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German Pages 71 [72] Year 1908
Offenbarung und Wunder von
D. w. Herrmann Professor der Theologie zu Marburg
Verlag von Alfred Töpelmann
(vormals I. Ricker)
Gießen 1908
Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen 28. Folge
Der Begriff der Offenbarung 2. verbesserte Auslage
des als III. Folge der Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen 1887 erschienenen Vortrags
Der Begriff der Offenbarung bildete in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahr
hunderts den Hauptgegenstand aller theologischen Kontroversen.
Es ist aber nicht meine Absicht, heute dieses alte Kampffeld des Rationalismus und Supranaturalismus aufzusuchen. eine historische Betrachtung habe ich es abgesehen.
Nicht auf
Ich erbitte
mir vielmehr Aufmerksamkeit für die Darlegung eines Streites,
in dem wir alle stehen, ich meine den Kampf des Glaubens in
uns selbst.
Man kann den Begriff der Offenbarung so entwerfen, daß man von dem Begriffe Gottes
und seines Verhältnisses zur
Welt ausgeht und dann die Frage erhebt, wie Gott eS anfange, um sich den Menschen mitzuteilen.
Ich gestehe aber, daß mir
für ein solches Unternehmen die Muße fehlt.
Einer solchen Be
trachtung mögen sich die Seligen überlassen; ein Mensch, der
selig werden will, wird dagegen leicht in der Lage sein, daß er dafür keine Zeit hat.
Wir dürfen nicht meinen, daß wir die
Gegenstände der religiösen Begriffe in guter Ruhe betrachten können wie ein Astronom die Sterne.
Denn als das, was sie
wirklich sind, stehen diese Gegenstände nur dann vor uns, wenn sich unser Inneres an ihnen aufrichtet.
Deshalb dürfen wir
die Frage, was die himmlischen Dinge seien, nicht trennen von
der Frage, wie die himmlischen Dinge an uns wirken und uns dadurch gewiß werden.
selbst.
So ist es auch mit der Offenbarung
Wollen wir sehen, was die Offenbarung ist, so müssen
wir darauf achten, wie die Offenbarung uns gewiß wird und
uns hilft.
Es ist ja nicht schwer zu sagen, was im allgemeinen
Der Begriff der Offenbarung
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unter Offenbarung, unter den biblischen Ausdrücken diroKaküntciv
und cpavepouv zu verstehen sei, das Enthüllen eines bisher
Verhüllten, das Hervorführen eines bisher Verborgenen.
Aber
den wirklichen Sinn solcher Worte erfassen wir doch erst, wenn
wir an uns selbst erfahren, wie das, was wir längst Offenbarung genannt haben, uns aus etwas alt Gewohntem zu etwas unbe greiflich Neuem wird. Deshalb lernt man in behaglicher Ruhe,
etwa in einem bequemen Schriftstudium, die Offenbarung noch nicht kennen.
Es muß noch etwas anderes dazu kommen, was
weniger erfreulich ist als das Nachsinnen über die Schristge-
danken, das ist die Anfechtung, die Not. Wer nichts davon weiß, daß er im Dunkeln sitzt, kann auch gar keine Vorstellung davon bekommen, daß Gott ihn aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Lichte fühtt. Also den Kampf der Anfechtung in uns selbst müssen wir uns ansehen, wenn wir wissen wollen,
was die Offenbarung ist. Das Wesen der Anfechtung aber besteht darin, daß wir uns unglücklich fühlen. Das sind die
Angefochtenen, die in allen Regionen ihrer Existenz nichts ent
decken können, was sie im Innersten zufrieden machen könnte. Aus jeder Freude, welche die Welt spendet, fallen sie in die ttübe Stimmung zurück, in der ihnen alles eitel vorkommt. Durch den Druck der Welt, durch Krankheit, Nahrungssorgen,
Verkehr mit unausstehlichen Menschen werden ihre Kräfte nicht
gespannt, sondern aufgelöst.
Nun diese Angefochtenen, dem Tode
Verfallenen, im tiefsten Unglücklichen sind wir selbst, wenn uns die Offenbarung ferne bleibt, die die Quellen unseres persönlichen
Lebens mit Licht und Wärme durchdringen kann.
Jene Leidens
last der Menschheit erfährt sogar bei uns Christen noch eine eigentümliche Steigerung.
In uns arbeitet nicht nur wie in
allen Menschen der unruhige Lebenstrieb, an dem das Leiden empfunden wird, sondern in uns dämmett auch eine Ahnung
davon auf, in welcher Form allein wahrhaftiges kraftvolles Leben möglich wäre. Denn wir sind dazu erzogen, das Gute in seinem ewigen Anrecht an unsern Willen zu verstehen, und wir wissen
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Der Begriff der Offenbarung
daher recht wohl, daß nur der Weg des Gesetzes ein Weg des Lebens sein kann.
Daraus ergibt sich für den Christen, der sich
in der Anfechtung befindet, der unerbittliche Schluß, daß er, der in seinem Innersten keine rechte Freude spürt, es auch nicht besser verdient hat. Zu der Anfechtung durch die Not gesellt
sich also bei dem Christen die Anfechtung durch das innere Selbstgericht der Schuld; zu dem Überdruß an der Welt kommt
bei uns der Überdruß an uns selbst.
Wenn uns irgend etwas
aus diesem Todeszustand wieder aufbrächte, dann könnten wir das doch wahrlich mit dem Prophetenwort begrüßen: „das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht."
Was uns in
solcher Lage und in solcher Weise als etwas nie Erlebtes vor käme, das könnten wir mit innerer Wahrhaftigkeit Offenbarung
nennen. verändert.
Denn dadurch wäre die Welt und wir selbst für uns Wir hätten nicht nur einen Zuwachs an Kenntnissen
bekommen, sondern eine neue Art, alle Dinge zu sehen, einen
neuen Sinn und Mut.
Was das an uns bewirkt, das ist
Offenbarung.
Sind wir soweit gekommen, so können wir nun auch sagen, was der Inhalt der Offenbarung sei.
Nur das, was uns aus
der Anfechtung rettet, d. h. uns aus der Verlorenheit unsres bis
herigen Zustandes erhebt, macht auf uns den Eindruck des über wältigend Neuen, einer wahrhaftigen Offenbarung.
Vielleicht
stimmen wir darin alle überein, daß wir so etwas kennen müssen, wenn das Wort „Offenbarung" für uns einen rechten Sinn be kommen soll. Aber wenn wir nun in den Rahmen dieses all
gemeinen Offenbarungsbegriffs dasjenige eintragen wollen, was uns als Offenbarung dargeboten wird, so fangen die Schwierig keiten an und vielleicht auch die Differenzen.
Alltäglich kann
man unter uns folgendes hören: Die heilige Schrift umfaßt die
Fülle von Offenbarungen, welche uns gegeben sind; ihre Lehren und Erzählungen sind die Mittel, durch die Gott unsere Finster nis erhellen will. Das darf man beileibe nicht leugnen, sonst
träte man ja von dem „Formalprinzip" der evangelischen Kirche
Der Begriff der Offenbarung
zurück, würde ein haltloser Schwärmer oder ein ganz Ungläu
biger, also auf jeden Fall rechtlos in der evangelischen Kirche.
Nun gut, wir wollen es einmal damit versuchen.
Das
Weib ist aus der Rippe des Mannes gemacht, der Wüstenzug Israels ist von Wundern umgeben, ein Stern zeigte den Weisen
aus dem Morgenlande den Weg zum Christkinde, von allen
Geschlechtern der Kinder Israels sind 144 000 versiegelt, von
den Toren des neuen Jerusalems ist jedes aus einer Perle ge macht.
Viele Christen nennen alle diese Dinge Offenbarungen
und nehmen sie als Wahrheit hin, weil sie in dem heiligen Buche
geschrieben stehen.
Aber wehe dem Christen, der nichts davon
weiß, daß die Offenbarung etwas anderes ist als die Summe
solcher Dinge. Diese Erzählungen sind uns natürlich etwas Neues, wenn wir sie zum ersten Male lesen, aber die Neuheit der Offen barung haben sie nicht.
Sie vergrößern den Kreis dessen, was
wir für wirklich halten, aber sie versetzen uns
neue Wirklichkeit.
ihnen zustimmen
nicht in eine
Denn wir selbst bleiben dieselben, mögen wir oder sie ablehnen.
Ist aber in uns selbst
nichts weiter als der alte Mensch, so wird auch durch solche Mitteilungen nur der Wirklichkeit des alten
hinzugefügt.
Menschen etwas
Eine Offenbarung also, welche diese Wirklichkeit
des alten Menschen durchbricht und uns sagen läßt: „das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden", empfangen wir
dadurch nicht. Aber vielleicht haben wir nur eine schlechte Auswahl aus der
Schristoffenbarung
greifen.
getroffen.
Wir
wollen
zu
Höherem
Der allmächtige Gott hat die Welt geschaffen; er hat
sich von Ewigkeit her eine Gemeinde erwählt, in deren Dienst
hat seine Weisheit die ganze Schöpfung gestellt, die Gestirne, die durch den Weltraum rollen, und den Wurm, der am Wege
zertreten wird.
Die Menschheit, aus der die Gemeinde Gottes
hervorgehen soll, liegt in einem Streite mit Gott, den jeder vom Weibe Geborene als ein Flucherbe überkommt.
Um die,
welche ihm feind waren, zu retten, hat Gott seinen Sohn in
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Der Begriff der Offenbarung
die Welt gesandt und sein Blut zu einem Mttel der Ver
söhnung gemacht; er hat endlich denen, die dem Sohne folgen, seinen heiligen Geist gegeben, der sie zum Eingang in eine
ewige Herrlichkeit vollbcreiten wird.
Das sind doch sicherlich
nach der Meinung der meisten unter uns die wichtigsten und mächtigsten Schriftgedanken, und wohl dem Christen, der in
ihnen lebt.
Aber wehe dem Christen, der sich einbildet, die
Summe dieser Schristgedanken mache die Offenbarung aus, die alles für ihn neu machen könne.
Wir können diese Gedanken
kennen lernen und können uns sogar so in sie eingewöhnen, daß
sie uns ebenso sicher werden wie die in der Schule überkommene Lehre, daß sich die Erde um die Sonne drehe.
Aber wir haben
daran keine Offenbarung, wir haben daran nicht einmal einen
sicheren Besitz.
Den Satz, daß sich die Erde um die Sonne
drehe, haben uns gelehrte Leute vorgesprochen, und schwerlich werden wir jemals eine Erfahrung machen, die uns das Zu trauen, daß die Sache sich so verhalte, erschüttern könnte.
Aber
mit jenen Sätzen, welche die Heilige Schrift uns vorspricht, ver
hält es sich anders.
Wir können leicht in
eine Erfahrung
kommen, welche uns das schnell erworbene Vorurteil, diese Sätze seien wahr, entreißt.
Wenn uns eine rechte Not befällt, so
lassen wir freilich die Erde ruhig um die Sonne laufen; aber wir können leicht dahin kommen, daß wir Gott nicht im Himmel thronen lassen.
Wenn wir uns ganz und gar unglücklich und
kraftlos fühlen, was ist solch ein Gefühl anders als eine Leug nung Gottes?
Wenn wir in solcher Stimmung befangen sind,
so sehen wir nur die Welt,
die uns erdrückt und vernichtet;
einen Gott, der uns in allmächtigen Armen emporhebt, sehen
wir nicht.
In solchen Momenten soll es uns schon klar werden,
daß jene Schriftgedanken, die uns den Himmel zu öffnen schienen, uns nur die Welt des alten Menschen erweitert hatten. Wir können uns aber sogar einbilden, daß wir nach wie
vor alle jene Dinge für wahr halten.
Schaffen wir denn damit
die Taffache fort, um die sich die Welt des alten Menschen
Der Begriff der Offenbarung
dreht?
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Es bleibt dabei, daß keineswegs unser Herz in Freude
aufwallt und von Liebe überquillt; es ist dann nach wie vor nichts darin als angstvolle Selbstsucht.
Und ein solcher Mensch
will sich einbilden, er habe eine Offenbarung empfangen, die als
etwas unbegreiflich Neues in sein Leben getreten sei und eine neue Welt um ihn geschaffen habe!
Es sieht so selbstverständlich aus, daß die Summe der ge
waltigen Schristgedanken den Inhalt der Offenbarung ausmache, aber es ist dennoch nicht richtig.
Denn, wenn es der Fall wäre,
dann müßten wir ja dadurch, daß wir diese Gedanken aus dem
wunderbaren Wort der Heiligen Schrift empfangen und uns ihnen unterwerfen, in ein neues Wesen versetzt werden.
Luther
aber weist wohl mit Recht auf die Tatsache hin, daß dies nicht
der Fall sei, und daß eben deshalb die katholische Christenheit
beflissen sei, ihren Glauben an eine solche Offenbarung zu er gänzen, indem sie sich durch ihre geistlichen Übungen und andere Werke über den Stand des alten Menschen zu erheben sucht. Jene Schristgedanken bilden nicht den Inhalt der Offenbarung,
sondern sie sind die Gedanken, welche in rechter Weise zu fassen,
der Mensch erst dadurch befähigt wird, daß ihn die Offenbarung
überall etwas Neues sehen läßt.
Freilich kann der Mensch,
bevor er durch die Offenbarung in ein neues Wesen gebracht ist, jene Schristgedanken sich aneignen, aber er macht dann etwas
Altes daraus und bleibt selbst, wie er war.
In ihrem wirk
lichen Sinn können wir jene Gedanken erst erfassen, wenn wir eine Offenbarung geschaut haben, die wirklich etwas Neues für
uns ist, weil sie uns selbst erneuert.
Es ist nicht so, daß wir
eine Summe religiöser Lehren, welche die Heilige Schrift uns
darreicht, uns aneignen müßten, um dadurch erneuert und er löst zu werden. Wir müssen im Gegenteil bereits erneuert und erlöst sein,
um in die Gedankenwelt der Heiligen Schrift uns hineinfinden
zu können.
Was ist nun also der Inhalt der Offenbarung,
wenn die Schriftlehren es nicht sind?
Unter Christen sollte doch
Der Begriff der Offenbarung
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wohl über die Beantwortung dieser Frage kein Zweifel herrschen.
Man muß schon viel unfruchtbare Theologie getrieben und recht schlechte Unterweisung genossen haben, wenn man darüber in Zweifel ist.
Für den Christen, ja für den frommen Menschen
überhaupt, der nichts weiter sucht als Gott, versteht eS sich von selbst, daß eben Gott der Inhalt der Offenbarung ist.
Offenbarung ist Selbstoffenbarung Gottes.
Alle
Irgendwelche Mit
teilung können wir erst dann Offenbarung nennen, wenn wir Gott darin gefunden haben.
Gott aber finden und haben wir,
wenn er uns unwidersprechlich so berührt und ergreift, daß wir
genötigt werden, uns ihm gänzlich zu unterwerfen.
In anderer
Weise ist's nicht möglich, denn Gott ist der Allmächtige.
Den
allmächtigen Gott aber haben wir noch nicht gefunden, wenn
wir uns in unsern geheimsten Gedanken, in dem, was uns freut
und ängstigt, der Abhängigkeit von ihm entziehen.
Die Offen
barung des Allmächttgen erleben wir in dem Moment, wo wir
uns mit tiefer Freude unter seine Macht beugen.
Gott offen
bart sich uns, indem er uns zwingt, ihm ganz und gar zu ver trauen. Seine Macht ist sein unerbittlicher Ernst und seine un überwindliche Güte.
Was helfen uns irgendwelche Mittellungen
über Gott, wenn wir sie zwar für wahr zu halten meinen, aber
sie im Stillen mit dem Gedanken begleiten, besser wäre es doch, wenn Gott nicht wäre.
hegen, das innerlich
Solchen Gedanken kann nur ein Wesen
von Gott geschieden ist, dem also Gott
nicht offenbar, sondern verborgen ist.
Wir selbst können nun
diesen Gedanken der Gottlosigkeit nicht in uns austilgen.
Denn
der unruhige Lebcnstrieb, dem der Gedanke Gottes unbequem
ist, well er in Gott keine Ruhe findet, das sind eben wir selbst. Gott allein kann das ändern, wenn er uns so nahe kommt, daß
wir uns ganz von ihm bezwungen wissen und in fieudigem Ver
trauen uns ihm gänzlich unterwerfen.
Nehmen wir einmal an, es wäre möglich, daß Gott einen Menschen in solcher Weise berühren könnte, das wäre ein Er eignis, das wirklich eine Offenbarung zu heißen verdiente.
Wenn
Der Begriff der Offenbarung
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wir das erleben, so tritt etwas völlig Neues in unsere Welt,
das uns nie etwas Altes werden kann.
Sonst mögen sich unsere
Gedanken ausdehnen, soweit sie wollen, wir finden überall die selbe Welt, die in dem Leben, das sie darreicht, den Tod ver birgt, die das Lebendige, das sie erzeugt, zu einem Kampf ums
Dasein verurteilt, der mit Vernichtung enden muß.
Dieser Welt
gegenüber verhärtet sich notwendig unser Lebenstrieb zu der un
ersättlichen Selbstsucht, die ihr eigenes Leben sich nur so denken kann, daß sie anderen das Leben verkümmert.
Das wird alles
anders, diese Welt des Todes verschwindet, und wir selbst wer den reich und satt und froh, wenn wir mit einem Wesen Zu
sammentreffen,
das
uns
seine allmächtige Liebe fühlen läßt.
Denn damit stehen wir ja in einer gänzlich neuen Umgebung. Wir haben nun ein Wesen vor uns, gegen das wir uns nicht
zu wehren brauchen, dem wir nichts geben, sondern von dem wir alles empfangen sollen.
Das allein ist wahrhaftige Offenbarung.
Das ist freilich etwas anderes als die schön geordnete Summe christlicher Lehren, mögen sie in der Bibel stehen oder im Kate
chismus.
Diese Lehren bringen uns nicht in eine neue Wirk
lichkeit, sondern im Gegenteil, wir bringen sie ohne Mühe in der Welt des alten Menschen unter.
Auch auf solche hohe Lehren
wie die von der Trinität und von der Wiedergeburt verfällt der Mensch mit seinen Gedanken
und macht sich
seinen Vers
darauf, wie es möglich sei, daß drei Personen eins sein können oder wie es möglich sei, daß Gott den Menschen unbeschadet
der Freiheit des menschlichen Willens zu einem neuen Wesen machen könne.
Wenn einem das gelungen ist, so hat man die
vermeintliche Offenbarung glücklich in der Welt des alten Men schen untergebracht.
Sie wird nun selbst etwas Altgewohntes
und geniert den alten Menschen gar nicht mehr. Anders ist es mit der wahrhaftigen Offenbarung. Wenn wir
sie nur überhaupt erfahren, so bleibt sie uns etwas unbegreiflich Neues. Solange wir in uns selbst mit Sünde zu kämpfen haben,
erleben wir es als eine wunderbare Offenbarung, daß dieser Gott,
©er Begriff der Offenbarung
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die ewig lebendige, frei daherströmende Liebe, dennoch uns lieben kann, die wir den Tod in den Gebeinen fühlen und immer
wieder in den Gedanken fallen, daß der andere sterben müsse,
damit wir leben.
Solange wir das Kreuz zu tragen haben,
soll es uns wohl eine wunderbare Tatsache bleiben, daß Gott
in den Herzensgrund einer gequälten Kreatur eine Freude legen kann, die durch keine Last erstickt wird.
Der Christ darf er
fahren, daß, wie des Gottlosen Freude nicht recht im Grunde
des Herzens ist, so auch nicht das Trauern eines Christen. Jeder Moment der Anfechtung, in welchem wir das erfahren
und dadurch überwinden, hat immer wieder die Frische eines nie Erlebten. Es ist nicht nur eine disputable Sache für den Theologen,
sondern
es ist eine heilsnotwendige
Sache für den Christen, daß er imstande ist, so die wahrhaftige
Offenbarung
von
der
Mitteilung
Lehren und Berichten zu unterscheiden.
von
Offenbarung ist
dem Christen die Selbstoffenbarung Gottes d. h. die Taffache, daß Gott ihn durch einen unwidersprechlichen Erweis seiner all
mächtigen Liebe überwältigt und aus
einem unglücklichen zu
einem fröhlichen und getrosten Menschen macht.
Das allein
sollen wir für Offenbarung halten. Die christlichen Lehren sollen uns wert und teuer sein, so fern in ihnen Gedanken durch Gott erlöster Menschen zusammen gefaßt sind.
Aber diese Gedanken werden wahrlich nicht recht
gewürdigt, sondern sie werden zu Mitteln der Sünde gemacht, wenn man ihre Summe die Offenbarung nennt. Sie sind aller
dings Lebensgedankcn, nämlich die Lebensgedanken, die Gott dem
durch ihn befreiten Menschen ins Herz gibt.
Daß wir in ihnen
leben und denken lernen, darauf kommt alles an.
Aber wenn
man die Darreichung dieser Gedanken in Schrift- und Kirchen lehre die Offenbarung nennt, so mutet man ja dem Menschen
zu, daß er selbst sie sich aneigne. Denn von einer Offenbarung, welche den Menschen dazu bringen könnte, solche Dinge als Wahrheit zu denken, wird ja dann ausdrücklich abgesehen.
Ihm
Ter Begriff der Lffendarung
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selbst wird es überlassen, daß er aus der dargebotenen Lehre
etwas für sich mache.
Wenn das anginge, dann wäre freilich
die Erlösung eines Menschen eine leichte Sache.
Das wäre eine
Erlösung, die selbst nichts anderes wäre als eine neue Sünde. Es verhält sich vielmehr so, daß wir erst durch Gottes Offen
barung, die etwas anderes ist als eine Summe heiliger Lehren, neue und erlöste Menschen geworden sein müssen, dann ist in
uns das lebendige Wesen vorhanden, das in jenen Gedanken sich
bewegen kann.
Vorher ist alles Aneignen derselben eitel Schein.
Und dieser Schein ist um so widerwärtiger, wenn man dann
die Vollkommenheit des Glaubens darin sucht, daß man ein möglichst vollständiges System dieser Schriftgedanken kennt und
bekennt und die Christlichkeit anderer daran mißt, ob sie ein ebenso großes Quantum von Lehren mit sich führen.
Luther
sagt von solchen Leuten, daß sie den neuen Wein des Evan
geliums in die alten Schläuche menschlicher Willenskraft gefaßt haben.
Also wir unterscheiden die Offenbarung Gottes von den
Lebensgedanken
des Erlösten,
Schrift uns darbietet.
wie
sie
vor
allem
die Heilige
Dann müssen wir aber auch Rede stehen
auf die Frage, wie wir denn zu solcher Offenbarung kommen.
Wir haben uns dem Verdacht ausgesetzt, daß wir den einzelnen Menschen mit seinem inneren Leben als die eigentliche Stätte
der Offenbarung Gottes ansehen und von objekttven Mächten der Offenbarung nichts wissen wollten.
Es gibt ja in der Tat
Theologen, welche meinen, die Offenbarung Gottes sei ein Vor gang in der Seele, in welchem der Einzelne ohne irgendwelche Bezugnahme auf etwas Äußeres es verspüre, daß Gott ihn be
rühre.
Wer so etwas erlebe, der habe Gottes Offenbarung emp
fangen und sei in dem Trachten nach solchen Erlebnissen fromm oder religiös.
Mystik.
Nun, gehöre ich nicht zu den Bekennern dieser
Ich will zwar die Erlebnisse, welche man dort Offen
barung nennt, nicht mit harten Worten herabsetzen.
Denn ich
weiß sehr wohl, daß eine solche fromme Gefühligkeit bei manchem
Der Begriff der Offenbarung
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aus einem herzlichen Verlangen nach Gemeinschaft mit Gott
entstehen kann.
Aber ich darf doch nicht verschweigen, warum
es mir unmöglich ist, in den Regungen, in welch« der Mensch
das Umfaßtsein vom Unendlichen unmittelbar zu fühlen meint, die Offenbarung Gottes an den Menschen zu sehen. Erstens kann der Mensch in seinem Gefühlsleben allein die
Gegenwart Gottes als einer Macht, die ihn rettet und über sich selbst hinaushebt, nicht erfahren.
zen aufiommt, hat Sünde an sich.
Was in unserem eigenen Her
Deshalb ist auch das in der
eigenen Gefühlserregung ergriffene Unendliche das Erzeugnis eines nach Gott verlangenden, aber von Gott geschiedenen Herzens.
Zweitens entbehrt eine solche Offenbarung gerade dessen, womit sie uns helfen sollte.
Sie hat keine von den Schwankungen unseres
inneren Lebens unabhängige Gewißheit.
Sind die erregten Ge
fühle auf das gewohnte Maß der Alltagsstimmung herabgesunken,
so bemertt der Mensch, daß er nach wie vor auf der Erde liegt.
Die Gottverlassenheit des natürlichen Lebens wird dann um so stärker empfunden, und aus dieser Empfindung enffteht notwendig der Zweistl, ob nicht das beglückende Erlebnis der Gottesnähe
ein Traum und Gedicht der Seele gewesen sei, die freilich nach etwas anderem dürstet, als die Welt ihr geben kann.
Das Auf
kommen dieser mystischen Frömmigkeit in der christlichen Ge
meinde
ist ein
merkwürdiges Beispiel davon,
wie
leicht
der
Mensch die volle Wirklichkeit, in der er steht, übersieht und in
Träumen lebt. Für einen Christen sollte die Antwort auf die Frage, wie er an die wahrhaftige Offenbarung Gottes kommt, wahrlich nicht schwer zu finden sein.
Er soll nicht mit Flügeln gen Himmel
steigen, soll nicht nach außerordentlichen Entzückungen trachten, aber er soll die Wirklichkeit anschauen und sich zu Herzen nehmen,
in welche er täglich gestellt ist.
Fänden wir nicht in chr die
Offenbarung Gottes als den Felsen, der uns trägt, oder als
den Stein des Anstoßes, an dem wir zerschellen, so würden wir
sie überhaupt nicht finden.
Aber sie ist vorhanden als ein un-
Der Begriff der Offenbarung leugbares Element unserer Welt.
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Zunächst haben wir daran zu
denken, daß mit dem Anspruch, uns das alles zu ver schaffen, uns die Überlieferung von Jesus Christus gegeben ist, die ebenso zu unserer eignen Wirklichkeit gehört wie der
Rock, den wir anziehen, und das Haus, das wir bewohnen. Die Frage aber, wie dann Jesus selbst uns zur Offenbarung Gottes wird, können wir wiederum nicht in der Studierstube er
ledigen. Wir müssen uns dazu in die Nöte des prattischen Lebens
begeben, wir müssen sehen, wie in der Anfechtung uns dieses Faktum als die Offenbarung Gottes rettet.
Nehmen wir einmal an, wir
hätten alles, was in unserer Kirche zum Preise des Erlösers ge lehrt und gepredigt wird, nicht nur gehört, sondern auch willig
ausgenommen.
Diese Gedanken, in welche wir uns eingewöhnt
haben, sind uns ganz angenehm, solange es uns in trivialem
Sinne gut geht.
Wir spüren vielleicht auch einen Hauch des
Lebens, aus welchem diese Gedanken gequollen sind und merken cs, wie unsere Seele sich danach ausstreckt.
Aber es kommen
auch für den Trägsten andere Zeiten, wo er aus solchem ruhigen Genießen herausgeschleudert wird.
Er gerät in Verhältnisse, in
denen er nichts zu spüren meint als eine vernunftlose Gewalt, die sein Glück zertritt.
Er sieht dabei nichts weiter heraus
kommen, als daß er und andere, die ihm teuer sind, unglücklich
werden
und verkümmern.
In solcher Anfechtung hören wir
wohl die Mahnung, wir sollen uns an die Lehren halten, die
das Wort des Apostels auSlegen: „Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahin
gegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken."
hören die Mahnung und kennen die Lehre.
Wir
Aber die Organe,
mit denen wir uns an solche Lehren klammern sollen, sind zu
schwach, oder sie sind vielmehr gar nicht vorhanden, wenn wir
uns gänzlich unglücklich und kraftlos fühlen.
Oder aber, dem
Sünder wird seine Untreue, die er sich lange verborgen hat, plötzlich enthüllt.
Solange noch Leben in dem Sünder ist,
richtet er sich selbst und verurteilt sich dazu, daß er alles be-
Der Begriff der Offenbarung
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zahlen müsse, was er verschuldet hat. Er versucht sich zu bessern; aber er macht die Erfahrung, daß sein Wille keineswegs zurück
schnellt in die gerade Richtung, weil er krumm gewachsen ist. Die Besserung zeigt sich als eine unabsehliche Aufgabe mühsamer Selbsterziehung. Und nicht einmal die ersten Schritte kann der Sünder auf dieser endlosen Bahn machen. Denn nur aus
Freude und Frieden heraus kann man das Gute wollen und das Böse hassen. Der Sünder aber, der sich selbst richtet, ist ja eben dabei, alles zu vernichten, was in ihm selbst wie Freude
und Friede aussieht.
Sollte uns wirllich in solcher Lage das
helfen können, daß wir die Lehre vernehmen, die Strafforderung
des gerechten Gottes sei durch das Blut seines Sohnes ausge glichen? Oder sollte darin vielleicht die Hilfe liegen, daß wir
uns in der Kirche das Wort der Sündenvergebung spenden lassen, das wir in ruhigeren Zeiten schon oft mit gläubigem
Herzen zu hören meinten?
Es muß ein recht sanftes Gewissen
sein, das sich durch solche Lehren stillen läßt. Der Sünder muß noch gar nicht in dem Selbstgericht stehen, das ihn gänzlich kraftlos macht, wenn er sich die Kraft zutraut, solche Lehren
und Verkündigungen für wahr zu halten. offenbar.
Das,
Der Fehler dabei ist
wovon man die Erlösung
eines verlorenen
Menschen erwartet, stellt Forderungen an uns, die wir eben nicht erfüllen können, sofern wir verloren sind. wahrhaftigen
Lebens
gehört
dazu,
Was für eine Glut
um den Gedanken
paulinischen Wortes als Wahrheit denken zu können!
jenes
Und wir
selbst sollten diese Glut in uns anblasen können, die wir tot und kalt sind, weil wir unglücklich sind?
Könnten wir wirklich
mit freiem Entschluß solch Bekenntnis des erlösten Menschen als Wahrheit denken, dann lägen wir eben nicht mehr in Anfechtung
und Todesnot, sondern ständen frei darüber. Nun sagt man uns aber, das Wort des Evangeliums sei nicht etwas Totes, dessen wir uns annehmen müßten, um etwas
daraus zu machen, es lebe vielmehr in ihm eine Wahrheitsmacht, .bie den Verzagten stärkt und den Trotzigen niederwirst.
Es
Der Begriff der Offenbarung
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werde durch das Wort der heilige Geist Gottes in unser Herz
gegeben, und in seiner Kraft könnten wir glauben, was dem Un glücklichen und dem Sünder unglaublich und unfaßbar sei.
Das
Aber wenn man mit solcher Lehre alles ab
ist recht geredet.
gemacht zu haben meint, so
hat man nicht die Hilfe gezeigt,
sondern die Hilflosigkeit vermehrt.
Soll etwa der verzweifelnde
Mensch sich Hinsehen und warten, bis der heilige Geist ihin ein
gegossen wird?
Soll er etwa darum beten, daß der heilige Geist
ihm gegeben werde?
Wenn er nichts weiter tut als das, so
wird es ihm gar nichts helfen.
Wohl will der himmlische Vater
seinen heiligen Geist geben allen denen, die ihn darum bitten. Aber sie müssen eben ihn selbst
bitten,
und ihn
können sie nur bitten, wenn sie ihn gefunden haben.
selbst
Ist das
letztere nicht der Fall, so hilft auch das Gebet um den heiligen Der heilige Geist wird auf solche Weise nicht
Geist nichts.
kommen, wohl aber ein anderer Tröster, die Zeit, die das Außer ordentliche gemein macht, und schließlich das Ende eines solchen
Hinsterbens, der Tod. Dennoch ist es richtig, daß eine rettende Wahrheitsmacht
durch das Wort des Evangeliums wirkt und daß uns der heilige Geist dadurch verliehen wird.
Aber wir müssen bestimmter da
von reden können, wenn wir nicht fruchtlos reden sollen.
Der
heilige Geist — das ist für jeden ein leeres Wort, der nicht mit wachen Augen sieht und weiß, wie ihm selbst der heilige Geist Gottes gegeben wird.
Lassen wir also nicht bloß eine Lehre
aus unserm Gedächtnis durch
unsern Mund laufen, sondern
reden wir von dieser Sache wie Christen, die die Anfechtung kennen und die Erlösung. Evangeliums
ist Christus
Die Wahrheitsmacht im Wort des selbst;
und
der
heilige
Geist,
in
welchem wir Lebensgedanken fassen können, wird uns dadurch verliehen, daß Christus ein Element unseres inneren Lebens wird, wie die Überlieferung von ihm ein Element unseres äußeren Lebens bereits ist.
der Anfechtung
Wie geschieht das?
Einfach so, daß der in
kämpfende Mensch Jesum Christum als etwas
Herrmann, Offenbarung und Wunder.
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Der Begriff der Offenbarung
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Wirkliches wahrnimmt.
Unsere Not macht uns einsam, unsere
Sünde bereitet uns den Eindruck, daß wir von Gott verlassen sind.
Daraus erwächst dann der Wunsch und Gedanke deS
Toren, es sei kein Gott.
Sind wir in schwerem Unglück, so
wird dem Angefochtenen die ganze Welt zu einer Macht deS Unheils.
Sind wir in schwerer Gewissensnot, so wird unS
alles, was an und um uns ist, zur Sünde und zur Strafe für
die Sünden.
Christen bezeugen uns, in solcher Erfahrung könne
uns das Wunderbare und das Rettende an der Person Jesu
verständlich
werden.
Ihnen selbst sei die Erscheinung dieser
Person der einzige Bestandteil der wirllichen Welt, der sich
nicht in dieses trübe Einerlei hinabziehen läßt.
Jede andere
Tatsache, so ersteulich sie auch sonst sein möge, könne ihnen durch Sünde und Unglück so verdorben werden, daß sie an
fange, ihnen Gott zu verbergen.
Die Tatsache dagegen, daß
es so etwas gebe wie die Erscheinung Jesu, lasse sich nicht zu
einem solchen Mittel der Gottlosigkeit machen. Augen von ihm abwenden.
Man könne die
Aber wenn er dem Menschen so in
den Weg trete, daß er ihn sehen müsse, so sei nur ein Doppeltes
möglich.
Dem in der Sünde verhärteten Menschen, der cs gerne
sähe, wenn Gott nicht wäre, werde dadurch der Gedanke aufge drängt, es möchte doch wohl einen Gott geben, in welchem das
Gute Macht hat, und durch welchen das Böse gerichtet wird.
Dem Unglücklichen aber, der gern aus der Sünde heraus und im Guten selig wäre, trete in der Erscheinung Jesu der Gott
nahe, der sich seiner erbarmt.
Wenn uns das von Christus
gesagt wird, so werden wir zugeben müssen, daß ein Mensch, der das an Christus erlebt, ein Recht hat, von Gottes Offenbarung zu reden.
Dem Menschen, der in der Welt lebt, mögen über Gott
noch so schöne Dinge gesagt werden, — Gott bleibt ihm trotz
dem verborgen.
Denn wenn diese Lehren richtig sind, so sind
sie höchst wunderbar und allem entgegen, was der Mensch sonst mit seiner Vernunft als wirklich feststellt.
Der Mensch denkt
Der Begriff der Offenbarung
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daher im Stillen sicherlich von diesen Lehren, daß sie höchst
schwächlich und schlecht begründet sind.
Aber deshalb verspürt
er auch aus solchen Lehren nicht die Allmacht eines Gottes, der den Glauben in ihm schafft, sondern er vernimmt eben nur Lehren, die von ihm verlangen, daß er sie für wahr halten und etwas aus ihnen machen soll. In eine ganz andere Situation
werden wir dagegen versetzt, wenn wir in der Welt einer Tat sache begegnen, die wir wenigstens uns selbst als eine von uns
erfaßte Tatsache feststellen können, die aber auch ohne alle Lehre über sie durch die bloße Macht ihres Inhaltes uns zu der Ge wißheit bringt, daß es einen Gott gibt, und daß dieser Gott in ihr sich uns zuwendet.
In den christlichen Lehren erhebt sich
sicherlich nur derjenige Mensch zu Gott, der sie als Wahrheit
denken kann.
Aber er kann sich erst dann so zu Gott erheben,
wenn Gott ihn gefunden und sich ihm offenbart hat.
Und das
tut Gott nach dem Zeugnis von Christen durch die Erscheinung Jesu, die als ein in der Welt wirkliches Fattnm uns berühren
kann, sei es durch die Evangelien, sei es durch das christliche
Leben erlöster Menschen um uns her.
Wie wird uns nun die Person Jesu zu einer von uns selbst erfaßten Tatsache, und was ist an dem Inhalt dieser Tat sache das, das den Zweifel überwinden, die Gewißheit begründen
und dadurch uns Gott offenbaren kann.
Auf diese Frage kann
man eine erschöpfende Antwort nicht geben, und wenn man noch so viele Worte machte. Aber dennoch läßt sich mit wenigen
Worten ganz genau sagen, wodurch uns Jesus die Offenbarung Gottes wird.
Er wird dies durch alles das, wodurch er uns
nötigt, ihm zu vertrauen. Wenn sonst ein Mensch uns Ver trauen abgewinnt, so machen wir auch die Erfahrung, daß der
unmittelbare Eindruck seiner Person uns viel reicher vorkommt als alles, was wir etwa zur Rechtfertigung unseres Vertrauens anderen sagen könnten. So ist es auch mit Jesus Christus. Viel reicher als alles, was wir uns in bestimmten Vorstellungen
als Gründe unseres Vertrauens zu ihm vergegenwärtigen mögen, 2*
Der Begriff der Offenbarung
20
bleibt der Inhalt des Bildes, das in den von ihm ergriffenen
Menschen entstand und das wir uns immer neu im Verkehr mit Christen alter und neuer Zeit aus ihrer heiligen Über lieferung und aus dem Zeugnis ihres Lebens gewinnen müssen.
Ob dieses Bild Jesu der Ausdruck einer unvergleichlichen Wirk
lichkeit oder ein Gebilde der Legende sei,
historische Forschung ausmachen.
uns keine
kann
Wenn
wir uns aber
innerlich soweit sammeln können, daß wir von der Frage nicht mehr loskommen, ob wir nicht etwas finden können, dem wir
uns in freier Hingabe ganz unterworfen wissen,
wenn also
die Frage nach Gott eine uns bezwingende Notwendigkeit ge
worden ist, so wird es uns möglich, in diesem Bilde Jesu die
Offenbarung einer uns erlösenden Wirklichkeit zu sehen.
Wir
müssen dann nur darauf achten, daß uns in diesem Bilde mit erschütternder Anschaulichkeit eine geistige Macht erscheint, der wir uns in reinem Vertrauen hingeben müssen.
Dann kann
uns auch das nicht verborgen bleiben, was aus diesem Bilde Jesu vertrauenerweckend und dadurch befreiend auf uns wirkt.
Alles das läßt sich auf zwei Züge an dem überlieferten Bilde Jesu zurückführcn.
Jesus enthüllt uns das Gute und
macht den Anspruch, daß er das Gute in der Welt wirklich
mache, das ist das Eine.
Das Zweite ist dies; er lebt in un
getrübter Zuversicht zu der Liebe eines Gottes, den er als die
heilige Macht des Guten erkannt hat. eine einfache Folgerung
Aus beiden ergibt sich
Das Gewissen ist bekanntlich um so
reizbarer, je mehr der Mensch den Ernst und den Umfang der sittlichen Forderung erfahren hat.
Wie empfindlich für das
Schlechte muß also die Seele gewesen sein, der zum ersten Male das Gute in seinem vollen Glanze erschienen ist, und die nun
den ungeheuren Gedanken auf sich genommen hat, daß von ihrer Existenz und Wirklichkeit die Verwirklichung des Guten in der
Welt abhänge. von
Schuld,
Trotzdem fällt auf diese Seele kein Schatten keine
Erinnerung
an
ein Vergehen
stellt sich
zwischen Jesus und seinen Gott, den er doch als die verzehrende
Der Begriff der Offenbarung
Allmacht des Guten
21
Das schließen wir
kennen gelernt hat.
nicht etwa aus einzelnen Worten Jesu, in denen er seine SündWir entnehmen es auch nicht nur daraus,
losigkeit bezeugt.
daß es allem Eifer des Hasses nicht gelungen ist, an dem Bilde seines Lebens die Spur einer sittlichen Verfehlung aufzufinden. Wir entnehmen vielmehr das Zeugnis dafür der Erinnerung,
die seine Jünger von dem letzten Zusammensein mit ihm be halten haben.
Jesus hat danach die Kraft gehabt, angesichts
seines Todes, also in den Momenten, wo das Gewissen uner bittlich die Summe des Lebens zieht, etwas auszusprechen, was
niemand sagen kann, der sich selbst von einer Schnld bedrückt weiß.
Er hat danach gesagt, daß alle in der Erinnerung an
ihn vereinigten
Menschen in dem Rückblick aus seine Person
die Erkenntnis finden würden, daß durch seinen Tod ihnen der neue Bund der Gnade und Vergebung beschafft sei.
höchsten Klarheit
der
sittlichen Erkenntnis
Aus der
heraus konnte so
nur ein Mann sprechen, der wirklich niemals unter der Last dessen, was er sich zutraute und von sich forderte, zusammen
gebrochen war. In solcher Weise läßt sich alles dasjenige an dem über
lieferten Bilde Jesu zusammenfassen, was auf uns als etwas Wirkliches dann zu wirken vermag, wenn wir an das Lebens zeugnis von Christen, mit der in uns selbst erwachten Lebens
frage herantreten, ob wir nicht auch einmal etwas finden können,
dein wir uns ohne allen inneren Widerstand zu unterwerfen
vermöchten.
Tun wir das, so bedürfen wir keiner Anstrengung
des Fürwahrhaltens, um das in diesem Bilde uns Bezeugte als etwas geschichtlich Wirkliches aufzufassen.
Wir bedürfen auch
keiner apologetischen Künste, um das, was uns in solcher Weise zur Tatsache wird, gegen den Zweifel zu schützen.
Sondern
hier handelt es sich dann einfach darum, ob wir an dem vorüber gehen wollen, was uns eine überwältigende Wirklichkeit wird,
oder ob wir vor ihm stehen bleiben wollen. Denn an diesem von uns selbst in der Überlieferung seiner Gemeinde erfaßten
Der Begriff der Offenbarung
22
geistigen Bilde Jesu erleben wir in immer neuen überraschenden
Offenbarungen die Berührung der einzigen Macht, die wir Gott
nennen können, weil sie allein uns selbst im Innersten bezwingt. Diese von uns selbst erlebte Gewalt des geistigen Bildes Jesu
enffcheidet darüber, daß er uns die Offenbarung Gottes wird und macht uns die Vorstellung unmöglich, daß wir in diesem Bilde ein Erzeugnis menschlicher Phantasie
vor
uns haben.
Durch die Gewalt seines Inhalts wird es dem davon ergriffenen
Menschen der Ausdruck einer wunderbaren Wirklichkeit. danach
können die Bemühungen historischer Beweise
dieser Sache etwas helfen.
Erst
uns
in
Wer auf sie seine religiöse Zuver
sicht gründen wollte, würde bald erfahren müssen, daß sie ihn mehr beunruhigen als aufrichten.
Die lebendige Religion wur
zelt ganz und gar in dem, was der Fromme selbst erlebt.
Und Gott sei Dank, daß es so ist.
Denn eine Offen
barung, die uns retten soll, darf nicht erst durch unsere An-
sttengungen uns als eine Tatsache festgestellt werden.
Wenn
wir nun aber vor der uns so offenbar gewordenen Wirklichkeit der Person Jesu stehen bleiben, was haben wir davon?
Wir
haben davon, daß wir ihn entweder hassen müssen, weil er die
Macht, welche der Sünde tödlich feind ist, über den Horizont der Menschheit heraufführt; oder wir müssen ihn lieben und ihm
verttauen.
Und wenn wir das Vertrauen zu ihm fassen, daß
er wohl Recht behalten möchte, so fängt in uns der Glaube an
sich zu regen, der die Lebensgedanken Gottes denken kann, weil die Gewalt Christi, der dies Verttauen uns abgewinnt, in ihm
wirffam ist.
An die ihm offenbar gewordene Wirklichkeit Jesu
knüpft sich für den Menschen, der ihm vertraut, die Wirklich
keit einer Macht über alle Dinge, die dafür sorgt, daß er mit seiner Sache
zum Siege kommt.
Das ist
anderes als der Gedanke unseres Gottes.
wiederum nichts
Die geistige Macht,
die uns durch das in seiner Gemeinde lebende Bild Jesu be rührt, und die Macht, die wir uns in dem Siege seines Werkes
vorstellen, ist der Gott, auf den wir hoffen.
In solcher Weise
Der Begriff der Offenbarung
23
wird für den Christen die Gewißheit von Gott begründet und getragen durch Jesus Christus. Und diese Gewißheit wird uns
zu einer Erlösung, indem wir aus das Kreuz Jesu blicken und
uns klarmachen, daß Jesus in seinem Kreuzestode sein ganzes
Leben zu einem Zeugnis dafür zusammengefaßt hat, er habe von uns Sündern nicht lassen wollen. So
Gottes.
wird
uns Jesus
zu
einer erlösenden
Offenbarung
Sein Dasein in unserer Welt wird uns als die Tat
sache verständlich, in welcher Gott selbst sich uns zuwendet.
Diese Offenbarung Gottes macht uns zu neuen Menschen.
Denn
dadurch sind wir neue Menschen, daß wir eine Macht kennen,
die uns in die Gegenwart Gottes stellt und uns emporhält, wenn Not und Sünde uns ins Bodenlose hinabziehen wollen.
Wenn wir diese Erfahrung an Christus machen, so nehmen wir uns nun nicht mehr vor, irgendwelche Lehren über Gott und gött
liche Dinge für wahr zu halten.
Wir haben vielmehr nun die
Fähigkeit und die Nötigung empfangen, die Wirklichkeit eines Gottes, dessen lebenweckende Liebe wir bereits erfahren haben, als Wahrheit zu denken.
Wir sind nun auch imstande, unseren Brü
dern Zeugnis zu geben von einer Wirklichkeit, die uns glücklich
und freimacht, nicht bloß von Lehren, die wir mit Schristbeweisen und Vernunftbeweisen mühsam unterstützen. Endlich ist dadurch
das in uns geschaffen, woraus allein wahrhafttge Liebe kommen kann.
Denn es ist nun ein Grund zur Freude in uns gelegt,
der uns wohl einmal verdunkelt, aber nicht entrissen werden kann, weil Christus fest und sicher in unserer Welt steht.
Der
Gedanke daran bildet aber den Lebensnerv der unzerstörbaren
und unerschöpflichen Freude, die allein uns innerlich zu wahr haftiger Liebe freimacht.
Der unglückliche in Trauer gebundene
Mensch kann nicht lieben, sondern nur der glückliche und freie. Und dieses befreiende Glück wird dem Menschen geschenkt, wenn er durch alles, was sich ihm als Überlieferung aufdrängt, sich
endlich dahin durchgerungen hat, daß er in Jesus Christus eine
Tatsache seiner eignen Wirklichkeit erkennt und sie deshalb auf
24
Ter Begriff der Offenbarung
sich wirken läßt, weil er in ihr das Eine findet, um dessen
willen er alles Andere fahren lassen kann.
Die durch die Bemühungen der kirchlichen Presse geschaffene Sprachverwirrung eröffnet mir die ziemlich sichere Aussicht, daß den obigen Ausführungen entgegengehalten wird, das sei Mysti
zismus, oder auch ein ganz unberechtigtes Zutrauen zu der Möglichkeit, in dem Inhalt der Überlieferung etwas zu entdecken,
was uns eigenes Erlebnis werden könne. Mit solchen Anklagen möchte ich es so machen, wie es Luther den Teufeln gegenüber anrät: ich will sie fröhlich verachten, als wären sie nichts.
Denn
sie sind entweder Zeugnisse gewohnheitsmäßiger Unwahrhastigkeit oder eines Unverstandes in theologischen Dingen, mit dem eine Diskussion zu führen ganz unfruchtbar und überflüssig wäre.
Anders verhält es sich mit einem Einwurf, welcher mir
von sehr beachtenswerter Seite gemacht wurde.
Luthardt hat
mir vorgehalten, eine solche Auffassung der Offenbarung und
des Glaubens bezeichne einen elementaren Standpunkt, den zwar die Jünger in ihren Anfängen eingenommen hätten, den aber
die Kirche längst überwunden habe.
Wer in dieser Kirche lehren
wolle, der müsse imstande sein, einen höheren Standpunkt ein zunehmen. Er müsse die in der Schristoffenbarung vorliegenden Lehren als Offenbarung hinnehmcn und in der Kirche vertreten. Diesen Einwand Luthardts habe ich gern gehört, denn er hebt
doch wenigstens, wenn auch als einen Fehler, das hervor, worauf es mir vor allem ankommt. Denn nach meiner Meinung braucht die christliche Kirche nicht solche Lehrer, die hohe Lehren aus der Überlieferung aufnehmen und sich dann berufsmäßig
bemühen, denselben ihre Vernunftbeweise anzuhängen. Die Kirche Christi braucht vielmehr solche Lehrer, welche wissen und zeigen können, was wahrhaftiger von Gott erweckter Glaube ist.
Das
können sie aber nur, wenn sie fähig und bereit sind, die Offen
barung Gottes als eine in unsrer eignen Wirklichkeit stehende Tat-
Der Begriff der Offenbarung
25
fache von einer Überlieferung von Lehren und Berichten zu unter scheiden.
Wenn das von Luthardt verteidigte Verfahren so, wie
es jetzt leider immer noch geschieht, fortgesetzt wird, so werden notwendig der Gemeinde unerträgliche Lasten aufgehalst, und eS wird ein Glaube gepflegt, der freilich vielen leicht, aber allen verderblich ist. Denn Lehren für wahr halten wollen, die man
doch noch nicht als Wahrheit denken kann, ein solches Vor nehmen muß den Willen zur Wahrheit lähmen, ohne den kein
Mensch den Weg zu Gott findet.
Die Predigt, die zu jener
Praxis anleitet in der Meinung, dadurch den Menschen das Heil zu bringen, würde noch viel heilloser wirken, wenn nicht durch die Schriftlehren, die sie mißbraucht, manchem das sichtbar
werden könnte, was er selbst als den Grund seines Heils erleben
kann.
Der Kirche ist cs sehr nötig, daß alle, die in ihr lehren
wollen, fähig und bereit sind, sich immer wieder auf den „elemen taren" Standpunkt des anfangenden Glaubens zu stellen.
Denn,
wenn es wahr ist, daß wir täglich erneuert werden, so soll der Glaube wohl täglich in uns anfangen. Dann muß uns aber in immer neuer Anwendung verständlich gemacht werden, wie wir nach dem Erlebnis der Tatsache suchen sollen, daß ein Gott sich unser annimmt, der Sünde vergibt.
Dazu bedarf es freilich für die Kirche im ganzen einer wissenschaftlichen Arbeit, welche den Theologen im Stile Luthardts erspart bleibt, einer historischen und einer philosophischen,
die sich nicht durch kirchliche Wünsche ihre Richtung geben läßt, sondern ihren eigenen Gesetzen treu, also bei der Wahrheit bleiben will. Einer solchen Wissenschaft wird freilich die Kirche nur dann Raum lassen können, wenn sie endlich einsieht, daß reli
giöser Glaube niemals in wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern immer nur in den Erlebnissen einzelner Menschen wurzeln kann. Dem einzelnen Pfarrer aber wird auch eine schwere
Aufgabe gestellt, wenn er immer wieder zeigen soll, wie Gott aus den Nöten des innern Lebens den Glauben machen kann, und
wie
dann
solcher Glaube, der nichts
anderes
ist
als
26
Der Begriff der Offenbarung,
eine Regung des Geistes Gottes, in den christtichen Lehren, die
in früheren Zeiten der Kirche erzeugt sind, Lebensgedanken des Erlösten spüren kann.
Das ist schwerer, als wenn man diese
Lehren selbst mit einiger Gefühlswärme vorträgt und durch den
kräftigen Ausdruck der eigenen Erregung die Zuhörer zu einer wertlosen Zusttmmung zu bewegen
sucht.
Aber der Umstand,
daß diese Praxis bequemer ist, wird doch schließlich diejenigen, die es mit der evangelischen Kirche ernst meinen, nicht abhalten
können, das andere Verfahren in ernstliche Erwägung zu ziehen.
Der Christ und das Wunder Vortrag
gehalten auf der theologischen Konferenz zu Gießen am 18. Juni 1908
Dieses Thema hat nicht nur deshalb ein neues Interesse
in der evangelischen Kirche gewonnen, weil viele an das Wunder mit banger Sorge denken, und weil es Pflicht der Theologie ist, uns diesem Gedanken gegenüber ein gutes Gewissen zu er
kämpfen.
Zur Behandlung des Themas fordert auch die Tat
sache auf, daß in der neuesten Zeit eine Behandlung des Wun
derproblems sich zu verbreiten beginnt, die große Erfolge verspricht. Uns liegt in dieser Beziehung besonders nahe die Ausführung über das Wunder in Stanges Schrift „Das Frömmigkeitsideal
der modernen Theologie" 1907.
Stange sieht hier in dem Bestreben, den Wunderbegriff zu eliminieren, einen der Hauptzüge der mobcmen liberalen Theo logie.
Daß zahlreiche Erscheinungen
läßt sich nicht bestreiten.
dieses Urteil
bestätigen,
Wie mir scheint, liegt die Tatsache
schon darin vor, daß Theologen, die Stange als liberal klassi fizieren wird, in der Regel überhaupt keine Neigung haben, auf
den Wunderbegriff ernstlich einzugehen.
Dem gegenüber ist eS
durchaus am Platze, den Schein zu bekämpfen,
als ob der
Wundergedanke zu den Pudenda der Religion gehöre, wovon man möglichst wenig sprechen müsse.
Stanges Absicht, daS
Wunder als ein Hauptstück des christlichen Glaubens zu ver treten, billige ich durchaus.
Natürlich hat er auch darin recht,
daß man den Unterschied zwischen dem Wunder, wie es die
heidnische Frömmigkeit kennzeichnet, und den Wundern, an denen
der christliche Glaube sich nährt, beachten muß.
Aber gerade an
diesem wichtigen Punkte scheint mir Stange seine Ausführungen
29
Der Christ und das Wunder
in einen Rahmen gespannt zu haben, der für die Bedeutung
des Wundergedankens zu eng sein möchte.
Wir hören von ihm, in der heidnischen Frömmigkeit komme die irrationale Tatsache des Wunders lediglich als ein Hinweis auf das Wirksamwerden der göttlichen Kausalität in Betracht, nach der biblischen Auffassllng
dagegen
sei die Tatsache des
Wunders immer zugleich ein Maßstab für die besondere Art
des göttlichen Wirkens.
Für die biblische Religion sei es charak
teristisch, daß sie den Gott der Wunder nicht bloß in vereinzelten außergewöhnlichen Begebenheiten des geschichtlichen Lebens er
kennt, daß vielmehr die Werke seiner Schöpfung insgesamt als
Tat seiner Wundermacht verstanden werden.
Daher brauche hier
die Frage gar nicht zu entstehen, wie es möglich sei, daß in dem Zusammenhang des natürlichen Geschehens in einzelnen Aus nahmefällen die für alles Geschehen geltenden Regeln aufgehoben werden.
Es erinnere vielmehr an die heidnische Weltanschauung,
wenn das Wesen des Wunders in der Durchbrechung des natür
lichen Kausalzusammenhanges gesehen werde.
Denn nach der
heidnischen Auffassung bilde das göttliche Wirken in der Welt eine besondere Sphäre neben dem natürlichen Weltgeschehen.
Die
Schranke der heidnischen Religion trete darin zutage, daß die
religiöse Stimmung immer nur im Hinblick auf einzelne Momente der sinnlichen Erfahrung zustande kommt, während im übrigen
das Bewußtsein von der Welt gegenüber dem religiösen Bewußt sein sich indifferent verhält.
Grade auf heidnischem Boden ent
stehe daher die Nötigung, dasjenige Geschehen in der Welt, durch
das die religiöse Vorstellung geweckt wird, von allem Geschehen zu unterscheiden.
andern
Das könne natürlich nur durch die
Negation der für die gewöhnliche Erfahrung geltenden Regeln erreicht werden. Die Spitze dieser Ausführungen ist offenbar gegen die Vor
stellung gerichtet, daß im Wunder eine Durchbrechung des Natur
zusammenhanges vorliege.
Um diese Vorstellung abstoßen zu
können, benutzt Stange dasselbe Mittel wie Ritschl, er beruft
Der Christ und da» Wunder
30
sich darauf, daß in der heilige« Schrift die ganze Schöpfung Gottes als ein Wunder gewürdigt werde. Aber Stange bestreitet nun nicht nur, wie Ritschl, daß die biblische Vorstellung vom
Wunder sich mit dem Gedanken des Naturgesetzes nicht vertrage, sondern zieht daraus noch eine viel weiter greifende Folgerung.
Er spricht den zunächst verblüffendm Satz auS: „Für die bi blische Auffassung dagegen hat daS Wunder nicht die Bedeutung,
die Gewißheit von der Existenz Gottes zu begründen" (S. 10).
Es scheint schwer zu versteh«, was denn sonst dem in der Welt lebenden Menschen die Gewißheit von der Wirklichkeit Gottes begründen könne, wenn nicht das Wunder.
noch einen Schritt weiter.
Aber Stange geht
Er bestreitet sogar, daß in der bi
blischen Religion überhaupt einzelne Momente der sinnlichen Er
fahrung eS seien, worin die Überzeugung von der Wirllichkett des Göttlichen gegründet sei.
Damtt wäre also nicht nur daS
Wunder als Grund des Glaubens beseitigt,
sondern auch die
besondere, d. h. an einzelne empirische Fakta geknüpfte Offen barung. Es ist nun sehr interessant, zu sehen, was Stange dazu bewegt, der biblischen Frömmigkeit eine Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes zuzuttauen, die sich nicht auf Wunder und überhaupt nicht auf besondere Tatsachen gründet, in denen Gott
wirffam hervortritt.
Er sagt: „Der typische Vorzug der bi
blischen Frömmigkeit macht sich vielmehr darin bemerkbar, daß die religiöse Gewißheit als ein beständiges Begleitmoment des empirischen Bewußtseins auftritt."
Während daher die heidnische
Frömmigkeit allerdings zu einem Konflikt des religiösen Bewußt
seins mit dem empirischen Bewußtsein von der Welt führe, der sich eben in dem heidnischen Wunderbegriff ausspreche,
das von der
Mischen Frömmigkeit nicht zu erwarten.
so
sei
Hi«
habe daher auch der Wunderbegriff eine and«e, freilich auch fundamentale Bedeutung, er spreche aus, daß Gott der lebendige
ist.
An diesen sehr wichtigen Gedanken knüpft nun Stange
seine Begründung dessen, was er als einen Grundzug b« biblischen
Der Christ und daS Wunder
Frömmigkeit bemerkt zu haben meint.
Schranke an dem,
31
„Alles Leben findet seine
was nicht seine eigene Tat ist."
„Wenn
also Gott int vollsten Sinne der Lebendige ist, so muß alles
Geschehen in der Welt in uns den Eindruck erwecken, daß in ihm Gottes gegenwärtiger Wille sich als wirksam erweist."
Also die biblische Frömmigkeit sieht nach dieser Auffassung in jedem taffächlich sich vollziehenden Ereignis ein Wunder. Und
da sie sich in dem gegenwärtig lebendigen Christentum fortsetzt, so soll es mit der christlichen Frömmigkeit ebenso stehen.
Aber
ich denke, eine Religion, die wirllich diese Art hätte, wäre kampf
lose Zuversicht.
Daß die biblische Frömmigkeit das nicht ist,
bedarf wohl keines Beweises, das kann jedem schon die bloße Erinnerung an den Psalter zeigen. und abwogt.
Sie ist ein Leben, das auf-
Ihre sittliche Art verstattet ihr kein Ausruhen,
das Sttllstand oder ein einfaches Sich-ausleben wäre.
Deshalb
muß sie sich auch den Gedanken, in dem ihr Leben sich aus spricht, den Gedanken des gegenwärttg in dem wirklichen wirken
den Gottes, immer neu erkämpfen.
Das ist diesen Frommen
aber deshalb möglich, weil sie ihr Auge für die Ereignisse öffnen
können, in denen ihnen das Wirken Gottes sichtbar wird.
Nach
Stanges Worten ist es so, daß wir in Ereignissen Wundertaten Gottes sehen, weil uns Gott der Lebendige ist.
wird das leugnen wollen.
Keiner von uns
Aber vollständig können wir darin
die Bedeutung des Wunders nicht bezeichnet finden. Wir erleben
frellich Wunder, weil wir an Gott glauben; aber nur dadurch, daß wir Wunder erleben, können wir an Gott glauben.
Diese
Bedeutung des Wunders, den Glauben zu begründen, kommt also in Stanges Darstellung nicht zu ihrem Recht.
Ebenso
wenig kann ich es billigen, wenn der Gegensatz des Wunders zu der Gesetzmäßigkeit des Geschehens bestritten wird.
Der Wunder
glaube auch der christlichen Gemeinde bewegt sich ohne Zweifel
im allgemeinen in der Vorstellung, daß in der Welt, in der sie lebt, Dinge geschehen können und geschehen, die nicht gesetzmäßig sind.
Darin möchte wohl etwas Richtiges liegen.
Es scheint
Der Christ und das Wunder
32
mir unvorsichtig, wenn Stange diese Vorstellung, die für jeden
wundergläubigen Christen einfach selbstverständlich ist, heidnisch
nennt. Von diesem Versuch Stanges, den religiösen Wunderge
danken über den Konflikt mit der wissenschaftlichen Erkenntnis des Wirllichen zu erheben, unterscheidet sich sehr vorteilhaft die
Haltung R. Rothes, des stärksten Apologeten des Wunders int vorigen Jahrhundert.
Er bewahrt sich bei seiner Verteidigung
des Wunders die volle Aufrichtigkeit des religiösen Denkens, die
unerschrocken sehen läßt, daß mit dem Gedanken des Wunders
etwas gemeint ist, was nur in irrationalen Vorstellungen aus gedrückt werden kann.
Hieriit hat Rothe seine theologische Um
gebung weithin überragt, auch die Orthodoxie und Schleier
macher miteingeschlossen.
Mit Thomas von Aquino hatten
auch unsere Orthodoxen unter dem Wunder einen Vorgang ver
standen, der innerhalb der Natur auftritt, aber durch natürliche Kräfte nicht vermittelt ist.
Darin schien das Eingeständnis ge
macht zu werden, daß die Religion in dem Wunder eine Wirk lichkeit behauptet, die der Eingliederung in ein rational faßbares
Weltbild widerstrebt.
Aber wie der große Scholastiker, so haben
auch unsere Orthodoxen sich voit dem Druck des Irrationalen
durch ein sehr einfaches Mittel zu befreien gewußt.
Sie behan
delten die Wirklichkeit des lebendigen Gottes als eine beweisbare Tatsache, also als etwas Rationales.
Dann war es leicht, zu
argumentieren, daß Gott als die prima causa an die Mithilfe der causae secundae in seinem Tun nicht gebunden sei.
Da
mit hat man die Vorstellung eines begreiflichen Wunders erreicht:
es ist aus dem Verhältnis Gottes zur Welt begreiflich geworden.
An diesem alten Bestandstück der christlichen Dogmatik hat man oft getadelt, daß dabei dem Theologen das Verständnis
für den unantastbaren Gedanken der Natur verloren gehen müsse. Darauf kommt auch Schleiermachers Kritik im ersten Bande der Glaubenslehre hinaus (vergl. § 47), obgleich auch hier, wie
so ost die glänzendsten Einsichten mit seinen Irrtümern ver-
Der Christ und das Wunder
bunden sind.
Aber wenn die Dogmatik mit ihrem Wunder
gedanken in Konflikt
so
33
kommt
mit
dem Gedanken der Natur,
wäre das, falls in der Dogmatik die Religion zu Worte
kommen darf, durchaus kein Fehler.
Sondern ein Fehler, näm
lich eine Unklarheit liegt gerade dann vor, wenn in der Dog matik mit dem Wundergedanken etwas angestellt wird, was darauf hinauskommt, seine Kollision mit dem Gedanken der Natur zu
verhüllen.
Denn von der Religion selbst ist ohne Zweifel der
Wundergedanke so gemeint, daß er aussprechen soll, die Natur sei nicht das Ganze der dem Menschen erfahrbaren Wirllichkeit.
Die Natur im Sinne der Naturwissenschaft bedeutet aber den
gesetzmäßigen Zusammenhang des nachweisbar Wirklichen über haupt.
Wer also aus der Religion heraus den Mut faßt, von
einer Erfahrung des Wunders zu reden, müßte sich auch einge
stehen, daß er etwas als wirklich vorstellt, was mit den Erkennt nismitteln der Wissenschaft nicht erfaßt werden und zur Natur
nicht gehören kann.
Trotzdem wird aus verschiedenen Gründen
in Abrede gestellt, daß dieser Gedanke des Wunders, das der Fromme zu erfahren behauptet, dem Gedanken der Natur wider streite, der schließlich für jeden Menschen unabweisbar ist.
Schleiermacher und viele andere meinen, es sei sehr wohl
möglich, einen Vorgang als ein Wunder Gottes zu denken und
ihn zugleich als ein Glied in dem gesetzmäßigen Zusammenhang
der Natur zu denken.
Ich will nicht verschweigen, daß ich dieser
Auffassung früher auch gefolgt bin.
Jetzt rechne ich sie zu den
in der Dogmatik beliebten Mitteln, sich die Härte des religiösen
Gedankens zu verschleiern.
gung genötigt.
Dazu hat mich die folgende Erwä
Sowie man sich vergegenwärttgt, daß der Fromme,
der von der Erfahrung eines Wunders redet, dieses Wunder sowohl wie seine eigene davon getroffene Existenz in die Natur
miteinrechnet, muß man auch einräumen, daß er von einem Bestandteil der Natur etwas aussagt, was dem Begriff der
Natur widerspricht.
Er denkt das nicht Gesetzmäßige als dem
gesetzmäßigen Zusammenhänge des Wirklichen angehörig, oder Herrmann, Offenbarung und Wunder.
3
Der Christ und das Wunder
34
vielmehr er sagt etwas, was überhaupt nicht gedacht werden Der Konflikt des Wunders mit dem Gedanken der Natur
kann.
wird vielen solange nicht bemerklich werden, als sie von Wun
dern im allgemeinen reden. zwischen
Dagegen
muß der Widerspruch
beiden Gedanken jedem sofort fühlbar werden, sobald
er das Wunder als mit seiner eigenen Existenz verknüpft denkt.
Das hat aber Jesus seinen Jüngern zugemutet.
Er hat zwar
nie von ihnen verlangt, daß sie ihre Jüngerschaft darin betätigen sollten, von andern erzählte Wunder zu glauben, aber er hat
von ihnen crtocirtet, daß sie Wunder erleben und daß sie Wun der tun. Wunder sollen wir erleben in der Erhörung unserer Sitten.
Zum christlichen Glauben gehört nicht nur die Zuversicht, daß Gott uns erhört, sondern er ist selbst nichts anderes wie diese
Zuversicht.
Alles, was zu ihm gehören soll, muß sich als ein
Moment in diesem Vorgang des Gebetes und seiner Erhörung
verstehen lassen.
Die Erinnerung daran kann in der christlichen
Gemeinde wie ein eiserner Besen wirken, der aus dem Heiligtum hinausfegt, was nicht die Art der Religion, sondern des Ge schäfts hat.
Dann freilich darf vor allem das seiner Erhörung
gewisse Gebet des Christen selbst nicht die Art des Geschäfts tragen. Trotz aller irdischen Ängste muß es ein Suchen Gottes sein.
Aber ist es das in Wahrheit, so sucht in ihnen der Mensch
mit allen Nöten, die sein Dasein mit der Natur verflechten, die
Rettung in dem Zutrauen, daß Gott ihn hört.
Gebet
Dieses rechte
liegt nun bereits ohne Worte in dem Glauben, daß
Gottes Güte und Weisheit in unseren Lebensführungen wirkt. Aber wenn ein Christ" der Erhörung seines Gebetes gewiß wird,
so wird in diesem Erlebnis der Gedanke der Natur aufgelöst,
in dem er sich sonst bewegt.
Jedem Menschen also, der von
dem auf ihn wirkenden Gott redet, können wir zumuten, daß er Ereignisse als wirklich anerkennen wird, die für ihn supra
et contra naturam sind.
Denn so
wird ein Mensch alles
nennen müssen, was er in dem Bereich der Natur für wirklich
Der Christ und das Wunder
35
hält, aber doch nicht in dem Zusammenhang der Dinge begründet
denken oder aus der Gesetzmäßigkeit des Geschehens verstehen Ohne Zweifel stehen wir so zu jedem Ereignis, worin
will. sich
uns das Wirken
Gottes
auf uns selbst enthüllt.
Wir
wollen dabei einen Vorgang, der als in Raum und Zeit sich
vollziehend der Natur angehört, doch nicht der Natur angehörig
nennen.
Die alte Theologie hat daher, sofern sie das mit der
Formel supra et contra naturam sagen wollte, eine erfreuliche
Aufrichtigkeit bewiesen.
Die moderne Theologie dagegen, die
dieser Formel ausweichen
will, bringt sich in den Verdacht,
daß sie nicht merken lassen möchte, was sie für wirklich hält. Wunder, die in solcher Weise tatsächlich
für uns supra et
contra naturam sind, sehen wir, falls wir an Gott glauben können, in unserer Vergangenheit.
Denn wir haben dann ohne
Zweifel Ereignisse vor Augen, in denen Gott sich uns offen
barte und uns dadurch einen neuen Lebensanfang gab.
Darin
sehen wir also eine Wirklichkeit, die uns in dem Geschehen ver sagt blieb, das wir durch den Gedanken der Natur geistig be wältigen sollen.
Und solche Wunder sehen wir auch in unserer
Zukunft Heraufziehen.
Denn wenn wir auf Gott vertrauen, so
erwarten wir in dem, was geschehen wird, nicht bloß ein Weiter wirken dessen, in das wir uns ergeben müssen.
Wir sind dann
vielmehr davon überzeugt, daß Gott uns neue Wege in die
Zukunft öffnet, und hören seinen Zukunft zu gestalten.
Ruf, uns selbst eine neue
Wer also an Gott glaubt, ist in der
Regung seines Glaubens davon überzeugt, daß er Dinge er lebt und Dinge vollbringen kann, die durch die Natur nicht möglich sind.
Diese Denkweise geht aus der Gewißheit hervor,
daß Gott sich uns offenbart.
Sie aufgeben, heißt also, die Re
ligion aufgeben.
Es ist daher eine Lebensfrage für die Religion, ob sie diese
Unterscheidung des Wunders von dem als natürlich verstandenen Geschehen behaupten kann.
Weise.
Sie kann es aber nur auf eine
Der Fromme muß die Kraft dazu immer von Neuem 3*
Der Christ und da- Wunder
36
auS der Wirklichkeit gewinnen, die ihm zur Offenbarung des auf ihn wirkenden Gottes wird.
Und das hat nun freilich die alte
Theologie sich noch nicht klar gemacht.
Sie hat gemeint, die
Vorstellung des Wunders, in der die erwachende Religion sich aussprechen will, durch eine Theorie sichern zu können.
nicht möglich.
Das ist
Die Scholastiker haben auch ebenso, wie vor
ihnen Augustin und nach ihnen unsere Orthodoxie, die Natur als etwas ihnen Gegebenes angesehen, während wir darin eine
Aufgabe sehen, an der unser Denken beständig arbeitet.
Sollen
wir es zu einer Erfahrung nachweisbarer Dinge bringen, so
müssen wir alles, was uns zur Empfindung kommt, durch den Gedanken der Gesetzmäßigkeit zu verknüpfen suchen, so daß daraus der Zusammenhang entsteht, den wir Natur nennen.
Die alte
Theologie brauchte sich darum noch nicht zu kümmern.
In
unserer Zeit dagegen verliert die Theologie die Fühlung mit den
geistigen Bedürfnissen der Menschen, wenn sie auf den so ge
faßten Gedanken der Natur keine Rücksicht nimmt.
Es ist ver
geblich, sich seiner Wucht durch die Bemerkung entziehen zu wollen, daß ja die Naturgesetze keineswegs wie ein unveränder liches Schicksal auf dem Geschehen lasten.
Die Naturgesetze, die
aus der Erfahrung gewonnen werden, sind freilich immer re
visionsbedürftig, denn die Erfahrung selbst ist niemals fertig. Aber das Naturgesetz oder der Gedanke des gesetzmäßigen Zu sammenhangs der Natur selbst, ist allerdings unserm Denken als
die ewige Voraussetzung aller Erfahrung in Raum und Zeit
klar geworden.
Das beweist das Vorhandensein der Wissenschaft
und unsere innere Verbindung mit ihr.
Keiner von uns wagt
sie zu verleugnen.
Der Christ selbst gebraucht notwendig diesen Gedanken der Natur, auch ohne daß er es weiß; denn alle unsere Arbeit ist
von der Voraussetzung getragen, daß die Dinge, die wir be
nutzen, in eine von unserm Denken beständig gesuchte, unver
brüchliche Ordnung gefaßt sind. keine Wunder.
In Geschäften statuiert man
Der einfache Entschluß zur Arbeit schließt den
Der Christ und das Wunder
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Gedanken ein, daß die Dinge, an denen wir arbeiten wollen, in ihrem Entstehen und Wirken einer Gesetzmäßigkeit gehorchen, deren unser Denken sich bemächtigen kann. Wir können aber nicht leugnen,
daß wir diesen Gedanken in dem Moment nicht mehr anwenden, wo der Glaube in uns auflebt, daß die von liebevoller Fürsorge erfüllte Macht Gottes uns die Wirllichkeit schafft, in der wir leben und wirken.
Beide Gedanken, den leitenden Gedanken
unserer Arbeit und den leitenden Gedanken unseres Glaubens, können wir nicht in einen zusammenfassen, so daß der eine durch
den andern sich fortsetzte.
Sondern indem der eine von beiden
in uns mächtig wird, tritt der andere zeitweilig zurück, um sofort wieder in alter Kraft sich zu melden, wenn für ihn der Moment
gekommen ist, der ihm gehört.
Dem Gedanken der Natur ge
hört der Moment der Arbeit oder der Hingabe an die Sache.
Dem Gedanken der göttlichen Fürsorge gehört der Moment der inneren Sammlung, in dem wir uns selbst von allen Objekten
unterscheiden und ein eigenes Leben gewinnen wollen.
Etwas
anderes als dieser Wechsel der Betrachtungsweise und der sie
leitenden Gedanken ist uns Menschen nicht möglich, falls wir nicht das eine von beiden aufgeben und damit entweder aus der
Welt der Religion oder aus der Welt der Arbeit ausscheiden wollen.
Im christlichen Leben bildet diese Notwendigkeit, zwischen dem Gedanken der göttlichen Fürsorge und dem Gedanken der
Natur oder des gesetzmäßigen Zusammenhangs des Geschehens
abzuwechseln, eine Quelle seiner Energie.
Sie erzeugt die innere
Spannung, oder das Irrationale, ohne das wir uns das Lebendige
überhaupt nicht vorstellen können.
Das Leben, das wir begriffen
zu haben meinen, ist für uns erloschen. Dagegen ist ein Geschehen, das wir noch nicht aus dem gesetzmäßigen Zusammenhang mit
seiner Umgebung verstanden haben, für uns noch nicht Arbeits
mittel geworden.
Der Gegensatz der beiden Betrachtungsweisen
wird uns erleichtert, weil uns vollkommen deutlich ist, wie ein
kräftig reges Lebensgefühl die Arbeit beflügelt, und wie auf der
Der Christ und daS Wunder
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andern Seite in der füllen Hingabe an die Sache oder in der
Arbeit unser Lebcnsgefühl genährt wird.
Die Lebensgedanken
und die Arbeitsgedanken lassen sich nicht zu einem gleichartigen Gedankengebilde in einem Systen verflechten.
Aber die Behaup
tung eines eigenen Lebens und die Arbeit, in der wir die durch
gängige Gesetzmäßigkeit alles Geschehens voraussetzen, sind aller dings
im Menschen miteinander verknüpft, solange er geistig
gesund ist
und nicht entweder in dem Eifer einer unklaren
Religion oder in dem Eifer einer ihre Schranken verkennenden Wissenschaft, die Pflicht des Menschen, sich auf sich selbst zu
besinnen, vergißt. Sich über jenen Charakter unseres eigenen Lebens hinweg
zusetzen, ist nun aber die philosophischen
Systematik.
alte Unart der
Das
können
theologischen und
wir
uns
an
der
Stellung illustrieren, die zwei so verschieden gerichtete Denker, wie Stange und Schleiermacher, zum Wunder einnehmen.
Stange meint, eine Kollision finde zwischen dem christlichen Wundergedanken und dem Gedanken der Natur deshalb nicht
statt, weil dem Christen Gott als der absolut Lebendige, oder als die wirkende Macht in allem Wirklichen gewiß ist.
Der Christ
kenne daher keine Natur, die das Wunder ausschlösse, in seinem Glauben an Gott sei der Gedanke einer solchen Natur vertilgt.
Das erweist sich in zwei Richtungen als ein Irrtum.
Erstens
ist dem Glauben der Gedanke der Wirklichkeit Gottes kein Axiom.
Das ist er dem Fanatismus, der das Herz verhärtet, aber nicht dem Glauben, in dem die Seele lebendig wird.
Damit ist na
türlich nicht etwa gesagt, daß dem Glauben der Gottesgedanke eine Hypothese sei.
Er gehört aber zu dem Lebenskampf, der
in uns beginnt, wenn wir zum Glauben erweckt werden.
Er
muß daher immer wieder gewonnen werden, indem wir in der uns gegebenen Wirklichkeit das Wunder aufleuchten sehen und uns zu Herzen nehmen.
Daß Stange das übersieht, hängt damit zusammen, daß er das Wunder nur als ein Kind des Glaubens kennt, und
Der Christ und das Wunder
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deshalb sich für berechtigt hält, den alten Gedanken, daß das
Erleben
des
Wunders
der Schöpfungsmoment des Glaubens
ist, dem Heidentum zu überweisen.
Wer ihm darin zustimmen
will (die sogenannte positive Presse hat offenbar daran keinen Anstoß genommen), setzt sich mit einer Überzeugung in Wider spruch, die keine theologische Theorie aus dem Leben der Re
ligion
vertilgen wird.
Denn
das Selbstbewußtsein
der Re
ligion gegenüber aller andern praktischen Zuversicht spricht sich eben
darin
aus, daß
sie
ihre
Erkenntnis
des Wunders begründet findet. sich
in
der
Tatsache
Das Wunder aber, in dem
uns Gott offenbart, durch das also uns die Wirklichkeit
selbst ein Lebendiges wird, tritt offenbar für unser Bewußtsein
in einen Gegensatz zu der Gesetzmäßigkeit des Geschehens, die,
soweit wir sie herrschen sehen, den Eindruck des Lebens uns hin wegnimmt.
Sind
wir
genötigt,
den
gegenwärtigen Moment
unseres Lebens als mit seiner zeitlichen und räumlichen Um
gebung verknüpft vorzustellen, und sehen wir zugleich, daß der so entstehende gesetzmäßige Zusammenhang des Geschehens sich
für unser Bewußtsein ins Grenzenlose ausbreitet, so enthüllt sich uns eine Tatsache,
die
es uns unmöglich macht,
diese selbe
Wirklichkeit als eine Macht zu denken, die auf die wechselnden Bedürfnisse unseres eigenen Lebens Rücksicht nimmt.
Zweitens wäre der Konflikt zwischen der religiösen Zuversicht
und dem Gedanken der Natur freilich aufgehoben, wenn es mög lich wäre, diesen Gedanken so beiseite zu schieben, wie Stange
cs darstellt.
Er meint nämlich, der als endlos vorgestellte gesetz
mäßige Zusammenhang des Geschehens sei nichts anderes als der
Ausdruck einer „modernen Weltanschauung", in der die Gottvcrlassenheit, die für das Heidentum an einzelnen Punkten bestehe, über das Ganze des Wirklichen ausgebreitet werde.
Ich denke
aber, damit erweist er den Christen einen schlechten Dienst.
Sie
hören es natürlich gern, daß ein Gedanke, der sie so schwer
bedrängt, als ein Wiedererwachen anzusehen sei.
heidnischer Weltanschauung
Dann hätte er ja nicht die Gewalt einer allgemein
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Der Christ und daS Wunder
gültigen Erkenntnis, sondern wäre der Ausdruck einer persön lichen Überzeugung, die obenein der Christ als eine minderwertige Religion geringschätzen dürfe.
Stange verleitet zu dieser Auf
fassung, die doch dem Christen nur eine kurze Erleichterung ver
schaffen kann.
Denn wenn er eine Weile mit Stange über
moderne Weltanschauung und Weltbeurteilung gescholten und
den Vorzug der biblischen Religion gegenüber der heidnischen Auffassung gerühmt hat, muß er ja doch bemerken, daß es sich
bei dem Gedanken der Natur gar nicht um so großartige Dinge wie Weltanschauung und Weltbeurteilung handelt, sondern um
ein Erkenntnismittel, das er selbst beständig bei der Feststellung
des Wirklichen gebraucht, an dem er arbeiten will.
Aber zugleich
bemerkt er, daß dem Gedanken der Natur in dieser bescheidenen Rolle ein Vorzug zukommt, den keine noch so erhabene Welt
anschauung für sich in Anspruch
nehmen kann.
Er hat die
Festigkeit und zwingende Kraft des Allgemeingültigen, denn ohne ihn kann man sich zwar alle möglichen Dinge als wirllich vor stellen, aber man kann ohne ihn kein einziges Ding als wirklich
nachweisen.
Dann sieht der Christ aber auch ein, daß der theo
logische Versuch, der seine religiöse Zuversicht gegen den Ge
danken der Natur zu schützen schien, daS nur erreichen konnte,
weil er der Gewalt, mit der der Glaube in ewigem Streit liegt, ihre Klarheit und Schärfe nahm.
Aber eine Theologie, deren
Bemühungen schließlich diesen Eindruck hinterlassen, erschüttert
den Glauben, den sie zu schützen vorgab. Zur Entschuldigung dient solchen und ähnlichen Versuchen wie auch dem von Beth (in der Schrift „Das Wunder, prinzipielle
Erörterung des Problems" 1908 S. 24 ff.) die Fehler, die auf
anderer Seite gemacht werden.
Ihnen steht nämlich gegenüber
der Versuch der viel bewunderten Spekulation Schleiermachers, die das Wirken Gottes grade als durch das gesetzmäßige Ge
schehen vermittelt begreifen will. Er meint, der Christ brauche
nicht daran zu denken, daß das Wirken Gottes, auf das er
vettraut,
jemals aus dem
gesetzmäßigen Zusammenhang
des
Der Christ und daS Wunder
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Geschehens heraustreten werde. Bei dieser Auffassung wird aller dings der wirkliche Inhalt der religiösen Zuversicht nicht deutlich
ausgesprochen. Glauben wir, daß Gott uns hört und uns aus unserer Not rettet, so sehen wir in dieser Fürsorge für den um sein Leben kämpfenden Menschen ohne Zweifel eine andere Macht als die Natur, die uns in hoffnungsloser Finsternis läßt. Die
Zuversicht, daß Gott ihm hilft, kann der Glaube nicht anders aussprechen, als in der Vorstellung, daß um seinetwillen ein
Wirken Gottes stattfindet, das wir von dem gesetzmäßigen Ge schehen der Natur unterscheiden.
Diese Vorstellung aber meinen
wir, wenn wir vom Wunder sprechen.
Ich wüßte nicht, warum
wir nicht, um das auszudrücken, die Worte Rothes gebrauchen sollten (Zur Dogmatik, 2. Ausl. 1869, S. 107): „Wenn Gott Wunder tut, so will er damit sagen, daß einer da ist, der kann,
was die geschöpfliche Natur, was überhaupt die Natur nicht kann; er tut im Wunder etwas über den Naturprozeß und die
Naturgesetze hinaus."
Damit wären wir aber wieder bei der
alten Vorstellung angclangt, daß das Wunder als ein supra
naturales Geschehen innerhalb der Natur anzusehen sei. Das ist aber auch unvermeidlich, solange uns der Name Gottes die auf uns wirkende geistige Macht über alles bezeichnet, die unsere Zu
flucht ist. Aber im Unterschied von der alten Dogmatik gestehen wir uns ein, daß wir in der Vorstellung eines Vorgangs, der inner halb der Natur erscheinen, aber ihrer Gesetzmäßigkeit entnommen
sein soll, logisch Unvereinbares verknüpfen.
Wir gebrauchen diese
Worte nur deshalb, weil wir kein anderes Mittel haben, um unser Vertrauen zu der Macht und Güte Gottes auszusprechen. Wir müssen also darauf gefaßt sein, daß ein anderer, der dieses
Vertrauen nicht kennt, in allem, was wir vom Wunder zu sagen wissen, nur leere Worte hört. Wir müssen uns sogar darüber freuen, wenn er ohne solche Zuversicht zu der rettenden Macht
Gottes so hart vom Wunder und damit von der Religion selbst urteilt.
Denn wenn
er den Wundergedanken
sich
aneignen
wollte, ohne daß in ihm lebendige Religion ihn dazu berechtigte.
Der Christ und da- Wunder
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so würde er an seinem Wunderglauben nichts weiter haben als eine Trübung seines Bewußtseins von der wirklichen Welt. Damit stehen wir aber wieder vor einer Erkenntnis, die für die alte Theologie, auch für R. Rothe noch unerreichbar war,
während Schleiermacher sie als Schüler Kants gewonnen hatte.
Niemand glaubt in religiösem Sinne an Wunder, weil
sie ihm bewiesen wären.
Was uns bewiesen würde, hat eben
damit aufgehört, für uns ein Wunder zu sein.
Sobald etwas
in sinnlich faßlicher Wirklichkeit vor uns steht, ist es für uns ohne Zweifel ein Naturvorgang geworden.
Ein Wunder ist uns
nur das, was keinem bewiesen werden kann.
Und auch das
geben wir unumwunden zu, daß die bloße Vorstellung eines Wunders einen logischen Widerspruch enthält, also nicht einmal
zu einem klaren Gedanken entwickelt werden kann.
Denn einen
in der Natur sich vollziehenden und doch der Gesetzmäßigkeit der Natur entnommenen Vorgang sich vorstellen, bedeutet ohne Zweifel, logisch widersprechende Vorstellungen in einem Wort ver
binden wollen.
Trotz dieses logischen Widerspruches halten wir
das Wort „Wunder" fest, und trotz ihrer Unbeweisbarkeit halten wir
Wunder für wirklich.
Aber dabei handelt es sich um Tatsachen,
für die wir keines Beweises bedürfen, weil wir selbst sie erleben.
Und bei dem Worte „Wunder" stört uns der logische Widerspruch, den wir damit auf uns nehmen, nicht; denn er dient uns grade dazu, uns das Erlebnis zu bezeichnen, daß der lebendige Gott sich uns offenbart und uns selbst dadurch lebendig macht, daß er
uns mit sich verbindet.
Damit stehen wir nun aber an dem Punkte, an dem wir uns von der alten theologischen Auffassung scheiden, oder eigent
lich nur zum Ausdruck bringen, daß wir tatsächlich durch eine tiefe Veränderung unserer geistigen Lage von ihr geschieden sind.
Den alten Wundergedanken halten wir fest.
Denn er ist mit
seiner Betonung des supra et contra naturam der zutreffende Ausdruck dessen, was die Religion
mit dem Wunder meint;
nämlich, daß Gott dem Menschen eine andere Wirklichkeit öffnet
Ter Christ und das Wunder als die Natur.
43
Wir bringen sogar diesen Gedanken der Religion
noch schärfer zum Ausdruck, weil uns die Milderung des Irratio
nalen, die die Alten darin fanden, daß sie mit der Annahme
des Wunders dem Gedanken der Natur seine Geltung verkürzten, nicht möglich ist.
Wir wissen, daß wir die nachweisbare Wirk
lichkeit als Natur denken müssen.
Sobald also Vorgänge, von
denen ein in diesem Bereiche stehendes Wesen redet, ihm doch eine von der Natur unterschiedene Wirklichkeit eröffnen sollen, wie der
Wunderglaube der Religion tatsächlich behauptet, so meint man damit etwas zu erleben, was dem notwendig festgehaltcnen Begriff
der Natur, als des grenzenlosen Zusammenhanges der nachweis baren Wirklichkeit widerstreitet. Aber trotz dieser schärferen Ausprägung des alten Wunder
begriffes dürfen wir uns nicht verbergen, daß wir von den Alten in einem anderen ihnen überaus wichtigen Punkt tief geschieden sind.
Das betrifft unsere Stellung zu den wunderbaren Ereignissen, von denen uns die Überlieferung berichtet. Die Zustimmung zu solchen Berichten ist den Frommen der alten Zeit einfach selbst
verständlich.
Sie zu verweigern, bedeutete ihnen Ausschluß aus
der Welt der Religion.
Von den Tagen des Apostels an ist
es in der christlichen Kirche immer wieder gesagt: das so Be
richtete müßt ihr annehmen, sonst ist euer Heil bedroht. es
handelt sich bei
Denn
diesen wunderbaren Tatsachen der Heils
geschichte um Dinge, die geschehen sein müssen, wenn Jesus Christus unser Erlöser sein soll.
So wird es seit 1. Kor. 15
in der christlichen Kirche tausendfach wiederholt.
Aber wir stehen
offenbar in dieser-Beziehung an einem Wendepunkte.
Das er
zählte Wunder hat für uns nicht mehr die Bedeutung, die es
für die Christen der alten Zeit gehabt hat und haben konnte. Ich würde davon hier nicht sprechen, wenn es sich etwa um Be
denken handelte, von denen sich der geschulte Historiker zwar bedrängt fühlt, die aber die christliche Gemeinde der Gegenwart
im ganzen doch nichts angehen.
Es ist aber anders, gerade bei
Christen, die von historischer Kritik ganz unberührt sind, kann
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Der Christ und daS Wunder
man beobachten, wie sie an den biblischen Wundern keineswegs
eine Hilfe, sondern eine Last oder wenigstens einen Gegenstand der Sorge haben.
Das ist, wie mir scheint, nicht durchaus zu
beklagen, denn es ist eine Folge von religiösen Bedürfnissen, die in der Reformation erwacht
sind.
Trotzdem ist eS für die
Theologie, die dem Leben der Kirche dienen will, eine sehr ernste Frage, wie sie den Christen der Gegenwart wieder dazu helfen kann, daß sie an diesen Erzählungen der H. Schrift sich nicht mehr scheu vorbeizudrücken brauchen, sondern sich daran freuen.
Auch diejenigen, die nicht bloß den Gedanken des Wunders
vertreten, sondern auch viele der wunderbarsten Berichte der Bibel als wirkliche Ereignisse behandeln wollen, empfinden die Änderung unserer geistigen Lage in dieser Beziehung. Als Zeug
nis dafür benutze ich zuerst das Geständnis, mit dem R. Rothe
seine energische Verteidigung
des Wundergedankens abschließt.
Er sagt (S. 109): „Das Bisherige zeigt, daß ich die Bedeutung
des Wunders stark betone; aber ich möchte nicht mißverstanden
werden mit dieser Betonung.
Sie ist keineswegs im Sinne der
älteren Apologetik gemeint, sie gilt dem Wunder in seiner Be
ziehung nicht zu den nachgeborenen Geschlechtern, die sich bereits im geschichtlichen Besitz der Offenbarung befinden, sondern zur
Offenbarung selbst in ihrem Geschehen; sie besteht darauf, daß anders als durch Wunder kann.
eine Offenbarung
nicht
geschehen
Die apologetische Bedeutung des Wunders stelle ich ganz
in den Hintergrund zurück.
geringer Wirksamkeit.
In unsern Tagen ist sie von gar
Wo die Offenbarung bereits in Kraft
steht, wo, was die Wunder geredet haben, bereits in das Gemein bewußtsein eines Gemeinschaftskreises als Überzeugung einge
gangen und hineingewachsen ist, da ist es von untergeordneter Wichtigkeit, wie man in ihm vom Wunder urteilt.
Man wird
zwar auch hier die Offenbarung nicht vollständig verstehen und genießen können, wofern man nicht auch den wunderbaren Tat
sachen gerecht wird, welche sie primitiv konstituieren; indes dies
für sich allein tut doch die Sache noch nicht, und es kann dabei
Der Christ und da- Wunder
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leicht an anderen Stücken fehlen, die in dieser Hinsicht weit
erheblicher sind.
Dem gedankenlosen Wunderglauben namentlich
will ich wahrlich nicht das Wort geredet haben, der sich ein
bildet, das Geltenlassen des Wunders überhcbe uns der gewissen haften scharfen Untersuchung des sich als wunderbar gebenden Tatbestandes in seinem konkreten Detail.
Davon weiß meine
Seele nichts, daß ich diejenigen, welche geschichtlich bereits im Besitz der Offenbarung stehen, drängen wollte, ihren wunderbaren
Ursprung anzunehmen, und daß ich von dieser Annahme mein Vertrauen zu ihrer Gläubigkeit abhängig machen sollte.
Es ist
schon etwas Großes, wenn solchen nur das Licht der Offenbarung
scheint, wenn die christlichen Ideen ihnen aufgegangen sind; und die Hauptsache ist, daß sie im Scheine dieser Sonne ihren Weg
im Leben gehen.
Stoßen sie sich dabei an die Wunder, so sage
ich ihnen: Freunde, aufbringen will ich euch den Wunderglauben
nicht, beneficia non obtruduntur.
in die
ihr euch
Könnt
Wunder nicht finden, nun wohl, so stellt sie beiseite.
Ihr mögt
dann selbst zusehen, wie ihr ohne sie mit der Geschichte fertig werdet, wie ihr ohne sie eine pragmatische Erklärung der als
tatsächlich feststehenden Geschichtserfolge zustande bringt, für die
wir andern in den Wundern den Schlüssel besitzen.
Ich für
meine Person nehme ja die Wunder nicht etwa aus dogmatischer Kupidität an, sondern im historischen Interesse, deshalb, weil ich
bei gewissen unzweifelhaften Geschichtstatsachen ihrer als histo rischer Erklärungsgründe nicht entbehren kann, — nicht weil sie mir die Geschichte durchlöchern, sondern gerade um über die klaffenden Risse in ihr hinüberzukommen.
ungeachtet meines dezidierten
Deshalb stimme ich
Wunderglaubens
doch auftichtig
in die Warnung ein, daß man das Geschlecht unserer Tage doch ja nicht dem christlichen
Glauben vollends
entftemden
wolle
durch die Anmutung der Anerkennung der biblischen Wunder."
An dieser Ausführung fällt gewiß uns allen auf, wie stark damals noch bei einem der einflußreichsten Theologen die Hegelschen Gedanken sich bemerklich machen konnten.
Rothe konnte
Der Christ und daS Wunder
46
meinen, daß der Glaube an Wunder überhaupt gar nicht direkt
zu christlicher Frömmigkeit gehöre, weil für diese der Besitz der christlichen Ideen ausreiche.
Daß die Glaubenszuversicht eines
Christen, ohne die die Wahrheit der christlichen Ideen niemandem faßbar werden kann, in der Erfahrung des Wunders wurzele,
fällt ihm hierbei nicht ein.
Das Wunder scheint ihm erst un
entbehrlich zu werden für den Theologen, der für tatsächlich
vorliegende fragt.
geschichtliche
Erscheinungen
nach
einer
Erklärung
Ich würde das nun gerade nicht Wunderglauben nennen,
sondern wunderliche Spekulation und ein seltsames Verkennen
der Tatsache, daß alle nachgewiesene Wirklichkeit für uns Natur
ist.
Mer viel wichtiger ist für uns das Eingeständnis eines
solchen entschlossenen Vertreters des Wundergedankens, daß die
Anerkennung erzählter Wunder als tatsächlicher Ereignisse von den meisten seiner Zeitgenossen
nicht verlangt werden könne.
Wenn das vor 50 Jahren einer der stärksten Verteidiger des Wunders, die es je gegeben hat, in Deutschland schreiben konnte, wie seltsam mutet uns dann die kirchliche Praxis an, es für
selbstverständlich auszugeben, daß die Zustimmung zu solchen Berichten eine elementare Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde sei.
Das ist um so erstaunlicher, als uns aus der Gegenwart
dasselbe von andern Theologen, die in dieser Beziehung eine ähnliche Stellung wie Rothe einnehmen, reichlich bezeugt wird. Ich könnte mich auch auf Stange berufen, will aber einen
anderen Theologen nennen, der sich in seiner geistigen Art nicht wenig von Stange unterscheidet.
Seine Worte lauten so: „Ist
wirklich die naiv gläubige Anschauung früherer Zeiten, die alle Wunder en bloc annahm, unhaltbar geworden?
Darauf muß
uns mit Ja geantwortet werden, und dieses Ja bringt nicht nur die Ansicht einzelner Theologenschulen zum Ausdruck, sondern
es ist Gesamtanschauung aller ernst zu nehmenden theologischen
Richtungen der Gegenwart.
Seit zwei Menschenaltern hat sich
die Auffassung von der biblischen Geschichte erheblich verschoben.
Der Christ und das Wunder
Das ist durch verschiedene Gründe bedingt.
47
Erstens ist der
Glaube an die Inspiration der einzelnen Wörter der biblischen
Bücher gefallen.
Das bedeutet aber, daß man zwar im Glauben
des religiösen Inhalts der Schrift gewiß werden kann, daß aber
die Berichte der Bibel über Naturereignisse oder historische Ge schehnisse nicht als von Gott inspiriert zu beurteilen sind, sondern
daß sie auf eigener Anschauung der Autoren oder auf Tradition beruhen.
Ein großer Unterschied zwischen einst und jetzt wird
durch diesen Fortschritt der Wissenschaft bezeichnet.
Aber nicht
nur das Schwinden der Jnspirationslehre ist es, was freieren Anschauungen ganz allgemein den Weg gebahnt hat. Es kommen auch starke positive Momente in betracht. die Methode der Literaturgeschichte hin.
Wir wiesen schon auf Sie führt
zu
dem
sicheren Resultat, daß wir unter den Berichten scharfe Unter
schiede zu machen haben, je nachdem, ob sie erste oder spätere
Quellen repräsentieren, oder ob dieser oder jener Bestandteil in ihnen aus einer alten Quelle herrührt oder von einem Über arbeiter hergcstellt ist.
Ebenso kann kein Zweifel darüber be
stehen, daß wir tendenziöse und tendenziöse Erzähler haben. Das sind einfache Dinge, die jedermann vor Augen hat, und die
grade wegen ihrer Einfachheit jedem anschaulich machen, wie unendlich kompliziert die Frage nach der geschichtlichen Wirklich keit der biblischen Erzählungen ist.
Demgegenüber die Augen
zuzuhalten, oder frischweg irgendeine apologetische „Lösung" zu
akzeptieren, das wäre freilich ein Verzicht auf den Wahrheitssinn, der uns Protestanten unmöglich ist.
Noch eins spricht hier mit.
Das Weltbild der biblischen Männer war notorisch ein anderes als das unsrige.
Es war das Weltbild des alten Orients.
Bon
dem Weltzusammenhang und den Weltgesetzen besaß man nicht die exakten Vorstellungen unserer Tage.
Die Erde war das
Zentrum der Welt, alles drehte sich um sie, Gott griff in den
Zusammenhang ein, durch kein festes Gesetz behindert.
es leicht, an Wunder zu glauben.
Da war
Jeder empfindet unmittelbar,
wie ungeheuer tief der Abstand ist, der uns von dieser naiven
Der Christ und da« Wunder
48
Weltanschauung des antiken Menschen trennt.
Die Wucht dieser
Gründe empfinden wir alle." Sie werden freilich sagen, daß diese Worte nicht schwer
wiegen können, denn sie rühren offenbar von einem Theologen
her, der selbst vor den herrschenden kirchlichen Autoritäten nicht schwer wiegen wird.
Der Unsicherheit, die er über die h. Schrift
auszugießen wagt, wird man entgegcnhalten: „Herr, wenn dein
Wort nicht soll gelten, worauf soll der Glaube ruhn?"
Und
wenn wir uns selbst neben solchen Richtern nennen dürfen, so
steigen auch vielleicht uns Zweifel zwar nicht an den geäußerten historischen Einsichten auf, wohl aber daran, ob diese Einsichten gegenwärtig schon so verbreitet sind, wie es in jenen Worten
vorausgesetzt wird.
Aber der Verfaffer der obigen Ausführungen
ist R. Seeberg (Neue Kirchliche Zeitschrift 1908, S. 414—16).
Es kann daher wohl als sicher gelten, daß diese Worte an den meisten Stellen, wo die öffentliche Meinung der kirchlich
interessierten Kreise
in Deutschland mit
wenigen Ausnahmen
hergestellt zu werden pflegt, auf Beifall rechnen können.
also hier auch bereits
die
Sollte
von Rothe ausgesprochene Mei
nung sich durchgesetzt haben, daß es unter den heutigen Ver hältnissen nicht mehr so leicht ist wie früher, an Wunder zu
glauben? Ich bin der Ansicht, daß es eine höchst bedenkliche Wendung wäre, wenn in solchen Worten sich die Meinung Seebergs und
die der jetzt in unfern Kirchen Herrschenden vollständig aus spräche.
Das würde doch heißen, daß durch historische Forschung
das Gebiet des möglichen Wunderglaubens eingeschränkt werde.
Gehört aber der Wunderglaube, wie wir alle meinen, zum Leben der christlichen Religion, so würde doch das Ergebnis von See berg bedeuten, daß die Wissenschaft in das Lebendige der Reli gion schneiden und das beseitigen kann, was ihren Gesetzen wider
streitet.
Diese Meinung dürfen wir aber nicht auflommen lassen,
denn die Religion, die sich solcher Eingriffe in ihr eigenes Leben
nicht erwehren könnte, hätte sicher nicht die Kraft, uns selbst
49
Der Christ und daS Wunder
aus unsern Nöten zu retten.
Wir müssen in dem Erwachen
unseres Glaubens die Wirklichkeit von Wundern vor Augen
haben, die uns keine Wissenschaft in Frage stellen kann.
Deshalb dürfen wir uns daran freuen, daß Seeberg so wohl wie Stange bemüht sind, dem Christen zu zeigen, wie er in seinem Glauben die Anschauung von Wundern gewinnt, die
keine Wandelung wissenschaftlicher Ergebnisse ihm antasten kann, die also etwas anderes sein müssen, als die Dinge, deren Auf
fassung als wirkliche Tatsachen dem Urteil der Wissenschaft unter liegt. Es kommt beiden darauf an, die Vorstellung von Wundern
nicht etwa historisch zu rechtfertigen.
damit nichts entschieden wird.
Sie erklären
beide, daß
Sie wollen auch nicht durch eine
philosophisch genannte Spekulation das Wunder überhaupt ra tional machen und dadurch in das Denken des modernen Menschen hinüberrettcn.
Sie wollen einfach die Vorstellung des Wunders
als ein unveräußerliches Element der Religion erweisen.
ist in der Tat der einzige Weg,
das
Das
evangelische Christen
tum aus der schimpflichen Verwirrung herauszuführen, in der Menschen, die nicht sagen können, was Glaube ist, es wagen dürfen, der Gemeinde ihren Weg zu weisen.
Die Tendenz, die
die beiden Theologen verfolgen, ist dieselbe, aber sie suchen das Ziel mit verschiedenen Mitteln zu erreichen.
Stange sieht natürlich die gänzliche Verkehrtheit des Ver
suchs, „die naturgesetzliche Möglichkeit der einzelnen Wunder zu erklären und ein rein rationales Verständnis derselben zu ge
winnen" tS. 12). Wundern.
Er redet dabei, wie Seeberg, von erzählten
Soll ein rationales Verständnis derselben ausge
schlossen sein, so heißt das natürlich, daß unsere Vorstellung von ihrer Wirklichkeit von dem abhängt, was wir an ihnen,
sowie sie uns erzählt werden, erleben.
Denn eine Wirklichkeit,
die sich von der rein rational verstandenen unterscheidet, kann schlechterdings nichts anderes heißen als eine Wirklichkeit, die
uns durch eigenes Erleben oder als Bestandteil unseres eigenen Lebens feststeht.
Da allein haben wir etwas vor uns, was uns
Herrmann, Offenbarung und Wunder.
4
Der Christ und das Wunder
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zweifellos wirklich ist, aber andern nicht als solches erwiesen werden, also nicht allgemeingültig oder rational sein kann. Wenn Stange also sagt, die Bedeutung der dem Glauben gewissen Wunder bestehe darin, daß sie in besonderer Weise geeignet sind, die allgemeine Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes zu der konkreten Vorstellung von dem lebendigen Gott umzugestalten,
so meint er offenbar ihre Bedeutung als wirklicher Ereignisse. Diese haben sie nicht ohne weiteres dadurch, daß sie in der Über
lieferung als erzählte Ereignisse austreten, wenn auch diese Über lieferung die biblische ist.
Stange ist ebenso wie Seeberg der
Meinung, daß die Möglichkeit, das in der Bibel Erzählte ohne weiteres als wirklich hinzunehmen, so stark im Schwinden ist, daß
man in der theologischen Erörterung auf die geistigen Bedürf
nisse solcher Leute, die das noch können, keine Rücksicht zu nehmen
braucht.
Es kommt nach ihm darauf an, daß in dem erzählten Er eignis dem Christen eine neue Offenbarung des schöpferischen Willens Gottes entgegentritt.
Das Wunder spiele nach biblischer
Anschauung nur im Zusammenhang des heilsgeschichtlichen Wir
kens Gottes eine Rolle.
Das kann doch aber nur jeder einzelne
von sich selbst wissen, ob bei ihm das erzählte Ereignis die Kraft
hat, zur „Herstellung der persönlichen Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen" zu wirken.
Stange sagt daher auch, mit
dem Tatbestand des Wunders müsse immer zugleich die Wirkung berücksichtigt werden, die dasselbe im Zusammenhang des religiösen
Lebens hervorbringt (S. 14).
Wir sehen also, daß das, was
bei ihm über die Wirklichkeit des erzählten Wunders entscheidet,
nicht ein objektiver Maßstab ist, sondern ein subjektiver, das
tatsächliche Erleben des Einzelnen.
Er erklärt denn auch ganz
richtig, die Ablehnung des Wundergedankens beruhe immer darauf,
daß man das Recht der religiösen Erfahrung nicht zugestehen wolle (S. 15).
Das Recht der religiösen Erfahrung besteht nun
bekanntlich nur für die, denen sie geschenkt ist.
Nur sofern ein
Mensch für sich selbst dessen gewiß wird, daß Gott sich ihm offen-
Der Christ und das Wunder
bart, wird er Wunder sehen können.
51
Das ist mein Standpunkt
in der Sache, den ich vor dreißig Jahren gegen den heftigen Wider spruch solcher Theologen, wie Luthardt vertreten habe. Jetzt kann
ich einem der besten Mitarbeiter an Luthardts Kirchenzeitung aus sprechen, daß ich dem Satz, mit dem er die Erörterung über das Wunder abschließt, zustimme. Stange schließt nämlich mit folgen den Worten: „In Wirklichkeit aber wird es sich doch immer so verhalten, daß der Glaube an die Wunder nicht auf dem Wege einer wissenschaftlichen Theorie hervorgebracht zu werden ver
mag, daß vielmehr der Glaube an die Wunder nur aus der Anschauung
der einzelnen Ereignisse
entspringt
und daß er
immer nur in einem Herzen, welches willig ist, auf die Spuren des göttlichen Waltens zu achten, entspringen kann. Eine Theo logie aber, welche diese Regel grundsätzlich ignoriert und statt
dessen mit logischen Allgemeinheiten das Problem des Wunders zu lösen sucht, wird niemals imstande sein, den eigentümlichen Bedingungen der durch ihren Gegenstand geforderten Erkenntnis zu entsprechen."
Aber wenn ich in diesen Worten meine eigene
Auffassung ausgesprochen finden kann, so darf ich doch nicht
verschweigen, daß ich ein Zugeständnis darin vermisse, das für uns alle selbstverständlich sein sollte.
Die richtige Behandlung des Wundergedankens, die Stange
in jenen Worten fordert, können wir ja offenbar nur an Er eignissen durchführen, deren Tatsächlichkeit für uns außer allem Zweifel steht.
Als solche Ereignisse konnte man in den Zeiten
der Jnspirationslehre die Inhalte aller biblischen Berichte an
sehen. Evangelische Christen unserer Zeit dagegen, — Stange und Seeberg mit eingeschlossen —, werden sich schließlich immer genötigt sehen, an dem Inhalt biblischer Berichte sich das deut lich zu machen, was ihnen auf andere Weise eine zweifellose Tat sache wird, nämlich als ein von ihm selbst erlebtes Ereignis.
Seeberg will noch eine dritte Möglichkeit kennen, wie man eine solche Stellung zu dem Inhalt biblischer Berichte gewinnen könne. Wie es damit sich verhält, wollen wir später sehen.
4*
Der Christ und daS Wunder
52
Stange hat sich leider über diesen wichtigen Punkt, soviel ich
sehen konnte, nicht ausgesprochen. In einer andern Beziehung vor allem bieten die Ausfüh rungen von Seeberg eine wertvolle Ergänzung dessen, wobei wir Stange stehen bleiben sehen. Stange redet, wie ich bereits hervorhob, ausschließlich von dem Wunder, daß sich dem bereits
erwachten Glauben enthüllt.
Es ist aber nötig, auch an das zu
denken, in dessen Erleben der Glaube erwacht. Daß See berg sich bemüht, das klarzustellen, müssen wir mit Freude begrüßen. Er will ganz richtig allen Glauben an Wunder zurückführen auf
das eine große Wunder unseres Lebens.
Daß wir uns dessen
bewußt werden, ist in der Tat die Hauptsache, nicht aber, wie wir einen Kompromiß mit einzelnen Erzählungen schließen, die
uns vielleicht in Wahrheit immer fremd bleiben sollen.
Wir
müssen also hören, wie Seeberg das Erleben des Wunders be schreibt, worin der Glaube selbst geschaffen wird. Seine Aus führung lautet so: „Wie ist es zu meinem Glauben gekommen? Ich hörte die Überlieferung der Kirche von einem uralten Ge
schehen.
Es war eine Geschichte, die viele Begriffe in sich faßte,
und es war ein Komplex von Begriffen, von Urteilen, Gaben und Aufgaben, der auf das engste mit jener Geschichte zusammen hing. Es war ein Ganzes, das aus vielen Gliedern besteht. Es widerstrebte mir zunächst, denn es war etwas Fremdes, Altes.
Es erschien unlebendig und unwirklich, überspannt und
einseitig, es wollte nicht stimmen zu meiner natürlichen Lebens erfahrung.
Die Begriffe, die ich hatte, machten diese neue Welt
zu einem Phantasiebild, das nirgends das wirkliche Leben be
rührte." „Dann ist es geschehen. Die Worte, die man mir sagte, wurden eine lebendige Kraft, und sie wurden zu einer Einheit. Nicht ich machte sie dazu, und kein Mensch tat es. Ich empfand
etwas ganz anderes. Der Wille Gottes in seiner Allmacht drang in mein Herz hinein. Der Komplex der Überlieferung
gewann Kraft und Einheit, indem er zum Mittel wurde des
Der Christ unb das Wunder
Hier ist Gott und nur hier, denn hier wirkt
wirksamen Gottes.
Gott unterwirft mich durch seine
er unmittelbar und direkt.
Nicht die Wahrheit und
Offenbarung.
53
Angemessenheit dieser
Gedanken tut es, sondern sie werden wahr und mir angemessen, weil Gott in ihnen wirkt.
Und nicht meine Erwägungen führen
mich zur Unterwerfung, sondern ich bin unterworfen, ich weiß
nicht wie, und
alle Erwägungen
sind nur eine Folge dieser
Kein Beweis führt mich zu Gott, sondern Gott
Unterwerfung.
führt mich zu den Beweisen."
„Was hier geschehen, ist wunderbar.
Und mehr noch: es
ist das eine große unleugbare Wunder unseres Lebens.
Man
hüte sich, das zu verkehren und zu erweichen, etwa indem man
mit dem Begriff »Wunder' spielt und cs ansieht wie die sonstigen
Wunder der Seele.
Es ist nicht wunderbar wie jeder Umschwung
in unserer Seele, sondern cs ist Wunder im strengsten Sinne
des Wortes. Nichts ist nämlich dem Christen so gewiß als dies, daß nicht die Gründe menschlicher Überredung oder die Logik oder die einleuchtende Moral der gehörten Motte sein Herz ge
wonnen hat, sondern daß Gott selbst es getan hat, indem der
Geist Gottes persönlich sein Herz berührt hat.
Alle Motte und
Begttffe, die er hörte, sind ihm zum Ausdruck der Gegenwart Gottes geworden, das persönliche Leben der Gottheit hat seine
Seele berührt, bewegt, unterworfen und gewonnen.
Der Mensch
hat in sinnlichen Lauten und menschlichen Bcgttffen das Wirken Gottes verspätt.
Dies aber, daß Gott im Natürlichen und Ir
dischen selbst wirksam ist, ist das Wesen des Wunders."
bis 419.)
(S. 418
Was Seeberg damit gewonnen zu haben meint,
schildett er im Anschluß daran so: „Dies Wunder der Wiedcrgebutt und Bekehrung erleben, das heißt in die Sphäre des
Wunderbaren
eintreten
kraft
eigener
erlebter Erfahrung". —
„Zwei Gedanken haben wir nun gewonnen: Gott wirkt persönlich
auf meine Seele ein, aber dies geschieht nicht anders als durch
geschichtliche Begttffe, durch den Bettcht von einer Geschichte samt dem Urteil über sie.
Wer dieses Doppelten inne geworden ist.
54
Der Christ und daS Wunder
der hat offenbar eine ganz neue Stellung zu den Wundern
gewonnen.
Ich weiß deshalb natürlich noch nicht, ob alle Wun
der, die berichtet werden, wirklich geschehen sind, aber ich weiß, daß Wunder geschehen.
Ich bin innerlich in die Verfassung
gekommen, die vor dem Wunder nicht erschrickt, sondern die es mir ermöglicht, ihm in Ruhe nachzudenken.
Wunder sind nicht
mehr a priori unmöglich, sondern ich weiß von wirklichen Wun dern mit der Sicherheit, die das eigene Erleben verleiht."
Diese Ausführungen haben im Unterschied von denen bei
Stange den Vorzug, daß das Wunder, in dem sich der Glaube
gegründet weiß, überhaupt in Betracht gezogen wird, während es bei Stange so scheinen kann, als ob es im Leben des Glau
bens auf die Frage nach seinem Grunde gar nicht ankäme.
Bei
Stanges Ausführungen kann daher der Eindruck entstehen, als ob er den Glauben in der Wahrheit seiner Gedanken begründet dächte,
oder als ob er rationalistisch dächte.
Das ist bei Seeberg anders.
Eine erlebte Tatsache wunderbarer Art, ein Erlebnis, das er an der Überlieferung macht, erkennt er als den Grund seines Glaubens an den lebendigen auf ihn wirkenden Gott.
Daß ich darin mit
Seeberg übereinstimme, brauche ich nicht zu sagen.
Ich habe
schon zu einer Zeit, als Seeberg wohl noch Ritschls Vorlesungen
hörte, was mir leider nie beschieden war, in einer Marburger
Rede über das Thema „warum bedarf unser Glaube geschichtlicher
Tatsachen?" dasselbe ausgeführt. Wir Christen sehen in einer Tatsache, die wir durch geschichtliche Überlieferung gewinnen, den Grund unseres Glaubens.
Was Seeberg uns zu sagen hat,
wird uns überdies in der leichten, gefälligen Darstellung geboten, die wir bei ihm gewohnt sind.
Ob er nun aber dem Christen,
den die Wunderfrage beunruhigt, helfen kann, muß sich daran entscheiden, wie er das den Glauben begründende Erlebnis und,
was der Christ dadurch gewinne, beschreibt. Was die Überlieferung dem Menschen darbiete, behandelt er als ein Vielerlei von Begriffen.
Aus diesem den Menschen zu
nächst fremd berührenden Material werde in einem Moment,
55
Der Christ und daS Wunder
dessen Vernlittelungen wir nicht kennen, plötzlich eine Einheit.
Es werde uns in diesem Moment das Wunderbare klar, daß
Gott zu uns in diesen Begriffen rede.
Gewiß, das den Glauben
begründende Erlebnis ist so beschaffen, daß wir es nicht auf etwas anderes zurückführen, sonst fänden wir ja darin eben nicht den Grund unseres Glaubens. Es ist auch richtig, daß wir
den zu uns redenden Gott darin zu vernehmen meinen.
Aber
das ist nicht richtig, daß wir Gott daraus vernehmen können, wenn wir ihn nicht suchen. Das Verständnis einer solchen be
freienden Tatsache ist daher daran gebunden, daß man in dem inneren Vorgang steht, worin der Mensch, ohne schon der Offen
barung Gottes sich bewußt zu sein, nach Gott verlangt. Wir verlangen nach Gott, wenn wir uns nach einem Herrn über
unsere Seele sehnen, also nach einer Macht, die uns dem vielerlei entreißt und uns die innere Einheit des wahrhaft Lebendigen gibt.
Finden wir das nicht, so bleiben wir innerlich ohne Kraft
und Leben.
Wir sind dann gottlos.
Für einen Menschen aber,
dem dieses innere Elend nicht zur Empfindung kommt, kann Gott
einfach deshalb nicht vernehmlich werden, weil das Vernehmen Gottes ja gerade das Zusammentreffen mit der Macht ist, die
uns dieser Not entnimmt.
Ein Wesen, das nicht die reine Ge
walt über unsere Seele gewinnen könnte, wird doch kein Christ Gott nennen. Aber dann ist es ja auch klar, daß die Über lieferung dem in der christlichen Gemeinde erzogenen Menschen
schon dadurch aus einem Vielerlei eine Einheit wird, daß er nach dieser Macht über seine Seele fragt. Sie wird von vornherein daraufhin angesehen, ob sich aus dem, was sie uns bietet, das uns befreiende Wort Gottes zusammenfügt. Es bleibt dann vieles als für uns, zunächst wenigstens, be deutungslos zurück.
Nur das drängt sich daraus an den seiner
inneren Verworrenheit bewußt gewordenen Menschen heran, worin er etwas von der Macht, die ihn allein retten kann, verspürt. Das ist zuerst die Wahrnehmung, daß sich in der Bibel durch
Gott befreite Menschen auszusprechen scheinen.
Im Alten Testa-
Der Christ und daS Wunder
56
ment sind es Menschen, die aus allen Nöten immer wieder zu
freier Hingabe an den Gott befreit werden, der sich ihnen in der Geschichte ihres Volles und in den nur ihnen selbst bekannten Wundern ihrer Seele bezeugt.
Diese Frommen sind
den jetzt Gott suchenden Menschen eine Verheißung, daß auch ihnen aufgetan werde, wenn sie anllopfen wollen.
Aber wenn
wir den Weg der Propheten zu Gott gehen wollen, so müssen wir, wie sie, auf die Wirklichkeit hören wollen, in die wir selbst
gestellt sind.
Jedem Menschen aber, der in unserer geschichtlichen
Lage der Sehnsucht nach dem Gewaltigen folgt, dem allein er sich rein unterwerfen könnte, wird cs schließlich nicht verborgen
bleiben, daß ihm diese ihn rettende Macht in der Person Jesu erscheint.
Allen, die das jetzt noch nicht sehen können, muß ein
Christ sagen, daß ihnen die Wirklichkeit, in der sie stehen, noch verschleiert ist.
Er muß ihnen dazu helfen, daß sie Jesus in
der Kraft seines persönlichen Lebens sehen lernen, als die ein
zige Erscheinung des Geistes, der kein Verttauen täuscht und der reines Vertrauen fordert.
Er ist die einzige Tatsache, die
Glauben fordern darf, weil er dem Menschen, der Gott sucht, sicherlich als eine zweifellose Tatsache aus der Überlieferung entgegenttitt, und weil er zweitens den Menschen, dem seine
wunderbare Größe aufgeht, im Innersten bezwingt.
Das Wort
Gottes, das uns wirklich als solches gewiß wird, weil es uns völlig niederwirft und
uns aus dem Nichts zu einem neuen
Leben ruft, ist schließlich er allein.
Zu uns, die wir heute
leben, in dem Strom der durch ihn eröffneten Geschichte stehen, hat Gott geredet durch den Sohn.
Ich bezweifle freilich nicht, daß es auch in der Gegenwart viele geben kann, die sich den Grund ihres Glaubens als ein solches Erlebnis vorstellen, wie Seeberg es beschreibt.
dieser Vorstellung
ist
Aber in
doch das Wichtigste verhüllt geblieben.
Ist denn das noch Glaube im Sinne des evangelischen Christen tums, was Seeberg beschreibt?
Das ist doch keine Unter
werfung unter eine Tatsache, die ihr Recht, reine Unterwerfung
Der Christ und das Wunder
zu fordern, durch sich selbst an uns erweist.
57
So können wir
uns der Macht Jesu unterwerfen, weil wir ihn als eine solche
Tatsache selbst erfassen oder gegenwärtig erleben können.
Das
aber, worauf Seeberg uns verweist, ist nicht die Erscheinung Jesu, die uns ein eigenes Erlebnis werden kann, sondern eine
Lehre über ihn und Berichte über ihn, wie vor allem der Bericht von seiner Auferweckung. Die Lehre, daß uns in ihm Gott selbst erscheint, und solche Berichte über ihn sind für den Christen von unschätzbarem Wert.
Aber das den Glauben Begründende kann
darin deshalb nicht bestehen, weil dann der Glaube nicht reiner Gehorsam sein könnte. Es bliebe dann der Christenheit nur die eine Hälfte des Ganzen übrig.
Wir würden dann wohl fort
fahren können, zu sagen, daß uns unser Glaube wunderbar ge
geben sei. Aber unmöglich wäre es uns dann, denselben Glauben
zu erleben als eine freie, völlige Unterwerfung. Freilich spricht Seeberg in denselben Worten, die wir ge brauchen, von dem Vorgang der Offenbarung: „Gott unterwirft mich durch seine Offenbarung".
Aber darin wird er doch auch
mit uns übereinstimmen, daß man es nicht ernst und streng
genug mit einem solchen Worte nehmen kann.
Wann allein ist
es kein Mißbrauch des Namens Gottes, zu sagen, daß in dem,
was uns widerfährt, Gott unsere Seele sich unterwirft?
Wir
dürfen es nur dann sagen, wenn wir vor einer Erfahrung
stehen, die in uns selbst aus reiner Ehrfurcht völliges Vertrauen hervorgehen ließ. Dann allein können wir uns in uns selbst nichts mehr vorstellen, was ein Recht hätte, sich der Macht zu
entziehen, die uns dabei berührt.
Es hätte keine Wahrheit, es
wäre wirres Gerede, wenn wir eine andere Macht Gott nennen wollten. Suchen wir aber wirklich den Gott, der in uns selbst sich als allmächtig erweist, so sehen wir auch bald, daß nur
eine Macht uns vor diese Tatsache stellen kann.
Nichts anderes
kann einen Menschen so bezwingen als ein persönliches Leben, das durch seine Offenbarung ihn zu freier Hingabe bringt. Alle heidnische Religion ist von der, die wir in der heiligen Schrift sich
58
Der Christ und daS Wunder
emporkämpfen sehen, stark unterschieden.
Der Unterschied liegt
aber nicht etwa in dem, was Stange in den oben angeführten
Worten angab.
Nicht das also ist heidnische Art, daß man die
Wirklichkeit Gottes sich im Wunder erweisen sieht, und daß man damit die sonst unwillkürlich befolgte Vorstellung von dem Ge schehen in der Welt unterbricht.
Das ist vielmehr die Art alles
Glaubens an einen lebendigen Gott.
Aber dadurch wird heid
nische Religion im Unterschied von der in der Bibel herrschenden charakterisiert, daß in ihr der Mensch irgend einer andern un
bestimmten Macht tatsächlich unterworfen ist.
Die Gottesfurcht
der biblischen Frömmigkeit ist die Furcht vor dem Richter; an
andern Orten ist die Furcht vor Gott nicht sicher geschieden
von dem Grauen vor dem Verhängnis.
Die heidnische Religion
löst sich daher auf, wenn die Menschen die innere Selbständig
keit gewinnen, die in der Einsicht besteht, daß sie nur da ganz unterworfen sein können, wo sie sich frei hingeben, also in dem
Gehorsam des Glaubens, d. h. des Vertrauens.
Diese sittliche
Erkenntnis, an der die heidnische Religion sterben muß, wird für die biblische Religion, die in der christlichen Gemeinde sich
vollenden soll, ein Weg zum Leben.
Denn durch sie allein
können wir in der Person Jesu Christi das Wunder anschauen,
das, wenn wir es erleben, unfern Glauben begründet, die reine Macht des persönlichen Lebens, die, indem sie uns überwindet, innere Selbständigkeit von uns fordert und uns schenkt. Soviel
ich sehen kann, muß uns dieses wahre, der christlichen Gemeinde
in Jesus Christus geschenkte Heil verloren gehen, wenn wir es doch wieder fertig bringen — um ein Wort von Schlatter
zu gebrauchen — unser Herz mit Herzlosem zu füllen. Deshalb
sollte
uns
die
Ausführung
Seebergs
deutlich
machen, wie sehr das in der Reformation wiedergewonnene reine
Verständnis des Glaubens in der Gegenwart gefährdet ist.
Diese
Auffassung von der Begründung des Glaubens sucht uns doch wohl in der inneren Situation festzuhalten, die dem katholischen
Christentum entspricht.
Denn ein Glaube, der nicht die Klarheit
59
Der Christ und das Wunder
des sittlichen Gehorsams hat, kann zwar sehr fest und mächtig
sein, aber ein Recht, wodurch er jedem Zweifel überlegen sein könnte, hat er nicht.
Er unterliegt dem Schicksal der heidnischen
Religion, die Kraft der sittlichen Erkenntnis muß ihn zerstören.
Was in unsern Kirchen „positiv" genannt zu werden pflegt, ist
immer in der Gefahr, in die heidnische Art der Frömmigkeit zu versinken.
Das tritt dann ein, wenn die Verehrung dessen für
Christen zur Hauptsache wird, worin sie selbst tatsächlich die
persönliche Macht, die sie allein als allmächtig denken können, gar nicht anschauen.
Es ist aber noch ein Zweites, worin die Darstellung Seebergs dem Wunder, auf dem der Glaube beruht, nicht gerecht wird.
Er beschreibt das Wunder einfach mit den Worten: „Dann
ist es geschehen."
Er meint also, als Christ sich bei der Frage
nach dem Grunde seines Glaubens schließlich ganz auf ein inneres
Erlebnis zurückziehen zu müssen.
Daß es sich um ein selbst
erlebtes Wunder handelt, ist auch unsere Meinung.
Aber damit
ist doch noch nicht gesagt, daß wir als Grund unseres Glaubens
nichts anderes anzugeben vermöchten, als den wunderbaren Vor gang, daß plötzlich Begriffe, die uns bisher fremd waren, an fangen, unser inneres Eigentum zu werden.
Ist es auch richtig,
daß sich mit dem Erwachen des Glaubens in uns eine tiefe Umwandlung unserer Denkweise vollzieht, die uns in der Tat
bisher Unfaßliches faßbar macht, so wird doch mit dieser inneren Umwandlung der Grund des christlichen Glaubens keineswegs
vollständig bezeichnet.
Es gehört dazu die uns sichtbar gewordene
Tatsache, die wir als die wirkende Kraft des inneren Umschwungs von diesem und von uns selbst unterscheiden.
Ein Glaube, der
nicht imstande wäre, sich so seinen eigenen Grund zu objektivieren,
würde an einer inneren Haltlosigkeit leiden, die ihn wiederum als römische Art des Glaubens kennzeichnen würde. Darüber kommt der Christ nur hinaus, wenn er einen solchen Gehalt der Über
lieferung kennt, der ihm eine selbsterlebte Tatsache geworden ist
und die volle Macht einer solchen Tatsache über ihn gewonnen
Der Christ und das Wunder
60 hat.
Dann erst kann der Glaube, wenn er zu vergehen droht,
an dem, worauf er seinen Ursprung zurückführte, eine Rettung finden.
In dieser Not würde doch ein Christ keinen Rat wissen,
wenn er wirklich, wie Seeberg sagt, in dem bloßen „Dann ist cs geschehen" eines inneren Erlebnisses den Ursprung seines Glau
bens fixieren könnte.
Es kommt sehr viel darauf an, daß wir
als Christen imstande sind, den Grund unseres Glaubens von
unserem eigenen Erleben als eine objektive Macht zu unterscheiden, der wir uns in sittlichem Gehorsam unterworfen wissen.
Nicht
unsere innere Umwandlung selbst, sondern das Auftreten dieser Macht in unserm Leben ist das Wunder, das wir erleben müssen, wenn uns der Zugang in die Wunderwelt der Religion erschlossen
werden soll.
Endlich ist auch in dem, was diesen Theologen von der Be sinnung auf das Wunder zurückhält, das wir als eine von uns
erlebte Tatsache von uns selbst unterscheiden können, ein für die
katholische Frömmigkeit charakteristischer Zug zu erkennen. Die Sorge um die Rettung der Überlieferung überwiegt die Sorge um die Rettung der Seele.
Seeberg ist freilich imstande, zu sagen,
daß es sich ihm nicht um alle Züge der christlichen Urgeschichte handle, weil wir ja doch nicht wüßten, ob und inwiefern dieses
Einzelne Grund des Glaubens oder Offenbarung für Israel oder
die Jünger Jesu geworden sei.
Mit dieser Unterscheidung würde
er in der römischen Kirche verdächtig werden und nur bei den
Modernisten Platz finden. Aber es kommt ihm doch darauf an als auf das Wichtigste, daß diese Überlieferung als Ganzes Offen barung Gottes ist, daß die Tatsachen, aus denen der Glaube der Apostel hervorging, reale Tatsachen sind (S. 434).
Das ist nun
aber für uns jetzt lebende Menschen ganz und gar nicht das Wichtigste.
Was den Glauben der Apostel betrifft, so ist uns
zwar das eine deutlich, daß sie in dem täglichen Umgang mit
Jesus die innere Umwandlung erfuhren, sonst aber ist uns daran, wie Seeberg selbst in den eben angeführten Worten hervorhebt,
manches undeutlich.
Das Wichtigste aber ist uns nicht dieses
Der Christ und das Wunder
61
Vergangene, was für uns zum größten Teil im Schatten liegt, sondern die gegenwärtige Not und Erlösung unseres eigenen
Lebens.
Es ist daher unbegreiflich, wie ein evangelischer Christ
schreiben kann, daß unser Glaube, wenn er nach dem fragt,
was ihn selbst begründet, sich vor allem auf die Geschichte mit
ihren Heilstatsachen erstrecken müsse, die den Glauben der ersten
Jünger Christi hervorgebracht habe.
Es ist ebenso unbe
greiflich, wenn er der Realität dieser Heilstatsachen dadurch ge wiß zu werden behauptet, daß ihm in jenem inneren Erlebnis die Begriffe, in denen der Glaube der Apostel sich ausspricht,
in wunderbarer Weise Wahrheit wurden (S. 433).
Ich sollte
meinen, es verstehe sich von selbst, daß nur das eine unser
Heil schaffende Tatsache für uns werden kann, und das wir uns darauf vor allem besinnen sollen, was mit der Wucht des zweifel los Wirklichen in unserm eigenen Leben steht, bevor uns voll
ständig enthüllt ist, was es für unsere Erlösung bedeutet.
Das
gilt von der Erscheinung der Person Jesu, wie sie uns aus der Überlieferung entgegentreten kann. Dagegen gilt es nicht von irgendeiner Einzelheit, die über ihn berichtet ist. Kein Christ, der überhaupt angefangen hat, nach einem festen Grunde seiner Zuversicht zu Gott zu fragen, wird das ernstlich in
Abrede stellen können. Wenn also in einem Menschen das wirklich religiöse Bedürfnis erwacht ist, wird er durch das Reden von
Heilstatsachen, die uns berichtet seien, auch wenn er dem Bericht
noch so eifrig zustimmeil will, nur beunruhigt werden.
Denn es
wird dann, wenn er wirklich nach Gott verlangt, sofort besonders
lebhaft vor ihn treten, daß er ja diese berichteten Dinge, die Heilstatsachen genannt werden,
nicht
selbst erlebt.
Und der
Mensch kann doch, was ja auch Seeberg nicht bestreitet, den Gott, der ihn rettet, nur in einer ihm selbst zweifellosen Tatsache
finden, die wenigstens er selbst als einen Moment seines eigenen
Lebens vor sich hat, wenn er sie auch anderen nicht aufweisen kann. Steht uns das fest, so können wir in der biblischen Über
lieferung nur das als eine Heilstatsache für uns selbst erfassen,
Der Christ und daS Wunder
62
was uns durch ihre Vermittlung ein eigenes Erlebnis wird. Und auch das dürfen wir nur dann Heilstatsache nennen, wenn uns darin die geistige Macht erscheint, die uns tatsäch
lich ganz bezwingt.
Daß wir das an der heiligen Schrift auch
des Alten Testaments hundertfach erleben können, macht ihre Herrlichkeit aus. Aber wir erfahren auch, daß ein Mensch, in dem die Angst des Schuldgefühls erwacht ist, nur durch eins
von allem, was uns die heilige Schrift zu geben hat, bezwungen wird, durch die in der Person Jesu ihm erscheinende Gnade Gottes. Nichts von allem, was uns sonst in der Bibel erzählt
und gelehrt werden mag, kann uns dieses eine verschaffen, daß uns darin die Macht berührt und vernehmlich wird, der wir uns ganz unterworfen wissen können, die uns also das allein All
mächtige wird.
Mögen wir also getrost von vielen Heilstat
sachen sprechen, wenn wir nur daran festhalten, nichts anderes
Heilstatsache zu nennen, als ein in unser eigenes Leben ein greifendes Faktum, woran uns Gottes Wirken auf uns deutlich
und gewiß wird. Wir können daher unsere Auffassung nahezu, wenn auch
nicht ganz, mit den Worten aussprechen, in denen Seebcrg
schließlich den Laien ans Herz legt, wie sie sich in dieser Sache verhalten sollen.
„Sie sollen nicht grübeln über manche Frage,
die ihnen die Kritik aufgibt und die für sie unlösbar ist. Sie sollen sich auch nicht eigensinnig den Weg in Gottes Reich bei diesem oder jenem Wunder erzwingen wollen.
Eine Laientheo
logie, wie sie dabei zu entstehen pflegt, ist selten stichhalttg, auch nicht für ihre Urheber. Möchten unsere Christen vielmehr auf richtig und einfältig ihr Herz der Liebe Gottes erschließen, wie
sie in dem Evangelium zu ihnen spricht. Wenn sie die erlösende und heiligende Macht dieser Liebe empfinden, dann" — hier würde ich nun fortfahren: dann werden sie in dem Wunder der Liebe Gottes leben und werden danach immer neue Wunder sehen
und Wunder tun. Seeberg dagegen fährt fort: „dann werden sich ihnen nach und nach die Fragen und Rüffel lösen, die die
63
Der Christ und daS Wunder
Offenbarung Gottes dem denkenden Geiste aufgibt."
„Wir leben
dann im Wunder der Liebe Gottes und wissen darum auch, daß dieses Wunderbare einen wunderbaren Anfang in der Geschichte
gehabt hat".
Und damit meint er, wir würden dann schon dessen
gewiß werden, daß
damals im allgemeinen wenigstens solche
Wunder geschehen sind, wie sie uns die heilige Schrift erzählt. Das eigentliche Ziel für Seeberg ist also, daß schließlich
eine positive Stellung zu erzählten Wundern gewonnen werde,
wie sie sonst nicht vorkommen.
Uns ist das eigentliche Ziel, daß
dem Menschen, dem die ihn rettende Liebe Gottes in Christus
erscheint, sein eigenes Leben immer mehr ein Wunder werde.
Es
Seeberg unser Ziel nicht ablehnt.
ist selbstverständlich, daß
Müssen wir denn das seine ablehnen?
Ich meine, nicht ganz,
und ich meine auch, daß er sich mit einer bedingten Zustimmung zu seinem Ziel begnügen kann, während wir die volle Zustim
mung zu unserm Ziel verlangen müssen, weil es ja nichts an deres bedeutet, als das christliche Leben selbst. Daß wir sein Ziel
nicht gänzlich ablehnen, kann auch er verlangen, denn es bedeutet auch die Erhaltung und unverkürzte Darbietung der biblischen Überlieferung in ihren Hauptzügen an die christliche Gemeinde. Dazu aber wird sich in der Tat jeder verpflichtet fühlen, dem aus dieser Überlieferung, so wie sie ist, die ihn erlösende Macht Gottes ans Herz gegriffen hat.
Wir müssen die Tatsache ehren, daß
uns die Macht, der allein wir uns ganz unterworfen wissen
können, uns aus einer Geschichte offenbar wird, deren einzelne wunderbare Züge keine Gewalt mehr über uns haben, die, wie
Seeberg sagt, den Glauben nicht mehr tragen, sondern zu einer
Sorge für den Glauben werden.
Es ist auf jeden Fall Gottes
Wille, daß die Macht, die uns rettet, uns in der Verbindung mit diesen Dingen erscheint.
Deshalb dürfen auch wir sie nicht
gewalffam daraus lösen wollen, denn jeder derartige Versuch
birgt die Gefahr, daß wir etwas aufgeben, was irgendwie für Menschen zum Mittel der Offenbarung Gottes werden soll, und
vielleicht auch für uns selbst.
Der Christ und das Wunder
64
Aber mit der vollen Bereitschaft, der christlichen Gemeinde diese Überlieferung zu erhalten, müssen wir die strenge Forderung verbinden, daß der Gemeinde klargemacht werde, die Überlieferung habe erst da ein Recht, Unterwerfung zu fordern, wo sie tat
sächlich einem Menschen zur Offenbarung der einen Macht wird, die er allein Gott nennen darf. Ein Glaube an die erzählten wunderbaren Ereignisse darf also nicht gefordert werden, wie es Sceberg doch schließlich tut. Eine solche Vergewaltigung läßt
er sich zuschulden kommen, wenn er behauptet, ein Mensch, der an der Überlieferung das Wunder einer inneren Umwandelung erlebt, sehe sich dadurch auch genötigt, wenigstens einen Teil der
darin erzählten von dem sonstigen sinnlich faßbaren Geschehen abweichenden Vorgänge als wirkliche Ereignisse anzusehen.
Eine
solche Behauptung bedeutet einen Zwang, der das gerade Gegen teil der Gewalt Gottes ist, die uns zu freier Hingabe bringt. Daß es Seeberg und vielen andern so geht, die ihm zustimmen
mögen, wollen wir natürlich nicht bestreiten, denn das können sie allein wissen.
Aber das müssen wir ablehnen, daß man das
der christlichen Gemeinde als etwas Allgemeingültiges hinstellt.
Es ist tatsächlich so, daß in unserer Zeit zahllose Christen einen
solchen Zusammenhang nicht verstehen können zwischen der An erkennung uralter Berichte und dem
religiösen Erlebnis des
Wunders, daß sie in dem Wirklichen eine Macht antreffen, die
sie ganz zu überwinden vermag.
Dieses religiöse Erlebnis allein
trägt für unser Bewußtsein den Charakter des völlig Wunder baren.
Christen können einander nur dann in christlicher Er
kenntnis fördern, wenn sie das Eine sich klar zu machen suchen, die innere Umwandlung, die die Macht der Person Jesu an
ihnen bewirkt. Aber Seeberg hat nicht einmal versucht, es verständlich zu machen, wie die Erfahrung der uns völlig be
zwingenden Macht an dem von uns selbst erfaßten Faktum der Person Jesu sich in der Anerkennung fortsetzen soll, daß uns
erzählte, von allem sonstigen Geschehen abweichende Vorgänge sich wirklich ereignet haben.
Der Christ und daS Wunder
65
Trotzdem ist in dem Unternehmen von Seeberg etwas, was der christlichen Gemeinde angehört. Denn es ist die Sorge um den Schutz der heiligen Überlieferung, die ihn zu seinen Behauptungen treibt.
Aber der nötige Schutz der Überlieferung
liegt einfach in dem, was sie uns erleben läßt.
Er ist darin
gegeben, daß wir in der Verflechtung des Bildes
Jesu mit
solchen Erzählungen den Willen Gottes ehren, sobald die uns
offenbar gewordene Tatsache der Person Jesu uns die Offen barung Gottes geworden ist. Wer das wirklich erfahren hat, wird nichts von der Überlieferung missen oder geringachten
wollen, die es ihm vermittelt hat. So schützt der Glaube selbst die Überlieferung, durch deren Kräfte er geschaffen ist. Wie man
so sich zu der Überlieferung stellen kann, die der historischen Kritik ausgeliefert ist, bleibt dem nicht durch ihre Segenssttöme
gehobenen Menschen auch völlig unverständlich. Aber dem Gläu bigen wenigstens ist das verständlich.
Und das muß man von
einer in der christlichen Gemeinde laut werdenden Rede verlangen.
Eine theologische Behauptung, die das nicht leisten kann, daß sie religiös verständlich wird, trägt den Charakter des Zungen redens, dem wir auch die subjektive Wahrhaftigkeit nicht absprechen wollen, dem wir es aber verwehren müssen, sich der Gemeinde
aufzudrängen.
Dieser Versuch also, die Auffassung der erzählten Wunder als wirkliche Vorgänge auf den Glauben zurückzuführen, ist als gescheitert anzusehen.
Er würde wahrscheinlich gar nicht unter
nommen werden, wenn man sich das Hindernis nicht immer
wieder verbergen wollte, das einer solchen Auffassung in unserer Zeit entgegensteht.
Wir sagen uns alle, auch Seeberg sagt
sich das, daß wir, wenn vor unsern Augen sich ein höchst un gewöhnlicher Vorgang zu ereignen scheint, keineswegs bereit sind,
ihn ein Wunder zu nennen.
Wir reden dann nicht von einem
Wunder, sondern von einem interessanten Problem für die wissen schaftliche Forschung.
Das kommt natürlich daher, daß wir jeden
Vorgang, den wir als nachweisbar wirflich ansehcn, auch bereits Herrmann, Offenbarung und Wunder.
6
66
Der Thrift und daS Wunder
als mit seiner Umgebung verknüpft denken, oder als gesetzmäßig.
Deshalb wird es auch der römischen Kirche immer schwieriger, die Wunder, die sie in der Gegenwart registrieren möchte, fest zustellen. Wenn sie Ärzte zu diesem Zweck aufbietet, so macht
sie sich dadurch nicht nur lächerlich, sie setzt damit auch höher gebildete Christen in Verlegenheit.
Denn auf solche Christen
macht das Ganze leicht den Eindruck der Unehrlichkeit.
Man
kann sich der Vorstellung kaum erwehren, daß doch die Leiter solcher kirchlichen Bemühungen selbst die nötige Klarheit des Bewußtseins haben, um bei jedem als nachweisbar wirllich vor
gestellten Vorgang seine Gesetzmäßigkeit mitzudenken.
Für sie
selbst würde also die Sache eine Schauspielerei sein, mit der sie
fteilich auf das arme Volk großen Eindruck machen, bis auch
diese Köpfe bemerken, daß ja das als nachweisbar wirklich vor gestellte Ereignis von denselben Menschen auch als gesetzmäßig gedacht wird.
Natürlich überträgt sich aber diese unabweisbare
Auffassung auch auf alles, was uns als vergangenes Ereignis erzählt ist.
Wir sagen uns unwillkürlich, wenn diese Dinge so
als wirklich gesehen werden konnten, wie es überliefert ist, so waren sie auch gesetzmäßig, der religiöse Begriff des Wunders
würde sich also auf sie gar nicht anwenden lassen.
Dann gilt
aber von allem, was uns an äußeren Vorgängen aus dem ge
schichtlichen Leben Jesu erzählt wird, dasselbe, was Seeberg
bei jedem sonstigen historischen Bericht in der Bibel zugibt, daß nämlich der Glaube selbst oder die von ihm erlebte Offenbarung
Gottes keinen Menschen dazu bringen kann, den Inhalt solcher Berichte als wirklich so geschehen anzusehen.
Nur dazu nötigt
uns unser Glaube, daß wir in der von der christlichen Gemeinde bewahrten Überlieferung beständig nach den Spuren des Wunders suchen, durch das sich dieser Glaube geschaffen weiß. Daß dazu nötig sei, von dem Inhalt dieser Überlieferung irgend etwas,
was uns nicht eigenes Erlebnis geworden ist, als vor Zeiten so geschehen, anzusehen, ist eine Behauptung, die nicht imstande ist,
ihr Recht religiös verständlich zu machen.
Will man sie kirchlich
Der Christ und daS Wunder
67
und „positiv" nennen, so ist sie doch nicht christlich.
Und jeder,
der Gott mehr gehorchen will als den Menschen wird sie schließ
lich ablehnen. Deshalb müssen wir, wenn wir evangelische Christen bleiben
wollen, in bezug
auf
die in der Heiligen Schrift erzählten
wunderbaren Vorgänge folgendes verlangen.
Sie müssen erstens
ohne Abzug und ohne historische Kritik mitgeteilt werden, wenn sie zu dem Rahmen gehören, in den die Überlieferung uns das
Bild Jesu gestellt hat.
Denn wir müssen daran denken, daß sie
jedem Christen einmal ein Mittel werden können, ihn das erleben
zu lassen, was ihn erlöst, die in der Person Jesu erscheinende Macht des einen, was die volle Macht über unsere Seele gewinnt. Wir müssen zweitens es geschehen lassen, daß alle, die von
dem religiösen Grunderlebnis so reden können, wie cs See berg
tut, das vor der Gemeinde aussprechen und den Versuch machen,
auf solche Weise den inneren Vorgang, an dem das Heil jedes Menschen hängt, verständlich zu machen.
Müssen wir auch nach
der obigen Darlegung darin einen noch nicht überwundenen Rest
heidnischer Frömmigkeit sehen, so hat doch niemand in der Ge meinde ein Recht, andere Christen zu vergewaltigen, die von sich
selbst aus diese innere Nötigung zur Verehrung des Unpersön lichen noch nicht überwunden haben.
Wir müssen aber drittens fordern, daß in einer evangelischen Kirche alle Mitteilungen aus der biblischen Überlieferung den
Charatter des Evangeliums erhalten.
Das geschieht aber nur
dann, wenn sie nicht zu einem Gesetz gemacht werden, das nur gebietet und nicht überzeugt. Es muß also der Gemeinde dringend
ans Herz gelegt werden, daß sich jeder Mensch in großer Gefahr befindet, der sich einbildet, er solle sich selbst vornehmen, den In halt dieser Erzählungen als wirkliche Ereignisse anzusehen.
Er
hat sie immer nur anzusehen als ihm gegebene Mittel zum Heil.
Und das bleiben sie ihm nur, wenn er sich gar nicht mit der Frage, ob das alles so geschehen ist, plagt, sondern immer nur das im Auge hat, wie ihm die eine Macht fühlbar werde, die
5*
Drr Christ und da- Wunder.
68
durch die volle Gewalt über ihn selbst sich als die Macht Gottes erweist. Sobald die Kirche sich so zu diesen Bestandteilen der Überlieferung stellte, wie es religiöser Gehorsam zur Pflicht macht, würde sie mit Freude bemerken, wie viele von denen, die um des Gewissens willen einem Gesetz der Überlieferung nicht
gehorchen können, an den Wundererzählungen Freude haben, weil sie ihnen so, wie sie sind, Spuren der Herrlichkeit des
Herrn aufleuchten lassen.
Durch das Zusammensein mit solchen
Christen würden sicherlich diejenigen nicht gestört werden, denen es natürlich erscheint, in dem ganzen Inhalt der Wunderberichte
wirkliche Ereignisse zu sehen.
Ein Recht, daß die andern um
ihretwillen vergewaltigt werden, können sie nicht beanspruchen, Sie haben sich darein zu fügen, daß
wenn sie Christen sind.
es viele Christen gibt, denen eine solche Zustimmung zu den In dieser Tatsache aber liegt
Wunderberichten nicht gegeben ist.
für alle in der Gemeinde der Hinweis darauf, daß ihre innere
Einheit und ihr Abschluß nach außen nicht in jener Zustimmung
begründet sein kann. kann
aber
nicht
Die Fähigkeit dazu ist individuell bedingt,
als
das
in der Gemeinde Allgemeingültige
religiös verständlich gemacht werden.
Daraus folgt, daß
in einer christlichen Gemeinde neben der Forderung, die bib lische Überlieferung als das Ausdrucksmittel des Evangeliums
zu gebrauchen und zu ehren,
nichts
anderes
allgemein
als
gültig behandelt werden darf als in erster Linie die immer rege Frage nach der Macht, der wir uns ganz unterworfen wissen könnten, in zweiter Linie die Erfahrung, daß uns diese Macht nirgends so begegnet, wie in der aus der Über
lieferung
uns
dem Wunder,
und Reinheit opfern,
die
offenbar
daß
gewordenen
Person
sich mit der Vollendung
der Wille verbindet, sich
durch
sie
gerichtet
noch einen Vorschlag knüpfen.
sind.
für
Jesu,
also
sittlicher
in
Kraft
die Sünder
zu
möchte
ich
Hieran
Wir wollen in der Theologie
wenigstens die Unterscheidung von „Positiv und Liberal" fallen
lassen, die für regierende Juristen, falls sie von evangelischem
Der Christ und daS Wunder
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Christentum nichts verstehen, und für Zentrumsleute naturgemäß sein mag, für evangelische Theologen aber deshalb unbrauchbar
ist, weil sie das gar nicht zum Ausdruck bringt, woran sich für einen Christen die Geister scheiden und ein höchst notwendiger
Kampf entstehen soll.
Dagegen möchte ich alle evangelischen
Christen um die ernsteste Beachtung des Gegensatzes bitten, der
sich zwischen Seeberg und nur hcrausgestellt hat.
Wir sehen
beide den Grund des Christenstandes nicht in einem erzählten,
sondern in einem selbsterlebten Wunder.
See berg aber sieht
dieses entscheidende Erlebnis darin, daß einem Menschen plötzlich
Erzählungen von äußeren Vorgängen, die ihm bisher unglaub lich waren, zu einem Ausdruck wirklicher Ereignisse werden.
Ich
bestreite nun nicht, daß es einem Menschen, der ein Christ wird, so gehen kann.
Aber ich bestreite, daß das das eigentlich Ent
scheidende ist, das ihn zu einem Christen macht. Das Ent scheidende ist vielmehr, daß er aus dieser selben Überlieferung Gott vernimmt.
Seeberg stellt das auch gar nicht in Abrede.
Aber trotzdem tritt
an
diesem Punkte der Gegensatz hervor.
Ich meine, wir müssen mit äußerster Strenge fordern, daß der Christ nicht bei dem Glaublichwerden einzelner Berichte als bei der Hauptsache verweilen darf.
Er hat sich vielmehr mit ganzer
Seele auf das allein zu werfen, worin eben ihm tatsächlich die Macht erscheint, die ihn im Innersten bezwingt.
Meint ein
Mensch, dieser Macht in dem Mirakel zu begegnen, so ist er
allerdings — das ist das Richtige in Stanges oben behan
delten Ausführungen — ein Heide und kein Christ. Ich bin der festen Überzeugung, daß schließlich doch die beiden ausge zeichneten Theologen sich darin mit mir einig finden müssen,
daß die Macht, der allein wir uns ganz unterworfen wissen können, uns in voller Klarheit in dem von uns selbst erlebten
Wunder der Gewalt der Person Jesu über unser Leben erscheint. Daß wir in dem Gehorsam gegen diese aus der heiligen Über lieferung uns entgegentretende geistige Macht wahrhaft freie, ernste Menschen werden, wissen wir alle.
Drr Christ und das Wunder
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Dagegen scheint mir, daß wir kein gutes Gewissen bei der
Behauptung haben könnten, daß daS Glaublichwerden irgend einer Summe einzelner Berichte über Jesus einen Menschen zu
einem Christen machte. Bei einer solchen Behauptung müßte uns
Eines schwer auf das Gewissen fallen.
Wir können doch nicht
leugnen, daß wir Christen nur werden, wenn Gottes Reich zu uns kommt.
Und das geschieht doch wohl nur, wenn wir der
von uns erfahrenen Macht Gottes uns ganz und gar unter worfen wissen, so daß wir in der Freude an ihr und ihrem Sieg alle unsere Sorgen loswerden.
Deshalb muß ich den
Versuch Seebergs, das Glaublichwerden einzelner Berichte über
Jesus als das Grunderlebnis des Christenstandes hinzustellen, für ein Unternehmen erklären, das in einer evangelischen Kirche
unkirchlich ist und nur wegen der darin waltenden guten Absicht ertragen werden kann.
Ich
hoffe aber, daß Seeberg selbst
davon loskommcn wird, weil er in der Hauptsache doch das Richtige sieht, und von den Gesetzeslehrern in unserer Kirche
sich geschieden hat. Viertens müssen wir verlangen, daß in unserer Kirche die Versuche, den Gedanken des Wunders, der wirklich zum Glauben
gehört, abzuschwächen, bekämpft werden.
Zu diesen Versuchen
müssen wir das Unternehmen rechnen, an dem Wundergedanken
seine Kollision mit dem Gedanken der Natur in Abrede zu stellen.
Wer das Wunder erlebt, wird aus diesem Erleben die Denn der Wundergedanke ist nichts anderes
Kollision sehen.
als der Ausdruck der Zuversicht, daß ein in der Welt lebendes Wesen dadurch, daß es sich in der jedem andern unzugänglichen
Stille von Gott ergriffen weiß, wahrhaft lebendig geworden ist,
was es in der dem allgemeingültigen Erkennen faßbaren Natur
schlechterdings
nicht geben
kann.
Wenn uns das, was der
Glaube ein Wunder nennt, nämlich das Wirken der speziellen Fürsorge Gottes auf uns selbst, gewiß ist, so haben wir eine
Wirklichkeit vor Augen, die sich in Naturbegriffen überhaupt nicht fassen läßt.
In diesem Sinne, also in viel strengerem
Der Thrift und das Wunder
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Sinne, als es die Scholastiker und ihr protestantisches Gefolge je gedacht haben, gilt für uns das supra et contra naturam.
Sie verstanden unter dem Wunder ein Ereignis, das auch ein Mensch wahrnehmen könne, der das Übernatürliche noch nicht zu fassen vermag, also ein Ereignis, das durch
aus die Art des Naturvorgangs hat, wenn es auch den Men schen etwas sehen läßt, was ihm bisher in der Natur noch
nicht begegnet ist. Daß ein solches Ereignis supra et contra naturam sei, wird von diesen Wundergläubigen zwar behauptet, aber doch in Wahrheit nicht gedacht.
Wir tun das wenigstens
insofern, als wir unter dem Wunder ein Ereignis verstehen, das uns innerhalb der Natur existierende Wesen berührt, aber
für keinen Menschen wirklich sein kann, der noch nichts anderes
zu fassen vermag als Natur. Für uns ist das Wunder ein Ereignis, worin wir die Macht des Gottes walten sehen, für den dieselbe Natur ein ihm unterworfenes Ganzes sein muß, die
für unser Bewußtsein eine unermeßliche aber gesetzmäßig ge
ordnete Vielheit bleibt. Wo wirklicher Glaube an den lebendigen Gott entsteht,
wird der Mensch Wunder erleben und Wunder tun.
Und wo
ein Mensch durch das Wort der Schrift zu Christus selbst ge
führt ist, wird er in den Wundererzählungen der Bibel Gaben Gottes ehren, in denen für ihn und andere ein Segen verborgen
ist, den er nicht verderben darf.
Das sei uns genug.
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Druck von C. G. Röder G. m. b. H., Leipzig.