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German Pages 251 [252] Year 1942
E I N H E I T
D E S
W I S S E N S
HERAUSGEGEBEN VON MAX BENSE
ORGANISMUS UND GESTALT VON DEN F O R M E N D E N DES
KRÄFTEN
LEBENDIGEN
VON
F. N A R D I
M Ö N C H E N U N D BERLIN 1942
VERLAG V O N R. O L D E N B O U R G
Drudc von R. Oldenbourg, Mônchen Printed in Germany
Meiner lieben CFrau und
5Mitarbeiterin
INHALT I. Die tierische Gestalt als Katalogobjekt der reinen Systematik und als funktionelle Ganzheit
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II. Methoden der beschreibenden und experimentellen Morphologie
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III. Das Werden der Gestalt im individuellen Leben . . . .
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A. Beschreibende Embryologie
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B. Entwicklungsmechanik
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1. Experimentelle Embryologie Analyse der hauptsächlichsten Differenzierungsschritte des Eies Das „harmonisch-äquipotentielle System" (Driesch) Induktionsleistung des Organisators Die regionale Struktur des Organisators Organisatorwirkung und Mißbildung Exogastrulation Induktoren zweiter Ordnung Verbreitung der Organisatoreigenschaft und das Problem ihrer stofflichen Grundlagen 2. Regenerationsforschung Äußerer Verlauf der Regeneration Regenerative Mißbildungen Die Polarität bei der Regeneration Zusammenhänge zwischen Regeneration und Fortpflanzung Histologische Vorgänge bei der Regeneration . . . Herkunft des Regenerationsmaterials Determination und Differenzierung des Regenerationsmaterials
89 92 105 107 110 112 114 118 120 123 126 133 136 140 142 145 152
3. Theorie der Entwicklung
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C. Mißbildungen und Geschwülste
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IV. Vererbung und Gestalt
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Inhaltsverzeichnis V. Umwelt und Gestalt VI. Das Werden der Gestalt im Leben der Arten 1. Deszendenztheorie 2. Erklärungshypothesen 3. Artbildung
VII. Schlußbetrachtungen VIII. Fadibegriff-Verzeichnis IX. Qjxellenverzeichnis der Abbildungen
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VORBEMERKUNG „Geheimnisvoll am lichten Tag läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, und was sie Deinem Geist nicht offenbaren mag, das zwingst Du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben."
[Goethe, Faust I)
Von den verschiedenen Zweigen der Zoologie ist einer der jüngeren, die Entwicklungsphysiologie, in weiten Kreisen noch verhältnismäßig wenig bekannt. Die wachsende Bedeutung dieser Experimentalwissenschaft innerhalb der modernen Biologie rechtfertigt es, sie in ihren Hauptzügen, abgerundet durch Einbeziehung der unmittelbar an sie angrenzenden Gebiete, darzustellen. Das vorliegende Buch, das dieser Aufgabe dient, soll auch dem der Fachwissenschaft Fernstehenden die grundlegenden Kenntnisse übermitteln, die es ermöglichen, Spezialarbeiten und Einzeldarstellungen aus der Entwicklungsphysiologie zu verstehen und dem allgemeinen Rahmen einzuordnen. Als der Wissenschaft von den Ursachen der Entwicklung und Gestaltbildung der Lebewesen, kommt der Entwiddungsphysiologie zusammen mit der Vererbungslehre eine hervorragende Bedeutung bei der Erforschung der Probleme des Lebens und des Lebendigen zu, eine Bedeutung, die sich zukünftig immer noch steigern wird. Denn die Entwicklungsphysiologie beschäftigt sich gerade mit einer besonders wesentlichen Eigenschaft der Organismen, nämlich mit ihrer Gestalt, die sie gegenüber der ganzen unbelebten Natur scharf charakterisiert; sie nimmt überdies diese Gestalt der Organismen nicht einfach beschreibend als etwas Gegebenes hin, sondern sucht auf Grund von Experimenten am lebenden Objekt die der Formbildung des Lebendigen zugrunde liegenden Kräfte wissenschaftlich zu erfassen. Besonders zu begrüßen wäre es auch, wenn Studierende der Naturwissenschaften in den ersten Semestern, die von der Schule her einen mehr allgemeinen Begriff von der gesamten Zoologie mitbringen, durch die hier folgenden Ausführungen auf die inter-
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Vorbemerkung
essanten Tatsachen und die reizvollen, noch offenstehenden Fragen der Entwicklungsphysiologie aufmerksam gemacht würden und so der eine oder andere den Anstoß empfinge, seine künftige selbständige Forschungstätigkeit diesem Gebiete zuzuwenden. Es wird sich alsdann zeigen, daß die Entwicklungsphysiologie eine grundlegende Rolle in den Wissenschaften vom lebenden Körper spielt und damit einen bestimmten Problem- und Sachbereich der neueren Naturwissenschaft überhaupt kennzeichnet. Die Betrachtung der biologischen Wissenschaften wäre jedenfalls unvollständig an einem entscheidenden Punkte, wenn die Fragen der tierischen Entwicklung keinen Platz fänden. Der hiermit angedeutete Zweck und der durch den Umfang des Buches gezogene Rahmen machen es von Anfang an verständlich, daß die in den einzelnen Kapiteln abgehandelten Fragen, die teils in der Spezialliteratur in zahlreichen Originalarbeiten verstreut sind, teils in zusammenfassenden Darstellungen mehrbändige Werke füllen, nur in einer Auswahl zur Sprache kommen können. Bei einer Auswahl muß man sich jedoch immer klar sein, daß sie Wünsche dieses oder jenes Lesers offen läßt. Der eine möchte diese, der andere jene Teilgebiete ausführlicher behandelt finden. Da es unmöglich ist, jedem gerecht zu werden, kann der Verfasser nur versuchen, an Hand besonders anschaulicher Beispiele einen Leitfaden durch das ganze Gebiet herzustellen, wobei es ihm nachgesehen werden möge, daß er vorzüglich die durch Neigung und eigene Arbeit ihm besonders nahestehenden Probleme zu diesem Zwecke heranzieht. Es ist darauf hinzuweisen, daß bei Betrachtung eines Ausschnittes aus dem großen Bereich der Biologie, wie er hier vorliegt, manche Begriffe aus den allgemeinen Naturwissenschaften und der Biologie einfach übernommen werden müssen. Zu Hilfe kommt in diesem Fall das kleine Wörterbuch im Anhang.
I. DIE TIERISCHE G E S T A L T ALS K A T A L O G O B J E K T DER REINEN S Y S T E M A T I K U N D ALS FUNKTIONELLE GANZHEIT Es gibt wohl kaum einen Zoologen, der nicht immer wieder die Erfahrung macht, daß man ihn in Gesellschaft, kaum daß man seinen Beruf erkannt hat, mit allerlei teils wirklich interessierten, teils leicht ironischen Fragen bestürmt. Da möchte einer gerne wissen, was für ein Vogel das war, den er neulich auf der Telegrafenstange vor seinem Arbeitszimmer gesehen hat, mit grünem Rücken, graugelber Brust und einem dicken Schnabel; ein anderer schleppt ein Buch „Die Tierwelt in Bildern" herbei und zeigt ihm eine Anzahl von Insekten, die angeblich mehr oder minder ähnlich denen seien, die vor kurzem die Rosenstöcke angefressen haben. Endlos ist die Reihe dieser Fragen. Jeder, der irgendwann und irgendwo ein Tier beobachtet hat, ergreift die hübsche Gelegenheit, endlich einmal einen wirklichen Zoologen — sonst liest man doch nur Bücher von diesen „Leuten" — selbst fragen zu können. Man möchte sich als der Gefragte freuen über die Tierliebe und das Naturinteresse seiner Mitmenschen. Bedauerlich ist es nur, daß die Beobachtungen in den meisten Fällen, da man nicht mit einer Gelegenheit zu ihrer Wiedergabe rechnete, oberflächlich und die Angaben .daher so ungenau und vieldeutig sind, daß man beim besten Willen keine klare Auskunft geben kann und an notdürftige Merkmale geklammert, eine Antwort auf gutes Glück erteilen muß.
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Systematische Zoologie
Neben solchen Fragen spielen höchstens noch ausführliche, mit viel Liebe ausgesponnene Erzählungen über diese und jene beobachtete Szene aus dem Leben unserer Haustiere, über einen klugen Streich eines Dackels, einen rührenden Beweis der Mutterliebe einer Katze und ähnliches, eine Rolle in den Gesprächen, die die Leute in Gesellschaft mit einem Zoologen zu führen sich beinahe verpflichtet fühlen. Diese Gelegenheiten lassen erkennen, daß die Menschen im allgemeinen der Ansicht sind, der Zoologe habe in erster Linie die Aufgabe, alle auf der Erde bis heute bekanntgewordenen Tiere fein säuberlich zu katalogisieren und mit einer Nummer versehen in einem Museumsschrank unterzubringen, allenfalls in zweiter Linie noch einige reizvolle Einzelheiten aus dem Leben der betreffenden Tiere zu wissen. Es kann niemand, der der Zoologie ferner steht, ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er so unzureichend über die Belange dieser Wissenschaft informiert ist. Schuld daran ist der biologische Unterricht in der Schule, der bis vor einigen Jahrzehnten, ehe hierin ein erfreulicher Wandel geschaffen wurde, sich kaum um die Fortschritte der Biologie bekümmerte und auf dem Stadium der Zoologie um die Jahrhundertwende stehengeblieben war. Dieser Unterricht kannte nur die Beschreibung der äußeren Körperformen, des inneren Baues und der wichtigsten Lebensgewohnheiten der Tiere, alles im Hinblick auf eine Einordnung in ein System des Tierreiches. Er bestand im wesentlichen also nur aus einem Teilgebiet der Zoologie, der Systematik. Die Systematik hat das Ziel, jedem bekannten Tier und ebenso jedem neuentdeckten seine Stellung im System des Tierreiches zuzuweisen, wobei das System nach Möglichkeit Ausdrude von Verwandt-
Systematische Zoologie
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schaftsbeziehungen zwischen seinen Gliedern sein soll. Es ist verständlich, daß sich die Wissenschaft nicht mit einer Erfassung der äußeren Merkmale begnügen kann, sondern mit fortschreitender Unterteilung der Systemgruppen immer mehr Eigenschaften, innere Baumerkmale, wie Einzelheiten der Skelettform u. a., berücksichtigen muß. Es gibt hierbei viele Erkenntnisse und Tatsachen, die ebenso die anderen Teilgebiete der Zoologie interessieren. Die Systematik wertet sie aber im Unterschied zu diesen anderen Wissenschaftszweigen nur in ihrer Bedeutung für die Systemaufstellung. Der Systematik in der Form, in der sie bis vor kurzem betrieben wurde, haftete eine Atmosphäre des Leblosen und des Unfruchtbaren an. Sie setzt an Stelle des lebenden Tieres in seiner natürlichen Umgebung oder in seiner vitalen Auseinandersetzung mit experimentellen Bedingungen den Balg, das ausgestopfte Museumsstück, das montierte Skelett. Ihr kommt es darauf an, am tierischen Körper Merkmale zu entdecken, die eine Abgrenzung gegenüber anderen verwandten Formen ermöglichen. Farbund Zeichnungsmuster, Zahl und Länge von Borsten usw., bis herab zu feinsten Einzelheiten bieten solche Anhaltspunkte. Man hat in der Gegenwart eingesehen, daß sich Zoologie als jene Wissenschaft, die mit der Botanik zusammen die Biologie, also die Wissenschaft vom Leben, ausmacht, nicht in einer Katalogisierung der Tierwelt erschöpfen darf. So erfährt der junge Mensch heute schon in der Schule, daß die Zoologie eine Reihe von mannigfaltig ineinandergreifenden Teilgebieten besitzt, durch deren Ganzheit erst die Zoologie zu einer verlebendigenden, geistvollen Wissenschaft wird. Diese seien hier kurz umrissen.
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Anatomie
Ausgangspunkt aller biologischen Forschung muß die genau beobachtende und beschreibende Anschauung der Lebewesen um uns sein. Man nennt sie deskriptive Morphologie, d. h. beschreibende Lehre von der Gestalt. Dabei ist der Begriff „Gestalt" nicht eng als die äußere Erscheinung eines Tieres allein zu fassen, sondern begreift auch das Aussehen der Organe und den Bau der Organsysteme in sich, was voraussetzt, daß man das Tier zergliedert. Ein wesentliches Hilfsmittel der deskriptiven Morphologie, aber auch aller anderen, ins Körperinnere vordringenden Zweige der Zoologie ist daher die „Zergliederungskunst" oder Anatomie. Die Begriffe „deskriptive Morphologie" und „Anatomie" werden heute ohne scharfe Grenzen verwendet. Eine genaue Betrachtung der Formen der belebten Welt brachte es mit sich, daß man auch den Leibensäußerungen und Lebensgewohnheiten ein gewisses, für unsere heutige Betrachtungsweise aber verhältnismäßig oberflächliches Interesse widmete. Man faßte die dabei gewonnenen Erkenntnisse unter der Bezeichnung „Biologie", also „Lehre vom Leben", zusammen. Für uns hat sich die Bedeutung dieses Wortes gewandelt und geweitet, und wir verstehen darunter jetzt die gesamte, sich mit dem Lebendigen in all seinen mannigfaltigen Daseinsarten und Beziehungen befassende Wissenschaft, die also Zoologie und Botanik in sich einschließt. Die Lebensäußerungen der Organismen wurden dagegen Gegenstand anderer biologischer Teilgebiete, je nachdem es sich um die Beobachtung der Lebensfunktionen für sich oder der Beziehungen des Lebewesens zu seiner Umwelt handelt. Darüber ist noch zu sprechen. Mehr aber als zur Biologie im alten Sinne des Wortes forderten die Fortschritte der beschreibenden Morphologie
Das alte System
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zu der Entwicklung einer anderen Teilwissenschaft auf. Der menschliche Geist hat immer das Streben, eine Mannigfaltigkeit von Erscheinungen zu ordnen. Die morphologischen Erkenntnisse führten daher fast zwangsläufig zur Aufstellung eines Systems der Tiere. Dies mochte im Anfange ohne Schwierigkeiten und beinahe so nebenher möglich sein. Allmählich mußte sich die Einordnung immer mehr komplizieren und so wurde eine eigene Wissenschaft vom System, die Systematik, nötig. Sie ging zunächst nach primitiven Gesichtspunkten unter Berücksichtigung äußerlicher, häufig ganz zufälliger Gemeinsamkeiten vor. Aristoteles hat auf diese Weise ein für seine Zeit jedoch recht beachtliches System der Tiere aufgestellt. Er unterscheidet acht Gruppen: 1. Säugetiere, 1. Vögel, 3. eierlegende Vierfüßler, 4. Fische, 5. Weichtiere, 6. Krustentiere, 7. Insekten, 8. Schaltiere. Demgegenüber bedeutet das im Jahre 1735 in 1. Auflage erschienene Werk des bekannten schwedischen Naturforschers Linné, betitelt „Systema Naturae" einen gewissen Rückschritt, da er nur sechs Klassen des Tierreiches kennt: Säugetiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten und Würmer. Groß ist aber das Verdienst Linnés in der Hinsicht, daß er die Klassen 'besser unterteilte, nämlich in Ordnungen, Gattungen und Arten, statt langatmiger Beschreibungen kurzgefaßte Charakteristika der Tiere angab, die eine rasche Einordnung ermöglichten, und vor allem die sogenannte „binäre Nomenklatur", d. h. zweifadle Benennung jeder Tierart mit zwei lateinischen Namen einführte, wodurch die heillose Verwirrung durch landschaftlich und fremdsprachlich verschiedene Bezeichnung der Tiere beseitigt war. Die auch heute noch beibehaltene, bewährte
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Zoologische Nomenklatur
Benennungsart Linnés besteht darin, daß jedes Tier einen Gattungsnamen, den es mit all seinen Gattungsgenossen gemeinsam hat, und einen zweiten, nur seiner Art zukommenden Artnamen führt. Einige Beispiele mögen dies erläutern: Die Gattung der hundeartigen Raubtiere wird mit dem lateinischen Wort für „Hund", also mit „canis" bezeichnet; der Wolf hat den Artnamen „lupus", der Haushund „domesticus", der Fuchs „vulpes", so daß die wissenschaftliche Bezeichnung dieser drei Tiere lautet: Canis lupus = Wolf, Canis domesticus = Haushund, Canis vulpes = Fuchs. Die Gattung der Frösche führt den Namen „Rana"; der Wasserfrosch heißt Rana esculenta, der Grasfrosch Rana temporaria, usw. Hierdurch ist jedes Tier eindeutig bezeichnet. Begreiflich, daß diese Errungenschaft sehr bestechend wirkte und es so zu einer Hochflut von Bestimmungen und Benennungen neuer Arten kam. Da es schon allein bei den Insekten viele tausend Arten gibt, war audi mittelmäßig und selbst schwach begabten Geistern ein weites Tummelfeld und ein breiter Weg zum Ruhm, seinen Namen gedruckt zu sehen, eröffnet. Es konnte nicht ausbleiben, daß es bei dem allgemeinen Betätigungsdrang auf diesem Gebiet nicht selten zu Doppelbenennungen desselben Tieres kam. Als man dann später wieder Sinn und Ordnung in diese Systematik brachte, wurde der Brauch eingeführt, hinter die beiden Namen einer jeden Tierart in Abkürzung den Namen desjenigen zu setzen, der als erster das Tier beschrieben und mit diesem Namen belegt hat. Am häufigsten finden wir das L, die Abkürzung des Namens Linné. Schon am Ende des 18. und im Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte eine Abkehr von der als Selbstzweck betriebenen Systematik. Ihre Nachwirkung aber sehen wir noch in der übertriebenen
Teilgebiete der Zoologie
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Betonung dieses Zweiges der Biologie im Schulunterricht bis vor einigen Jahrzehnten. Die Wissenschaft selbst aber war inzwischen zu anderen wichtigeren Problemen fortgeschritten. Da ist vor allem die deskriptive Morphologie zu nennen, die nicht nur den fertig ausgebildeten, erwachsenen Organismus betrachtet, sondern audi die einzelnen Stufen der Entwicklung ins Auge faßt, und dann als beschreibende oder deskriptive Entwicklungsgeschichte oder Embryologie bezeichnet wird. Von der einfachen Registrierung der beobachteten Formen stößt endlich die Physiologie zu ganz neuen Erkenntnissen vor, indem sie die Aufgaben und Funktionsweisen eben dieser Formen, der Glieder, Organe und Organsysteme, studiert. Das Mikroskop ermöglichte die Untersuchung der niedrigeren Einheiten der Organismen, der Gewebe und der Zellen. Auch die Gewebelehre oder Histologie und die Zellenlehre oder Cytologie kennt eine deskriptive Morphologie, gefolgt von einer systematischen Ordnung der mannigfaltigen Gewebs- und Zellarten, und schließlich eine Gewebs- und Zellphysiologie. Das wachsende Verständnis für die funktionelle Bedeutung aller Erscheinungsformen schuf das noch ziemlich junge Gebiet der Entwicklungsmechanik oder Entwicklungsphysiologie. Ihr kommt es zu, die Ursachen der Entwicklung eines Organismus mit all seinen komplizierten Organen aus dem einfach aussehenden Ei sowie aller sonstigen Gestaltungsvorgänge der Lebewesen zu ergründen. Eine Belebung erfuhr die Systematik durch das Interesse an den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Tieren. Der Gedanke, daß die Tierarten, so wie wir sie heute vor uns sehen, nichts vom Anfang der Welt her N a r d i , Organismus.
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Teilgebiete der Zoologie
Gegebenes seien, sondern zueinander in einem Abstammungsverhältnis stehen, dieser als die Deszendenztheorie bezeichnete Gedanke hat dem System einen ganz anderen Sinn gegeben. Es wurde durch ihn aus einem übersichtlichen Inventurverzeichnis zu einem lebensvollen Stammbaum. Die Systematik mußte zur Bewältigung ihrer Aufgabe die Formen der ausgestorbenen Tiere, soweit sie uns in Versteinerungen erhalten geblieben sind, in den Kreis ihrer Betrachtungen einbeziehen. Die Lehre von den ausgestorbenen Lebewesen oder Palaeontologie wurde ihre wichtige Schwesterwissenschaft in der Erforschung der Phylogenie, d. h. der Stammesgesdiichte der Tiere. Mit der Wiederentdeckung der Vererbungsgesetze des Augustinermönches Gregor Mendel (1864) durch Correns trat die Vererbungslehre oder Genetik auf den Plan, heute einer der wichtigsten, auch für die Medizin besonders belangvoller Zweig der Biologie. Die schon einmal genannte Biologie im engeren Sinne der Wortbedeutung, d. h. also die Beschreibung der Lebensweise der Tiere, erfuhr durch die wachsende Erkenntnis von den Wechselwirkungen zwischen Körperformen, Organfunktionen und Lebenserfordernissen eine Weitung zur Ökologie oder Lehre von den Existenzbedingungen der Tiere. Sie erforscht, wie die Tiere sich auf der Erde verteilen, wie Klima und andere Umweltsverhältnisse ihre Verbreitung, ihren Körperbau und ihre Lebensfunktionen beeinflussen. Dieser skizzenhafte Überblick über die Teilgebiete der modernen Zoologie soll dem Leser zeigen, daß alle denkbaren Betrachtungsmöglichkeiten der Tierwelt heute ihre wissenschaftliche Berücksichtigung finden. Da es sich immer wieder um dasselbe Objekt, das Tier, handelt, ist eine
Gemeinsame Gesichtspunkte
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Überschneidung der einzelnen Teilgebiete zwangsläufig. So bezieht z. B. die Vererbungslehre einen großen Teil ihrer Unterlagen aus der Zellenlehre, da die Erbanlagen im Zellkern niedergelegt sind. Die Deszendenztheorie wertet Erkenntnisse der Ökologie aus, diese muß sich an Problemen der Physiologie interessieren usw. Trotz der weitgehenden Aufsplitterung der Zoologie in soviele Zweige ist sie gerade in neuerer Zeit wieder einheitlicher geworden. Die Spezialisten wissen, daß das Zentralproblem ihrer Arbeit, von welcher Richtung her sie audht vorstößt, schließlich das Tier ist, und daß darüber hinaus auch der Botaniker an vielen Fragen in gleicher Weise interessiert ist, daß eben das Leben an sich in seinen unzähligen Erscheinungsformen zur Debatte steht. Diese einheitliche Auffassung hat dazu geführt, alle Einzelergebnisse unter dem Gesichtspunkt der lebendigen Ganzheit jedes Lebewesens, sei es Tier oder Pflanze, zu betrachten. So ist die tierische Gestalt heute nidit mehr nur ein Mittel, praktische Anhaltspunkte zu einer Katalogisierung ihres Trägers zu erhalten, sondern der Ausdruck einer Vielfalt von Funktionen, von innerhalb und außerhalb des Organismus liegenden Bedingungen, die alle zu einer harmonischen Ganzheit zusammenwirken. Die folgenden Kapitel sollen, unter diesem Leitgedanken stehend, die Gestalt des tierischen Organismus und die sie bedingenden Faktoren zum Gegenstand haben. Das Hauptgewicht ist dabei auf das Werden der Gestalt zu legen, da am Anfang selbst des kompliziertest gebauten Organismus ein unscheinbares Klümpdien lebender Substanz, das Ei, steht, andererseits es kein Lebewesen ohne Gestalt gibt. Ehe wir in die Behandlung dieses Gegenstandes eintreten, ist es nötig, noch ein Problem kurz zu erörtern, 3»
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Merkmale des Lebendigen
die Auffassung vom Leben und von den Lebenserscheinungen. Im täglichen Leben wird niemand so leicht in die Lage kommen, darüber im Zweifel zu sein, ob er ein Ding seiner Umgebung als Lebewesen bezeichnen soll oder nicht. Es gibt zwar Pflanzen und selbst Tiere, die bei oberflächlicher Betrachtung unbelebt erscheinen mögen. Ein Beispiel hierfür ist der Schwamm. Auch der lebende Schwamm sieht nicht viel anders aus als seine Skelettsubstanz, die wir im Bad benützen; die Poren sind im Leben nur mit einer schleimigen Masse angefüllt und wir müssen lange Geduld haben, bis wir beobachten können, daß zuweilen eines der Löcher sich schließt und das andere sich auftut; deutlicher werden die Lebenserscheinungen, wenn man einige Farbstoffteilchen in die Nähe des lebenden Schwammes bringt und dann verfolgt, wie sie von einem erst jetzt sichtbar werdenden Wasserstrom in den Schwamm eingesogen und bei den großen Löchern wieder ausgestoßen werden. Nimmt man endlich ein Mikroskop zur Hand und schaut sich mit seiner Hilfe ein Stückchen der schleimigen Schwammasse an, so erkennt man die dauernd schwingenden Geißelfäden der inneren Zellen, die hierdurch den Wasserstrom erzeugen. Trotz einiger Schwierigkeiten ist es hier also doch verhältnismäßig einfach, den Schwamm als Lebewesen zu bestimmen. Dringen wir aber in die immer kleiner werdenden Einheiten des Lebens vor, in die einzelne Zelle und deren Bestandteile, so erreichen wir einen Punkt, wo wir die Entscheidung kaum mehr treffen können. Es gibt Substanzen, die in höchst aktiver Weise die Nahrungsstoffe, die wir aufnehmen, angreifen und zersetzen; wir nennen sie Verdauungsfermente. Fermente ähnlicher Art werden von manchen Bakterien abgeschieden, die damit die Zellen
Merkmale des Lebendigen
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des befallenen Organismus schädigen. Schließlich kennen wir die Virusarten, unter der mikroskopischen- Sichtbarkeitsgrenze liegende Erreger verschiedenster Krankheiten, z. B. der Masern, Pocken u. a., die sich in weitgehendem Maße wie Fermente verhalten, auf Grund anderer Gesichtspunkte aber wieder den Eindruck von Lebewesen machen. Es herrscht keine Einigkeit unter den Fachleuten, ob sie die Vira zu den Lebewesen oder zu den leblosen Fermenten rechnen sollen. Angesichts solcher Grenzfälle ist es nötig, scharfe Kriterien aufzustellen, was wir als lebend bezeichnen wollen. Diese Kriterien reichen zwar gerade für die Grenzfälle nicht aus, sind aber für die Abgrenzung der übrigen belebten und unbelebten Natur absolut eindeutig. Sie sagen aus, daß die lebende Substanz fünf Grundeigenschaften aufweist, die sie von den leblosen Stoffen unterscheiden, nämlich: 1. sie ist fähig, sich durch den Stoffwechsel selbst zu erhalten; 1. sie zeigt Wachstum; 3. sie besitzt die Fähigkeit zur Selbstvermehrung; 4. sie ist mit dem Vermögen ausgestattet, auf Reize zu reagieren; man sagt, sie hat Reizbarkeit; 5. sie besitzt die Fähigkeit zur Gestaltung; denn ungestaltete, lebende Substanz gibt es nicht. Das Lebendige nimmt also eine Sonderstellung ein gegenüber allen anderen Körpern und Substanzen. Auch die philosophische Spekulation kann das nicht leugnen. Damit erhebt sich die Frage, ob das Leben unter dem Zwang derselben Gesetzmäßigkeiten verläuft, wie sie in der unbelebten Natur herrschen oder ob es seine Eigengesetzlichkeit besitzt. Mit anderen Worten: beruhen die angeführten fünf Grundeigenschaften des Lebendigen auf Vorgängen, wie wir sie von den leblosen Körpern her kennen oder bilden sie eine unüberbrückbare Grenze?
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Kausalanalytische Forschung
Früher wurde diese Frage klar in dem Sinne beantwortet, daß das Leben die Äußerung einer besonderen, nur in den Organismen tätigen Lebenskraft sei. Mit den ständig sich mehrenden Fortschritten der Physiologie gewann man aber immer weiteren Einblick in die Lebensvorgänge und erkannte, daß sie nach Grundsätzen verlaufen, die auch im Bereich der Chemie und Physik gültig sind. So entpuppte sich die Verdauung als eine Kette chemischer Reaktionen, mandier im Körper sich abspielende Prozeß ließ sich überdies in der Retorte genau nachahmen. Wozu also eine Lebenskraft annehmen? Der Körper ist eine Maschine, recht kompliziert zwar, aber doch rein mechanisch zu erklären in Bau und Funktion. Nun, dieses vorschnelle Urteil einer auf ihre sich überstürzenden, fast täglich mehrenden Entdeckungen stolzen Zeit muß revidiert werden. Es ist hier nicht der Ort, die verschiedenen Theorien der Naturphilosophen über das Leben anzuführen. Es muß zugegeben werden, daß auch heute noch, trotz unserer tiefsten Einblicke in die kleinsten Einzelheiten nicht nur der lebenden Substanzen, sondern der Materie überhaupt, dem Leben genug Probleme anhaften, die nicht mit physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären sind. Ob wir sagen wollen „nicht zu erklären" oder „noch nicht zu erklären" ist vorerst Auffassungssache, über die sich nutzlos streiten läßt. Wichtiger ist es, für welche Forschungsmethode wir uns entscheiden. Der Vitalismus spricht dem Leben eine unüberbrückbare Eigengesetzlidikeit zu und sucht dementsprechend die besonderen Eigenschaften des Lebendigen mit einer nur ihm innewohnenden, nicht weiter erklärbaren Lebenskraft zu begründen. Der Mechanismus hingegen will auch das Lebendige rein mechanisch, in der Form maschinenmäßiger Abläufe er-
Kausalanalytisdie Forsdiung
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klären. Vom philosophischen Standpunkt aus mögen beide Richtungen, Vitalismus und Mechanismus, gleichberechtigt nebeneinander stehen. Methodisch muß aber Klarheit darüber herrschen, daß auch in der Biologie wie in den übrigen Naturwissenschaften daran festzuhalten ist, daß es keine Wirkung ohne Ursache gibt. Die Forschungsmethode der Biologie kann daher nur eine kaiusalanalytische sein, jene also, die die Ursache jedes beobachteten Vorganges zu analysieren versucht. Die Theorien, die man sich über die noch so reichlich vorhandenen ungeklärten Fragen machen muß, haben sich auf die Ergebnisse der analytischen, d. h. also der die Ursachen zergliedernden Forschung zu stützen und müssen mit Annahmen konstruiert werden, die voraussichtlich analytisch nachgeprüft werden können. Alle Theorien, die dieser Forderung nicht entsprechen, gehören nicht der Biologie an, sondern der Philosophie. Wer diesen Grundsätzen gemäß biologische Forschung betreibt, gibt also stillschweigend zu, daß das Leben mechanisch erklärbar ist? Nein; die Behauptung, daß die Vorgänge des Lebendigen am besten mit den Methoden der Mechanik und der Metrik, also der messenden Beobachtung, untersucht werden, heißt nicht, daß sie nur mechanisch und metrisch und sonst nichts sind. Wenn wir auch noch so viele Lebensprozesse als physikalisch-chemische erkennen, die Rolle, die sie im Rahmen des Lebendigen spielen, bleibt für dieses doch eigentümlich. Der Mechanismus ist nur eine Betrachtungsweise der Welt und somit auch des Lebens, nämlich die wissenschaftliche. Man soll ihn auf dem Boden der Methodik belassen und darf ihn nicht als philosophische Lehre vom Leben betrachten. Die mechanische, stets am Kausalgesetz festhaltende Analyse muß auch in der Biologie die Methode der Wahl sein, wie sie
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Kausalanalytische Forschung
es schon seit viel längerer Zeit in der Physik und Chemie ist. O b wir dann dabei je und wann auf eine Grenze stoßen, über die diese Forschungsmethode nicht mehr vordringen kann, weil dort die Kluft zum Leben an sich klafft, diese Frage sei vorläufig der Philosophie vorbehalten. Heute sind wir jedenfalls an dieser Grenze noch nicht angekommen. Viele Erscheinungen, die bis in die neueste Zeit ausschließlich dem Gebiet des Lebendigen eigen schienen, wurden dann doch bei ihrem eingehenderen Studium und mit unseren steigenden Kenntnissen in der Physik und Chemie als physikalisch-chemische Vorgänge erkannt. Soldhe Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln noch des öfteren zur Sprache kommen.
II. METHODEN DER BESCHREIBENDEN U N D EXPERIMENTELLEN MORPHOLOGIE Ich habe bereits zu Ende des vorhergehenden Kapitels von der Wahl der Forschungsmethode in der Biologie gesprochen und hierbei abgeleitet, daß sie zur Erzielung wissenschaftlich einwandfreier Ergebnisse nur eine mechanistische, kausalanalytische, d. h. auf der Annahme einer festen Beziehung zwisdhen Ursache und Wirkung begründete Forschung sein kann. Es ist deutlich, daß es sich hierbei um die Methode der geistigen Einstellung zu den Problemen unid zu ihrer Lösung handelt. Der Gegenstand dieses Abschnittes sollen dagegen die technischen Methoden jenes engeren Gebietes der Biologie sein, das wir als beschreibende und experimentelle Morphologie abgegrenzt haben. Jeder Wissenschaftsbereich hat auch sein Handwerkliches. Selbst die subtilste Wissenschaft, die Mathematik, macht davon keine Ausnahme und bedient sich rein technischer Hilfsmittel, wie des Rechenschiebers und der Logarithmentafel. Wie aber diese sich aus mathematischen Prinzipien entwickelt haben und dem Geist und den Erfordernissen dieser Wissenschaft entsprechen, ist es mit den Methoden der anderen Wissenschaften auch. Mag auch das eine oder andere Instrument mehreren Wissenschaften dienen, die spezielle Art seines Einsatzes ist typisch. Deshalb ist es wohl begründet, bevor man die Probleme und Ergebnisse eines Forschungsgebietes abhandelt, auch von seinen Methoden zu sprechen, die untrennbar
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Anatomische Methoden
zu ihm gehören. Noch ein Grund ist für ein solches Vorgehen gegeben: die Kenntnis der praktischen Mittel, des Handwerkszeuges und der Manipulationen, kann vor allem dem Fernerstehenden zeigen, warum unsere Erkenntnisse vor oft ganz naheliegend und einfach erscheinenden Fragen halt machen müssen, weil uns die technischen Möglichkeiten heute noch fehlen. Ohne diese Voraussetzungen bliebe manche Lücke in der Forschung völlig unverständlich. Zur Beschreibung der äußeren Erscheinungsform eines Tieres reichen im alltäglichen Leben unsere Augen aus. Wollen wir aber den inneren Bau kennenlernen, so muß das Tier, sofern es nicht, wie manche kleinere Wassertiere, glasartig durchsichtig ist, aufgeschnitten und zerteilt werden. Aber nur bei kunstgerechtem Vorgehen wird man auf diese Weise ein Bild von der Innenstnuktur eines Organismus erhalten; anderenfalls wenden unsachgemäße Zertrennungen und Zerstörungen einen völlig schiefen Eindruck vermitteln. Die Anatomie hat daher eine genaue Technik der Zergliederung, eine Präparations- oder Sektionstechnik entwickelt. Mit gröberen oder feineren Messern, Skalpellen genannt, Scheren, Haken, mit Knochenzangen, Knochensäge und -bohrer wird unter möglichster Schonung der natürlichen Zusammenhänge Schicht um Schicht in den Organismus eingedrungen. Bei der Verfolgung feinerer Strukturen, für die das freie Auge nicht mehr ausreicht, nimmt man eine Lupe zu Hilfe, die meist an einem Stativ über dem Operationsfeld befestigt wird, damit man beide Hände zum Arbeiten frei behält. Um das ermüdende Schauen mit einem Auge zu vermeiden, wird jedem Auge eine Lupe gegeben, die auch meist nicht mehr nur aus einer einzigen Linse, sondern zur Verbesserung
Das Mikroskop
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ihrer Leistungsfähigkeit aus einem Linsensystem besteht. Solche Stativlupen für beide Augen, mit Spiegelausrüstung zur Beleuchtung des Operationsfeldes und sonstigen Hilfsvorrichtungen, die mit den prinzipiellen optischen Einrichtungen nichts zu tun haben, bezeichnet man als binokuläre Präparierlupen. Will man aber endlich noch mehr in die Einzelheiten des Organismus, in die Struktur seiner Organe, Gewebe und Zellen eindringen, oder Tiere beobachten, die unter der Siditbarkeitsgrenze für das freie Auge sich befinden, oder an denen zumindest ohne Bewaffnung des Auges keine Untersuchungen mehr möglich sind, so tritt eine der bekanntesten und vielfältigsten Methoden in Tätigkeit, die Mikroskopie. Sie umfaßt neben der Handhabung des optischen Instrumentes, das ihr den Namen gab, des Mikroskopes, auch die verzweigte Technik der Zubereitung der Untersuchungsobjekte, ehe sie im Mikroskop betrachtet werden können. Das Mikroskop in der heute gebräuchlichen Form besteht aus der Optik, das heißt seinen optischen Einrichtungen, und dem Stativ. Das Stativ besteht aus der Fußplatte, dem Objekttisch mit einem darunter angebrachten Spiegel und dem über ihm liegenden Tubus, dem die Linsen tragenden Rohr. Der Spiegel dient dazu, das Licht durch eine zentral im Objekttisch befindliche Öffnung auf das Blickfeld zu konzentrieren. Bei den hochentwickelten Mikroskopen der Gegenwart ist die Öffnung des Objekttisches nicht nur mit Blenden verschiedener Weite oder noch besser mit einer von den photographischen Apparaten her allgemein bekannten Irisblende ausgerüstet, sondern es ist auch zwischen sie und den Spiegel ein Abbescher Be-
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Das Mikroskop
leuchtungsapparat oder Kondensor eingeschaltet, der durch ein Linsensystem eine weitere, regulierbare Verdichtung des vom Spiegel gesammelten Lichtes erzielt. Der Objekttisch, der die Aufgabe hat, das zu untersuchende Objekt zu tragen, ist bei besseren Instrumenten mit zwei Stellschrauben nach allen Richtungen verschiebbar. Diese Vorrichtung, „Kreuztisch" genannt, erweist sich vor allem beim Arbeiten mit starken Vergrößerungen als sehr vorteilhaft, da hier schon kleinste Verschiebungen des Objektes, wie sie mit freier Hand nur unsicher auszuführen sind, zur Einstellung eines neuen Teiles des Präparates ausreichen. Außerdem lassen sich durch die vorhandenen feinsten Gradeinteilungen an den Seiten die Präparate auf dem Kreuztisch jederzeit auf eine bestimmte, besonders interessante Stelle wieder einstellen. Der Tubus mit dem Linsensystem endlich kann sich durch grobe Triebschrauben an den beiden Seiten des Statives heben und senken, also zum Objekttisch hin oder von ihm weg bewegen. Eine äußerst fein arbeitende Mikrometerschraube dient zur sogenannten Feineinstellung, bei der der Tubus um Bruchteile eines Millimeters auf und ab bewegt wird. Der wesentlichste Teil des Mikroskops, die Optik, setzt sich aus zwei Linsengruppen zusammen, deren eine am unteren Ende des Tubus dem Objekttisch zugewandt liegt und als Objektiv bezeichnet wird, während die andere am oberen Ende sich befindet, dem Auge zugekehrt ist und Okular heißt. Einzelheiten über den Gang der Lichtstrahlen im Mikroskop und die Aufgaben der verschiedenen Linsen sind in jedem Lehrbuch der Physik zu finden und können daher hier übergangen werden. Es genügt darauf hinzuweisen, daß das Mikroskop seitenverkehrte Bilder liefert.
Das Mikroskop
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Zwischen dem auf dem Objekttisch liegenden Untersuchungsobjekt und der Frontlinse des Objektivs haben die Lichtstrahlen eine kleine Strecke Luft zu durchqueren. Durch die verschiedenen Brechungsverhältnisse des Lichtes in Glas und Luft wird ein Teil der Lichtstrahlen abgelenkt und geht für das Auge des Beobachters verloren. Da mit zunehmender Vergrößerung das Gesichtsfeld immer mehr eingeengt wird, treten bei starken Vergrößerungen merkliche Lichtverluste ein. Man gleicht sie daher bis zu einem gewissen Grad durch Einschaltung einer Flüssigkeit zwischen Objekt und Objektiv aus, die annähernd die gleiche Lichtbrechung wie Glas hat und so die Ablenkung der Lichtstrahlen vermeidet. Meist verwendet man eingedicktes Zedernholzöl als Zwischenflüssigkeit. Die Frontlinse des Objektivs wird so weit dem Objekt genähert, daß sie in den über dem Präparat aufgebrachten öltropfen eintaucht. Sie heißt daher auch Tauch- oder Immersionslinse. Man nennt das ganze Verfahren ölimmersion. Nur für Ausnahmefälle kommt die Wasserimmersion zur Anwendung, die an Stelle des Zedernholzöles mit Wasser arbeitet. Auf die zahlreichen Hilfsvorrichtungen für das Mikroskop, Speziallampen als Lichtquellen, Lichtfilter (z. B. Blau- und Gelbsdieiben), Sondergeräte zum Fotografieren durch das Mikroskop (Mikrofotografie und Mikrokinematografie) usw. kann hier nicht eingegangen werden. Das Mikroskop soll möglichst viele Einzelheiten des Objektes sichtbar machen. Sein Auflösungsvermögen, d. h. die Fähigkeit, zwei Punkte des Objektes noch getrennt darzustellen, ist begrenzt durch eine hier nidit näher zu erläuternde Formel, in der als eine Größe, die nicht beeinflußt werden kann, die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes vorkommt. In der Wellennatur des Lichtes ist also
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Spezi almikroskope
dem Mikroskop die Grenze seines Auflösungsvermögens gesetzt. Sie liegt bei etwa 0,2 ¡j. Abstand zweier Punkte. Zur Überwindung dieser Grenze wurden auf verschiedenen physikalischen Prinzipien basierende Mikroskope erdacht, die die feste unveränderliche Wellenlänge des sichtbaren Lichtes vermeiden. Solche Mikroskope sind das Ultramikroskop von Siedentopf-Zsigmondy, das Fluoreszenzmikroskop und das Elektronenmikroskop. Das Ultramikroskop beruht auf der Sichtbarmachung kleinster Teilchen durch Streuung des Lichtes an diesen Partikelchen; man sieht dabei also nicht eigentlich die Teilchen selbst, sondern die von ihnen ausgehenden Streukegel. Beim Fluoreszenzmikroskop wird die Lichtquelle für die Beleuchtung des Untersuchungsobjektes sozusagen in dieses selbst verlegt, indem man es mit fluoreszierenden Stoffen (Fluoreszein oder Trypaflavin) durchtränkt und diese durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht zum Aufleuchten (Fluoreszieren) bringt. Das Elektronenmikroskop endlich verwendet an Stelle der Lichtstrahlen Elektronenstrahlen, die eine wesentlich kürzere Wellenlänge als das sichtbare Licht haben; sie sind deshalb zwar für das Auge unsichtbar und müssen durch eine an Stelle des Auges angebrachte fotografische Platte aufgenommen werden; dafür besitzen sie jedoch ein viel größeres Auflösungsvermögen als das normale Licht; der Strahlengang des Elektronenmikroskops wird nicht durch Glaslinsen gesteuert, da diese von den Elektronenstrahlen ohne Ablenkung durchkreuzt werden, sondern mittels magnetischer Felder, die Elektronenstrahlen abzulenken vermögen. Näher sei auf diese Spezialmikroskope nicht eingegangen, da die Instrumente für die hier behandelten Gebiete der Biologie nur eine beschränkte Rolle spielen.
Mikroskopische Technik
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Bedeutend wichtiger ist es, die Methoden zu besprechen, mit denen die Untersuchungsobjekte zur Besichtigung im Mikroskop zubereitet werden müssen. Nur die wenigsten Tiere und Organe sind so klein, daß sie auf den Objekttisdi gelegt werden können; noch kleiner aber ist die Zahl der Tiere und Organe, die genügend durchsichtig sind, um die vom Spiegel gesammelten Lichtstrahlen zum Objektiv und so zum Auge des Beschauers durchzulassen. Wenn also die beiden Bedingungen nicht erfüllt sind, müssen die Untersuchungsobjekte so weit unterteilt werden, bis sie zum Mikroskopieren geeignet sind. Häufig genügt es nach Entnahme eines Gewebstückes aus dem Organismus, dieses mit feinen Nadeln zu zerzupfen und es in diesem Zustand zu untersuchen. Hier wie in allen anderen Fällen ist es gebräuchlich, die Objekte auf Glasplatten von zirka 1 mm Dicke und meist 7 6 : 2 6 mm Seitenlänge, die man Objektträger nennt, zu legen. Nach Zusatz von Gewebsflüssigkeit, Wasser oder "sogenannter physiologischer Kochsalzlösung, die im Salzgehalt der Gewebsflüssigkeit entspricht, wird über das Objekt ein Deckglas gelegt, das äußerst dünn (0,1—0,2 mm) und kleiner als der Objektträger sein muß. Nur in Ausnahmefällen wird man sich mit der Untersuchung zerzupfter Gewebsteile (Zupfpräparate) begnügen, sondern die Gewebe in ihrer natürlichen Struktur beobachten und überdies die Präparate für längere Zeit konservieren wollen. Beide Bedingungen lassen sich nur dann erfüllen, wenn man die hochgradigen Veränderungen, die jedes Gewebe nach Entnahme aus dem Organismus erleidet, verhindert. Es gilt also vor allem die Zersetzungsvorgänge, die während und nach dem Absterben der Gewebe eintreten, hintanzuhalten. Dies geschieht durch die
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Fixierung
Fixierung. Man versteht unter diesem Ausdrude die Behandlung der Untersuchungsobjekte mit gewissen Flüssigkeiten; bei ihrer Wirkung spielt ihre Fähigkeit der Eiweißfällung die entscheidende Rolle. Von diesem Standpunkt aus gesehen darf kochendes Wasser als die primitivste Fixierungsflüssigkeit und das Garkochen von Fleisch oder das Hartsieden eines Eies können als allgemein bekannte Fixierungen angesprochen werden. Für mikroskopische Zwecke freilich möchte man sich dieser Methoden nur mit wenig erfreulichen Ergebnissen bedienen. Vielmehr ist besonderer Wert darauf zu legen, daß das Fixierungsmittel die im Leben vorhandenen Strukturen möglichst unverändert läßt. Sowohl Quellungen wie Schrumpfungen sollen weitgehend vermieden werden. Es gibt kein Fixierungsmittel, das diese Wünsche restlos befriedigen könnte. Das kann man schon aus der recht großen Zahl der im Gebrauch befindlichen Substanzen schließen. Nur einige wenige seien genannt, wie Alkohol, Formol, Chromsäure, Essigsäure, Pikrinsäure, Sublimat und verschiedenartige Gemische von diesen. J e nach der Art des zu untersudienden Gewebes, nach den Strukturen, die man besonders gut erhalten will, und anderen Gesichtspunkten muß die Wahl unter den Mitteln getroffen werden. Einwandfreie Ergebnisse können da nur auf Grund längerer Erfahrung erzielt werden. Die Einwirkung des Fixierungsmittels darf eine gewisse, für jedes Mittel verschiedene Zeitspanne nicht überschreiten, da sonst Zerstörungen der Gewebe um sich greifen. Mit Wasser oder Alkohol muß das Objekt daher nach der Fixierung ausgewaschen werden. Nun gilt es, das Objekt in feine Scheiben zu zerteilen, die unter dem Mikroskop, zwischen Objektträger und Deckglas einge-
Einbettung
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schlössen, betrachtet werden können. Je stärkere Vergrößerungen man anzuwenden gedenkt, desto dünner müssen die Scheiben, die Schnitte, wie die Mikrotechnik sich ausdrückt, sein. Früher wurden die Schnitte mit freier Hand mit einem Rasiermesser hergestellt; diese Methode ist, außer auf einigen Gebieten der Botanik, zugunsten der Schnittherstellung mit einem besonderen Apparat, dem Mikrotom, verlassen worden. Vor seiner Beschreibung sei aber zunächst der weitere Werdegang eines mikroskopischen Präparates verfolgt. Das fixierte und ausgewaschene Objekt ist zu weich und zu leicht zerreißbar, um in feine Schnitte, die nur wenige Tausendstelmillimeter dick zu sein haben, zerlegt zu werden. Es muß durch eine festere, aber doch leicht schneidbare Masse gestützt werden. Bei der Herstellung von Freihandschnitten mit dem Rasiermesser in der Botanik legt man das Objekt einfach zwischen zwei Streifen Holundermark, die dann mitgeschnitten werden. Für das Mikrotom reicht diese Hilfsmaßnahme nicht aus. Hier muß das Objekt gleichmäßig in allen Teilen von der stützenden Masse durchtränkt werden; eine äußere Stützung durch Holundermarkstücke wäre ungenügend. Als „Einbettmasse", wie man solche Substanzen nennt, dient vornehmlich Paraffin und Zelloidin, eine Kollodiummasse. Für Spezi alz wecke benützt man in seltenen Fällen auch Gelatine. Gerne wird auch eine Doppeleinbettung in Zelloidin und Paraffin vorgenommen. Im folgenden seien Sinn und Zweck der Einbettungsmanipulationen jedoch nur an der reinen Paraffin- und reinen Zelloidineinbettung erläutert. Es leuchtet ein, daß die Einbettmasse nur dann das Objekt völlig durchdringen kann, wenn dieses mit einer Substanz erfüllt N a r d i , Organismus.
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Einbettung
ist, die der Einbettmasse den Eintritt nidit verwehrt, sondern ein Lösungsmittel f ü r sie ist. Im Falle des Paraffins, auf das zunächst eingegangen sei, ist das Lösungsmittel Benzol und seine nächsten chemischen Verwandten, das Toluol und Xylol. Hier wie in der gesamten Mikrotechnik ist auf höchste chemische Reinheit aller verwendeten Substanzen besonderer Wert zu legen. Fügt man zu Benzol, Toluol oder Xylol Wasser hinzu, so tritt eine weißliche Trübung auf, die darauf beruht, daß diese Substanzen mit Wasser nicht mischbar sind. Dieselbe Trübung würde in den fixierten und ausgewaschenen, also mehr oder minder wasserhaltigen Objekten auftreten, wollte man sie ohne weiteres in Benzol, Toluol oder Xylol bringen. Es muß also eine völlige Entwässerung vorgenommen werden, und zwar mit einem Stoff, der seinerseits einwandfrei mit den drei Lösungsmitteln für Paraffin mischbar ist. Ein solcher Stoff ist der absolute Alkohol, der das Wasser aus dem Präparat in sich aufnimmt und nach mehrmaligem Erneuern es restlos beseitigt hat. Eine plötzliche Überführung des Objektes aus dem Wasser in absoluten Alkohol würde schwere Schrumpfungserscheinungen der Gewebe hervorrufen. Man geht daher in stufenweisen Konzentrationen bis zum absoluten Alkohol hinauf. Ist die Entwässerung auf diese Weise schonend erfolgt, so muß durch Benzol, Toluol oder Xylol der absolute Alkohol ebenfalls wieder restlos aus dem Präparat beseitigt werden, da bekanntlich Alkohol in höheren Konzentrationen die Gewebe hart macht, was für das Schneiden sehr unerwünscht wäre. Nun, nach Durchtränkung mit einem der Paraffinlösungsmittel, ist das Objekt bereit zur Einbettung, die durch Einlegen in flüssiges Paraffin erfolgt, wobei als erste Stufe noch ein Gemisch von flüssigem Paraffin + Lösungsmittel zur Vermeidung von Schrumpfungen und hierauf 2—3 Stufen reines Paraffin zur Beseitigung des Lösungsmittels eingeschaltet werden; denn audi dieses hat die unerwünschte härtende Eigenschaft. Paraffin ist bekanntlich bei Zimmertemperatur nicht flüssig. Die Einbettung muß daher in einem Wärmeschrank (Thermostat mit automatischer Temperaturregulierung) erfolgen. Es ist nur die gerade zur Verflüssigung nötige Temperatur einzuhalten, da höhere Temperaturen verhärtend und deformierend auf die Präparate wirken. Man wählt daher auch zweckmäßigerweise, wenn nicht besondere Gründe
Einbettung
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dagegen sprechen (z. B. hohe Außentemperatur in heißen Ländern), Paraffinsorten von niedrigem oder wenigstens mittlerem Schmelzpunkt. Ist das Präparat dann hinreichend mit Paraffin durchtränkt, wird es in einer kleinen Form samt Paraffin abgekühlt. So in einen Paraffinblock eingeschlossen und innerlich völlig von Paraffin durchsetzt ist es fertig für die Zerlegung in Schnitte, und zwar sind mit der Paraffineinbettung die feinsten Schnittstärken — bei sorgfältiger Behandlung bis herab zu 1 Tausendstelmillimeter — zu erreichen. Der Paraffinblock: mit dem darin eingeschlossenen Objekt schneidet sich wie Paraffin allein, vorausgesetzt daß das Präparat nicht durch falsche Behandlung härter als die Einbettmasse geworden ist, oder nicht schneidbare Teile, z. B. Knochen, enthält. Für Zelloidin ist das beste Lösungsmittel ein Gemisch aus gleichen Volumteilen reinen, wasserfreien Äthers und Alkohols. In diese Flüssigkeit kommen die Objekte, nachdem sie in gleicher Weise wie bei der Paraffineinbettung in steigenden Alkoholstufen entwässert worden sind. Aus dem Alkohol-Äthergemisch werden sie dann in Zelloidin steigender Konzentration übergeführt. Die höchste angewandte Konzentration von 8 % Zelloidin in Äther-Alkohol ist eine sirupartige zähe Flüssigkeit, die in dieser Form also keine schneidefähige Einbettmasse darstellt. Um zu einer solchen zu werden, wird eine passende Menge dieser Zelloidinlösung, in der das Präparat enthalten ist, gehärtet. Dies geschieht, indem man sie zirka 24 Stunden lang Alkoholdämpfen aussetzt. Dabei ist jeder Zutritt von Luft auszuschließen, da die in ihr enthaltene Feuchtigkeit milchige Trübungen des Zelloidins hervorruft. Hat das Zelloidin durch die Einwirkung der Alkoholdämpfe eine schneidbare Konsistenz erhalten, so wird der Block bis zum Schneiden in 80 proz. Alkohol aufbewahrt. Audi während des Schneidens ist er ständig mit Alkohol feuchtzuhalten, da andernfalls nach Verdunsten des Alkohols Trübung durch die Luftfeuchtigkeit eintritt. Dieses umständliche Verfahren läßt sich dadurch vermeiden, daß man den Zelloidinblodc nach der Härtung im Alkoholdampf mit einem nicht trocknenden ölgemisdi durchtränkt und so gegen die Luftfeuchtigkeit schützt (ölzelloidinmethode). Mit der Zelloidineinbettung kann man zwar nicht so feine Schnitte erzielen wie mit der Paraffineinbet3*
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Das Mikrotom
tung, doch ist es in vielen Fällen sehr erwünscht, die hohen Temperaturen der Paraffineinbettung zu umgehen, da sie besonders leicht Schrumpfungen zarter Gewebe erzeugen. Will man endlich für bestimmte Zwecke die Vorteile beider Einbettmethoden vereinigen, so kombiniert man die Zelloidin- mit einer nachfolgenden Paraffineinbettung. Der außer geringen Abwandlungen auf die oben dargestellte Art gewonnene Zelloidinblock mit dem Untersuchungsobjekt wird nach der Härtung einer Paraffineinbettung unterworfen, als wäre er das Präparat selbst. Die nun angewandten hohen Temperaturen können aber die zelloidindurchtränkten Gewebe nicht mehr in dem Maße beeinflussen, als wenn sie ohne die vorangehende Zelloidineinbettung in Paraffin eingeschlossen würden. Der mit Paraffin durchtränkte Zelloidinblock mit dem Präparat darin läßt sich ebenso in die dünnsten Schnitte bis herab zur Dicke von 1 Tausendstelmillimeter zerlegen wie ein gewöhnlicher Paraffinblock.
Nun ist das eingebettete Präparat fertig zum Schneiden auf dem „Mikrotom". Diese Schneidemaschine arbeitet nach demselben Prinzip wie die Maschinen zur Herstellung gleichmäßig dicken Aufschnittes von Wurstwaren. Hier wie dort wird ein Messer an dem zu schneidenden Gegenstand oder umgekehrt dieser an dem Messer entlanggezogen und nach jedem Schnitt das Objekt um einen bestimmten regulierbaren Betrag, die Schnittdicke, zum Messer hin weitergerückt. So schneidet das Messer jedesmal eine gleich dicke Scheibe des Gegenstandes ab. Das Mikrotom arbeitet natürlich unvergleichlich viel feiner als die Wurstschneidemaschine. Mittels einer auf einer Skala ablesbaren Mikrometerschraubeneinstellung kann das Objekt um kleinste Strecken bis herab zu einem Tausendstelmillimeter vorwärts bewegt werden. Es ist klar, daß bei Leistungen von solcher Feinheit das verwendete Messer sehr sorgfältig geschliffen sein muß, da schon geringste Unebenheiten der Schneide starke Zerreißung der Schnitte ver-
Weiterbehandlung der Präparate
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Ursachen. Es ist deshalb auch sehr darauf zu achten, daß nicht irgendwelche harten Teile im Objekt vorhanden sind (Knochen, Gewebsverhärtungen pathologischer Art oder auf falscher mikrotechnischer Vorbehandlung beruhend), die dem Messer weitgehende Verletzungen beizubringen imstande sind. Die Schnitte werden nun je nach Bedarf einzeln oder in Reihen auf einen Objektträger aufgetragen. Wer die Schnitte bereits in diesem Zustand im Mikroskop betrachtet, erlebt eine rechte Enttäuschung: sie sehen kraus und ungeordnet aus und lassen kaum die gröbsten Strukturen des Untersuchungsobjektes erkennen. Das hat seinen Grund darin, daß beim Schneiden diese feinen Scheibchen immer mehr oder weniger in sich zusammengefaltet werden, und zum anderen darin, daß der Schnitt ja nicht nur das Objekt, sondern auch die Einbettmasse enthält. Besitzt das Objekt nicht von Natur aus irgendwelche Farbstoffe, so ist es kaum von der Einbettmasse im Mikroskop zu unterscheiden. Man entfernt daher die Einibettmasse. Zu diesem Zweck wird der Objektträger mit dem Schnitt oder mit den Schnitten in eine die Einbettmasse auflösende Flüssigkeit gebracht: Paraffinschnitte in Xylol oder Benzol, Zelloidinschnitte in Äther-Alkohol. Nun sehen wir uns im Mikroskop den Erfolg dieser Maßnahme an, nachdem wir die Schnitte aus dem Lösungsmittel über verschiedene Alkoholkonzentrationen hindurchgeführt haben; dies ist nötig, um Trübungen des Xylols oder Benzols bzw. Verdunstung des Äther-Alkohols während des Beschauens der Schnitte zu vermeiden. Wir werden aber von dem Aussehen der Schnitte wiederum stark enttäuscht. Jetzt ist zwar nur mehr das Gewebe, aus dem das Objekt besteht, zu sehen, da die Einbettungsmasse verschwunden ist. Aber
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Weiterbehandlung der Präparate
die vom Schneiden herrührende Zusammenschiebung der Gewebe ist immer noch da und gibt ein völlig verzerrtes Bild von den Strukturen. Man hat also die Schnitte zu strecken. Dies geschieht bei Paraffin- und Paraffin-Zelloidinsdinitten in der Weise, daß sie auf den Objektträger mit reichlich Wasser, am besten unter Zusatz einer leicht verdampfenden Flüssigkeit, z. B. Azeton, aufgetragen werden. Bei leichtem Erwärmen des Objektträgers dehnt sich das Paraffin der auf dem Wasser frei schwimmenden Schnitte völlig aus und mit ihm das eingeschlossene Gewebe. Peinlichst ist die Anwendung zu hoher Temperaturen zu vermeiden, da sonst Hitzeveränderungen der dünnen Gewebslamellen eintreten. Zelloidinschnitte brauchen nicht gestreckt zu werden; sie legen sich, in Alkohol gebracht, auf der Flüssigkeitsoberfläche schwimmend von selbst glatt. Entfernt man nun erst nach der Streckung die Einbettmasse und sieht sich jetzt das Ergebnis unter dem Mikroskop an, so ist es schon wesentlich erfreulicher. Die Gewebe liegen glatt vor unseren Blicken, alle gröberen Strukturen sind zu erkennen. Auf Einzelheiten müssen wir jedoch nach wie vor verzichten; denn der ganze Schnitt ist je nach dem natürlichen Gehalt an Farbstoffen und je nach der angewandten Fixierung, die vielleicht einen gelblichen Farbton hinterläßt, gleichmäßig weißlich-grau bis wachsgelb getönt. Für die Histologie oder Gewebelehre war es daher von größter Bedeutung, daß Farbstoffe gefunden wurden, die die Bestandteile der Gewebe und Zellen elektiv färben, d. h. von diesen Bestandteilen mit verschiedener Intensität aufgenommen und festgehalten werden. Man unterscheidet nach ihrer chemischen Natur sauere und basische Farbstoffe, nach ihren färberischen
Mikroskopische Färbungen Eigenschaften
Kernfarbstoffe, Plasmafarbstoffe
39 usw.
Es
gibt heute, nachdem zu den natürlichen Farben die synthetisch
gewonnenen
getreten
sind, eine U n z a h l
histo-
logischer Färbeverfahren, die alle mehr oder minder eng umschriebenen Zwecken, der Darstellung u n d
Verdeut-
lichung bestimmter Gewebs- und Zellstrukturen dienen. N u r um ganz allgemein die Grundlagen der histologischen Färbetechnik darzustellen, seien einige besonders gebräuchliche näher erläutert. Ein verhältnismäßig einfaches Verfahren ist die Boraxkarminfärbung. Sie kann sowohl bei kleinen Objekten, die im ganzen im Mikroskop besichtigt werden können, als auch für Schnitte angewandt werden. Aber auch im letztgenannten Fall färbt man zweckmäßiger das Objekt schon vor der Einbettung und somit vor dem Schneiden (Stüdefärbung), obwohl an sich auch die Färbung der auf dem Objektträger aufgelegten und gestredeten Schnitte möglich ist. Zur Färbung in Boraxkarmin bringt man das gut von Fixierungsmitteln befreite Objekt aus Wasser und 70proz. Alkohol in die alkoholische karminrote Farblösung und beläßt es dort so lange, bis es eine tiefrote Farbe angenommen hat. Mit dem einheitlichen roten Farbton wäre zur Verdeutlichung der Strukturen gar nichts erreicht. Man „differenziert" daher das Objekt in Alkohol, dem etwas Salzsäure zugesetzt ist. Hierdurch wird den Geweben der Farbstoff zu einem großen Teil wieder entzogen, die Zellkerne jedoch halten ihn fast unvermindert fest. In den blaßrosa Zelleibem sind daher im Mikroskop nunmehr klar die dunkelroten Kerne zu sehen und der zellige Aufbau der Gewebe somit deutlich gemacht. Bei kleinen Objekten ist dieses Ergebnis gleich unter dem Mikroskop zu erkennen, bei größeren Stücken, die geschnitten werden müssen, ist das gefärbte Objekt in der üblichen Weise der Einbettung und dem Schneiden zu unterwerfen, worauf die Schnitte untersucht werden können. Von den kombinierten Färbungen ist die Hämalaun-Eosinfärbung die gebräuchlichste. Die Hämatoxyline — es gibt deren mehrere — sind tief dunkelblaue Farbstoffe, die aus dem Blau-
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Mikroskopische Färbungen
holz, einem tropischen Farbholz, gewonnen werden. Sie sind Kernfarben. Am reinsten auf die Kerne allein beschränkt sich das Hämalaun, eine Alaunlösung von Hämatoxylin. In diese Farbe werden die Schnitte, nachdem man sie, wie oben beschrieben, von der Einbettmasse befreit und über sinkende Alkoholstufen in Wasser gebracht, eingelegt. Nach etwa 5 Minuten ist die Färbung beendet. Die Schnitte zeigen jetzt eine sdimutzig-rotblaue Tönung. In fließendem Brunnenwasser sdilägt durch dessen alkalische Reaktion die Farbe in reines tiefes Dunkelblau um, das nur die Zellkerne und Knorpelgewebe betrifft. Alle übrigen Gewebe sind ungefärbt oder nur ganz leicht graublau überhaucht. Um auch sie deutlich gefärbt hervortreten zu lassen, behandelt man die Schnitte mit einer Plasmafarbe, d. h. also einer Farbe, die nur das Zellprotoplasma und die Zwischenzellsubstanzen färbt. Diese „Gegenfärbung" wird besonders häufig mit Eosin oder Erythrosin, leuchtend roten Farbstoffen, durchgeführt. Hierzu kommen die mit Hämalaun gefärbten und in Brunnenwasser gründlich gespülten Schnitte in die Eosin- oder Erythrosinlösung, verbleiben dort einige Minuten und werden durch mehrmaliges Eintauchen in destilliertes Wasser von der überschüssigen Farbe befreit. Die Färbung ist beendet. Ein gefärbter Schnitt in diesem Zustand würde in sehr kurzer Zeit an der Luft eintrocknen und als bröckelige Masse, die keinerlei natürliche Gewehsstrukturen mehr erkennen läßt, vom Objektträger abfallen. Er muß daher in ein konservierendes Medium eingeschlossen werden. Hierzu verwendet man Kanadabalsam, ein zähflüssiges, durchsichtiges Harz, das annähernd die gleichen lichtbrechenden Eigenschaften wie Glas besitzt und deshalb in der Optik, z. B. zum Zusammenkitten von Linsen, vielfache Verwendung findet. Da Kanadabalsam mit Wasser Trübungen gibt, müssen die nach der Färbung in Wasser gelegten Schnitte über steigende Alkoholkonzentrationen — dies immer aus demselben Grunde, um Schrumpfungen zu vermeiden — in Xylol übergeführt werden. Dann wird auf
Konservierung der Präparate
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den Objektträger mit dem Schnitt oder mit einer Serie von aufeinanderfolgenden Schnitten eine passende Menge Kanadabalsam getropft und hierauf vorsichtig, unter Vermeidung von Luftblasenbildung, die die mikroskopische Betrachtung sehr stören würde, ein Dedkglas darüber gelegt. Der Kanadabalsam verteilt sich zwischen Objektträger und Deckglas gleichmäßig und wird allmählich durch Verdunsten seines Lösungsmittels Xylol ganz fest. Er bildet so einen wirksamen Schutz für die Objekte, die natürlich nicht nur Schnitte zu sein brauchen, sondern auch kleine ungeschnittene Tiere oder Organstücke sein können. Da er außerdem in die Objekte, die zuletzt mit Xylol durchtränkt wurden, allseits gleichmäßig eindringt, verursacht er durch seine optischen Eigenschaften auch ihre sogenannte Aufhellung, d. h. ein gewisses weiteres Durchsichtigwerden, was für die Besichtigung unter dem Mikroskop von großem Vorteil ist. So behandelte mikroskopische Präparate lassen sich jahrzehntelang unverändert aufbewahren. Es ist nur darauf zu achten, daß der Kanadabalsam eine neutrale Reaktion zeigt, damit er nicht durch Säuregehalt ungünstig auf die Färbungen, die häufig säureempfindlich sind, einwirkt. Ferner sind Präparate, die mit lichtempfindlichen Farbstoffen behandelt wurden, selbstverständlich nur für die unumgänglich zur Beobachtung nötige Zeit dem Licht auszusetzen, sonst aber seiner Einwirkung sorgfältigst zu entziehen. Es kam mir hier nur darauf an, an einigen besonders häufig geübten Verfahren die Grundzüge der Herstellung mikroskopischer Präparate zu erläutern. Auf die kaum übersehbare Zahl der Spezialmethoden zur elektiven, d. h. ausschließlichen färberischen Darstellung bestimmter, in den Geweben enthaltener Substanzen oder Strukturen,
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Imprägnation
z. B. färberischen Nachweis von Fett, Pigmenten usw., die Hervorhebung von Nerven-, Binde- und Knorpelgewebe durch Farben, um nur einige Andeutungen ziu machen, kann hier nicht eingegangen werden. Die Mikrotechnik hat sich zu einem eigenen Wissenschaftszweig entwickelt, der mehrbändige Handbücher und • selbständige Fachblätter erfordert. Hier müssen noch zwei Methoden herausgegriffen werden, die nicht auf der eben beschriebenen Linie liegen. Die eine ist die sogenannte Imprägnationsmethode. M i t ihr werden Gewebsstrukturen nicht durch Anfärben, sondern, wie der Name zum Ausdruck bringt, durch Imprägnation mit Metallsalzen zur Darstellung gebracht. Die äußerst komplizierten Vorgänge können nicht wiedergegeben werden. Das Prinzip besteht darin, daß aus den Metallsalzlösungen — Gold- und Silbersalze werden bevorzugt verwendet — Metallniederschläge an bestimmten Gewebsstrukturen auftreten. Eine hervorragende Bedeutung haben die Imprägnationsmethoden bei der histologischen Durchforschung des Aufbaues des Nervengewebes gefunden. Das zweite mikrotechnische Verfahren, das mir hier noch erwähnenswert erscheint, ist die Methode der Rekonstruktion. W i l l man sich von der Struktur eines Organes in all seinen Teilen einen Überblick verschaffen, so stellt man eine lückenlose Serie von Schnitten durch dieses Organ her, ordnet sie in einer festgesetzten Reihenfolge auf mehreren Objektträgern an und mustert diese Schnittserie dann systematisch durch. Um jedoch ein plastisches Bild zu erhalten, geht man so vor, daß man die Einzelheiten jedes Schnittes genauestens zeichnerisch festhält und die so gewonnenen, sämtliche in derselben Vergröße-
Rekonstruktion
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rutig wiedergegebenen Zeichnungen aller Schnitte auf Wachsplatten überträgt, deren Dicke im selben Vergrößerungsmaßstab die Schnittdicke repräsentiert. Setzt man die Wachsplatten in der richtigen Reihenfolge aufeinander, so erhält man ein naturgetreues vergrößertes Modell des in Schnitte zerlegten Objektes. Auf je nach Bedarf durch das Modell gelegten Schnittebenen kann man sich über die in dem Organ vorhandenen, häufig sehr komplizierten Verhältnisse von Hohlräumen, Kanälen, Blutgefäßverlauf, Nervenbahnen usw. unterrichten. Voraussetzung ist eine sehr genaue Fixierung und Weiterbehandlung des Präparates, damit durdi Schrumpfungen keine Verzerrung erfolgt; ferner müssen die Schnittserien nicht nur lückenlos sein, sondern auch aus völlig parallel geführten Schnitten bestehen; und schließlich ist auf eine gleichmäßige Streckung aller Schnitte größter Wert zu legen, da von verschieden stark gestreckten Schnitten selbstverständlich keine einwandfreie Wiedergabe der tatsächlichen Raumverhältnisse des Objektes zu erwarten ist. Ehe ich nun das Gebiet der histologischen Technik endgültig verlasse, sind noch einige Worte zu der Frage angebracht, wieweit überhaupt durch die mikrotechnischen Methoden ein Einblick in die wirklich vorhandenen Formen und Strukturen der Organe, Gewebe und Zellen zu gewinnen ist. Man muß sich ja immer vor Augen halten, daß das Untersuchungsobjekt vom lebenden Zustand bis zum Zeitpunkt der Beobachtung im Mikroskop eine Reihe tiefer Eingriffe chemischer und medianischer Art erleidet. Es mußte schon oben darauf hingewiesen werden, daß es kein Fixierungsmittel gibt, das Quellungs- oder Sdirumpfungsvorgänge ganz vermeidet; vor allem wind aber auch das schonendste Hinaufführen der Objekte in der Alkohol-
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Beurteilung der Präparate
reihe mit noch so vielen dazwischengesdialteten Konzentrationsstufen immer gewisse Schrumpfungen nach sich ziehen. Abgesehen von diesen Vorgängen sind aber mit dem Wesen der Fixierung noch andere tiefergehende Veränderungen verbunden, die Eiweißfällungen. Die fixierte Zelle ist immer eine Leiche, ein Kunstprodukt. Zahlreiche Untersuchungen legen die Annahme nahe, daß ein großer Teil der im Mikroskop sichtbaren Strukturen, wie Körner, Fäden, erst bei der Gerinnung der im Leben flüssigen und gleichmäßig verteilten Substanzen entsteht. Auch bei der Färbung können noch weitere künstliche Bildungen hinzutreten. Die Färbungsergebnisse sind überdies insofern vorsichtig auszuwerten, als aus dem gleichen färberischen Verhalten zweier Gewebe nicht auf ihre Gleichheit in allen übrigen Eigenschaften im lebenden Zustand geschlossen werden darf. Der umgekehrte Schluß, daß Gewebe, die sich bei gleicher Behandlung und gleichen Bedingungen verschieden färben, verschieden sind, ist dagegen eher zulässig. Trotz aller Mahnungen zur Vorsicht wäre es unangebracht, die Zulässigkeit, aus 'den mikroskopischen Präparaten auf die lebenden Gewebe zu schließen, zu verneinen. Wenn in verschieden gefärbten und behandelten Präparaten immer wieder dieselben konstanten Bestandteile und Strukturen erkennbar sind, kann mit gutem Recht angenommen werden, daß es sich nicht um Kunstprodukte handelt. Ferner ist es zweifellos statthaft, z. B. bei der Untersuchung eines Organes in verschiedenen Perioden seiner Funktion oder seiner Entwicklung, in den immer mit den gleichen mikrotedhnischen Methoden behandelten Proben sidi zeigende Veränderungen als Abbilder tatsächlich abgelaufener Vorgänge in diesem Organ anzusehen. Recht beruhigende Belege dafür, daß wir uns mit einem
Vital färbung
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solchen Vorgehen auf dem richtigen Weg befinden, liefern uns aber immer wieder Vergleichsbeobachtungen des lebenden Präparates oder, vorsiditiger gesagt, des überlebenden Präparates, d. h. frisch entnommener kleiner Gewebsteile, die dem kundigen Auge bei geeigneten Beleuchtungsmaßnahmen (Abbiendung, Dunkelfeldbeleuchtung u. ä.) zeigen, welche Strukturen tatsächlich auch im Leben ohne Fixierung und Färbung vorhanden sind. Gewiß ist diese Untersuchungsmöglichkeit nur bei einem geringen Teil von Objekten gegeben, sie genügt aber, um wenigstens wichtigere Bestandteile lebender Gewebe und Zellen zu demonstrieren. Auf diese Weise wurde z. B. die reale Existenz der Chromosomen, der heute allgemein bekannten Träger der Erbmasse im Zellkern, nachgewiesen, nachdem sie lange Zeit von verschiedenen Seiten als Kunstprodukte der Mikrotechnik angesprochen worden waren. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Feststellung wirklich vorhandener Strukturen der Organismen wie auch für die Identifizierung bestimmter Gewebs- oder Zellsorten im Organverbande ist die Vitalfärbung. Es ist dies, wie der Name sagt, eine Färbung am lebenden Organismus. Sie wird vorgenommen, indem man Zellen, einzellige Tiere oder solche von sehr geringer Größe als ganzes in die Farblösungen setzt oder bei größeren Tieren die Farbe injiziert, mit dem Futter aufnehmen läßt oder durch die Haut einreibt. Die VitalfarbstofTe, wie Trypanblau, Lithiumkarmin, Neutralrot, Nilblausulfat, Methylenblau, haben die Eigenschaft, im lebenden Organismus Färbungen zu erzeugen, ohne sichtbaren Schaden mit sich zu bringen. In besonders günstigen Fällen läßt sich sogar eine elektive Färbung auf diese Weise erzielen, indem im lebenden Organismus dann nur ein bestimmtes Organ oder
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Vitalfärbung
Gewebe, inmitten der übrigen ungefärbt verbleibenden, den Farbstoff in sich aufnimmt. In der modernen Zellphysiologie — das sei nur noch am Rande bemerkt — spielt die Vitalfärbung eine große Rolle, da aus der elektiven Speicherung dieser oder jener Vitalfarbe, oder aus den Farbveränderungen, die manche Vitalfarbstoffe bei bestimmten chemischen Prozessen erleiden, wichtige Schlüsse auf die chemisch-physikalischen Eigenschaften der Zelle gezogen werden können. Nicht minder wertvoll ist die Vitalfärbung auf dem Gebiete, dem dieses Buch in besonderem Maße gewidmet ist: in der Entwicklungsphysiologie; zur Verdeutlichung komplizierter Gestaltungsvorgänge mit Faltungs-, Einstülpungs-, Verschiebungsbewegungen von Gewebsschichten und -bezirken leistet die Vitalfärbung unschätzbare Dienste, indem sie ohne Schädigung des Organismus die Farbmarkierung gewisser Fixpunkte ermöglicht, die sich dann bei den Umgruppierungen im Verlauf der Entwicklung ausgezeichnet verfolgen lassen. Mit der Beschreibung der Methode der Vitalfärbung bin ich unmerklich aus den Gebieten der beschreibenden Morphologie in die der experimentellen Morphologie hinübergewechselt. Selbstverständlich wird auch dieser jüngere Zweig der „Lehre von der Gestalt" sich der bisher erläuterten Verfahren bedienen. Denn auch sie hat die Ergebnisse ihrer Experimente von Stadium zu Stadium zu untersuchen. Sie hat in diesen Augenblicken nichts anderes zu tun als ihre ältere Schwesterdisziplin: genau und selbstkritisch zu registrieren, zu beschreiben. Sie beschreibt aber nicht bloß das ihr von der Natur gelieferte Material, sondern das Material, das sie nach bestimmten Gesichtspunkten Eingriffen in die normale Gestaltbildung unterworfen hat, um aus den Reaktionen des Organismus zu schließen
Experimentelle Methoden
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auf die Wege und Kräfte, mit denen er normalerweise sich formt. Zu diesen Methoden, die die experimentelle Morphologie mit der deskriptiven aus inneren Notwendigkeiten heraus gemeinsam hat, kommen hier noch die spezifisch experimentellen Methoden. Viele von ihnen wurden von der Physiologie her entwickelt, da sie als die Lehre von den Funktionen die älteste der experimentellen biologischen Disziplinen ist. Ein größerer Teil der Verfahren der experimentellen Morphologie ist jedoch ihren besonderen Erfordernissen, nicht Funktions-, sondern Gestaltungsabläufe zu erklären, entsprungen. Diese Methoden sind spezifisch für die Entwicklungsphysiologie, gehören mit zu ihrem Wesen. Sie sollen nun in ihren Grundzügen kurz dargestellt werden. Um erkennen zu können, wo und in welcher Weise die Kräfte lokalisiert sind oder wirksam werden, die im Gefüge eines sich entwickelnden Organismus die Gestalt herausformen, muß man das Gefüge stören, sei es durch Wegnahme oder Verlagerung von Teilen. Die Entfernung oder Exstirpation geschieht durch Herausschneiden oder Zerstörung mittels Hitze. Die zweite Methode, die Thermokauterisation, wird auch viel in der Chirurgie angewandt; an Stelle des Messers wird eine durch elektrischen Strom zum Glühen gebrachte Nadel in das Gewebe eingeführt; man kann so einen Schnitt führen oder auch kleine Gewebebezirke ausbrennen, ohne sie eigentlich wegzunehmen. Meist wird jedoch die Exstirpation mit kalten, schneidenden Instrumenten vorgenommen. Sie sind so vielfältig, wie dies den zahlreichen besonderen Umständen und Zwecken entspricht, gestaltet. Allein aus der menschlichen Chirurgie ist ja eine Fülle der verschiedenen Instrumente bekannt, die auch für die Operationen an
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Experimentelle Methoden
Säugetieren Verwendung finden. Für kleinere Tiere, wie Frösche, Fische, Schnecken usw., genügt es, dieselben Instrumente in etwas feinerer Form herzustellen oder jene heranzuziehen, die beim Menschen und Säuger nur zu subtilen Eingriffen, Augenoperationen z. B., dienen. Anders wird dies aber, wenn wir in die kleineren Dimensionen der Tierwelt vorstoßen und Teile von fast mikroskopisch kleinen Lebewesen oder von Eizellen wegnehmen wollen. Bei kleineren Larven, Würmern u. ä. von einigen Millimeter Ausdehnung lassen sich immer noch die feinsten Augenmesser (für Staroperationen usw.) oder zu Messerchen zugeschliffene Nadeln verwenden. Für die Operationen an Embryonen und Eizellen (von Amphibien, Seeigeln u. a.) wurde jedoch ein spezielles Instrumentarium entwickelt, das auch heute noch immer weiter vervollkommnet wird. Es besteht im wesentlichen aus verschiedenst geformten, als Schneidewerkzeug, Haken usw. fungierenden Glasnadeln, die der Operateur, dem jeweiligen Augenblicksbedarf direkt angepaßt, sich selbst mit einem feinen Bunsenbrenner, dem Mikrobrenner, herstellt. Mit Hilfe derselben Instrumente, die bei der Wegnahme von Teilen eines Organismus Verwendung finden, wird auch die Verlagerung von Teilen vorgenommen. Man Unterscheidet bei der Verlagerung oder Transplantation, d. h. Pfropfung, Überpflanzung, zwischen gestielten und freien Transplantationen. Bei der erstgenannten Methode wird das Pfropfstück oder Transplanat durch eine schmale Gewebsbrüdce, den Stiel, in Verbindung mit seinem alten Standort belassen; bei der freien Transplantation wird es völlig abgelöst und anderswo eingepflanzt oder implantiert. Wird das Pfropfstück am selben Individuum nur aus einer Körperregion in eine andere oder am selben Platz irgend-
Transplantationen
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wie verdreht eingepflanzt, so bezeichnet man dies als autoplastische Transplantation (eigengewebliche Überpflanzung) . Bei Pfropfung von einem Tier auf ein anderes derselben Art handelt es sich um eine homoioplastisdie (gleichgewebliche), bei Verpflanzung auf ein Tier einer anderen Art um eine heteroplastische (verschiedengeweblidie), und auf ein Tier einer anderen Gattung, z. B. vom Frosch auf einen Salamander, um eine xenoplastische Transplantation (fremdgewebliche Überpflanzung). Es gibt noch verschiedene weitere technische Ausdrüdce zur kurzen Charakterisierung der vor sidi gegangenen Gewebsverlagerungen, die hier nicht alle genannt werden sollen. Erwähnenswert ist noch die Bezeichnung homoiopolare und heteropolare Transplantation (gleichpolige und verschiedenpolige Überpflanzung), die aussagt, ob Transplantat und Trägerorganismus in bezug auf die Körperachsen (vorn—hinten, oben—unten, links—rechts) gleichgerichtet bzw. entgegengerichtet sind. Ferner ist noch anzuführen, daß der Organismus, von dem das Transplantat genommen wird, kurz „Spender", der das Transplantat aufnehmende „Wirt" genannt wird. Die Verlagerung von Teilen eines Organismus braucht aber nicht nur darin zu bestehen, daß man das aus seiner normalen Umgebung gelöste Stüde in einen neuen Zusammenhang mit Geweben des eigenen oder eines fremden Individuums bringt. Viele Ergebnisse von größter Bedeutung wurden durch die weitere Methode gewonnen, durch die das abgelöste Stück den Einflüssen seines oder eines anderen Organismus ganz entzogen wird. Die „Auspflanzung" oder Explantation wird so vorgenommen, .daß man den dem Spender entnommenen Teil in einen Körperhohlraum einbringt, von dem anzunehmen ist, daß er keine N a r d i , Organismus.
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Explantation
oder zumindest keine wesentlichen formbildenden Wirkungen ausübt. Solche Hohlräume sind z. B. die Bauchhöhle oder die Augenhöhle von Säugetieren. Man ist jedoch bei diesem Vorgehen nie ganz sicher, ob nicht doch der Wirt irgendwie unkontrollierbare Einflüsse geltend macht, die besonders in Versuchsreihen, wo es sich um mehrere Wirte, wenn auch der gleichen Art, aber immerhin verschiedener Individualität handelt, die Ergebnisse verfälschen können. Es war daher ein entscheidender Fortschritt, daß verschiedene Forscher, vor allem Harrison, Carrel und A. Fischer, die Methode der Gewebszüchtung schufen und ausbauten. Hier wird der dem Organismus entnommene Teil in einem geeigneten Kulturmedium am Leben erhalten. Da diese Gewebskultur in Glasbehältern vor sich geht, spricht man auch von der Kultur von Geweben „in vitro", d. h. „im Glas", und setzt dem Verhalten der Gewebe „in vitro" häufig kurz und prägnant das der Gewebe im normalen Organzusammenhang oder „in vivo", d. h. „im Lebenden" gegenüber. Die Methode der Gewebszüchtung ist heute so durchgearbeitet, daß ihre nähere Beschreibung uns viel zu weit führen würde. Es sei nur kurz erwähnt, daß das Züchtungsmittel, das den kultivierten Gewebszellen als Nahrung und gleichzeitig als Stützmasse bei ihrem Wachstum dient, aus geronnenem Blutplasma unter Zusatz von Embryonalextrakt (gewonnen aus Hühnerembryonen) besteht. Bei der Explantation wie auch bei der Transplantation und häufig auch bei der Exstirpation ist auf Sterilität der verwendeten Instrumente, Gefäße und Flüssigkeiten zu achten, da sonst durch Bakterienwachstum und Wundinfektion der Tod der Versuchstiere herbeigeführt wird. Nicht unerwähnt bleibe, daß selbstverständlich zur Vor-
Narkose
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nähme aller operativen Eingriffe die Tiere zu narkotisieren sind. Dies ist neben dem ethischen Gesichtspunkt auch eine technische Notwendigkeit, da sich das zu operierende Tier ja unbeweglich verhalten muß. Eier und bewegungslose Embryonen benötigen natürlich keine Narkose. Je nach der Art der Tiere werden die verschiedensten Narkotika, Chloroform, Äther, Urethan usw., verwendet. Strenggenommen gehören zu den biologischen Arbeitsmethoden nicht nur die Verfahren zum Ansetzen und zur Durchführung eines Experimentes, sondern auch die der Auswertung der Versuchsergebnisse, wie Aufstellung von Statistiken, richtige Protokollführung, Abfassung des wissenschaftlichen Manuskriptes usw. Da sie jedoch nur wenig oder gar nicht spezifisch für das biologische Arbeiten sind, erst recht nicht sich auf das in diesem Buch zu behandelnde Gebiet der deskriptiven und experimentellen Morphologie beschränken, sondern für jede einwandfreie wissenschaftliche Forschungstätigkeit Geltung haben, will ich sie hier nicht weiter als hinweisend erwähnen und dieses Kapitel auf den eingangs umrissenen Rahmen beschränkt lassen, nämlich jene Methoden skizziert zu haben, die wesenhaft mit dem Thema dieses Buches verbunden sind.
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III. DAS WERDEN DER GESTALT IM INDIVIDUELLEN LEBEN Der aufmerksame Naturbeobaditer hat täglich das Werden der Gestalt bei Lebewesen vor Augen. Der Körperbau unserer Kinder wandelt sich schrittweise zur Gestalt des Erwachsenen, aus Eiern — verschiedenartig nach Größe, Form, innerer Struktur, Gehalt an Nährstoffen und Hilfsvorrichtungen, aber alle sich gleichend in ihrem wesentlichsten Punkte : einem formlosen Klümpchen Protoplasma — sehen wir neue Tiere entstehen. Jedes Individuum, Mensch oder Tier, hat eine solche Entwicklungsgeschichte seines Daseins. Ihr Ablauf ist immer von neuem, sooft wir ihn audi beobachten, ein kleines Wunder. Verständlich, daß der nach Erkenntnissen strebende Geist des Menschen das „Warum" dieses Wunders, zu ergründen sucht. Vor einer fruchtbaren Untersuchung der Ursachen und Kräfte, die beim Werden eines Organismus wirksam sind, muß aber die sorgfältige Klärung des „Wie" dieses Vorganges stehen, eine leidenschaftslose, durch keine vorgefaßte Meinung getrübte Konstatierung all seiner einzelnen Phasen. D i e b e s c h r e i b e n d e E m b r y o l o g i e ist d i e s e „Geschichtsschreibung" d e r i n d i v i d u ellen Gestaltbildung. A. B e s c h r e i b e n d e E m b r y o l o g i e Die Embryologie ist die Wissenschaft von den Embryonen, den von den Eihüllen umschlossenen Entwidc-
Definition der Embryologie
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lungsstadien der Organismen. Sie beschäftigt sich also mit der Entwicklung des Organismus von der Keimzelle bis zum erwachsenen Zustand, einem Geschehen, das man als Keimesentwicklung oder Ontogenie des Einzelwesens der Stammesentwicklung oder Phylogenie der Organismenformen systematischer Gruppen gegenüberstellt. Die Ontogenie geht, strenggenommen, über den Begriff der Embryologie hinaus, insofern viele Organismen keineswegs nach dem Ausschlüpfen aus den Eihüllen, d. h. also nach Beendigung ihres Embryozustandes, ihre Entwicklung abgeschlossen haben; hier folgt demnach noch ein Abschnitt postembryonaler Entwicklung, der in des Wortes engerem Sinne mithin nicht dem Gebiete der Embryologie angehören würde. Doch ist die Handhabung der Begriffe hier nicht so streng. Man versteht allgemein unter Embryologie die Behandlung der gesamten Geschehnisse der Ontogenie, und zwar in einem rein beschreibenden Sinne. Die experimentelle Embryologie, die ein Teilgebiet der Entwicklungsphysiologie oder Entwicklungsmechanik ist, wird Gegenstand späterer Abschnitte dieses Buches sein. Im allgemeinen ist es geläufig, daß ein Lebewesen aus der Vereinigung einer weiblichen Keimzelle, des Eies, mit einer männlichen Keimzelle, dem Samenfaden oder Spermatozoon, entsteht. Diese geschlechtliche Fortpflanzung oder Amphigonie (dieses W o r t will besagen: Zeugung aus Zweien) ist aber nicht im ganzen Tierreich verbreitet, wenngleich sie für seinen größten Teil gilt. Bei den Protozoen, den einzelligen Tieren, und den niederen Metazoen, den unteren Stämmen der vielzelligen Tiere, ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung oder Monogonie (Zeugung aus Einem) die dominierende Art der Vermehrung. Bei den Protozoen geht sie als Zellteilung der einzigen, den
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Fortpflanzung
Körper konstituierenden Zelle vor sich; bei den Würmern erfolgt eine Abschnürung des Körpers in mehrere Teile, von denen jeder die ihm fehlenden Organe (Kopf, Darmabschnitte usw.) neu bilden muß. Endlich bei den Zölenteraten oder Hohltieren, zu denen unser Süßwasserpolyp Hydra und die Seeanemonen und Korallen zählen, besteht die ungeschlechtliche Fortpflanzung in einer pflanzenartigen Knospung. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung beruht, wie schon ihr Name sagt, nicht auf besonderen Keimzellen, sondern ist eine Leistung der Gewebe des Elterntieres selbst. Hierdurch sowie durch die Ergänzung der Teilprodukte zu ganzen Tieren — ich erinnere an das, was ich eben über die Würmer sagte — steht die ungeschlechtliche Fortpflanzung in einem engen Verhältnis zur Regeneration, d. h. der Neubildung verlorengegangener Körperteile. Diese interessante Fähigkeit der Organismen wird eingehend in den Kapiteln über die experimentelle Morphologie behandelt werden. Wenden wir uns nun wieder der weit mehr verbreiteten und bei den höheren Tieren ausschließlich herrschenden geschlechtlichen Fortpflanzung zu. Sie hat mit der ungeschlechtlichen den Umstand gemeinsam, daß das neue Lebewesen von Eltern abstammt. Freilich ist es bei der ungeschlechtlichen Vermehrung nur ein Elterntier, und bei der geschlechtlichen sind es gemeinhin zwei Individuen, ein männliches und ein weibliches. Doch kennen wir auch eine gar nicht geringe Anzahl von Fällen — besonders die Insekten, Krebse und manche Würmer stellen hierzu ein großes Kontingent —, in denen die weibliche Keimzelle ohne Befruchtung durch eine männliche einen Embryo liefert. Diesen eigenartigen Vorgang bezeichnet man als Jungfernzeugung oder Parthenogenesis. Ist hier dann auch
Urzeugung
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nur ein Elterntier vorhanden, wie bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, so schließt sich die Parthenogenese doch engstens der normalen zweigeschlechtlichen Vermehrung an, als sie ihren Ausgangspunkt von einem Ei nimmt und eine Embryogenese, das Werden eines Embryo, zur Folge hat. Worauf ich aber zu Anfang dieses Abschnittes Wert legte, war die Tatsache, daß immer und überall, wo wir neue Lebewesen entstehen sehen, seien es Tiere oder Pflanzen, gehe die Vermehrung auf geschlechtlichem oder ungeschlechtlichem Wege vor sich, Elternindividuen vorhanden sind. Der berühmte englische Forscher William Harvey prägte das Wort: omne vivum ex ovo, d. h. alles Lebendige stammt aus dem Ei. Wir begreifen die ungeschlechtliche Vermehrung mit ein und sagen: omne vivum ex vivo, d. h. alles Lebendige aus Lebendigem. Für uns drückt dieser Satz eine Selbstverständlichkeit aus. Das war jedoch nicht immer so. Frühere Generationen von Naturforschem, unter ihnen Aristoteles, der in anderen Beziehungen oft mit seinen Anschauungen weit seiner Zeit vorauseilte, hielten die Entstehung von Organismen aus lebloser Materie für möglich. Die Beobachtung, daß aus Heu, das mit Wasser aufgegossen wird, ein Gewimmel von Protozoen entsteht, legte eine Annahme der Urzeugung oder Generatio spontonea audi sehr nahe, solange die mikroskopischen Hilfsmittel nicht die Erkenntnis zuließen, daß leblos erscheinende Ruhestadien dieser Protozoen im Heu vorhanden sind, aus denen die beweglichen Stadien bei Zugabe von Wasser ausschlüpfen. Unverständlich erscheint es aber, daß man an eine Urzeugung •sogar von so hoch organisierten Tieren, wie Mäusen aus schmutziger Wäsche usw., glaubte. Schon im 17. und 18. Jahrhundert traten aber Forsdier gegen diese abenteuer-
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Keimzellen
liehen Vorstellungen auf, bis schließlich die eingehende Naturbetraditung den Beweis für die absolute Richtigkeit des Satzes erbrachte, daß alles Lebendige vom Lebendigen herkommt. Wir können uns aber nicht verhehlen, daß sich diese Richtigkeit nur auf den gegenwärtigen, d. h. auf den für das Menschengeschlecht überschaubaren Zustand der Natur beziehen kann. Z w e i f e l l o s m u ß e i n m a l irgendwann das Leben aus lebloser Materie e n t s t a n d e n sein. W a n n u n d w i e d a s e r f o l g t e , d a f ü r b e s i t z e n wir jedoch k e i n e r l e i A n h a l t s p u n k t e . W i r m ü s s e n d i e s e n V o r g a n g als l o g i sches P o s t u l a t b e s t e h e n l a s s e n , o h n e i h n a u f k l ä r e n z u k ö n n e n , v o r e r s t o d e r f ü r i m m e r . Darüber urteilen kann die Wissenschaft erst dann, wenn sie die Grenze zwischen toter und lebender Substanz eindeutig in wissenschaftlichem Sinne festzulegen vermag. Der Gegenstand dieses Kapitels, die Embryologie, befaßt sich nur mit den Produkten einer von Eiern, befruchteten oder parthenogenetischen (unbefruchteten,s. o.), ihren Ausgang nehmenden Entwicklung. An ihrem Anfang muß daher eine Beschreibung der weiblichen und männlichen Keimzellen, der Eier und Samenfäden (Spermatozoen) stehen. Hierbei wie auch bei der Schilderung der Embryogenese müssen wir uns auf eine Wiedergabe der allgemeingültigen Vorgänge, unter beiläufigen Bemerkungen über Besonderheiten einzelner Tiergruppen, beschränken. Denn es sollen hier nur die großen Züge der Gestaltbildung Erwähnung finden, da die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen systematischen Abteilungen mehrbändige Werke füllen würde. Die Urkeim,zellen beider Geschlechter gleichen sich in den ersten Stadien weitgehend. Sie werden von den Keim-
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Keimzellen
epithelien geliefert und unterscheiden sich im Anfang in nichts von einer jungen, indifferenten Körperzelle. Wie das beigegebene Schema zeigt (Abb. 1), gilt dies auch noch für die Vermehrungsperiode, in der aus einer Urkeimzelle durch normale Zellteilung mehrere gleichartige
Oogenese
Spermiogenese
(EizellenenfwiMung)
CSamenzellenentwicklung)
Vermehrungsperiode
Wachstums periode
Spermiocyfe
Reifungs periode
I Reife teilung
I Reife tei/ung
E Reifetei/ung
II Reife- (S tei/ung *5S
t i i
Spermien (Samenzellen) Abb. 1.
Gegenüberstellung der Entwicklung von Samen- und Eizelle
(Spermio- und Oogenese), p 1 , p 2 Pol- oder Richtungskörperchen.
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Spermato- und Oogenese
Zellen entstehen. Dann aber setzt die Wachstumsperiode ein, wobei sich eine Verschiedenheit der männlichen und weiblichen Keimzellen offenbart, in der sich ihre künftige Aufgabe bereits deutlich abzeichnet. Für das Ei, aus dem der künftige Organismus entstehen wird, besteht die Notwendigkeit, möglichst viel Nährmaterial hierfür anzusammeln. Der Samenfaden, der bei der Befruchtung das Ei aufzusuchen hat, muß dagegen weitgehend unbelastet und leicht beweglich sein. Dementsprechend wachsen die weiblichen Urkeimzellen oder Oogonien viel stärker während der Wachstumsperiode als die männlichen Urkeimzellen oder Spermatogonien. Diese Periode wird abgeschlossen durch zwei besonders wichtige Teilungsschritte, die erste und zweite Reifeteilung. Aus dem Schema ist abzulesen, daß bei den Spermiozyten, wie die männlichen Keimzellen jetzt heißen, aus einer Zelle zwei und durch die zweite Teilung vier gleiche Teilprodukte entstehen; die vier letzten sind die endgültigen reifen Samenfäden (Spermatozoen), die bei der Mehrzahl der Tiere zu ihrer aktiven Fortbewegung einen Geißelfaden (Schwanz) besitzen. Ganz anders verhält sich die Oozyte (Bezeichnung der weiblichen Urkeimzelle nach den Reifeteilungen). Bei ihr ergeben die Teilungsschritte ungleiche Teilprodukte. Nach der ersten Reifeteilung äst eine große Zelle, das Ei, und ein kleiner „Richtungs- oder Polkörper" vorhanden. Bei der zweiten Reifeteiilung scheidet das Ei nochmals einen solchen „Polkörper" ab, und der aus der ersten Teilung stammende „Polkörper" teilt sich seinerseits nochmals. Auch hier erhalten wir zwar vier Endprodukte, von denen aber nur e i n e s das reife Ei ist, während die drei Richtungskörper nach einiger Zeit zugrunde gehen. Dieser Mechanismus gewährleistet dem Ei die Erhaltung seines
Reduktionsteilung
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in der Wachstumsperiode angesammelten Reservematerials. Hierdurch ergibt sich eine viel geringere Produktion von Eiern durch den weiblichen Organismus als von Spermatozoen von Seiten des männlichen. Neben der entscheidenden Bedeutung der beiden Reifeteilungen für die endgültige Ausgestaltung der Keimzellen bei beiden Geschlechtern spielen die Entwicklungssdiritte noch in einer anderen Beziehung eine große Rolle, über die ich mich hier bei der heute allgemeinen Kenntnis der Tatsachen der Vererbungslehre kurz fassen kann. In den Kernschleifen oder Chromosomen jeder Zelle eines Organismus — von den Ausnahmen können wir in diesem Zusammenhang absehen — sind die Erbanlagen enthalten, die zur einen Hälfte vom väterlichen, zur anderen vom mütterlichen Eiter abstammen. Bei jeder gewöhnlichen Zellteilung werden die Erbanlagen durch einen besonderen Mechanismus der Teilung, die Karyokinese oder Mitose, gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt. Auch bei den Urkeimzellen als gewöhnlichen Körperzellen ist dies nicht anders. Blieben diese Verhältnisse aber auch bei den reifen Keimzellen erhalten, so würde sich bei der folgenden Befruchtung, die, wie wir noch sehen werden, eine Verschmelzung der Kerne von Ei und Spermatozoon ist, die Zahl der Chromosomen, die für jede Organismenart konstant ist, verdoppeln und mit ihr die Zahl der Erbanlagen; und dies würde bei der Fortpflanzung eines solchen Organismus mit verdoppelter Chromosomenzahl wieder der Fall sein usw. Die konstante Zahl der Chromosomen und Erbanlagen muß daher durch eine besondere Maßnahme aufrechterhalten werden. Sie besteht in einer sogenannten Reduktionsteilung, die bei der ersten Reifeteilung vor sich geht. W i e der Name sagt, tritt bei dieser Teilung eine
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Chromosomen
Verminderung (Reduktion) der Chromosomenzahl ein. An Stelle der Verdoppelung der Chromosomen bei einer normalen Zellteilung (Äquationsteilung), bei der dann die Doppel jeden Chromosons auf die Tochterzelle verteilt werden, legen sich vor einer Reduktionsteilung die entsprechenden mütterlichen und väterlichen Chromosomen aneinander und weichen dann, ohne Verdoppelung, in die Tochterzellen ab, die dann nicht mehr die für die übrigen Körperzellen charakteristische, für jede Art spezifische Zahl von Chromosomen aufweisen (diploiden Chromosomensatz), sondern eben nur die Hälfte (haploider Chromosomensatz). Erst bei der später erfolgenden Verschmelzung einer weiblichen und einer männlichen Keimzelle bei der Befruchtung entsteht wieder die der betreffenden Organismenart zukommende Chromosomenzahl. Von Ausnahmen abgesehen, weist also das befruchtete Ei und der daraus sich entwickelnde Organismus in allen seinen Körperteilen einen diploiden Chromosomensatz auf, während die Keimzellen nach der Reduktionsteilung haploid sind, d. h. den auf die Hälfte reduzierten Chromosomenbestand enthalten. Was nun die nähere Ausgestaltung der Keimzellen betrifft, so sind die Spermatozoen von äußerster Kleinheit, meist nur mit stärksten Vergrößerungen unter dem Mikroskop sichtbar. Mit geringen Ausnahmen bestehen sie aus einem runden, ovalen oder sichelförmigen Kopf und einem Schwanz sowie einem zwischen diese beiden Teile eingeschalteten Mittelstück. Im Kopf ist der ganze färbbare Anteil des Zellkerns, das Chromatin, aus welchem sidh in den Teilungsphasen die Chromosomen bilden, zusammengedrängt. Mittelstück und Schwanz bestehen aus dem Zellplasma, im Mittelstück befinden sich außerdem das
Das Ei
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Zentrosom, das für die Bildung der Mitosespindel nötig ist, und die Mitochondrien, die sidi in einem axialen Fadengerüst des Schwanzes fortsetzen und wohl mit dessen Bewegungsfähigkeit in Beziehung stehen. Beim Eindringen der Samenzelle in das Ei gelangen nur Kopf und Mittelstück hinein, während der Schwanz außerhalb des Eies bleibt. Alle für die Befruchtung wesentlichen Bestandteile, Chromosomen als Träger der Erbanlagen und das für den Teilungsmedianismus wichtige Zentrosom, sind also bei der männlidien Keimzelle in einer hochkonzentrierten Form unter Beiseitelassen alles entbehrlichen plasmatischen Ballastes untergebracht, und selbst dar Schwanz wird nur solange beibehalten, als er bis zum Eintreffen der Samenzelle am Ei für die Fortbewegung unerläßlich ist. Im Gegensatz zum Spermatozoon ist die weibliche Keimzelle, das Ei, sehr reich an Protoplasma. Dieser Protoplasmareichtum wird, wie wir sahen, durch besondere Maßnahmen bei der Eientwicklung (Oogenese) gewährleistet. Die Eizelle ist eine typische Zelle und war, dank ihrer Größe, schon vor den übrigen Körperzellen den Naturforschern bekannt. Sie besitzt einen Kern oder Nucleus und den aus Protoplasma bestehenden Zelleib, der von der Zellmembran, die beim Ei Dotterhaut heißt, umgeben ist. Im Protoplasma des Eies sind Reservestoffe für die Ernährung des Embryos in Form von Schollen oder Kügelchen abgelagert. Diese fett- und eiweißreichen Stoffe sind das Deutoplasma oder der Dotter. Seine Menge ist ganz der Entwicklungsdauer des Embryos bis zum Ausschlüpfen angepaßt. Je nachdem, ob diese lang oder kurz ist, finden wir in den Eiern daher viel oder nur wenig Dotter. Aber auch bei einer langen Embryogenese kann der Dottergehalt des Eies gering sein, wenn die Entwidc-
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Eitypen
lung sich im Inneren des mütterlichen Organismus unter dauernder Nahrungszufuhr von seiten der Mutter abspielt. Klein sind daher nicht nur die Eier der Tiere der niederen Systemgruppen mit kurzer Entwicklungszeit, sondern auch die Eier der Säugetiere trotz der langen Embryonalperiode. Man findet alle möglichen Stufen von Eigrößen, angefangen bei mikroskopischen Ausmaßen, Bruchteilen eines Millimeters; so hat z. B. das menschliche Ei einen Durchmesser von 0,2 Millimeter Jedem bekannt sind die Froscheier von der Größe einiger Millimeter Riesige Dimensionen, wenn man bedenkt, daß es sich dabei immer nur um eine einzige Zelle handelt, nehmen die Eier der Vögel an. Wenn die eigentliche, von der Dotterhaut umgebene Eizelle hierbei auch nur das Gelbei ist, so liegt doch bei einer großen Zahl von ihnen der Durchmesser im Bereich mehrerer Zentimeter Eine ungeheuere Mannigfaltigkeit herrscht auch in der Ausgestaltung der äußeren Hüllen und Hilfsvorrichtungen der Eier Ungeschützt sind die Eier der lebend gebärenden Tiere, da hier der Mutterleib allen Schutz gewährt. Eine Gallerthülle umgibt das Ei der Frösche und Molche und vieler anderer Wassertiere. Chitinschalen kennzeichnen die Insekteneier Pergamentartig ist die Umhüllung der Reptilieneier, und die Kalkschale des Vogeleies ist jedem bekannt. Doch nicht nur Schutz haben in vielen Fällen diese Einrichtungen zu bieten. Die Gallerthülle des Amphibieneies ist zugleich eine Schwebevorrichtung; andere Eier, z. B. die vieler Haifische, haben fadenförmige Auswüchse, mit denen sie an Wasserpflanzen und Steinen festgeheftet werden. Für die Entwicklung des Embryos ist außer der Menge des Dotters aber auch seine Verteilung im Eiplasma von
Befruchtung
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entscheidender Bedeutung. Unter Weglassen von Ausnahmen kann man die Eier dementsprechend in Gruppen einteilen. Man spricht von dotterarmen oder oligolezithalen und dotterreichen oder polylezithalen Eiern. Bei den oligolezithalen ist der Dotter in der Regel gleichmäßig im Protoplasma verteilt, das Ei ist isolezithal. Hingegen muß sich bei Dotterreichtum der Dotter ungleichmäßig lagern, um dem sich entwickelnden Embryokörper Platz zu bieten ; solche Eier heißen anisolezithal; entweder ist der Dotter auf den einen Eipol konzentriert bei den telolezithalen oder in der Mitte der Eizelle angesammelt bei den zentrolezithalen Eiern. Wie grundlegend sich die Dotterverteilung für die Embiyogenese auswirkt, so daß man jedem der aufgeführten Eitypen einen Typus der Embryobildung zuordnen kann, wird weiter unten noch zu schildern sein. Die männlichen und weiblichen Keimzellen haben die Aufgabe, durch die Befruchtung das Werden eines neuen Lebewesens ziu begründen. Die Befruchtung im eigentlichen Sinne besteht im Eindringen einer Samenzelle in eine Eizelle. Zu diesem Zweck müssen Samenzellen in ausreichender Anzahl an ein Ei herangebracht werden, damit eine Samenzelle dann ihr Ziel erreichen kann. Dies geschieht entweder durch aktive Übertragung des Samens, d. h. einer großen Ansammlung von Spermatozoen, vom Männchen auf das Weibchen, die Begattung, oder indem bei Wassertieren beide Geschlechter ihre Geschlechtsprodukte ins Wasser ablegen und es dort dem Zufall überlassen bleibt, daß Befruchtung eintritt; man spricht hier von Besamung. Bei Tieren, bei denen Besamung vorliegt, läßt sich der natürliche Vorgang auch ohne große Schwierigkeiten künstlich nachahmen, indem man den lebenden oder eben getöteten Männchen und Weibchen Samen und Eier ent-
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Befruchtung
nimmt und miteinander vermengt. Auf diese Weise, durdt die künstliche Befruchtung oder Besamung, wurde zum ersten Male im Jahre 1870 von Oskar Hertwig der Befruchtungsvorgang beim Ei des Seeigels, das sidi wegen seiner Durchsichtigkeit ganz hervorragend hierzu eignet, unter dem Mikroskop in seinen einzelnen Phasen beobachtet. Dieses historische Objekt, das auch heute noch in der Embiyologie und experimentellen Entwicklungsgeschichte eine große Bedeutung hat, diene hier als Beispiel für die Schilderung der Befruchtung, da sie durch keine von der Norm abweichenden Besonderheiten kompliziert ist. Zum besseren Verständnis der Vorgänge gebe ich Zeichnungen bei, die sich eng den von O. Hertwig selbst angefertigten Abbildungen anschließen (Abb. 1) Von unzähligen Spermatozoen, die das reife Ei umschwärmen, durchbohrt eines als erstes die schmale Gallertschicht des Eies und dringt schließlich durch die Zellmembran, die sich an dieser Stelle der Samenzelle entgegenwölbt, in das Eiprotoplasma ein. Im selben Augenblick bildet sich aus der äußersten Schicht des Protoplasmas durch Verdichtung eine widerstandsfähige „Befruchtungsmembran", so blitzartig, daß selbst ein unmittelbar hinter dem ersten ankommendes Spermatozoon nicht mehr einzudringen vermag. Die normale Befruchtung ist monosperm, d. h. sie erfolgt nur durch ein einziges Spermatozoon. Unter Zurücklassung des Schwanzes außerhalb der Dottermemlbran rücken Kopf und Mittelstück der Samenzelle gegen die Eimitte, in der der Eikern liegt, vor Zugleich lockert sich der Kopf etwas auf, und um das aus dem Mittelstüdc stammende Zentrosom bildet sich im Eiplasma eine Protoplasmastrahlung. Beim Eikern angelangt, verschmilzt der Kern der Samenzelle mit ihm; dies ist der
Befruchtung
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Moment der eigentlichen Befruchtung. In diesem Zeitpunkt teilt sich das Zentrosom in zwei Zentriolen und aus dem einen sternförmigen Strahlungsgebilde sind zwei geworden. Dieser Vorgang ist bereits der erste Schritt der nun beginnenden Embryonalentwicklung. Denn durch die Ver-
D \
Abb. 2. Befruchtung des Seeigeleies. A unbefruchtetes Ei; B, C Abschnürung des Polkörperchens (p); D, E, F Eindringen einer Samenzelle und Wanderung ihres Kernes (sk) zum Eikern (ek); g Gallerthülle, b Befruchtungsmembran. G Vereinigung von Ei und Spermakern,H Bildung der Kernteilungsspindel als Vorbereitung zur 1. Fu'rchungsteilung, die in J beginnt. N a r d i , Organismus.
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Befruchtung und Erbanlagen
Schmelzung von männlichem und weiblichem Kern ist das Ei zu einem neuen Lebewesen geworden, das in seinen im Kern ruhenden Erbanlagen sowohl von seiner Mutter wie von seinem Vater verschieden ist. W i e man nämlich bei anderen, in dieser Beziehung besser als das Seeigelei überschaubaren Objekten, vor allem dem Ei des Pferdespulwurms, gut beobachten kann, enthält der neue, aus der Befruchtung entstandene Kern die von der Eizelle ihm überkommenen wie auch die vom Spermatozoon mitgebrachten Chromosomen und damit die in ihnen enthaltenen Erbanlagen. Es ist also in der T a t ein neuer Organismus entstanden, mit neuen Eigenschaftskombinationen, die zur Hälfte vom mütterlichen, zur anderen Hälfte vom väterlichen Elter stammen. Ohne zu weit in das Gebiet der Vererbungslehre oder Genetik einzudringen, deren Grundbegriffe hier als bekannt vorauszusetzen sind, möchte ich darauf hinweisen, daß der Befruchtungsvorgang ein wesentlicher Faktor für die Vielfältigkeit der Organismen ist. Indem nämlich in allen Körperzellen und auch in den Urkeimzellen für jede Eigenschaft, sagen wir z. B. für die Augenfarbe, ein Anlagenpaar, zwei Gene, eines im Chromosom von der väterlichen Seite und eines im entsprechenden Chromosom von der mütterlichen Seite her, enthalten sind und bei der Reduktionsteilung bald das eine, bald das andere durch den Zufall auf die reife Keimzelle übertragen wird, wird schon hier eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten geschaffen; z. B. kann in einem Ei hierdurch das mütterliche Gen für die Augenfarbe mit dem mütterlichen Gen für die Augengröße und dem väterlichen Gen für die Flügelausbildung zusammenkommen — idh denke hier an die besonders genau untersuchte Taufliege Drosophila melanogaster — , während in einem zweiten
Befruchtung und Erbanlagen
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Ei desselben Weibchens das väterliche Gen für Augenfarbe und das mütterliche für Augengröße mit dem väterlichen für die Flügelform sich finden usw.; die gleichen Zufallskombinationen gelten für die Spermatozoen eines Männchens. Und dann hängt es noch vom Zufall ab, welches Ei von welchem Spermotozoon befruchtet wird. Und dies bei einer großen, kaum überschaubaren Zahl von Eigenschaften und Genen. Wenn man alles dies bedenkt, wird die ungeheuere Bedeutung der Befruchtung für die Schaffung von Varianten innerhalb der Eigenschaftsgrenzen einer Art klar. W i e einförmig würde sich die Organismenwelt uns darstellen, würde bei allen Lebewesen die Fortpflanzung auf ungeschlechtlichem Wege sich vollziehen, bei der nur die mütterlichen Eigenschaften unverändert auf die Nachkommenschaft übertragen werden. Daher sehen wir auch bei den meisten primitiven Organismen ungeschlechtliche Vermehrung mit geschlechtlicher abwechseln oder bei den Protozoen höherer Organisationsstufen in der Konjugation, einem Vorgang des Austausches von Kemsubstanz zweier Individuen, wenigstens einen an Befruchtungsvorgänge nahe herankommenden Prozeß vor sich gehen. Doch kehren wir jetzt zu dem weiteren Schicksal des befruchteten Eies zurück, wobei zunächst das Seeigelei weiter als Beobachtungsobjekt diene. Das vom Spermatozoon mitgebrachte Zentrosom hat sich in zwei Zentriolen geteilt und die Bildung zweier Strahlungsfiguren aus einer hervorgerufen. Der Zygotenkern, d. h. der aus der Verschmelzung von Ei- und Samenkem entstandene Kern, löst sich auf, aus seinem Chromatin bilden sich die typischen Chromosomen in der für die betreffende Seeigelart charakteristischen Zahl, zwischen den Zentriolen als Polen er5*
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Furdiung
scheint die bekannte Mitosespindel, eine normale Zellteilung läuft vor dem Auge des Beobachters ab. Es ist die erste Furdiungsteilung. Sie und die folgenden Furchungsteilumgen unterscheiden sich von den üblichen Zellteilungen nur dadurch, daß hierbei das Eiplasma einfach durchgeschnürt, „gefurcht" wird, ohne daß die Tochterzellen, wie dies sonst der Fall ist, auf die Größe der Mutterzelle heranwachsen, sondern eben Hälften derselben darstellen. Die erste Furchung, d. h. Teilungsdurchsdinünung des Eies, verläuft meridional, also in der Ebene eines durch die Eipole gelegten Kreises. Das Ei besitzt nämlich eine polare Orientierung. Auch bei dem oligo- und isolezithalen Seeigelei ist der eine Pol gekennzeichnet, und zwar durch die bei der Oogenese entstandenen Richtungs- oder Polkörperchen, deren Namengebung hiermit ihre Erklärung findet. Von diesem, beim frei beweglichen Ei oben liegenden Pol aus beginnt die erste meridionale Furchung einzuschneiden und setzt sich dann, das ganze Ei zerteilend, zum unteren Pol fort. Der obere Pol heißt animaler Pol, weil das in dieser Eiregion lagernde Material vorwiegend zur Bildung animaler (d. h. für die Tiere charakteristischer) Organe, besonders des Nervensystems verwendet wird, während sein Gegenpol den Namen vegetativer Pol trägt, weil aus seinem Material die vegetativen (d. h. die auch bei Pflanzen vorkommenden Funktionen dienenden) Organe (Darmsystem) entstehen. Dies sei hier nur vorab erwähnt, damit im folgenden diese kurzen und eindeutigen Termini gebraucht werden können. Die zweite Furchung, die ebenfalls meridional verläuft, läßt aus dem 2-Zellstadium des sich entwickelnden Eies das 4-Zellstadium entstehen. Das 8-Zellstadium wird durch die erste äquatoriale Furche gebildet, die die vier
Morula, Blastula, Gastrula
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bereits vorhandenen Furchungszellen oder Blastomeren in je zwei zerlegt, ü b e r das 16-, 32-, 64-Zellstadium kommt das Ei in das Stadium der Morula. Die Blastomeren sind immer kleiner geworden, die Teilungen der Zellen sind nicht mehr, wie etwa bis zum 16-Zellstadium, gleichzeitig (synchron) erfolgt. Wir haben in der Morula einen rundlichen Zellhaufen vor uns, dessen Aussehen treffend durch seinen Namen, der „Maulbeere" bedeutet, ausgedrückt ist. Es ist natürlich Geschmackssache, wann wir den Keim als Morula bezeichnen wollen. So finden wir in der Literatur zuweilen schon den Keim mit 16 Blastomeren so genannt. Meines Erachtens ist es zweckmäßig, die Stadien so lange nach der Zahl der Blastomeren zu benennen, als diese leicht feststellbar ist. Die Morula bildet nun in ihrem Zentrum durch Auseinanderweichen der Blastomeren eine Höhle aus, die sich allmählich so vergrößert, daß sdiließlich aus dem Zellhaufen eine aus einer einzigen Zellschicht bestehende Höhlkugel entstanden ist. Wir nennen sie Blasenkeim oder Blastula und ihren Hohlraum Blastozoel. Die Blastula ist beim Seeigel in ihrem Inneren von einer Gallertmasse erfüllt. Vom vegetativen Pol her beginnt nun ein wichtiger Vorgang einzusetzen. Die Zellwand der Blastula stülpt sich nämlich an dieser Stelle schlauchförmig ins Innere ein. Man nennt diesen Entwicklungsschritt Gastrulation und den Keim in diesem Zustand Gastrula oder Becherkeim. Der eingestülpte Hohlraum ist der Urdarm, d. h. also die ursprüngliche Darmanlage des Embroys, und seine Öffnung nach außen, also die Einstülpungsstelle, der Urmund. Der wesentliche Fortschritt aber, der mit dieser Entwicklung erreicht ist, besteht darin, daß aus dem einschichtigen Blastulastadium die zweischichtige Gastrula geworden ist,
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Gastrula
die nun zwei Zellschichten enthält, die sich nicht nur in ihrer Lage, sondern auch in ihrer Funktion unterscheiden. Es ist also zum erstenmal in der Zellansammlung, die der junge Keim darstellt, eine Arbeitsteilung eingetreten. Die äußere Schicht, das äußere Keimblatt oder Ektoderm genannt, behält die Aufgabe, als Deckschicht zu wirken und mit den an der Zelloberfläche entwickelten Flimmern für die Fortbewegung des Keimes zu sorgen. Das eingestülpte, den Urdarm begrenzende innere Keimblatt oder Entoderm hingegen hat seine Aufgabe durch diese Verlagerung von der Kugeloberfläche nach innen verändert; es strudelt durch den Schlag seiner Flimmerhaare Nahrung in den Urdarm hinein, verdaut sie und läßt die Nährstoffe dem ganzen Organismus zugute kommen. Die Bildung des mittleren Keimblattes oder Mesoderm erfolgt ebenfalls im Gastrulastadium. Auf die diesbezüglichen Vorgänge komme ich später zurück. W i r wollen jetzt die allen tierischen Organismen gemeinsamen Entwicklungsstadien der Furchung, der Morula, Blastula und Gastrula, in jenen Modifikationen kennenlernen, die sie durch die verschiedenen Verhältnisse der Dotterverteilung erleiden. Ohne auf methodische Einzelheiten einzugehen, möchte ich hier nur daran erinnern, d a ß die im folgenden wiedergegebenen Daten in den wenigsten Fällen durch die einfache mikroskopische Beobachtung wie beim Seeigelkeim erarbeitet werden können. Meist haben wir es mit undurchsichtigen, in dichten Schalen und Eihüllen verborgenen Keimen zu tun, so daß die bereits geschilderten Verfahren zur Herstellung mikroskopischer Schnittpräparate herangezogen werden müssen. W i e beim Seeigelei verläuft die Furchung und Entwicklung bis zur Blastula bei allen iso- und oligolezithalen
Furchungstypen
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Eiern. Die Blastomeren sind alle annähernd gleich groß; die erste äquatoriale Furche verläuft auch tatsächlich beinahe im Äquator des Eies. Nur eine ganz geringe Überlegenheit der Blastomeren der vegetativen Eihälfte an Größe gegenüber denen der animalen ist bemerkbar. W i r haben es hier mit einer totalen äqualen (gleichmäßigen) oder genauer gesagt, adäqualen (beinahe gleichmäßigen) Furchung zu tun. Bei der Invagination ( = Einstülpung) zur Gastrula ist meist insofern eine Abweichung gegenüber den Verhältnissen bei der Seeigelgastrula zu beobachten, als die Blastulahöhle nicht mit Gallerte, sondern mit Flüssigkeit erfüllt ist. Dadurch ist es bedingt, daß die Einstülpung nicht schlauchförmig von einer Stelle aus erfolgt, sondern in Form einer breiten Delle sich die vegetative Blastulazellschicht der animalen annähert, wie wenn man durch Druck auf einen hohlen Gummiball dessen eine Seite gegen die andere preßt. Die Gastrulationsstadien des Amphioxus, des am Beginn der Wirbeltierreihe stehenden Lanzettfisches, repräsentieren diesen T y p in ausgezeichneter Weise. Das in der experimentellen Embryologie die wichtigste Rolle spielende O b j e k t , das Amphibienei, ist der Vertreter eines zweiten Furchungstypes. Die hierher zählenden Eier sind telolezithal, haben also ihren Dotter vorwiegend in einer Hälfte, der vegetativen, konzentriert; seine Masse ist aber dennoch nicht so groß, als d a ß sie ein vollständiges Durchschneiden der Furchen verhindern könnte. Die Zerklüftung erfolgt am vegetativen Pol langsamer, die Zellen sind dort daher weniger und größer, weil sie ja auch mehr Dotter enthalten, und am animalen Pol kleiner und zahlreicher. Diese Furchung verläuft also zwar auch total, aber inäqual (ungleichmäßig). Bei der
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Furdiungstypen
Gastrulation können nun auch die klobigen Zellen der vegetativen Eihälfte nicht einfach gegen den animalen Pol verlagert werden. Vielmehr vollzieht sich hier die Invagination taschenförmig um den Rand des Urmundes, die sogenannte dorsale (rückenseitige) Urmundlippe, herum. Die Verhältnisse bei der Entwicklung des Amphibieneies werden wir wegen ihrer bereits angedeuteten Wichtigkeit für die Entwicklungsphysiologie noch einer eingehenden Analyse unterziehen müssen. Einen weiteren Furchungstyp finden wir bei den ebenfalls telolezithalen, aber enorm dotterreichen Eiern, von denen das Vogelei allgemein bekannt ist, zu denen aber auch die Fisch- und Reptilieneier zählen. Der Dotterreichtum verhindert eine Zerklüftung des ganzen Eies; nur die nächste Umgebung des animalen Poles, die eine dünne Sdiicht dotterfreien Protoplasmas darstellt, kann sich furchen. Die entstehenden Zellen liegen scheibenförmig dem Dotter auf und werden als Keimscheibe bezeichnet. Daher führt diese Furchung den Namen diskoidale, d. h. scheibenförmige Furchung. Die unterste, an die Dottermassen grenzende Zellschicht der Keimscheibe hat keine Zellgrenzen mehr, ihre Kerne liegen also frei im D o t t e r ; es besteht also ein Synzitium (Gewebe ohne Zellgrenzen). Zwisdien ihm und den übrigen Zellen der Keimscheibe bildet sich allmählich ein Hohlraum, indem sich die Keimscheibe uhrglasförmig hochwölbt. Dieses Stadium ist die Blastula diskoidal gefurchter Eier. D i e Gastrulation muß entsprechend den ganz anderen Dotterverhältnissen gegenüber denen der bisher beschriebenen Entwicklungstypen wesentlich abgewandelt sein. Schon beim Amphibienei war die Einstülpung des dotterhaltigen vegetativen Zellmaterials stark erschwert. W e n n es dort auch im Endeffekt in-
Furdiungstypen
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vaginiert erscheint, so werden wir später noch bemerken, daß bei näherem Zusehen diese Verlagerung nur zu einem Teil wirklich erfolgt, zum andern aber durch, ein Umwachsen des vegetativen Materials durch die Urmundränder, also das animale Material, vorgetäuscht wird. Beim diskoidal gefurchten Ei müssen nun alle Lageänderungen des Dotters unterbleiben und die Keimscheibe muß allein durch Umwachsung von ihm Besitz ergreifen. Nebenbei spielen sich noch Vorgänge an der Keimsdieibe ab, die als Anklänge an eine Gastrulation gedeutet werden können, insofern sie in ihrem Ergebnis zur Bildung der zwei Keimblätter, Ekto- und Entoderm, und schließlich auch des Mesoderms führen. Bei Fischen z. B. schlägt sich die Keimscheibe am späteren Hinterende des Embryos um. Bei Reptilien und Vögeln wird Ektoderm und Entoderm jedoch nicht durch Invagination (Einstülpung), sondern durch Delamination, d. h. Abblätterung, erreicht, indem sich eine untere Zellschicht der Keimscheibe absondert und zum Entoderm wird. Dieser Vorgang hat mit der Gastrulation nur das Ergebnis, nicht die Gestaltungsbewegungen gemeinsam, hat aber dennoch auch die gleiche Bedeutung im Entwicklungsfortschritt des Embryos. Nicht weiter kann hier auf die Verhältnisse bei anderen diskoidal furchenden Eiern von nicht zu den Wirbeltieren gehörenden Tieren, z. B. den Tintenfischen, eingegangen werden. Auch bei ihnen findet man stets ein Äquivalent zur Gastrulation, die Sonderung von Ekto- und Entoderm. Schließlich bleibt uns noch ein vierter Furchungstyp zu betrachten, der der ?entrolezithalen Eier, also der Eier mit zentral gelagertem Dotter, die ausschließlich bei den Arthropoden oder Gliederfüßlern vorkommen. Der Eikern liegt zunächst in der Mitte der Zelle, umgeben von
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Furchungstypen
etwas Protoplasma. Die Furchung besteht in einer Teilung des Kernes. Die Teilkerne rücken schließlich an die Peripherie der Eizelle, die von einer Protoplasmarinde gebildet wird. Diese Rinde teilt sich dann, entsprechend der Zahl der Kerne, in Zellen ab, die eine einschichtige Blastula bilden, deren Höhle mit dem zentral gelegenen Dotter ausgefüllt ist. Durch eine Zusammenscharung der Kerne und natürlich damit auch der Zellen wird dann die Embryoanlage geschaffen. Bei dieser Gelegenheit werden also auch die Keimblätter differenziert, so daß wir hierin das Äquivalent der Gastrulation zu suchen haben. Die Furchung der zentrolezithalen Eier wird als superfiziell, d. h. oberflächlich, bezeichnet. Nach diesem kurzen Uberblick über die verschiedenen Furchungstypen in ihrer Entwicklung bis zur Gastrula sei noch darauf hingewiesen, daß man zwei diesen genannten Typen übergeordnete Gruppen kennt. Das Seeigelei, bei dem wir den Verlauf der ersten Furchungen genauer betrachteten, gehört zur Gruppe der radialen Furchung, was besagen will, daß die Furchen, von einem Eipol aus gesehen, sich im Polpunkt schneiden, also radial verlaufen. Dem steht die Spiralfurchung gegenüber, wo die Furchen bzw. die Blastomeren, ebenfalls bei Betrachtung von einem Eipol aus, spiralig gegeneinander verschöben sind. Es ist zum Verständnis der Ergebnisse experimentell embryologischer Untersuchungen unerläßlich, die Entwicklung ihres hervorragendsten Objektes, des Amphibieneies, genauer kennenzulernen als dies bei dem vorhergehenden Überblick der Fall war. Gewiß gibt es auch noch zahlreiche andere Tiere, dieren Entwicklungsstadien zu experimentellen Arbeiten herangezogen werden und die sich zur Lösung bestimmter Fragen sogar besser eignen als das Amphibien-
Entwicklung des Amphibieneies
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ei. Daß der Entwickhingphysiologe nicht nur die Amphibienembryologie, sondern auch die Entwicklungsgeschichte der anderen Tierformen eingehend kennen muß, ist ganz klar. Denn nur diese Kenntnis befähigt ihn, die richtige Wahl unter den verfügbaren Versuchsobjekten zu treffen und hierauf das Experiment sinngemäß und erfolgreich durchzuführen. Zeigte sich aber, wie wir gesehen haben, schon bei der Entwicklung der Eier bis zur Gastrula eine erhebliche Verschiedenheit unter den Tiergruppen, so gilt dies in erhöhtem Maße von der der Gastrulation folgenden Entwicklungsperiode. Diese Mannigfaltigkeit ist ungeheuer. Sie wird verständlich, wenn wir bedenken, daß aus dem einen Ei ein Vogel, aus einem anderen ein Wurm oder ein Seestern, ein Mensch oder ein Schmetterling entstehen soll. Sie kann aber nicht annähernd in einem Buche wie diesem ihre Wiedergabe finden. Deshalb stehe ein ausführlicher beschriebenes Beispiel für viele. Dazu eignet sich aus den wiederholt genannten Gründen am besten das Amphibienei. Auch hierüber jedoch soll hur das Nötigste gesagt werden. Das typische Amphibienei ist ein kugeliger Körper. Vom animalen Pol zum vegetativen hin nimmt der Dottergehalt zu, so daß seine Hauptmasse am vegetativen Pol lagert, während der animale Pol, in dem der Eikern liegt, fast dotterfrei ist. Bei den Anuren (schwanzlose Lurche, z. B. Frösche) ist die animale Eihälfte durch eine dichte, fast schwarze Pigmentablagerung deutlich von der pigmentlosen vegetativen Hälfte zu unterscheiden, während bei den Urodelen (Schwanzlurche, z. B. Molche) die weniger dunkle Pigmentierung allmählich in Pigmentlosigkeit am vegetativen Pol übergeht. Durch das höhere spezifische Gewicht des Dotters wird die durch animalen und
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Bildung der Eiadisen
vegetativen Pol 'hindurchgehende Hauptachse des Eies, sofern dieses frei beweglich ist, was nach der Befruchtung normalerweise der Fall ist, stets senkrecht gestellt, den vegetativen Pol nach unten. Das im übrigen völlig undifferenzierte Ei weist somit schon in diesem Stadium eine ausgesprochene Polarität (verschiedene Beschaffenheit der Endpunkte einer durch einen Körper gelegten Achse) auf. Das bei der Befruchtung eindringende Spermatozoon gibt nicht nur den Anstoß für die Entwicklung und fügt dem Ei die väterliche Erbmasse hinzu, sondern es ruft auch eine weitere äußerlich sichtbare Differenzierung des Eies hervor. Genau gegenüber der Eintrittsstelle des Spermatozoons in das Ei bildet sich an diesem der sogenannte „graue Halbmond" aus. Durch Zurückziehung von Pigment von der Eioberfläche ins Innere hellt sich unterhalb des Eiäquators die pigmentierte Zone in einem halbmondförmigen Gebiet auf. Man weiß aus Experimenten, die im Rahmen dieser reinen Beschreibung nicht wiedergegeben werden sollen, daß der Meridian des Spermatozooneintrittes der späteren Bauchmittellinie des Embryos entspricht; dadurch ist seine Rüdcenmittellinie als durch die breiteste Stelle des „grauen Halbmondes" verlaufend fixiert; da außerdem am animalen Pol das spätere Kopfende des Embryos liegt, am vegetativen sein Schwanzende, ergibt sich von selbst auch noch die Rechts-Links-Achse des späteren Embryos. Im noch ungefurchten Ei setzt also die Befruchtung bereits die drei Hauptachsen fest, die ein bilateral-symmetrisches (zweiseitig-symmetrisches) Gebilde kennzeichnen: 1. die schon durch die Dotterverteiking vorgegebene KopfSchwanz- (Kranial-Kaudal-) Achse, 2. durch den Spermatozooneintritt und den „grauen Halbmond" die RückenBauch-(Dorsal-Ventral-) Achse, 3. durch die beiden voraus-
Die Amphibiengastrula
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gehenden bestimmt die Rechts-Links-Achse (TransversalAchse). Entsprechend der weniger scharfen Pigmentverteilung bei den Urodelen ist auch hier die Ausbildung des „grauen Halbmondes", die ja eine Pigmentverschiebung ist, weniger klar erkennbar, aber zweifellos vorhanden. Verlauf der Furchung und Entstehung des Blastula wurden bereits früher geschildert. Die Gastrulation muß jedoch eingehender betrachtet werden. Wie wir sahen, ist die Invagination des vegetativen Materials durch seine Belastung mit Dotter stark erschwert. Es kann daher nicht direkt vom vegetativen Pol her eingestülpt werden. Die Invaginationsstelle liegt vielmehr in der sogenannten Randzone, d. h. dem Obergangsgebiet aus dem animalen zum vegetativen Bereich. Hier entsteht ein zunächst einfach schlitzförmiger Urmund. Im selben Maße, in dem vegetatives Material ins Innere der Blastulahöhle einsinkt, breitet sich das animale Material vom animalen Pol her gegen den Urmund hin aus, so das Verschwinden des vegetativen Materials von der Oberfläche, das durch die Invagination allein nicht bewältigt werden kann, stark fördernd. Durch die konzentrisch auf den Urmund hin gerichtete Ausbreitung der animalen Zellen verändert der Urmund seine Gestalt: Er ist zuerst ein waagrediter Schlitz mit einer Lippe, die dorsale (rückenseitige) Urmundlippe genannt wird, weil sie an der Rückenseite des späteren Embryos liegt; allmählich wird der Urmund sichelförmig, indem zu beiden Seiten laterale (seitliche) Urmundlippen hinzukommen; dann geht die Sichelform in eine Hufeisenform über, wodurch sich die Ausbildung einer ventralen (bauchseitigen) Urmundlippe ankündigt; ist diese völlig ausgebildet, schließt sich der Urmund zu einem Kreis, der sich stets mehr und mehr verengt; in ihm ist noch eine
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Gastrulation bei den Amphibien
Zeitlang vegetatives Material in Form des sogenannten Dotterpfropfes sichtbar, bis auch er im Inneren des Keimes verschwunden ist und der Urmund zu einem senkrecht gestellten Schlitz wird. Während dieses Entwicklungsablaufes dreht sich der Keim infolge der Verlagerung des Dotters bei der Gastrulation derart, daß der anfänglich unten gelegene vegetative Pol und mit ihm der nahebei befindliche Urmund nach der Seite zu liegen kommen. Die Vorn-Hinten-Achse, die, wie wir sahen, mit der Achse animaler Pol—vegetativer Pol zusammenfällt, liegt jetzt waagrecht. Soweit die äußerlich sichtbaren Vorgänge dieses wichtigen Entwicklungsschrittes. Im Inneren des Keimes spielen sich mittlerweile jene Ereignisse ab, die ich oben wiederholt als die wesentlichsten der Gastrulation bezeichnet habe: Ausbildung der Keimblätter. Für den Leser, der sich nicht selbst einmal mit dem Amphibienei unter dem Mikroskop und in mikroskopischen Schnitten beschäftigt hat, bietet die folgende Beschreibung nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Wenn man sich jedoch immer vor Augen hält, daß dabei räumlich gedacht werden muß, daß alle Gestaltungsbewegungen in einer Hohlkugel vor sich gehen und dementsprechend auch die beigegebenen Skizzen ins Räumliche zu übersetzen sind, wird das Verständnis wesentlich erleichtert werden (Abb. 3). Die Schilderung gilt — das sei noch hinzugefügt — für das Urodelenei. Beim Ei der Anuren verläuft die Entwicklung im wesentlichen gleichartig; die Abweichungen sollen, um die Komplikation nicht zu steigern, unerwähnt bleiben. Um die Urmundlippen herum rollt also Material in die Blastulahöhle hinein. Es ist zunächst das vegetative Material, wie bei jeder Gastrulation, das sich einrollt.
Gastrulation bei den Amphibien
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Abb. 3. Schematische Längsschnitte durch die Mittel ebene von Schwanzlurdienkeimen während der Gastrulationsvorgänge. a frühes Stadium; um die wohlausgebildete dorsale Urmundlippe ist der größte Teil des Entoderms bereits eingestülpt worden; vom Urmund her beginnt die trichterförmige Ausbreitung des Mesoderms, das in Flädienprojektion dargestellt ist; der Hohlraum des Keimes zerfällt in zwei Teile: links die eingeengte Blastulahöhle, rechts die größer werdende Urdarmhöhle. b zwisdien der dorsalen und jetzt ebenfalls ausgebildeten ventralen Urmundlippe ist ein Rest von Entoderm als „Dotterpfropf" noch vorhanden; der Vorderrand des Mesodermmantels (p) ist weiter vorgerückt; Ch Kopfende des das präsumtive Medullarmaterial unterlagernden Chorda-Mesoderms; K Kopfende der späteren Medullarplatte; F Rest der Blastulahöhle. c und d weitere Gastrulationsstadien, die das Vorrücken des Mesoderms zeigen; in d ist der Dotterpfropf ins Innere verlagert worden und das Mesoderm in Flächenprojektion deutlich als eine sich nach vorne und unten öffnende Kugelsdiale erkennbar.
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Die Keimblätter
Durch das Vorwachsen der animalen Zellen gelangt später aber auch Randzonenmaterial ins Innere. Durch die Invagination wird die Blastulahöhle immer mehr eingeengt und an ihrer Stelle bildet sich die Urdarmhöhle, zuerst schmal und taschenförmig, später sich aber erweiternd und den größten Teil des Keiminneren ausfüllend. Die um die dorsale Urmundlippe eingerollten Zellen erstellen das ursprüngliche oder primitive Urdarmdadi, "aus dem später die Chorda dorsalis (Anlage der Wirbelsäule) und ein Teil des Mesoderms entstehen. Mittlerweile liefert das von der Bauchseite her eingestülpte, aus stark mit Dotter beladenen Zellen sich zusammensetzende Material des vegetativen Poles Vorderende, Boden und Seitenwände der Darmhöhle. Die Seitenwände wachsen dann seitlich hinauf, bis sie sich unter dem primitiven Urdarmdadi in der Mitte treffen und das endgültige Darmdach auf diese Weise liefern. Der größere Teil des Mesoderms, der nicht vom Urdarmdadi stammt, entsteht aus dem um die seitlichen und die ventrale Urmundlippe invaginierten Randzonenmaterial. Dieses geht auf der Rückenseite ohne Unterbrediung in das primitive Urdarmdadi über. Das Mesoderm bildet also, räumlich betrachtet, einen trichterförmigen Mantel, dessen enge Öffnung der ringförmige Urmund ist und der sich kopfwärts zu weitet. Dieser Trichter begrenzt aber nirgends direkt die Urdarmhöhle; von ihr ist er durch das Entoderm getrennt. Die Ränder des Trichters wachsen immer mehr nach vorne, bis sie sich gegenüber dem Urmund in der Bauchmittellinie des Embryos treffen und dort die somit paarige Herzanlage liefern. Wir haben also unter dem den ganzen Keim umhüllenden Ektoderm oder äußeren Keimblatt, das aus der Ausbreitung des animalen Materials hervorgeht, eine Mesodermschale, die vom Ur-
Neurulation
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munid allseitig ausstrahlend ihre Öffnung nach unten und vorne hat, bis sie sich in der Bauchlinie zum Kugelmantel schließt, und unter dieser eine Entodermschale, die umgekehrt ihre Hohlseite nach oben und hinten zu offen hat, bis sie in der Rückenlinie, unter dem primitiven Urdarmdadi, sich zum Kugelmantel schließt. Das Ektoderm, dem animalen Material entstammend, geht längs dem Urmundrande in das Mesoderm, das aus der Randzone (s. o.) entstanden ist, und das Entoderm, das der vegetativen Keimhälfte entspricht, kontinuierlich über. Diese komplizierten Gestaltungsbewegungen haben das Material, aus dem die Organsysteme des Embryos entstehen sollen, in die richtige Lage gebracht. In der folgenden Entwicklungsphase differenzieren sich diese Organe aus ihren Anlagen heraus. Im Ektoderm der Rückenseite, dort, wo es vom primitiven Urdarmdach unterlagert ist, bildet sich die Medullarplatte (Rückenmarkplatte) vom Urmund her kopfwärts; sie ist schildförmig gestaltet, vorne breiter als hinten und von den sich erhebenden Medullarwülsten begrenzt. Das ganze Gebilde ist die Anlage des Zentralnervensystems oder Rückenmarkes. Man bezeichnet den Vorgang der Medullarwulstbildung als Neurulation (Nervensystementstehung), das Stadium, in dem sie stattfindet, als Neurula (Abb. 4). Indem die Wülste sich über der Platte schließen, entsteht das Medullarrohr, das hierauf unter die Epidermis in die Tiefe sinkt, wo wir es als röhrenförmiges Rückenmark bei allen Wirbeltieren wiederfinden. Während all dieser Ereignisse ist auch das Mesoderm nicht untätig geblieben. Sein Mittelstreifen, der unmittelbar unter der Medullarplatte liegt, liefert die Chorda dorsaliis (Rückensaite), das Achsenorgan, auf dessen Grundlage sich später die WirbelN a r d i , Organismus.
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Bildung der Organsysteme
säule, das für die Wirbeltiere charakteristische Achsenskelett, bildet. Zu beiden Seiten der Chorda wird je ein Mesodermstreifen zu den Somiten oder Urwirbeln, den Anlagen der Rumpfmuskulatur; ihre unterteilte oder segmentierte Anordnung verwischt sich im Laufe der weiteren Entwicklung mehr und mehr; von primitiven Wirbeltieren,
Abb. 4. Neurula von Triton taeniatus (Kammmolch) mit schildförmiger Neuralplatte; Medullarwülste noch weit offen.
z. B. Fischen, kennt aber jedermann die Einteilung der Muskulatur in Scheiben, die hintereinander quer zur Körperachse liegen. Das restliche Mesoderm, beiderseits der Somiten bis hinunter zur Vereinigungsnaht in der Bauchmittellinie, liefert die sogenannten Seitenplatten, die paarige Anlage der Leibeshöhlenwand. Unter dem Mesoderm hat sich zur selben Zeit das Entoderm, wie wir schon sahen, von unten her heraufwachsend unter dem primitiven Urdarmdach zum definitiven Darmdach geschlossen und so das Darmrohr gebildet. Natürlich gliedern sich diese rohen Anlagen der Organsysteme noch in einzelne Organe auf, was aber hier nicht näher geschildert werden kann. Erwähnt sei nur folgendes: 1. Das Ektoderm liefert die gesamte äußere Körperhaut, das Zentralnervensystem und die wichtigsten Teile der Sinnesorgane, vor allem die die
Bildung der Organsysteme
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Sinnesreize aufnehmenden Sinneszellen; es stammen von ihm also vor allem die Organe, die den Tieren besonders eigentümlich sind, die sogenannten animalen Organe, weshalb ja auch der Eibezirk, aus dem das Ektoderm sidi bildet, als der animale bezeichnet wird. 2. Das Mesoderm läßt aus sich die Muskulatur, die Blutgefäße, das Blut selbst, Binde-, Knorpel-, Knochengewebe und das Epithel der Keimdrüsen hervorgehen. 3. Das Entoderm bildet nicht nur das Darmrohr oder — genauer gesagt — sein Epithel, da natürlich in der Dannwand noch Bindegewebe, Blutgefäße, Muskulatur usw., also mesodermale Gewebe hinzukommen, sondern auch die entwicklungsgeschichtlich als Anhänge des Darmrohres entstehenden Organe, wie Lunge, Harnblase, Leber, Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und Schilddrüse. Da diese Organe vorwiegend dem Stoffwechsel (Verdauung und Atmung) dienen, der auch der Pflanze zukommt, bezeichnet man sie als vegetative Organe und den sie liefernden Eibezirk als vegetatives Material. D a die ganzen, eben beschriebenen Geschehnisse bei der Gastrulation weniger auf einem Zuwachs an Stoffen beruhen, sondern vielmehr auf einer reinen Umgruppierung des vorhandenen, bereits im ungefurchten Ei enthaltenen Materials, müssen sich die Keimbezirke, aus denen später sich diese oder jene Organe bilden, irgendwo schon im jüngeren Keim auffinden lassen. Es gibt gewisse Tiere, bei denen die Eier sich nach einem ganz festen Typus mit absolut konstanter Zellzahl furchen. Bei solchen Tieren kann man das spätere Schicksal jeder einzelnen Elastomere genau verfolgen. Beim Amphibienei ist dies jedodi unmöglich. In einer äußerst sinnreichen Weise löste die Frage für dieses gerade in der Entwicklungsphysiologie 6*
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Vitalfarbmarkierung
so wichtige Objekt W. Vogt (1929) mittels der Vitalfärbung (vgl. Kapitel über die Methoden). Indem er kleine Agarstückchen mit Vitalfarben tränkte — z. B. Nilblausulfat oder Neutralrot — und diese auf den Amphibienkeim im Beginn der Gastrulation auflegte, färbte er kleine, scharf umgrenzte Keimbezirke dieses Stadiums im Leben an. An der Verlagerung dieser Farbmarken im Verlaufe der Gastrulation sind die Materialversdiiebungen dann klar abzulesen. Da diese Methode in keiner Weise den normalen Entwicklungsablauf des Keimes beeinflußt, ist die Farbmarkierung von W. Vogt nicht als entwicklungsphysiologisches Experiment zu bezeichnen und ihre Ergebnisse sind daher hier in den rein beschreibenden Abschnitten zu erwähnen. Aus den beigegebenen Originalabbildungen von W . Vogt ist zu ersehen, wie die präsumtiven, d. h. zukünftigen Organanlagen in der Zellschicht der eben zur Gastrulation ansetzenden Blastula verteilt sind (Abb. 5). Damit sei der kurze Abriß aus der deskriptiven Entwicklungsgeschichte abgeschlossen. Er soll die Grundlagen vermittelt haben für ein Verständnis der nun folgenden Analyse der hinter den beobachteten Vorgängen der tierischen Gestaltbildung stehenden Kräfte, die Gegenstand der experimentellen Morphologie sind. B. E n t w i c k l u n g s m e c h a n i k Mit diesem Wort bezeichnete W. Roux (1885) eine von ihm gegründete neue Disziplin der Biologie, deren Programm er darin sah, die Entwicklung in „komplexe Komponenten" aufzulösen, worunter er z. B. Wachstum, Zellteilung, Assimilation verstand, die ihrerseits wieder in
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Entwicklungsmedianik
noch einfachere Komponenten auflösbar sein sollten, bis man sie schließlich in den Gesetzen der Physik und Chemie würde ausdrücken können. Was diese Entwicklungs-
Abb. 5. Anordnung der präsumtiven Organanlagen auf der Blastula des Sdiwanzlurchenkeimes zu Beginn der Gastrulation, erschlossen ventral aus den Vitalfarbmarkierungsversuchen von W Vogt. J Invaginationsstelle, U spätere Urmundrinne, Eg Einstülpungsgrenze, vP vegetativer Pol, uP unterer Pol dieses Stadiums. — Medullaranlage dicht gestrichelt; Hautektoderm weit gestrichelt; Chorda dicht punktiert; Mesoderm fein punktiert; das erst nach Schluß des Urmundes einwandernde Material hell punktiert; Sdi Hauptmasse des Schwanzknospenmaterials, K Kiemenektoderm, 1—10 Ursegmente (Anlage der Rumpfmuskulatur), Spl Seitenplatten (Anlage der Bauchmuskulatur). Schraffierter Bezirk im 2.—5. Ursegment Material für Vorniere und Gliedmaßenmesoderm (V und Ex).
dorsal
ventral
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Entwicklungsmechanik
mechanik in erster Linie von der Entwicklungsgeschichte, wie sie zu Zeiten von Roux noch allein betrieben wurde, unterscheidet, ist der Umstand, daß die neue Richtung nicht mehr lediglich die einander folgenden Entwicklungsstadien beschreibt, sondern sie a l s e i n a n d e r b e d i n g e n d , a l s in u r s ä c h l i c h e r , k a u s a l e r B e z i e h u n g z u e i n a n d e r s t e h e n d auffaßt. In dieser Hinsicht jedoch hatte Roux bereits einen Vorgänger und Wegbereiter in Wilhelm His, der in verschiedenen Modellversuchen die Gestaltungsbewegungen der Ontogenese mechanisch zu erklären versuchte. Den entscheidenden Schritt zu ganz neuen Gesichtspunkten tat aber erst Roux selbst, indem er die Entwicklungsvorgänge nicht im Modell, sondern durch d a s E x p e r i m e n t am l e b e n d e n O b j e k t analysierte. Damit war das Experiment in die bisher nur rein beschreibende Entwicklungsgeschichte eingeführt, die experimentelle Entwicklungsgeschichte begründet. Daß Roux dieser neuen Disziplin den Namen „Entwicklungsmechanik" gab, ist durch die besondere Auffassung veranlaßt, die er von den die Entwicklung bedingenden Kräften hatte. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die Bezeichnung nicht eindeutig ist. Sie läßt den Schluß zu, als sähen wir in der Ontogenese nichts als einen rein mechanischen, d. h. maschinenmäßigen Ablauf. Man hat heute bereits zu tief in die Kompliziertheit der Lebensvorgänge geblickt, um einer solch primitiven Auffassung zu sein. Wenn, wie ich oben anführte, auch Roux in seinem Programm letzten Endes eine Analyse der die Entwicklung steuernden Komponenten bis herab zu den Gesetzen der Physik und Chemie vorsah, so sind wir heute nodi weit von diesem Ziel entfernt. Ich habe in Kapitel I auch darauf hingewiesen, daß wir mit Recht bezweifeln dürfen, ob das
Entwicklungsmedianik
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Leben je restlos physikalisch and diemisch erfaßt werden kann. W i r müssen vielmehr das W o r t Mechanik in der Bezeichnung „Entwicklungsmechanik" so auffassen, daß, wie ich ebendort betonte, der Mechanismus n u r e i n e Betrachtungsweise des Lebendigen ist, aber eben d i e e i n e wissenschaftlich einzig brauchbare. Sie stellt sich auf den Standpunkt, daß auch für lebende Organismen die Kausalität volle Geltung hat, zumindest innerhalb des biologischen Bereiches selbst; dahingestellt bleibt dabei, ob die Erscheinungen des biologischen Bereiches restlos zu physikalischen und chemischen Erscheinungen in Parallele zu bringen sind und mit den Gesetzen dieser Wissenschaften völlig erklärt werden können. Da die Bezeichnung Entwicklungsmedianik aus den angeführten Gründen zu Mißdeutungen Anlaß geben kann, zieht man es heute vor, die experimentelle Entwicklungsgeschichte als „ E n t w i c k l u n g s p h y s i o l o g i e " zu bezeichnen. Ihr Verhältnis zur deskriptiven Entwicklungsgeschichte ist nämlich dasselbe wie das der deskriptiven Morphologie zur Physiologie, der Lehre von der Funktion der Organe. Wie sich Beschreibung von Form und Struktur der Organe und experimentelle, kausal-analytische Klärung der Funktion dieser Organe ergänzen, so verhalten sich auch Beschreibung der Entwicklungsstadien und experimentelle, kausal-analytische Erforschung der funktionellen Zusammenhänge dieser Entwicklungsstadien zueinander. Die Bezeichnung „Entwicklungsphysiologie" läßt es außerdem unentschieden, ob die in ihrem Bereich sich abspielenden Vorgänge letztlich mit den Gesetzen der Physik und Chemie erklärbar sind, sondern sie beläßt, wie auch die Physiologie selbst, die Lebensvorgänge im biologischen Bereich, mit der Forderung jedoch, daß das
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Entwicklungsmedianik
Experiment als kausal-analytische Methode die einzig fruchtbare Weise der Forschung sein kann. Die Entwicklungsmechanik oder Entwicklungsphysiologie hat, wie ihr Name sagt, zunächst die Geschehnisse der Ontogenese zum Gegenstand. Neben der Gestaltbildung am Anfang des Lebens eines Organismus können wir aber bei vielen Organismen auch im erwachsenen Zustand noch Gestaltbildungsvorgänge beobachten. Sie treten besonders dann in Erscheinung, wenn dem betreffenden Lebewesen Körperteile durch normale Abnützung, durch Unfälle oder künstlich im Experiment verlorengegangen sind. Bei einer großen Zahl von Tieren werden solche Körperteile in mehr oder minder großem Umfange wiederhergestellt oder regeneriert. Bei der Besprechung der Regenerationsersdieinungen werden wir noch sehen, in wie weitem Maße hier dieselben Probleme eine Rolle spielen, die auch in der experimentellen Embryologie zur Diskussion stehen. Demgemäß sind auch die Versuchsmethoden zur Lösung der Probleme in beiden Fällen im Prinzip dieselben. Die Entwicklungphysiologie umfaßt daher sowohl die experimentelle Embryologie wie auch die Regenerationsforschung, untersucht also ebenso die formenden Kräfte der ersten Gestaltbildung im Leben eines Individuums wie auch notwendig werdender späterer Gestaltbildungen. Sie weitet sidi in der Folge zu einer experimentellen Erforschung des Werdens der lebendigen Gestalt überhaupt, wie sie uns im überindividuellen Leben der Arten und höheren Systemgruppen entgegentritt, und wird somit zur experimentellen Morphologie. Dieses Kapitel soll nur die E n t w i d k l u n g s m e c h a n i k in ihrem engeren Sine, also im Bereich der individuellen Gestaltwerdung behandeln und zerfällt folglich in z w e i
Experimentelle Embryologie
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H a u p t a b s c h n i t t e , deren einer die e x p e r i m e n t e l l e E m b r y o l o g i e und deren zweiter die R e g e n e r a t i o n s e r s c h e i n u n g e n zum Gegenstand hat. Die Gestaltbildung im überindividuellen Leben und die damit eng verknüpften Fragen über die Beziehungen von Vererbung und Umwelt zur tierischen Gestalt seien weiteren Kapiteln vorbehalten, wenngleich sie mit unter den Begriff der experimentellen Morphologie fallen. i. Experimentelle
Embryologie
Das Kernproblem der Embryologie, das hier auf experimentellem Wege auf die Frage nach dem „Warum", nach den Ursachen hin, analysiert werden soll, ist die Entstehung einer Mannigfaltigkeit von Formen und Funktionen, die vorher nicht bestanden haben. Wir nennen diesen Vorgang Differenzierung. Das Wort bedeutet „Entstehung von Verschiedenem, Differentem" und bezeichnet somit treffend die eben genannten Entwicklungserscheinungen. Uber die Art und Weise, wie die Differenzierung des Keimes vor sich gehen soll, haben frühzeitig zwei gegensätzliche Ansichten bestanden. Die eine von ihnen nimmt einen Vorgang an, der eigentlich dem Begriffe der „Entwicklung" ursprünglich entspricht. Nach ihr ist die Ontogenese wirklich ein Entwickeln, ein Auseinanderfalten vorher schon vorhandener, aber zu unsichtbarer Kleinheit zusammengefalteter, eingewickelter Strukturen. Für sie sind im Ei, wenn auch unsichtbar, alle Organe des künftigen Organismus, wie sie sich beim Elterntier finden, bereits vorgebildet, oder, wie der wissenschaftliche Ausdruck lautet, präformiert. Danach bezeichnet man diese Theorie als Präformationslehre. Ganz entgegengesetzt hierzu ist die
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Präformation und Epigenese
andere Ansicht über die Keimesentwicklung. Sie behauptet, daß im Ei nichts Vorgebildetes vorhanden ist, sondern aus einem völlig undifferenzierten einheitlichen Stoff sich die Strukturen des werdenden Organismus erst neu herausbilden, so daß eine wahre Schöpfung, eine Genesis, stattfindet, weshalb diese Lehre Epigenesistheorie genannt wird. Zwei Punkte genügen, um uns zu einer Ablehnung der Präformation zu führen: einmal haben die Fortschritte der mikroskopischen Technik immer deutlicher gezeigt, daß von vorgebildeten Organen oder gar einem fertigen, nur winzig klein in die Keimzelle eingeschachtelten Organismus nichts zu sehen ist. Diesem Kriterium mag man vielleicht nicht allzu großes Gewicht beilegen und ihm entgegensetzen, daß dieser verkleinerte fertige Organismus gar so klein sei, daß er unter der mikroskopischen Sichtbarkeitsgrenze liegt. Dann muß jedoch die logische Beweisführung die Präformationslehre zu Fall bringen. Nimmt diese Theorie nämlich an, daß in den Keimzellen eines erwachsenen Organismus völlig ausgebildete Nachkommenschaft ruht, so müssen logischerweise auch die ja ebenfalls bereits vorhandenen Keimzellen dieser Nachkommen schon die völlig ausgebildete nächste Generation enthalten usw. usw. ad infinitum. Daß eine solche Annahme absurd ist, liegt auf der Hand. Sobald aber ein Verfechter der Präformation angesichts der Unhaltbarkeit dieses Sachverhaltes die Zusatztheorie aufstellen wollte, daß freilich nicht vom ersten Vertreter einer Organismenart an bis ans Ende der Welt oder bis zum Aussterben dieser Art a l l e Generationen in den Keimzellen dieses ersten Vertreters ineinandergeschachtelt waren, dann muß er einräumen, daß es einen Zeitpunkt gegeben haben muß, wo sie nicht prä-
Präformation und Epigenese
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formiert waren, sondern neugebildet wurden, und hat damit das Prinzip der Präformation durchbrochen. Dann ist Entwicklung also Epigenesis. In der Tat zeigt uns die im vorhergehenden Kapitel gegebene kurze Beschreibung der Keimesentwicklung, daß in dem zunächst einheitlich undifferenzierten Ei einfache Strukturen sich herausdifferenzieren, die sich allmählich immer mehr komplizieren. Die folgende kausale Analyse wird es noch deutlicher machen, daß von präformierten Formen und Funktionen keine Rede sein kann. Dennoch ist heute der Gegensatz des präformistischen und epigenetischen Standpunktes dadurch gemildert, daß uns die Genetik (Vererbungslehre) das Vorhandensein der von den Eltern überkommenen Erbmasse im befruchteten Eikern nachwies. Diese Erbmasse stellt zweifellos einen präformistischen Faktor dar; durch sie ist präformiert, d. h. im voraus festgelegt, daß aus dem Ei ein der Art der Eltern entsprechender Organismus entstehen muß. Sie gewährleistet aber eine solche Entwicklung nur unter der Voraussetzung, daß die sonstigen Bedingungen, unter denen die Entwicklung stattfindet, normal sind. Sie wirken also in dem Sinne, daß sie den Organismus befähigen, auf gewisse Umstände und Reize in einer spezifischen, für ihn charakteristischen Weise zu reagieren. Die Erbanlagen und die Umweltsbedingungen arbeiten also zusammen zu dem Endergebnis eines normalen Organismus. Beide müssen normal sein, um einen normalen Embryo entstehen zu lassen. Die Reize sind zunächst äußere, aus der Umwelt kommende, z. B. der Eintritt des Spermatozoons in das Ei; später treten noch innere Faktoren hinzu. Sind die Umweltsbedingungen anormal, so ist die Entwicklung entweder überhaupt unterbunden oder sie verläuft anormal. Ebenso haben abnorme
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Ovisten und Animalkulisten
Erbanlagen eine anormale Entwicklung zur Folge. Nur wenn Erb- und Umweltsfaktoren sich in den Grenzen des Normalen halten, ergibt sidh aus ihrem Zusammenwirken eine Entwicklung, die für die Art, der der betreffende Keim angehört, charakteristisch ist. Die Differenzierung beruht also auf einem epigenetischen Prozeß, der in von der Erbmasse bedingten Reaktionen auf äußere und innere Reize besteht. Mit diesen Voraussetzungen kann an die kausale Analyse der Ontogenese herangegangen werden. Analyse der hauptsächlichsten Diiferenzierutigsschritte des Eies Am Beginn unserer Ausführungen über die beschreibende Embryologie standen die beiden Komponenten, die einen neuen Organismus begründen, Ei und Sperma. Daher hat auch die experimentelle Embryologie zunächst zu untersuchen, welche Rolle Ei und Sperma bei der Entstehung neuen Lebens zukommt. Die reine Beobachtung kann uns darüber keine hinreichende Auskunft geben. Das beweist allein schon die Teilung der Gelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts in zwei unversöhnliche Lager. Die eine Partei, die O v i s t e n (von ovum = Ei), vertraten im Sinne der Präformationslehre (s. o.) die Ansicht, daß im Ei allein der Embryo vorgebildet sei und das Eindringen des Spermatozoons nur den Anreiz zu seiner Entwicklung gebe. Das andere Lager, die A n i m a l k u l i s t e n , dagegen behaupteten, ebenfalls den Ansichten der Präformationstheorie f o l g e n d , d i e S p e r m a t o z o e n , animalculae ( = T i e r chen) genannt, enthielten den Embryo, der im Ei nur einen geeigneten Nährboden zu seiner Entwicklung finde. Ist
Künstliche Parthenogenese
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nun auch heute die Präformationslehre, wie wir sahen, in ihrer eigentlichen Form abgetan und somit auch die Fragestellung, welche von den beiden Parteien recht hat, hinfällig, so bleibt «uns doch zu entscheiden, wie die zur Entwicklung nötigen Potenzen (Fähigkeiten) zwischen Ei und Sperma verteilt sind. Ein Experiment hierzu macht uns die Natur bei einer Reihe von Tierformen selbst vor, und wir können es bei einigen geeigneten Objekten ohne große Schwierigkeiten nachahmen: die Parthenogenese oder Jungfemzeugung, bei der aus einem Ei ohne Befruchtung durch eine männliche Keimzelle ein vollwertiger Embryo entsteht. Dieser Vorgang zeigt uns, daß das Ei alle für die Entstehung eines neuen Organismus nötigen Potenzen enthält. Es möchte fast scheinen, als hätten die Ovisten zu Recht behauptet, daß das Sperma durch sein Eindringen nur den Entwicklungsanreiz liefert. Dieser Eindruck verstärkt sidi, wenn wir die natürlidie Parthenogenese nachahmen und durch chemische oder mechanische Reize (CO2, Anstich usw.) ein Seeigel- oder Amphilbienei zur parthenogenetischen Entwicklung anregen. Unser Schluß ist aber voreilig. Wir müssen auch das Spermatozoon allein auf seine Potenzen prüfen. Hierzu wird einem Ei der Kern herausgenommen und dafür ein Spermatozoon eindringen gelassen. Der Spermakern genügt, um aus dem Protoplasma des Eies einen vollwertigen Embryo zu bilden. Beide Keimzellen, die weiblichen wie die männlichen, enthalten also alle Potenzen für einen neuen Organismus. Es ist ein besonderer Luxus, den sich die Natur bei der Fortpflanzung ihrer Geschöpfe leistet, daß sie zwei Komponenten im Normalfall zusammenwirken läßt, von denen jede für sich allein schon das gleiche zu leisten vermöchte. Dieser Luxus ist freilich von einer ganz ungeheueren Be-
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Die primäre Eiachse
deutung. Auf ihm beruht ja, wie schon im Kapitel über die beschreibende Embryologie ausgeführt wurde, die Mannigfaltigkeit der Organismenwelt durch die unzähligen Kombinationsmöglichkeiten väterlicher und mütterlicher Erbanlagen. Die allererste, schon vor der Befruchtung bestehende Differenzierung, die wir im Ei bemerken können, ist die häufig ungleichmäßige Verteilung des Dotters. Beim Amphibienei, an das wir bei unseren Ausführungen immer in erster Linie denken wollen, ist er bekanntlich in erhöhtem Maße am vegetativen Pol angesammelt. Mehr Bedeutung als der Dotterverteilung ist aber der Differenzierung in animalen und vegetativen Pol, mit anderen Worten, dem Vorhandensein einer ersten Eiachse, der späteren Kopfschwanzachse des Embryos, zuzumessen, ü b e r die Herausbildung dieser Differenzierung können wir freilich nur Vermutungen hegen. Einer experimentellen Analyse ist sie ja kaum zugänglich. Es wurde speziell beim Amphibienei gezeigt, daß die Schwerkraft die Senkrechtstellung dieser Eiachse veranlaßt, daß aber Drehung des Eies und folgende Umlagerung des spezifisch schwereren Dotters oder gar dauernde Aufhebung der Schwerkraft durch einen Klinostaten (s. Fachbegriff-Verzeichnis) oder durch einen Strom von Luftblasen, in dem das Ei ständig herumgewälzt wird, die normale Entwickkimgeines Embryos nicht zu stören vermag. Die Schwerkraft ist also keinesfalls die Ursache für das Vorhandensein der primären Eiachse. Sie könnte ja auch bei isolezithalen Eiern mit ihrer gleichmäßigen Dotterverteilung nicht dafür in Frage kommen. Es wurde die Vermutung ausgesprochen, daß der animale Pol, der sich durch raschere Furchungsteilungen, überhaupt durdi stärkere Aktivität auszeichnet, sich dort am Ei ausbilde, wo dieses
Differenzierung der bilateralen Symmetrie
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im Eierstock (Ovar) den die Nährstoffe, vor allem den Sauerstoff, zuführenden Blutgefäßen am nächsten liegt. Ein Beweis hierfür steht aus. Jedenfalls würde diese Sachlage bedeuten, daß diese primitivste Differenzierung, ebenso wie die folgenden Differenzierungsschritte nicht aus inneren Faktoren heraus erfolgt, sondern von außen dem Ei aufgeprägt wird. In Einklang mit dieser Anschauung steht jedenfalls die Tatsache, daß bei den Eiern der Braunalge Fucus die Polarität durch das einfallende Licht bestimmt wird, daß aber auch an die Stelle der Lichtwirkung ein elektrischer Strom treten kann und daß ferner bei in Gruppen gelagerten Fucus-Eiern das aktivere Achsenende stets nach außen, zum Rande der Gruppe gewendet ist, also dorthin, wo die höhere Sauerstoffspannung herrscht. Doch" können diese Ergebnisse bei niederen Organismen nur als Analogien, nicht aber als Beweis dafür gewertet werden, daß die Achse animaler—vegetativer Pol auch beim Amphibienei lediglich von einem Sauerstoffgefälle bestimmt wird. Der erste, vom Ei durchgeführte Differenzierungsschritt ist die Herstellung der bilateralen Symmetrie. Sie tritt beim Amphibienei, wie wir sahen, durch die Bildung des „grauen Halbmondes" in Erscheinung, der, wie schon erwähnt wurde, genau dem Eintrittsmeridian des Spermatozoons in das Ei gegenüber gelagert ist. D a s Spermatozoon also bestimmt die künftige Mittelebene des Embryos. Das Experiment läßt diese Zusammenhänge genau erkennen, wenn man in ihm einen bestimmten Eimeridian für den Spermaeintritt festlegt; dies geschieht durch Auftropfen von ganz wenig Sperma mit einer feinen Pipette oder durch Anlegen eines spermagetränkten Fadens längs eines Eimeridians. Doch beweist die Aus-
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Differenzierung der bilateralen Symmetrie
bildung der bilateralen Symmetrie bei Fehlen eines Spermatozooneintrittes in der künstlichen Parthenogenesis, bei der der „graue Halbmond" keine Beziehungen zur Anstidhstelle zeigt, daß schon im unbefruchteten Ei ein Meridian gegenüber den anderen bevorzugt sein muß, daß also schon eine gewisse Differenzierung in rechte und linke Eihälfte vorgegeben ist, die sidi aber nur dann kundtut, wenn der stärkere Bestimmungsfaktor, der Spermaeintritt', ausbleibt. Audi hier kann folglich nur bedingt davon gesprochen werden, daß dem Ei dieser Differenzierungsschritt von außen aufgeprägt wird; diese Fähigkeit, eine bilaterale Symmetrie herzustellen, ist jedenfalls dem Ei aus sich selbst eigen; sie wird im Normalfall von einem äußeren Faktor realisiert. O b sie bei seinem Fehlen ganz aus sich heraus dann in Erscheinung tritt oder durch einen sich unserer Beobachtung entziehenden Faktor, wissen wir nicht. Es wurde auch in dieser Hinsicht die Vermutung ausgesprochen, daß die Bevorzugung eines Eimeridians vor den übrigen auf Verhältnisse im Ovar zurückzuführen ist. Die Ursadien, die zur Furchung, der Aufteilung des befruchteten Eies durch Zellteilung, führen, sind ein Problem der Zytologie und müssen daher in diesem Rahmen außer Betracht bleiben. Dagegen kann uns ein einfaches Experiment zeigen, daß der Furchungstyp, nach dem bei einem Ei einer bestimmten Tierart die Furchung verläuft, eine Funktion der Dotterverteilung ist. Schon bei der Beschreibung der Furchungstypen wurde dieser Zusammenhang als bestehend hingestellt; durch das Experiment wird er unter Beweis gestellt. Das Amphibienei ist zwar holoblastisch, d. h. es bleibt kein Eiteil ungefurcht; doch sind die Zellen des vegetativen Poles größer, weil der Dotter hinderlich ist. Wird nun durch Zentrifugieren der Dotter
Faktoren der Gastrulation
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noch mehr in die vegetative Hälfte hineinverlagert, so furcht sich das Amphibienei diskoidal wie ein Vogel- oder Reptilienei; das gefurchte Protoplasmamaterial liegt dann als Keimseheibe dem ungefurchten Dotter auf. Die Gastrulation ist, wie wir sahen, ein sehr komplizierter Vorgang. Eine Reihe verschiedener Komponenten wirken zu ihrem Ablauf zusammen. Zunächst hat die Zellschicht der animalen Hälfte eine Neigung zur Ausdehnung, durch die sie die übrigen Eibezirke zu überziehen bestrebt ist. Die ringförmige Randzone zwischen animaler und vegetativer Eihälfte hat die Eigenschaft, sich zum vegetativen Pol hin zu strecken, und, der Wölbung des Eies folgend, ihren Durchmesser zu verkleinern. Als drittes Moment kommt hinzu, daß die Randzone dort, w o sie von der Rückenlinie geschnitten wird, die Tendenz hat, sich einzurollen und in die Tiefe zu sinken. Die drei Komponenten arbeiten in der normalen Keimesentwicklung so harmonisch zusammen, daß von ihrer Existenz kaum etwas zu bemerken ist. Im Experiment läßt sich jede von ihnen in aller Deutlichkeit herausschälen. So erweist ein in eine andere Eiregion transplantiertes Stück der dorsalen Randzone auch am fremden Ort seine Einrollungsund Einsenkungstendenz, indem es sogleich ins Eiinnere verschwindet. Die Neigung zum Ausbreiten und zum überwachsen über die anderen Zellmassen, die der zukünftigen Epidermis zukommt, wird klar erkennbar, wenn man zwei ventrale Keimhälften zusammensetzt: jede von ihnen sucht die andere zu überwachsen, und in diesem gegenseitigen Bemühen entsteht ein Gebilde mit faltigen Rändern, da die Ausbreitungstendenzen gegeneinanderlaufen. Endlich verdeutlicht ein drittes Experiment die autonome Fähigkeit der Randzone zur ringförmigen ZuN a r d i , Organismus.
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Die Furchungskerne
sammenziehung. Entnimmt man dem Keim am animalen Pol ein Stück Material, so wird dieser Substanzverlust durch Schließung der Wundränder ausgeglichen; hierdurch wird die Randzone am Herabrücken unter den Eiäquator verhindert. Dennoch zieht sie sich ringförmig ein, nicht aber, wie im Normalfall, die vegetative Hälfte umfassend, sondern indem sie den Keim in der Äquatorlinie sanduhrförmig einschnürt. Die Embryogenese nimmt nach der Gastrulation einen immer komplizierteren Verlauf. Jetzt sind es nicht mehr so sehr die Gestaltungsbewegungen und Materialverschiebungen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vielmehr treten in diesem Stadium die Anlagebildungen der zukünftigen Organe aus dem durch die Gastrulation an den richtigen Ort verbrachten Material in den Vordergrund. Die Differenzierung nimmt einen immer größeren Umfang an. Vorweg ist zu klären, ob diese Differenzierung etwa auf einer Verschiedenheit der Zellkerne beruht. Daß dem nicht so ist, lehrt uns wiederum ein einfacher Versuch. Zwingt man das Ei, sich unter Pressung zwischen zwei Glasplatten zu furchen, so gelangen durch diesen Eingriff die Furchungskerne in ganz andere Protoplasmaportionen, als dies bei einer unbeeinflußten Furchung der Fall wäre. Dennoch entwickelt sich nadi Aufhebung der Pressung ein normaler Embryo. Ein technisch schwierigeres Experiment beweist, daß die Furchungskerne durch die Teilungen nicht verschieden werden, sondern untereinander gleichartig bleiben. Schnürt man nämlich ein eben befruchtetes Ei mit einer Haarschlinge durch, dann furcht sich nur die den Kern erhaltende Hälfte. Hat diese dais 1-, 4-, 8- oder auch 16-Zellstadium erreicht, so lockert man die Schlinge und 1 /4, 1 ls oder läßt einen Teilkern, der also einem des
Determination
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befruchteten, ungeteilten Eikernes entspricht, in die bisher ungeteilte Eihälfte übertreten. Diese durchläuft nun auch eine normale Furchung, und aus ihr entsteht, wenn nach dem Kernübertritt die Schlinge zu einer völligen Abschnürung zugezogen wurde, ein vollwertiger Embryo. Es spielt zwar hierbei auch die Ebene der Durdischnürung eine Rolle, doch soll dieser Umstand hier unberücksichtigt bleiben. Denn hier kommt es darauf an, daß das Experiment uns beweist, daß auch ein Teilkern — selbst wenn er nur */i6 des Ursprungkernes ausmacht — alle Potenzen für die Entwicklung eines normalen Embryos enthält, durch die Furchungsteilungen also kein Unterschied in den Teilprodukten aufgetreten und somit die Differenzierung der präsumtiven Organanlagen keine Angelegenheit der Zellkerne ist. Ihr Ursprung muß vielmehr in irgendeinem anderen Faktor gesucht werden, der irgendwie das Zytoplasma der verschiedenen Eiregionen beeinflußt. Bevor die Differenzierung sichtbar wird, ist schon bestimmt oder, wie der Fachausdruck heißt, determiniert, in welcher Richtung die Differenzierung einer Region zu verlaufen hat. Die präsumtiven Organanlagen haben also eine Determination ihres zukünftigen Schicksals. Bei ungestörter Entwicklung wird die Vorausbestimmung auch verwirklicht. Transplantationsversuche auf junge Gastrulen von Amphibien lehren uns aber, daß Stücke aus verschiedenen Eiregionen noch vertauschbar sind, daß ihre Determination noch labil und nicht unwiderruflich ist. Ein verpflanztes Stück präsumtiven Medullarrohres entwickelt sich in seiner neuen Umgebung, z. B. der Kiemenregion einer anderen Gastrula, „ortsgemäß", d. h. in diesem Falle zu Kiemen. Sogar Austausch zwischen mesodermalen und ektodermalen Pfropfstücken ist in diesem Stadium möglich.
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Regulations- und Mosaikeier
Es kommt aber dann während der Gastrulation ein Zeitpunkt, von dem ab die Determination der präsumtiven Regionen unwiderruflich geworden ist. Von nun ab entwickelt sich ein Transplantat, gleichgültig in welche Region es verpflanzt wurde, „herkunftsgemäß", also im Sinne seiner Determination. Mit der Differenzierung in einer Richtung verknüpft sich — meist müssen wir hier einfügen — der Verlust der Fähigkeit der Differenzierung in anderer Richtung. Da, wie wir oben zeigten, die Kerne für diese Verhältnisse keine Bedeutung haben, müssen wir annehmen, daß im Zytoplasma heute noch nicht näher definierbare Veränderungen physiko-chemischer Natur vor sich gehen, zunächst in einem reversiblen, d. h. umkehrbaren Ausmaße, später in irreversibler Weise. Ist dieser Zustand erreicht, dann besteht der Keim aus nebeneinanderliegenden Anlagen, die alle das Vermögen zu unabhängiger Weiterentwicklung in sich tragen. Man hat für diesen Zustand den treffenden Ausdruck „Mosaikstadium" geprägt. Ihm stellt man jene vorhergehenden Verhältnisse gegenüber, in denen das Ei in seiner Gliederung noch plastisch ist, wo noch ein Keimteil sich in jede neue Lage einfügen kann und dadurch Störungen ausgleichbar sind; es trägt daher den Namen „Regulationsstadium". Es gibt nun Eier verschiedener Tiere, bei denen das Regulationsstadium lange währt. Man bezeichnete sie als „Regulationseier". Andere wieder gelangen sehr frühzeitig ins „Mosaikstadium", es sind dies die „Mosaikeier". Wenn die Unterscheidung auch für manche Zwecke brauchbar ist, so darf man doch nicht vergessen, daß strenggenommen jedes Ei, gehöre es dem einen oder anderen T y p an, beide Stadien durchläuft. Außerdem ist zu bemerken, daß der Übergang aus dem Regulations- in das Mosaikstadium
Der Organisator
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keineswegs schlagartig erfolgt, sondern daß manche Ei* regionen bereits irreversibel determiniert sein können, wenn andere noch plastisch, sind. Ein besonders wichtiger Fall dieser Art liegt beim Amphibienei vor. Die dorsale Urmundlippe, aus dem Zentrum des „grauen Halbmondes" hervorgehend, erweist sich bei Transplantationen auf dem frühen Gastrulastadium keineswegs als plastisch. Sie bildet, ihrer Determination entsprechend, auch am fremden Ort Chorda, Urdarmdach und Mesoderm. Diese endgültige Determination erhält sie anscheinend schon sehr frühzeitig, wahrscheinlich schon vor Beginn der Furchung bei der Ausbildung des „grauen Halbmondes", dessen Situation seinerseits, wie wir sahen, vom Spenmaeintritt festgelegt wird. Schon bei der Besprechung der die Gastrulationsbewegungen bestimmenden Komponenten wurde darauf hingewiesen, daß die dorsale Randzone, eben die dorsale Urmundlippe, überall die Fähigkeit zeigt, sich einzurollen und in die Tiefe zu versenken. Tut sie dies und bildet dann „herkunftsgemäß" Chorda-,Mesoderm, so tritt uns nodi eine weitere gänzlich unerwartete Erscheinung entgegen: Ganz gleich wohin in einen anderen Embryo vor der Zeit des Verlustes der Plastizität seiner präsumtiven Organbezirke ein Stück dorsaler Urmundlippe transplantiert •wurde, es entwickelt sich nicht nur in seiner Determinationsrichtung weiter, es veranlaßt vielmehr darüber hinaus die umliegenden Gewebe seines Wirtes, ihre präsumtive Entwicklungsriditung aufzugeben und sich zu den Hauptorganen eines Embryos zu differenzieren, als da sind: Neurairohr, Hirn, Augen, Ohren, Chorda, Muskelsegmente u. a. Die transplantierte dorsale Urmundlippe, so sagen wir in der Fachsprache, „induziert eine sekundäre Embryonalanlage"; sie wirkt also auf die noch umbildungs-
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Der Organisator
fähigen Gewebe ihres Wirtes organisierend, und der Entdecker dieser für die ganze experimentelle Morphologie hervorragend bedeutungsvollen Erscheinung, H. Spemann, bezeichnet die dorsale Urmundlippe des Amphibieneis daher als „Organisator". Besser als alle Beschreibung mag die Abbildung (Abb. 6) die Verhältnisse wiedergeben, die ein in die Bauchseite eines anderen Embryos transplantierter „Organisator" schafft. Diese Organisator- oder Induktionswirkung in einem fremden Wirtskörper läßt den Schluß zu, daß die dorsale Urmundlippe auch in normaler Situation die Organisation der Embryonalanlage ihres eigenen Keimes durchführt. Wir können uns im Experiment von der Richtigkeit dieser Vermutung überzeugen. Man trennt die beiden ersten Blastomeren des Molcheies durch eine Absdmürung mittels der Haarschlinge. Entsprach die Ebene der ersten Furchungsteilung etwa der Medianebene des späteren Embryos, so bekommt jede Blastomere einen Teil des „Organisators" mit und ist dadurch befähigt, einen normalen Embryo zu bilden. Das Endergebnis sind in diesem Falle normal und gleich entwickelte Zwillinge. Teilt hingegen die erste Furchung die spätere Dorsal- und Ventralhälfte des Embryos, dann enthält nur die der Dorsalhälfte entsprechende Blastomere den Organisator und wird nach der Durchsdmürung zu einem völligen normalen Embryo, die andere, der Ventralhälfte entsprechende Blastomere hat nichts vom Organisatormateriail mitbekommen, furcht sich zwar und gliedert sich in die drei Keimblätter, aber sie bildet keine Achsenorgane aus, sondern bleibt ein formloses Bauchstück. Aus diesen experimentellen Ergebnissen ist klar ersichtlich, daß in der Tat der Organisator, das Gebiet der dorsalen Urmundlippe, es ist, der beim Am-
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Der Organisator Abb. 6. Induktion einer „sekundären Embryonalanlage" durch die Einpflanzung eines „Organisators" in die Bauchseite eines Molchkeimes, a Moldiembryo mit Schwanzknospe, Augen- und Ohranlage, der am Bauche eine induzierte sekundäre Embryonalanlage trägt. Außenansicht, b Histologischer Querschnitt durch einen solchen Molchembryo. Pr. med. Neuralrohr des Embryo selbst; Sek. Med. Neuralrohr der sekundären Embryonalanlage; Sek. Ch. Chorda derselben. R. sek. Uw. rechter Urwirbel (Rumpfmuskelanlage) derselben; R. sek. Pron. rechte Nierenanlage derselben; Sek. D. Darm derselben.
Sek. D.
Sek. Med.
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Abhängige und Selbstdifferenzierung
phibienei über die Determination der Keimbezirke entscheidet. Er ordnet sie, je nach ihrer relativen Lage zu ihm, in die Organisation des künftigen Embryos ein. Sie entwickeln sich also abhängig vom Organisator, sie zeigen in diesem Stadium „abhängige Differenzierung". Haben die Organanlagen jedoch den Zeitpunkt ihrer irreversiblen Determination erreicht, dann entwickeln sie sich unabhängig von ihrer Umgebung, sie zeigen „Selbstdifferenzierung". In dieser Zeit der „Selbstdifferenzierung" können nun manche Organe ihrerseits wieder auf ihre Nachbarorgane im Sinne eines Organisators einwirken. Natürlich nicht in Form der Induktion einer sekundären Embryonalanlage; diese Induktionsleistung kommt nur dem eigentlichen „Organisator", der dorsalen Urmundlippe, zu. Dodi induziert z. B. der Augenbecher, ein bestimmtes becherförmiges Stadium der Entwicklung der Augenanlage, in der über ihm liegenden Epidermis die Bildung einer Linse. In Analogie zur „primären Induktion" des „Organisators" bezeichnet man derartige Vorgänge als „sekundäre Induktion". Sie ist einer der wichtigsten Faktoren der weiteren Gliederung und Differenzierung des Embryos. Nach diesem Überblick über die hauptsächlichsten Differenzierungsschritte des Eies sollen noch einige besondere Fragen näher behandelt werden. Die Auswahl, das sei vorausgeschickt, soll nicht bedeuten, daß Nichterwähntes weniger wichtig ist. Bei der Fülle der in der experimentellen Embryologie erarbeiteten Tatsachen, wobei oft zahlreiche Einzelarbeiten der Analyse eines eng umgrenzten Problems, etwa den Entwicklungsfaktoren eines ganz bestimmten Organes, gelten, ist es völlig unmöglich, innerhalb des Umfanges dieses Buches selbst die wichtigsten auch nur zu streifen. Es mußte eine Auswahl getroffen
Das harmonisdi-äquipotentielle System
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werden, die lediglich dem Gesichtspunkte folgt, die oben kurz beleuchteten Erscheinungen in der Vorstellung des Lesers etwas zu vertiefen. Das „harmonisch-äquipotentielle System" (Driesch) Wie im vorausgehenden Kapitel gezeigt wurde, hat die Durchschnürung des Amphibienkeimes auf dem ZweiZellstadium eine Zwillingsbildung oder die Bildung eines normalen Embryos und eines formlosen Bauchstückes zum Ergebnis, je nachdem die erste Furchung annähernd mit der Ebene der bilateralen Symmetrie des Eies zusammenfällt oder die dorsale von der ventralen Eihälfte trennt. Ein wesentlich anderes Resultat zeitigte Roux (1888), als er am Froschei eine der beiden ersten Blastomeren mit einer erhitzten Nadel anstach und damit an der Weiterentwicklung verhinderte. Die überlebende Blastomere entwickelte sich weiter, als sei nichts geschehen, und bildete dementsprechend einen halben Embryo. Welche Organe dieser halbe Embryo aufweist, hängt natürlidi wieder davon ab, wie die Furdiungsebene sich zur Ebene der bilateralen Symmetrie verhält. Dieses Versuchsergebnis von Roux steht nicht nur im völligen Widerspruch zu dem Durchschnürungsversuch, sondern darüber hinaus beobachtete T. H. Morgan nach Anwendung von Rouxs eigenem experimentellen Eingriff ganz andere Folgen. Auch er stach eine Blastomere mit der heißen Nadel an, drehte aber hierauf das so behandelte Ei in Zwangslage um. Hierauf bildete sieb aus der überlebenden -Blastomere ein ganzer Embryo. Dieser Versuch von Morgan beweist, ebenso wie der Durchschnürungsversuch, daß auch der H-Blastomere die Potenz zur Bildung eines ganzen Embryos innewohnt.
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Das harmonisch-äquipotentielle System
W a r u m tritt diese Potenz bei dem Versuch von Roux nicht in Erscheinung? Man muß sich dies so erklären. Durch den Eintritt des Spermiums entsteht im befruchteten Ei eine bilateralsymmetrische Struktur. Hierdurch werden auch die beiden ersten Blastomeren für die Bildung je eines halben Embryos bestimmt. Die Abtötung der einen Blastomere ändert an dieser Anordnung nichts. Es entsteht aus der übrigbleibenden Blastomere ein halber Embryo. W i r d jedoch das angestochene Ei umgekehrt oder werden die beiden Blastomeren nicht in Kontakt belassen, sondern bei der Durchschnürung völlig voneinander getrennt, so tritt eine Strömung des Eiinhaltes auf, da der spezifisch schwerere Dotter nach unten sinken muß, bzw. die innere Struktur des Eies ändert sich durch den Wegfall der engen Berührung der beiden Blastomeren. Durch diese Strömungsbewegung ist der auf Halbbildung eingestellten Struktur der überlebenden Blastomere Gelegenheit gegeben, sich auf Ganzbildung umzustellen. Es entsteht ein ganzer Embryo. Driesch, der ebenfalls im Gegensatz zu Roux aus x/zBlastomeren von Seeigeleiern, die er durch heftiges Schütteln voneinander trennte, ganze Embryonen erhielt, betrachtet auf Grund dieses Ergebnisses den Seeigelkeim als ein System von Teilen, die alle dieselbe Potenz haben, und bezeichnet es als ein „äquipotentielles System", d. h. ein System von gleichen Fähigkeiten. Es teilt sich harmonisch in untergeordnete Systeme auf, deren Teile wieder äquipotentiell sind, bis schließlich jede Keimregion ihre Entwicklungsrichtung zugeteilt bekommen hat; und zwar ist diese Entwiddungsrichtung „eine Funktion ihrer Lage im Ganzen". Diese Auffassung des sich entwickelnden Eies als eines Systems harmonisdi aufeinander abgestimmter
Induktion
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gleichwertiger Teile, als eines „harmonisch-äquipotentiellen Systems", hat, wenn wir den Gedankengängen von Driesch folgen, nicht nur für den Seeigelkeim, sondern auch für den Amphibienkeim zu gelten. Induktionsleistung des Organisators W i e die organisierenden Eigenschaften der dorsalen Urmundlippe des Amphibienkeimes erkannt werden können, wurde bereits weiter oben dargestellt. Es ist dabei dem Organisator die Fähigkeit zuzuschreiben, nacht seiner Invagination während der Gastrulation von unten her auf das über ihm liegende Ektoderm formative Reize aussenden zu können. Diese Befähigung tritt in der T a t nicht nur bei dem invaginierten Organisator in Erscheinung, sondern auch im Experiment, bei der Transplantation in fremde Umgebung. In die Tiefe gesunken, induziert das Transplantat in dem überlagernden Gewebe die sekundäre Embryonalanlage. Dabei wird das Transplantat selbst, seiner bereits gefestigten Determination entsprechend, zu Chorda und Mesoderm, während Wirtsgewebe von ganz anderer prospektiver (voraussichtlicher) Bedeutung Medullarrohr und andere Achsenorgane liefert. Es wurde jedoch auch die Behauptung aufgestellt, daß die dorsale Urmundlippe bereits vor der Gastrulation kopfwärts in den Teil des Ektoderms, der die präsumtive Medullarplatte umfaßt, determinative Reize im Sinne einer Entwicklung zur Medullarplatte aussende. Isolierungsexperimente von präsumtiver Medullarplatte sollen erwiesen haben, daß diese auch ohne Unterlagerung durch den Organisator eine Medullaranlage zu bilden vermag. Es läge dann jener Fall vor, den man als „Prinzip der doppelten Sicherung" be-
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Doppelte Sicherung
zeichnet hat. Es soll damit ausgedrückt sein, daß zur Erreichung eines so wichtigen Entwicklungszieles, wie es die Ausbildung des Neurairohres darstellt, auf zwei Wegen erreicht werden kann, nämlich sowohl durch die Unterlagerung durch den Organisator wie durch eine frühe labile Determination der präsumtiven Medullarplatte. Die doppelte Sicherung, die uns auch noch bei anderen Entwicklungsvorgängen entgegentritt, fällt nach Ansicht von Spemann in den Rahmen des umfassenderen Begriffes des „synergetischen Prinzips der Entwicklung". Spemann will damit in Übereinstimmung mit Fr. E. Lehmann sagen, daß das übereinandergreifen der Entwicklungspotenzen, wie es sich bei der „doppelten Sicherung" zeigt, nur „einen Sonderfall einer allgemeineren Erscheinung, des harmonischen Ineinandergreifens der einzelnen Entwicklungsvorgänge, darstellt". Durch weitere Experimente, auf die zum Teil noch später eingegangen werden wird, ist es jedoch zweifelhaft geworden, ob gerade bei der Entstehung des Medullarrohres der Fall einer „doppelten Sicherung" tatsächlich gegeben ist. Der Induktionsvorgang durch den Organisator beruht auf der Beteiligung zweier Komponenten, des „Aktionssystems", in diesem Fall des Organisators, und des „Reaktionssystems", der Wirtsgewebe, die auf den Induktionsreiz mit einer typischen gestaltenden Leistung ansprechen. Dabei ist bemerkenswert, daß die Wirkung des Organisators nicht artspezifisch ist, d. h. auch bei Transplantation in einen Embryo einer anderen Amphibienart die Bildung einer sekundären Embryonalanlage induziert. Aber nicht nur wirkt ein Organisator von Triton cristatus (Kammmolch) in einem Triton taeniatus-Wirt (gemeiner Teichmolch), sondern darüber hinaus auch in einem Embryo
Aktions- und Reaktionssystem
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von Amblystoma (Axolotl) und sogar in einem Anurenkeim z. B. von Bombynator pachypus (Unke). Doch ergeben solche heteroplastische (zwischen verschiedenen Tierarten) und xenoplastische (zwischen verschiedenen Tierfamilien) Organisatortransplantationen Resultate, die für das Wesen der Induktion äußerst aufschlußreich sind. In die Kiemenregion von Triton cristatus verpflanztes, präsumtives Ektoderm von Triton taeniatus wird zwar ortsgemäß zur Bildung von Kiemen veranlaßt, doch zeigen diese Kiemen den typischen taeniatus-Charakter, indem sie größer sind als normale cristatus-Kiemen, und umgekehrt. Noch auffallender ist, daß Ektoderm einer beginnenden Froschgastrula, in die spätere Mundgegend eines Molches verpflanzt, sich zwar ortsgemäß zu Mundorganen differenziert, aber an Stelle des für den Molch charakteristischen Haftfadens den der Froschkaulquappe zukommenden Saugnapf und an Stelle der Moldizähnchen die Hornkiefer der Froschlarve bildet. Der Organisator ist also nur spezifisch hinsichtlich des allgemeinen Typs von Organen und Strukturen, die induziert werden, z. B. Kiemen, Mundteile, aber unspezifisch, was die Einzelheiten dieser Strukturen betrifft. Der Organisator, das „Aktionssystem", gibt gewissermaßen einen allgemein gehaltenen Befehl, während das „Reaktionssystem" diesem Befehl entsprechend den in seinen Erbanlagen ruhenden Fähigkeiten nachkommt. Aus Schnürungsexperimenten ist zu entnehmen, daß der Organisator seine Induktionsfähigkeit schon sehr frühzeitig erhält, sie jedenfalls schon zehn Minuten nach der Befruchtung besitzt. Er behält diese Eigenschaft auch noch lange Zeit über die Bildung des Neurairohres in der Normalentwicklung hinaus. Daneben kommt auch dem Medullarmaterial selbst das Vermögen zu, seinerseits bei
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Homoiogenetische Induktion
Transplantation in präsumtiver Epidermis eine Medullarplatte zu induzieren. Man nennt dies eine „homoiogenetische" Induktion (gleichartige Induktion) im Gegensatz zur heterogenetischen (andersartigen) Induktion, die dann vorliegt, wenn der Organisator, der ja Chorda-Mesodermmaterial ist, Medullarplatte induziert. Ohne Näheres über die tatsächlichen Grundlagen dieser Erscheinung aussagen zu wollen, kann man sich vorstellen, daß die homoiogenetisch induzierende Medullarplatte, die ihrerseits durch die Organisationsleistung eines Organisators entstanden ist, dieses Induktionsvermögen übernommen hat und nun selbst wie ein Organisator wirken kann. Die regionale Struktur des Organisators Räumlich erstreckt sich die Organisatoreigenschaft der dorsalen Urmundlippe über jenen ganzen Bezirk der Randzone der Blastula und frühen Gastrula, der bei der Gastrulation invaginiert wird, also das präsumtive ChordaMesoderm repräsentiert. Man kann vermuten, daß ein so ausgedehntes Gebiet regionale Unterschiede aufweist. In der Normalentwicklung gerät der zuerst eingestülpte Abschnitt des Organisatormaterials am weitesten nach vorne und unterlagert dort die Kopfregion der Medullarplatte; die später invaginierten Organisatorabschnitte hingegen bleiben weiter hinten und unterlagem die Rumpfregion. Wird nun der frühzeitig invaginierte Kopforganisator in der Höhe des Kopfes in einen Wirt eingepflanzt, so induziert er Kopforgane, wie Gehirn, Augen, Ohren. Die sekundäre Embryonalanlage entbehrt aber des Rumpfabschnittes. Umgekehrt induziert „RumpfOrganisator" in der Rumpfregion des Wirtes Rumpf organe, und der sekundären Embryonalanlage fehlen die Kopfabschnitte.
Regionale Struktur des Organisators
Hl
Zwischen Kopf- und Rumpforganisator liegende Organisatorabschnitte veranlassen dementsprechend die Bildung von Organen dieser Region, z. B. hintere Kopforgane, wie die Ohren, und vordere Rückenmarkssegmente. Analoge Ergebnisse zeitigt die homoiogenetische Induktion (s. o.) verschiedener Abschnitte der Medullarplatte. Aus solchen Experimenten geht hervor, daß das Organisatormaterial tatsächlich eine regionale Gliederung besitzt, jedoch hängt die Art der induzierten Organe nicht nur davon ab, aus welcher Region der Organisator stammt, sondern auch von dem Querschnitt der Körperachse des Wirtes, in den die Organisatortransplantation erfolgt. In den oben angeführten Experimenten wurde Kopforganisator in Kopfregion und Rumpforganisator in Rumpfregion verpflanzt. Dort liefen also etwa vorhandene regionale Tendenzen von Transplantat und Wirt parallel zueinander. Implantiert man aber Kopforganisator in Höhe des Rumpfes, so induziert er zwar Kopfbildung, dodi ist sie etwas unvollkommen. Der Kopforganisator setzt sich also zum größten Teil gegenüber den auf Rumpfbildung eingestellten Tendenzen des Wirtes durch. Anders hingegen verhält sich ein in Kopfgegend des Wirtes transplantierter Rumpforganisator. Seine Induktion hat Kopfbildung zur Folge. Da er von sich aus keinesfalls auf Kopfinduktion eingestellt sein kann, ist in diesem Ergebnis der Einfluß der Wirtsregion zu erblicken. Im allgemeinen ist entsprechend den eben erkannten Einflüssen, die der Wirt auf die Bildung der sekundären Embryonalanlage nimmt, diese der Achse des primären Embryos parallel gerichtet und ihr auch in der Polarität gleich. Doch ist die Achse der sekundären Embryonalanlage nicht ausschließlich vom Wirt bestimmt, ihre Rieh-
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Organisatorwirkung und Mißbildung
tung hängt auch zum Teil von der Richtung des transplantierten Organisators ab. Pflanzt man nämlich Organisatorstücke um 90 oder 180° zur Achse des Wirtes gedreht ein, so sucht der Wirt den induzierten Embryo zwar in seine Achsenrichtung abzulenken, das Transplantat dagegen bemüht sich in seiner Orientierung zu invaginieren. So ergeben sich die verschiedensten Abstufungen von mehr oder minder quer zur primären Embryoachse liegenden induzierten Embryonalanlagen. Der orientierende (richtende) Einfluß des Wirtes äußert sich am stärksten in der Gegend des Urmundes, während die Fähigkeit des Organisators, seine Invaginationsrichtung durchzusetzen, um so größer ist, je älter die Gastrula ist, aus der er stammt. Will man also eine zum primären Embryo möglichst entgegengesetzte sekundäre Embryonalanlage erzielen, so muß man einen alten Organisator in die vordere Bauchregion des Wirtes, also weitab vom Urmund, implantieren. Organisatorwirkung und Mißbildung Die Fähigkeit des Organisatormaterials, in jeder beliebigen Region eines in Entwicklung begriffenen Keimes eine sekundäre Embryonalanlage zu induzieren, kann der Anlaß zu verschiedenartigen Störungen der Embryogenese sein. Denn jede medianische Verlagerung von Teilen des Organisators kann zur Bildung sekundärer Embryoteile am falschen Ort führen. So hat eine unvollständige Schnürung des Eies in der Ebene der bilateralen Symmetrie während der Gastrulation einen Embryo mit verdoppeltem Vorderkörper und einfachem Schwanz zur Folge. Die Gastrulationsbewegungen machen es uns verständlich, warum aus der unvollständigen Schnürung immer eine Mißbildung mit verdoppeltem Vorderende, die die Teratologie (Lehre
Duplicitas anterior und posterior
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von den Mißbildungen) als Duplicitas anterior (vordere Verdoppelung) bezeichnet, entstehen mußte und warum sie nicht auch einmal zu einer Duplicitas posterior, d. h. einer Mißbildung mit einfachem Vorder- und verdoppeltem Hinterende, führt. Das invaginierende Chorda-Mesodermmaterial wird nämlich durch die schnürende Haarschlinge zu einer Gabelung in der Strömungsrichtung gezwungen, und zwar um so mehr, je enger die Schlinge gezogen ist. Ein entsprechender Rest strömt nicht mehr so weit vor, als daß er sich gabeln müßte. D a das zuletzt invaginierte Material am weitesten kaudalwärts verbleibt und die Schwanzregion der Embryonalanlage induziert, bleibt diese einfach. Im kopfwärts gelegenen T e i l dagegen ist das Organisatormaterial Y-förmig gegabelt, und induziert somit eine verdoppelte vordere Embryoregion. Eine Duplicitas posterior läßt sich hingegen auf diese W e i s e erzielen, daß man zwei Gastrulahälften in der W e i s e zusammensetzt, daß die Ströme ihrer Organisatorinvagination, aus zwei verschiedenen Richtungen kommend, nach vorne zusammenfließen. Dann entsteht ein mißbildeter Embryo mit einheitlichem Vorder-, aber verdoppeltem Hinterende. Ein besonders interessantes Ergebnis hat die künstliche Zusammensetzung zweier dorsaler Gastrulahälften in der Weise, daß ihre Invaginationsströme direkt gegeneinander gerichtet sind. Treffen die Ströme an der Verwachsungsnaht zusammen, so zwingen sie sich gegenseitig zu einer rechtwinkeligen Umbiegung. Das Chorda-Mesodermmaterial beider Keimhälften bildet dann zusammen mit dem anderen ein Kreuz, von dem zwei gegenüberliegende Arme zwei normale Hinterenden darstellen, während die beiden anderen gegenüberliegenden Kreuzarme VorderN a r d i , Organismus.
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Duplicitas cruciata
enden sind, die jeweils halbseitig aus dem einen und dem anderen Keimmaterial zusammengesetzt sind. Die induzierten Medullarplatten sind entsprechend kreuzförmig und von entsprechender Zusammensetzung. Die Abbil-
Abb. 7. Duplicitas cruciata. a Zwei dorsale Gestrulahälften des Molches, so zusammengesetzt, daß ihre Invaginationsströme einander entgegengerichtet sind; b Das Ergebnis dieses Versuches im Neurulastadium: eine Duplicitas cruciata.
düngen 7 und 8 zeigen die Ausbildung und das Endergebnis einer solchen Duplicitas cruciata, d. h. kreuzweisen Verdoppelung. Exogastrulation Besonders instruktiv für die mit der Induktionsleistung des Organisators zusammenhängenden Mißbildungen ist ein von Holtfreter durchgeführtes Experiment. Er entfernte bei der frühen Blastula des Axolotls die Dottermembran und brachte den Keim mit nach oben gedrehtem Urmund in eine 0,35%ige Salzlösung. Unter diesen Verhältnissen gelingt es den besonders dotterreidien Axolotlkeimen nicht, Mesoderm und Entoderm zu invaginieren.
Exogastrulation
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Die dennoch eintretenden Gastrulationsbewegungen äußern sich nur in einer Ausrollung des Meso- und Entoderms, und der sich wie in der Normalentwicklung immer mehr verengernde Urmund schnürt das Ektoderm bis auf einen
Stadium der ausgeschlüpften Larve.
dünnen Stiel von den Massen des mittleren und inneren Keimblattes ab. Die beigegebene Originalalbbildung von Holtfreter (Abb. 9) zeigt diesen als „Exogastrulation" bezeidineten Vorgang im Vergleich zur normalen Gastrulation. Das exogastrulierte Meso- und Entoderm bildet einen mit allen Organen versehenen Embryo, dem jedoch 8*
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Exogastrulation
die aus dem Ektoderm stammenden Organe, nämlich Haut und Nervensystem, fehlen. Das Ektoderm seinerseits stellt einen formlosen, leeren Hautsack dar. Durch die ausbleibende Unterlagerung mit Chorda-Mesoderm ist das Ektoderm unfähig zu Gestaltungsbewegungen und zu geweblicher Differenzierung. Bildung von Medullarplatte oder auch nur Differenzierung in Medullargewebe fehlt gänzlich. Die präsumtive Medullarplatte ist wie die präsumtive Epidermis ein Zylinderepithel und unterscheidet sich von dieser höchstens durch eine etwas stärkere mediane Strekkung. Das Ento-Mesoderm ist hingegen in Kopf-, Schwanzund Rumpfregion gegliedert, jedoch mit völlig abnormen Lagebeziehungen der Organsysteme zueinander. Das
Abb. 9. a und b normale Gastrulation in Aufsicht auf den Ur/nund und in Seitenansicht; c und d zwei Stadien der Exogastrulation. Die Pfeile zeigen die Strömungsrichtung der Materialbewegungen.
Der „Exokeim"
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Entoderm ist nämlich mit seiner sonst das Darmlumen begrenzenden Fläche nach außen gekehrt und umhüllt das in seinem Inneren in Chorda, Muskelsegmente, Mesenchym und Knorpel aufgegliederte Mesoderm. Die Bedeutung dieser experimentellen Mißbildung bc ruht in erster Linie darin, daß man aus ihr das Verhalten einerseits eines jeder Unterlagerung entbehrenden Ektoderms, andererseits eines aller ektodermalen Bildungen, vor allem des Nervensystems, entbehrenden Ento-Mesoderms studieren kann. Besonders auffallend ist die weitgehende Fähigkeit des Ento- und Mesoderms zur autonomen Gestaltung undSelbstdifferenzierurtg im Gegensatz zu der Gestaltungsunfähigkeit der präsumtiven Medullarplatte und der präsumtiven Epidermis. Der Wert des Experimentes wird jedoch noch weiter gesteigert durch den Umstand, daß neben der totalen Exogastrulation alle möglichen Uber gänge partieller (teilweiser) Exogastrulation vorkommen. Mit aller Deutlichkeit springt hierbei der Zusammenhang zwischen der Unterlagerung von Chorda und Mesoderm und neuralen Bildungen in die Augen. Jeweils dem Grad der Invagination entsprechend entsteht eine Medullarplatte, beginnend mit der Bildung eines normalen Schwanzes bis zu der kopfloser, aber sonst normaler Embryonen und schließlich bis zur Bildung völlig normaler Larven. Aus solchen Versuchsergebnissen geht nicht nur die absolute Notwendigkeit der Organisatorunterlagerung für die Entstehung der Medullarplatte, sondern auch die regionale Gliederung des Organisators klar hervor Sie läßt sich auch noch durch folgende Versuchsanordnung demonstrieren. Man legt aus der frühen Gastrula entnommene Ektodermlappen auf das Chorda-Mesoderm eines „Exokeimes", wie Holtfreter den exogastrulierten Keim be-
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Der „Exokeim"
zeichnet, und zwar noch ehe das Chorda-Mesoderm in das Entoderm eingesunken ist. Die Ektodermlappen differenzieren sich dann entsprechend der Chorda-Mesodermregion, der sie aufgelagert wurden, in neurale Bildungen, in der Kopfregion also zu Hirn mit Augen und Ohranlagen, in der Rumpfregion zu normalem Rückenmark, in der Schwanzregion zu einem typischen Schwänzchen. Die wichtigste Folgerung, die Holtfreter aus der Exogastrulation zieht, ist die, daß dem präsumtiven Medullarmaterial vor der Gastrulation jede, auch labile, Determination fehlt, eine „doppelte Sicherung" der Bildung des Neurairohres im oben erläuterten Sinne also abzulehnen ist. Zugleich verneint er die Möglichkeit einer Ausbreitung der Organisatorwirkung in der Fläche, da bei der Exogastrulation das Chorda-Mesoderm lange genug in der Gegend des Urmundes mit dem benachbarten Ektoderm in Zusammenhang bleibt, um in ihm Neurulation induzieren zu können. Da dennoch nur dann Medullarbildungen auftreten, wenn Organisator von unten her auf Ektoderm einwirken kann, ist ein von der Urmundlippe ausgehender „Organisationsstrom" auszuschließen. Induktoren zweiter Ordnung Durdi die Unterlagerung mit Organisatormaterial entsteht nicht nur aus dem präsumtiven Medullarmaterial eine Medullarplatte, sondern sie gliedert sich auch durch diese Induktionswirkung regional. So bildet der Kopforganisator neben dem Gehirn auch die zuerst bläschenförmige, später becherförmige Anlage der Augen aus. Die kausale Analyse der Augenbildung bei Amphibien hat das klare Ergebnis, daß die Linse des Auges aus der Epidermis in Abhängigkeit von der Berührung mit dem Augenbecher entsteht. Beim
Induktoren II. Ordnung
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Grasfrosch (Rana temporaria) ließ sich nachweisen, daß die Bildung einer Linse ausbleibt, wenn der Augenbecher auf dem Schwanzknospenstadium des Embryos entfernt wird. Andererseits gibt der Augenbecher Anlaß zur Entstehung einer Linse in Epidermis, die normalerweise keine Linse hervorgebracht hätte. Dies zeigt sich dann, wenn man entweder den Augenbecher irgendwo an einer anderen Körperstelle unter die Haut verpflanzt, oder über ihm ein Stüde Epidermis aus einer fremden Körperregion einpflanzt. Es ist hier nicht möglich, auf die verschiedene Weise der Zusammenwirkung des linsenbildenden Reizes des Augenbechers (Aktionssystem) einerseits und der in der Epidermis vorhandenen Potenzen zur Linsenbildung (Reaktionssystem) bei den verschiedenen Amphibienarten näher einzugehen. Erwähnenswert ist hier nur, daß man zum mindesten bei Rana esculenta, dem Wasserfrosch, mit Sicherheit beobachten konnte, daß auch ohne Vorhandensein des Augenbechers, eine, wenn auch unternormal große, Linse entstehen kann. Da, wie wir sahen, der Augenbecher die Fähigkeit besitzt, in nicht zur Linsenbildung vorbestimmter Epidermis Linse entstehen zu lassen, liegt hier zweifellos ein Fall „doppelter Sicherung" im Entwicklungsgeschehen vor. Vor allem aber lehrt uns die Analyse der Augenentwicklung bei Amphibien, daß der Augenbecher in der Art eines Organisators induzierend auf die über ihm liegende Epidermis einwirkt. Ein Gebilde, das seinerseits durch die Induktionsleistung des Organisators entstanden ist, ist selbst ein Organisator, und man bezeichnet ihn daher als Induktor oder Organisator zweiter Ordnung. Es äußert sich in diesem Verhältnis ein Prinzip der Entwicklung, von
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Verbreitung der Organisatoreigenschaft
dessen weiterer Verbreitung wir noch keine Kenntnis haben. Vielleicht handelt es sich hierbei um das wichtigste Verfahren, das die Natur in der Gestaltung werdender Organismen anwendet, womit die Induktion in den Mittelpunkt des Entwicklungsgeschehens gerückt wäre. In diesem Sinne äußert sich Spemann, wenn er sagt: „Man kann sich so, vorbehaltlich experimenteller Prüfung im einzelnen, die Entwicklung zusammengesetzt denken aus kürzeren oder längeren ,Induktionsketten', deren Glieder die Induktoren oder Organisatoren steigender Ordnung wären." Verbreitung der Organisatoreigenschaft und das Problem ihrer stofflichen Grundlage Die induzierende Wirkung auf das präsumtive Medullarmaterial vom unterlagernden Organisator her, vor allem aber die Neuerwerbung der Induktionsfähigkeit, die eine Medullarplatte bei der homoiogenetischien Induktion offenbart, drängt den Gedanken auf, daß der Induktionsvorgang mit der Übertragung und Ausbreitung eines wirkenden Stoffes verbunden ist. Setzt man diese Annahme voraus, so interessiert es, ob die Induktionswirkung notwendigerweise an die intakte Struktur und schließlich an den lebendigen Zustand des Aktionssystems überhaupt gebunden ist. Das Ergebnis, daß zerschnittenes, zerhacktes und zu Brei zerriebenes Organisatormaterial normale Induktionen leistet, gab auf die erste der beiden Fragen eine klar verneinende Antwort. Die Frage nach der Notwendigkeit des lebenden Zustandes des Induktors wurde in umfassender Weise vor allem durch Holtfreter behandelt. Entweder tötete er Stücke des Induktors durch Eintrocknen, Erhitzen oder Gefrieren und hüllte sie dann in präsum-
V e r b r e i t u n g der O r g a n i s a t o r e i g e n s c h a f t
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tive Epidermis einer jungen Gastrula ein, oder er legte über den auf dem Boden eines Zuchtschälchens angetrockneten und erhitzten Induktor Stücke präsumtiver Epidermis, in der sich dann die eventuell noch vorhandene Induktionsfähigkeit zeigen sollte. Diese Experimente brachten das Ergebnis, daß auch abgetötetes Organisatormaterial induzierend wirkt. Sie führten aber über die Beantwortung der zunächst gestellten Frage hinaus zu dem noch erstaunlicheren Resultat, daß auch Gewebsteile, wie z. B. präsumtive Epidermis oder präsumtives Entoderm, die im Leben keine Induktoren sind, nach der Abtötung Induktionsfähigkeit besitzen. Auf diesen Erscheinungen aufbauend, untersuchte Holtfreter systematisch eine Reihe anderer Gewebe auf ihre Induktoreigenschaft. Er fand, daß sie allen Teilen des hartgekochten, ungefurchten Amphibieneies zukommt, ferner allen Teilen der 6 Monate lang in 70%igem Alkohol aufbewahrten, über Xylol in Paraffin und zurück in Wasser gebrachten Amphibiengastrula, gekochten Schnecken (Planorbis und Limnea), lebenden Teilen der Muskelstückchen von Ringelwürmern (Enchytrea), der Leber, des Gehirns von Amphibienlarven, der Leber, des Ovars und des Herzens erwachsener Amphibien, Stücken der Leber, des Gehirns, der Niere, der Schilddrüse und der Zunge frischer menschlicher Leichen usw. Durch diese theoretisch interessanten Entdeckungen war nunmehr auch praktisch der Weg zu einer chemischen Analyse des angenommenen Induktionsstoffes eröffnet, da jetzt genügend große Materialmengen hierfür zu Verfügung standen. Die mit Äther, Azeton und Alkohol arbeitenden Untersuchungen in dieser Richtung können hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. Wichtig ist, daß sie alle keinesfalls zu einem eindeutigen Ende, etwa der Iso-
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Der
„Induktionsstoff"
lierung eines bestimmten, der Induktion zugrunde liegenden Stoffes, geführt haben. Vielmehr konnte sowohl mit einer Reihe reiner Säuren, darunter sogar einer synthetischen Fettsäure, als auch mit nicht saueren, den Stearinen nahestehenden Substanzen Induktion erzielt werden. In diesem Zusammenhang verdient auch die von Woerdeman festgestellte plötzlidie Glykogenabnahme in dem vor der Gastrulation besonders glykogenreichen Randzonenmaterial im Augenblick der Invagination erwähnt zu werden. Auch sie steht zweifellos in einer ursächlichen Beziehung zum Induktionsvorgang, doch dürfte wohl das Glykogen weder die bestimmende Ursache noch der Induktionsstoff für die Medullarplattenbildung sein, vielmehr ist anzunehmen, daß der Glykogenverlust lediglich die sichtbare Folge eines starken Energieverbrauches bei den Gestaltungsbewegungen ist. Bei der Vielzahl von Induktionsstoffen, die die chemische Untersuchung aufgezeigt hat, ist es unwahrscheinlich, daß die Induktion von toten und lebenden Induktoren auf demselben Stoff beruht. Als man noch die Auffindung eines einzigen, bestimmten Induktionsstoffes erhoffen konnte, griff man für die Erklärung der Induktionsfähigkeit toter, im Leben induktionsunfähiger Organteile zu der Hypothese, daß in diesem lebenden Gewebe ein Hemmungsstoff vorhanden ist, der den Induktionsstoff nicht zur Wirkung kommen lasse, der aber bei der Abtötung mitzerstört werde. Nachdem es aber, wie gesagt, heute viel wahrscheinlicher ist, daß der tote Induktor oder der durdi Abtöten induktionsfähig gewordene Nichtinduktor mit ganz anderen Induktionsmitteln arbeitet als ein normaler lebender Induktor, so kann man sich die künstlidie Herstellung eines Induktors durch Abtöten eines Nichtinduk-
Der „Induktionsstoff"
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tors viel einfacher so vorstellen, daß durch Einwirkung des Wirtskeimes, z. B. auf dem Wege über Fermente, aus einem toten Gewebe induzierende Stoffe frei gemacht werden können, was bei einem lebenden nicht induzierenden Implantat nicht möglich wäre, da das lebende Gewebe sich der aufspaltenden Fermentwirkung widersetzt. Die Aufrollung der Frage nach der stofflichen Grundlage der Organisatorwirkung bringt uns an die Grenzen des Lebendigen zur unbelebten Natur. Hat sich auch die Erwartung, einen bestimmten Induktionsstoff zu finden, nicht erfüllt und dürfte nach den eben geschilderten Ergebnissen ihre Erfüllung auch nicht möglich sein, da, wie in vielen anderen Lebensvorgängen, verschiedenartige Reize die lebende Substanz zu einer ganz typisch vorgezeichneten Entwicklungsleistung anregen, so ist doch die Tatsache aufgezeigt, d a ß c h e m i s c h e V e r b i n d u n g e n , a l s o im S i n n e d e r M o r p h o l o g i e U n g e s t a l tetes, die Entstehung lebendiger Gestalt bewirken können. 2.
Regenerationsforsdbung
Mit dem Ausschlüpfen aus dem Ei oder der Geburt tritt der werdende Organismus aus dem embryonalen Zustand in die funktionelle Periode seines Lebens ein. In diesem Zustand müssen seine Organe zumindest so weit funktionstüchtig geworden sein, daß sie den Anforderungen der Außenwelt gegenüber ohne Hilfsvorrichtungen den Organismus am Leben erhalten können. Dies will nicht besagen, daß nicht schon im Embryonalzustand gewisse Organsysteme funktionieren können. So haben z. B. bei den meisten Embryonen bereits das Herz oder die Niere
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Regenerationsforschung
ihre Tätigkeit aufgenommen. Andererseits hat der Organismus nach Beendigung seiner Embryonalperiode meist seine Entwicklung noch nicht abgeschlossen, und wir erklären ihn erst dann als erwachsen, wenn das Wachstum stillsteht und die Geschlechtsreife eingetreten ist. Häufig ist der junge Organismus in der ersten Zeit seines selbständigen Lebens auch dem erwachsenen Stadium weitgehend unähnlich, er ist eine Larve. Diese Larve muß dann erst in allmählichen, fast unmerklichen Entwicklungsschritten, oder aber durch eine auffallende Umorganisation, die Verwandlung oder Metamorphose, zu einem erwachsenen Tier werden. Larven, die einer solchen Metamorphose bedürfen, sind z. B. die Kaulquappen der Frösche oder die Raupen der Schmetterlinge, um nur zwei besonders bekannte Beispiele anzuführen. In solchen Fällen ist es ganz unzweifelhaft, daß die Gestaltbildung keineswegs mit dem Abschluß des embryonalen Daseins beendet ist. Bei eingehender Betrachtung erkennen wir aber, daß auch beim ausgewachsenen, geschlechtsreifen Lebewesen die Gestaltbildung nie zum Stillstand kommt. Reptilien häuten sich, die Vögel mausern ihr Gefieder, die Hirsche werfen alljährlich ihr Geweih ab. Dieser dauernde, durch die funktionelle Abnützung notwendig werdende Ersatz wird als physiologische Neubildung oder Regeneration bezeichnet. Er gehört so sehr zu den alltäglichen Erscheinungen, daß er kaum Beachtung findet. Nicht viel anders ergeht es uns bei der Beobachtung, daß leichtere Verwundungen gänzlich oder mit nur geringen Spuren verheilen. Jedoch müssen wir gerade in dieser Erscheinung den Rest eines in der Tierwelt weit verbreiteten Vermögens zum Ersatz von Körperteilen sehen, die ihm durch tiefergehende Ereignisse, wie Unglücksfälle, verlorengegangen sind. An diese sogenannte
Wesen der Regeneration
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akzidentelle Regeneration denken wir in erster Linie, wenn wir von Regeneration sprechen. Die Regeneration in diesem Sinne kann erstaunliche Ausmaße annehmen. Bei Tieren niederer Organisationsstufe, wie den Hohltieren und Würmern, können kleinste Teilstücke des Körpers diesen wieder aus sich aufbauen. Aber selbst Wirbeltiere, wie die Molche, können ganze verlorengegangene Extremitäten regenerieren, und eine Eidechse vermag immerhin an Stelle des abgebrochenen Schwanzes einen ansehnlichen Stummel neuzubilden. Bei Vögeln und Säugetieren sehen wir das Regenerationsvermögen, soweit es sich nicht um die physiologische Regeneration handelt, in der Hauptsache auf die Wundheilung beschränkt. Diese wenigen herausgegriffenen Beispiele lassen erkennen, daß die Regenerationsfähigkeit offenbar mit zunehmender Differenzierungshöhe abnimmt. Damit hängt es auch zusammen, daß wir häufig bei einander im System nahestehenden Tierformen so auffallende Unterschiede im Regenerationsvermögen feststellen können und d a ß junge Individuen besser regenerieren als alte. Im allgemeinen erstrebt die Regeneration den verlorengegangenen Teil durch eine in Form und Struktur gleiche Bildung zu ersetzen. In dieser Erscheinung beruht das Zentralproblem der Regenerationsforschung, nämlich die Frage, auf welche Weise der Organismus befähigt ist, aus neugebildetem Material oder durch Umlagerung vorhandenen Materials — zwei Möglichkeiten, die, wie wir sehen werden, häufig nebeneinander vorkommen — ein dem verlorengegangenen Organ möglichst gleichwertiges neuzubilden. Auch hier also handelt es sich um das Problem der Differenzierung, um das Einschlagen einer Entwicklungsrichtung, die zur richtigen Gestaltung am richti-
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Regenerationsexperimente
gen Ort führt. Aus dieser Problemstellung ersehen wir den engen Zusammenhang zwischen Regenerations- und embryologischer Forschung. Man könnte auch bei der Behandlung der Regenerationserscheinungen dieselbe Einteilung treffen wie bei der Embryologie, nämlich in einen beschreibenden und einen experimentellen Teil. Da jedoch die Vorgänge der akzidentellen Regeneration in einem viel geringeren Umfang in der Natur zu beobachten sind als die embryologische Entwicklung, die ja jeder lebende Organismus ausnahmslos durchlaufen muß, wurden die wesentlichsten Fragen der Regeneration von vorneherein experimentell gelöst durch künstliche Entfernung (Amputation) oder Verlagerung (Transplantation) von Teilen des Organismus bei geeigneten, d. h. in diesem Fall regenerationsfähigen Versuchstieren. Äußerer Verlauf der Regeneration Nicht selten findet man in der Natur Eidechsen, die an Stelle ihres zierlichen und zu einer langen Spitze ausgezogenen Schwanzes einen plumperen Stummel besitzen. Solchen Exemplaren ging der ursprüngliche Schwanz, meist durch Zugriff eines nachstellenden Tieres, verloren und es trat Regeneration ein. Diese auch der Zoologie fernerstehenden Kreisen bekannte Erscheinung stellt die Grenze wirklicher Regeneration im System des Tierreichs nach oben dar. Bei Säugetieren und Vögeln ist das Regenerationsvermögen, wie schon erwähnt wurde, nur auf Wundheilung häufig unvollkommener Art (Narbenbildung) beschränkt, wenn wir von der physiologischen Regeneration, wie Geweihneubildung, Nachwachsen der Haare und Fingernägel, Mauserung usw., absehen. Bei den
Verlauf der Regeneration
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Reptilien hingegen beobachtet man, außer geringen Ansätzen zur Gliedmaßenregeneration, vor allem die ziemlich vollkommene Neubildungsfähigkeit des Eidechsenschwanzes. Nach Verlust des Schwanzes tritt zunächst Wundverschluß ein, hierauf entsteht über der Wundfläche ein immer höher werdender, sogenannter Regenerationskegel, der immer weiter auswächst, während sein dem Körper zugewendetes Ende sich ausdifferenziert, bis schließlich der Verlust einigermaßen ersetzt ist. Das Regenerat zeigt äußerlich etwas plumpere Formen, ferner weicht die Beschuppung und innerlich auch die Muskel- und Nervenanordnung von einem normalen Schwänze a,b; sein wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist aber, daß es keine Wirbelsäule, sondern nur einen vom letzten unverletzten Wirbel ausgehenden Knorpelstab enthält. Viel umfangreicher ist die Regenerationsfähigkeit bei den Amphibien. Die Schwanzlurche (Salamander, Molche) vermögen ein abgeschnittenes Bein, sei es, daß nur der Unterarm bzw. der Unterschenkel oder auch der Oberarm bzw. der Oberschenkel entfernt wurde, neuzubilden. Auch hier beobachtet man, nach Bildung eines vorläufigen Wundverschlusses durch Wundschorf, zunächst eine endgültige Wundheilung durch Uberwachsen der Epidermis und schließlich das Auftreten eines Regenerationskegels. In diesem bilden sich durch Differenzierung die Skeletteile, Bindegewebe, Muskulatur, Gefäße und Nerven, und schließlich erscheinen auch die Finger bzw. die Zehen. Hiermit ist jedoch das Regenerationsvermögen der Amphibien keineswegs erschöpft; auch der Schwanz, die Schnauzenspitze und selbst die hochdifferenzierten Augen können zu einem beträchtlichen Teil neugebildet werden. Bei den schwanzlosen Lurchen (Frösche, Kröten) freilich
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Verlauf der Regeneration
finden wir das Regenerationsvermögen nicht so hoch entwickelt. Erwachsene Anuren zeigen höchstens die Regeneration kurzer Stümpfe an Stelle der abgeschnittenen Finger. Dagegen sind ihre Larven, die Kaulquappen, zur Neubildung des Schwanzes befähigt. ü b e r das Regenerationsvermögen der Fische liegen widersprechende Angaben vor. Zweifellos können sie den Kiemendeckel, Teile der Kiemenbögen, des Unterkiefers und die bei manchen Fischarten vorkommenden Bartfäden ersetzen. Auch ein in die Körperwand geschnittenes Fenster verheilt sehr gut unter Wiederherstellung der Muskulatur und der Beschuppung, wenngleich diese je nach den Umständen, auch beträchtliche Abweichungen vom Normalzustand aufweisen kann. Hingegen hat die Behauptung, die hauptsächlich auf Grund von Naturfunden aufgestellt wurde, daß Fische die Schwanzflosse und selbst Teile des Körperendes regenerieren können, einer experimentellen Nachprüfung nicht standhalten können. Neueste Regenerationsversuche in dieser Richtung ergaben, daß Flossen weder bei alten noch bei jungen Fischen regenerieren, wenn sie völlig entfernt wurden. Die Flossenstrahlen regenerieren nur, wenn von ihnen bei der Operation Reste erhalten bleiben. Wegen ihrer Bedeutung für später noch näher zu i.rörternde Fragen seien hier auch die Regenerationsvorgänge bei den Tunikaten oder Manteltieren erwähnt. Besonders hervorzuheben sind hier Versuche von Driesch an der Asciidie Clavelina. An diesem festsitzenden Manteltier kann man vier regenerationsfähige Regionen unterscheiden. Die vorderste Region enthält den Kiemenkorb, die Einund Ausfuhröffnung, das Endostyl, den Peribranchialraum und das Ganglion, die zweite Region Anfangs- und End-
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Verlauf der Regeneration
darm, die dritte Herz, Genitalorgane und Magen, die vierte den sogenannten Stammstolo, mit dem das Tier festsitzt und der sich in weitere Stolonen fortsetzt. Die Originalabbildung von Driesch möge diese Verhältnisse erläutern (Abb. 10). Der die Regionen II und III umfassende Eingeweidesack vermag sowohl den Kiemenkorb
IV Abb. 10. Körperregionen der Ascidie Clavelina. I Kiemenkorb, II und III Eingeweidesack, IV Stammstolo.
am einen Ende als den Stammstolo am anderen Ende zu regenerieren. Der Vorgang erhält seine besondere Bedeutung dadurch, daß bei ihm ein Körperteil völlig verschiedener Organisation, der Eingeweidesack, die hochdifferenzierte, zahlreiche spezialisierte Organe enthaltende Region des Kiemenkorbes aus sich entstehen lassen kann. Ferner ist die Region I umgekehrt in der Lage, den Eingeweidesack zu regenerieren. Wir übergehen die weniger wichtigen Regenerationsvorgänge bei den Mollusken (Schnecken, Muscheln, TintenN a r d i , Organismus.
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Regeneration bei Insekten
fischen) und einigen kleineren Tiergruppen und erwähnen kurz, daß bei den Echinodermen oder Stachelhäutern einzelne Seesternarme befähigt sind, einen ganzen Seestern aus sich hervorgehen zu lassen, und daß die Holothurien oder Seewalzen bei starker Reizung oder in ungünstigen Lebensverhältnissen einen großen Teil ihrer Eingeweide ausstoßen und diesen Verlust ersetzen können. Sehr abweichend von dem sonstigen äußeren Bild der Regenerationsvorgänge ist die Neubildung bei den Arthropoden oder Gliederfüßlern. Die Gliederung des Körpers und der Gliedmaßen stellt eine erhöhte Gefahr für den Verlust von Körperteilen dar und dementsprechend ist das Regenerationsvermögen bei dieser Tiergruppe verhältnismäßig gut entwickelt. Wie aber die starre Chitinhülle normale Wachstumsvorgänge nur über den Umweg einer Häutung gestattet, so kann auch Regeneration nur dann eintreten, wenn die Möglichkeit zur Häutung vorhanden ist. Bei sich nicht mehr häutenden Gliederfüßlern, wie z. B. den fertig ausgebildeten Insekten, sehen wir daher höchstens noch Ansätze zur Regeneration. W o aber über das ganze Leben hin Häutungen sich regelmäßig wiederholen, beobachtet man Regeneration der Fühler (Antennen), der Beine und Schwanzanhänge. Für die Arthropoden ist es dann charakteristisch, daß zunächst von einem Régénérât oder auch Regenerationskegel äußerlich nichts zu bemerken ist. Vielmehr spielen sich die Neubildungsvorgänge unter einer einen provisorischen Wundverschluß bildenden Chitinkapsel ab. Erst bei der der Amputation folgenden Häutung kommt dann das mehr oder minder weit entwickelte Régénérât zum Vorschein. Sein Entwicklungszustand hängt von der zwischen Amputation und Häutung zur Verfügung stehenden Zeit ab. Ist diese lang, so kann
Regeneration bei Würmern
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das Regenerat so sehr heranwachsen, daß es im gestredeten Zustand gar keinen Platz mehr in der Chitinkapsel des Stumpfes finden könnte. Es ist dann aus rein medianischen Ursachen eingerollt oder zeigt die Formen des normalen Organes in Miniaturausführung. In dem kurzen Zeitraum nach der Häutung, in dem der neue Chitinpanzer noch weich und biegsam ist, bis er erhärtet, ist dem Regenerat die Möglichkeit zur Streckung und zum Wachstum gegeben. Beinahe die größte Zahl regenerationsfähiger Tierarten stellen die Würmer. Sehr bekannt ist es, daß auseinandergeschnittene Regenwürmer das Hinterende, und zwar in einer großen Anzahl von Ringeln oder Segmenten, regenerieren können. Weniger gut ist das Regenerationsvermögen des Vorderendes. Vier vordere Segmente werden völlig ersetzt, bei Verlust von mehr vorderen Segmenten ist die Zahl der regenerierten Segmente vermindert, bis sie beim Verlust von 15 vorderen Segmenten ganz erlischt. Nicht alle Anneliden (Ringelwürmer) verhalten sich so, wie dies eben für den allbekannten Regenwurm geschildert wurde. Andere Annelidenarten können das Vorderende fast ebensogut regenerieren wie das Hinterende, wenn auch die Hinterendsregeneration im allgemeinen besser ist, was mit der geringeren Differenzierungshöhe des Hinterendes zusammenhängt. Bei gut regenerierenden Borstenwürmern, z. B. Lumbriculus, kann sogar gleichzeitig Vorder- und Hinterende von zwei und sogar von einem alten Segment aus erfolgen. Bei den Nematoden (Rundwürmern), zu denen die bekannten Darmparasiten, wie der Spul- und Madenwurm, zählen, fehlt das Regenerationsvermögen völlig. Es hängt dies mit besonderen Verhältnissen zusammen, die uns später noch beschäftigen werden. Hingegen 9*
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Regeneration bei Hydren
ist bei den zu den Plattwürmern gehörigen Strudelwürmern oder Turbellarien, und zwar besonders bei den Süßwasserarten der Gattung Planaria, die Regenerationsfähigkeit ganz ausgezeichnet entwickelt. Kleinste Teilstückchen des Planarienkörpers, selbst bis weniger als Vioo des ursprünglichen Körpervolumens betragend, können ein vollständiges, freilich entsprechend verkleinertes Tier wieder aus sich entstehen lassen. Dieselbe erstaunliche Fähigkeit zur Ergänzung verlorener Körperabschnitte besitzt eine Reihe von Zölenteraten oder Hohltieren. Unter ihnen sind es besonders die Hydroidpolypen, vor allem unsere Süßwasserpolypen, die man kurz mit ihrem Gattungsnamen Hydra bezeichnet. An Hydra wurden die grundlegenden Regenerationsexperimente von Trembley bereits im Jahre 1740 durchgeführt. Dieser Naturforscher suchte durch Zerteilen der Tiere die Frage zu lösen, ob diese pflanzenartigen Wesen, die überdies zum Teil eine grüne Färbung zeigen, zum Tier- oder Pflanzenreich zu zählen sind. Er nahm an, daß sie als Pflanzen zu neuen Individuen auswachsen könnten. Die Polypen besaßen tatsächlich diese Fähigkeit, und man hätte sie, der damaligen Meinung entsprechend, zu den Pflanzen zählen müssen, wenn nicht die Art der Bewegung und Ernährung dagegen gesprochen hätte. Auch heute noch sind die verschiedenen Hydraarten, ihre meeresbewohnenden Verwandten (Korallen, Seerosen) und andere Nesseltiere beliebte Objekte der Regenerationsforschung. Stücke bis zu V200 des Körpervolumens sind bei Hydra noch immer regenerationsfähig, nur besonders spezialisierte Körperteile, wie z. B. einzelne Fangarme (Tentakeln) oder der Fußstiel der Peknatohydra oliigactis, ermangeln des Regenerationsvermögens. Die frei beweglichen Geschlechts-
Sub- und Superregeneration
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formen der Polypen, die Medusen oder Quallen, besitzen eine geringere Neubildungskraft als die Polypen. Regenerative Mißbildungen Wie wir bereits gesehen haben, erreicht die Regeneration nicht immer ihr eigentliches Ziel, die vollkommene Wiederherstellung des verlorengegangenen Körperteils. Diese Unvollkommenheit der Leistung kann sowohl auf einem artgemäß geringen Regenerationsvermögen beruhen als auch, bei an sich gut regenerationsfähigen Tierformen, durch irgendwelche hemmende Umstände verursacht sein. Die unvollständige Regeneration bei an sich vorhandener Regenerationsfähigkeit ist als eine Mißbildung zu betrachten und wird als Subregeneration (Unterregeneration) bezeichnet. Sie tritt bisweilen auf, ohne daß die äußeren oder inneren Ursachen festzustellen sind. Künstlich läßt sich Subregeneration ziemlich leicht z. B. bei den Urodelengliedmaßen erzielen, indem nach Amputation für einen möglichst raschen Wundversdiluß gesorgt wird. Die Wunde verheilt dann ohne Bildung eines Regenerationskegek. Interessanter als die auf einem unvollkommenen Zustand stehengebliebenen Regenerate sind jedoch jene Mißbildungen, die darauf beruhen, daß der Regenerationsprozeß sein Ziel überschreitet und Gebilde hervorbringt, die über den Ersatz des verlorengegangenen Körperteils hinausgehen. Diese als Superregeneration (Uberregeneration) bezeichneten Doppel- und Mehrfachbildungen sind besonders häufig an den Gliedmaßen der. verschiedenen Tiergruppen zu beobachten. So finden sich bisweilen Eidechsen, die an Stelle eines einfachen Schwanzregenerates
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Mehrfachbildungen
einen Gabelschwanz besitzen, oder Molche mit einein überzähligen Bein oder verdoppelter Zehenzahl. Häufig und mannigfaltig sind die Doppel- und Mehrfachbildungen bei den Extremitäten (Gliedmaßen) der Gliedertiere. Freilich ist bei solchen mißbildeten Naturfunden meist nidit mit Sicherheit zu entscheiden, ob ihre Ursachen in einer verfehlten Embryonalentwicklung oder in einer regenerativen Mißbildung zu suchen sind. Diese Sicherheit läßt sich nur bei experimentell hervorgerufenen Doppelund Mehrfachbildungen erreichen. In dieser Hinsicht bieten ein besonders reichhaltiges Material die hervorragend regenerationsfähigen Planarien und Hydren. Bei ihnen ist auf experimentellem Wege leicht eine hintere oder vordere Verdoppelung des Körperstammes zu erreichen. Wie der Länge nach durchschnittene Planarien leicht die fehlende Körperseite ergänzen, so tritt diese seitliche Regeneration auch bei einer unvollkommenen Spaltung von hinten oder von vorne her ein. Bei einem von hinten her geführtem Schnitt muß man nur durch öftere Wiederholung der Operation das Verschmelzen der Spaltstücke verhindern. Bei Schnittführung von vorne her ist diese Maßnahme nicht nötig, da durch das Vorwärtskriechen die Spaltstücke von selbst auseinandergedrängt werden. Ein besonders hohes Maß von Mehrfachbildung des Kopfendes bei einer Planarie zeigt Abbildung 11. Wird der Längsschnitt, sei es von hinten oder von vom, seitlich der Mittellinie geführt, so bildet sich häufig nahe dem schmalen Verbindungsstück des schmäleren Teiles zum breiteren Körperteil ein Kopf bei Schnitt von hinten, bzw. ein Schwanz bei Schnitt von vorn, und durch Abreißen der Verbindungsbrücke kann so ein selbständiges zweites Individuum entstehen. Diese Kopf- oder Schwanzbildungen werden uns
Mehrfachbildungen
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im folgenden Kapitel über die Polarität bei der Regeneration noch weiter beschäftigen. Ganz entsprechend den Versuchsergebnissen bei Planarien sind auch bei Hydren durch Spaltung von oben
Abb. 11. Beispiel einer regenerativen Mehrfachbildung bei der Planarie Dendrocoelum Iacteum. Durch Führung mehrerer Einschnitte von vorne wurde die Bildung von 10 Kopfregeneraten veranlaßt.
oder von unten her doppelköpfige bzw. doppelstielige Individuen herzustellen. Eine besondere Gruppe von regenerativen Mißbildungen bilden jene Regenerationsprodukte, die nicht durch ein Zuwenig oder Zuviel von dem verlorengegangenen Körperteil sich unterscheiden, sondern ganz unerwartete Organbildungen darstellen. Hier wären vor allem jene regenerativen Gebilde zu erwähnen, die in bezug auf die Polarität des Körpers abweichen, also z. B. die Bildung eines Kopfes an Stelle eines Schwanzes, oder umgekehrt. Diese als heteropolar bezeichneten atypischen Regenerate finden aber besser ihre Besprechung im nächsten Kapitel.
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Homoiosis
Hier seien lediglich die mit dem Namen „Homoiosis" belegten Regenerationsprodukte angeführt, die nicht im Sinne der Polarität von einem normalen Regenerat abweichen. So beobachtet man nicht selten die Bildung eines Fühlers an Stelle eines abgeschnittenen Krebsauges, oder das Regenerieren eines kleinen Beines nach Abschneiden des Fühlers bei der Stabheuschrecke; auch bei Eidechsen ist eine hierhergehörende Erscheinung bekannt. Wie weiter oben erwähnt wurde, zeigen diese Tiere nur eine geringe Neigung zur Regeneration der Beine. Es ist nur ein Fall bekannt, wo statt eines recht indifferenten Stummels ein ausgesprochen schwanzähnliches Gebilde an Stelle des amputierten Hinterbeines entstand. Dieses Regenerationsprodukt wäre, sofern man nicht geneigt ist, es als ein extrem mißbildetes Beinregenerat zu bezeichnen, als Homoiosis aufzufassen. Die Polarität bei der Regeneration Im vorhergehenden Kapitel wurde schon kurz angedeutet, daß auch jene Fälle eigentlich den regenerativen Mißbildungen zuzuzählen sind, bei denen das Regenerat im Widerspruch zur Polarität des regenerierenden Organismus steht. Auch die für solche Gebilde gewählte Bezeichnung „Heteromorphose'7, die ganz allgemein „andersartige Bildung" bedeutet, aber speziell hierfür vorbehalten wurde, bringt diesen Standpunkt zum Ausdruck. Dennoch ist die Abtrennung der Heteromorphosen von den anderen regenerativen Mißbildungen insofern gerechtfertigt, als sie unter gewissen Umständen normale Gebilde zum Ergebnis haben können. Aus naheliegenden Gründen ist das Verhältnis von Regenerat und Polarität am besten bei den so sehr zu
Polarität bei der Regeneration
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Ersatzbildung fähigen niederen Organismen, wie den Hydroidpolypen und den Planarien, untersucht. Durch geeignete experimentelle Maßnahmen gelingt es bei Hydroidpolypen die Polarität geradezu umzukehren. Schneidet man aus dem Stamm des marinen Hydroidpolypen Antennularia ein Stück heraus und hängt dieses Stüde mit seinem ursprünglich oberen (apikalen) Ende nach unten und seinem ursprünglich basalen Ende nach oben gekehrt frei im Seewasser auf, so bilden sich, umgekehrt zur ursprünglichen Polarität am oberen Ende ein Sproß, am unteren Ende Wurzeln. Desgleichen erzielt man die Bildung eines Polypenköpfchens am ursprünglichen basalen Ende eines Stammstückes von Tubularia (mariner Hydroidpolyp), wenn man es mit dem ursprünglichen apikalen Ende in den Sand steckt. Eine völlige Aufhebung der Polarität tritt dann ein, wenn man das Stammstück derartig befestigt, daß seine beiden Enden gleichmäßig frei dem Wasser ausgesetzt sind. Es entstehen dann an beiden Polypenköpfchen. Bei den Süßwasserpolypen der Gattung Hydra sind unschwer Transplantationen durchzuführen, indem man die Polypenstückchen, die man zusammensetzen will, auf ein Haar aufreiht, das man nach Zusammenwachsen der Teile herausziehen kann. Wird auf diese Weise auf das Fußende einer Hydra ein Mittelstück in umgekehrter Polarität (heteropolar) transplantiert, so bildet dessen an sich fußwärts, nach der Operation aber kopfwärts gerichtetes Ende Mundöffnung und Fangarme (Tentakeln) aus. Besonders mannigfache Heteromorphosen lassen sich bei den Planarien erzielen. Schneidet man den Kopf einer Planarie unmittelbar hinter den Augen ab, so ist dieses Teilstück nidit mehr zur Ergänzung einer ganzen Planarie
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Heteromorphosen
befähigt. Es entsteht vielmehr an dem hinteren Schnittrand ein nach hinten gerichteter Kopf mit Augen. Das ganze Gebilde besteht dann lediglich aus zwei aneinandersitzenden Planarienköpfen, wie es die Abbildung zeigt (Abb. 12). Ebenso ist die äußerste Schwanzspitze einer Planarie nur
Abb. 12. Heteropolare Regeneration (Heteromorphose). Ein dicht hinter den Augen abgetrenntes Kopfstück von Planaria lugubris ist nur fähig, an Stelle des fehlenden Körperendes einen nadi hinten gerichteten Kopf (gekennzeichnet durch Augen) zu bilden. Altes Gewebe dunkler, regeneriertes heller gefärbt.
in der Lage, an ihrem vorderen Schnittrand wieder ein Schwanzende zu regenerieren. Bei den Doppel- und Mehrfachbildungen wurde im vorhergehenden Kapitel darauf hingewiesen, daß bei der Längsspaltung von Planarien von hinten her nicht selten ein nach hinten gerichteter Kopf im Schnittwinkel entsteht. Wird der Schnitt in der Mittellinie geführt, so bilden sich meist zwei solche heteromorphe Köpfe, die aber auch zu einem einzigen verschmolzen sein können (Abb. 13). Analog können bei Spaltung von vorne Heteromorphosen von Schwanzcharakter auftreten. Die entsprechend der höheren Organisation bei Ringelwürmern seltener auftretenden Heteromorphosen bieten nichts prinzipiell Neues und können daher hier übergangen werden. Bei Wirbeltieren ist natürlich das Auftreten von Heteromorphosen des Körperstammes nicht möglich. Dafür aber, daß auch bei ihnen, besonders bei ausgesprochen polar
Heteromorphosen
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ausgebildeten Organsystemen, eine Polaritätsänderung eintreten kann, bieten Versuche über die Regeneration der Schuppen bei Fischen ein schönes Beispiel. Schneidet man bei Elritzen aus der Körperflanke ein Stück der Haut mit der darunterliegenden Muskulatur heraus und setzt es
Abb. 13. Duplicitas posterior und heteropolare Kopfregeneration bei Planarien. Durch Sdinittführung von hinten wurde eine Verdopplung des Hinterendes erzielt. Außerdem regenerierte im Schnittwinkel ein heteropolarer Kopf.
am selben Tier (autoplastisch) heteropolar wieder ein und entfernt die Schuppen des Transplantates später durch Abschaben, so regeneriert diese entweder herkunftsgemäß, d. h. vom Wirt aus gesehen, heteropolar, oder ortsgemäß, d. h. vom Wirt aus homoiopolar. Das Ergebnis hängt von der Zeitdauer, die zwischen der Transplantation und der Entfernung der Schuppen verstrichen ist, ab, und zwar bleibt die Polarität der Schuppenregenerate erhalten, wenn dieser Zeitraum größer ist (153 Tage), während sie bei kürzerem Abstand zwischen Transplantation und Schuppenabschabung (83 Tage) im Sinne des Wirtes umgestimmt wird. Die Polarität in der Entwicklung begriffener Schup-
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Regeneration und Fortpflanzung
pen ist schon früh festgelegt. Dies konnte auf die Weise nadigewiesen werden, daß man einen Bezirk der Körperflanke, in dem die Schuppen entfernt worden waren und in dem also Schuppenregeneration einsetzte, wie im vorhergehenden Versuch herausschnitt und um 180° gedreht wieder einpflanzte. Variiert man die Zeit zwischen Abschaben der Schuppen und Transplantation, so läßt sich feststellen, bis zu welchem Alter die Polarität derSdiuppenregenerate noch verändert werden kann. Es ergibt sich, daß dies nur bis zu einem Alter von 10 Tagen möglich ist. Zusammenhänge zwischen Regeneration und Fortpflanzung In den einleitenden Abschnitten über das Werden der Gestalt im individuellen Leben wurde darauf hingewiesen, daß keineswegs alle Organismen ihre Entstehung der Verschmelzung einer männlichen und einer weiblichen Keimzelle verdanken, vielmehr finden wir bei einer großen Anzahl niederer Organismen die ungeschlechtliche Fortpflanzung verbreitet, die sich nicht der Keimzellen bedient. Sie erfolgt durch Teilung oder Knospung des Elterntieres. Es ist eine nicht zu übersehende Tatsache, daß die ungeschlechtliche Fortpflanzung besonders häufig bei den mit hohem Regenerationsvermögen begabten Tieren vorkommt. Dies ist leicht verständlich. Wenn ein Wurm sich durch ungeschlechtliche Teilung vermehrt, indem sein Körper sich an einer oder mehreren Stellen einschnürt und die Teilprodukte ein selbständiges Leben führen sollen, dann ist es nötig, daß sie die ihnen fehlenden Körperabschnitte ergänzen können. Dabei kann der Vorgang sich einerseits so abspielen, daß zuerst die Abschnürung erfolgt und die
Regeneration und Fortpflanzung
141
Regeneration nachher eintritt (Architomie), oder aber die Teilstücke regenerieren schon vor der Abschnürung zu ganzen Individuen und werden erst nadiher frei, so daß vorübergehend ein Stadium ganzer Individuenketten auftreten kann (Paratomie) (Abb. 14). Die Teilung geht ohne sdiarfe Grenzen in die ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung über, wie
Abb. 14. Ungeschlechtliche Vermehrung durch Absdinürung und Regeneration (Paratomie) bei dem meeresbewohnenden Borstenwurm Myrianida. Die alphabetische Folge der Buchstaben bezeichnet das Alter der Teilstücke.
sie besonders ausgeprägt den hydraartigen Zölenteraten eigen ist. Audi hier zeigt schon der rein äußere Verlauf die nahe Verwandtschaft zwischen ungeschlechtlicher Vermehrung und Regeneration. Die Knospe einer Hydra entwickelt sich in ganz derselben Weise wie eine Regenerationsknospe, nur daß sie sich schließlich vom Muttertier ablöst. An diesem Objekt hat übrigens Goetsch interessante Wechselwirkungen zwischen Knospung und Regeneration aufgedeckt. So beobachtete er, daß nach Abschneiden des Kopfendes eine in ihrer Entwicklung bereits weiter vorgerückte Knospe die Regeneration des Muttertieres verhindert, vielmehr die Knospe die Führung über-
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Histologie der Regeneration
nimmt und den restlidien Teil des Mutterkörpers für sich verwendet. Andererseits konnte er dadurch, daß er Hydren durch wiederholtes Abschneiden der Fußscheibe zu dauernder Regeneration veranlaßte, über Monate hin die Bildung von Knospen verhindern. Zeigen diese Ergebnisse deutlich, daß Regeneration und ungeschlechtliche Fortpflanzung offenbar aus denselben Quellen gespeist werden, so lassen analoge Versuche an Planarien, bei denen das Abschneiden des Kopfes ein gegenteiliges Resultat, nämlich vermehrte ungeschlechtliche Teilungen, hervorrief, erkennen, daß die Beziehungen zwischen den beiden biologischen Vorgängen nicht immer so einfach gelagert sind wie bei den Hydren. Histologische Vorgänge bei der Regeneration Durch die mikroskopischen Untersuchungen von Schnittserien durch regenerierende Gewebe und Organe erhält man einen Einblick in die bei der Regeneration sich abspielenden histologischen Vorgänge. Man sieht zunächst nach der Wundsetzung bei allen, auch den regenerationsunfähigsten Organismen einen Wundverschluß eintreten, der, im Prinzip überall gleich, im Annähern der Wundränder, Gerinnen von Blut oder Gewebssaft und schließlich durch das Vorrücken der Epithelzellen der Epidermis über die Wunde besteht. Eine besonders große Rolle bei der Regeneration spielt das Bindegewebe. Nicht nur, daß es bei geringer Regenerationsfähigkeit an Stelle der ursprünglichen Gewebe eintreten muß und die bekannte Narbenbildung leistet, sondern bei seiner Beteiligung am Aufbau fast aller Gewebe und Organe der verschiedensten Organismen ist es auch das Gewebe, das bei Verletzungen so gut wie immer mitbetroffen ist. Im einzelnen ist bei dem verschiedenartigen Charakter des Bindegewebes in den
Das Regenerationsblastem
143
Abteilungen des Tierreiches audi der Verlauf der Bindegewebsregeneration sehr mannigfaltig. O b die Neubildung von Knorpel und Knochen, soweit Wirbeltiere, wie z. B. die Schwanzlurche, überhaupt dazu befähigt sind, von den stehengebliebenen Skeletteilen aus erfolgt, oder auf die Weise, daß der neue Knorpel oder Knochen sich aus dem aus indifferenten Zellen zusammengesetzten Regenerationsblastem (s. u.) herausdifferenziert, ist nicht völlig geklärt. Es ist anzunehmen, daß beide Vorgänge zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang wurde eben zum erstenmal das Regenerationsblastem erwähnt. Dieses sich meist nach außen als Regenerationskegel dokumentierende Gewebe ist die Grundlage jeder Regeneration. Es ist charakterisiert durch seine Zusammensetzung aus indifferenten Zellen embryonalen Aussehens, wie wir sie von den Organanlagen des Embryos her kennen. Wie in einer embryonalen Anlage, so beobachten wir auch im Regenerationsblastem eine fortschreitende Differenzierung der Zellen in der Richtung auf verschiedene Gewebstypen, je nachdem welches Organ oder welcher Körperteil ersetzt werden soll. So sehen wir im axialen Teil der Regenerationsknospe eines Tritonbeines die indifferenten Zellen sich zu Skelettbildungszellen umwandeln und das Extremitätenskelett immer deutlicher in seiner Gliederung hervortreten. Die Neubildung der Gefäße scheint teils durch Sprossung der Gefäßstümpfe, als auch so vor sich zu gehen, daß Gewebsspalten im Mesenchym mit Gefäßwandzellen ausgekleidet und so zu neuen Gefäßen ausgebildet werden. Ähnlich wie bei der Knochenregeneration wird der Ersatz von Muskelfasern teils durch Auswachsen der stehengebliebenen Teile der Muskulatur, teils durch Herausdifferenzieren von Muskelfibrillen aus dem indifferenten
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Regeneration der Organe
Blastemmaterial geleistet. Nicht immer jedoch scheinen beide Vorgänge nebeneinander vorzukommen, da verschiedentlich in der Literatur Angaben zu finden sind, daß z. B. bei den regenerationsfähigen Wirbeltieren nur die Neubildung von alten Teilen ausgehen soll, während bei den Planarien die Blastemzellen des Regenerationskegels sich in kontraktile Fasern umwandeln. Bei niederen Tieren, wie den Planarien oder Regenwürmern, werden die Nervenzellknoten des Gehirnes (Gehirnganglien) nach Abschneiden des Vorderendes ohne weiteres aus dem indifferenten Regenerationsgewebe neugebildet. Bei den Wirbeltieren, auch den regenerationsfähigsten, sind nach Abschluß der Embryonalentwicklung nur mehr die Nervenfasern und die Endabschnitte des Rückenmarkes bei der Schwanzregeneration regenerationsfähig. Bei höheren Tieren sind die Ganglienzellen des Zentralnervensystems teilungsfähig geworden, womit auch ihr Regenerationsvermögen erloschen ist. Die Nervenregeneration selbst verläuft so, daß bei Durchtrennung eines Nerven der periphere Teil degeneriert, während von dem mit der Ganglienzelle im Verband gebliebenen Teil ein Auswachsen neuer Nervenfasern erfolgt, wobei das Wachstum dieser Fasern gegen den peripheren Stumpf hin gerichtet iist, in dessen Bahn sie weiterwachsen. Schließlich sei noch auf die histologischen Verhältnisse der Regeneration des Darmkanals hingewiesen. Sie erfolgt meistens durch Auswadisen des erhalten gebliebenen Abschnittes des Darmrohres. Daß es hierbei auch Ausnahmen gibt, sei nur durch den Hinweis auf die bereits geschilderten Regenerationsprozesse bei dem Manteltier Clavelina gezeigt. Dort konnten, wie erinnerlich, die amputierten
Herkunft des Regenerationsmaterials
145
Darmabschnitte von den ganz andersartigen Geweben des Kiemenkorbes ersetzt werden. Ferner sei erwähnt, daß die Neubildung des Vorder- und Enddarms bei Regenwürmern vom Mitteldarm aus erfolgt, obwohl Vorder- und Enddarm in der Embryonalentwicklung durch Einstülpen des Ektoderms entstehen, was ein weiterer Beweis dafür ist, daß die Keimblattgrenzen in der Regeneration nicht immer streng gewahrt bleiben. Herkunft des Regenerationsmaterials Die Ergebnisse der histologischen Untersuchung der Regenerationsvorgänge lehren uns, daß die Neubildung verlorengegangener Körperteile aus zwei Quellen gespeist wird: nämlich einerseits aus den stehengebliebenen Gewebspartien, andererseits aus einem indifferenten Regenerationsblastem. Für den ersten Fall trifft also die in früheren Zeiten aufgestellte Annahme zu, daß bei der Regeneration Gleiches von Gleichem gebildet wende. Das Material für diese Art der Neubildung wird dann einfach durch Auswachsen und lebhafte Zellvermehrung der alten Gewebspartien geliefert. Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der Frage, woher dagegen das Material des Regenerationsblastems stammt. Theoretisch können dafür zwei Möglichkeiten in Frage kommen: Entweder sind die undifferenzierten, embryonal aussehenden Zellen des Regenerationsblastems, die wir weiterhin kurz als Regenerationszellen bezeichnen wollen, noch nie differenziert gewesen, d. h. in der Embryonalentwidclung nicht zum Aufbau spezifischer Gewebe verwendet, sondern unbenützt für den Fall der Regeneration aufgespart worden, oder sie sind aus N a r d i , Organismus.
10
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Indifferente Regenerationszellen
bereits differenzierten Zellen durch Verlust dieser Differenzierung in einen embryonalen Zustand zurückgekehrt. Nur die schrittweise histologische Untersuchung möglichst nahe aneinanderliegender Entwicklungsstadien von Regeneraten bei den verschiedenen Tiergruppen kann Aufklärung über die tatsächlichen Gegebenheiten erzielen. Es seien hier nur die Ergebnisse bei einigen wichtigen Tiergruppen angeführt. Verhältnismäßig einfach gestaltet sich die Untersuchung bei den nur aus Ekto- und Entoderm bestehenden Hydren. Werden Regenerationsbildungen bei ihnen auch in weitgehendem Maße vom alten Ekto- und Entoderm aus durchgeführt, so beteiligen sidi doch auch in erheblichem Umfang daran die an der Basis der Ektodermzellen, an der Grenze zum Entoderm hin liegenden, indifferenten, sogenannten interstitiellen Zellen, die audi einen wesentlichen Anteil an der Knospenbildung bei der ungeschlechtlichen Vermehrung der Hydren nehmen. Bei den Planarien spielen die Rolle der interstitiellen Zellen der Hydren die ebenfalls undifferenzierten Mesenchymzellen, die als sogenannte bipolare Wanderzellen zur Bildung des Regenerationskegels strömen. Auch bei den auf einer wesentlich höheren Differenzierungsstufe stehenden Ringelwürmern konnte das für die nicht von alten Geweben geleistete Regeneration dienende Material in Form indifferenter Zellen, der sogenannten Neoblasten, nachgewiesen werden. Eine etwas andere Form nimmt die Bildung des Regenerationsblastems dagegen bei den Wirbeltieren an. In ihrem Körper sind im erwachsenen Zustand nur mehr geringe Mengen embryonaler Mesenchymzellen nachzuweisen. Man beobachtet beim Einsetzen eines Regenerationsprozesses, daß das Regenerationsblastem dadurch entsteht, daß neben den embryonalen Mesenchym-
Umdifferenzierungen
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zellen auch die Fibrozyten (Faserzellen) des Bindegewebes ein embryonales Aussehen annehmen und in diesem Zustand das Regenerationsblaistem bilden. Hinzu kommen noch andere Elemente des Bindegewebes, wie Lymphzellen (Lymphozyten), Wanderzellen und andere. Immerhin stellen alle diese Zellformen eine Gruppe wenig differenzierter Elemente dar, doch ist hiermit sdion die Grenze zu der obenerwähnten zweiten Möglichkeit der Herkunft des Regenerationsmaterials gegeben, nämlich der aus bereits differenzierten, durch den Regenerationsreiz in einen embryonalen Zustand zurückkehrenden Zellen. Durch diese Tatsache ist eines der interessantesten Probleme der Regenerationsforschung angeschnitten, nämlich die Frage, ob und wieweit Umdifferenzierung, d. h. Rückgängigmachung einer bereits erfolgten Differenzierung und die Neudifferenzierung in einer anderen Richtung möglich ist. Man ist geneigt anzunehmen, daß solche Umdifferenzierungen, wenn sie überhaupt stattfinden können, bei den an sich gering differenzierten niederen Organismen eher möglich sind als bei den Wirbeltieren. Nun haben wir gerade bei den nieder organisierten Tieren, wenigstens soweit sie infolge ihres hohen Regenerationsvermögens daraufhin untersucht wurden, istets bereits vorhandenes undifferenziertes Zellmaterial nachweisen können, das bei Verletzungen an der Wundstelle angesammelt wird und dort den Regenerationskegel bildet. Es ist daher an sich kein Anlaß zu Umdifferenzierungen bei solchen Tieren gegeben. Diese Sachlage ändert sich aber mit einem Schlage, sobald aus besonderen Umständen ein Materialmangel vorliegt. Mit einem besonders auffallenden Beispiel dieser Art hat uns Driesch bei der bereits mehrmals genannten Aszidie Clavelina bekannt gemacht. 10*
Regulatorische Reduktion
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Während z. B. bei einem ausgewachsenen Tier der abgetrennte Kiemenkorb an seinem unteren Ende durdi Bildung eines normalen Regenerationskegels zum Ersatz der verlorengegangenen Körperabschnitte schreitet, findet dieser Vorgang bei einer mittelgroßen Clavelina nur mehr in geringem Umfang und bei einer kleinen überhaupt nicht mehr statt. Solche kleinere Exemplare entbehren offenbar eines hinreichenden Materials für einen Regenerationskegel. Bei ihnen wird daher die Regeneration auf dem Weg über die sogenannte „regulatorische Reduktion" (ausgleichende Rückbildung) durchgeführt. Alle sichtbaren hochdifferenzierten Strukturen des Kiemenkorbes gehen schrittweise verloren, bis schließlich nur noch ein Zellklümpchen ohne jegliche Organisation übrigbleibt. Nach einiger Zeit erfolgt aus diesem Zellhaufen die Herausbildung einer neuen Aszidie mit ihrer gesamten Organisation. Driesch selbst und nach ihm E. Schultz nehmen an, daß bei diesen Erscheinungen die differenzierten Zellen in einen embryonalen Zustand zurüdcgeführt werden und hierauf ihre Differenzierung in neuer Richtung erfolgt. Andere dagegen vertreten den gegenteiligen Standpunkt, daß von Entdifferenzierung und Neudifferenzierung von Zellen keine Rede sein könne, sondern die Befunde an Clavelina durdi ein Zugrundegehen aller differenzierten Elemente und das Ausgehen der Neubildung von den allein übrigbleibenden, indifferenten Elementen erklärt werden müßten. Da ohne den Verlust der Organisation die undifferenzierten Zellen nicht in der Lage gewesen wären, die Neubildung durchzuführen, müßte bei Richtigkeit der zweiten Annahme vermutet werden, daß die aufgelösten Zellen als Baustoffe für die Erzeugung weiterer undifferenzierter Zellen dienen. Einschmelzungen
von
Organen und
Organsystemen
sind außer bei Clavelina auch bei anderen niederen T i e r e n bekannt. Sie lassen sich z. B. bei Planarien und H y d r e n durdi
lange dauerndes Hungern
erzielen.
Solche
hun-
gernde T i e r e reduzieren nicht nur in wesentlichem Ausm a ß e ihren ganzen Körperumfang, sondern erleiden auch erhebliche Änderungen ihrer Organisation. Bei Planarien verschwinden im Z u g e dieser Erscheinungen die Augen,
Regulatorische Reduktion
149
der Gesdileditsapparat und auch Teile des Darmes, der [Muskulatur und des Körperparenchyms. Hungernde Hydren verlieren ihre Tentakeln und stellen schließlich nur mehr einen formlosen Schlauch dar. Wenn nun zu beobachten ist, daß solche durch den Hunger stark reduzierte Tiere, die sonst ein hervorragendes Regenerationsvermögen besitzen, in diesem Zustand langsamer und unvollkommener regenerieren, so spricht dies deutlich dafür, daß die durch den Hunger eingeschmolzenen Organe im Normalzustand sich an der Regeneration beteiligt hätten, was sie doch nur auf dem Wege über eine Umdifferenzierung tun können. Diese Ansicht findet auch ihre Stütze darin, daß kleine, eines Sdilundrohres und Darmes entbehrende Planarienstückchen ein ganzes Tier aus sich entstehen lassen können. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß in einem so kleinen Stück genügend indifferentes Zellmaterial für eine solche Regenerationsleistung vorhanden ist. Da durch die Unmöglichkeit der Nahrungsaufnahme von außen keine Baustoffe zugeführt werden können, muß das indifferente Zellmaterial durch Einschmelzen differenzierter Gewebe unterstützt werden. Auch hier muß den beiden, bei der „regulatorischen Reduktion" von Clavelina erwähnten Möglichkeiten Raum gegeben werden (s. o.). Speziell für Clavelina konnte durch die Methode der Vitalfärbung nachgewiesen werden, daß tatsächlich die ausdifferenzierten Elemente nicht entdifferenziert werden, sondern zugrunde gehen und lediglich die indifferenten Zellen, jedoch wohl unterstützt durch die aus der Auflösung der differenzierten Gewebe gewonnenen Baustoffe, die Neubildung leisten. Es braucht aber diesem Befund keineswegs Allgemeingültigkeit für alle regulatorisdien Reduktionen zugemessen zu werden; es kann sehr wohl
150
Umkehr der Entwicklungsvorgänge
sein, daß in anderen Fällen die erwähnte Ansicht von E. Schultz zu Recht besteht, daß die Reduktion der Organisation mit einer wirklichen „Umkehr der Entwicklungsvorgänge" verbunden ist, d. h. eine Entdifferenzierung der differenzierten Elemente erfolgt, die sich dann in eine Neudifferenzierung in anderer Richtung fortsetzt. Diese Frage ist gerade bei den niederen Tieren, von denen wir vorher sagten, daß bei ihnen eine angenommene Umdifferenzierung wohl am ehesten möglich sein dürfte, bisher unentschieden geblieben. Dagegen wurden bei Wirbeltieren, die von vorneherein für die Untersuchung einer solchen Frage viel weniger geeignet erschienen, recht bemerkenswerte Befunde für die tatsächliche Möglichkeit der Umdifferenzierung erhoben. Es sei in diesem Zusammenhang ganz abgesehen von den viel und teilweise heftig diskutierten Metaplasien bei Säugetieren und Menschen. Das mit diesem Namen bezeichnete, in der Pathologie oft beschriebene Auftreten von Gewebstypen an einem ungewohnten Ort im Körper (z. B. verhornendes Plattenepithel in der Gebärmutterschleimhaut, oder Zylinderepithel in der Speiseröhre) mag sich auch durch Heteroplasie, d. h. durch Fehldifferenzierung in der Embryonalzeit entstanden, erklären lassen, braucht also nicht wirklich auf einer Umdifferenzierung zu beruhen. Dagegen stellt die eben erwähnte Herkunft der Regenerationszellen bei den daraufhin untersuchten Wirbeltieren, Amphibien und Fischen, aus den Fibrozyten und anderen Abkömmlingen des Bindegewebes zweifellos ein Beispiel für wirkliche Umdifferenzierungen dar. Es handelt sich hierbei jedoch um an sich wenig hochdifferenzierte Zellelemente. Daß aber auch hochspezialisierte Zellen bei den Wirbeltieren zu UmdifferenzienungeA befähigt sind, geht aus der bereits
Umkehr der Entwicklungsvorgänge
151
1895 erstmalig von Wolf beobachteten Regeneration der Linse bei Urodelen hervor. Die entfernte Linse bildet sich nicht auf dem in der Embryonalentwicklung begangenen Wege aus dem Hautepithel wieder, sondern wird von den Zellen der Regenbogenhaut (Iris) regeneriert. Hierzu müssen also die Iriszellen ihre bisherige Struktur aufgeben, mit anderen Worten sich umdifferenzieren. Doch ist die Umdifferenzierungsfähigkeit hochdifferenzierter Zelltypen bei den niederen Wirbeltieren nicht auf diesen einen Fall beschränkt. Eingehendere Untersuchungen über die Herkunft des Regenerationsmaterials bei der Amphibienregeneration belehrten uns darüber, daß die Regenerationszellen nicht nur aus den wenig differenzierten Abkömmlingen des Bindegewebes, sondern auch aus Muskel-, Knorpelhaut- und Knorpelzellen entstehen. Hinzu trat die Feststellung, daß auch bei den Fischen keineswegs mit den Bindegewebselementen die Quellen des Regenerationsmaterials erschöpft sind, sondern bei einem durch Hunger hervorgerufenen Materialmangel auch die Muskelzellen Regenerationszellen zu liefern in der Lage sind. Hierbei wie auch in den eben erwähnten Untersuchungen an Amphibien wurden histologische Bilder gefunden, die den Vorgang der Umwandlung der Muskulatur in Regenerationszellen, also die umgekehrte Reihenfolge der Differenzierungsstadien von Muskulatur aus Regenerationszellen, erweisen. Somit ist zumindest in diesem Fall deutlich gemacht, daß tatsächlich wirkliche Umkehr der Entwicklungsprozesse im Sinne von E. Schultz bei der Umdifferenzierung stattfinden kann. Wir sprachen bisher stets von Umdifferenzierung als einer Quelle der Herkunft für das indifferente Regenerationsmaterial, die neben den aus der Embryonalentwick-
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Potenz der entdifferenzierten Zelle
lung her aufgesparten Reservaten embryonaler Zellen der Regeneration dient. Hierzu muß noch bemerkt werden, daß der Vorgang der Umdifferenzierung sich aus zwei Phasen zusammensetzt, der Entdifferenzierung der differenzierten Zelle zu einer embryonalen Zelle und der Neudifferenzienung dieser embryonalen Zelle. Ist durch die oben angeführten Beobachtungen auch eindeutig bewiesen, daß Entdifferenzierungen vorkommen, so fehlt bis heute eine Entscheidung der Frage, ob die in einen embryonalen Zustand zurückgeführte Zelle sich aus diesem Stadium in jeder beliebigen Richtung neu differenzieren kann oder nur in Richtung des Zelltyps, dem sie vor Entdifferenzierung angehörte. Diese Frage, die von größter Wichtigkeit für das ganze Problem der Differenzierung überhaupt ist, experimentell jedoch auf große Schwierigkeiten stößt, ist engstens verknüpft mit der Frage nach dem Potenzenschatz der aus dem totipotenten (zu allen Entwicklungen fähigen) Ei hervorgehenden Körperzellen, die eine eingehende Behandlung in dem späteren Kapitel über Vererbung und Gestalt finden wird. Determination und Differenzierung des Regenerationsmaterials Aus den vorhergehenden Abschnitten war zu entnehmen, daß der Hauptanteil am Regenerationsgeschehen einem indifferenten Zellmaterial zufällt. Wenn aus ihm spezialisierte Gewebe und Organe entstehen, so kann dies nur auf dem Weg einer fortschreitenden Differenzierung erfolgen. Wie in der Embryonalentwicklung erhebt sich daher die Frage über die Art und Weise, wie die Differenzierung, d. h. die Entstehung eines Komplexes von For-
Determination des Regenerationblastems
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men und Funktionen in einem vorher einheitlichen Zellmaterial vor sich geht. W i r müssen audi annehmen, daß den sichtbaren Unterschieden ein Stadium innerer, unsichtbarer Vorherbestimmung für eine Entwicklungsrichtung, also Determination, vorausgeht. Unter diesen Gesichtspunkten stellt sich die Regeneration als ein durch äußere Umstände veranlaßter, zweitmaliger Entwicklungsprozeß eines Körperteiles dar, der nur insofern von der Embryogenese verschieden ist, als nicht alle Teile des Organismus erst in Bildung begriffen sind, sondern nur ein umschriebener Bezirk des Organismus inmitten einer fertig ausgebildeten Umgebung sich entwickelt. W a s daher im Embryo Organisationsleistungen des gesamten Körpers waren, kann sich in der Regeneration nur in den einzelnen Teilsystemen, in die das harmonisdi-äquipotentielle Gesamtsystem (s. S. 105 ff.) des Organismus sich gegliedert hat, unter entsprechenden Abwandlungen abspielen. Bei den vielen gemeinsamen Gesichtspunkten, die Embryogenese und Regeneration verbinden, kann es nicht wundernehmen, daß dieselben Fragestellungen auch mit denselben Methoden in Angriff genommen werden. Das Problem des Determinationszustandes der Regenerationsblasteme läßt sich, wie das der Organ anlagen eines Embryos, am besten durch die Transplantation untersuchen. Entsprechend unserer bisherigen Übung, nur die wichtigsten Ergebnisse an den für die Problemstellung geeigneten Versuchsobjekten als Belegmaterial heranzuziehen, seien auch hier nur die diesbezüglichen Resultate an Amphibien, Planarien und Hydren wiedergegeben. Das halbkugelförmige Regenerationsblastem einer Molchextremität erweist sich als nicht selbstdifferenzierungsfähig: Ein in diesem Stadium auf den Vorderbeinstumpf
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Differenzierung des Regenerationsblastems
transplantiertes Hinterbeinblastem entwickelt sich ortsgemäß zu einem vierfingerigen Vorderbein, während umgekehrt das für die Ausgestaltung eines Vorderbeines vorgesehene Regenerationsblastem auf den Hinterbeinstumpf verpflanzt, ein fünfzehiges Hinterbein liefert. Ferner wird ein Extremitätenblastem bei Transplantation auf die Seite des Schwanzes zu einem sdiwanzförmigen Gebilde. Audi der Gegenversuch, die Verpflanzung eines Schwanzblastems in den Bereich der Vorderextremität, erweist die Unselbständigkeit des Transplantates durch die Entstehung eines Vorderbeines. Wie aber in der Embryonalentwicklung die Organanlagen aus dem Stadium der labilen Determination in das der endgültigen Determination und der Fähigkeit zur Selbstdifferenzierung übertreten, so erfolgt diese Wandlung auch bei Regenerationsknospen. Speziell bei der Molchextremität finden wir etwa am Ende der zweiten Wodie, nachdem das Régénérât aus der halbkugeligen Form zur Kegelform übergegangen ist, eine endgültige Entwicklungsrichtung, die es ihm erlaubt, auch in fremder Umgebung sich herkunftsgemäß weiterzuentwickeln. Völlig analoge Ergebnisse können bei Transplantationsexperimenten mit Planarienregeneraten erzielt werden. Ältere Regenerationsknospen sind auch am fremden Orte zur herkunftsgemäßen Entwicklung befähigt. Jüngere Regenerate hingegen unterliegen den Einflüssen des Wirtes. In die vor dem Schlundrohr befindliche Körperregion einer anderen Planarie eingesetzt, haben, was weiter nicht verwunderlich ist, die aus derselben Region stammenden Kopfknospen eine ausgeprägte Kopfbildungstendenz. Stammen die Transplantate jedoch aus einem hinteren Teilstück einer Planarie, so bilden sie nach der Verpflanzung,
Differenzierung des Regenerationsblastems
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obwohl sie im normalen Regenerationsprozeß ohne weiteres Köpfe gebildet hätten, selten voll ausgebildete Vorderenden mit Augen; meist bleiben sie auf einem mehr indifferenten Zustand ohne Augenbildung stehen. Diese Verschiedenheiten liegen also in der Natur der Transplantate selbst begründet. Der Wirt macht seine Einflüsse insofern geltend, als in die hinter dem Schlundrohr gelegene Körperregion von Planarien eingepflanzte Kopfknospen meist nur zögernd und unvollkommen Köpfe bilden. Hingegen kann die vor dem Schlundrohr gelegene Körperregion nicht nur, wie wir sahen, die auf Ausbildung eines Kopfes gerichtete Differenzierung von Kopfknospen fördern, sondern auch Schwanzknospen zur Kopfbildung veranlassen. Die Parallelen zu den Versuchsergebnissen mit Organisatortransplantationen von Amphibienkeimen (s. S. 111 ff.), bei denen das Resultat nicht nur von der Herkunft des Organisators, sondern auch von der Körperregion des Wirtes, in den die Transplantation erfolgte, abhängig war, sind unverkennbar. Auch für Regenerate trifft, innerhalb gewisser zeitlicher Grenzen, der aus der experimentellen Embryologie her bekannte Satz zu, daß die prospektive Potenz der Anlagen über ihre prospektive Bedeutung hinausgeht. Einfacher ausgedrüdkt: Aus einer Anlage kann unter gewissen Umständen mehr entstehen, als normalerweise aus ihr gebildet wird. Wie aus einer Blastomere des Zweizellenstadiums, trotzdem sie nur zur Bildung eines halben Embryos vorherbestimmt war, unter Umständen ein ganzer Embryo sich entwickeln kann, so führt audi die Spaltung einer Regenerationsanlage z. B. bei Amphibienbeinen zur Bildung je einer ganzen Extremität aus den beiden Spalthälften. Da die beiden halbierten Blasteme
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Differenzierung des Regenerationsblastems
eine starke Neigung zur Wiederverschmelzung zeigen, ist nur sehr selten das eben genannte Resultat zu erhalten. Es darf aber angenommen werden, daß man auch hier, wie bei den der experimentellen Prüfung leicht zugänglichen Planarienregeneraten, auf eine zeitliche Grenze stoßen würde, bis zu der die Regulation des halben Blastems auf Ganzbildung möglich ist, jenseits von der aber das halbe Blastem auch nur eine halbe Extremität liefern würde. Bei den Planarien ließ sich nämlich zeigen, daß Teilstücke mit einer Regenerationsknospe am Vorderund Hinterende nach einer Längsspaltung in der Mittellinie dennoch vollständige Tiere liefern, was sich besonders an der Zweiäugigkeit der Kopfknospe erkennen läßt, sofern die Regenerationskegel jünger als zwei Tage sind. Wesentlich anders ist das Ergebnis, wenn die Längsspaltung erst vorgenommen wird, wenn die Regeneration schon mehr als zwei Tage läuft. Dann nämlich entwickeln sich die Spalthälften weiter, als ob nichts geschehen wäre, und bilden nur halbe Tiere mit nur einem Auge. Erst nach längerer Zeit wird durch die Bildung des zweiten Auges der Defekt ausgeglichen. Nicht nur die Spaltung von Blastemen, sondern auch die Verschmelzung zweier Blasteme erweist, daß das Material nicht von vorneherein ausschließlich auf eine Ganzbildung festgelegt ist. Es können zwei benachbarte, determinierte, gleichartige Blasteme nach ihrer Verschmelzung ein gemeinsames, einheitliches Ganzregenerat aus sich hervorgehen lassen. Die starke Ähnlichkeit der Determinationsverhältnisse von Regenerationsanlagen mit denen von embryonalen Organanlagen, das Fortschreiten von einem Zustand ab-
Induktionen bei der Regeneration
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hängiger Entwicklung zur Selbstdifferenzierung in beiden Fällen, legt die Vermutung nahe, daß man auch im Regenerationsgeschehen Erscheinungen finden kann, die der Organisator- und Induktionswirkung in der embryonalen Entwicklung entsprechen. Induktionswirkungen haben wir bereits damit kennengelernt, daß labil determinierte Regenerate in fremder Umgebung zu ortsgemäßer Differenzierung induziert werden. Man spricht in der Regenerationsforschung in solchen Fällen gerne von „Organisationsfeldern", in denen indifferentes Material im Sinne einer bestimmten Entwicklungsriditung beeinflußt wird. Die Situation ist, gegenüber der ortsgemäßen Entwicklung eines transplantierten, labil determinierten Keimteiles in einem fremden Keimbezirk, bei der Regeneration insofern anders, als dort das Transplantat einfach an der Entwicklung seiner Umgebung teilnimmt, während hier bei der Regeneration indifferentes Material in eine bereits ausdifferenzierte oder zumindest ihm gegenüber höher differenzierte Umgebung gelangt. Wenn es sich daher in beiden Fällen zwar um ortsgemäße Entwicklungen eines nicht zur Selbstdifferenzierung fähigen Materiales handelt, so kann man doch nur bei den transplantierten Regeneraten von einer Induktionswirkung sprechen. Als Induktor oder Organisator fungiert nicht wie im Embryo nur eine bestimmte bevorzugte Region, sondern einfach jeder dem indifferenten Blastem gegenüber höher differenzierte Bezirk, den man als Organisationsfeld bezeichnen kann. Es gibt unter den Regenerationserscheinungen jedoch auch Vorgänge, die noch weitergehend an die Organisatorwirkungen der Embryogenese erinnern. So hat man bei Planarien Kopfknospen dicht hinter dem Kopf einer anderen Planarie eingesetzt und, nachdem das.
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Induktionen bei der Regeneration
Transplantat gut eingewachsen war, den Kopf des Wirtes abgeschnitten. Man kann dann beobachten, wie die eingesetzte Knospe, die sich allmählich zu einem Kopf differenziert hat, das vor ihr liegende Gewebe an sich zieht und den hinter ihr liegenden gesamten Wirtskörper zu ihrem eigenen Hinterende macht. Noch deutlicher wird die Organisationsfähigkeit der Kopfknospe, wenn man ihr heteropolares Material zur Verwendung gibt. Zu diesem Zweck setzt man eine Kopfknospe mit umgekehrter Polarität in den Rücken einer Planarie ein und schneidet sie nach ihrem Einwachsen mit einem schmalen Streifen des Wirtskörpers heraus. Handelt es sich bei dem der Knospe anhaftenden Wirtsgewebe um solches aus hinteren Körperabschnitten, so gelingt es dem Kopfe meist, das heteropolare Material in seinem Sinne umzuordnen; handelt es sich jedoch um anhaftendes Wirtsgewebe aus vorderen Körperabschnitten, so versucht es selbst an seinem Vorderende wieder einen Kopf zu bilden. Erst wenn man durch dauerndes Abschneiden der Regenerationskegel am Vorder- und Hinterrande des Wirtes seine Regeneration hemmt, gewinnt die Organisationsfähigkeit des eingesetzten Kopfes die Oberhand und ordnet sich das heteropolare Material unter. Wie diese Beispiele zeigen, handelt es sich bei Organisatoren im Regenerationsgeschehen, wie bei denen der Embiyogenese, um Teile des Organismus, die ihrer Umgebung einen Vorsprung in der Festigkeit der Determination oder der Höhe der Differenzierung voraushaben. Die Verpflanzung junger Regenerate zeigt uns in der ortsgemäßen Entwicklung des Transplantates, daß dem indifferenten Regenerationsmaterial seine Entwicklungsrichtung von der Umgebung her aufgeprägt wird. Daß
Die Bedeutung des Organrestes
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es sich hierbei aber nicht um eine Einwirkung des Gesamtorganismus handelt, sondern die Qualität und Orientierung des Regenerates von dem das Regenerat unmittelbar unterlagernden Organrest bestimmt wird, zeigen folgende Versuche, Wird bei einem Molch das Vorderbein an der Stelle oder in der Nähe eines Hinterbeins transplantiert und von diesem transplantierten Vorderbein ein Teil amputiert, so liefert das Regenerat, obwohl es sich, vom Gesamtkörper her gesehen, in der Hinterbeinregion entwickelt, ein Vorderbein. Ebenso verhalten sich in die Vorderbeinregion verpflanzte und amputierte Hinterbeine, die immer nur Regenerate vom Hinterbeintypus liefern. Aber nicht nur die Ausgestaltung, sondern auch die Orientierung des Regenerates, richtet sich nicht nach dem ganzen Körper, sondern nur nach dem Organstumpf, wie dies aus der Regeneration verdreht stehender Beine aus verdreht eingepflanzten Beinstümpfen zu ersehen ist. übrigens genügt für diese, die Qualität und Orientierung bestimmende Einflußnahme eines Organrestes völlig eine kleine Scheibe aus dem Stamm einer Extremität, die das Blastem von der neuen Umgebung isoliert. Außer von diesen Ergebnissen läßt sich die Tatsache, daß die Regeneration nicht eine Leistung des Gesamtkörpers ist, daraus ablesen, daß die vollständige Beseitigung eines Organbereiches auch bei an sich vorhandener Regenerationsfähigkeit den Ersatz verhindert. Auch hierfür lassen sich an der Amphibienextremität klare Beispiele gewinnen. Ein nur teilweise amputierter Extremitätenknochen regeneriert ohne weiteres, wird aber die ganze Extremität mitsamt der Gürtelregion und der Nachbarschaft der normalen Extremitätenansatzstelle exstirpiert, so unterbleibt die Regeneration der Extremität. Auch die Neubildung des Molchschwanzes läßt
160
Die Bedeutung des Organrestes
sich verhindern, wenn man den Schwanz bis vor den letzten Kreuzbeinwirbel hinauf amputiert. Ist somit erwiesen, daß dem Organrest die entscheidende Rolle in der Determination des angesammelten indifferenten Regenerationsmaterials zukommt, so ist es, besonders im Hinblick auf später folgende Erwägungen, wichtig, daß insbesondere die Querschnitt sebene, auf der die Amputation erfolgt, über die Qualität der Ersatzbildunig entscheidet. Audi zu diesem Punkte wurden die klarsten Ergebnisse an der Amphibienextremität gewonnen. Schneidet man Unterarm und Hand eines Vorderbeines ab und entfernt aus dem Stumpf den Oberarmknodien, so unterbleibt dessen Regeneration, wohl aber wird dessenungeachtet Unterarm und Hand normal ersetzt. Ebenso regeneriert der amputierte Teil der Extremität normal, wenn man dem Stumpf nicht das Skelett, sondern das Korium wegnimmt und es zur Verhinderung der Regeneration durch eine Manschette nicht regenerationsfähigen Lungengewebes ersetzt. Nicht die Anwesenheit aller Komponenten im Stumpf, sondern lediglich die Querschnittsebene gibt also den Ausschlag, was neugebildet wird. Diese Resultate betonen außerdem die schon oben erwähnte Tatsache, daß das Regenerat nidht auf Sprossung aus den alten Geweben angewiesen ist, sondern sich aus dem indifferenten Blastem herausdifferenziert. Schließlich seien noch zwei Versuchsanordnungen erwähnt, aus denen in besonders deutlicher Weise die hervorragende Bedeutung der Schnittebene für die Ausbildung des Regenerates hervorgeht und das Regenerationsblastem sich überdies in sich selbst als ein harmonisch-äquipotentielles System erweist. In der einen Versuchsanordnung wurde nach Abtrennung der Hand oder des Fußes einer
Die Rolle des Nervensystems
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Molchvorder- oder -hinterextremität der Unterarm bzw. der Unterschenkel zwischen den Knochen längs gespalten, die eine der Spalthälften entfernt und die seitliche Wunde zur Unterbindung der Regeneration durch Zusammenfügen der Hautränder verschlossen. Das an der endständigen Wundfläche entstehende Regenerationsblastem bildet dann eine ganze Hand bzw. einen ganzen Fuß, ungeachtet dessen, daß der Stumpf nur den halben Querschnitt einer normalen Extremität ausmacht. Die zweite Versuchsanordnung besteht darin, daß aus einem Teil des Oberschenkels, aus dem Kniegelenk und einem Teil des Unterschenkels bestehende Stüdae einer Molchextremität verkehrt in den Körper eingesetzt wurden, so also, daß die ehemals dem Körper zu gelegene Schnittfläche des Oberschenkels nach außen gewendet ein Regenerationsblastem bildet. Aus diesem Blastem entsteht das schon einmal vorhandene Stück Oberschenkel, ein Kniegelenk und der ganze Unterschenkel mit Fuß, so als wäre die Regeneration einfach nach Amputation innerhalb des Oberschenkels erfolgt. Es liegt nahe, bei Entwicklungsprozessen an Organismen mit einem funktionstüchtigen Nervensystem auch nach der Bedeutung des Nervensystems für diese Vorgänge zu fragen, da hier die Differenzierung in Anwesenheit eines Organsystems erfolgt, das bei der Ontogenese noch nicht vorhanden war. Als geeignetstes Objekt erwies sich auch hier wieder die Amphibienextremität. Die zahlreichen Untersuchungen haben, kurz gesagt, folgendes Resultat: Völlige und dauernde Unterbrechung der Nervenverbindung zwischen Zentralnervensystem und Extremität haben Ausbleiben der Regeneration zur Folge. Doch ist andererseits für die Durchführung einer normalen N a r d i , Organismus.
n
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Die Rolle des Nervensystems
Regeneration eine quantitativ vollständige Nervenversorgung nicht nötig, vielmehr genügt hierfür schon ein Teil der normalen Innervation, wenngleich die Regenerationsgeschwindigkeit der Zahl der vorhandenen Nervenverbindungen direkt proportional ist. Prüft man weiterhin die Rolle der spinalen und sympathischen Innervation bei der Regeneration, so erkennt man, daß die Durchschneidung der spinalen Nervenverbindungen die Extremitätenregeneration nicht beeinflußt, wogegen die sympathische Innervation für die Regeneration unerläßlich ist. Schließlich ist noch das Ergebnis bedeutsam, daß der Einfluß der Innervation qualitativ unspezifisch ist, d. h. ein Extremitätennerv keineswegs nur die Regeneration einer Extremität bedingt. Wird nämlich ein Extremitätennerv aus seiner Extremität herausgenommen, seine Endigungsstelle in die Nähe der Extremitätenbasis verlagert, und über ihr durch Wundsetzung die Bildung eines Regenerationsblastems geschaffen, so entsteht aus diesem Blastem zwar eine Extremität; wird dagegen derselbe Extremitätennerv auf die Mittellinie des Rückens oder in die Seite des Schwanzes verlagert, so führt ein über seiner Endigungsstelle hervorgerufener Regenerationsprozeß keineswegs zur Bildung einer Extremität, sondern, dem Ort entsprechend, entweder zu einem Rückenkamm- oder Schwanzregenerat. Welche Rolle dem bis zu einem gewissen Grad unentbehrlichen Einfluß der Innervation bei der Regeneration aber eigentlich zukommt, ist noch ungeklärt; eine trophische, d. h. ernährende Funktion dürfte nicht vorliegen, da die Nervenausschaltung zwar die Organregeneration, jedoch nicht die Ansammlung und Proliferation von Regenerationsmaterial unterbindet.
Theorie der Entwicklung
3. Jheorie
163
der Entwicklung
Die bis heute experimentell erarbeiteten Tatsachen kausaler Beziehungen in der Ontogenese und Regeneration, von denen, wie schon mehr als einmal betont wurde, nur eine knappe Auswahl in diesem Buch Erwähnung finden konnte, einheitlich auszudeuten, ist schon von verschiedenen Seiten versucht worden. Es ist an sich das Ziel der experimentellen Morphologie, alle Entwicklungserscheinungen auf einen Nenner bringen und schließlich die Antwort auf die letzte Frage, nämlich auf die nach den Ursachen der Ausbildung der organischen Gestalt, geben zu können. Es sprechen jedoch alle Anzeichen dafür, daß wir von diesem Ziele noch weit entfernt sind. Daher stellt, strenggenommen, jede Theorie über diese Dinge bis zu einem gewissen Grade — die eine mehr, die andere weniger — eine Vergewaltigung der Tatsachen dar. In diesem Sinne müssen wir die Worte von Hans Spemann in den Schlußbemerkungen zu seinem Buch „Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung" als richtungweisend betrachten, wenn er schreibt: „Aber allerdings widerstrebt es mir, Hypothesen aufzustellen, wo, freilich durch mühsame experimentelle Einzelarbeit, die Gewinnung gesicherter Tatsachen möglich ist. Werden solche Tatsachen nicht wahllos zusammengetragen, sondern in folgerichtigem Fortschreiten gewonnen, so fügen sie sich hernach von selbst zu einem planvollen Ganzen, zu einer echten Theorie, einer Gesamtschau alles in der Erfahrung Gegebenen zusammen. Als Vorbild schwebt mir dabei die Arbeitsweise des Archäologen vor, der aus den Bruchstücken, die allein er in Händen hält, ein Götterbild wiederzusammenfügt. Er muß an das Ganze glauben, ij*
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Theorie der Entwicklung
das er nicht kennt; aber er darf nicht nach eigenen Gedanken gestalten. Er muß selbst so weit Künstler sein, daß er den Plan des hohen Meisters schrittweise nachschaffen kann. Aber sein oberstes Gebot ist, die Bruchflächen heiligzuhalten. Nur so darf er hoffen, neue Funde an ihrem richtigen Ort einfügen zu können." Angesichts solcher Worte ließe sich auf die Besprechung verschiedener Theorien über die die lebende Gestalt bildenden Kräfte Verzicht leisten. Doch darf man auf der anderen Seite nicht vergessen, daß ein großer Teil der gewonnenen Tatsachen erst auf einen von theoretischen Vorstellungen ausgehenden Impuls hin erarbeitet wurde. So wirken Hypothesen in der Form solcher Arbeitshypothesen zweifellos befruchtend auf den Fortgang der Forschung. Man darf über ihnen nur nicht in den Fehler verfallen, sie als den einzigen Weg zu betrachten, den die Natur bei der Bildung der organischen Gestalt gegangen ist. Nicht die Natur richtet sich nach unseren Hypothesen, sondern diese sind, im Einklang mit den Fortschritten der Forschung, der Natur anzupassen. Der Forscher muß Selbstkritik genug besitzen, entdeckte Tatsachen auch dann gelten zu lassen, wenn sie mit seinen bisherigen Forschungen nicht übereinstimmen. Er muß an die experimentelle Bearbeitung einer Frage unbeeinflußt von seinen theoretischen Anschauungen herantreten, geleitet allein von den gesicherten Tatsachen, von denen Spemann spricht, und nur auf sie aufbauend. Stimmt das neue Ergebnis zu seiner Theorie, dann ist es gut; widerspricht es ihr aber, dann muß er sich eingestehen, daß seine bisherigen Vorstellungen falsch waren. Faßt man Theorien so auf, dann haben sie ohne Zweifel eine klärende Wirkung, indem sie das bisher Gewonnene einordnen und so
Ontogenese und Regeneration
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einer Grundtendenz des menschlichen Denkens entgegenkommen. Aus dieser Einstellung rechtfertigt es sich, im folgenden die wichtigsten Theorien der Entwicklung und Gestaltbildung der Organismen kurz darzustellen. Aus der Tatsache, daß die durch Organisatortransplantationen induzierten Organe nicht nur vom Organisator, sondern auch von der Wirtsregion bestimmt werden, in welche die Transplantation erfolgte, geht hervor, daß der Keim nicht nur in Organanlagen bzw. im späteren Alter in mehr oder minder weit entwickelte Organe aufgeteilt ist, sondern auch eine Art Einteilung in Bezirke mit gewissen auf die Ausbildung eines bestimmten Organes gerichteten Einflüssen besitzen muß. Der gleichen Erscheinung begegnen wir dann wieder bei den Transplantationsexperimenten, in denen am erwachsenen Tier undifferenzierte Regenerationsblasteme unter dem Einfluß der Wirtsregion in eine ganz bestimmte Entwicklung gedrängt werden. Umgekehrt können wir sowohl in der Ontogenese als bei Regenerationsprozessen feststellen, daß bereits determinierte Anlagen eine ihrem ursprünglichen Standort entsprechende Entwicklungsrichtung bei Transplantationen in ihre neue Umgebung mitbringen und dort durchführen. Die Determination eines gegebenen Materialstückes eines Organismus erfolgt also auf Grund der Stellung des Materials im Organismus und auf Grund offenbar vorhandener regionaler Einflüsse. Es ist praktisch recht brauchbar, diese Verhältnisse mit einem ursprünglich physikalischen Begriff, nämlich dem des Feldes zu bezeichnen. Es würde hier ja zu weit führen, die bisher besprochenen Versuchsergebnisse aus Ontogenese und Regeneration nochmals unter diesem neuen Begriff zu beleuchten. Die wenigen
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Determinationsfelder
vorstehend gegebenen Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß mit der Annahme, der Keim sei in embryonale Felder aufgeteilt und diese Felder setzten sich auch in den erwachsenen Zustand des Organismus hinein fort, die experimentellen Ergebnisse gut ausgedrückt werden können. über die Ausdehnung eines embryonalen Feldes oder eines Determinationsfeldes kann man sich durch Transplantation undifferenzierten, undeterminierten Materials orientieren. Hierbei stellt sich heraus, daß das Feld keineswegs mit der Organanlage zusammenfällt, sondern eine größere Ausdehnung als diese besitzt. Greifen wir zur Erläuterung ein Beispiel heraus, etwa das Extremitätenfeld. Nicht nur an der Stelle der Extremität selbst, sondern auch in ihrer näheren und weiteren Umgebung wird ein eingepflanztes indifferentes Regenerationsblastem zur Extremitätenentwicklung veranlaßt. Wir können mittels dieser Versuchsanordnung ablesen, daß das Feld der Vorder- und Hinterextremitäten 'bei einem Molch sich um die Extremität selbst als Mittelpunkt lagert und die beiden Felder sich in der Mitte der Körperflanke überschneiden, in einem Gebiet, wo etwa in gleicher Häufigkeit das Blastem sowohl Vorder- als auch Hinterextremitätscharakter annehmen kann. Ganz analoge Verhältnisse finden wir für andere Organe, sowohl beim erwachsenen Tier, als auch für die embryonalen Felder am Embryokörper. Ein sehr anschauliches Bild von der Ausdehnung der determinierenden Felder gibt das Schema von Holfreter (Abb. 15), das mittels Verpflanzung reaktionsfähigen, jungen Ektoderms in ältere Keime in verschiedenen Höhen des Wirtes ermittelt wurde. Dieses Schema zeigt auch, daß nicht nur räumlich, sondern auch begrifflich das Determinationsfeld weder mit der präsumtiven Anlage oder
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Feldtheorie
der determinierten Anlage beim Embryo noch auch mit dem fertigen Organ beim erwachsenen Tier identisch ist. Die präsumtive Extremität oder die präsumtive Medullaranlage i s t n i c h t das Extremitäten- bzw. Medullarfeld, s o n d e r n sie l i e g t in ihrem entsprechenden Feld. Bis hierher ist der Feldbegriff eigentlich nur eine Beschreibung der experimentell erarbeiteten Tatsachen. Er wurde jedoch als „Feldtheorie" zu einer Theorie der embryonalen und regenerativen Morphogenese ausgewertet. Danach gehen
Nase. Auge 1 Vorder- und Mittelbirn | Haftfaden Ohrblase, Hinterhirn Frontalepidermis Kopfganglienleiste Kieme Vorderes t r e m i u t Vornierenkanale Rückensaum Muskulatur Chorda Rückenmark, Scbwanzzapfen Epidermis, Bindegewebe
Abb. 15. Schema für die Ausbreitung der determinierenden Felder der Neurula für verschiedene Organe beim Molch. Abgeleitet aus der Verpflanzung
indifferenten Ektoderms
aus
der Gastrula
in
eine
Neurula (links oben dargestellt). Die Pfeile bezeichnen die Reichweite der determinierenden Felder der nebenbezeichneten Organe in einer (darüber abgebildeten) ausgeschlüpften Larve.
168
Kritik der Feldtheorie
die gestaltbildenden Kräfte des Organismus von dem in ihm oder über ihm lagernden, zunächst einheitlichen, später in Teilfelder zerfallenden, embryonalen Felde aus. Die einen scheinen hierbei keine Bedenken zu tragen, das Feld sich weitgehend unabhängig von der stofflichen Grundlage vorzustellen. Andere hingegen wollen das Feld als nichts unabhängig vom organisierten Keime Bestehendes aufgefaßt wissen. Der Feldbegriff erhält jedoch dadurch viel Problematisches, daß zu einem Feld notwendigerweise auch eine Feldquelle gehört. Im Falle des Medullarfeldes z. B. sind wir zwar in der Lage, zumindest eine der Feldquellen anzugeben, nämlich das unterlagernde Urdarmdach. Und auch bei dem noch einheitlichen Felde des befruchteten, ungefurchten Eies können wir im grauen Halbmond die Feldquelle annehmen. Die Aufteilung des Feldes in Teilfelder im Laufe der Organisation des Keimes macht der Vorstellung keine Schwierigkeiten. Die Determination der präsumtiven Organanlagen erfolgt entsprechend ihrer räumlichen Anordnung zum späteren Organisationszentrum, eben dem grauen Halbmond. Die Anlagen besitzen ihre um sie herum angeordneten Teilfelder, die dann bis hinein in den erwachsenen Zustand erhalten bleiben und sich in den determinativen Einflüssen auf in ihrem Wirkungskreis liegende oder in ihn hineingebrachte indifferente Blasteme äußern. Offen bleibt aber die Frage, woher die das primäre einheitliche embryonale Feld des Eies bedingende Feldquelle kommt. Wir wissen zwar bereits aus der deskriptiven Embryologie, daß der graue Halbmond in seiner Lage durch den Spermaeintritt bestimmt wird. Doch ist der die bilaterale Symmetrie des Eies bedingende graue Halbmond bereits der zweite Differenzierungsschritt des Eies. Ihm voraus geht die Dif-
Theorie der relativen Determination
169
ferenzierung des Eies in eine animale und vegetative Hälfte. Welche Feldquelle und welches Feld prägt dem Ei diese erste Organisation auf? Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, müßte man die Feldquelle als außerhalb des Keimes liegend, unabhängig von seiner stofflichen Grundlage, annehmen. Für die Lösung des Problems der Gestaltbildung der Organismen ist mit dieser Auffassung jedoch nichts gewonnen. Ein solches unstoffliches und auch nicht an die Materie gebundenes Feld wäre jeder weiteren kausalen Untersuchung unzugänglich und widerspricht somit den im ersten Kapitel aufgestellten Grundsätzen (s. S. 11 ff.) kausalanalytisdier Forschung. Von vorneherein leistet W . Goetsdi bei der Aufstellung seiner Theorie der „relativen Determination" Verzicht auf einen Versuch, die eben aufgeworfenen Fragen zu lösen. Er nimmt die organische Gestalt als etwas zunächst Gegebenes hin und sucht dem etwas vagen Feldbegriff mit seiner Theorie eine konkretere Grundlage zu schaffen. Das „Feld" — Goetsdi zieht in erster Linie das Determinationsfeld der erwachsenen Organismen in den Kreis seiner Betrachtungen, doch besteht kein prinzipielles Bedenken, seine Anschauungen auch auf die embryonalen Felder der ins Stadium der Selbstdifferenzierung getretenen Embryonen zu übertragen — ist hier weder ein von einer stofflichen Grundlage gelöstes Etwas, noch ist es ein Kräftespiel, das zwar dem Material selbst innewohnt, aber sonst Undefiniert bleibt, sondern das „Feld" bilden nach Goetsch die Zellen selbst. Die Organanlage selbst besteht aus völlig in der Richtung auf die Zelltypen dieser Organe determinierten und ausdifferenzierten Zellen. Bei der physiologischen Regeneration und ebenso bei der akzidentellen müssen indifferente Zellen zum Ersatz der
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Theorie der relativen Determination
verlorengegangenen nachrücken. Diese Ersatzelemente sind nun nicht alle gleichermaßen indifferent, sondern vielmehr relativ determiniert in Richtung auf die zu dieser Ersatzleistung nötige Entwicklungsrichtung, so nämlich, daß die dem betreffenden Organ zunächstliegenden, also auch in erster Linie für den Ersatz in Frage kommenden Zellen den höchsten Prozentsatz der relativen Determination aufweisen, während wir mit zunehmender Entfernung von dem Organ eine fallende relative Determination in Richtung auf die Entwicklung zu diesem Organ finden. Unter diesem einheitlichen Gesichtspunkt betrachtet, lassen sich für die Regenerationsvorgänge durch alle Tierklassen hindurch einfache Schemata aufstellen, an denen sich die experimentell gesicherten Tatsachen ablesen lassen. Bei der Unmöglichkeit, hier die von Goetsch und seiner Schule zusammengetragenen Daten ausführlich wiederzugeben, sei nur an dem beigegebenen Schema (Abb. 16) für die Planarien das Prinzip seiner Gedankengänge deutlich gemacht. Um das Schema nicht unnötig zu komplizieren, sind nur die für die Regeneration des Kopfes und des Schwanzes dienenden indifferenten Elemente eingetragen. Sollte das Schema erschöpfend sein, so müßte es
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Abb. 16. Schema zur Darstellung der „relativen Determination" nach W . Goetsch bei Planarien. Die Striche bedeuten indifferente Zellen, die Pfeile für schwanzmäßige, die Pfeile mit Querbalken für kopfmäßige Entwicklung „relativ determinierte" Zellen. Mit x seien irgendwelche inneren Organe (z. B. Geschlechtsorgane) bezeichnet.
Theorie der relativen Determination
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natürlich auch die für die seitliche Regeneration, für die Regeneration der Bauch- und Rückenseite usw. vorgesehenen Elemente aufweisen. So wie das Schema ist, zeigt es am Kopf selbst wie auch am Schwänze selbst 100%ig köpf- bzw. schwanzmäßig determinierte Elemente. Zur Körpermitte zu nehmen sowohl quantitativ wie qualitativ die köpf- bzw. schwanzgerichteten Zellen ab, bis wir schließlich in der Körpermitte selbst indifferente Zellen finden, deren relative Determination bezüglich Kopf- oder Schwanzbildung 0 % beträgt. Hiermit ist in vollkommener Weise dasselbe in den Zellen selbst zum Ausdrude gebracht, was die Feldtheorie vom Feld aussagt: Das Kopffeld z. B. hat sein Zentrum im Kopfe selbst, also dort, wo nach Goetsch alle Elemente 100%ig kopfmäßig determiniert sind. Mit zunehmender Entfernung vom Kopfe wird die auf Kopfentwicklung gerichtete Feldwirkung schwächer. Das Schema der „relativen Determination" wird auch in leichtfaßlicher Weise besonderen Regenerationserscheinungen gerecht, wie z. B. der Heteromorphose kleiner Kopfstücke von Planarien. Da eben in einem solchen kleinen Kopfstück nur kopfmäßig determinierte Zellen enthalten sind, wie sich aus der Abbildung ja ohne weiteres ablesen läßt, kann das Kopfstück nach hinten nichts anderes bilden als Kopf. Mit der Annahme einer relativen Determination der indifferenten Elemente wird es auch verständlich, wie ein heteropolar aufgepfropfter Fußstiel einer Hydra das Mittelstück zu einer Polaritätsumkehr veranlassen kann. Die im Mittelstück enthaltenen, nur sehr schwach in köpf- oder stielmäßiger Richtung determinierten Elemente werden von den vom heteropolaren Fußstück her kommenden kopfgerichteten Elementen umgestimmt und zur Kopfbildung an dem ur-
172
Theorie der relativen Determination
sprünglich fußwärts gerichteten Ende veranlaßt. Gibt bis hierher die Theorie der „relativen Determination" nur ein konkretes Bild all der Tatsachen, die sich auch mittels Feldwirkung erklären lassen, so läßt sie darüber hinaus auch die Erklärung von Phänomenen zu, angesichts derer die Feldtheorie uns unbefriedigt lassen muß. Dies sei nur zum Schluß an einem Beispiel kurz beleuchtet. In dem Abschnitt „Die Polarität bei der Regeneration" wurde davon berichtet, daß an autoplastisdi, heteropolar in die Körperflanke von Fischen eingepflanzten Transplantaten die einige Zeit nach der Transplantation durch Abschaben entfernten Schuppen entweder herkunftsgemäß, d. h. vom Wirt aus gesehen heteropolar, oder ortsgemäß, d. h. vom Wirt aus homoiopolar regenerieren. Daß die Polarität der regenerierenden Schuppen mit der des Wirtes übereinstimmt, wenn das Transplantat erst kürzere Zeit im Wirte verweilt, dagegen die Sdiuppenregenerate heteropolar zum Wirt sind, wenn das Transplantat schon länger eingepflanzt war, widerspricht völlig einer angenommenen Feldwirkung. Man sollte nämlich gerade im Gegenteil erwarten, daß das schon länger dem Felde des Wirtes ausgesetzte Transplantat der Polarität des Wirtsfeldes entsprechend, also homoiopolar, Schuppen regeneriert. Die Theorie der „relativen Determination" hingegen sichert dem experimentellen Ergebnis eine einfache Erklärung. Das autoplastische Transplantat fügt sich dem Körper so gut ein, daß jede größere Materialbewegung unterbleibt. Der Wirt kann sich darauf beschränken, die Verlötung der Transplantatränder mit seinen eigenen Geweben vorzunehmen. Die während dieser ersten Zeit gebildeten Schiuppen (Versuchsserie mit 83 Tagen Abstand zwischen Transplantation und Schuppenabschabung) sind homoio-
Gradiententheorie
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polar, wie es dem Einfluß der Wirtszellen entspricht. Sind die Vorgänge der Verlötung vollzogen, was etwa nach 100 Tagen der Fall ist, so finden keine Materialbewegungen mehr statt. Fehlen aber Zellwanderungen vom Wirt ins Transplantat, so ist auch die Einflußnahme der Unterlage auf das Pfropfstüdk beendet; denn die Träger der Feldwirkung sind die Zellen selbst. Darum bleiben die Schuppen herkunftsgemäß gerichtet. Die exaktesten Grundlagen für unsere Vorstellungen über die gestaltenden Kräfte in der Entwicklung der Organismen versucht die „Gradiententheorie" beizuschaffen, indem sie die kausale Analyse der Entwicklungsvorgänge bis zu ihrer Einmündung in physikalische und chemische Geschehnisse vortreiben will. Die Gradiententheorie in ihrer allgemeinen Form hat ihre Anfänge in den frühesten Zeiten wissenschaftlicher Naturbetrachtung. Schon Aristoteles war die Tatsache bekannt, daß das Kopfende eines Hühnerembryos sich schneller entwickelt als das Schwanzende. Es besteht also längs der Embryoachse ein Gefälle der Entwicklungsgeschwindigkeit. Die Gradiententheorie im weitesten Sinne behauptet, daß die Körper der Organismen eine oder mehrere Achsen mit ungleichartigen Polen besitzen, längs derer ein Gefälle oder Gradient irgendwelcher Art besteht, von dem der Gang der Entwicklung weitgehend abhängig ist. So hat auch schon Boveri dem Seeigelei eine vom animalen zum vegetativen Pol führende Schichtung im Sinne eines Gefälles zugesprochen. Die eigentliche Gradiententheorie begründete Child, indem er einerseits den Gradienten die entscheidende Bestimmung des Entwicklungsverlaufes zuspricht, da nach seiner Annahme der höchste Punkt des Gradienten eine in der Entwicklung führende oder dorni-
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Stoffwediselgradienten
nante Region darstellt, die das Schicksal der tieferen Punkte des Gradienten bestimmt, und indem er andererseits die Natur des Gefälles näher zu definieren versucht. Die grundlegenden Experimente zu seiner Theorie führte Child an den sich ungeschlechtlich vermehrenden Ringelwürmem und Planarien durch. Mit verschiedenen Methoden suchte er zu beweisen, daß den morphologischen Gradienten — ein solcher ist z. B. bei der obengenannten Beobachtung von Aristoteles gegeben — physiologische Gradienten zugrunde liegen. Durch Messung des Sauerstoffverbrauches, der CC>2-Abgabe, der Reduktion von Kaliumpermanganat, der Empfindlichkeit gegen Giftstoffe in den verschiedenen Körperregionen der zu den Versuchen herangezogenen Würmer stellte er fest, daß tatsächlich Gefälle bezüglich Sauerstoffverbrauch, C02-Abgabe, Reduktionsfähigkeit gegenüber Kaliumpermanganat, Giftempfindlichkeit usw. bestehen. Dabei verbraucht die dominante Region am meisten Sauerstoff, gibt den meisten CO2 ab, hat die höchste Reduktionsfähigkeit gegenüber Kaliumpermanganat. Beim Aufenthalt in starken Lösungen von Giftstoffen fällt die dominante Region vor den übrigen Körperabschnitten der Auflösung anheim. Mannigfache Kritiken der Childsdien Versuche weisen darauf hin, daß die auf Sauerstoffverbrauch und C02-Abgabe basierenden Nachweismethoden der Gradienten von zweifelhaftem Wert sind. Vor allem wurde eingewendet, daß „die Einheit zur StofTwechselmessung die Kalorie ist und die von einem Tier oder einem seiner Segmente produzierten Kalorien nicht gemessen werden durch die zur Auflösung des Tieres oder eines seiner Segmente durch einen Giftstoff (z. B. K C N ) benötigte Zeit". Die Kritik richtet sich also vor allem dagegen,
Stoffwediselgradienten
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daß Child die den morphologischen Gradienten zugrunde gelegten physiologischen Gradienten einfach als Stoffwediselgradienten bezeichnet. Daß es jedoch physiologische Gradienten gibt, die aber Gefälle irgendeiner noch nicht näher definierbaren Art sind, ist bestätigt. Man nennt sie daher besser ganz allgemein Aktivitätsgradienten. Diesem Aktivitätsgradienten nun wird von Child die Fähigkeit zugeschrieben, die Organanlagen nicht nur bei den von ihm zunächst untersudhten, sich durch Teilung fortpflanzenden oder regenerierenden Würmern, sondern auch bei den Eiern der Wirbellosen wie der Wirbeltiere zu determinieren. Gerade hinsichtlich des Beginns der Embryonalentwicklung hat die Gradiententheorie etwas sehr Bestechendes. Löst sie doch auf eine einfädle Weise die bei der Besprechung der Feldtheorie aufgeworfene Frage, woher die erste Organisation des Eies diesem aufgeprägt wird. Nach der Gradiententheorie nämlich entsteht die primäre Eiachse — wir haben dies bereits in dem Abschnitt „Analyse der hauptsächlichsten Differenzierungsschritte des Eies" erwähnt — durch die Lage des Eies im Eierstock, indem der animale Pol sich dort herausbildet, wo durch die vermehrte Blutzufuhr der meiste Sauerstoff zur Verfügung steht. Das Organisationszentrum, der graue Halbmond, wird, wie wir bereits wissen, im Meridian des Spermaeintrittes angelegt, und zwar nach der Gradiententheorie in jenem Breitenkreis des Eies, der die Grenze des primären animalen Aktivitätszentrums zum vegetativen Pol hin bildet: Nach Child können sich nämlich in Regionen, die aus dem Bereich eines Gradienten ausgeschaltet sind, durch „physiologische Isolation" weitere dominante, d. h. in der Entwicklung führende Regionen ausbilden. Mit der Gradiententheorie
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Kritik der Gradiententheorie
wären also die beiden ersten Differenzierungsschritte des Eies, die der Erklärung die meisten Schwierigkeiten bilden, auf verhältnismäßig einfache äußere Einwirkungen zurückführbar. Daß die weitere Aufgliederung des Eies in die präsumtiven Organanlagen der theoretischen Vorstellung keine unüberwindlichen Schwierigkeiten macht, sobald die drei Hauptachsen des Embryos gegeben sind, wurde schon mehr als einmal betont. Man darf aber nicht vergessen, daß die Behauptung, der animale Pol entstehe an der Stelle, an der dem Ei im Ovar der meiste Sauerstoff zugeführt wird, einer gesicherten experimentellen Grundlage entbehrt. Die am Amphibienei in diesem Sinne erzielten Ergebnisse wurden nämlich später von demselben Autor abgeändert. Die von der Gradiententheorie gemachten Angaben über die Entstehung der primären Eiachse bleiben somit hypothetisch. Dagegen steht es fest, daß auch das Amphibienei, wie die von Child untersuchten primitiven Wirbellosen, Aktivitätsgradienten aufweist. Eine Region besonderer Empfindlichkeit gegen Gifte befindet sich im Blastulastadium am animalen Pol des Keimes, die sich meridional bis zum grauen Halbmond herabzieht. Während der Gastrulation nimmt die Empfindlicheit in dieser Region allmählich ab und dafür bildet sich ein Bezirk höherer Empfindlicheit an der oberen Urmundlippe aus. Dies stimmt an sich gut mit unseren Vorstellungen überein, daß die Determination der präsumtiven Organanlagen zunächst in Beziehung zum animalen Pol, später in Beziehung zum Organisationszentrum in der dorsalen Urmundlippe erfolgt. Wir dürfen also mit Recht annehmen, daß Teile des Embryos, die durch Aktivität irgendwelcher Art den übrigen Eiregionen voraus sind, als Schrittmacher für Wadistum, Determination
Bedeutung der Gradiententheorie
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und Differenzierung für die übrigen Bezirke wirken. Der Organisator zeigte sich uns in den vorausgehenden Abschnitten als eine solche führende Region, nicht nur in der Embryogenese, sondern auch in den Gestaltbildungsvorgängen bei der Regeneration. Die Gradiententheorie ist nun weiter der Auffassung, daß diese führenden oder dominanten Regionen (Organisatoren) und von ihnen ausgehend Gefälle (Gradienten) verschiedener Aktivität in eine mannigfaltige Wechselwirkung mit den Erbanlagen (Genen) in den Zellen treten und daß durch diese Wechselwirkungen spezifische organbildende Substanzen entstehen, die ihrerseits die Ausbildung der Organe verursachen. In dieser Auffassung von den Grundlagen der Gestaltbildung der Organismen liegt der große Wert der Gradiententheorie für die weitere Forschung auf dem Gebiete der experimentellen Morphologie. Denn hiermit ist der Weg in der Richtung gewiesen, die wir bereits zu Anfang des Budies als die einzig aussichtsreiche bezeichnet haben, nämlidi in der Richtung auf eine weitere streng kausal-analytische Forschung. Es zeichnen sich dabei in zunehmendem Maße auch Gesichtspunkte chemischer und physikalischer Natur ab, was ganz im Sinne der Herausbildung einer Synthese der verschiedenen naturwissenschaftlichen Zweige liegt. Die Gradiententheorie gibt auch dem so wenig konkreten Feldbegriff ein besseres Fundament, indem sie in ihrer Fortentwicklung vor allem durch Huxley und de Beer den Begriff des Gradientenfeldes gezeitigt hat. Eine hemmende Wirkung auf den Fortgang der Forschung würde es aber bedeuten, wenn man die Ansichten von Child und seiner Schule kritiklos übernehmen würde. Gemeint ist damit vor allem, daß man sich auf eine Definition der Natur der N a r d i , Organismus.
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Probleme der Gradiententheorie
Gradienten in keiner Weise festlegen darf. Es gibt zwar, wie wir sahen, zweifellos Gefälle, im Ei sowohl wie in den fertigen Organismen, die sich auf verschiedene Weise manifestieren, aber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gerade das nicht sind, was Child behauptet, nämlich Stoffwechselgradienten. Und es ist daher voreilig anzunehmen, daß der erhöhte Stoffwechsel und die erhöhte Aktivität spezifische Ursachen der Gestaltbildung sein sollen. Die Behauptung, daß der erhöhte Stoffwedisel die Führung in der Morphogenese verursacht, entbehrt des experimentellen Beweises; es ist nicht widerlegt, daß das Kausalverhältnis gerade umgekehrt ist, nämlich daß eine dominante Region, weil sie morphogenetisch führend ist, einen höheren Stoffwechsel hat. Die Erscheinungen der rascheren Zellteilung, des erhöhten Stoffwechsels und der gesteigerten Zellaktivität sind — und dies ist auch die Auffassung von Spemann — wohl „nur die Vorbereitungen und energetischen Voraussetzungen der Vorgänge, deren typischer Ablauf auf Struktur beruht". Die ganze Problematik, vor der unser Wissen über die gestaltbildenden Kräfte des Lebendigen steht, trotz der Nützlichkeit der Gradiententheorie als Arbeitshypothese, auch dann wenn wir sie nicht im Sinne von Child nur auf Stoffwechselgefälle basieren, kann nichts besser beleuchten als folgendes Zitat von Spemann, aus seinem Buch „Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung" : „Es scheint mir nun, ein Gefälle kann als solches nur wirken, wenn auch wirklich etwas fließt, etwa ein Wasserstrom, ein elektrischer Strom. Der steilste Berg treibt noch keine Mühle. Soll also ein Stoffwechselgradient als solcher determinieren, so muß er entweder selbst einen Strom irgendwelcher Art verursachen, oder aber etwas
Probleme der Gradiententheorie
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anderes muß fließen, welches dann seinerseits die Ursache der verschiedenen Aktivität längs der Gradientenachse wäre. Was ist nun aber dieses Etwas? Erregung, wie Vogt neuerdings glaubt? W i r wissen es eben nidit. Die tiefe Unwissenheit über das, wovon wir reden, ist die größte Schwierigkeit, welche selbst die Diskussion aller übrigen Schwierigkeiten stark behindert. Darum wird es unser stetes Bestreben sein müssen, die jetzt noch so schmale und unsichere Tatsachenbasis nach Möglichkeit zu festigen und zu erweitern. So liegt auch hier wieder die letzte Entscheidung beim Experiment. Spricht dieses klar und unzweideutig im Sinne der Childsdien Gradiententheorie, so beruhen die jetzt empfundenen Schwierigkeiten auf wissenschaftlichen Vorurteilen, in deren Uberwindung die grundsätzliche Erweiterung unserer Erkenntnis bestehen würde. Bisher haben die angestellten Experimente, wie mir sdieint, eine solche Entscheidung noch nicht, jedenfalls nicht zugunsten der Gradiententheorie in der besonderen Fassung von Child gebracht." Bei theoretischen Vorstellungen über die Ursachen der Morphogenese der Organismen ist natürlich auch an die Rolle zu denken, die eventuell den Erbanlagen dabei zukommt. In der T a t wird gerade in neuerer Zeit durch eine fruchtbare Zusammenarbeit von Genetik und Entwicklungsphysiologie der Auswirkung der Gene in den Gestaltungsvorgängen ein immer breiterer Raum gegeben. Die Ausführunigen über diese Ansichten seien jedoch auf das Kapitel Gestalt und Vererbung verwiesen. Schließlich ist noch ein Erklärungsversuch für die Gestaltbildung der Organismen zu erwähnen, nämlich der, 12*
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Die Ganzheit
in dem Begriff der Ganzheit die letzte Ursache aller Gestaltungsvorgänge zu sehen. Die Ganzheit ist eine Tatsache, die zu den auffallendsten Lebenserscheinungen zählt und uns in zahllosen Phänomenen der Ontogenese wie der Regeneration entgegentritt. Sie äußert sich z. B. darin, daß Bruchteile einer Hydra eine ganze Hydra bilden können, daß die Halbembryonen von Roux durch die als „Postgeneration" bezeichnete nachträgliche Regeneration sich zu einem ganzen Embryo ergänzen, kurzum, daß Teile von Organismen die Summe der Möglidikeiten, welche zur Bildung des Ganzen gehören, ebenso besitzen wie der ganze Organismus selbst. Rein vitalistisch ausgerichtete Forsdier glaubten nun, in dieser Ganzheit der lebenden Systeme das Erklärungsprinzip für die Gestaltung gefunden zu haben. Nach ihrer Auffassung ist die Idee eines Organismus die Ursadie für die Entstehung dieses Organismus. Driesch griff in diesem Zusammenhang auf die aristotelische „Entelechie" zurück, um mit ihr die von ihm entdeckten harmonisdi-äquipotentiellen Systeme zu erklären. Solchen Auffassungen gegenüber ist aber mit Nachdruck hervorzuheben, daß der Ganzheitsbegriff kein Erklärungsprinzip abgeben kann, das der strikten Forderung kausal-analytischen Vorgehens in der biologischen Forschung entspricht. Da es in der Biologie wie in den anderen Zweigen der Naturwissenschaften keine gesicherte Synthese ohne Analyse gibt, ist mit der Ganzheit gar nichts erklärt, sie ist keine Problemlösung, sondern eine Problemstellung. Denn die Ganzheit ist es ja gerade, deren Analyse zur Aufgabe gestellt ist. Und wie es unzulässig ist, in einer Definition den zu definierenden Begriff selbst zu verwenden, ebenso ist es widersinnig, eine Erklärung mit dem zu erklärenden Begriff geben zu
Entelediie
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wollen. Wollten wir uns die Auffassung der Vitalisten zu eigen machen, so hieße dies gerade an dem Punkt die Forschung abschließen, wo sie eigentlich erst einzusetzen hat. An dieser Stelle sei aber wiederholt, was bereits im Eingangskapitel betont wurde, daß mit der Forderung nach kausal-analytisdier Methode nicht behauptet wird, daß nicht letzten Endes in der Erforschung der Lebensvorgänge ein nicht mechanistischer Rest verbleiben kann. Man muß nur vermeiden, durch eine eventuelle Bejahung dieser Möglichkeit sich von der kausalen Analyse abhalten zu lassen, solange wir nicht wissen, wo der mechanistischen Methode die Grenzen gesetzt sind. Man muß die Forschung mit dieser Methode vorwärtstreiben, als gäbe es diese Grenzen überhaupt nicht. Demgegenüber bedeutet die Einführung des Ganzheitsbegriffes oder der „Entelechie" als Erklärungsprinzip eine Hemmung biologischer Forschung. Diesen Standpunkt bringt auch Needham zum Ausdruck, wenn er folgende Worte von E. Rabaud über Driesch zitiert: „Driesch war ein hervorragender Embiyologe und Beobachter, der dem Fortschritt der Wissenschaft viel genützt haben könnte, aber eines Tages ergab er sich den Schwierigkeiten seiner Aufgabe; da erschien ihm im Traum die Entelechie, er dachte, in ihr die Lösung zu sehen, die ihn von weiteren Bemühungen entbinden würde. Und so machte er sie sich zu eigen. Von diesem Zeitpunkt an glaubte er, sehr bald darauf hörte er zu arbeiten auf. Und wenn seine Entelechie ihm vielleicht seelischen Frieden brachte, so verschloß sie seinen Sinn dem Fortschritt der Wissenschaft und verhinderte ihn, weiter zum Wachstum des Wissens beizutragen."
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Mißbildungen und Geschwülste
C. M i ß b i l d u n g e n u n d G e s c h w ü l s t e Die vorhergehenden Kapitel über Embryologie und Entwicklungsmedianik haben die Vorgänge bei der Entwicklung des fertigen Organismus aus dem Ei und die hinter diesen Vorgängen stehenden Kräfte aufgezeigt. Besonders das methodische Vorgehen, durch Störungen der normalen Entwicklung Fragen an die Natur zu stellen nach dem Wie und Warum ihrer Leistungen, gab wiederholt die Gelegenheit, Fälle kennenzulernen, in denen es dem Embryo nicht mehr gelang, die normale Entwicklung einzuhalten. Es entstanden Mißbildungen. Schon vor der Zeit der experimentellen Erzeugung solcher Anormalitäten waren sich die Forscher darüber klar, daß die bei Menschen und Haustieren und auch bei den frei lebenden Tieren sich findenden „Mißgeburten" Entwicklungsstörungen als Ursache haben müssen, während minder nüchtern Denkende an das Walten böser Mächte glaubten. Die Zusammenhänge, welcher Art eine Entwicklungsfehlleistung zu sein hat, um die oder jene Mißbildung zu verursachen, konnten zunächst nicht erfaßt werden. Um es gleich vorwegzunehmen: auch heute sind wir noch weit davon entfernt, alle Mißbildungen erklären zu können. Immerhin stehen wir ihnen nicht mehr ganz verständnislos gegenüber. Man kann sich die Erkenntnisse der experimentellen Embryologie zunutze machen und sie mit den Befunden an den Naturexperimenten, wie man die Anormalitäten mit Recht bezeichnen kann, in Parallele setzen. Das Experimentieren am Menschen verbietet sich von selbst und bei den Säugetieren stößt es auf recht beachtliche Schwierigkeiten, infolge der Entwicklung des Embryos innerhalb des mütterlichen Körpers.
Mißbildungen als Naturexperimente
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Die Selbstkritik, die schon in den vorhergehenden Kapiteln als wichtiges Rüstzeug eines gewissenhaften Experimentators gebührend berücksichtigt wurde, zwingt uns hier zunächst zu einer vorsichtigen Frage: Sind wir berechtigt, die eben angedeutete Parallele zwischen den Ergebnissen des embryologischen Experiments und den Experimenten der Natur zu ziehen? Wenn wir, um von vorneherein die Gefahr von Trugschlüssen zu vermindern, unsere Vergleiche auf den Stamm der Wirbeltiere beschränken, also hauptsächlich die unter ihnen am besten experimentell in ihrer Entwicklung durchforschten Amphibien in Betracht ziehen, und außerdem uns klar darüber sind, daß ein solcher Vergleich stets nur den Wert eines Indizienbeweises, niemals aber die Beweiskraft der direkten Beobachtung haben kann, so ist die gestellte Frage zu bejahen. Denn: es besteht einmal eine sehr augenfällige Ähnlichkeit zwischen manchen spontanen Mißbildungen des Menschen und der Säugetiere und den experimentell erzeugten Fehlbildungen bei Amphibien; zum zweiten haben zahlreiche Arbeiten 'gezeigt, daß die bei den Amphibien zuerst aufgedeckten Gesetzmäßigkeiten des Embryonalgeschehens auch für die übrigen Wirbeltierklassen — zumindest prinzipiell — ihre Geltung haben. Es kann hier natürlich nicht unsere Aufgabe sein, sämtliche bekannten Gruppen von Mißbildungen bei Mensch und Säugetier einer vergleichenden Betrachtung mit den Amphibien zu unterziehen. Wie sehr dies über den hier gezogenen Rahmen hinausginge, erhellt aus dem Hinweis, daß die Beschreibung der menschlichen und tierischen Mißbildungen ein mehrbändiges Werk ausfüllt. Es sei daher nur eine Auswahl aus der Teratologie, der Wissenschaft von den Mißbildungen, getroffen.
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Doppelmißbildungen
Allbekannte Anormalitäten sind die Doppel- und Mehrfachbildungen von Gliedmaßen, Doppelköpfigkeit und ihre stufenweisen Übergänge zu mehr oder minder weit verwachsenen Zwillingswesen. Bei den verschiedenen, immer wieder in der W e l t herumgebotenen „siamesischen Zwillingen", die bekanntlich nicht immer Siamesen sind, sondern nur den Namen eines besonders berühmt gewordenen Zwillingspaares übertragen bekommen haben, sind die Grade der Verbindung in mannigfachen Varianten verwirklicht. Für alle diese Erscheinungen kennt man klare und unzweifelhafte Parallelen in Amphibienexperimenten. W i r denken hier an die Keime mit sekundärer Embryonalanlage, die ein mehr oder minder selbständiges zweites W e s e n in verschieden enger Bindung an den normalen Embryo entstehen läßt. Im günstigsten Fall entwickelt sich auch die sekundäre Embryonalanlage zu einem völlig normalen Organismus, so daß dann bei ziemlich oberflächlicher Verbindung das Messer des Chirurgen den beiden Individuen ihre Selbständigkeit geben kann. Häufiger freilich bestehen so enge Beziehungen zwischen den Doppelbildungen durch Gemeinsamkeit wichtiger Organe, Blutgefäße usw., daß die Trennung undurchführbar ist. O f t auch ist die sekundäre Anlage so defekt, daß sie nur als Anhängsel des Hauptkeimes zu betrachten ist. Begründet sind, wie wir von den Experimenten wissen, die sekundären Entwicklungszentren durch eine Verlagerung von Organisatormaterial. W i e aber beim Menschen oder Säugetier diese Verlagerung zustande kommt, entzieht sich freilich unserer Kenntnis. Experimentell nachzuahmen ist auch der Mechanismus, der bei der Entstehung der Doppelbildungen nur der vorderen Körperhälfte, der „Duplicitas anterior" — soweit
Doppelmißbildungen
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sie nicht auf einer sekundären Embryonalanlage beruht —, und der Doppelbildung der Gliedmaßen in Tätigkeit tritt. Eine Duplicitas anterior läßt sich — um dies nochmals ins Gedächtnis zu rufen — erzeugen, indem man einen Amphibienkeim durch eine Haarschlinge einschnürt, die Schlinge jedoch nicht ganz zuzieht. Hierdurch wird die Masse des invaginierenden Urdarmdaches zu einer Gabelung in seinem vorderen Teil gezwungen, der hinterste, innerhalb der Schlinge liegende Teil bleibt einheitlich. Eine solche Spaltung muß auch bei der Duplicitas anterior von Menschen und Säugerföten vorliegen. Wodurch die Schnürung aber entsteht, kann nicht gesagt werden. Nicht viel anders ergeht es uns mit den verdoppelten Gliedmaßen. Es ist naheliegend, sie aus der Spaltung einer Extremitätenanlage entstanden zu denken. Die Ursache der Spaltung bleibt aber im Dunkeln; immerhin ist in diesem Falle die Möglichkeit gegeben, daß strangförmige Verwachsungen der als Amnion bezeichneten Embryohülle als schnürende Hemmnisse bereits in diesem Stadium in Frage kommen, da sie sicher für später in der Entwicklung auftretende Mißbildungen der Extremitäten verantwortlich zu machen sind (Mehrfingrigkeit, andererseits Hemmung der Finger- und Zehenbildung usw.). Die Duplicitas anterior ist nicht die einzige Mißbildung, die wir uns aus dem Schnürungsversuch von Spemann am Amphibienkeim ableiten können. Der einfachste Fall sind die eineiigen Zwillinge. Zweifellos sind sie vom Standpunkt des Eies aus, das bestimmt ist, sich zu einem einzigen Individuum zu entwickeln, als eine Entgleisung zu betrachten, wenngleich das Ergebnis, praktisch gesehen, nichts Anormales an sich hat. Um zwei gleich-
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Zwillinge
wertige eineiige Zwillinge zu erzeugen, muß die Durchschnürung in der Symmetrieebene des späteren Embryos erfolgen und den Organisatorbezirk median spalten. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so richtet der Schnürungsprozeß beträchtliches Unheil an. W i r erinnern uns des Falles, wo die Haarschlinge Rücken- und Bauchhälfte des Keimes teilt. Die Dorsalhälfte, die alle induzierenden Organanlagen enthält, entwickelt sich zu einem normalen Embryo; die Ventralhälfte hingegen bleibt eine unorganisierte Zellmasse. Ihr entspricht in der menschlichen Teratologie der „Amorphus", ein völlig ungestaltetes Gebilde, das immer nur als Partner eines normalen Zwillings sich findet. Die Tatsache, daß diese Mißbildung nie allein auftritt, stimmt gut mit der aus dem Sdinürungsexperimente abgeleiteten Entstehungsweise überein. Diesen Einklang von Laboratoriums- und Naturexperiment finden wir auch im dritten möglichen Fall des Schnürungsversuches, nämlich dann, wenn die Schlinge weder in der Medianebene noch senkrecht dazu den Keim zerteilt, sondern die Schnürungsebene im Winkel zwischen diesen beiden Hauptachsen verläuft. Die Folge davon ist, daß der eine Zwilling zuwenig Organisationsmaterial mitbekommt. Dadurch reicht sein unterlagerndes ChordaMesodern nicht mehr bis zum Kopfende nach vorne, und stufenweise mit Abnahme des zur Verfügung stehenden Organisatormaterials fallen in Richtung vom Kopf zum Schwanz immer mehr Induktionen und damit Organbildungen aus. Im leichtesten Fall sind die paarigen Sinnesorgane in der Reihenfolge Nase, Augen, Ohranlagen davon betroffen, indem sie unpaar bleiben. Es können aber weitere Defekte, Fehlen des ganzen Kopfes, der Vorderextremitäten vorkommen, wenn der Zwillingspartner be-
„Acardii"
sonders schlecht bei der Aufteilung bezirkes weggekommen ist.
187 des Organisator-
Es fällt nicht schwer, die unter dem Namen „Acardii" geführten Mißgeburten als unseren defekten Amphibienlarven am meisten ähnelnd zu identifizieren. Audi bei diesen „Herzlosen" kann man eine ganze Stufenreihe, angefangen vom Fehlen der Schädeldecke, verkümmerten Sinnesorganen bis zur restlosen Abwesenheit des ganzen Oberkörpers, aufstellen. Es ist für die hier behandelten Fragen belanglos, die einzelnen Teile des Darm-, Nierenund Blutkreislaufsystems, die den Acardii fehlen oder bei ihnen vorliegen, aufzuzählen. Die Zeit, aus der die genaue Untersuchung dieser immerhin nicht häufigen Mißbildungen stammt, hat sich nun gerade dafür besonders interessiert, während uns Angaben über die Skeletteile, die Stammuskulatur und die Abkömmlinge des Kopfmesoderms viel wichtiger wären, da diese Komponenten die Induktoren von Neurairohr und Sinnesorganen sind (Abb. 17 a, b, c, d). Es ist aber festzustellen, daß bei den Acardii wie bei den Amphibienlarven die geformten Ektodermderivate stets nur soweit vorhanden sind wie das ihnen entsprechende Unterlagerungsmaterial, wobei wir die Länge der Wirbelsäule als Gradmesser für die Ausdehnung des Chorda-Materials nehmen. Ist also in diesen Verhältnissen die Parallele zwischen den Acardii und dem mit unzureichendem Organisatormaterial ausgestatteten Zwillingspartner des Amphibienschnürungsversuches gewahrt, so wird die Gleichsetzung weiter gesichert durch die Tatsache, daß ein Acardius stets nur in Gemeinschaft mit einem eineiigen Zwillingspartner auftritt.
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Acardii"
c d Abb. 17 a—d. Röntgenbilder von menschlichen „Acardii" mit verschiedenen Graden des Ausfalles kopfwärts liegender Abschnitte des Zentralnervensystems und des Skeletts.
Acardii" und Exogastrulation
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Es ist nicht zu verkennen, daß — als Einzelwesen betrachtet — die Acardii auch eine weitgehende Identifizierung mit den Produkten der Exogastrulationsversuche von Holtfreter zulassen. Die Abbildung von drei Typen teilweise unterlagerter und dementsprechend teilweise organisierter Exogastrulalarven, denen zur Verdeutlichung auch Chorda, Muskel- und Knorpelteile eingetragen sind, mag diese Behauptung bestätigen, wenn man sie mit den abgebildeten Acardii vergleicht (Abb. 18). Hier wie dort sind die Fehlbildungen durch einen Mangel an vollständiger Unterlagerung des Ektoderms mit invaginierendem Chorda-Mesoderm verursacht. Der Vorgang, der zur mangelhaften Unterlagerung führt, ist aber in beiden Fällen grundlegend verschieden: einmal handelt es sidi um
Abb. 18. Drei verschiedene Grade von teilweiser fehlender Unterlagerung von Chorda-Mesoderm bei Amphibienlarven infolge Exogastrulation. Die Eintragung der Chorda, Rumpfmuskulatur und Skeletteile ermöglicht den Vergleich mit den „Acardii" der Abb. 17.
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Sakralteratome
Verlust an invaginierendem Chorda-Mesoderm durch Exogastrulation, im anderen Fall um ungleiche Zuteilung des Organisatorbezirkes zwischen Zwillingskeimen. Daher fehlt ja auch einem Acardius immer das charakteristische Anhängsel von nicht invaginiertem Entomesoderm der Exogastrulakeime. Läßt sich unter den Mißbildungen aber nicht auch eine Parallele zum Exogastrulationsexperiment am Amphibienembryo finden? Nicht in einem so hohen Grade der Übereinstimmung aller prinzipiellen Züge des Natur- und Kunstproduktes, wie in den vorangegangenen Beispielen. Immerhin zeigen die als Sakralparasiten bezeichneten Mißbildungen noch die weitestgehende Ähnlichkeit mit den Exogastrulen. Die Abbildung läßt erkennen, daß es sich hier um sackartig in der Steißgegend sich erhebende Geschwülste von oft beträchtlichem Umfang handelt (Abb. 19). In ihnen können Gewebetypen aller Keim-
Abb. 19. Neugeborenes mit sog. Sakralteratom oder Sakralparasiten, einer auf Entwidclungsmißbildung beruhenden Geschwulst in der Steißgegend.
Spina bifida
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blätter vorkommen, wie vor allem Gehirnteile, Muskulatur, Knorpel, Darmteile. Es wurden manche Vermutungen für die Entstehung dieser merkwürdigen Gebilde geäußert. Der Vergleich mit der Exogastrula kann auf die Lagerung des ausgestülpten Teiles am After und auf das Vorkommen vorwiegend der Kopfregion angehörender Organteile in dem Teratom begründet werden. Man darf aber nicht darüber vergessen, daß eine recht wesentliche Unstimmigkeit diesen Vergleich stört; der Umstand nämlich, daß die Sakralteratome Nervengewebe enthalten, deren die exogastrulierten Massen der Amphibien, da sie völlig ektodermfrei sind, ermangeln. Bei der wesentlich anderen Verteilung des Ektoderms im Stadium der Gastrulation beim Menschen, gegenüber den Verhältnissen bei den Amphibien, kann angenommen werden, daß Ektoderm mit dem exogastrulierenden Entoderm in Berührung kommt und so eine Bildung von Nervengewebe induziert wird. Daß sich auf diese Weise eine plausible Erklärung geben läßt, zeigt der Parallelversuch im Experiment: Man bedeckt die exogastrulierten Massen eines Amphibienkeimes mit einem Lappen jungen Ektoderms und erhält dann auch hier, entsprechend den Befunden am menschlichen Sakralteratom, eine Induktion von Teilen des Nervensystems (vgl. S. 117 ff.). Ein Offenbleiben der Medullarrinne und dadurch bedingte Verdoppelung der Dornfortsätze der Wirbel wird in der Teratologie als „Spina bifida" bezeichnet. Da sie zweifellos auf einer unvollendeten Gastrulation und Neurulation beruht, kann man in ihr die sicherste Parallele der natürlichen Mißbildungen zur Exogastrula, wenn auch zu deren schwächster Form, erblicken. Verschwindet nämlich
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Spina bifida
der Dotterpfropf, der letzte Rest des invaginierenden Entomesoderms, nicht völlig im Urmund, so kann man am Amphibienkeim schön die Ausbildung einer Spina bifida verfolgen. Durch das Hindernis des Dotterpfropfes werden die kaudalen Seitenflügel der induzierenden Entomesodermbezirke an ihrer Vereinigung in der Mittellinie des Embryos verhindert und induzieren daher zwei getrennte, erst mehr kopfwärts sich vereinigende Neurairohre; ist das Hindernis sehr klein, so wird zwar eine einheitliche, aber sich nicht schließende Medullarplatte gebildet, die dann grubenförmig offen bleibt. Die Spina bifida kommt häufig im Zusammenhang mit einem Sakralparasiten zur Beobachtung, so daß man auch hieraus den Schluß ziehen kann, daß die oben gegebene Ausdeutung des Sakralteratoms als Exogastrulationsvorgang nicht ganz abwegig ist. Wie ich schon zu Anfang dieses Kapitels sagte, war weder eine endgültige entwicklungsphysiologisdie Erklärung noch eine Berücksichtigung auch nur annähernd aller bei Menschen und Säugetieren vorkommender Mißbildungen beabsichtigt. Es sollte nur an einigen wichtigeren Gruppen von solchen Fehlbildungen aufgezeigt werden, daß sich manche dieser Erscheinungen, die man früher nur trocken beschreiben konnte, heute in interessante Parallelen zu unseren Erfahrungen bei den Amphibienexperimenten setzen lassen, womit auch gewisse Vermutungen über ihre Entstehungsweise ausgesprochen werden können. Und wenn wir dann im einen oder anderen Fall auch mit ziemlicher Sicherheit sagen können, daß der Mißbildung derselbe Entstehungsvorgang, den wir am Amphibienkeim künstlich auslösten, zugrunde liegt, so bleibt es doch immer noch im Dunkeln, welche Kräfte im
Tumoren
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mütterlichen Organismus die Hand des Experimentators ersetzen. Auch die Geschwulst (Tumor) ist eine Mißbildung im weitesten Sinne. Mißbildung im engeren Sinne, wie sie Gegenstand des ersten Teiles dieses Kapitels war, ist eine Veränderung des Körpers in seiner Form und Zusammensetzung, die außerhalb der Variationsbreite der Art gelegen ist, nicht auf einer direkten Reaktion des Körpers gegen äußere schädigende Einflüsse beruht und sich dem normalen anatomischen Bauplan des Organismus nicht einfügt, wohl aber seinem Stoffwechselbauplan eingegliedert ist. Von dieser Definition der Mißbildung im engeren Sinne unterscheidet sich die Geschwulst darin, daß sie sich auch dem regeneratorischen und dem Stoffwechselbauplan des Körpers nicht einfügt. Geschwülste sind demnach bestimmt als selbständige, aus einer primären Gewebsmißbildung hervorgehende, in sich abgeschlossene Gewebswucherungen mit dauerndem Wachstum, die sich dem normalen und regenerativen Bauplan und dem Stoffwechselbauplan des Organismus nicht einordnen. Das Krebsproblem steht heute so sehr im Brennpunkt des allgemeinen Interesses, daß auch der Fernerstehende sich ein Bild von der Fülle der vorhandenen und fast täglich zunehmenden Literatur machen wird. Es ist auch bekannt, daß das Krebsproblem nur in Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen der Medizin und der experimentellen Biologie einer Lösung nähergebracht werden kann. Daher wird es weder dem Gegenstand noch dem Umfang dieses Buches entsprechen, die Frage der Krebserkrankungen in einem Abschnitt von allen Blickrichtungen her oder gar erschöpfend zu behandeln. W a s hier geboten werden N a r d i , Organismus.
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Arten der Tumoren
soll, seien jene Gesichtspunkte, die die Entwicklungsmechanik, vor allem die Regenerationsforschung, zum Krebsproblem zu liefern hat. Zunächst noch einige allgemeine Erörterungen: die Geschwülste wachsen entweder so, daß sie geschlossen an Umfang zunehmen, gleichsam wie ein Gummiball, den man aufbläst, oder so, daß die einzelnen histologischen Tumorelemente in die Nachbargewebe wurzelartig vordringen. Man unterscheidet diese beiden Wachstumsformen als e x p a n s i v e s und i n f i l t r a t i v e s Wachstum. Vom klinischen Standpunkt trennt man die Tumoren in gutartige oder benigne und in bösartige oder maligne. Diese Abgrenzung ist nicht scharf. Die klinische Eigenschaft der Geschwülste ist in erster Linie eine Folge der Wachstumsart. Gutartig sind nämlich im allgemeinen die expansiv wachsenden, bösartig die infiltrativ sich ausbreitenden Tumoren. Die Bösartigkeit einer Geschwulst besteht nun in ihrer Neigung, Rezidive und Metastasen zu bilden. Unter einem Rezidiv versteht man die Entstehung einer gleichen Geschwulst an derselben Stelle kürzere oder längere Zeit nach der operativen Entfernung eines Tumors. Das Rezidiv nimmt seinen Ausgangspunkt von zurückgebliebenen, mit bloßem Auge nicht mehr erkennbaren Teilen der Geschwulst; unter Umständen genügt eine einzige zurückgebliebene Geschwulstzelle. Unter Metastasen versteht man das Auftreten räumlich vom primären Tumor getrennter gleichartiger Neubildungen, die entweder dadurch entstehen, daß die Tumorzellen kontinuierlich in den Lymphgefäßen weiterwuchern, ohne hier größere Knoten zu bilden, sondern erst weiter entfernt wieder zu einer umfangreicheren Geschwulst werden, oder häufiger durch Verschleppung einzelner oder
Rezidiv und Metastase
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mehrerer losgelöster Tumorzellen im Blut- oder Lymphstrom an andere Körperstellen. Es ist klar, daß Rezidiv wie Metastase viel leichter bei einem infiltrativ wachsenden Tumor auftreten können als bei einem expansiv wachsenden, weshalb eben jene bösartig, diese meist gutartig sind. Es kommt aber, wenn audi selten, vor, daß eine expansiv wachsende Geschwulst metastasiert, häufiger schon, daß sie rezidiviert, klinisch also als bösartig anzusprechen ist. Andererseits gibt es viele bösartige Tumoren, die lange Zeit als durchaus gutartig anzusprechen waren, dann aber durch Druck die Wand irgendeines Blut- oder Lymphgefäßes zum Schwinden brachten und nun zur Metastasenbildung schritten. Eine scharfe Trennung nach dem biologischen Verhalten ist also zwischen malignen und benignen Tumoren nicht möglich. Dies hat eine große Bedeutung für die Geschwulstgenese, da auf Grund dieser Tatsache auch keine Trennung der Ätiologie, d. h. in ihrer Verursachung, gemacht werden kann. Auf gutartige und bösartige Tumoren müssen also dieselben Gesichtspunkte angewendet werden. Die Benennung der Geschwülste wird nach ihrer histologischen Zusammensetzung vorgenommen. So spricht man von einem Fibrom, das aus Bindegewebe besteht, einem Lipom aus Fettgewebe, Chrondrom aus Knorpel-, Myom aus Muskelgewebe usw. Eine größere Gruppe umfaßt das Sarkom, das aus Bindegewebe, und zwar fast ausschließlich aus Zellen ohne Zwischensubstanz aufgebaut ist. Je nach der Zellart, die in ihm besonders stark vertreten ist, unterscheidet'man ein Riesenzellen-, Osteo- (Knochenzellen-), Melano- (Melanophoren-) sarkom usw. Fast allein Epithel setzt das Kar13*
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Die Infektionstheorie
zinom zusammen, das sich in Plattenepithel-, Zylinderzellen-, Drüsenepithel- (z. B. der Brustdrüse, der Leber, des Eierstockes) karzinom unterteilen läßt. Die Mischgeschwülste, die eine große Mannigfaltigkeit von Gewebstypen aller Keimblätter enthalten, leiten ohne scharfe Grenzen von den Tumoren im engeren Sinn zu den Teratomen über, die wir bei der Besprechung der Mißbildungen kurz streiften. Auf diese Zusammenhänge sowie auf eine Kritik der Namengebung der Geschwülste ist noch zurückzukommen. Unter den zahlreichen Versuchen, den Ursachen der Krebsbildung nahezukommen, spielt zu allen Zeiten der Nachweis eines s p e z i f i s c h e n „ K r e b s e r r e g e r s " eine bedeutende Rolle. Aus allen Gruppen parasitärer Lebewesen, unter den Protozoen, den Bakterien, den Pilzen, selbst unter den Würmern glaubte man ihn gefunden zu haben. Der Beweis im Sinne der strengen Kontrollen, wie sie bei der Erforschung des Erregers einer Infektionskrankheit gefordert werden müssen, steht für alle behaupteten Krebserreger aus. Abgesehen aber davon, daß demnach die Parasitologie der Tumoren völlig in der Luft hängt, kann man gute Gegengründe gegen die Infektionstheorie der Geschwulstbildung ins Feld führen. Ein solches Argument liefert uns die Tatsache, daß das Wachstum eines Tumors nur aus sich heraus, nur durch ständige Teilung seiner eigenen Zellen stattfindet. Normales Gewebe an den Rändern einer Geschwulst wandelt sich nicht in Geschwulstgewebe um. E s g i b t k e i n i n f i z i e r e n d e s W a c h s t u m d e r T u m o r e n . Diese selbständige Wucherung eines Tumors lediglich durch andauernde Vermehrung seiner Tumorelemente widerspricht der Annahme seiner infektiösen Entstehung. Denn weshalb soll-
Die Infektionstheorie
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ten nidit wenigstens diejenigen Zellen durch die Krebserreger infiziert werden, die den Tumorzellen nahe verwandt sind, z. B. nicht die angrenzenden Epidermiszellen durch einen Hautkrebs angesteckt werden? Weiter kann man der Infektionstheorie mit der Tatsache entgegnen, daß von den Tumoren über die Mischgeschwülste und Teratome fließende Übergänge bis zu den Doppelbildungen bestehen. Wer, ohne einfach über diese Tatsache hinwegzusehen, an einer infektiösen Entstehung des Krebses festhalten wollte, müßte zu der Konsequenz kommen, daß auch die Doppelbildungen auf einen Infektionserreger zurückzuführen sind. Daß eine solche Annahme absurd ist, liegt auf der Hand. Auf eines muß aber hier noch hingewiesen werden: wir kennen heute verschiedene, sowohl karzinomatöse wie sarkomatöse Geschwulstbildungen, die ganz sicher und einwandfrei durch eine Infektion experimentell hervorzurufen sind. Hierher gehört das sogenannte Spiropterakarzinom der Ratte, das ein kleiner Wurm, Spiroptera neoplástica, erzeugt, wenn man Ratten mit Küchenschaben füttert, in denen sich dieser Wurm entwickelt. Ähnlich liegt der Fall mit dem Zystizerkussarkom der Rattenleber, das durch Bandwurmfinnen hervorgerufen wird. Eine weitere Gruppe sind dann noch die übertragbaren Hühnergeschwülste und Blastosen. Zellfreie Fíltrate dieser Geschwulstformen sind infektiös. Die Übertragung erfolgt also nicht durch Transplantation von Tumorgewebe, wie das in großen Versuchsreihen bei Mäusen und Ratten häufig gemacht wird, sondern das Filtrat muß ein die Geschwulst übertragendes Etwas enthalten. Man muß hier in erster Linie an ein Virus denken. Die echte Tumornatur dieser hierher zu zählenden Geschwülste, des Rousschen Hühner-
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Die Infektionstheorie
sarkoms, der durdi Filtrate übertragbaren Warzen (Epitheliosen) u. a., ist aber noch nicht einwandfrei erwiesen. Außerdem wird der Umstand noch starker Kritik unterzogen, daß die Filtrate nadi sehr eingehenden Untersuchungen noch Kerne und Kerntrümmer der Geschwulstzellen enthalten, die impfpositiven Filtrate sogar ausnahmslos. Es ist aber denkbar, daß auch noch kleine Kernteile die Fähigkeit zur Zell- und Tumorbildung in sich tragen. Dann würde es sich gar nicht um eine Infektion durch das Filtrat, sondern um eine Transplantation von Kerntrümmern, also um einen nicht prinzipiell von der Tumortransplantation in den übrigen Fällen verschiedenen Vorgang handeln. Halten wir also fest, daß nur bei einem ganz begrenzten Teil von Tumoren parasitäre Erreger festgestellt wurden, die eben nur ganz spezifische Tumorformen erzeugen, bei der ungeheueren Mehrzahl aller anderen Geschwülste irgendwelche Anhaltspunkte für Infektiosität und entsprechende Erreger nicht gegeben sind, weitergehende Betrachtungen über die Zusammenhänge der Tumoren mit andren Fehlleistungen der Körpergestaltung vielmehr stark gegen die Annahme von Krebserregem sprechen, so muß man die Infektionstheorie der Geschwulstgenese als ungenügend für die Erklärung der Tatsachen betrachten. Nicht weniger wichtig als die Infektionstheorie ist die R e i z t h e o r i e , die überdies ein größeres Tatsachenmaterial für sich ins Feld führen kann. Es steht außer Zweifel, daß durch immer wiederholte Schädigungen durch mechanische, chemische und physikalische Reize Tumorbildungen hervorgerufen werden können. Der
Reiztheorie
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Lippenkrebs bei Pfeifenraudiern, Gallenblasenkrebs bei Gallensteinen, der Teer-, Anilin-, Paraffinkrebs und der Röntgenkrebs seien nur als besonders geläufige Beispiele angeführt. Die Zusammenhänge sind zum Teil sehr enge; z. B. kann man zu Versuchszwecken nach Bedarf durch längere Teerpinselung der Haut bei Mäusen Tumoren erzeugen. Die Reiztheorie scheint also mit vollem Recht zu behaupten, daß durch die oben angedeuteten reizenden Schädlichkeiten Tumorbildung verursacht wird. Sie versagt aber in folgenden Hauptpunkten: 1. Die Reiztheorie kann nicht erklären, warum sidi in einer größeren, gleichmäßig z. B. durch Teer gereizten Haut- oder Schleimhautfläche nur ein einziger Geschwulstherd entwickelt und nicht die ganze betroffene Fläche krebsig entartet. Diese Entwicklung des Tumors aus einem lokalisierten Zentrum heraus erinnert vielmehr an die Bildung einer Organanlage in der Embryogenese oder bei der Regeneration, etwa an die Bildung einer Extremitätenknospe aus einer umgrenzten Anlage. 1. Unverständlich bleibt nach der Reiztheorie die große Zeitspanne, die zwischen der Reizwirkung und der Krebsbildung liegt. Nicht nur, daß die Schädlichkeit lange Zeit hindurch und immer wiederholt einwirken muß, ehe es zur Krebsbildung kommt; es kann die Schädigung auch jahrelang, bis zu zehn Jahren und länger völlig fortfallen und doch nachher noch die Krebsbildung einsetzen (z. B. beim Blasenkrebs der Anilinarbeiter). Für die Latenz gibt die Reiztheorie keine Erklärung, während wir wissen, daß sich regenerative Prozesse über viele Jahre hinziehen und immer von neuem aufflackern können, auch ohne weiteres Fortwirken der zuerst sie veranlassenden Schädigung.
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Reiztheorie
3. Die Reiztheorie sucht dieser langen Latenzzeit durch die Annahme gerecht zu werden, daß sie die Krebsbildung auf „Einwirkung einer im Laufe der Jahre immer steigenden Summierung der Reize" zurückführt (Fibiger). Eine solche Annahme stellt sich aber in Widerspruch mit der einwandfreien Tatsache, daß — wie oben schon ausgeführt wurde — die Krebsbildung auch noch erfolgt, nachdem der verursachende Reiz bereits seit vielen Jahren nicht mehr eingewirkt hat. Sie widerspricht aber auch allen sonstigen Erfahrungen über die Wirkungen von Schädigungen: Bekanntlich ist die Wirkung einer geringen Infektionsschädigung z. B. später nicht größer als das erste Mal, wenn sie sich mehrmals wiederholt, sondern ganz im Gegenteil trachtet der Körper danach, Wege zu finden, und er findet sie in der Tat, daß er sich anpaßt, so daß die spätere und wiederholte Wirkung einer Schädigung, sofern sie überhaupt ertragbar ist, geringer ist als beim ersten Male. Diese Anpassungsfähigkeit kennen wir von den Immunitätsvorgängen, der Gewöhnung an Gifte (Alkohol, Tabak, Morphium) und mechanische Reize. Auch hier löst sich der Widerspruch, wenn man annimmt, daß der Reiz zur Auslösung eines Regenerationsprozesses führt. Hier vollzieht sich die Anpassung des Körpers nämlich in der Weise, daß die Regeneration auf denselben Reiz hin immer stärker und rascher erfolgt. Gerade diese überstürzten Regenerationsvorgänge sahen wir aber häufig zu übertriebenen und sinnlosen Ergebnissen führen. Der Krebsbildung ist hier ein guter Boden vorbereitet. Die Einwände, die gegen die Reiztheorie erhoben werden müssen, lassen enge Beziehungen der Tumorentstehung zum Regenerationsgeschehen klar erkennen. Dies gilt in erster Linie für die Krebsformen des
Theorie der Keimausschaltung
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Menschen, die lediglich äußeren Einflüssen ihre Entstehung verdanken, wie das Röntgenkarzinom, der Paraffinkrebs, der Narbenkrebs usw., und für die tierexperimentellen Krebse. Eine andere große Gruppe der Geschwülste, die ohne ersichtliche äußere Ursachen entsteht, den Teratomen äußerst nahesteht und zum Teil bestimmt erblich, zum Teil weitgehend familiär auftritt, wie das maligne Teratom des Eierstocks, das maligne Neuroblastom der Retina, das erbliche Chondrom u. a. führen zu der zwingenden Annahme einer embryonalen Entwicklungsstörung. Diese fruchtbare Vorstellung der Entwicklung der Geschwülste aus einem embryonal oder regenerativ angelegten Geschwulstkeim, der weitgehend dem entspricht, was die Entwicklungsmechanik als „Anlage" eines Organs bezeichnet, bildet den wesentlichsten Inhalt der von dem berühmten Pathologen Virdiow zum Teil schon skizzierten, von Ribbert aber endgültig ausgebauten Theorie der Keimausschaltung. Nach ihr ist das Selbständigwerden von Gewebskeimen die Grundlage aller Geschwulstbildung. Die Selbständigkeit soll von einer Isolierung eines wachstumsfähigen Gewebes aus den organischen Beziehungen zu seiner Umgebung herrühren. Ribbert führt eine Reihe von Vorgängen an, die zu soldier Isolierung Veranlassung geben können. Z. B. kann es sich bei embryonalem Gewebe um eine Absprengung während der komplizierten Faltungsbewegungen in der Embryogenese oder bei Regenerationsgewebe um allmähliche Abtrennung durch entzündliche Prozesse handeln, um nur einige Möglichkeiten anzudeuten. Es müssen aber nicht immer grob anatomische Geschehnisse sein, die zur Keimausschaltung führen, vielmehr darf die physiologische Isolation als ein wesentlicher Faktor für die Geschwulstbil-
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Die Tumorzelle
dung angesehen werden. Zu einer solchen physiologischen Isolation kann es durch jede Abschwächung oder Aufhebung der Korrelation kommen. Hierunter versteht man die Abstimmung und Wechselwirkung aller Gewebe und Organe eines Organismus untereinander in ihrer Funktion, ihrem Wachstum und ihren Entwicklungsleistungen. Daß am Zustandekommen der Korrelation innere Eigenschaften der Zellen, ihre Determination, zumindest maßgebend beteiligt sind, steht außer Zweifel. Es geht daher heute nicht mehr an, Ribbert darin beizupflichten, daß für die Geschwulstentstehung die Keimausschaltung die alleinige Ursache ist und die Annahme einer Änderung des biologischen Charakters der Geschwulstzelle sich erübrigt. Es ist im Gegenteil daran festzuhalten, daß das Wesen der Geschwulst in der Geschwulstzelle selbst liegt. Die Tumorzelle ist zwar eine körpereigene Zelle, was nach den bisherigen Ausführungen keiner besonderen Erläuterung mehr bedarf. Sie zeigt aber einen völligen Verlust des Altruismus, d. h. der Beziehungen zum übrigen Organismus, also der Korrelationen, und entwickelt und differenziert sich in der Richtung einer ganz bestimmten, typischen Minderwertigkeit, die in der neueren Krebsforschung als Kataplasie bezeichnet wird. In der Tat kann die Keimausschaltung allein doch nicht das Spezifische der Geschwulstzelle selbst erklären. Die Kataplasie äußert sich in einer Reihe von Kennzeichen der Tumorzelle; neben ihrer Selbständigkeit, ihrem autonomen Wachstum, ihrem abnormen Stoffwechsel, dessen hauptsächlicher energieliefernder Prozeß die Gärung (als sauerstofflose Atmung im Gegensatz zur Sauerstoffatmung normaler Körperzellen) ist, unterscheidet sich die Tumorzelle auch durch ihren Mangel an morphologischer wie funktioneller
Kataplasie der Tumorzelle
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Differenzierung. So gleicht sie äußerlich oft weitgehend den embryonalen Zellen, aus denen sie sich ableitet. Sie ist aber keine embryonale Zelle mehr; denn diese ist totioder mindestens pluripotent, wie wir früher gesehen haben. Die Tumorzelle aber ermangelt fast völlig der Differenzierungspotenzen. Das wesentlichste Merkmal der Kataplasie liegt also in der Metastruktur der Tumorzelle, jener Struktur, die unseren direkten Beobachtungsmethoden entzogen ist, die nur auf dem Umwege über experimentell aufzudeckende Lebensäußerungen und Entwicklungsfähigkeiten erkennbar ist und gemeinhin unter dem Namen Potenzgehalt in der Entwidclungsmechanik bekannt ist. Die Tumorzelle ist also eine embryonale Zelle mit veränderter, nämlich minderwertiger Metastruktur. Es ist daher verfehlt, wie wir schon bei anderer Gelegenheit andeuteten, die Geschwülste nach jenen Geweben zu benennen, durch deren Entartung sie entstanden zu sein scheinen. Die Geschwulstzelle hat nie diesem oder jenem Gewebe angehört. Wieweit es beim Menschen allerdings zu ähnlichen Erscheinungen kommen kann, wie wir sie in den Entdifferenzierungsvorgängen relativ wenig hoch differenzierter Zelltypen bei niederen Wirbeltieren (vgl. Amphibien- und Fischregeneration) kennengelernt haben, sei dahingestellt. Für die weitaus größte Mehrzahl der Geschwülste können solche Entdifferenzierungen nicht in Betracht gezogen werden. Die praktische Pathologie wird freilich aus Zweckmäßigkeitsgründen an der bisherigen Art der Bezeichnung und Einteilung der Geschwülste festhalten; man muß sich dabei nur bewußt bleiben, daß damit keine Herkunftsbezeichnung, sondern nur gewisse Ähnlichkeiten mit normalen Zelltypen zum Ausdrude gebracht werden.
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Mutation und Tumorentstehung
ü b e r die Ursachen der Kataplasie der Tumorzelle kann heute noch wenig Positives ausgesagt werden. Offenbar handelt es sich in vielen Fällen um eine Zellmutation, d. h. also um eine Änderung des Genbestandes, des Erbanlagenbestandes, der Zellen. Wir kennen die Wirkungen der Röntgenstrahlen auf die Keimzellen, ihre Fähigkeit, dort Mutationen und somit Mißbildungen der Nachkommenschaft auszulösen. Unter den geschwulsterzeugenden Reizen sind auch die Röntgenstrahlen eingereiht. Die Keimzellen wie die Zellen der Geschwulstanlage sind embryonal. Sie reagieren wohl besonders leicht auf Mutation auslösende Reize, wie Röntgenstrahlen. Anilin und manche andern chemischen Substanzen sind kanzerogen, d. h. krebserregend. Sollten auch diese Substanzen Mutationen hervorrufen können? Es müssen aber nicht immer Veränderungen des Kernes sein, die zur Entartung der Zellen führen; audi schwere Störungen im Zellplasma, die eine normale Kernfunktion nicht mehr zulassen, können diese Folgen haben. Diese Andeutungen sollen genügen, da sie die Kompetenzen der Entwicklungsmechanik heute noch überschreiten. Es sei nur die Tatsache noch angeführt, daß man gerade in Geschwülsten häufig anormale Zellteilungen, bei denen die Erbmasse des Kernes ungleich auf die Tochterkerne verteilt wird, beobachten kann. Was die Ausschaltung von Chromatin bei der sogenannten erbungleichen Teilung in der Embryonalentwicklung bedeutet, werden wir noch im folgenden Kapitel sehen. Der Potenzverlust, den wir als Charakteristikum der Tumorzelle erkannt haben, zeigt eine auffallende Parallele zu jenen Folgeerscheinungen. Es dürfte der Klarheit über die dargestellten Zusammenhänge dienen, wenn ich nun zum Schluß in wenigen
Zusammenfassung
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Worten jene Gesichtspunkte zusammenfasse, die von der Entwicklungsmechanik zum Krebsproblem geliefert werden können: Ein Tumor entwickelt sich demnach aus einer embryonal oder regenerativ entstandenen Geschwulstanlage, die aus den korrelativen Beziehungen des Gesamtorganismus ausgeschaltet ist und aus Zellen typischer Minderwertigkeit im Potenzgehalt, kataplastischen Zellen, besteht. Als Auslösungsfaktoren, sei es für einen Regenerationsvorgang oder für Zellmutationen, können mechanische, diemische oder physikalische Reize, worunter als Sonderfall auch schädigende Reize durdi Parasiten zu zählen sind, auftreten, die aber nicht direkt, sondern nur auf dem Umwege über ein regeneratives Geschehen zur Geschwulstbildung führen.
IV. VERERBUNG UND GESTALT Es erscheint selbstverständlich, daß die Nachkommenschaft eine weitgehende Ähnlichkeit mit den Eltern aufweist oder diese Ähnlichkeit wenigstens nach einer Larvenperiode erreicht. In weitesten Kreisen ist es heute bekannt, daß diese Tatsache aiuf den Vererbungsgesetzen beruht. Für das hier zu behandelnde Probleim der Gestaltbildung der Organismen bedeutet das, daß die Erbanlagen oder Gene eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Organismus spielen. Sie bestimmen letzthin das Endziel, auf das die Entwicklungsvorgänge hinauslaufen müssen. In den einleitenden Abschnitten des Kapitels über „Experimentelle Embryologie" war schon davon die Rede, daß diese Auffassung einen präformistischen Faktor in unsere Anschauung über die Entwicklung hineinbringt. Denn durch die Erbmasse ist präformiert, d. h. im voraus festgelegt, daß aus dem Ei ein der Art der Eltern entsprechender Organismus entstehen muß. Die Grundzüge der Vererbungsgesetze, nach denen die Weitergabe der elterlichen Eigenschaften an die Nachkommen erfolgt, werden im folgenden, wie schon bisher, als bekannt vorausgesetzt. Während uns die Genetik auf Grund ihrer Erbanlagenanalysen und des Studiums der Erbgänge oft mit mathematischer Genauigkeit angeben kann, welche Eigenschaften bei den Nachkommen eines Elternpaares erwartet werden müssen, während sie uns also den fertigen Organismus
Determinantentheorie
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gewissermaßen vorausberechnen kann, gibt uns die Berücksichtigung des Genbestandes einer befruchteten Eizelle allein keine befriedigende Erklärung für die Gestaltungsvorgänge. Man weiß z. B. bei der genetisch am besten untersuchten Taufliege Drosophila genau, daß etwa das eine Gen die Augenfarbe beeinflußt, ein anderes gewisse Besonderheiten der Flügelform kontrolliert, daß ferner bestimmte Gene über Männlichkeit oder Weiblichkeit entscheiden. Da nun aber infolge des bekannten Kernteilungsmedianismus a l l e G e n e in a l l e n Körperzelkn anwesend sind, können die Gene allein für eine Erklärung der Gestaltbildung nicht ausreichen. Es müssen Faktoren vorhanden sein, die die Genwirkungen nur in bestimmten Körperregionen in Erscheinung treten lassen. D a die Kerne in allen Körperzellen gleich sind, können solche Faktoren nur im Zytoplasma zu sudien sein. Daß die Entstehung dieser Faktoren epigenetisch ist, wurde schon früher entwickelt. Der Versuch, bei dem ein Amphibienei unter Pressung zwischen zwei Glasplatten seine Furchung durchmacht (vgl. S. 98), erwies ja auch, daß es gleichgültig ist, welchen Protoplasmaregionen die Furchungskerne zugeteilt werden. August Weismann glaubte dennoch mit seiner „Determinanten-Theorie" dem Kern die Führung in der Determination zusprechen zu können. Er nahm an, daß die nur scheinbar gleiche Teilprodukte ergebende Kernteilung in Wirklichkeit eine „erbungleiche" Teilung sei. Das bedeutet, daß nur die Eizelle das „Vollidioplasma" mit allen Eigenschaften des späteren fertigen Organismus enthält. Dieses „Vollidioplasma" oder „Keimplasma" setzt sich aus „Determinanten" zusammen. Im Laufe der Furchung wird das Keimplasma nicht gleichmäßig auf alle Zellen verteilt. Das Vollidioplasma bekommt nur jene Furchungszelle un-
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Kritik der Determinantentheorie
geschmälert mit, aus der später die Keimzellen dieses Organismus hervorgehen, die ihrerseits wieder dieses Vollidioplasma an die nächste Generation weitergeben. In den sogenannten somatischen Zellen dagegen, d. h. den Körperzellen, wird das Vollidioplasma im Laufe der weiteren Zell- und Kernteilungen immer mehr in seine einzelnen Determinanten aufgespalten, bis jede Zellart nur noch diejenige Determinante enthält, die ihre charakteristische Differenzierung veranlaßt. Die oben angeführten Versuchsdaten, aus denen die Gleichgültigkeit der Kernverteilung hervorgeht, lassen sich mit Weismanns Theorie nicht vereinbaren. Es wurde daher die Zusatzhypothese geschaffen, daß jede Furchungszelle neben ihren „Determinanten" auch noch eine kleine Menge Vollidioplasma, sogenanntes „Reserveidioplasma", zugeteilt erhalten soll, das bei Regulationsvorgängen im Embryonalgeschehen oder bei der Regeneration in Tätigkeit tritt. Mit dieser Zusatzhypothese mündet aber Weismanns Theorie wieder in das Problem ein, daß eben nicht dem Kern, sondern aktivierenden Einflüssen des Zytoplasmas die Entscheidung zufällt, welche Gene an einem bestimmten Ort realisiert werden. Eine Hauptstütze für die Determinantentheorie sind jene Fälle, in denen eine „erbungleiche" Teilung des Eikerns bei der Furchung morphologisch sichtbar zu beobachten ist. Bei dem Pferdespulwurm Ascaris megalocephala und einigen anderen Tieren sieht man tatsächlich das ganze Kernchromatin, die Trägersubstanz der Erbanlagen, nur in e i n e Furchungszelle übergehen, während die anderen Zellen nur kleinere Teile davon erhalten, indem ein anderer Teil des Chromatins verklumpt und aufgesaugt wird. Diese Zellen sind daher in ihrem Potenzgehalt eingeschränkt und die Tiere dementsprechend re-
.Erbungleiche" Teilung
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generationsunfähig. B. Fischer-Wasels vertritt nun den Standpunkt, daß die „erbungleiche" Teilung nicht immer in so sichtbarer Weise verlaufen müsse, sondern vielmehr diese Vorgänge sich auch in der unter der mikroskopischen Sichtbarkeitsgrenze liegenden Metastruktur der Zelle abspielen können. Morphologisch völlig gleichwertige Zellen können nach dieser Ansicht ganz verschieden in ihrer Metastruktur und ihrem Potenzgehalt sein. Auf solchen Gedankengängen beruht auch die Behauptung, daß z. B. das indifferente Regenerationsmaterial, trotz des gleichen embryonalen Aussehens aller Elemente, keineswegs zur Differenzierung in jeder beliebigen Richtung fähig, d. h. also nicht totipotent sei, vielmehr seien höchstens die von der Embryonalentwicklurtg her undifferenziert gebliebenen Zellen totipotent, die durch Entdifferenzierung entstandenen Elemente hingegen embryonal nur ihrer Morphologie nach, in ihrem Potenzgehalt aber eingeschränkt und daher nur differenzierungsfähig in Richtung des Zelltyps, dem sie vor ihrer Entdifferenzierung angehörten. Die Frage des Potenzgehaltes entdifferenzierter Zellen konnte bisher nicht entschieden werden. Es gibt Versuchsdaten, die sowohl für die eine wie für die andere Möglichkeit sprechen. Dagegen ist eindeutig nachgewiesen, daß die Erscheinung der Chromatindiminution, d. h. die morphologisch sichtbare Ausschaltung von Erbmasse bei der Furchung, gar nicht die entscheidende Bedeutung als Stütze der Determinantentheorie besitzt, da diese erbungleiche Teilung nicht vom Kern her gesteuert wird, worauf es ja Weismann ankam, sondern, ganz im Sinne unserer heutigen Auffassung von der führenden Rolle des Zytoplasmas bei den GestaltbiklungsVorgängen, ihre Ursache im Zytoplasma hat. N a r d i , Organismus,
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Chromatindiminution
Das Experiment am Ei von Ascaris megalocephala zeigt, daß das Vorhandensein von Zytoplasma des vegetativen Eipoles, das die sogenannten braunen Granula enthält, in irgendeiner Blastomere die Chromatindiminution verhindert. Im Normalfall enthält bei der ersten Furdiungsteilung, deren Teilungsebene bei senkrecht gestellter Teilungsspindel äquatorial verläuft, nur eine der Blastomeren des Zweizellstadiums Zytoplasma des vegetativen Poles und es behält daher nur diese eine Blastomere alle Chromosomen. Zentrifugiert man hingegen ein reifes Askarisei mehrere Stunden lang bei 3800 Umdrehungen in der Minute, so prägt sich die geschichtete Struktur des Eiinhaltes besonders stark aus, und die Furchungsspindel erscheint horizontal statt vertikal gelagert. Das hat zur Folge, daß die nunmehr meridional verlaufende erste Furchungsebene das vegetative Material auf die beiden ersten Blastomeren verteilt. Nunmehr behalten beide Zellen den gesamten Chromosomenbestand bei. Diese beiden Blastomeren verhalten sich dann wie die isolierten Blastomeren des Zweizellstadiums und ergeben Doppelbildungen. Eigenschaften des Zytoplasmas also und nicht der Kern kontrollieren die Chromosomendiminution. D a s Verhältnis der Vererbungsgesetze z u den Ergebnisisen der Entwicklungsphysiologie läuft, kurz gesagt, auf die Frage hinaus, w i e ihrerseits die G e n e über d a s Endprodukt der Entwicklung, den fertigen Organismus mit seinen unzähligen vererbten Eigenschaften, bestimmen können, w e n n sie andererseits in den Determinations- u n d Differenzierungserscheinungen nebensächlich z u sein scheinen. Eine theoretische Vorstellung darüber wurde, ausgehend von gewissen Beobachtungen bei der Vererbung des Geschlechts, entwickelt. D i e Geschlechtsbestimmung, deren Charakteristikum es ist, daß in jeder Generation immer wieder 5 0 % N a c h k o m m e n der einen Sorte, nämlich Männchen, und 5 0 % der anderen Sorte, nämlich W e i b chen, z u finden sind, läßt sich im Sinne einer Mendelschen Rückkreuzung auslegen. Bei näherer Betrachtung ergibt
Vererbung des Geschlechts
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sich aber, daß nicht einfach das Vorhandensein eines männlich bestimmenden oder weiblich bestimmenden Genes über das Geschlecht entscheidet, sondern daß vielmehr in beiden Geschlechtern die zur Ausbildung der Eigenschaften jedes der Geschlechter notwendigen Gene vorhanden sind, daß aber entweder die Männlichkeitsoder die Weiblichkeitsbestimmer quantitativ überwiegen und so über das Geschlecht entscheiden. Diese Gedankengänge, deren experimentelle Beweise im einzelnen auszuführen über den hier gezogenen Rahmen hinausgehen würde, ergaben die Auffassung, daß die Gene nicht durch ihre einfache Anwesenheit, sondern durch besondere Mengenverhältnisse (spezifische Quantitäten) ihre Wirkung entfalten. Dabei scheinen sie nach Art von Enzymen (Fermenten) zu funktionieren. Fermente lösen katalytisch, d. h. rein durch ihre Anwesenheit, ohne selbst dabei verbraucht zu werden, chemische Prozesse aus. Charakteristisch ist es hierbei, daß die Fermente auf ganz bestimmte Stoffe, mit denen allein sie reagieren, eingestellt sind. So gibt es z. B. zur Spaltung ganz nahe verwandter Zuckerarten verschiedene Fermente. Sehr ähnlich scheinen gewisse Gene nur mit einem Zytoplasma ganz bestimmter Art reagieren zu können, so daß je nach der Zytoplasmazusammensetzung in einer Zelle vom selben Genbestand nur die einen, in einer anderen Zelle nur andere Gene zur Wirkung kommen können. Betrachten wir nun die Eizelle, so scheint das hier gegebene Wirkungsfeld der Gene, das Eiplasma, nie ganz gleichförmig (isotrop) zu sein. Die Eizelle besitzt, wie wir sahen, zumindest eine primäre Polarität in der Richtung der Hauptachse vom animalen zum vegetativen Pol. Diese Polarität ist in manchen Fällen zweifellos durch äußere Einflüsse, wie die Lage im Ovar, 14*
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Chemodifferenzierung
die Richtung des Sauerstoff Zustromes, hervorgerufen; in den Fällen, in denen eine solche äußere Aufprägung der Polarität nicht nachgewiesen ist, kann man annehmen, daß sie auf der Erbkonstitution, also auf Wirkungen der Gene der Eizelle selbst basiert. Wenn das Substrat nicht in allen Teilen gleichartig ist, ist zu erwarten, daß die Gene auch nicht in allen Bezirken die gleiche Wirkung entfalten können. Durch das verschiedene Zusammenspiel der Gene mit den ungleichartigen Zytoplasmabezirken entstehen Reaktionen, die zur Bildung organbildender Substanzen führen. Während bei den „Mosaikeiern" von Anfang an durch eine früh ausgeprägte Eistruktur solche organbildende Substanzen bereits reichlich vorhanden sind, entstehen sie bei den „Regulationseiern" erst allmählich, was man als Chemodifferenzierung bezeichnet. Regulation beruht dann auf der Fähigkeit, die vorhandenen, organbildenden Stoffe neu zu verteilen, so daß sie in dem verkleinerten Ganzen bei Zerteilungs- oder dem vergrößerten Ganzen bei Verschmelzungsversuchen wieder die richtige Proportion besitzen. Es muß darauf hingewiesen werden, daß die von der Zelltheorie so sehr in den Vordergrund geschobene Zelle bei der hier entwickelten Auffassung der Gestaltbildung an Bedeutung verliert und das Hauptgewicht den organbildenden Substanzen zukommt. Dieses Zurücktreten der Zelle liegt auch schon bei den Anschauungen der Gradiententheorie vor, bei der ja auch der Gradient etwas der Zelle übergeordnetes darstellt. Die organbildenden Substanzen sind meist an einem bestimmten Punkt lokalisiert, von dem aus sie allmählich auf die Zellen ausströmen und in ihnen die Chemodifferenzierung hervorrufen. Dieser „Determinationsstrom" ist uns schon
D a s Zeichnungsmuster des Schmetterlingsflügels
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von den Organisatorexperimenten her bekannt. Dort wurde gezeigt, daß das dem Urmund näherliegende Ektoderm früher zu Medullarplatte differenziert ist als weiter kopfwärts gelegene Abschnitte, die erst später diese Determination erhalten. Besonders schön lassen sich diese Vorgänge an der Entstehung eines Musters, d. h. einer Mannigfaltigkeit, an einem Objekt beobachten, bei dem dieses Muster nicht aus räumlich in komplizierter Weise zueinander angeordneten Formelementen besteht, sondern flächenhaft vor den Augen des Beobachters ausgebreitet liegt. Es ist das Zeichnungsmuster des Schmetterlingsflügels. Das durch verschiedene Farbstoffe und Strukturen der Schuppen gegebene Muster entsteht sowohl in seinem strukturellen Bestandteil wie auch in seiner Färbung von der Flügelbasis her fortschreitend. Auch hier liegt also ein „Determinationsstrom" vor, der noch dazu direkt zu beobachten ist. Daß mit Eintreffen des Determinationsstromes in einer Zelle über deren künftige Entwicklungsrichtung endgültig das Urteil fällt, zeigen die sogenannten Intersexe. Mit diesem Namen bezeichnet man Tiere mit zwittriger Geschlechtsausbildung. Bei den Schmetterlingen sind die sekundären Geschlechtsmerkmale, d. h. die körperlichen Eigenschaften, die außer der Keimdrüse selbst die Geschlechter charakterisieren, wie wir noch sehen werden, genetisch präformiert. Es lassen sich nun auf Grund der quantitativen Wirkung der Gene durch geeignete Bastardierung — die Versuche wurden an dem Schwammspinner Lymantria durchgeführt — sogenannter „starker" und „schwacher" Rassen Intersexe künstlich erzeugen, dabei schlägt je nach der genetischen Kombination die männlich bzw. weiblich begonnene Entwicklung an einem für die betreffende Kombination feststehenden Drehpunkt in
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Das Zeichnungsmuster des Sdimetterlingsflügels
weibliche bzw. männliche Richtung um, so daß das Endresultat ein Intersex ist. Da nun die Flügelzeichnung bei den beiden Geschlechtern verschieden ist, äußert sich die Änderung der geschlechtlichen Entwicklung auch in diesem Flügelmuster. Im Augenblick des Drehpunktes nämlich wechseln alle Flügelteile, die der Determinationsstrom noch nicht erreicht hat, ihr Geschlecht, während die Flügelbezirke, über die der Determinationsstrom sich bereits ergossen hat, die einmal eingeschlagene geschlechtliche Differenzierung beibehalten. Es muß aber hier erwähnt werden, daß neuere Untersuchungen über die Entwicklung des Zeichnungsmusters des Schmetterlingsflügefe der eben genannten Auffassung widersprechen. Entwicklungsphysiologische Analysen bei anderen Schmetterlingen als Lymantria, vor allem an der Mehlmotte Ephestia kühniella, lassen nämlich nicht erkennen, daß bei Intersexen die der Flügelbasis näherliegenden Bezirke sich im Sinne des durch die Genkombination gegebenen Geschlechtes differenzieren und die weiter nach außen gelegenen Flügelabschnitte die Merkmale des anderen Geschlechtes aufweisen. Vielmehr kann gerade umgekehrt der Flügelrand die anfängliche Differenzierung in Richtung des einen Geschlechtes und die Flügelbasis die Richtung des später zur Geltung kommenden Geschlechtes mitmachen. Diese Ergebnisse beweisen, daß Intersexe zumindest nicht in allen Fällen dadurch entstehen, daß zuerst ausschließlich das eine Geschlecht und nach einem gewissen „Drehpunkt" ausschließlich das andere Geschlecht vorherrschend ist und diese zeitliche Aufeinanderfolge mit einem von der Flügelbasis her fortschreitenden Determinationsstrom kombiniert ist. Sie legen die Vermutung nahe, daß bei den Intersexen die Eibfaktoren beider Geschlechter gleichzeitig nebeneinander wirksam
Geschlechtsdimorphismus
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sind, wenngleich zuerst das eine, später das andere die Vorherrschaft besitzt. Das Flügelmuster verhält sich dabei so, daß gewisse Teile mehr auf die einen, andere Teile mehr auf die anderen Geschlechtsfaktoren ansprechen. Mit diesen letzten Ausführungen wurde bereits ein Gebiet angeschnitten, das die Bedeutung der Vererbung für die Gestaltbildung besonders in Erscheinung treten läßt, die Geschlechtsbestimmung. Der sogenannte Geschlechtsdimorphismus, d. h. die äußerliche Verschiedenheit der Geschlechter, ist im Tierreich weitverbreitet. Er kann in extremen Fällen, wie wir sie vor allem bei den Vögeln und Schmetterlingen finden, so weit gehen, daß die beiden Geschlechter in ihrem verschiedenartigen Aussehen kaum mehr als der gleichen Art zugehörig erkannt werden können. Aber auch die weniger starken Geschlechtsverschiedenheiten sind ja jedem geläufig. Für die Gestalt als solche von entscheidender Bedeutung sind hierbei fast gar nicht die primären Geschlechtsmerkmale, also die Keimdrüsen selbst und ihre Ausführgänge und die Begattungsorgane, als vielmehr die schon obengenannten sekundären Geschlechtsmerkmale, einschließlich des psychischen Verhaltens der Geschlechter. An der Gegenüberstellung zweier Beispiele sei gezeigt, daß hierbei der Einfluß der genetischen Geschlechtsbestimmung zwei grundlegend verschiedene Wege gehen kann. Wie schon erwähnt, ist bei den Schmetterlingen das Geschlecht einschließlich der sekundären Geschlechtsmerkmale mit der Befruchtung festgelegt. Je nach der Kombination der Geschlechtschromosomen im Kern der befruchteten Eizelle entsteht ein männliches oder weibliches Tier. Wegnahme der Keimdrüsen, also Kastration und sogar Einpflanzung der Keimdrüsen des anderen Geschlechtes bei einem
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Gesdileditsdimorphismus
Schmetterling ändert an den sekundären Geschlechtsmerkmalen nichts mehr. Schmetterlingsmännchen, denen experimentell Eierstöcke eingepflanzt wurden und deren etwa noch vorhandene Leitungswege sogar mit den eingepflanzten Fortpflanzungsorganen zu einer Einheit verwachsen sind, bleiben äußerlich normal gebaute und gefärbte männliche Tiere. Bei ihnen ist der ganze Vorgang der Geschlechtsbestimmung mit dem Moment der Befruchtung festgelegt und verläuft dann im selben Sinne innerhalb jeder einzelnen Körperzelle. Bei den Wirbeltieren wird zwar auch durch die Genkombination bei der Befruchtung bestimmt, ob die Keimdrüsen des Organismus zu Hoden oder Ovarien werden, die sekundären Geschlechtsmerkmale hingegen werden entwickelt unter dem Einfluß der von den Keimdrüsen gebildeten Sexualhormone. Kastration führt je nach dem Zeitpunkt, an dem sie vorgenommen wird, zu einer mehr oder minder starken Rückbildung dieser Geschlechtscharaktere. Die Kastrationsfolgen sind von den Haustieren her so bekannt, daß weiter auf sie nicht eingegangen zu werden braucht. Einpflanzung der andersgeschlechtlichen Keimdrüse oder Zufuhr der Sexualhormone des anderen Geschlechtes führt sogar zu einer weitgehenden Umstimmung der sekundären Geschlechtsmerkmale und des psychischen Verhaltens in Richtung des anderen Geschlechtes. Aus den eben angeführten Experimenten an Wirbeltieren ist zu ersehen, daß den Sexualhormonen eine morphogenetische, d. h. gestaltbildende Rolle zukommt. Aber auch andere Hormone, wie z. B. das Schilddrüsenhormon u. a., haben solche Wirkungen. Erinnert sei an die Bedeutung des Schilddrüsenhormons für die Amphibienmetamorphose, wo das Fehlen dieses Hormons die Ver-
Organbildende Substanzen
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Wandlung der Larve verhindert, andererseits erhöhte Zufuhr diesen morphogenetischen Prozeß wesentlich beschleunigt. Die ¡gemeinhin als Hormone bezeichneten Stoffe sind also auch organbildende Substanzen. Es bestehen daher keine prinzipiellen Bedenken, die organbildenden Substanzen, die aus dem Zusammenspiel der Gene mit dem durch Gradienten der Aktivität — um jede nähere Definition ihres Wesens offenzulassen — unigleichförmig gemachten Zytoplasma entstehen, auch als Hormone der Differenzierung zu bezeichnen. Gemeinsam ist hierbei den Hormonen im engeren Sinne und den organbildenden Substanzen der Ontogenese und der Regeneration, daß sie ein Produkt der Genwirkung im Zytoplasmasubstrat sind, gleichgültig ob sie am Ort ihrer Bildung wirksam werden oder sich als Determinationsstrom in einer bestimmten Richtung verteilen oder ob sie, in gewissen innersekretorischen Drüsen gebildet, aus dem Blutstrom dem Ort ihrer Wirksamkeit zugeführt werden.
V. UMWELT U N D GESTALT Die Erörterung der Beziehungen der Erbanlagen zur Gestaltbildung der Organismen führt von selbst zu der Frage, inwieweit die Umwelt, d. h. alles außerhalb des Organismus selbst Liegende, die Gestalt der Lebewesen beeinflußt. Ein großer Teil der zu diesem Fragenkomplex gehörenden Tatsachen ist bereits Gegenstand vorausgehender Kapitel gewesen. Denn alle Abänderungen der Entwicklung, die im Experiment hervorgerufen werden, um auf diese Weise Einblick in die Vorgänge zu gewinnen, sind ja durch Einwirkungen der Umwelt entstanden, wobei es gleichgültig ist, daß in diesem Falle die Umweltseinflüsse künstlich und planvoll erzeugt wurden. Alle bisher besprochenen experimentellen Ergebnisse lehren uns also, daß die Entwicklung der Gestalt, und somit auch die Gestalt selbst, als das Endprodukt dieser Entwicklung, durch äußere Einflüsse verschiedenster Art, wie mechanische, chemische, thermische, durch die Ernährung usw., in hohem Maße verändert werden. Aus dieser Tatsache wurde ja bereits zu Anfang des experimentellen Teiles der Schluß gezogen, daß die Entwicklung epigenetisch ist und der präformistische Anteil der Erbkonstitution sich darauf beschränkt, die von der Umwelt ausgehenden Modifikationen in bestimmten Grenzen zu halten, so daß bei zu weit gehender Abschweifung der Außenfaktoren von der Norm die Entwicklung schließlich einfach unterbleibt. Es wurde oben auch darauf hingewiesen, daß in manchen Fällen zweifellos die Umwelt sogar die ersten Schritte der Ent-
Bedeutung der Außenfaktoren
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wicklung in Gang setzt, indem sie die primäre Polarität des Eies bedingt. Wieweit eine Verallgemeinerung dieses Prinzipes berechtigt erscheint, wurde ebenfalls bereits kritisch beleuchtet. Das höchste M a ß von Bedeutung mißt die Gradiententheorie den Außenfaktoren zu. Aber auch dann, wenn man sich ihren extremen Standpunkt nicht zu eigen macht, bleibt dennoch die Tatsache bestehen, daß nur das Zusammenwirken einer normalen Erbmasse mit einer normalen Umwelt ein normales Produkt der Entwicklung gewährleistet. Daß nicht jede geringe Abänderung der Außenbedingungen eine Entgleisung der Entwicklung verursacht, was bei der starken Variabilität des Milieus zu chaotischen Verhältnissen führen würde, dafür sorgt die weitverbreitete und häufig erstaunlich hohe Regulationsfähigkeit der Organismen. Der tiefgreifende Einfluß, den die Umwelt auf die Entwicklungsrichtung nehmen kann, sei hier noch an einem Beispiel erläutert, bei dem äußere Faktoren die Geschlechtsbestimmung verursachen. Der zu den Anneliden oder Ringelwürmern zählende Wurm Bonellia viridis besitzt einen stark ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus. Das Weibchen, lange Zeit die einzige bekannte Form dieses Tieres, ist ein etwa pflaumengroßer grüner Sack, der an seinem Vorderende einen bis zu einem Meter langen Rüssel trägt. Erst viel später lernte man das nur einen Millimeter lange, gänzlich anders gestaltete Männchen kennen, das als Schmarotzer im Eileiter des Weibchens lebt. Als Larven sind Männchen und Weibchen einander völlig gleich. Die Larven sind also geschlechtlich indifferent. Die Differenzierung der Geschlechter wird dadurch veranlaßt, daß Larven, die die Möglichkeit haben, sich auf dem Rüssel eines Weibchens festzusetzen, Männchen werden, während die Larven,
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Ergebnisse an Bonellia viridis
denen eine solche Gelegenheit sich nicht bietet und die daher weiterhin frei herumschwimmen, sich zu Weibchen entwickeln. Nicht die Befruchtung, sondern äußere Umstände bestimmen hier das Geschlecht. Daß letzten Endes auch hier eine Induktion durch organbildende Substanzen vorliegt, ändert nichts an dieser Tatsache. Die Differenzierung in männlicher Richtung wird nämlich durch einen Stoff hervorgerufen, der im Rüssel des Weibchens enthalten ist. Das wurde dadurch nachgewiesen, daß auch Rüsselextrakt die Vermännlichung der Larven veranlaßt. Weitere Untersuchungen ergaben, daß dieser vermännlichende Stoff nicht nur auf den Rüssel des Weibchens beschränkt ist, sondern sich auch in anderen Organen findet. Schließlich wurde festgestellt, daß sogar einfachere, genau bekannte diemische Substanzen, wie Kohlensäure, verdünnte Salzsäure u. a., denselben Effekt hervorrufen. Wie bei der Suche nach der chemischen Konstitution des Organisatorstoffes ging es aber auch hier. Es ergab sich nämlich, daß auch noch andere Stoffe, wie z. B. deutlich alkalisch reagierende Auszüge aus Darmgewebe, vermännlichend wirken. Auch hier also setzen die verschiedenen Reize, die wohl auch an verschiedenen Stellen angreifen, denselben komplizierten Prozeß der Induktion in Gang. Wenn wir durch experimentelle Eingriffe, die nicht, wie etwa die Bestrahlung mit Röntgenstrahlen, die Erbmasse der Keimdrüsen schädigen, ein anormales Entwicklungsprodukt erzielen, das aber noch die Fähigkeit zur Fortpflanzung besitzt, so können wir feststellen, daß seine Nachkommen, wenn wir sie nicht wieder anormalen Bedingungen aussetzen, normal sind. Es zeigt sich also, daß Eigenschaften, die nicht von der Erbmasse her, sondern durch Umweltsfaktoren bedingt sind, nicht vererbt wer-
Vererbung erworbener Eigenschaften
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den. Für solche Eigenschaften hat sich die Bezeichnung „erworbene Eigenschaften" allgemein eingebürgert. Als „Modifikationen" stellt man sie den Abänderungen der Erbmasse, seien sie künstlich oder spontan entstanden, gegenüber, die man „Mutationen" nennt. Mutationen sind erblich, Modifikationen nicht. Diese beiden Begriffe werden uns im folgenden Kapitel noch weiterhin beschäftigen. Vor der Entwicklung der Genetik bis zu ihrem heutigen Stand war es keineswegs selbstverständlich, eine Vererbung erworbener Eigenschaften auszuschließen. Seit man aber weiß, daß jede vererbbare Eigenschaft durch ein Gen in den Chromosomen des Keimzellenkernes bestimmt wird, bietet die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften der Vorstellung unüberwindliche Schwierigkeiten. Es wäre zwar nicht ausgeschlossen, daß eine durch äußere Einflüsse bedingte Eigenschaft — nehmen wir als einfaches Beispiel einen durch häufige Übung über den Durchschnitt gestärkten Muskel — über Änderungen der zytoplasmatischen Bedingungen hin auf die Zellkerne des betreffenden Organes verändernd einwirken könnte. Um aber eine erworbene Eigenschaft vererbbar zu machen, müßte sich der von außen kommende Einfluß nicht nur vom Zytoplasma des modifizierten Organes auf dessen Zellkerne, sondern auch auf das Zytoplasma der Keimzellen und deren Kerne fortsetzen. Damit nicht genug, wäre es erforderlich, daß dieser weitergegebene Einfluß nicht nur die Keimzellenkerne ganz allgemein träfe, sondern speziell das für die vererbte Ausgestaltung des modifizierten Organs verantwortliche Gen. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Das Muskeltraining müßte nicht nur das Zytoplasma dieses Muskels verändern und damit die Kerne der Muskelzellen beeinflussen; es müßte vielmehr auch auf
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Vererbung erworbener Eigenschaften
die Keimzellen des betreffenden Organismus und auf ihre Kerne und dort dann gerade auf das Gen für die Ausbildung des nämlichen Muskels verändernd, und zwar im selben Sine verändernd wirken. Eine Geschehniskette, die nach den heutigen Kenntnissen der Genetik unvorstellbar ist.
VI. DAS WERDEN DER GESTALT IM LEBEN DER ARTEN Das Werden der Gestalt im individuellen Leben, ontogenetisch wie regenerativ, ist ein Vorgang, der der direkten Beobachtung zugänglich ist. Er kann erkannt werden durch die Betrachtung desselben in Entwicklung begriffenen Objektes im Abstand oft schon weniger Stunden. Er verläuft bisweilen so schnell, daß man ihn, wie z. B. die Furchungsteilungen an einem günstigen Objekt, unmittelbar verfolgen kann. Entwicklung in diesem Sinne, Wachstum und Heranreifen von Jugendstadien sind daher jedem alltägliche Begriffe; hingegen erscheint dem unibefangenen Beobachter die Natur in ihrer Zusammensetzung aus den den Einzelindividuen übergeordneten Kategorien der Systematik als etwas unverändert Gegebenes. Wie man daher in früheren Jahrhunderten die Bewegungen der Gestirne nach dem Augenschein beurteilte, indem man die Erde als den unbeweglichen Mittelpunkt des Himmelsgewölbes betrachtete und erst revolutionierende Lehren zu unserem heutigen astronomischen Weltbild führten, so faßte man auch die systematische Ordnung der Lebewesen, dem unmittelbaren Eindruck entsprechend, als unveränderliche Gegebenheit auf. So lehrte noch Linné, dessen Verdienste um die systematische Zoologie bereits im ersten Kapitel hervorgehoben wurden, daß es so viele Arten gäbe, als der Schöpfer verschiedene Formen von Anbeginn an erschaffen habe. Tieferes Eindringen in die systematischen Begriffe der Art, Gattung und Familie usw.
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Die systematischen Kategorien
stellt uns jedoch vor die Frage nach ihrem tatsächlichen Wert. Es ist ja zweifellos so, daß die Natur uns nur Einzellebewesen darbietet und die Zusammenfassung dieser Einzelindividuen in systematischen Einheiten ein Produkt des menschlichen Strebens nach Systematisierung ist. Damit ist nicht gesagt, daß die systematischen Begriffe realer Grundlagen entbehren, doch muß die eben genannte Beziehung der realen Existenzen zu unseren Abstraktionen dazu führen, zu untersuchen, wie weit die systematischen Begriffe unveränderlich sind. Am besten setzt diese Untersuchung bei der untersten als fest angenommenen Kategorie, der Art oder Spezies, an. Es sei hier gleich vorweg festgestellt, daß die Ergebnisse, zu denen eine Untersuchung der Konstanz des Artbegriffes führt, auch für alle übrigen Kategorien des Systems, wie Gattung, Familie usw., Geltung besitzen, da sie alle letzten Endes auf dem Artbegriff begründet sind. Als ein Verstoß gegen die Logik muß daher der von manchen Seiten begonnene Versuch abgelehnt werden, die aus der Beobachtung der Natur selbst gezogenen Schlüsse über die Konstanz des Artbegriffes für die höheren Systemeinheiten als ungültig bezeichnen zu wollen. Bekanntlich kennen wir von den Arten meist eine mehr oder minder große Zahl von Rassen und Varietäten. Halten sich die rassisch bedingten Variationen einer Art meist auch in solchen Grenzen, daß die Unterschiede zwischen den Arten dadurch nicht verwischt werden, so gibt es andererseits doch auch viele Fälle, in denen die extremen Varietäten zweier Rassen sich so nahe berühren, daß die Artgrenzen nur mehr mit Schwierigkeit zu ziehen sind, oder aber die extremen Varietäten derselben Art weichen so voneinander ab, daß sie, ohne die fließenden Uber-
Rasse und Art
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gangsformen betrachtet, für zwei getrennte Arten gehalten werden können. Besonders schöne Beispiele dieser Art erbrachten in immer größerer Zahl die Forschungen über die geographischen Rassen. Viele früher als Arten betrachtete, in weit voneinander entfernt liegenden Gebieten vorkommende Formen wurden erst durch die Auffindung von Übergangsformen als die extremen geographischen Rassen einer und derselben Art erkannt. Welcher ungeheueren Variabilität die Art fähig ist, führen uns ja auch unsere Haustierrassen deutlich vor Augen. Die morphologischen Merkmale, an die sich der Systematiker in erster Linie hält, lassen somit oft bei der Abgrenzung dessen, was als Art und was als Rasse zu bezeichnen ist, völlig im Stich. Die Aufstellung einer Art wird somit häufig zu einer Geschmacksache, oder wie man auch manchmal sagte, zu einer Angelegenheit „systematischen Taktes". Es wurde daher versucht, die morphologischen Unterscheidungsmerkmale, dort wo sie allein nicht ausreichen, durch physiologische Gesichtspunkte zu ergänzen. Nach einer solchen Auffassung ist es für die Rassen charakteristisch, daß sie unbegrenzt untereinander fortpflanzungsfähig sind und sich daher, da sie andernfalls nicht erhalten bleiben könnten, geographisch ausschließen und vertreten, d. h. daß die Rassen nicht im gleichen geographischen Bezirk nebeneinander vorkommen und die Art hier von dieser, dort von jener Rasse repräsentiert wird. Die Arten hingegen sind untereinander nicht unbegrenzt fruchtbar, indem ihre Kreuzung entweder überhaupt nicht zur Erzeugung von Nachkommen führt, oder aber die Bastarde ihrerseits unfruchtbar sind. Außerdem können die Arten geographisch nebeneinander bestehen. Von beiden Merkmalen der Rasse und der Art kennen wir aber nach neueren UnterNardi,
Organismus.
15
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Phylogenese
suchungen Ausnahmen. Es gibt sowohl stark voneinander abweichende Rassen, die wie Arten sich nicht miteinander fortzupflanzen vermögen, aber auch Arten, die wie Rassen sich geographisch ausschließen und vertreten. Da es also keinen prinzipiellen Unterschied zwischen geographischer Rasse und Art gibt, können die geographischen Rassen als verschieden weit fortgeschrittene Vorstufen der Arten angesehen werden. Hiermit ist der Artbegriff als unveränderliche systematische Einheit erschüttert. Da, wie wir sahen, die für die Art gewonnenen Ergebnisse auch für die höheren systematischen Kategorien zu gelten haben, ist das ganze System der Zoologie zwar als praktisch brauchbares Einordnungsprinzip für die Vielfalt der Tierformen zu betrachten, es ist aber nichts Starres und durch alle Zeiten Unveränderlidies. So gesehen erscheint das System des Tierreiches als ein Stammbaum, dem eine Entwicklung aus primitiven zu hoch differenzierten Formen zugrunde liegt. Wie das Einzelindividuum vom undifferenzierten Ei zu einer immer komplizierteren Organisation fortschreitet, was wir als Embryonalentwicklung oder Ontogenese bezeichnen, so kennt auch das Tierreich als Ganzes eine fortschreitende Entwicklung, die man Stammesgeschichte oder Phylogenese nennt. Diese Auffassung, nach der die Tierformen in einem Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, bezeichnet man als Abstammungslehre oder Deszendenztheorie. Da dieses Werden der Gestalt im überindividuellen Leben sich über die ungeheueren Zeiträume der Erdgeschichte erstredet, ist es einer direkten Beobachtung entzogen. Die Deszendenztheorie, die heute wissenschaftlich allgemein anerkannt ist, muß sich daher auf indirekte Beweise stützen, die im folgenden dargelegt werden sollen.
Deszendenztheorie
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i. Die Deszendenztheorie Die Richtigkeit der Deszendenztheorie müßte sich darin äußern, daß die einfacher organisierten Tierformen v o r den höher organisierten in der Erdgeschichte aufgetreten sind. Die Paläontologie, die Wissenschaft von den ausgestorbenen Lebewesen, hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die verschiedenen Erdschichten nach „Überresten" von Organismen zu durchforschen. Dabei bedient sie sich des Umstandes, daß die Hartgebilde, wie Sdialen und Skelettelemente von Tieren, oder Holzstrukturen von Pflanzen in den einstmals weichen, jetzt zu Gestein erstarrten Ablagerungen erhalten geblieben sind. Häufig handelt es sich aber gar nicht mehr um die Organismenteile selbst, sondern um ihren Abdruck im versteinerten Schlamm, um Hohlräume, die sie zunächst ausfüllten, die aber dann nach Verhärten der Ablagerungen erhalten blieben, nachdem längst die organische Struktur zerfallen war, und schließlich auch um spätere Schlammausgüsse solcher Hohlräume. Es ist klar, daß nur selten Weichteile von Lebewesen oder gar Organismen, die überhaupt keine harten Stützelemente besitzen, wie z. B. die Quallen, sich auf diese Weise in den Versteinerungen abgezeichnet haben. Aber auch die Hartgebilde blieben bei der Einbettung in den Schlamm meist nicht in ihrem natürlichen Zusammenhang, so daß die richtige Einordnung in den Bauplan des Lebewesens, dessen Teile sie einst bildeten, erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Schließlich kommt noch hinzu, daß Versteinerungen oder Fossilien überhaupt meist nur auf Grund von Zufälligkeiten, wie etwa Steinbrucharbeiten, aufgefunden werden und nidit immer gleich ein Fachmann zur Hand ist, der die sachgemäße Behandlung dieser wertvollen Dokumente über>5*
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Paläontologie
wachen kann. Alle diese Momente zeigen uns, daß die Paläontologie bei der Gewinnung und Zusammenstellung ihres Materials vielen Schwierigkeiten gegenübersteht und von manchen Glückszufällen abhängig ist. Immerhin ist aus dem paläontologischen Material einwandfrei zu erkennen, daß in früheren Erdperioden die höher organisierten Tierformen fehlen und erst allmählich später auftreten. So finden wir unter den Tieren insgesamt erst in jüngeren Zeiten der Erdgeschichte die Wirbeltiere, unter diesen setzt das Vorhandensein der Säugetiere, und unter den Säugetieren das des Menschen zuletzt ein. Es ergibt sich auch, daß die Tierwelt früherer Erdperioden durch die Anwesenheit heute ausgestorbener Formen und das Fehlen erst später hinzukommender im Gesamtcharakter ein ganz anderes Bild bot als die heutige. Auch innerhalb der Grenzen kleinerer Gruppen lassen sich an Hand der Fossilien Spezialisierungen von Merkmalen ableiten, wie etwa die Herausentwicklung des einzelligen Pferdefußes aus der fünfzehigen Wirbeltierextremität älterer, pferdeähnlicher Formen. Die Aufstellung der zeitlichen Aufeinanderfolge der paläontologischen Funde hat selbstverständlich in engster Zusammenarbeit mit der Geologie vor sich zu gehen; denn es ist nicht immer die unterste Schicht einer Ablagerung auch wirklich die älteste. Hebungen, Senkungen, Aufstauungen und Verwerfungen können die Lagebeziehungen der Erdschichten so komplizieren, daß sie nur auf Grund eingehender Fachkenntnisse richtig beurteilt werden können. Die Versteinerungen von Organismen liegen natürlich nur als Einzelstücke vor uns. Wenn wir sie im Sinne von Entwicklungsreihen auf Grund ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge in den Erdschichten anordnen, so nehmen wir einen Vorgang an, der sich nicht direkt be-
Vergleichende Anatomie
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obachten läßt. Jedoch gewinnen wir aus den Ergebnissen der Paläontologie einen Wahrscheinlichkeitsbeweis von großem Wert für die Deszendenztheorie, die allein eine sinngemäße Deutung der paläontologischen Befunde gibt. Eine Theorie erhält ihre Bewährung immer darin, daß sie eine einleuchtende Deutung und Verknüpfung von Einzelbeobaditungen erlaubt, die auf andere Weise nur schwierig zu verstehen wären. In dieser Richtung bewährte sich die Deszendenztheorie, wie wir sahen, gegenüber dem paläontologischen Material. Ebenso verhält sie sich zu den Ergebnissen der vergleichenden Anatomie. Diese betrachtet den Bau des tierischen Körpers und seiner Organe nicht wie die Anatomie schlechthin in den einzelnen Objekten, sondern berücksichtigt die Ähnlichkeiten der Strukturen innerhalb systematisch näher zusammengehörender Gruppen. Sie unterrichtet uns z. B. darüber, daß Organe, die ihrer Funktion nach verschieden sind, in ihren anatomischen Beziehungen einander entsprechen, sogenannte homologe Organe sind. So ist z. B. die Schwimmblase ebenso eine Ausstülpung des Vorderdarmes wie die Lunge der höheren Wirbeltiere. Zieht man zur vergleichenden Anatomie dann noch die beschreibende Entwicklungsgeschichte hinzu, so ergeben sich weitere interessante Zusammenhänge. Das Herz der Säugetierembryonen durchläuft z. B. ein Stadium, in dem es bezüglich seiner Einteilung in eine einzige Vorkammer und in der Anordnung der von ihm ausgehenden Gefäße den Verhältnissen bei den kiemenatmenden Wirbeltieren, den Fischen und Amphibienlarven, entspricht. An der gleichen Stelle, die beim ausgebildeten Wirbeltier die Wirbelsäule einnimmt, finden wir bei primitiven Formen (Amphioxus) und bei den Wirbeltierembryonen die
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Haedcels biogenetisches Grundgesetz
Chorda dorsalis. Das Zentralnervensystem bildet bei niederen Tieren, wie z. B. bei den Zölenteraten und bei vielen Würmern, einen Teil der Haut; audi in der Embryonalentwickkmg der Wirbeltiere sehen wir das Rückenmark aus der dem Ektoderm angehörenden Medullarplatte sich entwickeln und erst allmählich in tiefere Körperschichten sich einsenken. Die komplizierten Augen höherer Meereswürmer, Mollusken und der Wirbeltiere haben ihre Vorstufen in verschieden abgewandelten Gruppierungen von lichtempfindlichen Zellen bei niedriger organisierten Tiergruppen. Solche Ergebnisse der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte, von denen unzählige weitere angeführt werden können, finden ihre befriedigende Erklärung nur in der Annahme einer fortlaufenden Entwicklung der Organismenwelt von einer Stufe niederer zu der einer höheren Organisation. Die Auffindung von Strukturen in der Embryologie, die der Organisation niedriger organisierter, verwandter Tiere ähneln, ist so häufig, daß sie sogar von Haeckel zum Anlaß genommen wurde, sein „biogenetisches Grundgesetz" aufzustellen, das lautet: „Die Entwicklungsgeschichte eines Tieres (die Ontogenie) ist die kurze Rekapitulation (Wiederholung) seiner Stammesgeschichte (Phylogenie), d. h. die wichtigsten Organisationsstufen, welche seine Vorfahren durchlaufen haben, treten, wenn auch etwas modifiziert, in der Entwicklung des einzelnen Tieres auf." Die Betonung in diesem Satze muß freilich heute darauf gelegt werden, daß die Entwicklungsstadien stark modifizierte (abgewandelte) Wiederholungen der stammesgeschichtlichen Stufen sind. Haeckel ging zu weit, wenn er glaubte, daß der Embryo nur eine belebte Kopie der Porträts seiner Vorfahren sei, und wenn er schließlich die Ursache der embryonalen Ge-
Tiergeographie
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Staltbildung überhaupt in der Phylogenie sehen wollte. Das tiefere Eindringen in die embryonalen Formbildungsvorgänge durch das Experiment mußte es klarwerden lassen, daß der Embryo nur solche Züge rekapituliert, die er aus medianischen, physiologischen und physiko-chemischen Notwendigkeiten heraus rekapitulieren muß. Er wiederholt, mit anderen Worten, Strukturen der Vorfahren nicht dem biogenetischen Grundgesetz Haeckels zuliebe, sondern weil sie für ein reibungsloses Arbeiten seiner Organisation unumgänglich sind. Diese Auffassung ist die einzige, die einer physiologischen Betrachtung standhalten kann. So gesehen, bekommt die Tatsache der Rekapitulation auch ein wissenschaftliches Fundament, während die Rekapitulationstheorie gewissermaßen an einen mysteriösen Zusammenhang mit den Formen der Vorfahren glaubte. Einen weiteren Wahrscheinlichkeitsbeweis für die Deszendenztheorie liefert die Tiergeographie. Die Geologie zeigt, daß die heutige Verteilung der Landmassen nicht von alters her dieselbe war, daß vielmehr früher Landverbindungen bestanden haben, die heute unterbrochen sind, andererseits frühere Inseln durch Hebung des Meeresbodens Anschluß an das Festland erhalten haben. Wenn nun, gemäß der Auffassung der Deszendenztheorie, zugleich mit diesen Umgestaltungen der Kontinentverteilung eine Fortentwicklung der Lebewesen verlief, so muß sich die Tierwelt zweier Gebiete um so mehr voneinander unterscheiden, je länger diese voneinander getrennt waren. In der Tat zeigen die Faunen von Inseln, die frühzeitig vom Kontinent gelöst waren, auch immer besonders abweichende Wesenszüge. Besonders bekannt ist dies von Australien: dort sind höhere Säugetiere mit Ausnahme von Fledermäusen, Walen und kleinen Nagern nicht ein-
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Serologische Beweise
heimisch; an ihrer Stelle haben sich die beiden primitivsten Säugetiergmppen, die Kloakentiere und Beuteltiere, zu einer in den übrigen Erdteilen nicht bekannten Vielfalt entwickelt. Australien war eben schon zu einer Zeit vom Kontinent isoliert, als die höheren Säugetiere dort noch nicht aufgetreten waren. Daher konnten sich die primitiven Säuger, die in den übrigen Erdteilen durch die Konkurrenz der höher differenzierten Säugetiere in ihrer Entwicklung gehemmt wurden, in Australien ungehemmt entfalten. Zugleich zeigt das Beispiel aber auch, daß die geographischen Schranken nicht für alle Tiergruppen das gleidie Hindernis bilden. Die flugbegabten und wasserlebenden Säugetiere sowie kleine Säugerformen, die z. B. durch schwimmende Holzstücke verschleppt werden können, waren von Australien nicht ausgeschlossen. Wohl die stichhaltigste Beweisführung für die Berechtigung der Deszendenztheorie ergaben jedoch die in jüngster Zeit ausgearbeiteten serologischen Reaktionen von Mollison. Diese Reaktionen basieren auf den Vorgängen der Antikörperbildung bei Zufuhr artfremden Eiweißes durch Einspritzung. Spritzt man einem Kaninchen Menschenserum ein, so bildet es gegen die Eiweißkörper dieses artfremden Serums neben anderen Immunkörpern auch sogenannte Präzipitine. Die Präzipitine erzeugen bei Zusammengießen von Serum eines mit einem artfremden Serum behandelten Kaninchens mit dem betreffenden artfremden Eiweiß ein Präzipitat (Niederschlag). In unserem Falle ergibt also eine bestimmte Menge Kaninchenimmunserum mit einer bestimmten Menge Menschenserum eine ganz bestimmte Niederschlagsmenge. Ein Niederschlag tritt jedoch nicht nur bei Hinzufügen von Menschenserum zu dem Kaninchenimmunserum, sondern auch bei Zusatz
.Blutsverwandtschaften"
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von Schimpansen- oder Pavianserum ein, jedoch in geringerer Menge. Die Niederschlagsmengen ergeben eine genaue Stufenfolge des Verwandtschaftsgrades einzelner Tierformen. Auf diese Weise ließ sich feststellen, daß der Schimpanse serologisch dem Menschen näher steht als den übrigen Affen. Uberhaupt stimmt der mittels der serologischen Reaktion gemessene Verwandtschaftsgrad z. B. innerhalb der mit dieser Methode besonders genau untersuchten Primatenreihe völlig mit der Reihenfolge überein, die schon früher auf der Basis morphologisch-systematischer Merkmale aufgestellt wurde. Damit ist bewiesen, daß die verschiedenen Tierarten tatsächlich in einem Verhältnis der Blutsverwandtschaft stehen und diese Verwandtschaft um so enger ist, je näher die Arten im System stehen. Die serologischen Methoden ergaben überdies, daß der Sprachgebrauch, von niedriger und höher differenzierten Tierformen zu sprechen, tatsächliche Grundlagen hat. Die höhere Differenzierung spiegelt sich nämlich darin wider, daß in der Struktur des Arteiweißes neue Einheiten, sogenannte „Proteale", hinzukommen, während selten früher vorhandene Proteale verschwinden. Dadurch wird das Eiweißmolekül höher differenzierter Arten größer. Mittels zweier Versuchsanordnungen läßt sich die Größe des Eiweißmoleküls bestimmen: durch Filtration und durch Vergleich der Menge des Niederschlags, den die Proteale mit den Antiprotealen, d. h. den obengenannten Präzipitinen, bilden, gegenüber einem durch einfache chemische Ausfällung durch 20%ige Sulfosalizylsäure erzeugten Niederschlag. Beide Methoden führen zur Aufstellung derselben Differenzierungsreihe innerhalb der Primaten, die aufsteigend vom Makaken über Pavian, Orang-Utan, Schimpansen zum Menschen führt. Der systematisch-morpho-
Erklärungshypothesen
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logisch höheren Differenzierung entspricht tatsächlich eine höhere Kompliziertheit der Eiweißstruktur. Diese Größenbestimmung des Eiweißmoleküls gibt überdies auch Auskunft über die vergleichsweise Differenzierungshöhe zwischen Tierformen, die systematisch einander ferner stehen. Man wird zwar auf Grund morphologischer Beurteilung den Menschen für höher differenziert ansehen als etwa das Pferd, doch läßt die Morphologie im Stich, wenn man entscheiden will, ob Pferd oder Pavian höher differenziert sind. Die Bestimmung der Protealmengen im Eiweißmolekül führt zu dem Ergebnis, daß das Pferd zwar in seiner serochemischen Differenzierungshöhe unter dem Menschen und den Menschenaffen, aber über den niederen Affen steht. Natürlich bleibt die mit der ersten der angeführten serologischen Methoden begründete Reihe der Verwandtsdhaftsbeziehungen von der Bestimmung der Differenzierungshöhe unberührt. Das Werden der Gestalt im überindividuellen Leben, das die Deszendenztheorie als eine Fortentwicklung von Organismen niederer Organisationsstufe zu höher differenzierten darstellt, findet seine Wahrscheinlichkeitsbeweise in den Ergebnissen der Paläontologie, der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte, der Tiergeographie und nicht zuletzt der Serologie. 2.
Erklärungsbypotbesen
W i e bei den Gestaltbildungsvorgängen des Einzelindividuums, so kann man auch für die Fortentwicklung der Tierwelt mechanistische und vitalistische Hypothesen aufstellen über die sie bedingenden Kräfte. Die Erklärungshypothesen sind es, die die Deszendenztheorie
Lamarckismus
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bei nicht völlig eingeweihten Kreisen in Mißkredit gebracht haben, indem man sie, die die Deszendenztheorie erklären sollten, mit der Theorie selbst verwechselte, die ja nur ganz schlicht die Annahme zum Ausdrude bringt, daß die Organismen sich aus niederen Formen zur heutigen Vielfalt entwickelt haben. Ihrer Bedeutung entsprechend verdienen zwei Erklärungshypothesen, eine als Vertreterin der vitalistisdien, die andere als Vertreterin der mechanistischen Naturbetrachtung, Erwähnung. Die vitalistische Hypothese von Lamarck glaubt den Antrieb für die Fortentwicklung der Organismen in ihrem Bedürfnis nach möglichst vollkommener Anpassung an ihre Umwelt zu erkennen. Dieses Bedürfnis äußert sich in der Übung wichtiger und in der NichtÜbung unwichtiger Organe. Die Beobachtungen im täglichen Leben scheinen einer solchen Annahme günstig zu sein. W i e sehr der häufige Gebrauch eines Organes seine Leistung steigern kann, ist ja allgemein bekannt. Die sogenannten rudimentären (verkümmerten) Organe andererseits könnten ein Beispiel für die Rückbildung durdi Niditübung abgeben, wenn wir z. B. bei Höhlentieren, die im Dunkeln leben, kleine funktionsuntüchtige oder sogar anatomisch unbrauchbare Augen finden. Um das Prinzip des Lamarckismus, den planmäßigen Zusammenhang zwischen Beschaffenheit der Organe und Beschaffenheit der Umgebung, gleichsam die für einen bestimmten Zweck gedachte Konstruktion der Organismen, durch eine irgendwie geartete zweckmäßig arbeitende vitalistische Kraft als artbildend anerkennen zu können, müßte aber eine Voraussetzung erfüllt sein: die Vererbung erworbener Eigenschaften; denn nur so könnten die im Laufe eines individuellen Lebens durch Übung und NichtÜbung von Organen er-
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Darwinismus
reichten Anpassungen der Nachkommenschaft übermittelt und bei ihr weiter vervollkommnet werden. W i e wir oben (Umwelt und Gestalt) schon begründet haben, widersprechen die Ergebnisse der experimentellen Vererbungslehre der Möglichkeit einer Vererbung erworbener Eigenschaften. Es ist auch mit Schindewolf darauf hinzuweisen, daß es unlogisch ist, eine Vererbung erworbener Eigenschaften anzunehmen, weil sie die Funktion als das Primäre, die Form als das Sekundäre hinstellt, es aber „keine Kraftäußerung, keine Bewegung, keine Funktion, ohne materielle Grundlage, ohne Maschine oder organische Form" geben kann. Auf rein mechanistischer Basis sucht Darwin die Entstehung neuer Arten zu erklären. Sein Verdienst ist es, den Gedanken der Abstammungslehre erst in seiner ganzen Tragweite zur Diskussion gestellt und damit schließlich zur Anerkennung in der Fachwelt gebracht zu haben. Daher kommt es, daß seine Erklärungshypothese, der Darwinismus, häufig mit der Deszendenztheorie verwechselt wird; und da der Darwinismus mit Recht heute nicht mehr als allein ausreichend für die Erklärung der Fortentwicklung der Organismen angesehen werden kann, werden auch manchmal der Deszendenztheorie unberechtigte Zweifel entgegengebracht. Darwin sieht in der „natürlichen Zuchtwahl" oder „Selektion" das Prinzip der Artentstehung. W i e bei der künstlichen Zuchtwahl der Züchter die Tiere zur Fortpflanzung auswählt, die die von ihm gewünschten Eigenschaften in der besten Ausbildung repräsentieren, und die Individuen mit unerwünschten Eigenschaften ausschließt, so geht die Natur im „Kampf ums Dasein" vor, durch den die besser veranlagten Individuen sich besser durchzusetzen vermögen und dadurch
Selektion
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mit größerer Wahrscheinlichkeit zur Fortpflanzung gelangen als die schlechter begabten. Sollte dieses Erklärungsprinzip allgemeinen Wert haben, so müssen die Eigenschaften der Organismen auch einen wirklichen Selektionswert besitzen, d. h. sie müssen tatsächlich von Bedeutung im Kampf ums Dasein sein. Für viele Veranlagungen mag das zutreffen, z. B. für Stärke bei Raubtieren, Schnelligkeit bei Fluchttieren usw. Auch starke Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale bei Tieren mit Geschlechtsdimorphismus mag förderlich dafür sein, solche Individuen eher zur Fortpflanzung kommen zu lassen. Daneben aber oder vielmehr in der Mehrzahl gibt es zahllose Einzelzüge in der Organisation, denen ein solcher Selektionswert nicht zuzubilligen ist. Außerdem nützt in vielen Fällen die günstige Abänderung e i n e s Organs noch lange nicht, sondern sein Selektionswert kommt erst dadurch zustande, daß g l e i c h z e i t i g e i n e s o d e r m e h r e r e andere Organe entsprechend verändert erscheinen. Dies sind gewichtige Einwände dagegen, daß die natürliche Zuchtwahl allein ein ausreichendes Erklärungsprinzip für die Entstehung neuer Arten sei. Dagegen hat Darwin richtig erkannt, daß überhaupt nur solche Abänderungen von Eigenschaften für die Entstehung neuer Arten in Frage kommen können, die vererbbar sind, auf Abänderungen der Erbmasse beruhen, also Mutationen sind. 3. Artbildung Zu einer befriedigenden Auffassung über die Herausbildung neuer Arten kommt man nur, wenn man die Deszendenztheorie unter gleichmäßiger Berücksichtigung der Ergebnisse der Paläontologie und der Genetik be-
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Frühontogenetische Typenentstehung
trachtet. Die Genetik zeigt, daß neue Eigenschaften, die audi in den Nachkommen sich wieder äußern, nur auf Grund von Genmutationen auftreten können. Solche Mutationen, die nicht experimentell verursacht sind, kennt der Vererbungswissenschaftler als sogenannte Spontanmutationen auch bei seinen Versuchsobjekten. Durch solche Mutationen erfolgt eine sprunghafte, explosive Organisationsumprägung während der Ontogenese. Das Endprodukt einer solchen Ontogenese weicht in seiner Organisation in gewissen Eigenschaften von seinen Eltern ab. Je weiter das Endergebnis sich von seinem Eltemtyp entfernen soll, um so früher in der Embryonalentwicklung muß die durch Mutation bedingte Abweichung sich äußem. Da es sich bei der Entstehung einer neuen Art immer um nicht unerhebliche Verschiedenheiten gegenüber dem Ausgangstyp handelt, kommen für sie nur Mutationen in Frage, die eine frühontogenesische Entwicklungsänderung veranlassen. Schindewolf stellt daher dieses Prinzip als „Gesetz der frühontogenetischen Typenentstehung" als Hauptfaktor für die Artbildung auf. So wird es auch verständlich, daß die Suche nach sogenannten „Übergangsformen" zwischen systematischen Kategorien höherer Ordnung, die in der Anfangszeit der Abstammungslehre so eifrig betrieben wurde, ohne Erfolg bleiben mußte. Bei paläontologischen Funden, wie z. B. dem Urvogel (Archäopteryx), der als Übergang von den Reptilien zu den Vögeln aufgefaßt wurde, stellte sich bei näheren Untersuchungen immer heraus, daß sie einer wirklichen (idealmorphologischen) Übergangsform, die in gleichem Maße Wesenszüge der einen und der anderen Tiergruppe, die sie verbinden soll, aufweisen müßte, nur nahestehen, nicht aber mit ihr identisch sind. Es nimmt
Phylogenetisdie Übergangsformen
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eigentlich wunder, daß es nicht schon früher klargeworden ist, daß es wirkliche Übergangsformen, die also zu gleichen Teilen Reptil und Vogel oder Fisch und Landwirbeltier sind, nicht gegeben haben kann. Ein erwachsenes Tier kann eben niemals den idealmorphologischen Vorstellungen einer Urform entsprechen, da jedes Tier spezielle Anpassungen aufweisen muß, um lebensfähig zu sein und somit jedes Altersstadium im Sinne def Stammesgeschichte eine Sackgasse darstellt. Nur umbildungsfähige, noch nicht mit irgendwelchen Spezialeigenschaften der Anpassung behaftete Organismen können das geeignete Material für die Ausbildung neuer Formen abgeben. Solche Organismen sind die Embryonen. In Embryonalstadien also müssen die Obergangsformen gesucht werden, für deren Nachweis im paläontologischen Material die Voraussetzungen denkbar ungünstig sind. Der Einwand, daß die Entstehung einer neuen Art aus Spontanmutationen bisher noch nie beobachtet werden konnte, ist nicht stichhaltig. Bei der Vielzahl der Gene sind die Kombinationsmöglichkeiten so ungeheuer zahlreich, daß die Wahrscheinlichkeit, eine Mutation beobachten zu können, die eine neue Art ergibt, sehr gering ist. Berücksichtigen wir dagegen die viele Jahrtausende langen Zeiträume der Erdgeschichte, so kann unter Milliarden fehlgeschlagener, entweder überhaupt nicht lebensfähiger, oder doch wenig günstiger Mutationen da und dort e i n e sein, die der geeignete Ausgangspunkt für die Bildung einer neuen Art ist. Das Gesetz der „frühontogenetischen Typenentstehung" erklärt aber noch nicht die Anpassung der Organismen an ihre Umwelt, die ein so auffallendes Merkmal der belebten Natur ist. Unter Vermeidung der An-
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Spontanmutationen
nähme eines unwissenschaftlichen Zweckmäßigkeitsprinzipes ist nach Schindewolf die einfachste Erklärung für die Anpassung darin gegeben, daß ein durch richtungslose, plötzliche Genmutationen entstandener neuer T y p den seiner Organisation gemäßen Lebensraum aufsucht. Es gehen also nicht nur die durch Mutationen lebensunfähigen Organismen zugrunde, sondern auch jene an sich lebensfähigen Mutationsprodukte, denen es aus irgendwelchen Gründen nicht gelingt, einen geeigneten Lebensraum zu erreichen. Unter jenen aber, die zu diesem Ziele gelangen, setzt eine fortschreitende Anpassung an den eroberten Lebensraum ein, indem hierbei die Selektion im Kampf ums Dasein zur Geltung kommt. Die Genmutationen sind also die letzte bewirkende Ursache der stammesgeschichtlichen Fortentwicklung der Organismenwelt. Fragen wir aber nach den Ursachen dieser Spontanmutationen, so ist hierfür bis heute keine befriedigende Antwort möglich.
VII. S C H L U S S B E T R A C H T U N G Die in diesem Buche in den Hauptzügen dargestellten Forschungsergebnisse über die formbildenden Kräfte des Lebendigen in der Embryonalentwicklung, der Regeneration und in der Stammesgeschichte münden beim heutigen Stande unserer Kenntnisse alle in ein Gebiet ein, über dem noch Dunkel liegt. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen, ob wir das Leben und somit auch eine seiner wesentlichsten Eigenschaften, die Gestaltbildung, mit den Formeln der Chemie und der Physik ausdrücken können, oder ob es letzten Endes auf Verursachungen beruht, die nicht rationalisierbar, nicht dem Prinzip der Kausalität unterworfen sind. Es ist also, wie eingangs betont wurde, Auffassungssache, ob man das Leben mechanistisch oder vitalistisch sieht. Es ist aber nicht in das Belieben des einzelnen gestellt, sofern er Anspruch auf exakte wissenschaftliche Forschung erheben will, welche Methode er anwendet. Die einzig brauchbare Methode zur Erforschung des Lebendigen, die Methode, welche unsere Wissenschaft groß gemacht hat, ist die kausal-analytische. Man kann von dieser Methode nicht abrücken, ohne den Fortbestand der Wissenschaft ernstlich zu gefährden. Sie ist die Methode, die den abendländischen Geist bestimmt. Vitalistische Begriffe, wie Ganzheit, Entelechie, sind keine Erklärungen, sondern Problemstellungen. Ein Gesichtspunkt hat sich jedoch in jüngster Zeit immer mehr aus der Fülle der Tatsachen herauskristallisiert: in den Sätzen der klassischen Physik und Chemie scheinen jene Grundfragen N a r d i , Organismus.
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Schlußbetraditung
des Lebens, wie die Medianismen der Determination und Differenzierung, nicht ausdrüdkbar zu sein. Die moderne Atomphysik und Atomchemie ist in der Quantenmechanik heute im Bereich des Akausalen, d. h. des ursachlosen Geschehens angelangt. Wie die gesamte Materie, so setzt sich auch die lebendige Substanz in ihren kleinsten Bausteinen aus Atomen zusammen. W a s in ihnen sich abspielt, wirkt sich über Einheiten steigender Größe in hierarchischer Stufenfolge bis in die mit freiem Auge beobachtbaren makroskopischen Lebensvorgänge hinein aus. Diese werden also letzten Endes von inneratomaren Prozessen gesteuert. Bs ist ein äußerst fruchtbarer Gedanke von ungeheuren Perspektiven, in den inneratomaren Geschehnissen die gemeinsamen Wurzeln des Lebens und des Unbelebten zu suchen.
VIII. VERZEICHNIS DER WICHTIGSTEN FACHAUSDRUCKE DER ENTWICKLUNGSMECHANIK A c a r d i u s (Herzloser): Bezeichnung für Mißbildungen, denen der Kopf und die vorderen Rumpfpartien (Herz) fehlen. A k t i o n s s y s t e m : s. Organisator. A m n i o n : Die den höheren Wirbeltieren (Amnioten), Reptilien, Vögeln, Säugetieren, charakteristische, den Embryo unmittelbar umgebende Embryonalhülle. A m o r p h u s : Bezeichnung für Mißbildungen, die aus formlosen Gewebsmassen bestehen. A m p h i g o n i e : Geschlechtliche Fortpflanzung, „Zeugung aus zweien". A n i m a l : Tierisch. A n t i k ö r p e r : s. Serologie. Ä q u a t i o n s t e i l u n g : Normale Kernteilung, bei der die Chromosomen (s. d.) ebenfalls geteilt werden, so daß die Tochterkerne so viele Chromosomen besitzen wie der Mutterkern. A r ch i t o m i e : Ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Teilung bei Würmern, bei der die Ergänzung der Teilstücke zu ganzen Individuen erst nach der Trennung der Teilstücke vor sich geht. Gegensatz Paratomie. A u t o p l a s t i s c h : s. Transplantation. B l a s t e m : Zu einer neuen Bildung fähiges indifferentes Gewebe; bes. Regenerationsblastem. B l a s t o m e r e n : Furchungszellen. B l a s t o z ö l : s. Blastula. B l a s t u l a : „Blasenkeim", tierisches Entwicklungsstadium; Hohlkugel, bei der von einer einzigen Zellschicht ein Hohlraum, die Blastulahöhle oder das Blastozöl, umschlossen wird. C h e m o d i f f e r e n z i e r u n g : s. Differenzierung. C h o r d a d o r s a l i s : Rückensaite, in der Körperachse verlaufendes Stützorgan der Vorläufer der Wirbeltiere (Manteltiere, Amphioxus) und der Wirbeltierembryonen, bei denen sie später durch die Wirbelsäule ersetzt wird. 36*
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C h r o m o s o m e n : Aus dem färbbaren Anteil des Zellkerns, dem Chromatin, bei der Mitose (s. d.) sich bildende kugel-, stabund schleifenförmige Gebilde, in denen die Gene oder Erbanlagen lokalisiert sind. D e l a m i n a t i o n : s. Gastrula. D e s z e n d e n z t h e o r i e : Annahme einer Abstammung der Tierformen voneinander derart, daß die höher differenzierten Formen sich aus niedriger differenzierten entwickelt haben. D e t e r m i n a t i o n : Bestimmung, Festlegung. Mit diesem Ausdruck wird in der Entwicklungsmechanik der äußerlich unsichtbare Vorgang bezeichnet, durch den eine Zelle oder Zellgruppe auf eine bestimmte Entwicklungsriditung festgelegt wird. Die Determination kann labil, d. h. durch gewisse Einflüsse noch rückgängig zu machen sein, oder irreversibel, d. h. unwiderruflich. Nach Goetsch herrscht zwischen diesen beiden Möglichkeiten ein fließender Obergang, relative Determination. D i f f e r e n z i e r u n g : Entstehung von Mannigfaltigkeit in struktureller (morphologischer), funktioneller oder quantitativer Hinsicht. Es wird angenommen, daß dem sichtbaren Vorgang der Differenzierung der Zellen ein unsichtbares Stadium, zunächst reversibler, später irreversibler Chemodifferenzierung vorangeht, das der Determination zugrunde liegt. D i p l o i d : s. Reduktionsteilung. D o p p e l t e S i c h e r u n g : Medianismus der Entwicklung, der.auf zwei verschiedenen Wegen, nämlich dem der Induktion (s. d.) und der Selbstdifferenzierung, die Erreichung ein und desselben Entwicklungszieles (z. B. Bildung der Linse) sichert. D u p l i c i t a s : Doppelmißbildung. — a n t e r i o r : Mißbildung mit verdoppeltem Vorderende. — c r u c i a t a : Mißbildung mit verdoppelten, kreuzweise gegenüberstehenden Vorder- und Hinterenden. — p o s t e r i o r : Mißbildung mit verdoppeltem Hinterende. E k t o d e r m : Äußeres Keimblatt. E m b r y o l o g i e : Biologische Disziplin, deren Gegenstand die Erforschung der von den Eihüllen eingeschlossenen Entwicklungsstadien, der Embryonen, ist. Man unterscheidet eine
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deskriptive, d. h. beschreibende, und eine experimentelle Embryologie. E n t e l e c h i e : Zielgerichtetes Entwiddungsvermögen lebender Systeme. E n t o d e r m : Inneres Keimblatt. E n t w i d c l u n g s p h y s i o l o g i e oder E n t w i c k l u n g s m e c h a n i k : Die von W . Roux 1885 begründete biologische Disziplin, deren Aufgabe es ist, die Ursachen und Faktoren der Gestaltbildung der Organismen durch das Experiment zu erforschen. E p i g e n e s e : Entwicklung als Entstehung wahrnehmbarer Mannigfaltigkeit aus ursprünglich Einheitlichem. Gegensatz Präformation (s. d.). E x o g a s t r u l a : s. Gastrula. E x p l a n t a t i o n : Entnahme tierischer Gewebe aus dem lebenden oder frisch getöteten Körper und ihre Lebenderhaltung in geeigneten künstlichen Nährlösungen. Gestattet die Beobachtung des Verhaltens von Zellen und Geweben losgelöst von den Einflüssen des Organismus. E x s t i r p a t i o n : Entfernung. F e r m e n t e : Stoffe biologischer Herkunft, die durch ihre Anwesenheit chemische Vorgänge auslösen und beschleunigen. F i b r o z y t e n : Spindelförmige Zellen des Bindegewebes. F i x i e r u n g : Schnelles Erstarrenlassen des Zellprotoplasmas durch eiweißfällende Substanzen (Fixierungsmittel), das Zellinhalte und Gewebsstruktur für mikroskopische Untersuchungen festhält. F u r c h u n g : Erste Teilungsschritte der befruchteten Eizelle. G a s t r u l a : „Becherkeim." Entwicklungsstadium der Tiere, das aus zwei Zellschichten, dem Ekto- und dem Entoderm besteht. Die vom Entoderm begrenzte, nach außen durch den „Urmund" offene Gastrulahöhle heißt Urdarm. Die Entwicklung der einschichtigen Blastula (s. d.) zur zweischichtigen Gastrula wird als G a s t r u l a t i o n bezeichnet. Sie erfolgt entweder durch Einstülpung, I n v a g i n a t i o n , oder durch Abspaltung, D e l a m i n a t i o n , oder Zelleinwanderung, I m m i g r a t i o n . Durch abnorme Einflüsse kann an Stelle der Invagination eine Ausstülpung des zu invaginierenden Materials
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stattfinden, was man a l s E x o g a s t r u l a t i o n bezeichnet. Ihr Produkt ist die E x o g a s t r u l a oder der Exokeim (Holtfreter). G e n : Erbträger. G e n e r a t i o s p o n t a n e a : Urzeugung, Entstehung von Lebewesen aus unbelebter Materie. Nie beobachtet, aber logisch zu fordern. G e s d i l e c h t s d i m o r p h i s m u s : ü b e r die Verschiedenheit der Geschlechtsorgane und ihrer Hilfsvorrichtungen hinausgehende Verschiedenheit im Bau der beiden Geschlechter (sekundäre Geschlechtsmerkmale). G r a d i e n t : Gefälle. G r a u e r H a l b m o n d : Halbmondförmige, durch Pigmentzurückziehung von der Eioberfläche verursachte Aufhellungszone am befruchteten Amphibienei, die die Lage des präsumtiven Organisatormaterials kennzeichnet. H a p l o i d : s. Reduktionsteilung. H e t e r o m o r p h o s e : Regenerative Mißbildung, die im Widerspruch zur Polarität steht. H e t e r o p l a s i e : Gewebsdifferenzierung am falschen Ort in der Embryonalen twicklung. H e t e r o p l a s t i s c h : s. Transplantation. H e t e r o p o l a r : s. Transplantation. H i s t o l o g i e : Gewebelehre. H o m o i o p l a s t i s d i : s. Transplantation. H o m o i o p o l a r : s. Transplantation. H o r n o i o s i s : Regenerative Entstehung eines Organes am falschen Ort, die aber nicht mit der Körperpolarität in Widerspruch steht. I d i o p l a s m a : Von A. Weismann gewählte Bezeichnung für die Vererbungssubstanz in den Kernen der somatischen Zellen (s, d.). I m m i g r a t i o n : s. Gastrula. I n d u k t i o n : Einwirkung. Speziell wird darunter die eine Differenzierung veranlassende Einwirkung eines Keimteiles auf seine Umgebung verstanden. I n t e r s e x e : Zwischenformen zwischen männlichen und weiblichen Tieren.
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I n t e r s t i t i e l l e Z e l l e n : Undifferenzierte, zwischen den differenzierten Ektoderm- und Entodermelementen liegende Zellen bei den Hydren. I n v a g i n a t i o n : s. Gastrula. In v i t r o : Im Glase, d. h. in der Gewebskultur (s. Explantation). I n v i v o : Im lebenden Organismus. K a t a p l a s i e : Typische strukturelle und funktionelle Minderwertigkeit der Krebszelle. K l i n o s t a t : Apparat, durdi den ein auf einer vertikal langsam rotierenden Scheibe befestigtes Objekt der Einwirkung der Schwerkraft entzogen wird. K o r r e l a t i o n : Wechselwirkung aller Art von Teilen eines Organismus aufeinander. M e d u l l a r p l a t t e : Schildförmige, durdi die Medullarwülste begrenzte Anlage des Zentralnervensystems beim Wirbeltierkeim. Ihr Erscheinen wird als N e u r u l a t i o n , der Keim auf diesem Stadium als N e u r u l a bezeichnet. M e s e n c h y m : Bindegewebe. M e s o d e r m : Mittleres Keimblatt. M e t a m o r p h o s e : Indirekte Larvenentwicklung. Umbildung der mit besonderen Larvenorganen ausgestatteten Larve zum erwachsenen Organismus. Bei der direkten Larvenentwiddung hingegen geht die nicht mit besonderen Larvenorganen ausgestattete Larve allmählich in das Erwachsenen-Stadium über. M e t a p l a s i e : Entstehung eines Gewebstyps aus einem anderen. M e t a s t r u k t u r der Zelle ist die unter der mikroskopischen Sichtbarkeitsgrenze gelegene Struktur der Zelle. M i t o s e : Indirekte Kernteilung, bei der durdi einen besonderen Mechanismus die aus dem Kernchromatin entstandenen Chromosomen (s. d.) unter Ausbildung einer sogenannten Mitosespindel gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden. Bei der direkten Kernteilung oder Amitose sdinürt sich der Kern einfach in zwei Teile durdi. M o n o g o n i e : Ungeschlechtliche Fortpflanzung. „Zeugung aus Einem." M o r p h o g e n e s e : Gestaltbildung der Organismen. M o r p h o l o g i e : Lehre von der Gestalt. Deskriptive Morphologie stellt die beobachtbaren Tatsachen rein beschreibend
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dar; sie ist mit der Anatomie oder Zergliederungskunst identisch. Ihr gegenüber steht die experimentelle Morphologie, die die ursächlichen Zusammenhänge der Gestaltbildung der Organismen unter Zuhilfenahme des Experimentes erforscht. M o r u l a : Maulbeerkeim. Entwiddungsstadium der Tiere, bei dem die Furdiungszellen, deren Zahl nicht mehr genau feststellbar ist, einen kompakten Zellhaufen bilden. M o s a i k e i e r : Eier, bei denen die Determination der Furdiungszellen so frühzeitig erfolgt, daß nach experimentellen Eingriffen keine Regulation zu einem harmonischen Ganzen erfolgen kann. N e o b l a s t e n : Indifferente Zellelemente bei Ringelwürmern. N e u r u l a : s. Medullarplatte. N u k l e u s : Zellkern. Ö k o l o g i e : Lehre von den Existenzbedingungen der Tiere und ihren Beziehungen zur Umwelt. O n t o g e n i e : Keimesentwiddung. O r g a n i s a t o r : Teil eines lebenden Systems, der auf andere Teile des Systems organisierend einwirkt, d. h. eine bestimmte Entwicklungsriditung in ihnen induziert. Dem Organisator als „ A k t i o n s s y s t e m " stehen die von ihm beeinflußten Teile als „ R e a k t i o n s s y s t e m " gegenüber. P a r a t o m i e : Ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Teilung bei Würmern, bei der die Teilstücke schon vor der Trennung zu ganzen Individuen sich ergänzen. Gegensatz Architomie (s. d.). P a r t h e n o g e n e s e : Jungfernzeugung. Entwicklung eines Eies ohne Befruchtung durch die männliche Keimzelle. P h y l o g e n i e : Stammesentwicklung. P o l a r i t ä t : Eigenschaft von Wirklichkeitsbereichen, zwei Punkte zu besitzen, die in völligem Gegensatz zueinander stehen, zugleich aber voneinander abhängig sind. P o t e n z : Gestaltungsvermögen jeglicher Art. Es kann sich sowohl um Fähigkeit zur Selbstdifferenzierung oder zur induzierenden Einwirkung auf andere Teile oder zur spezifischen Reaktion auf differenzierende Einwirkungen anderer Teile handeln.
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P r ä f o r m a t i o n : Entwicklung als Entfaltung bereits vorhandener, präformierter, d. h. vorgebildeter Mannigfaltigkeiten. P r ä s u m t i v = vorgesehen, z. B. präsumtive Medullarplatte: jene Region im undifferenzierten Ei, die bei Normalentwicklung zur Bildung der Medullarplatte vorgesehen ist. P r o l i f e r a t i o n : Vermehrung; Gewebs- oder Organwachstum durch Zellteilung, nicht durch Zellvergrößerung. P r o s p e k t i v = voraussichtlich. Unter prospektiver Bedeutung eines Keimteils versteht man die Entwicklung, die unter normalen Umständen von ihm durchlaufen wird. Prospektive Potenz umfaßt alle Möglichkeiten der Entwicklung, deren ein Keimteil auch unter anormalen Umständen fähig ist. Die prospektive Potenz ist meist größer als die prospektive Bedeutung. R e a k t i o n s s y s t e m : s. Organisator. R e d u k t i o n s t e i l u n g : Mitotische Zellteilung im Verlauf der Entwicklung der Keimzellen, bei der die einander entsprechenden Chromosomen sich aneinanderlegen und hierauf ohne sich zu teilen in die Tochterkerne abwandern, so daß in jedem Tochterkern nur mehr die halbe Anzahl der Chromosomen des Mutterkerns ist. Durch die Reduktionsteilung wird gewährleistet, daß die f ü r jede Art spezifische Chromosomenzahl konstant erhalten bleibt. Die normale Körperzelle enthält eine d o p p e l t e Chromosomengarnitur, je eine vom väterlichen und mütterlichen Elter, sie ist d i p l o i d . Durch die Reduktionsteilung entstehen Zellen mit e i n f a c h e m Chromosomensatz, sie sind h a p l o i d . R e g e n e r a t i o n : Wiederherstellung verlorengegangener Körperteile oder Organe. Man unterscheidet physiologische Regeneration, die dem dauernden Ersatz der normalen Abnützung (z. B. Haut, Nägel, Haare) dient, und akzidentelle Regeneration, die durch Unglücksfälle oder gewaltsame Eingriffe entstandene Verluste ersetzt. Bleibt die Regeneration unvollkommen, so spricht man von Subregeneration, liefert sie mehr als verlorengegangen ist, liegt Superregeneration vor. R e g u l a t i o n s e i e r : Eier, deren Teilstücke wenigstens in jüngeren Entwicklungsstadien fähig sind, ein Ganzes zu bilden.
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R e g u l a t o r i s c h e R e d u k t i o n : Rückbildung von Geweben oder Organen zugunsten der Heranschaffung von Material zu regenerativen Prozessen. R e l a t i v e D e t e r m i n a t i o n : s. Determination. S e r o l o g i e : Lehre von den Eigenschaften des Serums, d. h. der Blutflüssigkeit; besonders über die Immun- oder Antikörper, Abwehrstoffe, die vom Körper gegen artfremdes Eiweiß jeder Art, auch krankheitserregende Mikroorganismen, gebildet werden. S o m a t i s ch : Zum Körper gehörig. Als somatische Zellen werden die Körperzellen aller Art im Gegensatz zu den Keimzellen bezeichnet. S o m i t e n : Anlagen der Rumpf muskulatur der Wirbeltierembryonen. S p i n a b i f i d a : Mißbildung, bei der durch Störung des Zusammenschlusses der Medullarwülste (s. d.) die Wirbelsäule nach oben offen bleibt. S u b r e g e n e r a t i o n : s. Regeneration. S u p e r r e g e n e r a t i o n : s. Regeneration. S y n e r g e t i s c h e s P r i n z i p d e r E n t w i c k l u n g : Das harmonische Ineinandergreifen einzelner Entwicklungsvorgänge, kombinierte Wirkung teilweise gleichsinniger, relativ selbständiger Faktoren. Ein Sonderfall dieses Prinzips ist die „doppelte Sicherung" (s. d.). S y n z y t i u m : Zellverband, in dem die Grenzen zwischen den einzelnen Zellen fehlen. T e r a t o l o g i e : Lehre von den Mißbildungen. T e r a t o m : Geschwulst auf der Basis einer embryonalen Mißbildung. T o t i p o t e n t : Zu allen Entwicklungsleistungen fähig. T r a n s p l a n t a t i o n : Verpflanzung. Eine der wichtigsten experimentellen Methoden zur Erforschung von Gestaltungsfaktoren. Das verpflanzte Gewebe heißt Transplantat oder Pfropfstück, es wird dem Spender entnommen und dem Wirt eingepflanzt oder implantiert. Sind Spender und Wirt dasselbe Individuum, d. h. wird das Transplantat am selben Individuum wieder eingepflanzt, so ist die Transplantation a u t o p l a s t i s c h , gehören Spender und Wirt derselben Art
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an, so liegt h o m o i o p l a s t i s d i e Transplantation vor. H e t e r o p l a s t i s c h ist die Transplantation, wenn Spender und Wirt zwei verschiedenen Arten, x e n o p l a s t i s c h , wenn sie zwei verschiedenen Gattungen angehören. Stimmt das Transplantat mit dem Wirt in der Polarität überein, so ist es h o m o i o p o l a r , ist es ihr entgegengesetzt gerichtet, so ist es h e t e r o p o l a r . T u m o r : Geschwulst, besonders Krebsgeschwulst. U r d a r m : s. Gastrula. U r m u n d : s. Gastrula. V e g e t a t i v : Pflanzlich. V i r u s : Unter der mikroskopischen Sichtbarkeitsgrenze liegende Krankheitserreger. V i t a l f ä r b u n g : Anfärbung lebender Zellen mit Farbstoffen, die die Lebensfähigkeit für längere Zeit nicht schädigen. X e n o p l a s t i s c h : s. Transplantation. Z e n t r o s o m : Zentralkörperchen bei vielzelligen Tieren, im Protoplasma neben dem Kern sich findendes Körnchen, das bei der Bildung der Spindelpole in der Kernteilung von Bedeutung ist. Z y k l o p i e : Auf Entwicklungsstörungen beruhende Verschmelzung der paarigen Augenanlage zu einer einzigen. Z y t o l o g i e : Zellenlehre. Z y t o p l a s m a : Das den Zelleib bildende Zellprotoplasma.
IX. QUELLENVERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Abb.
1 und 2 : Aus Michaelis (Prof. Dr. L.) — Weißenberg (Prof. Dr. R . ) : Entwicklungsgeschichte des Menschen mit Berücksichtigung der Wirbeltiere, 10. Aufl. 1927. Verlag Georg Thieme, Leipzig.
Abb.
3: Aus Wilhelm Roux' Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, redigiert von H. Spemann — W . Vogt — B. Romeis. Bd. 120. Verlag von Julius Springer, Berlin 1 9 2 9 (4).
Abb.
4, 5, 6, 9 und 15: Aus: Spemann (Hans): Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung. Verlag von Julius Springer, Berlin 1936.
Abb.
7 : Aus: Morgan (Thomas, H u n t ) : Experimental Embryology, Columbia University Press, New York 1923 ( 2 ) .
Abb.
8 : Siehe Abb. 3, Bd. 107, Verlag von Julius Springer, Berlin 1926 (2).
Abb. 10 und 1 1 : Aus Korscheit E. (Prof. Dr. med. et phil.), Regeneration und Transplantation, 1. Band: Regeneration. Gebrüder Borntraeger, Berlin 1927 ( 2 ) . Abb. 1 4 : Aus: Hertwig, Prof. Dr. Richard, Lehrbuch der Zoologie, 14. Aufl. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1924 (1). Abb. 1 6 : Siehe Abb. 3, Bd. 117. Verlag von Julius Springer, Berlin 1929. Abb. 17, 18 und 19: Aus: Sitzungsberichte des 42. Jahrgangs der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München, Druckerei Studentenhaus, München 1933.