ermöglicht den Zugang zu spezieller spiritueller Begleitung.

Frage 565 Gibt es einen Unterschied zwischen Spiritual Care bei Erwachsenen und Kindern? Unterschiede gibt es vor allem in den Krankheitsbildern und in der Dauer der Betreuung (oft mehrere Jahre). Die Begleitung bei Kindern bezieht grundsätzlich die Familie (einschließlich der Geschwisterkinder und Großeltern) und das weitere Umfeld (z. B. Schulklasse) mit ein. Die spirituellen Bedürfnisse und Ressourcen von Kindern und Eltern differieren. Mit einer besonderen Betroffenheit der Betreuenden ist zu rechnen.

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Es ist darauf zu achten, dass in jedem Lebensalter von einer Spiritualität des Kindes auszugehen ist, die schon entwicklungspsychologisch nicht identisch ist mit der von den Eltern praktizierten Spiritualität und Religiosität. Kulturelle Einflüsse sind besonders zu berücksichtigen. Im Hinblick auf das betreuende Team ist damit zu rechnen, dass auch die professionellen Begleiter (Kinderärzte, Kinderkrankenpflege, Sozialarbeit) bei mehrjähriger Begleitung sehr intensiv (auch emotional) beteiligt sind und fast in die Rolle von Familienmitgliedern geraten können.

Frage 566 Gibt es ökonomische Argumente für die Bereitstellung von Spiritual Care? Spiritual Care kostet Geld. Dieses bereitzustellen ist aus dem an Würde orientierten Umgang mit Kranken heraus notwendig. Im Vergleich zu anderen Interventionen ist Spiritual Care relativ günstig und wirkt sich kostensenkend auf die Behandlung am Ende des Lebens aus. Professionelle spirituelle Begleitung erfordert qualifiziertes Personal und eine geeignete Infrastruktur (z. B. Besprechungsräume, Raum der Stille, Gebetsraum). Im deutschen Sprachraum wird sie meist von den Kirchen und Religionsgemeinschaften bereitgestellt und nur in geringem Umfang von den Kassen (re-)finanziert. Spirituelle Begleitung reduziert die Belastung von Patienten, Angehörigen und Teammitgliedern (z. B. Burn-out-Prophylaxe) und trägt zur Entscheidungsfindung bei Fragen der Behandlung am Lebensende bei.

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Psychisch/sozial/spirituell Frage 567 Wie sind Seelsorgende in multiprofessionellen Palliative-Care-Teams eingesetzt? Seelsorger beraten in ethischen Konflikten sowie bei Therapiezielfindung, Glaubens- und Lebensfragen durch Gespräche und Rituale. Sie wirken supervidierend in Teams. Das Angebot seelsorglicher Begleitung steht jedem Menschen (Patient, Angehörigem, Mitarbeiter) unabhängig von der Religionsgemeinschaft zur Verfügung. Die Arbeitsformen sind Gespräche, Begleitung (auch nonverbal), Beratung und rituelle Handlungen.

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Die Begleitung der Patienten umfasst verbale und nonverbale Kommunikation. Inhaltlich geht es um die konkrete Situation von Krankheit, Coping, Biografie, Glaubens- und Sinnfragen. Der Reichtum ritueller Handlungen der Religionsgemeinschaften ermöglicht Patienten und Angehörigen häufig die Erledigung „letzter Dinge“ und stellt die Frage der Heilung in den größeren Zusammenhang des Heils. Zusätzlich haben Seelsorgende aufgrund eines geisteswissenschaftlichen Studiums und von Fortbildungen Kompetenzen in bio- und organisationsethischen Fragestellungen am Anfang und Ende des Lebens. Sie sind in klinischen Ethikkomitees eingesetzt und vermitteln zu Ortsgemeinde und Religionsgemeinschaft. Dank hermeneutischer und pastoralpsychologischer Kompetenzen unterstützen Seelsorger Patienten, Angehörige und Teammitglieder in der Auseinandersetzung mit Krankheit, Krisen und Trauer, nicht zuletzt mittels situationsgerechter ritueller Handlungen.

Frage 568 Dürfen Seelsorgende Spiritual Care dokumentieren? Die Dokumentation der Seelsorgekontakte mit Patienten und Angehörigen (1) macht deren spirituelle Bedürfnisse sichtbar, (2) trägt zu einer besseren interprofessionellen Kommunikation über Seelsorge bei und (3) macht die Arbeit der Seelsorgerinnen und Seelsorger transparent.

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Dokumentieren verbessert die Qualität der Patientenversorgung, fördert die Professionalität der Seelsorge und erleichtert den interdisziplinären Austausch und die multiprofessionelle Zusammenarbeit. Es ist zu beachten, dass die Eintragungen in der Patientenakte so erfolgen sollten, als ob der Patient/die Patientin sie lesen würde. Die Beschreibungen müssen angemessen, verständlich und konkret sein: der Grund für den Kontakt, die Beurteilung, die sich aus dem Kontakt ergebenden Veränderungen, die durchgeführten Interventionen und die weitere Planung sind 5 Schritte der patientenzentrierten Seelsorgedokumentation. Sie respektieren die Patientenrechte und die Grundsätze der klinischen Ethik. Die Fragen der verwendeten Software, der Zugriffsrechte und der Verwendung des gesammelten Datenmaterials gehören geklärt.

Frage 569 Wie kann Spiritual Care in der ambulanten Palliativversorgung erbracht werden? Spirituelle Begleitung als eine der 4 wesentlichen Säulen in der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender bedarf einer strukturierten Vernetzung und Kooperation zwischen den SAPVTeams (meist ohne Seelsorger!) und geistlichen Begleitenden der Religionsgemeinschaften. Laut Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland besteht für jeden dieser Menschen ein Anspruch auf spirituelle Begleitung. Der Rechtsanspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst auch Begleitleistungen wie Sterbebegleitung und die Begleitung von Angehörigen unter Einschluss spiritueller Betreuung. Diese sind aber nicht vom Leistungsanspruch des § 37b SGB V umfasst. Sie werden ehrenamtlich von den ambulanten Hospizdiensten, geschulten Ehrenamtlichen und Religionsgemeinschaften erbracht. Laut Hospiz- und Palliativgesetz von 2015 sind regionale Betreuungsangebote wie Seelsorge in der ambulanten Betreuung und bei palliativen Fallbesprechungen in Pflegeeinrichtungen miteinzubeziehen. Daraus folgt, dass SAPV-Teams Spiritual Care koordinieren, z. B. durch Überweisung an Gemeindeseelsorge und geistliche Begleiterinnen und Begleiter.

Trauer Frage 570 Welche Maßnahmen und Möglichkeiten unterstützen die nachhaltige Übertragung von Spiritual-Care-Lehre in die Praxis? Um das volle Potenzial der Aus- und Weiterbildung im Bereich Spiritual Care zu entfalten, müssen Seelsorgende mehr in den Lehrprozess eingebunden werden und es müssen mehr praktische Ansätze in die Schulungen integriert werden. Außerdem sind Vorbilder und Mentorinnen und Mentoren, zwischenmenschliche Beziehungen und das Arbeitsumfeld sowie genügend Zeit immens relevant. Die Verwendung des Indikationensets für Spiritual Care und Seelsorge hat sich als hilfreich erwiesen (Aebi et al. [2]). Die Wirksamkeit der Implementierung von Spiritual-Care-Training und geeignete Praxismodelle für Spiritual Care sind immer noch zu wenig erforscht. Eine Vielzahl von Faktoren kann das Verhalten von Gesundheitspersonal bei der Umsetzung von Spiritual Care beeinflussen. Förderlich für die Bereitstellung von Spiritual Care sind positive Gefühle, Sinn und Zufriedenheit in Bezug auf die Arbeit, aber auch, wenn die Organisation Spiritual Care als Priorität einräumt. Hinderlich für die Bereitstellung von Spiritual Care sind Erschöpfung und Ergebnisorientierung und Zeitmangel.

Frage 571 Worauf kann sich Hoffnung am Ende des Lebens beziehen? Hoffnung bei einer unheilbaren und zum Tode führenden Erkrankung beschränkt sich nicht auf die Hoffnung auf Heilung oder auf ein Wunder, sondern umfasst physische, soziale und transzendente Aspekte. Patienten erhoffen sich stabile soziale Unterstützung, den Erhalt von Informationen zu Krankheit und Krankheitsverlauf und eine symptomlindernde Behandlung. Religiöse Hoffnung umfasst u. a. Fragen nach dem Leben nach dem Tod; existenzielle Aspekte gelten Angehörigen und der Möglichkeit, etwas zu hinterlassen. Hoffnungslosigkeit ist ein hoher Prädiktor für Suizidalität und korreliert mit Depression.

4 Variablen wirken sich insgesamt auf Hoffnung und Hoffnungslosigkeit aus: ● die Zufriedenheit des Patienten mit der sozialen Unterstützung ● das Gefühl der Kontrolle über die eigene gesundheitliche Verfassung ● die Fähigkeit zur Krankheitsverarbeitung mittels spiritueller Glaubensvorstellungen ● das Gefühl, Sinn und Bedeutung im eigenen Leben zu erfahren

5.4 Trauer

5

Traugott Roser, Piret Paal

Frage 572 Was sind Aufgaben im Trauerprozess? Nach dem anerkannten Trauermodell von William Worden ist es notwendig, ● die Realität des Verlusts zu erkennen (anzuerkennen) ● den Schmerz der Trauer durchzuarbeiten ● sich in einer Wirklichkeit zurechtzufinden, in der der Verstorbene fehlt ● den Verstorbenen innerlich neu zu verorten und sich dem Leben wieder zuzuwenden Trauerarbeit wird interpretiert als eine Bewältigung verschiedener Entwicklungsaufgaben innerhalb des Heilungsprozesses. William Worden verzichtet auf ein Phasenmodell und beschreibt 4 Traueraufgaben, deren Reihenfolge nicht linear aufeinander aufbaut, sondern dynamisch verläuft [60].

Frage 573 Wie äußert sich Trauer bei Kindern? Kinder leben Trauer anders als Erwachsene. Auffällig sind abrupte Stimmungswechsel zwischen Traurigkeit und Spiel, Gereiztheit und Launenhaftigkeit, Albträume, regressives Verhalten (z. B. Daumenlutschen, Bettnässen), Rückgang von Schulleistungen, Trennungsängste, Übernahme der Rolle des Verstorbenen und Schuldgefühle.

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Psychisch/sozial/spirituell Je nach Altersstufe gehen Kinder sehr unterschiedlich mit Verlusten um und haben unterschiedliche Todeskonzepte. Viele Kinder haben ein subjektives Schuldempfinden und machen sich Vorwürfe. Für kleinere Kinder (Vorschulalter) ist Tod nur ein langer Schlaf oder eine Reise, von der eine Rückkehr möglich ist. Kinder im Schulalter verlangen nach sachlicher Information über Todesursache und Tod. Da die Trauer Erwachsener anders verläuft, ist es wichtig, die Signale und Fragen von Kindern aufmerksam wahrzunehmen und so viel Information zu geben, wie ein Kind verlangt. Hilfreich ist es, dem Kind unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten anzubieten (z. B. Malen, Musik, Spielen).

5

Frage 574 Gibt es bestimmte soziale Faktoren, die den Trauerprozess beeinflussen? Gezeigtes Trauerverhalten wird maßgeblich vom Umfeld beeinflusst, vor allem durch kulturelle Konventionen, familiäre Vorerfahrungen, Prägungen und Traditionen sowie berufliche und freundschaftliche Beziehungen. Kollektive Verhaltensmuster und individuelles Trauerverhalten stehen in einem kausalen, aber auch ambivalenten Zusammenhang. Alle Kulturen prägen Konventionen im Umgang mit Trauer aus, die allerdings in einer multikulturellen Gesellschaft an Bindekraft verlieren. Eine Rolle spielen soziales Umfeld und Milieu, insbesondere Familie, Nachbarschaft, Arbeitskollegen und Freunde. Ärzte und Pflegende sind mit unterschiedlichen Arten zu trauern konfrontiert (z. B. Lautstärke, Anzahl von Trauernden im Sterbezimmer), auf die adäquat einzugehen ist. Behandelnde haben durch professionellen und achtsamen Umgang mit der Situation Einfluss auf den Trauerprozess.

Frage 575 Kann Trauer abgearbeitet werden? Nein. Trauer verändert sich mit der Zeit: Sie kann schwächer werden und andere Formen annehmen. Jedoch verschwindet sie niemals vollständig.

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Einer der am häufigsten zu begegnenden Trauermythen ist, dass Zeit Trauer heilt oder überwindet. Neuere Ansätze über Trauerprozesse gehen davon aus, dass eine Verlust- und Trauererfahrung in die persönliche Biografie integriert und im Laufe der persönlichen Entwicklung immer wieder neu interpretiert wird und zur Resilienz beiträgt. Trauerarbeit versucht deshalb nicht, Trauer zu beseitigen, sondern ein Leben mit Trauer zu ermöglichen.

Frage 576 Welche Faktoren erschweren den Trauerverlauf? Bei besonderen Umständen des Sterbens oder Todes ist das Ausleben von Trauer erschwert oder gar tabuisiert, besonders bei unerwartetem Tod (Katastrophen, Unfälle), unklarer Todesursache, gewaltsamem Tod, Suizid, mehreren Verlusten kurz hintereinander oder gleichzeitig, Tod eines Kindes, Schwangerschaftsabbruch oder gesellschaftlich tabuisierter Todesursache wie assistiertem Suizid. Wenn keine Möglichkeit zum Abschied vom Verstorbenen besteht, fällt es schwer, den Tod zu „begreifen“. Aktuelle Trauer wird erschwert durch frühere unbearbeitete Verluste. Mit Tabus besetzte Todesumstände (Suizid, Krebserkrankung, Drogen, sexuell übertragene Krankheit usw.) führen zu Scham im Umgang mit dem sozialen Umfeld oder gar zu einem Ausbleiben sozialer Unterstützung. In dieser Situation ist der Hinweis auf Trauerbegleitung (Trauergruppen, Seelsorge, Therapie) hilfreich.

Frage 577 Wann beginnt Trauer bei Krankheit? Trauer beginnt beim Patienten und bei ihm nahestehenden Menschen bereits mit der Ahnung einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Die Fähigkeit zu antizipatorischer (vorweggenommener) Trauer während des Krankheitsverlaufs wirkt sich unterstützend auf den Trauerprozess nach dem Tod eines nahestehenden Menschen aus. Der Trauerprozess beginnt mit der Erkenntnis, dass sich zentrale Aspekte des Lebens (körperliche und kognitive Fähigkeiten, Wünsche, Pläne, Lebensfelder, soziale Kontakte und Beziehungen, Körperbild, Rol-

Trauer len und Funktionen) durch Krankheit oder Tod radikal verändern werden. Bereits während der Untersuchungen und noch vor Mitteilung einer Diagnose befinden sich Patienten und Angehörige in einer Trauersituation und verhalten sich entsprechend.

Frage 578 Welche Aufgaben hat die Trauerbegleitung? Sie unterstützt bei der Bewältigung der Traueraufgaben (s. o.) durch Realisation, Initiation, Validation, Progression, Rekonstruktion, Evaluation und Prävention. Trauerbegleitung hilft, den Tod zu begreifen (Realisation), eigenen Reaktionen Raum zu geben (Initiation) und den Verlust anzuerkennen (Validation). Sie unterstützt bei Übergängen im Trauerprozess (Progression), regt das Erinnern und Erzählen an (Rekonstruktion) und ermutigt, vorhandene Ressourcen wahrzunehmen und Risiken einzuschätzen (Evaluation, Prävention). Trauerbegleitung ist jedem möglich und findet einzeln oder in der Gruppe statt.

Frage 580 Worauf ist im Krankenhaus im Umgang mit dem Leichnam zu achten? Der Umgang mit dem Körper eines Patienten vermittelt auch nach seinem Tod die persönliche Integrität, soziale Identität und Würde des Verstorbenen und beeinflusst die Erfahrung von Trauer der Hinterbliebenen. Persönliche Wünsche und Willenserklärungen des Verstorbenen bezüglich seines Körpers (Obduktion, Organspende, Bekleidung) sind zu eruieren und – wenn möglich – zu befolgen. Der Umgang mit dem Leichnam ist in manchen Religionen durch Vorschriften klar reguliert (z. B. rituelle Waschungen, Distanzgebote, Kleidungsvorschriften, geschlechterspezifische Betreuung). Dabei sollen die Betreuer auf unterschiedliche Bedürfnisse Einzelner – je nach Zugehörigkeitsgrad – achten und darauf hinweisen, dass auch einzeln Abschied genommen werden kann.

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Frage 581 Frage 579 Wie unterstützen Rituale beim Trauern? Wirkt Trauerbegleitung? Trauerbegleitung ist effektiv sowohl bei komplizierter als auch bei normaler Trauer, wenn die Betroffenen von sich aus diese Begleitung wünschen und über die Interventionen mitentscheiden können. Dabei stehen weniger medizinische Wirkungsbereiche (z. B. Depression oder somatische Beschwerden) als vielmehr Self-Care und Coping-Aspekte, z. B. Alltagsgestaltung, im Zentrum. Während Trauernde in Untersuchungen eine eher geringe Verbesserung ihrer Trauersymptomatik angeben, beschreiben sie Veränderungen durch Trauerbegleitung in den Bereichen „Kohärenz“ und „Umgang mit Gefühlen“. Ein positives Kohärenzgefühl ermöglicht eine Integration der Verlusterfahrung in das „mentale Modell der Welt“ und die Fähigkeit, dem Leben Sinn zu geben unter Einschluss des Todes einer geliebten Person.

Rituale strukturieren Lebensübergänge, geben Beziehungen eine Form, helfen dabei, Ordnung in ambivalente und chaotische Gefühle zu bringen, und haben gemeinschaftsbewahrende und -verändernde Kraft. Auch in einem institutionellen Umfeld wie einer Klinik gibt es Möglichkeiten zur Gestaltung von Ritualen unabhängig von religiösen oder kulturellen Vorgaben. Sie ermöglichen nicht nur den Angehörigen des Patienten den Umgang mit der Trauer, sondern helfen auch den Mitarbeitenden, mit Belastungen umzugehen, z. B. bei vielen Sterbefällen oder wenn ein Kollege selbst betroffen ist. Abschiedsrituale, Aussegnungen und Gedenkfeiern sind hilfreich bei der Entwicklung einer Trauerkultur.

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Psychisch/sozial/spirituell Frage 582 Wie belasten Sterbefälle und Trauer ein Team? Als belastende Faktoren werden nicht erfüllte Ansprüche der Palliativmedizin und eine besondere Beziehung zum Patienten genannt. Ärzte geben Schuldgefühle, eigene Lebenskrisen und eine Häufung von Sterbefällen als belastend an. Eine Befragung der Palliativstationen in Deutschland zeigt, dass die kritische Zahl bei 4,4 Todesfällen pro Woche liegt. Belastungssymptome sind Überredseligkeit des Teams als Reaktion, erhöhte Reizbarkeit und Spannungen zwischen den Berufsgruppen sowie Rückzug. Schutzfaktoren sind (in dieser Reihenfolge) das Team selbst, Humor, Privatleben und Familie, Mitgefühl, Rituale und Glaube sowie Supervision.

5

Frage 583 Wie manifestiert sich Trauer? Auf allen Ebenen menschlicher Existenz: somatisch, emotional, kognitiv, spirituell und sozial. Die Phänomene sind in der Regel normale Zeichen von Trauer, führen aber dennoch oft zur Verunsicherung der Betroffenen. ●









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Es ändern sich (somatisch) Körperempfinden und Wahrnehmung; Trauernde zeigen z. B. manchmal motorische Unruhe, Passivität, ein verändertes Schlafbedürfnis, Trink- und Essverhalten, aber auch sexuelle Exzesse. Emotionale Manifestationen sind Klage, Zorn, Neid auf andere, Schuldgefühle, Traurigkeit, Selbstmitleid, Angst und Euphorie. Orientierungslosigkeit, Verhandeln mit dem Schicksal bzw. Gott, Rückschau auf das Erlebte und Suche nach Information gehören zu kognitivem Trauerverhalten. Auf einer spirituellen Ebene kommt es zu einer Erschütterung bisheriger Glaubensvorstellungen, Sinnfragen und Hadern mit Gott oder zu einem Zurückgreifen auf frühe religiöse Erfahrungen. Rückzug oder ein erhöhtes Bedürfnis nach Nähe sowie das Empfinden sozialer Inkompetenz sind soziale Phänomene.

Frage 584 Woran erkennt man komplizierte Trauer oder eine Trauerstörung? Als Leitsymptom gelten unstillbare Sehnsucht bzw. extremer Trennungsschmerz in Verbindung mit zusätzlich mindestens 5 weiteren Symptomen über einen Zeitraum über 6 Monate hinaus. Laut einer international zusammengesetzten Forschergruppe um Prigerson lässt sich bei allen untersuchten Personen mit anhaltender Trauerstörung eine Trauerreaktion auf einen signifikanten Verlust beschreiben, der als physisches, emotionales Leiden durch den unerfüllbaren Wunsch nach Wiedervereinigung (unstillbare Sehnsucht) erfahren wird [46]. Um eine sichere Diagnose zu stellen, müssen mindestens 5 (von 9) weiteren Symptomen dauerhaft oder täglich vorliegen: ● emotionale Taubheit ● sich wie betäubt fühlen ● Gefühl von Bedeutungslosigkeit ● Misstrauen ● Bitterkeit über den Verlust ● Schwierigkeiten bei der Akzeptanz des Verlusts ● Identitätsverunsicherung ● Vermeidungsverhalten ● Adaptionsprobleme Die Symptome müssen länger als 6 Monate anhalten und mit Funktionsverlust verbunden sein.

Frage 585 Wie kann man Trauernde unterstützen? Wichtig ist ein frühzeitiges Verständnis der Komplexität und Variabilität der Bereiche, die bei der Trauerbewältigung eine Rolle spielen, bevor geeignete Kommunikations- und Betreuungsstrategien auf Patienten- und Familienebene entwickelt werden. Dies kann am Lebensende besonders ausgedrückt werden durch Wertschätzung des Verlusts, Information über den Trauerverlauf, realistische Zusagen an Begleitung, das Aufzeigen von Grenzen, aber auch von persönlichen und sozialen Ressourcen Trauernder, vor allem aber durch das Standhalten ohne Vertröstung.

Soziale Arbeit Ärztlich, pflegerisch und psychosozial-spirituell Betreuende im Krankenhaus bzw. in der häuslichen Versorgung gehören zu den wenigen Menschen, die den Verstorbenen in der letzten Lebensphase erlebt haben und damit Zeugen seines Lebens sind. Dies ist besonders beim Tod von Kindern im Umfeld der Geburt wichtig.

5.5 Soziale Arbeit Heiner Melching

Frage 587 Nennen Sie mindestens 3 Aufgabenbereiche der sozialen Arbeit im Bereich der Palliativversorgung.

Frage 586 ●

Was ist stille Trauer? Nicht anerkannte oder stille Trauer ist eine Trauer, die von der Gesellschaft aufgrund der Beziehung zum Verstorbenen, der wahrgenommenen Bedeutung des Verlusts oder des mangelnden Verständnisses für die Notwendigkeit, einen Verlust im Laufe der Zeit und bei wichtigen Jahrestagen/Ereignissen zu betrauern, nicht anerkannt wird. Stille Trauer kann durch den Verlust des Arbeitsplatzes, die Diagnose einer chronischen Krankheit einschließlich einer körperlichen oder geistigen Krankheit oder Behinderung verursacht werden. Einige Beispiele für Verluste, die von sozialen Gruppen oder der Gesellschaft möglicherweise nicht akzeptiert werden, sind z. B. Verlust eines Haustiers; Tod einer Person, die inhaftiert war, oder eines ehemaligen Häftlings; Tod einer Person, die sich nicht in einer angemessenen oder akzeptablen Beziehung befand, z. B. im Falle einer Affäre oder des Verlusts eines gleichgeschlechtlichen Partners in Gesellschaften, in denen solche Beziehungen nicht akzeptiert werden; Tod eines früheren Ehepartners. Die Erfahrung stiller Trauer zwingt eine Person in der Regel dazu, allein und in Stille zu trauern. In manchen Situationen verursachen die Menschen selbst stille Trauer. Dies geschieht, wenn Menschen sich selbst das Recht verweigern, über einen erlittenen Verlust zu trauern.













Beratung von schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen bei sozialen, ökonomischen und sozialrechtlichen Fragen sowie im Rahmen von Pflege und Versorgung (einschließlich der Beantragung von Leistungen) psychosoziale Begleitung von schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen Vermittlung von weiteren unterstützenden Angeboten wie z. B. Selbsthilfegruppen, Angeboten zur Trauerbegleitung usw. Unterstützung bei ethisch-rechtlichen Entscheidungsprozessen sowie bei der Erstellung von Patientenverfügungen, Betreuungsvollmachten usw. interne und externe Netzwerkarbeit und Koordination sowie Überleitungs- bzw. Case-Management, Erstellung von Notfallplänen usw. professioneller Austausch und Unterstützung des fachlichen Bezugssystems Koordination und Leitung ehrenamtlicher Mitarbeiter

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Soziale Arbeit in der Palliativversorgung geht weit über das hinaus, was in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung (z. B. im Sozialdienst von Krankenhäusern) von dieser Profession überwiegend erwartet wird. Neben sozialrechtlicher Beratung, der Organisation von Hilfsmitteln und Maßnahmen zur Rehabilitation kann die soziale Arbeit in diesem Bereich ihr gesamtes Leistungsspektrum entfalten. Sterben wird nicht nur als ein höchst persönlicher, sondern auch als sozialer Prozess verstanden, wie er sich auch in Cicely Saunders‘ Konzept des „Total Pain“ widerspiegelt. Erfahrungen auf Palliativstationen zeigen, dass vom sozialen Umfeld eines Patienten im Durchschnitt ebenso viel Zeit des Behandlungsteams in Anspruch genommen wird, wie sie der Patient selbst benötigt. Auch das belegt, dass in dieser Situation „soziale Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes“ verlangt wird. Sozialarbeiter können sowohl im Bezug zu Patienten und Angehörigen als auch innerhalb des Behandlungsteams aus systemischer Sicht Erklärungs- und Unterstützungsansätze

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Psychisch/sozial/spirituell zur Linderung sozialer Nöte liefern. Soziale Arbeit sollte ein fester Bestandteil des multiprofessionellen Behandlungsteams im Bereich der Palliativversorgung sein.

Frage 588 Am 01.01.2017 ist das PSG II (Pflegestärkungsgesetz II) in Kraft getreten. Bis dahin wurde der Hilfebedarf der Patienten den Pflegestufen 0–3 zugeordnet. Unter welchem Begriff und in wie viele Stufen erfolgt die Einteilung nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff des PSG II?

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Die Einstufung erfolgt in Pflegegrade. Es gibt die Pflegegrade 1–5. ●









PG 1: geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit PG 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit PG 3: schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit PG 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit PG 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung

Frage 589 Nennen Sie den grundlegenden Unterschied der Pflegegrade zu den bisherigen Pflegestufen. Bei den Pflegestufen wurden vornehmlich körperliche Beeinträchtigungen und der minutengenaue Unterstützungsbedarf zugrunde gelegt, um eine Pflegestufe anzuerkennen. Bei den Pflegegraden steht die Selbstständigkeit, mit der jemand seinen Alltag bewältigen kann, im Mittelpunkt. Dabei sind nicht nur körperliche Beeinträchtigungen ausschlaggebend, sondern auch geistige und psychische Einschränkungen.

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Das Verfahren wird im § 18 des SGB XI geregelt und sieht die Pflegegrade 1–5 vor. Die Pflegebedürftigkeit wird im Rahmen einer Begutachtung durch den MD (Medizinischer Dienst) festgestellt. Eine Entscheidung dazu ist dem Antragssteller spätestens 25 Tage nach Eingang des Antrags mitzuteilen, in dringenden Fällen (z. B. Sicherstellung der Weiterversorgung oder bei Palliativpatienten) hat dies spätestens nach einer Woche zu erfolgen (§ 18 SGB XI).

Frage 590 In welcher Form können Leistungen aus der Pflegeversicherung bezogen werden? Als Sach-, Geld- und Kombinationsleistung. Im Fall der Sachleistung wird das Pflegegeld direkt an einen Pflegedienst bzw. eine Pflegeeinrichtung gezahlt. Die Summe der Pflegeleistung ist in diesem Fall um ca. 100 % höher als im Fall der Geldleistung, die direkt an pflegende Privatpersonen ausgezahlt wird, wenn diese die Pflege übernehmen. Unter „Kombinationsleistung“ versteht man, dass die Pflege eines Patienten zum Teil von einem zugelassenen Pflegedienst und zum Teil von Angehörigen erbracht wird. Die Kombinationsleistung kombiniert Pflegesachleistung mit Pflegegeld. Sie wird unter Umständen auch vom Sozialamt als Hilfe zur Pflege übernommen.

Frage 591 Welche Transferleistungen der sozialen Sicherungssysteme stehen Palliativpatienten zur Existenzsicherung zu? Krankengeld, Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung. Krankengeld (SGB V) kann längstens bis zu 78 Wochen nach Erkrankung von der Krankenversicherung gewährt werden. Die Erwerbsminderungsrente (SGB VI) ist bei der Rentenversicherung zu beantragen. Grundsicherung (SGB XI) wird unter der Voraussetzung eines tatsächlichen Bedarfs beim örtlichen Sozialhilfeträger beantragt.

Soziale Arbeit Frage 592 Erläutern Sie den Unterschied zwischen einer Palliativstation und einem stationären Hospiz. ●



Eine Palliativstation ist eine ärztlich geleitete Abteilung eines Krankenhauses. Die Finanzierung erfolgt über DRG, ggf. zuzüglich ZE, resultierend aus dem OPS 8–982 bzw. 8–98e (ZE 60 bzw. ZE 145) oder, im Fall einer Anerkennung als Besondere Einrichtung, mittels tagesgleicher Pflegesätze. Die Liegedauer wird durch die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit begrenzt. Ein Hospiz ist eine pflegerisch geleitete Pflegeeinrichtung. Die Finanzierung erfolgt aus Kranken- und Pflegeversicherung und einem Anteil von 5 %, der über Spenden aufgebracht werden muss. Die genauen Anforderungen an ein stationäres Hospiz sind in der Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V geregelt.

Frage 593 Welche Zuzahlungen müssen Patienten auf einer Palliativstation und in einem Hospiz als Eigenanteil tragen, sofern keine Befreiung dafür vorliegt?

Frage 594 Erläutern Sie, welche Kriterien ein Palliativpatient erfüllen muss, um in einem stationären Hospiz aufgenommen werden zu können. Progrediente, nicht heilbare Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung von Tagen, Wochen oder wenigen Monaten – bei Kindern auch Jahren – ohne Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit, wenn eine ambulante Versorgung im Haushalt oder in der Familie nicht ausreicht.

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Die Grundvoraussetzungen für die Aufnahme in ein stationäres Hospiz sind in der Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V geregelt. Für die Aufnahme in ein Hospiz ist die ärztliche Verordnung notwendig. Diese enthält die Diagnose und eine Begründung der Notwendigkeit zur Versorgung in einem Hospiz. Die Bewilligung der Leistung durch die Kostenträger erfolgt in der Regel (vorerst) ohne persönliche Begutachtung (nach Aktenlage) und ist zunächst auf 4 Wochen befristet. Viele Sozialdienste der Krankenhäuser schicken den Antrag (Verordnung) zur Aufnahme in ein stationäres Hospiz direkt an den Medizinischen Dienst, um eine Bewilligung innerhalb weniger Tage (mitunter Stunden) zu ermöglichen.

Frage 595 ●



auf der Palliativstation: wie bei allen vollstationären Krankenhausbehandlungen 10 € pro Tag bis maximal 280 € pro Kalenderjahr im stationären Hospiz: kein Eigenanteil

In stationären Hospizen darf seit 2009 kein Eigenanteil von den Gästen mehr erhoben werden. Für die vollstationäre Behandlung auf einer Palliativstation müssen Patienten ab Vollendung des 18. Lebensjahrs eine Zuzahlung von 10 € pro Tag leisten. Diese Zuzahlung ist auf 28 Tage pro Kalenderjahr begrenzt. Bereits im selben Jahr geleistete Zuzahlungen zu Krankenhaus- und Anschlussheilbehandlungen werden angerechnet. Der Aufnahme- und der Entlassungstag zählen jeweils als ganzer Tag. Weitere Kosten entstehen für den Patienten in der Regel nicht.

Ist es möglich, einen Palliativpatienten, der in einer stationären Pflegeeinrichtung versorgt wird, in ein Hospiz zu verlegen? Ja. Durch das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) vom Dezember 2015 ist diese Möglichkeit explizit geschaffen worden. Näheres dazu regelt die Rahmenvereinbarung nach § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V vom 31.03.2017. Dort heißt es zur Frage der Aufnahme in ein Hospiz, dass dies möglich ist (sofern weitere Voraussetzungen an die Erkrankung erfüllt sind), wenn „bei Bewohnern einer vollstationären Pflegeeinrichtung oder einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe eine Versorgung in der jeweiligen Einrichtung nicht ausreicht, weil der palliativpflegerische und palliativmedizinische und/oder psychosoziale Versorgungsbedarf, der aus der Krankheit resultiert, die Möglichkeiten der bisher Betreuenden regelmäßig übersteigt“ [48].

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Psychisch/sozial/spirituell Frage 596 Dürfen Ärzte des MD (Medizinischer Dienst) in die ärztliche Behandlung eingreifen? Nein. Die Ärzte des MD sind bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Sie sind nicht berechtigt, in die ärztliche Behandlung einzugreifen (§ 275 SGB V).

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Frage 597 Nennen Sie mögliche Vorteile und Nachteile von Genogrammen! Vorteile: ● anschauliche Darstellung der Familienstruktur, die allen Mitgliedern des Behandlungsteams einen raschen Überblick über die Familienstruktur des Patienten ermöglicht ● erhebliche Zeitersparnis durch grafische Darstellung, im Gegensatz zur schriftlichen Dokumentation der Familienzusammenhänge (z. B. im Sozialanamnesebogen) ● international einheitliche Darstellungsform bzw. Lesbarkeit ● schnelle Übersicht von sozialen Ressourcen des Patienten bzw. der Familie – insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit einer häuslichen Versorgung ● Möglichkeit der gemeinsamen Erstellung mit Patienten oder Angehörigen ● Möglichkeit der fortwährenden Ergänzung, sowohl durch die Darstellung weiterer Familienmitglieder als auch durch die Darstellung von Beziehungen oder Vorkommnissen in der Familie Nachteile: ● Erfassung nur der Familienmitglieder und nicht des gesamten sozialen Umfelds ● Darstellung von Beziehungsqualitäten in einem klassischen Genogramm nicht vorgesehen ● für die Erstellung Erfordernis von Übung und Abstimmung im Behandlungsteam In den Dokumentationshilfen auf der Homepage der DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin; https://www.dgpalliativmedizin.de/service/dgp-

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dokumentationshilfen.html) heißt es, grundsätzlich müsse der Patient bzw. die Patientenfamilie der Erstellung eines Genogramms zustimmen, die gewählte Fragestellung müsse diesen gegenüber erläutert werden. Wird ein Genogramm als Kommunikationsmittel für das multiprofessionelle Team eingesetzt, müsse es in der Patientenakte eingeordnet werden. Es sei dann besonders darauf zu achten, dass die Informationen vom Patienten dafür freigegeben würden. Unabhängig davon, wer aus dem Team das Genogramm erstellt habe, sei eine Schulung des gesamten Teams sinnvoll, damit das Genogramm von allen „gelesen“, d. h. interpretiert werden könne.

Frage 598 Zum Erlös der palliativmedizinischen Komplexpauschale (gemäß OPS 8–98/2/e) in der stationären Palliativversorgung ist es eine Voraussetzung, dass mindesten 6 Stunden aus nicht ärztlichen und nicht pflegerischen Therapiebereichen zum Einsatz kommen. Nennen Sie 5 dafür mögliche Therapiebereiche. ● ● ● ● ● ● ● ● ●

Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik Heilpädagogik Psychologie Physiotherapie/Ergotherapie Logopädie Kunsttherapie Musiktherapie Entspannungstherapie Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche

Insbesondere Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche können auch von Ärzten oder Pflegenden durchgeführt werden und die Zeit kann dokumentiert werden. Darüber hinaus ist es in einigen Regionen umstritten, ob auch die Seelsorge für die erforderlichen 6 Stunden angerechnet werden kann. Die Argumentation der Kostenträger, die eine Anerkennung ablehnen, zielt darauf ab, dass Seelsorge in Krankenhäusern häufig nicht (gänzlich) durch diese finanziert wird, sondern durch die Kirchen. Gelegentlich wird auch als Argument angeführt, dass es sich bei der Seelsorge nicht um eine „therapeutische“ Intervention handele. Die DGP hat dazu eindeutig für eine Anerkennung der Seelsorge Stellung bezogen.

Soziale Arbeit Frage 599



Für welche Personen ist eine rechtliche Betreuung nötig? Für Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, die Tragweite ihrer Entscheidung zu erfassen und/oder ihren Willen zu bilden (§ 1896 ff BGB). Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten der betreffenden Person von einem Bevollmächtigten oder von anderen Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie von einem Betreuer besorgt werden können. ●

Frage 600 Was ist im Bereich von Palliative Care unter „CaseManagement“ zu verstehen? Unter „Case-Management“ versteht man einen methodischen Ansatz zur Fallsteuerung bei Patienten mit komplexer und komplizierter Versorgungsproblematik. ●

Case-Management geht weit über das klassische Entlassungs- bzw. Überleitungsmanagement hinaus. Im Zentrum dieses Konzepts stehen immer die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten und eine effiziente und effektive Koordination sämtlicher erforderlicher Hilfen durch die Person des Case-Managers.

Frage 601 Welche Möglichkeiten der Freistellung von der Arbeit haben pflegende Angehörige? 1. Freistellung zur Begleitung in der letzten Lebensphase nach dem Pflegezeitgesetz 2. kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach dem Pflegezeitgesetz 3. Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz 4. Familienpflegezeit nach dem Familienpflegezeitgesetz



Zu 1: Beschäftigte, die einen nahen Angehörigen in der letzten Lebensphase begleiten, können nach dem Pflegezeitgesetz eine vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeit für bis zu 3 Monate verlangen. Eine Pflege in häuslicher Umgebung ist nicht vorausgesetzt. Eine Begleitung kann also auch während eines Hospiz- oder Krankenhausaufenthalts erfolgen. Dieser Anspruch besteht bei Arbeitgebern mit mehr als 15 Beschäftigten. Die Freistellung zur Begleitung eines nahen Angehörigen in der letzten Lebensphase muss 10 Arbeitstage vor Beginn der Freistellung gegenüber dem Arbeitgeber angezeigt werden. Es besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung, es besteht aber die Möglichkeit, ein zinsloses staatliches Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zu beantragen. Zu 2: Das Pflegezeitgesetz räumt Beschäftigten das Recht ein, in Krisensituationen (z. B. bei plötzlich auftretender Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen) ab sofort bis zu 10 Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, um die pflegerische Versorgung der nahen Angehörigen sicherzustellen oder die Pflege zu organisieren. Beschäftigte, die diese kurzzeitige Arbeitsverhinderung in Anspruch nehmen, können ein auf bis zu 10 Tage begrenztes Pflegeunterstützungsgeld erhalten. Zu 3: Beschäftigte, die in häuslicher Umgebung ihre pflegebedürftigen nahen Angehörigen pflegen, haben die Möglichkeit einer Freistellung von der Arbeitsleistung von bis zu 6 Monaten. Die Freistellung kann vollständig oder in Form einer Arbeitszeitreduzierung erfolgen. Der Anspruch auf Freistellung besteht nicht bei Arbeitgebern mit 15 oder weniger Beschäftigten. Zu 4: Wenn Beschäftigte für die Sicherstellung der häuslichen Pflege eines nahen Angehörigen eine länger dauernde Reduzierung ihrer Arbeitszeit benötigen, besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Familienpflegezeit für bis zu 24 Monate. Bei der Familienpflegezeit muss die wöchentliche Arbeitszeit mindestens 15 Stunden betragen.

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Weitere Informationen dazu sind auf der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Wege zur Pflege) oder unter der Nummer des bundesweiten Pflegetelefons (Tel.: 030/20 179 131) zu finden.

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Psychisch/sozial/spirituell

5.6 Belastung des Teams/ Burn-out Jan Gramm

Frage 602 Welche Merkmale sind typisch für ein Burn-out? Merkmale von Burn-out („Ausgebranntsein“): 1. emotionale Erschöpfung 2. Depersonalisierung 3. verminderte Leistungsfähigkeit

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Zu 1: Der Betroffene hat das Gefühl, dass ihn die Anforderungen des Berufs überfordern. Er fühlt sich leer und entmutigt. ● Zu 2: Der Betroffene nimmt eine distanzierte und zynische Haltung im Beruf ein. Die Patienten und Angehörigen werden zu Objekten. ● Zu 3: Der Betroffene hat das Gefühl, dass er keine Erfolge mehr hat und keine Verantwortung mehr tragen kann. Dazu kommen Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Arbeit. Burn-out tritt nicht plötzlich und krisenhaft ein, sondern entwickelt sich langsam wie ein Schwelbrand, sodass man – wenn das Gefühl des „Ausgebranntseins“ eingetreten ist – nicht so recht weiß, wo man mit dem Löschen beginnen soll. ●

Frage 603 Welche Signale weisen auf Überbelastung der Mitarbeiter hin? Folgende Merkmale weisen laut Fengler und Sanz [25] allgemein auf Überbelastung im Team hin: ● chronische Überforderungsgefühle, Kraftlosigkeit, Leistungseinbußen ● Entschlusslosigkeit oder ausbleibende Umsetzung von Beschlüssen ● kollektive Selbstentwertung, Freude über Misserfolge ● Beschuldigungsmuster, Reizbarkeit im Binnenkontakt (in multiprofessionellen Teams oft zwischen den verschiedenen Berufsgruppen!) ● Nicht-Nutzung verfügbarer Ressourcen ● Subgruppenpolarisierung und Teamspaltung, Feindseligkeit gegen andere Subsysteme ● Reflexionsverweigerung

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Nicht nur einzelne Mitarbeiter, sondern auch ganze Teams können in eine Überbelastung bzw. in ein Burn-out geraten. Auch Teamleitungen sind davon nicht ausgenommen.

Frage 604 Welche Risikofaktoren begünstigen Burn-out? Fengler und Sanz [25] differenzieren Risikofaktoren für Burn-out in 6 Bereichen: ● eigene Person (z. B. falsche Berufswahl, dysfunktionale Affekte, Helfersyndrom) ● Privatleben (z. B. begründete Sorgen, Einsamkeit) ● Zielgruppe (z. B. flüchtige Begegnungen, Massenabfertigung) ● Team (z. B. Konkurrenz, Einzelkämpfertum, Mobbing) ● Vorgesetzte bzw. Teamleitung (z. B. Durchsetzungsschwäche, übermäßige Kontrolle, Überforderung, Klüngel und Seilschaften) ● Institution und Gesellschaft (z. B. zu hohe Leistungsvorgaben, fehlende Würdigung der Teamleistung) Potenzielle Belastungsfaktoren, die zum Gefühl des Ausgebranntseins führen können, gibt es auch unabhängig von der Tätigkeit im Palliativbereich. Ungünstige Bedingungen können zum Burn-out führen, auch wenn die palliative Tätigkeit an sich sehr befriedigend ist.

Frage 605 Welche Belastungsfaktoren gibt es für Mitarbeiter im Palliativbereich? Nach Müller und Pfister [41] bzw. Ateş und Jaspers [6] konnten folgende Faktoren eruiert werden: ● Beziehungsfaktor: empfundene Nähe zu Patienten oder Angehörigen ● Verantwortungsfaktor: Belastung durch Kollegen, Beeinträchtigung durch eigene Lebenskrisen, eigene Qualitätsansprüche, Schuldgefühle ● Stressfaktor: kurze Begleitungen (weniger als 3 Tage), Häufung von Todesfällen (mehr als 4 in der Woche), unerwartetes Sterben, Zeitdauer der Arbeit im Palliativbereich, Erinnerung an Sterbefälle im eigenen Umfeld

Burn-out Als weitere Belastungsfaktoren werden beschrieben: ● institutionelle sowie organisationale Faktoren (Zeit- und Personalmangel, hoher Dokumentationsaufwand) ● Kommunikationsschwierigkeiten ● widersprüchliche Behandlungspläne bzw. Therapieziele ● nicht gelungene Symptomkontrolle ● Mangel an Zeit Nach Müller und Pfister [41] leiden Mitarbeiter im Palliativbereich am meisten unter nicht erfüllten Ansprüchen, die sich vor allem auf psychosoziale, medizinische und strukturelle Aspekte wie Zeit- und Personalmangel beziehen.

Frage 606 Auf welche Weise wirken die vielen Verlusterfahrungen auf Mitarbeiter oder Teams in Abteilungen bzw. Einrichtungen, in denen viele Patienten sterben? Nach Papadatou [44] gibt es 6 Kategorien der Verlusterfahrung in Palliativteams, die sich auf einzelne Teammitglieder oder auf das gesamte Team belastend auswirken können: 1. besondere Beziehung zum Patienten 2. Identifikation mit einem Familienmitglied 3. unerreichte Ziele oder Wünsche der Behandler 4. Konflikte mit dem eigenen Glaubenssystem oder Weltbild 5. eigene Verlustgeschichte oder Verlustangst 6. Beschäftigung mit dem eigenen Tod Die Begleitung bzw. der Tod eines Patienten kann die Behandler auf sehr unterschiedlichen Ebenen beschäftigen: ● Zu 1: Eine durch Sympathie bis hin zu freundschaftlicher Verbundenheit geprägte Beziehung zu einem Patienten kann eine Trauerreaktion bewirken. ● Zu 2: Durch die Identifikation mit einem Familienmitglied kann sich ein tiefes Betroffenheitsgefühl im Sinne eines Mit-Leidens einstellen („Die Eltern tun mir so leid!“). ● Zu 3: Nicht der Tod des Patienten an sich, sondern mehr der Behandlungsprozess wirkt belastend, wenn Behandlungsziele nicht erreicht werden







konnten (oft als Ärger, Enttäuschung oder Unzufriedenheit ausgedrückt). Zu 4: Wenn das eigene Glaubenssystem oder Weltbild stark von dem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle geprägt sind („Gott beschützt uns“ oder „Ich lebe vorausschauend“), kann dies durch die vielen Verlusterfahrungen infrage gestellt werden und zu Sinnverlust und Hoffnungslosigkeit führen. Zu 5: Durch die Begleitungen können schmerzhafte Erinnerungen an eigene Verlusterfahrungen reaktiviert oder Ängste vor dem antizipierten Verlust wichtiger Beziehungspersonen geweckt werden. Zu 6: Das Erleben des Sterbens von Patienten kann eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Sterben, der eigenen Verletzlichkeit bewirken. Dies kann auch auf unbewusster Ebene erfolgen.

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Belastungsreaktionen auf die gehäufte Erfahrung von Tod und Sterben werden oft als Burn-out oder als sekundäre Traumatisierung beschrieben. Nach Papadatou kann die Belastungsreaktionen auch als eine Form von Trauer bezeichnet werden. Dabei kann die „Trauer der Behandler“ sowohl ein individueller als auch ein sozialer interaktiver Prozess sein. Teamleitungen sollten dies beachten und dementsprechend steuern.

Frage 607 Welche Signale weisen bei Mitarbeitern auf Überbelastung durch „zu viel Tod“ hin? Nach Müller und Pfister [41] können u. a. folgende Verhaltensweisen Reaktionen auf gehäufte Sterbeerfahrungen sein: ● Überredseligkeit ● Reizbarkeit ● erhöhte Spannungen im (multiprofessionellen) Team ● Zynismus ● vermehrte Streitigkeiten ● Rückzug ● Sprachlosigkeit ● Ablehnung von Ritualen Das regelmäßige Erleben von Tod und Sterben im beruflichen Kontext stellt eine stetige Konfrontation mit der Thematik des existenziellen Bedrohtseins dar, weshalb diesem Sachverhalt entsprechend Raum gegeben werden muss.

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Psychisch/sozial/spirituell Frage 608 ●

In welcher Weise stellte die COVID-19-Pandemie eine Belastung für Palliativmitarbeiter dar?

Bradshaw et al. [13] beschreiben palliative Werthaltungen, die Lindern von Leid und Förderung von Lebensqualität zum Ziel haben: ● Ganzheitlichkeit ● Mitgefühlsbasiertheit ● Person- und Familienzentriertheit ● Würdeorientierung ● Sicherheitsvermittlung ● Multiprofessionalität

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Diese Werte gerieten in Konflikt mit den Pandemie-Verordnungen: ● Die Corona-Maßnahmen haben Verhaltensregeln erzwungen, die den palliativen Werten oft entgegenstanden (Distanzeinhaltung, Besucherregeln etc.). ● Den Patientenwünschen hinsichtlich Aufenthalts- und Sterbeort konnte nicht entsprochen werden. ● eingeschränkte Kommunikation ● Reduktion von Multiprofessionalität ● Eine solche Diskrepanz zwischen eigenen Werten und Verordnungen führt zu Wertkonflikten, die sich als Traurigkeit, Stress, Ärger, Angst, Schuld sowie Frustration äußern und zu Fatigue, Müdigkeit und Burn-out führen können. Die Auswirkungen der pandemiebedingten Restriktionen auf die Mitarbeiter müssen von der Teamführung gewürdigt und bedacht werden. Die Teamkommunikation und der Zusammenhalt können durch diametral unterschiedliche Meinungspositionen sehr herausfordernd sein. Auch für den Umgang untereinander gelten hier die Werthaltungen von Respekt und Wertschätzung der Person gegenüber.

Frage 609 Worauf sollte ein Team achten, um Überforderung und Burn-out vorzubeugen bzw. einen Ausweg daraus zu finden?

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Entsprechend den Rahmenbedingungen sollten realistische Ziele gesetzt und der eigene Anspruch an die Arbeit angepasst werden. Angemessene Anerkennung und Honorierung sowie Klarheit und Verbindlichkeit hinsichtlich von Rollenverteilungen, Tätigkeitsbereichen und Arbeitsabläufen stellen eine wichtige Grundlage für gesundes Arbeiten dar. Eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und der konstruktiven Kritik stärkt den Rückhalt in der Arbeitsgemeinschaft. Regelmäßige Zeiten für Reflexion der Arbeit und der Teamdynamik sind unabdingbar. Auch wenn wenig Einfluss auf die Rahmenbedingungen (ausreichend Personal, Räumlichkeiten, Ausstattung, Verordnungen) genommen werden kann, hat ein Team Handlungsspielräume für Burn-outPrävention. In Anlehnung an den Begriff der „hinreichend guten Mutter“ in der Psychoanalyse (Winicott) kann man vom „hinreichend guten (Palliativ-)Team“ sprechen. Das bedeutet, dass die eigenen Ansprüche realistisch bzw. angemessen sein sollten. Ein gesundes Team arbeitet stetig an seiner kommunikativen Kompetenz durch gegenseitige Achtsamkeit, Fortbildung und Supervision.

Frage 610 Wie können Teams mit der eigenen Trauer umgehen? Es braucht die Akzeptanz, dass es die Trauer der Behandler gibt, sowie eine Abschieds- und Trauerkultur im Team. Um die Trauer der Behandler als solche benennen und zulassen zu können, muss möglicherweise das Konzept der „professionellen Distanz“ hinterfragt werden. An dessen Stelle kann das Konzept der „professionellen Nähe“ treten. Dies erkennt das Empfinden von Verbundenheit aufgrund der existenziellen Erfahrung des Sterbens an, lässt die Emotionen der Behandler zu, hält Unterstützungsmöglichkeiten bereit und ermöglicht so ein gleichermaßen menschliches wie professionelles Handeln. Die Behandler nehmen so eine Haltung des Mitgefühls ein, ohne sich mit den Betroffenen zu identifizieren.

Burn-out Frage 611 Was zeichnet eine gute Teamführung aus? Eine gute Teamführung nimmt sich Zeit für Führung und richtet ihren Blick in gleichem Maß auf das Team selbst wie auf die Qualität der Patientenversorgung und die Kosteneffizienz. Aufgrund der konsequenten Ausrichtung auf die Patientenversorgung gerät der Blick auf das Team manchmal ins Hintertreffen. Um Arbeitsfähigkeit und -zufriedenheit langfristig zu gewährleisten, braucht es neben guter Arbeitsorganisation aktives Tun in Form von Teamentwicklung und Mitarbeiterführung. Dafür stehen den Führungskräften verschiedene Instrumente zur Verfügung (z. B. Mitarbeitergespräche, Klausurtage oder FührungsFeedback). Die Kommunikation sollte von Wertschätzung (Mitarbeiter loben!), Klarheit und Transparenz gekennzeichnet sein. Es muss eine gute Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle (als komplementären Werten) gefunden sowie eine positive Fehlerkultur etabliert werden.

Frage 612 Was unterscheidet eine positive von einer negativen Fehlerkultur? Eine negative Fehlerkultur ist von Beschuldigung, Rechtfertigung und (Angst vor) Bestrafung gekennzeichnet. In einer positiven Fehlerkultur wird der Blick nicht auf die Person, sondern auf den Vorgang gerichtet, mit dem Ziel, Fehlerquellen zu identifizieren und Vorgehensweisen zur Fehlervermeidung zu etablieren.

In Einrichtungen mit negativer Fehlerkultur gilt der Leitsatz: „Fehler dürfen nicht gemacht werden“. Die Konsequenzen daraus sind psychischer Druck bei den Mitarbeitern, Vertuschung von Fehlern, Kommunikation geprägt von Rechtfertigung und Beschuldigung, eine Atmosphäre des Misstrauens und Juristifizierung. Eine positive Fehlerkultur hingegen „erlaubt“ Fehler. Das bedeutet für die einzelnen Mitarbeiter, dass Fehler berichtet und dann wertfrei betrachtet werden können. Die Situation wird anschließend analysiert und es werden entsprechende Vorkehrungen getroffen.

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Frage 613 Was kann jeder einzelne Mitarbeiter tun, um Überforderung und Burn-out vorzubeugen? Maßnahmen zur Vorbeugung von Burn-out nach Kearney und Mitarbeitern [32]: ● Meditation ● Schreiben zur Reflexion ● adäquate Supervision und Mentoring ● nachhaltiges Arbeitspensum ● Vertiefen von Selbsterkenntnis ● fortlaufender Besuch von Fortbildungen ● aktives Betreiben von Selbstfürsorge Am besten begegnet man Burn-out durch Prävention. Sorgen Sie gut für sich – und nicht erst, wenn deutliche Anzeichen von Erschöpfung spürbar werden. Sie können niemandem helfen, wenn Sie nicht für ein gutes Standbein sorgen. Das ist nicht Egoismus, sondern professionelle Verantwortung.

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Spezieller Teil

II

Onkologie

6 Onkologische Erkrankungen 6.1 Therapieverfahren 6.1.1 Grundlagen der palliativen medikamentösen Tumortherapie Ulrich Schuler, Barbara Schubert

Frage 614 Welche Formen der medikamentösen antineoplastischen Therapie gibt es? Neben der klassischen Chemotherapie gibt es bei bestimmten Tumoren die Möglichkeit der Hormontherapie, der Immuntherapie und der gezielten Beeinflussung molekularer Strukturen (oft Moleküle der Signaltransduktion).

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Zytostatika im klassischen Sinn haben als Zielstrukturen meist die DNA (Desoxyribonukleinsäure) oder andere für die Zellteilung wesentliche Moleküle. Hormontherapien haben ihren Stellenwert insbesondere bei Tumoren der Mamma und der Prostata. Die Immuntherapie hat sich zu einem breiten Feld von Ansätzen entwickelt. In jüngster Zeit wird der Begriff v. a. für Antikörper verwendet, die durch die Blockade von sog. Checkpoints das Immunsystem für den Tumor sensibilisieren (Medizin-Nobelpreis 2018 für J. Allison und T. Honjo). Zu nennen sind weiter Antikörper, die Zielstrukturen auf Tumorzellen haben und entweder direkt wirken oder mit toxischen Arzneistoffen (Antibody Drug Conjugates) oder Radionukliden gekoppelt sind. Des Weiteren kommen Arzneistoffe zum Einsatz, die komplexer in tumorspezifische Abläufe des Immunsystems eingreifen (Interferon, Interleukin-2). Andere neuere Therapeutika (Tyrosinkinaseinhibitoren und Inhibitoren anderer molekularer Zielstrukturen) wurden auf der Basis molekularer Kenntnisse der Neoplasien entwickelt. Aktuell sind weit über 100 relevante spezifische Therapeutika aus diesen 4 Substanzgruppen zugelassen.

Frage 615 Was versteht man unter „selektiver Toxizität“? Ein Wirkstoff ist gegenüber der Tumorzelle (oder einem Bakterium) toxischer als gegenüber den normalen Zellen des Körpers. Der Begriff „selektive Toxizität“ geht auf Paul Ehrlich (1854–1915, Medizin-Nobelpreis 1908) zurück. Sowohl für die antibiotische als auch für die antineoplastische Therapie muss davon ausgegangen werden, dass die Zielzellen mehr Eigenschaften mit den normalen Wirtszellen gemeinsam haben, als dass sie Differenzen aufweisen. Das heißt, es gilt Unterschiede auszunutzen, die möglicherweise nicht sehr groß sind. Die Zielzelle abzutöten ist ein Effekt maximaler Toxizität, der sich leider auch an Normalzellen bemerkbar macht.

Frage 616 Seit wann gibt es die Chemotherapie? Die ersten Zytostatika waren Aminopterin und Nitrogen-Mustard und kamen Anfang der 1950er-Jahre in die Klinik. Aus der militärischen Forschung zu Lostderviaten und Forschungen über die Folsäure (Sidney Faber) entwickelten sich Ende der 1940er-Jahre die Anfänge der zytostatischen Tumortherapie. Mit zunehmender Zahl weiterer Substanzen fand die Chemotherapie in den 1960er- und 1970er-Jahren allmählich Verbreitung. Erste Heilungen bei Leukämien wurden beobachtet, später bei Keimzelltumoren. Früh war klar, dass im metastasierten Stadium bei der Mehrzahl der Erkrankungen eine Heilung kein realistisches Ziel war.

Frage 617 Wie funktioniert die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren? Menschliche Zellen verfügen über eine Reihe von Oberflächenproteinen, die dem Immunsystem eine Zugehörigkeit zum Pool der normalen Zellen signalisieren. Tumore nutzen diese Proteine,

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Therapieverfahren um sich dem Angriff durch z. B. T-Lymphozyten zu entziehen. Beispiele sind CTLA4 und PDL 1. Antikörper gegen diese Checkpoint-Strukturen können das Immunsystem gegen den Tumor neu sensibilisieren und beeindruckende Veränderungen im Krankheitsverlauf induzieren. Antikörper, die gegen Oberflächenproteine CTLA-4 oder PD-1 bzw. den zugehörigen Liganden PD-L 1 (auf der Tumorzelle) gerichtet sind, heben eine Blockade der Immunantwort auf. Die Ansprechraten und die Prognoseverbesserung hängen von der Tumorart (besonders gut: Melanom), von molekularen Eigenschaften des Tumors (hohe PD-L 1-Expression, Mikrosatelliteninstabilität, Tumormutationslast) und dem Zustand des Immunsystems (Lymphozytenzahl, Verhältnis der Neutrophilen zu Lymphozyten) ab. Viele Faktoren sind noch unzureichend verstanden, ein negativer Einfluss auf den Therapieerfolg kann durch Protonenpumpen-Inhibitoren und Antibiotika (wohl über eine Veränderung des Mikrobioms) sowie durch Gabe von Glukokortikoiden entstehen. Die Immuntherapie kann in bestimmten Situationen mit einer Chemotherapie kombiniert werden.

Frage 618 Was sind die Ziele der antineoplastischen Therapie? ● ●





Heilung Verbesserung der Heilungschance (adjuvante Therapie) in Kombination mit anderen Maßnahmen Verlängerung der Überlebenszeit (sog. palliative Chemotherapie) Reduktion der tumorbedingten Symptomlast

Nur ein kleiner Teil der Tumorerkrankungen ist mit Medikamenten kurativ behandelbar (z. B. Keimzelltumoren, einige pädiatrische Tumorerkrankungen, hämatologische Neoplasien). Bei einigen Patienten wird eine Tumorverkleinerung mit dem Ziel der Resektion angestrebt. In der Mehrzahl der Fälle wirkt die Therapie „nur“ lebensverlängernd und symptomatisch, nicht heilend. Das Ausmaß der Lebensverlängerung wird von den Patienten vielfach überschätzt. Einen Sonderfall stellt die adjuvante Therapie dar, in der eine Verbesserung des Gesamtüberlebens z. B. nach einer Resektion des Tumors angestrebt wird.

Frage 619 Ist palliative Chemotherapie mit Palliativmedizin gleichzusetzen? Im Kontext von palliativer Chemotherapie bedeutet palliativ nur, dass eine kurative Möglichkeit nicht gegeben ist. Der Begriff „palliativ“ ist weit älter und teilweise anders besetzt als die modernen Konzepte der Palliativmedizin. Das British Medical Journal allein weist schon im 19. Jahrhundert über 1000 Arbeiten auf, in denen der Begriff „palliativ“ vorkommt. Der Begriff „palliative Chemotherapie“ wurde bereits wenige Jahre nach der Entwicklung der ersten Zytostatika verwendet. Er enthält begrifflich nicht in gleicher Weise wie „Palliative Care“ eine psychosoziale Orientierung gegenüber dem Patienten und seinen Angehörigen.

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Frage 620 Ist eine klare Trennung zwischen palliativer und kurativer Intention immer möglich? Insbesondere durch Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) steigt die Zahl der Therapiesituationen, in denen nicht nur eine Lebensverlängerung, sondern in mehr oder weniger geringem Umfang ein Plateau der Überlebenskurven beobachtet wird. In metastasierten Stadien vermochte Chemotherapie bis auf wenige Ausnahmen meist nur das Leben zu verlängern, eine langfristige Stabilisierung war nicht möglich. Unter ICI-Therapien wird in den meisten Indikationen ein gewisser Prozentsatz von Patienten beobachtet, der eine längerfristige Progressionsfreiheit erlebt, die nicht immer mit einer kompletten Remission einhergehen muss. Die Nachbeobachtungszeiten liegen meist noch deutlich unter 10 Jahren, weshalb in vielen Fällen unklar ist, in welchem Prozentsatz Heilungen zu erwarten sind.

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Onkologie Frage 621 Welche Vorbehalte bestanden gegenüber der palliativen Chemotherapie seitens der Palliativmedizin?

Frage 623 Was sind die Hauptnebenwirkungen der klassischen Chemotherapie? ●







Missverhältnis zwischen Nutzen und Nebenwirkungen Aufrechterhaltung von falschen Hoffnungen und damit zu späte Beendigung der Therapie fehlende Zeit und Kraft für die Erledigung letzter Dinge

In der Praxis lassen sich 2 Hauptprobleme abgrenzen: ● Zum einen besteht bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen unter Umständen ein Missverhältnis zwischen dem möglichen Nutzen und der zusätzlichen körperlichen Belastung durch die Therapie. ● Zum anderen verhindert eine häufig unrealistische Hoffnung auf Therapieeffekte die notwendige Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Sterben und den Einsatz von Kraft und Zeit für wichtige Lebensthemen.

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Frage 622 Was versteht man unter der „Frühen Integration“ (Early Integration) von Palliative Care?

● ● ● ● ● ●

Übelkeit Erbrechen Abwehrschwächung Fatigue Stomatitis Polyneuropathie Diarrhöen

Viele Zytostatika verursachen Übelkeit und Erbrechen, sowohl akut als auch verzögert. Hinsichtlich der antiemetischen Therapie gibt es klare, risikoadaptierte Empfehlungen, die die Gabe von Serotonin-Antagonisten und zur hochemetogenen Therapie auch von Aprepitant (oder anderen NK1-Antagonisten) beinhalten. Eine Abwehrschwächung ist besonders im Kontext mit der Therapie der hämatologischen Neoplasien (Leukämien, Lymphome) von Bedeutung. Vor allem bei gastrointestinalen Tumoren werden Diarrhöen beobachtet. Das hat aber mehr mit den dort wirksamen Zytostatika (z. Bsp. Irinotecan, 5-Fluorouracil) zu tun als mit der Lokalisation an sich.

Frage 624 Was versteht man unter „Targeted Therapy“?

Es kann Vorteile haben, palliativmedizinische Aspekte früher in den individuellen Behandlungsverlauf von Patienten unter laufender tumorgerichteter Therapie zu integrieren. In der Diskussion über den optimalen Zeitpunkt ist vieles offen. Möglicherweise ergeben sich Vorteile durch „Frühe Integration“ vor allem dort, wo die Onkologie ihre ureigensten Themen der Supportivtherapie und Psychoonkologie vernachlässigt. Programmatisch ist der Ansatz der „Frühen Integration“ eigentlich älter. Die WHO-Definition der Palliative Care von 2002 beinhaltet keine Komponente, die eine zeitliche Nähe zum Versterben fordert, sondern sieht die vitale Bedrohung als einzige patientenseitige Voraussetzung.

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Ein vertieftes Verständnis der molekularen Pathophysiologie von Tumorerkrankungen hat zur Entwicklung von Molekülen geführt, die gezielt Strukturen beeinflussen, die in ihrem Aufbau oder ihrer Aktivität verändert sind. Zielstrukturen sind häufig Moleküle der Signaltransduktion (meist Kinasen), die bei Tumorerkrankungen auf vielfältige Weise verändert sind. So richtet sich eine Reihe von Therapeutika gegen den EGFR (Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor), der bei mehreren epithelialen Tumoren involviert ist. Andere Beispiele für Zielstrukturen sind beispielsweise BRAF, MEK, CDK4/6, BCR-ABL. Innerhalb der Targeted Therapy wird noch zwischen einer antikörperbasierten Therapie und kleinmolekularen Hemmstoffen (sog. Small Molecules) unterschieden.

Therapieverfahren Frage 625 Wodurch unterscheidet sich eine Targeted Therapy von der klassischen Chemotherapie? Beide Begriffe beschreiben eine in sich inhomogene Gruppe von Therapieformen. Chemotherapie ist stärker mit Übelkeit und Immunsuppression assoziiert. Sowohl der Begriff der „Targeted Therapy“ als auch der der „Chemotherapie“ umfasst unterschiedliche Substanzen und Therapieformen. Während Chemotherapie vor allem mit einer zum Verabreichungszeitpunkt akzentuierten Übelkeit und einer Abwehrschwächung assoziiert ist, sind bei den neueren Substanzen die Nebenwirkungen vielfältiger (z. B. Hautmanifestationen, Immunreaktionen) und zum Teil auch weniger stark ausgeprägt. An sich ist der Begriff „targeted“ unglücklich gewählt, da auch ältere zytostatische Medikamente klare „Targets“ hatten (z. B. Methotrexat als Inhibitor der Dihydrofolatreduktase).

Frage 626 Gibt es einfache Regeln dafür, welche Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen keine zytostatische Chemotherapie mehr erhalten sollten? Die Performance-Skalen nach Karnofsky oder ECOG bzw. WHO geben wichtige Hinweise, welche Patienten bereits zu sehr beeinträchtigt sind, um noch von einer Chemotherapie zu profitieren. Darüber hinaus geben Ergebnisse funktioneller Assessments der Patienten wichtige Informationen zur Belastbarkeit von Patienten. In der Mehrzahl der klinischen Situationen werden Patienten mit ECOG 3–4 oder mit einem KarnofskyIndex von unter 50 nicht von einer klassischen Chemotherapie profitieren. Wer also den überwiegenden Teil der Tagesstunden im Bett oder liegend verbringt, ist nur in Ausnahmefällen (z. B. bei sehr gut ansprechenden Tumorentitäten oder wenn die Bettlägerigkeit durch andere Probleme mitverursacht ist) belastbar für eine systemische Chemotherapie. Wenn der schlechte Allgemeinzustand und die Bettlägerigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit tumorbedingt sind und nach Histologie und Vortherapie mit einem Ansprechen zu rechnen ist, muss diese Regel

einen Patienten nicht von einem Therapieversuch ausschließen. Für zielgerichtete Therapien und ICITherapien sind die Anforderungen an den Performance Status weniger streng.

Frage 627 Welche Einstellung haben Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung bezüglich einer nebenwirkungsbelasteten Therapie? Die Mehrzahl der Studien zeigt, dass die Patienten gewillt sind, auch für einen geringen Zugewinn an Lebenszeit zum Teil erhebliche Belastungen auf sich zu nehmen.

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Eine Reihe von Patientenbefragungen deutet darauf hin, dass Patienten mit Krebserkrankung im Vergleich zu gesunden, nicht Betroffenen und/oder zu Vertretern von Gesundheitsberufen eine andere Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen. Diese Patienten sind häufiger bereit, für vergleichsweise kleine Überlebensvorteile mehr an Nebenwirkungen auf sich zu nehmen. Diese Einstellung gegen Mechanismen der Verdrängung und des Nicht-wahrhaben-Wollens abzugrenzen ist nicht immer einfach.

Frage 628 Welche Fragen müssen in der Aufklärung vor einer systemischen tumorgerichteten Therapie mit dem Patienten besprochen und geklärt werden? Das Gespräch beinhaltet eine möglichst genaue Definition der Ziele, eine Beschreibung der Nebenwirkungen und eine Abschätzung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten. Folgende Fragen sollten besprochen werden: ● Was ist das Ziel der Intervention (Symptomlinderung, Verhütung tumorbedingter Komplikationen, Verlängerung des Überlebens usw.)? ● Wie hoch sind die Erfolgsaussichten für das jeweilige Ziel? ● Wie ist die Biologie des Tumors, wie wirksam waren Vortherapien? ● Wie hoch sind die Risiken in Bezug auf Nebenwirkungen? ● Welche symptomatische Belastung (durch den Tumor und durch Vortherapien) besteht bereits?

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Onkologie ●





Gibt es zur Symptomlinderung alternative (nicht tumorspezifische) Maßnahmen und ist der Patient dafür ausreichend belastbar? Wie ist die Versorgungssituation des Patienten, lässt sie die anstehende Maßnahme überhaupt zu? Welche Erwartungen bestehen seitens des Patienten und wie realistisch sind sie?

Frage 629 Welche Vorstellungen verbinden Patienten mit der Beeinflussung des Immunsystems in der antineoplastischen Therapie und welche Immuntherapeutika spielen praktisch eine Rolle?

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Patienten assoziieren Gesundheit mit einer Stärkung des Immunsystems. Im Sinne eines immuntherapeutischen Ansatzes spielen nur wenige Substanzen (vor allem monoklonale Antikörper) eine Rolle. In der Vorstellung der medizinischen Laien spielt eine Beeinflussung des Tumorgeschehens durch eine unspezifische Stärkung des Immunsystems eine große Rolle. Dies steht in offenem Kontrast zu der Tatsache, dass die Mehrzahl der erfolgreichen Therapien eher mit einer Abwehrschwächung des Immunsystems einhergeht. In den letzten Jahrzehnten haben monoklonale Antikörper für eine Reihe von Erkrankungen an Bedeutung gewonnen. Sie setzen spezifische Zielstrukturen voraus (EGFR, CD20, HER2). Daneben gibt es Arzneimittel, die Teilfunktionen des Immunsystems stimulieren oder zur Auseinandersetzung mit der Tumorerkrankung anregen (z. B. Interferon-α, Interleukin-2, Checkpoint-Inhibitoren wie Nivolumab). All dies hat nichts mit den Laienvorstellungen von unspezifischer Immunstimulation zu tun.

Frage 630 Welche Nebenwirkungen von vorausgegangenen tumorgerichteten Therapien sind Einweisungsgründe im Bereich der stationären Palliativmedizin?

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Vor allem Übelkeit, Anorexie, Diarrhöen und Infektionen können nach Chemotherapien den Übergang zur palliativen Versorgung triggern. Die Neben- und Nachwirkungen der ICI-Therapie bestehen in vielfältigen Autoimmunphänomenen. An Bedeutung und Häufigkeit stehen Colitiden (Durchfall) und Pneumonitiden im Vordergrund, aber auch bedrohliche hormonelle Störungen. Gelegentlich führen die symptomatischen Nebenwirkungen einer vorausgegangenen palliativen Chemotherapie zur Einweisung in eine Palliativeinrichtung. Oft triggert dies den Übergang zur alleinigen palliativen Versorgung und den Verzicht auf weitere tumorgerichtete Therapien. Die Situation verlangt nach einer verantwortungsvollen Einschätzung in Abstimmung mit den Vorbehandlern und dem Patienten. Fehlentscheidungen in beide Richtungen sind möglich (vorschneller Therapieabbruch bei letztlich beherrschbaren Nebenwirkungen bzw. Fortsetzung einer Übertherapie).

Frage 631 Mit welchen kumulativen Nebenwirkungen von vorausgehenden tumorgerichteten Therapien ist im Bereich der stationären Palliativmedizin zu rechnen? ● ● ● ● ● ●

Polyneuropathie Geschmacksveränderungen Anorexie Herzinsuffizienz Niereninsuffizienz Schwerhörigkeit

Von den Patienten wird bei der Aufklärung vielfach das Risiko einer Polyneuropathie unterschätzt (durch Platinderivate, Taxane, Bortezomib, Vincaalkaloide). Geschmacksveränderungen, die zur Anorexie und Kachexie mit beitragen können, werden von einer Reihe von Substanzen hervorgerufen. Eine Herzinsuffizienz wird vor allem nach höheren kumulativen Dosen von Anthrazyklinen, aber auch nach Trastuzumab beobachtet. Eine Niereninsuffizienz tritt insbesondere nach cisplatinhaltigen Therapien gehäuft auf. Nach einer Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren können noch Monate später Autoimmunphänomene auftreten, deren Deutung im palliativen Setting schwierig sein kann.

Therapieverfahren Frage 632 Mit welchen Besonderheiten ist in Bezug auf Nebenwirkungen speziell nach Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren zu rechnen (irAE, immune-related adverse Events)?

schlechte Versorgung darstellt, kann sicher auch kritisch diskutiert werden. Insbesondere ist für nebenwirkungsarme neue Substanzen noch weitgehend unklar, ab wann eine Therapie als definitiv nicht mehr indiziert anzusehen ist.

Frage 634 ●



Entsprechend dem Wirkmechanismus der ICI ähneln die Nebenwirkungen den Symptomen von Autoimmunerkrankungen. Die Phänomene können bei einzelnen Patienten noch lange nach Beendigung der Therapie auftreten.

Am häufigsten betroffen sind die Haut (Exanthem), das Kolon (Kolitis mit Diarrhö), endokrine Organe wie die Hypophyse oder die Schilddrüse (Entzündung mit vorübergehender Überfunktion und nachfolgender Unterfunktion), die Leber (Anstieg der Transaminasen, Hepatitis) und Lunge (Pneumonitis). Daher ist an viele Differenzialdiagnosen zu denken, wenn ein Patient mit entsprechender Symptomatik – auch viele Monate nach Beendigung der Therapie – in die palliative Betreuung gelangt. Glücklicherweise sind die Nebenwirkungen oft von geringer Intensität und zeigen eine schwache Assoziation mit dem Ansprechen der Behandlung.

Frage 633 Was sind Indikatoren für eine Übertherapie mit antineoplastischen Substanzen am Lebensende? In epidemiologischen Studien wird vor allem der Anteil von Patienten, die noch wenige Tage vor ihrem Versterben eine Chemotherapie erhielten, als Indikator für eine Übertherapie diskutiert. Einige epidemiologischen Arbeiten zeigen, dass der Anteil der Patienten zunimmt, die bis kurz vor ihrem Ableben noch mit palliativen Chemotherapien behandelt werden. Craig Earle konnte für US-amerikanische Patienten im Medicare-System (Sozialversicherung für ältere oder behinderte Bürger) zeigen, dass der Anteil derer, die noch 14 Tage vor ihrem Versterben eine Chemotherapie erhielten, von 9,7 % im Jahr 1993 auf 11,6 % im Jahr 1999 zugenommen hatte [24]. Durch die Zunahme der Therapieoptionen, auch mit gelegentlich weniger ausgeprägten Nebenwirkungen, ist die Zahl eher noch weiter gestiegen. Ob dieser Parameter ein Maß für eine

Gibt es Beispiele für eine sinnhafte Therapie mit modernen Substanzen in sehr fortgeschrittenen Krankheitsstadien? Der Regisseur Christoph Schlingensief hat seine Krankengeschichte weitgehend publik gemacht und berichtet von einer substanziellen Besserung und Lebensverlängerung durch eine Targeted Therapy.

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Christoph Schlingensief ist Anfang 2008 an einem Bronchialkarzinom erkrankt. Nach neoadjuvanter und adjuvanter Chemotherapie und Pneumektomie links erlitt er im Dezember 2008 ein Rezidiv. Der Tumor wies eine EGFR-Mutation auf. Das führte dazu, dass mittels eines oralen Medikaments (Erlotinib) ab Herbst 2009 mit – wie er schreibt – „100 Metastasen“ in der Restlunge eine weitgehende Remission und Lebensverlängerung um mehr als 6 Monate bei vertretbaren (Haut-)Nebenwirkungen erreicht werden konnte. Eine Chemotherapie wäre nach o. g. Kriterien sicher nicht mehr indiziert gewesen.

Frage 635 Wie kann eine Übertherapie mit antineoplastischen Substanzen am Lebensende verhindert werden? Die klare Mitteilung der Therapieziele zum Zeitpunkt, an dem die Unheilbarkeit feststeht, sowie offene Kommunikation anderer Aspekte der Versorgung am Lebensende können dazu beitragen, Fehlentscheidungen zu reduzieren. Instrumente der Prognoseabschätzung und der Prädiktion von Therapieerfolg müssen weiter verbessert werden. Eine Chemotherapie zu nahe am Tod kann ebenso wie andere Parameter als Kriterium für eine fehlgeleitete Therapie am Lebensende herangezogen werden. Diese anderen Parameter sind etwa ein zu hoher Prozentsatz mit intensivmedizinischen Be-

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Onkologie handlungen, Reanimationsversuchen und Krankenhauseinweisungen und zu wenig hospizlich-palliativmedizinische Betreuung. Eine Reihe von Studien deutet darauf hin, dass eine frühe Kommunikation aller Aspekte der Versorgung am Lebensende (ACP) die Rate nicht mehr indizierter Chemotherapien reduzieren kann. Nicht immer sind allerdings eine Abschätzung der Prognose und eine Vorhersage des Therapieerfolgs mit ausreichender Sicherheit möglich.

Frage 636 Sollte die Evaluierung von antineoplastischen Therapien eher anhand des Zugewinns an Überlebenszeit oder anhand der Symptomlinderung erfolgen?

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EGFR-Mutationen beim Bronchialkarzinom (bei etwa 10 % der Patienten) sind beispielsweise prädiktiv für das Ansprechen auf Tyrosinkinaseinhibitoren. Ebenso ist bei diesen Tumoren das Vorliegen von ALK-Translokationen, ROS 1-Translokationen prädiktiv für die Sinnhaftigkeit einer Therapie mit entsprechenden Inhibitoren (bei weniger als 5 % der Patienten). Beim Kolonkarzinom ist der therapeutische Nutzen der Zugabe der EGFR-Antikörper Cetuximab und Panitumumab weitgehend beschränkt auf Patienten, in deren Tumor keine KRAS-Genmutation vorliegt. Es ist absehbar, dass neue Therapeutika in zunehmendem Maße individualisiert auf Tumoreigenschaften zugeschnitten werden.

Frage 638 In aller Regel belegen onkologische Studien einen Zusammenhang zwischen onkologischem Ansprechen, Überlebenszeit und Besserung der tumorbedingten Symptome.

Welche Möglichkeiten der (anti-)hormonellen Therapien gibt es beim Mammakarzinom? ●

Klassischerweise haben Studien zur antineoplastischen Therapie als Hauptzielkriterium das Tumoransprechen und/oder die Verlängerung der Überlebenszeit. Wo immer gleichzeitig auf tumorspezifische Symptome geschaut wurde, zeigte sich meist ein Zusammenhang zwischen dem Ansprechen der Erkrankung und einem positiven Einfluss auf die Symptomatik. Teilweise ist ein symptomatischer Effekt auch bei Patienten vorhanden, die klassische Remissionskriterien nicht erfüllen. Dieser positive Einfluss auf die Tumorsymptomatik muss gegen die Nebenwirkungen der Therapie abgewogen werden. Die Frage ist methodisch schwieriger zu beantworten, als man zunächst denkt. Was ist die Vergleichsgruppe für die zusätzlich Überlebenden? Da eventuell Patienten mit eher schlechtem Allgemeinzustand und schlechter Lebensqualität unter einer belastenden Therapie eher versterben, kann eine Besserung der Lebensqualität auch durch Selektion bedingt sein etc.

Frage 637 Welche Bedeutung haben molekulare und genetische Testungen für moderne gezielte Therapien? Eine Reihe der neuen Substanzen wirkt ausschließlich (oder deutlich besser), wenn bestimmte molekulare Marker im Tumor vorliegen.

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● ●

Tamoxifen Aromataseinhibitoren Analoga des Gonadotropin-releasing-Hormons

Im Prinzip handelt es sich um eine Hormonentzugsbehandlung, die man auch als Antihormontherapie, endokrine Therapie oder eben umgangssprachlich als Hormontherapie bezeichnen kann. Tamoxifen besetzt die Östrogenrezeptoren des Tumors kompetitiv (Antiöstrogen) und kann dadurch das Wachstum hormonabhängiger Tumoren verlangsamen. Auch nach der Menopause werden Östrogene in geringer Menge in anderen Geweben als den Ovarien produziert. Dabei spielt das Enzym Aromatase (vor allem im Fettgewebe) eine wichtige Rolle. Die Umwandlung von Östrogenvorstufen (in der Nebennierenrinde gebildet) kann durch Aromatasehemmer (Anastrozol, Letrozol und Exemestan) gehemmt werden. Analoga des Gonadotropin-releasing-Hormons können mittels Störung zentraler Regelkreise ebenfalls zu einer Hemmung der Östrogenproduktion führen und vor der Menopause so zu einem intensiveren Östrogenentzug beitragen.

Therapieverfahren Frage 639 Welche Rolle spielt die Polyneuropathie als Therapiefolge? In den letzten Jahrzehnten sind einige neue Substanzen mit der Nebenwirkung der Polyneuropathie zugelassen worden. Das Symptom tritt deshalb häufiger auf. Polyneuropathie als Folge einer Chemotherapie ist als Nebenwirkung seit Mitte der 1960er-Jahre bekannt. Initial waren vor allem Vincaalkaloide, später Cisplatin die Ursache. Später kamen Taxane, Oxaliplatin, Bortezomib, Thalidomid u. a. dazu. Wahrscheinlich unterscheiden sich die Pathomechanismen für unterschiedliche Substanzen. Eine Reihe von prophylaktischen Strategien wurde evaluiert, die Evidenz ist jedoch unzureichend. Auch im Hinblick auf die Therapie sind die Ergebnisse unbefriedigend. Neuropathische Schmerzen dieser Ätiologie werden analog zu anderen neuropathischen Schmerzen behandelt. Bei Neuropathie nach Oxaliplatin hat sich in einer kleinen randomisierten Studie Venlafaxin, in einer größeren Duloxetin als hilfreich erwiesen.

Frage 640 Welche Tumoren haben eine relativ hohe Empfindlichkeit gegenüber Chemotherapien? Das symptomatische Ansprechen hängt von der Histologie und der Vorbehandlung ab. Bei Patienten mit Keimzelltumoren, den meisten Lymphomen, kleinzelligem (Bronchial-)Karzinom und eingeschränkt einem Mamma- bzw. Kolonkarzinom kann mithilfe einer Chemotherapie noch eine relativ rasche Rückbildung von Allgemeinsymptomen erreicht werden, insbesondere wenn nur eine geringe Vorbehandlung stattgefunden hat. Mit zunehmender Zahl von Vorbehandlungen nimmt diese Wahrscheinlichkeit ab.

Frage 641 Was verändert sich durch die längeren Verläufe in der am Lebensende zu erwartenden Symptomkonstellation? Durch die längeren Verläufe z. B. beim Kolonkarzinom treten häufiger als früher Knochen- oder Hirnmetastasen auf. Die Überlebenszeiten im metastasierten Stadium haben sich beispielsweise für Patienten mit kolorektalen Karzinomen in den letzten beiden Dekaden mehr als verdoppelt. Dies hat zusammen mit einer breiteren Verfügbarkeit der CT- bzw. MRT-Diagnostik dazu geführt, dass diese (früher seltenen) Metastasierungsorte inzwischen häufiger beobachtet werden.

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Frage 642 Was ist bei der Kombination von Strahlentherapie und Chemotherapie in der palliativen Situation zu beachten? Bei der Kombination von größeren Strahlenfeldern und Chemotherapie ist immer mit einer Potenzierung der Zytopenie zu rechnen. Das Risiko schwerer Zytopenien kann bei stark vorbehandelten Patienten sowohl im Ablauf als auch in der Intensität schwer einzuschätzen sein. Eine enge zeitliche Staffelung von Chemotherapie und Strahlenfeldern im Bereich der Wirbelsäule und des Beckens sollte bei dieser Patientengruppe genau überlegt werden.

Frage 643 Darf man eine tumorgerichtete medikamentöse Therapie auch auf einer Palliativstation durchführen? Ja, wenn die Indikation klar ist, aus psychosozialen Gründen dies als der richtige Ort erscheint und die notwendigen Kenntnisse für die spezifische Therapie beim ärztlichen und pflegerischen Personal vorhanden sind.

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Onkologie Wenn Unsicherheiten bestehen, sollte eine Abstimmung mit einem erfahrenen Hämatoonkologen erfolgen. Wichtig ist eine Einschätzung der notwendigen Supportivtherapie (vor allem Antiemetika). Einige Medikamente machen eine weitere Prämedikation erforderlich (z. B. Taxane). Eine Einschätzung des Paravasatrisikos und der Qualität des verfügbaren venösen Zugangs sollte ebenfalls erfolgen. Die notwendige Qualifikation der Mitarbeiter muss auch in Bezug auf die Arbeitssicherheit vorliegen.

Frage 644 Was geschieht, wenn eine Zytostatikainfusion aufgrund eines nicht sicher liegenden venösen Zugangs in das umgebende Gewebe austritt?

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Ein Austreten der konzentrierten toxischen Zytostatikalösung in das umgebende Gewebe im Bereich des venösen Zugangs muss in jedem Fall vermieden werden. Bei vielen Substanzen droht eine Paravasat-Nekrose. Bei einer Reihe von Zytostatika ist es essenziell, dass sie strikt intravenös oder gar über einen zentralvenösen Katheter verabreicht werden. Eine genaue Kenntnis der substanzspezifischen Risiken ist unbedingte Voraussetzung für die sichere Durchführung einer Chemotherapie. Bei einem Austreten in das Gewebe spricht man von „Paravasat“ oder „Extravasat“. Kommt es infolge der toxischen Wirkung der Zytostatika zu Gewebeschädigungen, spricht man von einer „Paravasatnekrose“. Schwere Gewebeschäden treten insbesondere bei Vincaalkaloiden (z. B. Vincristin) und bei Anthrazyklinen (z. B. Adriamycin) auf. Bei Paravasaten letzterer Substanzgruppe steht ein Antidot zur Verfügung (Dexrazoxane), das innerhalb der ersten Stunden gegeben werden muss.

Frage 645 Was ist in Bezug auf die Arbeitssicherheit im Umgang mit Zytostatika wichtig? Der Umgang mit Zytostatika erfordert die Kenntnis spezieller Arbeitsschutzmaßnahmen.

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Etliche Zytostatika sind toxisch, potenziell teratogen und kanzerogen. Entsprechende Vorsichtsmaßnahmen für das Personal (spezielle Handschuhe bei direktem Kontakt, Entsorgung von Restmaterialien usw.) müssen strikt eingehalten werden. Im Falle von Unsicherheiten muss kompetente Beratung zugreifbar sein. Schwangere dürfen keinen direkten Kontakt mit Zytostatika haben, Jugendliche nur, wenn dies aus Gründen der Ausbildung notwendig ist und unter Aufsicht eines Fachkundigen erfolgt. In Bezug auf Ausscheidungen dieser Patienten sind normale hygienische Schutzmaßnahmen (Handschuhe usw.) ausreichend, da die darin enthaltenen Zytostatikakonzentrationen gering sind.

6.1.2 Grundlagen der Strahlentherapie Franziska Hessel

Frage 646 Was sind typische Indikationen für eine palliative Strahlentherapie? Wo liegen die Beschränkungen? ●



symptomatische Knochen-, Lymphknoten-, Weichteil- und Hautmetastasen, Hirnmetastasen und primäre Hirntumoren, symptomatische Primärtumoren, die nicht kurativ behandelbar sind, etc. keine sinnvolle Option bei diffuser, schlecht lokalisierbarer Symptomatik

Da die Strahlentherapie ein lokales Therapieverfahren ist, kann diese Therapieoption bei allen lokal eingrenzbaren tumorbedingten Symptomen geprüft werden. Ziel der Therapie ist jeweils die Verbesserung der Lebensqualität durch Linderung tumorbedingter Symptome und/oder die Vermeidung akut lebensbedrohlicher Situationen, die sich tumorbedingt ergeben können. Hingegen kann eine diffuse, schlecht lokalisierbare Symptomatik, z. B. bei Knochenmarkskarzinose, mit Strahlentherapie nicht sinnvoll behandelt werden.

Therapieverfahren Frage 647 Welche Bestrahlungsschemata kommen in der palliativen Strahlentherapie zur Anwendung? Häufig angewandte Behandlungsschemata sind 1 × 8 Gy, 5 × 4 Gy oder 10–12 × 3 Gy.

forderungen an die genaue Lagerung und Immobilisation der Patienten zur Bestrahlung. Eine individuelle Abwägung des möglichen Nutzens gegenüber dem verbundenen Aufwand bzw. der Durchführbarkeit, z. B. bei Patienten in schlechtem Allgemeinzustand, ist erforderlich.

Frage 649 Entsprechend dem breiten Spektrum an Indikationen zur palliativen Strahlentherapie kommen viele verschiedene Bestrahlungsschemata zum Einsatz. Im Vergleich zur kurativ intendierten Strahlentherapie wird üblicherweise eine niedrigere Gesamtdosis appliziert. Dadurch kann das Nebenwirkungsrisiko relativ gering und die Behandlungsdauer kurz gehalten werden. Die Wahl des Bestrahlungsschemas richtet sich u. a. nach Behandlungsziel und anatomischer Lokalisation des zu bestrahlenden Gebietes, der Prognose der Erkrankung, Allgemeinzustand und Präferenz des Patienten etc. In ausgewählten Situationen kann auch die Applikation von höheren, lokal ablativen Bestrahlungsdosen, vergleichbar mit denen einer kurativ intendierten Behandlung, sinnvoll sein.

Frage 648 Wie ist der Einsatz aufwendiger hochkomplexer Strahlentherapietechniken wie z. B. von IMRT (Intensitätsmodulierte Strahlentherapie), VMAT (Volumetric Intensity Modulated Arc Therapy) und Stereotaxietechniken in der palliativen Strahlentherapie zur bewerten? ●

● ●

präzisere Erfassung auch komplexerer Zielgebiete mit ggf. Verminderung des Nebenwirkungsrisikos Möglichkeit, höhere Dosen zu applizieren Individuelle Abwägung erforderlich!

Was sind Notfallindikationen für eine Strahlentherapie? ●





beginnende tumorbedingte Myelonkompression tumorbedingte Kompression der V. cava superior mit oberer Einflussstauung tumorbedingte Blutungen

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Die tumorbedingte Myelonkompression stellt zwar keine akute vitale Bedrohung dar, eine zeitliche Verzögerung des Therapiebeginns führt aber zu gravierenden, irreversiblen Einbußen der Lebensqualität des betroffenen Patienten u. a. durch chronische Querschnittslähmung und/oder Blasen-MastdarmStörungen. Besonders ausgedehnte mediastinale Tumoren können durch Kompression der V. cava superior zu einer oberen Einflussstauung und damit zu einer vitalen Bedrohung führen. Bereits nach 2– 3 Bestrahlungen kann eine Besserung der oft quälenden Symptomatik erreicht werden. Vital bedrohliche Blutungen, vor allem vaginal bei ausgedehnten Zervix- oder Endometriumkarzinomen, bei exulzerierten zervikalen Lymphknotenmetastasen und als Hämoptysen bei Lungenkarzinomen, sistieren oft bereits nach wenigen Bestrahlungen. Akute Blutungen aus größeren Gefäßen durch Tumorarrosion können hingegen durch Strahlentherapie nicht aufgehalten werden.

Frage 650 Im Vergleich zur einfachen konventionellen 2D (z. B. opponierende Felder) oder konformalen 3D geplanten Strahlentherapie (mehrere Bestrahlungsfelder mit CT-Planung) bieten die komplexeren Techniken die Möglichkeit, das Zielgebiet enger umschrieben, d. h. mit deutlich kleineren Sicherheitssäumen, zu erfassen. Dadurch kann sich eine Minderung des Nebenwirkungsrisikos ergeben bzw. besteht die Möglichkeit, eine höhere Dosis bei tolerablen Nebenwirkungen zu applizieren. Oft sind diese Techniken aber auch zeitaufwendiger und stellen höhere An-

Wie sollte beim Verdacht auf eine einlaufende Querschnittslähmung durch eine tumorbedingte Myelonkompression vorgegangen werden? ●

● ●

Notfall-MRT-Diagnostik und neurologische Beurteilung Abklärung der Therapieoptionen Therapieeinleitung binnen Stunden

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Onkologie Bei Verdacht auf eine einlaufende Querschnittslähmung muss eine Notfallbildgebung, möglichst MRT, durchgeführt werden. Eine genaue Höheneingrenzung der Symptomatik sollte ggf. durch einen Neurologen erfolgen. Anhand der Bildgebung und prognostischer Faktoren wird entschieden, ob eine operative Therapie z. B. mittels Laminektomie und Stabilisierung möglich und sinnvoll ist. Bei Kombination von primärer Operation und konsolidierender Bestrahlung bestehen die größten Chancen, die Gehfähigkeit zu erhalten bzw. wiederzuerlangen. Bei Verdacht auf Vorliegen eines kleinzelligen Lungenkarzinoms oder eines Lymphoms sollte die Therapie mit den Onkologen abgestimmt erfolgen, da in diesen Fällen auch eine primäre Chemotherapie effektiv sein kann. Ansonsten wird eine Notfallbestrahlung eingeleitet. Die zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden wird empfohlen. Eine klare Dosisempfehlung ist aus Studiendaten nicht ableitbar. Das zeitliche Intervall zwischen Beginn der Symptomatik und Therapiebeginn ist von entscheidender prognostischer Bedeutung für die Rückbildung der Symptomatik!

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Frage 651

Frage 652 Was ist bei einer Strahlentherapie im Bereich des oberen Abdomens, z. B. bei Knochenmetastasen der unteren BWS/oberen LWS, zu beachten? ● ●

Strahlentherapie im Bereich des oberen Abdomens kann häufig zu Übelkeit und ggf. auch zu Erbrechen führen. Zusätzliche Risikofaktoren dafür sind u. a. ein schlechter Allgemeinzustand, bereits Erfahrung mit therapieassoziierter Übelkeit oder Ängstlichkeit des Patienten. Eine Prophylaxe mit einem 5-HT 3Rezeptor-Antagonisten, ggf. in Kombination mit Dexamethason, wird deshalb empfohlen.

Frage 653 Welches Ziel verfolgt die konsolidierende Bestrahlung von Knochenmetastasen nach operativer Entlastung und/oder Stabilisierung? ●

Was sind Indikationen zur palliativen Bestrahlung von Knochenmetastasen? ● ●



Schmerzen drohende pathologische Fraktur oder Instabilität drohende oder bereits eingetretene Nervenoder Myelonkompression

Überwiegend werden die Patienten wegen Schmerzen zur Strahlentherapie vorgestellt. Allen Bestrahlungsindikationen bei Knochenmetastasen gemein ist das Ziel, die Mobilität und damit auch die Autonomie des betroffenen Patienten zu erhalten bzw. zu verbessern. Bei drohender pathologischer Fraktur, Instabilität und/oder Myelonkompression sollte vorab die Möglichkeit der operativen Therapie geprüft werden mit anschließender konsolidierender Bestrahlung.



Vermeidung frühzeitig rezidivierender Symptomatik und Tumorausbreitung Schmerzbehandlung

Die Operation bei Knochenmetastasen ist zumeist keine radikale Tumorresektion. Ein zeitiges Wiederauftreten der initialen Symptomatik, u. a. einer Myelonkompression oder Schmerzen, ist zu erwarten. Bei Instrumentierung durch die Metastase wie z. B. beim Marknagel ist eine Ausbreitung der Tumorzellen entlang des eingebrachten Materials möglich. Eine konsolidierende Bestrahlung nach abgeschlossener Wundheilung kann diese Risiken vermindern.

Frage 654 Welche therapeutischen Optionen bestehen beim Vorliegen von symptomatischen Hirnmetastasen? ● ● ●

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moderat emetogen Prophylaxe mit 5-HT 3-Rezeptor-Antagonist empfohlen

Kortikosteroide Bestrahlung Operation

Therapieverfahren Die Therapiestrategie richtet sich nach dem Allgemeinzustand und der Prognose des Patienten sowie nach der Anzahl der Metastasen. Bei multiplen Hirnmetastasen ist die fraktionierte Ganzhirnbestrahlung das Therapieverfahren der Wahl. Damit kann bei 55–80 % der Patienten eine erhebliche Besserung der neurologischen Symptomatik erreicht werden. Kortikosteroide können bei Ödem oder Hirndrucksymptomatik zusätzlich gegeben werden. Liegt eine Oligometastasierung ins Hirn bei prognostisch günstigen Faktoren vor, kann durch eine Operation oder eine stereotaktische Bestrahlung eine langfristige Kontrolle dieser Metastasen erreicht werden.

Frage 655 Welche Nebenwirkungen können bei einer palliativen Strahlentherapie des gesamten Hirns auftreten? ●



akut: Müdigkeit, Kopfschmerzen (meist in milder Ausprägung), Haarausfall chronisch: Beeinträchtigung von Merkund Konzentrationsfähigkeit

Bei vorliegender Oligometastasierung ins Hirn, ausreichendem Allgemeinzustand des Patienten und Prognose der Erkrankung sollte die Möglichkeit einer stereotaktischen Bestrahlung der Hirnmetastasen geprüft werden. Eine längerfristige Kontrolle der Hirnmetastasen bei meist geringen Nebenwirkungen kann damit erreicht werden. Bei multiplen Metastasen kann eine Bestrahlung des gesamten Hirns mit Schonung der Hippocampusregion, so diese nicht betroffen ist, ein verbessertes neurokognitives Outcome bewirken. Die Gabe von Memantin während und nach Ganzhirnbestrahlung hat in verschiedenen Untersuchungen zu einem besseren Erhalt der neurokognitiven Funktionen geführt.

Häufige Indikation für eine palliative Strahlentherapie im Thoraxbereich sind nicht mehr kurativ behandelbare Lungenkarzinome und Ösophaguskarzinome bzw. deren Metastasen und mediastinale Metastasen anderer Primärtumoren. Wann sollte eine palliative Strahlentherapie erwogen werden? ●

Die häufigsten akuten Nebenwirkungen sind Müdigkeit/Abgeschlagenheit und gelegentliche Kopfschmerzen sowie ein vorübergehender Haarausfall im Bereich der Bestrahlungsfelder. Schnellere Ermüdbarkeit sowie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme werden längerfristig beobachtet. Neu auftretende schwere kognitive oder neurologische Beeinträchtigungen sind keine typischen Nebenwirkungen, sondern meist Symptomatik der progredienten Erkrankung.

Frage 656 Welche Möglichkeiten bestehen, die mögliche neurokognitive Beeinträchtigung durch eine Bestrahlung am Hirn zu vermindern? ●



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Frage 657



bei tumorbedingter Symptomatik, z. B. Dyspnoe, Hämoptysen, Schmerzen und Dysphagie durch eine Ösophagusstenose außerdem bei drohendem Verschluss eines Hauptbronchus oder einer drohenden Einflussstauung

Eine palliative Strahlentherapie sollte bei tumorbedingter Symptomatik oder drohender Symptomatik, z. B. bei absehbar baldigem Verschluss eines Hauptbronchus, eingeleitet werden. Asymptomatische nicht kurativ behandelbare Lungentumore bedürfen in der Regel keiner palliativen Strahlentherapie. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Strahlentherapie bei noch asymptomatischen Patienten zu keinem besseren Überleben führt, die Lebensqualität aber durch mögliche Nebenwirkungen temporär beeinträchtigt werden kann.

Prüfung der Möglichkeit der stereotaktischen Bestrahlung oder einer Bestrahlung des gesamten Hirns mit Hippocampusschonung medikamentöse Unterstützung durch z. B. Memantin

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Onkologie Frage 658 Bei Bestrahlung im Bereich des Mediastinums oder der Brustwirbelsäule kann eine radiogene Ösophagitis mit Schluckschmerzen auftreten. Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden? ● ●

vorübergehende Umstellung der Ernährung frühzeitige und konsequente medikamentöse Schmerzbehandlung

Eine akute Ösophagitis kann ab dem Ende der 2. Behandlungswoche (entspricht oft dem Ende einer palliativen Strahlentherapie) einer fraktionierten Strahlentherapie im Thoraxbereich bei kumulativen Strahlendosen von 20–30 Gy auftreten und einige Tage bis Wochen anhalten. Dem Patienten sollte eine vorübergehende Umstellung der Ernährung empfohlen werden: Vermeiden stark gewürzter, heißer und säurehaltiger Speisen, Vermeidung von Alkohol und Rauchen; weiche Kost. Lokalanästhetika wie z. B. visköses Lidocain (Xylocain viskös 2 %) oder Oxetacain können versucht werden. Periphere Analgetika (NSAR) und bei starken Schmerzen auch opioidhaltige Schmerzmittel sollten temporär verordnet werden. Opportunistische Pilzinfektionen können die Symptomatik verstärken und sollten mit lokal wirksamen Antimykotika behandelt werden.

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Frage 659 Wie ist die Durchführung kombinierter Radiochemotherapien in der Palliativsituation zu bewerten? Eine kombinierte Radiochemotherapie ist bei Tumoren mit hoher Metastasierungsrate und gleichzeitiger lokaler Problematik zu erwägen; dabei muss die Therapietoxizität gegen den Nutzen individuell abgewogen werden. Kombinierte Radiochemotherapien haben ein höheres Potenzial für akute Nebenwirkungen. Sie sind daher in der Palliativsituation kritisch zu prüfen. Die Vor- und Nachteile einer solchen Therapie müssen individuell abgewogen werden. Bei ausreichend gutem Allgemeinzustand kann bei einem Tumor mit hoher Metastasierungsrate und gleichzeitig bestehenden lokalen Symptomen, wie z. B. Dysphagie bei metastasiertem Ösophaguskarzinom, eine Radiochemotherapie erwogen werden. Für eine kombinierte

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Behandlung spricht hier eine schnellere Remission lokaler Symptome bei gleichzeitiger systemischer Wirkung auf vorhandene Fernmetastasen. Empfehlungen zur kombinierten Radiochemotherapie sollten prinzipiell über ein interdisziplinäres Tumorboard bestätigt werden.

Frage 660 Bei einem Patienten unter laufender Immuntherapie ergibt sich die Notwendigkeit einer Strahlentherapie. Wie verhalten Sie sich? ●



Recherche bezüglich möglicher Risiken durch Kombinationsbehandlung, um ggf. die Strahlentherapie anzupassen Pausieren des Medikamentes oft problematisch bzw. nicht sinnvoll

Zu vielen der neueren eingesetzten Immuntherapeutika und anderen neuen Substanzklassen gibt es bisher keine oder nur wenige Untersuchungen, welche Risiken bei einer Kombinationsbehandlung mit Strahlentherapie bestehen. Absetzen oder Pausieren dieser Medikamente kann einen systemischen Progress der Erkrankung zur Folge haben und ist wegen der oft zeitverzögerten Wirkungen der Substanzen meist nicht sinnvoll. Eine enge Abstimmung mit den behandelnden Onkologen und Aufklärung des Patienten über ein eventuell erhöhtes Risiko und die unklare Datenlage sind erforderlich. Nach Möglichkeit sollten solche Behandlungen im Rahmen von klinischen Studien erfolgen.

6.1.3 Grundlagen nuklearmedizinischer Behandlungen Christian Menzel

Frage 661 Welche Therapie zur Behandlung metastasierender Schilddrüsenkarzinome gibt es? Die Therapie der Schilddrüsenkarzinome nach – soweit möglich – chirurgischer Resektion erreichbaren Tumorgewebes basiert auf der Radiojodtherapie, die auch in der Mehrzahl der Fälle einen kurativen Ansatz darstellt. Bei Patienten mit multifokal metastasierendem Geschehen kann in einigen Fällen eine vollständige Sanie-

Therapieverfahren rung nicht mehr erreicht werden. In diesem Fall erlaubt allerdings die sequenziell eingesetzte Radiojodtherapie eine deutliche Progressverlangsamung, teils über viele Jahre. Die Radiojodtherapie kann bei malignen Schilddrüsenerkrankungen angewandt werden, da diese Tumoren mehrheitlich noch die Anreicherung von Jodid als Kennzeichen des Ursprungsgewebes beibehalten haben. Die Therapie ist durch die orale Applikation einer Natriumjodid-131-Kapsel vergleichsweise einfach durchführbar. Dabei werden insbesondere bei metastasierendem Geschehen Dosen zwischen 3,7 und 11,1 GBq zum Einsatz gebracht. Vorteil der Therapie ist, dass über die γ-Komponente der Strahlung des Jod-131 eine Verteilung bzw. auch die Anreicherung des Medikaments in den Tumorzellen dargestellt werden kann. Die Therapie wurde früher unter endogener TSHStimulation durchgeführt, d. h. nach etwa 4-wöchigem Absetzen der Thyroxinsubstitution. Sie kann heute alternativ mittels exogener TSH-Stimulation und diesbezüglicher Anbindung von rekombinantem humanem TSH durchgeführt werden. Sollte im Verlauf oder bereits von Anfang an die Radiojodspeicherung in den Metastasen nicht ausreichend hoch sein, um einen suffizienten Therapieeffekt zu gewährleisten, kann eine Redifferenzierungstherapie mit dem Vitamin-D-Derivat 13-cisRetinsäure versucht werden. Normalerweise wird die Substanz oral in einer Dosis von 1,0–1,5 mg/kg Körpergewicht über etwa 6 Wochen gegeben. Anschließend wird unter laufender Medikation eine Hochdosis-Radiojodtherapie durchgeführt. In bis zu ¼ der Fälle kann so ein verbesserter Radiojod-Uptake in den Metastasen erzielt werden.

Frage 662 Welche nuklearmedizinischen Möglichkeiten der palliativen Schmerztherapie bei Knochenmetastasen gibt es? Knochenmetastasen werden mit verschiedenen Isotopen therapiert. Grundsätzlich handelt es sich um α- oder β-Strahler, die in den Knochenstoffwechsel einfließen und stoffwechselabhängig im Skelettsystem eingebaut werden.

α-Strahler wie Radium-223-chlorid haben eine extrem kurze Reichweite im Gewebe, entfalten dort aber eine große biologische Wirkung. Radium-223cholrid (Xofigo) ist zur Radiotherapie des sonst therapierefraktären, rein ossär metastasierten Prostatakarzinoms zugelassen. β-Strahler, die demgegenüber nur im Rahmen von Heilversuchen eingesetzt werden, haben typischerweise eine kurze bis mittlere Reichweite. Es werden in diesem Zusammenhang die Isotope des Rheniums (Rhenium-186, Rhenium-188), aber auch Samarium-153 und Strontium angewandt. Diese Isotope werden an osteotrope Radiopharmaka gebunden, die in Zonen aktivierten Knochenumbaus, z. B. im Randbereich von Knochenmetastasen, verstärkt eingelagert werden. Die β-Strahler führen dort zur Abgabe einer therapeutisch effektiven Strahlendosis auf die Oberfläche der Metastasen. Die Vorteile einer solchen Behandlung liegen in ihrer vergleichsweise einfachen Durchführbarkeit und insbesondere im systemischen Behandlungsansatz, der komplementär zu einer eventuellen Chemotherapie ist. Auch bei einer Vielzahl von Knochenmetastasen lassen sich diese mit dem systemisch intravenös applizierten Radiopharmakon sämtlich erreichen. Die Therapie kommt infrage für Patienten mit skelettszintigrafisch nachgewiesenen osteoplastischen Metastasen und therapierefraktären Schmerzen. Die Wirkung tritt protrahiert ein und ein vollständiger Therapieeffekt ist nach etwa 2– 4 Wochen zu erwarten.

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Frage 663 Welche nuklearmedizinischen Möglichkeiten zur Behandlung maligner Ergüsse gibt es? Maligne Ergüsse des Peritoneums oder Pleuraergüsse können mit Yttrium-90-markiertem Eiweißkolloid behandelt werden. Die Instillation von Yttrium-90-markierten Kolloiden in Ergusshöhlen malignen Ursprungs ist in der letzten Zeit etwas aus dem klinischen Fokus gerückt. Die Ergebnisse sind jedoch mit Ansprechraten von bis zu 80 % verhältnismäßig günstig. Jedoch ist über die zeitlich verzögerte Strahlenwirkung auch der Wirkungseintritt etwas verzögert. Appliziert werden in diesen Indikationen 2–4 GBq Yttrium-90. Dabei handelt es sich um einen reinen β-Strahler mit 2,7 Tagen Halbwertszeit.

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Onkologie Frage 664 Wie können neuroendokrine Tumoren nuklearmedizinisch therapiert werden? Neuroendokrine Tumoren, insbesondere Phäochromozytome, werden in der Nuklearmedizin mit MIBG (Jod-131-Metajodbenzylguanidin) behandelt. Der Aufnahmemechanismus ist über den Co-Transport von MIBG über den Noradrenalintransporter gegeben. Die Speicherung des Radiopharmakons erfolgt bei Phäochromozytomen in den neurosekretorischen Granula, bei Neuroblastomen im Zytoplasma. Der Uptake schwankt stark in Relation zum Differenzierungsgrad der Tumoren. Medikamente, die mit einer Aufnahme von MIBG interferieren, müssen 1–2 Wochen vor der Behandlung abgesetzt werden. Dies betrifft insbesondere Reserpin und Kalziumkanalblocker, aber auch trizyklische Antidepressiva, Sympathomimetika und Kokainderivate. Die Therapie erfolgt unter stationären Bedingungen. Bei gutem Ansprechen kann die Behandlung in 4- bis 6-wöchentlichen Intervallen wiederholt werden. Limitationen sind die Nebenwirkungen, insbesondere die Entscheidung über eine Wiederholung der Behandlung nach radiogener Beeinträchtigung der Hämatopoese, sodass man sich in diesem Fall nach der Thrombozytenzahl richten muss.

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Frage 665 Wie können neuroendokrine Tumoren therapiert werden, die somatostatinrezeptorpositiv sind? Tumoren mit Expression oder Überexpression von Somatostatinrezeptoren werden mittels rezeptoraffiner Peptide bzw. der sog. Radiopeptidtherapie behandelt. Hintergrund der Therapie ist die spezifische Bindung von Octreotid oder DOTATOC an Somatostatinrezeptoren. Vorteilhaft ist dabei, dass zunächst im Rahmen einer normalen Szintigrafie die Affinität des Tumorgewebes auf den Rezeptor dargestellt werden kann. Dann kann z. B. die Therapie unter Verwendung des gleichen Peptids, jedoch nach Bindung an z. B. Yttrium-90 oder Lutetium-177, durchgeführt werden. Die Therapie ist vergleichsweise einfach durchführbar, weist aber eine nicht unerhebliche

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Nephrotoxizität auf. In diesem Zusammenhang kann sich die Infusion von Aminosäurelösungen, die Lysin und Arginin enthalten, positiv auswirken. Denn diese Infusionen vermindern die renale Reabsorption des Radionuklids und sukzessive entsprechend die Strahlendosis auf den Nieren. Dieser Ansatz ist insbesondere bei repetitiven Therapien sinnvoll. Mittels Radiopeptidtherapie lässt sich bei neuroendokrinen Tumoren auch bei multiplen Filiae bei bis zu etwa ein Viertel bis ein Drittel der Patienten eine partielle Remission erzielen. Es sind auch Einzelfälle kompletter Remissionen beschrieben worden.

Frage 666 Welche Therapie zur Behandlung myeloproliferativer Erkrankungen gibt es in der Nuklearmedizin? Insbesondere zur Behandlung der Polycythaemia vera, aber auch der essenziellen Thrombozythämie, eignet sich die Applikation von Phosphor32-dihydrogenphosphat. Die Therapie mit dem reinen β-Strahler Phosphor-32 (Halbwertszeit: 14,3 Tage), der in Nukleinsäuren eingebaut wird, erzielt einen antiproliferativen Effekt. Die Behandlung kommt insbesondere bei älteren Patienten zum Einsatz, bei denen eine zytoreduktive Therapie nicht suffizient wirkt. Jüngere Patienten sollten aufgrund der relativen Risikoerhöhung für die Entwicklung eines myelodysplastischen Syndroms nur nach strenger Indikationsstellung behandelt werden. Die Mehrzahl der Patienten zeigt innerhalb von 3–4 Monaten nach der Therapie eine komplette Remission, die sich auch für die Folgejahre aufrechterhalten lässt. Eventuell kombiniert mit einer Erhaltungstherapie mit einem Hydroxyureapräparat lässt sich diese gut verträgliche Behandlung in das Spektrum der Therapieoptionen gut integrieren.

Frage 667 Welche nuklearmedizinische Behandlung gibt es zur Therapie des inoperablen hepatozellulären Karzinoms oder zur palliativen Therapie von disseminierten Leberfiliae? Die Therapie erfolgt über eine selektive interne Radiojodtherapie durch Applikation von Yttrium-90-gebundenen Mikrosphären oder von Jod-

Therapieverfahren 131-Lipiodol nach selektiver Angiografie der Leberarterie. Die Therapie dieser Erkrankungen erfolgt im palliativen Therapieansatz mittels selektiver arterieller Applikation der Radiopharmaka in die die Tumoren versorgende Leberarterie. Das Wirkprinzip beider Radiopharmaka basiert auf einer protrahierten Speicherung bzw. arteriellen Kapillarenblockade und konsekutiver Freisetzung der β-Strahlung. Die Therapie korreliert mit dem Gesamttumorvolumen. Beide Verfahren sind insbesondere dann gut einsetzbar, wenn sie entsprechend frühzeitig in die Differenzialtherapie integriert werden können. Große Tumorvolumina zeigen ein nur schlechtes Ansprechen.

6.1.4 Komplementärmedizin Karsten Münstedt

Frage 668 Was versteht man unter „Alternativmedizin“ und was ist davon zu halten? Es gibt keine einheitliche Definition. Allerdings versteht man unter Alternativmedizin meist Methoden, die anstatt der konventionellen Medizin angewendet werden. Alternativmediziner lehnen zumeist die konventionelle Medizin ab und haben eigene Theorien zur Krankheitsentstehung und -behandlung entwickelt. Dabei überprüfen sie ihre Methoden nicht nach wissenschaftlichen Kriterien und berufen sich auf ihre angeblichen positiven Erfahrungen. Mittlerweile liegen einige Untersuchungen vor, die allesamt belegen, dass es für Patienten hinsichtlich des Gesamtüberlebens nachteilig ist, wenn sie sich alternativmedizinisch behandeln lassen

Frage 669 Was versteht man unter „Komplementärmedizin“ und was ist davon zu halten? Es gibt keine einheitliche Definition. Überwiegend werden unter Komplementärmedizin Methoden verstanden, die ergänzend zur konventionellen Medizin eingesetzt werden. Während die Alternativmedizin die konventionelle Medizin

gänzlich ablehnt, ist ein Komplementärmediziner bemüht, die Methoden der konventionellen Medizin wirksamer zu machen und/oder deren Nebenwirkungen zu verringern. Prinzipiell ist dies ein sinnvoller Ansatz. Allerdings zeigt die Literatur, dass es auch infolge der Komplementärmedizin zu Verzögerungen bei der Diagnostik und Therapie kommt. Auch birgt die Komplementärmedizin neben möglichen direkten negativen Wirkungen Probleme wie Arzneimittelinteraktionen mit sich. Eine evidenzbasierte und damit sinnvolle komplementäre Therapie wird nur in wenigen Fällen realisiert.

Frage 670

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Was versteht man unter „integrativer Medizin“ und was ist davon zu halten? Nach dem Consortium of Academic Health Centers for Integrative Medicine (2004) versteht man unter „integrativer Medizin“ die Praxis, „die die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient betont, sich auf die ganze Person fokussiert, auf Evidenz stützt und alle relevanten therapeutischen Möglichkeiten, Gesundheitsberufe und -disziplinen nutzt, um optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen“ (Witt et al. 2017 [59]). Prinzipiell ist die integrative Medizin ein sinnvoller Ansatz, jedoch verwenden viele andere Definitionen bzw. bezeichnen alternative Methoden als integrativ, so dass man nicht davon ausgehen darf, dass unter diesem Label dem Anspruch auf Evidenz ausreichend Rechnung getragen wird.

Frage 671 Gibt es komplementäre oder integrative Methoden, die sinnvoll eingesetzt werden können? Verschiedene Methoden (z. B. Selen-, Vitamin-DSupplementation) können die konventionelle Therapie sinnvoll ergänzen. Manche die klassische Medizin begleitende Therapien könnten durchaus sinnvoll sein. Selen und Vitamin D scheinen für die Wirksamkeit von onkologischen Therapien wichtig zu sein und führen bei Mangelsituationen zu mehr unerwünschten Wirkungen. Insofern erscheinen Bestimmungen der Serumspiegel als sinnvoll. Je nach Tumorentität kön-

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Onkologie nen auch spezifische Interventionen möglicherweise sinnvoll sein, z. B. grüner Tee und Soja beim Mammakarzinom. Auch im Bereich der supportiven Therapie finden sich interessante Ansätze, z. B. Honig bei chemotherapieinduzierter Mukositis.

Frage 672 Wo findet man seriöse Informationen zur komplementären und integrativen Medizin? Unlängst wurde die S 3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer Patient*innen“ veröffentlich (Leitlinie Komplementärmedizin). Auch die S 3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen Patient*innen“ (Leitlinie Supportivtherapie) sowie gesonderte Kapitel in den einzelnen Leitlinien (z. B. Zervixkarzinom, Mammakarzinom) enthalten Kapitel zum Thema der alternativen, komplementären und integrativen Medizin. Eine Beratung von Patienten sollte auf der Basis der in den Leitlinien veröffentlichten Erkenntnisse erfolgen.

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Frage 673 Sollten Tumorpatienten grundsätzlich Vitamine und Spurenelemente einnehmen?

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Frage 674 Gibt es Diäten, die bei Tumorpatienten sinnvoll sind? Für die meisten Tumorpatienten ist eine ausgewogene Diät sinnvoll. Sie allein schützt vor Mangelsituationen. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollten berücksichtigt werden. Bei nachgewiesenem Mangel an Vitaminen sollte, wenn möglich, eine diätetische Behandlung der Vorzug gegenüber einer Supplementation des Vitamins allein gegeben werden. Im Bereich der alternativen Medizin erheben einige Verfahren den Anspruch, maligne Tumoren heilen zu können. Auch wenn ein Tumor unter Nahrungskarenz sein Wachstum verlangsamen kann, kann ein Tumor nicht ausgehungert werden. Bei einseitiger Ernährung besteht die Gefahr, dass dem Körper essenzielle Nahrungsbestandteile fehlen. Das kann seine Widerstandskraft herabsetzen. Manche ausgewogenen Krebsdiäten wie die Öl-Eiweiß-Kost nach Budwig sind unbedenklich, wenngleich sie keine Vorteile in Bezug auf die Tumorerkrankung haben.

Frage 675

Die Einnahme von Vitaminen und Spurenelementen ist nur dann zu empfehlen, wenn ein Mangel nachgewiesen ist.

Was ist bei der Anwendung von komplementären Methoden während der Chemotherapie zu beachten (Interaktionen)?

Der tägliche Bedarf an Vitaminen und Spurenelementen sollte über die tägliche gesunde Ernährung gedeckt werden. Im Fall nachgewiesener Mangelsituationen, die diätetisch nicht auszugleichen sind, erscheint eine gezielte Substitution sinnvoll. Ansonsten verdichten sich die Hinweise, dass eine unnötige Vitamingabe sich nachteilig auswirken kann. Beispielsweise verkürzt sich die Lebenszeit bei unnötiger Supplementierung von Vitamin A und anderen Antioxydanzien. Darüber hinaus ist die Gabe von Antioxydanzien parallel zur Chemotherapie und Bestrahlung umstritten, da es möglich ist, dass die Antioxydanzien den Therapieerfolg zunichtemachen.

Vor, während und unmittelbar nach der Chemotherapie sollte auf Maßnahmen der komplementären Medizin verzichtet werden, es sei denn, es gibt abgesicherte Daten für einen sicheren und sinnvollen Einsatz (keine Wirksamkeitsabschwächung, keine erhöhte Toxizität). Eine Chemotherapie ist ein gezielter Versuch, die Tumorzelle so zu schädigen, dass sie ihr Apoptoseprogramm initialisiert. Methoden der komplementären Medizin können den Zytostatikastoffwechsel beeinträchtigen. Zu geringerer Wirksamkeit kommt es durch ● verminderte Umwandlung von Prodrugs in die aktiven Metaboliten ● vermehrte Inaktivierung des Zytostatikums ● vermehrtes Ausschleusen des Zytostatikums aus den Zellen

Therapieverfahren

Zu erhöhter Toxizität kommt es bei vermehrter Umwandlung von Prodrugs in die aktiven Metaboliten oder bei verminderter Inaktivierung des Zytostatikums. Eine komplementäre Therapie während der Chemotherapie sollte mit dem behandelnden Arzt abgestimmt werden.

Da komplementäre Methoden meist als Dauertherapie Anwendung finden, können diese die Wirksamkeit beeinträchtigen. Eine komplementäre Therapie während der Hormontherapie sollte mit dem behandelnden Arzt abgestimmt werden.

Frage 678 Frage 676 Was ist bei der Anwendung von komplementären Methoden während der Strahlentherapie zu beachten (Interaktionen)? Während der Strahlentherapie sollte auf die Anwendung von Antioxydanzien verzichtet werden. Eine Supplementation von Selen, insbesondere bei Selenmangel, erscheint sinnvoll. Bei der Strahlentherapie werden gezielte Zellschäden gesetzt, die die Tumorzelle veranlassen sollen, das Apoptoseprogramm zu starten. Die Gabe von Antioxydanzien (Vitaminen) kann die Wirksamkeit der Strahlentherapie herabsetzen. Selen und grüner Tee reduzieren bei Strahlentherapie im Bereich des Abdomens die Wahrscheinlichkeit von Durchfällen ohne nachteiligen Einfluss auf das Überleben und sind deshalb sinnvoll. Bei Hautreizungen haben sich Honig oder die Kombination von Honig mit Pentoxifyllin als sinnvoll erwiesen. Eine komplementäre Therapie während der Bestrahlung sollte mit dem behandelnden Arzt abgestimmt werden.

Frage 677 Was ist bei der Anwendung von komplementären Methoden während der Hormontherapie zu beachten (Interaktionen)? Zahlreiche Substanzen beeinträchtigen die Wirkung von Hormontherapien. Sojaflavonoide (Genistein), Extrakte der Traubensilberkerze, Keuschlammfrüchte, Omega-3-Fettsäuren, Knoblauch, Ginseng, Rosenwurz, Gingko, Echinacin und Baldrian wirken am Steroidhormonrezeptor. Die Wirksamkeit der Aromatasehemmer kann durch Trauben und Traubenkernextrakte, Zuchtchampignons, Granatäpfel, flavonoide Substanzen und nicht flavonoide phenolische Substanzen (Lignane, Resveratrol) beeinträchtigt werden.

Woran erkennt man ein seriöses Angebot der Beratung zu Komplementär- und Alternativtherapien? Es ist schwer, seriöse von unseriösen Angeboten zu trennen. Anbieter unseriöser Methoden verbrämen ihre Konzepte oft pseudowissenschaftlich und im ersten Moment klingen Konzepte womöglich plausibel. Eine Literaturrecherche zeigt meist schnell, ob zu einem Verfahren Daten vorliegen oder nicht.

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Scharlatanerie bzw. Quacksalberei werden umso wahrscheinlicher, je mehr der folgenden Beschreibungen zutreffen: ● exotische Herkunft ● Heilversprechen, wenn die Schulmedizin versagt ● keine Studiendaten, angeblich durch umfangreiche Erfahrungen „untermauert“ ● Wirksamkeit bei einer Vielzahl verschiedener Erkrankungen, die nichts miteinander zu tun haben ● Hinweis auf regelmäßige Erfolge der Methode und Verweis auf Misserfolge der Schulmedizin ● an einzelne Personen, Institutionen oder Hersteller gebunden, die „die Therapie entwickelt“ haben und daran verdienen ● Produkt ohne Nebenwirkungen oder in der Lage, die Nebenwirkungen von schulmedizinischen Verfahren aufzuheben ● komplizierte, strenge Vorschriften bzw. schwierige Anwendung; Zurückführung von Misserfolgen auf Anwendungsfehler ● Verwendung schon seit Jahren oder Jahrzehnten, ohne offiziell anerkannt zu sein ● Hinweis darauf, dass es unverständlich sei, wieso keine Zulassung als Arzneimittel existiere

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Onkologie Frage 679 Wie sieht ein sinnvolles Konzept der Behandlung bei strahlen- und/oder chemotherapiebedingter oraler Mukositis aus? Ein solches Konzept, das hier stellvertretend für andere Probleme unter konventioneller Therapie steht, berücksichtigt den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis. Danach sollte hier eine ● Basistherapie (regelmäßige Mundspülung, Pflege der Zähne mit einer weichen Zahnbürste, Reinigung der Zahnzwischenräume mit Zahnseide und/oder Interdentalbürsten, Vermeidung von schädlichen Substanzen (Alkohol, Tabak, scharfe und heiße Speisen, säurehaltige Lebensmittel) [42] erfolgen, die ergänzt werden kann durch ● das vorbeugende Lutschen von Eiswürfeln während der Chemotherapie (Evidenz Metaanalyse), ● die Einnahme von Honig (mehrmals täglich, aber kein Manukahonig), der über ca. eine halbe Minute im Mund gehalten werden soll (Evidenz Metaanalyse, Empfehlung der MASCC), ● die Anwendung der Low-Level-Lasertherapie (Kaltlichtlaser) (Evidenz Metaanalyse), ● Kamille- und/oder Pfefferminz-Extrakte, evtl. in Kombination mit Thymian, (Leitlinie) sowie ● eine professionelle Mund- und Zahnreinigung sowie die Beratung zu Ernährung und Lebensstil (Leitlinie).

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Frage 680 Wie soll man mit dem Problembereich der komplementären Methoden umgehen? Bereits vor etwa 30 Jahren hat Klimm Ratschläge zum Umgang mit komplementären und alternativen Methoden gegeben [34]. Klimm erklärte, dass ● die klassische Medizin die Grundlage des ärztlichen Handelns sei und bleibe ● paramedizinische Lehren und Methoden als existent, permanent und zunehmend immanent betrachtet werden müssten ● das Verkennen paramedizinischer Methoden Ignoranz und Arroganz bedeutet, hingegen die

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Information darüber einen Zuwachs an Wissen darstellt Wissen und Aufklärung des Patienten über paramedizinische Methoden eine ebenso zwingende Notwendigkeit darstellen wie die Aufklärung des Patienten über medizinische Fakten stete Gesprächsbereitschaft und Offenheit wichtig seien paramedizinische Methoden bei gesicherter klinischer Methodik strikt abgelehnt werden müssen paramedizinische Methoden toleriert werden können, wenn laufende medizinische Verfahren nicht gefährdet würden unschädliche paramedizinische Methoden akzeptiert werden sollten, wenn medizinische Methoden keine Aussicht auf Erfolg zeigen paramedizinisch tätige ärztliche und nicht ärztliche Kollegen kritisch beobachtet und registriert werden sollten bewusst nur paramedizinisch tätige Ärzte abgelehnt und bekämpft werden sollten, solange der Beweis der Wirksamkeit vorenthalten werde

Frage 681 Welche Gefahren können mit einer alternativen oder komplementären Therapie verbunden sein? Die Frage muss getrennt für alternative und komplementäre Therapien beantwortet werden. Für alternative, die konventionelle Medizin ersetzende Methoden gilt: ● Verpassen einer kurativen Therapiesituation: Infolge von Verzögerungen können sich Situationen ergeben, die später nur noch palliative Zielsetzungen zulassen. ● Schädliche Inhaltsstoffe: In manchen Kräutermedizinen wurden giftige oder karzinogene Inhaltsstoffe nachgewiesen. ● Finanzielle Belastung: Patienten wenden zum Teil erhebliche Summen für alternative Methoden auf (bis zu 100 000 €). Bei komplementärer Therapie stehen neben den oben genannten Problemen Interaktionen zwischen dem Therapeutikum aus der komplementären und alternativen Medizin und der konventionellen Therapie im Vordergrund (Häufigkeit: 40–70 %).

Tumoren/Erkrankungen Frage 682 Gibt es allgemeine Maßnahmen, die nach Abschluss der Behandlung einer Tumortherapie sinnvoll sind? Sport, Gewichtsnormalisierung und gesundes Essen können jedem Tumorpatienten empfohlen werden. Der Verzicht auf Rauchen und exzessives Alkoholtrinken ist ebenfalls sinnvoll. Speziellere Empfehlungen sollten die Tumorentität berücksichtigen. Bei genetischer Ursache einer Krebserkrankung sollten ggf. die Möglichkeiten präventiver Chirurgie genutzt werden. Spezielle Empfehlungen zu komplementärmedizinischen Ansätzen müssen die Daten zu den verschiedenen Tumorentitäten berücksichtigen. Beispielsweise kann bei Brustkrebs die Gabe von Kalzium und Vitamin D sowie von grünem Tee angeraten werden, beim Ovarialkarzinom erscheinen Tee und eine Diät mit besonderer Berücksichtigung von Kohlgemüse als sinnvoll.

Intraabdominelle Tumoren können je nach Lokalisation und Ausmaß vielfältige Komplikationen mit sich bringen, die durch direkt infiltratives Wachstum, intramurale oder intraluminale Ausbreitung oder Kompression die Funktion von Organen und Versorgungsstrukturen behindern, schädigen oder dauerhaft zerstören. Eines der Ziele der Palliativmedizin ist es, für den Erhalt einer bestmöglichen Lebensqualität die mit den Komplikationen verbundenen Symptome und Einschränkungen möglichst zu antizipieren, um frühzeitig angemessen intervenieren zu können.

Frage 684

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6.2 Tumoren und Erkrankungen 6.2.1 Abdominale Tumoren Karin Jaroslawski, Gerhild Becker

Frage 683 Welche Komplikationen im Bereich des Abdomens und des Beckens können im Rahmen intraabdomineller Tumormanifestationen auftreten? ●

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maligne Obstruktionen im gastrointestinalen und urogenitalen Trakt Aszites Gerinnungsstörungen Blutungen Venöse und lymphatische Abflussstörungen der unteren Körperhälfte Perforationen und Fistelbildungen Leber- und Nierenversagen Peritonitis und andere Infektionen

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Welche Therapieoptionen bestehen beim Auftreten von rasch nachlaufendem malignem Aszites? Parazentesen ggf. medikamentöser Ausschwemmversuch Anlage von Dauerdrainagen Anlage peritoneovenöser Shunts Anlage peritoneovesikaler Pumpen intraperitoneale Medikamenteninstillation

Die Therapie des malignen Aszites kann entweder konservativ medikamentös oder interventionell erfolgen. Für die Wirkung von Diuretika bei malignem Aszites liegt bislang keine Evidenz vor, ein Therapieversuch kann aber durchaus sinnvoll sein. Jedoch sind auch für die Auswahl des Diuretikums keine ausreichenden Studien vorhanden. Deshalb kann wie bei zirrhosebedingtem Aszites bei einem SerumAszites-Albumin-Gradienten von mehr als 1,1 g/dl ein Versuch mit entweder Spironolacton alleine oder in Kombination mit einem Schleifendiuretikum unternommen werden. Die Erfolgsaussicht scheint dabei bei Lebermetastasen als Ursache des Aszites größer zu sein als bei Peritonealkarzinose als zugrunde liegender Ursache. Ausgeprägte Beschwerden können neben einer geeigneten Analgesie eine Parazentese erforderlich machen. Dabei können in der Regel bis zu 5 l abgelassen werden, ohne dass dabei Flüssigkeit substituiert werden müsste. Für eine Albuminsubstitution besteht keine Evidenz. Dauerdrainagesysteme sind sinnvoll bei rasch nachlaufendem Aszites, der eine hohe Punktionsfrequenz erforderlich machen würde.

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Onkologie Der Schmerzcharakter, die Art und Weise des Erbrechens sowie der Verlauf der Stuhlentleerung können Hinweise geben.

Frage 685 Bei Ihrem Patienten mit hepatisch metastasiertem Kolonkarzinom, der sich unter einer laufenden Tumortherapie befindet, zeigt sich bei einer Laboruntersuchung, dass die Transaminasen massiv erhöht sind. Welche naheliegenden Differenzialdiagnosen würden Sie bedenken? ● ● ● ●



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▶ Tab. 6.1 gibt einen Überblick über den Bezug auftretender Symptome zur Lokalisation der Stenose.

Frage 687

Progredienz der Lebermetastasen Lebervenenthrombosen toxische Medikamentennebenwirkungen Autoimmunhepatitis durch eine Immuntherapie akute Hepatitis durch Viren oder andere Erreger

Ein Patient mit einem hepatisch und lymphogen metastasierten Pankreaskopfkarzinom entwickelt einen zunehmenden Ikterus sowie Fieber und Schüttelfrost. Welche Optionen zum weiteren Vorgehen besprechen Sie mit dem Patienten? ●

Zu berücksichtigen ist immer, dass es sich auch um ein „Mischbild“, d. h. die Kombination verschiedener Ursachen handeln kann. Bei Verdacht auf Autoimmunhepatitis durch einen Immun-Checkpoint-Inhibitor werden andere Ursachen (Hepatitisviren, CMV, EBV, HSV) ausgeschlossen und der Verdacht ggf. durch eine Biopsie verifiziert. Bei Verdacht auf Progress der Grunderkrankung oder auf ein thrombotisches Geschehen (z. B. Budd-Chiari-Syndrom) ist eine bildgebende Diagnostik sinnvoll. Weiterhin sollte ein Medikamentenscreening auf potienziell hepatotoxische Nebenwirkungen erfolgen.

Frage 686 Können Sie anhand der Symptomatik bei Vorliegen einer Tumorerkrankung einen Dünndarmileus von einem Dickdarmileus unterscheiden?



Antibiotikatherapie nach Asservierung von Blutkulturen und Wiederherstellung des Galleabflusses durch ERCP mit Stent-Einlage oder, falls ersteres nicht möglich, durch PTCD rein symptomatische Therapie mit fiebersenkenden Maßnahmen und Behandlung eines möglichen Pruritus

Ziel der Therapie wäre die Wiederherstellung des Galleabflusses sowie die Behandlung der Cholangitis bzw. der cholangiogenen Blutstrominfektion. In manchen Fällen ist die endoskopische Einlage eines Metall- oder Kunststoffstents nicht möglich, sodass als Alternative eine perkutane transhepatische Cholangiodrainage eingelegt werden könnte. Mit dem Patienten wäre zu besprechen, ob er generell in dieser Situation noch weitere potenziell lebensverlängernde Maßnahmen überhaupt wünschen würde oder ob eine Therapiezieländerung hin zur rein symptomlindernden Therapie vorgenommen werden sollte.

Tab. 6.1 Symptome bei maligner intestinaler Obstruktion.

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Symptome

Duodenum

Sonstiger Dünndarm

Kolon

Erbrechen

Frühsymptom große Mengen, im Schwall unverdaute Nahrung, gallig

große Mengen Miserere

Spätsymptom

Schmerzen

häufig keine evtl. Druckgefühl im Oberbauch, Völlegefühl

kolikartig im Epigastrium oder periumbilikal mäßige Blähungen

periumbilikal oder im Unterbauch aufgetriebenes, geblähtes Abdomen

Stuhlgang

anfänglich noch normale Stuhlentleerungen möglich

anfänglich noch Stuhlentleerungen möglich

kein Stuhl in der Ampulle in der Regel kein Stuhlgang mehr ggf. noch paradoxe Diarrhö

Tumoren/Erkrankungen Frage 688 Eine Patientin mit einem fortgeschrittenen Weichteilsarkom des kleinen Beckens mit Infiltration der ossären Strukturen, insbesondere des Sakrums, stellt sich bei Ihnen mit progredienten Schmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine sowie mit einer neu aufgetretenen Stuhlinkontinenz vor. Außerdem hat sie seit dem Vortag keinen Urin mehr ausgeschieden. Was sind die nächsten Schritte, die Sie unternehmen? Diagnostik: ● körperliche Untersuchung inkl. rektaler Untersuchung und neurologischem Status ● Sonografie der Harnblase ● MRT LWS/Sakrum Therapie: ● hochdosierte Steroidtherapie ● je nach MRT-Befund Vorstellung Neurochirurgie und Strahlentherapie ● bei Blasenentleerungsstörung: Anlage eines transurethralen Blasendauerkatheters ● Schmerztherapie Bei der Patientin besteht der hochgradige Verdacht auf ein Cauda-equina-Syndrom bedingt durch direkte Tumorinfiltration. Der Verdacht wird erhärtet durch den Befund einer Reithosenanästhesie, einen erniedrigten Sphinktertonus sowie den sonografischen Befund eines Harnverhalts. Dies ist ein palliativmedizinischer Notfall. Es sollte daher schnellstmöglich eine MRT erfolgen, anschließend der Einbezug einer neurochirurgischen und strahlentherapeutischen Expertise, idealerweise im Rahmen einer gemeinsamen Besprechung. Überbrückend erhält die Patientin einen Steroidstoß, in der Regel mit hochdosiertem Dexamethason, Ziel ist die Verhinderung dauerhafter neurologischer Ausfälle. Entscheidet sich die Patientin gegen eine Intervention, kann ggf. durch die Steroidtherapie eine allerdings nur vorübergehende Verbesserung der Symptomatik erreicht werden.

Frage 689 Welche interventionellen Möglichkeiten stehen Patienten mit Tumorstenosen im Gastrointestinaltrakt als Therapieoption zur Verfügung?

Endoskopisch können eine thermische oder chemische Ablation, eine Ballondilatation oder die Einlage selbstexpandierender Stents durchgeführt werden. Falls keine Wiederherstellung der Passage möglich sein sollte, kann die Anlage einer PEG zum Ablauf erfolgen. Die thermische Ablation erfolgt mittels Laser oder Argon-Plasma-Koagulation, die chemische Ablation durch Unterspritzung mit zytotoxischen Substanzen oder fotodynamische Therapie. Letztere ist aber nur begrenzt verfügbar. Je nach Lokalisation der Stenose kommen die unterschiedlichen Verfahren entweder einzeln oder in Kombination zur Anwendung.

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Frage 690 Die Ausbildung enterokutaner Fisteln im Rahmen einer ausgedehnten intraabdominellen Tumormanifestation kann eine für den betroffenen Patienten erheblich beeinträchtigende Komplikation darstellen. Welches sind typische Begleitsymptome oder Folgezustände enterokutaner Fisteln? Dies sind Flüssigkeits- und Elektrolytverschiebungen mit der Komplikation des akuten Nierenversagens, mit Hautirritationen, Geruchsbelastung, Ausbildung von Abszessen, Peritonitis und Sepsis, aber auch mit Schmerzen und Blutungen. Je nach Lokalisation des betroffenen Darmabschnitts werden enterokutane Fisteln mit High- oder LowOutput unterschieden. Das hat wiederum Auswirkungen auf die zu erwartenden Komplikationen. Zu berücksichtigen ist auch die Schwierigkeit einer adäquaten und zufriedenstellenden Fistelversorgung. Betroffene Patienten erfahren oft erhebliche Einschränkungen in ihren Alltagsaktivitäten und sozialen Kontakten.

Frage 691 Das Vorliegen welcher Kriterien spricht gegen die Durchführung einer Operation bei kompletter maligner intestinaler Obstruktion? ● ● ● ●

vorausgegangene Operation mit Inoperabilität ausgedehnte intraabdominelle Tumorlast multiple Obstruktionen große Mengen von rasch nachlaufendem Aszites

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Onkologie Die eindeutige Formulierung absoluter Kontraindikationen gestaltet sich schwierig, ist doch die Entscheidung für oder gegen ein operatives Vorgehen nicht nur vom Gesamtzustand des Patienten und dessen Vorbehandlung, sondern auch von der noch zu erwartenden Lebenszeit abhängig. Die Komplikationsrate palliativer operativer Eingriffe ist nicht unerheblich und die operative Mortalitätsrate wird mit zwischen 5 und 30 % angegeben. Deswegen können diese Entscheidungen nicht anhand vorformulierter Kriterien allein getroffen werden.

Frage 692 Ihr Patient, der an einem hepatisch metastasierten Rektumkarzinom leidet, setzt peranal hellrotes Blut ab. Sie gehen von einer Tumorblutung im Bereich des im Becken infiltrierend wachsenden Tumorrezidivs aus. Welche diagnostischen und therapeutischen Schritte erwägen Sie zunächst?

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Klärung der Behandlungswünsche des Patienten Laborkontrolle und Kreuzblut Kreislaufüberwachung Endoskopie zur Detektion der Blutungsquelle mit lokaler Blutstillung, wenn möglich

Entscheidend für das weitere Vorgehen sind das Ausmaß der Erkrankung und die Behandlungswünsche des Patienten. Endoskopische Verfahren sind schnell verfügbar und bringen für den Patienten eine verhältnismäßig geringe Belastung mit sich. Dennoch kann der Patient sich gegen die Einleitung jeglicher Maßnahmen aussprechen, sodass Begleitung und medikamentöse Symptomkontrolle in den Vordergrund rücken. Konservative Maßnahmen wie die Stabilisierung der Gerinnung und die systemische Gabe von Antifibrinolytika (Tranexamsäure) können zum spontanen Sistieren der Blutung beitragen.

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Im Rahmen der Therapieplanung bei Tumorpatienten gilt es in Vorausschau der möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen unter Berücksichtigung des Allgemeinzustands und der Behandlungswünsche des Patienten, eine Risiko-Nutzen-Abwägung vorzunehmen. Auf diesem Weg ist es möglich, zu einer auf den Patienten und dessen Lebensumstände maßgeschneiderten Therapieentscheidung zu gelangen. Wird eine Bestrahlung durchgeführt, gelten die gleichen Grundsätze wie bei den zytostatikainduzierten Nebenwirkungen, nämlich dass wahrscheinlich auftretende Symptome möglichst vorausschauend prophylaktisch behandelt werden.

Frage 694 Ein Patient mit einem progredienten multilokulären hepatozellulären Karzinom auf dem Boden einer äthyltoxischen Leberzirrhose Child B hat sich gegen eine weitere Tumortherapie entschieden. Er möchte von Ihnen wissen, welche Symptome und Beschwerden bei weiterem Progress der Erkrankung auf ihn zukommen könnten. ● ● ● ● ● ● ●

Frage 693 Welche Nebenwirkungen erwarten Sie im Rahmen einer Strahlentherapie von Tumoren mit Lokalisation im Abdomen?

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Übelkeit und Erbrechen abdominale Krämpfe Diarrhö mit oder ohne Blutungen Inappetenz Resorptionsstörungen Gewichtsverlust Veränderungen an Harnorganen Stuhl- und Harninkontinenz narbige Stenosen mit Subileus oder Ileus Fistelbildungen



Cholestase Juckreiz Bewusstseinsminderung Desorientiertheit Blutungsneigung Nierenversagen Aszites Schmerzen

Es können die typischen Beschwerden und Symptome eines zunehmenden Leberversagens mit hepatischer Enzephalopathie und Manifestation eines hepatorenalen Syndroms auftreten. Schmerzen können Ausdruck eines intrahepatischen Tumorwachstums mit Leberkapselspannungsschmerz oder einer direkten Tumorinfiltration der Leberkapsel sein.

Tumoren/Erkrankungen Frage 695 Eine Patientin mit einem weit fortgeschrittenen Mesotheliom des Peritoneums hatte in der Vergangenheit häufige Episoden mit Subileus-Symptomatik. Jetzt stellt sie sich erneut bei Ihnen mit seit 2 Tagen anhaltend schwallartigem Erbrechen vor. Bereits bei den vorherigen Abklärungen bestand aufgrund multipler Stenosen im Dünndarm Inoperabilität. Wie würden Sie diagnostisch und therapeutisch vorgehen?

Frage 696 Ein Patient mit hepatisch metastasiertem und lokal fortgeschrittenem Magenkarzinom berichtet über Schmerzen im Abdomen. Was könnten mögliche Ursachen dieser abdominalen Schmerzen sein, die in Zusammenhang mit der Grunderkrankung stehen? ●

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körperliche Untersuchung inklusive digital rektalen Tastbefunds Sonografie bei Einverständnis der Patientin zunächst Einlage einer nasogastralen Sonde als Ablaufsonde zur Entlastung Umstellung der Medikation auf s. c.- oder i. v.-Gabe falls große Mengen Aszites vorliegen: Parazentese Versuch rektaler Abführmaßnahmen falls noch Passage vorhanden: vorsichtiger prokinetischer Versuch falls komplette Obstruktion: Diskussion der Anlage einer PEG zum Ablauf oder konservatives Regime mit antisekretorischer Medikation

Der erste Schritt ist immer die akute Entlastung der Patientin, in diesem Fall durch die Anlage der nasogastralen Sonde sowie Umstellung der Medikation auf parenterale Gabe. Da eine Inoperabilität bereits festgestellt worden war, kann auf eine CT-Diagnostik verzichtet werden. Bei Aszites kann durch Parazentese über die Druckentlastung die Passage ggf. wieder verbessert werden. Entscheidend für die nächsten Schritte ist schließlich die Frage, ob eine komplette oder inkomplette Obstruktion vorliegt. Entsprechend kann zunächst ein Versuch der Passageerhaltung unternommen werden. Bei Vorliegen einer kompletten Obstruktion könnte eine AblaufPEG angelegt (beachte entsprechende Kontraindikationen) oder durch Scopolamin, N-Butylscopolamin oder Octreotid die gastrointestinale Sekretion gehemmt werden. Weitere Symptome wie Schmerzen und Übelkeit werden durch parenterale Medikamentengabe behandelt.

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Hepatomegalie mit Leberkapselspannungsschmerz Peritonealkarzinose mit resultierender intestinaler Motilitätsstörung und Obstruktion mit krampfartigen Schmerzen und Meteorismus lokale Plexusinfiltration Aszites mit Spannungsschmerz

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Schmerzen im Rahmen abdominaler Tumormanifestationen können unterschiedliche Ursachen haben und sowohl nozizeptiver als auch neuropathischer Natur sein. Neben direkt tumorbedingten Schmerzen sind immer auch tumor- und therapieassoziierte sowie erkrankungsunabhängige Schmerzursachen zu berücksichtigen.

Frage 697 Bei einer Ihrer Patientinnen wurde ein Rezidiv eines Zervixkarzinoms mit Ausdehnung im kleinen Becken festgestellt. Welche typischen Komplikationen könnten im Verlauf infolge des lokalen Tumorwachstums auftreten? ● ● ● ● ● ● ● ●

Harnabflussstörungen rektovesikovaginale Fistelbildungen Stuhl- und Harninkontinenz Schmerzen Blutungen intestinale Obstruktion tiefe Querschnittssymptomatik massive Ödeme der unteren Körperhälfte

Bedingt durch das lokale Tumorwachstum können sämtliche Strukturen im Bereich des Beckens betroffen sein. Es kann zu Harnabflussstörungen aufgrund von Tumorkompression oder Infiltration mit nachfolgendem Harnaufstau und Nierenfunktionsschädigung sowie zu Fistelbildungen der Hohlorgane bis hin zur Kloakenbildung mit Inkontinenz kommen. Aber auch Blutungen und Schmerzen bei Infiltration muskulärer und nervöser Strukturen innerhalb des

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Onkologie Beckens, oft mit ausgeprägter neuropathischer Komponente, können auftreten. Die Infiltration oder Kompression des Darmes kann zur intestinalen Obstruktion mit Stase und zu nachfolgendem Erbrechen führen. Venöse und lymphatische Abflussbehinderungen können eine massive Ödembildung der unteren Körperhälfte verursachen. Diese kann die Mobilität erheblich beeinträchtigen und zudem bei Auftreten von Thrombosen Lungenembolien nach sich ziehen. Infolge einer Infiltration der unteren Lendenwirbelsäule und des Sakrums können außerdem neurologische Ausfallerscheinungen bis hin zur Querschnittssymptomatik bzw. zum Cauda-equinaSyndrom auftreten.

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6.2.2 Urologische Tumoren Ralf Thiel; frühere Bearbeitung: Stephanie Neuberger

Frage 698 Ein 83-jähriger Patient mit fortgeschrittenem metastasiertem und medikamentös behandeltem Prostatakarzinom (Enzalutamid) kommt erstmals wegen AZ-Verschlechterung und abnehmender Urinausscheidung in Ihre Praxis/Klinik. Wie gehen Sie weiter vor? Neben der Anamnese und Untersuchung sind eine initiale Laborabnahme (v. a. Blutbild, Kreatinin, PSA, Urinbefund) und orientierende Sonografie der Nieren und Harnblase/Prostata wegweisend. Die allgemeine und spezielle Anamnese muss zur korrekten Behandlungsplanung erhoben werden: Vorbehandlungen, PSA-Wert-Entwicklung, Komorbiditäten, Medikamente, Behandlungswunsch und das Vorliegen einer Vorausverfügung sollten erfragt werden. Ohne Kenntnis z. B. der PSA-Wert-Entwicklung im Bezug zur vorangegangenen Therapie kann keine korrekte Prognoseabschätzung erfolgen. Bei eigener Unsicherheit in der Beurteilung empfiehlt sich deshalb immer die direkte Rücksprache mit dem behandlungsführenden Urologen oder Onkologen, um eine sicher der Prognose angemessene Behandlungsform zu wählen. Ergänzt wird diese Information durch die aktuell erhobenen Befunde, die die Dringlichkeit des Interventionsbedarfs abschätzen lassen.

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Frage 699 Bei einem Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom liegt eine Blasenentleerungsstörung – z. B. durch einen lokalen Progress des Prostatakarzinoms mit oder ohne Harnstauung des oberen Harntraktes – vor. Wie gehen Sie vor? Der Patient profitiert von einer sofortigen Katheterisierung. Eine Bilanzierung der Ausscheidung kann sinnvoll sein, um eine Polyurie zu erkennen und evtl. zu behandeln. Je akuter das Geschehen ist, desto besser die Rückbildungstendenz. Grundsätzlich werden als Formen der Harnableitung Einmalkatheterisierung, Kondomurinal, transurethraler Dauerkatheter (DK) und suprapubischer Dauerkatheter (SPK) unterschieden. In der o. g. Notfallindikation kommt in erster Linie die Einlage eines transurethralen Dauerkatheters infrage. Alternativ kann über die Einlage eines suprapubischen Katheters nachgedacht werden, falls eine transurethrale Katheterisierung nicht möglich erscheint oder eine Harnableitung als Dauerlösung wahrscheinlich ist.

Frage 700 Welche Kontraindikationen müssen bei den unterschiedlichen Formen der Harnableitung beachtet werden? ●



suprapubischer Dauerkatheter (SPK): Relative Kontraindikationen sind akuter Harnwegsinfekt, Gerinnungsstörung und Unterbauchnarben. transurethraler Dauerkatheter (DK): Relative Kontraindikationen sind beim Mann hochgradige Harnröhrenstrikturen wie bei Z. n. Radiatio im kleinen Becken; bei der Frau z. B. Tumore im Bereich der Harnröhre oder Vulva.

Die Indikation und Kontraindikationen der unterschiedlichen Harnableitungen (insbesondere DK versus SBK) müssen immer beachtet und abgewogen werden: Ein transurethraler DK kann bei Zustand nach Radiatio der Prostata schwierig und gefährlich (Perforation/Fistelbildung) sein und sollte dem Fachurologen vorbehalten bleiben. Eine SPK ist i. d. R. bei Vorliegen eines Blasentumors kontraindiziert.

Tumoren/Erkrankungen Bei der Einlage eines suprapubischen Katheters handelt es sich um einen aufklärungspflichtigen operativen Eingriff mit speziellen Risiken und Gefahren – dies muss in der Aufklärung berücksichtigt werden. (Cave: Gerinnungshemmer mit Blutungsneigung, Verletzung von Darm und Nachbarorganen)

Frage 701 Welche Rolle spielt die Weiterversorgung bei der Entscheidung für einen transurethralen Dauerkatheter bzw. für einen suprapubischen Dauerkatheter? ●



Ein transurethraler DK kann in der Regel von jeder Pflegefachkraft nach Anleitung, eventuell auch von Angehörigen gemanagt und gewechselt werden. Bei einem SPK ist der Patient in der Regel auf einen Arzt oder Urologen angewiesen.

In der Regel profitieren vor allem Männer von einem suprapubischen Katheter aufgrund der lokalen Langzeitkomplikationen eines transurethralen Katheters in der männlichen Harnröhre. Beispiele für Langzeitkomplikationen sind: Strikturen, iatrogene Hypospadie, schwierige Katheterisierungen, eingeschränkte Genitalhygiene und rezidivierende Infekte.

Frage 702 Ein Patient hat einen 10 Ch-Pigtail-SPK bekommen, der zunächst gut funktioniert und nach 6 Wochen vom Urologen gewechselt wurde. Danach kommt es zu häufig trübem Urin und immer wieder zu notfallmäßigen Vorstellungen in einer Notaufnahme wegen SPK-Verstopfungen und Dislokationen. Was ist zu tun? Es sollte die Aufbougierung des SPK-Kanals in Lokalanästhesie erfolgen und ein großlumiger Ballonkatheter (14–20 Ch) eingelegt werden. Manchmal müssen verschiedene Materialien und Hersteller ausprobiert werden, da sie vom Patienten unterschiedlich gut vertragen werden, bis die individuell passende Lösung abgestimmt ist. Für die häusliche Versorgung ist die Versorgung mit NaCl-BalgSpülflaschen für den Patienten oder seine Betreuer

hilfreich und nach entsprechender Anleitung zur Selbsthilfe geeignet. Eine antibiotische Therapie ist bei asymptomatischen Patienten mit infiziertem/ kontaminiertem Katheterurin nicht indiziert.

Frage 703 Wie oft sollten ein transurethraler Dauerkatheter (DK), ein suprapubischer Dauerkatheter (SPK), ein Doppel-J-Katheter (DJ) und ein Nierenfistel-Katheter (NFK) gewechselt werden? In der Regel: ● DK: alle 3–4 Wochen ● SPK: alle 6 Wochen ● DJ: alle 3–6 Monate ● NFK: alle 6 Wochen

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Bei Patienten in palliativer Lebenssituation ist von diesen Regeln abzuweichen, wenn eine weit fortgeschrittene Erkrankungssituation besteht und der Wert eines prophylaktischen Wechsels aufgrund der Gesamtsituation nicht mehr gegeben ist.

Frage 704 Bei einem Patienten mit fortgeschrittenem metastasiertem und medikamentös behandeltem Prostatakarzinom (Enzalutamid)stellt sich eine beidseitige Harnstauung Grad 3 mit einem Kreatininwert von 9 mg/dl heraus. In der Harnblase zeigt sich eine Restharnmenge von 1,8 l. Was tun? Zunächst sollte eine Harnableitung über einen transurethralen DK, dann ein engmaschiges Monitoring der Ausscheidung sowie der Laborwerte und der Sonografie des Harntraktes erfolgen. Falls sich der Kreatininwert und die Harnstauung in einigen Stunden bis Tagen nicht zurückbilden, sollte über eine Ableitung der Nieren (Harnleiter Doppel-JKatheter [DJ] oder perkutane Nierenfistel [NFK]) nachgedacht werden. Ein Versterben in Urämie ist je nach Allgemeinzustand und Patientenwillen als Alternative zu erwägen und sollte, solange es der kognitive Zustand zulässt, aktiv angesprochen und auch interdisziplinär diskutiert werden.

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Onkologie Frage 705 Welche Harnableitungsform der Nieren ist die beste in der Palliativsituation: Doppel-J-Katheter (DJ) oder Nierenfistelkatheter (NFK)? Falls eine Harnableitung gewünscht wird und notwendig ist, ist in der Regel die innere Schienung mittels DJ im Hinblick auf die Lebensqualität die zu bevorzugende Methode. DJ können einige Monate verbleiben müssen aber regelmäßig kontrolliert und – meist in Narkose – gewechselt werden. Die DJ-Einlage kann z. B. bei starker Tumorummauerung oder verschlossenem Ostium unmöglich sein. Eine perkutane Harnableitung über NFK hat mehr Risiken und Komplikationen bei der Einlage, kann aber oft in Lokalanästhesie erfolgen. Dafür hat der Patient einen externen Fremdkörper und ist häufig auf fremde Hilfe bei der Versorgung (Verbandswechsel) angewiesen. Nierenfistelkatheter binden den Patienten zudem häufiger an eine urologische Klinik oder Praxis, da die Wechselintervalle kleiner sind und eine größere Gefahr einer NFK-Verstopfung oder Dislokation/Verlust besteht.

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Frage 706 Ein Patient mit Nierenfistelkatheter (NFK) erscheint alle 2–3 Wochen notfallmäßig in einer urologischen Klinik, weil der NFK verstopft oder disloziert ist oder sich eine Urosepsis ausgebildet hat. Das verschlechtert die Lebensqualität erheblich. Was kann man tun? Die korrekte Lage (über eine untere Kelchgruppe), Art (Pigtail- oder Ballonkatheter), Größe in Charrière und Blockung des Nierenfistelkatheters sollten urologisch kontrolliert werden. Dünne Pigtailkatheter (z. B. 10 Ch) sind keine adäquate Dauerlösung. Es sollte ein mindestens 14 ChBallonkatheter (manchmal auch bis 20 Ch) eingelegt werden und die Blockung unter Durchleuchtungskontrolle erfolgen. Falls es zu rezidivierenden Dislokationen durch spontane Entblockungen des Katheterballons kommt, hilft eine regelmäßige (etwa alle 2 Wochen) Überprüfung der Ballonfüllung durch Sonografie oder auch durch Entblocken und neu Aufblocken. Anstatt Kochsalz oder Aquadest sollte

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ein spezielles Katheterblockmittel auf Glycerinbasis verwendet werden. Diese neigen wesentlich weniger zur Spontanentblockung. Eine erhöhte Trinkmenge und ggf. Ansäuern des Urins können hilfreich sein wie auch die Versorgung des Patienten, seiner Pflegenden oder Angehörigen mit Spüllösungen (MiniBalgflaschen) ähnlich wie beim SPK. Eine Dauerantibiose ist nicht indiziert, allerdings kann eine prophylaktische Einmalgabe (nach Antibiogramm) vor den NFK-Wechseln hilfreich sein, um die Gefahr einer septischen Einschwemmung zu reduzieren.

Frage 707 Eine 89-jährige multimorbide Patientin mit fortgeschrittenem Urothelkarzinom der Harnblase und multiplen Lymphknoten- und Knochenmetastasen stellt sich wegen rezidivierender Hämaturien vor. Eine radikale lokale Operabilität (Zystektomie) liegt auch aus palliativen Gründen aufgrund des Allgemeinzustands und der Komorbiditäten nicht vor. Die Patientin nimmt wegen eines Vorhofflimmerns ein NOAK. Wie gehen Sie weiter vor? Zunächst kann versucht werden, die Blutung und ggf. Tamponade durch Einlage eines großvolumigen (> 20 Ch) Blasenspülkatheters auszuspülen und ggf. eine Dauerspülung anzuhängen. Die Gerinnungshemmer sollten pausiert und ggf. durch Heparin substituiert werden. Bettruhe und ggf. Blutdrucksenkung sind erforderlich. Die Gabe von Tranexamsäure kann überlegt werden. Bluttransfusionen können erforderlich sein. Eine transurethrale Blutstillung durch Elektrokoagulation in Narkose kann seitens der Urologen versucht werden. Bei Misserfolg sollte an eine perkutane Embolisation oder eine Radiatio der Blase gedacht werden. In der palliativen Situation kommt es beim fortgeschrittenen Blasenkarzinom häufig zu lokalen Komplikationen wie Blutung oder Harnabflussstörungen. Falls Gerinnungshemmer Mitursache für eine persistierende Hämaturie sind, sollte die Indikation streng überprüft und ggf. interdisziplinär abgewogen werden.

Tumoren/Erkrankungen Frage 708 Die oben genannte Patientin mit rezidivierenden Blasentamponaden möchte nicht bei jeder Blutung und kleinen Tamponaden in eine Klinik eingeliefert werden. Was kann man tun? Zunächst sollte abgeklärt werden, was als Blutungsursache infrage kommt. Falls eine Blutungsneigung durch Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmer, NOAKs oder Marcumar besteht, sollte die Indikation für diese Medikation und Dosierung sorgfältig interdisziplinär abgewogen werden. Eine erhöhte Flüssigkeitszunahme rund um die Uhr (auch nächtliches Trinken) ist als Basismaßnahme obligat. Falls ein DK liegt, können die Patienten oder Betreuer/Angehörige mit Blasenbalgflaschen ausgestattet werden und über Selbsthilfemaßnahmen geschult werden. Nicht mehr durchgeführt werden sollten alte Therapiemethoden wie die Installation von Formalin in die Harnblase. Bei gutem Allgemeinzustand kann auch eine Salvage-Zystektomie infrage kommen.

Frage 710 Ein 78-jähriger Patient mit fortgeschrittenem palliativ behandeltem Prostatakarzinom stellt sich vor wegen ständigen Harndrangs alle 30 Minuten Tag und Nacht. Er berichtet, dass therapeutisch in den letzten 20 Jahren „alles gemacht“ wurde: Operation, Bestrahlung, Hormontherapie, Chemotherapie und die neuen teuren Hormontabletten. Der letzte PSA-Wert betrug 1 ng/ml. An was denken Sie? Differenzialdiagnostisch kommen vor allem infrage: akuter oder chronischer Harnwegsinfekt, Obstruktion durch ein lokales Rezidiv des Prostatakarzinoms und Überlaufsymptomatik oder eine Strahlenblase nach Radiatio des Prostatakarzinoms. Klinisch imponiert das Bild einer überaktiven Blase.

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Der Urin ist unauffällig, sonografisch ist die Prostata nicht nachweisbar und die Blase ist leer. Damit wäre die Diagnose einer Strahlenzystitis am wahrscheinlichsten. Hinweis: Eine PSA-Erhöhung muss es bei einem lange bestehenden und entdifferenzierten Karzinom trotz fulminanter Metastasierung nicht geben!

Frage 709 Frage 711 Die oben genannte Patientin mit fortgeschrittenem Blasentumor stellt sich später wegen reduziertem Allgemeinzustand und dem Wunsch zum Sterben unter palliativer Betreuung bei Ihnen vor. Es besteht eine entsprechende Patientenverfügung. Sie diagnostizieren sonografisch eine Harnstauung 3. Grades beidseits ohne Flankenschmerzen und einen Kreatininwert von 14 mg/dl. Die Harnblase ist leer. Was tun Sie? Es handelt sich um eine terminale Urämie und Anurie. Der Patientenwunsch sollte respektiert werden und nach intensiven Gesprächen sollte von weiteren invasiven Maßnahmen (Harnableitung über DJ/NFK) abgesehen werden. Nach wie vor ist die Urämie eine der „angenehmsten“ Todesursachen in der Finalphase. In der Palliativsituation sollte die Notwendigkeit jeder invasiven Maßnahme genau überdacht werden. Manchmal ist „nichts machen“ für den Arzt viel schwieriger als vermeintlich einfache Notfallinterventionen. Sofern der Patient dies auch so sieht, sollte der Erhalt der Lebensqualität Vorrang vor der Lebensquantität haben.

Wie therapieren Sie den oben genannten Patienten mit fortgeschrittenem palliativ behandeltem Prostatakarzinom und ständigem Harndrang? Die Behandlung ist schwierig und muss multimodal und gestaffelt erfolgen (Anticholinergika, Betamicron, Blaseninstillationen, EMDA, Botox, hyperbare Oxygenisierung [HBO] in einer Druckkammer; Harnableitungen bis zur Zystektomie etc.). Eine chronische Radiozystitis tritt nach Bestrahlung des kleinen Beckens (v. a. Prostatakarzinom, Zervixkarzinom, Rektumkarzinom) mit einer Latenz von einigen Jahren nach der Therapie und in der Literatur mit einer Häufigkeit von ca. 10–40 % auf. Die Einschränkungen in Bezug auf die Lebensqualität sind mitunter erheblich. Wegweisend ist eine Zystoskopie mit entsprechenden typischen narbigen und vulnerablen Schleimhautveränderungen. Auch an einen radiogenen Zweittumor (Urothelkarzinom der Blase) muss gedacht werden.

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Onkologie

6.2.3 Dermatologische Tumoren Lucie Heinzerling

Frage 712 Welche Therapien stehen für das metastasierte Melanom zur Verfügung? Es gibt zahlreiche Systemtherapien (Immuntherapie, zielgerichtete Therapien und Chemotherapie) sowie Lokaltherapien (Immuntherapie, onkolytische Viren, Radiotherapie, Operation). Zwei Therapieansätze führen zu einer Verlängerung des Überlebens: Immuntherapien und zielgerichtete Therapien. Bei den Immuntherapien werden die sog. Checkpoint-Inhibitoren Anti-PD-1-Antikörper (Nivolumab, Pembrolizumab) als Monotherapie oder in Kombination mit Anti-CTLA4-Antikörper (Ipilimumab) eingesetzt. Bei den zielgerichteten Therapien können Patienten mit BRAF-mutiertem Melanom mit einer kombinierten BRAF/MEK (mitogenaktivierte Proteinkinase)-Inhibitortherapie behandelt werden. Es stehen 3 Kombinationen aus jeweils BRAF- und MEK-Inhibitor zur Verfügung (Dabrafenib + Trametinib, Encorafenib + Binimetinib und Vemurafenib + Cobimetinib). Die Kombinationen sind ähnlich wirksam, unterscheiden sich allerdings im Nebenwirkungsprofil. Beide Therapieansätze zeigen ausgeprägte und neuartige Nebenwirkungen. Bei uvealem Melanom wurde jüngst ein Fusionsprotein, welches an Tumorantigen (gp100) und an T-Zellen bindet, zugelassen (Tebentafusp). Die intratumorale Therapie mit onkolytischen Viren kann mit einem attenuierten Herpes-simplexVirus erfolgen, das den Granulozyten-MonozytenKolonie-stimulierenden Faktor exprimiert (T-VEC [Talimogen laherparepvec]). Sie kann den Rückgang injizierter und nicht injizierter Metastasen induzieren. Des Weiteren gibt es Studien, die Peptid- oder mRNA-Vakzine mit Checkpoint-Inhibitoren kombinieren. Obwohl Chemotherapien keinen Überlebensbenefit zeigen konnten, profitieren einige Patienten zum Teil auch längerfristig davon. Die Radiotherapie ist insbesondere bei Hirnmetastasen oder symptomatischen Knochenmetastasen gut wirksam. Eine Operation von Metastasen erfolgt bei störenden Hautmetastasen, drohenden Komplikationen sowie wenn der Patient damit wieder tumorfrei wird.

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Andere Therapien wie die Gabe von Interleukin-2 oder die lokale Therapie mit Imiquimod oder DCB/ DNCB (Dinitrochlorobenzen) können Off-Label eingesetzt werden. LAG3-Antikörper konnten in Kombination mit anti-PD1-Antikörpern einen Benefit zeigen, sind jedoch – trotz Zulassung – in Deutschland nicht auf dem Markt. Zahlreiche experimentelle Therapien (TLR-Antagonisten, 4-1 BB, zelluläre Therapien) befinden sich in der Entwicklung.

Frage 713 Haben Angehörige von Patienten mit Hautkrebs ein erhöhtes Erkrankungsrisiko? Beim Melanom besteht für Angehörige 1. Grades ein erhöhtes Melanomrisiko, bei epithelialen Hauttumoren nur aufgrund von Vererbung eines „Risikohauttyps“. Verwandten 1. Grades wird deshalb eine Hautscreening empfohlen. Beim epithelialen Hautkrebs hängt das Erkrankungsrisiko außer bei seltenen Syndromen vor allem vom Hauttyp und von der UV-Exposition (Exposition gegenüber ultraviolettem Licht) ab.

Frage 714 Was raten Sie Angehörigen eines Melanompatienten, die wissen wollen, wie man die Entstehung eines Melanoms verhindern kann? Zum UV-Schutz, denn der Schutz vor UV-Exposition verringert die Wahrscheinlichkeit, ein Melanom zu bekommen. Es gibt nicht beeinflussbare Risikofaktoren für das Melanom (heller Hauttyp I–II, familiäre Disposition, mehr als 50 Muttermale, dysplastische Muttermale). Der wichtige Risikofaktor der UV-Exposition ist hingegen vermeidbar. Sonnenbrände insbesondere in der Kindheit und UV-Exposition in Beruf und Freizeit sollten vermieden werden. Vom Besuch von Solarien ist streng abzuraten. Zusätzlich ist die Früherkennung (Tertiärprävention) wichtig bei Veränderung von Muttermalen oder regelmäßig im Rahmen des Hautscreenings, da früh erkannte Melanome eine bessere Prognose haben.

Tumoren/Erkrankungen Frage 715

Frage 717

Worauf weisen Sie Patienten mit metastasiertem Melanom hin, wenn diese sich im Internet über ihre Prognose informieren möchten?

An was müssen Sie bei einem Patienten mit metastasiertem Melanom denken, der plötzlich Doppelbilder sieht?

Die Überlebenszeiten haben sich in den letzten Jahren durch die neuen Therapien erheblich verbessert. Wegen der neuen Therapieoptionen zeigt sich beim Vorliegen von Fernmetastasen derzeit ein 5-Jahres-Überleben von 50 %. Dies liegt weit über dem in alten Übersichtsarbeiten berichteten Überleben.

An Hirnmetastasen, Meningeosis carcinomatosa und Nebenwirkungen einer Immun- oder zielgerichteten Therapie.

Jährlich erkranken weltweit etwa 137 000 Menschen an einem Melanom und 37 000 versterben an der Erkrankung. In Deutschland versterben jährlich etwa 3 000 Menschen am Melanom. Da das Melanom verhältnismäßig jüngere Menschen betrifft, ist es hinsichtlich der verlorenen Lebensjahre (Years of Life lost per Death) eine der schwerwiegendsten Erkrankungen. Weil Patienten in der Mitte des Lebens betroffen sein können, stehen sie häufig noch im Berufsleben und können noch kleine Kinder haben.

Frage 716 In welche Organe metastasiert das Melanom? Das Melanom kann in alle Organe metastasieren. Insbesondere betroffen sind Lymphknoten, Lunge, Leber, Gastrointestinaltrakt, Knochen, Gehirn, Haut und Weichteile. Komplikationen hängen von der Lokalisation der Metastasen ab und schließen u. a. Blutung, Ileus, Fraktur oder Schmerzen sowie neurologische Komplikationen mit ein. Da die Patienten oft jung und sonst relativ gesund sind, führt die Metastasierung bei vielen Patienten nicht unmittelbar zu einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustands. Bei weiterer Tumorprogression und größerer Tumorlast kommt es im Verlauf dann aber häufig zu einer plötzlichen und für Patienten sowie Familien manchmal überraschend raschen Reduktion des Allgemeinzustands.

Das Melanom metastasiert nicht selten in das Gehirn. Hirnmetastasen können zunächst asymptomatisch sein. Sie können entweder klinisch bei Entwicklung von Symptomen und/oder in der Bildgebung auffällig werden. Einzelne Hirnmetastasen können in Abhängigkeit vom Gesamtverlauf der Erkrankung operiert oder stereotaktisch bestrahlt werden. Bei multiplen Metastasen soll eine medikamentöse Systemtherapie angewendet werden. Die Rolle einer Ganzhirnbestrahlung wird unterschiedlich bewertet. Zerebrale Melanommetastasen zeigen sehr häufig ein ausgeprägtes umgebendes Ödem. Daher können zur Ödemreduktion Steroide eingesetzt werden, die allerdings die Wirksamkeit der Immuntherapie schmälern können. Zudem führen zerebrale Melanommetastasen überproportional häufig zu Einblutungen. Eine Epilepsieprophylaxe sollte nach stattgehabtem Anfall eingeleitet werden. Auch eine Meningeosis carcinomatosa kann bei Befall insbesondere des N. oculomotorius und des N. abducens u. a. Doppelbilder verursachen. Im Rahmen der medikamentösen Tumortherapien können Sehstörungen als Nebenwirkungen auftreten. Bei der Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Hypophysitis und die Myositis zu nennen. Bei den zielgerichteten Therapien mit BRAF- bzw. MEK-Inhibitoren kommt es zu Chorioretinopathien (hier vor allem Unscharfsehen) und Uveitiden, seltener zu retinalem Venenverschluss.

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Frage 718 Unter welchen Symptomen und Problemen leiden Patienten mit Melanom im Stadium IV besonders häufig? Insbesondere unter Fatigue, Schmerzen und sichtbaren Hautmetastasen.

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Onkologie Sichtbare Metastasen der Haut stellen durch die Veränderung des Körperbilds eine große Belastung für viele Patienten dar. Die Behandlung von Hautmetastasen kann einen Zuwachs an Lebensqualität bedeuten – obwohl sie für das Überleben keine Auswirkungen hat. Des Weiteren kann es im Verlauf durch Ulzeration zu Schmerzen und auch zu starker Geruchsentwicklung kommen. Sezernierende Hautmetastasen können zudem ein Problem in der Versorgung mit Verbänden darstellen.

Frage 719 Sind Hautmetastasen eines Melanoms sinnvoll zu behandeln?

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Ja, in Abhängigkeit vom Stadium der Erkrankung. Am besten wirksam ist eine Systemtherapie. Eine zusätzliche lokale Behandlung kann je nach Stadium der Erkrankung zur Verbesserung der Lebensqualität indiziert sein. Insbesondere an Größe oder Zahl zunehmende Hautmetastasen setzen die Patienten oft sehr unter Stress. Die körperliche Erscheinung ändert sich und macht die Erkrankung für den Patienten und für andere sichtbar. Dies ist für viele Patienten insbesondere bei Hautmetastasen im Gesichtund Halsbereich sehr belastend. Im Verlauf kann es bei kutanen und subkutanen Metastasen zu Blutungen, Nekrosen und Entzündung kommen bis hin zu schlecht riechenden, stark sezernierenden Tumoren. Zur Behandlung gibt es neben der Exzision und der Bestrahlung verschiedene Möglichkeiten. Neben den Systemtherapien können z. B. das onkolytische Virus T-VEC oder Interleukin-2 intratumoral injiziert werden, Kryotherapie, eine Immuntherapie mit lokaler Applikation eines Kontaktallergens (DCB/DNCB) in Kombination mit einer milden Chemotherapie (Dacarbazin), Elektrochemotherapie oder lokales Imiquimod angewendet werden.

Die Therapie besteht in der vollständigen, möglichst mikrografisch kontrollierten Exzision. Multiple Basaliome können unter bestimmten Umständen auch anders therapiert werden (Kryotherapie, Imiquimod lokal). Bei inoperablen Tumoren oder solchen, die nur sehr mutilierend operiert werden können, wird eine Systemtherapie empfohlen. Für Basaliome kommt hier eine zielgerichtete Therapie mit Hedgehog-Inhibitoren in Frage oder der Anti-PD1-Antikörper Cemiplimab. Plattenepithelkarzinome können sehr gut mit dem Anti-PD1-Antikörper therapiert werden. Weiterhin ist eine Radiatio möglich. In einer palliativen Situation kann man bei Auftreten oder Vorliegen epithelialer Tumoren auch diskutieren, nicht zu therapieren. Die Prävention besteht in einem guten UV-Schutz.

Frage 721 Wie unterscheiden sich Patienten mit epithelialen Tumoren von Melanompatienten? Hinsichtlich Lebensalter, Verteilung der Tumoren und Prognose. Patienten mit epithelialen Tumoren sind meist älter und zeigen mehr Komorbiditäten. Epitheliale Tumoren treten insbesondere an lichtexponierten Arealen auf und es kommt seltener zu einer Metastasierung, d. h., die Patienten haben eine bessere Prognose. Melanompatienten sind jünger und meist abgesehen von der Krebserkrankung relativ gesund. Bei Patienten mit Basaliom und Plattenepithelkarzinom sind meist andere Erkrankungen eher lebenslimitierend als der epitheliale Hauttumor.

Frage 722 Was sind die Besonderheiten des Merkel-Zell-Karzinoms? Merkel-Zell-Karzinome rezidivieren häufig.

Frage 720 Welche häufigen epithelialen Tumoren gibt es? Basaliom und Plattenepithelkarzinom sind die häufigsten epithelialen Hauttumoren und die häufigsten Tumoren überhaupt.

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Nach der Exzision empfiehlt man daher eine Bestrahlung. Unter der Therapie mit Anti-PD1-Antikörpern sprechen Patienten mit metastasiertem Merkel-Zell-Karzinom gut und oft lange anhaltend an. Hingegen kam es nach den früher verwendeten Chemotherapien häufig zu einem schnellen Progress nach primärem Ansprechen.

Tumoren/Erkrankungen Frage 723 Wie unterscheidet sich das primär kutane Lymphom von anderen Lymphomentitäten und welche Konsequenzen hat das für die Therapie? Patienten mit kutanem Lymphom haben mit Ausnahme des CD30-negativen Lymphoms vom Legtype und des sehr seltenen NK-Zell-Lymphoms eine relativ gute Prognose, leiden dafür aber oft stark an Hautsymptomen. Da bislang keine Heilung erreicht werden kann und die Prognose besser ist als bei systemischen Lymphomen, sollten Therapien (Polychemotherapie) mit zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen wie Polyneuropathie zurückhaltend eingesetzt werden. Ebenso können ausgedehnte Bestrahlungen aufgrund langer Überlebenszeiten wegen der Entwicklung sekundärer Hautmalignome (Plattenepithelkarzinome) problematisch sein. Diese sind dann aufgrund des Radioderms der Haut schlecht zu versorgen. Bei kutanen T-Zell-Lymphomen kann der ausgedehnte Hautbefall zu zahlreichen Problemen führen wie z. B. zu ausgeprägtem Pruritus, Alopezie, Nagelverlust, palmoplantaren Hyperkeratosen und Rhagaden. Insbesondere die Beteiligung von Händen und Füßen kann das Laufen und Greifen schmerzhaft machen oder stark einschränken.

Frage 724 Welche Therapien stehen für kutane Lymphome zur Verfügung? Für kutane Lymphome stehen zahlreiche Therapien zur Verfügung, die sich je nach Typ (T- oder B-Zell-Lymphom) unterscheiden. Da die Therapien komplex sind, sollten die Patienten an ein dermatologisches Zentrum angebunden werden, das Erfahrung mit der Betreuung kutaner Lymphome hat. Für die Therapie des kutanen T-ZellLymphoms werden lokale Steroide, Interferon-α, Retinoide (z. B. Targretin), PUVA (UVA-Bestrahlung nach Fotosensibilisierung), Photopherese und Chemotherapie eingesetzt. Neuere Therapien wie das Brentuximab oder das Mogamulizumab haben hier das Behandlungsspektrum erweitert. Das kutane BZell-Lymphom wird mit Exzision, Radiotherapie, anti-CD20-Antikörpern (z. B. Rituximab) oder Chemotherapie behandelt.

6.2.4 Tumoren des Zentralnervensystems Stefan Lorenzl

Frage 725 Was sind häufige Ursachen von Myoklonien bei Palliativpatienten? Häufige Ursachen sind eine Opiatüberdosierung und eine zunehmende Niereninsuffizienz. Beides kann auch gemeinsam auftreten. Darüber hinaus können auch weitere Medikamente wie Pregabalin oder Gabapentin eine Niereninsuffizienz auslösen.

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Der genaue Mechanismus, durch den die Myoklonien auslöst werden, ist unbekannt. Es wird allerdings die Akkumulation von toxischen Stoffen vermutet, die zu Änderungen des kortikalen Reizpotenzials führen. Eine besondere Rolle spielt dabei eine Niereninsuffizienz, durch die die Akkumulation gefördert wird. Insbesondere wenn diese Niereninsuffizienz mit gewissen Medikamenten zusammentrifft, entstehen die Myoklonien.

Frage 726 Besteht eine Indikation für Weihrauchtherapie bei Patienten mit primären Tumoren des Zentralnervensystems? Weihrauch wird zur Reduktion des Umgebungsödems bei Patienten mit primären Tumoren des Zentralnervensystems eingesetzt. Der Einsatz von Weihrauch (Boswellia serrata) zur Therapie des Umgebungsödems beim Glioblastom ist weit verbreitet und durch Studien untermauert. Zum Einsatz kommt überwiegend der indische Weihrauch, der als Fertigarzneimittel erhältlich ist (z. B. in Kapselform als Hecht H15).

Frage 727 Welche Belastungsfaktoren gibt es für Angehörige von Patienten mit Hirntumoren?

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Onkologie Angehörige von Patienten mit Hirntumoren leiden unter Ängsten (74 %), fehlender finanzieller Unterstützung für die Pflege zu Hause (59 %), eigenen Gesundheitsproblemen (52 %), Depressionen (50 %), verminderten Arbeitszeiten bzw. Beendigung der Arbeit (41 %) und deutlich verminderten Erholungszeiten (durchschnittlich 3 Stunden pro Woche; 0–10 Stunden). Die Situation der Angehörigen von Patienten mit Hirntumoren ist inzwischen gut untersucht. Auch sie leiden unter vielfältigen Belastungen, allen voran ausgeprägten Ängsten und Depressionen. Mit der Dauer der Erkrankung stellen sich häufig finanzielle Probleme ein, da die vielfältigen Unterstützungsmöglichkeiten oft nicht bekannt sind oder zu wenig ausgeschöpft werden. Hinzu treten die Belastungen durch eigene Gesundheitsprobleme. Oft muss die Zeit in der Arbeit vermindert werden, um die Pflege zu Hause zu bewerkstelligen. Daraus ergibt sich aber ein geringerer Verdienst, wodurch die ohnehin bereits knappen finanziellen Ressourcen noch zusätzlich vermindert werden. Die Kombination von Arbeit und häuslicher Pflege reduziert auch die eigenen Erholungszeiten und Ruhepausen auf Werte, die nicht über einen längeren Zeitraum zu ertragen sind.

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Frage 728 Welche Besonderheiten hat die Sterbephase der Patienten mit Tumoren des Zentralnervensystems und worauf müssen daher die Angehörigen vorbereitet werden? In der Sterbephase von Patienten mit Glioblastom treten Vigilanzschwankungen und Veränderungen des Atemmusters auf. Häufig zeigen sich Kopfschmerzen und epileptische Anfälle. Aufgrund der Ausbreitung des Tumors und der intrazerebralen Änderung von Druckverhältnissen sowie der Zunahme des Umgebungsödems entstehen Vigilanzschwankungen mit kontinuierlicher Abnahme der Kontaktfähigkeit sowie Atemveränderungen. Letztere können von einem tachypnoeischen Atemmuster bis zu einer Cheyne-Stokes-Atmung reichen. Ursache der Kopfschmerzen ist ebenfalls eine Zunahme des perifokalen Ödems mit Reizung der Meningen. Auch epileptische Anfälle werden durch eine Zunahme des Umgebungsödems ausgelöst.

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Frage 729 Was sind die Anzeichen eines Querschnittssyndroms bei spinaler Metastasierung? Die neurologischen Zeichen eines Querschnittssyndroms beginnen häufig mit einer Blasenstörung oder Taubheitsgefühl in den Beinen. Nach einer variablen Zeit treten Lähmungserscheinungen der Beine hinzu bis zur kompletten Paraparese. Das Querschnittssyndrom ist ein medizinischer Notfall. Es ist daher wichtig, dieses Syndrom zu erkennen und sofort Maßnahmen wie Kortisongabe, Bestrahlung oder eine Operation einzuleiten. Eine Zeitverzögerung führt zu irreversiblen neurologischen Ausfällen und geht mit einer schweren Beeinträchtigung der Betroffenen einher. In der palliativen Situation muss allerdings vor der Einleitung invasiver Maßnahmen der Gesamtzustand des Patienten berücksichtigt werden.

Frage 730 Welche Untersuchung ist sinnvoll, um eine Meningeosis carcinomatosa zu diagnostizieren? Zur Diagnose einer Meningeosis carcinomatosa ist die Bildgebung in den allermeisten Fällen nicht ausreichend. Nur eine wiederholte lumbale Liquorpunktion kann eine Meningeosis nachweisen. Die Bildgebung mittels CT oder MRT des Schädels und/oder des Spinalkanals mit Kontrastmittel kann verdickte Meningen zeigen, die auch vermehrt Kontrastmittel aufnehmen. Dieser Befund ist allerdings nicht beweisend für eine Meningeosis, da es mehrere Gründe für verdickte Meningen geben kann. Andererseits ist das Fehlen dieser bildgebenden Merkmale wiederum kein Beweis gegen das Vorliegen einer Meningeosis. Einzig beweisend ist der Nachweis von malignen Zellen im lumbalen oder zisternalen Liquor, Letzterer gewonnen aus einer Ventrikeldrainage. In der Regel werden 3 Liquorpunktionen benötigt, da es nicht gewährleistet ist, dass in einer einmaligen Punktion maligne Zellen nachweisbar sind.

Tumoren/Erkrankungen Frage 731

Frage 733

Was ist über die Kommunikation zwischen Patienten mit Hirntumoren und ihren Angehörigen bekannt? In der Mehrzahl der Partnerschaften wird über den Hirntumor nicht offen kommuniziert. Beide Partner wissen in der Regel gut Bescheid und sind informiert, zögern aber wichtige Gespräche über die Erkrankung und die Versorgungssituation lange hinaus. Dieses Verhalten führt bereits in der Frühphase der Erkrankung zu Barrieren in der Aufklärung, aber auch bei der Versorgung. Letztendlich beeinträchtigt dieses Verhalten auch Therapieentscheidungen. Das Negieren des Hirntumors stellt natürlich auch eine Coping-Strategie dar und ist als solche eine Möglichkeit, mit der Diagnose „Hirntumor“ umzugehen. Daraus können sich aber schwerwiegende Konsequenzen ergeben, insbesondere wenn es um Therapieentscheidungen geht. Es gilt daher, die Kommunikation in den betroffenen Familien zu fördern und für eine stadiengerechte Aufklärung zu sorgen.

Frage 732 Welche Medikamente können Sie zur Behandlung von Kopfschmerzen in der palliativen Phase von Patienten mit primären Hirntumoren oder Metastasen einsetzen? Zur medikamentösen Therapie eignen NSAID, Kortikoide, Metamizol und Opioide.

sich

Kopfschmerzen entstehen in der Regel durch eine Zunahme des Hirnödems und/oder des intrakraniellen Druckes bei Tumorwachstum oder Ausbreitung der Metastasen. Daraus resultiert ein Druck auf die Hirnhäute, die die sensibel innervierten Strukturen intrakraniell darstellen. Zusätzlich kann es an den Meningen zu einer lokalen Reizsituation und damit zu einer nicht eitrigen Entzündung kommen. Aus diesem Grund ist auch der Einsatz von NSAID und Kortikoiden sinnvoll. Kortikoide können bereits prophylaktisch zur Ödemreduktion eingesetzt werden. Metamizol ist ein wirksames Nichtopioidanalgetikum und bei leichten Kopfschmerzen in der Regel ausreichend. Bei stärkeren Kopfschmerzen sollten allerdings Opioide zum Einsatz kommen.

Welche primären Hirntumoren lösen besonders häufig epileptische Anfälle aus? Vor allem Astrozytome erhöhen die Neigung zu epileptischen Anfällen und zu einem Status epilepticus. Bei Astrozytomen ist die Häufigkeit epileptischer Anfälle insbesondere in der fortgeschrittenen Phase der Tumorerkrankung erhöht. Auch die Neigung, einen Status epilepticus zu entwickeln, ist erhöht. Das muss berücksichtigt werden, wenn man eine antikonvulsive Therapie in Erwägung zieht und wenn man einen komatösen Patienten mit einem Astrozytom vorgestellt bekommt. Der nicht konvulsive Status epilepticus ist ein behandelbarer und potenziell reversibler Zustand.

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Frage 734 Wann und wie sollte Kortison bei primären Tumoren des Zentralnervensystems und bei Metastasen angewendet werden? Die Indikation für Kortison besteht, wenn sich um die Tumoren oder Metastasen ein Umgebungsödem zeigt. Darüber hinaus kann ein Versuch einer Kortisontherapie auch bei Patienten mit einer klinischen Verschlechterung und starkem Lebenswillen durchgeführt werden. Übliche Dosen sind 8–16 mg Dexamethason. In der Palliativmedizin wird die Dosis häufig einmalig morgens appliziert. Dafür gibt es allerdings keine wissenschaftliche Evidenz, die Gesamtdosis kann also durchaus auf 3 Tagesdosen verteilt werden. Dem physiologischen Kortisonhaushalt entsprechend wird immer wieder postuliert, dass die Tagesdosis Kortison in einer Einmalgabe morgens verabreicht werden soll. Dafür gibt es allerdings keine wissenschaftliche Evidenz. Vielmehr kann es nach dem Umsetzen einer 3 × täglichen Gabe auf eine einmalige Gabe durchaus zum Rebound-Phänomen und damit zu einer lebensbedrohlichen Zunahme des perifokalen Ödems bei Metastasen kommen. Das üblicherweise verwendete Steroid ist Dexamethason. Der Einsatz von Steroiden macht nur dann Sinn, wenn ein Umgebungsödem besteht.

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Onkologie Frage 735 Welches Medikament eignet sich zur Behandlung der häufig auftretenden Rasselatmung in der Sterbephase von Patienten mit primären Hirntumoren? Zur medikamentösen Behandlung der Rasselatmung sind Butylscopolamin, Scopolamin oder Glycopyrroniumbromid geeignet. Darüber hinaus sollte die Flüssigkeitszufuhr reduziert bzw. ganz beendet werden. In der Sterbephase von Patienten mit Glioblastomen kann häufig eine Rasselatmung beobachtet werden. Dieses Atemgeräusch ist für die Angehörigen belastend, nicht aber für den Patienten. Es entsteht durch Vibration der nicht rückresorbierten Flüssigkeit, die den Schutzfilm im Trachealsystem bildet. Die Behandlung mit Butylscopolamin reduziert diese Flüssigkeitsbildung und vermindert dadurch das Rasselgeräusch.

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Frage 737 Was ist die wichtigste Differenzialdiagnose zu einem Delir bei Patienten mit Hirntumoren oder Metastasen? Ein epileptischer Anfall oder ein nicht konvulsiver Status epilepticus. Das Erscheinungsbild eines epileptischen Anfalls oder eines nicht konvulsiven Status epilepticus ist sehr variabel und kann von einer Aphasie bis hin zum Koma die gesamte Bandbreite neurologischer Symptome abbilden. Differenzialdiagnostisch sollte daher nach Möglichkeit mittels EEG eine elektrophysiologische Untersuchung durchgeführt und eine Behandlung eingeleitet werden.

Frage 738 Kann man bei einem Status epilepticus, der nicht zu durchbrechen ist, irgendwann die antikonvulsive Therapie beenden?

Frage 736 Worin können Persönlichkeitsveränderungen bei einem rechts-frontal gelegenen Hirntumor bestehen? Die Patienten sind häufig durch ein sog. Frontalhirnsyndrom gekennzeichnet. Damit sind eine Verminderung des Antriebs und eine vermehrte Reizbarkeit sowie Aggressivität verbunden. In Abhängigkeit der Lage können Hirntumoren und Metastasen unterschiedliche neuropsychologische Symptome hervorrufen. Diese Wesensänderungen werden häufig zunächst vom Patienten selbst nicht bemerkt. Mit Progression der Erkrankung und damit weiterer Ausdehnung des Tumors nehmen diese Symptome allerdings zu und wirken sich sehr belastend auf die Partnerschaft, aber auch auf die Pflege aus.

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Falls sich der klinische Zustand des Patienten unter der Therapie nicht verbessert oder sogar noch verschlechtert, können die zuvor angesetzten Antikonvulsiva abgesetzt werden. Es sollte dann aber eine Therapie mit Benzodiazepinen, vorzugsweise Midazolam, erfolgen und zusätzlich eine Schmerztherapie, beispielsweise eine Kombination aus Metamizol und Opiaten. Wenn ein Status epilepticus nicht zu durchbrechen ist, kann die Therapie mit Antikonvulsiva beendet werden. Allerdings sollte dabei auf eine Therapie mit Midazolam umgestellt werden. Die Therapie des Status epilepticus ist also noch nicht abgeschlossen. Zusätzlich sollte eine begleitende Schmerztherapie durchgeführt werden, vorzugsweise eine Kombinationstherapie aus Metamizol und Opiaten, denn ein langdauernder Status kann durchaus Kopfschmerzen verursachen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass unter einer derartigen Therapie eine Verbesserung des klinischen Zustands auftreten kann und der Status epilepticus durchbrochen wird.

Tumoren/Erkrankungen

6.2.5 Sarkome/Knochentumoren Christine Hofbauer; frühere Bearbeitung: Markus Schuler

Frage 739 Nennen Sie einige der Symptome und Beschwerden von Patienten mit fortgeschrittener Sarkomerkrankung. Häufig (in 10–50 % der Fälle) sind Schmerzen, Luftnot, Übelkeit und Erbrechen, Fatigue, Verstopfung, Husten und Appetitmangel vorhanden. Seltenere Symptome (in weniger als 10 % der Fälle) sind Blähungen, Gewichtsabnahme, Durchfall, Mundtrockenheit bzw. Entzündung der Mundschleimhaut, Schlafstörungen, Polyneuropathie der Hände und Füße, Probleme beim Wasserlassen und Schwitzen. Einzelne Symptome können dabei im Verlauf der Erkrankung bei einem Patienten durchaus unterschiedlich in ihrer Ausprägung sein. Nach Diagnosestellung und zu Beginn einer palliativen Therapie beschreiben die Patienten durchschnittlich 2 Symptome. Diese Zahl erhöht sich auf 3 gegen Ende des Lebens.

Frage 740 Inwieweit spielen Sport- und Bewegungsprogramme im Rahmen von Supportivangeboten eine Rolle, die Lebensqualität bei Patienten mit Sarkomen zu verbessern? Zu den möglichen Supportivangeboten gehören u. a. speziell abgestimmte Sportprogramme, die begleitend zur multimodalen Therapie angeboten werden können und wichtige positive Effekte auf verschiedene körperliche und psychische Bereiche haben. Körperliche Aktivität hat wissenschaftlichen Studien zufolge während und nach einer Krebsbehandlung zahlreiche positive Effekte auf Körper und Psyche und kann u. a. dazu beitragen, die körperliche Fitness und Muskelkraft zu erhalten, Nebenwirkungen der Krebstherapie wie z. B. Polyneuropathien und körperliche Abgeschlagenheit zu verringern, Fatigue sowie Symptome von Depressivität und Ängstlichkeit zu reduzieren und die Krankheitsbewältigung zu erleichtern. Die Möglichkeit einer Bewegungs-

beratung und eines Bewegungstrainings sind auch in den internationalen Leitlinienempfehlungen zu Sport und Bewegung in der Therapie von Krebserkrankungen des American College of Sports Medicine (ACSM) von 2019 formuliert [18].

Frage 741 Zu welchem Zeitpunkt sollte idealerweise eine Ernährungsberatung bei Patienten mit einer Sarkomdiagnose erfolgen? Das Screening auf Mangelernährung sollte im Idealfall am Anfang der Therapie bei Diagnosestellung erfolgen. Das Screening sollte standardisiert mit den etablierten Scores, z. B. PG-SGA (Scored Patient-Generated Subjective Global Assessment) oder NRS 2002, erfolgen.

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Bei Tumorpatienten gibt es mehrere Ursachen, die zu einer Mangelernährung führen können. Die katabole Stoffwechsellage durch die Tumorerkrankung und die unzureichende Nahrungsaufnahme, die therapieassoziiert auftreten kann, werden durch mangelnde körperliche Aktivität und Mobilität noch verstärkt. Je früher die Ernährungsstörung erkannt wird, desto besser kann einer manifesten Mangelernährung entgegengewirkt werden. Ein Screening mit validierten Verfahren kann Tumorpatienten mit Mangelernährung oder einem Risiko für Mangelernährung identifizieren. Eine rasche Einschätzung des Ernährungszustands erfolgt zur Klärung, ob eine Mangelernährung oder ein Risiko für die Entwicklung einer Mangelernährung vorliegt; es sollte standardisiert erfolgen und dokumentiert werden (S 3-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Onkologie“).

Frage 742 Welche Möglichkeiten der palliativen Versorgung von Knochenmetastasen an den Extremitäten gibt es? ●



operativ: Verbundosteosynthese, Marknagelosteosynthese, (tumor)endoprothetischer Ersatz konservativ: lokale palliative Strahlentherapie

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Onkologie Zur palliativen Versorgung von Knochenmetastasen an den Extremitäten stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Bei der operativen palliativen Versorgung erfolgt keine Resektion der Metastase, sondern lediglich eine Stabilisierung. Eine gute Möglichkeit der palliativen Stabilisierung ist die Marknagelosteosynthese der langen Röhrenknochen. Die Marknagelosteosynthese ist wenig invasiv und führt schnell zu einer belastbaren Extremität. Bei der Verbundosteosynthese wird die Metastase marginal oder intraläsional reseziert, der Defekt mit Knochenzement ausgefüllt und dann in der Regel mit einer Platte stabilisiert. Bei gelenknahen Metastasen ist häufig die Implantation einer Tumorprothese die einzige Möglichkeit der Stabilisierung. Im Anschluss an diese operativen Verfahren muss die Indikation zur adjuvanten Bestrahlung geprüft werden. Liegt keine akute Stabilitätsgefährdung vor oder ist der Patient für einen operativen Eingriff nicht belastbar, so kann eine palliative Bestrahlung mit dem Patienten besprochen werden.

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Frage 743 Wie beurteilt man die Stabilität von Knochenmetastasen an den Extremitäten? Auf dem konventionellen Röntgenbild in 2 Ebenen oder dem CT kann die Stabilität von Knochenmetastasen an den Extremitäten mit dem Mirels-Score abgeschätzt werden [40]. Dieser gibt sowohl für osteosklerotische wie auch osteolytische Knochenmetastasen einen Hinweis, ob eine Versorgung zur Vermeidung einer pathologischen Fraktur zu empfehlen ist. Hilfe hierfür stellt der Mirels-Score für periphere Skelettmetastasen dar. Für die kalkulierten Werte ≤ 7 ist die prophylaktische Stabilisierung nicht notwendig. Bei einem Wert von 8 ist die osteosynthetische Versorgung eine Ermessensfrage ohne klare Empfehlung. Ab einem Wert von 9 ist der Knochen als stabilitätsgefährdend einzustufen und die prophylaktische Stabilisierung sollte empfohlen werden [40]. Eine pathologische Fraktur ist ein einschneidendes Erlebnis für den Patienten und die Frakturheilung ist durch die Metastase deutlich kompromittiert, sodass die prophylaktische Stabilisierung immer vorzuziehen ist, wenn die Möglichkeit besteht.

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Frage 744 Welches sind die wichtigsten Komplikationen nach tumorendoprothetischer Versorgung von Primärtumoren des Knochens oder Knochenmetastasen? Die relevanteste Komplikation nach tumorendoprothetischem Ersatz ist die tiefe periprothetische Infektionen der Tumorprothese. Weitere Komplikationen sind die Lockerungen und Verschleiß von mobilen Teilen der Prothese (Verschleiß des Gelenkmechanismus). Die Rate der periprothetischen Infekte ist abhängig von der Lokalisation der Prothese. Nach Resektion und Ersatz des distalen Femurs treten sie in ca. 19 % auf, nach Resektion des proximalen Femurs in ca. 12 % sowie nach Implantation eines Ersatzes der proximalen Tibia in ca. 23 %. Die Infektrate ist abhängig von der Komplexität des Eingriffes, der Dauer und der Größe und damit der Oberfläche des Implantates. Auch eine Silberbeschichtung der Implantatoberfläche hat nicht den gehofften antibakteriellen Effekt gezeigt. Aseptische Schaflockerungen sind aufgrund der Belastung an der unteren Extremität häufig (7– 11 %). Die Patienten werden meist zunächst durch belastungsabhängige Schmerzen auffällig. Das initiale Röntgenbild muss ggf. durch eine CT ergänzt werden. Durch die häufig notwendigen weiten Weichteilresektionen sind die Prothesen hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt, da die muskuläre Führung des Gelenkes fehlt. Der Patient muss daher immer auch über einen Verschleiß der mobilen Komponenten der Prothese aufgeklärt werden. Wenn es zu einem Verschleiß kommt, können die mobilen Teile einzeln gewechselt werden.

Frage 745 Warum haben Sarkompatienten oft mehr Probleme mit der Mobilität als andere Patienten? Einschränkungen in der Mobilität und Selbstversorgung spielen eine sehr große Rolle. Viele Patienten hatten aufgrund der Tumorlokalisation eine Amputation oder eine anderweitig funktionseinschränkende Operation und sind schon primär auf Hilfsmittel zur Fortbewegung angewiesen.

Tumoren/Erkrankungen Amputationen werden aufgrund der Funktionslosigkeit einer Extremität oder drohender Komplikationen gelegentlich auch in palliativer Intention durchgeführt. Wesentlich für die spätere Versorgung ist somit die interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit mit der Tumororthopädie und Orthopädietechnik. Auch für die häusliche Umgebung ergeben sich Fragen und Probleme, die gemeinsam mit dem Sozialdienst gelöst werden müssen, damit zu Hause eine barrierefreie und möglichst patientengerechte Versorgung möglich ist. Des Weiteren ergeben sich aufgrund der Amputationen auch spezifische Anforderungen an die Schmerztherapie (z. B. Behandlung von Phantomschmerz) und die Ergound Physiotherapie (Spiegeltherapie).

Embolisation tumorversorgender Gefäße, eine sehr gute palliativmedizinische Option darstellen. Aufgrund der teilweise oberflächlichen Lage der Sarkome kommt es immer wieder zu Ulzerationen und Blutungen unterschiedlicher Intensität (von venöser Sickerblutung bis hin zu arterieller Spritzblutung). Diese führen zu einem Blutverlust und Problemen bei der Wundversorgung. Grund ist der Gefäßreichtum dieser Tumoren, die teilweise sogar primär aus den lokal versorgenden Gefäßen entstehen (sog. vaskuläre Sarkome). Eine angiografische Sondierung und anschließende selektive Darstellung und Embolisation können bei diesen Patienten sehr gute Erfolge erzielen.

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Frage 746 Frage 748 Spielt die operative Therapie bei Patienten mit metastasiertem GIST eine Rolle?

Ist eine molekulare Stratifizierung bei der Therapieentscheidung von Sarkomen sinnvoll?

Ja. Eine operative Therapie kann als Resektion regredienter, residueller Tumormanifestationen unter Imatinib-Therapie angeboten werden, wenn makroskopisch Tumorfreiheit bei gleichzeitig vertretbarer Operationsmorbidität erreicht werden kann. Die Indikationsstellung und Operation sollen ausschließlich an GIST-erfahrenen Zentren erfolgen. Als optimaler Zeitpunkt für die Resektion wird das Zeitfenster 6–12 Monate nach Therapiebeginn mit Imatinib angesehen [7][33]. Grundsätzlich muss aber eine kritische Abwägung der Operationsrisiken gegenüber der Chance der Patienten auf eine Langzeittumorkontrolle ohne Operation abgewogen werden. Auch bei Erreichen einer chirurgisch kompletten Resektion ist die Fortsetzung der Imatinib-Behandlung postoperativ erforderlich (S 3-Leitline „Weichteilsarkome“).

Frage 747 Welche Therapieoptionen gibt es zur Behandlung eines exulzerierten blutenden Weichteilsarkoms? Neben verschiedenen Möglichkeiten der Verbandstechnik (z. B. Kompressionsverband) und der lokalen Applikation von Vasokonstriktoren (z. B. adrenalingetränkter Kompressen) können selektive angiologische Interventionen, z. B. die

Ja. Sie sollte in Abhängigkeit des Krankheitsverlaufes und des Ansprechens auf die erfolgte systemische Therapie zeitnah erfolgen. Das Material zur Untersuchung kann von einer Biopsie (z. B. bei Progress) oder im Rahmen eines operativen Eingriffes entnommen werden. Sarkome gehören zu den seltenen Tumorentitäten, daher ist hier die Prüfung der Möglichkeit einer molekularen Stratifizierung großzügig zu empfehlen. Zudem muss die Zeit bedacht werden, bis das Material aufgearbeitet ist, daher ist eine frühzeitige Untersuchung ratsam. Im molekularen Tumorboard wird dann aufgrund der Befunde entschieden, ob die Empfehlung zu Medikamenten ausgesprochen wird, die für dieselbe oder andere Tumorarten zugelassen sind, oder ob eine medikamentöse Therapie empfohlen wird, die aktuell erst in präklinischen Studien untersucht worden ist. In der prospektiven Beobachtungsstudie im Rahmen des DKFZ/NCT/DKTK-MASTER-Programms haben Wissenschaftler die vollständigen molekularen Profile und klinischen Daten von 1310 Krebspatienten analysiert. 75,5 % davon litten an seltenen Tumoren. Die jeweiligen Empfehlungen des molekularen Tumorboards wurden bei etwa einem Drittel dieser Patienten umgesetzt und führten zu signifikant verbesserten Gesamtansprech- und Krankheitskontrollraten im Vergleich zu Standardtherapien [29].

223

Onkologie Frage 749 Gibt es bei Sarkompatienten häufige Beschwerden, bei denen die physiotherapeutische Mitbehandlung einen großen Stellenwert hat? Die Patienten leiden oft unter einer tumorbedingten Schwellung der Extremität und primären oder sekundären Lymphabflussstörungen. Bei Sarkomen werden im Rahmen der multimodalen Therapie durch Operationen und eine Bestrahlung häufiger lymphatische Strukturen geschädigt. Dadurch kann es zu einer vermehrten Flüssigkeitseinlagerung kommen. Gerade bei Tumoren im Becken und in den proximalen Extremitäten kann dies der Fall sein. Im Rahmen der Schwellung können weitere trophisch bedingte Störungen wie Dermatitiden und Ulzerationen auftreten. Daneben haben die Patienten auch deutliche Einschränkungen in der Beweglichkeit aufgrund der Gewichtszunahme der Extremität infolge der Wassereinlagerung.

6

Frage 750 Sarkome sind eine der häufigsten Todesursachen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Welches ist der häufigste Sterbeort dieser Patienten? Die meisten dieser jungen Patienten sterben in einer Klinik. In einer französischen Untersuchung starben über 50 % der Patienten in einer Klinik. Es folgten Zuhause mit 13 % und Palliativstation mit 9 %. Einige Patienten (4,5 %) starben auch auf der Intensivstation. Die Patienten verbrachten im letzten Lebensmonat durchschnittlich noch 16 Tage im Krankenhaus.

Frage 751 Findet man Sarkompatienten häufiger auf einer Palliativstation oder im Hospiz als Patienten mit anderen malignen Erkrankungen?

224

Ja. In einer großen dänischen Registerstudie, in die mehr als 44 000 Patienten eingeschlossen wurden, hatten bis zu ihrem Tode insgesamt 37 % der Sarkompatienten einen Aufenthalt in einer stationären Palliativeinrichtung, einem Hospiz oder beidem. Bei Patienten mit einer Sarkomerkrankung war das Risikoverhältnis bezüglich der Aufnahme in eine Hospiz- oder Palliativeinrichtung am höchsten (Odds Ratio: 1,9), gefolgt von Patienten mit Pankreas- und Magenkarzinom [31]. Interessanterweise war die Odds Ratio für Patienten mit hämatologischen Erkrankungen am kleinsten. Darüber hinaus wurden auch unabhängig von der Erkrankung im Verhältnis mehr Frauen und jüngere Patienten auf eine Palliativstation oder in ein Hospiz aufgenommen. Ob dabei ein kausaler Zusammenhang zwischen Erkrankung und Schwere des Verlaufs bzw. der Symptomlast gegeben ist, kann aber nicht bewiesen werden. Es könnte auch sein, dass Patienten mit anderen malignen Erkrankungen einen schlechteren Zugang zu diesen spezialisierten Einrichtungen haben.

Frage 752 Welche Bereiche der Lebensqualität sind bei Sarkompatienten besonders beeinträchtigt? Soziale Fähigkeiten und die Rollenfunktion. Neben der globalen Lebensqualität werden im Rahmen der palliativen und supportiven Therapie weitere Bereiche erfragt und behandelt. Zusätzlich zu verschiedenen Symptomen und der körperlichen Leistungsfähigkeit gehören dazu auch einige psychosoziale Faktoren wie Rollenfunktion, soziale Fähigkeiten, emotionale und kognitive Fähigkeiten. Dabei sind nach Selbsteinschätzung der Patienten die Rollenfunktion und ihre sozialen Fähigkeiten am meisten beeinträchtigt. Die genauen Ursachen sind wenig untersucht. Einige der Sarkompatienten sind aber sehr jung und definieren ihre Lebensqualität normalerweise über ihre Funktion in Familie und Beruf.

Tumoren/Erkrankungen Frage 753 Warum ist das Symptom „Luftnot“ von besonderer Bedeutung bei Patienten mit Sarkomerkrankungen? Dyspnoe ist das zweithäufigste Symptom bei Sarkompatienten. Im Verlauf der Erkrankung nimmt sie stetig zu und betrifft gegen Ende des Lebens über 40 % aller Patienten. Grund dafür sind in erster Linie die Lungenmetastasen als häufigste Metastasenlokalisation. Der Anteil der Patienten mit nicht zufriedenstellender Symptomkontrolle nimmt um das mehr als 5-Fache auf über 30 % zu. Somit ist derzeit von einer ausgeprägten Untertherapie dieses Symptoms auszugehen.

6.2.6 Tumoren im Kopf-Hals-Bereich Peer Wolfgang Kämmerer; frühere Bearbeitung: Monika Daubländer, Peer Wolfgang Kämmerer

Frage 754 Welche palliativchirurgischen und interventionellradiologischen Maßnahmen haben eine feste Rolle beim Management spezifischer tumorassoziierter Probleme? ● ● ● ● ●

Tracheostoma-Anlage Tumorreduktion (z. B. mittels Laser) Embolisation (z. B. als Blutungsprophylaxe) perkutane endoskopische Gastrostomie-Anlage Nervblockaden

Die genannten Maßnahmen basieren auf kleineren retrospektiven Studien und klinischen Erfahrungen. Ihre Indikation kann gegeben sein bei einer Verlegung der oberen Atemwege, für das Debridement von nekrotisch zerfallenen, bakteriell besiedelten Tumormassen, bei Blutungen, Dysphagie und Schmerzen.

Frage 755 Warum ist eine regelmäßige Tumornachsorge ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Therapie?

In ca. einem Fünftel der Patienten kommt es zu einem lokalen Tumorrezidiv, das in über 70 % innerhalb der ersten Jahre auftritt. Auch im 3. Jahr nach abgeschlossener Primärbehandlung entwickeln noch 11 % der Patienten Rezidive. Ziel der Nachsorge ist die sorgfältige Untersuchung der Mundhöhle und des Halses, da erneut wachsende Tumoren nur in ein wenig mehr als der Hälfte der Fälle zu Symptomen führen und von der Mehrzahl der Patienten nicht bemerkt werden. Ein weiterer Nutzen besteht in der Erkennung metachroner Zweittumoren, vor allem im Bereich des oberen Aerodigestivtrakts und der Lunge. Des Weiteren ist die Beurteilung und – wenn möglich – die Verbesserung funktioneller Folgezustände, des Schmerzstatus und der Notwendigkeit rehabilitativer und supportiver Maßnahmen Aufgabe der Tumornachsorge. Verdächtig auf ein Mundhöhlenkarzinom ist jegliche Mundschleimhautveränderung mit Gewebeüberschuss bzw. -defekt sowie Farbveränderung bzw. Verhärtung der Schleimhaut. Eine sofortige Überweisung an einen Spezialisten wird empfohlen, sollten folgende Befunde über 2 Wochen anhalten: ● weiße bzw. rote Flecken ● Schleimhautdefekte bzw. Ulzerationen ● Schwellungen ● unklare Zahnlockerungen ● persistierendes Fremdkörpergefühl ● Schmerzen ● Schluckstörungen ● Schwierigkeiten beim Sprechen ● verminderte Zungenbeweglichkeit ● Taubheitsgefühle ● unklare Blutungen ● Fötor ● Veränderungen der Okklusion

6

Frage 756 Warum sollten die allgemeine Lebensqualität und die psychosoziale Verfassung von posttherapeutischen Patienten mit Tumoren im Kopf-Hals-Bereich kontinuierlich beobachtet und erfragt werden? Es gilt als gesichert, dass 2–3 Monate nach der Diagnose eine schwere depressive Verstimmung auftritt, die sich, sofern kein Rezidiv auftritt, langsam und kontinuierlich verbessert. Aufgrund dieser Belastung benötigen die Patienten nicht selten soziale und psychologische Unterstützung.

225

Onkologie Auch der Tatsache, dass Funktionen wie Essen, Trinken, Sprechen, Speichelfluss, Geschmack, Geruch, aber auch das Sexualleben nicht mehr die gleiche Qualität wie vor der Erkrankung haben, muss Beachtung geschenkt werden, um rechtzeitig reagieren zu können.

Frage 757 Welche Fachdisziplinen sollten zur Beurteilung von tumor- oder behandlungsbedingten Beeinträchtigungen des Sprech- und Schluckverhaltens herangezogen werden? ●

6

● ●

Logopäden Phoniater Physiotherapeuten

Jeder Patient, der an einer Dysphagie leidet, unterliegt einem signifikanten Ernährungsrisiko. Die unbehandelte oder schlecht kontrollierte Dysphagie verringert die Lebensqualität, behindert die zielgerechte (Nach-)Behandlung des Tumors und kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie einer Aspirationspneumonie führen. Speziell nach einer Glossektomie oder anderen großen Resektionen hat sich die Logopädie als hilfreich erwiesen; so kann beispielsweise eine Modifikation der Kopf- und Körperhaltung während des Schluckens die Aspirationsgefahr deutlich verringern. Auch eine Lymphdrainage kann nach Beendigung der Therapie zur Behandlung eines fazialen oder zervikalen Lymphödems sinnvoll sein.

Frage 758 Welche Faktoren sorgen am ehesten dafür, dass die betroffenen Tumorpatienten eine professionelle Ernährungsberatung und Ernährungsunterstützung benötigen? ● ● ● ●

● ● ●

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Alkoholabusus Beteiligung der Zungenwurzel Pharyngektomie Rekonstruktionen mit großflächigen Transplantaten Strahlentherapie fortgeschrittenes Tumorwachstum schlecht differenzierte Tumoren

Frühzeitige Maßnahmen zur Sicherung einer ausreichenden Ernährung, auch durch Anlage einer PEGSonde oder einer nasogastralen Ernährungssonde, sowie eine weitergehende kontinuierliche Ernährungsberatung und Diätmodifikation tragen wesentlich zum Behandlungserfolg und zur Steigerung der Lebensqualität bei Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen bei.

Frage 759 Welche Faktoren haben einen verlässlichen negativen Einfluss auf die Prognose oraler Plattenepithelkarzinome? ● ●

● ● ● ● ● ● ●



Tumor-Grading TNM-Einteilung (Klassifikation zum Staging von Tumorerkrankungen) perineurale Infiltration Wachstumsfront Resektionsränder Dysplasien im Randbereich Tumordicke lokale Metastasierung in die Halslymphknoten Beteiligung der kaudalen Level IV und V bei Halslymphknotenmetastasen kapselüberschreitendes Wachstum der Halslymphknotenmetastasen

Ein höheres Grading ist wie höhere Kategorien in der TNM-Einteilung mit einer schlechteren Prognose verbunden, ebenso wie eine perineurale Infiltration als aussagekräftiger Parameter für ein höheres Rezidivrisiko und eine schlechtere Prognose gesehen wird. Weitere negative Prognoseparameter sind eine diskontinuierliche, infiltrative Tumorwachstumsfront, geringe Resektionsränder (< 5 mm) des Primärtumors, das Vorliegen von Dysplasien am Randbereich, eine Invasionstiefe von mehr als 3 mm sowie das Vorkommen von Halslymphknotenmetastasen. Dabei wird der Krankheitsverlauf als umso ungünstiger gesehen, je mehr Lymphknoten befallen sind.

Tumoren/Erkrankungen Frage 760 Welche Möglichkeiten bestehen zur kurativ intendierten Behandlung des Mundhöhlenkarzinoms? ● ● ●



alleinige chirurgische Therapie alleinige Strahlentherapie Strahlentherapie in Kombination mit einer Chemotherapie Kombination aus chirurgischer Therapie, Strahlentherapie und Chemotherapie

Die Therapie des Mundhöhlenkarzinoms ist abhängig von der Lage und Größe des Primärtumors, dem Allgemeinzustand des Patienten, der voraussichtlichen behandlungsbedingten Morbidität mit den entsprechenden Konsequenzen in funktioneller und ästhetischer Hinsicht sowie dem zu erwartenden Behandlungserfolg.

Frage 761 Welche Arten der Rekonstruktion sind nach Resektion eines Mundhöhlenkarzinoms möglich?

Frage 762 Welchen Zweck hat die Anwendung der intensitätsmodulierten Strahlentherapie beim Mundhöhlenkarzinom? ●



Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass die Patienten unter intensitätsmodulierter Strahlentherapie keine Verschlechterung der lokalen Tumorkontrolle oder des Gesamtüberlebens hinnehmen müssen.

● ● ● ● ● ●

lokale Lappenplastiken freie Hauttransplantation freie Schleimhauttransplantation freie Knochentransplantation muskelgestielte Transplantate mikrovaskulärer Gewebetransfer Defektprothetik bzw. Epithetik

Als Folge der chirurgischen Entfernung des Primärtumors mit dem notwendigen Sicherheitsabstand machen die entstehenden Defekte häufig rekonstruktive Maßnahmen notwendig, deren Ziele der Erhalt und die Wiederherstellung von Kau-, Sprechund Schluckfunktion sowie der Ästhetik sind. Die Verfahren zur Rekonstruktion variieren abhängig von der anatomischen Lokalisation des Defekts und den patientenindividuellen Gegebenheiten. Vor allem soll der Aufwand der Rekonstruktion durch die zu erwartende funktionelle oder ästhetische Verbesserung gerechtfertigt werden.

6

Frage 763 Welche Komplikationen der Strahlentherapie werden durch die Kombination mit der Chemotherapie verstärkt? ● ●



Verringerung der Toxizität der Strahlentherapie Vermeidung der strahlenbedingten Xerostomie



nachteilige Auswirkung auf die Hämatologie Verstärkung der Mukositis vermehrte Langzeitschäden (z. B. Zahnschäden)

Somit wird derzeit empfohlen, dass eine Radiochemotherapie bei Mundhöhlenkarzinomen nur an Einrichtungen stattfinden sollte, an denen die resultierenden akuten Toxizitäten erkannt und adäquat behandelt werden können.

Frage 764 Wann ist eine postoperative Radio- oder Radiochemotherapie beim Mundhöhlenkarzinom indiziert? ● ● ● ● ● ●

fortgeschrittene T-Kategorie (T 3/T 4) knappe Resektionsränder positive Resektionsränder perineurale Invasion Gefäßinvasion Lymphknotenbefall

Fortgeschrittene operable orale Karzinome sollten mit einer Kombination aus Operation und Radiochemotherapie behandelt werden.

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Onkologie Frage 765 Warum ist vor der Durchführung einer Radio- bzw. Radiochemotherapie im Kopf- und Halsbereich eine zahnärztliche Vorstellung erforderlich?

Frage 768 Was sind bekannte Nebenwirkungen der Radiatio im Kopf- und Halsbereich? ●



● ●

Evaluierung der Notwendigkeit einer konservativen bzw. chirurgischen Zahnsanierung Anfertigung von Fluoridierungsschienen evtl. Anfertigung von Distanzschienen bzw. Wangenretraktoren

Vor der Bestrahlung werden dentale Foki beseitigt (erkrankte Zähne saniert, nicht erhaltungswürdige Zähne entfernt) und die verbliebenen Zähne durch Auftragen von fluoridhaltigen Zahnpasten geschützt. Die Streustrahlung durch vorhandene Metallrestaurationen wird durch die Verwendung von Distanzschienen gemildert.

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Frage 766 Welche medikamentösen Empfehlungen existieren zur Prophylaxe der strahlenbedingten Xerostomie? Pilocarpin oral (3 × täglich) Patienten, die wegen eines Mundhöhlenkarzinoms bestrahlt wurden, sollten bei erhaltener Restfunktion der Speicheldrüsen 3 × täglich Pilocarpin (z. B. Salagen, 5–10 mg) oral angeboten bekommen, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Daten zu einer optimalen Dauer der Pilocarpin-Applikation liegen derzeit nicht vor.

Frage 767 In welchen Fällen ist das Risiko der Entstehung einer infizierten Osteoradionekrose bei Patienten mit Mundhöhlenkarzinom nach Radiatio erhöht? Wenn eine Tumorarrosion des Unterkiefers vorlag und dieser im direkten Strahlenfeld lag. Eine gefürchtete Langzeitkomplikation nach Radiatio im Kopf- und Halsbereich ist die infizierte Osteoradionekrose, die bei ca. 5 % der bestrahlten Patienten auftritt. Das Risiko einer solchen Nekrose steigt noch weiter an, wenn eine Bestrahlung der Kieferknochen unternommen wurde.

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● ● ● ● ●

Mukositis Schädigungen der Zähne Xerostomie Osteoradionekrose Einschränkungen der Schluckfunktion Trismus

Insbesondere die Mundschleimhaut und die Speicheldrüsen werden von der Radiatio geschädigt und in ihrer Funktion stark beeinträchtigt. Liegt die Kaumuskulatur im Strahlenfeld, z. B. der M. masseter, sind Mundöffnungseinschränkungen die Folge. Als Spätfolgen können Zerstörungen der Zahnhartsubstanz und eine Osteoradionekrose auftreten; die Behandlung der Osteoradionekrose ist v. a. chirurgisch technisch anspruchsvoll und kann in der Regel langfristig nur durch einen mikrovaskulären Knochentransfer gelöst werden.

Frage 769 Wie wird die strahlenbedingte Mukositis behandelt? ● ●



Basismundpflege suffiziente Schmerztherapie nach WHO-Schema Benzidamin-Mundspülungen (4–8 × täglich, je 15 ml)

Die wichtigste akute Nebenwirkung einer Radiatio im Kopf- und Halsbereich ist die Mukositis, eine entzündliche und schmerzhafte Schädigung von Schleimhautepithel und Submukosa des bestrahlten Aerodigestivtrakts. Bestehen starke bis stärkste Schmerzen, sind häufig das Anlegen einer PEG-Sonde sowie eine stationäre Betreuung zur Vermeidung lokaler und systemischer Infektionen notwendig.

Tumoren/Erkrankungen Frage 770 Was ist der häufigste Grund für eine erfolglose primäre Tumorbehandlung?

6.2.7 Thorakale Tumoren Bastian Jaeschke

Frage 772 Das lokoregionäre Tumorrezidiv. Lokoregionäre Tumorrezidive treten beim Mundhöhlenkarzinom bei ca. 20 % der Patienten auf und sind der häufigste Grund für tumorbedingtes Versterben. Als kurativ intendierte therapeutische Optionen stehen hier die erneute Operation („salvage“) und/oder Radiatio bzw. Radiochemotherapie zur Verfügung.

Frage 771 Wann ist ein Mundhöhlenkarzinom als unheilbar anzusehen? ●









Eine Resektion ist aus anatomischen bzw. funktionellen Gründen nicht mehr möglich. Von der Strahlentherapie ist kein kurativer Effekt mehr zu erwarten. Der Allgemeinzustand des Patienten ist so stark reduziert, dass weder Chirurgie noch Radiatio möglich sind. Bei dem Patienten mit lokoregionärem Rezidiv ist nach chirurgischer oder konservativer Therapie eine Salvage-Therapie operationstechnisch bzw. strahlenbiologisch nicht mehr möglich. Es sind Fernmetastasen vorhanden.

Bei gutem Allgemein- und Leistungszustand empfiehlt sich derzeit eine palliative platinbasierte Chemotherapie in Kombination mit Cetuximab. Ist der Allgemeinzustand reduziert, sollte eine Monotherapie erwogen werden. Auch eine palliative Strahlentherapie kann in Erwägung gezogen werden, wobei bei bereits bestrahlten Patienten eine Zweitbestrahlung nur in einer Einrichtung mit adäquater Expertise und idealerweise innerhalb einer klinischen Therapiestudie erfolgen sollte. Patienten mit einem nicht mehr heilbaren Tumorleiden haben vielfältige physische und psychische Begleitprobleme. Deshalb sollten sie zusätzlich frühzeitig einer professionell durchgeführten supportiven Therapie zugeführt werden.

In welche Kompartimente lässt sich das Mediastinum einteilen? Welche Tumoren manifestieren sich in den einzelnen Kompartimenten? Das Mediastinum wird in das obere, das vordere, das mittlere und das hintere Mediastinum eingeteilt. Im vorderen bzw. oberen Mediastinum können Schilddrüsentumoren, Lymphome, Keimzelltumoren, Teratome und Thymome auftreten. Im mittleren Mediastinum finden sich ebenfalls Lymphome und Thymome, daneben Zysten, Lipome, pleuroperikardiale Zysten, Trachealtumoren, Ösophagusdivertikel und Gefäßveränderungen. Im hinteren Mediastinum manifestieren sich Paragangliome, neurogene Tumoren und Zysten.

6

Frage 773 Welche Symptome können auf einen intrathorakal gelegenen Tumor hindeuten? Die Symptome bei intrathorakal gelegenen Tumoren sind vielfältig und hängen stark vom betroffenen Organ bzw. Organsystem ab. Häufige Symptome sind Schmerzen, Husten mit und ohne Hämoptysen, Heiserkeit und Schluckstörungen. Bei Infiltration nervaler Strukturen kann es nicht nur zu Schmerzen und Lähmungen, sondern auch zu vegetativen Begleiterscheinungen kommen (HornerSyndrom). Zu den onkologischen Notfällen aufgrund intrathorakalen Tumorwachstums gehören die obere Einflussstauung und der maligne Perikarderguss.

Frage 774 Welche Unterteilung des Lungenkarzinoms kennen Sie? Das Lungenkarzinom wird in das kleinzellige und das nicht kleinzellige Lungenkarzinom unterteilt.

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Onkologie Für die nicht kleinzelligen Lungenkarzinome richtet sich die Therapie immer weniger nach der histologischen Einordnung, sondern nach den Ergebnissen der Molekularpathologie. Hier werden immer mehr Treibermutationen mit gezielten Therapien wie Thyrosinkinaseinhibitoren therapiert. Eine palliative (Chemo-)Therapie ohne vorherige molekularpathologische Untersuchung des Tumors ist nicht mehr zeitgemäß.

Frage 775 Welche diagnostischen Verfahren zur Bestimmung der Ausbreitung von Lungenkarzinomen sind Ihnen bekannt?

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Es kann grob zwischen bildgebenden und interventionellen Verfahren unterschieden werden. Die Anwendung von Untersuchungen orientiert sich dabei an der sich aus ihnen ergebenden Konsequenz. Zu den radiologischen bildgebenden Verfahren gehört neben der konventionellen Röntgenaufnahme des Thorax und der CT mittlerweile auch regelhaft das PET-CT. Die Bronchoskopie kann um einen endobronchialen Ultraschall zur Bestimmung des mediastinalen Lymphknotenstatus ergänzt werden. Außer durch die Bronchoskopie mit oder ohne endobronchialen Ultraschall kann Tumorgewebe über transkutane Biopsien, sonografisch gesteuert oder über die Mediastinoskopie bzw. Thorakoskopie gewonnen werden.

Frage 776 Welche Therapieoptionen für das Lungenkarzinom kennen Sie? ● ●

● ●

Chirurgie Medikamente (Chemotherapeutika, Immuntherapie, Tyrosinkinaseinhibitoren) Strahlentherapie Lokalmaßnahmen wie z. B. bronchoskopische Stenteinlagen

Bis vor Kurzem waren Immuntherapien und Tyrosinkinaseinhibitoren nur im fortgeschrittenen Stadium zugelassen. Mittlerweile gibt es für diese Substanzen auch Zulassungen für adjuvante und neoadjuvante Therapien in früheren Stadien.

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Frage 777 Welche beiden histologischen Subgruppen machen über 90 % der Ösophaguskarzinome aus? Im oberen bzw. mittleren Drittel des Ösophagus finden sich Plattenepithelkarzinome. Diese machen ca. zwei Drittel der Fälle aus. Im distalen Ösophagusdrittel sind meist Adenokarzinome lokalisiert (in ca. ein Drittel der Fälle). Andere Tumoren machen weniger als 5 % aus. In den letzten Jahren ist eine Umverteilung hin zu den Adenokarzinomen zu beobachten. Dies ist inzwischen bei Männern unter 50 Jahren der häufigste Subtyp.

Frage 778 Kennen Sie Risikofaktoren für das Entstehen von Ösophaguskarzinomen? Hauptrisikofaktor ist der Suchtmittelabusus (Alkohol und Nikotin). Neben dem Suchtmittelabusus spielen Vitamin- und Eisenmangel, Adipositas, Reflux (Entwicklung eines Barrett-Syndroms), Zustand nach Laugenverätzung und die Achalasie eine Rolle.

Frage 779 Wie sollte ein Patient mit oberer Einflussstauung behandelt werden? Bei dem Bild der oberen Einflussstauung durch Kompression der V. cava superior (V.-cava-superior-Syndrom) handelt es sich um einen Notfall. Der Patient sollte mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden sowie eine Sauerstoffgabe und Antikoagulation erhalten. Der Effekt von Steroiden ist umstritten. Die weitere Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung und umfasst in der Regel eine Chemotherapie und/ oder Bestrahlung. Eine Stent-Einlage in die V. cava bleibt Einzelfällen vorbehalten.

Tumoren/Erkrankungen Frage 780 Das fortgeschrittene Mesotheliom hat eine schlechte Prognose. Welche Behandlungsoptionen sind Ihnen bekannt? Die Behandlungsoptionen umfassen Operation, Bestrahlung und medikamentöse Therapie. In der medikamentösen palliativen Therapie des Mesothelioms hat sich aktuell eine Kombination aus Immuntherapeutika vor der Chemotherapie etabliert. Für die palliative Versorgung ist bei mehr Patienten mit den geänderten Immuntherapie-vermittelten Nebenwirkungen zu rechnen. Hierzu zählen v. a. Diarrhöen, Hautausschläge, Hyper- und Hypothyreosen.

Frage 783 Bei einem 51-jährigem Mann mit einem Lungenkarzinom zeigt sich in einem CT ein großer Perikarderguss, die restlichen Tumormanifestationen sind stabil. Die zunehmende Luftnot beeinträchtigt ihn sehr. Gibt es eine palliative Therapieoption, die zu schneller Besserung führt? Ja, die Perikardpunktion (durch Kardiologen in der Klinik). In Abhängigkeit von individuellen Patienten- und Erkrankungsfaktoren ergänzt durch eine intraperikardiale Chemotherapie. Durch eine Punktion + /– Chemotherapie über einliegenden Perikardkatheter kann eine schnelle und anhaltende Symptomkontrolle gelingen.

6

Frage 784 Frage 781 Tumorerkrankungen des Thymus machen einen relevanten Anteil der Tumoren des oberen (vorderen) Mediastinums aus. Welche Therapiestrategien zur Behandlung solcher Tumoren kennen Sie? Die Therapiestrategie richtet sich nach der Ausdehnung und histologischen Einteilung des Tumors. Sie kann Operation, Bestrahlung und Chemotherapie umfassen. Die Festlegung der genauen Strategie sollte interdisziplinär erfolgen. Im lokalisierten Stadium sollte die Operation angestrebt werden. Adjuvant und in der Palliation kommen Bestrahlung und Chemotherapie (z. B. platinbasierte Protokolle) zum Einsatz.

Frage 782 Welches ist das häufigste paraneoplastische Syndrom bei Thymustumoren?

Welche Tumorentitäten führen am häufigsten zu malignen Pleuraergüssen? Das Lungen- und das Mammakarzinom. Am häufigsten werden maligne Pleuraergüsse von Lungenkarzinomen (zu ca. 35 %) und Mammakarzinomen (zu ca. 25 %) verursacht. Weitere Ursachen können Lymphome (zu ca. 10 %) und Ovarialkarzinome sein.

Frage 785 Bei einem jungen Mann zeigt sich das klinische Bild eines Hodenkarzinoms mit retroperitonealen, pulmonalen, mediastinalen sowie zerebralen Metastasen. Die Konzentrationen des humanen Choriongonadotropins β, des α-Fetoproteins und der LDH sind stark erhöht. Der Patient ist vor allem pulmonal bereits durch die Erkrankung kompromittiert. Würden Sie die histologische Sicherung (Orchiektomie) abwarten oder direkt therapieren?

Myasthenia gravis. Bei Patienten mit Myasthenia gravis findet sich in ¾ der Fälle eine Erkrankung des Thymus. In der Mehrzahl handelt es sich dabei um Thymushyperplasien, in der Minderheit um Thymome.

Im vorliegenden Fall ist die schnelle Therapieeinleitung auch ohne Vorliegen des histologischen Befunds zu empfehlen.

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Onkologie Bei massiv eingeschränkter Lungenfunktion sind sogar die Modifikation der Chemotherapie (Verzicht auf lungentoxische Medikamente wie Bleomycin) und eine Dosisreduktion bei den übrigen Substanzen zu erwägen. Im vorliegenden Fall ist die Behandlung in einem Zentrum mit entsprechender Expertise dringend zu empfehlen.

Frage 786 Bei Lungenkarzinomen mit einer EGFR-Mutation (bis zu 20 % der Lungenkarzinome) sind mittlerweile Thyrosinkinaseinhibitoren (Tabletten) fest in der Tumortherapie etabliert. Kennen Sie einige der relevanten Nebenwirkungen?

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Hautausschläge Diarrhöen Leberwerterhöhung

Vor allem für die oft jüngeren Patienten ist der akneiforme Hautauschlag ein belastendes Problem. Neben der Vorbeugung („Hautschulung“ in der Onkologie) kommen therapeutisch topische Steroide und Antibiotika zum Einsatz. Bei schweren Formen muss die Therapie systemisch erfolgen.

6.2.8 Hämatologische Erkrankungen

Patienten mit hämatologischen Neoplasien bedürfen vor dem Hintergrund dieser Unterschiede eines angepassten, primär bedürfnisorientierten (und weniger prognoseorientierten) palliativmedizinischen Vorgehens. Dieses sollte vor allem den eher allgemeinen Symptomen wie z. B. Schwäche oder Infektneigung, den vielschichtigen Komplikationsmöglichkeiten und der unsicheren Prognosefindung Rechnung tragen.

Frage 788 Beschreiben Sie einem medizinischen Laien (z. B. dem Patienten selbst oder seinen Angehörigen) mit einem Satz, was eine AML eigentlich ist. Beispiel: „Eine AML ist eine bösartige Erkrankung des Knochenmarks, konkret der Bildung der weißen Blutkörperchen, bei der sich funktionsuntüchtige, unreife weiße Blutkörperchen so stark vermehren, dass die normale Blutbildung verdrängt wird.“ Der Begriff „Leukämie“ („weißes Blut“) wurde 1845 von Rudolph Virchow geprägt und bezeichnet (im Fall der AML) eine Gruppe klonaler Erkrankungen mit Transformation einer frühen myeloischen Vorläuferzelle.

Frage 789

Bernd Alt-Epping

Frage 787 Worin liegen palliativmedizinisch relevante Unterschiede zwischen Patienten mit hämatologischen Neoplasien im Vergleich zu Patienten mit soliden Tumoren? In der Symptomverteilung, in der Vielschichtigkeit des Erkrankungsverlaufs mit entsprechend schwieriger Prognoseabschätzung, in der Häufigkeit von potenziell reversiblen und behandelbaren Komplikationen und in der Breite der zur Verfügung stehenden antineoplastischen Substanzen.

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Beschreiben Sie unterschiedliche Formen akuter Leukämien. ●



ALL: Dies ist die maligne Transformation einer lymphatischen Vorläuferzelle mit diversen immunphänotypisch und/oder molekulargenetisch definierten Subtypen, die das biologische Verhalten (und damit auch die Überlebensprognose) widerspiegeln. Sie tritt eher bei Kindern und im jüngeren Erwachsenenalter auf. AML: Dabei handelt es sich um eine maligne Transformation einer myeloischen Vorläuferzelle mit diversen zytomorphologisch, zytogenetisch oder molekulargenetisch definierten Subtypen, die ebenfalls das biologische Verhalten und damit auch das Versterberisiko des Patienten widerspiegeln. Die Erkrankung tritt mit steigender Häufigkeit im höheren Lebensalter auf.

Tumoren/Erkrankungen Beide Kategorien (ALL, AML) stellen demnach keine einzelne, scharf umschriebene Erkrankung, sondern jeweils eine Gruppe von malignen Erkrankungen lymphatischer oder myeloischer Vorläuferzellen dar. Diese spiegeln ein Spektrum möglicher prognostischer Szenarien und Therapieoptionen wider.

Frage 792 Sie sind als Palliativarzt für die häusliche Mitversorgung eines Patienten mit CML angefragt. Was könnten grundsätzlich palliativmedizinisch relevante Aufgaben für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung sein?

Frage 790 Welche Befunde an der Haut und den Schleimhäuten können Sie bei einem Patienten mit AML z. B. als mitbetreuender Palliativarzt evtl. erheben? Petechien, Ekchymosen, Hämatome, Epistaxis und Blässe, aber auch Gingivahyperplasie oder Hautinfiltrate (Chlorome). Neben den allgemeinen Zeichen der Knochenmarkinsuffizienz finden sich bei Patienten mit AML gelegentlich auch äußerlich sichtbare Zeichen extramedullärer Manifestationsformen.

Frage 791 Beschreiben Sie einem nicht ärztlichen Teamkollegen (z. B. aus dem multiprofessionellen Palliativteam), was eine CML (chronische myeloische Leukämie) ist. Beispiel: „Die CML ist eine bösartige Erkrankung einer myeloischen Stammzelle im Knochenmark mit nachfolgender, langsam an Fahrt aufnehmender Vermehrung unreifer, aber auch ausgereifter myeloischer, monozytärer oder auch thrombozytärer Zellen (daher ‚chronisch‘).“ Durch die CML wird ebenfalls – mit einer deutlich langsameren Dynamik als bei einer akuten Leukämie – das Knochenmark verdrängt und die normale Hämatopoese z. B. in Milz oder Leber verschoben (mit der Folge einer Hepatosplenomegalie). Im Blutbild findet sich eine erhebliche Vermehrung weißer Zellen (reif und unreif) und ggf. von Thrombozyten, während die Zahl der Erythrozyten eher fällt. Mithilfe neuer zielgerichteter (oral applizierbarer) Medikamente, die dauerhaft bzw. sequenziell gegeben werden, ist die CML exzellent behandelbar und gilt nunmehr als chronische Erkrankung.

Trotz exzellenter Prognose handelt es sich bei der CML immer noch um eine maligne Grunderkrankung, an der Patienten z. B. infolge infektiöser Komplikationen oder an Knochenmarkversagen versterben. In individuellen Situationen können daher das vorausschauende Planen von Komplikationen und Krisensituationen bzw. die Festlegung, was in bedrohlichen Situationen zu tun (oder zu unterlassen) ist, oder die Begleitung in der Finalphase auch in den Aufgabenbereich spezialisierter Palliativmedizin fallen. Im Regelfall aber wird die medizinische Indikation für eine beherzte Krisenintervention (auch unter Einbezug notärztlicher Strukturen) bei Patienten mit CML klar gegeben sein.

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Aspekte „klassischer Symptomkontrolle“ wie z. B. Schmerztherapie, die konventionellerweise in den Aufgabenbereich spezialisierter Palliativversorgung fallen, finden sich bei Patienten mit CML hingegen eher hintergründig.

Frage 793 Was versteht man unter dem Begriff „indolente (niedrigmaligne) Non-Hodgkin-Lymphome“? Das sind maligne Erkrankungen lymphatischer Zellen verschiedenen Ursprungs: ● CLL (chronische lymphatische Leukämie) ● follikuläre Lymphome ● Haarzellleukämie ● Immunozytom ● kutane T-Zell-Lymphome (Mycosis fungoides und Sézary-Lymphom) ● Marginalzonen- bzw. MALT-Lymphom (Mucosa-associated-lymphoid-Tissue Lymphoma) ● Plasmozytom (multiples Myelom)

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Onkologie Eingedenk der großen Zahl verschiedener Lymphund Abwehrzellen gibt es eine große Variabilität maligner lymphatischer Erkrankungen, die sich durch ihr biologisches Verhalten, ihre divergierenden Therapienotwendigkeiten und ihre Prognose unterscheiden. Die indolenten Lymphome machen ca. 70 % aller Lymphomerkrankungen aus.

Frage 794 Beschreiben Sie typische Symptome und Befunde einer B-CLL bei Erstdiagnose. Lymphozytose über 5 000/μl ● Knochenmarksinfiltration über 30 % ● Lymphadenopathie ● Splenomegalie ● Hepatomegalie ● Anämie ● Thrombozytopenie Letztere Merkmale definieren die höheren Stadien. ●

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Vor allem das Vorgehen bei septischen Infektionen oder bei akutem Nierenversagen sollte im Rahmen der palliativmedizinischen Krisenplanung (im Sinne des ACP) im Vorfeld erörtert werden.

Frage 796 Nennen Sie verschiedene Formen aggressiver (hochmaligner) Non-Hodgkin-Lymphome der BZell-Reihe und charakterisieren Sie diese kurz. ●



Die CLL ist trotz der Namensgebung ein indolentes (niedrigmalignes) Lymphom der B-Zell-Reihe mit klonaler Proliferation, Akkumulation und leukämischer Ausschwemmung morphologisch reif erscheinender, jedoch immunologisch inkompetenter B-Lymphozyten. Die medianen Überlebenszeiten unterscheiden sich nach initialem Stadium sehr erheblich und reichen von etwa 2 Jahren (Binet C) bis hin zu über 10 Jahren (Binet A).

Frage 795 Nennen Sie klinisch und prognostisch wichtige Befunde und Mechanismen beim multiplen Myelom. ● ● ● ● ●

Paraproteinbildung Anämie Osteolysen Nierenfunktionsstörungen Immundefekt

Für die Palliativversorgung sind vor allem osteolysebedingte Schmerz- und Immobilisationssyndrome wie auch vielgestaltige (teils behandelbare) Krisen von Bedeutung: ● pathologische Frakturen ● schwere Infektionen ● Hyperviskositätssyndrom

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Hyperkalzämie akutes Nierenversagen (klassischerweise nach Gabe von Röntgenkontrastmittel) Polyneuropathien Blutungskomplikationen



diffus-großzellige B-Zell-Lymphome: ca. ein Drittel aller Non-Hodgkin-Lymphome in Deutschland, d. h. die häufigste Form; beinhaltet wiederum verschiedene Subtypen; Heilung als Therapieziel auch der fortgeschrittenen Stadien Burkitt-Lymphome: entweder endemisch (Afrika) bei Kindern im Alter von 3–8 Jahren oder (selten) in Deutschland; ggf. Epstein-BarrVirus-assoziiert (und häufiger bei HIV- bzw. AIDS-Patienten auftretend) Mantelzelllymphome: selten (ca. 5 % aller NonHodgkin-Lymphome), aber sehr aggressiver Verlauf; vollständige dauerhafte Heilung meist unrealistisch; Translokation t(11;14) charakteristisch

Darüber hinaus haben T-Zell-Lymphome oder Morbus Hodgkin eigene Charakteristika (in Bezug auf Morphologie, Immunologie, Genetik, biologischen Verlauf, Therapieoptionen und Prognose), sodass diese Formen eigenständige Entitäten maligner Lymphome darstellen.

Frage 797 Nennen Sie mindestens 3 verschiedene Pathomechanismen, aufgrund derer bei hämatologischen Neoplasien mit einer verstärkten Blutungsneigung zu rechnen ist. ●

Petechien, Ekchymosen, Hämatome und Epistaxis aufgrund von Knochenmarkinsuffizienz bzw. Thrombozytopenie oder Thrombozytopathie (allgemein)

Tumoren/Erkrankungen ●







Verbrauchskoagulopathie bzw. disseminierte intravasale Gerinnung, z. B. typisch bei AML M3 (Promyelozytenleukämie), oder andere Formen der Hyperfibrinolyse bei akuten Leukämien zerebrale Hämorrhagien, z. B. infolge von Leukostasephänomenen Blutungen beim multiplen Myelom, hervorgerufen durch Autoantikörper gegen Gerinnungsfaktoren, Kälteagglutinine (Immunglobulin M), Hämolysine Chemotherapeutika wie L-Asparaginase (Störung der Gerinnungsfaktorsynthese)

Trotz der so vielschichtigen Gründe für Blutungskomplikationen ist für die Palliativversorgung bedeutsam, dass nur ein relativ geringer Anteil der Patienten mit hämatologischen Neoplasien letztlich an Blutungskomplikationen verstirbt („verblutet“), z. B. im Vergleich zu Patienten mit Tumoren des Hals-Nasen-Ohren-Traktes, auch wenn prospektive Daten fehlen.

ren und Tumoranämie – Ausdruck eines fortgeschrittenen Krankheitsgeschehens mit interventionellem Therapiecharakter. Unter welchen Bedingungen würden Sie in der Palliativsituation von einer Fortsetzung des regelmäßigen hämoglobinorientierten Transfusionsprozedere Abstand nehmen? Bei einer entsprechenden, die Situation treffenden ablehnenden Willensäußerung des Patienten oder bei fehlender Indikation unter palliativmedizinisch veränderten Rahmenbedingungen. Eine fehlende Indikation unter veränderten palliativen Rahmenbedingungen kann im Hinblick auf die Gabe von Erythrozytenkonzentraten z. B. bedeuten, dass die Belastungen der Durchführung (z. B. Transport zur transfundierenden Einrichtung) den möglichen Nutzen (Besserung von Schwäche) übersteigen oder dass der subjektive oder der objektivierbare Benefit in zunehmendem Maße ausbleibt.

6

Frage 800 Frage 798 Die ALL ist mit 3,3 Erkrankungen auf 100 000 Einwohner innerhalb von weniger als 15 Jahren die häufigste maligne Erkrankung im Kindesalter. Warum hat diese Erkrankung dennoch einen verhältnismäßig geringen Stellenwert in der pädiatrischen Palliativversorgung? Über 90 % aller Kinder mit ALL überleben ihre Erkrankung. Bereits über 80 % aller Kinder mit ALL bleiben in erster Remission rezidivfrei. Daher werden palliativmedizinische Unterstützungsstrukturen für Kinder mit ALL nur selten in Anspruch genommen. In der pädiatrischen Palliativmedizin werden eher Kinder mit soliden Tumorerkrankungen oder vor allem metabolischen bzw. neurodegenerativen Grunderkrankungen betreut.

Frage 799 Die Substitution mit Blutkomponenten ist für Patienten mit hämatologischen Neoplasien eine substituierende, als „dazugehörig“ empfundene Maßnahme, meist von Diagnosestellung an. So ist sie nicht – wie häufig bei Patienten mit soliden Tumo-

Welchen Stellenwert haben hämatopoetische Wachstumsfaktoren in der Palliativversorgung von Patienten mit hämatologischen Neoplasien? Sie haben so gut wie keinen Stellenwert. Der Einsatz von erythropoesestimulierenden Faktoren ist denkbar bei symptomatischer chemotherapieassoziierter Anämie, bei renaler Anämie oder zur Reduktion von Fremdbluttransfusionen vor bestimmten Operationen (Cave: proliferations- bzw. progressionsfördernde Eigenschaften). Gerade in der Palliativsituation ist die Option der Fremdblutgabe mit entsprechend rascherem Wirkeintritt der auf Langfristigkeit ausgerichteten Gabe von erythropoesestimulierenden Faktoren vorzuziehen. Granulopoetische Wachstumsfaktoren (vgl. Richtlinien der Fachgesellschaften) werden chemotherapieassoziiert eingesetzt in Relation zum Risiko febriler Neutropenien. Selten werden sie bei immunologisch vermittelten oder syndromalen Erkrankungen oder bei Graft-Versagen gegeben. Thrombopoesestimulierende Faktoren werden vor allem bei Immunthrombozytopenie verwendet.

235

Onkologie Frage 801

6

Frage 803

Sie betreuen als Palliativarzt die Familie eines kürzlich an einer hämatologischen Grunderkrankung verstorbenen Patienten. Im Rahmen der Trauerarbeit werden Sie gefragt, ob die Erkrankung eigentlich „erblich“ sei.

Eine Patientin mit lokal fortgeschrittenem Zervixkarzinom berichtet über starke und zunehmende Schmerzen in den Beinen sowie eine neu aufgetretene Harninkontinenz. Welche Ursache kann vorliegen?

Bei den meisten malignen hämatologischen Erkrankungen sind Assoziationen mit genetischen Veränderungen bekannt und genetische Merkmale bestimmen wesentlich das biologische Risiko der Erkrankung. Dennoch besteht für die Angehörigen in der Regel kein erhöhtes Risiko zu erkranken, da es sich um somatische bzw. akquirierte Mutationen und nicht um Keimbahnmutationen handelt.

Ursächlich kann eine tumorbedingte Nerveninfiltration im kleinen Becken sein.

Ausnahme ist das Auftreten einer AML oder ALL bei Kindern und jungen Erwachsenen mit Trisomie 21 oder einer Fanconi-Anämie.

6.2.9 Gynäkologische Tumoren Marcus Meusel; frühere Bearbeitung: Karin Kast

Tumoren im kleinen Becken können zu Plexusschädigungen z. B. des Plexus sacralis, des Plexus lumbalis oder des gesamten Beinplexus führen. Aber auch benachbarte Knochen- oder Lymphknotenmetastasen können Plexusläsionen bedingen.

Frage 804 Eine Palliativpatientin mit lokal fortgeschrittenem Zervixkarzinom stellt sich mit stuhligem vaginalem Ausfluss bei Rektum-Scheiden-Fistel vor. Welche Intervention kann zur Symptomkontrolle eingeleitet werden?

Bei einer Palliativpatientin besteht bei einem lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom ein malignes Lymphödem. Welche Therapieoptionen haben Sie?

In Abhängigkeit der Gesamtsituation kann in solchen Situationen eine Exenteration in palliativer Intention zur Symptomkontrolle sinnvoll sein. Sollte dies nicht möglich, sinnvoll oder gewünscht sein, kann eine Stuhlableitung im Sinne eines Anus praeter eine Alternative sein.

Die Basistherapie besteht aus Hautpflege. Zudem kommt bei reversiblem malignem Lymphödem eine manuelle Lymphdrainage mit anschließender Kompressionstherapie zur Anwendung.

Diese Maßnahmen sind geeignet, um die belastenden Auswirkungen von einer Rektum-Scheiden-Fistel zu lindern und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen.

Frage 802

Kontraindiziert ist die Lymphdrainage, wenn der Rückstrom der mobilisierten Flüssigkeit zu neuen Problemen wie z. B. Aszites oder Verschlechterung einer Herzinsuffizienz führt. In der Palliativsituation sollte die Belastung der Patientin durch die Therapie in akzeptabler Relation zu einem möglichen Zugewinn stehen.

Frage 805 Eine Patientin mit metastasiertem Mammakarzinom klagt über zunehmende Schmerzen im Rücken. Welche weiteren Faktoren können eine lokale perkutane Strahlentherapie bei Knochenmetastasen indizieren? Weitere Faktoren sind eine Bewegungseinschränkung, eine Frakturgefahr, der Zustand nach operativer Stabilisierung und eine drohende oder bestehende neurologische Symptomatik z. B. durch Rückenmarkkompression.

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Tumoren/Erkrankungen Zur Prävention von ossären Komplikationen sollte eine antiresorptive Therapie mit Bisphosphonaten oder einem RANK-Ligand-Inhibitor, z. B. Denusomab, zum Einsatz kommen.

Frage 806 Bei Ihnen stellt sich eine Patientin mit einem neu diagnostizierten metastasierten Mammakarzinom sowie positivem Hormonrezeptor- und negativem HER2-Status vor. Es besteht kein drohender Organausfall. Welche Therapie sollten Sie bevorzugen? Eine endokrine Therapie ± eine zielgerichtete Therapie ist die Therapie der Wahl. Eine endokrine Therapie in Kombination mit einem CDK4/6-Inhibitor zeigt eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens für prä- und postmenopausale Frauen sowie des Gesamtüberlebens bei prämenopausalen Patientinnen.

Frage 807 Bei einer Patientin mit metastasiertem Mammakarzinom wird nach mehreren Jahren unter der laufenden endokrinen Therapie eine Lungenmetastasierung neu diagnostiziert. Was sollte vor Festlegung einer weiteren palliativen Therapie erfolgen? Neubestimmung des Rezeptorstatus durch Biopsie der Lungenmetastasen. Mit abnehmenden Hormonrezeptoren kann die antihormonelle bzw. endokrine Therapie an Bedeutung verlieren oder bei Erstdiagnose einer HER2-Überexpression die Antikörpertherapie mit Trastuzumab eingeleitet werden. Die Systemtherapie des Mammakarzinoms wird durch die Möglichkeit der gezielten antihormonellen Therapie und der Antikörpertherapie bestimmt. Der Rezeptorstatus ist gleichzeitig ein prädiktiver und ein prognostischer Faktor.

Frage 808 Eine Frau mit metastasiertem triple-negativem (Hormonrezeptorstatus negativ, HER2-Status negativ) Mammakarzinom wünscht eine Systemtherapie, aber möglichst keine Chemotherapie. Wie sollten Sie vorgehen? Sie bestimmen den genomischen BRCA-Status sowie den PDL-1-Status für eventuelle Therapieoptionen mit einem PARP-Inhibitor oder einem Checkpoint-Inhibitor. Bei Vorliegen einer BRCA-Mutation läuft die DNAReparatur (Reparatur von Doppelstrangbrüchen) nicht mehr effektiv ab. Normalerweise korrigiert das Enzym Poly-ADP-Ribose-Polymerase 1 (PARP1) Einzelstrangbrüche: Wird das Enzym durch PARPInhibitoren (PARPi) gehemmt, können die Einzelstrangbrüche nicht mehr repariert werden und es entstehen bei der Replikation Doppelstrangbrüche. Gesunde (nicht BRCA-profiziente) Zellen können diese trotzdem reparieren. Bei einer BRCA-Mutation oder einer HRD-Positivität (homologe Rekombinationsdefizienz) schlägt die DNA-Reparatur fehl und es kommt zur Apoptose der Tumorzellen. Checkpoint-Inhibitoren verhindern, dass Tumorzellen die Immunantwort unterwandern können. Sie sind Antikörper gegen Oberflächenproteine (PD-1) bzw. deren zugehörige Liganden (PD-L 1). Beim Gesunden verhindert PD-1 bzw. PD-L 1, dass das Immunsystem körpereigene Zellen angreift. Auch Tumorzellen können PD-L 1 vermehrt bilden und sich somit vor dem Immunsystem „verstecken“.

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Frage 809 Eine Palliativpatientin mit metastasiertem Mammakarzinom gibt zunehmende Kopfschmerzen und morgendliche Übelkeit mit Erbrechen an. In der Diagnostik zeigt sich eine singuläre infratentorielle Hirnmetastase mit drohendem Verschlusshydrozephalus. Wie gehen Sie weiter vor? Falls eine günstige prognostische Konstellation bezüglich des Mammakarzinoms vorliegt, ist eine primäre operative Intervention indiziert.

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Onkologie Bis zur Operation ist eine Therapie mit Dexamethason indiziert, um ein Abschwellen des Gehirns zu erreichen und den Hirndruck bzw. die Beschwerdesymptomatik zu reduzieren. Postoperativ sollte eine lokal fraktionierte Strahlentherapie des Tumorbetts erfolgen. Zudem sollte eine systemische Therapie (Chemotherapie, endokrine Therapie, anti-HER2Therapie) eingesetzt werden.

Frage 812 Obstipation und Subileusbeschwerden sind beim rezidivierenden Ovarialkarzinom eine häufige Komplikation. Welche Medikamentengruppen kommen hier zum Einsatz? Antiemetika, Antisekretoria, Analgetika und Kortikosteroide parenteral kommen zum Einsatz.

Frage 810 Welcher Nutzen ergibt sich für eine Patientin mit Mamma- oder Ovarialkarzinom aus einer genetischen Beratung und molekulargenetischen Analyse der Brustkrebsgene?

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Der Nutzen einer Genanalyse kann in einer Entlastung oder Verbesserung der Früherkennung für ihre Angehörigen liegen. Darüber hinaus kann eine gezielte Therapie BRCA-assoziierter Mamma- oder Ovarialkarzinome durch z. B. PARP-Inhibitoren erfolgen. Eine genetische Testung sollte allen Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom mit einem Erkrankungsalter ≤ 80 Jahre und Frauen mit eigener Erkrankung mit einem triple-negativen Mammakarzinom ≤ 60 Jahre auch ohne weitere Erkrankung in der Familie angeboten werden. Des Weiteren ist eine Genanalyse indiziert, sofern eine erbliche Belastung aufgrund der Eigen- und Familienanamnese wahrscheinlich erscheint. Patientinnen und Angehörige können sich in einem der Zentren des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs interdisziplinär beraten und betreuen lassen.

Frage 813 Welches ist das entscheidende Prognosekriterium beim rezidivierenden Ovarialkarzinom? Das wichtigste Prognosekriterium beim rezidivierenden Ovarialkarzinom ist das Ansprechen auf eine platinhaltige Chemotherapie. Kommt es zu einer Progression innerhalb von 6 Monaten nach Platingabe, ist das mediane Gesamtüberleben ca. 13 Monate. Entwickelt sich ein Rezidiv 6–12 Monate nach Platingabe, ist das mediane Gesamtüberleben deutlich besser, nämlich ca. 30 Monate.

Frage 814

Welche weitere palliative Behandlung kann einer Patientin mit rezidivierendem Ovarialkarzinom und therapierefraktärem symptomatischem Pleuraerguss neben wiederholten transthorakalen Punktionen angeboten werden?

Die Therapie von Krebserkrankungen wird immer individualisierter. Auch beim Endometriumkarzinom können molekulare Subtypen identifiziert werden. In der fortgeschrittenen Therapiesituation kann bei einer sog. Mikrosatelliteninstabilität eine neue Therapieform eingesetzt und nach einer platinhaltigen Vortherapie auf eine erneute Chemotherapie verzichtet werden. Welche Therapieform ist das?

Der Patientin kann eine Talkumpleurodese angeboten werden.

Checkpoint-Inhibitoren (z. B. Pembrolizumab oder Dostarlimab) können eingesetzt werden.

Frage 811

Metaanalysen zeigen, dass eine Talkumpleurodese einer Pleurodese mit Tetracyclinen oder Mitoxantron bezüglich der Symptomkontrolle überlegen ist.

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Bisher konnte nicht gezeigt werden, dass eine operative Therapie einer konservativen Therapie hinsichtlich Überlebenszeit als auch Symptomkontrolle überlegen ist. Beim mechanischen Ileus ist die operative Therapie jedoch die Therapie der Wahl.

Tumoren/Erkrankungen Frage 815 Platinderivate wie z. B. Carboplatin sind sowohl beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom als auch beim metastasierten Endometriumkarzinom Mittel der Wahl. Welche Nebenwirkungen sind zu beachten? Übelkeit und Erbrechen, Hörschäden, periphere Neuropathien, Veränderungen des Blutbilds (Thrombozytopenie, Neutropenie, Anämie) sind mögliche Nebenwirkungen. Die Wirkung gegen Tumorzellen beruht auf einer Vernetzung der DNA-Moleküle, die dadurch funktionsunfähig werden.

Frage 816 Eine Patientin im Zustand nach Vulvakarzinom mit Lymphknotenmetastasen in der Leiste stellt sich beim Hausarzt mit einer Rötung, Schwellung und Überwärmung in der linken Leiste vor. Er vermutet einen Abszess und schickt sie zur Spaltung in eine Klinik. Welche Differenzialdiagnose ist noch möglich? Eine erneute Lymphknotenmetastase ist möglich. In der Therapie des fortgeschrittenen Vulvakarzinoms sind Lymphknotenmetastasen prognosebestimmend. Neben einer chirurgischen Resektion besteht nur die Möglichkeit einer Strahlentherapie. Bei einer Exulzeration zeigen sich häufig große Probleme bei der pflegerischen Versorgung.

6.2.10 Paraneoplastische Syndrome Martin Liebetrau

Frage 817 Was wird unter einem „paraneoplastischen Syndrom“ verstanden und welches pathophysiologische Grundprinzip liegt ihm zugrunde? Assoziation zwischen im Rahmen einer Neoplasie gebildeten Antikörpern und verschiedenen klinischen Syndromen.

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Durch das Auftreten spezifischer Antikörper können verschiedene klinische Syndrome ausgelöst werden. Dabei haben diese Syndrome keinen direkten Zusammenhang mit der Tumorerkrankung, sondern werden meist durch eine Affektion des zentralen oder peripheren Nervensystems auffällig. Es kann aber auch eine endokrinologische Paraneoplasie vorliegen, ebenso eine kutane oder das blutbildende System betreffen, z. B. in Form einer paraneoplastischen Polyglobulie oder Thrombozytose. Betroffen sein kann auch das Gerinnungssystem mit einer erhöhten paraneoplastischen Blutgerinnungsneigung.

Frage 818 Unter welchen Umständen kann von einem „definitiven“ paraneoplastischen Syndrom ausgegangen werden? Der isolierte Nachweis einer „klassischen“ Antikörperreaktion ist ausreichend. Der Nachweis einer klassischen Antikörperreaktion, z. B. mit einem der Antikörper Anti-Hu, Yo, Ri, Ma, Ta, CV2 oder Amphiphysin, reicht aus, um die Diagnose eines definitiven paraneoplastischen Syndroms zu stellen, auch wenn bislang kein Tumor diagnostiziert wurde.

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Onkologie Frage 819 Wie schätzen Sie die Prognose eines an einem paraneoplastischen Syndrom erkrankten Patienten im Vergleich zu einer Person mit gleichem Primarius ohne paraneoplastisches Syndrom ein? Personen mit paraneoplastischem Syndrom scheinen eine vergleichsweise bessere Prognose zu haben. Untersuchungen konnten aufzeigen, dass Patienten mit Nachweis paraneoplastischer Antikörper eine vergleichsweise bessere Prognose hatten als Patienten mit demselben Tumor ohne Ausbildung eines paraneoplastischen Syndroms. Dies konnte insbesondere für das kleinzellige Lungenkarzinom und das Neuroblastom gezeigt werden. Unklar ist allerdings bislang, aus welchen Gründen mit einer besseren Prognose zu rechnen ist. Diskutiert wird zum einen eine effektivere antitumorale Immunantwort. Alternativ werden die Tumoren ggf. aufgrund des Auftretens neurologischer Ausfälle früher detektiert. So können die neurologischen Ausfälle zum Teil Jahre vor der Detektion des Primärtumors auftreten. Zum anderen liegen zum Teil besser differenzierte Tumoren vor, bei denen es zur Ausbildung der paraneoplastischen Antikörper kommt und die wiederum mit einer verbesserten Prognose einhergehen als weniger differenzierte Tumoren.

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Frage 820 Es gibt paraneoplastische Antikörper gegen unterschiedliche Antigenstrukturen. In welche 2 Hauptgruppen lassen sich diese einteilen und warum ist diese Einteilung therapeutisch wichtig? Es lassen sich Antikörper gegen intrazelluläre Antigene und Antikörper gegen Oberflächenantigene unterscheiden. Therapeutisch sprechen die Erkrankungen mit Nachweis von paraneoplastischen Antikörpern gegen Oberflächenantigene wesentlich besser auf eine immunsuppressive Therapie an. Die zuerst entdeckten Antikörper Anti-Hu, Yo, Ri, Ma 2 und CV2 stellen allesamt Antikörper gegen intrazelluläre Antigene dar. Diese Antikörper gelten nicht als direkt pathogen, sondern stehen vielmehr für einen tumorgetriggerten Immunprozess. Aus die-

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sem Grund sprechen Erkrankungen mit Nachweis dieser Antikörper schlecht auf eine immunsuppressive Therapie an. Antikörper gegen Oberflächenantigene (NMDA, AMPA [α-Amino-3-hydroxy-5-methyl4-isoxazolepropionsäure], GABA, VGKC [spannungsabhängige Kaliumkanäle]) hingegen zeigen häufig einen positiven Krankheitsverlauf bei immunsuppressiver Therapie.

Frage 821 Welche Untersuchungsmethode sollte bei vorliegendem paraneoplastischem Syndrom zum Nachweis des Primarius unter Umständen eingesetzt werden? Bei Verdacht auf paraneoplastisches Syndrom und initial negativer Tumorsuche sollte eine großzügige Indikationsstellung zur Durchführung eines Ganzkörper-PET-CT erfolgen. Bei paraneoplastischen Syndromen führt die Standarddiagnostik häufig nicht zu einem erfolgreichen Tumornachweis. Um die kausale Therapie, d. h. die Tumorentfernung, nicht weiter zu verzögern, ist die Indikation zu einem Ganzkörper-PET-CT großzügig zu stellen. Als Tracer bietet sich dafür vorzugsweise 18F-Fluordesoxyglukose an.

Frage 822 Welche Tumoren prädisponieren zur Entwicklung eines paraneoplastischen Syndroms? Bronchialkarzinom, Thymom, Lymphom, Testistumor und gynäkologische Tumoren. Wenn ein paraneoplastisches Syndrom diagnostiziert wird, dann sollte anhand des klinischen Bildes, das durch das paraneoplastische Syndrom bedingt ist, die Tumorsuche bei unbekanntem Primarius insbesondere die Lunge, aber auch die Ovarien und die Mammae einbeziehen. Lymphome können ebenfalls mit einem paraneoplastischen Syndrom assoziiert sein. Bei einigen paraneoplastischen Syndromen ist es sinnvoll, auch den Thymus zu untersuchen.

Tumoren/Erkrankungen Frage 823 Welche Strukturen des Körpers können von einem paraneoplastischen Syndrom betroffen sein? ●







zentrales Nervensystem (limbische Enzephalitis, Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis) peripheres Nervensystem (Polyneuropathie, subakute sensible Polyneuropathie) neuromuskuläre Übertragung (LambertEaton-Syndrom, Myasthenie) muskuläres System (Polymyositis)

Prinzipiell können alle Strukturen des zentralen und peripheren Nervensystems, die neuromuskuläre Übertragung oder aber das muskuläre System direkt von einem paraneoplastischen Syndrom betroffen sein. Ein klassisches Syndrom bei Befall des Zentralnervensystems ist die limbische Enzephalitis, bei Befall des peripheren Nervensystems die klassischerweise schwere isoliert sensible Polyneuropathie, das Denny-Brown-Syndrom. Eine paraneoplastisch bedingte Störung der neuromuskulären Übertragung stellt das Lambert-Eaton-Syndrom dar. Das muskuläre System kann durch eine Polymyositis paraneoplastisch betroffen sein; dies stellt allerdings eher eine Rarität dar.

Frage 824 Wie sieht die kausale Behandlung des paraneoplastischen Syndroms aus? Identifizierung und Therapie des Primärtumors; falls möglich, Anstreben einer operativen Sanierung. Bei begründetem Verdacht auf ein paraneoplastisches Syndrom sollte das Ziel sein, den verursachenden Tumor zu detektieren und entsprechend zu sanieren. Letztlich ist dadurch neben der zu erwartenden Verlängerung des Überlebens ein kausaler Therapieansatz möglich.

Frage 825 Unter welchen Therapieformen ist mit einer Verbesserung des paraneoplastischen Syndroms zu rechnen? ● ● ● ●

immunsuppressive Therapie Plasmapherese/Immunadsorption Gabe von intravenösen Immunglobulinen Gabe von spezifischen monoklonalen Antikörpern

Mittels einer Supprimierung des Immunsystems kann die klinische Ausprägung eines paraneoplastischen Syndroms oft erheblich gebessert werden. Neben dem Einsatz von Steroiden kann auch die Durchführung einer Plasmapherese/Immunadsorption oder die Gabe von intravenösen Immunglobulinen indiziert sein. Paraneoplastische Syndrome aufgrund onkoneuraler Antikörper sprechen erheblich schlechter auf die immunsuppressive Therapie an als Erkrankungen aufgrund von Oberflächenantigenen. In speziellen Fällen kann die Gabe von monoklonalen Antikörpern wie z. B. Rituximab in Erwägung gezogen werden.

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Frage 826 Bei welcher Form einer Polyneuropathie ist an eine paraneoplastische Genese zu denken, welcher Autoantikörper liegt häufig zugrunde und mit welchem Primärtumor ist er assoziiert? Eine paraneoplastische Genese ist bei im Vordergrund stehender sensibler Polyneuropathie mit Störung der Tiefensensibilität zu erwägen. Zugrunde liegt häufig der Anti-Hu-Antikörper, der mit dem kleinzelligen Bronchialkarzinom assoziiert ist. Beim Vorliegen einer schweren, rasch progredienten, vorwiegend sensiblen Polyneuropathie ist an eine paraneoplastische Genese zu denken. In diesem Fall sollte die Bestimmung der Autoantikörper erfolgen, insbesondere die des onkoneuralen Antikörpers Anti-Hu. Beim zugrunde liegenden Tumor handelt es sich in 80 % der Fälle um ein kleinzelliges Bronchialkarzinom. Weitere Autoantikörper, die eine sensible Polyneuropathie verursachen können, sind Anti-CV2 und Antisynaptophysin.

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Onkologie Frage 827 Nennen Sie die typischen klinischen Manifestationen eines paraneoplastischen Syndroms in Form einer limbischen Enzephalitis. ● ● ●

epileptische Anfälle psychiatrische Auffälligkeiten kognitive Dysfunktionen

Bei Vorliegen von sich subakut entwickelnden psychiatrischen Auffälligkeiten, kognitiven Defiziten und erstmals auftretenden epileptischen Anfällen sollte an das Vorliegen einer limbischen Enzephalitis gedacht und rasch eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden. Die limbische Enzephalitis muss nicht zwangsläufig paraneoplastisch bedingt sein. Insbesondere in den Fällen, in denen keine Autoantikörper gefunden werden, ist eine nicht paraneoplastische Genese möglich.

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Frage 828 Welcher stadienhafte Verlauf ist für eine NMDARezeptor-Enzephalitis im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms typisch? Störungen kortikaler Funktionen werden gefolgt von einer Affektion subkortikaler und auch infratentorieller Strukturen. Die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis manifestiert sich mit Störungen kortikaler Funktionen (Anfälle, Gedächtnisstörungen, Aphasie, Orientierungsstörung), gefolgt von einer Affektion tiefer gelegener subkortikaler und infratentorieller Strukturen mit Antriebsbzw. Bewusstseinsstörungen und Bewegungsstörungen. Eine Erholung als Restitutio ad Integrum ist möglich. Die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis kann in eine limbische Enzephalitis übergehen. Ein Tumornachweis ist lediglich in weniger als der Hälfte der Fälle möglich. Wenn Tumoren nachzuweisen sind, dann sind es meist Teratome.

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Frage 829 Was ist unter einem „Stiff-Person-Syndrom“ zu verstehen? Dabei finden sich eine pathologisch erhöhte Steifigkeit der Muskulatur und durch Schreckreize induzierbare Muskelspasmen insbesondere der axialen Muskulatur. Amphiphysin und GAD-Antikörper lassen sich nachweisen. Das Stiff-Person-Syndrom ist eine Erkrankung, die mit einer zum Teil massiv erhöhten Steifigkeit der Muskulatur einhergeht. Das Beschwerdebild kann durch Schreckreize erheblich verschlechtert werden. Symptomatisch spricht das Stiff-Person-Syndrom meist gut auf die Gabe von Benzodiazepinen an, zum Teil aber erst in hohen Dosen. Es sollte nach dem paraneoplastischen Antikörper Amphiphysin gesucht werden. Bei Vorliegen des Anti-GAD-Antikörpers ist eher von einem nicht paraneoplastisch bedingten Stiff-Person-Syndrom auszugehen.

Frage 830 Wie lange und in welchen Zeitabständen soll bei einem paraneoplastischen Syndrom ohne Nachweis eines Tumors die Tumorsuche wiederholt werden? Wiederholung nach 3–6 Monaten und dann halbjährlich für mindestens 4 Jahre. Ausnahme beim Lambert-Eaton-Myastheniesyndrom: Wiederholung für 2 Jahre. Bei gesichertem paraneoplastischem Syndrom und fehlendem Tumornachweis sollte die Tumorsuche nach 3–6 Monaten und dann halbjährlich für mindestens 4 Jahre durchgeführt werden. Es sollten die entsprechend indizierten Tumorsuchverfahren eingesetzt werden. Die Tumorsuche erfolgt abgestuft nach vermuteter Tumorlokalisation. Dabei ist das PET-CT nicht Bestandteil der Primärdiagnostik, kann in der sekundären oder tertiären Diagnostik aber durchaus sinnvoll erscheinen. Eine verkürzte Tumorsuche über eine Dauer von 2 Jahren wird für das Lambert-Eaton-Myastheniesyndrom empfohlen.

Tumoren/Erkrankungen Frage 831 Nach welchen Antikörpern sollte bei einer Myasthenia gravis gesucht werden und nach welchem Tumor sollte primär gesucht werden? Es sollte nach den Antikörpern für den Acetylcholinrezeptor, für die muskelspezifische Rezeptorkinase und für Titin gesucht werden. Es sollte eine Suche nach einem Thymom mittels ThoraxCT durchgeführt werden.

Bei Patienten mit dem Bild einer Myasthenia gravis sollte die Suche nach den Antikörpern für den Acetylcholinrezeptor, die muskelspezifische Rezeptorkinase und Titin eingeleitet werden. Unabhängig von dem Nachweis dieser Antikörper sollte eine Tumorsuche mit der Frage nach einem Thymom durchgeführt werden. Je nach klinischem Ausbildungsgrad der myasthenen Syndrome sollte eine Thymektomie angestrebt werden. Diese Thymektomie kann je nach vorliegenden Befunden prinzipiell mittels einer Sternotomie, einer lateralen Thorakotomie oder einer endoskopischen Entfernung durchgeführt werden.

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Neurologie

7 Neurologische Erkrankungen 7.1 Neurodegenerative Erkrankungen Stefan Lorenzl

Frage 832 Wie beendet man die Maskenbeatmung bei einem Patienten mit ALS? Man sediert die Patienten rasch mit steigenden Dosen von Opioiden (z. B. Morphin) und Benzodiazepinen (z. B. Diazepam) und nimmt die Maske ab, wenn die Sedierung ausreichend tief genug ist.

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In Deutschland entscheiden sich nicht sehr viele Patienten mit ALS für eine künstliche Beatmung. Am häufigsten wird die nicht invasive Heimbeatmung durchgeführt. Nur wenige Patienten entscheiden sich für eine Tracheotomie und Dauerbeatmung. Diese ist auch mit einem hohen pflegerischen Aufwand verbunden und zu Hause in der Regel nur mithilfe eines 24-Stunden-Pflegedienstes möglich. Die Beendigung der Beatmung ist nicht nur für den Patienten, sondern auch für die Angehörigen eine belastende Situation und sollte daher rasch durchgeführt werden. Dazu ist es notwendig, den Patienten ausreichend zu sedieren und dann unter Wegnahme der Maske und damit der Sauerstoffzufuhr die Beatmung zu beenden.

Frage 833 Besteht bei Patienten mit Morbus Alzheimer die Indikation zur PEG-Anlage? Nein, denn die Anlage einer PEG-Sonde und einer künstlichen Ernährung würde das Sterben hinauszögern und das Leiden nur verlängern. Die Bedenken, dass der Patient verhungert, wenn er nicht künstlich ernährt wird, sind in der Regel unbegründet, denn im fortgeschrittenen Stadium leiden nur sehr wenige Patienten an Hungergefühlen. Es besteht eine katabole Stoffwechsellage. Durch die

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Anlage einer PEG wird der neurodegenerative Prozess nicht aufgehalten und der Patient erreicht sogar ein Stadium, das er unter normalen Umständen nicht erreicht hätte. Er kann dann bettlägerig, unruhig und delirant sein und hat vermehrte Muskelanspannungen im Sinne einer Spastik. Ohne künstliche Ernährung wird der Patient aufgrund der Schwäche müder und kann schließlich friedlich versterben. Auch Komplikationen wie vermehrte Pneumonieraten und massive Obstipation bleiben dann in der Regel aus.

Frage 834 Was sind die Todesursachen von Patienten mit Morbus Parkinson? Die häufigste Todesursache ist eine Pneumonie, gefolgt von Herzerkrankungen. Aufgrund der progredienten Schluckstörung und der im letzten Stadium der Erkrankung vermehrten Bettlägerigkeit ist die Pneumonie die häufigste Todesursache bei Patienten mit Morbus Parkinson. An zweiter Stelle stehen Herzerkrankungen, allen voran eine Herzinsuffizienz. Zerebrovaskuläre Erkrankungen und Tumorerkrankungen sind dagegen bei Patienten mit Morbus Parkinson weniger häufig.

Frage 835 Wie häufig kommen Suizidgedanken und -handlungen bei Patienten mit Morbus Parkinson vor? Etwa ein Drittel der Patienten hat im Verlauf der Erkrankung Suizidgedanken. Die genaue Anzahl von Suiziden ist nicht bekannt. Suizidgedanken und -handlungen sind bei Patienten mit Morbus Parkinson nicht selten. Insbesondere im Zeitraum der Diagnosestellung und im Stadium der Progredienz mit nachlassender Medikamentenwirkung treten sie gehäuft auf.

Neurodegenerativ Frage 836 Welche palliativmedizinischen Maßnahmen stehen zur Verfügung, um die Dyspnoe im Endstadium der ALS zu behandeln? Die medikamentöse Therapie mit Opioiden (vornehmlich Morphin) und Benzodiazepinen. Darüber hinaus kann Atemtherapie im Rahmen der Physiotherapie erleichternd wirken. Bei Patienten, die sich gegen eine nicht-invasive Beatmung entscheiden und unter Dyspnoe leiden (das sind nicht alle ALS-Patienten!), kann eine Therapie mit Opioiden die Dyspnoe lindern. In der Regel kann die Behandlung mit Morphintropfen begonnen werden. Zur Therapie der akuten Luftnotattacken, z. B. beim Verschlucken, eignet sich ein Benzodiazepin wie Lorazepam. Benzodiazepine sollten bei einer ausgeprägten Angstkomponente zusätzlich zu den Opioiden gegeben werden.

Frage 837 Wie und woran versterben ALS-Patienten? Patienten mit ALS sterben in der Regel plötzlich, häufig nachts. Der Tod ist in 88–98 % der Fälle ein friedlicher. Es besteht die Annahme, dass die nächtliche CO2-Narkose mit fehlender Abatmung von CO2 die Ursache für das nächtliche Sterben ist. Häufig versterben die Patienten allerdings auch plötzlich im wachen Zustand aufgrund autonomer Dysregulation. Grund dafür ist am wahrscheinlichsten ein plötzlicher Herztod. Patienten mit ALS versterben häufig nachts im Schlaf. Zu diesem Zeitpunkt ist die CO2-Narkose aufgrund der flachen Atmung am ausgeprägtesten. Das fehlende Abatmen von CO2 ist auch der Grund für die Müdigkeit der Patienten mit Fortschreiten der Erkrankung. Die Minderversorgung der Körpergewebe mit Sauerstoff kann zu einer progredienten Schädigung insbesondere der Muskulatur beitragen. Auch das Reizleitungssystem des Herzens ist in diese Schädigung miteinbezogen. Daher kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen. Diese enden nicht selten in einem plötzlichen Herztod, der nicht nur in der Nacht im Schlaf vorkommen kann, sondern auch tagsüber, z. B. beim Umsetzen vom Rollstuhl in das Bett.

Frage 838 Was ist in der Sterbephase von Patienten mit Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu beachten? Patienten mit Creutzfeldt-Jakob-Krankheit leiden unter ausgeprägter Angst aufgrund des im finalen Stadium rasch fortschreitenden Verlusts der Sprech- und Bewegungsfähigkeit. Hinzu kommen Myoklonien, die bei Schreckreaktionen, aber auch bei Berührung auftreten können. Das Endstadium der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist durch einen progredienten Verlust der Bewegungsfähigkeit sowie die Entwicklung einer Demenz gekennzeichnet. Der im Finalstadium rasche Verlauf beginnt häufig mit einem Verlust der Sprech- und Sprachfähigkeit. In der gesamten finalen Phase können Myoklonien auftreten, die durch Schreckreaktionen provoziert werden. Das elektrophysiologische Korrelat dieser Myoklonien sind kortikale Ereignispotenziale, die im EEG sichtbar sind (triphasische Wellen). Stark ausgeprägte Myoklonien können mit Levetiracetam behandelt werden. Falls diese Myoklonien auch während der komatösen Phase auftreten, ist eine kontinuierliche Therapie mit Benzodiazepinen meist ausreichend.

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Frage 839 Wie kann mit der Suizidalität bei ALS umgegangen werden? Wie hoch ist diese? Bei etwa einem Drittel der Patienten besteht ein Suizidwunsch und etwa 10 % haben ein explizites Verlangen nach assistiertem Suizid. ALS-Patienten suchen daher häufig Kontakt zu Sterbehilfeorganisationen. Suizidalität sollte deshalb offen angesprochen und die Ängste der Patienten bezüglich des Krankheitsverlaufs sollten offen thematisiert werden, um Suizide zu vermeiden. Die Suizidalität bei Patienten mit ALS ist besonders hoch, da die Patienten in aller Regel den körperlichen Verfall und die zunehmende Abhängigkeit bei vollem Erhalt ihrer geistigen Fähigkeiten erleben. Zusätzlich werden sie durch oft falsche Botschaften z. B. aus dem Internet verunsichert, die beispielsweise behaupten, dass der Tod durch Ersticken eintreten würde. Verständlicherweise möchten die Patienten, dass ihnen diese als grausam geschilderte letzte Phase des Lebens erspart bleibt.

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Neurologie Frage 840

wand aufgrund der Bewegungseinschränkungen erschwert.

Wo versterben die meisten Parkinson-Patienten? Patienten mit Morbus Parkinson versterben häufiger als die Normalbevölkerung in Pflegeheimen. Nur selten werden diese Patienten in der fortgeschrittenen Phase der Erkrankung auf Palliativstationen oder in Hospize aufgenommen. Nur 9 % der Patienten mit Morbus Parkinson sterben zu Hause im Vergleich zu 17 % der Normalbevölkerung. Dagegen versterben 36 % im Pflegeheim im Vergleich zu 21 % der Normalbevölkerung (Tendenz allerdings steigend). Im Krankenhaus versterben etwa 55 % der Patienten mit Morbus Parkinson im Vergleich zu 59 % der Normalbevölkerung; auch dabei ist die Tendenz leicht steigend.

7 Frage 841 Unter welchen Symptomen leiden Alzheimer-Patienten in der letzten Lebensphase? Zu den häufigsten Symptomen zählen Sprechund Sprachstörungen, Schluckstörungen, Schmerzen, Schlafstörungen, Delir und epileptische Anfälle. Die letzte Lebensphase von Patienten mit Morbus Alzheimer ist durch den Verlust der Kommunikationsmöglichkeiten und zunehmende delirante Zustände gekennzeichnet. Die Bewegungsfähigkeit kann in diesem Stadium oft noch gut erhalten sein. Epileptische Anfälle können aufgrund der kortikalen Schädigung auftreten. Vergleichbar den Patienten mit Morbus Parkinson steht die Pneumonie als Todesursache an erster Stelle.

Frage 842 Welche Unterschiede sehen Pflegende auf Palliativstationen und in Hospizen zwischen Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen und solchen mit onkologischen Erkrankungen? Im Vergleich zu onkologischen Patienten wird die Pflege von Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen insbesondere durch die gestörte verbale und nonverbale Kommunikationsfähigkeit und den vermehrten pflegerischen Zeitauf-

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Durch die Einschränkung der Sprech- und der Sprachfähigkeit ist auch die Pflege erschwert, da das wichtigste Kommunikationsmittel wegfällt. Zudem ist auch die nonverbale Kommunikation durch Hypomimie eingeschränkt. Hinzu treten häufig Probleme mit den zu Hause pflegenden Angehörigen, die den häuslichen Zeitplan der Versorgung in den Klinikalltag integriert haben wollen.

Frage 843 Gibt es eine neurodegenerative Erkrankung, bei der vorsichtig mit Opioiden umgegangen werden sollte? Bei der progressiven supranukleären Blickparese (Progressive Supranuclear Palsy; PSP) besteht aufgrund der Neurodegeneration in Hirnstammbereichen eine verminderte Kontrollfähigkeit der bedarfsgerechten Atmung. Bei diesen Patienten kann es durch unvorsichtigen Gebrauch von Opioiden auch in kleinen Dosen zu einer relevanten Ateminsuffizienz kommen. Bei Patienten mit supranukleärer Blickparese besteht eine Verminderung des mittleren Ventilationsvolumens, also desjenigen Volumens, das bedarfsgerecht angepasst werden kann. Diese Möglichkeit wird durch Gabe von Opioiden beeinträchtigt, sodass dabei erhöhte Vorsicht geboten ist.

Frage 844 Wie hoch ist die Sterbehäufigkeit nach Anlage einer PEG bei Demenzpatienten? Die Sterbehäufigkeit ist sehr hoch, denn 54 % der Patienten versterben innerhalb des ersten Monats nach Anlage einer PEG-Sonde, 90 % innerhalb eines Jahres. Angesichts der hohen perioperativen Mortalität und insbesondere der Mortalitätsrate innerhalb des ersten Jahres kann die Anlage einer PEG-Sonde bei Menschen mit Demenz nicht allgemein empfohlen werden.

Neurodegenerativ Frage 845 Welche Argumente werden für die Anlage einer PEG-Sonde bei Patienten mit einer Demenz immer wieder gebracht? Auch heute noch hört man immer wieder, dass die Anlage einer PEG-Sonde lebensverlängernd wirke, den Ernährungsstatus verbessere, das Verschlucken verringere, das Wundliegen vermindere und insgesamt die Lebensqualität verbessere. Sämtliche der oben aufgeführten Argumente sind inzwischen widerlegt worden. Zudem ist die Sterbehäufigkeit sehr hoch. Die Anlage einer PEG-Sonde kann sogar zur Lebensverkürzung und zur Einbuße von Zuwendung führen, während demente Menschen besonders von einer Zuwendung und fürsorglichen Pflege profitieren. Angesichts der hohen perioperativen Mortalität und insbesondere der Mortalitätsrate innerhalb des ersten Jahres kann allgemein die Anlage einer PEG-Sonde bei Menschen mit Demenz nicht empfohlen werden.

Frage 846 Unter welchen Symptomen leiden Patienten nach einer zerebralen Ischämie? Am häufigsten leiden Patienten mit einer zerebralen Ischämie unter Lähmungen einer Körperseite, aber auch unter Schmerzen, einer Depression, Harninkontinenz und Verwirrtheit. Darüber hinaus erleben die Angehörigen häufig die Einbindung in medizinische Entscheidungen als unzureichend.

Frage 847 Wie kann man die Pseudohypersalivation bei Patienten mit ALS therapieren? Häufig werden Amitriptylin oder Scopolamin eingesetzt. Effektiv ist auch die subkutane Gabe von Glycopyrrolat. Die Injektion von Botulinumtoxin in die Speicheldrüsen erfordert einige Erfahrung und zeigt schlechtere Ergebnisse bzw. mehr Nebenwirkungen als beispielsweise bei Menschen mit Parkinson-Syndromen. Bei einer ausgeprägten Pseudohypersalivation, die sich mit anderen Methoden therapierefraktär zeigt, kann eine Bestrahlung der Speicheldrüsen vorgenommen werden. Die Pseudohypersalivation ist ein sehr belastendes Symptom bei Patienten mit einer Motoneuronerkrankung. Zudem führt die Verschleimung zur Gefahr der Aspiration und begünstigt dadurch das Entstehen von Pneumonien. Auch in der sozialen Interaktion ist dieses Symptom für Patienten sehr belastend. Die Applikation von Botulinumtoxin kann über mehrere Monate wirksam sein, muss allerdings in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Leider haben neuere Studien gezeigt, dass die Wirksamkeit von Botulinumtoxin bei Menschen mit ALS geringer ist und bei ihnen mehr Nebenwirkungen wie schwere Schluckstörungen auftreten. Eine Bestrahlung der Speicheldrüsen ist irreversibel. Es sollte dabei darauf geachtet werden, dass am Ende nicht zu wenig Speichel produziert wird, weil dadurch Schädigungen an den Mundschleimhäuten und den Zähnen entstehen können. Eine zunächst einseitige Bestrahlung kann in dieser Situation ein sinnvoller Ansatz sein.

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Bei Patienten mit einer zerebralen Ischämie treten nach dem akuten Infarkt eine Reihe von belastenden Symptomen auf. Insbesondere Schmerzen infolge der Immobilität einzelner Extremitäten stehen im Vordergrund. Eine mögliche Depression wird häufig nicht erkannt oder aber fehlgedeutet. Darüber hinaus finden sich auch kognitive Einschränkungen sowie Veränderungen der Persönlichkeit. Die Schmerztherapie ist in vielen Fällen insuffizient.

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Neurologie Frage 848 Welche Medikamente können in der palliativen Phase bei Patienten mit Morbus Parkinson zur Behandlung des Rigors eingesetzt werden, wenn eine ausgeprägte Schluckstörung besteht? Bei Schluckstörungen kann man folgende Medikamente zur Behandlung des Rigors einsetzen: Apomorphin, Rotigotinpflaster und Amantadin. Die Gabe von L-Dopa LT peranal zeigte in der Vergangenheit oft keine ausreichende Wirksamkeit. Generell kann ein geringer Rigor auch belassen werden. Häufig leiden die Patienten mit Morbus Parkinson in der Spätphase nicht besonders. Sie profitieren vor allem von guter Pflege. Bei Patienten in der Spätphase eines Morbus Parkinson ist die Gabe von Apomorphin subkutan geeignet, ebenso die Applikation des Dopaminagonisten Rotigotin (transdermales Pflaster). Dabei ist allerdings zu beachten, dass Dosen von mehr als 4 mg Rotigotin pro Tag zu Halluzinationen führen können, wenn das Pflaster erst in der Spätphase verwendet wird. Subkutan applizierbares L-Dopa ist in der Erprobung und zeigt in ersten Studien bereits eine gute Wirksamkeit.

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Frage 849 Was muss in der Sterbephase von Patienten mit Morbus Huntington beachtet werden? Bei diesen Patienten können Myoklonien und unwillkürliche Bewegungen sowie delirante Symptome auftreten, die die Angehörigen beunruhigen. In der Sterbephase von Patienten mit Morbus Huntington können unwillkürliche Bewegungen und Myoklonien auftreten. Da es sich beim Morbus Huntington um eine Erbkrankheit handelt, muss man bei der Betreuung bedenken, dass die Angehörigen die eigene Sterbephase quasi vorauserleben. Bei insuffizienter Betreuung können daher Ängste ausgelöst und schlimmstenfalls Suizidhandlungen provoziert werden.

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Frage 850 Kann man bei einem Parkinson-Patienten im Endstadium bei einem deliranten Zustand Haloperidol verabreichen? Ja, denn die dopaminantagonistische Wirkung spielt in diesem Stadium keine große Rolle mehr. In der Frühphase der Erkrankung ist die Gabe von Haloperidol kontraindiziert und stellt einen Kunstfehler dar. Allerdings ist die Neurodegeneration in der Spät- und Endphase der Erkrankung so weit fortgeschritten, dass der dopaminantagonistische Effekt von Haloperidol nicht mehr zum Tragen kommt. Die Therapie sollte aber streng überwacht werden.

Frage 851 Welche Schwierigkeiten bereitet die Therapie der Spastik in der letzten Krankheitsphase von Patienten mit multipler Sklerose? Die Wirkung von Antispastika und spasmolytischen Medikamenten ist bei der ausgedehnten Spastik häufig unzureichend, aber hohe Dosen können Schluck- und Sprechstörungen bewirken. Falls keine PEG-Sonde vorhanden ist, können Antispastika nur peranal verabreicht werden (Off-Label), denn für die subkutane Gabe liegt derzeit keine ausreichende Erfahrung vor. In der palliativen Phase können Benzodiazepine peranal und kontinuierlich subkutan gegeben werden, ebenso wie Opioide zur Schmerztherapie. Bei einer schweren Spastik, insbesondere bei einer Betonung der Spastik in den Beinen, kann die Gabe von Kortisonpräparaten intrathekal erwogen werden. Dabei kann eine einmalige Punktion mit Gabe einer moderaten Einzeldosis von Triamcinolon ausreichend für einen Therapieeffekt von 3 Monaten und länger sein.

Neurovaskulär

7.2 Neurovaskuläre Erkrankungen

Die Patienten fühlen sich wohl und sind sich ihrer zum Teil hochgradig vorliegenden Defizite nicht bewusst.

Martin Liebetrau

Frage 854 Frage 852 Welche 4 Unterformen von Schlaganfällen sind Ihnen bekannt? ● ● ● ●

ischämischer Hirninfarkt intrazerebrale Blutung Subarachnoidalblutung Hirnvenenthrombose

Die ischämischen Hirninfarkte stellen die häufigste Form mit ca. 80 % der Fälle dar. Je nach Verschlusslokalisation und vorliegenden Kollateralen kommt es dann zu einem entsprechenden Hirninfarkt unterschiedlicher Größe. Intrazerebrale Blutungen liegen bei ca. 10–15 % der Schlaganfälle vor. Es gibt nicht nur die typischerweise hypertensiv bedingte Stammganglienblutung, sondern es kann prinzipiell in jedem Bereich des Gehirns zu einer Einblutung kommen. In diesen Fällen ist auf eine begleitende Gefäßmissbildung zu achten. Erheblich seltener ist eine Subarachnoidalblutung oder eine Hirnvenenthrombose die Ursache eines Schlaganfalls.

Frage 853 Welches sind die häufigsten fokal-neurologischen Defizite bei einem rechtshirnigen ischämischen Mediainfarkt? Hemiparese links, Hemihypästhesie links, Neglect und visuokonstruktive Störungen. Bei Infarkten der rechten Gehirnhälfte kann es nicht nur zur klassischen, aber nicht obligaten Lähmung der linken Körperhälfte kommen, sondern auch zu komplexen neuropsychologischen Störungen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Vernachlässigungsphänomen (Neglect) zu nennen. Diese Störung äußert sich in einer verminderten Wahrnehmung der linken Körperhälfte, die über die eigentliche Sensibilitätsstörung hinausgeht. Es kann aber auch das visuelle System sowie die auditive Wahrnehmung betroffen sein. Im Extremfall kann eine sog. Anosognosie vorliegen. Dabei handelt es sich um eine Negierung der vorliegenden Defizite:

Welche Ursachen kann ein ischämischer Hirninfarkt haben und wie sieht in der Regel die entsprechende Therapie aus? Kardioembolisch (Antikoagulation), arterio-arteriell embolisch (Carotis-TEA), mikroangiopathisch (Thrombozytenaggregationshemmung). Wichtig ist die Ursachenabklärung eines ischämischen Schlaganfalles insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung eines erneuten ischämischen Hirninfarktes. Wichtig und sehr häufig sind hier die kardioembolischen Hirninfarkte bei zugrunde liegendem Vorhofflimmern. Ist dieses Vorhofflimmern nachgewiesen, sei es nur paroxysmal oder persistierend, sollte eine entsprechende Antikoagulation eingeleitet werden. Bei arterio-arteriellen Hirninfarkten ist die Ursache sehr häufig eine symptomatische Stenose der Arteria carotis interna. Mikroangiopathische Infarkte sind Folge eines Mikrogefäßverschlusses im Gehirn. Hier kommt es üblicherweise zu kleinen Hirninfarkten, meist unter 1 cm im Durchmesser. Risikofaktoren stellen hier vor allem die arterielle Hypertonie, aber auch ein Diabetes mellitus und ein Nikotinkonsum dar.

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Frage 855 Was ist unter einem „malignen Mediainfarkt“ zu verstehen und in welchem zeitlichen Verlauf entwickelt sich dieser? Komplette Infarzierung des gesamten Stromgebiets der A. cerebri media mit zunehmender Hirnschwellung über 3–5 Tage. Die Demarkation eines ischämischen Hirninfarkts in der Bildgebung erfolgt im Verlauf von mehreren Stunden. Die im Verlauf auftretende Hirnschwellung des infarzierten Gewebes ist ein Prozess, der meistens über ca. 4 Tage eine zunehmende Raumforderung aufzeigt. Die Raumforderung des abgestorbenen Hirngewebes beginnt nach Aufbrauchen der vorhandenen Liquorräume (u. a. Seitenventrikel) auf

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Neurologie Kosten des umliegenden gesunden Hirngewebes, da das Gehirn fest von Knochen umgeben ist. Typischerweise tritt eine sog. Mittellinienverlagerung auf, d. h., auch das Hirngewebe der kontralateralen Seite kann in Mitleidenschaft gezogen werden.

Frage 856 Was ist eine Hirnvenenthrombose, welche Risikofaktoren gibt es und wie sieht die Therapie aus? Es handelt sich um das Vorliegen einer Thrombose im ableitenden System der zerebrovaskulären Zirkulation. Die Hauptrisikofaktoren sind Rauchen und hormonelle Kontrazeption. Die Behandlung zielt auf eine Thromboseprophylaxe im Rahmen einer therapeutischen Antikoagulation für mindestens 6 Monate.

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Eine Hirnvenenthrombose oder Sinusthrombose ist eine relativ seltene Ursache eines Schlaganfalls und tritt häufig bei jungen Frauen auf. Als Risikofaktoren sind hier ein Nikotinkonsum und eine hormonelle Kontrazeption zu nennen. Durch den Rückstau des venösen Blutes kann es zu Läsionen im Hirnparenchym kommen im Sinne eines lokalen Hirnödems, aber auch zu möglichen Hirnblutungen. Symptomatisch werden die Patienten häufig durch eine Kombination von Kopfschmerzen und bisher nicht bekannten epileptischen Anfällen. Therapeutisch ist die Antikoagulation zur Therapie der Thrombose indiziert, auch bei vorliegenden Hirnblutungen. Bei epileptischen Anfällen sollte eine entsprechende antikonvulsive Therapie durchgeführt werden.

handlungsergebnis zu erreichen. Dieses Verfahren steht meist nur in überregional zertifizierten Stroke Units zur Verfügung. Eine intravenöse Thrombolysetherapie kann bei Vorliegen der entsprechenden Symptome und Klärung der Ausschlusskriterien bereits vor der Thrombektomie begonnen und durchgeführt werden. Es sollte dann eine Verlegung in ein entsprechendes Zentrum erfolgen.

Frage 858 Warum hat ein zusätzlicher Hirninfarkt kontralateral bei schon zurückliegendem Hirninfarkt ipsilateral in der Regel eine schlechte Prognose? Es kann zu einer Potenzierung und nicht zu einer Addition der Ausfälle kommen. Mit dem Ausfall einer kritischen Masse von Hirngewebe kann ein Zusammenbruch des „Netzwerks“ Gehirn entstehen. Mehrere Territorialinfarkte in beiden Hemisphären können zu einer kritischen Verschlechterung bis hin zu komatösen Zuständen führen. Jedoch erklärt jeder Infarkt für sich (zumindest bei Infarkten in den Hemisphären) nicht das Koma. Letztlich ist die Ursache des über das eigentlich zu erwartende Ausmaß der Ausfälle hinausgehenden Defizits nicht sicher geklärt. Diskutiert werden eine Störung bzw. ein Zusammenbruch des kortikalen Netzwerks.

Frage 859 Was ist das Locked-in-Syndrom und welche neurovaskulären Erkrankungen können dazu führen?

Frage 857 Welche etablierte Therapieoption steht beim ischämischen Schlaganfall neben der systemischen Thrombolyse im Akutstadium zur Verfügung? Die Entfernung des Blutgerinnsels mittels Katheterangiografie (mechanische Thrombektomie) erweitert das Behandlungsspektrum des akuten ischämischen Schlaganfalles erheblich. Die mechanische Thrombektomie stellt bei akut betroffenen Patienten eine hoch effektive Therapieoption dar. Die Thrombektomie sollte bei geeigneten Patienten so rasch wie möglich nach Symptombeginn durchgeführt werden, um ein möglichst gutes Be-

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Dieses Syndrom ist charakterisiert durch eine komplette Lähmung aller 4 Extremitäten und der Hirnnervenkerne bis auf vertikale Augenbewegungen, des Lidschlags und der Atemfunktion bei voll erhaltenem Bewusstsein und der Wachheit. Ursächlich können beispielsweise eine Basilaristhrombose oder eine Hirnstammblutung sein. Das Locked-in-Syndrom ist gänzlich vom Wachkoma zu unterscheiden. Im Gegensatz zum Wachkoma ist beim Locked-in-Syndrom das Bewusstsein erhalten. Es kommt zu einer Lähmung aller Extremitäten und Hirnnerven mit Ausnahme der vertikalen Augenbewegung und eines möglichen Lidschlags. Die

Zentralnervensystem Spontanatmung bleibt erhalten. Für den Arzt ist es von entscheidender Bedeutung, sich über ein mögliches Locked-in-Syndrom Klarheit zu verschaffen. Ursächlich liegt eine beidseitige Schädigung im vorderen Teil der Brücke vor.

Frage 860 Was ist eine zerebrale Amyloidangiopathie, wie äußert sie sich im Akutstadium und wie ist das Rezidivrisiko einzuschätzen? Auf der Grundlage vom Amyloidablagerungen in den leptomeningealen Gefäßen können neben der Ausbildung einer Leukenzephalopathie (Schädigung des Marklagers im Gehirn) gehäuft intrazerebrale Blutungen entstehen. Meist handelt es sich dabei um Lobärblutungen (große Blutungen in einen Hirnlappen hinein). Es besteht eine erhöhte Rezidivgefahr einer intrazerebralen Blutung. Die zerebrale Amyloidangiopathie ist eine isolierte Erkrankung der Hirngefäße. Häufig bildet sich infolge der wiederkehrenden Hirnschädigungen eine begleitende Demenz aus. Die Blutungen sind im Gegensatz zu den meist hypertensiv bedingten Stammganglienblutungen oft lobär verteilt und irregulär begrenzt. Gerade kleinere Blutungen können asymptomatisch verlaufen. Zum Nachweis stattgehabter Blutungen bietet sich die MRT an (Gradientenechooder T 2*-gewichtete Sequenz). Dabei werden durch den bleibenden Nachweis der Eisenablagerungen auch kleine Mikroblutungen sichtbar. Eine Antikoagulation (stark blutverdünnende Behandlung) aus anderen Gründen sollte bei diesen Patienten vermieden werden.

Hirnparenchym vorliegen. Eine kraniale Bildgebung ist zumindest initial bei jedem Schlaganfallpatienten zu fordern. Eine begleitende Cheyne-Stokes-Atmung ist charakterisiert durch periodisches An- und Abschwellen der Atemtiefe mit dazwischenliegenden, unterschiedlich langen Atempausen. Eine neu aufgetretene Anisokorie (Größendifferenz zwischen rechter und linker Pupille) mit nicht lichtreagibler erweiterter Pupille oder beidseits weite und ggf. entrundete, nicht lichtreagible Pupillen weisen auf einen stark erhöhten Hirndruck mit Kompression des N. oculomotorius hin. In Abhängigkeit von der Grunderkrankung ist bei Vorliegen eines oder mehrerer dieser Zeichen mit einem kurzfristigen Versterben des Betroffenen zu rechnen.

7.3 Entzündliche ZNS-Erkrankungen

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Roman Rolke

Frage 862 Nennen Sie ein Beispiel für eine infektionsassoziierte Enzephalopathie in der Palliativmedizin. Ein wichtiges Beispiel ist die HIV-assoziierte Enzephalopathie, die als Begleiterkrankung einer HIV-Infektion entstehen kann. Bei etwa 10 % der HIV-Erkrankungen entwickelt sich in späten Krankheitsstadien (Stadium C) eine HIVEnzephalopathie. Mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit von 1–6 % ist eine akute HIV-Meningitis viel seltener zu beobachten. Eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) durch Reaktivierung einer JC-Virusinfektion bei fortgeschrittenen HIVStadien in 1–2 % der Fälle ist noch seltener.

Frage 861 Was sind bei einem vorliegenden Schlaganfall klinische Zeichen, die in der Regel mit einer ungünstigen Prognose einhergehen? Tiefes, nicht medikamentös bedingtes Koma, einoder beidseits weite und lichtstarre Pupille und Cheyne-Stokes-Atmung.

Frage 863 Welche opportunistischen Infektionen des zentralen Nervensystems können im Rahmen einer fortgeschrittenen HIV- oder AIDS-Erkrankung auftreten? ●

Komatöse Patienten zeigen in der Regel eine infauste Prognose. Dabei ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, welche strukturellen Veränderungen im

● ●



Toxoplasmose-Enzephalitis (2–4 % der Fälle) Kryptokokken-Meningoenzephalitis (ca. 1,5 %) progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML; 1,5 %) CMV-Enzephalitis (1–2 %)

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Neurologie Seit Einführung der hoch aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) ist die Häufigkeit neurologischer Manifestationen, insbesondere auch von opportunistischen Infektionen, deutlich zurückgegangen. Die Häufigkeit einer Toxoplasmose-Enzephalitis konnte von etwa 5–20 % auf 2–4 % der Fälle gesenkt werden.

Frage 864 Was ist eine multiple Sklerose und welche Rolle spielt diese Erkrankung in der Palliativmedizin? Die multiple Sklerose (MS) wird auch als Encephalomyelitis disseminata (ED) bezeichnet. Es handelt sich um eine bisher nicht vollständig aufgeklärte Autoimmunerkrankung von Gehirn und Rückenmark, die wahrscheinlich durch eine fehlgeleitete Immunreaktion gegen Bestandteile von Nervengewebe hervorgerufen wird. An der Entstehung der Entzündungsreaktion sind wahrscheinlich Immunzellen und von diesen Zellen produzierte Antikörper beteiligt, die bei wiederholten Entzündungsschüben (schubförmiger Verlauf) oder chronisch progredientem Verlauf zu Entmarkungsherden in der weißen Substanz des Gehirns führen. Viele Patienten zeigen unter modernen Therapiemöglichkeiten, die zu einer Normalisierung der Immunabwehr führen, erfreulich stabile Krankheitsverläufe. Patienten mit sehr schweren Verläufen benötigen eine palliativmedizinische Versorgung, um z. B. Schmerzen bei muskulärer Spastik, zunehmende Luftnot bei Störung der Funktion der Atemhilfsmuskulatur, aber auch häufige psychische Symptome wie Depressivität, Ängste und Fatigue mit Antriebsstörung zu behandeln. Die Behandlung einer schweren Verlaufsform einer MS sollte frühzeitig palliativmedizinische Angebote umfassen, was bis heute an nur wenigen Zentren in Deutschland realisiert wird.

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Frage 865 Was ist eine paraneoplastische Enzephalitis? Hierbei handelt es sich um eine Entzündung des Gehirns, die als Folge einer gestörten Immunreaktion in Zusammenhang mit einer Krebserkrankung entstanden ist.

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Ein häufiges Beispiel ist die limbische Enzephalitis, eine autoimmun vermittelte synaptische Enzephalopathie. Hier entstehen z. B. bei Bronchialkarzinomen als fehlgeleitete Reaktion der körpereigenen Abwehr sog. Autoantikörper, die gegen Rezeptoren an Übertragungsstellen zwischen Nervenzellen gerichtet sind. In der Literatur werden Antikörper unter anderem gegen erregende NMDA- und AMPA-Rezeptoren, aber auch gegen hemmende GABAB-Rezeptoren beschrieben, die zu einer Störung der normalen Hirnfunktion führen. Als Symptome treten epileptische Anfälle, Fieber unklarer Ursache und andere neuropsychiatrische Symptome auf, z. B. Depressivität, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu akuten Psychosen.

Frage 866 Beschreiben Sie Ursachen und Verlauf einer viralen Enzephalitis, wie diese beispielsweise bei abwehrgeschwächten Patienten in der Palliativmedizin auftreten kann. Nach einem kurzen Prodromalstadium zu Beginn der Erkrankung mit oft hohem Fieber, Kopfschmerzen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Müdigkeit und Übelkeit mit oder ohne Erbrechen kann es zu Störungen des Bewusstseins kommen. Die Patienten können zunehmend schläfrig werden und durch Verwirrtheit bis hin zu akuten Psychosen auffällig sein. Weiter kann es zu epileptischen Anfällen, Lähmungserscheinungen, Sprach- und Sehstörungen sowie Hirnnervenausfällen kommen. Ursache ist oft eine Herpes-simplex-Enzephalitis. Neben dem Herpes-simplex-Virus (HSV-1) finden sich seltener Arboviren, Enteroviren, Masernviren, Mumpsviren, Epstein-Barr-Virus sowie HIV. Auch das Zytomegalievirus (CMV) spielt hier eine Rolle, besonders bei Patienten mit Leukämie unter Chemotherapie.

Frage 867 Was versteht man unter einer Prionerkrankung? Ein wichtiges Beispiel ist die Creutzfeldt-JakobErkrankung (CJD). Es handelt sich hier um eine in mehr als 90 % der Fälle sporadisch auftretende

Zentralnervensystem Gehirnerkrankung durch infektiöse Eiweiße (Prione). Prione können aber beispielsweise auch durch infizierte neurochirurgische Instrumente im Rahmen von Operationen übertragen werden und selten auch genetisch bedingt sein. Prionerkrankungen entstehen durch abnorm gefaltete Eiweiße, die in der Lage sind, ihre veränderte Struktur auch anderen Eiweißen aufzuzwingen, um sich so zu verbreiten. Bis heute verläuft die CJD immer tödlich. Klinisch entwickelt sich eine oft rasch fortscheitende Demenz, die von einer Bewegungsstörung begleitet wird. Typischerweise sind die betroffenen Patienten zunehmend schreckhaft. Die Diagnose wird mittels Kernspintomografie des Gehirns, EEG mit typischerweise triphasischen Wellen und einer Nervenwasserdiagnostik mit Nachweis eines dort erhöhten 14–3–3-Proteins gestellt.

Frage 868 Nennen Sie häufige Erreger einer Pilzinfektion des ZNS. Zu den wichtigsten Pilzinfektionen des ZNS zählen die Kryptokokkose, Kandidiasis, Aspergillose und Zygomykose. Die Kryptokokkose ist die häufigste Pilzerkrankung, die bevorzugt das Gehirn befällt. Zumeist liegt eine Abwehrschwäche des Immunsystems vor, z. B. im Rahmen von AIDS oder Leukämien. Der Erreger Cryptococcus neoformans wird durch das Einatmen von Vogelkot-Stäuben in die Lunge aufgenommen und gelangt über die Blutbahn von dort aus ins Gehirn.

ves Protein (82 % der Fälle) und positive Kulturen aus dem intrakraniellen Eiter (83 %).

Frage 870 Wie kann Ihr Vorgehen aussehen, wenn ein Palliativpatient mit längerer Prognose nach zuvor durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion neu Hirnnervenausfälle, Muskel- und Nervenschmerzen entwickelt, die mehr als 3 Monate nach der „Corona-Infektion“ anhalten? Wenn die genannten Symptome mehr als 3 Monate nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion andauern, soll nach Leitlinienempfehlung eine umfassende Diagnostik mit neurophysiologischer Testung und Labordiagnostik (einschließlich Nervenwasseruntersuchung) sowie ggf. Hautbiopsie (Ausschluss einer Small-Fiber-Neuropathie) erfolgen.

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Nach der S 2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Version 2022; www.dgn.org) wird weitergehende Diagnostik empfohlen, um nach Ausschluss anderer Ursachen ein neurologisches LongCovid-Syndrom festzustellen. Die Hautbiopsie kann eine z. B. immunvermittelte Small-Fiber-Neuropathie nachweisen. Sofern ein Patient – soweit erkennbar – sich in seinen letzten Lebenswochen befindet, sollte die Diagnostik begrenzt werden. Dann kann eine symptomatische Behandlung ganz im Vordergrund stehen.

Frage 871 Kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine akute Gehirnentzündung (Enzephalitis) hervorrufen?

Frage 869 Ja. Was ist ein Hirnabszess? Es handelt sich um eine lokal begrenzte Infektion des Gehirns. Diese durch Erreger bedingte Reaktion beginnt als Entzündung des Gehirns und entwickelt sich dann zu einer Eiteransammlung, die von einer Bindegewebskapsel umhüllt wird. Zu den häufigsten Symptomen zählen Kopfschmerzen (82 % der Fälle), Übelkeit mit Erbrechen (55 %), Bewusstseinsstörungen (54 %) und Fieber (52 %). Hauptbefunde sind im Labor ein erhöhtes C-reakti-

Eine SARS-CoV-2-Infektion kann zu einer am ehesten autoimmunvermittelten Enzephalitis führen, die Ausdruck einer überschießenden Immunreaktion auf das Virus sein kann. Die direkte Hirnschädigung durch das Virus selbst ist vermutlich sehr begrenzt. Das Auftreten kann begleitend zur akuten Infektion oder auch erst postinfektiös beobachtet werden, wenn sich die Immunreaktion protrahiert entwickelt.

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Neurologie Frage 872 Was ist eine Autoimmunenzephalitis? Es handelt sich hier um eine Gehirnentzündung infolge von Autoantikörpern gegen neuronale Rezeptoren, synaptische Proteine oder Ionenkanäle. In den vergangenen Jahren wurde eine zunehmende Anzahl von Autoantikörpern beschrieben, die nicht Tumor-assoziiert im Sinn eines paraneoplastischen Syndroms auftreten. Manche Autoantikörper werden jedoch nur in Zusammenhang von Tumorerkrankungen beobachtet. Viele Autoimmunenzephalitiden treten zusammen mit psychiatrischen Symptomen und/oder epileptischen Anfällen auf. Am bekanntesten ist die NMDA-Rezeptor-Antikörper-vermittelte Enzephalitis, die in 2 Phasen verläuft und oft mit wurmförmig geschwungenen Bewegungen von Armen und Oberkörper einhergeht. Ein anderes Beispiel ist eine limbische Enzephalitis. Dann sind andere Autoantikörper vorhanden, die gegen Oberflächenproteine von Neuronen oder gegen deren Rezeptoren gerichtet sind. In der Hälfte der Fälle findet sich ein auffälliger Liquor. EEG und eine am besten FLAIR-gewichtete MRT des Gehirns sind diagnostisch richtungsweisend.

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Frage 873 Was verstehen Sie unter einem intrakraniellen Empyem? Es handelt sich um eine bakterielle Infektion des Gehirns mit Eiterbildung. Ein solches Empyem tritt in 10–20 % der Fälle fokal als subdurales Empyem auf. Es handelt sich hier um eine lebensbedrohliche Situation, die einen neurochirurgischen Notfall darstellt und rasch operiert werden muss, wenn dies bei einer fortgeschrittenen Grunderkrankung noch indiziert werden kann. Fast immer handelt es sich um eine weitergeleitete bakterielle Infektion (per continuitatem) ausgehend von einer paranasalen Sinusitis, Otitis media oder bakteriellen Infektion des Mastoids.

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Frage 874 Was ist eine Neuroborreliose und wie kann diese klinisch auf sich aufmerksam machen? Eine Neuroborreliose entsteht infolge einer ZNSInfektion mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi nach einem vorausgehenden Zeckenbiss. Besonders in Endemiegebieten kommen Zecken als Träger von Borrelien infrage, die bei einem Zeckenbiss ins Blut und von dort später in den Liquorraum und das ZNS übertragen werden können. Die Diagnose kann nur bei Borreliennachweis in einem entzündlich veränderten Liquor (erhöhte Leukozytenzahlen gegenüber der Norm) gestellt werden. Radikuläre Schmerzen gehören zu den häufigen Symptomen. Die Inzidenz liegt in Deutschland in einzelnen Bundesländern bei bis zu 35/100 000 Einwohnern.

Frage 875 Welche Form der Hirnentzündung können immuninkompetente Menschen von Reisen oder im Rahmen von Einwanderung nach Deutschland mitbringen? Global gesehen ist hier an erster Stelle die Malaria-Enzephalitis zu nennen. Diese Protozoen-Enzephalitis wird am häufigsten durch Plasmodium falciparum und Plasmodium vivax vermittelt. Etwa in England treten pro Jahr ca. 1500 Fälle auf. Im Vordergrund der klinischen Beschwerden steht eine Vigilanzminderung bis hin zum Koma, Kopfschmerzen und in bis zu 20 % der Fälle bei Erwachsenen auch epileptische Anfälle. Die Diagnose kann leicht mikroskopisch durch Nachweis von Plasmodien in befallenen Erythrozyten gestellt werden. Die Reiseanamnese kann richtungsweisend sein.

Herz

8 Weitere internistische Erkrankungen 8.1 Erkrankungen des Herzens



Linda Fendel







Frage 876 Zu Ihnen kommt eine 76-jährige Frau mit bekannter schwerer koronarer Herzkrankheit und berichtet über progrediente Ruhedyspnoe. Sie sei wegen dieser Beschwerden in den letzten Monaten schon mehrmals im Krankenhaus gewesen und habe immer wieder „Wasser in der Lunge“ gehabt. Sie wisse nun nicht mehr, wie es weitergehen soll, und wünscht die Aufnahme auf einer Palliativstation. Ist dies Ihres Erachtens sinnvoll und möglich?

● ● ●

Husten pektanginöse Beschwerden Appetitlosigkeit Verwirrtheit Fatigue Müdigkeit/Schläfrigkeit Antriebslosigkeit/Gefühl der Erschöpfung

Die chronische Herzinsuffizienz ist durch ein breites Spektrum wechselhafter Symptome gekennzeichnet. Patienten mit einer solchen Erkrankung haben im gesamten Verlauf ihrer Krankheit immer wieder und in unterschiedlichem Maß palliativen Versorgungsbedarf.

Frage 878 Dies ist sowohl sinnvoll als auch möglich. Führendes Symptom scheint die Dyspnoe zu sein, die dort behandelt werden sollte. Zudem scheinen komplexe Themen wie die Zielsetzung der weiteren Therapie, Behandlungsbegrenzung, Prognose der Erkrankung und eine Klärung der weiteren Versorgung bei Zustandsverschlechterung noch nicht besprochen und bedürfen der Moderation. Palliativmedizin ist definiert als eine aktive ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung (die nicht zwingend eine Tumorerkrankung sein muss) und einer begrenzten Lebenserwartung. Nicht die Verlängerung der Lebenszeit, sondern die Lebensqualität des Betroffenen sowie die Behandlung von Schmerzen, Luftnot und anderen Krankheitsbeschwerden stehen im Vordergrund. Die Prognose einer bei dieser Patientin vorliegenden chronischen Herzinsuffizienz ist in fortgeschrittenen Stadien sehr ungünstig und oft schlechter als die eines Tumorkranken. Die 1-JahresLetalität bei NYHA-Stadium IV beträgt ca. 50 %.

Frage 877

Welche medikamentösen und nicht medikamentösen Maßnahmen zur Symptomlinderung der Dyspnoe können Sie bei Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz ergreifen?

8

Medikamentöse Maßnahmen: ● Sauerstoffgabe (kritisch die Indikation überprüfen) ● kardiale Medikation optimieren ● Opioide Nicht medikamentöse Maßnahmen: ● Ruhe bewahren/Sicherheit vermitteln ● für Frischluftzufuhr sorgen ● beengte Kleidung vermeiden ● Atemübungen/atemstimulierende Einreibungen ● weitere komplementäre Maßnahmen (z. B. basale Stimulation, warme Brustwickel, Musiktherapie etc.) Neben der Symptomlinderung sollten Themen wie die Notfallplanung, Anpassung der Vorsorgeplanung, Fragen zu Wiederbelebungsmaßnahmen und intensivmedizinischer Therapie geklärt werden.

Mit welchen grundlegenden Symptomen rechnen Sie bei einer schweren Herzinsuffizienz? ● ● ● ●

Dyspnoe (90 %) Angst/Panik Ödeme (z. B. Beine, Lunge) Nykturie

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Innere Medizin Frage 879 Ein Patient mit einem implantierten CardioverterDefibrillator (ICD) liegt im Sterben. Was ist zu tun? ●



die zulässige ICD-Deaktivierung ansprechen und ggf. durchführen lassen einen Magneten parat (in greifbare Nähe) legen

Frage 881 Ein Patient im kardialen Lungenödem leidet unter Ruhedyspnoe. Welche beobachtbaren Kriterien zur Beurteilung haben Sie? ● ● ●

Schocktherapien am Lebensende sind medizinisch nicht sinnvoll und können zu erheblichen Belastungen beim Sterbenden, seinen Angehörigen und dem Behandlungsteam führen. Die Deaktivierung kann von einem Kardiologen oder von einer Schrittmacherambulanz vorgenommen werden. ICDs können, falls eine Abschaltung technisch nicht möglich ist, durch die Auflage eines Magneten, auf der Haut über dem Gerät platziert, inaktiviert werden. Die Größe des Magneten ist dabei unerheblich.

Frage 880

8

Ist die Deaktivierung eines ICDs bei einem im Sterben liegendem Patienten rechtlich überhaupt zulässig? Ein ICD darf prinzipiell nur mit Einwilligung des Patienten und nicht gegen dessen Willen abgeschaltet werden. Bei nicht einwilligungsfähigen Patienten muss gemeinsam mit dem gesetzlichen Vertreter der mutmaßliche Wille ermittelt werden. In der unmittelbaren Sterbephase gibt es allerdings eine Besonderheit hinsichtlich der ICD-Deaktivierung. Hier darf der Patientenwille zur Deaktivierung auch dann vermutet werden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die individuelle Einstellung der Sterbenden vorhanden sind. Man benötigt also keine positiven Anhaltspunkte für die Annahme, der Patient sei mit einer ICDDeaktivierung im Sterben mutmaßlich einverstanden, sondern es reicht, wenn er dem nicht ausdrücklich widersprochen hat. Es ist durchaus sinnvoll, das Thema einer Deaktivierung bereits in der Patientenaufklärung vor der Implantation zu benennen. Klinikinterne Standards für diese wichtigen Gespräche wären hilfreich. ICD-Patienten sollte geraten werden, das ICD-Management am Lebensende frühzeitig in einer Patientenverfügung zu regeln.

256

● ● ● ●

Atemfrequenz Atemgeräusche Atemtiefe Hautfarbe (z. B. rosig, blass, zyanotisch) Gesichtsausdruck Körperhaltung Vigilanz

Dyspnoe ist ein Symptom, dessen Schwere nur der Patient allein beurteilen kann. Seine subjektive Einschätzung ist handlungsleitend für weitere Interventionen, da die objektive Wahrnehmung vom Empfinden des Patienten stark abweichen kann. Häufig entsteht ein „Circulus vitiosus“, wobei Dyspnoe Angst und diese wiederum die Dyspnoe verstärkt.

Frage 882 Die Angehörigen eines Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz fragen, warum ein regelhaftes Monitoring, Laborkontrollen und die Messung von Vitalparametern auf der Palliativstation nicht stattfinden. Was antworten Sie darauf? Vitalparameter, Monitoring und Laborkontrollen sind für die palliativmedizinische Behandlung von subjektiv empfundenen Symptomen und Beschwerden oft nicht zielführend. Die Werte werden meist nur dann erhoben, wenn sich hieraus therapeutische Konsequenzen ergeben. Das multidisziplinäre Team einer Palliativstation ist darauf spezialisiert, belastende Symptome zu lindern. Im Fokus steht die Lebensqualität des Patienten. Die Messung von Vitalparametern steht in der Palliativmedizin eher im Hintergrund.

Herz Frage 883 Ein Patient mit schwerer koronarer Herzkrankheit liegt im Sterben. Die orale Einnahme seiner Herzmedikamente wird zunehmend schwieriger und belastend für ihn. Wie gehen Sie damit um? In Absprache mit ihm und seinen Angehörigen kann auf die orale Einnahme der Kardiaka verzichtet werden. Die Behandlung belastender Symptome steht in dieser Phase der Erkrankung primär im Vordergrund. Es erfolgt eine rein symptomatische Therapie, wenn oral nicht möglich, dann alternativ über andere (nicht belastende) Applikationswege. Alle Medikamente, die in der Sterbephase für den Patienten keinen Nutzen mehr haben, sollten abgesetzt werden. Das Auftreten neuer oder eine Intensitätssteigerung bisher gut behandelter Symptome sind Gründe, die eine Änderung bisheriger Therapiestrategien notwendig machen.

Frage 884 Sie betreuen einen 63-jährigen Patienten mit multipel ossär metastasiertem Prostatakarzinom auf der Palliativstation. Aufgrund der Metastasierung ist der Patient querschnittsgelähmt und leidet sehr unter dem Autonomieverlust. Wegen einer schweren dilatativen Kardiomyopathie erhielt er vor 7 Jahren, vor der Diagnosestellung seiner Tumorerkrankung, eine LVAD-Therapie (Left Ventricular Assist Device), um die Zeit bis zu einer Herztransplantation zu überbrücken. Die Transplantation wurde mit Diagnose seiner Krebserkrankung hinfällig. Der Patient empfindet sich nun in seiner Lebensqualität massiv eingeschränkt, prognostisch hat er nur noch wenige Monate zu leben. Er verlangt, dass die LVAD-Therapie beendet wird. Ist dies rechtlich möglich? Ja, da der Patient sein Einverständnis für die Fortführung einer bestehenden Therapie zurückzieht.

Frage 885 Was unterscheidet die Beendigung einer lebenserhaltenden Therapie von einer Tötung auf Verlangen? Bei der Beendigung einer lebenserhaltenden Therapie ist das fehlende Einverständnis oder die fehlende Indikation handlungsleitend. Bei Nichtbeachtung des Patientenwillens (Nicht-Einwilligung) ist der Tatbestand der Körperverletzung gegeben. Tötung auf Verlangen bezeichnet die Bereitstellung und Verabreichung einer Substanz zur Herbeiführung des Todes. In Deutschland ist aktive Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB strafbar. Das „Abschalten von Maschinen“ wird, da dies als aktive Tätigkeit gedeutet wird, oftmals fälschlicherweise einer Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe) zugeordnet.

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Frage 886 Die Angehörigen eines im Sterben liegenden Patienten sprechen sie an und wollen wissen, ob der Herzschrittmacher des Patienten zwingend vor seiner Bestattung entnommen werden muss. Was antworten Sie? Bei einer Erdbestattung verbleibt der Herzschrittmacher im Körper des Verstorbenen. Ist eine Einäscherung gewünscht, gibt es unter Umständen Einschränkungen. Nicht alle Krematorien führen eine Einäscherung mit Herzschrittmacher durch, daher gilt es, sich im Vorfeld, am besten über den Bestatter, zu erkundigen. Sollte der Schrittmacher vor der Kremierung entfernt werden müssen, geschieht dies in den meisten Fällen mit einem kleinen Hautschnitt und durch den Bestatter selbst.

In diesem Fall werden lebenserhaltende Maßnahmen bei zurückgezogenem Einverständnis des Patienten beendet und somit das Sterben zugelassen.

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Innere Medizin Frage 887 Ein 82-jähriger Patient mit kardialem Lungenödem ist in Ruhe dyspnoisch und Sie wollen ihn medikamentös unterstützen. Würden Sie trotz atemdepressiver Wirkung ein Opioid verabreichen? Ja, zur symptomatischen Therapie der Dyspnoe. Wirkung von Morphin bei Dyspnoe: ● Erhöhung der Toleranz des Atemzentrums gegenüber erhöhten CO2-Werten ● Abnahme der Atemfrequenz und der Atemarbeit, Erhöhung des Atemzugvolumens (Atmung wird ökonomisiert) ● Dämpfung der emotionalen Reaktion am limbischen System

Frage 888 Welche klinischen Symptome können Sie bei einem Palliativpatienten mit einem malignen Perikarderguss beobachten?

8

Frage 889 Muss ein maligner Perikarderguss wegen der Gefahr einer Perikardtamponade zwingend und dringend behandelt werden? Behandlung und Therapiebedürftigkeit eines malignen Perikardergusses hängen von der zugrunde liegenden Erkrankung und der damit verbundenen Prognose, der Geschwindigkeit der Ergussentstehung und der hämodynamischen Wirksamkeit ab. Angesichts einer limitierten Lebenserwartung hat die Behandlung eines malignen Ergusses insbesondere die Symptomkontrolle und die Verbesserung der Lebensqualität zum Ziel. Die 3 Kardinalsymptome einer Perikardtamponade (Beck-Trias) sind: ● arterielle Hypotonie ● erhöhter zentraler Venendruck ● auskultatorisch leise Herztöne

Frage 890 ● ● ● ● ● ● ● ● ●

präkordiales Druckgefühl retrosternaler Schmerz Dyspnoe/Tachypnoe Angst/Unruhe Husten Schluckauf obere Einflussstauung (nicht bei Hypovolämie) Tachykardie Hypotonie

Nicht die Gesamtmenge, sondern die Geschwindigkeit des Auftretens ist für die Notfallsymptomatik eines Perikardergusses entscheidend. Bei rascher Ergussentwicklung können schon weniger als 100 ml hämodynamisch wirksam sein, wenngleich bei schleichender Entwicklung und hoher Perikardelastizität bis zu 1 l Flüssigkeit toleriert wird.

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Bei einem 84-jährigen Patienten ist eine hochgradige Aortenklappenstenose festgestellt worden. Er hat zunehmende Beschwerden. Wie ist seine Prognose ohne Operation? Ohne rechtzeitige Operation ist die Prognose sehr schlecht. Eine hochgradige Aortenklappenstenose schränkt die Lebenserwartung sogar dann ein, wenn keine Symptome bestehen. Sind bereits Symptome aufgetreten, beträgt die mittlere Überlebensrate nach 2 Jahren ca. 50 % und nach 5 Jahren nur noch ca. 20 %. Von einer hochgradigen Aortenklappenstenose spricht man, wenn unter anderem die Klappenöffnungsfläche kleiner als 1,0 cm2 ist. Bei einer hochgradigen Stenose mit Symptomen sollte ein Aortenklappenersatz erwogen werden. Auch bei über 80Jährigen sind die Ergebnisse gut. Eine TAVI (Transcatheter Aortic Valve Implantation) kommt infrage, wenn z. B. das Risikoprofil des Patienten sehr hoch ist.

Herz Frage 891 Ein Palliativpatient soll zur Behandlung seiner akuten Herzinsuffizienz zur Symptomkontrolle Furosemid erhalten. Die orale Applikation ist nicht möglich, einen intravenösen Zugang lehnt er ab. Gibt es weitere mögliche Applikationswege? ●

Die subkutane Applikation von Furosemid ist möglich, stellt jedoch einen Off-Label-Use dar.

Unter Off-Label-Use versteht man die Anwendung eines zugelassenen Fertigarzneimittels außerhalb der Zulassung. Das informierte Einverständnis des Patienten ist Voraussetzung für den Off-Label-Use. Es besteht, wie für jede andere medizinische Behandlung, die allgemeine Aufklärungs- und Dokumentationspflicht.

Frage 892 Welche auch in der Schmerztherapie gängigen Assessments können Sie für die Einschätzung der Dyspnoe nutzen? ● ● ●

Visuelle Analogskala (VAS) Numerische Rating-Skala (NRS) Verbale Rating-Skala (VRS)

Daneben gibt es viele weitere Skalen, die gezielt die Erfassung und Einteilung der Dyspnoe betreffen. Genannt seien hier die mMRC (modified Medical Research Council)-Skala, die besonders bei COPD-Patienten Anwendung findet, sowie die Borg-Skala, welche eher die subjektive Anstrengung erfasst.

Frage 893 Eine von Ihnen betreute Patientin nimmt schon seit längerer Zeit wegen einer tachykarden Herzrhythmusstörung Amiodaron ein. Nun bekommt sie wegen einer Lungenentzündung seit Kurzem zusätzlich Levofloxacin. Was gilt es zu beachten? ●

Beide Medikamente verlängern die QT-Zeit. Ein verlängertes QT-Intervall birgt das Risiko, eine ventrikuläre Arrhythmie, insbesondere „Torsade de Pointes“, zu entwickeln.

Eine Torsade-de-Pointes-Tachykardie ist eine spezifische Form der polymorphen ventrikulären Tachykardien bei Patienten mit einem verlängerten QT-Intervall. Das Risiko arzneimittelinduzierter „Torsade de Pointes“ ist bei gleichzeitiger Einnahme von 2 oder mehr Arzneimitteln, die die QT-Zeit verlängern, deutlich erhöht.

Frage 894 Ein Patient auf der Palliativstation hat eine bekannte Linksherzinsuffizienz und leidet sehr unter unproduktiven Hustenattacken. Wie können Sie ihm symptomatisch helfen? ●





für ausreichende Luftfeuchtigkeit im Raum sorgen (evtl. feuchte Handtücher aufhängen) 2–3 × täglich Vernebler mit Kochsalzlösung mit ggf. reizlindernden Mitteln zentral wirksame Antitussiva (Codein, Morphin)

8

Als reizlindernde natürliche Substenzen gelten z. B. Thymian, Salbei, Spitzwegerich und Lavendel.

Frage 895 Ein kardial vorerkrankter 62-jähriger Patient hat erstmals einen einseitigen Pleuraerguss. Er fragt nun, ob eine genaue Abklärung wirklich nötig sei, denn man wisse doch, dass der Erguss bestimmt vom Herzen komme. Was antworten Sie? ●

Eine differenzialdiagnostische Abklärung ist für eine zielgerichtete Therapie und für die prognostische Einschätzung essenziell. Neben einer kardialen Genese kommen z. B. Malignome, Entzündungen, eine Lungenembolie oder andere systemische Erkrankungen in Frage.

Die Differenzialdiagnosen eines Pleuraergusses sind insgesamt sehr zahlreich. Die häufigsten Ursachen sind Herzinsuffizienzen, Pneumonien, Malignomerkrankungen und Lungenembolien. Auch Medikamente können die Ursache eines Pleuraergusses sein.

259

Innere Medizin

8.2 Erkrankungen der Lunge Johannes Bükki

Frage 896 Welche Symptome bewirkt SARS-CoV2 in der Lunge? ●



initial Husten und allgemeine Krankheitssymptome bei schwerem Verlauf respiratorische Insuffizienz mit oder ohne Dyspnoe, ARDS

Nach fakultativen Prodromi wie Husten, Gliederund Kopfschmerzen, Geruchs-/Geschmacksverlust, Sinusitis/Pharyngitis und Diarrhö kommt es innerhalb von Tagen bei 15–20 % der Infizierten zu einer schweren Verlaufsform mit Dyspnoe bei Pneumonie. In diesem Rahmen entwickeln einige Patienten ausgeprägte inflammatorische Reaktionen mit anhaltendem Fieber, Hypoxie, respiratorischer Insuffizienz (ARDS), Thromboembolien, Myokardschaden, Enzephalopathie und Multiorganversagen. Je nach Definition und Setting wird die Gesamtprävalenz von Dyspnoe bei Covid-19 mit 20–60 % angegeben. Obwohl mit höherer Mortalität assoziiert, korreliert Dyspnoe nicht in allen Fällen mit der Schwere der Erkrankung, und pathologische Blutgase und/oder CTs ohne jede Dyspnoe wurden beschrieben. Hierfür könnten veränderte Afferenzen oder zentralnervöse Effekte verantwortlich sein.

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Frage 897 Wie verändert die Covid-19-Pandemie die Betreuung von Patienten am Lebensende? ●







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Global kaum. Weiterhin werden vorwiegend „aggressive“ Therapien am Lebensende durchgeführt. Entscheidungen zwischen intensiver oder palliativer Therapie können ressourcenorientiert motiviert sein. Hochaltrige Patienten: häufig keine Intensivmedizin gewünscht; aber: Frailty bedeutet nicht unbedingt erhöhte Covid-19-Mortalität Cave: Covid-19-Maßnahmen können Alltagskompetenzen bei chronisch Atemwegserkrankten beeinträchtigen

Weltweit betrachtet dominieren am Lebensende weiterhin „aggressive“ Therapien (im Gegensatz zu symptomorientierten Maßnahmen), dies gilt auch für Covid-Patienten. Eine Umfrage in UK zeigte jedoch, dass viele Ärzte durch die Erfahrungen während der Pandemie häufiger auf maximale Maßnahmen verzichteten (DNR-Status), Patienten weniger oft auf die Intensivstation verlegten oder sie häufiger rein palliativ behandelten, ihre Haltungen zur Sterbehilfe aber nicht änderten. Dies ist im Einklang mit den Präferenzen der meisten sehr alten Patienten (> 85 J.), welche bei schwerer Covid-19-Erkrankung zudem eine deutlich schlechtere Prognose als jüngere Patienten haben. Gebrechlichkeit (Frailty) allein ist jedoch nicht mit einer erhöhten 30-TagesMortalität assoziiert. Eine längere Isolation oder auch Social Distancing können sich aber negativ auf die Alltagskompetenzen auswirken, insbesondere bei Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen.

Frage 898 Welche Auswirkungen hat Covid-19 auf Angehörige und Beschäftigte im Gesundheitswesen? ●





posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) bei Angehörigen Risiko von ethischen Konflikten, Überlastung und Burn-out in den Gesundheitsberufen akute Versorgungsengpässe

Gesichert ist eine erhöhte Inzidenz posttraumatischer Belastungsstörungen bei Angehörigen von intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten. Auf der Seite der Patientenversorgung kommt es durch erschwerte Pflege und Kommunikation im Rahmen der Isolationsmaßnahmen, ethische Dilemmata angesichts therapeutischer Entscheidungen und chronische Überlastung zu Burn-out von Professionellen, der den bestehenden Personalmangel noch verstärkt. Ein lokaler Covid-19-Cluster, ausgelöst durch einen Patienten und dessen Besucher, führte temporär sogar zur kompletten Schließung einer ganzen Palliativstation.

Lunge Frage 899 Welche Probleme außer den im Zusammenhang mit den genannten treten bei weit fortgeschrittenen Erkrankungen der Lunge häufig auf? ● ● ● ●

Thoraxschmerzen Verwirrtheit Gewichtsverlust Ödeme

Insbesondere pleuraständige Tumoren können zu atemabhängigen, zum Teil auch neuropathischen Schmerzen führen, Retentionspneumonien und Lungenembolien ziehen häufig eine schmerzhafte Begleitpleuritis nach sich. Unter der chronischen Hypoxie kann die zerebrale Sauerstoffversorgung leiden, es kommt zu deliranten Zuständen. Bei lang bestehender COPD kann eine pulmonale Kachexie beobachtet werden. Schließlich kann eine chronische Rechtsherzbelastung (Cor pulmonale) periphere Ödeme zur Folge haben.

Patienten mit langjähriger COPD weisen eine ähnlich gravierende Symptomlast wie Patienten mit Lungenkarzinomen auf und müssen länger damit leben. Sehr häufig führen kardiovaskuläre Begleiterkrankungen, kognitive Einschränkungen oder ein Diabetes mellitus zu Komplikationen und rezidivierenden Krankenhauseinweisungen. Kausale Therapien sind nur begrenzt effektiv. Eine vorausschauende Erfassung der Präferenzen für das Lebensende findet selten statt und die Sterbephase ist – aufgrund multipler ähnlicher vorausgegangener Episoden – schwer zu diagnostizieren. Hinzu kommen psychosoziale Belastungen und ein Stigma ähnlich wie bei den Lungenkarzinompatienten (Raucher). Daraus resultiert eine Unterversorgung in palliativmedizinischen Fragen.

Frage 902 Was ist die typische Symptomatik bei Patienten mit weit fortgeschrittener COPD? ●

Frage 900

● ●

Bei welchen Erkrankungen der Lunge sollten Patienten außer durch kausale Therapieansätze auch palliativmedizinisch mitbetreut werden? ● ● ● ● ●

primäre und sekundäre thorakale Malignome fortgeschrittene COPD idiopathische Lungenfibrose zystische Fibrose therapierefraktäre Lungenembolien

Bei allen Entitäten ist ein Leitsymptom (und häufig das subjektiv am stärksten beeinträchtigende) die Dyspnoe. Sämtliche Erkrankungen sind in unterschiedlichem Grad symptomatisch, fortschreitend und lebensbegrenzend, spezifische Therapieansätze sind nur begrenzt vorhanden. Beispielhaft soll im Folgenden die COPD behandelt werden.

● ●

8

hochgradige Belastungsdyspnoe produktiver Husten Mundtrockenheit Müdigkeit Unruhe

Die Patienten berichten nicht nur über stärkste Luftnot bereits bei geringer Belastung, sondern häufig auch über Husten mit Verschleimung, unangenehme Mundtrockenheit, Schlafstörungen und Müdigkeit sowie Angstzustände und Nervosität bis hin zu Verwirrtheit. Ursachen sind neben dem gestörten Gasaustausch rezidivierende Infekte, Begleiterkrankungen und häufig die Polypharmazie. Bei den oft indolenten Patienten ist ein gründliches Assessment essenziell.

Frage 903 Worauf muss bei der Therapie der weit fortgeschrittenen COPD geachtet werden?

Frage 901 ●

Warum benötigen viele Patienten mit weit fortgeschrittener COPD palliativmedizinische Expertise?

● ● ● ●

medikamentöse Compliance Wechselwirkungen kognitive Einschränkungen Rehabilitation Schutzimpfungen

Wegen der hohen Symptomlast, der häufigen Komorbiditäten und des progredienten Verlaufs.

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Innere Medizin Die Patienten haben bei langjähriger „Karriere“ einen individuellen Umgang mit der Medikation sowie Coping-Strategien entwickelt, die beachtet werden müssen. Gegebenenfalls werden neu verordnete Pharmaka nicht akzeptiert oder aberrant eingenommen. Die hohe Anzahl der Medikamente überfordert vor allem ältere COPD-Patienten mit beginnenden hypoxisch bedingten kognitiven Defiziten. Das muss bei der Anordnung berücksichtigt werden. Besonders sorgfältig muss daher über Medikamente wie Morphin, Antikoagulanzien oder Steroide aufgeklärt werden, und die Einnahme muss kontrolliert werden. Grundsätzlich jedoch gelten die gleichen Prinzipien der Symptomkontrolle wie für Patienten mit Malignomen. Bei chronischem Verlauf der Erkrankung können bei COPD-Patienten jedoch rehabilitative Angebote eine Rolle spielen (Physio- und Ernährungstherapie). Impfungen gegen Covid-19, Grippe und Pneumokokken sind sinnvoll.

8.3 Erkrankungen der Leber Linda Fendel

Frage 905 Aszites ist ein häufiges Symptom bei weit fortgeschrittenen Erkrankungen. Welche therapeutischen Möglichkeiten haben Sie in einer palliativen Situation grundsätzlich? ●

● ● ● ● ● ●

diätetische Maßnahmen: Kochsalz- und Flüssigkeitsrestriktion Diuretika Parazentese getunnelte Aszitesdrainage peritoneovenöser Shunt intraperitoneale Chemotherapie PIPAC (Pressurized Intraperitoneal Aerosol Chemotherapy)

Frage 904

8

Welchen Stellenwert hat die Sauerstofftherapie bei COPD-Patienten? Sie wirkt lebensverlängernd bei Dauergabe, hat aber wenig Einfluss auf die Lebensqualität. Obwohl der Atemantrieb bei chronischer Hyperkapnie durch den Sauerstoffpartialdruck reguliert wird und eine unkontrollierte Sauerstoffgabe damit atemdepressiv wirken kann, profitieren hypoxische Patienten von einer Langzeit-Sauerstofftherapie über mindestens 12–15 Stunden pro Tag. Es konnte gezeigt werden, dass die Mortalität signifikant gesenkt, die Lebensqualität hingegen nur unwesentlich beeinflusst wird. Meist ist eine Flussrate von 1–3 l/ min über eine Nasensonde ausreichend. Raucher sollten auf die Entflammbarkeit von Sauerstoff hingewiesen werden.

Das Auftreten von malignem Aszites bei Tumorerkrankungen ist prognostisch ungünstig. Ein peritonealer Tumorbefall ist oftmals das erste Anzeichen einer Tumorprogression oder eines Rezidivs. Im Rahmen des PIPAC-Verfahrens wird laparoskopisch ein Chemotherapeutikum als Aerosol unter hohem Druck in die Bauchhöhle appliziert. Ziel in der Palliativversorgung sollte immer die Verbesserung oder der Erhalt der Lebensqualität des Betroffenen sein, nicht die Beseitigung des Aszites um jeden Preis.

Frage 906 Welches Koanalgetikum wird in der Palliativmedizin gerne Off-Label zur Therapie bei Leberkapselspannungsschmerzen eingesetzt? Dexamethason (Dosierungsbreite: 2–24 mg). Dexamethason ist ein künstliches Glukokortikoid mit antiödematöser Wirkung. Es gehört zu den langwirkenden Glukokortikoiden, besitzt dabei keine relevante mineralokortikoide Wirkung. In der Palliativmedizin wird Dexamethason häufig Off-Label bei obstruktiven Syndromen, zur Appetitsteigerung, zur Stimmungsaufhellung, bei erhöhtem Hirndruck oder bei Rückenmarkskompression eingesetzt.

262

Leber Frage 907



Mit welchen Symptomen können Sie bei einem progredienten Leberversagen rechnen? ●

● ● ● ● ● ● ● ●

Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma (hepatische Enzephalopathie) Unruhe, Verwirrtheit Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen zunehmender Ikterus und/oder Aszites sog. Flapping Tremor, Myoklonien hämorrhagische Diathese Foetor hepaticus Hyperventilation arterielle Hypotonie

Stadien der hepatischen Enzephalopathie (WestHaven-Klassifikation): ● Stadium I: Schläfrigkeit, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsschwäche, Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit, Verlangsamung ● Stadium II: Somnolenz, Apathie, deutliche Orientierungs- und Gedächtnisstörungen, Flapping Tremor, Enthemmung ● Stadium III: Sopor, beginnender Foetor hepaticus, Verwirrtheit, mögliche Aggression und Wahnvorstellungen ● Stadium IV: Coma hepaticum, Foetor hepaticus, Korneal- und Muskeleigenreflexe erloschen, keine Reaktion auf Schmerzreize

Frage 908 Welche Medikamente können Sie zur Symptomkontrolle von psychomotorischen Erregungszuständen bei einem Palliativpatienten mit terminaler Lebererkrankung einsetzen? ● ● ● ● ● ● ● ●

Haloperidol Melperon Levomepromazin Pipamperon Risperidon Lorazepam Diazepam Midazolam



Neuroleptika: ○ Haloperidol (hochpotentes Neuroleptikum) aus der Gruppe der Butyrophenone wird u. a. zur Behandlung akuter Erregungszustände eingesetzt. Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen liegen in der Beeinflussung der extrapyramidalen Motorik, während die vegetativen Nebenwirkungen eher in den Hintergrund treten. Haloperidol ist für die intravenöse Gabe nicht zugelassen (Off-Label-Use). Cave: QT-ZeitVerlängerungen. ○ Melperon (mittelpotentes Neuroleptikum) stammt aus der Gruppe der Butyrophenone. Die antipsychotische Potenz ist der sedativen Komponente unterlegen. Die Substanz hat eine sehr geringe Inzidenz, extrapyramidale Störungen auszulösen, und nur einen geringen Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System. Deshalb kommt das Präparat häufig bei geriatrischen Patienten zum Einsatz. ○ Levomepromazin (niederpotentes Neuroleptikum) gehört zur Gruppe der Phenothiazine. Die sedierende Komponente steht im Vordergrund des Wirkspektrums, die antipsychotischen Eigenschaften sind eher gering. ○ Pipamperon (niederpotentes Neuroleptikum) gehört zur Gruppe der Butyrophenone. Pipamperon ist wirkt deutlich sedierend, nur schwach antipsychotisch und hat keine anticholinergen Nebenwirkungen. ○ Risperidon (hochpotentes Neuroleptikum) ist ein Benzisoxazolderivat. Das Präparat wirkt kaum sedierend und führt seltener als die „klassischen“ Substanzen (Butyrophenone oder Phenothiazine) zu Parkinson-Symptomen. Benzodiazepine: ○ Lorazepam besitzt wie alle Benzodiazepine eine anxiolytische, antikonvulsive, sedierende und muskelrelaxierende Wirkung. Der Wirkstoff wird vom Körper nach jeglicher Art der Applikation (oral, sublingual, intravenös, intramuskulär) schnell und fast vollständig aufgenommen. Die sublinguale Darreichungsform wird überwiegend nicht über die Mundschleimhaut resorbiert, sondern mit dem Speichel gastrointestinal. Ein möglicher schnellerer Wirkungseintritt ist umstritten und nicht eindeutig belegt. ○ Diazepam ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Benzodiazepine mit relativ langer Halbwertszeit (24–48 Stunden).

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Innere Medizin ○

Midazolam ist ein Hypnotikum bzw. Sedativum aus der Gruppe der kurzwirksamen Benzodiazepine (Einsatz auch im Rettungsdienst und/oder als Bestandteil einer Narkose). Bei geplanten Operationen verwendet man es wegen seiner Wirkung der anterograden Amnesie und der Anxiolyse zur Prämedikation.

Frage 909 Was ist bei der Gabe von Opioiden bei Patienten mit einer schweren Leberinsuffizienz zu beachten? Für die meisten Opioide stellt die Oxidation einen Hauptabbauweg dar. Die Oxidationsleistung ist bei Patienten mit einer schweren Leberinsuffizienz verringert. Daher sollte immer eine Dosisreduktion wie auch die Verlängerung des Dosisintervalls erwogen werden. Einige Opioide sind Prodrugs, die durch den Lebermetabolismus erst aktiviert werden. Diese sollten bei schwerer Leberinsuffizienz besser vermieden werden. Bei eingeschränkter Organfunktion sollte die Dosierung der Opioide vor allem an der klinischen Wirkung ausgerichtet sein.

8

8.4 Erkrankungen der Nieren Linda Fendel

Frage 910 Bei einer 63-jährigen Patientin mit metastasiertem Ovarialkarzinom sehen Sie sonografisch einen durch den Tumorprogress bedingten einseitigen Harnaufstau II.–III. Grades; die Kreatininkonzentration im Blut beträgt 1,8 mg/dl. Die Patientin fragt, ob sie nun wieder operiert werden müsse. Wie lautet Ihre Antwort? Eine Operation oder invasive äußere Harnableitung ist aktuell nicht zwingend indiziert. Durch die therapeutische Maßnahme würde sich keine Verbesserung der Lebensqualität ergeben und auch eine Verlängerung der Lebenszeit wäre hierdurch nicht zu erwarten.

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Mögliche Techniken der palliativen Harnableitung: ● Perkutane Nephrostomie: In Lokalanästhesie wird ein Nierenkelch unter Ultraschall- oder Röntgenkontrolle punktiert und ein Katheter wird in das Nierenbecken eingelegt. Der Katheter wird an der Haut angenäht und mit einem Urinauffangbeutel verbunden. ● Innere Harnleiterschiene: Dabei wird ein Katheter unter Narkose in den Harnleiter gelegt. Der Katheter wird am oberen Ende im Nierenbecken, am unteren Ende in der Harnblase für wenige Zentimeter aufgerollt. Der so gebildete doppelte „Ringelschwanz“ (Pigtail oder Doppel-J-Schiene) fixiert den Katheter im Harnleiter.

Frage 911 Wie gehen Sie mit dem Patientenwunsch nach Abbruch einer langjährig bestehenden Dialyse um? ●





● ●

patientennahe (und für Laien verständliche) Aufklärung über die Folgen des Therapieabbruchs bzw. des Therapieverzichts gemeinsame Reflexion der Gründe für den Therapieverzicht wiederholte multidisziplinäre Reflexionsgespräche zu unterschiedlichen Zeitpunkten Einräumen von genügend Bedenkzeit Einbeziehung der engsten An- und Zugehörigen in die Entscheidungsfindung

In einigen Fällen sind die Gründe für den Wunsch nach Therapieverzicht kausal gut lösbar: Ursachen wie Schmerzen, Unruhe und Belastung durch organisatorische Hürden in der Versorgungsplanung sind mittels entsprechender Medikation bzw. unterstützender Angebote oftmals nachhaltig beeinflussbar.

Nieren Frage 912 Auf welchen weiteren Verlauf und welche Symptome bereiten Sie einen Patienten bzw. seine Anund Zugehörigen bei der Beendigung einer chronischen Dialysebehandlung vor? ●







Prognose von wenigen Tagen bis wenigen Wochen zunehmende Müdigkeit, nachlassende Kommunikationsfähigkeit mögliche Vigilanzminderung (Somnolenz, Sopor, Koma) meist geringe Symptomlast (beispielsweise Übelkeit, Juckreiz)

Die auftretenden Symptome sind in der Regel selten und werden symptomatisch behandelt. Persönlich wichtige Dinge des Betroffenen sollten in noch kommunikationsfähigem Bewusstseinszustand geklärt werden (z. B. Testament, Vorkehrungen für die Zeit nach dem Tod).

Frage 913 Ein 67-jähriger Patient mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom klagt über progrediente Müdigkeit und Schwäche. Er fühle sich zunehmend interessenlos und schlapp. Die Angehörigen berichten, er sei in letzter Zeit auch immer mal wieder verwirrt. Die Serum-Natriumkonzentration liegt bei 121 mmol/l. An welche Diagnose denken Sie?

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Antikonvulsiva, Neuroleptika, Dopaminantagonisten) sein.

Frage 914 Wie können Sie einem Patienten mit symptomatischem SIADH therapeutisch helfen? Flüssigkeits- bzw. Trinkmengenrestriktion Substitution von Natrium ● Gabe von Schleifendiuretika ● orale Gabe von Tolvaptan Insgesamt sollte die Schwere der Symptomatik die Richtschnur für das therapeutische Vorgehen sein, nicht die Ausprägung der Laborbefunde. ● ●

Die Serum-Natriumkonzentration darf nur langsam steigen (maximal 8 mmol/l innerhalb von 24 Stunden). Ein rascheres Anheben der Natriumkonzentration birgt die Gefahr der zentralen pontinen Myelinolyse. Tolvaptan ist ein selektiver Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonist, der die Rückresorption von freiem Wasser aus der Niere hemmt und somit zu einem Anstieg der Natriumkonzentration führt. Die Therapie sollte unter stationären Bedingungen eingeleitet und überwacht werden.

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Frage 915 Was ist beim Einsatz von Opioiden bei Patienten mit einer terminalen Nierenerkrankung besonders zu beachten?

An ein Schwartz-Bartter-Syndrom, kurz SIADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion).

Es besteht die Gefahr der Kumulation des Opioids oder seiner aktiven Metaboliten.

Das Schwartz-Bartter-Syndrom ist eine Störung der Osmoregulation. Durch eine pathologisch erhöhte Sekretion von ADH (antidiuretisches Hormon) kommt es zu einer euvolämen Hyponatriämie. Wichtige Diagnosekriterien sind die Hyponatriämie, eine verminderte Plasma-Hypoosmolalität, eine inadäquat erhöhte Urin-Osmolalität bei klinischer Euvolämie. Das Schwarz-Bartter-Syndrom tritt häufig als paraneoplastisches Syndrom bei einem kleinzelligen Bronchialkarzinom auf. Andere Ursachen können z. B. ein apoplektischer Insult (entkoppelte hypophysäre ADH-Sekretion) oder die Einnahme bestimmter Medikamente (trizyklische Antidepressiva, selektive

Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollte die Opioiddosierung vor allem an der klinischen Wirkung und nicht nach den Laborwerten ausgerichtet werden. Falls ein Opioid notwendig ist, sollte die Dosierung eher niedrig angesetzt und das Dosisintervall ggf. verlängert werden.

Frage 916 Einige Palliativpatienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz leiden unter quälendem Juckreiz. Kennen Sie allgemeine oder topische Maßnahmen, die Linderung verschaffen könnten?

265

Innere Medizin ●



● ● ●



● ●

leichte, luftige, weiche Kleidung, z. B. aus Baumwolle feuchte, kühlende Umschläge oder Waschungen, Anfeuchten der Kleidung psychosoziale Unterstützung und Begleitung Entspannungsübungen Cremes, Lotionen oder Salben mit hohem Feuchtigkeitsgehalt und ggf. antipuritischen Substanzen (Harnstoff 2–10 %, Kampfer, Menthol, Gerbstoffe) Kompressen bzw. Auflagen mit schwarzem Tee oder Gurkenwasser UV-Fototherapie Zubereitungen mit Lokalanästhetika oder Capsaicin

Juckreiz gehört mit zu den am schwierigsten zu behandelnden Symptomen bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz. Die Stärke eines Juckreizes kann in Analogie zum Schmerz mit numerischen Rating-Skalen erhoben werden (0 = kein Juckreiz bis 10 = stärkster vorstellbarer Juckreiz). Bei einigen Palliativpatienten ist die Ursache des belastenden Juckreizes eine Nebenwirkung der Schmerztherapie mit Opioiden. Daher ist es manchmal sinnvoll, versuchsweise den Wirkstoff zu wechseln und zu beobachten, ob der Juckreiz dadurch nachlässt.

8

Frage 917 Für die systemische Therapie des Juckreizes infolge einer terminalen Niereninsuffizienz stehen verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung. Nennen Sie einige Wirkstoffgruppen. ● ● ● ●

Antihistaminika bzw. Mastzellenstabilisatoren Antidepressiva (SSRI) systemische Glukokortikosteroide Opioidrezeptor-Antagonisten (Naloxon, Naltrexon)

Manchmal ist die Ursache des Juckreizes eine Nebenwirkung der Therapie mit Opioiden. Es kann daher sinnvoll sein, den Wirkstoff zu wechseln (Opiatrotation) und zu beobachten, ob der Juckreiz dadurch nachlässt.

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Frage 918 Harnabflussstörungen sind eine häufige Komplikation bei Tumorwachstum im kleinen Becken. Wie könnte sich die klinische Symptomatik präsentieren? ●

● ● ●

imperativer Harndrang und Unvermögen, die Blase zu entleeren Inkontinenz (bei einer Überlaufblase) krampfartige Schmerzen im Unterbauch motorische Unruhe

Trotz liegenden transurethralen Dauerkatheters kann es zu einem Harnverhalt kommen, wenn der Katheter verstopft oder komprimiert wird.

Frage 919 Ein 67-jähriger Patient mit einem metastasierten Harnblasenkarzinom berichtet Ihnen mit großer Sorge, er habe seit mehreren Tagen Blut im Urin. Wie gehen Sie vor? Den Patienten beruhigen (bereits wenige Tropfen Blut färben den Urin rot) und ggf. andere Ursachen für eine Urinverfärbung ausschließen (Medikamente, Nahrungsmittel). Diagnostische Maßnahmen: ● Anamnese und körperliche Untersuchung ● Urininspektion, Urinstatus ● Labor (kleines Blutbild, Gerinnung) ● Unterbauchsonografie ● ggf. Zystoskopie Weitere Maßnahmen: ● ausreichende Flüssigkeitszufuhr ● Überprüfen der Medikation auf gerinnungshemmende Präparate und Abwägen der Indikation Die Therapie der Hämaturie orientiert sich am Ausmaß der Beschwerden und an der individuellen Gesamtsituation. Nur in seltenen Fällen tritt ein relevanter Blutverlust auf. Gespräche über die Vorgehensweise bei Transfusionsbedürftigkeit sollten trotzdem frühzeitig geführt werden. Bei Gefahr einer Blasentamponade kann eine kontinuierliche Blasenspülung sinnvoll sein.

Geriatrie

9 Palliativmedizin in der Geriatrie Katrin Singler, Mathias Pfisterer

Frage 920 Auch in Zukunft wird mit einer steigenden Lebenserwartung gerechnet. Dabei werden zukünftig verstärkt die verbesserten Überlebenschancen im höheren Alter die Zunahme der Lebenserwartung beeinflussen. Wie hoch ist in Deutschland aktuell die durchschnittliche weitere Lebenserwartung einer 80jährigen Frau bzw. eines 80-jährigen Mannes? Die Lebenserwartung einer 80-jährigen Frau beträgt weitere 10,25 Jahre, die eines 80-jährigen Mannes weitere 8,66 Jahre. In den 2020 veröffentlichten Kohortensterbetafeln des Statistischen Bundesamtes wird für den Geburtsjahrgang 1942 die durchschnittliche Lebenserwartung einer 80-jährigen Frau mit weiteren 10,25 Jahren, die eines 80-jährigen Mannes mit weiteren 8,66 Jahren angegeben.

Frage 921 Welche grundlegenden Gemeinsamkeiten bestehen zwischen einem palliativen und einem geriatrischen Behandlungsansatz? ●







patientenzentrierter Behandlungsansatz als zentrales Element hohe Priorität der Stärkung/des Erhalts der funktionellen Unabhängigkeit und der damit verbundenen Lebensqualität regelmäßige und standardisierte Befunderhebung (Assessment) zur Ermöglichung einer individualisierten Therapie multidisziplinärer Teamansatz

Geriatrische Patienten sind definiert durch ein höheres Lebensalter in Kombination mit einer geriatrietypischen Multimorbidität. Neben dem Vorhandensein mehrerer chronischer Erkrankungen sind es vor allem kognitive und/oder funktionelle Syndrome sowie das Vorhandensein von Frailty, welche geriatrische Patienten charakterisieren. Geriatrische Patienten haben verminderte Funktionsreserven. Dies führt zu einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber akuten Einflüssen (z. B. akuten Er-

krankungen, Stürzen, Veränderungen im sozialen Umfeld etc.). Hierdurch besteht ein erhöhtes Risiko für Komplikationen, für eine Chronifizierung von Beschwerden und für einen Autonomieverlust bzw. eine Verschlechterung des Selbsthilfestatus. Damit erklärt sich auch der geriatrische Behandlungsansatz, der wie in der Palliativmedizin unter Einbeziehung des biopsychosozialen Modells den Patienten in den Mittelpunkt stellt, holistisch ist und dabei die reine Behandlung medizinischer Diagnosen weit überschreitet. Zur Diagnostik und Therapieplanung dient das geriatrische Assessment. Der therapeutische Ansatz ist wie in der Palliativmedizin von einem multidisziplinären geriatrischen Team gekennzeichnet. Eine scharfe chronologische Altersgrenze gibt es hierbei nicht. Die offizielle Definition der geriatrischen Fachgesellschaften bezieht sich auf ältere Personen ab 70 Jahren, allerdings liegt im akutstationären Bereich das Durchschnittsalter bei > 80 Jahren.

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Frage 922 Welche Herausforderungen ergeben sich in der palliativmedizinischen Behandlung geriatrischer Patienten? ●







Schwierigkeit der prognostischen Einschätzung Erkennen von Symptomen, insbesondere Schmerzen, von kommunikativ eingeschränkten Patienten Umgang mit verwirrten und unruhigen Patienten Klärung ethischer Fragestellungen bei kommunikativ eingeschränkten Patienten

Eine angemessene Einschätzung der Prognose hat eine zentrale Bedeutung in der Entscheidungsfindung bezüglich Nutzen und Risiken einzelner Behandlungsschritte und der übergeordneten Zielsetzung der weiteren Behandlung (kurativ/palliativ). Alter allein ist kein valider prognostischer Parameter, allerdings ist die Zuverlässigkeit prognostischer Einschätzungen bei geriatrischen Patienten oft ebenfalls problematisch. Speziell für geriatrische Patienten entwickelte Indizes wie z. B. die geriatrische

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Geriatrie Cumulative Illness Rating Scale (CIRS-G) oder der Geriatric Index of Comorbidity (GIC) haben eine gute Vorhersagekraft, sind allerdings in der klinischen Anwendung eher ungeeignet. Aber auch klassische Parameter des geriatrischen Assessments wie Fähigkeiten in den Aktivitäten des täglichen Lebens, z. B. erhoben mit dem Barthel-Index, der kognitive Status oder die klinische Einschätzung des Frailty Status mittels Klinischer Frailty Skala (CFS) haben im Alter eine hohe Aussagekraft.

Die mit Abstand häufigsten Schmerzen im Alter sind durch degenerative Erkrankungen am Bewegungsapparat verursacht. Es folgen Schmerzen infolge von Stürzen, Tumorschmerzen und neuropathische Schmerzen, wie sie bei Diabetes mellitus, Post-Zoster-Neuralgie, nach einem Schlaganfall (z. B. Thalamusinfarkt), Amputationen und anderen Nervenschädigungen auftreten. Auch Schmerzen aufgrund von Durchblutungsstörungen, z. B. im Rahmen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), treten im Alter häufig auf.

Frage 923 Frage 925 Welche Erkrankungen erfordern bei alten Menschen häufig einen palliativmedizinischen Behandlungsansatz? ●

● ●

9







terminale Herz-, Lungen- und Nierenerkrankung (z. B. chronische Herzinsuffizienz, COPD, terminale Niereninsuffizienz) terminale Frailty fortgeschrittene oder schwere neurologische Krankheitsbilder (z. B. fortgeschrittener Morbus Parkinson, schwerer Schlaganfall) weit fortgeschrittene Demenzerkrankung, meist einhergehend mit Dysphagie und Kachexie Zustand nach schweren Operationen mit irreversiblen Komplikationen weit fortgeschrittene Krebserkrankungen

Ältere Menschen, welche einen palliativmedizinischen Ansatz erfordern, unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht von jüngeren Patienten. Beispielsweise sind sie wesentlich häufiger von kognitiven Einschränkungen (z. B. einer Demenz) betroffen, bei der der palliativen Situation zugrunde liegenden Erkrankung handelt es sich deutlich seltener um eine Krebserkrankung.

Frage 924 Nennen Sie häufige Ursachen von Schmerzen bei geriatrischen Palliativpatienten. ● ● ● ●



268

degenerative Gelenkerkrankungen Schmerzen im Rahmen von Frakturen Schmerzen als Folge von Stürzen Tumorschmerzen bzw. metastasenbedingte Schmerzen (z. B. Knochenmetastasen) Polyneuropathie und Neuralgien

Wie schnell schreitet eine demenzielle Erkrankung voran, wie hoch ist die mittlere Lebenserwartung bei Menschen mit Demenz? Bevor eine demenzielle Entwicklung symptomatisch wird, gehen aktuelle Forschungen von einem bis zu 30 Jahre andauerndem asymptomatischen Verlauf aus. Im Durchschnitt ist bei Diagnosestellung mit einer Lebenserwartung von etwa 2–10 Jahren zu rechnen. Allerdings gibt es große interindividuelle und von der Demenzart abhängige Unterschiede. 2021 lebten in Deutschland fast 1,8 Mio. Menschen mit Demenz. Ca. 440 000 der Menschen > 65 Jahre waren neu an einer Demenz erkrankt. Aktuellen Schätzungen zufolge werden bis zum Jahr 2050 bis zu 2,8 Mio. Menschen in Deutschland betroffen sein [22]. Häufigste Demenzursache mit bis 65 % ist die Alzheimererkrankung. Weitere häufige Demenzformen sind die vaskuläre Demenz, Mischformen (vaskulär und Demenz vom Alzheimertyp), die frontotemporale Demenz, die Lewy-Körperchen-Demenz und die Parkinson-Demenz. Die Erkrankung schreitet individuell unterschiedlich schnell mit voran. Man unterscheidet zwischen einer leichtgradigen, mittelschweren und schweren Demenzerkrankung. Die Übergänge sind fließend. Im Rahmen einer schweren Demenz ist die Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten weit fortgeschritten, Sprache und Orientierung sind stark beeinträchtigt. Essen, Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme sind nicht mehr selbstständig möglich. Häufig sind die betroffenen Personen nicht mehr fähig, sich selbstständig fortzubewegen, manche sind bettlägerig. Inkontinenz und Schluckstörungen sind zudem häufig.

Geriatrie Frage 926

Frage 927

Wie kann bei einem älteren verwirrten Patienten zwischen einem Delir und einer Demenz unterschieden werden?

Delir

Demenz

Beginn

akut, wenn auch oft subtil

chronisch, fortschreitend

Dauer

Stunden bis Tage

Monate bis Jahre

Aufmerksamkeit

verminderte/fehlende Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu fokussieren

nur bei schwerer Demenz gestört

Bewusstsein

fluktuierend, teilweise. reduziert

teilweise intakt

Häufig ist für die Unterscheidung zwischen Demenz und Delir eine Fremdanamnese (Familie, vertraute Pflegeperson, Hausarzt etc.) sehr hilfreich. Bei einem Delir handelt es sich um einen akut aufgetretenen, häufig fluktuierend verlaufenden Verwirrtheitszustand, welcher eine Störung der Aufmerksamkeit, des Bewusstseins und der Kognition beinhaltet. Hinzu kommt eine quantitative Bewusstseinsveränderung (hyperaktiv mit Agitiertheit etc. bzw. hypoaktiv mit Benommenheit bis hin zur Somnolenz). Im Gegensatz dazu handelt es sich bei einer Demenz um ein chronisch fortschreitendes Syndrom mit kognitiven Funktionseinschränkungen, das nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt werden kann und zu Beeinträchtigungen im täglichen Alltag führt. Das Bewusstsein ist bis auf Spätstadien der schweren Demenz nicht beeinträchtigt. Eine Demenz zählt zu den größten Risikofaktoren für die Delirentstehung. Bezüglich der Identifizierung bzw. der Verlaufsdokumentation sollte ein standardisiertes Screening mittels eines validierten Instrumentes erfolgen. Hierfür eignen sich z. B. der 4A-Test wie auch die Delirium Oberservation Screening Scale (DOSS).

An welche differentialdiagnostischen Ursachen muss man bei einem älteren deliranten Patienten denken? Beispiele für Ursachen eines Delirs sind: ● Infektionen ● Schmerzen ● medikamentöse Nebenwirkung, Interaktion ● Elektrolytverschiebung (insb. Natrium, Calcium) ● Blutzuckerentgleisung ● Hypoxie ● Dehydratation ● Substanzentzug (Benzodiazepine, Opiate, Alkohol etc.) ● Harnverhalt ● schwere Obstipation ● psychische Belastungen (z. B. Umgebungswechsel) Oft sind es mehrere Ursachen, die zu einem Delir führen.

9

Die Ursachen für ein Delir bei älteren Menschen sind mannigfaltig. Je nach vorhandener Prädisposition („fitte ältere Person ohne Vorerkrankungen“ – „frail alte Person mit Demenz“) bedarf es einer schwachen bzw. starken Noxe, um ein Delir auszulösen. Die Entstehung eines Delirs kann durch eine direkte Schädigung des Gehirns oder indirekt durch die Auslösung einer Interleukin-Kaskade im Rahmen einer Hypoxie, einer Infektion etc. entstehen (siehe oben).

Frage 928 Was sind häufige Symptome bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz? ● ● ●

Schmerzen Luftnot Unruhezustände

Schmerzen spielen auch bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz am Lebensende eine bedeutsame Rolle. So werden bei 21–83 % der Patienten Schmerzen, bei etwa 50–75 % Luftnot beschrieben, und etwa ein Drittel der Menschen mit Demenz leidet unter Unruhezuständen. Diese sind auch für die betreuenden Personen oftmals sehr belastend.

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Geriatrie Frage 929 Was gilt es in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz zu beachten? ●



● ●



zentrale Bedeutung der kommunikativen Kompetenz der Begleitenden Vermeiden von Konfrontationen und Diskussionen Vermeiden von Störfaktoren bei fehlender verbaler Kommunikation Einsatz der basalen Stimulation Nutzen der Angehörigen als wichtigste Informationsquelle

nicht mehr möglich, kann auf eine standardisierte Fremdbeurteilungsskala wie z. B. die BESD-Skala (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) zurückgegriffen werden. Hierbei werden Atmung, negative Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Körpersprache und die Reaktion auf Trost beurteilt.

Frage 931 Welche Probleme treten typischerweise bei der Ernährung von Menschen mit fortgeschrittener Demenz auf? ● ●

In der Begleitung verwirrter Menschen spielt die kommunikative Kompetenz der Begleitenden eine zentrale Rolle. Neben der inneren Haltung, dem Wissen darum, dass grundsätzlich jede Konfrontation und Diskussion vermieden werden sollte, sind Kommunikationstechniken wie die Validation von herausragender Bedeutung. Wenn eine verbale Kommunikation nicht mehr möglich ist, kann die basale Stimulation zum körpernahen Dialogaufbau eingesetzt werden. Bei fortgeschrittener Demenz bekommt die Kommunikation mit den Angehörigen ein besonderes Gewicht.

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Frage 930 Welche Besonderheiten gibt es in der Schmerzerkennung älterer Menschen mit fortgeschrittener Demenz? Die erschwerte Kommunikation und veränderte Schmerzexpression bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz führt häufig zu einer Unterund Fehlversorgung. Da eine ausführliche Anamnese hinsichtlich Häufigkeit, Intensität, Lokalisation und Charakter von Schmerzen nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, empfiehlt sich das Hinzuziehen von Angehörigen oder Bezugspersonen. Bei der Anamnese sollte auch das Vorhandensein eines zusätzlichen akuten Verwirrtheitszustands (mögliches Delir bei Demenz) bzw. neu aufgetretener Funktionalitätseinschränkungen erfragt werden. Bei der Anwendung von Schmerzintensitätsskalen sollten einfach verständliche Skalen (z. B. 4-stufige verbale Rating-Skala) verwendet werden. Ist dies

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erschwerte selbstständige Nahrungsaufnahme Schluckstörungen mit Aspirationen Fieber und rezidivierende pulmonale Infektionen

Bei fortgeschrittener demenzieller Entwicklung erschweren oft eine Apraxie und Aufmerksamkeitsstörungen sowie im Vorfeld aufgetretene Geruchsund Geschmacksveränderungen die selbstständige Nahrungsaufnahme. Im weiteren Verlauf führen Schluckstörungen zu Aspirationen und einer Ablehnung der Nahrungsaufnahme und gehen mit Fieber, Infektionen und einer hohen Mortalität einher. Infolge von Aspiration von Speichel oder Nahrung kommt es zu rezidivierenden pulmonalen Infektionen.

Frage 932 Wie sollte bei der Frage nach einer Therapiezieländerung bei deutlich kognitiv eingeschränkten geriatrischen Patienten vorgegangen werden? Es sollte eine ethische Fallbesprechung unter Beteiligung der relevanten Personen einberufen werden. Infolge von Bewusstseinsstörungen oder einer demenziellen Entwicklung kommt es bei geriatrischen Palliativpatienten häufig zu Situationen, in denen Patienten nicht mehr in Behandlungsinhalte einwilligen oder die Behandlung steuern können. In solchen Situationen stellt sich bei Zustandsverschlechterungen die Frage der Therapiezieländerung oder der Begrenzung lebensverlängernder Maßnahmen. In dieser Situation sollte entsprechend den gesetzlichen Regelungen der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden. Die Ergründung des mutmaß-

Geriatrie lichen Willens des Patienten und die Abwägung des weiteren Vorgehens können im Rahmen von ethischen Fallbesprechungen ggf. unter Beteiligung des Bevollmächtigten bzw. rechtlichen Betreuers, der Angehörigen des Patienten und Vertretern des Behandlungsteams, insbesondere des behandelnden Arztes, gelingen. Schriftlich verfasste Willensäußerungen im Sinne einer Patientenverfügung sind zu beachten.

Frage 933 Was sind häufige Besonderheiten des sozialen Umfelds von geriatrischen Palliativpatienten? ● ●



erhöhte psychosoziale Vulnerabilität seit Jahren aufgrund der Pflege belastetes Umfeld, das oft durch die anstehenden Behandlungsentscheidungen überfordert ist häufiger Wechsel zwischen Versorgungssituationen

Die große Herausforderung besteht darin, Angehörige von Menschen mit Demenz adäquat in die Versorgung einzubinden, um ihre Ressourcen effektiv zu nutzen, ohne sie zu überfordern. Die Angehörigen geriatrischer Palliativpatienten sind meist erwachsene Kinder mit eigener Familie, gesundheitlichen Belastungen und beruflichen Verpflichtungen. Eventuell vorhandene Lebenspartner sind häufig selbst frail (gebrechlich) oder zeigen ggf. Anzeichen einer beginnenden Demenzerkrankung. Sie können sich daher oftmals nur bedingt an der Pflege beteiligen oder in Entscheidungsprozesse einbringen. Zudem ist der letzte Lebensmonat geriatrischer Palliativpatienten oftmals durch einen häufigen Wechsel zwischen verschiedenen Versorgungsformen (häusliches Umfeld, Krankenhaus, Rehabilitationseinrichtungen, Kurzzeitpflege, Langzeitpflegeheim) gekennzeichnet.

● ●

● ●



Die Zustimmung für eine PEG-Anlage wird meist von Angehörigen gegeben. Dabei ist die Erwartungshaltung nicht selten überhöht. Mitverantwortlich dafür sind Defizite bei der ärztlichen Aufklärung, die sich meist mehr auf die Risiken der Prozedur bezieht und weniger auf mittel- und längerfristige Konsequenzen oder Alternativen eingeht. Es gibt allerdings bisher keine sicheren Beweise, dass die Ernährung über PEG-Sonde die Lebenserwartung bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz verlängert oder positive Auswirkungen auf den Ernährungsstatus, den körperlichen Funktionsstatus oder die Entwicklung von Dekubitalgeschwüren hat. Effekte auf die Lebensqualität oder Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz wurden nicht untersucht. Somit ist die Entscheidung, über eine PEG-Sonde Nährstoffe, Flüssigkeit und/oder Medikamente zuzuführen, in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen.

Welche Aspekte gilt es bei der Entscheidung für oder gegen eine Sondenernährung mittels PEGSonde bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz zu beachten?

9

Frage 935 Was braucht es für die palliativmedizinische Betreuung von Demenzpatienten? Geben sie Beispiele. ● ●





Frage 934

in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen keine Beweise für eine Verbesserung der Lebenserwartung, des Ernährungs- oder Funktionsstatus durch Sondenernährung Effekt auf die Lebensqualität nicht bekannt oft überhöhte Erwartungshaltung vonseiten der Angehörigen häufig Defizite in der ärztlichen Aufklärung





● ●



Anwendbarkeit der Palliativversorgung personenzentrierte Versorgung, Kommunikation und partizipative Entscheidungsfindung Bestimmung der Versorgungsziele, Vorausplanung Kontinuität der Versorgung Prognosestellung und Anpassung der Behandlung an den jeweilig aktuellen Zustand unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung optimale Symptombehandlung, Schaffen von Wohlbefinden psychosoziale und spirituelle Unterstützung Einbindung der bestehenden sozialen Strukturen (Familie, Pflegende etc.) Schulung des Versorgungsteams

271

Kindesalter

10 Palliativmedizin im Kindesalter 10.1 Tumorerkrankungen im Kindesalter

Tab. 10.0 Fortsetzung Gruppe

Beschreibung

4

Diese Gruppe umfasst irreversible, aber nicht fortschreitende Zustände mit komplexem medizinischem Bedarf, die zu Komplikationen und wahrscheinlich vorzeitigem Tod führen (z. B. schwere Zerebralparese und Behinderungen nach Hirn- oder Rückenmarksverletzung). Palliativpflege kann in jedem Stadium erforderlich sein und es kann zu unvorhersehbaren und periodischen Episoden der Pflege kommen.

5

In diese Gruppe fallen ungeborene Kinder mit schwerwiegenden Gesundheitsproblemen, die die Geburt möglicherweise nicht überleben, Säuglinge, die möglicherweise nur wenige Stunden/Tage überleben, Säuglinge mit Geburtsanomalien, die lebenswichtige Funktionen bedrohen können, und Säuglinge, bei denen die Intensivpflege angemessen durchgeführt wurde, die jedoch eine unheilbare Krankheit entwickelt haben.

Silke Nolte-Buchholtz

Frage 936 In welche der 5 Diagnosegruppen der lebenslimitierenden Erkrankungen, definiert nach der ACT (Association for Children‘s Palliative Care), gehören onkologische Erkrankungen mehrheitlich? Sie gehören mehrheitlich in die Gruppe 1, können aber je nach Diagnose auch anderen Gruppen zugeordnet werden, wie z. B. das diffuse Ponsgliom der Gruppe 3. 5 Diagnosegruppen der lebenslimitierenden und lebensbedrohlichen Diagnosen (Together for Short Lives 2018 [10]) Gruppe

Beschreibung

1

Dazu zählen lebensbedrohliche Erkrankungen, für die kurative Therapien existieren, aber für die ein Therapieversagen wahrscheinlich ist. Eine palliative Versorgung kann während der Phase eines unklaren Therapieerfolgs oder bei Therapieversagen notwendig sein. Kinder bzw. Jugendliche in Langzeitremission oder nach erfolgreicher kurativer Therapie gehören nicht in diese Gruppe.

10

272

2

Das sind Erkrankungen, bei denen ein vorzeitiger Tod unvermeidlich ist, jedoch lange Phasen intensiver Behandlung das Ziel haben, das Leben zu verlängern und eine gute Lebensqualität zu ermöglichen (z. B. zystische Fibrose)

3

Dabei handelt es sich um fortschreitende Erkrankungen ohne kurative Behandlungsoptionen, bei denen die Behandlung ausschließlich palliativ ist und die sich häufig über viele Jahre erstrecken kann (z. B. Muskeldystrophien, Mucopolysaccharidosen).

Frage 937 Nach welchem Prinzip werden Schmerzen bei Kindern mit onkologischen Erkrankungen in palliativer Situation medikamentös behandelt? Die Auswahl der Analgetika erfolgt nach dem WHO-Stufenschema und orientiert sich an der Pathophysiologie des Schmerzes. Der Applikationsweg richtet sich nach den Bedürfnissen des Kindes. Analgetika werden nicht intramuskulär appliziert. Die orale Gabe ist zu bevorzugen, da auch stärkste Schmerzen in der Regel suffizient oral behandelt werden können. Ausnahmen ergeben sich bei intravenös liegendem Zugang. Analgetika werden zur Gabe nach festen Uhrzeiten und zusätzlich gegen Schmerzspitzen nach Bedarf angeordnet. Der Tumorschmerzpatient/die Tumorschmerzpatientin muss aber nicht zwangsläufig alle 3 Ebenen durchschreiten. Je nach Bedarf kann die Behandlung auch auf Stufe 2 oder 3 einsetzen.

Tumorerkrankungen Frage 938 Ein Kind in palliativer Situation mit oraler Schmerzmedikation (30 mg/Tag Morphintabletten als Basismedikation + Morphintropfen bei Schmerzspitzen) kann Tabletten nicht mehr schlucken. Welche Alternativen der Schmerztherapie gibt es? Alternativ bietet sich Fentanyl transdermal als Basismedikation anstelle der Morphintabletten an. Ab einer Tagesdosis von 30 mg Morphin oral ist die Umstellung auf das kleinste transdermale therapeutische System mit Fentanyl (12,5 μg/Stunde) möglich. Die Äquivalenzdosis Morphin oral im Verhältnis zu Fentanyl transdermal beträgt 100:1. Als Bedarfsmedikation bieten sich weiterhin die Morphintropfen an. Dabei sollte die Einzeldosis der Morphintropfen 1/12–1/6 der Tagesdosis Fentanyl betragen. Bei einer transdermalen Basistherapie mit Fentanyl 12,5 μg/Stunde wäre die Gabe von 2,5–5 mg Morphin oral als Einzelgabe indiziert.

Frage 939 Was sind häufige Nebenwirkungen der Opioide der WHO-Stufe 3? Häufige Nebenwirkungen sind Obstipation, Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz und Müdigkeit. Die Obstipation ist die häufigste und klinisch bedeutsamste Nebenwirkung. Bei Beginn der Opioidtherapie und nicht bestehender Diarrhö sollten Laxanzien prophylaktisch eingesetzt werden. Übelkeit und Erbrechen sistieren typischerweise bei Kindern etwa 7 Tage nach Therapiebeginn. Ab einem Alter von 12 Jahren sollten Antiemetika bei Beginn der Opioidtherapie prophylaktisch gegeben oder zumindest als Bedarfsgaben verordnet werden. Der Juckreiz kann durch Antihistaminika, wenn möglich, durch Dosisreduktion oder durch Opioidrotation gemildert werden. Harnverhalt tritt selten auf. Beruhigung, ein warmer nasser Waschlappen, auf den Bauch aufgelegt, oder warme Sitzbäder ermöglichen in den meisten Fällen die Miktion. Atemdepression ist bei adäquater Dosis und oraler oder transdermaler Applikationsform nicht zu erwarten. Die parenterale Eintitrierung sollte nur unter Monitoring der Sauerstoffsättigung erfolgen. Naloxon als Antidot

antagonisiert die Wirkung von Opioiden. Halluzinationen erfordern eine Opioidrotation. Müdigkeit tritt vorrangig bei Therapiebeginn oder Dosiserhöhung auf und ist in den meisten Fällen temporär.

Frage 940 Ein pädiatrischer Patient mit großem Mediastinaltumor leidet unter Schmerzen und Dyspnoe und erhält regelmäßig ein Morphinretardpräparat sowie kurzwirksame Morphintropfen. Unter der Opioidtherapie leidet der Patient trotz Therapie mit Macrogol und anderen abführenden Maßnahmen zunehmend an Obstipation. Wie kann das Symptom „Obstipation“ medikamentös bei diesem Patienten behandelt werden?? Bei unzureichender Wirkung ein oder mehrerer herkömmlicher Laxanzien wie Macrogol, Lactulose, Natriumpicosulfat oder Bisacodyl kann eine opioidinduzierte Obstipation (OIC) mittels Naloxegol therapiert werden. Naloxegol ist ein PEGyliertes Derivat des μ-Opioidrezeptor-Antagonisten Naloxon und wirkt peripher an den μ-Opioidrezeptoren im Gastrointestinaltrakt. Es reduziert die obstipierenden Wirkungen der Opioide, ohne dabei die opioidvermittelten analgetischen Wirkungen auf das zentrale Nervensystem zu beeinträchtigen, da es die intakte Blut-Hirn-Schranke nicht überwindet. Bei Störung der Blut-HirnSchranke ist die Indikation eng zu stellen, da dann auch zentrale μ-Opioidrezeptoren durch das Naloxegol antagonisiert und die analgetische Wirkung von Opioiden aufgehoben werden kann. Naloxegol ist für Kinder und Jugendliche nicht zugelassen. Die Eltern und einwilligungsfähige Kinder/ Jugendliche müssen entsprechend aufgeklärt werden.

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Frage 941 Gibt es die Möglichkeit, dass Eltern und einwilligungsfähige Minderjährige im Voraus über medizinische Maßnahmen verfügen? Ja, die Möglichkeit gibt es, indem sie eine Vorausverfügung zum Vorgehen in Notfallsituationen (pedVVN) verfassen.

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Kindesalter In der Palliativmedizin muss die Gewichtung einzelner Therapieelemente sorgfältig abgewogen werden. So können bei weitfortgeschrittenen lebenslimitierenden Erkrankungen Maßnahmen wie eine kardiopulmonale Reanimation oder die stationäre Aufnahme einschließlich Intensivtherapie nicht mehr dem besten Interesse des Patienten entsprechen. In der pädiatrischen Palliativversorgung steht den Eltern von einwilligungsunfähigen Kindern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das natürliche Recht und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht zu, für ihr Kind Entscheidungen über die ärztliche Behandlung zu treffen. Bei einwilligungsfähigen Minderjährigen sind deren Entscheidungen mit zu berücksichtigen. Die drei Formblätter und der Begleittext der pedVVN bieten einen Leitfaden und Struktur für die Vorausverfügung von Therapiezielen und -maßnahmen für Notfallsituationen bei einwilligungsunfähigen oder einwilligungsfähigen Minderjährigen sowie bei einwilligungsunfähigen, betreuten Volljährigen. Die Formulare der pedVVN sind online abrufbar (zenodo).

Frage 942 Was sind die Voraussetzungen für eine palliative Sedierung bei pädiatrischen Patienten in der Terminalphase?

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Fentanyl als Nasenspray bringt keine Linderung. Welche differenzialdiagnostischen Überlegungen und therapeutischen Maßnahmen müssen ergriffen werden? Es handelt sich um neuropathische Schmerzen, die bei diesem Mädchen nicht ausreichend auf Opioide (Morphin und Fentanyl) ansprechen. Die medikamentöse Therapie mit Koanalgetika wie Antikonvulsiva, Glukokortikoiden oder Ketamin und/oder die Umstellung auf Levomethadon sind indiziert. Antikonvulsiva wie Gabapentin bzw. Pregabalin werden bei plötzlich einschießenden Schmerzen mit dysästhetischem Charakter (Neuralgie) eingesetzt. Levomethadon ist ein geeignetes Wechselopioid bei starken Schmerzen, die trotz adäquater Dosissteigerung eines anderen Opioids nicht ausreichend gelindert werden können. Die Umstellung auf Levomethadon sollte bei Kindern wegen großer interindividueller Schwankungen der Eliminationshalbwertszeit allerdings unter stationären Bedingungen erfolgen. Für Ketamin wird eine gute analgetische Wirkung bei neuropathischen Schmerzen beschrieben. Glukokortikoide sind besonders bei tumorbedingter Nervenkompression geeignet.

Frage 944 Patient und Eltern müssen ausreichend informiert sein. Das Einverständnis der Eltern und bei Einwilligungsfähigkeit das des Kindes müssen vorliegen (Informed Consent). Die Indikation ergibt sich aus therapierefraktären Symptomen, die unerträgliches Leid verursachen. Alle Angehörigen und Mitversorgenden sind gemäß EAPC aus dem Jahr 2010 einzubeziehen. Die geplante Sedierungstiefe und -dauer bestimmen der Patient bzw. die Eltern. Sie werden vor Beginn der palliativen Sedierung festgelegt [4].

Frage 943 Eine Jugendliche mit diffusem intrinsischem Ponsgliom und ausgedehnter spinaler Metastasierung klagt über plötzlich in das rechte Bein einschießende Schmerzen. Die Stärke der Schmerzen gibt sie mit Stufe 9 auf der numerischen Rating-Skala an. Das Mädchen ist bereits mit einer Morphindauertherapie in hoher Dosis versorgt. Kurzwirksames

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Ein 5-jähriger Junge mit Hirntumor und einer Lebenserwartung von mehreren Wochen verweigert nahezu jegliche Nahrungsaufnahme. Er hat weder Hunger noch Durst. Die Eltern und der Patient möchten keine zusätzliche Ernährung über eine Magensonde oder einen intravenösen Zugang. Wie kann auf die Entscheidung der Familie reagiert werden? Die Entscheidung der Eltern und des Jungen wird akzeptiert. Da der Junge kein Leid hat und die Prognose der Erkrankung infaust ist, kann auf Ernährung verzichtet werden. Die Fortführung der künstlichen Ernährung ist nicht mehr geboten, weil sie nicht mehr dem Wohl des Jungen dient. Der Umstand, dass dadurch keine ausreichende Kalorienzufuhr mehr erreicht werden könnte, wird im Sinne des Sterbeprozesses akzeptiert. Die Entscheidung kann natürlich im Verlauf seitens der Familie revidiert werden und die Ernährung dann über eine Magensonde oder einen intravenösen Zugang erfolgen.

Tumorerkrankungen Frage 945 Welche Symptome sind bei einem Kind mit diffusem Ponsgliom zu erwarten? In erster Linie sind neurologische Ausfälle wie Sprachstörung, Schluckstörung, Hirnnervenausfälle und Paresen zu erwarten. Des Weiteren können Kopfschmerzen, Krampfanfälle und Hirndruck mit entsprechender Bewusstseinseintrübung auftreten. Bei der palliativen Betreuung dieser Patientengruppe sollten antizipierend Anfalls- und Schmerzmedikamente angeordnet sein bzw. der Familie zu Hause zur Verfügung stehen. Ernährungsoptionen, die Umstellung oraler Medikamente und Möglichkeiten der Verständigung z. B. mittels eines Sprachcomputers sollten frühzeitig mit der Familie thematisiert werden.

Frage 946 Was sind bestimmende Symptome bei Kindern mit ALL in der palliativen Situation? Kinder mit ALL haben häufig eine Anämie und eine transfusionsbedürftige Thrombozytopenie, Fatigue und Schmerzen. Als Schmerzen dominieren nicht lokalisierbare Knochen- und Gelenkschmerzen aufgrund von Knochenund Periostinfiltraten. Bei meningealer Aussaat der Blasten treten starke Kopfschmerzen auf. Leber- und Milzbeteiligung können Bauchschmerzen verursachen.

Frage 947 Welche Maßnahmen sind bei Kindern mit exulzerierendem Tumor und akuter lebensbedrohlicher Blutung im terminalen Stadium zu ergreifen? Es gilt, Ruhe zu bewahren, Patient und Familie zu unterstützen und in dieser dramatischen Situation nicht allein zu lassen. Bei massiver, in kurzer Zeit zum Tode führender Blutung sollte der Patient zeitnah sediert werden, z. B. mittels Midazolam. Die Verwendung von dunklen Tüchern und dunkler Bettwäsche mildert den Eindruck des massiven Blutverlusts.

Bei drohender Blutung sollten mit Patient und Eltern im Vorfeld entsprechende Maßnahmen besprochen werden. Die Eltern sollten im häuslichen Umfeld in der Verabreichung von notwendigen Medikamenten (z. B. Midazolam nasal, rektal, subkutan oder bukkal) angeleitet sein.

Frage 948 Welche Therapieoptionen gibt es zu Hause bei Kindern mit Hirntumor und Krampfanfall, wenn kein venöser Zugang existiert? Die Verabreichung von Diazepam kann rektal erfolgen, Midazolam gibt es als Lösung zur Anwendung in der Mundhöhle. Lorazepam ist als Schmelztablette verfügbar, allerdings für die Anwendung bei Krampfanfällen nicht zugelassen.

Frage 949 Sollte eine tumorbedingte Anämie bei Kindern in palliativer Situation mittels Erythrozytenkonzentrat behandelt werden? Es ist individuell abzuwägen, inwieweit das Kind von einer Transfusion profitiert.

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Es sollten Begleitsymptome, das Stadium der Grunderkrankung und mögliche positive Folgen einer Transfusion wie die Besserung einer Fatigue und damit der Lebensqualität, aber auch die Risiken und der Aufwand für den Patienten und die Familie wie z. B. Wege in die Klinik berücksichtigt werden.

Frage 950 Ein 6-jähriger palliativ erkrankter Junge mit Tumor im Beckenbereich leidet seit Beginn der Morphintherapie unter erschwerter Miktion bei voller Blase. Welche Maßnahmen sind empfehlenswert? Bei tumorbedingter Blasenentleerungsstörung muss eine Ableitung mittels Blasen- oder suprapubischem Katheter geschaffen werden. Bei morphinbedingter Störung sind miktionsfördernde allgemeine Maßnahmen indiziert. Abhängig von der Compliance des Patienten ist in seltenen Fällen der Einmalkatheterismus der Harnblase oder eine Dauerableitung notwendig.

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Kindesalter Zu den allgemeinen Maßnahmen zählt, Ruhe zu vermitteln, warme Sitzbäder anzuwenden und einen warmen nassen Waschlappen auf den Bauch zu legen. Die Dosisreduktion des Opioids oder eine Opioidrotation sollte erwogen werden. Das Kathetern der Harnblase ist für Kinder traumatisch, erschwert weitere Spontanmiktionen und sollte daher bei opioidbedingten Miktionsstörungen nur in Ausnahmefällen als Ultima Ratio angewendet werden.

Frage 951 Was sind die häufigsten Symptome von Kindern mit Krebserkrankung im letzten Lebensmonat? Fatigue, Schmerzen, Dyspnoe und Appetitlosigkeit. Zwischen 80 und 90 % der Kinder leiden in den letzten Lebensmonaten an Fatigue, etwa 80 % an Schmerzen, Dyspnoe und Appetitlosigkeit. Weitere Symptome sind mit 55 % Häufigkeit Übelkeit und Erbrechen und in 40 % der Fälle Diarrhö. Die Häufigkeit für Obstipation wird je nach Studie mit 50–80 % angegeben.

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Frage 952 Welche 2 Säulen der medikamentösen Therapie der Dyspnoe sollten bei pädiatrischen Palliativpatienten mit Tumorerkrankung bedacht werden? Die zwei Säulen der medikamentösen Therapie sind die Opioide der WHO-Stufe 3 und Benzodiazepine. Dyspnoe ist ein multidimensionales Symptom, das subjektiv empfunden und durch Faktoren wie z. B. Angst verstärkt wird. Mit der Gabe eines Benzodiazepins als Anxiolytikum zusätzlich zum Opioid kann der Teufelskreis aus Dyspnoe und Angst durchbrochen werden.

Frage 953 Eine jugendliche Patientin mit Ewing-Sarkom mit multiplen pulmonalen und ossären Metastasen u. a. im Bereich LWK 4/5 leidet an Obstipation bei Opioid-Dauertherapie. Zusätzlich tritt Harnverhalt auf, sodass das Mädchen regelmäßig katheterisiert

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werden muss. Welche Maßnahme sollte erwogen werden? Die palliative Bestrahlung bei V. a. beginnenden Querschnitt durch Metastasen sollte mit den Strahlentherapeuten zeitnah besprochen, der Patientin angeboten und ggf. rasch durchgeführt werden. Die palliative Strahlentherapie ist für viele Tumorpatienten als lokale Maßnahme mit relativ geringem Aufwand eine sinnvolle Option. Indikationen zu palliativer Bestrahlung können Tumorzerfall mit Blutung oder Exulzeration, ossäre Metastasen mit Frakturgefahr und Schmerzen, raumfordernde Tumore mit Kompression z. B. des ZNS, bei Gefahr der Stenosierung der Atemwege, des Magen-DarmTrakts oder bei paraneoplastischem Syndrom sein. Die palliative Bestrahlung soll primär die Lebensqualität des Patienten verbessern, also mit geringem Aufwand und Nebenwirkungen verbunden sein. Fraktionierung und die Einzeldosen sollten abhängig von der Situation des Patienten gewählt werden. Bei kurzer Lebenserwartung werden eher hohe Einzeldosen mit geringer Fraktionierung (Hypofraktionierung) verwendet. Akute Nebenwirkungen wie z. B. Übelkeit und Erbrechen sind mittels 5-HT-Antagonisten und Kortikosteroiden in der Regel gut kontrollierbar.

Frage 954 Welche Faktoren verstärken die Fatigue bei tumorerkrankten Kindern? Verstärkend wirken Umgebungsfaktoren, persönliche Faktoren, kulturelle und familiäre Strukturen als Stressoren und therapiebedingte Belastungen. Zu den Umgebungsfaktoren zählen Wartezeiten, fehlende Strukturierung des Tages, Unruhe und Belastung durch Entscheidungen. Veränderte Schlafgewohnheiten, Langeweile, Depression und Angst sind beispielhaft für persönliche Faktoren. Hohe Erwartungen und Ängste der Familie können einen starken Druck auf die Kinder ausüben. Nebenwirkungen von Medikamenten, invasive diagnostische und therapeutische Maßnahmen, metabolische Veränderungen und unzureichende Ernährung zählen zu den therapiebedingten Belastungen.

Nichttumorerkrankungen Frage 955 Welche Ursachen gibt es für akute Blutungen bei Kindern mit onkologischen Erkrankungen? Folgende Ursachen kommen infrage: ● Thrombozytopenie bei malignen Erkrankungen des hämatopoetischen Systems oder als Folge von Chemotherapie ● exulzerierende Tumoren ● gefäßarrodierende Tumoren ● Vitamin-K-Mangel ● Beeinträchtigung der Leberfunktion ● Störung der Gerinnung ● Infektionen









Während längerer Palliativphasen können regelmäßige Transfusionen von Thrombozytenkonzentraten akuten Blutungen vorbeugen und die Lebensqualität der Patienten verbessern. In der terminalen Situation sollten bei massiver akuter Blutung Sedativa und ggf. Analgetika zum Einsatz kommen. Dunkle Tücher und Bettwäsche mildern den Eindruck des massiven Blutverlusts. Lokale Blutungen aus Wunden können durch Druck und mit Gelatine- oder Kollagenschwämmen gestillt werden. Bei Nasenbluten helfen Tamponaden z. B. mit Kollagenschwämmen und lokal applizierte Vasokonstriktiva wie Adrenalintupfer. Bei Blutungen der Mundschleimhaut sind Mundspülungen mit Tranexamsäure hilfreich.

10.2 Genetische Erkrankungen im Kindesalter (Nichttumorerkrankungen) Martin Smitka, Silke Nolte-Buchholtz

Frage 956 In welche der 4 Diagnosegruppen der lebenslimitierenden Erkrankungen, definiert nach der ACT (Association for Children with Life-Threatening or Terminal Conditions and their Families), gehören genetische Erkrankungen mehrheitlich? Genetische Erkrankungen gehören mehrheitlich in die Gruppen 2 und 3, zum Teil zur Gruppe 4.

Gruppe 1: Erkrankungen, für die kurative Therapien existieren, die jedoch auch zum Versterben führen können (z. B. akute Leukämie) Gruppe 2: Erkrankungen, bei denen die Behandlung das Ziel hat, das Leben zu verlängern und die Teilnahme an normalen kindlichen Aktivitäten zu ermöglichen, bei denen aber ein vorzeitiger Tod wahrscheinlich ist (z. B. Muskeldystrophie Duchenne, zystische Fibrose). Gruppe 3: fortschreitende Erkrankungen ohne kausale therapeutische Option, bei denen häufig über viele Jahre hinweg eine ausschließlich symptomorientierte palliative Therapie durchgeführt wird (z. B. Zeroidlipofuszinosen, viele Mukopolysaccharidosen) Gruppe 4: irreversible, jedoch nicht progrediente Erkrankungen, die regelhaft Komplikationen zeigen und wahrscheinlich zum vorzeitigen Tod führen (z. B. Migrationsstörungen, zahlreiche Mikrodeletions- bzw. -duplikationssyndrome)

Frage 957 Was sind nach den onkologischen Erkrankungen die häufigsten krankheitsbedingten Todesursachen bei Kindern zwischen 0 und 15 Jahren?

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Die zweithäufigste krankheitsbedingte Todesursache in dieser Altersspanne sind neurologische bzw. neuromuskuläre Erkrankungen. In Deutschland leben rund 47 000 Kinder und Jugendliche mit einer lebenslimitierenden Erkrankung. Zu ca. 30 % handelt es sich dabei um onkologische Erkrankungen. Am zweithäufigsten finden sich in ca. 20 % der Fälle neurologische bzw. neuromuskuläre Erkrankungen, in 16 % der Fälle Fehlbildungen und Chromosomenanomalien (bei Kindern nach dem 12. Lebensmonat). Von allen Kindern und Jugendlichen mit lebenslimitierenden Erkrankungen versterben jedes Jahr etwa 1500–5 300.

Frage 958 Was versteht man unter „Orphan Diseases“ und wie häufig kommen sie vor? Als „Orphan Diseases“ (engl. „orphan“ = Waise) bezeichnet man seltene Krankheiten, die bei weniger als einem Fall unter 2000 Menschen auftreten.

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Kindesalter Es existieren unterschiedliche, zum Teil länderspezifische Definitionen. Orphan Diseases oder seltene Erkrankungen sind in ihrer Gesamtheit jedoch relativ häufig. In Deutschland geht man von ca. 4 Mio. Betroffenen aus, in Europa von ca. 30 Mio. Es handelt sich oft um chronische Erkrankungen, die nicht selten lebenslimitierend sind (30 % der Patienten versterben vor Erreichen des 5. Lebensjahrs) und nur selten kausal behandelt werden können. In bis zu 80 % der Fälle ist eine genetische Ursache nachweisbar. Etwa 75 % der Erkrankungen betreffen Kinder und Jugendliche. Sowohl von den USA als auch von der EU wurden Regelungen getroffen, die die Entwicklung von Medikamenten für Orphan Diseases erleichtern (vereinfachte Zulassungsverfahren usw.). Etwa 50 % der Anmeldungen mit Anerkennung als Orphan Drug beziehen sich auf Krankheiten, die auch Kinder betreffen. Auf den Websites von NAMSE, Bundesgesundheitsministerium, Orphanet, achse, National Institutes of Health der USA und European Union Committee of Experts on Rare Diseases finden sich weitere Informationen.

Frage 959 Worauf sollten Sie in der Gesprächsführung achten, wenn Sie Eltern über das Vorliegen einer lebenslimitierenden genetischen Erkrankung informieren?

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Das Gespräch sollte idealerweise mit beiden Elternteilen in ruhiger und empathischer Atmosphäre, in einem geschützten Raum und ohne Zeitdruck geführt werden. Vermeiden sollte man Aufklärungsgespräche auf dem Flur oder am Telefon. Ziel des Gesprächs sollte sein, den Eltern die Erkrankung mit ihrem typischen Verlauf und den unveränderbaren Tatsachen wie dem zu erwartenden Tod des Kindes zu vermitteln. Auch die weitere Betreuung und palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten sollten erläutert werden. Gerade bei genetischen Erkrankungen treten nicht selten bei Eltern belastende Schuldgefühle auf. In dieser Situation sollte man möglichst frühzeitig und aktiv entgegenwirken. Immer sollte eine genetische Beratung angeboten werden. Einige Eltern profitieren von Gesprächsangeboten mit anderen betroffenen Familien oder von der Teilhabe an Selbsthilfegruppen. Es können Hinweise auf seriöse Internet-Seiten oder Patientenregister gegeben werden.

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Weiterhin ist durch Einzug molekulargenetischer diagnostischer Maßnahmen häufig eine rasche Diagnose und im Einzelfall eine kausale Therapie mit ATMPs (Advanced Therapy Medicinal Products – Arzneimittel für die Anwendung beim Menschen, die auf Genen, Geweben oder Zellen basieren) möglich und sollte zunächst evaluiert werden. Weitere mögliche Themen: ● Erstellen einer VVN-Order (Vorsorgeverordnung für Notfallsituationen) ● Inanspruchnahme eines ambulanten oder stationären Kinderhospizdienstes ● Organisation psychologischer Betreuung ● Arbeitszeitverkürzung bzw. Krankschreibung der Eltern ● Beantragung einer Pflegestufe usw. Für viele dieser Themen ist die Kontaktvermittlung zu einem Sozialarbeiter sinnvoll.

Frage 960 Was ist die häufigste hereditäre Erkrankung mit überwiegend pulmonaler Symptomatik, die regelmäßig zum vorzeitigen Versterben führt? Zystische Fibrose. Die zystische Fibrose ist eine lebenslimitierende Erkrankung, die zu einer Fehlfunktion der Chloridkanäle führt und mit einer Häufigkeit von ca. 1:2000 Neugeborenen autosomal-rezessiv vererbt wird. Der Krankheitsbeginn liegt meist in den ersten Lebensmonaten bis -jahren, die Lebenserwartung bei über 30 Jahren. Hauptkomplikationen sind häufige Infektionen der Lunge mit Problemkeimen und eine progrediente respiratorische Insuffizienz. Daneben treten extrapulmonale Manifestationen auf wie z. B. Diabetes mellitus, distales intestinales Obstruktionssyndrom, Infertilität oder Gedeihstörungen. Seit 2016 werden alle Neugeborenen im Rahmen des Neugeborenen-Screenings auf zystische Fibrose untersucht.

Frage 961 Welches ist die häufigste neuromuskuläre Erkrankung, die regelhaft im jungen Erwachsenenalter zum Tod führt? Die häufigste lebenslimitierende muskuläre Erkrankung ist die Muskeldystrophie Duchenne.

Nichttumorerkrankungen Dabei handelt es sich um eine kongenitale progressive degenerative Myopathie, verursacht durch Defekte im DMD-Gen, das für das Protein Dystrophin kodiert. Die Muskeldystrophie Duchenne wird Xchromosomal-rezessiv vererbt, daher sind fast ausschließlich Jungen betroffen. Die Häufigkeit der Muskeldystrophie Duchenne liegt bei ca. 1:3 000 männlichen Lebendgeborenen und stellt damit die häufigste neuromuskuläre Erkrankung dar. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung bedeutet dies eine Prävalenz von ca. 3:100 000. Die klinische Symptomatik wird geprägt von progredienter muskulärer Schwäche und respiratorischer Insuffizienz mit Versterben häufig vor dem 30. Lebensjahr. Seit 2014 gibt es ein zugelassenes Medikament für eine Untergruppe der Patienten, das den Verlauf positiv beeinflussen kann (Ataluren – bewirkt das Überlesen eines vorzeitigen Stopp-Codons).





frühe Nichtgehfähigkeit: Physiotherapie, Atemtherapie, Skolioseprophylaxe und -therapie, Kontrakturbehandlung, Steh- und Gehtraining in Hilfsmitteln, Elektrorollstuhl, Pflegebett und andere Hilfsmittel, Heimbeatmung späte Nichtgehfähigkeit: Fortführung der obigen Maßnahmen, symptomorientierte Maßnahmen

Frage 963 Welche Besonderheiten sind häufig bei Patienten mit komplexen Mehrfachbehinderungen zu beobachten? Es zeigen sich sehr lange und wechselhafte Verläufe mit Auftreten von Komplikationen, die häufig nur schwer vorhersagbar und durch zahlreiche Symptomkonstellationen gekennzeichnet sind.

Frage 962 Welche Krankheitsstadien der Muskeldystrophie Duchenne gibt es? Folgende Krankheitsstadien werden unterschieden: ● präsymptomatisches Stadium ● frühe Gehfähigkeit ● späte Gehfähigkeit ● frühe Nichtgehfähigkeit ● späte Nichtgehfähigkeit Folgende Maßnahmen sind in den jeweiligen Stadien zu bedenken: ● präsymptomatisches Stadium: Diagnosestellung und Diagnosemitteilung, Prüfung der molekulargenetischen Ursache wegen eventueller medikamentöser Therapiemöglichkeiten ● frühe Gehfähigkeit: Einleitung einer Kortikoidtherapie, Förderung der Bewegungsfreude, Vermeidung von Immobilität, Kontrakturprophylaxe und -therapie, Ernährungsberatung, Kardiomyopathiekontrolle, soziale Integration ● späte Gehfähigkeit: Intensivierung der Krankengymnastik mit isometrischen Übungen, Atemtherapie, Hilfsmittelversorgung wie z. B. Nachtschienen zur Kontrakturprophylaxe, Orthesenversorgung nach kontrakturlösenden Weichteileingriffen, Rollstuhlversorgung zur Förderung der Mobilität

Kinder und Jugendliche mit komplexen Mehrfachbehinderungen weisen eine erhöhte Morbidität auf. Infolge der Schädigung des zentralen Nervensystems können schwer zu therapierende zerebrale Krampfanfälle, Bewegungsstörungen mit spastischer Tonuserhöhung, Schluckstörungen sowie Pneumonien als Folge von Aspirationen und insuffizientem Hustenstoß bis zur respiratorischen Insuffizienz auftreten. Schmerz und Unruhezustände mit daraus resultierenden Schlafstörungen beeinträchtigen die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien. Der Krankheitsverlauf bzw. das Auftreten von Komplikationen sind oft nicht vorhersehbar und können rasch zu kritischen bis lebensbedrohlichen Situationen führen. Relativ häufige Todesursachen sind Atemwegs- und Darmerkrankungen (z. B. Pneumonie, Darmverschluss).

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Frage 964 Welche lebenslimitierende Nervenerkrankung des 2. Motoneurons führt häufig zum Versterben bereits in den ersten Lebensjahren? Welche Formen kennen Sie? Die spinale Muskelatrophie Typ 1. Weitere Formen sind die Typen 2, 3 und 4.

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Kindesalter Aufgrund eines fortschreitenden Untergangs des 2. Motoneurons im Vorderhorn des Rückenmarks kommt es zu progredienten Lähmungen mit Muskelatrophie und reduziertem Muskeltonus. Die Erkrankung beruht auf Gendefekten im SMN-Gen. Krankheitsverlauf der verschiedenen Typen: ● Bei der spinalen Muskelatrophie Typ 1 lernen die Kinder nicht zu sitzen. ● Bei der spinalen Muskelatrophie Typ 2 lernen die Kinder nicht zu stehen. ● Bei der spinalen Muskelatrophie Typ 3 lernen die Kinder zu sitzen und zu laufen, die Symptome beginnen ab dem 18. Lebensmonat (bei Typ 3a vor dem 3. Lebensjahr, bei Typ 3b nach dem 3. Lebensjahr). ● Bei der spinalen Muskelatrophie Typ 4 beginnen die Symptome ab dem 30. Lebensjahr. Weitere Sonderformen wie z. B. spinale Muskelatrophie mit Respiratory Distress 1, distale spinale Muskelatrophie und progressive Bulbärparalyse beruhen auf Gendefekten in anderen Genen. Besondere Bedeutung bekommt die SMA in der Palliativmedizin durch die Einführung verschiedener gentherapeutischer Ansätze seit 2017. Der klinische Verlauf zeigt sich häufig milder, je nach Zeitpunkt der Therapieeinleitung können die Kinder sich auch nahezu unauffällig entwickeln. Im Jahr 2021 wurde die klassische SMA im Neugeborenen-Screening integriert. Eine zuverlässige Vorhersage über den zu erwartenden klinischen Verlauf ist aufgrund der Neuheit der Therapien nicht immer eindeutig möglich.

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Frage 965 Nennen Sie Beispiele für eine degenerative Erkrankung der Basalganglien, die häufig durch eine ausgeprägte Dystonie symptomatisch wird. Welche leidvolle Komplikation tritt dabei regelhaft auf? Eine typische Erkrankungsgruppe ist die NBIA (Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation). Dabei kommt es häufig zu einer schweren Dystonie bis hin zum Status dystonicus. Bei der NBIA handelt es sich um eine Gruppe seltener angeborener Erkrankungen, die mit einer Eisenspeicherung in den Basalganglien einhergehen (vor allem in Globus pallidus und Substantia nigra). Die Eisenablagerungen werden in der MRT sichtbar. Es kann zu zahlreichen, häufig progredienten Sympto-

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men wie Dystonie, Ataxie, Choreathetose, Spastik, kognitivem Abbau oder Visusverlust kommen. Die häufigste genetische Ursache sind Mutationen im PANK2-Gen. Ungefähr 40 % der Patienten bleiben ohne eindeutige genetische Ursache. Ein Status dystonicus ist gekennzeichnet durch Zunahme von dystonen Kontraktionen, die zu einem potenziell lebensbedrohlichen Zustand führen und eine stationäre Aufnahme notwendig machen. Nach der Phänomenologie der im Vordergrund stehenden Dystonie unterscheidet man einen tonischen (vor allem anhaltende Kontraktionen und Fehlstellungen) und einen phasischen Phänotyp (vor allem rasche und repetitive Kontraktionen).

Frage 966 Patienten mit degenerativ verlaufenden hereditären Dystonien zeigen im Verlauf häufig einen Status dystonicus mit ausgeprägt leidvoller Symptomatik. Welche Therapien können Sie in dieser Situation anbieten? Neben supportiven Maßnahmen (ggf. intensivmedizinische Überwachung, ausreichende Hydrierung und Nährstoffzufuhr, Analgesie, Kühlung, Triggervermeidung etc.) und unspezifischen medikamentösen Therapien (z. B. Chloralhydrat, Clonidin, Midazolam) werden auch dystoniespezifische Medikamente eingesetzt (z. B. Trihexyphenidyl, Tetrabenazin, Haloperidol). Bei therapierefraktärem Status dystonicus sollten als leidlindernde Maßnahmen auch invasive Maßnahmen wie die Anlage eines Tiefenhirnstimulators oder einer Baclofenpumpe erwogen werden.

Frage 967 Was ist die häufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen mit neuromuskulären Erkrankungen? Kinder und Jugendliche mit neuromuskulären Erkrankungen versterben am häufigsten im Rahmen einer respiratorischen Insuffizienz bzw. an den Folgen der respiratorischen Insuffizienz.

Nichttumorerkrankungen Diese kann durch eine progrediente Schwäche der Atemmuskulatur bedingt sein, die sich im Rahmen von Infekten akut verschlechtert. Häufig sind die Kinder nicht in der Lage, das Sekret in der Lunge und den Atemwegen durch einen effektiven Hustenstoß zu mobilisieren. Rezidivierende Aspirationen und Infektionen schädigen nachhaltig das Lungengewebe und ein effektiver Gasaustausch ist dann nicht mehr möglich.

Frage 968 Welche therapeutischen Maßnahmen im Rahmen eines Status dystonicus kennen Sie? Die Behandlung umfasst nichtmedikamentöse supportive Maßnahmen, dystoniespezifische Medikamente, nichtdystoniespezifische Medikamente und invasive Maßnahmen. Zu den supportiven Maßnahmen gehören Infusionen, kühlende Maßnahmen, Beendigung der Einwirkung von Triggerfaktoren und intensivmedizinische Betreuung. Zu den dystoniespezifischen Medikamenten zählen Trihexyphenidyl, Tetrabenazine und Haloperidol. Andere mögliche medikamentöse Therapien umfassen Antipyretika, Analgetika, Chloralhydrat, Clonidin, Benzodiazepine oder Propofol. Zu den invasiven Maßnahmen gehören Tiefenhirnstimulation, intrathekale Baclofenpumpen oder eine Pallidotomie.

Frage 969 Welche Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen geht typischerweise mit einer progredienten spastischen Tonuserhöhung einher und welche therapeutischen Möglichkeiten haben Sie, um die spastische Tonuserhöhung zu verbessern? Leukodystrophien führen zu progredienter Spastik. Therapeutisch werden Antispastika und Myotonolytika oral, lokal oder intrathekal verabreicht. Bei Leukodystrophien kommt es zu einem progredienten Untergang der weißen Substanz und damit zu einer Beeinträchtigung des ersten Motoneurons und zur Entwicklung einer generalisierten Spastik.

Im Gegensatz zur lokalen Spastik, die mit Botulinumtoxin-Injektionen behandelt werden kann, kommen bei generalisierter Spastik systemische Gaben von Antispastika in Betracht. Dazu zählt in erster Linie Baclofen. Daneben werden auch Benzodiazepine, Tolperison, Dantrolen, Tizanidin oder THC verwendet. Frühzeitig sollte die Anlage einer Baclofenpumpe mit intrathekaler Freisetzung diskutiert werden.

Frage 970 Welche typischen Folgeschäden bei Patienten mit ausgeprägten spastischen Tonuserhöhungen kennen Sie und welche nicht medikamentösen therapeutischen Möglichkeiten kann man anwenden? Zu typischen Komplikationen einer schweren Spastik gehören Hüftluxationen, Kontrakturen, Skoliose, Dekubitus, Kachexie und Osteoporose. Therapeutisch werden neben Physiotherapie und Hilfsmitteln (z. B. Korsett, Orthesen) auch invasive Maßnahmen wie Botulinumtoxin-Injektionen genutzt, die zum Teil mit Hilfsmitteln kombiniert werden (Redressionsgips). Daneben kommen auch operative Verfahren wie z. B. Skolioseaufrichtung, Hüftkopfentfernung oder WeichteilRelease-Verfahren zum Einsatz.

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Typische Komplikationen von Muskelverkürzungen sind entsprechende Fehlstellungen wie Skoliose oder Gelenkkontrakturen. Es kann dabei zur Destruktion der physiologischen Gelenkkonfiguration kommen, mit entsprechenden Folgen wie Arthritiden, Schmerzen oder Lungenfunktionsstörungen. Zur Vermeidung eines Dekubitus sollte auf eine optimale Lagerung geachtet werden. Dazu kann ebenfalls eine Vielzahl von Lagerungshilfen eingesetzt werden. Bei zunehmender Kachexie sind frühzeitige Maßnahmen zu diskutieren wie z. B. die Anlage einer PEG.

Frage 971 Nennen Sie häufige Dysmorphiesyndrome, die auf einer Chromosomenanomalie beruhen. Wichtige lebenslimitierende Dysmorphiesyndrome sind Trisomie 13 und Trisomie 18.

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Kindesalter Bei der Trisomie 13 liegt eine Verdreifachung des Chromosoms 13 vor. Die Trisomie 13 ist nicht ursächlich heilbar und viele Kinder sterben noch vor der Geburt. Generell haben Kinder mit einer Trisomie 13 eine herabgesetzte Lebenserwartung. Dafür verantwortlich sind zumeist Organfehlbildungen wie Herzfehler. Auch bei der Trisomie 18 ist die Prognose wesentlich von der Organbeteiligung abhängig.

Frage 972 Nennen Sie typische Komplikationen bei der Trisomie 21, die zu einem vorzeitigen Versterben beitragen können. ●



● ● ● ●

Herzfehler (z. B. Septumdefekte, Atrioventrikularkanal, Endokardkissen) intestinale Fehlbildungen (z. B. Duodenalstenose) Morbus Hirschsprung urologische Fehlbildungen Leukämie Anfallsleiden

Bei der Trisomie 21 können zahlreiche Komplikationen auftreten. Herzfehler werden bei ca. 40–60 % der Kinder gesehen. Am häufigsten sind der Atriumseptumdefekt und der atrioventrikuläre Septumdefekt. Intestinale Fehlbildungen treten in ca. 10–15 %, Morbus Hirschsprung in ca. 12 % und Anfallsleiden in ca. 10 % der Fälle auf. Das Risiko für Kinder mit Trisomie 21, eine AML zu entwickeln, ist etwa 20fach erhöht. Verschiedene andere Tumoren treten unterdurchschnittlich häufig auf wie z. B. Neuroblastome, Nephroblastome, Formen von Darmkrebs und Mammakarzinome.

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Frage 973 Welche dermatologische Erkrankung kann bereits im Kindes- und Jugendalter zum Versterben führen? Epidermolysis bullosa. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Erkrankungen, die sowohl autosomal-dominant als auch autosomal-rezessiv vererbt werden. Die typische Blasenbildung der Haut ist bedingt durch eine unzu-

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reichende mechanische Verbindung der unterschiedlichen Hautschichten. Die Höhe der Spaltbildung liegt in der Epidermis (Epidermolysis bullosa simplex), der Dermis (Epidermolysis bullosa dystrophica) oder der Junktionszone zwischen Epidermis und Dermis (Epidermolysis bullosa junctionalis). Bei den schweren Formen verursacht bereits leichter Druck blasige Abhebungen. Es entstehen Narben, atrophe Haut und Kontrakturen bis hin zu Pseudosyndaktylien. Die Patienten klagen oft über Schmerzen, Juckreiz oder Bewegungseinschränkungen. Bei perioralen Kontrakturen kann es zu eingeschränkter Mundöffnung kommen, außerdem zu folgenden Einschränkungen: ● Fixation der Zunge ● Ösophagusstenosen ● Dysphagie ● Schmerzen beim Essen ● kariöse Zähne bei eingeschränkter Mundpflege ● intraorale Infektionen ● rezidivierende Nagelverluste ● schmerzhafte korneale Ulzerationen mit schwerer Sehstörung ● chronische Obstipation bei rezidivierenden Analfissuren ● Kachexie ● Mangelernährung ● Osteoporose ● Anämie ● Sepsis

Frage 974 Welche kardiologischen Erkrankungen führen im Kindesalter häufig zum Tod? Angeborene Herzfehler führen häufig im Kindesund Jugendalter zum Tod. Bis zu 10 % der Kinder mit angeborenen Herzfehlern versterben. Kinder können an unterschiedlichen kardialen Erkrankungen versterben wie z. B. an primären oder sekundären myokardialen Erkrankungen, an Myokarditiden oder an Ischämien. Am häufigsten versterben sie an kongenitalen Herzfehlbildungen. Die Mehrheit der Kinder verstirbt dabei innerhalb des 1. Lebensjahrs an einer dekompensierten Herzinsuffizienz. Die Krankheitsverläufe sind zum Teil sehr unterschiedlich und häufig nicht eindeutig vorhersagbar.

Neonatologie

10.3 Palliativmedizin in der Neonatologie Matthias Richter, Silke Nolte-Buchholtz

Frage 975 Wie lauten die aktuellen Empfehlungen der AWMF zur Erstversorgung von extremen Frühgeborenen in Deutschland? Neben dem Gestationsalter spielt auch das Geburtsgewicht eine entscheidende Rolle für die Prognose. Dabei ist aktuell die Prognose von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 400 g im Vergleich zu schwereren Frühgeborenen eingeschränkt. Ab der 24. Schwangerschaftswoche und einem Geburtsgewicht größer 400 g werden Frühgeborene mit dem Ziel der Lebenserhaltung maximal versorgt, bei Frühgeborenen unter 400 g gilt das für Frühgeborene der 25. SSW. Zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche und einem Geburtsgewicht über 400 g ist die maximale Versorgung eine Einzelfallentscheidung. Bei Frühgeborenen unter 400 g gilt der Graubereich ab der 23. SSW. Vor der 22. Schwangerschaftswoche mit Geburtsgewicht über 400 g oder der 23. Schwangerschaftswoche mit Geburtsgewicht unter 400 g wird von dem Versuch abgeraten, lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen.

Bei Frühgeborenen mit angeborenen oder perinatal erworbenen Gesundheitsstörungen ist unabhängig vom Gestationsalter und Geburtsgewicht gemäß der AWMF-Leitlinie 024/019 [17] eine palliative Therapieausrichtung im Interesse des Kindes zu prüfen.

Frage 976 Bei welchen Krankheitsbildern in der Neonatologie tritt die palliativmedizinische Haltung in den Vordergrund? Als Beispiele seien extreme Frühgeborene, Neugeborene mit schwersten Geburtskomplikationen sowie mit chromosomalen und syndromalen lebensverkürzenden Erkrankungen genannt. Bei einigen extremen Frühgeborenen sind die Unreife der Organe und die folgende hohe Rate an Komplikationen (z. B. schwere Hirnblutung mit Substanzdefekt) Gründe für eine palliative Therapieausrichtung. Zu den Geburtskomplikationen reifer Neugeborener zählt die schwere perinatale Asphyxie, zu den chromosomalen Erkrankungen zählen die Trisomie 13 und 18 und zu den Syndromen das SchinzelGiedion-Syndrom. Hier sollte immer auch ein palliativmedizinischer Therapieansatz diskutiert werden und die Lebensqualität im Vordergrund der Entscheidungen stehen, da diese Krankheitsbilder meist nicht mit einem längeren Leben vereinbar sind.

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Frage 977 Über 60 % der Frühgeborenen der 24. + 0/7 bis 24. + 6/7 Schwangerschaftswoche überleben. Daher wird ab der 24. Schwangerschaftswoche grundsätzlich versucht, das Leben zu erhalten. Frühgeborene ab der 22. bis zur 23. + 6/7 Schwangerschaftswoche haben nur eine geringe Überlebenschance. Reanimationsmaßnahmen sind je nach Vitalität Einzelfallentscheidungen und sollten im Konsens mit den Eltern getroffen werden. Ein zusätzlicher Faktor ist das Geburtsgewicht. Daher wird bei sehr leichten Frühgeborenen mit weniger als 400 g der Graubereich bis zum Zeitpunkt 24 + 6/7 erweitert. Vor der 22. Schwangerschaftswoche oder bei Frühgeborenen mit weniger als 400 g vor der 23. SSW wird aufgrund der minimalen Überlebenschance in der Regel auf eine initiale Reanimation verzichtet.

Welche speziellen Wünsche äußern Familien zur Verbesserung der Lebensqualität auf der neonatologischen Intensivstation für ihr lebenslimitiert erkranktes Kind? Die Nähe zum Kind und die Reduktion von leidvollen Symptomen stehen für die Familien im Vordergrund. Bereits kleine Veränderungen bedeuten für die Familien mehr Lebensqualität. Dazu gehören eine unbegrenzte Besuchszeit für die Familie, Nähe und Körperkontakt zum erkrankten Kind (z. B. Kängurumethode im Bett) und frühzeitige Informationen bei Veränderungen.

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Kindesalter Frage 978 Wie ist die Herangehensweise bei Änderung von einer kurativen auf eine palliative Therapieausrichtung in der Neonatologie? Diese weitreichende Entscheidung sollte nach dem sog. Shared-Decision-Making-Konzept getroffen werden. Dabei bringen sich die Familie und das interdisziplinäre Team gleichermaßen in den Entscheidungsprozess ein und erreichen eine Übereinstimmung in der Bewertung der aktuellen Situation und im weiteren Vorgehen.

Frage 979 Bei welchen Komplikationen wird ein Rückzug der intensivmedizinischen neonatologischen Therapie in Erwägung gezogen? Bei dem Auftreten multipler Komplikationen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind, sollte ein Rückzug der intensivmedizinischen Therapie erfolgen.

10 Beispiele dafür sind schwere Hirnblutungen mit posthämorrhagischem Hydrozephalus in Kombination mit schweren Atemnotsyndromen und zunehmender pulmonaler Verschlechterung trotz maximaler Therapie, nicht zu beherrschende Infektionen mit septischen Verläufen und Multiorganversagen.

Frage 980 Die Beendigung der intensivmedizinischen Therapie mit Versterben des Kindes auf der neonatologischen Station ist für die Betroffenen eine Grenzsituation. Wie kann dabei auf die Bedürfnisse der Familien eingegangen werden? Die Familie sollte in den Prozess eingebunden sein und ausreichend Zeit haben, sich von ihrem Kind zu verabschieden. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang ein Verlauf bei einem beatmeten Kind dargestellt: Nach dem Entfernen störender Materialien wie Magensonde, Pulsoxymeter und Elektrokardiografieelektroden wird durch Reduktion der Beatmung eine

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Hypoventilation mit konsekutiver CO2-Narkose erreicht. Einmalgaben von Morphin in einer Dosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht intravenös lindern Schmerzen und Atemnot. Das extubierte Kind wird den Eltern in den Arm gegeben. Die Familie hat ausreichend Zeit, sich von ihrem sterbenden Kind zu verabschieden. Auf Wunsch sollte die Betreuung durch einen Seelsorger, einen Psychologen oder eine andere Bezugsperson ermöglicht werden. Religiöse Besonderheiten sollten im Vorfeld angesprochen und bedacht werden.

Frage 981 Wie können Analgosedierungstiefe und Entzug bei schwerkranken Neugeborenen eingeschätzt werden? Scores wie die Neo Comfort Scale oder der NPASS (Neonatal Pain, Agitation and Sedation Scale) helfen dem betreuenden Team, die Analgosedierung optimal zu steuern. Entzug kann über den WAT 1 Score (Withdrawal Assessment Tool 1 Score) gemessen werden. Die Einschätzung der Analgesie- und Sedierungstiefe bei schwerkranken Neugeborenen wird durch die fehlende Selbsteinschätzung und die geringe Mimik erschwert. Oben genannte Scores erfassen Verhaltens- und physiologische Veränderungen wie z. B. ● Weinen bzw. Irritabilität ● Wachheitsgrad ● Verhalten bzw. Status ● Gesichtsausdruck ● Extremitätentonus ● Akzeptanz der Beatmung ● Veränderungen von Vitalzeichen (Herzfrequenz, Atemfrequenz, Blutdruck, periphere Sättigung) und helfen so, die Tiefe der Analgosedierung einzuschätzen. Medikamentenentzug (Opioide und Benzodiazepine) kann über den WAT 1 Score eingeschätzt werden. Der Score erfasst über den Zeitraum von 12 Stunden Stuhlgang, Erbrechen bzw. Würgen und Temperatur. Über einen Zeitraum von 2 Minuten erfolgt die Beobachtung des Status, von Tremor, Schwitzen, Gähnen bzw. Niesen und Bewegungen. Zusätzlich werden Punkte für die Schreckhaftigkeit und den Muskeltonus unter aktivem Stimulus vergeben und es wird die Erholungszeit nach Stimulationsreiz gemessen. Bei einem Wert größer 4 ist Entzug möglich, ab 7 hoch wahrscheinlich.

Neonatologie Frage 982 Wofür steht die Abkürzung „pedVVN“? Das Akronym pedVVN steht für „pädiatrische Vorausverfügung zum Vorgehen in Notfallsituationen“. Mit dieser Entscheidungshilfe stellt der hinzugezogene Arzt in der Krise die Indikation für oder gegen eine Reanimation oder weitere therapeutische Interventionen. So wird ein rasches angemessenes Vorgehen in der Krise ermöglicht. Idealerweise sollten pedVVN-Gespräche mehrzeitig sein. Sie sollten von einem Arzt und einer Pflegekraft, die das Kind und den Krankheitsverlauf kennen, mit der Familie geführt werden. Der Inhalt umfasst die Erkrankung und den Krankheitsverlauf einschließlich des aktuellen Zustands und möglicher Krisensituationen. Ziel ist eine gemeinsame Absprache über die indizierten Interventionen in der Krise. Der Gesprächsinhalt wird in einem Protokoll festgehalten und von den Eltern gegengezeichnet. Das entsprechende Formblatt zur pedVVN (zenodo) wird gemäß dem Protokoll vom gesprächsführenden Arzt ausgefüllt und vom ihm und der Pflegekraft und den Eltern unterschrieben. Die pedVVN und die Gesprächsprotokolle verbleiben beim Patienten und sind so im Falle einer Krise für den hinzugerufenen Arzt sofort verfügbar. Die Eltern können die pedVVN jederzeit widerrufen.

Frage 983 Welche Besonderheiten gelten bei Totgeburt für das Ausfüllen der Todesbescheinigung? Eine Totgeburt liegt vor, wenn bei der Geburt eines mindestens 500 g schweren Kindes kein erkennbares Lebenszeichen nachzuweisen ist. Für jede Totgeburt muss eine Todesbescheinigung ausgestellt werden. Dabei ist der Sterbezeitpunkt als Geburtszeitpunkt definiert. Die Todesbescheinigung ist eine öffentliche Urkunde, mit der der Arzt nach gründlicher Untersuchung den Zeitpunkt und den Ort des Todes einer bestimmten Person bescheinigt. Wenn möglich, wird die Todesursache erläutert, und es wird eine Angabe über die

Todesart gemacht. Bei ungeklärter Todesart (Todesursache unbekannt) sowie nicht natürlichem Tod (Versterben durch Zutun von außen) wird die Polizei verständigt.

Frage 984 Pränatal bekannte Fehlbildungssyndrome führen vereinzelt bei den betroffenen Müttern zu dem Wunsch der Austragung des schwerbeeinträchtigten Kindes. Wie kann dabei auf die Bedürfnisse der Familien bei einer perinatalen Palliativversorgung eingegangen werden? Es sollten mehrere interdisziplinäre Pränatalberatungsgespräche geführt werden. Ziel dabei ist es, einen Geburtsplan zu erstellen, der auf die Gedanken der Familie eingeht mit einem symptomorientierten Ansatz: „Alles darf, nichts muss sein.“ Beispielhaft sollten im Geburtsplan abgesprochene Maßnahmen zum Thema der perinatalen Versorgung des Kindes (Geburtsmodus, Überwachung, Bonding, Abnabeln) festgehalten sein. Die Frage nach Atemhilfe postnatal sollte besprochen sein, wie mögliche supportive Maßnahmen (Absaugen [bei verlegten Atemwegen], Lagerung, Behandlung von Dyspnoe und leidlindernde symptomatische Therapien [Opioidgabe nasal oder rektal] im Sinne von „comfort care“). Auch das Thema Ernährung mit Stillversuchen oder Muttermilchfütterung (mit Löffel oder Spritze) sollten erörtert werden. Spezielle Wünsche in Bezug auf die Geburt (Begrüßung des Kindes durch die Geschwisterkinder, ggf. Segnung des Kindes und Beziehen eines Familienzimmers und Festhalten des Augenblickes mit professionellen Fotos) sind wichtige psychosoziale Aspekte. Auch Absprachen zum möglichen Überleben des Kindes (z. B. baldige Überleitung mit Unterstützung durch Kinder-Palliativteam in die Häuslichkeit) sollten berücksichtigt werden. Zuletzt sollten klar die Strukturen, die in die Versorgung eingebunden sind, im Geburtsplan benannt werden.

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Kindesalter

10.4 Begleitung sterbender Kinder und ihrer Familien Maria Janisch, Silke Nolte-Buchholtz

Frage 985 Welche Erwartungen haben Eltern an Palliativversorger? Eltern können und wollen aktiv in die Versorgung des erkrankten Kindes einbezogen und befähigt werden, Entscheidungen reflektiert und abgewogen zu treffen. Sie sind Mitversorger, Partner und wichtigste Ressource. Ein familien- und ressourcenorientierter Ansatz unterstützt diesen Zugang. Dabei werden die auf die aktuellen Probleme bezogenen Ressourcen des Kindes, der Familie, der Umwelt sowie der kooperierenden Partner erfasst. Auf dieser Basis können die professionellen Palliativversorger die genannten Beteiligten im jeweiligen Bedarf anleiten und unterstützen. Eltern erwarten von professionellen Versorgern, den Versorgungsprozess fortlaufend zu evaluieren und bei Bedarf zielgerichtet und fachgerecht anzupassen. Empathie und Wertschätzung sind dabei unabdingbare Grundvoraussetzungen.

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Frage 986 Was sind die Aufgaben der SAPV-KJ (spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene)? SAPV-KJ wird von pädiatrischen Palliative-CareTeams erbracht, die eine Überleitung nach Hause unterstützen und die häusliche Versorgung zeitweise oder bis zum Versterben des Kindes koordinieren und in Anteilen übernehmen. SAPV ist indiziert, wenn ein Kind oder Jugendlicher lebensverkürzt erkrankt ist, ein komplexes leidvolles Symptomgeschehen vorliegt und die ambulante Versorgung durch die bisherigen Versorger nicht ausreicht. SAPV-KJ kann nicht nur am Lebensende, sondern auch in Krankheitskrisen verordnet werden. Speziell ausgebildete SAPV-Teams unterstützen das Kind und die Familie ärztlich, pflegerisch und psy-

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chosozial rund um die Uhr – gemeinsam mit ambulanten Partnern wie z. B. Hausärzten, Pflegediensten, Home-Care-Versorgern und Therapeuten und in enger Zusammenarbeit mit Fachzentren. Eine Kooperation mit Fachgebieten wie der pädiatrischen Hämatologie bzw. Onkologie, der Neuropädiatrie, der Neonatologie oder der Kinderkardiologie ist unabdingbar. Besondere Expertise haben die Teams bei der Überleitung vom Krankenhaus in die Häuslichkeit, bei der Symptomkontrolle und -behandlung in Krankheitskrisen und in der finalen Versorgung.

Frage 987 Wie unterstützt die ambulante und stationäre Hospizarbeit betroffene Familien? Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste bieten Familien mit lebensverkürzt erkrankten Kindern Unterstützung und Begleitung durch Ehrenamtliche; stationäre Kinder- und Jugendhospize ermöglichen eine „Auszeit“ vom Alltag, bieten aber auch Begleitung beim Versterben an. Ambulante Kinderhospizdienste ermöglichen eine stundenweise Betreuung des erkrankten Kindes und/oder der Geschwister und praktische Lebenshilfe für die Eltern durch geschulte Ehrenamtliche. Die Fortbildung, Anleitung und Koordination der Ehrenamtlichen erfolgen durch einen hauptamtlichen Koordinator. In stationären Hospizen können die Fami-lien bis zu 4 Wochen im Jahr Entlastung erfahren, zudem sind die Hospize auch mögliche Sterbeorte. Die aktuelle Lebenserwartung des Kindes ist für die Aufnahme ins Hospiz unerheblich, anders als im Erwachsenenhospiz muss sie nicht auf wenige Monate begrenzt sein. Die Kosten für die stationären Kinder- und Jugendhospize werden von der Kranken- bzw. Pflegeversicherung und aus Spenden getragen. Neben pflegerischer und medizinischer Betreuung bieten Kinderhospize auch psychologische und seelsorgerische Begleitung sowie Kunst- oder Musiktherapie an.

Frage 988 Was bestimmt die Krankheitsverarbeitung von Eltern lebensverkürzt erkrankter Kinder?

Sterbephase Die elterliche Verarbeitung wird von Faktoren wie Krankheitsbild und Behinderung, inneren Haltungen und Einstellungen der Eltern als auch von externen Ressourcen beeinflusst. Das Krankheitsbild und die Behinderung umfassen Aspekte wie die Art der Manifestation (akut, schleichend), den Erkrankungsverlauf (progressiv, konstant, episodisch), die Prognose (allmähliche Verschlechterung, plötzlicher Tod), die Behinderungsschwere (körperlich, kognitiv, kommunikativ, nach außen sichtbar) wie auch die jeweilige Zeitphase (Akutphase, stabile Phasen, finale Phase). Die inneren Einstellungen und Haltungen beinhalten Sichtweisen auf Krankheit und Behinderung, die Selbstwahrnehmung und Deutungs- und Lesmuster. Zudem spielen externe Ressourcen bzw. Belastungen (Familienorganisation, Familien- und Freundeskreis, Unterstützung und Entlastung, finanzielle Lasten) eine große Rolle bei der elterlichen Krankheitsverarbeitung.

Frage 989 Was versteht man unter der „Doppelrolle“ der Eltern? Eltern von erkrankten Kindern sind aktive Versorger und Unterstützer, benötigen aber auch Unterstützung durch professionelle Versorger. Spätestens mit Diagnosestellung wird das Familiensystem in seinen Grundfesten erschüttert. Eltern werden plötzlich mit medizinischen Fragestellungen, pflegerischen Aufgaben und existenziellen Themen konfrontiert. Sie sind Ansprechpartner für alle Seiten: für das Kind, für die professionellen Versorger, aber auch für das schockierte und verängstigte Umfeld. Sie sehen sich dem Verlust von Normalität ausgesetzt – der Alltag richtet sich an den Bedürfnissen des erkrankten Kindes aus. Die enorme zeitliche Belastung, die permanente Verfügbarkeit und Alarmbereitschaft beeinträchtigen das Leben der Eltern enorm. Hinzu kommen häufig finanzielle Einschränkungen, der Rückzug von Freunden, körperliche Erschöpfung usw. Als Ressourcen stehen dem die bedingungslose Liebe zum Kind, ein ausgeprägtes Fürsorgebedürfnis, psychische Kraft, Mut und Willensstärke sowie ein selbstverständliches Zurückstellen eigener Bedürfnisse gegenüber.

Frage 990 Wie erfolgt die allgemeine und spezialisierte Palliativversorgung von Kindern mit lebensverkürzenden Erkrankungen? In Deutschland hat sich ein umfassendes Netz der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung entwickelt, um Familien mit lebensverkürzt und komplex chronisch erkrankten Kindern zu unterstützen und zu entlasten. Die allgemeine Palliativversorgung von lebensverkürzt erkrankten Kindern wird in sozialpädiatrischen Zentren und Spezialambulanzen, Frühförderstellen, durch Pflegedienste, die Integration in Kindertagesstätten und Regel- oder Förderschulen, familienentlastende Dienste, familienorientierte Rehabilitationsmaßnahmen bzw. Mutter- bzw. VaterKind-Kuren in geeigneten Einrichtungen erbracht. Hinzu kommen ambulante Hospizdienste und stationäre Kinderhospize sowie vielfältige Selbsthilfeaktivitäten. Auf der spezialisierten Versorgungsebene gibt es (fast flächendeckend) die spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (SAPV-KJ) sowie auch (wenige) Kinderpalliativstationen.

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Frage 991 Wie können finanzielle Nachteile aufgrund der Erkrankung des Kindes ausgeglichen werden? Direkte und indirekte krankheitsverursachte Kosten werden aus Mitteln der Sozialversicherung und aus Steuermitteln vollständig oder teilweise ausgeglichen. Direkte Kosten für ambulante und stationäre Krankenbehandlung, Medikamente, Hilfsmittel oder Pflegedienste zur Behandlungspflege werden bei Kindern ohne Zuzahlung von der Krankenversicherung übernommen. Eingliederungsleistungen wie Frühförderung oder Integrationshilfen in Kindergarten und Schule sind als Leistung der Sozialhilfe ebenfalls kostenfrei. Indirekte Krankheitskosten (z. B. pflegebedingte Aufwendungen, Arbeitsausfälle, Mehrkosten für behindertengerechten Wohnraum) werden teilweise ausgeglichen, z. B. durch Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, Kinderkrankengeld, Steuererleichterungen

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Kindesalter aufgrund von Schwerbehinderung oder Optionen wie Pflegezeit oder Familienpflegezeit. Da das bestehende Netz sehr differenziert ist, sollten Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen unbedingt beratend hinzugezogen werden.

Frage 992 Welchen besonderen Belastungen sind Geschwister ausgesetzt und wie kann man sie unterstützen? Geschwistern fehlen oftmals Zeit und Aufmerksamkeit der Eltern. Freunde, Großeltern, Paten usw. und ambulante Kinderhospizdienste können diese Lücken zumindest teilweise ausgleichen. Geschwister von lebensverkürzt erkrankten Kindern wachsen in Familien auf, in denen ein großer Teil der Zeit, Aufmerksamkeit und elterlichen Sorge zwangsläufig dem erkrankten Kind gewidmet werden muss. Ihr Leben ist mitgeprägt von der Erkrankung und/oder dem Tod des Geschwisterkindes und ihnen wird oft eine vorzeitige Reifeleistung abverlangt. Gleichwohl haben sie ein eigenes Leben mit Freunden, Schule und Freizeitaktivitäten, das es zu würdigen und zu unterstützen gilt. Beistand können in erster Linie das soziale Umfeld der Familie, aber auch Kinderhospizdienste, Eltern- oder Fördervereine, der Austausch mit gleichbetroffenen Kindern und Jugendlichen sowie Professionelle geben.

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Frage 993 Sollte mit palliativ erkrankten Kindern und Jugendlichen über Sterben und Tod gesprochen werden? Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Erkrankung wissen in aller Regel, dass sie sterben werden, und setzen sich mit ihrer Endlichkeit auseinander.

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Ausgehend von der Entwicklung des Todeskonzepts (Nonfunktionalität, Kausalität, Universalität und Irreversibilität) haben Kinder ab dem Vorschulalter eine Vorstellung vom Tod. Häufig reifen betroffene Kinder vor und setzen sich mit dem Thema intensiv auseinander. Tabuisiert das Umfeld das Thema, werden die Kinder und Jugendlichen allein gelassen und können Ängste oder Schreckensvorstellungen entwickeln. Daher ist es bedeutsam, die Fragen und Vorstellungen des Kindes oder Jugendlichen behutsam zu erfassen und darauf einzugehen. Indirekte Gesprächsangebote („anderen Kindern bzw. Jugendlichen geht es so: …“) oder die Nutzung spielerischer Elemente (z. B. Therapiepuppen, Gesprächskarten) können den Einstieg erleichtern. Wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen selbst bestimmen dürfen, wann sie mit wem in welcher Intensität das Thema aufgreifen.

Frage 994 Welche Grundlage benötigen professionelle Unterstützer der pädiatrischen Palliativversorgung, um Familien und sterbende Kinder angemessen begleiten zu können? Haltung, Wissen, Fähigkeiten und Reflexionsfähigkeit bilden die Basis in der pädiatrischen Palliativversorgung. Die Versorgung des erkrankten Kindes stellt die Familien vor physisches, psychisches, soziales und spirituelles Leid. Aufgrund dieser Mehrdimensionalität muss pädiatrische Palliativversorgung multiprofessionell und interdisziplinär erfolgen. Folgende Grundvoraussetzungen gelten: ● Haltung, die die Betroffenen auf Augenhöhe sieht und die deren Ressourcen erkennt ● spezialisiertes palliativmedizinisches Wissen ● Fähigkeiten, Therapien und Unterstützungsmöglichkeiten fachgerecht durchzuführen ● Möglichkeit der Selbstreflexion und Abgrenzung

Palliativmedizin und Forschung

11 Palliativmedizin und Forschung Christoph Ostgathe, Bernd Oliver Maier

Frage 995 Soll auch in der Palliativmedizin Forschung stattfinden? Ja. Entscheidungen in der Medizin werden immer nach der individuellen klinischen Expertise, den Patientenpräferenzen und der besten verfügbaren externen Evidenz getroffen. Um die bestmögliche Evidenz sicherzustellen, gehört auch eine an die besondere Vulnerabilität der Betroffenen angepasste und ethisch vertretbare Forschung. Forschung in der Palliativmedizin unterliegt aufgrund der besonderen Situation der Betroffenen vielen methodischen und ethischen Herausforderungen. Dennoch hat sich in den letzten Jahren sowohl national als auch international eine hohe Forschungsaktivität im Feld entwickelt. Viele Fragen sind bis heute noch unbeantwortet und können mit wissenschaftlichen Methoden beantwortet werden. Hierzu gehören z. B. Aspekte der Symptomkontrolle, Versorgungsmodelle, Kommunikation und ethische Fragestellungen. Zum Teil ist auch das Team oder das Umfeld der Betroffenen Forschungsgegenstand.

Frage 996 Müssen auch Forschungsprojekte in der Palliativversorgung einer Ethikkommission vorgelegt werden? Ja. In der (Muster-)berufsordnung für Ärztinnen/ Ärzte heißt es eindeutig, dass der Arzt/die Ärztin, der/die sich an einem Forschungsvorhaben beteiligt, bei dem Daten verwendet werden, die sich einem bestimmten Menschen zuordnen lassen, sicherstellen muss, dass vor der Durchführung des Forschungsvorhabens eine Beratung erfolgt, die auf die mit ihm verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen zielt.

Jede medizinische Fakultät in Deutschland verfügt über eine Ethikkommission, die zu ethischen und rechtlichen Aspekten medizinischer Forschungsprojekte am Menschen berät. Auch an den Landesärztekammern sind in der Regel Ethikkommissionen angebunden. Ohne ein positives Ethik-Votum darf ein Forschungsprojekt nicht starten und würde auch bei dem Versuch einer Veröffentlichung scheitern, da die Verlage in der Regel ein Ethikvotum verlangen. Aus der (Muster-)berufsordnung für Ärztinnen/ Ärzte ergibt sich auch, dass man auch für retrospektive Studien, bei dem Daten verwendet werden, die sich einem bestimmten Menschen zuordnen lassen, in der Regel ein Votum der Ethikkommission braucht.

Frage 997 Beschreiben Sie die methodischen Herausforderungen für Forschung am Lebensende! In der Palliativmedizin haben wir es mit einer besonders vulnerablen Patientengruppe zu tun. Methodisch Herausforderungen sind: Geringe Einschlussraten, eine Reduktion des Allgemeinzustandes im Beobachtungszeitraum, dadurch bedingtes hohes Drop-out und viele bewusstseinsgetrübte Patientinnen/ Patienten, bei denen es nicht möglich ist, ein Einverständnis zur Teilnahme am Forschungsprojekt einzuholen.

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Viele Patienten in der Palliativversorgung nehmen gerne an Forschungsprojekten teil. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Patienten haben z. B. dadurch die Möglichkeit auch am Lebensende einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Zudem sind viele Betroffene es gewohnt, an Forschungsprojekten teilzunehmen. Manche versprechen sich vielleicht durch Teilnahme eine Verbesserung der unmittelbaren Versorgung. Falls die Betroffenen selbst ihr Einverständnis nicht geben können, kann im Einzelfall, wenn es dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht, auch eine Einwilligung bei den Vertretungsberechtigten (Vorsorgevollmacht, Betreuung) eingeholt werden.

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Palliativmedizin und Forschung Frage 998 Welche zwei Typen von Forschungsansätzen, die auch in der Palliativmedizin Anwendung finden können, kennen Sie? Die zwei wichtigsten Forschungsansätze sind: quantitative Forschung und qualitative Forschung. In vielen Projekten werden diese Ansätze unter dem Begriff „mixed methods“ kombiniert. Die qualitative Forschung ist eine Methode zur Erforschung von Phänomen, die in aller Regel nicht numerisch gemessen werden können. Sie sind eher explorativ und finden oft vergleichsweise früh im Forschungsprozess statt. Typische Verfahren sind Fokusgruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtung oder narrative Interviews. Sie dienen der Hypothesen- und Theoriegenerierung. Die systematische empirische Untersuchung von Phänomenen mittels statistischer, mathematischer und/oder rechnergestützter Methoden ist Aufgabe quantitativer Methoden.

Frage 999 Was ist bei der Aufklärung für eine Studienteilnahme zu beachten?

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Es muss die schriftliche Einverständniserklärung zur freiwilligen Studienteilnahme des Teilnehmers eingeholt werden. Ein potenzieller Studienteilnehmer hat das Recht auf eine ausführliche Aufklärung (Patienteninformation) und muss vor Unterschrift der Einverständniserklärung ausreichend Bedenkzeit eingeräumt bekommen. Der Prüfarzt bespricht die Patienteninformation mit dem potenziellen Studienteilnehmer persönlich. Die zugrundeliegenden Normen (§ 40AMG, § 20 MPG, § 3 (2b) der GCP Verordnung und der Deklaration von Helsinki) stellen dabei hohe Anforderungen an das formale Aufklärungsgespräch, die Sorgfalt in der Aufklärung und die Fähigkeit zur aktiven Mitwirkung der potentiellen Studienteilnehmer – was insbesondere bei symptomatisch belasteten Patient*innen mit palliativmedizinischem Unterstützungsbedarf eine große Herausforderung darstellen kann.

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Frage 1000 Was versteht man unter einem „Systematic Review“? Als Systematic Review wird eine wissenschaftliche Methode bezeichnet, die das Ziel verfolgt eine vorab formulierte Forschungsfrage, durch Auswertung der verfügbaren relevanten Literatur zu einem Thema zu beantworten. Speziell in der Palliativmedizin ist die geringe Fallzahl in vielen Studien ein Problem, das die Belastbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Durch die Bündelung bestehender Daten und deren neuerlicher gepoolter Analyse in methodisch definierter Weise wird die Aussagekraft bzgl. der Fragestellungen gestärkt.

Frage 1001 Wie entstehen evidenzbasierte Leitlinien? Evidenzbasierte Leitlinien werden in der Regel von Vertretern der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet, die sich zur Einhaltung des übergeordneten Regelwerks, des Kodexes und der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Vorgehensweise zur Erarbeitung von Leitlinien verpflichten. Leitlinien werden in verschiedene Güteklassen gruppiert. Eine höhere Einstufung beschreibt dabei eine methodisch begründete höhere Wertigkeit der Evidenz. ● S 1-Leitlinien sind Handlungsempfehlungen von Expertengruppen. ● S 2k-Leitlinien werden von einem für das Fachgebiet repräsentativen Gremium erarbeitet und basieren auf strukturierter Konsensfindung. ● S 3-Leitlinien haben die höchste Qualitätsstufe, denn das Wissen wird nach fachunabhängiger Methodik gesammelt (systematische Literaturrecherche) und konsensual bewertet.

Palliativmedizin und Forschung Frage 1002 Wie wird der Datenschutz bei Forschungsprojekten gewährleistet? Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) regelt den Umgang mit personenbezogenen Daten und muss immer in der medizinischen Behandlung, und auch bei jedem Projekt gewahrt werden.

Das Regelwerk der DSGVO steht nicht selten im Konflikt zu einer von Praktikern angestrebten Auswertung vorhandener Routinedaten – es empfiehlt sich hier eine datenschutzrechtliche Prüfung vor Auswertungsbeginn vornehmen zu lassen, um etwaige Datenschutzrisiken eines angedachten Auswertungsprojektes frühzeitig erkennen und juristische Risiken vermeiden zu können.

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Anhang

III

Literatur

12 Literatur 12.1 Zitierte Literatur [1] Abschlussbericht der Begleiterhebung nach § 31 Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Verschreibung und Anwendung von Cannabisarzneimitteln. BfArM, KurtGeorg-Kiesinger-Allee 3, 53 175 Bonn 06.07.2022 [2] Aebi R, Mösli P, Roser T. Indikationenset für Spiritual Care und Seelsorge. Im Internet unter https://www.spiritualcareinterprofessionell.ch/indikationen (Stand: 14.06.2023) [3] Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Agranulozytose nach Metamizol – sehr selten, aber häufiger als gedacht (aus der UAW-Datenbank). Dtsch Ärztblatt 2011; 108(33): A1758-A1759 [4] Alt-Epping B, Sitte T, Nauck F et al. Sedierung in der Palliativmedizin*: Leitlinie für den Einsatz sedierender Maßnahmen in der Palliativversorgung. Schmerz 2010; 24: 342– 354. doi:10.1007/s00 482-010-0948-5 [5] Arfe A, Scotti L, Varas-Lorenzo CV et al. Non-steroidal antiinflammatory drugs and risk of heart failure in four European countries: nested case-control study. BMJ 2016; 354: i4 857. doi:10.1136/bmj.i4 857 [6] Ateş G, Jaspers B. Belastungs- und Schutzfaktoren in Teams der Hospiz- und Palliativversorgung in Nordrhein-Westfalen – eine Pilotstudie. Bonn: ALPHA Rheinland, 2020. https://alpha-nrw.de/neuerscheinung-pilotstudie-belastungs-undschutzfaktoren-in-teams-der-hospiz-und-palliativversorgung/ [7] Bauer S et al. Long-term follow-up of patients with GIST undergoing metastasectomy in the era of imatinib – analysis of prognostic factors (EORTC-STBSG collaborative study). Eur J Surg Oncol 2014; 40(4): 412–419 [8] Beauchamp TL, Childress JF. Principles of Biomedical Ethics. 8. Aufl. Oxford: University Press; 2019 [9] Becker G, Jaroslawski K, Xander C. Palliativmedizin. In: Genzwürker H, Hinkelbein J, Keil J et al., Hrsg. ALLEX – Alles fürs Examen, Bd. C. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012: 682 [10] Benini F, Papadatou D, Bernadá M et al. International Standards for Pediatric Palliative Care: From IMPaCCT to GOPPaCS. Journal of Pain and Symptom Management 2022; 63: e529–e543 [11] Bhala N, Emberson J, Merhi A et al. Vascular and upper gastrointestinal effects of non-steroidal anti-inflammatory drugs: meta-analyses of individual participant data from randomised trials. Lancet 2013; 382: 769–779 [12] Bilbao A, Spanagel R. Medical cannabinoids: a pharmacology-based systematic review and meta-analysis for all relevant medical indications. BMC Med 2022; 20(1): 259 [13] Bradshaw A, Dunleavy L, Garner I et al. Experiences of staff providing specialist palliative care during COVID-19: a multiple qualitative case study. J R Soc Med 2022; 115(6): 220– 230. doi: 10.1177/01410768221077366 [14] Bundesärztekammer. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Dtsch Ärztebl 2011; 108: A346–A348 [15] Bundesgerichtshof. BGH 2 StR 454/09 – Urteil vom 25. Juni 2010 (LG Fulda) [16] Bundesministerium für Justiz (BMJ ) Im Internet: https:// www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschueren/ Patientenverfuegung.html ) (Stand 04.09.2023)

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